Herrschaft an der Grenze: Mikrogeschichte der Macht im östlichen Ungarn im 18. Jahrhundert 9783412215972, 9783412221454


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German Pages [405] Year 2013

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Herrschaft an der Grenze: Mikrogeschichte der Macht im östlichen Ungarn im 18. Jahrhundert
 9783412215972, 9783412221454

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Adelswelten BA N D 2

Herausgegeben von Eckart Conze, Ewald Frie, Gudrun Gersmann und Tatjana Tönsmeyer

András Vári | Judit Pál | Stefan Brakensiek

Herrschaft an der Grenze Mikrogeschichte der Macht im östlichen Ungarn im 18. Jahrhundert

2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Entwurf für den Beerdigungszug Ferenc Károlyis im Jahre 1758 (Ungarisches Staatsarchiv Budapest, Archiv der Familie Károlyi, P 1502 Akten des Grafen Ferenc Károlyi, Fach 4b)

© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Ulrike Burgi, Köln Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22145-4

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 1  Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 2  Konzepte und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 3  Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.  Der Schauplatz und die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 1  Das Komitat Szatmár . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 2  Die Aristokratie, der Adel und das Komitat . . . . . . . . . . . . . . . . II. 3  Die Organe der königlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. 4  Die gräfliche Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III.  Die Herrschaftspraxis im Komitat und in der privaten Güterverwaltung während der Zeit des Wiederaufbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. 1  Der Eintritt in den Dienst des Magnaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. 2  Die Aufgaben von Klienten und Bediensteten . . . . . . . . . . . . . . 106 III. 3  Gabentausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. 4  Die Kooperation von Patron und Klientenschar . . . . . . . . . . . . . 114 IV.  Klienten in der Wildnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 IV. 1  Die Rekonstruktion in den verwüsteten Gebieten . . . . . . . . . . . 122 IV. 2  Die böhmischen Diamanten – Gábor Badda in der Glashütte von Száldobágy und Mátyás Pollereczky in der Eisenhütte von Salánk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IV. 3  Die herrschaftlichen Vertrauensleute vor Ort – Gábor Badda auf der Pußta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 V.  Die Königlich Freie Stadt Szatmárnémeti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. 1  Die Verwaltung der Stadt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 V. 2  Eine Stadt unter Einfluss, oder: der Preis der Freiheit . . . . . . . . 161

6 Inhalt

VI.   Gábor Erős – ein gräflicher Klient an der Schnittstelle zwischen staatlicher Bürokratie, Stadt und Komitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 1  Gábor Erős und die Stadt Szatmárnémeti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 2   Die Beziehung zwischen Sándor Károlyi und Gábor Erős . . . . VI. 3  Tod eines Klienten und die Frage der Nachfolge . . . . . . . . . . . . .

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VII. Der Wandel der Komitats- und der privaten Herrschaftsverwaltungen im Laufe des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 VII. 1  Die Umgestaltung des Komitats Szatmár in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 VII. 2 Die Bürokratisierung der privaten Güterverwaltung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 VII. 3  Vertrauensleute und Bürokraten in Alltag und Krise . . . . . . . . . 223 VIII. József Zanathy, oder: Macht und Ohnmacht eines gebildeten Klienten „auf dem Boden der Ignoranz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 1  Anfänge der Karriere eines „vollkommenen Klienten“ . . . . . . . VIII. 2  Zanathy als Stadtrichter von Szatmárnémeti . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 3  „alles was Arm und Bein hat, muss wissen, dass ich Eure Exzellenz lieb habe…“ – Aufgaben, Ethos und Rhetorik eines barocken Klienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 4  Ein alternder Klient auf dem Abstellgleis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. 5  Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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250 254 268

IX. Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi an der Spitze des Komitats Szatmár . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 IX. 1  Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 IX. 2  Erste Stellung als Notar des Komitats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 IX. 3  László Szuhányi, Graf Antal Károlyi und der „wohlgeordnete Policeystaat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 IX. 4  Verwandtschaft, soziales Umfeld und Vermögensverhältnisse . 284 IX. 5 Die Vermittlerrolle des László Szuhányi bei der Regulierung des Szamos und der Trockenlegung des Ecseder Moors . . . . . . 290 IX. 6  Dienst am Allgemeinwohl und soziale Stellung . . . . . . . . . . . . . 306

Inhalt

X.   Der Wandel asymmetrischer persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. 1  Ferenc Geöcz – Klient, Amtsträger des Komitats, Kammerbeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. 2  Ignác Klobusiczky – intermediäre Herrschaft in der Güterverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. 3  Vergleichende Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI.  Klientelverhältnisse im Wandel – Zusammenfassung und Ausblick . . . XI. 1  Zur Methode und Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 2  Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. 3  Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Dieses Buch ist gleich in zwei Hinsichten ungewöhnlich: Eine Monografie, die von drei Autoren aus drei Ländern stammt, kommt nicht alle Tage auf den wissenschaftlichen Buchmarkt. Und eine deutschsprachige Originalveröffentlichung zur ungarischen Geschichte ist ebenfalls recht selten. Das sollte historisch erklärt werden. Diese Studie ist aus der Arbeit des Forschungsprojekts „Frühneuzeitliche Institutionen in ihrem sozialen Kontext – Praktiken lokaler Politik, Justiz und Verwaltung im internationalen Vergleich“ hervorgegangen, das zwischen Januar 2002 und Juni 2005 von der VolkswagenStiftung gefördert worden ist. Das Projekt war an den Universitäten in Kassel, Miskolc (Ungarn) und Česke Budĕjovice (Tschechien) angesiedelt. Daran waren in Kassel Heide Wunder, Stefan Brakensiek, Karin Gottschalk und Beate Fujiwara beiteiligt. Die Arbeitsgruppe in Budweis unter der Leitung von Václav Bůžek bestand aus Josef Hrdlička und Václav Pražák. Das ungarische Forschungsteam hatte die größten räumlichen Distanzen zu überwinden, denn es wurde von András Vári aus Miskolc, Judit Pál aus Cluj Napoca/Klausenburg und Peter Dominkovits aus Sopron/Ödenburg gebildet. Das Projekt zielte darauf ab, Mikrostudien zur Herrschaftspraxis im 17./18. Jahrhundert zu fertigen, die der Frage nachgehen sollten, wie personale Verflechtungen zwischen Akteuren auf deren politisches, administratives und rechtliches Handeln einwirkten. Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildete die zeitgenössische Einschätzung, dass viele Entscheidungen in Institutionen nicht allein aufgrund formaler Verfahren zustande kamen, sondern durch familiäre und klientelare Beziehungen beeinflusst wurden. Die aktuelle Frühneuzeitforschung stützt diese zeitgenössische Vorstellung weitgehend. Gemeinsame Fragestellung und Herangehensweise würden – so die Hoffnung der Projektbearbeiter – die Vergleichbarkeit der Ergebnisse quer durch Mittel­ europa gewährleisten. Ganz so einfach war es in der Forschungspraxis dann nicht, gleichwohl haben die anregenden Diskussionen auf den regelmäßig stattfindenden Workshops und der heilsame Zwang zur Abfassung gemeinsamer Berichte dazu beigetragen, unseren Horizont beträchtlich zu erweitern, nationale historiografische Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen und dauerhafte Diskussionszusammenhänge zu schaffen.1 1 Ergebnisse des Projekts sind dokumentiert in dem Konferenzband Stefan Brakensiek/ Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten

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Vorwort

Einige auswärtige Kollegen haben sich uns mit ihrem reichen Wissen zur Verfügung gestellt, indem sie zu den Arbeitstreffen ins nördliche Hessen, ins südliche Böhmen, ins nordwestliche Rumänien und nach Budapest gekommen sind, um das Konzept und die Ergebnisse des Projekts kritisch zu diskutieren. Für diese Generosität sind wir Gyula Benda, Heiko Droste, Mark Hengerer, Pavel Himl, Gergely Krisztián Horváth, Petr Mat’a und István Szijártó zu großem Dank verpflichtet. Ein besonderer Dank gebührt Júlia Bara, die uns ihre Fotografien großzügig zur Verfügung gestellt hat. Das vorliegende Buch ist aus diesem Forschungsprojekt hervorgegangen. Über zehn Jahre hat eine freundschaftliche Kooperation die drei Autoren verbunden. Trotz zahlreicher anderer Verpflichtungen haben wir nie von dem Plan abgelassen, diese Studie abzuschließen. Selbst als András Vári im Oktober 2011 plötzlich verstarb, haben wir an dem Vorhaben festgehalten. Die von ihm stammenden Passagen waren bereits so weit ausgearbeitet, dass wir meinten, eine Publikation verantworten zu können. Wir haben lediglich die Fußnoten ergänzt, offensichtliche Irrtümer korrigiert und die deutsche Übersetzung sprachlich geglättet. Wir sind sicher, dass wir damit in seinem Sinne handeln. Solch eine intensive Kooperation in kleinem Kreis über so viele Jahre führt dazu, dass die Autorschaft der einzelnen Kapitel nicht immer völlig eindeutig zu bestimmen ist. Die einleitenden Kapitel I und II sind gemeinsam verfasst worden. Die empirische Forschung, auf denen Kapitel III, IV, VII, IX und X beruhen, hat András Vári geleistet. Entsprechend basieren Kapitel V, VI und VIII auf Archivarbeiten von Judit Pál. Stefan Brakensiek hat das gesamte Werk sprachlich überarbeitet und die konzeptionellen Abschnitte in der Einleitung und im Schlusskapitel formuliert. Das sind gleichwohl ein wenig künstliche Abgrenzungen: Bei diesem Buch handelt es sich um den seltenen Fall einer Monografie dreier Autoren. Die Untersuchungsregion, das Komitat Szatmár, wurde teils aus pragmatischen, teils aus programmatischen Gründen gewählt. Dazu hat uns die reiche, gut geordnete Quellenüberlieferung in den Archiven des Komitats Szatmár und der Stadt Szatmárnémeti, vor allem aber im Archiv des gräflichen Hauses Károlyi veranlasst, dies um so mehr, als diese Magnatenfamilie während des gesamten 18. Jahrhunderts – und darüber hinaus – zahlreiche Adlige als Klienten an sich zu binden verstand. Die Wahl der Region ist aber auch für den grundlegenden Charakter dieses Buchs zentral, denn es geht uns nicht allein um einen empirischen Europa, Köln 2005. Vgl. außerdem die homepage http://www.lokaleherrschaft.de/ mit Hinweisen zur Konzeption des Projekts, zu den beteiligten Institutionen und Forschern sowie mit einem Glossar, das die zeitgenössische Terminologie der lokalen Verwaltung in deutscher, tschechischer, ungarischer und lateinischer Sprache aufführt.

Vorwort

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Beitrag zur Geschichte Ungarns, sondern auch um die konzeptionelle Weiterentwicklung des Klientelismus-Modells für die historische Forschung überhaupt. An der europäischen Peripherie lässt sich dem Wandel der Loyalitätsbeziehungen im Zeitalter der Aufklärung besonders gut nachspüren, mithin eine zentrale gesellschaftliche Entwicklung exemplarisch nachzeichnen. Dieser Wandel betraf die Justiz und die Verwaltung, das policy making und die Soziabilität der Eliten in der Region. Zeitlich hebt die Studie mit dem Frieden von Szatmár im Jahre 1711 an, als 150 Jahre permanenten (Bürger-)Kriegs endeten und eine lange Phase friedlicher zivilisatorischer Entwicklung anhob. Das Ende des Untersuchungszeitraums ist weniger klar zu bestimmen. Wir haben uns dafür entschieden, dem Handeln der Patrone und Klienten im Komitat Szatmár bis ins frühe 19. Jahrhundert nachzugehen, als das zarte Pflänzchen „nationale Öffentlichkeit“ zwar schon keimte, aber noch nicht – wie im Vormärz – die politische Kultur dominierte. Das Komitat Szatmár liegt in der Grenzregion zwischen dem heutigen Rumänien, Ungarn, der Slowakei und der Ukraine. Viele Orte tragen deshalb mehrere Namen in den verschiedenen Sprachen. Wir haben uns dafür entschieden, im Text die ungarische Namensvariante des 18. Jahrhunderts zu verwenden, und im Ortsverzeichnis die alternativen Bezeichnungen in den anderen Sprachen zu geben. Auch Personen erscheinen in den frühneuzeitlichen Quellen oftmals mit mehreren Namensvarianten. Um Unklarheiten zu vermeiden, haben wir uns pragmatisch dafür entschieden, diejenige Variante durchgängig zu nutzen, die dem heutigen ungarischen Sprachgebrauch am ehesten entspricht. Judit Pál (Cluj-Napoca) Stefan Brakensiek (Essen)

I. Einführung Wir begeben uns auf fremdes Terrain, und das gleich in mehrfachem Sinne: Die beschriebenen Menschen, Sitten und Institutionen sind fremd, die zeitgenössischen Argumente und Redewendungen sind fremd, und in dem Gebiet, von dem das Buch handelt, sieht heute auch nicht ein Fußbreit Erde so aus wie vor dreihundert Jahren, als sich die in der Folge dargestellten Ereignisse zugetragen haben. Freilich werden sich die Autoren bemühen, dem Leser jede Art von Hilfe zu gewähren, damit er sich in dieser fremden Welt zurechtfindet. Heute ist das alte Ungarn aus dem deutschen historischen Gedächtnis noch weiter entschwunden als das alte Österreich – und schon diese näher liegenden Gestalten und Gebiete der Habsburgermonarchie finden in den meisten historischen Nachschlagewerken Deutschlands keinen Niederschlag mehr.2 Daher müssen sowohl die Akteure als auch die Schauplätze und die wichtigsten Institutionen vorgestellt werden. Viele gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Eigenarten werden sich dem Leser – so hoffen wir – aus der Erzählung bestimmter historischer Momente erschließen, aus der Darstellung der Entwicklung von Beziehungen zwischen Personen, aus ihren Abhängigkeiten und Handlungsspielräumen. Unser Vorgehen ähnelt also demjenigen eines Anthropologen, der fremde soziale und kulturelle Verhältnisse zu registrieren, zu deuten und zu erzählen sucht. Zeitlich befassen wir uns mit dem 18. Jahrhundert, als die Menschen in großen Teilen Ungarns zum ersten Mal seit mehr als einhundertfünfzig Jahren eine längere Phase des Friedens erleben durften. Unser Untersuchungsgebiet im Osten des Landes, wo die pannonische Tiefebene an die Karpaten stößt, hatte zum Hauptkampfgebiet zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich gehört. Das gab der Region zunächst das eigentümliche Gepräge einer verwüsteten, von wenigen versprengten Bewaffneten bewohnten Gegend ohne Weg und Steg. Die Jahrzehnte nach dem Friedensschluss von 1711 kann man als eine Phase der Rekonstruktion sehen, in der politisch-soziale Verhältnisse geschaffen 2 Als Einführung immer noch sehr lesenswert: Robert J.W. Evans, The making of the Habsburg monarchy 1550–1700, Oxford 1979 (dt. Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen, Wien u.a. 1986). Siehe auch Jean Bérenger, La Hongrie des Habsbourgs, Bd. I: De 1526 à 1790, Rennes 2010; István György Tóth (Hg.), Geschichte Ungarns, Budapest 2005, S. 288–315, 331–335, 383– 418.

Abb. 1

Geschichtskarte von Österreich-Ungarn

Einführung

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14

Einführung

wurden, die für die ostmitteleuropäischen Reiche typisch waren: eine korporativ verfasste Gesellschaft unter kultureller Hegemonie und politischer Dominanz eines zahlenstarken Adels, der die politische Nation bildete. Abseits davon führten Städte und Dörfer ein reiches kommunales Eigenleben, prägten jedoch oft keinen einheitlichen genossenschaftlichen Verband aus, sondern waren in ethnisch-konfessionelle Segmente untergliedert, was ihnen die Artikulation ihrer Interessen gegenüber ihren adligen Herren erschwerte. Die beständigen Kriege bis 1711 sorgten dafür, dass die anschließende Entwicklung zeitlich gerafft erfolgte, was der ständischen Kultur zu einer Spätblüte verhalf. Die ältere – vor allem die calvinistisch gefärbte und danach die marxistische − Geschichtsschreibung sah die ungarischen Stände in einem grundsätzlichen Gegensatz zur Habsburgermonarchie: Danach stand dem aktiven Wiener Zentralstaat eine vielfältige, ständisch gegliederte Gesellschaft gegenüber, die dem staatlichen Vereinheitlichungsprozess vor allem Widerstand entgegensetzte.3 Die Sozial- und Verwaltungsgeschichte der letzten dreißig Jahre hat diese Polarität jedoch aufgelöst und gezeigt, dass die ständische Gesellschaft mitnichten in starrer Verweigerung verharrte, sondern einen Wandel durchlief, in dem exogene und endogene Einflüsse zusammenwirkten. Entsprechend hebt die neuere ungarische Historiografie das Mit- und Ineinander von modern-staatlichen und traditionellständischen Mustern hervor.4 3 Zsigmond Pál Pach, Függetlenségi küzdelmeink a Habsburgok ellen a XVII. században. A Rákóczi-szabadságharc [Unsere Freiheitskämpfe gegen die Habsburger im 17. Jahrhundert. Der Rákóczi-Freiheitskampf ], Budapest 1951. Pach beurteilt den Rákóczi-Aufstand als „Gipfel der nationalen Kämpfe des 17. Jahrhunderts, die höchste Stufe der Kämpfe für Unabhängigkeit in der Epoche.“ Ebd., S. 54. Als Fortsetzung dieser Tradition kann man einige lesenswerte Publikationen von angesehenen Historikern aus den 1970er und 80er Jahren nennen: Ágnes R. Várkonyi/Béla Köpeczi, II. Rákóczi Ferenc, Budapest 1976; Kálmán Benda, Habsburg-abszolutizmus és rendi ellenállás a XVI-XVII. században [Habsburgischer Absolutismus und ständischer Widerstand im 16. und 17. Jahrhundert], Budapest 1975; László Benczédi, Rendiség, abszolutizmus és centralizáció a XVII. század végi Magyarországon [Ständeordnung, Absolutismus und Zentralisierung am Ende des 17. Jahrhunderts in Ungarn], Budapest 1980. 4 Géza Pálffy, Der ungarische Adel und der Kaiserhof in der frühen Neuzeit (Eine Skizze), in: Václav Bůžek/Pavel Král (Hg.), Šlechta v habsburské monarchii a císařsky dvůr (1526–1740), Ceské Budejovice 2003, S. 133–152; ders., Zentralisierung und Lokalverwaltung. Die Schwierigkeiten des Absolutismus in Ungarn von 1526 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Petr Mat’a/Thomas Winkelbauer (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 279–300; István M. Szijártó, The Diet: The Estates and the Parliament of Hungary, 1708–1792, in: Gerhard Ammerer u. a. (Hg.), Bündnispartner und Konkurrenten der Lan-

Fragestellung

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Man kann unsere Geschichte in das Gewand eines dynamischen Zivilisationsprozesses in europäischer Randlage kleiden und ihr dadurch zusätzliche Würde verleihen.5 Man kann auch eine völlig andere Perspektive einnehmen und die gesellschaftlichen Strukturen langer Dauer betonen, vor allem den ungebrochenen Vorrang des Adels. Wir wollen diese Fragen nicht schon zu Beginn der Darstellung beantworten, nutzen sie stattdessen als ein Spannungsfeld, zwischen dessen Polen sich Konstellationen aus Personen unterschiedlicher Herkunft mit weit divergierenden Ressourcen beschreiben lassen. Überhaupt handelt es sich nicht um eine einzige kohärente Geschichte, sondern um mehrere, komplementäre Geschichten, die einander kommentieren und dadurch ein farbiges, an Konturen reiches Bild ergeben.

I. 1  Fragestellung Erzählen wollen wir Geschichten über Herrschaftsverhältnisse, Mikrogeschichten der Macht. Es geht dabei um Beziehungen unter Ungleichen, um die Kooperation von Personen, zwischen denen ein ausgeprägtes hierarchisches Gefälle bestand. Im Laufe unserer Darstellung wird sich erweisen, wie die Beteiligten – auch die weniger Mächtigen, die einem Herrn dienten – diese Beziehungen gestalteten, indem sie miteinander kooperierten oder auch aneinander vorbei und gegeneinander agierten. Ungleichheit mochte den Zeitgenossen der ständischen Welt des 18.  Jahrhunderts als nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeit erscheinen, gleichwohl strukturierten sie die konkreten Machtverhältnisse durch ihr Handeln und durch die Bedeutungen, die sie ihrem Handeln gaben. Kooperation, oft auch nur partielle Zusammenarbeit, war unter den Umständen weiter Distanzen in einem Großreich mit dünner Besiedlung und loser infrastruktureller Erschließung ein rationales Gebot. Niemand war freilich gezwungen, sich dieser Rationalität desfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, Wien/München 2007, S. 151–171; Janos Poór, Kontroversen um das strittige Verhältnis zwischen königlicher Macht und ständischen Rechten in Ungarn an der Wende vom 18.  zum 19.  Jahrhundert, in: ebd., S. 420–441; István Fazekas, Die Verwaltungsgeschichte des Königreichs Ungarn und seiner Nebenländer (1526–1848), in: Thomas Winkelbauer/Michael Hochedlinger (Hg.), Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit, Wien 2010, S. 479–502. 5 Wie eine Mikrostudie an der Peripherie einen bedeutenden Beitrag zu einem zentralen historischen Problem liefern kann, zeigt Norbert Schindler, Der Prozess der Zivilisation in der Kleinstadt. Die Traunsteiner Kaufmannsfamilie Oberhueber (1600–1800), Wien 2007.

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Einführung

anzubequemen. So gesehen ist unser Thema das Aufeinandertreffen von Akteuren, die durch Zeitgenossenschaft, räumliche Nähe und ihre eigenen Entscheidungen zur Kooperation veranlasst wurden. Diese Geschichten folgen keineswegs historischen Notwendigkeiten, die der systematischen Abfolge von Epochen entspringen. Zwar lässt sich im 18. und am Anfang des 19.  Jahrhunderts auch im östlichen Ungarn ein deutlicher Wandel der Verhältnisse, der Verhaltensweisen und der kulturellen Selbstverständlichkeiten beobachten. Diesen Wandel kann man als einen gesellschaftlichen Integrationsprozess deuten, in dessen Verlauf aus einer segmentären Gesellschaft von bunter kultureller, wirtschaftlicher und lebensweltlicher Vielfalt, deren ständische Hierarchie ihre Entsprechung in kräftigen ständischen Institutionen fand, eine durch Recht und Anstaltsstaat integrierte Staatsbürgergesellschaft wurde. Versuchte man jedoch diesen Wandel als Übergang von einer Gesellschaftsformation zu einer anderen zu beschreiben, würde dies Brüche implizieren, für deren Vorhandensein keine Indizien zu finden sind. Stattdessen beobachten wir einen Veränderungsprozess, der von den Zeitgenossen gestaltet wurde, indem sie sowohl die ihnen wohlbekannten älteren Verhaltensweisen und Semantiken nutzten, als auch aktuelle Themen und Verhaltensstile aufgriffen. In dieser Verschränkung aus überlieferten und neuen Redeweisen und Verhaltensformen schälten sich sozial, räumlich und zeitlich identifizierbare kulturelle Idiome heraus, aus denen wir allerdings keine dauerhafte Kultur Ungarns oder gar Ostmitteleuropas konstruieren wollen, die man dann den mittel- oder westeuropäischen Kulturen gegenüberstellen könnte. So geartete Komparatistik gab und gibt es: Meist gehen diese Vergleiche von der Vorstellung einer geschichtlichen Normalentwicklung aus, an der die abweichenden Fälle dann gemessen und als minderwertig verworfen werden. Das ist zutiefst unbefriedigend. Stattdessen will unsere Erzählung Verhaltensstile, Redeweisen, Gesten und Selbstthematisierungen identifizieren, möglichst genau beschreiben, auf den analytischen Begriff bringen und mit zeitgleich auftretenden Phänomenen andernorts vergleichen, ohne dass wir sie zu Bildern distinkter Kulturen oder zu gesetzmäßigen historischen Verlaufsformen gerinnen lassen. Wenn man es mit den Begriffen der Systemtheorie formuliert, wollen wir Antworten auf die Frage finden, wie der Übergang von einer traditionellen segmentär-stratifizierten Gesellschaft zu einer modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft vonstattengehen konnte, indem wir an einem regionalen Beispiel die emergent auftretenden Redeweisen und Verhaltensstile auf ihren konkreten Gebrauch und ihre verändernde Kraft hin untersuchen. Wenn man es handlungstheoretisch fasst – und das liegt unserer Vorgehensweise deutlich näher – dann geht es um die agency von Akteuren, die ein Feld regionaler Macht durch ihr



Konzepte und Begriffe

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Handeln ausfüllten und nutzten.6 Dieses Feld änderte seine Gestalt im Verlauf des 18. Jahrhunderts dramatisch, weil es der Krone in der langen Phase des Friedens erstmals gelang, sich in der ungarischen Provinz als Norm setzende und Ordnung wahrende Kraft in Szene zu setzen, und weil die bis dahin dort nahezu autonom wirkenden Aristokraten zwar weiterhin die regionale Politik dominierten, durch ihre Umsiedlung nach Wien oder zeitweilig nach Preßburg (später nach Pest) das politische Alltagsgeschäft vor Ort jedoch damit Beauftragten überlassen mussten. Deren Macht beruhte auf ihrer Fähigkeit, räumliche, kulturelle und soziale Distanzen zu überbrücken.

I. 2  Konzepte und Begriffe Ganz unterschiedliche soziale Mechanismen und Beziehungsgeflechte sind tendenziell in der Lage, solch eine Überbrückung räumlicher, kultureller und sozialer Distanzen zu gewährleisten. Für das östliche Ungarn im 18. Jahrhundert sind aus unserer Sicht Klientelnetzwerke die wichtigsten Überbrückungsmechanismen.7 6 André Holenstein, Introduction: Empowering Interactions: Looking at Statebuilding from Below, in: Wim Blockmans/André Holenstein/Jon Mathieu (Hg.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300–1900, Farnham 2009, S. 1–31; Stefan Brakensiek, Communication between Authorities and Subjects in Bohemia, Hungary and the Holy German Empire, 1650–1800: A Comparison of Three Case Studies, in: ebd., S. 149–162. 7 Es handelt sich nicht etwa um eine Netzwerkanalyse, wie sie in den Sozialwissenschaften und der Ethnologie zur Anwendung kommt. In der historischen Forschung sind Netzwerkanalysen extrem selten, da die meist fragmentarische Überlieferung diese statistische Methode in der Regel nicht zulässt. Die wenigen Ausnahmen behandeln Themen der neueren Geschichte, z. B. Carola Lipp, Zum Zusammenhang von lokaler Politik, Vereinswesen und Petitionsbewegung in der Revolution von 1848/49. Eine Mikrostudie zu politischen Netzwerken und Formen der Massenmobilisierung in der politischen Kultur der Revolutionsjahre, in: Esslinger Studien 36 (1997), S. 211–269; Christine Fertig, Familie, verwandtschaftliche Netzwerke und Klassenbildung im ländlichen Westfalen (1750–1874), Stuttgart 2012. Nützliche methodologische Einführungen: Michael Schenk, Das Konzept des sozialen Netzwerks, in: Friedhelm Neidhardt (Hg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Opladen 1983, S.  88–104; Thomas Schweizer, Netzwerkanalyse als moderne Strukturanalyse, in: ders. (Hg.), Netzwerkanalyse: Ethnologische Perspektiven, Berlin 1988, S. 1–32; ders., Muster sozialer Ordnung. Netzwerkanalyse als Fundament der Sozialethnologie, Berlin 1996; Dorothea Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Opladen 1999. Bis heute auch für die Geschichtsforschung anregend: Jeremy Boissevain, Friends of friends. Networks, manipulators and coalitions, Oxford 1974. Wir verwenden den Begriff Netzwerk im Sinne

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Der Klientelbegriff stammt nicht aus der Geschichtsschreibung, er ist ein Import aus der Soziologie8 und der Sozialanthropologie.9 Danach handelt es sich um eine ungleiche Beziehung zwischen zwei Personen, die auf Reziprozität beruht. Patron und Klient gewähren einander Güter und Leistungen, typischerweise Protektion, Kredit, Zugang zu Ämtern oder zu landwirtschaftlichen Ressourcen gegen Gefolgschaft, Ehrerbietung, Informationen oder Wählerstimmen. Eine geschichtliche Dimension war zwar von Beginn an im Klientelbegriff enthalten, freilich eine recht holzschnittartige: Patronagebeziehungen, politischer Klientelismus zumal, wurden in den 1960er Jahren zunächst als Übergangsphänomene betrachtet, galten als Indiz für die relative Rückständigkeit einer Gesellschaft, das sich im Prozess ihrer Modernisierung verlieren würde. Bald wurde jedoch deutlich, dass davon keine Rede sein konnte. Der Klientelismus stellte sich sowohl in der sogenannten „Dritten Welt“, als auch in den „Mutterländern“ des Konzepts im Mittelmeerraum als ungemein zählebig heraus, selbst als sich diese zu modernen, demokratischen Marktgesellschaften entwickelten.10 Mittlerweile hat sich das Konzept Klientelismus innerhalb der Politik- und Sozialwissenschaften eingebürgert, untauglich zwar als Mittel der Prognose, wertvoll jedoch als Werkzeug gesellschaftlicher Analyse.11 von Verflechtung, wie in der Frühneuzeithistoriografie allgemein üblich, ohne statistische Methoden einzusetzen. Vgl. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. „Verflechtung“ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979. 8 Vgl. Christopher Clapham, Clientelism and the State, in: ders. (Hg.), Private Patronage and Public Power. Political Clientelism in the Modern State, London 1982, S. 1–35; Mario Caciagli, Klientelismus, in: Dieter Nohlen (Hg.), Lexikon der Politik, Bd. 4: Die östlichen und südlichen Länder, München 1997, S. 292–297. 9 Vgl. Eric R. Wolf, Kinship, Friendship, and Patron-Client Relations in Complex Societies, in: Michael Banton (Hg.), The Social Anthropology of Complex Societies, London 1966, S. 1–22; Jon P. Mitchell, Patrons and clients, in: Alan Bum/Jonathan Spencer (Hg.), Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology, London 1996, S. 416–418. 10 Einen guten Überblick über die Forschungsgeschichte bietet Ayse Günes-Ayata, Clientelism: Premodern, Modern, Postmodern, in: Ayse Günes-Ayata/Luis Roniger (Hg.), Democracy, Clientelism, and Civil Society, London 1994, S. 19–28. 11 Es kann an dieser Stelle kein Versuch unternommen werden, die ausufernde Literatur zum Klientelismus wiederzugeben. Stattdessen sei auf eine Reihe von Sammelbänden hingewiesen, die für die Weiterentwicklung des Konzepts wertvoll gewesen sind: Verena Burkolter (Hg.), The Patronage System. Theoretical Remarks, Basel 1976; Steffen W. Schmidt u. a. (Hg.), Friends, Followers, and Factions. A Reader in Political Clientelism, Berkeley-Los Angeles 1977; Shmuel Noah Eisenstadt/René Lemarchand (Hg.), Political Clientelism, Patronage and Development, Beverly Hills 1981; Christopher Clapham (Hg.), Private Patronage and Public Power. Political Clientelism in the Mo-



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In der Geschichtsschreibung zur Frühen Neuzeit nimmt das Klientelismuskonzept seit mindestens drei Jahrzehnten einen anerkannten, wenn auch nicht übermäßig prominenten Platz ein. Mit seiner Hilfe wird zu erklären versucht, wie es den europäischen Monarchien gelang, zwei fundamentale Integrationsprobleme zu lösen, vor denen zentralisierte Herrschaft über größer dimensionierte Gebiete bei – nach modernen Maßstäben – schwach entwickelten Infrastrukturen stand, die Integration möglicher Konkurrenten aus der Aristokratie einerseits12 und die Integration von peripheren Regionen andererseits13. Entsprechend spiedern State, London 1982; Shmuel Noah Eisenstadt/Luis Roniger (Hg.), Patrons, Clients and Friends. Interpersonal Relations and the Structure of Trust in Society, Cambridge 1984; Hans-Heinrich Nolte (Hg.), Patronage und Klientel. Ergebnisse einer polnisch-deutschen Konferenz, Köln 1989; Ayse Günes-Ayata/Luis Roniger (Hg.), Democracy, Clientelism, and Civil Society, London 1994; Shmuel Noah Eisenstadt (Hg.), Power, Trust and Meaning. Essays in Sociological Theory and Analysis, Chicago 1995. 12 Erneut muss ein vollständiger Nachweis der vorliegenden Studien unterbleiben. Hingewiesen sei auf: Yves Durand (Hg.), Hommage à Roland Mousnier. Clientèles et fidélités en Europe à l’Époque moderne, Paris 1981; Antoni Mączak (Hg.), Klientelsysteme im Europa der frühen Neuzeit, München 1988; Ronald G. Asch/A.M. Birke (Hg.), Princes, patronage, and the nobility. The court at the beginning of the modern age c.1450– 1650, Oxford 1991; Charles Giry-Deloison/Roger Mettam (Hg.), Patronages et clientélismes 1550–1750 (France, Angleterre, Espagne, Italie), Lille 1995; Ronald G. Asch/Birgit Emich/Jens Ivo Engels (Hg.), Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt am Main u. a. 2011. Zusammenfassend: Antoni Mączak, From Aristocratic Household to Princely Court. Restructuring Patronage in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Asch/Birke (Hg.), Princes, Patronage and the Nobility, S. 315–327. Der Klientelismus spielt in den aktuellen Darstellungen zur Geschichte des Wiener Hofes keine zentrale Rolle: Jeroen Duindam, Vienna and Versailles. The Courts of Europe’s Dynastic Rivals, 1550–1780, Cambridge 2003; Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740), Darmstadt 2003; Mark Hengerer, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Mikrogeschichte der Macht in der Vormoderne, Konstanz 2004. 13 Diese Frage ist vor allem für die französische Monarchie und den Kirchenstaat im 17. Jahrhundert untersucht worden. Vgl. William Beik, Absolutism and Society in SeventeenthCentury France: State Power and Provincial Aristocracy in Languedoc, Cambridge 1985, hier S.  223–244; Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in SeventeenthCentury France, New York-Oxford 1986; Arlette Jouanna, Des réseaux d’amitié aux clientèles centralisées: les provinces et la cour (France, XVIe-XVIIe siècle), in: Giry-Deloison/Mettam (Hg.), Patronages et Clientélismes 1550–1750, S. 21–38. Für den Sonderfall des Klientelismus und Nepotismus in der päpstlichen Wahlmonarchie: Ingo Stader, Herrschaft durch Verflechtung. Perugia unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Frankfurt am Main 1997; Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung. Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur früh-

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len Patronage und Klientel bei der Erforschung der frühneuzeitlichen Höfe und Bürokratien eine wichtige Rolle. Von Beginn an ist dabei umstritten gewesen, wie die Patronagebeziehungen von den Beteiligten wahrgenommen wurden, ob sie lediglich Verhaltensmuster darstellten, die ‚geschäftsmäßig‘ ausgefüllt wurden, oder ob die von den Zeitgenossen stets bemühte Loyalitäts- und Treuerhetorik ernst zu nehmen ist.14 Unseres Erachtens entzieht sich diese Frage nach der ‚Echtheit‘ der semantisch evozierten Gefühle der Überprüfung. Was die Forschung jedoch in aller Deutlichkeit herausgearbeitet hat, ist die umfassende Geltung einer Kultur der Patronage für die abendländischen Eliten des 16./17. Jahrhunderts.15 Dagegen stehen Antworten auf die Fragen aus, inwieweit diese Kultur der Patronage auch den „gemeinen Mann“ erreichte 16, und ob sie durch die Aufklärungsbewegung neuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Tübingen 2000; Birgit Emich, Territoriale Integration in der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Wien 2005; Wolfgang Reinhard, Paul V. Borghese (1605–1621). Mikropolitische Papstgeschichte, Stuttgart 2009. Für Spanien vgl. Christian Windler, Lokale Eliten, seigneurialer Adel und Reformabsolutismus in Spanien (1760–1808). Das Beispiel Niederandalusien, Stuttgart 1992; ders., Clientèles royales et clientèles seigneuriales vers la fin de l´ancien régime. Un dossier espagnol, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 2 (1997), S.  293–319.  Zusammenfassend: Gerald Edward Aylmer, Centre and locality: The Nature of Power Elites, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Power Elites and State Building, Oxford 1996, S. 59–77. 14 Auch in diesem Zusammenhang ist die Debatte über die französische Monarchie prägend gewesen. Die ethische Bindungskraft von Patronagebeziehungen betont: Roland Mousnier, Les institutions de la France sous la monarchie absolue. Bd. 1: Société et état, Paris 1974, vor allem das Kapitel „La socitété des fidélités“, S. 85–93; ders., Les fidélités et les clientèles en France aux XVIe, XVIIe, et XVIIIe siècles, in: Histoire sociale 15 (1982), S. 35–46. Im Wesentlichen funktional argumentiert dagegen: Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients; dies., Patronage in Early Modern France, in: French Historical Studies 17/4 (1992), S. 839–862. 15 Kirsten B. Neuschel, Word of Honour. Interpreting Noble Culture in Sixteenth-Century France, Ithaca 1989; Jay M. Smith, The Culture of Merit. Nobility, Royal Service and the Making of Absolute Monarchy in France, 1600–1789, Ann Arbor 1996. Darin sind sich selbst die beiden ansonsten kontroversen Polemiken einig: Heiko Droste, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für Historische Forschung 30/4 (2003), S. 555–590; Birgit Emich u.a., Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), S. 233–265. 16 Beispiele für die Bedeutung des Klientelismus bis auf dörfliche Ebene bei David Martin Luebke, His Majesty’s Rebels. Communities, Factions, and Rural Revolt in the Black Forest, 1725–1745, Ithaca 1997; ders., Terms of Loyalty. Factional Politics in a Single German Village (Nöggenschwihl, 1725–1745), in: Max Reinhart (Hg.), Infinite Boundaries. Order, Disorder and Reorder in Early Modern German Culture, Kirksville, Missouri 1998, S. 77–100. Ein konzeptionelles Angebot zu den inneren Entwicklungstendenzen des



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völlig diskreditiert oder lediglich modifiziert wurde. Unsere Studie wird zu diesen Problemen auf der Grundlage regionaler Befunde Stellung nehmen. Im Folgenden wird unter Klient, in Abgrenzung zum Gebrauch in der Politologie bzw. in den Sozialwissenschaften und in Übereinstimmung mit der Frühneuzeitforschung, nicht eine schlichte personenbezogene Loyalität von ungleich starken Personen verstanden, sondern eine das Gesamtverhalten einer Person leitende soziale Rollenvorstellung. Ebenso stark möchten wir den hier verwendeten Begriff von der Idee eines bloßen Austausches zwischen Patron und Klient abgrenzen. Just wegen der umfassend handlungsleitenden Wirkungsmacht dieser Rolle finden wir eine Flut von gegenseitigen Leistungen. Diese sind aber recht unterschiedlich beschaffen. Sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist unmöglich. Typischerweise gehören dazu Schutz, Kredit, Unterstützung bei der Suche um eine Anstellung oder ein Amt, Gewährung von Informationen und Ehrerbietung. Solche Leistungsströme finden sich jedoch teilweise auch innerhalb anderer sozialer Beziehungen, zum Beispiel in Familienverbänden. Damit wir von einem Klientelnetzwerk sprechen können, muss der besondere kulturelle Kontext – zeitübliche Rollenverständnisse und Redeweisen – berücksichtigt werden, innerhalb dessen sich dieser Austausch zutrug. Wir haben in der Gruppe der drei Autoren intensiv diskutiert, ob wir adlige Diener im patrimonialen Herrschaftsverband des Magnaten von Klienten unterscheiden können, die demselben Aristokraten als Amtsträger in den regionalen Organen adliger Selbstverwaltung, den sogenannten Komitaten, oder in der Staatsverwaltung zu Diensten waren.17 Angesichts der empirischen Befunde haben wir diese Unterscheidung verwerfen müssen. Zwar blieb es jedem Adeligen unbenommen, seinen Anspruch auf eine autonome, von der eigenen Adelsqualität gewährleistete, d. h. außerhalb des patrimonialen Verbandes angesiedelte öffentliche Rolle wahrzunehmen. Die eigene Ehre und die Ehre der Familie wurden durch den Erwerb von Wahlämtern im Komitat gewahrt und noch gesteigert. In den Kriegswirren des 17. Jahrhunderts und in der anschließenden Rekonstruktionsphase hatten Adelige jedoch gute Gründe, trotz ihrer formalen Autonomie bei vormodernen Klientelismus in Richtung Partikularismus (Korruption oder Familismus) oder in Richtung Universalismus (Brauchtum/Ideologie oder formale staatliche Institutionen) unterbreitet: Ulrich Pfister, Politischer Klientelismus in der frühneuzeitlichen Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 42 (1992), S. 28–68, hier S. 52–55. 17 Auch im herrschaftssoziologischen Basistext par excellence werden Klienten zum weiteren patrimonialen Verband in traditionalen Herrschaftssystemen gerechnet: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tübingen 1980, Kapitel III.3 Typen der Herrschaft: Traditionale Herrschaft, S. 130–140.

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einem Magnaten Unterstützung zu suchen. Das hatte damit zu tun, dass die Magnaten während des permanenten Kriegszustandes als regionale warlords faktisch autonom handelten, sodass man sich als Adeliger – mithin als Angehöriger der politischen Nation – mit ihnen zu arrangieren hatte. Man konnte entweder unmittelbar um Anstellung im Dienst eines Magnaten bitten oder formal außerhalb der herrschaftlichen Verwaltung bleiben, abhängig war man allemal. Patrimoniale Herrschaft bildete im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts also nicht nur eine besonders typische Form von asymmetrischen Personenverbänden, sondern die allumfassende. Klientelare Beziehungen verstehen wir nicht als Alternativen zu ihr, sondern als ihren spezifischen Ausdruck für diejenigen unter den Dienern, die das besondere Vertrauen des Herren genossen, sodass sie besonders vielfältig und unspezifisch eingesetzt werden konnten: als Kontrolleure innerhalb der eigenen Herrschaftsverwaltung, als ‚Rollkommando‘ in lokalen Konflikten, als Gewährsleute in der adligen Selbstverwaltung des Komitats, als Informanten und Gehilfen in der Staatsverwaltung. Wir haben uns auch deshalb für diesen ‚weichen‘ Begriffsgebrauch von Klientel entschieden, weil in den Karrieren der Personen, die wir näher vorstellen werden, der Wechsel von einer Stellung im Hausverband des Magnaten in eine andere, scheinbar unabhängigere Position eher die Regel als die Ausnahme war. Klient ist unserem Verständnis zufolge kein autonomer Gegentyp zum Diener eines Herrn, sondern ein idealtypischer Forschungsbegriff, der dazu dient, Funktionsmechanismen und kulturelle Muster innerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen zu erhellen. Wegen der zumindest phasenweisen Einbindung des untersuchten Personenkreises in den aristokratischen Großhaushalt nahm ihr Rollenverständnis als Klienten – zumindest bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts – einen ausgeprägt familiären Charakter an. Das gab den asymmetrischen Abhängigkeitsbeziehungen insgesamt eine eigentümliche Färbung. Selbst wenn ein Landadeliger keine Stellung in der herrschaftlichen Verwaltung übernahm, konnte er trotzdem durch vielfache Bande an den Magnaten gebunden sein. Der Magnat war gelegentlich entfernt verwandt, öfter Besitzer von benachbarten Gütern, und in jedem Fall war er jemand, der maßgeblichen Einfluss auf alle Karrierewege hatte, die aus der Adelsgemeinschaft des Komitates in die Positionen in Armee und Kirche herausführten.18 Die daraus resultierenden Abhängigkeiten waren dauerhafter Natur, sie erschöpften sich nicht in punktuellen Handlungen. Die Langlebigkeit und der umfassende Charakter von solchen Beziehungen kann an vielen Beispielen aufgezeigt werden. Die 18 Olga Khavanova, Elite Education and Politics: Hungarian Nobles at the Viennese Theresianum in the Eighteenth Century, in: Sic Itur ad Astra 12/4 (2000), S. 77–90.



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Haltungen und Handlungen eines Magnaten als Patron und eines Landadeligen als Klient sind nur unter Schwierigkeiten herauszufiltern, denn ihre Beziehungen waren in Grundmuster sozialer Rollen gekleidet und treten uns als ein Handeln unter Verwandten oder Nachbarn entgegen. Sogar die Ehrenbezeugungen eines formal unabhängigen Landadeligen können kaum von denjenigen eines Mitgliedes des patrimonialen Herrschaftsverbandes unterschieden werden, verwendeten sie doch beide die Gesten und Riten des Dienens, des Aufwartens. Man kann also eine faktische Omnipräsenz des patrimonialen Hausverbandes des Magnaten feststellen, die man freilich nicht mit Omnipotenz verwechseln sollte: Die wohlbekannte Dialektik des Verhältnisses zwischen Herr und Knecht19 galt auch hier: Kooperation unter aufeinander Angewiesenen bildete das konstituierende Moment dieser Form von Ungleichheit. Bei unserer Untersuchung dieser Kooperation unter Ungleichen hat es sich als produktiv erwiesen, die Handlungsweisen von Akteuren einschließlich der Argumentationsstrategien zu rekonstruieren, mit denen sie ihr Handeln nachträglich begründeten. Dabei stellt sich heraus, dass der Zwang zur nachträglichen Rationalisierung ein machtvolles Movens des Wandels bildete, denn in der Doppelbewegung aus Handeln und Sprechen/Schreiben über das Handeln, werden normative Geltungsbehauptungen aufgestellt, an denen sich künftiges Handeln messen lassen muss. Individuelles, taktisches Handeln und kontingente Handlungsketten werden auf diese Weise in einen Sinnhorizont gestellt, der sie mit der Dignität ethischer Gebote versieht: rechter Glaube, Libertät, Gemeinwohl, Aufklärung, Fortschritt.20 19 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werkausgabe, Bd. 3, Frankfurt/Main 1986, Kapitel B. Selbstbewusstsein, IV. Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst, A. Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins. Herrschaft und Knechtschaft, hier S. 145. 20 Um das Handeln der Akteure beschreiben und um ihre Handlungsspielräume ausloten zu können, bot sich eine begriffliche Entlehnung aus dem Werk Michel de Certeaus an. Zwar zielt dessen Kunst des Handelns auf eine soziologische Theorie des Alltagslebens im 20. Jahrhundert. Er liefert dabei jedoch auch ein begriffliches Instrumentarium zur Kennzeichnung grundlegender Verhaltenstechniken im Alltag der kleinen Tricks, Finten und Listen, mit denen Akteure andere (und auch sich selbst) zu manipulieren versuchen. Für uns ist dabei die Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik von Belang: Eine Strategie ist nach de Certeau eine Berechnung von Kräfteverhältnissen, die in dem Augenblick möglich wird, wo ein mit Macht und Willenskraft ausgestattetes Subjekt von einer ‚Umgebung‘ abgelöst werden kann. Strategie ist somit stets ein expansives Kalkül, das auf die immer weiter fortschreitende Kontrolle von Raum und Zeit ausgerichtet ist. Taktiken gehorchen demgegenüber lediglich einem situativen Kalkül und müssen immer mit einer bereits vorgegebenen Raum- und Zeitordnung vorlieb nehmen. Taktisches Handeln versucht ledig-

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Das Handeln der Akteure und die Begründungen, die sie dafür anführten, erfolgten in einer gesellschaftlichen Umwelt, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts deutlich veränderte. Zum einen vollzog sich nämlich ein Wandel der öffentlichen Foren, auf denen über das Handeln der Akteure geurteilt wurde, von einer Öffentlichkeit des regionalen Adels, die auf face-to-face-Interaktion sowie auf Briefkontakten beruhte, hin zu einer vielfältiger strukturierten Öffentlichkeit, in der die älteren Elemente oraler und schriftlicher Kommunikation weiterwirkten, nun aber ergänzt um die repräsentative Öffentlichkeit des Wiener Hofes und die publizistische Öffentlichkeit der ‚ungarischen Nation‘.21 Zum anderen kann ein rascher Bedeutungszuwachs von Bürokratien beobachtet werden. Die Personen, mit denen wir uns beschäftigen, waren in einem weiten Sinne in Verwaltungen tätig. Sie gehörten zum Personal der Herrschaftsverwaltung der Magnatenfamilie Károlyi, zu den städtischen Amtsträgern der Stadt Szatmárnémeti, zu den Wahlbeamten des Komitats Szatmár, also der regionalen Selbstverwaltung des Adels, oder zu den staatlichen Behörden der Habsburgermonarchie in der Region. Wie erwähnt wechselten viele von ihnen im Laufe ihres Lebens von einer dieser administrativen Sphären in eine andere, manche sogar mehrfach. Das wirft die Frage auf, inwieweit diese Institutionen überhaupt den klassischen Definitionen rational-bürokratischer Verwaltung entsprachen: Setzten sie sich aus funktional differenzierten Ämtern zusammen, die Teil einer hierarchischen Ordnung waren? Waren die Kompetenzen der Amtsträger eindeutig definiert? Folgte ihr amtliches Handeln klaren Normen und war an Schriftlichkeit gebunden? So zu fragen, heißt die Frage zu verneinen. Unzweifelhaft trug sich jedoch im 18.  Jahrhundert ein rasanter Bürokratisierungsschub zu: Neue Behörden wurden geschaffen, die Zahl der Amtsträger vermehrte sich, Schriftlichkeit spielte eine immer größere Rolle, von den Amtsträgern wurde zunehmend die Beachtung formaler Verfahren er-

lich Lücken, Unwägbarkeiten und Inkonsistenzen einer Situation zu nutzen. Viele unserer Geschichten handeln von Strategien, die in taktischen Scharmützeln enden. Michel de Certeau, L’Invention du Quotidien, Bd. 1: Arts de Faire, Paris 1980 (dt. Übersetzung: Kunst des Handelns, Berlin 1988). 21 Ernst Wangermann, Mit den Waffen der Publizität. Zum Funktionswandel der politischen Literatur unter Joseph II., Wien-München 2004; Andrea Seidler, Wien als Ausgangspunkt des ungarischen gelehrten Journalismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Johannes Frimmel/Michael Wögerbauer (Hg.), Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie, Wiesbaden 2009, S. 371–380; Jozef Tancer, Die Pressburger Moralischen Wochenschriften als Literaturvermittler, in: ebd., S. 381–390.



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wartet, Normgebundenheit des Amtshandelns wurde – zumindest dem Anspruch nach – die Regel.22 Bekanntermaßen sind diese Organisationsprinzipien und administrativen Techniken seit dem Spätmittelalter von der römischen Kurie, den Magistraten der Städte in Oberitalien23 und in Flandern, schließlich von den europäischen Fürstenstaaten entwickelt und peu à peu implementiert worden.24 Weniger bekannt ist, dass sich bürokratische Organisationsprinzipien auch im Herrschaftsbereich 22 Konkret handelte es sich um situative Berichtsverfahren in Konflikten, versehen mit schriftlichen Zeugenverhörsprotokollen und protokollierten Augenscheinnahmen sowie um groß angelegte Inspektionsverfahren, die das staatliche Informationsbedürfnis befriedigen sollten, wie Viehzählungen, Hausnummerierung, Volkszählungen, Katastererhebungen. Vgl. für die Habsburgermonarchie Anton Tantner, Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie, Innsbruck 2007; Michael Hochedlinger/Anton Tantner (Hg.), „...der größte Teil der Untertanen lebt elend und müselig“. Die Berichte des Hofkriegsrates zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Habsburger Monarchie 1770–1771, Innsbruck 2005. Konzeptuell anregend der Sammelband von Arndt Brendecke/Markus Friedrich/Susanne Friedrich (Hg.), Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände, Strategien, Berlin 2008, darin vor allem die Beiträge: André Holenstein, Gute Policey und die Information des Staates im Ancien Regime, in: ebd., S. 201–213; Susanne Friedrich, „Zu nothdürfftiger information“. Herrschaftlich veranlasste Landeserfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Alten Reich, in: ebd., S. 301–334; Lars Behrisch, Zu viele Informationen! Die Aggregierung des Wissens in der Frühen Neuzeit, in: ebd., S. 455–473. Vgl. außerdem Edward Higgs, The Information State in England: The Central Collection of Information on Citizens since 1500, Basingstoke 2004. 23 Hagen Keller/Klaus Grubmüller/Nikolaus Staubach (Hg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Akten des internationalen Kolloquiums, München 1992; Hagen Keller (Hg.), Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, München 1995. 24 Die normativen Grundlagen dieser Verfahren sind seit langem Gegenstand der Rechtsund Verwaltungsgeschichte. Üblicherweise werden die Verfahren in die Genealogie des modernen Staates eingeordnet, und diese Einschätzung ist insofern berechtigt, als sie – wie heutige Rechts- und Verwaltungsakte auch – an schriftliche Normen gebunden waren und protokolliert wurden. Aber sind sie wirklich eindeutig als Vorboten der Moderne anzusehen? Untersucht man sie als Praxisformen, die der Kommunikation zwischen Obrigkeiten und Untertanen eine Gestalt gaben, dann erkennt man, dass sie eigenständige Formen darstellen, die heute in Europa überhaupt nicht mehr, auch nicht in „modernisierter“ Weise präsent sind. Sie gehören nicht in die Ahnengalerie des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates, eher in diejenige autoritärer Regime. Vgl. dazu Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999; Stefan Brakensiek, Zeremonien und Verfahren. Zur politischen Kultur im frühneuzeitlichen Europa, in: Unikate 34 (2009), S. 70–83.

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von Aristokraten finden lassen. In Böhmen beispielsweise lagen entsprechende Instruktionen für die ‚Privat‘-Beamten auf den Latifundien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ziemlich vollständig vor.25 Das gilt auch für die großen Güter der Magnaten im Westen Ungarns; eine erfolgreiche Umsetzung in die Praxis erfolgte in ganz Ungarn freilich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und auch dann nur auf den größten Herrschaftskomplexen.26 Wir werden uns intensiv mit der Frage befassen, welche Veränderungen der personalen Abhängigkeitsverhältnisse durch die koevolutiv verlaufenden Prozesse des Strukturwandels der Öffentlichkeit und der Bürokratisierung herbeigeführt wurden. So mochten das Wachstum der Staatsgewalt in der Habsburgermonarchie, die Formulierung eines bürokratischen Organisationsideals auch in den Instruktionen für die ‚Privat‘-Beamten des Magnaten zusammen mit der emphatischen Gemeinwohlrhetorik der aufklärerischen Publizistik eine gedankliche Alternative geschaffen haben zur verallgemeinerten und bedingungsloser Treue innerhalb patrimonialer Herrschaft. Folgt man den Überlegungen Arnold Gehlens und Karl-Siegbert Rehbergs, können sich Institutionen und Vorstellungen über ihre Geltung und Wirksamkeit wechselseitig begründen und bestärken, sodass „obligatorisch gewordene Fiktionen“ eine „Realität eigenen Rechts“ bilden.27 25 Václav Černý, Hospodářské instrukce. Přehled zemědělských dějin v době patrimonijního velkostatku v XV-XIX století [Wirtschaftsinstruktionen. Übersicht der Agrargeschichte in der Epoche des patrimonialen Großgrundbesitzes im 15.–19.  Jahrhundert], Praha 1930; Thomas Winkelbauer, Instruktionen für Herrschaftsbeamte und grundherrliche Ordnungen in den österreichischen und böhmischen Ländern, in: Josef Pauser/ Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Wien/München 2004, S. 409–426; ders., Gundaker von Liechtenstein als Grundherr in Niederösterreich und Mähren. Normative Quellen zur Verwaltung und Bewirtschaftung eines Herrschaftskomplexes und zur Reglementierung des Lebens der Untertanen durch einen adeligen Grundherrn sowie zur Organisation des Hofstaats und der Kanzlei eines „Neufürsten“ in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2008. 26 Für eine Zusammenfassung der Entwicklung siehe András Vári, A nagybirtok birtokigazgatási rendszerének bürokratizálódása a XVIII-XIX. században [Die Bürokratisierung des Verwaltungssystems auf dem Großgrundbesitz im 18./19. Jahrhundert], in: Történelmi Szemle 32/1–2 (1990), S. 1–27. Vgl. Péter Bán, A nyugat-dunántúli Batthyány-uradalmak birtokigazgatási rendszere a XVII. század első felében [Das Verwaltungssystem der westtransdanubischen Batthyány-Herrschaften in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts], in: Agrártörténeti Szemle 19/1–2 (1977), S. 24–71. 27 Arnold Gehlen, Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt (Arnold-Gehlen-Gesamtausgabe, Bd. 3), Frankfurt am Main 1993, hier S. 244. Bei aller Kritik an Gehlen nimmt Rehberg diesen Gedanken auf und führt ihn weiter systematisch aus in Bezug auf die fiktive Beschaffenheit aller grundlegenden sozialen Institutionen (Recht, Nation,



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Sollte also in Ungarn eingetreten sein, dass im Schoße personaler Abhängigkeitsverhältnisse ein versachlichtes Amtsverständnis28 heranwuchs, d. h. dass sich unter unwahrscheinlichen Bedingungen ein Rationalisierungsschub zutrug? Exotisch wäre das jedenfalls nicht, wie die auf ganz Europa gemünzten Bemerkungen Gunnar Linds über das Fortwirken des Klientelismus auch angesichts wachsender Staatsgewalt und universalistischer Prinzipien verdeutlichen: „Reducing the importance of personal mechanisms – moving from particularist to universalist principles – was a part of the development of the modern state. At the very end of the period, universalist principles were used to a certain degree by most states, and noisily promoted by reforming spirits. This does not mean, however, that the development of the modern state implied a steady decline in clientelism. It varied more in character than in strength, and as much in space as in time. Clientelism was rather a factor behind, than a victim of the development of the modern state. This resulted from its connection with power.“29 Im Übergang von einer traditionellen zu einer modernen Gesellschaft sollte der Klientelismus jedenfalls nicht einfach als Ausdruck der alten Welt interpretiert werden, sondern in Rechnung gestellt werden, dass sich dieser Wandel im Medium des Klientelismus zugetragen haben mochte. Wenn wir die Veränderungen der personalen Beziehungsnetze besser verstehen, dann – so unsere Hoffnung – durchschauen wir, wie dieser Wandel stattgefunden hat, was ihn ermöglichte, und welche konkrete Gestalt die Veränderungen angenommen haben. Wenn man Staat): Karl-Siegbert Rehberg, Eine Grundlagentheorie der Institutionen. Arnold Gehlen. Mit systematischen Schlußfolgerungen für eine kritische Institutionentheorie, in: Gerhard Göhler/Kurt Lenk/Rainer Schmalz-Bruns (Hg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 1990, S. 115–144. Die Anwendbarkeit des Konzepts in der Geschichtswissenschaft: ders., Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen (Hg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, S. 381–407. 28 Zur Geschichte des Amtsbegriffs vgl. Erk Volkmar Heyen, Zum Amtsbegriff als Kernelement des Begriffs der öffentlichen Verwaltung. Überlegungen aus Anlaß eines Leidener Forschungsprojekts, in: Bernd Wunder (Hg.), Pensionssysteme im öffentlichen Dienst in Westeuropa (19./20. Jh.), Baden-Baden 2000, S.  265–279; ders., Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle: Grundbegriffe historisch-komparativer Verwaltungsanalyse, in: Arthur Benz/Heinrich Siedentopf/Karl-Peter Sommermann (Hg.), Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung. Festschrift für Klaus König zum 70. Geburtstag, Berlin 2004, S. 49–60. 29 Gunnar Lind, Great Friends and Small Friends. Clientelism and the Power Elite, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Power Elites and State Building, Oxford/New York 1996, S. 123–147, hier S. 124.

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sich dem Problem zu nähern versucht, wie der Übergang von den stratifizierten traditionellen Gesellschaften zur modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft vonstattengehen konnte, dann ist es ja nur dann zu lösen, wenn den Akteuren der ‚alten Welt‘ auch schon die Möglichkeit gegeben ist, verschiedene Rollen einzunehmen. Und in der Tat, die Personen, mit denen sich unsere Studie befasst, waren hybride Gestalten, die jedoch interessanterweise in der Lage waren, ihre Hybriditiät zu überspielen. Analytisch können wir ihre verschiedenen Rollen und Redeweisen unterscheiden, in der gelebten Praxis wurden sie jedoch als zusammengehörig erlebt. Um diesen Wandel zu erfassen, greifen wir auf das Konzept intermediärer Herrschaft zurück, das geeignet ist zu erklären, wie und warum personalisierte Formen der Herrschaftsausübung auch in bürokratisierten Umwelten erhalten bleiben. Der Begriff der intermediären Herrschaft – eng verschwistert mit dem Klientelbegriff – wurde in Bezug auf die Verwaltung in ländlichen Regionen von Entwicklungsländern des 20. Jahrhunderts entwickelt.30 Der Soziologe Gerd Spittler hat einen viel beachteten Versuch unternommen, das Konzept auf die preußische Verwaltung im 18. Jahrhundert zu übertragen.31 Intermediäre Herrschaft entsteht, wenn in bürokratischen Organisationen die hierarchischen Stränge der Machtausübung unterbrochen sind, sodass eine Zwischeninstanz entstehen kann. Deren Macht beruht darauf, dass Bürokratien bestimmte Anforderungen an ihre Umwelt stellen – sie soll kategorisiert, gezählt, registriert und besteuert werden. Die dafür erforderte Eindeutigkeit harmoniert gut mit dem kapitalistischen Eigentumsbegriff und mit den Verfahren des modernen Rechtsstaates, ist aber in europäischen wie in außereuropäischen bäuerlichen Gesellschaften nur schwer zu realisieren. Das übliche Dickicht der nur lokal geltenden Bezeichnungen von Menschen, Orten, Tätigkeiten und Gegenständen bereitet ein besonders fruchtbares Terrain für intermediäre Herrschaft. Diejenigen, die eine solche Herrschaft ausüben, machen sich durch ihre Kentnisse über die lokale Welt für die jeweilige bürokratische Zentrale unentbehrlich. Sie hüten sich, diese lokale Welt für die Zentrale transparent und damit direkt adressierbar zu machen. Nicht genug, dass sie eine nachvollziehbare Erschließung der lokalen Verhältnisse möglichst verei30 Gerd Spittler, Staat und Klientelstruktur in Entwicklungsländern. Zum Problem der politischen Organisation von Bauern, in: Archiv der europäischen Soziologie 18 (1977), S. 52–83; ders.: Herrschaft über Bauern. Die Ausbreitung staatlicher Herrschaft und einer islamisch-urbanen Kultur in Gobir (Niger), Frankfurt am Main/New York 1978. 31 Gerd Spittler, Abstraktes Wissen als Herrschaftsbasis. Zur Entstehungsgeschichte bürokratischer Herrschaft im Bauernstaat Preußen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32 (1980), S. 574–604.

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teln, sie berufen sich zudem immerfort darauf, dass es ‚bei uns anders ist‘. Sie müssen bestrebt sein, alle Kommunikationslinien zu kappen, die an ihnen vorbei von der lokalen Bevölkerung zur bürokratischen Zentrale führen. Nur so können sie ihr Informationsmonopol bewahren. Einige Aspekte dieser Herrschaftspraxis sind auch im Ungarn des frühen 19. Jahrhunderts zu finden. Damit sich intermediäre Herrschaft entfalten kann, muss sich die davon betroffene Region oder das darin involvierte gesellschaftliche Segment durch Staatsferne auszeichnen. Genau das ist ein ganz charakteristischer Zug der ländlichen Gesellschaft Ungarns bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Unsere Darstellung wird den angedeuteten groben Linien des historischen Wandels folgen, indem sie zeitlich vom späten 17. Jahrhundert bis in die napoleonische Epoche voranschreitet und dabei die wichtigsten Felder lokaler und regionaler Macht – die Herrschaftsverwaltung der Grafen Károlyi, die adlige Selbstverwaltung des Komitats, den Magistrat der Stadt Szatmárnémeti und die staatliche Kammerverwaltung – vorstellt. Dabei soll das feinere Gewebe der Kommunikationsweisen auf diesen Feldern lokaler und regionaler Macht herauspräpariert werden durch biografische Miniaturen, die das Handeln und das Schreiben einzelner Akteure in den für sie maßgeblichen Konstellationen nachzeichnen.

I. 3  Quellen Wenn es in der Frühneuzeitforschung um die Analyse von Beziehungen zwischen Personen geht, bilden Briefe die wichtigste Quellengattung. Wir haben uns auf eines der umfangreichsten und besonders gut erhaltenen Familienarchive in Ungarn stützen können, das Archiv der Familie Károlyi.32 Die Klientelverhältnisse werden von uns vorrangig auf der Grundlage der Korrespondenz rekonstruiert, die Mitglieder der Familie Károlyi mit ihren verschiedenen „gehorsamen Dienern“ geführt haben. Hinzu kommen Briefwechsel innerhalb der Magnatenfamilie.33 Neben dem die Generationen übergreifenden Hauptbestand haben wir auch die persönliche Überlieferung von einzelnen Mitgliedern der Familie Károlyi gesich32 Magyar Országos Levéltár, künftig: MOL [Ungarisches Staatsarchiv], Archiv der Familie Károlyi. Für uns besonders wichtig ist der umfangreiche und viele Themen umfassende Bestand P 392 Törzsanyag [Hauptbestand]. 33 MOL, Archiv der Familie Károlyi, P 398 Missiles. Vgl. dazu: Heiko Droste, Briefe als Medium symbolischer Kommunikation, in: Marian Füssel/Thomas Weller (Hg.), Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft, Münster 2005, S. 239–256.

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tet, was wegen des gewaltigen Umfangs – die für uns relevanten vier Generationen haben 9,16 laufende Meter Akten hinterlassen – nur selektiv erfolgen konnte.34 Einzelne Protagonisten haben Tagebücher geführt und Abrechnungen über die finanzielle Seite ihrer Tätigkeit hinterlassen.35 Als besonders wertvoll haben sich die Tagebücher von Sándor Károlyi sowie dessen Briefwechsel mit seiner Frau herausgestellt, die in edierter Form vorliegen.36 Die Art der Tätigkeit der von uns untersuchten Personen können u. a. aus den Protokollen und Akten des Komitats Szatmár und der Stadt Szatmárnémeti erschlossen werden, wobei die städtische Überlieferung auch die Korrespondenz mit den städtischen Gesandten umfasst.37 Leider ließ sich die Mediatstadt Nagykároly, in der sich der Sitz der Magnatenfamilie Károlyi befand, nicht in gleicher Intensität untersuchen, weil seit dem Untergang des Habsburgerreiches 1918 das Stadtarchiv als verschollen gilt. Die Unterlagen der Komitatsversammlung enthalten darüber hinaus eine Reihe von Untersuchungsprotokollen mit Zeugenverhören und Augenscheinnahmen.38 Da Konflikte die besten Einsichten in den Charakter persönlicher Beziehungen gewähren, haben wir auch die Akten der Herrschaftsfiskale zurate gezogen, die im Namen der Grafen Károlyi deren Rechtsstreitigkeiten führten.39

34 Siehe: István Bakács, A Károlyi család nemzetségi és fóti levéltára [Familienarchiv der Familie Károlyi], Budapest 1965. Von der persönlichen Aktenüberlieferung wurde besonders eingehend genutzt: P 1503 Antal Károlyi; P 389 Sándor II. Károlyi. 35 Gábor Éble (Hg.), Gróf Károlyi Sándor naplójegyzetei 1725-ből [Tagebuch des Grafen Sándor Károlyi vom Jahre 1725], in: Történelmi tár, NF, Bd. II (1902), S.  89–108; László Szalay (Hg.), Gróf Károlyi Sándor önéletírása és naplójegyzetei [Aufzeichnungen und Autobiographie von Graf Sándor Károlyi], Pest 1865. 36 Ágnes Kovács (Hg.), Károlyi Sándor levelei feleségéhez (1704–1724) [Die Briefe von Sándor Károlyi an seine Frau (1704–1724)], 2 Bde., Debrecen 1994; Zoltán Fogarassy/Ágnes Kovács (Hg.), Barkóczy Krisztina levelei férjéhez, Károlyi Sándorhoz, [Die Briefe von Krisztina Barkóczy an ihren Ehemann, Sándor Károlyi], Debrecen 2011. 37 Arhivele Naţionale Române, Direcţia Judeţeană Cluj [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Cluj], F 20 Arhiva municipiului Satu Mare [Archiv der Stadt Szatmárnémeti, AS], Stadtprotokolle, Akten. 38 Ebd., F 21 Fondul Prefectura Județului Satu Mare [Archiv des Komitats Szatmár]. 39 MOL Archiv der Familie Károlyi, P 1531 Nagykárolyi (kerületi) ügyészi hivatal [Anwalts­ amt des Bezirks Nagykároly].

Quellen

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Über die Vermögensentwicklung und Wirtschaftsführung der Familie Károlyi lagen Vorarbeiten von András Vári vor.40 Um den Wandel der Kompetenzen und der Arbeitsweise der leitenden Wirtschaftsbeamten in der Phase zunehmender Bürokratisierung nach 1760 zu erschließen, haben wir die Akten der gräflichen Gutsverwaltung herangezogen.41 Schließlich konnten wir, da die Károlyi zu den bedeutendsten Familien in Ungarn gehörten, auf eine breite Palette publizierter Quellen und auf eine reiche Sekundärliteratur zurückgreifen. Aus dieser reichhaltigen Literatur sind die Biografien und genealogischen Abhandlungen von Gábor Éble und die Quelleneditionen und Analysen von Ágnes Kovács hervorzuheben.42 Hintergrundinformationen über die Landschaft im östlichen Ungarn und ihre Bewohner haben wir aus dem zeitgenössischen Schrifttum (statistisch-topografische Landesbeschreibungen, Komitatsbeschreibungen) und aus der ortsgeschichtlichen Literatur gewinnen können.43

40 Vgl. András Vári, A gróf Károlyi család nagykárolyi birtokkerületének jövedelmei és gazdálkodása 1760–1791 [Einkommen und Wirtschaft des Nagykárolyer Herrschaftsbezirks der gräflichen Familie Károlyi], MS. Diss., Budapest 1983; Béla Pettkó/Gábor Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi-család összes jószágainak birtoklási története [Die Geschichte von sämtlichen Besitzungen der gräflich Familie Károlyi], Bd. I-II, Budapest 1911. 41 MOL Archiv der Familie Károlyi, P 397 Acta oeconomica, P 406 Központi gazdasági kancellária – Gazdasági és jogügyi igazgatóság – Régensi hivatal (Cancellaria oeconomicocentralis – Oeconomico-juridica Directio – Acta regentialia). 42 Gábor Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi család leszármazása a leányági ivadékok feltüntetésével [Die Abstammung der gräflichen Familie Károlyi aus Nagykároly mit Aufzeichnung der Nachkommen der weiblichen Linie], Budapest 1913; ders., Károlyi Ferencz gróf és kora 1705–1758 [Graf Ferenc Károlyi. Sein Leben und seine Zeit, 1705–1785], Budapest 1893; Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, Budapest 1988. 43 MOL Magyar Kamara Archívuma (Archiv der Ungarischen Kammer), E 158 Urbaria et Conscriptiones; MOL Archivum Regni, N 78 1715. évi összeírás (Konskription vom Jahre 1715), N 79 1720. évi összeírás (Konskription vom Jahre 1720). Die wichtigsten Titel aus der ortsgeschichtlichen Literatur: Antal Szirmay, Szathmár vármegye fekvése, történetei és polgári esmérete [Lage, bürgerliche Kunde und Geschichte des Komitats Szatmár], I-II, Buda 1809–1810; Mihály Sarkadi Nagy, Szatmár-Németi szabad királyi város egyházi és polgári történetei [Kirchliche und bürgerliche Geschichte der königlichen Freistadt Szatmárnémeti], Hg. Gábor Bartók, Szatmár 1860; Kálmán Hegymegi Kiss, A szatmári református egyházmegye története [Geschichte der reformierten Diözese von Szatmár], Kecskemét 1878; Samu Borovszky (Hg.), Szatmár vármegye [Das Komitat Szatmár], Budapest, o.J.; ders. (Hg.), Szatmár-Németi sz. kir. város [Kgl. Freistadt SzatmárNémeti]. Budapest o. J.; László Bura, Szatmári diákok 1610–1852 [Szatmárer Studenten, 1610–1852], Szeged 1994.

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Darüber hinaus gibt es eine reiche Forschungstradition innerhalb der ungarischen Historiografie44 zur Bedeutung der Komitate und zur sozialen und politischen Rolle des Adels im Untersuchungszeitraum.45

44 Zur ungarischen Frühneuzeitforschung siehe: István Fazekas, Die Frühneuzeitforschung in Ungarn. Ein Forschungsbericht, in: Krisztián Csaplár-Degovics/István Fazekas (Hg.), Geteilt – Vereinigt: Beiträge zur Geschichte des Königreichs Ungarn in der Frühneuzeit (16.–18. Jahrhundert), Berlin 2011, S. 15–64. 45 Eine Auswahl: Lajos Hajdu, II. József igazgatási reformjai Magyarországon [Die administrativen Reformen von Joseph II. in Ungarn], Budapest 1982; Imre Wellmann, Der Adel im transdanubischen Ungarn 1760–1860, in: Armgard von Reden-Dohna/Ralph Melville (Hg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Stuttgart 1988, S. 117–168; Károly Vörös, A társadalmi fejlődés fő vonalai, in: Győző Ember/Gusztáv Hackenast (Hg.), Magyarország története 1686–1790 [Geschichte Ungarns, 1686–1790] Bd. I, Budapest 1989, S. 675­–731; Éva H. Balázs, Hungary and the Habsburgs 1765–1800. An Experiment in Enlightened Absolutism, Budapest 1997; István M. Szijártó, A diéta. A magyar rendek és az országgyűlés 1708–1792 [Der Landtag. Die ungarischen Stände und der Landtag, 1708–1792], Budapest 2005, S. 371–377; Péter Dominkovits, Verfechter der ständischen Rechte oder ausführende Macht der Zentralanweisungen: das ungarische Komitat des 17. Jahrhunderts, in: Petr Mat’a/Thomas Winkelbauer (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 401–441.

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Dagegen ist die Frage des Klientelismus für Ungarn bisher wenig bearbeitet worden.46

46 Ein interessanter Artikel über die Verflechtungen innerhalb der Elite im 18. Jahrhundert: Tünde Cserpes/István M. Szijártó, Nyitott elit? A 18.  századi elit változásairól [Offene Elite? Über die Elitenwandel im 18.  Jahrhundert],  in: Századok  144/5 (2010) S. 1225–1261. Über die servitores in Westungarn: János J. Varga, Szervitorok katonai szolgálata a XVI-XVII. századi nyugat-dunántúli nagybirtokon [Militärdienst von servitores auf dem transdanubischen Großgrundbesitz im 16./17. Jahrhundert], Budapest 1981; Géza Pálffy/Péter Dominkovits, Küzdelem az országos és regionális hatalomért. A Nádasdy család, a magyar arisztokrácia és a Nyugat-Dunántúl nemesi társadalma a 16– 17. században [Die Familie Nádasdy, die ungarische Aristokratie und die Adelsgesellschaft West-Transdanubiens im 16–17.  Jahrhundert], in: Századok  144/4 (2010) S.  769–792, 144/5 (2010) S. 1085–1120. Ansonsten finden sich einige Fallstudien mehrheitlich über die familiares im 16. und 17. Jahrhundert: Péter Dominkovits, Főúri familiárisok. Sopron vármegye alispánjai a 17. században [Familiares der Aristokraten. Die Untergespanne des Komitats Sopron im 17. Jahrhundert], in: Nóra G. Etényi/Ildikó Horn (Hg.), Idővel paloták... Magyar udvari kultúra a 16–17. században, Budapest 2005, S. 511–529; ders., Familiárisi szolgálat – vármegyei szolgálat. Egy 17. századi Sopron vármegyei alispán, gálosházi Récsey (Rechey) Bálint [Dienst als familiaris – Amt des Komitates. Ein Vizegespan des 17. Jahrhunderts, Bálint Récsey (Rechey) von Gálosháza], in: Korall 9 (2002) S. 32– 54; Géza Pálffy, Egy különleges nemesi karrier a 16–17. században. Hatos Bálint pápai vicekapitány és családja története [Eine sonderbare adelige Karriere im 16./17. Jahrhundert. Die Geschichte des Vizekapitäns von Pápa, Bálint Hatos und seiner Familie], Pápa 2005; ders., Der ungarische Adel am Wiener Hof König Ferdinands I, in: Martina Fuchs/Teréz Oborni/Gábor Ujváry (Hg.), Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher, Münster 2005. S.  95–110; ders., Der ungarische Adel und der Kaiserhof in der frühen Neuzeit (Eine Skizze), in: Václav Bůžek/Pável Král (Hg.), Šlechta v habsburské monarchii a císařsky dvůr (1526–1740), České Budĕjovice 2003, S.  133–152; András Koltai, Adam Batthyány in Wien. Die Hofkarriere eines ungarischen Aristokraten in der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: ebd., S. 275–304. Über die Rolle der Patronage in Karrieren des 18. Jahrhunderts: Olga Khavanova, A kérelemírás mestersége. Hivatalnoki pályafutások a 18. századi Habsburg monarchiában [Die Profession des Bittgesuchschreibens. Beamtenkarrieren in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert], in: Századok 128 (2008), S. 1249–1266; Ágnes Kovács, Egy kelet-magyarorszgái karriertörténet: Eötvös Miklós pályája [Eine ostungarische Karriere: Die Laufbahn von Miklós Eötvös], in: http://tortenelem.ektf.hu/efolyoirat/04/kovacs.htm (letzter Zugriff: 29. Juli 2011). Parallellen können auch in prosopografischen Studien über frühneuzeitliche Beamte gefunden werden: Lajos Gecsényi/Tatjana Guszarova, A Szepesi Kamara vezető tisztviselői 1646–1672 között [Die leitenden Beamten der Zipser Kammer zwischen 1646 und 1672], in: Századok 137/3 (2003) S. 653–672.

II.  Der Schauplatz und die Akteure II. 1  Das Komitat Szatmár Das Komitat Szatmár in seinen frühneuzeitlichen Grenzen lag höchst unglücklich. Es war ein ausgedehntes Gebiet, das mehrere Landschaften umfasste, im Umfang von etwa 5 800 Quadratkilometern, d. h., es war etwa dreimal so groß wie das heutige Saarland oder etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein.1 Der größere Teil des Komitats war eben, das östliche Drittel aber gebirgig. In der Mitte des Komitats floss träg-mäandernd der Szamos, die Theiß bildete die Nordgrenze, ihr Tal öffnete den Weg ins angrenzende Siebenbürgen. Die Lage muss deswegen als unglücklich bezeichnet werden, weil durch das Komitat wichtige Heerstraßen verliefen. Zwar gehörte die Region nominell zum habsburgischen Königreich Ungarn, bildete aber dessen äußersten östlichen Zipfel an den Grenzen zu den von den Türken eroberten Gebieten und zu Siebenbürgen,2 und wurde deshalb von allen Seiten zu Abgaben gezwungen. Hoffnung auf Besserung keimte bei den Bewohnern während des österreichisch-türkischen Kriegs von 1663/64 auf. Trotz der erfolgreichen Schlachten in Westungarn schloss Österreich 1664 den Frieden von Vasvár mit den Türken, der lediglich den status quo ante bestätigte, was die Einwohner des Landes verzweifeln ließ. Die ungarischen Patrioten sahen zu solch einem kleinmütigen Vertrag keine Ursache, hatte sich doch die Schwäche der Türken erwiesen. Der enttäuschende Friedensschluss war auf die europaweiten Verwicklungen des Hauses Österreich zurückzuführen, in denen Ungarn lediglich einen Kriegsschauplatz unter vielen bildete.3 Zum Teil wegen dieser Enttäuschung, zum Teil auch als Reaktion auf die einsetzende Reka1 Diese Größe wurde nach der theresianischen Urbarialkonskription festgestellt. Sie wurde in den 1770er Jahren durchgeführt und 1786 tabellarisch zusammengefasst. Die bebaute Fläche machte zur selben Zeit 80 424 Preßburger Metze Ackerland aus, das entspricht ungefähr 2 681 Hektar. Damit verfügte jede Familie über durchschnittlich etwa 0,2 Hektar. Die Ergebnisse sollten nach oben korrigiert werden wegen der Beschaffenheit der Quelle. Vgl.: Gyula Benda, Statisztikai adatok a magyar mezőgazdaság történetéhez 1767–1867 [Statistische Angaben zur Geschichte der ungarischen Landwirtschaft], Budapest 1973, S. 145, 146, 153. 2 Siebenbürgen war im Mittelalter Teil des Königreiches Ungarn. Nach 1541 wurde es unter osmanischer Oberhoheit zu einem autonomen Fürstentum; Ende des 17. Jahrhunderts infolge der Türkenkriege zu einem Bestandteil des Habsburgerreiches. 3 Über die Gesamtstrategie des Hauses Habsburg siehe Charles Ingrao, The Habsburg Monarchy 1618–1815, Cambridge 1994.



Das Komitat Szatmár

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Abb. 2 Karte des Komitats Szatmár, Ende des 18. Jahrhunderts, gefertigt von Cyrill Mező und Antal Zanathy

tholisierung und auf das Vordringen des Absolutismus, verschworen sich in den folgenden Jahren große Teile der ungarischen Stände gegen die Habsburger. Diese Verschwörung wurde 1670 entdeckt und 1671 mit der Hinrichtung der führenden ständischen Würdenträger geahndet, der die Oberhäupter der vornehmsten Familien zum Opfer fielen. Seit dieser Zeit wütete die gewaltsame Rekatholisierung mit ganzer Kraft. Als Reaktion darauf verstärkte sich der Widerstand der Betroffenen – der Protestanten, der Stände und der Magnaten. Die Aufbegehrenden fanden im Fürstentum Siebenbürgen einen gewissen Rückhalt. Auf einer Woge der Unzufriedenheit und mit siebenbürgischer, französischer und türkischer Unterstützung erhob sich ab 1677 eine große, ständische Rebellion. Ihr Führer, Graf Imre Thököly, besetzte bis 1682 mit seinen Truppen Oberungarn, also den nördlichen, bis dahin kaiserlichen Teil des Landes, und wurde von den Osmanen offiziell als Fürst von Ungarn anerkannt.4 Im Jahr 1683 brach jedoch der große türkische 4 Siehe Béla Köpeczi, Staatsräson und christliche Solidarität. Die ungarischen Aufstände und Europa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Wien/Köln/Graz 1983.

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Der Schauplatz und die Akteure

Angriff auf Wien zusammen, in dem auch die Truppen von Thököly gekämpft hatten. Die Gegenoffensive erfasste Oberungarn und leitete nach fast anderthalb Jahrhunderten die Rückeroberung der türkisch besetzten Gebiete ein. Allerdings dauerten die sich jährlich wiederholenden Kriegszüge bis ins Jahr 1697 an, bis zum großen Sieg von Prinz Eugen über die Türkenheere bei Zenta. Am 20. September 1697 wurde in Rijswijk der Frieden zwischen Frankreich und Österreich unterzeichnet, wodurch die Habsburger im Westen den Rücken freibekamen, sodass für die ungarischen Aufständischen keine Möglichkeit mehr bestand, die Resultate des Krieges umzukehren. Im Frieden von Karlowitz vom Januar 1699 wurden diese Ergebnisse festgeschrieben: Ganz Ungarn inklusive Siebenbürgen gelangte nun unter habsburgische Herrschaft, mit Ausnahme des Banats, eines südöstlich, zwischen den Flüssen Theiß und Temes gelegenen Landesteils. Das Komitat Szatmár trug an all diesen Ereignissen ein gerüttelt Maß an Leiden. Der Tod fuhr hier schon 1657 reiche Ernte ein, als ein polnisches Heer das Komitat verwüstete. 1658 folgte eine tatarische, 1660 eine türkische und 1661 erneut eine tatarische Armee. Das Komitat wechselte 1660 zurück aus siebenbürgischer in königlich-ungarische Hoheit, wodurch die Festung Szatmár eine deutsche Besatzung erhielt. Diese war schlecht besoldet und lebte von dem, was sie im Lande rauben konnte. Der Komitatsadel tat sich deshalb 1670 zusammen, griff die marodierende Truppe der Festung aus dem Hinterhalt an und metzelte sie nieder.5 Repressalien blieben nicht aus. Noch mehr Schaden richteten die Raubzüge der Truppen aus der südlich von Szatmár gelegenen, erst 1660 in Türkenhand geratenen Festung Várad (Großwardein) an. Gemäß eines Protokolls aus dem Jahr 1673 wurden in 21 Dörfern und in der Stadt Nagykároly alle erreichbaren Weiber, Jungfrauen, Kinder, Ochsen, Pferde, Kühe, Kirchenschmuck und Altartücher geraubt. Das letzte Bargeld musste aufgebracht werden, um die Verschleppten freizukaufen.6 Raub und Mord, Verschleppungen und Erpressung von Lösegeldern bildeten Glieder in einer langen Kette von Drangsalen, sodass die Geschädigten in dem Protokoll von 1673 größtenteils die Namen und Wohnorte ihrer Peiniger – seien es nun Türken, Ungarn oder Deutsche – angeben konnten, schließlich waren sie nicht das erste Mal gekommen. 5 Vgl. Antal Szirmay, Szathmár vármegye fekvése, történetei és polgári esmérete [Lage, bürgerliche Kunde und Geschichte des Komitats Szatmár], 2 Bde, Buda 1809–1810, Bd. I. S. 169–171. Szirmay datiert es auf das Jahr 1669, das Datum wurde auf 1670 korrigiert in: Bertalan Bagossy/István Domahidy, Szatmár vármegye története [Geschichte des Komitats Szatmár], in: Samu Borovszky (Hg.), Szatmár vármegye [Das Komitat Szatmár], Budapest o.J., S. 412–530. 6 Bagossy/Domahidy, Szatmár, S. 479–482.



Das Komitat Szatmár

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Abb. 3 Grundriß des Schloßes Karol in Ober Hungarn, Ao 1666. Dokumentation des seinerzeit aktuellen Zustandes und Planung einer Verstärkung der Fortifikation gemäß „trace italienne“, die jedoch nie ausgeführt wurde.

Nach 1670 erschienen weitere Beutegierige. Das Komitat war Aufmarschgebiet der sich damals schon als „Kuruzzen“ (vom lat. crux) bezeichnenden Malkontenten, die sich zusammensetzten aus den 1671 von Kaiser Leopold entlassenen etwa 7 000 ungarischen Festungssoldaten sowie aus dem kalvinistischen Kleinadel und verschiedenen anderen Personenkreisen des östlichen Ungarns. Sie erhielten zwar eine minimale verdeckte Unterstützung aus Siebenbürgen, doch im Wesentlichen lebten auch sie von dem, was sie dem Land abpressten. Als ihre Bewegung an Stärke gewann, gab es immer wieder Versuche der Kuruzzen und der siebenbürgischen Truppen die Festung Szatmár einzunehmen, so in den Jahren 1672, 1673, 1675, 1677 und 1680. Schließlich gelang es dem Kuruzzenführer Imre Thököly im Jahre 1682, die Festung Szatmár überraschenderweise kampflos zu besetzen. Nach der türkischen Niederlage bei Wien im Jahre 1683 gab die Kuruzzen-Besatzung 1684 die Festung ebenfalls kampflos wieder auf.7 Thököly 7 Szirmay, Szatmár Bd. I. S. 174–177; Bagossy/Domahidy, Szatmár, S. 482.

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Der Schauplatz und die Akteure

unternahm einen Gegenangriff mit tatarischen Hilfstruppen, mit denen er zwar nicht Szatmár, wohl aber das kleinere Nagykároly einnehmen konnte. Im Jahr 1685 musste Thököly jedoch endgültig aus der Region verschwinden, 1686 bis 1693 brandschatzte dann der kaiserliche Heerführer Anton Caraffa die Stadt und die Gegend von Szatmár.8 Nach dem Abzug der Türken folgte die militärische Ausbeutungsmaschinerie von Kaiser Leopold, die 1703 den Rákóczi-Aufstand provozierte. Leopold hatte riesige Schulden zu tilgen, was Notlösungen bedingte und Eigenmächtigkeiten der nicht oder nur schlecht bezahlten Kommandanten der Besatzungsarmee unkontrollierbar machte. Doch hinter dem Chaos schienen klare absolutistische Grundsätze durch. So wurde z. B. der Boden des neugewonnenen Landes nicht einfach den alten rechtmäßigen Besitzern übergeben, sondern als „neoaquisita“ in der Verwaltung der Hofkammer belassen, die dann die Ländereien besteuerte, verkaufte oder als königliche Schenkung vergab.9 Die rechtmäßigen Besitzer mussten ihre Ansprüche mit Urkunden beweisen, was nach 140 Jahren Türkenherrschaft nicht ganz einfach war. Gelang dies, waren gleichwohl noch 10 % des taxierten Gesamtwertes an die Kammer zu entrichten, was zur Folge hatte, dass nur sehr wenige Familien ihre ehemaligen Besitzungen zurückgewinnen konnten. Fürst Ferenc Rákóczi, Erbe einer siebenbürgischen Fürstenfamilie, der mit Abstand größte Grundbesitzer Ungarns, ein eifriger Katholik aber toleranter Fürst, hatte bereits im Jahr 1700 den französischen König Ludwig XIV. um Hilfe gebeten. Er wurde verraten und festgenommen, entfloh und emigrierte nach Polen. Von dort riefen ihn die Anführer eines Volksaufstandes aus Bauern, Klein­ adeligen und Stadtbürgern 1703 nach Ungarn zurück. Aus diesem Aufstand entwickelte sich die in der ungarischen Historiografie „Rákóczi-Freiheitskrieg“ genannte große ständische Erhebung gegen das Haus Habsburg. Die drei hervorstechenden Merkmale des Freiheitskrieges waren erstens die hervorragenden Qualitäten seines Führers, des charismatischen und gottesfürchtigen Fürsten Rákóczi, zweitens dessen durchdachten Versuche, Ungarn und Siebenbürgen aus dem Habsburgischen Reich nicht nur herauszulösen, sondern ihnen zu einer 8 Szirmay, Szatmár Bd. I. S. 178; Bagossy/Domahidy, Szatmár, S. 482–483; Bertalan Bagossy, Szatmár-Németi története [Geschichte von Szatmár-Németi], in: Samu Borovszky (Hg.), Szatmár-Németi sz. kir. város [Kgl. Freistadt Szatmár-Németi], Budapest o. J., 220–221. 9 Für die Problematik siehe János J. Varga, Die Notwendigkeit zur Neueinrichtung Ungarns nach der Türkenzeit (Einleitung), in: János Kalmár/János J. Varga (Hg.), Einrichtungswerk des Königreichs Ungarn (1688–1690), Stuttgart 2010, S. 9–77.



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haltbaren Position im internationalem Staatensystem zu verhelfen, und drittens sein Bestreben und seine Fähigkeit, weit über die ständischen Oberschichten hinaus auf andere gesellschaftliche Schichten Rücksicht zu nehmen, ja diese für den Freiheitskrieg zu gewinnen. Einen modernen nationalstaatlichen Standpunkt hat er dabei sicherlich nicht bezogen und einer populären politischen Mobilisierung im Sinne des 19. Jahrhunderts stand er fern, doch Rákóczis Denken war seiner Zeit voraus. Der Freiheitskrieg entstand aus einer für das frühneuzeitliche Europa typischen Volkserhebung. Als Rákóczi die ihm angebotene Führung der sich als „Kuruzzen“ bezeichnenden Aufständischen im Mai 1703 annahm, waren es im Wesentlichen Bauern. Als die Fahnen des Aufstandes mit dem Wahlspruch von Rákóczi (Cum Deo pro patria et libertate) am 21. Mai 1703 im nordöstlichen Komitat Bereg, in unmittelbarer Nachbarschaft von Szatmár, entfaltet wurden, hielt sich der regionale Adel zunächst noch fern. Bezeichnenderweise waren es die adeligen Reiter der Komitate, mit denen der regionale Anführer, Freiherr Sándor Károlyi, bei der ersten Schlacht an den Karpatenhängen am 7. Juni diese Bauernscharen auseinandersprengte. Doch eine Woche später begab sich Fürst Rákóczi selbst auf ungarischen Boden, die Reiterei lief zu ihm über, er stellte einige polnische Truppen aus den ihm zufließenden französischen Hilfsgeldern auf und setzte den Kampf fort. Mitte Juli brach das Kuruzzenheer in die ungarische Tiefebene auf und innerhalb von drei Wochen schloss sich mit Szabolcs das erste adelige Komitat den Aufständischen um Rákóczi an. Städte, Burgen und Festungen folgten, auch die Magnaten im östlichen Ungarn, allen voran Sándor Ká­ rolyi, zogen nach, sodass bis Ende des Sommers 1703 ganz Ostungarn jenseits des Theiss, bis Ende diesen Jahres auch Oberungarn, erobert wurde. Dieser stürmische Siegeszug muss erklärt werden. Sicherlich half es Rákóczi, dass er in den nordöstlichen Komitaten der größte Grundbesitzer war, sodass er seine müden Truppen in der ersten Phase des Aufstandes auf eigenen Vorwerken fouragieren und beköstigen konnte. Weit wichtiger war jedoch seine Bündnispolitik. Er war von Anfang an bemüht, Aristokratie, Adel und Bauern für den Krieg einzuspannen sowie den Religionsfrieden wieder herzustellen. In Patenten von hoher symbolischer Bedeutung befahl Rákóczi Ende August die Befreiung der Bauernsoldaten von allen öffentlichen und seigneurialen Lasten, Anfang September die Wiederherstellung der von den Jesuiten aufgelösten calvinistischen Hochschule von Sárospatak. Im November verbot er die eigenmächtige Besetzung von katholischen Kirchen durch Protestanten. Für das weitere Schicksal des Freiheitskrieges war diese Bündnispolitik von wesentlicher Bedeutung. Andere Faktoren wirkten mit, so die Erschöpfung und Armut des ausgebluteten, von

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Pestzügen10 verheerten ungarischen Hinterlandes, des Weiteren die internationale Mächtekonstellation, vor allem die französische Politik, die den Kuruzzen mal mehr mal weniger Unterstützung gewährte. Diese Faktoren führten im Jahr 1707 die Wende innerhalb des bis dahin von den Kuruzzen erfolgreich geführten Krieges herbei, und sie bestimmten auch den Friedensschluss von Szatmár, der Ende April 1711 in der Stadt Szatmár, inmitten des gleichnamigen Komitats unterzeichnet wurde. Dieser Frieden wurde durch Sándor Károlyi gewissermaßen hinter und auf dem Rücken von Rákóczi geschlossen. Zwar hatte Fürst Rákóczi seinem Verbündeten Károlyi Vollmacht für die Friedensverhandlungen gegeben, jedoch nicht für die Unterzeichnung eines Friedensvertrages, denn der Fürst hoffte noch immer auf russische Hilfe. Auf solche Hilfe bestand jedoch keine wirkliche Aussicht, die Lagebeurteilung von Károlyi war realistischer. Der Frieden von Szatmár bestätigte die ungarischen Stände in ihren angestammten Rechten – doch solche Versprechungen der Habsburger hatte es auch schon früher gegeben – und bot den Aufständischen, die kapitulierten, eine Generalamnestie.11 Auch nach der Beendigung des Rákóczi-Aufstandes durch den Frieden von Szatmár flackerte der Krieg ein letztes Mal auf, als Tataren während des türkischösterreichischen Krieges von 1716 bis 1718 in die nordöstlichen ungarischen Komitate einfielen. Die mit den Türken verbündeten Tataren aus der Moldau attackierten in blitzartigen Überfällen auch Szatmár und verschleppten Tausende Menschen als Sklaven.12 Es gelang den ungarischen Truppen jedoch, die abziehenden Tatarenhorden im Hochgebirge in eine Falle zu locken und viele der Verschleppten zu befreien.13

10 Die Pestseuchen von 1709–1710 dürften sogar mehr als 10 % der damaligen Gesamtbevölkerung hingerafft haben, vgl. Gyula Benda/Tamás Faragó, Népesség és mezőgazdaság Magyarországon [Bevölkerung und Landwirtschaft in Ungarn], in: Gyula Benda, Társadalomtörténeti tanulmányok [Sozialgeschichtliche Studien], Budapest 2006, S. 211, Tabelle 6. 11 Vgl. Imre Bánkúti, A szatmári béke [Der Frieden von Szatmár], Budapest 1981. Der Eindruck, die Aufständischen hätten nichts erreicht, trifft jedoch nicht zu. Sie erzielten einige wichtige Erfolge, z. B. die Auflösung der Neoaquistica Commissio, die Gründung einer Statthalterei und die zeitweise religiöse Toleranz. 12 Über die Raubzüge und den Sklavenhandel der Tataren vgl. William Hardy McNeill, Europe’s Steppe Frontier, 1500–1800, Chicago 1964. 13 Szirmay, Szatmár, Bd. 2, S. 112.



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Erst nach Wiederherstellung des Friedens konnte sich das Land allmählich erholen. Die zerstörten Siedlungen mussten wieder aufgebaut, die verwilderten Felder wieder unter den Pflug genommen werden. Da die Verwüstungen praktisch flächendeckend erfolgt und nicht auf bestimmte Gegenden konzentriert waren, dauerte es mehrere Jahrzehnte bis in die 1760er Jahre hinein, dass der Wiederaufbau abgeschlossen werden konnte.14 Den schwersten Rückschlag brachte die Pest von 1739 bis 1743, die auch in Szatmár wütete. Es ist anzunehmen, dass etwa 6,0  %–7,5  % der Bevölkerung an der Seuche verstarb.15 Diese Verluste wurden jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts durch die Einwanderung und ein rasches endogenes Bevölkerungswachstum wettgemacht. Der Wiederaufbau war vor allem deshalb erfolgreich, weil das Gebiet nach 1717 bis 1848 von bewaffneten Konflikten verschont blieb. Zwar war die Habsburgermonarchie mehrfach in Kriege verwickelt, so in den Österreichischen Erbfolgekrieg von 1740–1748 und den Siebenjährigen Krieg von 1756–1763. Es steht zu vermuten, dass diese Kriege, die Ungarn verschonten, zwar von Truppenkonzentrationen und -bewegungen in den Nachbargebieten begleitet waren, durch erhöhte Nachfrage aber sogar eine gewisse wirtschaftliche Belebung nach sich zogen. Das unzureichende Steueraufkommen der Habsburgermonarchie wurde sowohl im Österreichischen Erbfolgekrieg, als auch anlässlich des preußischen Überfalls auf Schlesien im Jahr 1740 deutlich, worauf die Staatsführung reagieren musste. In den österreichischen Erbländern wurden daraufhin die Steuern von den Landtagen für längere Zeiträume (bis zu zehn Jahre) im Voraus bewilligt, ihre Repartition, d. h. die Steuerveranlagung wurde systematisiert, und auch die Güter des Adels unterlagen ab diesem Zeitpunkt der Steuerpflicht.16 In Ungarn vermochten die Habsburger angesichts der weitreichenden Rechte des Landtages nicht einmal einen Versuch in dieser Richtung zu unternehmen. Königin Maria Theresia wollte jedoch durch die sogenannte Urbarialregulierung zumindest das Verhältnis der Grundherren zu ihren bäuerlichen Untertanen eindeutiger als bis dahin regeln, um die Steuerquellen des Staates vor dem Zugriff des Adels zu schützen. Auf dem ungarischen Landtag des Jahres 1766 in Preßburg (ungarisch

14 Für einen Vergleich mit dem räumlichen Muster der Verwüstungen in den deutschen Gebieten s. Helmut Jäger, Der Dreissigjährige Krieg und die deutsche Kulturlandschaft, in: Heinz Haushofer/Willi A. Boelcke (Hg.), Wege und Forschungen der Agrargeschichte, Frankfurt am Main 1967, S. 130–145. 15 Benda/Faragó, Népesség és mezőgazdaság, S. 211, Tabelle 6. 16 Vgl. Roman Rozdolski, Die große Steuer- und Agrarreform Josephs II. Ein Kapitel zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte, Warszawa 1961.

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Pozsony, heute Bratislava) traf diese Politik auf geschlossenen Widerstand. Die Bauernbewegungen, die sich im folgenden Jahr im westlichen Ungarn zutrugen, können auch als Reaktionen des Hofes auf Unbotmäßigkeiten der ungarischen Grundbesitzer angesehen werden, obwohl unklar bleibt, inwieweit die Volksbewegung von Wien unterstützt bzw. induziert wurde. Als die Urbarialregulierung auf dem Landtag keine Mehrheit fand, wurde die Versammlung 1767 aufgelöst, für mehr als zwei Jahrzehnte nicht wieder einberufen und das Gesetz als einseitige königliche Verordnung erlassen und bis 1774 erfolgreich implementiert.17 Ausgeprägte Kriegskonjunkturen kennzeichnen die Türkenkriege Josephs II. und die napoleonischen Kriege. Bis dahin waren die Siedlungsstruktur und die Landwirtschaft auch in den östlichen Komitaten wiederhergestellt worden. Doch trotz einer beachtlichen Zuwanderung von bäuerlichen Siedlern und städtischen Handwerkern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts blieb die Besiedlung in Szatmár und im ganzen Nordosten des Landes nur etwa halb so dicht wie in den nordwestlichen Komitaten.18 Folgt man der theresianischen Urbarialkonskription, durchgeführt in den 1770er Jahren und 1786 tabellarisch für das ganze Land zusammengefasst, beherbergte das Komitat Szatmár 12 302 Hufenbauern und behauste und unbehauste Söllner, die zusammen 80 424 Preßburger Metzen Ackerland bewirtschafteten. Das entspricht ungefähr 17 371 Hektar, pro Familie also lediglich etwa 1,4 Hektar. Diese Angaben sollten freilich nach oben korrigiert werden, denn bei einer Steuererhebung tendierten frühneuzeitliche Bauern hier wie überall dazu, ertragversprechende Aktivitäten zu verschweigen. Wie auch immer man rechnet, angesichts einer Gesamtfläche des Komitats Szatmár von 5  800 Quadratkilometern drängt sich ein Eindruck überwältigender Leere auf: eine weite, wilde Landschaft mit kleineren Einsprengseln von Besiedlung und Ackerbau.19 Um die Bevölkerungsstruktur zu veranschaulichen, seien die Angaben der umfassenderen josephinischen Volkszählung aufgeführt. Danach sah die ständische Gliederung des Komitates folgendermaßen aus:

17 Dezső Szabó, A magyarországi úrbérrendezés története Mária Terézia korában [Geschichte der ungarischen Urbarregulierung in der Zeit von Maria Theresia], Budapest 1933. 18 Benda/Faragó, Népesség és mezőgazdaság, S. 212, Karte 1–2. 19 Vgl.: Benda, Statisztikai adatok, S. 145, 146, 153.



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Das Komitat Szatmár

Tabelle 1: Männliche Bewohner des Komitats Szatmár nach der josephinischen Volkszählung 178620 Ständische Gruppe

Anzahl

Anteil an der männlichen Bevölkerung

Priester

312

0,4 %

Adelige

9 815

13,0 %

Beamte

93

0,1 %

Stadtbürger

1 685

2,2 %

Bauern

9 147

12,1 %

Nachkommen von Bürgern und Bauern

8 972

11,9 %

17 007

22,5 %

Sonstige und Soldaten

3 537

4,7 %

Jungen unter 17 Jahre

24 878

33,0 %

Summe

75 446

99,9 %

Inquilini (Söllner)

Neben der ständischen bildete die konfessionelle Zugehörigkeit das prägendste Merkmal der ungarischen Gesellschaft, gerade in den östlichen Teilen des Landes. Am Ende des 16. Jahrhunderts war Ungarn ein mehrheitlich protestantisches Land gewesen. Im Rahmen der katholischen Reform wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die katholische Kirchenorganisation erneuert. Nachdem die Jesuiten die wichtigsten Aristokratenfamilien bekehrt hatten, wurden weitere Teile der Bevölkerung rekatholisiert, oft, indem der Grundherr seine protestantischen Hörigen bedrängte. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts griffen die Fürsten von Siebenbürgen mehrfach zum Schutz der protestantischen Konfession im Königreich Ungarn ein, in der zweiten Jahrhunderthälfte war das Fürstentum aber schon zu sehr geschwächt, um diese Verteidigerrolle noch wirkungsvoll wahrzunehmen. So konnte die katholische Offensive seit den 1670er Jahren in Ungarn anrollen. Die Protestanten verloren in den Jahren von 1672 bis 1674 Hunderte von Kirchen und Schulen, die Regierung inhaftierte insgesamt etwa 730 protes20 Pótlás az első magyarországi népszámláláshoz 1786–87 [Ergänzung zur ersten ungarischen Volkszählung], in: Történeti Statisztikai Tanulmányok 2, Budapest 1975, S.  4–5. Hier wurden nur die Männer erfasst, die Struktur spiegelt nämlich das Interesse des Militärs wieder. Als Söllner (inquilini) wurden die Grundholden bezeichnet, die zwar ein Haus, aber nach dem Urbarium von 1767 weniger als ein Viertel einer Hufe besaßen. Dieselbe Kategorie wurde allerdings oft auf allerlei landloses Volk, so z. B. Einwohner der Mediatstädte oder der nichtstädtischen Bergbaugemeinden verwendet.

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Der Schauplatz und die Akteure

tantische Pfarrer, stellte sie vor ein außerordentliches Gericht, ließ sogar manche von ihnen foltern und auf die Galeeren bringen.21 Als Reaktion auf diese Welle des gegenreformatorischen Terrors entwickelte sich ein erheblicher Widerstand, sodass die Krone auf dem Landtag von 1681 in zwei Gesetzen eine umfassende Regelung gewähren musste, mit der die Religionsfreiheit in Ungarn grundsätzlich anerkannt wurde.22 Diese beiden Gesetze gestatteten den Angehörigen der protestantischen Stände in ihren Burgen und Schlössern, also auf ihrem Privatbesitz, die freie Religionsausübung. Darüber hinaus wurden für das westliche Ungarn spezielle im Gesetz namentlich genannte Ortschaften (loca articularia) ausgewiesen, in denen alle Protestanten, auch Bauern und Stadtbürger, öffentliche Gottesdienste abhalten, sowie eigene Kirchen und Schulen unterhalten durften. In Bezug auf die östlichen Landesteile wurde lediglich festgestellt, dass den Protestanten, die dort zahlenmäßig sowieso überwogen, der Gebrauch ihrer Kirchen weiterhin zustehe. Das Gesetz räumte demnach relativ weitgehende Freiheiten in der Religionsausübung ein, derselbe Text ließ aber auch eine engherzige Interpretation zu, dass z. B. die öffentliche Religionsausübung nur in den im Gesetz namentlich aufgeführten Orten erlaubt sei. Daher hingen die tatsächlichen Freiheiten von den jeweiligen regionalen politischen Kräfteverhältnissen ab und davon, welche gesellschaftliche Stellung derjenige einnahm, der sie beanspruchte. Das Gesetz enthielt Passagen, welche die Unversehrtheit der Rechte der Grundherren zu garantieren schienen. Die Möglichkeit einer einengenden Interpretation wurde jedoch bereits 1691 in der Explanatio Leopoldina genutzt, indem nunmehr zwischen privater und öffentlicher Religionsausübung unterschieden und letztere sehr eng gefasst wurde. Alles in allem wurde zwar das Prinzip cuius regio, eius religio in Bezug auf die ungarischen Grundherren als Herren ihrer Hörigen nicht verkündet, in der Praxis jedoch oftmals so verfahren.23 Dadurch wurden die Bauern in religiöser Hinsicht von ihren Herren immer abhängiger, während in den Städten und Märkten zum einen die Bestimmungen des Gesetzes von 1681 21 László Benczédi, Rendi szervezkedés és kuruc mozgalom (1664–1685) [Ständische Verschwörung und Kuruzzenbewegung], in: Zsigmond Pál Pach (Hg.), Magyarország története 1526–1686, Bd. 3/2, Budapest 1985, S. 1155–1272, hier S. 1209–1211. In deutscher Sprache ist lediglich eine veraltete Überblicksdarstellung verfügbar: Béla Obál, Die Religionspolitik in Ungarn nach dem Westfälischen Frieden während der Regierung Leopold I., Halle a. S., 1910. 22 Benczédi, Rendi szervezkedés, über die Religionsgesetze von 1681, S. 1238–1239. 23 Ferenc Eckhardt, Magyar alkotmány- és jogtörténet [Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte], Budapest 1946, S.  306–308. Siehe auch Anton Radvánszky, Grundzüge der Verfassungs- und Staatsgeschichte Ungarns, München 1990, S. 75.



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über die protestantische Religionsausübung, zum anderen die jeweiligen örtlichen Kräfteverhältnisse entschieden. Erheblich mildernd wirkte freilich der Mangel an Arbeitskräften und überhaupt an Einwohnern. Deshalb wurden in den entvölkerten Landesteilen protestantische Bauern nicht nur geduldet, sondern gelegentlich sogar neu angesiedelt. Obwohl die Habsburger 1711 im Frieden von Szatmár die ständische Verfassung Ungarns und die Religionsfreiheit erneut anerkannten, verbot Karl VI. den Protestanten zwanzig Jahre später, ihre Beschwerden künftig noch auf dem Landtag vorzutragen. Die Carolina Resolutio von 1731 wiederholte die engherzige Explanatio Leopoldina und verpflichtete die Träger öffentlicher Ämter, einschließlich der Richter und Anwälte, einen Eid auf die Heiligen und auf die Gottesmutter Maria abzulegen, einen Eid mithin, den Protestanten nicht leisten konnten. Unter Maria Theresia wurde die katholische Kirche mit allen Mitteln gefördert. Den Wendepunkt bildete erst das Toleranzpatent Josephs II. im Jahre 1781, das einen Schritt in Richtung auf die moderne Glaubensfreiheit unternahm. Im östlichen Ungarn überhaupt und speziell im Komitat Szatmár herrschten im 18. Jahrhundert äußerst komplexe konfessionelle Verhältnisse. Die dort begüterten Aristokraten, die Grafen Csáky, Barkóczy und Teleki sowie die Freiherren (später Grafen) Károlyi, waren seit einer oder zwei Generationen zum katholischen Bekenntnis zurückgekehrt.24 Die Mehrheit der Adeligen des Komitates war jedoch am Anfang des 18. Jahrhunderts noch calvinistisch; sie schlossen sich zu recht unabhängigen Gemeinden zusammen. Auch die Bewohner der Städte waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts mehrheitlich calvinistisch, unter dem Rekatholisierungsdruck der Habsburger verringerte sich ihr Anteil jedoch zusehends. Parallel dazu fassten auch in den Reihen des Komitatsadels immer mehr katholische Familien Fuß. Die bäuerliche Bevölkerung in Szatmár war konfessionell bunt zusammengewürfelt, neben Calvinisten und Katholiken gab es griechisch-katholische Christen sowie in geringerer Zahl Lutheraner und Juden. Katholische und calvinistische Ungarn lebten in Nachbarschaft zu griechisch-unierten „Walachen“ (Rumänen) und Ruthenen, während die ungarndeutschen „Schwaben“ auf dem Lande immer katholisch waren. Sowohl bei der konfessionellen wie auch bei der ethnischen Gliederung fällt auf, wie oft auch noch am Ende des 18. Jahrhunderts gemischte 24 So stiftete Sándor Károlyi mehrere katholischen Kirchen. Zu dessen Religiosität vgl. Éva Gyulai, Kegyúr és káplán. Károlyi Sándor gróf és Kelemen Didák minorita missziója [Patronatsherr und Kaplan. Graf Sándor Károlyi und die Mission des Minoriten Didák Kelemen], in: Publicationes Miskolcinensis, Sectio Philosophica, Tom. XIII. Fasc. 1. (2008), S. 71–95.

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Ortschaften vorkamen. Da wir erst seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts über detaillierte Angaben über diese ethnisch-konfessionellen Strukturen verfügen, ist das Zustandekommen solcher Gemengelagen nicht völlig zu klären. Zum Teil wurde die Vielfalt durch gezielte Ansiedlungsvorhaben begründet. Die Kolonisation wurde nicht allein, wohl nicht einmal vorrangig von der Krone vorangetrieben. Zum einen engagierten sich auch die großen Aristokraten im Ansiedlungsgeschäft, zum anderen lockten viele kleinere Grundbesitzer Kolonisten auf ihre zum großen Teil wüst liegenden Besitzungen, indem sie ihnen Freiheit von Hörigenlasten und weitgehende gemeindliche Autonomie versprachen und zusagten, sie bei der Befreiung von Komitats- und Staatssteuern zu unterstützen.25 Eine nähere Betrachtung der Geschehnisse auf den Gütern der Károlyi nährt Skepsis in Bezug auf die Effektivität von großangelegten Siedlungsaktionen. Graf Sándor Károlyi warb durch Agenten wiederholt in großem Stil Bauernfamilien aus Schwaben und Franken für seine Güter an. Doch bei der Umsetzung der Kolonisation haperte es an allen Ecken. Die Anreise auf der Donau dauerte zu lange, sodass die Bauern reihenweise am ungewohnten Klima und am schlechten Trinkwasser erkrankten. Sie gaben ihr Geld für Wein aus und verarmten. Die Siedlungsorte waren nicht hinreichend vorbereitet, wegen der Ankunft im Spätherbst konnten die Felder nicht mehr rechtzeitig eingesät werden. Es stellt sich die Frage, ob bescheidenere Aktionen, die Siedler nicht aus 1000 Kilometer Entfernung, sondern aus dem ungarischen Bergland zu holen, nicht von größerem Nutzen gewesen wären.26 Dagegen sprach jedoch die Konfession – die deutschen Siedler waren Katholiken, was Károlyi oft betonte und was ihn offensichtlich aufrichtig freute. Doch zählten neben religiösen Fragen wohl auch noch andere Gesichtspunkte: Katholiken und Deutsche galten den Károlyi als Garanten für geordnete, zivilisierte und friedliche Verhältnisse. Sie befanden sich an der Spitze

25 Imre Wellmannn, A magyar mezőgazdaság a XVIII. században [Die ungarische Landwirtschaft im 18. Jahrhundert], Budapest 1979, S. 29–49, 100–121. 26 István Vonház, A Szatmár megyei német telepítés [Die deutsche Ansiedlung in Komitat Szatmár], Pécs 1931; Imre Wellmann, A gödöllői Grassalkovich-uradalom gazdálkodása, különös tekintettel az 1770–1815-ös esztendőkre [Die Wirtschaft der Gödöllöer Herrschaft der von Grassalkovich, mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1770–1815], Budapest 1933, S. 29–55. Károlyi erließ schon im April 1711 ein Siedlungspatent für die bald zu entlassenden Soldaten des Kuruzzenheeres. Siehe István N. Kiss, Konfliktusok a kuruc hadseregben (1703–1711) [Konflikte im Kuruzzenheer], in: László Á. Varga (Hg.), Társadalmi konfliktusok. Rendi társadalom – polgári társadalom 2, Salgótarján 1987, S. 81–88, hier 87–88.



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einer Brauchbarkeitshierarchie ethnisch-konfessioneller Gruppen, wie man einer Beschreibung sämtlicher Güter der Károlyi im Jahre 1755 entnehmen kann.27

II. 2  Die Aristokratie, der Adel und das Komitat Für die Gesellschaftsstruktur Ungarns ist die Unterscheidung zwischen Aristokratie und Niederadel von fundamentaler Bedeutung. Unter Aristokraten werden für das 18. Jahrhundert die mit erblichen Titeln ausgestatteten Familien verstanden, deren erwachsene männliche Mitglieder auf persönliche Einladung des Königs am Landtag im Oberhaus, an der sogenannten Magnatentafel, Sitz und Stimme hatten. Die herausgehobene Gruppe der Magnaten hatte sich im Verlauf des Spätmittelalters gebildet. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts waren die sogenannten Barone (barones regni) die wichtigsten Würdenträger der Krone gewesen. Barone wurden von den ungarischen Königen ernannt, ihr Titel war zunächst nicht vererbbar. Während der Regierungszeit von König Matthias Corvinus (1458–1490) entstand eine Schicht von „geborenen Baronen“, die das persönliche Recht zur Teilnahme an den erweiterten Sitzungen des königlichen Rates und an den Ständeversammlungen innehatten. Jeder Baron versuchte sein Amt zur Bereicherung zu nutzen, sodass praktisch alle Großgrundbesitzer der Frühen Neuzeit von solchen Vorfahren abstammten. Dem König kam in diesem Prozess zunächst eine entscheidende Rolle zu, denn um ein Gut übernehmen zu können, war stets ein königlicher Donationsbrief erforderlich. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahm das Amt eines königlichen Barons – vorausgesetzt die Familie verfügte über Großgrundbesitz – jedoch zunehmend einen erblichen Charakter an; mit einem Gesetz aus dem Jahr 1498 war der Prozess der Entstehung einer erblichen Aristokratie im Königreich Ungarn abgeschlossen.28 In der Epoche der Jagiellonen nahmen etliche Familien nach polnischem Beispiel den erblichen Magnatentitel an, sei es mit offizieller königlicher Zustimmung, sei es durch schlichte Usurpation. Auch kulturell und habituell trachteten sie danach, sich von den einfachen Adeligen abzusetzen. Die Aristokraten bauten das Zentrum ihrer Besitzungen zum ständigen Sitz aus und hielten dort nach 27 MOL, Archiv der Familie Károlyi, P 389 Sándor II. Károlyi, Güterbeschreibung von István Püspöky für Graf Antal Károlyi, 1755. 28 Artikel Nr. XXII:1498. http://www.1000ev.hu/index.php?a=3¶m=1145 (Zugriff: 17.04.2012) Eine englischsprachige Zusammenfassung zur Problematik: Martyn Rady, Nobility, Land and Service in Medieval Hungary, Houndmills, Basingstoke 2000.

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königlichem Vorbild Hof. Sie umgaben sich mit einem Rat, bestehend aus den führenden familiares und aus den Verwaltern ihrer Güter.29 Wer waren diese familiares? Sie bildeten eine besondere Institution der ungarischen Ständegesellschaft, der westeuropäischen Vasallität nicht unähnlich, in bestimmten Aspekten aber davon abweichend. Das Verhältnis zwischen Magnaten und familiares kann als eine spezifische historische Ausprägung des Patron-Klienten-Verhältnisses gelten. Die Gruppe der familiares entstand zur Mitte des 13. Jahrhunderts, dadurch dass sich Adelige mit geringen Mitteln für eine bestimmte Zeit in den Dienst eines bedeutenderen weltlichen oder kirchlichen Herren begaben. Während seiner Dienstzeit wurde der Adlige als zur familia seines Herrn gehörig betrachtet, er begab sich in persönliche Abhängigkeit. Der familiaris diente dem Herrn auf unterschiedlichsten Gebieten, im Gegenzug erhielt er Schutz, Naturalien oder Geld, bzw. eine königliche Schenkung (donatio) auf Vermittlung seines Herrn. Es kam vor, dass der familiaris im Gegenzug für den ihm gewährten Schutz seinen eigenen Besitz dem Herrn übereignete (commendatio), den er dann freilich durch seinen Dienst zurückerwerben konnte. Eine niedere Stufe dieses Verhältnisses war die conditionale Abhängigkeit, in dem der conditionarius den Nutznieß an Land von seinem Herren erhielt, der an Bedingungen, d. h. an Dienste geknüpft war.30 Familiares waren in Bezug auf ihren Besitz recht ungleich. Adelige mit nur einer oder mit Hunderten Hörigenfamilien konnten sich gleichermaßen in solch ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem der Großen des Landes begeben. Zu den führenden Familien eines Kreises (comitatus), gehörten meist nur ein oder zwei wirklich begüterte Familien, im Landesmaßstab standen also ein paar hundert solcher Familien mit jeweils mehreren hundert Hörigen den etwa vierzig Magnatenfamilien gegenüber. Je höher der aristokratische dominus gestellt war, desto mehr Chancen konnte er seinen adligen familiares gewähren. Dies galt freilich auch umgekehrt, je mächtiger der dominus, desto eher konnte er sich seine familiares aussuchen, vorrangig eben aus der erwähnten begüterten Oberschicht des Adels. Der familiaris hatte eine eigenartige Rechtsqualität. Theoretisch konnte über einen Adeligen nur der König ein Urteil fällen, in strafrechtlicher Hinsicht waren die familiares jedoch dem Herrenstuhl, d. h. dem Gericht seines aristokratischen Herrn, unterworfen. Der Verlust des eigenen Besitzes und die Todesstrafe konnten aber nur von einem Komitatsgericht verhängt werden, wie auch alle besitz29 Pál Engel/Gyula Kristó/András Kubinyi, Magyarország története 1301–1526 [Geschichte Ungarns 1301–1526], Budapest 1998, S. 307–309. 30 Péter Bán, Magyar történelmi fogalomtár [Ungarisches historisches Begriffslexikon], Bd. I, Budapest 1989, S. 125–126.



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rechtlichen Prozesse des familiaris hierher gehörten. An Fragen des Gerichtsstandes entzündeten sich viele Konflikte. In der zweiten Hälfte der Jagiellonen-Zeit gelang es den familiares, sich aus der gerichtlichen Oberhoheit der Aristokraten zu lösen. Damit einher ging eine Transformation des Systems der Familiarität. Ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts wurde anstelle von familiares immer mehr von servitores gesprochen. Dieser semantische Wandel signalisiert auch eine inhaltliche Änderung des Abhängigkeitsverhältnisses, das sich nun weniger intim darstellte. Die Dauer des Dienstes wurde begrenzt, öfter sogar auf lediglich ein Jahr, verbunden mit einem Jahresgehalt. Obwohl das Verhältnis insgesamt unpersönlicher wurde, gibt es viele Beispiele für Familien, deren Angehörige über Generationen hinweg als familiares bzw. servitores ein- und demselben Magnatengeschlecht dienten.31 Für das 15./16. Jahrhundert kann man demnach eine Differenzierung des Adels in aristokratische Magnaten und niederadlige familiares bzw. servitores feststellen, eine Grundkonstellation, die für die gesamte frühneuzeitliche Geschichte Ungarns prägend bleiben sollte, ohne dass man von eindeutigen oder gar konstanten Beziehungsmustern zwischen den Angehörigen der beiden Gruppen ausgehen könnte. Im Gegenteil, die Gestaltung dieser Beziehungen war ständigem Wandel unterworfen, der sowohl sozio-ökonomische, wie auch politische und natürlich kulturelle Facetten aufwies. Die Frage, wie diese gegenseitigen Abhängigkeiten gestaltet wurden, wie die Zeitgenossen sie lebten, interpretierten und umgestalteten, ist eine unserer Leitfragen, die uns das gesamte Buch hindurch begleiten wird. Die verlorene Schlacht von Mohács im Jahr 1526 und die Dreiteilung Ungarns im Jahr 1542 bedeutete nicht nur im politischen Leben, sondern auch in der Entwicklung der Gesellschaft eine tiefe Zäsur. 32 Der Hof der Habsburger wurde von nun an zwar zu einem wichtigen politischen und kulturellen Anziehungspunkt für die ungarische Aristokratie, aber mit Ausnahme von Miklós Pálffy (1552– 1600) konnten sie sich dort bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein nicht so recht integrieren, niemand bekleidete in Wien einen einigermaßen bedeutenden Posten. Dank des Gleichgewichts zwischen den Reichen der Habsburger und der Osmanen genoss das königliche Ungarn weitgehende Selbstständigkeit, Historiker sprechen sogar von einer „Adelsrepublik“ wie im Falle Polens. Der permanente 31 Engel/Kristó/Kubinyi, Magyarország története, S. 309–311. 32 Der Historiker Géza Pálffy vergleicht diese Wende sogar mit dem Ausgleich von 1867. Géza Pálffy, Szent István birodalma a Habsburgok közép-európai államában. A Magyar Királyság és a Habsburg Monarchia a 16. században [Die Länder der Heiligen Stephanskrone im zentraleuropäischen Habsburgerreich. Das Königreich Ungarn und die Habsburgermonarchie im 16. Jahrhundert], Budapest 2008, S. 105–112.

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Krieg wertete die Aristokratie auf, denn sie organisierte zu guten Teilen die militärische Grenzsicherung gegenüber den Osmanen. Die adligen Komitate – dazu gleich mehr – und die herrschaftlichen Güter der Aristokratie übernahmen dabei wichtige administrative Aufgaben; sie bildeten das Hinterland der Grenzfestungen, die sie mit Nachschub jeder Art zu versorgen hatten.33 Die Lebensweise der Aristokraten zeugte von dieser hohen Bedeutung; an ihren Höfen versammelten sich ganze Scharen von familiares. Diese soziale und politische Sonderstellung der Aristokratie zeigte sich auch in der Zweiteilung des ungarischen Landtages, der seit 1608 an zwei „Tafeln“ tagte. Die untere Tafel umfasste die Abgeordneten der Komitate, die obere Tafel den hohen Klerus und die Aristokraten. Seit Anfang des 17.  Jahrhunderts bezeichnete man diese hochadeligen Herren entsprechend des ihnen zustehenden Titels magnificus als „Magnaten“. Zwar spielte im 16./17. Jahrhundert in der zentralen und in der ständischen Verwaltung nicht nur die Aristokratie, sondern auch der Niederadel und einige Bürger aus den königlichen Freistädten eine wichtige Rolle. Der Gemeinadel war jedoch durch die Bande der Familiarität an die Aristokratie gebunden.34 In einigen Komitaten hatten die dort begüterten Magnaten neben ihren militärischen Kommandopositionen in der Landesverteidigung auch noch die Würde eines Obergespans inne, d. h. sie leiteten und kontrollierten im Auftrag des Königs die zivile adlige Selbstverwaltung auf regionaler Ebene. Auch ihre familiares bewegten sich in mehreren Sphären, was den Historiker János Varga dazu veranlasst hat, von der „Doppelgesichtigkeit“ des Adels zu sprechen. Dieselbe Person diente in einer Lebensphase einem Magnaten an dessen Hof oder kämpfte in dessen Armee und bekleidete in einer späteren Phase führende Komitatsämter.35 Als Ende des 17. Jahrhunderts das Land von den Türken zurückerobert wurde, büßten die Aristokraten ihre militärische Rolle ein: Ihre Burgen waren nun funktionslos, ihre Privatarmeen wurden entlassen. Die Macht der heimischen Aristokraten wurde auch dadurch geschwächt, dass nach der Rückeroberung Ungarns viele Landfremde als Belohnung für ihre Dienste von den Habsburgern Güter 33 Péter Dominkovits, Főúri familiárisok. Sopron vármegye alispánjai a 17.  században [Aristokratische familiares. Die Untergespane des Komitats Sopron im 17. Jahrhundert], in: Nóra G. Etényi/Ildikó Horn (Hg.), Idővel paloták… Magyar udvari kultúra a 16– 17. században, Budapest 2005, S. 511–529. 34 Pálffy, Szent István birodalma, S. 363–364. 35 János J. Varga, Szervitorok katonai szolgálata a XVI–XVII. századi nyugat-dunántúli nagybirtokon [Militärdienst von servitores auf dem transdanubischem Großgrundbesitz im 16.–17. Jahrhundert], Budapest 1981, S. 179–188.



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erhielten. Zugleich verloren die Höfe der Aristokratie ein Gutteil ihrer früheren Bedeutung, ihre soziale und kulturelle Bindungskraft wurde entsprechend geringer. Es blieb nur ein Hof von Bedeutung übrig, und das war der kaiserliche Hof in Wien. Trotz der konfessionellen Konformität der ungarischen Aristokratie, die sich durchweg zum Katholizismus bekannte, trotz ihres weiterhin ungeheuren Grundbesitzes und trotz ihrer überwiegend hohen Dienstränge in Armee und Verwaltung waren die ungarischen Magnaten im 17. Jahrhundert noch kaum in die Wiener Hofgesellschaft integriert. Nach dem Frieden von Szatmár im Jahre 1711 sollte sich das erst ganz allmählich ändern.36 Die Situation des traditionell eng mit den Magnaten verbundenen „einfachen“ Adels veränderte sich seit dem späten 17. Jahrhundert ebenfalls deutlich. Zwar bot die „Familiarität“ ein geläufiges Idiom, um ihre Beziehung zu den weiterhin sozioökonomisch weit überlegenen Magnaten sprachlich zu erfassen und kulturell zu deuten, angesichts der unübersehbaren machtpolitischen Verschiebungen zugunsten der Habsburger war dieses Idiom gleichwohl nicht mehr völlig angemessen. Wie stellte sich nun die Situation des „einfachen“ Adels im 18. Jahrhundert dar? Neben dem polnischen und dem spanischen Adel war der ungarische Niederadel der zahlreichste in Europa. Seine sozio-ökonomische Gliederung reichte bis weit hinunter in die bäuerlichen Strata der Gesellschaft, sodass der sog. „Bundschuhadel“ tatsächlich keine Stiefel besaß, von Sporen ganz zu schweigen.37 Diese ärmeren Adeligen werden in unserer Geschichte kaum in Erscheinung treten, umso häufiger dagegen der „Komitatsadel“. Dabei handelte es sich um jeweils ein bis zwei Dutzend Familien, die in einem Komitat über Generationen die Ämter untereinander verteilten.38 Der Besitz eines Adeligen dieser Schicht war erheb36 Géza Pálffy, Der ungarische Adel und der Kaiserhof in der frühen Neuzeit (Eine Skizze), in: Václav Bůžek/Pável Král (Hg.), Šlechta v habsburské monarchii a císařsky dvůr (1526– 1740), České Budĕjovice 2003, S. 133–152; András Koltai, Adam Batthyány in Wien. Die Hofkarriere eines ungarischen Aristokraten in der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: ebd., S. 275–304. 37 Imre Wellmann, Der Adel im transdanubischen Ungarn 1760–1860, in: Armgard von Reden-Dohna/Ralph Melville (Hg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Stuttgart 1988, S. 117–168; ferner Béla Pálmány, A magyarországi nemesség társadalmi tagolódása (1686–1815) [Die soziale Gliederung des ungarischen Adels], in: Imre Ódor/Béla Pálmány/Péter Takács (Hg.), Mágnások, birtokosok, címerlevelesek, Debrecen 1997, S.  37–96; Zoltán Fónagy, Nemesi birtokviszonyok az úrbérrendezés korában [Adelige Besitzverhältnisse in der Epoche der Urbarregulierung], in: Századok 133 (1999), S. 1141–1187. 38 István M. Szíjártó, Relatives and Miles. A Regional Approach to the Social Relations of the Lesser Nobility the County of Somogy in the Eighteenth Century, in: János Bak (Hg.), History and Society in Central Europe, Bd. 2, Budapest 1994, S. 141–162.

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lich kleiner als der einer aristokratischen Herrschaft. Bei erheblichen regionalen Variationen umfasste dieser kleine Gutsbesitz zwischen fünf und 15 Söllnerstellen, einigen Rebparzellen und bis zu einem Dutzend Hörigenstellen, was bei den damaligen Siedlungsgrößen in etwa einem halben Dorf entsprach. Allerdings lag dieser Besitz meistens nicht in einem Dorf konzentriert, sondern quer über zwei, drei Siedlungen verstreut.39 Dieser nicht sonderlich vermögende Komitatsadel bildete die eigentliche politische Klasse Ungarns. Seine Macht war weniger ökonomisch fundiert als in seiner politisch-administrativen Stellung in den Komitaten begründet. Seine regionale Machtbasis entstand nicht erst im 18. Jahrhundert, sondern reichte bis ins Spätmittelalter zurück. Gestärkt wurde sie bereits im frühen 17. Jahrhundert durch die Habsburger, als der Erzherzog (und spätere König) Matthias II. (1606–1608) infolge des Bocskai-Aufstandes erkannte, dass er sich nicht allein auf die Magnaten stützen konnte, sondern auch den Niederadel in die Staatsverwaltung einbinden musste. Entsprechend wurde auf dem Landtag anlässlich seiner Krönung das Verhältnis der ungarischen Stände zum Haus Habsburg auf eine neue Grundlage gestellt.40 Angesichts der militärischen Dominanz der Aristokratie verwundert es kaum, dass der Niederadel die heftigen Konflikte des 17. Jahrhunderts zumeist Seite an Seite mit den jeweils dominierenden Familien durchstand, regional entsprechend unterschiedlich, mal aufseiten der Aufständischen, mal aufseiten der Habsburger. Seit der Wende zum 18. Jahrhundert lösten sich die engen Bindungen zwischen 39 Forschungsergebnisse über die Vermögensschichtung des Adels im Komitat Szatmár liegen nicht vor. Über ein vergleichbares Komitat siehe Gyula Erdmann, Zemplén megye társadalma a feudalizmusból a kapitalizmusba való átmenet időszakában [Die Gesellschaft des Komitats Zemplén in der Periode des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus], in: György Szabad (Hg.), A polgárosodás útján (Tanulmányok Magyarország társadalmának átrétegződéséhez a polgári átalakulás korában), Budapest 1990, S.  301–376. Aufstellungen über die gesamte Einkommensstruktur des Adels von Zemplén siehe ebd. 353–354. Im Jahre 1800 gab es hier 3  257 Adelige, davon hatten nur 88 mehr als 50 Vollhufner, dann 148, die mehr als 10 und weitere 159 die mehr als 5 Vollhufner besaßen. Vollhufner war hier freilich eine für die Zwecke des Adelsaufgebots konstruierte Einkommenseinheit, die von Bauern zu entrichtende adelige Einkommensarten im Wert von 24 Gulden umfasste. Die Erträge aus dem Obereigentum eines Grundholden dürften erheblich darunter gelegen haben. Vgl. die Analyse der Nachlassenschaft eines 1759 verstorbenen wohlhabenden Stuhlrichters bei Gyula Benda, Egy Zala megyei köznemesi gazdaság és család a 18.  század közepén. Parraghy László hagyatéka [Eine gemeinadelige Familie und ihre Wirtschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts], in: ders., Társadalomtörténeti tanulmányok, Budapest 2006, S. 249–340. 40 Ebd., S. 348.



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Aristokraten und Komitatsadel jedoch allmählich auf, mit der Zeit tat sich sogar eine immer tiefere Kluft zwischen ihnen auf. Károly Vörös vertritt die Auffassung, dass sich diese Gegensätze zwischen Aristokratie und Komitatsadel schon in den 1730er Jahren vertieften, bevor es auf dem Landtag 1764/65 dann zum offenen Bruch kam. Die vorher dominierenden dauerhaften Patronagebeziehungen wurden durch eher punktuelle Kontakte, vor allem durch gelegentliche Bittgesuche ersetzt.41 Dabei blieben die regionalen Unterschiede im Verhältnis von Magnaten und Komitatsadel groß, aber der Wandel erfasste alle Teile Ungarns, auch unser Untersuchungsgebiet im östlichen Teil des Landes. In seinem Gefolge wurden auch die Institutionen, die dieser Beziehung eine sprachlich-kulturelle Form gegeben hatten, völlig umgestaltet. Was war nun das mehrfach erwähnte Komitat (comitatus)?42 Es handelte sich um regionale Selbstverwaltungskörperschaften des Adels, deren Ursprünge ins 13.  Jahrhundert zurückreichen. Die ganze Breite ihrer Kompetenzen wurde im 16. Jahrhundert erreicht; die Gerichts- und Verwaltungspraxis der Komitate entwickelte sich jedoch bis 1848 kontinuierlich weiter. Nach 1848 gingen die Komitate in der modernen Staatsverwaltung auf.43 Komitate bestehen dem Namen nach bis heute als regionale Gebietskörperschaften. Im 18. Jahrhundert waren die Komitate gegliedert in eine Generalversammlung (congregatio generalis), die Partikularversammlung (congregatio particularis), den Siegelstuhl (sedes sigillatoria) und das Komitatsgericht (sedes iudiciaria/sedria). Am häufigsten tagten die Generalversammlung und das Komitatsgericht. Diese den Quellen entnommenen unterschiedlichen Bezeichnungen lassen auf den ersten Blick eine intern klar gegliederte, in ihren Aufgabenfeldern deutlich abgegrenzte regionale Bürokratie vermuten. Das trifft jedoch keineswegs zu: Die personelle Zusammensetzung der einzelnen Gremien hing von konkreten Situationen ab sowie vom Ehrgeiz oder Interesse der Amtsträger. Das Komitat und seine Foren waren im 17. und 18. Jahrhundert auf regionaler Ebene fast allzuständig. Die Kompetenzen umfassten die allgemeine Wohlfahrtsverwaltung, die Steuer­ erhebung, die Konskription, wichtige Bereiche der Rechtsprechung und sogar Teile der Gesetzgebung. Außerdem hatten Komitatsversammlungen das Recht, 41 Ebd., S. 687. 42 Für eine gute deutschsprachige Erörterung der Institution siehe Horst Haselsteiner, Joseph II. und die Komitate Ungarns: Herrscherrecht und ständischer Konstitutionalismus, Wien/Köln/Graz 1983. 43 Siehe dazu die Stichwörter ‚nemesi vármegye‘ (adeliges Komitat), ,vármegyei közgyűlés‘ (Komitatsversammlung) und ,vármegyei ítélőszék‘ (Komitatsgericht) in: Bán (Hg.), Magyar történelmi fogalomtár, Bd. 2., S. 53–54, 239–240.

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Abgeordnete zur Ständeversammlung des Königreichs Ungarn zu wählen, sie zu instruieren und notfalls auch zurückzubeordern. Die Komitate waren für die Anwendung der Landesgesetze verantwortlich, sowohl im Verwaltungshandeln als auch in der Rechtsprechung. Gegen vermeintlich rechtswidrige Verfügungen der königlichen Zentralbehörden konnten sie Protest einlegen und dadurch deren Durchführung wenn nicht verhindern, so doch hinauszögern.44 Sie waren berechtigt, eigene Vorschriften (statuti) mit subsidiärer Wirkung zu erlassen, die von großer Bedeutung für das wirtschaftliche und soziale Leben waren. Viele Komitatsstatuten wurden per Landtagsbeschluss zu staatlichen Gesetzen; in zeitgenössischer Terminologie wurde aus einer Gewohnheit (consuetudo/usus) ein Gesetz (lex regnum). Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts verloren die Komitatsstatuten an Bedeutung und mussten den Gesetzen und Verordnungen der staatlichen Zentralmacht weichen. Auch das Amtsgebaren der officiales in den Komitaten unterlag erst zwischen 1780 und 1848 einem wirksamen Bürokratisierungsprozess, hervorgerufen vor allem durch die josephinischen Reformen. Das Komitat bildete das Gericht erster Instanz für Adelige, zweiter Instanz für Bürger und Dorfgemeinden. Auch Hörige durften dort seit Mitte des 18. Jahrhunderts in zivilrechtlichen Streitfällen gegen Urteile der Patrimonialgerichte appellieren, ob sie von diesem Recht Gebrauch zu machen wagten, hing von der jeweiligen Konstellation lokaler Macht ab. Auf jeden Fall dehnten die Komitatsgerichte ihre Zuständigkeit im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf Kosten der Patrimonialgerichte aus: Je nach Art des Prozesses wurde es immer üblicher, dass ein Vertreter des Komitats mit Stimmrecht an den Sitzungen der Patrimonialgerichte teilnahm. Signifikanterweise fiel sogar Joseph II. im Zuge seiner Bauernschutzpolitik nichts Besseres ein als die Patrimonialgerichte durch die zuständigen Komitatsgerichte zu ersetzen bzw. kontrollieren zu lassen. Der Vertreter des Königs im Komitat nannte sich Obergespan. Er wurde von Wien ernannt und hatte die ehrenvolle Aufgabe, das Komitat zu beaufsichtigen. Die Obergespane im Komitat Szatmár entstammten im 18. Jahrhundert nahezu ununterbrochen der Grafenfamilie Károlyi. Die Komitatsversammlung und das Komitatsgericht stützten sich dagegen auf eigene officiales, die durch die Komitatsversammlung gewählt wurden, die dazu regelmäßig Personen aus den Reihen des Komitatsadels, der sog. bene possessionati, bestimmten. Die Ausweitung der Aufgaben, die Vervielfachung des Schriftverkehrs sowie die wachsenden Ansprü44 Péter Dominkovits, Verfechter der ständischen Rechte oder ausführende Macht der Zentralanweisungen: das ungarische Komitat des 17. Jahrhunderts, in: Petr Mat’a/Thomas Winkelbauer (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 401–441.



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che der königlichen Behörden bedingten ab Ende des 18. Jahrhunderts eine immer kontinuierlicher und professioneller werdende Verwaltungstätigkeit. Dementsprechend dienten die Komitatsbeamten über immer längere Zeiträume hinweg, die Eckpfeiler der Verwaltung, die Stuhlrichter, sogar oft mehrere Jahrzehnte hindurch. Dennoch blieben sie bis 1848 Wahlbeamte. Üblicherweise durchliefen diese Wahlbeamten einen cursus honorum, der sie zuletzt in besonders ehrenvolle und auch auskömmliche Stellungen brachte, denn die Inhaber von Komitatsämtern wurden mit festen Gehältern bezahlt. Sämtliche Amtsträger der Komitate wurden im 18. Jahrhundert für Amtsperioden von meist drei Jahren aus den Reihen des regionalen Adels gewählt. Sie waren der Komitatsversammlung verantwortlich und konnten beliebig oft wiedergewählt werden. Die wichtigste Funktion nahmen die Vizegespane ein, denn durch ihre Hände liefen die meisten Komitatsgeschäfte von einiger politischer Bedeutung. Entsprechend kamen die zwei Vizegespane immer aus den Reihen des begüterten Komitatsadels. Die Vizegespane führten im Komitatsgericht den Vorsitz. Da vieles von dem, was heute auf dem Wege der Verwaltung geregelt wird, damals vor Gericht entschieden wurde, nahmen Vizegespane auch darin eine wichtige Machtposition ein. Gleichwohl kann man das Komitatsgericht nicht als ihr persönliches Machtinstrument bezeichnen, eher als ein kollektives Forum des Adels, dessen Angehörige sich in der Funktion von Beisitzern breit beteiligten. Neben dem allzuständigen Komitatsgericht bildete sich im 18. Jahrhundert um den Vizegespan ein eigenes Gericht aus, das forum vicecomitis, in dem er zusammen mit einem Stuhlrichter und einem Geschworenen Zivilprozesse entschied. Dabei ging es nicht nur um Kleinigkeiten, sondern durchaus um Fälle mit einem hohen Streitwert. Freilich konnten die Parteien solche Fälle im Konflikt immer auch noch einmal vor das Komitatsgericht bringen. Das Rückgrat der Alltagsverwaltung in den Unterbezirken, den Distrikten des Komitats, bildeten die Stuhlrichter. Wie die Vizegespane hatten die Stuhlrichter eigene Gerichtsorgane ausgebildet (forum judicis nobilium, forum judlium), die vor allem in polizeigerichtlichen und zivilrechtlichen Fällen mit geringerem Streitwert tätig wurden. Seit etwa 1730 wirkte die Mehrheit der Stuhlrichter im Komitat Szatmár nahezu kontinuierlich; man kann ihre Tätigkeit deshalb geradezu als Berufsarbeit ansehen. Dagegen wurden diejenigen Adligen, die ein Oberstuhlrichteramt bekleideten, nach Ablauf ihrer ersten Amtszeit nur zur Hälfte wiedergewählt. Die Ursache dafür wird vermutlich sein, dass sie, ähnlich wie die Vizegespane, zu den Wohlhabenderen gehörten, denen die eigene Gutswirtschaft eine Alternative bot. Sie waren finanziell nicht darauf angewiesen, im Amt zu bleiben.

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Vizegespane, Stuhlrichter und Geschworene waren zwar nicht formell juristisch gebildet, hatten jedoch an der allgemeinen juristischen Formkultur des Adels teil. Die Kopplung von Zuständigkeiten in Verwaltungs- und Justizsachen gab ihnen sowohl einen vollständigen Überblick über das Geschehen im Komitat als auch eine kaum überbietbare regionale Machtfülle. Die Grenzen dieser Macht wurden bis 1785 einerseits durch die allgemeinen Landesgesetze und die Verfügungen der königlichen Organe abgesteckt, andererseits durch die „öffentliche Meinung“ der Adelsgemeinschaft des Komitats. Neben Vizegespan und Stuhlrichter gab es einen dritten Typus von Komitatsbeamten, den man am ehesten als juristisch geschulten Fachmann bezeichnen kann: die Notare und Anwälte des Komitats. Auch sie zählten zu den gewählten officiales, besorgten aber Geschäfte, die juristische Fachkenntnisse im engeren Sinne erforderten. Der Notar leitete die Kanzlei des Komitats, der Anwalt hatte die Aufgabe, unvermögende Adelige und das Komitat als juristische Person in Prozessen zu vertreten. Notar und Anwalt nahmen an allen Sitzungen des Komitatsgerichts teil. Diese beiden Amtsträger hatten vermutlich die größte Arbeitslast aller officiales zu tragen. Unter den Notaren gab es einige besonders gebildete, über lange Zeiträume dienende Amtsträger, die aus relativen Außenseiterpositionen kamen, z. B. aus frisch nobilitierten oder aus einem anderen Komitat eingewanderter Familien stammten. Das Notariat scheint also eine Position gewesen zu sein, die Aufstieg durch Leistung ermöglichte. Das meritokratische Prinzip hatte jedoch hier wie überall deutliche Grenzen, denn die Mehrheit der Notare stammte – wie die meisten anderen officiales auch – ganz selbstverständlich aus den alteingesessenen, begüterten Familien des Komitatsadels. Zwar können die Komitate als kleine Teilgesellschaften angesprochen werden, die Annahme, dass ein konkretes Komitat die ganze ungarische Gesellschaft in nuce enthielte, wäre jedoch absolut irreführend. Es gab Komitate, in denen die katholische Kirche über erheblichen Besitz verfügte und eine bedeutende politische Rolle spielte, und andere Komitate ohne kirchlichen Besitz und Einfluss. Es existierten Komitate mit einer geringen Zahl von armen Niederadligen neben solchen mit einer ganzen Heerschar von nahezu besitzlosen nobiles. Manche Komitate waren von großer konfessioneller Vielfalt, andere wurden weitgehend von den Angehörigen einer Konfession dominiert. In vielen Komitaten bestimmte nur eine aristokratische Familie das politische Leben, es konnten aber auch mehrere Magnaten in einem Komitat begütert sein und miteinander um Einfluss wetteifern. In einigen Komitaten kann man von einer völligen Dominanz der ländlichen Welt sprechen, weil Städte und entsprechende bürgerliche Gruppen ganz unbedeutend blieben, es gab aber auch Komitate mit wichtigen urbanen Zentren, deren Eliten



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mit ihren Besitzungen weit ins Umland hineinwirkten. Diese strukturellen Unterschiede prägten auch das Innenleben der adeligen Selbstverwaltung. Doch die Variationsbreite war nicht unendlich. Was hier am Beispiel des Komitats Szatmár gezeigt wird, ist freilich nur eine Ausprägung innerhalb einer Palette der zeitgenössischen Möglichkeiten. Lange waren sich die ungarische und die deutschsprachige Forschung einig, dass die Komitate das Rückgrat des ständischen Widerstandes bildeten. Danach trugen diese adligen Selbstverwaltungsorgane maßgeblich dazu bei, dass der Ausbau des Absolutismus in Ungarn am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts vereitelt werden konnte. Es gibt einen historiografischen Konsens in der ungarischen Geschichtsschreibung, wonach der Frieden von Szatmár 1711 einen Kompromiss zwischen dem habsburgischen Absolutismus und den ungarischen Ständen darstellte. Manche Historiker des 20. Jahrhunderts sahen in den damaligen ungarischen Ständen die Hüter einer autochthonen ungarischen Entwicklung, andere betonten dagegen die vom Wiener Hof ausgehenden Impulse für kulturelle und zivilisatorische Entwicklung des Landes. Somit stellte sich die Frage, ob der Frieden von Szatmár für die ungarische Entwicklung die bestmögliche Lösung bildete.45 In den letzten Jahrzehnten hat es in der deutschen Forschung wesentliche Veränderungen gegeben, das Absolutismus-Paradigma ist in eine Krise geraten. Die Neuansätze der Forschung haben den Absolutismusbegriff relativiert. Detailforschung an verschiedenen lokalen Quellen hat gezeigt, dass „in der alteuropäischen Gesellschaft Gesetze und Mandate nur einen Potentialis darstellten, eine Möglichkeit der Verwirklichung, nicht aber den Realis einer verbindlichen Norm“.46 Jürgen Schlumbohm erarbeitete vor einem Jahrzehnt eine These, dass der Widerspruch zwischen der vom frühmodernen Staat produzierten Flut von Verordnungen einerseits und ihrer eingeschränkten Umsetzung andererseits, also 45 Vgl. József Glósz, A rendiség és a szatmári béke [Die Stände und der Frieden von Szatmár], in: Valóság (2001), Nr. 1, S. 40–54; Ágnes R. Várkonyi, Rákóczi szabadságharca történelmi fejlődésünkben és a szatmári béke értékelése [Der Freiheitskampf von Rákóczi in der historischen Entwicklung und die Beurteilung des Friedens von Szatmár], in: Mátyás Molnár (Hg.), A Rákóczi-szabadságharc vitás kérdései, Tudományos emlékülés, 1976. jan. 29–30, Vaja/Nyíregyháza 1976, S. 25–43; Domokos Kosáry, Újjáépítés és polgárosodás 1711−1867 [Wiederaufbau und Verbürgerlichung], Magyarok Európában II. Budapest 1990. 46 Ernst Schubert, Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18.  Jahrhunderts. Neustadt a. d. Aisch, 1983, S. 323. Zitiert nach Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647–663, hier 650.

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die „Gesetze, die nicht durchgesetzt werden“, ein „Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates“ gewesen sei.47 Er war der Meinung, dass die Normgebung, das Erlassen von Gesetzen, „seinen Sinn in sich selbst“ gehabt habe.48 Wichtiger als die Umsetzung der Gesetze sei ihre symbolische Funktion, die „demonstrative Zurschaustellung von Macht und Herrschaft“ gewesen. Was die Funktion der Gesetze betrifft, lässt sich die These von Schlumbohm durch die Forschung nicht bestätigen,49 die Umsetzung der Normen war aber tatsächlich ein langwieriger und komplizierter Prozess. József Glósz hat in einer sozialhistorischen Neuinterpretation des Problems hervorgehoben, dass die eigentliche Schwierigkeit der Historiker darin bestehe, den unterstellten offensiv-gewaltsamen Charakter des Absolutismus am Ende des 17.  Jahrhunderts mit den vergleichsweise milden Friedensbedingungen von 1711 zu vereinbaren. Diese Frage ist mittlerweile noch schwieriger zu beantworten, weil die neuere Forschung dahin tendiert, den Friedensschluss – gleichgültig, ob er nun unter für die ungarischen Stände üblen oder günstigen Bedingungen erfolgte – als politisch und militärisch unvermeidbar anzusehen.50 Wenn Fürst Rákóczi und die Kuruzzen faktisch geschlagen waren, was bewog den Wiener Hof dann, sich auf solch einen Kompromissfrieden einzulassen? Glósz bezweifelt, dass man Ende des 17. Jahrhunderts überhaupt schon von einem habsburgischen Absolutismus sprechen kann, wenn man die öffentlichen Deklarationen der Krone einmal beiseite lässt, und stattdessen auf die Chancen ihrer Realisierung schaut. Im Bereich der konkreten politischen Möglichkeiten sucht Glósz dann auch die Erklärung für die vergleichsweise milden Friedensbedingungen: „Die ungarischen Stände repräsentierten vor allem das institutionelle System des grundbesitzenden 47 Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden. 48 Ebd., S. 659. 49 Andreas Würgler spricht von einem „Wunsch nach Ordnung“ der Untertanen in HessenKassel, bestätigt auch von Siegrid Schieber für Wetzlar: „Die Zeitgenossen waren sich bewusst, dass das Erlassen von Verordnungen alleine noch keine Veränderung bewirkte, sondern dass es nötig war, diese Verordnungen auch durchzusetzen.“ Andreas Würgler, Desideria und Landesordnungen. Kommunaler und landständischer Einfluß auf die fürstliche Gesetzgebung in Hessen-Kassel 1650–1800, in: Peter Blickle (Hg.), Gemeinde und Staat im Alten Europa, München 1997, S.  149–207, hier 207; Sigrid Schieber, Normdurchsetzung im frühneuzeitlichen Wetzlar. Normdurchsetzung zwischen Rat, Bürgerschaft und Reichskammergericht, Frankfurt am Main 2008, S. 392. 50 Kálmán Benda, A szatmári béke és az általános külpolitikai helyzet [Der Frieden von Szatmár und die allgemeine außenpolitische Lage], in: A Rákóczi-szabadságharc vitás kérdé­sei, S.  44–50; Imre Bánkúti, Károlyi Sándor, in: A Rákóczi-szabadságharc vitás kérdései, S. 66–70.



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Adels. Die Stärke des Adels, die Effektivität seiner Interessenvertretung wurde durch die in seiner Person und in seiner Selbstverwaltung, im Komitat konzentrierte Wirtschafts-, Verwaltungs-, Polizei- und Richtermacht garantiert. Die dringlichsten Aufgaben nach den Befreiungskriegen waren der Neuanfang des Wirtschaftslebens und der Wiederaufbau der staatlichen Strukturen. Diesen Aufgaben konnte das Reich mit den eigenen Mitteln und Instrumenten (Kammer, Armee) nicht erfolgreich lösen. Die Begrenztheit der materiellen Ressourcen und die Untauglichkeit der Kräfte des Reiches bescherte dem ungarischen Grundbesitzer seine Schlüsselstellung. Auf ihn wartete die Wiederbesiedlung der entvölkerten Gebiete und größtenteils auch die Finanzierung des Besiedlungsprozesses sowie der Ausbau derjenigen Strukturen der Gemeinden und Komitate, ohne den die Staatsmacht nicht hätte funktionieren können.“51 In einer neueren Zusammenfassung der Geschichte der ungarischen Komitate bezieht Péter Dominkovits eine scheinbar entgegengesetzte Stellung.52 Er meint, die Komitate wären im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts schlicht und einfach Ausführungsorgane der königlichen Macht gewesen, irgendeine Widerstandstätigkeit ließe sich aktenmäßig ganz und gar nicht belegen. Die Wertung der ungarischen Komitate als Ursprung und Hüter der Opposition sei eine Rückprojektion der Zustände im Josephinismus und im Vormärz. Angesichts der Aufladung der Geschichte ständischer Rebellionen mit zeitgenössischen ideologischen Wertungen des 20. Jahrhunderts ist dieser Befund recht plausibel. Die scheinbar widersprüchlichen Stellungnahmen von Glósz und Dominkovits lassen sich durchaus vereinbaren. Denn auch wenn die Komitate gar keine oppositionellen Regungen zeigten, sondern reibungslos im königlichen Auftrag funktionierten, durfte es dem Wiener Hof ganz und gar nicht gleichgültig sein, wie seine regionalen Vermittlungsinstanzen beschaffen waren. Ob sie eigene bürokratische Unterbehörden des Königs darstellten oder als ständische Organe über eine eigene Legitimation verfügten, dürfte einen großen Unterschied bedeutet haben. Denn das Wissen um die potenzielle Macht der Stände war Teil der zeitgenössischen politischen Wissenschaft über die Grundlagen staatlicher Herrschaft. Daher ist es nicht abwegig anzunehmen, dass die Politik am Wiener Hof die ungarischen Komitate ganz gern losgeworden wäre, wenn es plausible Alternativen dazu gegeben hätte – die jedoch nicht existierten. Dadurch wird der Befund über die tatsächliche Anpassung und Funktionalität der Komitate im Verwaltungsalltag nicht infrage gestellt. 51 Glósz, A rendiség és a szatmári béke, S. 53. 52 Dominkovits, Das ungarische Komitat des 17. Jahrhunderts.

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Diese Debatte über die allgemeine Bedeutung der ungarischen Komitate bildet lediglich die Folie für die vorliegende Studie. Die unterstellte Polarität „Wien – ungarische Provinz“ spielt für unser Vorhaben keine wesentliche Rolle, denn wir fragen nach der Machtausübung innerhalb der Komitate. Dafür ist vielmehr die Klärung der Frage wesentlich, wie die verschiedenen Akteure innerhalb der sozialen und politischen Strukturen positioniert waren, und wie sich die Verhältnisse zwischen Aristokratie und Adel darstellten und im Verlauf des 18. Jahrhunderts weiterentwickelten. Denn wer leitete die Komitate? Diese scheinbar einfache Frage stellte István Szijártó kürzlich.53 Er kommt am Beispiel des von ihm untersuchten Komitats Somogy in Südwest-Ungarn zu der Ansicht, dass sich der Komitatsadel schon in den 1730er Jahren von der Aristokratie weitgehend löste und diese Gegend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts praktisch beherrschte. Da eine Karriere innerhalb der Verwaltung der großen aristokratischen Herrschaften in dieser Region unattraktiv geworden sei, habe sich die Komitatselite vom Dienst im Auftrag eines Magnaten ab- und ihrem genuinen Einflussfeld zugewandt.54 Wir werden eine etwas andere Geschichte erzählen.

II. 3  Die Organe der königlichen Verwaltung Parallel zum mühsamen Wiederaufbau nach den schier endlosen Kriegszeiten lässt sich ein zaghafter, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dann immer bedeutenderer Fortschritt in der Entwicklung von Verwaltungen feststellen. Der Wiederaufbau selbst kann auch als eine Verwaltungsleistung angesehen werden, denn nicht nur die verwüsteten Felder mussten wieder beackert, sondern auch die Eigentumsverhältnisse geklärt und die Gemarkungsgrenzen festgelegt werden. Ohne diese administrativen Voraussetzungen wäre weder an die von den Grundherren noch an die von der königlichen Kammer initiierten großen Kolonisationsunternehmungen zu denken gewesen. Damit ist ein Stichwort gefallen, das in der jüngeren ungarischen Historiografie in Vergessenheit zu fallen drohte: So wichtig die Komitate als regionale Organe der adligen Selbstverwaltung für die Rechtsprechung und Verwaltung waren, die Grundlagen des modernen Staatswesens wurden doch zunächst in den Zentralbehörden geschaffen, die überwiegend in Pressburg saßen. Durch die Justizreform von 1723 wurden die Sitzungsperioden 53 István M. Szijártó, A diéta. A magyar rendek és az országgyűlés 1708–1792 [Der Landtag. Die ungarischen Stände und der Landtag, 1708–1792], Budapest 2005, S. 371–377. 54 Ebd., S. 373.



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der bis dahin nur episodenhaft tagenden Zentralgerichte erheblich verlängert und ihre Kompetenzen einigermaßen abgegrenzt.55 Im selben Jahr wurde zur Koordinierung der Verwaltung der Statthaltereirat (consilium locumtenentiale regium) eingerichtet.56 Diese Gründung ging auf die Vorarbeiten einer vom ungarischen Landtag im Jahre 1715 ins Leben gerufenen commissio mixta zurück, speziell auf ein von Sándor Károlyi ausgearbeites proiectum aus dem Jahre 1722. Diese neue Behörde verkörperte bereits dem Konzept des Grafen Károlyi zufolge den Dualismus von Ständen und Hof. Sie wäre zwar dem König unmittelbar unterstellt und mit der Durchführung der königlichen Befehle und Dekrete beauftragt gewesen, zugleich hätte sie aber auch die Verantwortung übernommen für die Verwirklichung der Landtagsbeschlüsse. Sie hätte äußerst vielfältige Agenden übertragen bekommen, von der Steuerveranlagung, über die Verbesserung des Schulwesens und die Organisation eines ehrgeizigen Ansiedlungsprogramms bis hin zur allgemeinen Wirtschaftsförderung. Diese Agenden entsprachen zwar der Programmatik der zeitgenössischen Kameralistik, die Betonung der „Peuplierung“ des Landes kann man aber auch als ein persönliches Anliegen von Sándor Károlyi ansehen, der als Grundherr diese Dinge mit Nachdruck betrieb.57 Jenseits der Frage der Agenden war solch ein Spitzenorgan der Landesverwaltung notwendigerweise auch ein Werkzeug zur effektiven zentralen Lenkung des Staates sowie zur Kontrolle der übrigen Staatsbehörden. Inwieweit dies dem Grafen Károlyi bewusst war, sei dahingestellt. Der schließlich 1723 ins Leben gerufene Statthaltereirat trug, was seine Kontrollfunktionen anging, den Stempel des proiectums, denn er wurde zur zentralen, kollegial arbeitenden Aufsichtsbehörde über die ungarischen Komitate. Der Statthaltereirat funktionierte dabei als Verbindungsglied zwischen der Krone bzw. der dem König vortragenden Ungarischen Hofkanzlei und den Selbstverwaltungsorganen der Komitate. Seine Agenden wurden zunächst enger gefasst als im ursprünglichen Konzept vorgesehen. Doch seine Kompetenzen vermehrten sich ständig; außer den allgemeinen Verwaltungsfunktionen wuchsen dem Statthaltereirat immer weitere neue Aufgaben zu, so zum Beispiel im Gesundheitswesen. Das führte dazu, dass auch die Zahl der Räte und Sekretäre zunahm. Im Zuge der Reform von 1769 wurde dem Statthaltereirat auch das Recht zuerkannt, die Komitate förmlich zur Rechenschaft zu ziehen und im Falle von Fehlern und Ver55 Varga, Curia S. 15–18; Eckhardt, Magyar alkotmány- és jogtörténet, S. 312–318. 56 Gesetzartikel XLVII von 1723. Vgl. Andor Csizmadia, A magyar közigazgatás fejlődése a XVIII. századtól a tanácsrendszer létrejöttéig [Entwicklung der ungarischen Verwaltung vom 18. Jahrhundert bis zum Entstehen des Rätesystems], Budapest 1976, S. 34–35. 57 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, Budapest 1988, S. 145–155.

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säumnissen abzumahnen. Seit 1776 wurde diese Behörde außerdem zur obersten Instanz in allen Urbarialsachen. Die innere Organisation des Statthaltereirates wurde unter Joseph II. stark verändert. Seither war die Behörde in Departements gegliedert, aus denen nach 1848 die modernen Ministerien hervorgingen. Obwohl der Statthaltereirat eine Schar wohlgebildeter Räte und Sekretäre beschäftigte, die Angelegenheiten auch vor Ort untersuchen konnten, verfügte er über keine eigenen regionalen oder lokalen Unterbehörden, sodass er auf die Komitate angewiesen blieb. Das war freilich so lange kein Problem, wie die Mitglieder des Statthaltereirates zugleich beherrschende Gestalten in ihren Herkunftskomitaten waren, wie z. B. Graf Sándor Károlyi, der dem Rat zwanzig Jahre lang angehörte. Es fragt sich allerdings, ob er die ganze Zeit hindurch an der täglichen Verwaltungsarbeit teilnahm. Eher steht zu vermuten, dass er damit seine Klienten beauftragte, wie z. B. Márton Szuhányi, der ebenfalls Mitglied des Statthaltereirates war.58 #4 Die andere Zentralbehörde, die Königliche Ungarische Kammer, durchlief eine ähnliche Entwicklung. Am Ende des 17. Jahrhunderts kam ihr nur begrenzte Bedeutung zu. Sie verfügte zwar über die klassischen Kompetenzen einer Kammerbehörde – Münzwesen, Aufsicht über die königlichen Städte, die Kammergüter, Salinen und Bergwerke sowie die Dreißigstämter (Zollämter) – doch die Neuordnung der Besitzverhältnisse in den vom Osmanischen Reich zurückeroberten Gebieten wurde größtenteils der Wiener Hofkammer übertragen. Freilich wäre das auch eine kaum zu bewältigende Aufgabe gewesen für die personell schwach besetzte Ungarische Kammer. Eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen der Wiener Hofkammer und der Ungarischen Kammer erfolgte im Zuge der Versöhnungspolitik nach dem Frieden von Szatmár. Da aber die Wiener Behörde die wichtigeren Agenden in offensichtlichem Widerspruch zu den Gesetzen59 weiterhin an sich zog, während die Ungarische Kammer vor Ort vor allem mit Alltagsproblemen zu kämpfen hatte, entstanden Ressentiments zwischen dem Personal der beiden Behörden. Die Wiener argwöhnten, die Ungarn könnten Rebellionen Vorschub leisten, umgekehrt hegte man dort Befürchtungen vor zentralistischer Bevormundung. Zwar erhielt die Ungarische Kammer im Jahr 1720 eine neue Instruktion, die Reform der Behörde blieb jedoch im Stellungskrieg zwischen Wien und Preßburg stecken. 58 Győző Ember, A Magyar Királyi Helytartótanács ügyintézésének története 1724–1848 [Geschichte der Amtsführung des Ungarisch Kgl. Statthaltereirates, 1724–1848], Budapest 1940, S. 199. 59 Vor allem Gesetzartikel XVIII von 1715.



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Abb. 4 Das Gebäude der Ungarischen Kammer in Pozsony/Preßburg (heute: Universitäts­ bibliothek in Bratislava)

Sogar in zentralen Bereichen haperte es mit der Beständigkeit: So waren von 1727 bis 1734 die Zolleinnahmen aus dem Aufkommen der Dreißigsten en gros verpachtet. Die Kammer unterhielt kein eigenes Zollpersonal vor Ort, sondern war darauf angewiesen, dass ein Generalpächter mit seiner Privatbürokratie diese Einnahmen erhob. Vor- und Nachteile dieses zeittypischen Systems liegen auf der Hand: Zwar garantierte der Pächter die Zahlung der Pachtsumme und haftete dafür mit seinem Privatvermögen, eine mögliche Steigerung der Zolleinnahmen entging jedoch der Staatskasse. Gegen Eigenmächtigkeiten und Betrügereien zumal bot dieses System keinen Schutz, mit der Folge, dass sich Beschwerden häuften. Aber selbst als der Pachtvertrag 1734 auslief, unterließ es die Kammer, die Verwaltung der Zölle in die eigene Hand zu nehmen. Stattdessen ernannte man den vorherigen Pächter zum Direktor der Zollverwaltung, der sich verpflichtete, ein bestimmtes Einnahmeniveau zu erwirtschaften.60 Für das Interesse an einem beständigen Geldaufkommen wurde selbst die Weisungsgebundenheit der Zollbe60 István Nagy, A magyar kamara 1686–1848 [Die ungarische Kammer 1686–1848], Budapest 1971, S. 96–97.

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hörden geopfert. So nimmt es nicht wunder, dass die Klagen über unberechtigte Zollerhebungen nicht abrissen. Schließlich musste der Direktor 1738 zurücktreten. Auch in dieser Funktion hatte er eher wie ein profitorientierter Pächter und nicht wie ein regelkonformer Beamter gewirtschaftet. Die Eingliederung des Dreißigstwesens in die reguläre Kammerverwaltung erfolgte sogar erst im Jahr 1749.61 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Tätigkeitsbereiche der Ungarischen Kammer erheblich erweitert. Seit Ende der 1730er Jahre fielen riesige Güter heim an die Krone bzw. wurden sequestriert, was das bis dahin unbedeutende Kameralvermögen sprunghaft vergrößerte.62 Da die Kammer ungeachtet der Schuldenkrise des Siebenjährigen Krieges an diesem Latifundienbesitz festhielt, wurde die Güterverwaltung zu einem Verwaltungszweig, der – in unterschiedlicher Verbreitung – das ganze Land umfasste. Einen weiteren Zweig der Kammerverwaltung bildete das Salinenwesen, das zunächst der Wiener Hofkammer unterstellt war, bis der Landtag von 1741 einen Gesetzesartikel verabschiedete, wonach die Salinenverwaltung 1743 an die Ungarische Kammer übergeben werden musste.63 Schließlich sollten sich die Aufgaben der Ungarischen Kammer noch erweitern durch die ebenfalls auf dem Landtag von 1741 verbschiedete Wiederangliederung der Teile Ungarns, die bis dahin administrativ losgelöst gewesen waren.64 Ein Teil des sog. Partium65 wurde schon ein paar Jahre früher an Ungarn wieder angegliedert, der andere Teil blieb aber weiterhin beim Fürstentum Siebenbürgen. Die Militärgrenze im Süden des Landes wurde nach wie vor nicht von zivilen Behörden verwaltet, sondern erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgeschafft. Nur das von den Flüssen Marosch, Theiß und Donau begrenzte Banat (bis 1716 von den Osmanen besetzt, danach direkt von Wien abhängig) wurde 1778 von Maria Theresia ans Königreich Ungarn angegliedert. Die Buchführung der Ungarischen Kammer machte nach der Jahrhundertmitte, vor allem ab 1771, bedeutende Fortschritte.66 Seither ist in der Überlieferung eine konsequentere Abgrenzung der Kompetenzbereiche, eine gründlichere 61 Ebd., S. 124. 62 Ebd., S. 116–117. Der Zuwachs zwischen 1737 und 1766 umfasste die Güter des Prinzen Eugen, des Herzogs von Modena und der Herrschaften Visegrád und Óbuda der gräflichen Familie Zichy sowie weitere Herrschaften. 63 Ebd., S. 114–115. 64 Ebd., S. 112. 65 Der Name ,Partium‘ wurde vom Lateinischen „partium regni Hungariae“ (Teil des Königreichs Ungarn) abgeleitet und ist eine Sammelbezeichnung für die – an Siebenbürgen angrenzenden − ostungarischen Komitate (Bihar, Zaránd, Közép-Szolnok, Kraszna, Kővár), die nach 1541 zum Fürstentum Siebenbürgen gehört hatten. 66 Nagy, A Magyar Kamara, S. 148–155.



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Vorbereitung der Entscheidungen, ein zusehends besser funktionierender Bürobetrieb und ein übersichtlicher geordnetes Archiv festzustellen. Im Zuge der Auflösung des Jesuitenordens im Jahre 1773 wurde der Kammer auch noch die Aufgabe übertragen, das Vermögen des Ordens (Kapitalien, Güter und Einrichtungen, von Apotheken bis hin zu Druckereien) in Besitz zu nehmen, zu inventarisieren und zumindest bis 1775 auch zu verwalten. Anschließend wurde aus dem Jesuiten-Vermögen der sogenannte Studienfond gebildet, der 1775 dem Statthaltereirat unterstellt wurde, obwohl dessen Güter weiterhin von der Kammer verwaltet wurden.67 Die Kammerverwaltung war vor allem deshalb in der Lage, diese wachsende Zahl von Aufgaben wahrzunehmen, weil sie im Laufe des 18. Jahrhunderts einen personellen und organisatorischen Unterbau erhielt. Auf regionaler Ebene wurden sogenannte „Kameraladministrationen“ eingerichtet, vor 1773 fünf, danach drei an der Zahl.68 Diese Mittelbehörden waren mit einer Vielzahl von Aufgaben betraut. Auf lokaler Ebene war die Kammer zudem durch die örtliche Verwaltung der Kameralgüter sowie durch die Salz- und Dreißigstämter präsent. Dieses Netzwerk an Kammer- und Fiskalbehörden umfasste 1781 mehr als 80 Salz- und Dreißigstämter, mit mehreren Filialämtern für jedes Hauptamt.69 Man kann deshalb mit Fug behaupten, dass die Ungarische Kammer die einzige Zivilbehörde bildete, die mit ihren nachgeordneten Unterbehörden lokal präsent war und mit der Bevölkerung auf dem Lande unmittelbar verkehrte, ohne Vermittlung durch die Komitatsverwaltungen. Die Ungarische Kammer wurde deshalb von Joseph II. als die Behörde angesehen, von der die gesamte Staatswirtschaft gesteuert werden sollte. Im Jahr 1781 wurde nach einem sechsjährigen Intermezzo der Studienfond wieder der Kammer anvertraut, ein Jahr später–1782 – auch das Vermögen der anderen religiösen Orden, die im Zuge der zweiten Säkularisierungswelle aufgelöst wurden.70 Aufgrund der josephinischen Verwaltungsreformen vom selben Jahr wurde die Kammer erst mit der Ungarischen Kanzlei vereinigt, 1785 dann auch noch mit dem Statthaltereirat.71 Diese reformierte „Superbehörde“ beauftragte man wiederum mit der Zerschlagung des alten Komitatssystems, indem aus jeweils drei bis vier Komitaten Bezirke gebildet wurden, insgesamt zehn in ganz Ungarn. In jedem Bezirk gab 67 68 69 70 71

Ebd., S. 222–224. Ebd., S. 213–217. Ebd., S. 216. Ebd., S. 225–229. Ebd., S. 238–247.

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es eine „Kameraladministration“ als Mittelbehörde.72 Spätestens seit dieser Zeit kann man von einer Durchdringung des Landes mit königlichen Behörden reden. Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hatte diese Entwicklung? Die ältere historische Forschung ging davon aus, dass nicht nur die Komitate, sondern auch die königlichen Verwaltungen vom Adel beherrscht wurden. Neuere Arbeiten ergaben jedoch, dass in den Kameralbehörden Personen bürgerlichen Standes dominierten.73 Schon die Zeitgenossen wussten um die Bedeutung dieser Gruppe, die in den 1790er Jahren schätzungsweise 3 400 Beamte umfasste.74 Sogar in den oberen Rängen der ungarischen Zentralbehörden fand sich nur eine Minderheit von Amtsträgern adliger Geburt, die meisten waren erst während ihres Dienstes nobililtiert worden, viele auch nie.75 Unterhalb der führenden Ränge in der Zentrale und bei den Dreißigst- und Salzämtern in der Provinz wirkten sowieso vornehmlich gebildete Beamte bürgerlicher Herkunft.76 Von der Standeszugehörigkeit kann allerdings keineswegs auf Haltungen geschlossen werden: Bürgerliche Personen ohne Adelstitel können ein ebenso ständisches Verhalten an den Tag legen wie Angehörige von alten Eliten. Andererseits folgte die Bürokratie einer gewissen Eigenlogik, die z. B. in der Präzedenzordnung zum Tragen kam. Innerhalb der Verwaltungen zählte der Dienstgrad einer Person, nicht deren Stellung in der ständischen Prestigehierarchie.77 In der aktuellen Historiografie wurde der 72 Ebd., S. 256–259. 73 Zoltán Fallenbüchl, A Szepesi Kamara tisztviselői a XVII–XVIII. században [Die Beamten der Zipser Kammer im 17.–18. Jahrhundert], in: Levéltári Közlemények 38 (1967), Nr. 2, S. 193–236; Ders., A Magyar Kamara tisztviselői a XVIII. században [Die Beamten der Ungarischen Kammer im 18. Jahrhundert], in: Levéltári Közlemények 41 (1970), S. 259–336; Ders., A Magyar Kamara tisztviselői II. Józseftől a polgári forradalomig 1780– 1848 [Die Beamten der Ungarischen Kammer von Joseph II. bis zur bürgerlichen Revolution 1780–1848], in: Levéltári Közlemények 43 (1972), S. 327–395; Ders., A sóügy hivatalnoksága Magyarországon a XVIII. században [Die Beamtenschaft des Salzwesens im Ungarn des 18. Jahrhunderts], in: Levéltári Közlemények 50 (1979), Nr. 2. S. 225–290. 74 Die Zahl ist auf die gesamte Gruppe der kgl. Bediensteten bezogen, deren Hauptteil allerdings die Kammerbeamten ausmachten. Vgl. Martin v. Schwartner, Statistik des Königreichs Ungern. Erster Theil. 2. Ausgabe, Ofen 1809, S. 195–200. Aufgrund von Conduitenlisten war es möglich, auch die Bildung der Beamten der Dreißigstämter einzuschätzen: Zoltán Fallenbüchl, A harmincadvám-igazgatás tisztviselői a XVIII. századi Magyarországon [Die Beamten der Dreißigstverwaltung in Ungarn des 18. Jahrhunderts], in: Mária Visi Lakatos (Hg.), Tanulmányok Dányi Dezső 75. születésnapjára, Budapest 1996, S. 87–99. 75 Nagy, A Magyar Kamara, S. 313–317. 76 Vgl. die oben zitierten Artikel von Fallenbüchl. 77 Imre Wellmann, Rendi állás és hivatali rang a XVIII. század eleji kormányhatóságokban [Ständische Stellung und Rang im Amt in den Regierungsbehörden im 18. Jahrhundert],



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Schicht der gebildeten Kleinadeligen bzw. honoratiores plebejischer Herkunft vor allem im Kontext von Josephinismus und Aufklärungsbewegung im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wachsende Aufmerksamkeit zuteil. Sie wurden als die Träger einer neuen Öffentlichkeit der Gebildeten identifiziert. Die Darstellung ihrer angeblichen oder wirklich wirksamen Klasseninteressen, die in der älteren Geschichtsschreibung vorherrschte, wurde dagegen hintangestellt und vielmehr nach ihrer Teilhabe an spezifischen Bildungsgütern und nach ihrer Rolle in der sich formierenden Öffentlichkeit gefragt.78 Für unsere Studie stellt sich die Frage, wie die bürokratischen Ideale, die innerhalb der Kammerverwaltung den Umgangston bestimmten, außerhalb wahrgenommen wurden. Sicher ist, dass der Komitatsadel – auch als Reaktion auf die josephinischen Reformen – den Zentralbehörden mit wachsendem Misstrauen begegnete.

II. 4  Die gräfliche Familie Im Komitat Szatmár fand sich mit den Károlyi ein politisch bedeutendes aristokratisches Geschlecht, das auf seinen großen Gütern schalten und walten konnte und der Politik im Komitat lange Zeit hindurch ihren Stempel aufdrückte. Der Aufstieg der Familie wurde von Mihály Károlyi begründet, der nach dem Wiener Frieden von 1606, auf dem Tiefpunkt der habsburgischen Macht, zum Katholizismus übertrat und kurz darauf im Jahr 1609 in den Freiherrenstand erhoben wurde.79 1618 ernannte ihn König Matthias I. zum Mitglied der Delegation bei den Verhandlungen mit dem Siebenbürgischen Fürsten Gábor Bethlen, die in Nagykároly auf dem Sitz der Familie Károlyi stattfanden.80 Für diese Entscheidung des Königs mochte es eine Rolle gespielt haben, dass seine Ehefrau, Zsuzsanna Károlyi, eine entfernte Verwandte des Fürsten Bethlen war. Im Jahr 1622 wurde Mihály Károlyi Obergespan des Komitats Szatmár. Sein Sohn, László Károlyi, in: Levéltári Közlemények 17–18 (1940–41), S. 250–303. 78 Vgl. Éva H. Balázs, Berzeviczy Albert, a reformpolitikus 1763–1795 [Albert Berzeviczy, der Reformpolitiker 1763–1795], Budapest 1967; Ágnes Kovács, Orczy Lőrinc liber oeconomicusa [Das liber oeconomicus von Lőrinc Orczy], in: dies. (Hg.), Emlékkönyv Rácz István 70. születésnapjára. Debrecen KLTE Történelmi Intézet 1999, S. 109–116; Ferenc Bíró, A fiatal Bessenyei és íróbarátai [Der junge Bessenyei und seine SchriftstellerFreunde], Budapest 1976. 79 Kovács, Károlyi Sándor, S. 10. 80 Gábor Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi család leszármazása a leányági ivadékok feltüntetésével [Die Abstammung der gräflichen Familie Károlyi von Nagykároly mit Aufzeichnung der Nachkommen der weiblichen Linie], Budapest 1913, S. 36.

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Abb. 5 Grundriß des Schloßes Karole in Ober Hungarn, Ao 1666. Kupfer des Ingenieurs Lucas G. Ssecho, in: Theatrum Europaeum, Band 9, Frankfurt am Main 1672, Tafel 27.

folgte ihm 1661 nicht nur in diesem Amt nach, er versuchte darüber hinaus, begünstigt durch die militärischen Wirren der Zeit, den Besitz der Familie auch mit gewaltsamen Mitteln zu vermehren. Das hatte freilich auch gewaltige Ausgaben zur Folge, vor allem als er zwischen 1661 und 1666 den Familiensitz in Nagykároly zur Festung ausbauen ließ.81 Die Gegend hatte stark unter den Heerzügen der Türken, Tataren und Kuruzzen gelitten. Von den Plünderungen und Brandschatzungen wurden auch die Besitzungen der Károlyi in Mitleidenschaft gezogen, allein das Schloss Nagykároly blieb ihnen erhalten, war jedoch während mehrerer Belagerungen stark beschädigt worden und teilweise ausgebrannt. László Károlyi bat den König um Hilfe und um Stationierung von kaiserlichen Truppen in der Festung, was ihm in 81 Ebd., S. 37.



Die gräfliche Familie

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den Jahren von 1678 bis 1693 auch gewährt wurde. Die Familie wohnte in dieser Zeit nicht in Nagykároly, sondern in der Stadt Szatmár.82 Hierin zeigten sich die Stärke und zugleich die Schwäche der Dynastie: Sie war die mit Abstand bedeutendste Familie im Komitat, als Vorposten von Katholizismus und habsburgischer Herrschaft jedoch auch besonders gefährdet. Die Károlyi schafften es, die Mittel aufzubringen, um eine kleine moderne Festung zu bauen, waren jedoch nicht in der Lage, eine Privatarmee nach Art der großen Magnaten zu unterhalten. Die Tatsache, dass sie ihren Wohnsitz in der Stadt Szatmár nahmen, zeugt außerdem davon, dass sie keinen eigenen Hof unterhielten (vgl. Abb. 6, S. 77). Der Sohn des László Károlyi, Sándor Károlyi, wurde 1669 geboren. Er ist eine der Hauptfiguren unserer Geschichte. Er war das vorletzte unter den zehn lebend geborenen Kindern aus zwanzig Niederkünften, die seine Mutter, Freiherrin Erzsébet Sennyey, während der 26 Jahre ihrer Ehe erlebte. Wie zerbrechlich das Dasein war, wie gefährdet eine adlige Kindheit und Jugend in dieser Zeit, kann man daran ermessen, dass von diesen zehn Kindern die zwei älteren Brüder 1684 und 1686 den Kämpfen zum Opfer fielen. Zwei ältere Schwestern waren Nonnen geworden, die Mutter starb nach der letzten der zwanzig Geburten. Der kleine Sándor wurde nacheinander von seinen älteren verheirateten Schwestern in Oberungarn, vom Vater und dem Hauslehrer in der Stadt Szatmár sowie von den Jesuiten in Kassa (Kaschau) erzogen. Nach dem Tod der älteren Brüder führte der Vater den Kleinsten rasch in sein Tätigkeitsfeld ein. Der kaum 18-Jährige beteiligte sich 1687 an der gewaltsamen Beschlagnahmung der protestantischen Kirchen in Oberungarn, übernahm im selben Jahr die Würde des Obergespans von Szatmár und begleitete den Vater auf den Landtag.83 In dieser bewegten Zeit nahm er, dem eigenen Kopf bzw. Herzen folgend, die junge Gräfin Krisztina Barkóczi zur Frau, mit der er eine glückliche Ehe führte. Als der Vater im Jahr 1689 verschied, sah sich der gerade 20-jährige Erbe mit einem verwüsteten Komitat konfrontiert, das er als Obergespan zu schützen versprochen hatte. Bis zum Frieden von Karlowitz im Jahr 1699 gab es zwar keine größeren Kämpfe in der Gegend, obwohl die unmittelbar südlich von Szatmár gelegene osmanische Festung Nagyvárad erst 1692 in kaiserliche Hände gelangte, wohl aber eine ständige Abfolge der „üblichen“ Raubzüge. Zwar befand sich Szatmár in den Befreiungskriegen nicht im Hauptkampfgebiet, und doch fehlte der Region, als Sándor Károlyi das Erbe seines Vaters antrat, seit etwa dreißig Jahren ein Mindestmaß an Frieden. Zunächst waren für den jungen 82 Ebd., S. 38. 83 Die Autobiografie bzw. Tagebücher des Grafen sind ediert und bilden die Quelle zu diesen Angaben. Vgl. László Szalay (Hg.), Gróf Károlyi Sándor önéletírása és naplójegyzetei [Aufzeichnungen und Autobiografie von Graf Sándor Károlyi], Pest 1865, S. 19–23.

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Obergespan Károlyi vermutlich weniger die herumstreifenden türkischen oder tatarischen Truppen ein Problem, sondern die kaiserliche Soldateska, die über das Land herfiel, weil ihr Sold meist ausblieb. Er versuchte zu retten, was zu retten war, musste allerdings mehrere erniedrigende Situationen hinnehmen, in denen ihn die „deutschen“ Truppenkommandanten seine Macht- und Hilflosigkeit spüren ließen.84 Dabei war die Vorgehensweise des jungen Obergespans von pragmatischer Schlichtheit: 1695 ging er den neuen kaiserlichen Oberkommandanten Heister begrüßen. Daraufhin borgte er im eigenen Namen, doch auf Rechnung des Komitats, 500 Goldtaler (1 Goldtaler = 7.5 Rheinische Gulden), und ließ die Summe durch diskrete Vermittlung des Kommandanten von Nagyvárad (Großwardein) dem kaiserlichen General zukommen mit der Bitte, in den nächsten drei Jahren keine Truppen im Komitat einzuquartieren. Die Bitte wurde gewährt, die Truppendurchzüge reduziert, die Passkontrollstellen und sogar der Postweg verlegt.85 Trotz dieser Belastungen und Beleidigungen hielt er dem Kaiser die Treue. Als 1697 in der Region Tokaj, unweit von Szatmár, ein Volksaufstand ausbrach, ritt er mit den Komitatsadeligen dagegen zu Felde.86 Den großen Kuruzzen-Aufstand des Fürsten Rákóczi, der 1703 begann, versuchte Károlyi zuerst einzudämmen. Er fuhr nach Wien, um von dort militärische Hilfe zu bekommen. Als er jedoch der Stärke des Aufstandes und der allgemeinen Unzufriedenheit im Lande gewahr wurde, und als er obendrein von Wien keine Unterstützung bekam, wechselte er die Seiten.87 In der Zeit zwischen 1703 und 1711 war er einer der kommandierenden Generäle der Aufständischen. Als diese Rebellion wegen Auszehrung der Truppen und ungünstiger Wendungen der europäischen Politik hoffnungslos wurde, war es erneut Sándor Károlyi, der die politische Kehrtwendung vollzog und als Oberbefehlshaber des Kuruzzen-Heeres die Kapitulation der Aufständischen vor der kaiserlichen Armee beschloss und 1711 den Friedensschluss von Szatmár unterzeichnete, während Fürst Rákóczi im Ausland über eventuelle Hilfe verhandelte88 (vgl. Abb. 7, S. 78). Dieser Vertrag sicherte den Aufständischen persönliche Amnestie und den Erhalt ihrer Güter zu, wenn sie innerhalb von sechs Wochen den Treueeid auf den Kaiser ablegten. Denjenigen freilich, die dies nicht taten, blieb nur die Emigra84 85 86 87 88

Ebd., S. 28–33, 46–48. Ebd., S. 38–40. Ebd., S. 49–50, 54–59. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 34–42. In Bezug auf den Friedensschluss vgl. Imre Lukinich, A szatmári béke története és okirattára [Geschichte und Urkundenbuch des Friedens von Szatmár], Budapest 1925, ferner Bánkúti: A szatmári béke.



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tion oder drohte der Tod. Graf Károlyi blieb in Ehren und half seinen kaiserlichen Verhandlungspartnern den Frieden zu befestigen. 1712 wurde er vom Kaiser zum Generalfeldleutnant ernannt und in den Grafenstand erhoben. Auf den ungarischen Landtagen übernahm er in den Jahren 1712 bis 1715 wichtige politische Aufgaben. Er arbeitete an der 1715 durch den Landtag eingesetzten, wegen der Pest aber erst Jahre später aktiv werdenden systematica commissio mit, die grundlegende Reformen in Verwaltung und Landesökonomie bewirkte.89 Er galt als einer der erfahrensten Wirtschaftsexperten des Landes. Nach Vollendung seiner Arbeit am Abschnitt oeconomicum schrieb er zufrieden an seine Frau: „Ich finde, meine ganze Arbeit ist nicht nur nach dem Gefallen seiner Majestät, sondern auch nach dem des ganzen Landes. Auch die Regierung bewundert es, dass ich während so einer kurzen Zeit alle für das Land notwendigen Maßnahmen ausgearbeitet habe. Die Mehrheit der Komitatsabgeordneten kann es wohl kaum begreifen, weil nicht einmal ihre Großväter davon geträumt haben.”90 Auf dem Landtag von 1722 spielte Graf Sándor Károlyi eine Schlüsselrolle bei der Annahme der pragmatica sanctio der Habsburger durch die ungarischen Stände. Bekanntlich war die Pragmatische Sanktion eine Ergänzung der Habsburgischen Hausgesetze: Als abzusehen war, dass Kaiser Karl VI. kein männlicher Nachkomme beschert sein würde, versuchte er, mittels dieser veränderten Erbfolgeordnung die Thronfolge seiner Tochter Maria Theresia gültig und verbindlich zu machen. Zu diesem Zweck ließ der Kaiser die Pragmatische Sanktion auf Landtagen und Ständeversammlungen sowie in internationalen Verhandlungen in Form von Gesetzen, Vereinbarungen und Verträgen bestätigen. Die Annahme dieser Regelung durch den ungarischen Landtag war keine bloße Formsache, denn er hatte, im Gegensatz zu den Landtagen der österreichischen Erbländer, seine gesetzgebende Kompetenz ungeschmälert erhalten können. Die Position von Sándor Károlyi wurde gestärkt durch die Existenz einer Hofpartei, mit Prinz Eugen in ihren Reihen, die angesichts des wieder aufflammenden Krieges mit Frankreich die Wünsche der Ungarn, nach eigenen Gesetzen regiert zu werden, gewähren wollte. Die bedeutende politische Rolle, die Károlyi im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts spielte, wurde durch den Kaiserhof honoriert. Das zeigte sich schon in seiner Standeserhebung in den Gra-

89 Mária Kónyi, Az 1715–22. évi rendszeres bizottság javaslatai [Die Vorschläge der systematischen Kommission aus den Jahren 1715–1722], in: Bécsi Magyar Történeti Intézet Évkönye (1932), S. 137–182. 90 Zitiert nach János J. Varga, Die Notwendigkeit, S. 65.

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fenstand, weitere Gunstbezeugungen folgten und ließen seinen Gutsbesitz sowohl in der ungarischen Tiefebene als auch im Komitat Szatmár sprunghaft wachsen.91 Im Jahr 1723 wurde Graf Sándor Károlyi zum Geheimrat ernannt, eine hohe, aber praktisch inhaltsleere Würde. Der ihm im folgenden Jahr übertragene Posten eines Rates in der Königlich Ungarischen Statthalterei brachte dagegen viel ehrenvolle Arbeit, aber auch viele Konflikte mit sich, denn dabei handelte es sich um die zentrale Verwaltungsbehörde Ungarns.92 Obwohl Károlyi zu einem der führenden Politiker Ungarns wurde, blieb er am Wiener Hof ein Fremder, besaß auch nicht die Einkünfte, um am Leben in der Residenz regelmäßig teilnehmen zu können. Wegen seiner stürmischen Gütervermehrung häufte er große Schulden auf, die ihm über den Kopf zu wachsen drohten. Es fehlte ihm auch die sprachliche Kompetenz für das Leben am Kaiserhof, denn er beherrschte das Ungarische und ein wenig Latein, wegen seines radebrechenden Deutsch wurde er in Wien jedoch ausgelacht.93 Obwohl zeitweise schwer erkrankt, fuhr er in den Jahren 1727 bis 1730 mehrfach zwischen seinen Gütern und Pozsony (Preßburg) hin und her und nahm dort auch am Landtag von 1728/29 teil.94 Die Güterakkumulation trieb die Familie wie erwähnt in ganz erhebliche Verschuldung, die laufenden Einnahmen deckten nicht immer die Verbindlichkeiten. Diese Verschuldungskrise zwang Károlyi 1741, einen Teil der erworbenen Güter pfandweise wieder zu veräußern sowie die Stammgüter seinem Sohn zu übergeben, während er selbst die rechtlich weniger gesicherten Teile des Gutsbesitzes behielt. Nach diesem Manöver diente der bei dem alten Grafen verbliebene Vermögensanteil als Deckung für das Gros der Schulden, die sich 1743 zusammen mit den kapitalisierten fest zugesagten Zahlungen an kirchliche Institutionen auf den gewaltigen Betrag von 211 534 Rheinische Gulden beliefen.95 Zum Vergleich: Die Gesamtsumme der Schulden der Familie Károlyi machte etwa zwei Drittel

91 Vgl. Béla Pettkó/Gábor Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi-család összes jószágainak birtoklási története [Die Geschichte von sämtlichen Besitzungen der gräflichen Familie Károlyi], Budapest 1911. 92 Vgl. Ember, A M. Kir. Helytartótanács, S. 199. Károlyi diente der Behörde von 1723 bis zu seinem Tode 1743. 93 Kálmán Thaly, Károlyi Sándor hadi előterjesztése s észrevételei [Kriegsplan und Kommentare von Sándor Károlyi], in: Századok 1 (1867), Nr. 1, S. 55–68, zu seinen Sprachkenntnissen ebd., S. 66. 94 Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, 247ff. Aufgrund der Tagebücher kann man die Reisen rekonstruieren, die Károlyi unternahm. 95 MOL Archiv der Familie Károlyi, P 392 Törzsanyag (Hauptbestand), Lad. 9, II, Nr. 242.



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Abb. 8 Gedenkfahne für Sándor Károlyi aus der gräflichen Grablege in Kaplony (1743). Die Stickarbeit zeigt die Lebensdaten des Verstorbenen, seine Titulatur und sein Wappen, gekrönt von einer besonders martialischen Helmzier, die ihn als Bezwinger der Tartaren ausweist.

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des Betrags aus, den die Königliche Kammer in den 1730er Jahren in ganz Ungarn durchschnittlich einnahm.96 In diesen Jahren zog sich Sándor Károlyi auf die ihm verbliebenen Besitzungen in Szatmár zurück. Er ließ in der Zeit von 1727 bis 1730 das durch die Türken zerstörte Schloß Erdőd wieder herrichten und machte es zu seinem Hauptquartier.97 Es ist anzunehmen, dass er zeitlebens in jeglicher Hinsicht die Zügel in seinen Händen hielt, auch wenn er persönlich nicht immer allseits präsent sein konnte, wie z. B. auf dem Landtag von Preßburg 1741. Károlyi starb am 8. September 1743 auf seinem Schloß Erdőd; die feierliche Beisetzung erfolgte am 22. Juni 1744 in der Familiengruft in Kaplony. Sein jüngster und einzig überlebender Sohn, Ferenc Károlyi (1705–1758), zeigte dem nüchternen Vater schon in seinen Jugendjahren, dass er nicht so begabt, sein Verstand, seine Aufnahmebereitschaft – wie es damals hieß – nicht so „frisch” waren, wie es sich der Vater gewünscht hätte. Sein Vater ließ ihm trotzdem oder gerade deswegen eine sehr sorgfältige Erziehung angedeihen. Er hatte Privatlehrer und besuchte von 1715 bis 1717 das Jesuitenkolleg in Nagyszombat (dt. Tyrnau, slow. Trnava).98 Stets stand ihm als Erzieher, als praefectus, Márton Szuhányi zur Seite und berichtete dem Vater ständig über den Fortschritt des jungen Grafen. Aus diesem Erzieher, einem früheren secretarius des alten Grafen, wurde ein langjähriger und vielfach eingesetzter Klient des Ferenc Károlyi. Der junge Graf war schon im Februar 1722, als er noch keine siebzehn Jahre alt war, zum Obergespan seines Komitates ernannt worden. Man geht aber wohl nicht fehl in der Annahme, dass sowohl die Komitatsgeschäfte wie auch die große Politik weiterhin in den Händen seines Vaters lagen. Graf Ferenc durchlief eine militärische Karriere. Sein Vater stellte zwar im Jahr 1734 ein Kavallerieregiment auf, konnte dann aber beim Kriegsrat die Ernennung seines Sohnes zum befehlshabenden Oberst doch nicht durchsetzen. Aber Graf Ferenc wurde dennoch im gleichen Jahr im Alter von 29 Jahren Oberst der Kavallerie – nur eben nicht der Kommandeur des Familienregiments. 1739 wurde er zum Generalmajor, 1741 zum Feldzeugmeister befördert (vgl. Abb. 9, S. 79).

96 Nagy, A magyar kamara, S. 100. Die jährlichen Einnahmen der königlichen Kammer bewegten sich 1729–1740 zwischen 322 000 und 453 000 Rh. Gulden, ohne das Salzwesen, das von der Wiener Hofkammer direkt verwaltet wurde. 97 Éble, Károlyi család, S. 45. 98 Gábor Éble, Károlyi Ferencz gróf és kora 1705–1758 [Graf Ferenc Károlyi. Sein Leben und seine Zeit, 1705–1758], Budapest 1893, S. 104–105.



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Auch Graf Ferenc machte allem Anschein nach eine Liebesheirat. Die Braut war die Tochter eines mit Rákóczi emigrierten Kuruzzen-Generals, Graf Mihály Csáky, der seiner Güter verlustig gegangen war. Seine Frau und seine Kinder mussten sich in Wien aufhalten, sie waren praktisch interniert.99 In Wien entflammte auch die heimliche Liebe – vor diesem politischen Hintergrund war eine Eheschließung jedoch eine heikle Sache. Als der alte Graf von den Wünschen seines Sohnes erfuhr, mobilisierte er die beiderseitige Verwandtschaft, um der Angelegenheit bei Hofe die nötige Akzeptanz zu verschaffen. In die verwickelte Korrespondenz waren keine Geringeren als der Kardinal von Ungarn (ebenfalls ein Csáky), der Palatin und der Oberste Hofrichter (judex curiae) Graf Miklós Pálffy, der Bruder des Generals János Pálffy, und Prinz Eugen involviert. Schließlich gelang es dieser Koalition, einen Teil der konfiszierten Güter der Braut zurückzubekommen. So konnte die Hochzeit des Grafen Ferenc Károlyi mit der Gräfin Krisztina Csáky am 25. August 1726 in der Heimat der Braut, auf einem vom König gnadenhalber der Mutter zurückgegebenen kleinen Gut gefeiert werden. Anschließend wurde das Paar im Festzug nach Szatmár heimgeholt.100 Das neue Ehepaar bekam das Schloss Olcsva mit dem dazugehörigen Gut, das der Vater 1708/09 hatte erweitern und ausstatten lassen.101 In den zehn Jahren ihres Zusammenlebens gebar Gräfin Krisztina ihrem Gatten aus sieben Schwangerschaften acht Kinder, fünf starben als Säuglinge oder Kleinkinder, sie selbst verstarb im Jahr 1736. Anfang der 1730er Jahre, als sich der alte Graf Sándor in Erdőd einrichtete, zog sie mit ihrem Haushalt in Nagykároly ein.102 Obwohl schon der junge Graf Ferenc aus dienstlichen Gründen dauerhaft in der Ferne weilte, blieben die herrschaftlichen Häuser im Komitat Szatmár das Zentrum der Dynastie, solange der alte Graf Sándor und seine Schwiegertochter noch lebten. Nach 1743, mit dem Tod des Alten, änderte sich das grundlegend. Während Ferenc Károlyi an unterschiedlichen Kriegszügen der Habsburger teilnahm, musste er sein Komitat und seine dortigen Besitzungen im Auge behalten. Er übernahm zwar zunächst die Angestellten und Klienten seines Vaters, übertrug später aber einer neuen Gruppe die Verwaltung seiner Güter, die bis dahin im Komitat keine Rolle gespielt hatte. Die zentrale Gestalt innerhalb dieser Gruppe, der Mann seines Vertrauens, war sein Schwager Leutnant Demeter Rácz. Dieser hatte im Jahr 1739 Gräfin Constantia Csáky geheiratet, die Schwester von Gräfin Krisztina. Um das Jahr 1735 war Constantia, nach Erziehungsjahren in einem Wiener 99 100 101 102

Éble, Károlyi Ferencz, S. 169. Ebd., S. 193–194. Ebd., S. 197, 307. Ebd., S. 22.

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Abb. 10 Schloss Olcsva wurde auf Geheiß von Sándor Károlyi zwischen 1699 und 1703 erbaut und 1708/09 nach dessen eigenhändigen Plänen erweitert. Zeitweise war Olcsva Hauptsitz der Familie. Hier wurde Ferenc Károlyi geboren, der das Schloss im Jahr 1727 von seinem Vater zum Geschenk erhielt. Nach 1730 wurde der Bau nur noch selten genutzt; Antal Károlyi ließ es zwischen 1777 und 1791 abreißen.

Kloster, als eine Art Haushälterin zu ihrer Schwester gezogen.103 Nach dem Tod Krisztinas wurden die Kinder des Ferenc Károlyi von eben dieser Schwägerin, der Gräfin Constantia Csáky, erzogen. Das Komitat blieb also auch in den Jahren nach dem Ableben des alten Grafen Sándor nicht ganz ohne Familienpräsenz: Während der junge Graf Ferenc Károlyi als Offizier und ab 1738 als Eigentümer eines Kavallerie-Regiments in der Ferne weilte, wohnten zuerst seine verwaisten Kinder mit seiner Schwägerin Constantia im Komitat, dann hielt sich das jung vermählte verschwägerte Paar dort auf. Demeter Rácz wurde die wichtigste Person in der Verwaltung der Károlyi-Güter, und – wohl nicht völlig unabhängig davon – sehr reich. Im politischen Leben des Komitats spielte Rácz keine Rolle, was wohl darauf zurückzuführen war, dass er der griechisch-katholischen Konfession angehörte.104 103 Ebd., S. 169. 104 Ede Reiszig/Bertalan Gorzó, Szatmár vármegye nemes családjai [Adelige Familien im Komitat Szatmár], in: Samu Borovszky (Hg.), Szatmár vármegye [Komitat Szatmár], Budapest, o. J., S. 604. Über Demeter Rácz siehe die exzellente Kleinmonografie: Szilveszter Terdik, Rácz Demeter, egy XVIII. századi görög katolikus mecénás [Demeter

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Abb. 6 László Károlyi (1622–1689) und Erzsébet Sennyey (1626–1672) im Kreis ihrer zwanzig (!) Kinder. Votivtafel oder Epitaph eines unbekannten Künstlers aus der Schlosskapelle in Nagykároly. Vermutlich ist das Bild 1672 entstanden, da es anlässlich des Todes des jüngsten Sohnes Ferenc in Auftrag gegeben wurde, der kurz vor seiner Mutter im Säuglingsalter verstarb. Ferenc ist neben dem Altar in Engelsgestalt dargestellt. Von den zahlreichen Kindern erreichten lediglich drei Söhne und mehrere Töchter das Erwachsenenalter. Die ältesten Brüder Mihály und István starben Ende des 17. Jahrhunderts im Kuruzzenkrieg bzw. in den Kämpfen mit den Osmanen, sodass Sándor Károlyi als einziger Sohn und männlicher Erbe übrig blieb.

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Abb. 7 Graf Sándor Károlyi (1669–1743). Ölgemälde eines unbekannten Künstlers. Im Hintergrund ist die Kapitulation von Nagymajtény (1. Mai 1711) dargestellt, die das Ende des Kuruzzenkrieges markierte. Sándor Károlyi, der Hauptakteur in den Friedensverhandlungen, leistet gemeinsam mit dem Kuruzzenheer den Treueeid.

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Abb. 9 Graf Ferenc Károlyi (1705–1758) in der Uniform seines Husarenregiments. Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, vermutlich um 1750.

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Abb. 11 Kaiserlicher Husar des Regiments Károlyi im Jahr 1734.

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Abb. 13 Graf Antal Károlyi (1732–1791) als Feldzeugmeister des Ordens vom Goldenen Vlies. Ölgemälde eines unbekannten Künstlers.

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Abb. 14 Jozefa Harruckern (1740–1802), Ehefrau des Grafen Antal Károlyi. Geschmückt ist sie mit dem sog. Sternkreuzorden (Devise salus et gloria), einem 1668 von Kaiserin Eleonore gestifteten Damenorden, der weiblichen Angehörigen des habsburgischen Adels vorbehalten war. Ein Medaillon zeigt das Antlitz ihres Ehemannes. Vermutlich verweist es auf seine Abwesenheit im Felde; darauf deutet auch die Zeichnung der kleinen Festungsanlage hin, die sie in Händen hält. Ölgemälde des Wiener Hofmalers Johann Michael Militz (1725–1779).

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Abb. 18 Dieses Gemälde eines unbekannten Künstlers weist den jungen Grafen József Károlyi (1768–1803) als Person aus, die sich um Gelehrsamkeit und Weltkenntnis bemüht.

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Abb. 19 Graf Sándor Károlyi (1669–1743). Variation des Ölgemälde eines unbekannten Künstlers. Im Hintergrund ist die Kapitulation von Nagymajtény (1. Mai 1711) dargestellt, die das Ende des Kuruzzenkrieges markierte. Sándor Károlyi, der Hauptakteur in den Friedensverhandlungen, leistet gemeinsam mit dem Kuruzzenheer den Treueeid.



Die gräfliche Familie

Abb. 12 Entwurf für die Gestaltung des Trauerzugs für Graf Ferenc Károlyi im Jahre 1758. Die drei Detailansichten entstammen einer sehr viel umfangreicheren Vorlage mit etwa 2000 Teilnehmer und 800 Pferden, in der die Korporationen aus Komitat und Stadt um den Leib des Verstorbenen hierarchisch gruppiert abgebildet sind. „Réz Koporsó“: Der Kupfersarg, sechsspännig gezogen, wird den gräflichen Leichnam später in der Grablege in Kaplony aufnehmen. „Fekete Paripa“: Das Pferd des Verstorbenen mit schwarzer Trauerschabracke. „Udvari Fekete Sereg“: Der Zug der schwarzgekleideten Hofleute, unter ihnen sicher einige der Protagonisten unserer Studie. „Test“: Der Leib des Verstorbenen in einem hölzernen Sarg. „M. Püspök“: Unter einem Baldachin schreitet der Bischof von Eger, Ferenc Barkóczy unmittelbar vor dem Leib des Verstorbenen. „Clerus“: Der katholische Klerus des Komitats Szatmár.

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Es ist nicht ganz klar, mit welchem Erfolg Graf Ferenc an den verschiedenen Kriegszügen teilnahm. Im Jahr 1735 zog er an den Rhein, um bei Philippsburg unter Prinz Eugen zu dienen (vgl. Abb. 11, S. 80). Dort konnte er jedoch keine Kampferfahrung sammeln, obwohl er darauf brannte. Er zählte dann zu den Kombattanten in mehreren Kriegszügen im österreichisch-türkischen Krieg von 1738/39. Anschließend sind weder seine militärischen Einsätze noch seine zivilen Aufgaben rekonstruierbar, lediglich die erreichten Chargen sind überliefert: 1745 wurde er zum wirklichen Geheimrat und zum Assessor, d. h. zum Richter an der Septemviraltafel ernannt. 1748 erfolgte die Ernennung zum General der Kavallerieregimenter des Kaisers (also nicht innerhalb des österreichischen Heeres). Am 14. August 1758 starb er in seiner Heimat auf Schloss Nagykároly.105 Die dritte Generation der Károlyi im 18. Jahrhundert bestand wieder nur aus einem einzigen Mann, dem Grafen Antal (1732–1791). Er wurde wie erwähnt nach dem frühen Tod seiner Mutter von seiner Tante im Schloss seines Großvaters in Erdőd erzogen. Er lernte Deutsch, wurde früh offiziell am Wiener Hof eingeführt, wo er selbst auf die Kaiserin einigen Eindruck machte106 (vgl. Abb. 13, S. 81). Antal Károlyi vermehrte das beträchtliche Familienvermögen noch durch eine vorteilhafte Eheschließung. Sein Schwiegervater Johann Georg Harruckern war bürgerlicher Abstammung, hatte als Kriegslieferant der Habsburger ein riesiges Vermögen gemacht, große Besitzungen in Ungarn (in den Komitaten Békés und Csongrád) angehäuft und 1729 den Titel eines Barons erworben.107 Graf Antals Heirat mit der 17-jährigen Josepha Harruckern fand am 13. Juni 1757 in Gyula im Komitat Békés statt, wo sie mit kostspieligen Feierlichkeiten, Tanz und Musik begangen wurde. In den darauffolgenden Tagen amüsierte sich das Paar mit weiteren Tänzen und Theateraufführung, mit Spazierfahrten auf den Gütern, die Graf Antal dazu nutzte, seine Reitkünste vorzuführen und seine Braut mit

Rácz, ein griechisch-katholischer Mäzen des 18. Jahrhunderts], in: Jósa András Múzeum Évkönyve XLIX, Nyíregyháza 2007, S. 333–380. 105 Éble, Károlyi család, Anhang, Tafel II. 106 Éble, Károlyi Ferencz, S. 102–103. 107 Der Domänenbesitz der Harruckern gehörte zu den vier größten Güterkomplexen Ungarns (nämlich demjenigen der Esterházy, der Károlyi und der Grassalkovich). Weil Franz Harruckern, der Schwiegervater Antal Károlyis, nur zwei Töchter hatte, wurde ein Teil seiner Besitzungen an die Familie Károlyi vererbt. Zoltán Fónagy, Adelige Besitzverhältnisse in Ungarn zur Zeit Maria Theresias, in: Ferenc Glatz (Hg.), Jahrtausendwende 2000, Budapest 2001, S. 359–367, hier S. 364.



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Militär­paraden und Übungen, die unter seinem eigenen Kommando standen, zu unterhalten108 (vgl. Abb. 14, S. 82). Es ist nicht ganz klar, inwieweit diese Heirat half, den Schuldenberg der Familie Károlyi abzutragen. Jedenfalls wurden sämtliche Erwerbungen des Großvaters bis in die 1760er Jahren besitzrechtlich konsolidiert und die Güterkäufe durch königliche Donationsbriefe bekräftigt. Die durch die massive Akkumulation von Grundbesitz verursachten Schulden wurden einigermaßen begrenzt, die wegen der Schulden vorübergehend verpfändeten Herrschaften wieder eingelöst. Bei diesem Prozess der Entschuldung mag aber auch die allmähliche Konsolidierung der ländlichen Wirtschaft im östlichen Ungarn überhaupt eine Rolle gespielt haben, nicht nur die bedeutende Mitgift der Braut. Jedenfalls bildete zu dieser Zeit der Besitz der Grafen Károlyi die zweitgrößte weltliche Vermögensmasse im Königreich Ungarn nach derjenigen des Fürsten Esterházy.109 Graf Antal Károlyi durchlief eine militärische Karriere, wie es vor ihm sein Vater getan hatte.110 Schon im Alter von 11 Jahren erhielt Antal den Rang eines Rittmeisters im Kavallerie-Regiment seines Vaters und wurde dann mit 21 Jahren zum Oberstleutnant befördert. Im Siebenjährigen Krieg befehligte er nicht das eigene Regiment, sondern das Regiment Esterházy. Er wurde am 6. Mai 1757 bei Prag verwundet, wovon er sich nie wieder ganz erholte. Er kämpfte aber weiter, so auch 1758 in der Schlacht bei Hochkirch. Er erhielt den Rang eines Generals, wurde mehrfach hoch dekoriert, doch seine Versehrung zwang Graf Antal schließlich, sich schweren Herzens aus dem aktiven Dienst verabschieden zu müssen. Man gewinnt den Eindruck, dass er in der Folgezeit bewusst nach einer öffentlichen Rolle suchte, die ihn für seine entgangene militärische Karriere entschädigen sollte. Nach dem Ableben seines Vaters am 14. August 1758 übernahm er einige von dessen Funktionen; so wurde ihm im darauf folgenden Jahr die Obergespans108 József Draskovich, Egy XVIII. századi arisztokrata család mulattatója. Antónius atya históriái [Der Unterhalter einer aristokratischen Familie des 18. Jahrhunderts – Die Geschichte von Pater Antonius], in: Gyula Erdmann (Hg.), Békés megye és környéke XVIII. századi történetéből (Közlemények 3), Gyula 1989, S. 179–278, hierzu 242–243. 109 Über den größten Gutsbesitz verfügte Fürst Miklós Esterházy, dessen 300 000 Joch Urbarialgut (mit rund 36 000 bäuerlichen Familien) den Gutsbesitz des Grafen Antal Károlyi um nahezu das Dreifache überstieg. Fürst Esterházy allein verfügte über 8,4 % des adligen Güterstandes in Ungarn. Fónagy, Nemesi birtokviszonyok, S. 1173–1175; Ders., Adelige Besitzverhältnisse, S. 364. Zur Zeit Maria Theresias besaßen 110 Familien mehr als 5 000 Joch urbariales Land, d. h. 2 % der Eigentümer konnten etwa 2,35 Millionen Joch, also 47 % des Gesamtbestandes urbarer Ländereien ihr Eigen nennen. Ebd., S. 363. 110 Vgl. den Artikel „Franz Anton Graf Károlyi“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 15, Leipzig 1882, S. 417–418.

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Abb. 15 Gedenkfahne für Graf Antal Károlyi aus der gräflichen Grablege in Kaplony (1791). Auch diese Stickarbeit gibt die Lebensdaten des Verstorbenen, seine Titulatur und sein Wappen wieder. Zwar dominieren kriegerische Embleme, die martialische Helmzier des Großvaters ist jedoch durch die Grafenkrone ersetzt. Der Orden vom Golden Vlies deutet darauf hin, welch führende Position der Verstorbene am Kaiserhof in Wien innegehabt hat.



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Abb. 16 Die „Nationalschule“ in Nagykároly, ein Entwurf von Franz Rosenstingl aus dem Jahr 1780. Es handelte sich um eine sog. Hauptschule, in der der Unterricht in ungarischer Sprache erfolgte. Auf dem Lehrplan standen Zeichnen und Musik als eigenständige Fächer. Antal Károlyi unterstützte nicht nur den Bau, sondern auch den Unterhalt der Schule mit einer Stiftung. Das Gebäude fiel im Jahr 1887 einem Brand zum Opfer und wurde zwei Jahre später im Stil der Zeit wieder aufgebaut.

würde im Komitat Szatmár übertragen.111 Er weilte 1759/60 wiederholt längere Zeit in seinem Heimatkomitat, entließ die leitenden Gutsbeamten und führte eine neue Organisation der Gutsverwaltung ein, die er einem System kollegialer Leitung unterstellte. Im selben Jahre 1760 wurde Graf Antal zum Richter an der Septemviraltafel am Königlichen Oberappellationsgericht ernannt. Über eine einschlägige juristische Vorbildung ist nichts bekannt, sie wurde jedoch zu dieser Zeit auch noch nicht als notwendig erachtet.112 111 MOL A 57 Magyar Kancelláriai Levéltár (Archiv der Ungarischen Hofkanzlei), Libri regii, Bd. 44., S. 647–648. Ernennung zum Obergespan durch Königin Maria Theresia, Wien, 4. Sept. 1758. 112 Endre Varga, A királyi Curia [Die königliche Curia], Budapest 1974, S. 16. Das Gericht tagte im Jahr maximal fünf- bis sechsmal, eine Dauerbeschäftigung stellte es also nicht dar. Auf der Richterbank saßen vier Vertreter des Prälatenstandes, sechs Magnaten und vier Gemeinadlige (Ritter).

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Abb. 17 Prospekt der Kirche des Piaristenklosters in Nagykároly (1788). Die Planung für Kirche und Kloster aus den Jahren 1769 bis 1779 stammt ebenfalls vom Wiener Architekten und Professor der k.k. Ingenieurakademie und Savoyischen Ritterakademie, Franz Sebastian Rosen­ stingl (1702–1785). Die Bauausführung übernahm ein anderer Baumeister. Die Ansiedlung dieses Schulordens, der europaweit im Sinne des erneuerten Katholizismus wirkte, am Herrschaftssitz in Nagykároly zeugt vom gegenreformatorischen Engagement der Grafen Károlyi.

Nach verschiedenen öffentlichen Aufträgen scheint er in der Refom des Erziehungswesens (Ratio educationis), das Maria Theresia im Jahr 1777 auf den Weg bringen ließ, eine Herausforderung für seine Talente erblickt zu haben. Von 1777 bis 1782 wirkte er als durchaus reformorientierter Direktor von gleich zwei (Nagy­várad, Ungvár) der insgesamt acht neugeschaffenen Schulbezirke in Ungarn. Gleichwohl blieb er die ganze Zeit hindurch Inhaber des eigenen Regiments. Wie sein Vater wurde er zum Geheimrat ernannt. Im Jahr 1787 rückte er zum Hauptmann der von Maria Theresia gegründeten Königlich Ungarischen Leibgarde auf, in die militärische Position mit dem höchsten Prestige überhaupt. Parallel dazu spendete er wie seine Standesgenossen mehrfach bedeutende Summen für die Staatskasse, als die Königin „ihre“ Stände darum bat. Mit Graf Antal waren die Károlyi endgültig in Wien angekommen; die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er ausschließlich dort. Er machte sich auch einen Namen als Mäzen, obwohl er weder besonders begabt, noch künstlerisch interessiert war. Besonders aktiv trat er als Förderer von katholischen Erbauungsschriften hervor und förderte, wie schon sein Vater, das von Sándor Károlyi gegründete Piaristenkolleg in Nagykároly. Dieses Mäzenatentum passte rundum zum Vermögensstand. Graf Antal lebte schon in einer Zeit der



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Die gräfliche Familie

einsetzenden bürokratischen Registrierung in der „privaten“ Güterverwaltung, sodass wir über seine Vermögensverhältnisse relativ genau Bescheid wissen. Zur Zeit der theresianischen Urbarialregulierung (1767–1774) stellte sich der Anteil der Gräflich-Károlyischen Güter am Besitzstand der Urbarialstellen im Komitat Szatmár folgendermaßen dar:113 Tabelle 2: Anteil der Güter der Grafen Károlyi am Urbarialbesitz im Komitat Szatmár (um 1770) Zahl der Hufen

Fläche der Hufen in Joch

Zahl der Hörigen

Zahl der behausten Söllner

Zahl der unbehausten Söllner

Komitat Szatmár

2,733 460

13 2430

8 158

3 309

733

Graf Antal Károlyi

1,223 875

55 593

3 318

1 110

316

44.8 %

42.0 %

40.7 %

33.5 %

43.1 %

Anteil Károlyi

Mit diesem Besitz übertraf die gräfliche Familie Károlyi alle anderen Gutsbesitzer im Komitat Szatmár um ein Vielfaches. So besaßen die Freiherren Wesselényi, der Größe ihres Gutsbesitzes nach die „zweite Familie“ im Komitat, lediglich ein Zehntel dessen, was die Károlyi ihr Eigen nennen konnten. Selbst wenn man den Gutsbesitz der zehn wohlhabendsten Familien zusammenzählte, belief er sich auf nicht mehr als ein Drittel des Besitzes des Magnaten. Innerhalb der Gruppe des Komitatsadels ragten ihrerseits fünf bis sechs Familien heraus, die man als vergleichweise wohlhabend (bene possessionati) bezeichnete; danach folgte die große Masse des Kleinadels mit unbedeutendem bis minimalem Besitz. Der Verbindung des Grafen Antal mit der Freifrau Josepha Harruckern entstammte erst elf Jahre nach der Hochzeit ein einziges Kind, der 1768 in Wien geborene József. Dieser Graf József Károlyi wurde vom Jahr 1777 an in Vác (Waitzen), in einer nach dem Muster des Wiener Theresianums organisierten Anstalt erzogen.114 Die Briefe an seinen Vater sind in fünf Sprachen verfasst (Latein, 113 Die Angaben stammen aus der bisher unveröffentlichten Dissertation von Zoltán Fónagy, A nemesi birtokviszonyok az úrbérrendezés korában [Adelige Besitzverhältnisse zur Zeit der Urbarialregulierung], Budapest 1997. Für den Einblick in das Manuskript sei Herrn Fónagy an dieser Stelle herzlich gedankt. Das Manuskript befindet sich zur Zeit im Druck: Zoltán Fónagy, A nemesi birtokviszonyok az úrbérrendezés korában [Adelige Besitzverhältnisse zur Zeit der Urbarialregulierung], Budapest 2013, Bd. 2, S. 348–351. 114 Die der Eliteanstalt Theresianum nachempfundene Schule in Vác (Waitzen) ist 1767 auf Betreiben von Kardinal Migazzi aus einem Adelskollegium umgewidmet worden, der

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Deutsch, Ungarisch, Französisch, Italienisch).115 Trotz seiner hervorragenden Sprachkenntnisse und der sonstigen sorgsamen Ausbildung war er ein waschechter Károlyi, denn wirkliche Begeisterung kam in den Briefen immer erst dann auf, wenn es um Reitpferde ging. Mit 13 Jahren bekam er vom Vater das erste Pferd geschenkt, dem weitere folgten. Der sehnlichste Wunsch des 13-jährigen Buben bestand darin, in den Ferien zu Hause sechsspännig mit den väterlichen Grauschimmeln gefahren zu werden, und noch der 23-jährige junge Mann hörte nicht auf, sich in seinen Briefen für Pferde zu begeistern116 (vgl. Abb. 18, S. 83). Im Alter von 16 Jahren bereiste er mit seinem pater praefectus die Güter der Familie, offensichtlich weil sein Vater wünschte, dass er neben akademischen auch konkrete, lebensnahe Kenntnisse gewann.117 Im Zuge dessen erhielt er im Jahr 1788 durch den Vizegespan Ferenc Geöcz vor Ort eine erste praktische Einführung in die Komitatsverwaltung. Die damit verbundenen Anstrengungen darf man sich nicht als besonders aufregend vorstellen; der Unterricht beschränkte sich einige Monate lang auf zwei Vormittage in der Woche.118 Im Jahr 1790, im Alter von 21 Jahren, wurde er als Konzipist bei der Königlichen Statthalterei in Pest eingestellt. Auch hier hielt sich sein Arbeitspensum in Grenzen, denn der Dienst beschränkte sich auf die Zeit von 9 Uhr morgens bis zum Mittag. Immerhin erhielt er in den drei Jahren bis 1793 einen gewissen Einblick in die Verwaltungspraxis.119 Graf József Károlyi ehelichte 1789 Elisabeth Gräfin Waldstein-Wartenberg, deren Familie aus Böhmen stammte, aber auch in Ungarn begütert war. Aus der Ehe entsprossen insgesamt sieben Kinder, die allesamt in Wien bzw. Penzing geboren wurden, wo das Paar wohnte. In diesen Jahren war sein Vater, Graf Antal, schon dauerhaft erkrankt. Zwar besuchte der junge Graf József bisweilen die Fa-

115

116 117 118 119

Lehrgang war identisch mit dem von Wien, vgl. Olga Khavanova, Elite Education and Politics: Hungarian Nobles at the Viennese Theresianum in the Eighteenth Century, in: Sic Itur ad Astra XII (2000), Nr. 4, S. 77–90. MOL Archiv der Familie Károlyi, P 398 Missiles, Briefe von József Károlyi an seinen Vater aus Vác (Waitzen), 21. Nov. 1777–30. März 1784. Sie wurden analysiert von Olga Khavanova, Born or brought up, to be a Hungarian aristocrat? Count Antal Károlyi educates his son József, in: Gabriele Haug-Moritz/Hans-Peter Hye/Marlies Raffle (Hg.), Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, Wien 2009, S. 73–88. MOL P 398, Nr. 35064, Brief von József Károlyi an seinen Vater, Vác, 29. Juli 1781. Ebd., Nr. 35089, Brief von József Károlyi an seinen Vater, Vác, 16. Juli 1784. MOL P 398, Nr. 35107–35109, Briefe von József Károlyi an seinen Vater, Nagykároly 4., 8. und 18. August 1788. Ebd. Nr. 20064, Brief von Ferenc Geöcz an Graf Antal Károlyi, Nagykároly, 8. Aug. 1788. MOL P 398, Nr. 35157, Brief von József Károlyi an seinen Vater, Pest, 30. April 1791. Graf József diente 1790–91 als Konzipist, dann 1791–93 als Sekretär der Behörde, vgl.: Ember, A M. Kir. Helytartótanács, S. 206, 210.



Die gräfliche Familie

93

miliengüter im Komitat Szatmár und machte Vorschläge zu deren Verbesserung, die Verwaltung der Güter übernahm er jedoch erst im Oktober 1792 nach dem Tod des Vaters und nach Erreichen der Volljährigkeit.120 Graf József Károlyi nahm an dem als Reaktion auf den Josephinismus einsetzenden Aufschwung des politischen Lebens in Ungarn teil, auch an dem Versuch, eigene ständisch-nationale Truppenteile zu organisieren.121 Er gehörte zu den Förderern des Projekts für ein Nationaltheater in Pest, doch wohnte er weiterhin in Wien.122 Graf József starb schon 1803, angeblich in einem Duell. Seine Witwe heiratete im Jahr 1807 noch ein zweites Mal, starb aber bereits 1813. Die Geschichte der vier Generationen der Grafen Károlyi im 18. Jahrhundert weist eine charakteristische räumliche Tendenz auf. Will man sich ein Bild davon machen, wo sich das Familienleben jeweils abspielte, so liefern die Schauplätze der zentralen Ereignisse – der Geburten, Todesfälle und Eheschließungen – hervorragende Hinweise. Die räumliche Verteilung dieser Ereignisse in der Familie Károlyi zwischen 1700 und 1849 stellt sich folgendermaßen dar123:

120 Pettkó/Éble, A nagy-károlyi gróf Károlyi család, Bd. II, Anhang, S. 243–244. 121 MOL P 398, Nr. 35141–35142, Briefe von József Károlyi an seinen Vater, Pest, 28. Februar und 27. März 1790, Nr. 35146, Pest, 15. Mai 1790. 122 Über die Bewegung und Sammlung zugunsten des Nationaltheaters siehe Ferenc Kerényi, Pest vármegye irodalmi élete (1790–1867) [Das Literaturleben im Komitat Pest (1790–1867)], Budapest 2002, S. 90–99; zur Rolle von Szatmár und Károlyi S. 97–99. 123 Quelle: Éble, Károlyi család, Anhang, Tab. II. Bei Geburten wurde, wenn bekannt, der Geburtsort, nicht der Taufort aufgenommen, bei den Todesfällen ebenfalls der Sterbeort, nicht der Begräbnisort. Geburten und Todesfälle, wenn sie weniger als drei Monate auseinanderlagen, sind nicht gesondert gezählt worden. Als „Familie“ wurde die männliche Linie betrachtet inkl. Geburts-, Eheschließungs- und Todesorte der jeweiligen Töchter einer Generation, nicht aber die Orte, wo sie ihrerseits Kinder zur Welt gebracht haben.

94

Der Schauplatz und die Akteure

Tabelle 3: Räumliche Streuung der Familienereignisse der Károlyi Orte der Geburten, Todesfälle und Hochzeiten

1700– 1730– 1760– 1790– 1820– 1729 1759 1789 1819 1849

Geburten in Olcsva, Nagykároly, Erdőd

3

6

0

0

0

Todesfälle in Olcsva, Nagykároly, Erdőd

2

4

0

0

0

Hochzeiten in Olcsva, Nagykároly, Erdőd

0

2

0

0

0

I. Alle Ereignisse (Stammgüter)

5

12

0

0

0

Geburten, andere Güter in NO-Ungarn

0

0

0

0

0

Todesfälle, andere Güter in NO-Ungarn

1

0

0

0

0

Hochzeiten, andere Güter in NO-Ungarn

0

0

0

0

0

Geburten und Todesfälle an unbekannten Orten, vermutlich NO-Ungarn

4

0

0

0

0

II. Alle Ereignisse (NO-Ungarn, sonstige Güter)

5

0

0

0

0

Geburten in Buda, Pest oder Preßburg

0

0

0

1

6

Todesfälle in Buda, Pest oder Preßburg

0

1

0

1

1

Hochzeiten in Buda, Pest oder Preßburg

0

0

0

0

1

Geburten anderswo in Ungarn

0

0

0

0

0

Todesfälle anderswo in Ungarn

0

1

1

0

1

Hochzeiten anderswo in Ungarn

2

1

0

2

0

III. Alle Ereignisse (Ungarn jenseits NOUngarn)

2

3

1

4

9

Geburten in Wien und Penzing

0

0

0

7

4

Todesfälle in Wien und Penzing

0

0

0

4

0

Hochzeiten in Wien und Penzing

0

0

1

0

3

IV. Alle Ereignisse (Wien und Penzing)

0

0

1

11

7

Paris

0

0

0

0

3

andernorts in Europa

0

0

0

0

3

unbekannter Ort

0

0

0

0

2

12

15

2

15

16

V. Alle Ereignisse, alle Orte

NO-Ungarn: In den Komitaten Bereg, Szatmár, Szabolcs, Ung, Ugocsa, Bihar lagen die Stammgüter und bedeutendsten Schlösser der Familie zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Besitz Fót wurde erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts erworben, wegen seiner räumlichen Nähe zu Pest gerechnet.



Die gräfliche Familie

95

In die Verteilung gehen zwar auch einige biografische Zufälle ein, insgesamt zeigt die Tabelle jedoch eine deutliche Tendenz. Seit dem Tod des Grafen Ferenc im Jahr 1758 gab es niemanden in der Familie Károlyi, der auch nur in der Nähe der eigenen Besitzungen im nordöstlichen Ungarn gestorben oder geboren worden wäre. Die nach 1720 neu erworbenen Besitzungen spielten im Familienleben offenbar sowieso kaum eine Rolle; dort trugen sich nur drei familiäre Ereignisse zu. Betrachtet man die Geburten gesondert, fällt auf, dass sie sich häufiger als Sterbefälle und Hochzeiten auf den eigenen Gütern ereigneten, die Frauen suchten dort wohl Geborgenheit und Sicherheit. So gesehen tritt die Verlagerung des Aufenthaltsortes der Familie Károlyi nach Wien in der Zeit nach 1790 noch eindeutiger zutage, denn seither wurden fast alle Kinder dort geboren. In Wien machten die Károlyi demnach nicht nur Karriere, sie fanden dort auch ihren Lebensmittelpunkt. Eine weitere Wende lässt sich ab den 1820er Jahren beobachten. Nun spielte sich das Familienleben an mehreren Schauplätzen zugleich ab – einerseits in den aufblühenden ungarischen Zentren Pest und Buda, andererseits immer noch in Wien, später trat Paris hinzu.124 Ganz anders verhielten sich die Adeligen im Komitat, die weiterhin in den Ortschaften lebten und starben, in denen ihre Besitzungen lagen. Ihre Beziehungen zu Verwandten, auch entfernte Vettern und Cousinen mitgezählt, umspannte nicht mehr als das Komitat Szatmár und eventuell angrenzende Teile der Nachbarkomitate.125 Während die Aristokraten, gestützt auf steigende Einkommen und angezogen vom Glanz des Wiener Hofes und der bewussten Integrationspolitik Maria Theresias, ihren Lebensmittelpunkt zunächst nach Wien verlagerten, in der nächsten Generation zum Teil nach Paris, blieben ihre ehemaligen Nachbarn aus dem Komitatsadel in Krähwinkel. Damit ergibt sich die Frage, ob das Familienleben der Großgrundbesitzer fern der Heimat zugleich bedeutete, dass sie das Interesse an ihren Gütern und am politischen Leben ihrer Heimatregion verloren? Die Antwort fällt je nach Generation unterschiedlich aus, von einem allgemeinen Desinteresse kann allerdings keine Rede sein. Man versuchte, trotz der Entfernung zwischen dem Wohnort in den Metropolen und den Gütern in der Heimatprovinz, mit der eigenen Machtbasis in Kontakt zu bleiben. 124 Zu diesem Wandel der Schauplätze vgl. András Vári, Güter und Grafen. Die Großgrundbesitzer Ungarns im Spannungsfeld zwischen der höfischen Gesellschaft und den eigenen Herrschaftsbereichen 1740–1848, in: Ivo Cerman/Luboš Velek (Hg.), Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne, München 2009, S. 267–283. 125 Szíjártó, Relatives and Miles, S.  141–162. Szíjártó hat die räumliche Verteilung von drei Schichten von Adeligen anhand von Stichproben untersucht.

III.  Die Herrschaftspraxis im Komitat und in der privaten Güterverwaltung während der Zeit des Wiederaufbaus Die Verwaltung des gewaltigen Gutsbesitzes wurde durch eine eigene Privatbürokratie der gräflichen Familie gewährleistet. Die Güterverwaltung bildete aber nur eine Säule der Magnatenmacht im Komitat; hinzu kam eine Schar von Helfern und Vertrauensleuten aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen. Im folgenden Kapitel wollen wir darlegen, wie sich der personelle Unterbau der unmittelbaren Macht und der indirekten Einflussnahme im Komitat Szatmár zu Lebzeiten des Grafen Sándor Károlyi in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte.

III. 1  Der Eintritt in den Dienst des Magnaten Eintritt in den Dienst – das suggeriert die Eindeutigkeit eines diensttuenden Corps von Amtsträgern, doch davon kann im Falle der Dienerschaft des Sándor Károlyi zunächst gar keine Rede sein. Wegen der Kriegsläufte, auch wegen ihrer zunächst viel zu schmalen Einkommensbasis, verfügten die Károlyi im frühen 18. Jahrhundert keineswegs über eine prächtige Hofhaltung mit adliger Gefolgschaft, die den Vergleich mit den transdanubischen Magnaten wie den Batthyány ausgehalten hätte.1 Das galt sogar noch für die 1730er Jahre, als die Besitzungen der gräflichen Familie sprunghaft expandierten. Man unterhielt zwar den Herrschaftssitz in Nagykároly, aber keinen wirklichen Hofstaat. Auch die Frage, wer eigentlich im Dienst des Grafen Károlyi stand, ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Zwar war es durchaus üblich, Anstellungsbriefe (conventionales) für Bedienstete auszustellen, vor allem um deren Bezüge zu benennen. Man sollte meinen, dass auf dieser Quellenbasis der gesamte Stand des gräflichen Personals zu rekonstruieren wäre. Das ist jedoch keineswegs der Fall, weil dazu auch viele Personen zählten, die wir als Klienten bezeichnen. Die Schar der mit Bestallungsurkunden versehenen, fest besoldeten Bediensteten des Gra1 Vgl. János J. Varga, Szervitorok katonai szolgálata; Vera Zimányi, Privatheere der Großgrundbesitzer und Gutsherren im XVI. und XVII. Jahrhundert (am Beispiel der Batthyány), Eisenstadt 1984.



Der Eintritt in den Dienst des Magnaten

97

fen war nicht identisch mit dem Netz seiner Klienten. Es versteht sich von selbst, dass weder die herrschaftlichen Trabanten, noch die einfachen Verwalter der herrschaftlichen Vorwerke als Klienten anzusehen sind, geschweige denn die Stall- und Laufburschen. Bei Klienten denkt man zunächst eher an auswärtige Helfer, an Unterstützer, die ohne formale Anstellung und ohne regelmäßige Bezüge informell ihre Dienste verrichten. Doch auch bestimmte Personen im offiziellen herrschaftlichen Dienst sollen als Klienten bezeichnet werden, wenn folgende Bedingungen zutreffen: Die Aufgaben eines Amtsträgers mit Klientenstatus mussten ein besonderes Treueverhältnis voraussetzen, mussten darauf hinweisen, dass der Herr außergewöhnliches Vertrauen zu ihm hegte. Das war dann der Fall, wenn der Beauftragte seinen Herrn in wichtigen persönlichen Angelegenheiten vertrat, so z. B. bei den delikaten Rechtsgeschäften, die mit dem Gütererwerb verbunden waren. Auch ein Hofagent in Wien war beileibe kein einfacher Angestellter. Aber selbst innerhalb der regulären Güterverwaltung gab es besondere Vertrauensstellungen, so z. B. die Tätigkeiten eines exactors, eines Rechnungs- und Wirtschaftsprüfers, der selber letztlich unkontrollierbar war, wenn er irgendwo auf sich allein gestellt die Organisation eines herrschaftlichen Wirtschaftsbetriebs davor bewahrte, auf die schiefe Bahn zu geraten. Zum anderen können die Aufgaben, Pflichten und Dienste eines solchen, als Klienten anzusehenden Bediensteten kaum klar umrissen werden. Entsprechend erschöpfte sich die Belohnung für den Dienst nicht in der Besoldung und im Bezug von Naturalien, wie sie im Anstellungsbrief spezifiziert wurden. Hinzu kamen längerfristige Chancen, Bewährungsaufstieg, wachsendes Prestige, Unterstützung von Angehörigen und langfristig vermehrtes Einkommen. Wir werden mehrere solcher Gestalten kennenlernen, die als mobile Einsatztruppe mal in wirtschaftlichen, mal in öffentlich-politischen, mal in privaten Angelegenheiten des Herren zum Einsatz kamen, und zwar stets auf Aufgabenfeldern, wo der Beauftragte weder kontrolliert, noch hinlänglich instruiert werden konnte, wo er also autonom, aufgrund seines eigenen Ermessens seinen Dienst versah. Die Verbindung zwischen diesen Beauftragten und ihrem Herrn bestand aus geschmeidigen, doch äußerst festen Banden, geknüpft aus den Hoffnungen und Erwartungen der Diener, dass ihre Loyalität und Treue zum Herrn durch langfristigen Schutz und umfassende Förderung der eigenen Familie belohnt werde würden. Wir haben demnach bei den gräflichen Klienten eine recht gemischte Gesellschaft vor uns: Einige standen in einem regelrechten Anstellungsverhältnis, andere erfüllten lediglich zeitlich oder anderswie begrenzte Aufgaben, für noch andere lässt sich gar kein formalisiertes Verhältnis zum Grafen feststellen. Klienten

98

Die Herrschaftspraxis

waren sie gleichwohl allesamt, denn diese Beziehungen waren langfristiger Natur, auf asymmetrische Gegenseitigkeit angelegt, mit der Gewährung unterschiedlich beschaffener, nie klar abzugrenzender Vorteile verbunden, und basierten auf dem Vertrauen, dass diese und eben nur diese Beziehung für beide Seiten von Vorteil sein werde. Diese Definition einer Klientelbeziehung birgt die Gefahr in sich, dass über deren Beschaffenheit in den Quellen kaum direkte Aussagen gefunden werden können. In diesem Buch werden vor allem solche Beauftragte der Károlyi unter die Lupe genommen, deren Tätigkeitsbereiche aufgrund unserer Vorkenntnisse über die Herrschaftsorganisation und die Wirtschaftsbetriebe der Károlyi als besonders problematisch, ja geradezu unkontrollierbar angesehen werden können. Wer waren also die Leute des Sándor Károlyi, woher nahm er sie? Zum einen baute er auf die gemeinsamen Erfahrungen im Kuruzzen-Aufstand, indem er bewusst ergebene alte Kampfgenossen in seine Klientel aufnahm.2 Zum anderen nutzte er seinen politischen Einfluss, um Emigranten begnadigen zu lassen, die ihm nach ihrer Rückkehr in die Heimat entsprechend verpflichtet waren. Weiterhin unterstützte er auch Personen, die zwar nicht emigriert, in Wien aber doch unvorteilhaft aufgefallen waren, die er in ihren Prozessen und Besitzstreitigkeiten vor dem Zugriff der Krone schützte.3 Eine weitere Grundlage konnte auch die Konfessionszugehörigkeit bilden. Sándor Károlyi holte so viele Katholiken ins Komitat, wie er nur konnte. Dort waren sie konfrontiert mit dem calvinistischen Kleinadel, groß an Zahl und kampferprobt, und mit den weitverzweigten Sippen des vermögenden Komitatsadels.4 Die Zugezogenen wurden nicht gerade stürmisch begrüßt von diesen alteingeses2 So kehrten z. B. Gábor Badda und Mátyás Pollereczky aus der Emigration zurück. Vgl. MOL P 398 Korrespondenz von Badda und Pollereczky. Gábor Erős diente ebenfalls zusammen mit Graf Károlyi im Kuruzzenheer. Zu seiner Begnadigung siehe Kapitel VI und Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 136. 3 Károlyi intervenierte beim Rat der freien Bergstadt Besztercebánya wegen des konfiszierten Hauses von Badda, vgl. Emil Jurkovich, Polereczky Mátyás és családja franciaországi ágáról, in: Besztercebánya multjából [Aus der Vergangenheit von Neusohl], Besztercebánya o. J., S. 3–55, insb. S. 5–22. György Becsky bat den Grafen ebenfalls um Hilfe in einer drohenden Auseinandersetzung mit der Wiener Neoaquistica Commissio, die nach der Befreiung von den Türken die Rechtmäßigkeit der alten Besitztitel zu überprüfen hatte: MOL P 398, Nr. 5757 und Nr. 5763, Briefe von György Becsky an Graf Sándor Károlyi, 10. Nov. 1736 bzw. 5. März 1735. 4 Die intimen Briefe von Graf Károlyi an seine Frau verdeutlichen sowohl seinen tiefen Glauben, mit dem er sich in Schicksalschläge fügte, wie auch die emsigen, umtriebigen Alltagsanstrengungen, die katholische Kirche in großen wie in kleinen Dingen zu stärken. Vgl. Ágnes Kovács (Hg.), Károlyi Sándor levelei feleségéhez (1704–1724) [Die Briefe von Sándor Károlyi an seine Frau (1704–1724)], 2 Bde., Debrecen 1994.



Der Eintritt in den Dienst des Magnaten

99

senen reformierten Adelsfamilien. Angesichts des Sieges der Habsburger über die Kuruzzen mussten die zugezogenen katholischen Familien zwar keinen offenen Widerstand befürchten, aber die Abneigung, die ihnen entgegenschlug, mag dazu beigetragen haben, dass sie sich bereitwillig um ihren Schutzherren Károlyi scharten. Der konfessionelle Hintergrund ist für die adelsinternen Konflikte unseres Erachtens zwar wesentlich, aber in den Quellen äußerst schwierig nachzuweisen. Denn mit einer entschieden gegenreformatorischen Dynastie im Rücken waren katholische Familien qua Konfession geschützt, und aus der Unzahl der Konfliktgründe in „normalen“ Auseinandersetzungen unter Adelssippen den konfessionellen Faktor herauszufiltern ist unmöglich. Die Valenz dieses Erklärungsfaktors ist außerdem stark abhängig vom Zeitpunkt des Konflikts. Schon bald, bereits in den 1730er und 1740er Jahren, wuchs die Gruppe der katholischen Adligen an Zahl und Bedeutung so sehr, dass sie des Schutzes nicht mehr bedurfte. Die Maßnahmen Maria Theresias, die reformierte Hochschule in der Stadt Szatmár aufzulösen und der fast ganz protestantischen Stadt die paritätische Repräsentation von Katholiken aufzuzwingen, taten ein Übriges. Die Dominanz der Reformierten in der Stadtöffentlichkeit wurde dadurch gebrochen.5 Zu einer Anstellung im Dienst der Károlyi kam man auf die zeitübliche Weise: Entweder stand der Vater oder ein anderes Familienmitglied bereits in gräflichen Diensten oder – seltener – man wurde durch andere Herrschaften empfohlen.6 In die besondere Position eines Klienten gelangte man nicht im Rahmen eines formellen Verfahrens oder eines Ritus. Niemand wurde feierlich als Klient angenommen, dafür gab es keine Formensprache. Vielmehr führte der Weg entweder über den regulären Dienst, in dem man herausragende Geschicklichkeit und Loyalität bewies. Oder der junge X oder Y erledigte eine Aufgabe unentgeltlich, vielleicht ermuntert vom Magnaten, aber ohne dessen ausdrücklichen Befehl, und legte da-

5 Die Amtsträger des Komitats waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fast alle Katholiken, aber dies spiegelt nicht die Zusammensetzung des regionalen Adels wieder, sondern den politischen Druck aus Wien. Zur reformierten Hochschule von Szatmár und zu den Maßnahmen der Krone gegenüber der Stadtverwaltung siehe Kapitel V, sowie Sarkadi Nagy, Szatmár-Németi, S. 182–183; Kálmán Hegymegi Kiss, A szatmári református egyházmegye története [Geschichte der reformierten Diözese von Szatmár], Kecskemét 1878, S. 793–794. 6 Vgl. Brief von Sándor Károlyi an Krisztina Barkóczy, Pressburg, 16. Juni 1712. „Ich habe auch einen Wirtschaftsbeamten geschickt, der ein Diener von meinem Herrn Miklós Pálfi war, kann man ihn irgendwo verwenden“. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. I, S. 160.

100

Die Herrschaftspraxis

mit eine Kostprobe seiner Brauchbarkeit ab.7 Diese Vorstufe wird in der Literatur zu Klientelverhältnissen manchmal auch als Investition bezeichnet. Nach wiederholten Diensten solcher Art wurde eine Person auch von der sozialen Umgebung als einer der Leute des Grafen Károlyi angesehen. So war der junge lutherische Anwalt Sándor Gáspár mindestens seit 1732 dem Grafen Károlyi in ziemlich verfänglichen Angelegenheiten zu Diensten gewesen, hatte ihm z. B. beim Aufspüren potentieller Kreditgeber geholfen, ehe er sich im Oktober 1735 an Sándor Károlyi als seinen „huldvollen Patron“ wendete, mit der Bitte, er möge ihn auch künftig bei juristischen Angelegenheiten einsetzen und durch solche Aufträge „trösten“.8 Der Korrespondenz nach zu urteilen wurde er danach fast ständig durch entsprechende Aufträge „getröstet“, charakteristischerweise findet sich jedoch keine Spur einer förmlichen Anstellung. Es gab also weder für den regulären Dienst in der gräflichen Güterverwaltung noch für die Klientenrolle einen systematischen Vorbereitungsdienst oder eine Probezeit. Doch aus den Briefen von Károlyi an seine Frau ist ersichtlich, wie beständig und energisch er danach trachtete, brauchbare Leute zu finden und an sich zu binden – dies ist eines der Hauptthemen ihrer Korrespondenz. Es stellt sich die Frage, aus welchen Kreisen dieses Personal rekrutiert wurde. Über die Klienten lassen sich keine allgemeinen Angaben machen, wohl aber über den Kreis der Bediensteten in der Güterverwaltung, die erstaunlicherweise nicht ausschließlich dem Adel entstammten. Während des 18. Jahrhunderts gab es darunter sogar zahlreiche Personen, die nachweislich bäuerlicher Abstammung waren. Solche Familien brachten zum Teil mehrere Generationen von Wirtschaftsbeamten hervor.9 Im Komitatsdienst war es zwar per definitionem unmöglich, 7 Vgl. András Vári, Gnade und Kontrakt. Die Emanzipationsbestrebungen der Herrschaftsbeamten auf dem ungarischen Großgrundbesitz im 19. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 5 (1997), Nr. 2, S. 187–211. 8 MOL P 398, Nr. 19428, Brief von Sándor Gáspár an Graf Sándor Károlyi, 5. Okt. 1735. 9 So z. B. die bäuerliche Familie Mede. András Mede, oeconomicus, erwähnt schon Badda in seinen Briefen an Graf Sándor Károlyi vom 6. Febr. 1734 und vom 16. Okt. 1734 (MOL P 398, Nr. 2206 und Nr. 2210). Ein István Mede war 1741–1744 secretarius des Grafen Károlyi. András Mede war 1760 Hofrichter der Herrschaft Nyírbátor. Den Aufstieg vollzog dann Ferenc Mede, er war perceptor für den gesamten Nagykárolyer Herrschaftsbezirk, rückte also auf den 4. oder 5. Platz in der bürokratischen Hierarchie der Güterverwaltung auf. Er wurde 1751 manumittiert, 1755 geadelt, erhielt zwei Hufen als Pfandbesitz (inscriptio) in der Mediatstadt Nagykároly, 1775 Befreiung vom Weinzehnt für seine Reben auf dem Weinberg in Peér. Zu seinem Pfandbesitz in der Mediatstadt gehörten etwa 62 ha Acker und Wiese, der Wert der Meliorationen des Grundes und des städtischen Hauses wurde im Jahre 1802 auf 3  028 Rheinische Gulden geschätzt. Die Schätzung wurde vorgenommen, weil die Herrschaft in Begriff war, den Pfandbesitz wieder einzulösen. Die



Der Eintritt in den Dienst des Magnaten

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dass ein Nichtadeliger eine führende Position einnahm, aber im Einzelfall verfuhr man erstaunlich weitherzig: Ferenc Geöcz war erst 1765 nobilitiert worden, wurde aber bereits 1771 zum Stuhlrichter innerhalb dieser adligen Selbstverwaltung gewählt, 1787 stieg er sogar zum Vizegespan des Komitats auf.10 Der Schlüssel zu seiner Karriere lag in seiner Stellung als Sekretär des Grafen Antal Károlyi. Ähnlich gelagert war der Fall des Márton Szuhányi, Vertrauter des Grafen Sándor Károlyi und Erzieher seines Sohnes Ferenc, der erst 1715 einen Adelsbrief erhielt, aber schon im Jahre 1718 zum Komitatsnotar gewählt wurde.11 Das Knüpfen eines Klientelnetzwerkes lässt sich gut illustrieren mit den Versuchen von Sándor Károlyi, Angehörige einer Familie aus dem Exil in Polen mit kaiserlicher Amnestie nach Hause zu holen, um deren Fertigkeiten und Talente künftig zu nutzen. Mátyás Pollereczky stammte wohl aus einer ärmlichen Adelsfamilie des nördlichen Komitates Túróc. Er heiratete im Jahr 1696 die Tuchhändlerwitwe Badda aus der reichen Bergbaustadt Besztercebánya (deutsch: Neusohl) und siedelte dorthin über.12 Er übernahm das Geschäft der Witwe, konnte jedoch ausstehende Forderungen nicht eintreiben. Während seine Schulden bestehen blieben, geriet er deshalb im April 1702 in Konkurs und kam ins Gefängnis.13 Nach einem Jahr wurde er auf eigenes Ansuchen hin freigelassen und bekam sogar eine Stelle im Dienst der Stadt Neusohl.14 Nachdem im August 1703 der Aufstand ausgebrochen war, wurde er im Auftrag der Stadt auf Kundschafterreise geschickt. Er

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Karriere des Beamten ging jedoch 1787 mit Zahlungsrückständen von mehreren Tausend Rh. Gulden jäh zu Ende. MOL P 392, Lad. 8, No. 183–195; MOL P 1531 Nagykárolyi (kerületi) ügyészi hivatal [Prokuratur des Bezirks Nagykároly], No. 869, 1644; MOL P 407 Titoknoki hivatal [Sekretariat], No. 533, 840, 956. Vgl. den Artikel „Geötz“ in Iván Nagy, Magyarország családjai [Familien Ungarns], Bd. II., Pest 1858, S. 364–365, und Béla Kempelen, Magyar nemes családok [Ungarische adelige Familien], Bd. IV, Budapest 1912, S. 292. Vor der Verleihung eines Adelsbiefes 1765 war Ferenc Geöcz Sekretär beim Grafen Antal Károlyi, über seine Familie ist vor diesem Zeitpunkt nichts bekannt. Vgl. MOL A 57, Libri regii, Bd. 47. S. 329, 330, 331. Die Verleihung des Adelsbriefes durch König Karl III. (VI.) am 30. März 1715. MOL A 57, Libri regii, Bd. XXXII/48. Emil Jurkovich, Pollereczky Mátyás és családja franciaországi ágáról [Über den Zweig der Familie von Mátyás Pollereczky in Frankreich], in: Történeti tárczák, Besztercebánya o. J., S. 3–55, über seine Ankunft in Besztercebánya S. 5–6. Er stammte aus Mosóc (Mošovce), Komitat Turóc. Vladimír Segeš, Tri generácie Polereckovcov v službach boha Marsa [Drei Generationen der Familie Pollereczký im Dienste des Gottes Mars], in: Zemianstvo na Slovensku v novoveku. Bd. I. : Postavenie a majetky zemianskych rodov, Martin 2009, S. 81–91, hier S. 89. Ebd., S. 12–14. Ebd., S. 14.

102

Die Herrschaftspraxis

trat in das Kuruzzen-Heer ein, zunächst als Leutnant im Regiment des Oberkapitäns der Bergbaustädte, János Sréter, später als Oberinspektor der Artillerie.15 Seine sequestrierten Güter bekam er auf Befehl des Heerführers Bercsényi wieder, scheint also bei den Aufständischen bestens Fuß gefasst zu haben.16 In den Jahren der Kämpfe verliert sich seine Spur. Der Friedensschluss von 1711 gewährte den Aufständischen eine sechswöchige Frist, den Treueeid auf den Kaiser zu leisten, danach wurden sie als störrische Rebellen behandelt, es winkten Güterverlust und Todesstrafe. Diejenige, die sich nicht beugen wollten, emigrierten gleich nach der Kapitulation nach Polen, so auch Sréter und Pollereczky.17 Von dort wurde er nach mehr als zehn Jahren durch Sándor Károlyi nach Hause geholt. Warum? Wahrscheinlich kannte ihn der Graf aus der gemeinsamen Kampfzeit bei den Kuruzzen, vielleicht brachte Mátyás Pollereczky auch technische Kenntnisse und Fertigkeiten mit, die er entweder in Neusohl oder später erworben hatte. Das liegt insofern nahe, als Graf Károlyi trotz rasanter Verschuldung in den 1720er Jahren Hüttenwerke aufbaute, entsprechende Anlagen kaufte und dafür technische Experten suchte.18 Obwohl es verboten und gefährlich war, korrespondierte der Graf mit Emigranten in Polen, wo er die entsprechenden Leute zu finden hoffte.19 Zuerst kamen der Stiefsohn von Mátyás Pollereczky, Gábor Badda, kurz darauf der jüngere leibliche Sohn, András Pollereczky, dann seine Ehefrau und schließlich er selbst. Warum sie zurückkehrten, ist nicht ganz klar, zumal es von András Pollereczky hieß, er habe eine Zeit lang am polnischen Hof gedient.20 Die Rückkehr dieser Familie aus dem polnischen Exil erforderte jedenfalls eine ganze Kette zusammenhängender Maßnahmen. Zunächst musste eine provisorische Erlaubnis der Wiener Hofstellen erwirkt, daraufhin ein Pass für die Einreise ausgestellt werden, damit die Heimkehrenden nicht vom erstbesten Garnisonskommandanten als gesuchte Rebellen festgenommen wurden. Erst danach konnten sie die Reise antreten und zuguterletzt den Treueeid vor der Komitatsversammlung ablegen. Bei jedem Schritt konnten unerwartete Hindernisse auf15 Ebd., S. 15–16. 16 Ebd., S. 18. 17 Béla Köpeczi/Ágnes R. Várkonyi (Hg.), Rákóczi tükör [Rákóczi-Spiegel], Bd. II. Budapest 1973, S. 571. Vgl. ,Sréter János‘ in: Magyar Életrajzi Lexikon, Bd. II. 18 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 322. Das Thema taucht in der Korrespondenz wiederholt auf, es kann jedoch nicht festgestellt werden, ob eine Hütte bereits vor dem Winter 1722/23 errichtet wurde. 19 Vgl. Brief von Károlyi an Sámuel Visky, 1. Juli 1721. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 342. 20 MOL P 398, Nr. 01925, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, 22. März 1722.



Der Eintritt in den Dienst des Magnaten

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treten, zumal Emigranten ihre eigene Sache beim Wiener Hof nur mit minimalen Aussichten auf Erfolg betreiben konnten. So war der zuerst heimgekehrte Gábor Badda genötigt, sich nicht nur bei Graf Károlyi, sondern auch bei dessen Sekretären in Erinnerung zu bringen und für die Zukunft seine Dienste anzubieten.21 Eine Woche nachdem sich Badda bei Károlyi für den Pass seines Stiefbruders bedankt und zwei Wochen Urlaub erbeten hatte, um das Dokument seinem Bruder nach Polen zu bringen und seine Schwester über die Grenze nach Ungarn zu begleiten, geriet die ganze Angelegenheit in eine tiefe Krise.22 Dieser Stiefbruder, András Pollereczky, war nämlich bereits ohne Pass aus Polen zurückgekehrt. Physisch war es demnach möglich, auch ohne offizielle Dokumente die Grenze zu überqueren – jedenfalls, wenn man auf seine Güter und seine Stellung als Adliger verzichtete und bereit war, in mehr oder weniger geduckter, unauffälliger Haltung sein Leben zu fristen. Für den patronus Károlyi barg dieses unvorsichtige Verhalten erhebliche Gefahren, denn er konnte dadurch unversehens gegenüber der Krone als illoyal erscheinen. Deshalb schrieb er an seine Frau, dass der junge Pollereczky auf der Stelle aufhören solle, eigenmächtig Reisen von Polen nach Ungarn zu unternehmen, ja selbst die Korrespondenz nach Polen solle sofort eingestellt werden.23 Das riskante Verhalten des jüngsten Mitglieds der Familie PollereczkyBadda hatte vermutlich mit deren Besitzverhältnissen zu tun. Einerseits hatte man in Polen Besitz erworben, andererseits versuchte man, die vor Jahren konfiszierten Vermögensanteile in Ungarn zurück zu bekommen. So fuhr auch die Mutter von Gábor Badda in ihre Geburtsstadt, um dort ihre Vermögensansprüche geltend zu machen, kehrte dann aber noch einmal nach Polen zurück.24 Was veranlasste Graf Károlyi trotz solcher Unwägbarkeiten zugunsten dieser Familie mehrfach zu intervenieren? Er hoffte, von den Kenntnissen dieser Personen zu profitieren, die von ihm abhängig waren, sodass er meinte, auch auf ihre Verlässlichkeit zählen zu können. So wurde Gábor Badda nur wenige Monate nach seiner Rückkehr mit der Abwicklung der Beurkundung der statutio beauftragt: In 21 MOL P 398, Nr. 01926 und 01927, Briefe von Gábor Badda an János Jasztrabszky, Olcsva, 18. und 19. Febr. 1721. 22 MOL P 398, Nr. 01930, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Kolozsvár, 6. Mai 1721. 23 Brief von Sándor Károlyi an seine Frau, 17. Mai 1721. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 332. 24 Während im Mai von Baddas Mutter berichtet wurde, sie sei schon in Ungarn angekommen, schreibt ihr Mann, Pollereczky, jedoch im Dezember, wenn er nach Ungarn aufbreche, müsse seine arme kranke Frau auf seinem Gut in Polen zurückbleiben. MOL P 389, Nr. 59549, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 22. Dez. 1721. In der Zwischenzeit hätte seine Ehefrau durchaus nach Polen zurückkehren können.

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Beisein von Vertretern der kirchlichen loca authentica et credibilia, die traditionell als Beglaubigungsorgane wirkten, musste jede Inbesitznahme durchgeführt werden. Proteste bei diesen rituellen Handlungen hatten unabsehbare Rechtsfolgen, eine heikle Sache also.25 Károlyi war mit Badda sehr zufrieden.26 Im vollen Bewusstsein, seinem patronus einen wertvollen Dienst erwiesen zu haben, bat Gábor Badda im Mai 1721 den Grafen um Unterstützung bei der Rückgewinnung seines väterlichen Erbes, eines Hauses in Besztercebánya, das unter Sequestrierung stand.27 Im Dezember 1721 meldete sich auch sein Stiefvater, der alte Pollereczky. Im besten Kanzleistil bedankte er sich bei Károlyi für das beim Kriegsrat bereitstehende Begnadigungsschreiben des Kaisers. Er stellte aber auch klar, dass er darauf nicht angewiesen war, denn er habe in Polen einige Güter erworben. Sein Stiefsohn Gábor Badda habe ihm jedoch zugeredet, die gratia zu akzeptieren. Hinzu komme, dass er und seine Frau lieber in der Heimat als in der Fremde sterben würden. Freilich erbat er die Erlaubnis, nach seiner Rückkehr und dem Ablegen des Treueeides noch einmal nach Polen zurückkehren zu dürfen wegen der „dispositio“ über seine „geringen Güter“. In den folgenden zwei Jahren blieb die Angelegenheit in der Schwebe, obwohl Sándor Károlyi ungeduldig auf Mátyás Pollereczky wartete. Zum einen versuchte der Emigrant, seine polnischen Vermögensbestandteile zu bewahren, zum anderen die Verwaltungsgebühren für die Ausstellung der Pässe und der Begnadigungsschreiben auf den Grafen abzuwälzen.28 Unklar ist, ob Pollereczky wirklich in aktuellen finanziellen Nöten steckte oder ob er doch eher wohlhabend war. Es 25 MOL P 398, Nr. 01928, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Olcsva, 3. Apr. 1721. Bei der statutio waren eine Menge Formalitäten zu beachten, deren Fehlen die eigenen Rechtsansprüche hätten tangieren und schlimmstenfalls entkräften können. Die Protokollierung hätte auch verschleppt werden können, wenn man die zuständigen Notare nicht entsprechend beschenkte. 26 „Mit Badda bin ich zufrieden, wenn ich nur seinen Vater [aus Polen] herausholen könnte, wäre ich imstande, mich und dich mein Herz, noch mehr zufrieden zu stellen.“ Brief von Sándor Károlyi, Bátorkeszi, 22. Mai 1722. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 368. 27 MOL P 398, Nr. 01930, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Kolozsvár, 6. Mai 1721. Badda ersucht seinen Herren um Unterstützung in Bezug auf sein „Haus in Beszterce und seine Pertinenzen“, d. h. dazugehörigen Grundstücke, doch Details erfährt man nicht. 28 MOL P 398, Nr. 01932, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 28. Apr. 1722. „Wenn sein Pass durch die interpositio und patrocinium ihrer Exzellenz resolviert wird, geruhe er auch dem Kommandanten in Munkács zu schreiben, dass er in Frieden passieren möge“. Weiter Nr. 01935, Zöldvár, 24. Aug. 1722. Hier argumentiert Badda, dass er die Taxa nicht bezahlen könne, es sei denn, er verkaufe seine Pferde. D. h. nach anderthalb Jahren hatte er schon kleinere Summen akkumuliert.



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kann sein, dass seine angebliche Unfähigkeit die Gebühren zu begleichen, eine Inszenierung war, mit der er seine starke Position dem Magnaten gegenüber demonstrierte.29 Wie auch immer, Pollereczky kehrte erst ein Jahr später nach Ungarn zurück; im Oktober 1722 legte er den Treueeid vor dem Komitat ab. Damit waren die Probleme aber immer noch nicht behoben, denn er kehrte – vermutlich ohne Genehmigung des Kriegsrats in Wien und ohne den Grafen darüber zu informieren – nach Polen zurück, um nach seinen dortigen Gütern zu sehen. Diese Reise wurde publik und er war genötigt, im Mai 1723 einen unterwürfigen Brief an Károlyi zu schicken, in dem er sich damit entschuldigte, dass er geglaubt habe, nur kurze Zeit nach Polen zu müssen. Doch sei aus dieser Stippvisite unversehens ein längerer Aufenthalt geworden, denn sein polnisches Gut werde ihm aufgrund von Machenschaften („sinistra“) entzogen. Zweimal sei er an den Hof in Warschau geeilt, zweimal seien Kommissionen entsandt worden, aber ohne Ergebnis. Nun sei ein dritter Untersuchungsausschuss in Aussicht gestellt. Schließlich wagte es Mátyás Pollereczky nicht, das Ergebnis dieser Untersuchung abzuwarten, sondern eilte mit namhaftem Schaden nach Szatmár zurück.30 Graf Károlyi kommentierte die Angelegenheit in seinen Briefen mit wachsender Bestürzung, weil er befürchten musste, dadurch selbst in Schwierigkeiten zu geraten.31 Überwiegend gestaltete sich die Gewinnung eines neuen Klienten für den gräflichen Dienst jedoch weit weniger dramatisch. Mancher Neuzugang erfolgte kaum merklich. Wenn zum Beispiel ein Stuhlrichter in einem entlegenen Bezirk dem Grafen Károlyi stets mit besonderem Eifer zu Diensten war, konnte er ganz allmählich in den inneren Kreis der Vertrauten einrücken. Auch für die spätere Zeit am Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich die Situation, in der ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Magnaten und einem Klienten entstand, nirgends genau rekonstruieren, nicht einmal im redseligen und schreibwütigen 19. Jahrhundert. Es kann allenfalls vermutet werden, dass diejenigen beruflichen 29 MOL P 389, Nr. 59549, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 22. Dez. 1721. Der Brief ist datiert von „Szkolya“. Dabei wird es sich um die kleine Stadt Skole an der polnischungarischen Grenze handeln. 30 MOL P 389, Nr. 59574, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 1. Mai 1723. Aus dem Brief von Badda an Károlyi datiert vom 30. Apr. 1723 (MOL P 398, Nr. 1953) erfährt man, dass Pollereczky erst am vorherigen Tag aus Polen zurückgekehrt war. Ebenfalls aus dem Brief von Badda an Károlyi datiert vom 1. März 1722. (MOL P 398, Nr. 1949) ist ersichtlich, dass sein Vater zu diesem Zeitpunkt bereits fort war, also mindestens zwei Monate in Polen weilte. 31 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S.  453. Brief von Károlyi an seine Frau Krisztina Barkóczy, Pozsony, 14. März 1723; Bd. II. S. 454, Brief von Károlyi an seine Frau Krisztina Barkóczy, Pozsony, 19. März 1723.

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Stellungen, die der Sache nach ein hohes Maß an Vertrauen voraussetzten, gleichsam als Einstiegsluken in Klientelpositionen funktionierten. Das war beispielsweise im Falle von Anwälten und Notaren der Fall, die in Familienangelegenheiten tätig wurden. Mehr weiß man über den Eintritt in den formellen Dienst innerhalb der gräflichen Güterverwaltung. Denn hier wurde die oben beschriebene Probephase institutionalisiert und ausgebaut; am Ende des 18. Jahrhunderts gab es unterhalb der eigentlichen Beamtenstellen Kanzlisten, Accessisten, Diurnisten und unbesoldete Praktikanten. Obwohl diese weit entfalteten unteren Dienstgrade wie die Flügel einer Reuse hätten funktionieren sollen, die weite soziale Bereiche abschöpften und die Talente in Richtung auf den herrschaftlichen Dienst spülten, war das nur ganz bedingt der Fall. Denn auch in der gräflichen Privatbürokratie bürgerte sich wie im Staatsdienst gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr die Vorstellung einer „graduellen promotio“ ein, wonach Anwärter entsprechend ihrer Wartezeiten periodisch vorrückten und die Söhne von Bediensteten den Vorzug vor allen anderen Bewerbern haben sollten.

III. 2  Die Aufgaben von Klienten und Bediensteten Ältere Abhandlungen geben eine ungefähre Vorstellung davon, was die tägliche Beschäftigunge der Bediensteten ausmachte.32 Auch wenn im frühen 18.  Jahrhundert wegen der Kriege die Güterverwaltung etwas durcheinandergeraten war, so herrschte doch Klarheit über die Aufgaben eines Hofrichters (provisor) oder eines Kastners (frumentarius). Die Aufträge für die Klienten überschnitten sich mit den Aufgaben der regulären Bediensteten, teils, weil sie – wie erwähnt – sowieso zur Gruppe der Herrschaftsbeamten gehörten, teils wegen der herausragenden Bedeutung der wirtschaftlichen Rekonstruktion und aufgrund der ungeheuren Schwierigkeiten, die sich dabei einstellten. Anhand der überlieferten Korrespondenz sind wir in der Lage, die Tätigkeiten der Vertrauensleute in Ansätzen zu erfassen und stellen fest, dass sie erstaunlich umfassend und unspezifisch waren. Die dem Grafen Sándor Károlyi gehorchende Klientel scheint bis zu seinem Tod im Jahre 1744 sowohl die private Herrschaftsverwaltung seiner Güter als auch die Komitatsverwaltung umspannt zu haben, ja sie war die Verwaltung 32 Siehe Ferenc Pethe, Útmutató az uradalmak s uradalmi gazdaságok igazgatása módjára [Anleitung für die Verwaltung von Gütern], in: Tudományos Gyűjtemény, 9 (1819), S. 3–32.



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schlechthin. Es gibt zahlreiche Beispiele, dass Wirtschaftsbeamte von Sándor Károlyi zu Amtsträgern des Komitats gewählt wurden. Die Forschung hat ähnliche Befunde für das habsburgische Transdanubien des 17. Jahrhunderts in Bezug auf das Ineinandergreifen von „privatem“ und „öffentlichem“ Dienst erbracht.33 Die Unterscheidung zwischen einem öffentlichen und einem privatherrschaftlichen Wirkungskreis scheint daher in Bezug auf diese Periode eher unsinnig zu sein. Mangel an geeigneten Kandidaten war dafür wohl kaum verantwortlich. Ein sprechendes Beispiel für die funktionale Einheit nominell unterschiedlicher Posten bietet ein Fall aus dem Jahr 1738, als der Güterinspektor des Grafen, Gábor Badda, nachdem er sich zum wiederholten Male mit den anderen leitenden Beamten in der gräflichen Privatverwaltung zerstritten hatte, auf seine Bitte hin zum Steuereinnehmer (perceptor) des Komitats „gemacht“ wurde. Es nimmt nicht wunder, dass er wenig später in seinen Briefen an den Grafen mit einigem Stolz berichtete, trotz großer Außenstände und trotz der Finanznot des Komitats seien die Dörfer in gräflichem Besitz keinen Groschen höher veranlagt worden als in den Jahren zuvor.34 Ein noch stärkeres Stück war es, als er das salarium des Grafen in seiner Eigenschaft als Obergespan des Komitats aus einem gerade eingenommenen Etatposten zu bezahlen suchte, obwohl er die Summe gemäß Recht und Vernunft für einen anderen Zweck hätte verwenden müssen. Das Komitat bzw. seine hörigen Bewohner waren zu diesem Zeitpunkt nämlich außerstande, die Verpflegung des Militärs zu gewährleisten, weshalb beträchtliche öffentliche Schulden aufliefen. Infolgedessen lagen Truppen im Komitat, die diese Schulden mit Zwang eintreiben sollten (executio). Da eine solche Zwangseintreibung ruinös für die Einwohnerschaft war – die Soldaten zogen den Bauern das letzte Hemd vom Leib – musste jedem verantwortlichen Amtsträger des Komitats daran gelegen sein, den unhaltbaren Zustand so früh wie möglich zu beenden. Badda aber hatte andere Prioritäten, sodass man merkt, wem dieser öffentliche Wahlbeamte in erster Linie diente.35 Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Patron und Klienten? In der Korrespondenz zwischen dem Grafen und seinen Dienern liest man mit Bestürzung 33 Dominkovits, Főúri familiárisok, S. 511–529; Ders., Familiárisi szolgálat – vármegyei hivatalviselés. Egy 17. századi Sopron vármegyei alispán, gálosházi Récsey (Rechey) Bálint [Dienst als familiaris – Amt des Komitates. Ein Vizegespan des 17. Jahrhunderts, Bálint Récsey (Rechey) von Gálosháza], in: Korall 9 (2002), S. 32–54. 34 Vgl. die Korrespondenz von Badda mit dem Grafen aus den Jahren 1740–1743, als Badda perceptor des Komitates war: MOL P 398, Nr. 2297–2342, Briefe von Gábor Badda an Sándor Károlyi vom 9. Jan. 1740 bis 26. Dez. 1743. 35 Ebd., Nr. 2301, Brief vom 10. Febr. 1740.

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Details, die deren schweres Los zu belegen scheinen: Mal darf der eine nicht einmal Weihnachten im Kreis seiner Familie verbringen, sondern müht sich an einem entfernten Dienstort ab.36 Mal wird in das Haus eines Amtsträgers, das er aus eigenen Mitteln erbaut hat, ein anderer durch den Grafen eingewiesen, ohne dass der Eigentümer auch nur eine Ankündigung erhalten hätte.37 Dauernd werden sie von ihrem Herrn beschimpft, sie können jederzeit weggejagt werden und gelegentlich geschieht das auch, nicht nur ohne Pension, sondern auch ohne Abfindung oder irgendein Gnadengeld.38 Das ist nicht nur deswegen überraschend, weil man aus heutiger Perspektive mit der Stellung eines „Beamten“ nahezu unerschütterliche Sicherheiten verbindet. Verblüffend ist diese ungesicherte Lage auch, weil die Leute, denen solches Ungemach widerfuhr, die Vertrauensleute des Grafen waren. Doch besondere Schonung oder Milde wird nirgends erkennbar. Es hat daher den Anschein, dass unter den Klienten, die zugleich Angestellte des Grafen waren, vollständige und alle Lebensbereiche umfassende Unterordnung unter die Launen des Patrons herrschte. Allenthalben tritt einem aus der Überlieferung verbale Ergebenheit entgegen. Aber kann daraus auf die reale Abhängigkeit der Klienten geschlossen werden?39 Abstufungen in der rituellen Ehrerbietung sind jedenfalls nicht feststellbar.40 Oder war die Abhängigkeit vielleicht nicht groß, sondern anders, familiär? Denn tatsächlich blieben die meisten Bediensteten jahrzehntelang in gräflichen Diensten, trotz notorischer Unzulänglichkeiten und gelegentlich sogar trotz 36 MOL P 398 Nr. 2244, Brief von Badda an Sándor Károlyi vom 23. Dez. 1738. Badda wurde seiner eigenen Aussage nach lediglich dadurch getröstet, dass die Kirche so nah lag, dass er sich „wenn schon nicht länger, so doch ein Viertelstündchen durch Gott consacrieren lässt“, d. h. er konnte angeblich selbst am Heiligen Abend nicht länger als ein Viertelstündchen beten, so sehr nahmen ihn seine zahlreichen Beschäftigungen in Anspruch. 37 Siehe die Korrespondenz von Badda mit dem Grafen in den Monaten Juni bis Sept. 1733, ebd. Nr. 2164–2179. 38 Vgl. die Vorgänge um die Entlassung der Szaplonczay-Brüder: MOL P 397 Acta oeconomica, I. A., Protocollum Sessionale 1760. 39 Sándor Károlyi wurde mit „Exzellenz“ angesprochen, die abschließende Formel lautete in aller Regel „Ich verbleibe bis zum Ende meiner Lebtage Ihrer Exzellenz kleinster und demütigster Diener“. Siehe Judit Pál, Karrier a „tudatlanság földén“. Egy főúri kliens a 18. század közepén Kelet-Magyarországon [Eine Karriere „auf dem Boden der Ignoranz“. Ein hochadeliger Klient von der Mitte des 18. Jahrhunderts in Ost-Ungarn], Századok 141 (2007), Nr. 6, S. 1407–1454. 40 Am ehesten noch in Bezug auf das Alter, d. h. der junge Herr wurde etwas weniger verschnörkelt geehrt als der alte. Dies kann aber auch durch das unterschiedliche Auftreten der beiden Károlyi erklärt werden, denn der alte Graf war eine äußerst imposante Persönlichkeit, der alle anderen in den Schatten stellte.



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bekannt gewordener Unterschlagungen. Auch die vorhin erwähnten Beispiele nehmen sich bei genauerem Hinsehen weniger dramatisch aus. Der am Heiligen Abend schuftende Beamte entfernte sich, wenn es ihm wirklich wichtig war, auch ohne Erlaubnis für mehrere Wochen und Dutzende von Meilen vom Dienstort.41 Den Schätzwert des unangekündigt einem anderen Beamten zugewiesenen Hauses bot die Herrschaft dem Eigentümer sehr wohl an.42 Herrschaft und Klientel bildeten einen auf längerfristige hierarchische Kooperation zielenden Personenverband. Allein dieser langfristige Charakter widerspricht der scheinbar vollständigen Abhängigkeit der Klienten. Entlassungen waren zwar möglich, der Bestand an Klienten scheint jedoch mehrere Jahrzehnte hindurch fast unverändert gewesen zu sein. Vorsicht ist also geboten und man muss zum Teil den gefährlichen Weg einschlagen, gegen die Quellen zu argumentieren. Denn in den Quellen kann – wegen der eben geschilderten systematischen Überbetonung der Abhängigkeit – eine tatsächliche Verhandlungsposition eines Klienten nur dann eindeutig festgestellt werden, wenn diese durch Besitz untermauert wurde, z. B. wenn sich der Patron für ihre Güter interessierte. In solch einem Fall musste er eine Gegenleistung bieten – aber sprachlich wurde selbst das kaschiert. So berichtete der Stuhlrichter Becsky dem Grafen, dass er um Gottes willen keinen Streit anfangen wolle wegen seines Anteils an einer städtischen curia, einem Adelssitz, er übertrage ihn der Herrschaft gerne und leichten Herzens.43 Im nächsten Absatz des Schreibens beklagte er allerdings die ungeheure Zunahme seiner Amtsgeschäfte und bat den Grafen, sich seiner zu erbarmen und ihm ein junges Reitpferd aus dem gräflichen Gestüt gnädigst gewähren zu wollen. Die Überschreibung des Grundstücks und die Überlassung des Pferds sind demnach sprachlich in keiner Weise aneinander gekoppelt. Solche persönlichen, ‚familiären‘ Formen der Abhängigkeit sind nicht größer oder kleiner als die modernen, verdinglicht-wirtschaftlichen oder verrechtlichtbürokratischen, sondern eben anders, nämlich weder formgebunden noch verdinglicht. Liest man die Korrespondenz der Klienten mit den Grafen Károlyi nur 41 Badda entfernte sich ohne Erlaubnis vom Dienstort, um bei seiner in ihre Heimatstadt zurück gekehrten Frau und bei seinen Schwiegereltern zur Zeit ihrer Niederkunft zu sein. Das ist verständlich, aber die Entfernung zwischen Dienst- und Heimatort erforderte eine wochenlange Reise, und man kann wohl behaupten, dass die Frau nicht um jeden Preis in ihre Heimatstadt hätte zurückkehren müssen. Die Herrschaft ließ stattdessen die Urlaubsbitten des Beamten zunächst unbeantwortet, als er dann einfach ausbüchste, bewilligte sie die Reise nachträglich. Vgl. Briefe vom Juni 1731, MOL P 398, Nr. 2127–2134. 42 MOL P 398, Nr. 2166, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, 9. Sept. 1733. 43 MOL P 398, Nr. 5726, Brief von György Becsky an Sándor Károlyi, 31. Jan. 1728.

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einigermaßen kritisch, so ist man mit einem ununterbrochenen Gezetere über alle möglichen widrigen Umstände konfrontiert, in dem man auch eine unausgesetzte Verweigerung der pünktlichen und restlosen Ausführung gegebener Befehle sehen kann.44 Was die Frage nach dem Umfang und der Tiefe der Abhängigkeit betrifft, fällt man so von einem Extrem ins andere: Befanden sich die Diener des Magnaten nun in einem Zustand vollständiger Unterwerfung oder verweigerten sie sich ständig aufs hartnäckigste? Was wirklich irritiert, ist die unspezifische Art der herrschaftlichen Aufträge, die fehlende Ämterhierarchie unter den Klienten der Herrschaft. Auffallend ist, dass die Herrschaft – trotz oder gerade wegen mangelnder Kompetenzabgrenzung und wegen fehlender Hierarchie – ständig versuchte, Kontrolle auszuüben, mal durch den einen, mal den anderen Mann. Das offensichtliche herrschaftliche Interesse an Tratsch und Anschuldigungen der Klienten gegeneinander sticht ins Auge. Diesem Interesse gehorchend schwärzten sich die Wirtschaftsbeamten, Amtsträger des Komitats und sonstige Klienten gegenseitig ständig an. Man hat es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einer aktiven, starken Herrschaft zu tun, der eine innerlich zusammenhangslose, bunt zusammengewürfelte Menge von Klienten in einer Welt ohne feste Formen gegenüber stand. Dieser unstrukturierte Charakter der Gruppe der herrschaftlichen Klienten ist an sich schon ein wichtiger Faktor für den Grad der Abhängigkeit in den sozialen Beziehungen. Es gibt einige weitere Hinweise, die vielleicht als Zeichen für den infantilen, damit aber auch familiären Status der Klienten gedeutet werden können. Dass ein Klient dem hohen Herren auch von seiner eigenen Frau Grüße, ja briefliche Handküsse ausrichten lässt, dass der Graf bei Kindstaufen Gevatter steht, dass der Herr sich um den Schulunterricht der Söhne kümmert, dass er seine Meinung über die Heiratspläne des Klienten offen kundtut – sind es nicht Zeichen für eine familiäre Stellung des Klienten?45 44 Die Ähnlichkeiten zu den von James C. Scott, Weapons of the weak. Everyday forms of peasant resistance, New Haven 1985 beschriebenen Formen der Verweigerung subalterner Landbewohner gegenüber den Forderungen des Staates erscheinen auf den ersten Blick zwar frappierend, führen aber insofern in die Irre, als – im Gegensatz zu den Klienten der Károlyi – keinerlei tragfähige Bindung zwischen diesen Entrechteten und ihren modernen „Herren“ bestehen. 45 Zu den Handküssen der Ehefrau siehe fast jeden Brief in der Korrespondenz von Badda mit Sándor Károlyi, MOL P 398. Károlyi wollte bei der Taufe des Sohnes von Badda Gevatter stehen, nur die große Entfernung verhinderte dies: MOL P 398, Nr. 2134, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, 22. Juni 1731. Zur Versorgung der Klienten-Söhne: Károlyi bot dem Sohn von György Becsky einen militärischen Posten an, wohl eine Offiziersstelle in seinem gerade aufgestellten Regiment, das Angebot wurde von Becsky allerdings nicht

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III. 3  Gabentausch Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ergoss sich ein Strom von Gaben über den herrschaftlichen Haushalt.46 Alle Klienten machten Geschenke, einige nur gelegentlich, andere häufiger, wobei es sich meist um Zutaten für die herrschaftliche Tafel handelte, die als Delikatesse galten (Wild, Fisch, Früchte). Gelegentlich wurden auch lebende Tiere, meist Jungtiere (Rehkitz, Adler, Otter, Fuchs) geschenkt. Selbst wenn es sich nicht um eine echte Rarität handelte – ein paar Kohlköpfe, hausgemachte Pogatscherl – so stellte man die Gaben doch als kleine Köstlichkeit dar, als etwas Frisches für die Tafel, überreicht freilich mit einigen Entschuldigungen, dass man diesmal nichts Besseres anzubieten habe. Was den Geschenkcharakter dieser Sendungen betraf, so war das eine komplizierte Sache. Denn einerseits sagen die Briefe expressis verbis, dass die Absender dem Herrn damit aus freien Stücken einen guten Dienst erweisen wollten (ungarisch: udvarolni, szolgálni, kedveskedni), andererseits zeigt die Beschaffenheit der Sendungen, dass die Leckereien, die als örtliche Spezialitäten galten, mit ziemlicher Regelmäßigkeit geschickt wurden. Aus manchen Briefen ist sogar ersichtlich, dass den Lieferungen gräfliche Weisungen vorausgegangen waren. Gab es verordnete Geschenke?

angenommen. MOL P 398, Nr. 5749, Brief von György Becsky an Sándor Károlyi, 7. Jan. 1734. Vgl. Weisung des Grafen Károlyi an Becsky, dass er seine Söhne bei der neu etablierten Piaristen-Schule in Nagykároly erziehen lassen solle, worauf sich Becsky nach Kosten und Umstände erkundigte: MOL P 398, Nr. 5724, Brief von György Becsky an Sándor Károlyi, 7. Dez. 1727. Meinungen über Heiratspläne von Klienten und Bedienten: Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. 2, S. 294–295. Károlyi über die Heiratspläne von Márton Szuhányi, der bis 1717 Erzieher des jungen Grafen, danach plenipotentiarius war. Ebd., Bd. 2, S. 302–303. Manchmal wurde Károlyi auch von seinen Klienten um Rat gebeten, so z. B. 1740 von György Becsky, dessen Tochter der Sproß einer feinen Familie den Hof machte, der Becsky jedoch unbekannt war. MOL P 398, Nr. 5797, Brief von Becsky an Sándor Károlyi, 2. März 1740. 46 Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1990; Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000; Natalie Zemon Davis, Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002; Gadi Algazi/Valentin Groebner/Bernhard Jussen (Hg.), Negotiating the Gift. Pre-Modern Figurations of Exchange, Göttingen 2003; Jeannette Falcke, Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgisch-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006; Ilana Krausman Ben-Amos, The Culture of Giving. Informal Support and GiftExchange in Early Modern England, Cambridge 2008.

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Geschenke schickten nicht nur die Hofrichter der Károlyi-Herrschaften oder andere gräfliche Bedienstete, sondern z. B. auch Sándor Kölcsey, ein calvinistischer Stuhlrichter in einem entfernten Bezirk des Komitats, der in keinerlei Dienstverhältnis zur Familie stand. Auch er schrieb, dass er „dem Befehl seiner Exzellenz gemäß“ am Theiß-Fluß fischen ließ, und entschuldigt sich „aufs demütigste, dass das Ergebnis nicht reicher ausfiel“. Das „Befehl gemäß“ war freilich eine Höflichkeitsformel, denn es ist ausgeschlossen, dass der Stuhlrichter einen solchen Befehl erhalten hat, doch ihm war der Wunsch des patronus Befehl. Die Schenkenden gehörten nach modernen Maßstäben recht unterschiedlichen Gruppen an. Der Stuhlrichter Sándor Kölcsey stand beispielsweise ganz außerhalb des Károlyi-Verbandes, der Stuhlrichter György Becsky war zwar kein gräflicher Bediensteter, aber ein in jeder Hinsicht geförderter Verwandter der Károlyi, andere, wie Gábor Badda und Mátyás Pollereczky, waren gräfliche Diener. Ihren Begleitschreiben zu den Geschenken sieht man diese Unterschiede jedoch überhaupt nicht an. Einheitlich waren die Formulierungen auch in einer anderen Hinsicht – alle betonten die qualitative Einmaligkeit der Geschenke, und in der Tat waren sie meistens von gehobener Qualität, oder es handelte sich um jahreszeitliche Raritäten.47 Wenn jemand alltägliche Geschenke bot, betonte er zumindest deren taufrischen Zustand. Eben diese Eigenschaften waren es, die Dinge zu Geschenken machten – ihre reale oder auch nur behauptete qualitative Einmaligkeit. Wenn der Hofrichter ein paar Fässer mit gesalzenem Fisch für die gräfliche Küche verschickte, so bezeichnete er die Lieferung keinesfalls als eine Verehrung oder einen guten Dienst, schickte er aber – gleich ob viel oder wenig – Sterlet, Schmerle oder Krebse, so wurden diese als ein Liebesdienst anempfohlen.48 Was hat das zu bedeuten? Beim Phänomen des Schenkens können wir die Kehrseite der umfassenden Abhängigkeit innerhalb der Dienst- und Klientelverhältnisse erkennen: Auch Männer, die restlos abhängig waren, behaupteten durch eine freiwillig gewährte Gabe, die ihrer persönlichen Aufmerksamkeit, Anstrengung und Überlegung – manifestiert in der richtigen Wahl des Geschenks – entsprang, nichts weniger als die Freiwilligkeit ihres Dienstes überhaupt, ja ihren Anspruch auf Ebenbürtigkeit. 47 Zu einem ähnlichen Schluss, dass einerseits Delikatessen, andererseits saisonale Frischware als Geschenke bevorzugt wurden, kommt Borbála Benda, Étkezési szokások a XVII. századi főúri udvarokban Magyarországon [Essgewohnheiten an den aristokratischen Höfen Ungarns im 17. Jahrhundert], PhD an der Eötvös Loránd Universität, Budapest 2004. 48 Sterlet und Stör galten als besonders gute Fische aus dem Szamos. Vgl. Szirmay, Bd. 2, S. 214.

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Nicht nur der eigene Patron, sondern auch andere hohe Herren, vor allem die leitenden Amtsträger des Komitats, bekamen Geschenke dieser Art. So schickte der leitende Wirtschaftsbeamte Mátyás Pollereczky 1725 dem Vizegespan des Komitats und dem Bischof Verehrungen.49 Es war gängige Praxis der Amtsträger in der Károlyi-Güterverwaltung, die Komitatsgrößen regelmäßig zu beschenken. Solche Geschenke konnten selbstverständlich auch eine ganz andere Bedeutung annehmen – sie näherten sich zum Teil schlichter Bestechung, was bei den bislang aufgeführten Beispielen aber gewiss nicht der Fall war.50 Es sei aber noch einmal betont, dass die Geschenke der Klienten an ihre Herrschaft einen anderen, einen ambivalenten Charakter aufwiesen: Diese Gaben waren geeignet, ihre Verehrung und zugleich ihre Unabhängigkeit auszudrücken. Diese Deutung entspricht der Charakterisierung der Beziehung zwischen Herrn und Klient als familiär, als langfristige „Freundschaft“ unter Ungleichen. Mit den 1740er Jahren endete diese Praxis. Seither ist nirgends in der Korrespondenz der Herrschaftsverwalter und der Komitatsbeamten mit den Grafen Károlyi noch von Geschenken die Rede. Nach dem Tod des alten Grafen Sándor im Jahre 1743 kann man das zunächst mit der Abwesenheit seines Sohnes erklären, der als Offizier auf fernen Kriegsschauplätzen diente. Nach 1748 entfällt diese Erklärung, denn der gräfliche Haushalt in Pest wurde sehr wohl noch von den Gütern in der Provinz aus versorgt. Seither lebte Graf Ferenc ständig in Pest, und noch der Enkel des Alten, Graf Antal, hielt sich zwischen 1768 und 1787 des Öfteren in Pest auf, erst nachdem er Kapitän der königlich ungarischen Leibgarde geworden war, residierte er ständig in Wien. Die auffallende Änderung der Geschenksitte gegenüber den Usancen in den vorherigen Generationen kann also kaum mit praktischen Problemen des Versands erklärt werden, sondern vielmehr mit einer allgemeinen Änderung der Sitten, die in weiten Teilen Europas zu beobachten ist.51 49 MOL P 398, Nr. 59614, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 27. Febr. 1725. Es wurden Weine und ein lebendiger Otter geschickt. 50 Vgl. weiter unten die Verwendung von discretio bei den Abgesandten von der Stadt Szatmár, Kap. VI. 51 Vgl. hierzu die anregende Skizze von David Warren Sabean/Simon Teuscher, Kinship in Europe. A New Approach to Long-Term Development, in: David Warren Sabean/ Simon Teuscher/Jon Mathieu (Hg.), Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900), New York, Oxford 2007, S. 1–32, die aufgrund einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen über das Konnubium in europäischen Eliten für die ersten Jahrzehnte des 18.  Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel konstatieren, der von der älteren Betonung klientelarer Bindungen unter sozial Ungleichen zur Präferierung verwandtschaftlicher Beziehungen geführt habe. Dieser kulturelle Wandel wird von den Verfassern nicht schlüssig erklärt, sondern zur Diskussion gestellt. Die zeitliche Koinzidenz

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III. 4  Die Kooperation von Patron und Klientenschar Schon wegen der großen Distanzen brauchte solch ein großer Herr wie Sándor Károlyi Klienten: War er in Wien oder Preßburg, benötigte er Wächter zu Hause, war er zu Hause, war er auf Ohren und Augen in den Hauptstädten angewiesen. Im Komitat Szatmár war die Not am Mann mindestens ebenso groß wie in der höfischen Gesellschaft Wiens, die aus der Perspektive der Klientelbildung bereits häufiger erforscht worden ist.52 Denn an der ostungarischen Machtbasis des gräflichen Hauses waren die üblichen Kommunikationswege zerstört worden, sodass man sich mit den gewaltigen Schwierigkeiten einer sozial atomisierten Welt konfrontiert sah. Károlyi hatte bereits als General der Kuruzzenarmee Reichtümer angehäuft, was schon bei Zeitgenossen höhnische Kommentare hervorrief.53 Aus seiner Korrespondenz geht eindeutig hervor, dass er auch während der heftigsten Kampfhandlungen ständig Handel trieb, vor allem mit Vieh, aber auch mit Textilien.54 mit dem erstmals von Michel Vovelle, Piété baroque et déchristianisation en Provence au XVIIIe siècle, Paris 1973 festgestellten Wandel der Frömmigkeitsformen ist unseres Erachtens nicht zufällig: Gemeinsam ist all diesen Formen kulturellen Wandels die Delegitimation der Figur des Mittlers, die in der Kultur des Barock – über die konfessionellen Grenzen hinweg – fest verankert war und nun – im Zeichen der Aufklärung – zunehmend unter Korruptionsverdacht gerät. Vgl dazu auch Ronald G. Asch/Birgit Emich/Jens Ivo Engels (Hg.), Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt am Main 2011. 52 Beatrix Bastl/Gernot Heiss, Hofdamen und Höflinge zur Zeit Kaiser Leopold I. Zur Geschichte eines vergessenen Berufsstandes, in: Vaclav Bůžek (Hg.), Život na dvorech barokni šlechty (1650–1750), České Budejovice 1996, S.  187–265; Markus Reisenleitner, Habsburgische Höfe in der Frühen Neuzeit. Entwicklung und Forschungsprobleme, in: Vaclav Bůžek/Pavel Král (Hg.), Aristokratické rezidence a dvory v raném novověku, České Budejovice 1997, S. 97–114; Mark Hengerer, Adelsintegration am Kaiserhof (1618–1665). Zeremoniell, Personal, Finanzen, Netzwerke, in: Frühneuzeitinfo 9 (1998), S. 274–279; Thomas Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters, Wien/München 1999; Mark Hengerer/Rudolf Schlögl, Politische und soziale Integration am Wiener Hof. Adelige Bestattung als Teil der höfischen Symbol- und Kommunikationsordnung, in: Mitteilungen der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 10/1 (2000), S. 15–35; Mark Hengerer, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Mikrogeschichte der Macht in der Vormoderne, Konstanz 2004. 53 Der Rákóczi bedingungslos ergebene General Bercsényi machte abfällige Bemerkungen über die Geschäftstüchtigkeit von Károlyi. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 71. 54 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. I, S. 12–13, Brief von Sándor Károlyi, Békés, 8. Nov. 1704. Hier überlegt Károlyi, Tuche, Hüte, Stiefel und Decken im türkisch besetzten



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Er vermied es, größere Truppenverbände zusammenzuziehen und in die offene Feldschlacht zu führen. Die neuere Geschichtsschreibung hat dafür die plausible Erklärung gefunden, dass die leichte Reiterei der Kuruzzen der besser ausgerüsteten, disziplinierteren und mit Artillerie versehenen kaiserlichen Armee nicht gewachsen gewesen wäre.55 Stattdessen pflegten die von Sándor Károlyi kommandierten Truppenteile den „kleinen Krieg“, Überfälle auf den nichtsahnenden Feind, weiträumige Beutezüge unter Verwüstung von allem, was man nicht mitnehmen konnte. Der Graf zog erheblichen Nutzen aus diesen Raubzügen. Über die langfristig verheerenden Folgen dieser Art von Kriegsführung konnte er sich aufgrund der Erfahrungen, die er in seiner Amtszeit als Obergespan von Szatmár zwischen 1687 und 1699 gemacht hatte, keinen Illusionen hingeben. Er nahm die Verluste an Menschenleben und materiellen Gütern jedoch billigend in Kauf.56 Seine Haltung verdeutlicht ein Brief an seine Frau, den er nach einer eindeutig selbstverschuldeten Niederlage schrieb. Zwar war sein Truppenverband zerschlagen worden, er aber beklagte nicht etwa den Verlust von Soldaten, sondern die persönlichen Einbußen an Pferden, Waffen, Ausrüstung und Barmitteln57 (vgl. Abb. 19, S. 84). Und doch wäre ein Bild von Sándor Károlyi, das ihn schlicht als einen raffgierigen Gewalttäter zeichnet, unzutreffend, denn er wies zugleich viele modern anmutende Eigenschaften auf, wie Fleiß, Mäßigkeit, Lernfähigkeit, Offenheit und Fähigkeit zur vorausschauenden Planung. Zumindest teilweise entspricht er der Vorstellung vom hausväterlichen Landadligen, wie sie der österreichische Protestant Wolf Helmhard Freiherr von Hohberg im Jahr 1687 in seinem Werk „Georgica Curiosa“ ausbreitete. Hiernach befriedigte das Streben nach Besitz nicht individuellen Geiz oder Geltungsdrang, sondern verwirklichte die göttliche Ordnung.58 Diese Ordnung manifestierte sich im Gedeihen des oikos (Haus- und Belgrad zu kaufen und im oberungarischen Kuruzzen-Gebiet für das Doppelte und Dreifache zu verkaufen. 55 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 45–101. 56 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. I, S. 37–40, Brief von Sándor Károlyi, Tornóc, 10. Febr. 1705. Hier schreibt Károlyi, dass er alle Dörfer und Städte im gesamten Grenzgebiet bis Wien niederbrennen ließ, zitiert dann ohne Kommentar den Befehl seines kaiserlichen Widersachers, General Heister, der seine Proviantforderung an die zersprengte Bewohnerschaft mit der „tatarischen“ Kampfweise von Károlyi begründete. 57 Vgl. den Brief von Károlyi nach einer eindeutig von ihm verursachten großen Niederlage, in dem er seine materiellen Verluste auflistet: Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 76–77. 58 Vgl. Otto Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salzburg 1949; ders.: Das „Ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 33–61. Die Analyse Brunners beruht auf Wolf Helmhard

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Wirtschaftsgemeinschaft), dem der adlige Besitzer vorstand. Károlyi kümmerte sich bis in die Details um seine Hauswirtschaft. Zum Beispiel erteilte er seiner Frau brieflich Instruktionen, wie die Beschälung der Stuten vorgenommen werden sollte.59 Das hat nichts Absonderliches, sondern zeugt von der Würde ganz alltäglicher Dinge. Alles hat seinen Zweck, seine Bedeutung. Genau die Aufmerksamkeit, die dem Wirtschaften in chaotischer Umgebung zuteil wurde, diente dem göttlichen Plan. Dieser Deutung widerspricht freilich das unbändige Streben nach Akkumulation, wie es uns aus den Briefen des Grafen Károlyi eben auch entgegentritt. Ob sich solch eine Ambivalenz vielleicht auch bei von Hohberg findet? Sein Biograf Otto Brunner ist jedenfall nicht ganz unverdächtig, ging es ihm doch darum, die alteuropäische Welt des Adels als stabil und zeitlos erscheinen zu lassen, in scharfem Kontrast zur Rastlosigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Moderne. Im Falle von Sándor Károlyi führte dieses Besitzstreben zu einem – wie soll man sagen – mangelndem Unterscheidungsvermögen zwischen dem, was ihm selbst bzw. der gräflichen Familie gehörte, und dem, was dem Komitat zustand. Die negative Deutung dieses Befunds liegt auf der Hand, doch man kann ihm auch positive Seiten abgewinnen, denn Károlyi schwang sich auf zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Organisator und Importeur von Technologien, der die brachliegende Wirtschaft des Komitats auf Trab brachte. Man kann ihn durchaus auch als einen Lehrmeister und Vormund der verrohten Komitatsbewohner sehen. Károlyi ist damit so etwas wie ein Paradebeispiel für den Typus des aristokratischen Unternehmers, der in der Habsburgermonarchie verbreitet war. Man kann ihn als eine zeittypische Aristokratengestalt bezeichnen; die ungarische Historiografie der Zwischenkriegszeit pflegte sie „die barocken Magnaten des Landesaufbaus“ zu nennen.60 Nachdem es Sándor Károlyi gelungen war, den Familienbesitz durch die Kriegszeiten hindurch zu retten, vermehrte er ab 1711 seine Besitzungen in ungeheurem Ausmaß.61 Die ältere nationalistische Geschichtsschreibung hat darin Freiherr von Hohberg, Georgica Curiosa aucta, das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht von dem Adelichen Land- und Feldleben... 4. Ausg., Nürnberg 1701. Manche Passagen von Hohberg hätten von Károlyi stammen können. 59 Kálmán Géresi (Hg.), A nagykárolyi gróf Károlyi család oklevéltára [Diplomsammlung der gräflichen Familie Károlyi], Bd. V. 1703–1707, Budapest 1897. Nr. LXVI. Brief von Sándor Károlyi an Krisztina Barkóczi, 20. Juli 1704. 60 Vgl. in Bezug auf die Grassalkovich: Wellmann, A gödöllői Grassalkovich-uradalom, S. 29–55, verallgemeinert in Imre Wellmann, Mezőgazdaságtörténetünk új útjai [Neue Wege unserer Agrargeschichte], in: Emlékkönyv Domanovszky Sándor születése hatvanadik évfordulójának ünnepére, Budapest 1937, S. 664–714. 61 Pettkó/Éble (Hg.), A nagykárolyi gróf Károlyi-család.



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den Judaslohn gesehen für den Frieden von Szatmár, für die schmachvolle Kapitulation am Ende des Freiheitskampfes. Eine abgeschwächte Version dieser Auffassung blieb lange in Umlauf, bis Imre Bánkúti und Ágnes Kovács in den 1980er Jahren den ahistorischen Charakter dieser Vorstellung herausgearbeitet haben.62 Die königlichen Donationen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts reichten freilich ganz und gar nicht aus, Graf Károlyi zu einem reichen Mann zu machen. Wegen der allgemein unsicheren Besitzrechte, wegen der Bedeutung des regionalen Herkommens und der lokalen Rechtsgewohnheiten sowie wegen der zentralen Rolle des Komitats in der Rechtsprechung brauchte er Helfer vor Ort, willige Zeugen, eine freundlich gesonnene Öffentlichkeit innerhalb des Komitatsadels, um in dem Wirrwarr ruinierter Objekte, in Vergessenheit geratener Grenzverläufe und unklarer Besitzrechte auf einen grünen Zweig zu kommen. Da Sándor Károlyi überall im östlichen Ungarn seinen Besitz vermehrte, musste er dort auch überall Freundschaften pflegen. Károlyi brauchte die treuen Helfer, weil die Welt aus den Fugen geraten war. Der jahrzehntelange Krieg hatte dafür gesorgt, dass nur noch extensive Landwirtschaft betrieben wurde, vor allem Viehzucht auf der Pußta (die wortwörtliche Übersetzung von Pußta lautet „Wüstung“). Die Herden weideten sommers wie winters auf den grenzenlos gewordenen Gemarkungen verwüsteter Ortschaften. Die Existenz der Hirten gestaltete sich weitgehend regellos, gehörten sie doch keiner Normen setzenden Bauerngemeinde an. Sie boten einen idealen Rekrutierungspool, sowohl für die leichte Reiterei als auch für die Banden der Wegelagerer.63 Freilich gehörte das meiste Vieh sesshaften Bauern, die aber ebenfalls weit davon entfernt waren, friedfertige Zeitgenossen zu sein. Die Bauerngemeinden hatten in dem gesamten von den Osmanen zurückeroberten Gebiet die Kollektivfreiheiten von Haiducken bzw. von Wehrbauern erhalten. Sogar in den abseits der Hauptkampfgebiete liegenden Dörfern mit höriger Bevölkerung findet sich eine im Vergleich mit westeuropäischen Verhältnissen martialische Bewaffnung der Bauern. Wie verwildert die Zustände waren, beweist nicht nur die Alltäglichkeit von Raub und Mord. Ebenso schockierend und weitaus dauerhafter und dadurch wirkungsmächtiger war das Fehlen wirtschaftlicher Fertigkeiten, technischer Kennt62 Bánkúti, Szatmári béke; Ágnes Kovács, Károlyi Sándor. 63 Wellmann, A magyar mezőgazdaság a XVIII. században, S. 37–66. Über die Lockerung der feudalen Hörigkeit: János Varga, Jobbágyrendszer a magyarországi feudalizmus kései századaiban 1556–1767 [Das System der Hörigkeit in den späteren Jahrhunderten des ungarischen Feudalismus], Budapest 1969, S. 13–168, über freizügige coloni, taxalistae und Heiducken, ebd., S. 168–408.

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nisse und menschlicher Einstellungen, die für eine reguläre Produktion erforderlich sind. Graf Károlyi hatte ein waches Bewusstsein für diesen Mangel und suchte deshalb stets und ständig nach Personen mit technischem Know-how. Die Palette der nachgesuchten Fähigkeiten reichte vom Wissen über den Bau von Heizöfen, über geeignete Tierrassen und Arzneimittel, bis hin zu detaillierten Kenntnissen über seine Güter, z. B. mit welchen Netzen in welchen seiner Gewässer sich am besten fischen ließ.64 Angesichts der riesigen Besitzungen und der umfassenden Macht des Grafen Sándor Károlyi ist es überraschend, dass es mit der Kooperation zwischen dem Patron und seinen Klienten immer wieder haperte. Mit dem Begriff „Kooperation“ sollen keine punktuellen Handlungen bezeichnet werden, wie der Zahlung von Abgaben, der Leistung zeitlich und räumlich klar begrenzter Dienste oder dem Vollzug ritueller Handlungen. Wir verstehen Kooperation als dauerhaft, vielseitig sowie zeitlich und räumlich nicht im Voraus zu bestimmen. Die konkreten Aufgaben, mit denen die Klienten betraut wurden, waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts überwiegend wirtschaftlicher Natur. Im Bereich der Ökonomie waren nämlich nicht allein die eigens dafür angestellten Wirtschaftsbeamten aktiv, auch die Stuhlrichter des Komitats tätigten für den Grafen Einkäufe, stellten seine Flöße zusammen und ließen Robot-Arbeiter, die eigentlich im Dienste des Gemeinwohls die Instandhaltung der Wege besorgen sollten, stattdessen die gräflichen Rebgärten hacken, Heu mähen oder Gebäude errichten. Es kam zwar vor, dass die Amtsträger des Komitats auch Recht sprachen oder in Verwaltungssachen eingriffen, der Alltag jedoch drehte sich um die Wirtschaft – genauer um die allgegenwärtige Misswirtschaft. Die Ausreden der Komitatsbeamten (übrigens auch der Gutsverwalter) beschreiben ungeheure Regengüsse, grenzenlose Überschwemmungen, unpassierbare Straßen, unerträgliche Kälte, zu niedrigen oder zu hohen Wasserstand der Flüsse, unvorhersehbare Vorspannleistungen für Truppendurchzüge, Fehler aller Art bei jedem erdenklichen Material, Missverständnisse bei Maßeinheiten, Wirrwarr der Befehle, konkurrierende Ansprüche der Kirchen und Klöster. Die Mehrheit der Briefe an den Patron bestand in Entschuldigungen und Erklärungen. Wie ist das zu deuten? Sehen wir hier zunächst von der Möglichkeit ab, dass es sich um eine Art der Verweigerung oder Sabotage handelte. Dann waren die geschilderten Hindernisse entweder tatsächlich etwas nie Dagewesenes oder die 64 Vgl. Károlyi Sándor gróf kuruc generális utasításai a tiszai halászatról 1725–30-ból [Instruktionen des Kuruzzengenerals Sándor Károlyi aus den Jahren 1725–1730 über die Tiszaer Fischerei], in: Magyar Gazdaságtörténelmi Szemle (1899), S. 373–380.



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Klienten – Tölpel. Wenn jedoch die Scharen von Klienten, Bediensteten, Religionsgenossen und Verwandten des hohen Herrn solch ein nutzloses Volk abgaben, erhebt sich natürlich die Frage, warum er sich damit abmühte? Die schlichte Antwort lautet: Es gab keine Alternative. Die Umwelt stellte sich in der Tat als außerordentlich schwierig dar. Man konnte sie durchreiten, die angetroffenen Menschen punktuell zur Zahlung von Abgaben zwingen oder gefangen nehmen. Millionenfach unterschiedliche Tätigkeiten an Tausenden Orten zu regeln, dazu war auch der mächtigste Herr zu schwach. Und seine Bediensteten und Klienten tappten ebenfalls in einem unübersichtlichen Dschungel der Verhältnisse herum.65 Für die Betroffenen war es in der Tat alles andere als klar, ob „kurze Daube“ in der Stammherrschaft Nagykároly dasselbe meinte, wie in den drei bis vier Meilen entfernten Dörfern des Theiß-Tals. So war denn einem Brief des gräflichen secre­tarius das Muster einer ‚richtigen‘ Elle in Form eines Papierstreifens beigelegt.66 Die Schwierigkeiten von Außenseitern im Zusammenhang mit dem lokalen Wissen einer oral culture sind in der anthropologischen Literatur ausgiebig geschildert worden. Hinzu kam, dass die anhaltenden Kriege die Bevölkerung einerseits dezimiert, andererseits verhärtet hatte. Die Auflockerung der feudalen Bindungen der Bauern bedeutete eben nicht nur eine Zunahme ihrer sozialen und wirtschaftlichen Autonomie, sondern auch eine allgegenwärtige Abnahme von Sicherheit, Solidarität, verlässlichen Formen des Zusammenlebens und langfristiger Kooperation nebst einem Schwinden von Geld, Schriftkundigkeit, technischen Kenntnissen und Fertigkeiten.67 65 Zur Vielfalt der Produktion vor der ,Vergetreidung‘ der ungarischen Landwirtschaft am Ende des 18. Jahrhunderts vgl. László Makkai, Economic landscapes. Historical Hungary from the fourteenth to the seventeenth century, in: Antoni Mączak/Henryk Samsonowicz/Peter Burke (Hg.), East-Central Europe in transition, Cambridge/Paris 1985, S. 24–36. 66 MOL P 398, Nr. 1970, Brief von Badda an István Farkas, Inspektor der Glashütte in Száldobágy, Salánk, 27. Apr. 1725. „In was für ein Klafter das gehauene Holz gestapelt werden muss, füge ich hier bei, danach sollen Sie es hauen lassen, damit die gnädige Herrschaft nicht betrogen wird.“ Beiliegend eine 30,5 cm lange Elle aus Papier. 67 Die Autonomie der bäuerlichen Dorfgemeinde und die Herrschaftsferne des bäuerlichen Lebens in der Rekonstruktionszeit wird ausführlich geschildert von Imre Wellmann, Die erste Epoche der Neubesiedlung Ungarns nach der Türkenzeit (1711–1761), in: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 26 (1980), S. 241–305. Darin finden sich nur spärliche Quellenangaben; sie werden in der ungarischen Variante desselben Artikels gegeben: Imre Wellmann, Közösségi rend és egyéni törekvések a XVIII. századi falu életében [Ordnung der Gemeinde und individuelle Bestrebungen im Leben des Dorfes des 18. Jahrhunderts], in: Történelmi Szemle (1980), Nr. 3, S. 376–450. Einen anderen Weg der Bauern aus der feudalen Abhängigkeit schildert István N. Kiss, Gesellschaft und

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Zugestandenermaßen zeigen uns die Quellen lediglich die herrschaftliche Perspektive, ‚the view from the top‘. Zumindest in dem äußerst wichtigen Aspekt der Schriftlichkeit – worunter mehr zu verstehen ist als bloße Signierfähigkeit, sondern leserliche Schrift, deutliche Darstellung, Präzision der Formulierung und angemessene Verwendung von Zeugenunterschriften und Stempeln – trauen sich die Verfasser zu, den Zuständen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein uneingeschränkt negatives Urteil auszustellen.68 Es gab also reale Probleme mit der sozialen Umgebung und der Umwelt, die eine reibungslose Kooperation von Patron und Klienten behinderten – zugleich bedingten eben diese Schwierigkeiten den Aufbau und den Unterhalt von solchen Beziehungen. Wir gehen jedoch wohl auch nicht fehl in der Annahme, dass Behauptungen über die ungebändigte Umwelt und die barbarischen Verhältnisse, die der Ausführung von Anweisungen des Patrons ständig im Wege standen, wenigstens zum Teil Schutzbehauptungen waren, zwar nicht unrichtig, aber eben doch vorgeschoben. Oral culture war zweifellos vorhanden, man konnte sie jedoch auch inszenieren. Nun war aber nicht nur das Terrain schwierig, zugleich war das Herrschaftsgebiet und die Breite der Lebensäußerungen, die der Herr zu beherrschen beanspruchte, viel größer als das, was sich mit den elementaren Herrschaftsmitteln – persönliche Präsenz, verstärkt durch Familie und Gefolgschaft – tatsächlich kontrollieren ließ. Die Korrespondenz des alten Grafen mit seiner Frau bis zu ihrem Ableben im Jahr 1724 und mit seinen leitenden Beamten bis zu seinem eigenen Tod 1743 drehte sich ständig um die Folgen von Abwesenheit oder Zuspätkommen der Wirtschaftsbeamten und bezeugt, dass der Graf und seine Gehilfen insgesamt nicht ausreichten, um sein Hab und Gut in dem wilden Land wirklich zu kontrollieren. Heer in Ungarn im Zeitalter der Türkenkriege. Das Soldatenbauerntum, in: Othmar Pickl (Hg.), Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege, Graz 1971, S. 273–296. 68 Bei der Durchsicht von sämtlichen überlieferten Akten einer calvinistischen Familie des Komitatsadels, der Kölcsey, die in unserer Periode einen Stuhlrichter und mehrere Geschworene stellte, zeigen sich sogar bei besitzrelevanten Dokumenten erhebliche Mängel in den angesprochenen Aspekten. Vgl. András Vári, Der Pfandbesitz. Ein Geflecht von Eigentum, Klientel und Verwandtschaft im Ungarn des 18. Jahrhunderts, in: Jens Flemming u. a. (Hg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag, Kassel 2004, S.  621–643. Sogar im Westen Ungarns registiert die Forschung erst Anfang des 19. Jahrhunderts eine Zunahme bäuerlicher Schreibkundigkeit, bei Konzentration auf die obersten Strata, vgl.: István György Tóth, Írásbeliség a körmendi uradalom paraszti jogügyleteiben [Schriftlichkeit in bäuerlichen Rechtsgeschäften der Herrschaft von Körmend], in: Levéltári Közlemények (1984), Nr. 1, S. 31–50.



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Die Zwickmühle ist also folgendermaßen zu charakterisieren: Die Vielfalt der Hindernisse war viel zu groß für eine auch nur einigermaßen geregelte, geschweige denn eine bürokratisierte Form von Herrschaft, die Herrschaftsansprüche jedoch viel zu umfassend, um sie mit hausbackenen administrativen Methoden verwirklichen zu können. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffte eine Lücke, die den allmächtigen Heerführer als Möchtegernherrn erscheinen ließ. Die Grafen Károlyi gaben sich jedoch mit den potemkinschen Herrschafts-Kulissen nicht zufrieden, sondern leiteten Entwicklungen ein, die ihre Macht sukzessive realer werden ließen, sodass sich Schein (fast) in Richtung Wirklichkeit wandelte.

IV.  Klienten in der Wildnis IV. 1  Die Rekonstruktion in den verwüsteten Gebieten In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Phase eines Wiederaufbaus aus dem Chaos, standen den ehrgeizigen ökonomischen Zielen des Sándor Károlyi kaum überwindliche Hindernisse im Weg. Das gräfliche Regiment setzte notgedrungen auf eine kleine Gruppe von Vertrauensleuten, die – in bürokratiehistorischer Perspektive – dem Amtsträgertyp des commissarius entsprachen. Kommissare wurden in frühneuzeitlichen Verwaltungen allenthalben in Europa eingesetzt, wenn Situationen unklar und unübersichtlich waren oder zu eskalieren drohten. Als Sonderbeauftragte im Dienst ihrer Herren wurden Kommissare immer dorthin entsandt, wo die reguläre Verwaltung versagte oder wo sich die örtlichen Verhältnisse als unkontrollierbar erwiesen hatten.1 Mátyás Pollereczky und Gábor Badda, die bereits vorgestellten Rückkehrer aus der polnischen Emigration, wurden von Sándor Károlyi als solche Vertrauensleute im Wiederaufbau eingesetzt. Der Graf ernannte Pollereczky gleich nach seiner Ankunft im Komitat Szatmár zum praefectus der Güterverwaltung, was eher als ein Ehrentitel anzusehen ist als ein Amt mit klaren Kompetenzen. Er wohnte im Stammschloss Nagykároly und berichtete dem Grafen, wenn dieser abwesend war, brieflich über jeden seiner Schritte. Trotz seines Titels hatte die Stellung von Mátyás Pollereczky keinen bürokratischen Anstrich, eher kann man ihn als Anführer eines Stoßtrupps sehen, der an den schwierigsten Fronten eingesetzt wurde. Eigentlich hatte der Graf ihn als einen Fachmann für das Montanwesen angeworben, der Eisenhütten errichten und betreiben sollte. Da sich Károlyi im Zuge seiner rasanten Güterakkumulation jedoch stark verschuldet hatte, war zunächst an solch kostspielige Unternehmen gar nicht zu denken, obwohl entsprechende Pläne in der Korrespondenz immer wieder thematisiert wurden und schließlich im Jahr 1724 auch in die Tat umgesetzt wurden. Aber noch im Herbst 1721 hatte Károlyi nicht einmal so viel bares Geld, dass er einen Kredit über 3 000 Rheinische Gulden, den ein Gläubiger zurückforderte, hätte zurückzahlen können.2 In fast allen Briefen dieser Jahre tauchen kleinliche Geldsorgen auf. 1 Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte. Eine vergleichende Studie, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1962, S. 242–274. 2 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 357, Brief von Sándor Károlyi, Bátorkeszi, 4. Aug. 1721.



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In dieser Situation wurde Pollereczky an mehreren Fronten eingesetzt mit dem Ziel, möglichst rasch Geld aufzutreiben. Erstens versuchte er, den deutschen Siedlern in der Herrschaft Barmittel oder am Markt Verwertbares abzuluchsen. Graf Károlyi hatte seit 1712 in mehreren Wellen katholische Bauern aus Schwaben und Franken angeworben, um sie in etlichen wüstgefallenen Ortschaften anzusiedeln. Diese Siedler hatten eine weite Anreise hinter sich, deren Organisation insoweit missglückte, als die nach ungarischen Maßstäben eigentlich recht wohlhabenden deutschen Familien ziemlich verarmt und von Krankheiten geplagt ankamen. Immerhin verfügten sie über günstige Ansiedlungskonditionen.3 Wenn der Herr jedoch knapp bei Kasse war, hatte solch ein Ansiedlungskontrakt nur noch bedingt Gültigkeit. Am 20. Juni 1723 änderte Sándor Károlyi die Verträge einseitig ab, indem er die taxa von einer Hufe von 4 auf 9 Gulden heraufsetzte, während die 25-tägige Robotpflicht und das Neuntel (nona) von der Getreideernte unverändert auf ihnen lasteten. Daraufhin traten die deutschen Siedler (ab jetzt, dem historischen Gebrauch folgend: Schwaben) in den Streik, indem sie weder ihren Zins noch die Robotdienste entrichteten. Daraufhin wurde Pollereczky damit betraut, ihren Widerstand zu brechen. Um den Ausfall der bäuerlichen Dienste kurzfristig auszugleichen, versuchte er außerdem, den Vizegespan und die Stuhlrichter dazu zu bewegen, ihm Robotpflichtige zu überlassen, die eigentlich für gemeinschaftliche Aufgaben des Komitats vorgesehen waren. Er täuschte nicht einmal ein öffentliches Anliegen vor, sondern begründete seinen Wunsch einfach damit, dass Graf Károlyi Arbeiter brauche. Im Juli 1723 berichtete Pollereczky dem Grafen, wie er mit den Stuhlrichtern feilschte, ob sie ihm nun unentgeltlich zweihundert oder doch nur einhundert Erntearbeiter schickten. Zugleich rühmte er sich, dass er in einem Rundbrief an die Dorfrichter alte, lang nicht genutzte Wegzollrechte der Károlyi wieder in Erinnerung gerufen habe. Er verlangte die Zölle in bar, ersatzweise zwei Tage zusätzliche Robotdienste pro Kopf und Jahr.4 Pollereczky war freilich nicht an Zöllen interessiert, die er schwerlich ohne Einstellung von Zöllnern – also ohne weitere Ausgaben – hätte eintreiben können, sondern an Schnittern. Die Bauern aber blieben stur. Daraufhin versuchte der praefectus, sie mit seinen Heiduken gewaltsam zur Feldarbeit zu treiben, was einzelne Bewohner der deutschen Dörfer dazu veranlasste, mit ihren Familien und dem Vieh die Flucht zu ergreifen, angeblich vor allem die ärmeren unter ihnen.5 Da Pollereczky diese für ihn unangenehmen 3 Vonház, A Szatmár megyei német telepítés. 4 MOL P 398, Nr. 59554, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 28. Juli 1723; vgl. dazu Pollereczkys Brief an den Dorfrichter Nr. 59552, 18. Juli 1723. 5 Ebd.

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Vorfälle brieflich zugab, kann deren Wahrheitsgehalt kaum angezweifelt werden. Allerdings stellt sich die Frage, wohin die erst kürzlich Angekommenen eigentlich fliehen konnten. Nun, Bauern schinden und Robotdienstpflichtige antreiben, das kann jeder. Pollereczky aber konnte mehr. Während einige der ärmeren Siedler das Weite suchten, reichten die Bewohner von Csanálos, einem der größeren SchwabenDörfer, ein Bittgesuch, instantia, ein. Sofort ergriff Pollereczky die Gelegenheit, ließ den Dorfrichter und zehn weitere Leute in Eisen schlagen und auf das Schloss in Nagykároly bringen, unter dem Vorwand, das Bittgesuch sei nach Form und Inhalt als eine Rebellion gegen die Obrigkeit anzusehen.6 Die bedrängten Hörigen behaupteten freilich, der Schreiber habe den Text verfälscht und entschuldigten sich untertänigst. Trotzdem wurden sie erst freigelassen, als sie die Namen derjenigen Nachbarn genannt hatten, die sich auf ihre Flucht im nächsten Frühjahr vorbereiteten. Diese Personen wurden arretiert, sodass Pollereczky den Dorfrichter und die anderen Bauern nach Hause gehen lassen und dennoch weiterhin Geiseln behalten konnte. Diese gehörten wohl nicht zu den spannfähigen Bauern des Dorfes, sodass der Fortgang der Erntearbeiten nicht länger erheblich behindert wurde. In seinem Brief über den Vorfall berichtete Pollereczky, dass die Gemeinde Csanálos als „Ausdruck ihres guten Willens“ 25 Wagenfuhren Holz vom Wald zur herrschaftlichen Ziegelei auf sich genommen habe.7 Auch später im Jahr, während vier Bewohner des Dorfes Csanálos weiterhin in Arrest saßen, wurden die anderen immer wieder genötigt, erhebliche Arbeitsleistungen unentgeltlich zu leisten.8 Einen neuen Kontrakt erhielten sie erst im Jahr darauf, übrigens mit nahezu identischen Bedingungen wie im ursprünglichen Vertrag.9 Bis dahin hatten die Erpressungen des praefectus jedoch ihren Zweck erfüllt, dem Leutemangel in der Erntezeit abzuhelfen. Dieser Engpass wurde wahrscheinlich noch dadurch verschärft, dass die laufenden Bauarbeiten an den Klöstern Kaplony und Nyírbátor, am herrschaftlichen Gasthof und an den Gutsgebäuden in Nagykároly ohne Unterbrechung fortgesetzt wurden. Für Sándor Károlyi hatte vor allem der Wiederaufbau der Klöster

6 MOL P 398, Nr. 59572, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 3. Sept. 1723. 7 Ebd. 8 MOL P 398, Nr. 59573, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 5. Sept. 1723. Während die anderen in Arrest saßen, hatten 20 Leute in der Nacht „aus freiem Stücken“ Heu eingefahren. Nr. 59571, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 11. Sept. 1723. 9 Vonház, Szatmár megyei német telepítés, S. 12.



Die Rekonstruktion in den verwüsteten Gebieten

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absolute Priorität.10 Jedenfalls belästigte Pollereczky die Stuhlrichter unausgesetzt mit Bitten, das Komitat möge Robotarbeiter zu diesem oder jenem Bau schicken. Der Bau von Klöstern darf als öffentliches Vorhaben angesehen werden, gleichwohl ist den Briefen kaum zu entnehmen, ob die Dienste nun diesen öffentlichen oder doch eher privaten Zwecken der Gutsherrschaft dienten. Mit Komitatsfuhren wurden des Öfteren Brennholz bzw. Baumaterial auch zum Schloss oder in die Stadt Nagykároly bzw. zur herrschaftlichen Ziegelei gebracht, obwohl sich die Klosterbauten eben nicht in Nagykároly befanden.11 Die Weigerung der Komitatsbeamten, solche öffentliche Robotleistungen in Nagykároly oder auf anderen Gütern des Grafen Károlyi erbringen zu lassen, erklärt sich zum erheblichen Teil aus dem Unwillen der anderen Grundherren, die Arbeitskraft ihrer eigenen Hörigen dem Magnaten zur Verfügung zu stellen.12 Gleichzeitig versuchte Sándor Károlyi seinerseits, die Arbeitskraft seiner Bauern zu monopolisieren. Als sich „seine“ Schwaben auf anderen Gütern als Erntearbeiter verdingten, wurden sie von Pollereczky „heimgetrieben“.13 Sieht man von den Klosterbauten ab, waren die gräflichen Vorhaben meist Teil eines projectum, von dem man sich Bareinnahmen erhoffte: Gasthof, Ziegelei, Brauerei, Mühle. Die Frage liegt nahe, warum man mit diesen Projekten vorpreschte, wenn gleichzeitig ein ziemlicher Mangel an Saatgut, Wagen und Spannvieh herrschte. Baute man hier nicht das Dach ohne die Mauern? Aber Károlyi war, wie seine Korrespondenz bezeugt, von der Vorstellung beseelt, den Landwirtschaftsbetrieb in Richtung verarbeitender Industrie weiterzuentwickeln. Gewerbliche Anlagen und Gasthöfe versprachen beständige Bareinnahmen, während die Erträge des Acker- und Weinbaus „naturgemäß“ äußerst veränderlich blieben. Neben Bauernschinderei und Gewerbeansiedlung bestand die dritte Möglichkeit, an Bargeld zu kommen, in der Anwerbung von Juden, denen man Häuser 10 Zu den Kirchen- und Klosterbauten Sándor Károlyis siehe Júlia Bara, A Károlyiak műpártolása Nagykárolyban és környékén a 18. században [Das Mäzenatentum der Familie Károlyi in Nagykároly und Umgebung im 18. Jahrhundert], MS PhD Babeș-Bolyai Universität Klausenburg/Cluj-Napoca 2012, Kapitel IV. Károlyi plante schon im Jahr 1719 die Niederlassung der Piaristen in Nagykároly, denen er die calvinistische Kirche zudachte, was dann im Jahr 1723 tatsächlich geschah. Ebd., S. 35–36. 11 Holzfuhren nach Nagykároly und Brennholz für die dortige Burg siehe MOL P 398, Nr. 59584 und 59585 (zwei Briefen wurden identische Signaturen zugeordnet), Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 7. Dez. 1724. Wagen zum Dienst für die herrschaftliche Ziegelei geordert, siehe MOL P 398, Nr. 59580, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 7. Dez. 1724. 12 MOL P 398, Nr. 59571, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 11. Sept. 1723. 13 MOL P 398, Nr. 59554, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 28. Juli 1723.

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und Grundstücke in der Mediatstadt Nagykároly zur Pacht (ad arrendam) anbot. Die Herrschaftsverwaltung allgemein und Pollereczky zumal nahmen den Schutz der angesiedelten Juden sehr ernst. Als das Haus eines jüdischen Pächters von Stadtbewohnern verwüstet wurde und die Stadt Nagykároly in corpore auf Begnadigung der Angreifer petitionierte, nahm Pollereczky entschieden dagegen Stellung, denn „nicht das Haus eines Juden, sondern das Arrendatorenhaus Eurer Exzellenz wurde angegriffen.“14 Die Kehrseite des väterlichen Schutzes bestand darin, dass auch die Juden in den Kerker kamen, wenn sie mit ihrer Pacht säumig blieben oder wenn Pollereczky dies auch nur vermutete. Die herrschaftliche Kontrolle erstreckte sich auf ihr gesamtes soziales und religiöses Leben. So berichtete Pollereczky, dass er die Juden der Stadt Nagykároly auf Befehl von Károlyi zusammengerufen habe, damit sie einen von der Herrschaft bestimmten Kandidaten zum Rabbi wählten. Die jüdischen Gemeindevertreter wiesen aber darauf hin, dass der aktuell amtierende Rabbi bereits einen Bestallungsbrief von Károlyi erhalten habe, und erklärten, dass sie einen neuen Rabbi nur dann akzeptieren wollten, wenn der sich mit dem bisherigen Gehalt begnüge.15 Insgesamt hielt sich der wirtschaftliche Erfolg all dieser Anstrengungen in Grenzen. Das ist nicht sonderlich erstaunlich, ja es ist unmöglich zu sagen, welche Alternativen bessere Ergebnisse erbracht hätten. Bestimmt wären sie nicht besser ausgefallen mit einem Verwalter, der dem Grafen persönlich weniger ergeben gewesen wäre. Denn in der ländlichen Gesellschaft Ungarns dieser Zeit genossen schlichte Herrschaftsverwalter – in den Quellen Hofrichter oder provisores genannt – extrem große Autonomie. Sie lieferten nur die Summen und Naturalerträge ab, die nach Deckung der Bedürfnisse des lokalen Wirtschaftsbetriebs und des eigenen Privathaushaltes übrig blieben. Die Unterschiede zwischen einer Bewirtschaftung von Gütern durch einfache Angestellte oder durch ergebene Klienten lassen sich freilich nicht quantifizieren. Aber gilt vielleicht die umgekehrte Annahme? Waren persönlich loyale Herrschaftsdiener möglicherweise fähig, erhebliche Überschüsse zu erzielen, die herrschaftliche Wirtschaft gleichsam zu beflügeln? Zur Beantwortung dieser Frage sei ein Blick auf die Lieblingsprojekte des Grafen Károlyi geworfen.

14 MOL P 398, Nr. 59566, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 9. Okt. 1723. 15 MOL P 398, Nr. 59583, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 28. Dez. 1723.



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IV. 2  Die böhmischen Diamanten – Gábor Badda in der Glashütte von Száldobágy und Mátyás Pollereczky in der Eisenhütte von Salánk Wie bereits angedeutet waren landwirtschaftliche Gewerbe und die Veredelung von Agrarprodukten für den Markt weit verbreitet auf dem mitteleuropäischen Großgrundbesitz des 18. Jahrhunderts.16 Außerdem versuchten viele Magnaten, die auf ihren Gütern vorhandenen Bodenschätze und vor allem ihre Wälder zu nutzen, indem sie Glas- und Eisenhütten, Pottaschesiedereien und ähnliche Gewerbebetriebe errichteten. Entsprechend diesem modischen Trend erbaute man auch auf den gräflichen Gütern der Károlyi in den 1720er/30er Jahren die Glashütte in Száldobágy und die Eisenhütte in Salánk.17 Wenn zu dieser Zeit aber schon aus dem Ackerbau nur mit Mühe ein lukratives Geschäft zu machen war, um wie viel schwieriger musste sich da die Organisation eines komplexen gewerblichen Fertigungsprozesses darstellen? Solche Anlagen erforderten nämlich die ständige Kontrolle durch technisches Personal und die kontinuierliche Zulieferung von Rohmaterialien und Brennholz, die den Lieferanten – meist der hörigen Landbevölkerung – energisch abgefordert werden musste. Die technischen Erfordernisse ließen die theoretisch so gewinnträchtigen Wirtschaftszweige im Alltag zu einem Riesenproblem werden. Deshalb brauchte man auch in diesen Betrieben Beauftragte, die das besondere Vertrauen des Herrn genossen. Gábor Badda war gemäß Titel und Tätigkeit ein secretarius des Grafen Károlyi. Seine Polnischkenntnisse waren für Sándor Károlyi von erheblichem Nutzen, da er seit 1719 der gemischten polnisch-ungarischen Kommission vorstand, die sich vor allem mit den Beschwerden der Untertanen auf beiden Seiten der Grenze befasste. Gábor Badda nahm an dieser Komissionsarbeit teil.18 Doch spätestens seit Mai 1721 plante Graf Károlyi eine eigene Glashütte zu errichten; dieses Projekt wurde förmlich zu einer fixen Idee des Magnaten. „Böhmische Diamanten“ 16 Alfred Hoffmann, Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich. Bd. 1: Werden, Wachsen, Reifen, Salzburg 1952; ders., Die Grundherrschaft als Unternehmen, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 6 (1958), S.  123–131; Herman Freudenberger, The Waldstein Woollen Mill, Boston 1963; Walter Endrei, Magyarországi textilmanufaktúrák a 18.  században [Textilmanufakturen im Ungarn des 18. Jahrhunderts], Budapest 1969. 17 Über die Absicht, eine Glashütte aufzustellen, liest man das erste Mal in einem Brief von Károlyi vom 14. Nov. 1721 an seine Frau, in: Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 361. Über den Betrieb gibt es genauere Angaben ab März 1722. 18 MOL P 398, Nr. 01985, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, 13. Okt. 1726; Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S. 236, Eintrag von 3. Nov. 1726.

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wollte er produzieren, d. h. Glaskristalle von besonderer Härte und Schönheit, die zu Schmuckstücken verarbeitet wurden und zu dieser Zeit sehr beliebt waren.19 Zunächst hatte ein anderer Klient namens Gábor Erős den Grafen bei der Einrichtung der Glashütte beraten, z. B. bei der Formulierung der Instruktion für die Hüttenmeister.20 Doch die Phase des Baus und der Inbetriebnahme der Anlage dauerte unerwartet lang und war mit großen Problemen verbunden. Da Erős die Verwaltung des Dreißigstamtes übernommen hatte, konnte er diese Schwierigkeiten nicht mit dem nötigen Nachdruck aus dem Weg räumen, und so wurde Gábor Badda zur Glashütte abkommandiert. Obwohl Glashütten in ganz Europa um diese Zeit eine gewisse Verbreitung gefunden hatten, sodass man Facharbeiter aus dem Ausland – in diesem Fall aus Böhmen – anwerben konnte, erwies sich die Inbetriebnahme als schwierig. Die ersten drei Briefe, die Gábor Badda von seinem Kontrollauftrag bei der Hütte von Száldobágy im Bükk-Gebirge schrieb, legen ein beredtes Zeugnis von diesen Problemen ab: In einem ersten Brief vom 24. März 1722 berichtete er, dass nur zwei Männer zum Holzhauen erschienen seien, obwohl ihm von den Gutsverwaltern 80 Leute mit Äxten zugesichert worden waren. Er habe daraufhin anderswo Holzfäller angefordert, bisher aber ohne Antwort. Aus Erdőd habe er nicht mehr als drei Zimmerleute zur Hütte „treiben“ können, weitere sechs aus Madarász, die er nun Holz hauen ließe, bis weitere Arbeiter herbeigeschafft werden könnten. Neben der Glashütte sollte in Száldobágy auch eine Getreidemühle gebaut werden. Badda berichtete, der Müller wolle diese aber partout nicht nach dem Plan des Grafen Károlyi errichten, sondern auf seine eigene Art. Außerdem habe einer der böhmischen Glasmachergesellen schon seinen Abschied eingereicht. Es gebe zwar einen anderen Mann, der bisher als Heizer eingesetzt werde, der das Glasmachen beherrsche. Dieser könne an die Stelle des abtrünnigen Glasmachers treten, dann brauche man aber einen weiteren „Schwaben“ als Heizer am Glasofen.21 Vom 26. März 1722 datiert das nächste Schreiben. Die Mühle sei im Bau, es gebe jedoch drei schwerwiegende Probleme, zum einen mit der Wasserzuleitung, zum anderen mit dem Mühlrad, schließlich mit dem Balken, der als Achse für das 19 Zu den „böhmischen Diamanten“ vgl. den Brief von Károlyi an seine Frau 4. November 1721, Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S.  361. Geschliffenes Glas dieser Machart galt offenbar als standesgemäßes Geschenk für hochrangige Personen. So beschenkte Károlyi damit den Kammerpräsidenten. Vgl. Tagebucheintrag von Károlyi am 26. Juni 1727. Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S. 265. 20 Siehe unten in Kap. VII. 21 MOL P 398, Nr. 01937, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 24. März 1722.



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Abb. 20 Idealisierte Darstellung einer Glashütte (1772). Nach allem was wir wissen, war die gräfliche Glashütte in Száldobágy kaum jemals so „aufgeräumt“. Radel/Renard: Verrerie en bois. 1: Intérieur d‘une Halle de petite Verrerie à pivette ou en bois, 4: Plan et coup d‘un Four de petite Verrerie à pivette, et différentes opérations relatives à sa construction, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Recueil de planches, sur les sciences, les arts libéraux, et les arts mécaniques, Vol. 10, Paris 1772, S. 27.

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Mühlrad vorgesehen sei, da der sich als krumm erwiesen hatte. Erneut habe er, Badda, Verbesserungen in Übereinstimmung mit dem Mühlenbauplan des Grafen vorgeschlagen, der Müller beachte diese Ideen jedoch nicht. Doch morgen werde er einen geraden Holzbalken für die Achse zimmern und trocknen lassen, so wie von Károlyi anbefohlen. Die zwei Holzhauer, von denen im vorherigen Brief die Rede war, seien geflohen, von den versprochenen 80 Waldarbeitern gebe es weiterhin keine Nachricht, auch aus Erdőd seien keine weiteren Arbeiter zu rekrutieren, da jetzt alle mit der Weinlese beschäftigt seien. Man könne zwar Tagelöhner gegen Barzahlung bekommen, bares Geld sei dafür jedoch nicht vorrätig.22 Weitere zwei Tage später, am 28. März 1722, beklagte Gábor Badda, dass er weiterhin nur über sechs Robotpflichtige und drei Zimmerleute gebiete. Die Mühle sei zwar fertig, der Mühlstein könne jedoch nicht an den rechten Platz gerückt werden, denn der deutsche Müller sei confusus: Was er in der vergangenen Woche errichtet habe, müsse er in dieser Woche wieder umbauen. Bislang könne man auch noch kein Glas fertigen, das den von Sándor Károlyi geforderten Ansprüchen genüge. Man bemühe sich zwar, aber mit dem Ofen gebe es ständig Probleme. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass die Glashütte überdacht werden müsse, damit der Ton, aus dem der Schmelzofen errichtet wurde, nicht in das geschmolzene Glas falle. So könnten die für das herrschaftliche Schloss in Bátorkeszi bestellten Scheiben nicht schon jetzt, sondern erst später geliefert werden. Um das Maß voll zu machen, wolle der beste Glasmacher seinen Abschied nehmen, da er für die Kristallproduktion angestellt worden sei, in Száldobágy aber bisher nur einfaches Glas produziert werde, sodass er deutlich weniger verdiene. Der Fachmann habe Frau und Kind in Böhmen zurückgelassen. Er sei auf eigene Kosten aus Böhmen angereist, sodass man ihn auch nicht mit den vorgestreckten Reisekosten zum Bleiben zwingen könne. Er habe versucht, ihn zu überreden, der böhmische Spezialist bleibe aber nur, wenn er 40 Gulden mehr bekomme und die Anreise seiner Familie bezahlt werde.23 Diese zunächst als Anfangsschwierigkeiten eingeschätzten Probleme nahmen kein Ende. Nach einem halben Jahr wurde der Bau eines weiteren Schmelzofens in Angriff genommen, und zwar aus einem Ton, der extra aus dem Nachbarkomitat herbeigeholt werden musste. Währenddessen produzierte der alte Ofen immer noch keine „böhmischen Diamanten“.24 Einige der Probleme waren zeittypisch. 22 MOL P 398 Nr. 01938, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 26. März 1722. 23 MOL P 398, Nr. 01939, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 28. März 1722. 24 MOL P 398, Nr. 01935, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 24. März 1722.



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Die Rohmaterialien, inklusive der Baustoffe, aus denen Brennöfen bzw. Schmelztiegel bestanden, waren von Ort zu Ort unterschiedlich und verhielten sich deshalb ganz unvorhersehbar.25 Die tausendfachen Kombinationsmöglichkeiten von Rohstoffen und Baumaterialien mit jeweils unsicheren Eigenschaften ließen Technologien, die von einem Ort zu einem anderen transferiert wurden, zu einem Ratespiel werden.26 Daher mussten immer wieder einzelne Materialien mit bekannten Eigenschaften aus fernen Gegenden herbeigeschafft werden. Erschwerend kam hinzu, dass jeder versierte Produzent die eigenen Kenntnisse als arcanum betrachtete. Im Besitz geheimen Wissens versprach man alles, leistete wenig, und schob die Schuld für ein Scheitern anderen zu. Mit Glück und Geschick konnte man dieses Spiel eine Zeitlang fortsetzen – was auch Gábor Badda tat, der trotz seiner Misserfolge das Vertrauen des Grafen Károlyi lange nicht verlor.27 Vor ähnliche technologische Rätsel sah sich Mátyás Pollereczky gestellt, der ab Mai 1725 die neue Eisenhütte in der Herrschaft Salánk beaufsichtigte. Der Bau der Hütte begann im Herbst 1724, die Hüttenarbeiter trafen am 6. März 1725 aus Frankfurt ein.28 Doch auch hier lief nichts so schnell und problemlos wie erhofft. Das örtlich gewonnene Erz, die Schmelzzusätze und der Hüttenbetrieb bargen eine Abfolge unangenehmer Überraschungen, sodass Kosten ohne Ende entstanden.29 Als das Eisen endlich einmal gut geriet, barst prompt der Hochofen.30 Schließlich mussten im Februar/März 1726 für einen neuen Schmelzofen acht Wagenladungen Basaltsteine aus dem oberungarischen Komitat Zólyom quer durch das ganze Land nach Salánk verfrachtet werden – wohl nicht zufällig aus 25 Vgl. die parallelen Phänomene bei der Salzherstellung: Jakob Vogel, Ein schillerndes Kristall. Eine Wissensgeschichte des Salzes zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Köln/ Weimar/Wien 2007. 26 Die zeitgenössischen Technologiehandbücher bzw. Produktlexika operieren durchweg mit Ortsangaben, anstelle von Maß- oder Qualitätsangaben, und zwar sowohl bei Rohstoffen als auch bei Fertigprodukten. Vgl.: János Möller, Az europai Manufaktúrák és Fábrikák Mesterség Miveik [Produkte der europäischen Manufakturen und Fabriken], Pest 1818 (Reprint 1984). 27 Siehe die Aussagen von Károlyi über seine Zufriedenheit mit Badda und über die mögliche Entlassung von anderen Bediensteten in seinen Briefen an seine Frau Krisztina Barkóczy, Pozsony, 2. und 10. Aug. 1722. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 393, 395. 28 Gusztáv Heckenast, A magyarországi vaskohászat története a feudalizmus korában a XIII. század közepétől a XVIII. század végéig [Geschichte des ungarischen Eisenhüttenwesens in der Epoche des Feudalismus von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts], Budapest 1991, S. 157. 29 MOL P 398, Nr. 59597, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 29. Mai 1725. 30 MOL P 398, Nr. 59593, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 20. Juli 1725.

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dem Heimatkomitat von Pollereczky und Badda.31 Im Januar 1726 holte man zusätzlich Sachverständige und Arbeiter aus dem oberungarischen Komitat Gömör herbei.32 Am 30. Juli 1726 nahm die gräfliche Eisenhütte ihren regulären Betrieb auf, doch schon zwei Tage später sah sich Sándor Károlyi veranlasst, deren „Rectification“ in Angriff zu nehmen.33 Zum Bild von Károlyi passt es, dass die beiden nun hinzugezogenen Sachverständigen, Pál Lányi und Márton Szabados Tóth, erfolgreiche Eisenunternehmer und soziale Aufsteiger waren. Er hatte ihre Bekannschaft wohl schon während des Rákóczi-Krieges gemacht, in dem die beiden als Eisenlieferanten für die Aufständischen dienten.34 Pál Lányi dürfte übrigens Mitschuld daran tragen, dass der Eisenherstellung des Grafen Károlyi nur ein kurzes Leben beschieden war. In dessen eigenen Hüttenwerken gelang nämlich Anfang der 1730er Jahre der Sprung zum indirekten Schmelzverfahren neuen Typs mit Frischfeuer, wodurch die alten Hochöfen schlagartig verdrängt wurden.35 Seit dieser Zeit findet sich von der Gräflich-Károlyischen Hütte in Salánk in den Quellen keine Spur mehr. Jenseits des Technologierätsels, das übrigens überall in Ungarn, auch in den städtischen Betrieben und in den Werken unter königlicher Kammerverwaltung gelöst werden musste, gab es auch spezifisch organisatorische Probleme, die mit der Struktur von Latifundien zusammenhingen. Der Hüttenbetrieb beruhte nicht nur auf dem arkanen Wissen über geeignete Rohstoffe und Baumaterialen. Ebenso wichtig war das rechtzeitige Erscheinen bäuerlicher Gespanne und Handarbeiter in hinreichender Zahl, die Holz fällten und anlieferten, denn die Hütten verschlangen Unmengen Feuerholz. Häufig kamen aber keine Dienstleute, sondern bloße Versprechungen.36 31 MOL P 398, Nr. 59636, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 11. März 1726. 32 Heckenast, A magyarországi vaskohászat, S. 158. Der Sachverständige Márton Tóth kam aus der Herrschaft Csetnek. 33 Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S. 223–224. 34 Heckenast, A magyarországi vaskohászat, S. 135, 159. 35 Ebd., S. 201–203. 36 MOL P 398, Nr. 01933, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 22. Mai 1722. Badda schrieb, dass der Hofrichter von Salánk die Unwahrheit erzählte, als er in seinem Brief behauptete, das Ton wäre auf dem Weg nach Száldobágy. Nichts sei angekommen, bei seinem Besuch fand Badda kaum Material vor, weswegen er persönlich nach Salánk reiste, damit überhaupt etwas angeliefert wurde. Nach einjährigem Betrieb kann man die gleiche Szene beobachten: Badda entdeckte erst, als er vor Ort erschien, dass es kein Material mehr gab. Niemand hatte sich veranlasst gesehen, darüber zu berichten. MOL P 398, Nr. 01948, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 14. Febr. 1723, bzw. Nr. 01947, 19. Febr. 1723.



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Gábor Badda schrieb seinem Herrn klipp und klar, die ständigen Verzögerungen führten dazu, dass die Produktion unterbrochen werden musste, was große Schäden verursache.37 Doch war anderes kaum zu erwarten, denn die Industrieanlagen waren Fremdkörper innerhalb der Gutsherrschaften, welche die Fronarbeiter und Fuhrwerke stellen mussten. Dass aus den Gewerbebetrieben ständig Forderungen nach Gütern, Gespannen und Arbeitskräften kamen, immer in einem zeitlichen Rhythmus, der den Hofrichtern in den umliegenden Gutsbetrieben lästig fallen musste, machte das Zusammenleben nicht gerade harmonisch. Dass die Einkünfte aus den Industrieanlagen direkt in die Kassen des Herrn liefen, nicht aber mit den Gutsherrschaften geteilt wurden, war ein weiteres Problem. Hinzu kam, dass die Naturalleistungen an die Hütten bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts nicht auf der Habenseite der Güter verbucht wurden, sondern einfach deren Kosten vermehrten. So nimmt es nicht wunder, dass die Kontrolleure der Gewerbebetriebe, wie Gábor Badda in der Glashütte von Száldobágy und Mátyás Pollereczky in der Eisenhütte von Salánk, den Verwaltern der umliegenden herrschaftlichen Güter zwar Befehle erteilen konnten, es aber stets fraglich blieb, ob und wie diese Befehle ausgeführt wurden.38 Erhebliche, systematisch angelegte Probleme bereitete auch das technische Personal, die Hüttenarbeiter und Glasbläser. Fortwährend gab es Abwerbungsversuche, was ständige Aufsicht nötig machte.39 Auch konnten sie in der fremden Umgebung, vor allem in den abseits liegenden Standorten, nicht angemessen versorgt werden. Um die Einnahmen zu steigern, wurde neben den Hütten meist eine Schenke eröffnet, was nicht selten dazu führte, dass die in einer fremden Umgebung, fern von ihren Familien lebenden Männer dem Trunk verfielen. Die Unbotmäßigkeit der Betrunkenen erschwerte den Wirtschaftsbeamten zusätzlich die Kooperation mit ihnen.40 Gegen diese Verhaltensweisen verfügten die Hüt37 MOL P 398, Nr. 01940, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 21. Juli 1722. 38 Das formulierte auch Badda selbst ganz ähnlich: MOL P 398, Nr. 01947, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 19. Febr. 1723. 39 Nach zwei Monate währenden Streitigkeiten, Drohungen und Beschimpfungen liefen einige Glasbläser tatsächlich davon und flüchteten nach Siebenbürgen, „zur Errichtung der Hütte von Herrn György Bánffy“. MOL P 398, Nr. 01942, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 1. Aug. 1722. Die Flucht wurde laut Badda von einem gewissen Andreas Kargas organisiert. Er und sein Bruder kommen schon in dem Schreiben vom 22. Apr. 1722 als Störenfriede vor. MOL P 398, Nr. 01934, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly 22. Apr. 1722. 40 MOL P 398, Nr. 01941, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 28. Juli 1722. Dass der Ofen zu bersten drohte, weil für seine Errichtung Ton aus Homoród und nicht aus Salánk genutzt worden war, stellten der Hüttenmeister und Badda eine Woche vor dem

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tenaufseher über das zeit- und ortsübliche Mittel – Arrest. Damit riskierte man zwar weitere Probleme; gegen sozial isolierte Arbeitskräfte blieb es aber nicht ganz ohne Wirkung.41 Die Buchführung der Industrieanlagen brachte Schwierigkeiten besonderer Art mit sich. Qualitativ heterogene, im Preis stark schwankende Bestände von Rohmaterial, Halb- und Fertigprodukten tendieren allemal dazu, dass Kosten und minderwertige Bestände bei den fernen Inhabern der Betriebe zu Buche schlagen, Geldeinnahmen und wertvolle Bestände hingegen in die Privatschatulle des örtlichen Managements wandern. Graf Károlyi versuchte zwar kontinuierlich Kontrolle auszuüben, wozu ein bürokratisches Instrumentarium durchaus bekannt war.42 In den Jahren 1729, 1735 und 1736 unternahm er den Versuch, dem Stocken in der Produktion der Glashütte von Száldobágy und zugleich eventuellem Unterschleif einen Riegel vorzuschieben, indem er detaillierte, fachlich wohl informierte und unzweideutig formulierte Instruktionen für den Hüttenmeister, den Hütteninspektor, den Einnehmer und den Schankpächter erließ.43 Solche Maßnahmen taugten in der Regel aber nur so lange, wie der Eigentümer die Anlage ständig im Auge behielt. Diese Problemlage verdeutlicht einmal mehr, warum Sándor Károlyi – wie andere Magnaten auch – auf seine getreuen Klienten als Kontrolleure setzte. Gábor Badda und Mátyás Pollereczky konnten freilich nicht viel anderes tun, als einen modus vivendi mit den Hofrichtern der Nachbarherrschaften einerseits, mit den Belegschaften der Werke und den Hüttenmeistern andererseits zu entwickeln. So war es nur logisch, dass Industrieanlagen auf Dauer – hier wie anderswo – an die technischen Betriebsleiter verpachtet oder von ihnen auf einer Teilbau-Basis betrieben wurden.

endgültigen Auseinanderbersten gemeinsam fest. MOL P 398, Nr. 01940, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Zöldvár, 21. Juli 1722. In Dezember stürzte erneut ein Ofen ein, diesmal aber lediglich ein weniger kostbarer Abkühlofen. MOL P 398, Nr. 01944, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 18. Dez. 1722, bzw. Nr. 01945, 20. Dez. 1722. 41 MOL P 398, Nr. 01956, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 11. Okt. 1723. 42 András Vári, A nagybirtok birtokigazgatásának bürokratizálódása a 17–19. században [Die Bürokratisierung der Güterverwaltung auf dem Großgrundbesitz im 17–19. Jahrhundert], in: Történelmi Szemle 32 (1990), Nr. 1–2, S. 1–28. 43 Adatok a száldobágyi huta történetéhez [Angaben zur Geschichte der Hütte von Száldobágy], in: Magyar gazdasági szemle (1902), S. 276–285.



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IV. 3  Die herrschaftlichen Vertrauensleute vor Ort – Gábor Badda auf der Pußta Da sich Gewerbebetriebe kaum eigneten, Geldflüsse in die gräflichen Kassen zu leiten, war man auf das traditionelle „Kerngeschäft“ angewiesen, die Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten. Damit hatte man im östlichen Ungarn lange Erfahrung, damit ließen sich mit dem nötigen Geschick Gewinne erwirtschaften. Schon während des Kuruzzenkrieges, verstärkt noch seit dem Frieden von Szatmár, ließ Sándor Károlyi Vieh ankaufen, auf die Weiden treiben und die fetten Ochsen dann auf den Jahrmärkten in Pest oder Vác (Waitzen) veräußern. Diese Geschäfte scheinen während des Krieges besonders profitabel gewesen zu sein, weil der Graf die Entrichtung des Dreißigstzolls angeblich konsequent unterließ.44 Aber auch im Frieden versprach die Ochsenmast – trotz der nun kaum zu vermeidenden Zölle – guten Gewinn. Doch der Handel mit Agrarprodukten ließ sich durch einen abwesenden Herrn genauso wenig lückenlos kontrollieren wie Industrieanlagen. Auch hier hing viel von seinen Männern ab, die eigenständig entschieden, auf welchem Jahrmarkt zu welchem Preis die Herden verkauft wurden.45 Die extensive Viehhaltung auf den unermeßlichen Weiden blieb sowieso unüberschaubar, ihre vollständige Regulierung ein frommer Wunsch.46 Dasselbe lässt sich über den Verkauf von Wein und Tabak sagen, Felder auf denen Badda und Pollereczky im herrschaftlichen Auftrag ebenfalls tätig wurden.47 Auch diese Waren unterlagen extremen Schwankungen in Qualität und Preis, sodass die Be44 Zoltán Fallenbüchl, Adalékok a magyar kamarai hivatalszervezet működéséhez a Rákóczi szabadságharc idején [Beiträge zum Funktionieren der ungarischen Kameralverwaltung zur Zeit des Rákóczi-Freiheitskrieges], in: Levéltári Szemle 22 (1972), Nr. 3, S. 37–48, über die Nichtbezahlung der Zölle S. 42. Eine gewisse Vorsicht scheint jedoch geboten, denn dabei kann es sich auch um eine Schutzbehauptung der Dreißigsteinnehmer handeln, bei denen riesige Defizite aufgelaufen waren. 45 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. II, S. 437, Brief von Sándor Károlyi an Krisztina Barkóczi, Pozsony, 3. Dez. 1722. 46 Noch ein halbes Jahrhundert später, in der Katastralaufnahme Josephs II. von 1786, entfiel als Durchschnitt der Gemarkungen der drei Mediatstädte Csongrád, Vásárhely und Szegvár nicht mehr als 24,7 % der Fläche auf Äcker, der Rest, neben minimalen Waldflächen, bestand immer noch aus Weiden. Vgl. Zoltán Dávid, Adatok a mezőgazdasági termelés nagyságáról 1786–89 [Daten über das Volumen der Agrarproduktion, 1786–89], in: Történeti statisztikai Évkönyv, Budapest 1965–66, S. 99–141, die Angaben aus Tab. 1., S. 105. 47 MOL P 398, Nr. 01950, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, 19. März 1723. Zwei Wochen später, nachdem Badda die Hütte besucht hatte, wurde er mit einer Wagenladung Tabak auf den Jahrmarkt von Pest geschickt. Im Juli schrieb er, dass er den Tabak zum abgemachten Preis nicht hatte verkaufen können, weshalb er den Wagen nach Bátorkeszi wei-

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diensteten nicht annähernd an irgendwelche vorher festgelegten Richtwerte zu binden waren. Sie schalteten und walteten auf den Jahrmärkten, wie sie wollten und wie sich ihnen Gelegenheit bot. Das alles waren keine ungarischen Singularitäten, die Schwierigkeiten stellten sich hier wegen der Weite des Landes, der dünnen Bevölkerung und der Verwilderung der Sitten freilich mit besonderer Schärfe. Die Problemlage ist beispielsweise für Böhmen, für die französische Monarchie oder für die Reichsterritorien bekannt und mehrfach untersucht worden. Lokales Personal war von einem fernen Monarchen, Fürsten oder sonstigen großen Herrn kaum zu kontrollieren. So schickte man Vertrauensleute als Aufseher, zunächst punktuell, mit situativ ganz respektablem Erfolg, aber ohne dauerhaft disziplinierende Folgen, denn die Kontrollierten vor Ort entwickelten allenthalben beachtliche Fähigkeiten, die herrschaftlichen missi, commissarii oder visitatores hinters Licht zu führen oder zu besänftigen. Ein probates Mittel dagegen war die Entsendung von dauerhaft tätigem Kontrollpersonal, das dann vor Ort vor der Alternative stand, ständig Konflikte auszufechten, mit der Konsequenz, dass ihm Informationen möglichst vorenthalten wurden, oder aber zumindest mit einigen Personen vor Ort einen Modus der Kooperation zu finden. Sie wurden dadurch freilich zu janusköpfigen Gestalten, zwar prinzipiell ihrem Auftraggeber verpflichtet, jedoch mit der Dauer des Aufenthalts zunehmend auch in örtliche Loyalitäten verstrickt. Konnte die Zentrale diesen Maklern der Macht noch trauen? Turnusmäßige Versetzung des Aufsichtspersonals versprach Sicherheit vor den „Durchstechereien“ zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten. Versetzungen waren jedoch mit hohen Transaktionskosten verbunden, denn ständig mobile Amtsträger benötigten an jedem neuen Ort einige Zeit, um sich zu orientieren. Frühmoderne Herrschaft stand somit vor systematisch angelegten Zwickmühlen. In diesem Spannungsfeld bewegte sich auch Gábor Badda, der sich viele Jahre hindurch als herrschaftliches Rollkommando auf der Pußta bewährte, bevor ihn schließlich örtliche Widerstände zu Fall brachten, die er durch sein Handeln – zum einen im Interesse der Herrschaft, zum anderen aber auch im wohlverstandenen Eigeninteresse – selbst heraufbeschworen hatte. Aber jemand wie er scheitert niemals völlig. Nach einigen Jahren sehen wir ihn erneut in gräflichen Diensten unterwegs, durch Einheirat nun besser integriert in die lokale Welt, durch schlechte Erfahrungen gewitzter und mit einer entsprechend geschmeidigeren Interpretation seiner Rolle. Welche Evidenz haben wir über seine Aufträge, seine terschickte, in eine unweit von Preßburg gelegene Károlyi-Herrschaft. MOL P 398, Nr. 01954, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Pest, 2. Juli 1723.



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soziale und ökonomische Lage und seine Stationen auf einem Weg mit Höhen und Tiefen? Das polnische Vermögen seines Stiefvaters Mátyás Pollereczky scheint in den 1720er Jahren verloren gegangen zu sein. Die Familie kehrte allerdings mit Vieh und Gesinde nach Ungarn zurück, begann also bei der Akkumulation nicht ganz bei Null.48 Die Familie wohnte in Terem, einem Dorf unweit des caput bonorum Nagykároly. Wiederholt bat Gábor Badda den Grafen, ihm den dortigen Ausschank zu verpachten, was ihm nach Jahren auch bewilligt wurde, außerdem zwei Bauernhufen als Pfandbesitz.49 Immerhin, das war ein Anfang. Hinzu kamen die Vermögensbestandteile der eigenen Mutter in Besztercebánya (Neusohl), bestehend aus einem städtischen Haus cum appertinentiis. Es war alles andere als selbstverständlich, dass er diesen Besitz zurückbekam, denn er war beschlagnahmt worden, als die Familie in die Emigration ging. Badda nutzte zum einen die Rückendeckung durch den Grafen50, zum anderen argumentierte er, dass er persönlich – zum Zeitpunkt der Emigration noch ein Kind – dem Kaiser niemals untreu gewesen sei. Das war zwar plausibel, überging jedoch die Rolle seines Stiefvaters Pollereczky mit Stillschweigen.51 Überhaupt waren die familiären Verhältnisse des Gábor Badda wenig hilfreich. Von seinen zwei jüngeren Stiefbrüdern ging der eine, András, nach Frankreich, wo er Husarenoffizier wurde, sehr wahrscheinlich die Kontakte und Bekanntschaften aus der polnischen Emigration nutzend. Der andere, Mátyás Pollereczky der Jüngere, hatte zunächst städtische Ämter in der Heimatstadt Neusohl inne. Im Jahr 1740 sehen wir ihn als Offizier in der österreichischen Armee, aber schließlich

48 MOL P 398, Nr. 59550, Brief von Pollereczky an Sándor Károlyi, 14. Okt. 1722. Darin werden die Familienangehörigen in Terem als „Waisen“ bezeichnet. 49 In seinem Brief an Sándor Károlyi vom 12. Mai 1725 beklagte Gábor Badda, dass sein Pferd auf der Weide bei Terem verloren gegangen sei, MOL P 398, Nr. 01968. Über seine Mühle in Terem erfährt man zuerst durch einem Brief aus Terem, 6. März 1728 (MOL P 398, Nr. 2002). Sein Weinschank wird unten behandelt. Über seine Pfandgründe in Terem vgl. MOL P 392, Lad. 9, II, Nr. 284, Elenchus Inscriptionalistarum in Omnibus Bonis ... Domini Antonii Károlyi, 27. Nov. 1767. 50 MOL P 398, Nr. 01945, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 20. Dez. 1722. Die Bitte bezog sich ausdrücklich auf Güter, über die der Fiskus verfügte, die also sequestriert worden waren. 51 MOL P 398, Nr. 01955, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 1. Sept. 1723. Nach zwei Monaten erneuerte er seine Bitte, d. h. es war immer noch unerledigt, MOL P 398, Nr. 01958, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 10. Nov. 1723.

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ging auch er nach Frankreich, wo er Kavallerie-Brigadier wurde.52 Das alles war wahrlich keine Empfehlung für den in der Heimat verbliebenen Halbbruder. Im Winter 1725/26 heiratete Badda eine Frau aus einer Neusohler Patrizierfamilie. In seinen Briefen wurde sie erstmalig im April 1726 erwähnt, als er vom Grafen vier Pferde erbat, um ihre Habseligkeiten nach Nagykároly transportieren zu können.53 Das familiäre Glück war von Beginn an problembelastet. Seine Ehefrau und ihre Familie waren aus Tradition, sozialer oder beruflicher Stellung stark an Besztercebánya (Neusohl) gebunden. In dieser Gegend aber hatte Károlyi weit und breit keine Besitzungen, sodass Gábor Badda stets anderswo eingesetzt wurde. Zu Weihnachten, bei Krankheiten oder Geburten zog es seine Frau in ihre Heimatstadt, eine Wochenreise vom Wohn- und Arbeitsort ihres Mannes entfernt.54 Zu Anfang funktionierte dieser Spagat noch: Wenn Badda Informationen, Apparatschaften oder die oben erwähnten Basaltsteine für die gräflichen Hüttenbetriebe besorgte, bot sich jedesmal eine Gelegenheit für einen längeren Aufenthalt in Neusohl.55 Als das gewerbliche Engagement von Sándor Károlyi erlahmte, entfielen diese glücklichen Gelegenheiten. Mátyás Pollereczky verschied im Juni 1726,56 woraufhin Gábor Badda unter anderem in sein Amt als Zehnteinnehmer einrückte, das für Leute mit der nötigen Portion Gerissenheit als Goldgrube galt.57 Nachfolger von Pollereczky im Amt des praefectus wurde jedoch jemand anderes und er scheint der Familie Pollereczky-Badda nicht besonders gewogen gewesen zu sein. So warf die Schankpacht von Terem keine sonderlichen Profite ab, weil der neue Leiter der gräflichen Wirtschaftsbetriebe auch den Gutsverwaltern in den umliegenden Dörfern erlaubte,

52 MOL P 398, Nr. 02304, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Terem, 18. März 1740. Vgl. auch P 398, Nr. 59526, Brief von Mátyás Pollereczky an Ferenc Károlyi, Versailles, 5. Juni 1759, in dem sich der französische Offizier bei Károlyi bedankt für die Hilfe für seinen Bruder, dessen Haus niedergebrannt ist. Zu seiner militärischen Karriere siehe: Vladimír Segeš, Tri generácie. 53 MOL P 398, Nr. 01979, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, ,Neosoly‘ (Besztercebánya, dt. Neusohl, lat. Neosolium, heute Slowakei: Banská Bystrica), 20. Apr. 1726. 54 MOL P 398, Nr. 01987, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Neosoly, 23. Dez. 1726 sowie Nr. 01998, 29. Dez. 1727. und Nr. 2001, Szegvár, 22. Jan. 1728. 55 MOL P 398 Nr. 01973, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, ,Novisoly‘, 27. Dez. 1725 sowie Nr. 01974, Neosoly, 31. Dez. 1725. 56 MOL P 398, Nr. 01981, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Surány, 16. Juni 1726. 57 Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S. 222, Eintrag vom 23. Juli 1726.



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eigene Wirtshäuser zu betreiben, in krasser Missachtung der Monopolrechte der Witwe des Pollereczky und ihres Sohnes Gábor Badda.58 Noch problematischer wurde die Lage seit dem Sommer 1727, nachdem Sándor Károlyi seine Besitzungen in der südungarischen Tiefebene bereist hatte und mit dem Gesehenen äußerst unzufrieden war. Das südliche Ungarn war besonders schwer verwüstet worden, die dortigen Ländereien warfen kaum etwas ab.59 Andererseits waren die dortigen Wirtschaftsbeamten alte Vertraute von Károlyi, die er nicht einfach vor die Tür setzen wollte, sondern die er in ihren Ämtern beließ. Allerdings sollten sie künftig besser kontrolliert werden von Gábor Badda, den er Ende Juli 1727 in die Herrschaft Csongrád-Vásárhely versetzte, wo er als Zehnteinnehmer und zugleich als Rechnungsprüfer tätig wurde.60 Das war an sich schon eine unglückliche Konstruktion, Badda aber rannte auch noch in alle möglichen Fallen. So unterstützte er den Anspruch des katholischen Pfarrers auf die sedecima, den sechzehnten Teil, gegenüber den reformierten Ackerbürgern der Stadt Vásárhely (Hódmezővásárhely) und forderte – in Übereinstimmung mit seiner Instruktion – den Zehnt auch von den verpachteten Wüstungen der Stadt, die bis dahin zehntfrei gewesen waren. Das provozierte einen so heftigen Widerstand, dass Badda nicht nur die Eintreibung suspendieren musste, sondern sogar das Bittgesuch der Pächter um Erlass des Zehnten unterstützte.61 Im selben Brief musste er sich erstmalig gegen Beschuldigungen verteidigen, dass er als accidentia vom Zehnt mehr für sich abgezweigt hätte, als ihm zustand. Károlyi wollte auch im südlichen Ungarn seine Einnahmen steigern. Zu diesem Zweck schreckte er nicht einmal davor zurück, Badda anzuweisen, die Namen 58 MOL P 398, Nr. 01990, Brief von Gábor Badda an György Horváth, Neosoly, 8. März 1727, bzw. Nr. 01991, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Terem, 28. März 1727. 59 Pettkó/Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi-család, Bd. II, S. 9. Die Bewohner von Vásárhely bezahlten jährlich 3 000 Rh. Gulden Pacht, die von Csongrád jährlich 300 Rh. Gulden und bestimmte Naturalien. Csongrád wurde zwar nach der Zerstörung schnell wiederbesiedelt, aber 1722 bei der Inbesitznahme durch Károlyi wohnten dort noch nicht mehr als 62 Hörige und 58 „Ankömmlinge“, advenae. Ebd., S. 19.  60 Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S.  266–280, Einträge von Károlyi von Juli bis November 1727, besonders 12, 13. und 14. Nov. „Keinen Samen haben die lebensuntauglichen Hunde gesät“ – meinte er in Bezug auf seine Bediensteten. Vgl. auch MOL P 398, Nr. 01992, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Vásárhely, 28. Juli 1727. 61 MOL P 398, Nr. 01993, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Vásárhely, 20. Aug. 1727. Vásárhely gab die Puszta Derekegyház als Ganzes an Wirte aus Szentes weiter in Unterpacht, wie es just Badda zum Vorschein bringen mußte. Da Szentes Harruckern-Besitz war, wurde aus der Angelegenheit 1724 ein Prozess, der jedoch 1727 mit einem freundschaftlichen Vergleich beendet wurde. Pettkó/Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi-család, Bd. II, S. 43.

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von Toten in die Urbarialkonskriptionen aufzunehmen.62 Je mehr Namen darin standen, umso höher fielen die Abgaben aus, denn die Urbariallasten wurden von der Gemeinde kollektiv getragen, auch für zwischenzeitlich Verstorbene, Verzogene und Geflüchtete. Als wenn dieser Ärger nicht schon ausgereicht hätte, setzte Károlyi auch noch die Löhne der eigenen Bediensteten herab.63 Gábor Badda wurde beauftragt, all diese Maßnahmen zu vollstrecken. Seitdem führten die aufgebrachten herrschaftlichen Bediensteten der Herrschaft Csongrád-Vásárhely und die Ackerbürger der Stadt Vásárhely einen gemeinsamen Stellungskrieg gegen den fremden Kontrolleur. Zu allem Überfluss entdeckte Badda auch noch, dass in den Protokollen des dortigen Komitats die Kosten der Einquartierung des Militärs in der Stadt Vásárhely nur zur Hälfte berücksichtigt wurden. Das sparte der Komitatskasse eine erkleckliche Summe, brachte der Stadt im Gegenzug eine doppelte Belastung. Auf Betreiben von Badda intervenierte Károlyi also für seine Mediatstadt und schaffte Abhilfe.64 Das führte auch noch den Komitatsadel in die Phalanx der Feinde von Gábor Badda, der binnen eines Jahres viermal bei Károlyi angezeigt wurde.65 Trotz dieser Verdächtigungen und Unterstellungen schaffte sich Badda auch an seinem südungarischen Wirkungsort Vieh und Haus an und focht fünf Jahre lang einen zunehmend verzweifelteren Kampf, in dem er letztlich unterlag. Im Jahr 1732 wurde er schließlich nach Szatmár strafversetzt, ohne dass sich die genaue Ursache dafür feststellen lässt.66 Bei seinem Sturz können mehrere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Einerseits mag beim Magnaten Überdruss aufgekommen sein über das Ausmaß der Unordnung, von dem die Beschuldigungen und Gegenbehauptungen seiner Bediensteten beredtes Zeugnis ablegten. Diese Unordnung hatte Badda genutzt, sich eine Herde von über 50 Stück Rindvieh

62 MOL P 398, Nr. 02023, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Szegvár, 25. Febr. 1729. Badda schrieb allerdings, dass er die Namen derer, die vor Kurzem verstorben waren, nicht herausbekommen könne. 63 MOL P 398, Nr. 01997, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Csongrád, 10. Nov. 1727. 64 MOL P 398, Nr. 02012, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Vásárhely, 1. Dez. 1728. 65 MOL P 398, Nr. 02064, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Szegvár, 3. Dez. 1729. 66 András Vári, Az uralom az uradalomban. Nagybirtokos, gazdatisztek és parasztok közötti hatalmi viszonyok egy per tükrében az 1810-es években [Die Herrschaft im Dominium. Machtverhältnisse von Großgrundbesitzern, Wirtschaftsbeamten und Bauern in den 1810er Jahren im Spiegel eines Prozesses], in: Századok 138 (2004), Nr. 3, S. 539–600.



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anzuschaffen, was seine Gegner nicht unerwähnt ließen.67 Außerdem passierten ihm peinliche Pannen, zum Beispiel, als er im Winter 1731/32 seine Frau erneut ins heimatliche Besztercebánya begleitete und in seiner Abwesenheit eine Lieferung Wild und Fisch aus Vásárhely für die herrschaftliche Küche in Nagykároly übelriechend ankam.68 Letztendlich war wohl genau das seine entscheidende Schwachstelle: Besztercebánya (Neusohl) war fern, im südungarischen Komitat hatte er keine Verwandten und Verbündeten. Er versuchte zwar erfolgreich, zwei seiner Schwäger dort in Stellung zu bringen, das aber reichte nicht aus. Just nachdem er suspendiert worden war, starben im Herbst 1732 seine Frau und sein einziger Sohn. Entweder haben diese Schicksalsschläge den Grafen Károlyi umgestimmt, der selbst seine Frau 1724 verloren hatte, oder die Anschuldigungen gegen Badda stellten sich letztlich als haltlos heraus. Jedenfalls erhielt der zunächst Kaltgestellte nach gewisser Zeit eine zweite Chance. Er wurde in der Herrschaftsverwaltung in Nagykároly angestellt, saß als Assessor im dortigen Patrimonialgericht und heiratete 1734 eine Frau aus einer kleinadeligen Familie des Komitats Szatmár.69 Ab 1737 fungierte er als Steuereinnehmer des dortigen Komitats, eine Stelle, die viel Arbeit und Verantwortung mit sich brachte, um so mehr, als Badda anscheinend die cassa bellica und die cassa domestica versah.70 Vor allem die Kriegskasse war eine heikle Sache wegen der Ansprüche der Regimenter und der nie endenden gewaltsamen Eintreibung von Steuerrückständen. Weitere verantwortungsvolle Aufgaben folgten; so führte er 1743 zusammen mit einem Stuhlrichter des Komitats eine Untersuchung gegen einen Hofrichter der Károlyi-Güterverwaltung.71 Ab 1744 pachtete er herrschaftliche Krüge in mehreren Ackerbürgerstädten und scheint es zu Wohlstand gebracht zu haben. Im Jahr 1759 erfahrt man aus dem Brief eines Kollegen, 67 MOL P 398, Nr. 02177, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Szegvár, 10. Juli 1733. Man kennt die Gesamtgröße der Rinderherden der Herrschaft zwar nicht, als Richtwert kann jedoch ein Eintrag im Tagebuch von Károlyi vom 11. April 1729 gelten, wonach er zwei Herden mit insgesamt 313 Ochsen kaufte. Szalay, Károlyi Sándor önéletírása, S. 326. Wenn das stimmt, verfügte Badda immerhin über eine Herde, die etwa ein Zehntel des herrschaftlichen Viehstands ausmachte. 68 MOL P 398, Nr. 02117, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Csongrád, 22. März 1731. 69 Die erste Erwähnung seiner Verbindung mit der eher unbedeutenden Familie Becsei aus Jánosi im Komitat Szatmár, MOL P 398, Nr. 02188, 24. Sept. 1734. 70 MOL P 398, Nr. 2240, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 4. Okt. 1737. 71 MOL P 398, Nr. 2338, Brief von Gábor Badda an Sándor Károlyi, Nagykároly, 11. Juni 1743.

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dass Baddas Haus in der Nacht zuvor abgebrannt sei; er und seine Familie hätten sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten können.72 In diesem Jahr hatte er schon eine dritte Frau an seiner Seite. Am Beispiel von Mátyás Pollereczky und Gábor Badda lassen sich einige hervorstechende Merkmale von Klienten verdeutlichen, die am Anfang des 18. Jahrhunderts dem alten Grafen Károlyi dienten, namentlich ihre Versatilität, die Bereitschaft und Fähigkeit, überall eingesetzt zu werden, ihre Hoffnung auf umfassende und langfristige Förderung (auch der eigenen Familie) und im Gegenzug dazu ihr unausgesetzter und kompetenzmäßig wie fachlich unabgegrenzter Dienst. Dabei strebten sie durchaus nach einer eigenständigen Position und dem Vermögen eines Landadeligen. Gábor Badda versuchte außerdem – je länger je mehr – sich sozial im Komitat Szatmár zu verankern. Dieses Bestreben traf beim Komitatsadel höchstwahrscheinlich auf Ambivalenzen, denn die Gunst des Magnaten sprach mindestens ebenso sehr gegen wie für seinen Klienten.

72 MOL P 398, Nr. 81983, Brief von József Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 13. März 1759.

V.  Die Königlich Freie Stadt Szatmárnémeti Wir haben gesehen, dass das adlige Komitat, die gräfliche Gutsverwaltung und die königlichen Behörden verschiedene Bühnen abgaben, auf denen eine Reihe von Akteuren in teils dramatischen, teils unfreiwillig komischen Rollen auftrat. Vervollständigt wird das Tableau von Spielorten der Macht und den darauf auftretenden Personen, wenn wir unseren Blick auch auf Szatmárnémeti wenden, die wichtigste Stadt im Komitat Szatmár. Hier herrschte eine andere politische und administrative Formkultur als im unmittelbaren Herrschaftsbereich der Magnatenfamilie oder innerhalb der Komitatsverwaltung. Die städtische Überlieferung lässt Problemlagen und politische Umgangsformen erkennen, wie man sie auch aus den Städten in den österreichischen und böhmischen Ländern der Habsburgermonarchie oder im Alten Reich kennt. Die Forschung spricht von einer „Doppelgesichtigkeit der deutschen Stadt der frühen Neuzeit“ „zwischen Stagnation und Wandel“:1 Auf der einen Seite stagnierten die meisten Reichsstädte demo-ökonomisch und politisch, nicht zuletzt deshalb, weil sie von Ratsoligarchien dominiert wurden, die vor allem an der Erhaltung des Status quo interessiert waren.2 Auf der anderen Seite lässt sich eine dynamische Entwicklung in vielen Residenzstädten feststellen, die vom Ausbau der Höfe und Staatsbehörden profitierten, aber auch in manchen Territorialstädten, sofern sie am Aufschwung von Gewerbe und Handel zu partizipieren verstanden. Für viele deutsche Mittel- und Kleinstädte gilt aber wohl weiterhin das Urteil, das Mack Walker in seiner Studie aus dem Jahr 1971 getroffen hat. Danach suchte das Bürgertum, angetrieben von Eigenbewusstsein und Autonomiestreben,

1 Klaus Gerteis, Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt“, Darmstadt 1986, S. 3. 2 „Stagnation machte sich in den meisten Reichsstädten breit – Oligarchisierung, Nepotismus, Mißwirtschaft, Schuldenwesen führten zu Konflikten der mißtrauisch werdenden, nachdrängenden Gemeinden mit den erstarrenden und erlahmenden oligarchischen Obrigkeiten.“ Volker Press, Die Reichsstadt in der altständischen Gesellschaft, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Rechtsgeschichte, Berlin 1987, S.  34. Volker Press vertrat sogar die Ansicht, dass die Reichsstädte gegen Ende des 18. Jahrhunderts in eine derartige Sackgasse geraten waren, dass ein dynamisierender Wandel nur auf dem Weg der Mediatisierung durch die rheinbündischen Mittelstaaten möglich war. Ebd., S. 36–42.

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die eigene ständische Stellung dadurch zu wahren, dass man sich gegenüber der Außenwelt abschottete.3 Wie für die Bürger der Reichsstädte in Deutschland war für die Stadtbürger in Szatmárnémeti die Verteidigung des herausgehobenen Status ihrer Stadt äußerst wichtig.4 Und doch bildete Szatmárnémeti beileibe keine autonome Sphäre, sondern war durch Handel, politische und konfessionelle Bindungen und nicht zuletzt durch zahlreiche Beziehungen zwischen Bewohnern der Stadt und des Umlands in das Gewebe regionaler Macht verstrickt. Viele Mitglieder des Komitatsadels und einige Klienten der Károlyi lebten und wirkten in der Stadt. Auch was diese politische Einbindung in ihr Umfeld angeht, ähnelte Szatmárnémeti anderen ostmitteleuropäischen Städten der Epoche.5 3 Mack Walker, German Home Towns. Community, State, and General Estate 1648– 1871, Ithaca, 1971. Über die österreichischen Städte der Frühen Neuzeit urteilt die Forschung meist ähnlich: „Militärisch weitgehend bedeutungslos, als Kreditgeber gegenüber ausländischen Anbietern zweit- oder drittrangig, hatten es die Städte auch nicht geschafft, während der Phase des dualistischen Staates innerhalb der Ständevertretung zumindest die Position eines taktierenden Mitspielers zu erlangen.“ Herbert Knittler, Kommentar: Städte und Gegenreformation. Die Bedeutung der Gegenreformation für die Städte, in: Rudolf Leeb/Susanne Claudine Pils/Thomas Winkelbauer (Hg.), Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie, München 2007, S. 340. Erst in jüngster Zeit werden auch alternative Einschätzungen vertreten: „Die Stadt der Neuzeit stand, so das einstimmige Credo der Forschung, als Verlierer gegenüber dem Landesfürsten und der Staatsbildung da. In Fortführung dieses neuzeitlichen Jammertales kam der Erforschung von Stadtrat und Ratsbürgern kaum Bedeutung zu, die Stadträte galten, wie man mitunter lesen kann, als Personen im Sinne Stachanows, die viel Arbeit, aber nur wenig zu entscheiden hatten und sich offenbar uneigennützig breitschlagen ließen, den Ratsherrn zu spielen. Schiebt man einiges an Forschungsgeschichte zur neuzeitlichen Stadt zur Seite, so zeigt sich mit Blick auf die Quellen doch auch in Kleinstädten ein deutlich anderes Bild.“ Martin Scheutz, Herrschaft oder doch nur „arme“ Ratsherren in mickrigen Ratshäusern? Wahl, Prestige und Machträume in den frühneuzeitlichen österreichischen Kleinstädten, in: Ferdinand Oppl/Christoph Sonnlechner (Hg.), Europäische Städte im Mittelalter, Innsbruck/Wien/Bozen 2010, S. 281–282. 4 Wie Hans-Werner Hahn über Wetzlar schrieb: „Gerade weil der Status der kleinen, machtlosen Reichsstadt, die noch externe Kräfte in ihren Mauern dulden mußte, seit dem Spätmittelalter stets bedroht schien, war die Verteidigung der politischen Autonomie und der damit verbundenen inneren Verfassung für jeden Bürger eine wichtige Pflicht.“ Das bedeute aber keinesfalls, dass „Immobilität das alleinige Signum der altständischen Bügergesellschaft war.“ Hans-Werner Hahn, Altständisches Bürgertum zwischen Beharrung und Wandel. Wetzlar 1689–1870, München 1991, S. 473, 474. 5 Ein Versuch der Typisierung der Städte der Habsburgermonarchie: Franz Baltzarek, Staat und Bürgertum im Zeitalter des Kameralismus und Merkantilismus im Habsburger-



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Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat die Bedeutung der Kleinstädte im Städtenetz der europäischen Staaten betont, besonders an den Peripherien des Kontinents.6 Anfang des 18. Jahrhunderts war Szatmárnémeti eine privilegierte königliche Mediatstadt gewesen, die trotz ihrer geringen Einwohnerzahl7 durch Grenzlage und Festung eine wichtige strategische Rolle spielte. Obwohl die Zwillingsstädte (Szatmár und Németi), die nur vom Fluß Szamos voneinander getrennt waren, bereits im 17.  Jahrhundert von den ungarischen Königen und von den Fürsten von Siebenbürgen zahlreiche Privilegien erhalten hatten,8 war es ihnen nicht gelungen, den Rang einer freien königlichen Stadt zu erwerben.9 Erst nach dem Kuruzzenkrieg trugen die seit Langem unternommenen Anstrengungen des städtischen Magistrats Früchte. Im Krieg war die Stadt 1703 in Schutt und Asche

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reich. Ein Versuch zur Typologie vorindustriellen Städtewesens in seinen politischen und sozio-ökonomischen Strukturen, Wien 1980, S. 267–282. „During the eighteenth century in many parts of Europe, including Sweden, England, Ireland, the Austrian Netherland, Germany, Spain, Hungary and France (between 1740 and 1790), small towns grew strongly in population terms, and came to play a significant role in the economic and cultural processes of urbanisation.“ Peter Clark, Introduction, in: ders. (Hg.), Small Towns in Early Modern Europe, Cambridge 1995, S. 17–18. Auch im Alten Reich waren die Zahl und teilweise auch die Rolle der Kleinstädte bedeutend. Wolfgang Leiser, Die Stadt im süddeutschen Kleinstaat des Ancien Régime, in: Volker Press (Hg.), Städtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa, Köln/Wien 1983, S. 111– 119. Allein in Oberösterreich gab es mehr als 200 mit Mauern umgegebene Kleinstädte in der Frühneuzeit. Martin Scheutz, Compromise and shake hands: The town council, authority and urban stability in Austrian small towns in the eighteenth century, in: Urban History 34/1 (2007), S. 51. Szatmár soll am Anfang des 18. Jahrhunderts zwischen 1 500 und 2 000 Einwohner gezählt haben, zur Zeit Josephs II. lebten in der vereinigten Stadt schon 8 378 Personen. Gusztáv Thirring, Magyarország népessége II. József korában [Die Bevölkerung Ungarns zur Zeit Josephs II.], Budapest 1938, S. 98. Das war nicht wenig, ziehen wir österreichische Städte zum Vergleich heran: Um 1754 hatte Salzburg etwa 15 000, Innsbruck 8 500, Klagenfurt 7 000 Einwohner. Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, München 2001, S. 147. Im 17. Jahrhundert fand Szatmár mehrmals das Interesse der siebenbürgischen Fürsten. Szatmár versuchte im 17. Jahrhundert mehrfach im Rang einer freien königlichen Stadt anerkannt zu werden. Sie bat um Hilfe und Unterstützung beim Oberungarischen Städteverband und bei der Stadt Kaschau (Kassa, heute Košice in der Slowakei). István H. Németh, A szabad királyi városok egységes fellépéséről a kora-újkorban (16–17. század) [Das einheitliche Auftreten der königlichen Freistädte in der Frühneuzeit, 16.–17. Jahrhundert], in: Soproni Szemle 56/3 (2002), S. 217. Im Jahre 1665 versuchte die Stadt, die Fiskalgüter abzulösen. Die königliche Kammer verlangte die horrende Summe von 100 000 Gulden, die Stadt konnte jedoch nur 10 000 Gulden anbieten. Borovszky (Hg.), Szatmár-Németi sz. kir. város, S. 234.

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Die Königlich Freie Stadt Szatmárnémeti Abb. 21 Dieser Plan der Stadt aus dem Jahr 1665 verdeutlicht die räumliche Struktur der Stadt: die nach westeuropäischen Maßstäben lockere Besiedlung mit der weiträumigen Anlage von Straßen und Plätzen in Szatmár, die dominante Stellung der Festung am Rande der Stadt und die Absonderung der Vorstadt (Borgo) Németi, jenseits des Szamos.

gelegt worden, ihre Bewohner hatten fliehen müssen und kehrten nur allmählich zurück. Auch die Festung war während des Aufstands auf Befehl des Grafen Károlyi zerstört worden. Das schließlich im Jahr 1712 errungene Freiheitsprivileg – im Diplom mit der für die kaiserlichen Truppen geleisteten Hilfe und den Leiden der Stadt während des Kuruzzenkriegs begründet – musste noch vom ungarischen Landtag bestätigt werden, der von 1712 bis 1715 in Preßburg tagte. Durch das Privileg wurden die beiden Städte offiziell vereinigt, was übrigens Konflikte zwischen den kommunalen Eliten auch später im 18. Jahrhundert nicht verhinderte. Den Titel und die Privilegien einer königlichen Freistadt erwarb die Stadt Szatmárnémeti im Konflikt mit Sándor Károlyi und mit dem adligen Komitat. Das ist nicht weiter verwunderlich, bescherte doch die neu errungene Freiheit der Stadt den kollektiven Adelstatus und damit die Befreiung aus dem Zuständigkeitsbereich der Komitatsorgane. Zugleich verlor auch der Obergespan des Komitats, Graf Károlyi, seine unmittelbaren Eingriffsrechte in die Geschicke der Kommune. Freilich mischte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Staatsgewalt zunehmend in die inneren Angelegenheiten der ungarischen Städte ein.10 Das be10 Das bedeutete zwar eine größere, aber keineswegs eine totale Kontrolle der städtischen Angelegenheiten. Dies war nicht einmal in den westlichen Provinzen der Habsburgermonarchie der Fall. Die Fürsten trieben sowohl in der Habsburgermonarchie als auch in Preußen eine in erster Linie von wirtschaftspolitischen Erfordernissen bestimmte Politik. Manche Forscher betonen, dass während des 18. Jahrhunderts „die Städte quantitativ und qualitativ in erheblichem Umfange ausgebaut und verwaltungsstrukturell verbessert worden sind,



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deutete im Fall des überwiegend von Protestanten bewohnten Szatmárnémeti zunächst vor allem eine gewaltsame Parteinahme für die Sache des Katholizismus.11 Hinzu kam, dass auch die Grafen Károlyi weiterhin versuchten, die Autonomie der Stadt einzuschränken. Der Magistrat war deshalb genötigt, in einem schwierigen Kräftefeld zu lavieren und Wege zu suchen, den eigenen politischen Handlungsspielraum zu verteidigen.12

V. 1  Die Verwaltung der Stadt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Geleitet wurde die Stadt – wie im Mitteleuropa auch anderswo13 ­− von zwei Organen, dem Inneren Rat (magistratus, senatus) und dem Äußeren Rat der gewählohne dass sie – mit Ausnahme der gemischt verwalteten Residenz- und Hauptstädte – ihre rechtliche Eigenständigkeit und ihre Selbstverwaltung eingebüßt hätten.“ Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preussen unter dem Absolutismus (1660–1806), in: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas, Bd..5, Linz 1981, S. 155–172, hier S. 166–167. 11 Eine Zusammenfassung der Konfessionalisierungsdebatte bei: Holger Th. Gräf, Gegenreformation oder katholische Konfessionalisierung – Epoche(nbegriff ) oder Fundamentalprozess der Frühen Neuzeit? in: Leeb/Pils/Winkelbauer (Hg.), Staatsmacht und Seelenheil, S. 13–27. Für die ungarische Situation siehe: Eva Kowalská, Seelenheil und Staatsmacht: Merkmale der Gegenreformation in (Ober-)Ungarn, in: ebd., S.  347–356; István György Tóth, Old and New Faith in Hungary, Turkish Hungary and Transylvania, in: Ronnie Po-Chia Hsia (Hg.), Blackwell Companion to Reformation World, Oxford 2004, S. 205–220. Für die Lage in Österreich siehe: Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Wien 2003, S. 113–133. 12 Wenn auch auf anderer Ebene, ähnelte diese Konstellation derjenigen, in der sich die deutschen Reichsstädte befanden. Deren eigener korporativer Verband, die regionalen Mächte und der Kaiser bzw. das Reich „ließen sich auch nur in wenigen Fällen spannungs- und konfliktfrei miteinander verbinden. Die große Kunst reichsstädtischer Politik bestand darin, keines dieser Netze zu zerreißen und sich vor allem nicht darin zu verheddern.“ Georg Schmidt, Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Reichsverfassung, in: Michael Stolleis (Hg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt, Köln/ Wien, 1991, S. 61. 13 In österreichischen und ungarischen Städten war in der Regel zunächst der Magistrat entstanden, dann beginnend mit dem 15. Jahrhundert auch ein Äußerer Rat. In Graz z. B. wird der Innere Rat zuerst 1302 erwähnt, ein Äußerer bestand seit Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis zu den Reformen Maria Theresias (1748/49) bestand der Rat aus zwölf Ratsherren einschließlich des Stadtrichters. Die Ratsmitglieder galten im 17. Jahrhundert als „nobilitiert“. Fritz Popelka, Geschichte der Stadt Graz, Bd. I, Graz/Wien/Köln 1959, S. 372–373.

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ten Beisitzer (electa communitas).14 Der Senat bzw. Magistrat zählte wie weithin in Europa üblich zwölf Mitglieder, der Äußere Rat dagegen etwa 60 Mitglieder.15 Der Stadtrichter (oder Bürgermeister) war neben der Verwaltung auch mit gerichtlichen Aufgaben betraut. Richter und Rat genossen vom 14. und bis Ende des 17. Jahrhunderts (1672 war ein Wendepunkt), aber teilweise auch später in ungarischen königlichen Freistädten eine weitgehende Autonomie.16 „Zum Unterschied von deutschen, österreichischen, böhmischen, schlesischen, polnischen und baltischen Städten befand sich von Anfang an die höchste Gerichtsbarkeit in den Händen des Rates und nicht in der Macht eines landesherrlichen oder anderen Vogtes. Jede Stadt konnte aus eigener Macht und nach eigenem Recht zum

Siehe auch Sergij Vilfan, Towns and States at the Juncture of the Alps, the Adriatic, and Pannonia, in: Charles Tilly/Wim P. Blockmans (Hg.), Cities and the Rise of States in Europe, A. D. 1000 to 1800, Boulder/San Francisco/Oxford 1994, S. 50. Auch in deutschen Städten finden wir eine ähnliche Konstruktion, zum Beispiel in den wendischen Hansestädten, wo neben dem Rat verschiedene Ausschüsse (mit 24, 36, 60, 64 oder 100 Mitgliedern) traten; in Lübeck wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein Sechziger-Ausschuss gewählt. Konrad Fritze, Bürgervertretungen in wendischen Hansestädten vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Wilfried Ehbrecht (Hg.), Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit, Köln/Weimar/Wien 1994, S.  147–157. Zusammenfassende Darstellungen: Fritz Rörig, The Medieval Town, London 1967, S. 161–180; Christopher R. Friedrichs, The Early Modern City 1450–1750, London/New York 1995, S. 182–213. 14 In manchen Städten existierte neben der „gewählten Kommunität“ (electa communitas) noch ein selbstständiger Äußeren Rat. Die erste spielte eine große Rolle bei den Ratswahlen, bei der Verabschiedung der Statuten und beaufsichtigte die Einkommen und Rechte der Stadt, der Äußere Rat war eine Art von Ratgeber in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten. István Kállay, Die Städte Ungarns im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas, S. 73–82, hier S. 79. 15 Vor der Einigung bestand der Äußere Rat in Szatmár aus 70 Personen, in Németi aus 50; anschließend sollte er 70 Mitglieder zählen, tatsächlich waren es etwa 60. Die Zusammensetzung, die Mitgliederzahl (24, 50, 60, 100) und die Aufgaben des Äußeren Rates variierten in den ungarischen königlichen Freistädten. Eine sehr gute Zusammenfassung der Problematik: István H. Németh, Pre-modern State Urban Policy at a Turning Point in the Kingdom of Hungary: The Elections to the Town Council, in: Rudolf Schlögl (Hg.), Urban Elections and Decision-Making in Early Modern Europe, 1500–1800, Newcastle upon Tyne 2008, S. 276–298. Der Band präsentiert das Phänomen im europäischen Vergleich. Eine Zusammenfassung bei: Christopher R. Friedrichs, Urban Elections and Decision-Making in Early Modern Europe and Asia: Contrasts and Comparisons, in: ebd., S. 300–321. 16 Ebd., S. 277–279.



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Tode verurteilen und den Betreffenden auch hinrichten lassen.“17 An der Spitze des Äußeren Rats stand ein sog. Vormund (consul), der zwischen Senat und Äußerem Rat, aber auch zwischen den beiden Stadtteilen vermitteln sollte. Der Äußere Rat beriet über besonders wichtige, die ganze Stadt betreffende Probleme und kontrollierte die Wirtschaftsführung des Magistrats. Dagegen wirkte der Magistrat als führendes Organ der Alltagsverwaltung und als reguläres Stadtgericht,18 gegen dessen Entscheidungen man allerdings Berufung einlegen konnte. Der Äußere Rat wählte aus der eigenen Mitte jährlich zu Neujahr die zwölf Ratsherren (senatores) und den Stadtrichter.19 Wer aus dem Senat ausschied, kehrte in den Äußeren Rat zurück. Im 17. Jahrhundert fanden diese Wahlen ohne den Versuch äußerer Einflussnahme statt. Im Jahr 1695 wurde erstmals ein königlicher Kommissar entsandt, um der Stadt einen katholischen Richter aufzuzwingen.20 Infolge der Kuruzzenkriege mussten die Rekatholisierungsversuche 17 Anton Špiesz, Der Wiener Hof und die Städte des Königreichs Ungarn, in: Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas, S. 83–95, hier S. 85–86. In den schlesischen und böhmischen Städten hingegen war die städtische Selbstverwaltung in der Frühen Neuzeit mehr oder weniger eingeschränkt worden. Der Rat der Mediatstädte in Schlesien wurde von dem Grundherrn ernannt und eingesetzt. Hugo Weczerka, Entwicklungslinien der schlesischen Städte im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas, S. 119–142, hier S. 126. Auch in Münster war der Stadrichter eigentlich ein landesherrlicher (fürstbischöflicher) Beamter, außerdem war der Magis­ trat den Landeszentralbehörden untergeordnet. Susanne Kill, Vom alten Münster zur preußischen Provinzialhauptstadt (1780–1816), in: Lothar Gall (Hg.), Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780–1820, München 1991, S. 105–142, hier S. 115–116. 18 „Im Wirkungskreis des Inneren Rates stand die Gerichtsbarkeit und die politisch-finanzielle Verwaltung. (...) Die Rechte des Rates auf dem Gebiete der politischen Verwaltung erstreckten sich auf die Statuten, das Polizei-, Waisen-, Gewerbe-, Sanitäts-, Armenwesen und auf die Übertragung der Immobilien. Zur politischen Verwaltung gehörte die Militärverpflegung, die in erster Linie die Einquartierung bedeutete.“ Kállay, Die Städte Ungarns, S. 79. 19 Über das Ritual der Ratswahl wissen wir nichts Näheres, aber das Zeremoniell war vermutlich viel bescheidener als im Alten Reich oder in Westeuropa. Dietrich W. Poeck, Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (12.–18. Jahrhundert), Köln/Weimar/Wien 2003. Für die österreichischen Städte: Scheutz, Herrschaft, S. 283–293. Eine kurze Skizze über die Lage in Ungarn bei: Németh, Pre-modern State, S. 280–285. Die Ratswahl fand zu unterschiedlichen Terminen statt; in der benachbarten Stadt Debrecen organisierte man die Ratswahlen ebenfalls am 1. Januar. In allen ungarischen Freistädten wurde der Innere Rat vom Äußeren Rat gewählt. Ebd., S. 285. 20 Über die habsburgische Städtepolitik zu Ende des 17. Jahrhunderts und die Entsendung der Wahlkommissare: Németh, Pre-modern State, S. 289–293. Siehe dazu auch Kapitel VI. Wien wollte beginnend mit dem Jahre 1690 die Verhältnisse der ungarischen Städte

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für einige Jahre ad acta gelegt werden.21 Da die Protestanten die überwiegende Mehrheit der Stadtbevölkerung bildeten, dominierten die reformierten Ratsherren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Räte und bekleideten die führenden Ratsämter.22 Man muss freilich in Rechnung stellen, dass sich nicht alle Ratsmitglieder eindeutig einer Konfession zuordnen lassen. Seit 1712 bestand der gemeinsame Rat der Stadt Szatmárnémeti wie gesagt aus 70 Mitgliedern, 1757 befahl der königliche Kommissar, ihre Zahl auf 40 zu verringern, um die Dominanz der Protestanten zu brechen.23 Beginnend mit dem Ende des 17. Jahrhunderts und mit steigender Intensität zur Zeit Maria Theresias versuchte Wien auch in Ungarn die Städte zu „verstaatlichen“: Neben der Vereinheitlichung und einer effizienteren Kontrolle der Administration bedeutete das auch die Förderung der Katholiken gegen die protestantische städtische Elite.24 Durch permanente Eingriffe vereinheitlichen und zwar nach dem Vorbild der Preßburger Verfassung. Man verlangte freilich, was in der Preßburger Verfassung nicht zu finden war, dass sich nicht länger alle Bürger an den Wahlen beteiligen sollten, sondern nur Wahlleute, um die protestantische Mehrheit von den Wahlen auszuschließen. Špiesz, Der Wiener Hof, S. 87. 21 Nach dem Aufstand häuften sich die Beschwerden der Protestanten. Die Jesuiten versuchten, öffentliche protestantische Gottesdienste zu verbieten und mit Hilfe der Garnison diejenigen zu bestrafen, die gegen die Heiligung der katholischen Feiertage verstießen. Sarkadi Nagy, Szatmárnémeti, S. 130–131. 22 Noch im Jahre 1780, also nach einem Jahrhundert Rekatholisierung, lebten – nach den Angaben der Ungarischen Kammer − in Szatmárnémeti nur 1 134 Katholiken neben 4 439 Calvinisten. Špiesz, Der Wiener Hof, S. 95, Anm. 3. Vom Anfang des 18. Jahrhunderts haben wir keine Angaben über die Konfessionsverhältnisse, die Reformierten bildeten jedoch die überwiegende Mehrheit. Nach einer Aufzeichnung der Ungarischen Hofkanzlei lebten im Jahre 1778 in allen ungarischen königlichen Freistädten 179 874 katholische und 94 796 nichtkatholische Einwohner, während die Katholiken hundert Jahre zuvor kaum 15 % der Bevölkerung ausgemacht hatten. Ebd., S. 85. 23 Ágoston Ferencz, Közigazgatás, in: Borovszky (Hrsg.), Szatmár-Németi, S.  27–28; Kállay spricht von 24 Mitgliedern, tatsächlich waren es 40. István Kállay, Szabad királyi városok gazdálkodása Mária Terézia korában Die Wirtschaft der königlichen Freistädte zur Zeit Maria Theresias], Budapest 1972, S. 27–28. 24 „Urban policy in the kingdom of Hungary changed radically from the late 17th century onwards. The free royal towns, previously almost totally independent from state intervention, became subject to close control. As a result of measures that had been introduced in the Austrian territories earlier, the financing and the composition of the leading elite in these towns no longer depended exclusively on internal political circumstances; the activities of the commissioners delegated to elections had a significant impact on all these developments. The major purpose of the representatives of the state’s financial administration was the Catholicisation of the mainly Protestant urban elite as well as the professionalisation of the administration and the transparency of the towns’ finances.“ Németh, Pre-modern State, S. 298.



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gelang es der Krone im Verlauf des 18. Jahrhunderts, das katholische Element im Rat zu stärken.25 Einen interessanten Aspekt der Stadtentwicklung in Ungarn stellte die starke Präsenz von Adligen in den Städten dar. Seit dem 16. Jahrhundert flohen viele Edelleute infolge des Vorrückens der Türken in die Städte, eine Tendenz, die sich im 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts fortsetzte.26 Diese Entwicklung bereitete den Städten viele Probleme, da sich die meisten Adligen – auf ihre Privilegien pochend – der örtlichen Gerichtsherrschaft entziehen wollten und es ablehnten, Steuern zu zahlen. Im Jahr 1717 begaben sich die nobiles in Szatmár auch noch unter die Obhut des Obergespans Sándor Károlyi und baten ihn und das Komitat um Unterstützung gegen entsprechende Forderungen der Stadt. Gleichzeitig fügten sich die Adeligen jedoch durchaus in die Stadtgesellschaft ein, ja sie spielten im Rat sogar eine bedeutende Rolle, was sich weiter verstärkte durch das Bemühen von Ratsherren und wohlhabenden Bürgern, in den Adelsstand aufzurücken.27 Nach der Konskription von 1715 lebten in Szatmár insgesamt 244 Familien mit Bürgerrecht, weiterhin 38 inquilini (gemeint sind Einwohner, die keine vollen Bürgerrechte besaßen). Darunter befanden sich insgesamt 126 Handwerker und Kaufleute.28 Unter den Inhabern des Bürgerrechts gehörten immerhin 14 % dem Adelsstand an, von den zwölf Senatoren waren sogar sieben Adlige. Die städti25 Ende des 17. Jahrhunderts – nach dem Ödenburger (Soproner) Landtag von 1681 – sollten die Katholiken auch in protestantischen Freistädten die Hälfte der Ratssitze zugesprochen bekommen. Die Umsetzung erfolgte nur stufenweise. Im Jahre 1780 waren aber in ganz Ungarn nur noch wenige nichtkatholische Ratsherren zu finden. Špiesz, Der Wiener Hof, S. 85. 26 István Rácz, Városlakó nemesek az Alföldön 1541–1848 között Adelige in den Städten des Alföld, der großen pannonischen Tiefebene, zwischen 1541–1848], Budapest 1988. Ähnliche Phänomene kann man auch in österreichischen Städten beobachten. Die Städte sahen auch dort „das Eindringen des Adels in den städtischen Grundbesitz höchst ungern, waren solchen ,Freihäuser‘ doch vom ,Mitleiden‘, also vom Mit-Steuern in der Stadt befreit“. Bruckmüller, Sozialgeschichte, S. 150. Für die ambivalente Beziehung zwischen Adel und Städten in Polen siehe: Andrzej Wyrobisz, Power and Towns in the Polish Gentry Commonwealth: The Polish-Lithuanian State in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Charles Tilly/Wim P. Blockmans (Hg.), Cities and the Rise of States in Europe, A. D. 1000 to 1800, Boulder/San Francisco/Oxford 1994, 150–167. 27 Auch in anderen ungarischen Städten gestaltete sich die Lage ähnlich. In manchen wurde sogar „das bürgerliche Element in der Führung der einzelnen Städte stufenweise in den Hintergrund“ gedrängt, so z. B. in Tyrnau (Nagyszombat/Trnava), wo um 1770 alle Ratsmitglieder dem Adelsstand angehörten. Špiesz, Der Wiener Hof, S. 89–90. 28 MOL N 78 1715. évi összeírás (Konskription vom Jahre 1715), Nr. 29. In der Zeit Josephs II. waren etwa 6,8 % der erwachsenen Männer Adelige. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung waren inquilini. Thirring, Magyarorszgág népessége, S. 98.

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schen Richter kamen lange Zeit hindurch nahezu ausschließlich aus den Reihen der Edelleute. Im Zeitraum von 1704 bis 1724 amtierten insgesamt 42 Senatoren, von denen 16 sicher als Adlige identifiziert werden können. In drei weiteren Fällen steht das zu vermuten, sodass man von etwa 45 % Adelsanteil am Inneren Rat ausgehen kann. Die zweitgrößte Gruppe unter den Magistratsmitgliedern bildeten die Kaufleute (12 Personen = 28,5 %), die drittgrößte die Handwerker (11 Personen = 26,2 %).29 Im Jahr 1720 waren 14 der 20 Mitglieder des Äußeren Rats und 8 von 20 Senatoren Kaufleute.30 Die Zünfte mit dem größten Einfluß im Äußeren Rat waren diejenigen der Schmiede, der Metzger und der Schuster. Bei den Adligen und den Kaufleuten war freilich die Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl größer. Die Senatoren mussten sich nach einer zweijährigen Amtszeit erneut einer Wahl stellen. Für die Zeit nach 1717, für die wir verlässliche Quellenangaben haben, kann jedoch festgestellt werden, dass diese Wahlen praktisch den Charakter einer bloßen Formalität annahmen: Üblicherweise amtierten die Magistratsmitglieder wie in anderen freien königlichen Städten Ungarns lebenslang. Die Stelle des Stadtschreibers (städtischen Notars) war ebenfalls höchst gefestigt, obwohl auch er Anfang des Jahrhunderts formal gewählt wurde. In unseren Quellen werden die Stadtschreiber immer gemeinsam mit den Senatoren aufgelistet, was ihre hohe Bedeutung zum Ausdruck bringt: Wie in Österreich waren sie auch in Ungarn eine zentrale Figur in der städtischen Verwaltung.31 Die Senatoren hatten 29 Nämlich drei Gerber, drei Schneider, zwei Schuster, ein Tischler, ein Metzger und ein Goldschmied. 30 MOL N 79 1720. évi összeírás (Konskription vom Jahre 1720), Nr. 32. 31 Das hängt auch damit zusammen, dass die Regierung gesetzlich verlangte, diese Posten mit gebildeten Leuten mit juristischen Fachkenntnissen zu besetzen. Auch in den österreichischen Städten war der Stadtschreiber „anders als der häufig wechselnde Stadtrichter, der ruhende Pol und die graue Eminenz der städtischen Verwaltung“. Als oberster Beamter der städtischen Kanzlei hielt er „den gesamten aus- und eingehenden Schriftverkehr des Rates aufrecht“ und „hielt alle verwaltungsrelevanten Fäden (meist gemeinsam mit bzw. unter der jeweiligen ,Ratsoligarchie‘) in seiner Hand vereint“. Der Beitrag der Stadtschreiber an der Herausbildung der frühneuhochdeutschen Schriftkultur ist kaum zu unterschätzen. „Darüber hinaus war er auch ob seiner meist vorhandenen juristischen Kenntnisse einer der wichtigsten Berater des Rates in allen rechtlichen und politischen Fragen.“ Martin Scheutz, Rathaus, Rats-/Stadtschreiber und Ratsprotokoll – Schrift und Örtlichkeit frühneuzeitlicher städtischer Herrschaft, in: Cathrin Hermann/Friedel Moll/Martin Scheutz/Herwig Weigl (Hg.), Das Zwettler Ratsprotokoll 1553–1563. Edition und Kontext, St. Pölten 2010, S. 29. Interessanterweise waren die Stadtschreiber der frühneuzeitlichen österreichischen Städte nahezu alle „Fremde“, viele schlugen allerdings durch Heirat Wurzeln in der Stadt. Ebd., S. 31.



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kein festes Gehalt, sondern bekamen als Aufwandsentschädigung einen Anteil der vom Stadtgericht verhängten Strafen und von einigen anderen städtischen Einkünften. Der Stadtschreiber erhielt dagegen neben solchen Sporteln und Anteilen an den Strafgeldern auch noch ein fixes Gehalt. Im Jahr 1718 brach ein Konflikt zwischen dem Stadtrichter und dem Stadtschreiber aus, wer von ihnen die Gebühren erhalten sollte, die von Zugezogenen bei der Aufnahme in den Bürgerverband zu entrichten waren. Schließlich wurde beschlossen, dass diese Abgaben als „Protokollgebühren“ dem Stadtschreiber zustanden. Er erhielt außerdem Honorare von „Kunden“, die seine juristischen Dienstleistungen privat beanspruchten.32 Zu den städtischen Wahlämtern gehörten die des Wein-, des Schnaps-, des Berg-, des Mühlen- und des Marktrichters, des Stadtkämmerers, des Kurators und der Steuereinnehmer. Als Ordnungshüter amtierten ein Wachtmeister und in jedem Viertel ein Kapitän, der von decurionen unterstützt wurde.33 Die Weinrichter, die über die bedeutendsten städtischen Einnahmen wachten, waren am Anfang des 18. Jahrhunderts immer Senatoren. Die anderen Aufsichtsämter wurden entweder von Senatoren oder von centumviren (Mitgliedern des Äußeren Rats) wahrgenommen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es noch Sitte, dass die Inhaber dieser Wahlämter meist nach zwei Jahren durch andere Personen ersetzt wurden; mehrere, unmittelbar aufeinander folgende Amtsperioden waren eher selten. In den 1720er Jahren bürgerte es sich jedoch allmählich ein, dass Amtsträger ihre Stellungen etliche Jahre hindurch behielten.34 Um viele der Neubesetzungen solcher Vertrauensstellungen entbrannten sowohl zwischen den Teilstädten Szatmár und Németi als auch zwischen Senat und Äußeren Rat heftige Auseinandersetzungen. Nach der Zusammenlegung der beiden Städte Szatmár und Németi erhob sich ein langer Konflikt. Die Einwohner von Németi protestierten mehrfach gegen diese Vereinigung, so z. B. in einer Reihe von Beschwerden im Jahre 1717. Ihr 32 Arhivele Naţionale Române, Direcţia Judeţeană Cluj (Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Cluj), F 20 Arhiva municipiului Satu Mare (Archiv der Stadt Szatmárnémeti, in der Folge AS), Nr. 8. Stadtprotokolle 1704–1724. 33 In den österreichischen Städten – entsprechend ihrer jeweiligen Größe – differenzierte sich eine große Vielfalt städtischer Ämter aus: „Stadtkämmerer, Baumeister, Almosenverwalter, Brot- und Fleischbeschauer, Schulkommissare, Stadthauptmann, Spitalspfleger, Bruderhausverwalter, Turner- (Türmer-), Schützen-, Forst-, (Soldaten-)Quartiermeister usw.“ Martin Scheutz/Herwig Weigl, Ratsprotokolle österreichischer Städte, in: Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, München, 2004, S. 590–610, hier S. 602–603. 34 Ebd.

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schwerwiegendster Einwand lautete, dass lediglich drei oder vier Mandatsträger aus Németi, ohne Wissen des Äußeren Rates, und auch gegen den größten Teil des Inneren Rates, mit dem Magistrat von Szatmár verhandelt und ihre Ratsgenossen anschließend vor vollendete Tatsachen gestellt hätten. Seither würden sie von den Szatmárern aus den Ratsämtern verdrängt. Bei der Vereinigung der beiden Städte wurden von Németier Seite zunächst vier Mitglieder in den vereinigten Rat gewählt, mit der Zeit verminderte sich diese Zahl aber in der Tat auf zwei Senatoren. Alle Einkünfte wurden nun aber vom vorgeblich „gemeinsamen Rat“ verwaltet.35 Welche Lösung dieser Konflikt fand, ist nicht ganz klar. Im Archiv der Familie Károlyi sind mehrere Lösungsvorschläge überliefert: Die Bewohner von Németi schlugen vor, dass beide Städte zwar ein gemeinsames Siegel führen, dass sie selbst jedoch exklusiv berechtigt sein sollten, vier Ratsherren und einen Stadtschreiber zu bestimmen. Wahlberechtigt sollte der 25-köpfige Äußere Rat von Németi sein. Außerdem wollte man die eigene Wirtschaft auch von den eigenen Leuten überwachen lassen. Die andere Seite aus Szatmár hätte es bevorzugt, wenn die vier Senatoren der communitas wie bisher gewählt würden. Die Anzahl der Räte aus Németi sollte den Umständen entsprechend bestimmt werden. In ihrer Antwort hielten die Beschwerdeführer aus Németi an ihren Forderungen nach relativer Unabhängigkeit fest, so auch daran, dass sie einen Stadtschreiber „für das Weiterführen ihrer eigenen Angelegenheiten stellen können“ sollten. Sie verlangten die völlige wirtschaftliche Autonomie: „die gemeine oeconomica directio sollte bei den Vertretern des Németier Teils sein, so wie vor der Vereinigung“. Auch „die unbedeutenden Angelegenheiten“, die ohne Hinzutreten des Rats geregelt werden könnten, sollten von den Senatoren aus Németi allein entschieden werden.36 In den 1720er Jahren erhielten die Bewohner von Németi zumindest einen Teil der geforderten Ämter und dadurch eine gewisse Repräsentation im Rat. Gleichwohl baten sie 1744 erneut um Unterstützung, diesmal durch Maria Theresia, weil seit 30 Jahren niemand von ihnen das Amt des Richters bekleidet habe. Neben diesen Konflikten zwischen den beiden Teilstädten gab es immer wieder auch Streit zwischen dem Inneren und dem Äußeren Rat. Im Jahre 1731 wurde auf Bitten des Äußeren Rats bei der Amtserneuerung, die in Anwesenheit eines Kommissars von der Zipser Kammer stattfand, beschlossen, dass sowohl der dritte Weinrichter als auch einer der beiden Mühlenrichter immer aus dem Äußeren Rat genommen werden sollte. 35 MOL Károlyi család (Familie Károlyi) P 392 Törzsanyag (Grundfond), 167. fiók (Fach) Szatmár város (Die Stadt Szatmár). 36 Ebd.



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Am Anfang des 18. Jahrhunderts tagte der Magistrat noch nicht regelmäßig und auch die Protokollführung war ausgesprochen mangelhaft. Als die Stadt 1703 niedergebrannt wurde, floh die Bevölkerung und es dauerte eine gute Weile, bis das Alltagsleben wieder in normalen Bahnen verlief. Aus dieser Zeit ist ein Protokoll überliefert, das vor allem ältere Beschlüsse aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiedergibt. Es berichtet in knapper Form über Prozesse (Prügeleien, Diebstähle, Erbstreitigkeiten, Fälle von Steuerhinterziehung), über Kaufverträge, Zunftangelegenheiten und die Vergabe des Bürgerrechts.37 Parallell dazu entstand zwischen 1704 und 1724 ein anderes Protokoll, das die Ergebnisse der Wahlen zum Inneren und Äußeren Rat enthält, außerdem besondere Aufzeichnungen über Grundstücksverkäufe, Erbschaftsangelegenheiten und andere vertragliche Vereinbarungen. Später überwogen die Kaufverträge. Bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde in den Protokollen nicht zwischen gerichtlichen und administrativen Sachverhalten unterschieden, da Justiz und Verwaltung nicht voneinander geschieden waren. Jeweils zu Neujahr wurde ein Finanzbericht, der wahrscheinlich mündlich vorgetragen worden war, skizzenhaft in das Protokoll eingetragen. In Szatmárnémeti, wie in anderen reformierten Städten Ungarns, verwaltete die weltliche Gemeinde auch alle Angelegenheiten der Kirche. Genauer gesagt waren weltliche Kommune und Kirchengemeinde überhaupt nicht voneinander geschieden. Entsprechend erfolgten Protokollführung, Berichterstattung und Rechnungsführung über weltliche und kirchliche Dinge ineinander verflochten. Infolge des Rákóczi-Aufstandes befand sich die Stadt am Anfang des 18. Jahrhunderts in einer bedauernswerten finanziellen Lage, ihre Einnahmen waren äußerst gering.38 Im Jahr 1707 wurde wegen der Entwertung der Kupfermünzen, 37 In den österreichischen Städten kamen Ratsprotokolle – von einigen Ausnahmen abgesehen – erst im 16. Jahrhundert auf. Vorher finden wir das traditionelle Stadtbuch, das von Privilegien und Satzungen bis Neubürgeraufnahmen, Ratsurteilen und Rechnungen städtischer Amtsträger alles enthielt. Scheutz/Weigl, Ratsprotokolle, S. 594–595. „Ratsprotokolle dokumentieren abhängig von der Größe der Stadt/des Marktes und abhängig vom Grad der Ausdifferenzierung städtischen Verwaltungsschriftgutes die theoretisch nahezu alle Materien umfassende Verwaltungstätigkeit der städtischen Gemeinwesen, sei sie reagierend oder initiativ. Die Interaktionen und Kommunikationsprozesse von städtischen, patri­ monialen (geistlichen und weltlichen) und/oder landesfürstlichen Normgebern und den Normadressaten fanden hierin deutlich ihren schriftlichen Niederschlag; häufig wurden allerdings lediglich das Versagen der obrigkeitlichen Anordnungen oder Normverstöße schriftlich niedergelegt.“ Ebd., S. 603. 38 Die finanzielle Krise und die Verschuldung betrafen alle ungarischen Städte, nicht nur Szatmárnémeti.

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die Fürst Rákóczi hatte prägen lassen, überhaupt keine Abrechung für notwendig gehalten. Man vertraute die Finanzen einfach dem gut beleumundeten Weinrichter an. In diesem Jahr bezahlte dieser die allernotwendigsten städtischen Ausgaben aus den in Gold entrichteten Beträgen, die der reformierten Stadtkirche von einzelnen Gläubigen hinterlassen worden waren.39 Die verzweifelte finanzielle Situation resultierte nicht nur aus den Kriegen und aus der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage, sondern auch aus dem Autonomiestreben der Stadt. Zusammen mit der Rangerhebung zu einer freien königlichen Stadt löste Szatmárnémeti auch die Schankrechte der Krone ab. Für diese Zwecke war man genötigt, etwa 47 000 Rheinische Gulden als Kredite aufzunehmen, eine gewaltige Schuldenlast, die man dadurch zu bewältigen suchte, dass die städtischen Schenken für 9 000 Gulden abwechselnd an zwei Stadtrichter und an einige Senatoren verpachtet wurden. Darüber hinaus wurden die städtischen Läden verkauft, überwiegend ebenfalls an die führenden kommunalen Mandatsträger, den Richter, den Stadtschreiber und einige Senatoren. Infolge der Verschuldung der Stadt überprüfte eine Kommission der Zipser Kammer Mitte des 18.  Jahrhunderts die angeblich üblen finanziellen Machenschaften und versuchte, die Finanzverwaltung der Stadt auf eine neue Basis zu stellen.40 Aufgrund des Gesetzesartikels XXXVI aus dem Jahr 1715 war die ungarische Kammer nämlich berechtigt und verpflichtet, das Finanzgebaren und die allgemeine Verwaltungstätigkeit der Städte zu überwachen. Nach 1733 wurden diese Kompetenzen an die Kammer für wirtschaftliche Angelegenheiten und an den Statthaltereirat (Consilium Regium Locumtenentiale Hungaricum) übertragen; innerhalb der beiden Behörden funktionierte ein sogenanntes Departamentum civitatensia.41 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts folgten weitere Eingriffe in die städtische Autonomie. In den Anweisungen der Zipser Kammer an den Rat von Szatmárnémeti vom Jahre 1752 wurden die Steuererhebung und die Gehälter des Magistrats geregelt, wobei auch auf eine bessere Rechnungslegung geachtet wurde.42 Diese neue Instruktion verlieh der Schriftlichkeit in der städtischen Fi-

39 AS F 20, Nr. 8. 40 Die Verschuldung der Städte war eine allgemeine Erscheinung in der Habsburgermonarchie. „Throughout the early modern period, the small towns of Lower Austria suffered from a steady loss of power with relation to the outside world as they became increasingly mired in tax debts.“ Scheutz, Compromise, S. 62. 41 Kállay, Szabad királyi városok, S. 18. 42 MOL Archiv der Familie Melczer, P 1828 Pál Melczer, Fasz. 2, Nr. 4. Instructio, 2. Okt. 1752.



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nanzverwaltung ein viel größeres Gewicht.43 Nunmehr war vorgeschrieben, dass die erhobenen Steuern in zwei Listen verzeichnet wurden, die eine sollte beim Stadtschreiber in authenticum aufgehoben werden, die andere als Kopie beim Steuereinnehmer. Außerdem sollte jeder Steuerpflichtige ein Quittungsbüchlein erhalten, damit alle Beteiligten den Eingang von Zahlungen jederzeit überprüfen konnten.44 Die Steuererhebung sollte von Stadtrichter und Rat beaufsichtigt werden. Außerordentliche Abgaben durften nur aufgrund eines Ratsentscheides oder im Notfall aufgrund der schriftlichen assignationen des Stadtrichters erhoben werden; auch diese mussten wie jede andere Zahlung mit Quittungen belegt werden. Verstöße gegen diese Ordnung wurden mit Geldstrafen geahndet. Auch der Stadtrat förderte die weitere Verbreitung von Schriftlichkeit. So traf er im Jahr 1710 den Beschluss, dass letztwillige Verfügungen, die „entgegen der guten alten und bewährten Gewohnheiten nicht in Anwesenheit der vom Richter unserer edlen Stadt entsandten Vertreter“ gemacht würden, ungültig seien, und dass Zuwiderhandelnde eine Strafe von 12 Gulden zu gewärtigen hätten.45 Gleichwohl dominierte wie überall in Ungarn Mündlichkeit noch für lange Zeit sowohl in Prozessen als auch in Verwaltungsangelegenheiten. Bittsteller referierten mündlich vor dem Rat. Nur in wichtigeren Prozessangelegenheiten reichten die Beteiligten ihre Repliken schriftlich an den Rat ein. Die Senatoren wollten nämlich mit dem mündlichen Prozess sich selbst entlasten.46 Belegt wird das z. B. 43 Was die österreichische Städte betrifft, war auch dort das frühneuzeitliche Rechnungswesen eine komplexe und „vor allem unübersichtliche Angelegenheit“. „Selbst erfahrene, lang gediente Experten konnten kaum den Überblick behalten, die Grenzen zwischen rechtmäßigem und mißbräuchlichem Tun waren fließend und wohl auch Sache der Auslegung.“ Die Situation wurde noch dadurch erschwert, dass „die Vielfalt der Ämter mit den unterschiedlichsten Verwaltungsbereichen sowie partiellen oder gänzlichen Selbstverwaltungsbefugnissen … im Laufe der Zeit in den einzelnen Städten einen enormen Umfang erreicht“ hatte. Andrea Pühringer, Die Rechnung der Finanzverwaltung in den österreichischen Städten, in: Pauser/Scheutz/Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde, S. 611–624, hier S. 613. 44 Solche Büchlein konnten bisher nirgends nachgewiesen werden. Es sind wohl Zweifel angebracht, dass diese Instruktion umgesetzt wurde. 45 AS F 20, nr. 8. Deliberatum vom 10. Juli 1710. 46 Siehe auch: Alajos Degré, Az irat, mint perbeli bizonyító eszköz fejlődése a feudális Magyarországon [Die Evolution der Akten als Beweis im Gerichtsverfahren im feudalen Ungarn], in: István Kállay (Hg.), A magyar hivatali írásbeliség fejlődése, Budapest 1984, S. 279–293; Borbála Bak, Városi írásbeliség a XVIII. században [Städtische Schriftlichkeit im 18. Jahrhundert], ebd., S. 294–310. Der Prozessablauf war meist dem bei den Komitatsgerichten ähnlich, die Niederösterreichische Landesgerichtsordnung von 1657 (in Ungarn Praxis Criminalis genannt) übte freilich auf die Stadtgerichtsbarkeit einen großen Einfluß aus. Kállay, Die Städte Ungarns, S. 80.

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durch einen Beschluss des Rates von Szatmár aus dem Jahr 1711. Um unnütze Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, wurden die Streitparteien dazu angehalten, Beschlüsse des Gerichts widerspruchslos zu akzeptieren. Wer einen Prozess nach ergangenem Urteil weiterführen wollte, musste eine Bürgschaft von 36 Gulden leisten. Wenn gegen ein Urteil nicht binnen 15 Tagen Widerspruch eingelegt wurde, erlangte es automatisch Rechtskraft.47 Gemäß eines Beschlusses der ungarischen Reichsstände von 172348 sollten wenigsten zwei der Senatoren in den Städten über juristische Kenntnisse verfügen, bei Verhandlungen in Strafsachen sogar weitergehende, aber wir wissen nicht, wie weit dieses Gesetz eingehalten wurde. Wir wissen auch nichts darüber, was für eine Ausbildung die Senatoren in Szatmárnémeti genossen haben.49 In Szatmárnémeti existierte seit Anfang des 17. Jahrhunderts ein reformiertes Kollegium. 1610 verordnete der Rat, „wenn die Gelegenheit besteht, dann sollen sie Wittenberger Schulmeister anstellen, wenn es an jenen mangeln sollte, dann Schulmeister, die im Heimatland ausgebildet wurden“.50 Zwar sind die Namenslisten der Schüler des reformierten Kollegiums überliefert, die späteren städtischen Würdenträger lassen sich aber nur unter Schwierigkeiten identifizieren. Es finden sich nur 13 Namen, die mit denen der oben genannten 42 Senatoren übereinstimmen in drei dieser Fälle kann die Identität zwischen namensgleichen Schülern und Magistratsmitgliedern mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Zehn Senatoren hatten demnach das Kollegium besucht. Auf den Immatrikulationslisten befinden sich aber nur die Namen der Schüler der oberen Klassen sowie der Zöglinge des Internats. So ist es durchaus vorstellbar, dass weitere spätere Ratsherren die re-

47 AS F 20, Nr. 8. Beschluß vom 11. Sept. 1711. 48 Gesetzesartikel XXXI:1723. 49 Was die anderen Städte Ungarns betrifft, so findet man in der städtischen Führung immer mehr Vertreter der Kategorie literatus sine professione. In der Führung der oberungarischen Stadt Besztercebánya (Banská Bystrica/Neusohl) waren z. B. verschiedene Beamte der Kammer, des Berggerichtes, des Salzmonopols, der Postverwaltung, aber auch Literate mit Adelsbrief, Juristen usw. vertreten. In der Stadt Komárom (Komarno/Komorn) beherrschten nur drei der Ratsmitglieder zwischen den Jahren 1759 und 1770 die lateinische Sprache nicht, während in der Stadt Kassa (Košice/Kaschau) alle Spitzenfunktionäre dieser Sprache mächtig waren. Špiesz, Der Wiener Hof, S. 89–91. Németh ist der Meinung, dass die Mehrheit der städtischen Elite im frühen 18. Jahrhundert eine Universität besucht hatte und über juristische und administrative Kenntnisse verfügte. Németh, Pre-Modern State, S. 291. Was das östliche Ungarn betrifft, war das bestimmt nicht der Fall. 50 László Bura, Szatmári diákok 1610–1852 [Szatmárer Studenten, 1610–1852], Szeged 1994, S. 3.



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formierte Schule von Szatmár besucht haben.51 Die Schule gehörte in jedem Fall zum städtischen Alltag, zumal der Schulmeister und der Lehrer der Mädchen sich ununterbrochen auf der städtischen Gehaltsliste befanden. Nach der Brandschatzung der Stadt hatte auch das Komitat zum Wiederaufbau der Schule finanziell beigetragen. Umso größer war die Empörung nicht nur der Stadt, sondern auch des reformierten Adels aus der Umgebung, als 1754 auf Vorschlag des oben erwähnten Kammerausschusses der Unterricht in den obersten Klassen des reformierten Kollegiums untersagt wurde und die Lehranstalt zu einer zweiklassigen Grammatikschule zurückgestuft wurde.52 Mehrfach beantragten die Szatmárer eine Wiederherstellung des status quo ante, schickten eine Delegation nach Preßburg und Wien. Sie wurden bei verschiedenen Hofräten und -agenten vorstellig und hatten auch eine Audienz beim Kanzler. Während der Suche nach Unterstützern wandten sie sich auch an Graf Ferenc Károlyi, der sie zu beruhigen versuchte: Obwohl die Schule nicht mehr in der alten Form wiederhergestellt werde, würden sie trotzdem consolatio erhalten, da „ich selbst an wichtigen Orten geäußert habe, wenn jene Schule bei ihrer jetzigen restrictio bleibt, ich in unserem Komitat nicht einmal Geschworene finden werde“. Zuletzt wurde die Bitte vom Kanzler abgewiesen, einerseits, weil es sonst im Lande vergleichsweise weniger katholische als calvinistische Oberschulen geben würde, mithin die gesetzlich gebotene konfessionelle Parität verletzt werde, anderseits, weil „der Schneider, der Schuster keine Theologie braucht, es reicht ihm, wenn er ein guter Haushalter ist.“53 Indirekt wird aus den Quellen ersichtlich, dass zu Anfang des 18. Jahrhunderts mangelnde Lese- und Schreibfähigkeit kein Grund dafür war, von der Ratsmit51 Der prozentuale Anteil der graduierten Bürgermeister in der viel größeren Stadt Köln stellte sich folgendermaßen dar: von 1600 bis 1674 um 13 % (fast das gleiche Niveau wie der Anteil der graduierten Ratsherren), von 1675 bis 1724 27 % und von 1725 bis 1774 17 %. Die graduierten Akademiker sind allerdings im Verlauf der frühen Neuzeit „in die übergreifende politische Führungsgruppe des städtischen Rates hineingewachsen“. Wolfgang Herborn, Der graduierte Ratsherr. Zur Entwicklung einer neuen Elite im Kölner Rat der frühen Neuzeit, in: Heinz Schilling/Herman Diederiks (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit, Köln/Wien 1985, S. 337–400, hier S. 368–370. 52 Insofern funktionierte das Kollegium als eine Art Hochschule, wo die Schüler in den höheren Klassen neben der lateinischen Sprache auch theologische Kenntnisse erwerben konnten. Zur gleichen Zeit, im Jahre 1752, wurde auch das berühmte reformierte Kollegium aus dem westungarischen Pápa vertrieben. 53 MOL P 392, Fach Nr. 167, Diarium Anni 1754/55 (geschrieben vom Abgesandten Sámuel Szatmáry).

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gliedschaft ausgeschlossen zu werden. In der Auseinandersetzung von 1717 akzeptierten die Vertreter von Szatmár den Vorschlag derer aus Németi, dass diese künftig vier Geschworene wählen durften, verlangten aber, dass „sie in Geist, Vernunft, Treue, Fleiß, nüchternem Leben und in ihrem Dienst Leute mit ehrlicher conversatio sein sollen“. Die Ratsmitglieder aus Németi konnten frei entscheiden, ob sie „einen Dolmetscher, der Deutsch, Latein und Schreiben kann, anstellen und bezahlen“.54 Auch aus anderen Städten kennen wir noch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Beispiele dafür, dass Räte zum Teil Analphabeten waren. Erst mit einem königlichen Beschluss von 1755 wurde vorgeschrieben, dass die Senatoren in den Städten gebildete Leute sein sollten, die das heimische Recht kannten.55 Von den Stadtschreibern wurde freilich eine gründlichere fachliche Ausbildung verlangt. Wie Staatsbeamte sollten sie nicht nur gute Schreib- und Sprachkenntnisse (in der Regel Ungarisch, Latein und Deutsch) mitbringen, sondern auch juristische Gewandtheit und eine gewisse fachliche Schulung.56 Die Protokolle zeigen, dass es beim Schreiben in ungarischer und lateinischer Sprache keine Probleme gab, auch mangelte es nicht an juristischen Kenntnissen, mit der deutschen Sprache jedoch konnten sich die Stadtschreiber nur schwer anfreunden. Im Jahre 1725 schrieb Graf Sándor Károlyi zweimal in ein- und derselben Angelegenheit an den Magistrat von Szatmár. Der Rat entschuldigte sein zwischenzeitliches Schweigen damit, dass man nicht habe antworten können, weil „wir einen geeigneten translator der deutschen Schriften nicht gefunden haben“. An der Übersetzung werde jedoch gearbeitet und sie werde „ohne Verspätung mit Postgelegenheit“ geschickt.57 Noch 1754 musste ein Hofagent gebeten werden, „dass er die Güte habe, unsere instantien in den deutschen Stil zu transferieren“,58 obwohl der städtische Stadtschreiber zur Delegation nach Preßburg und Wien gehörte. Der Rat unterhielt am Anfang des 18. Jahrhunderts zwar einen regen Briefwechsel mit der Familie der Grafen Károlyi. In besonders wichtigen Angelegenheiten schickte man jedoch den Stadtschreiber oder eine Delegation, bestehend 54 MOL P 392, Fach Nr. 167. 55 Kállay, Szabad királyi városok, S. 69. 56 Wir wissen sehr wenig über die Fachbildung von Amtsträgern. Die Stadtschreiber hatten wahrscheinlich einige Semester Jura studiert, aber nicht an Universitäten (es gab lediglich in Pécs eine einzige Universität in Ungarn), sondern auf sog. Adelsakademien oder konfessionell ausgerichteten Kollegien. 57 MOL Károlyi család (Familie Károlyi), P 398 Missiles, Nr. 69412. 58 MOL P 392, Fach Nr. 167. Diarium Anni 1754/55 (geschrieben vom Abgesandten Sámuel Szatmáry).



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aus Senatoren, versehen mit einem Beglaubigungsschreiben des Rates, welche die Sache der Stadt mündlich vortrugen. Vertreter der Teilstadt Németi ersuchten Graf Károlyi häufiger brieflich um Beistand gegen ihre Kontrahenten aus Szatmár. Am Beginn des 18. Jahrhunderts koexistierten Mündlichkeit und Schriftlichkeit demnach eng, obwohl die Kommunikation face-to-face weiterhin dominierte. Das Schreiben genoss jedoch großes Ansehen, Lese- und Schreibkenntnisse wurden von Amtsträgern immer selbstverständlicher erwartet. Die zentralen Behörden forderten in ihren Verordnungen von den städtischen Verwaltungen die Schriftform auf allen Gebieten; vollständig wurde diesen Forderungen jedoch erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entsprochen.

V. 2  Eine Stadt unter Einfluss, oder: der Preis der Freiheit Im 18. Jahrhundert finden wir auch im Reich der Habsburger ein Vorrücken von Bürokratien auf allen Ebenen, der imperialen am Wiener Hof, der staatlichen in Wien, Preßburg und Ofen (Buda), der regional-ständischen in den Komitaten, aber auch der lokalen in den Adelsherrschaften und königlichen Städten.59 Dies war ein äußerst langwieriger, in sich widersprüchlicher Prozess, begleitet, ja getragen von vielfältigen Patronagebeziehungen. Zudem finden sich auf allen Ebenen dieses Prozesses verschiedene Spielarten der Korruption. In der Folge wollen wir – soweit aufgrund der Quellenlage möglich – klären, wie das Wechselspiel aus rivalisierenden Teilautonomien, wachsenden Ansprüchen an die formale Korrektheit von Amtshandlungen und den verschiedenen Kräften der Macht aus der Perspektive der freien königlichen Stadt Szatmárnémeti funktionierte. Wie erwähnt erfreute sich die Stadt zwar formal einer beträchtlichen Autonomie, musste allerdings ihre relative Eigenständigkeit gegenüber dem Staatsapparat und den konkurrierenden Gewalten in der Region stets eifersüchtig hüten. Konkret ging es darum, die Interessen der Stadt, genauer die materiellen Vorteile und ideellen Werte 59 Alois Brusatti, Die Begründung des obrigkeitlichen Verwaltungsstaates. Eine historisch-politische Überlegung, in: S. Herbert Matis (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981, S. 29–37; Helen Liebel-Weckowitz, Auf der Suche nach neuer Autorität: Raison d’État in den Verwaltungs- und Rechtsreformen Maria Theresias und Josephs II., in: Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. Internationales Symposion in Wien 20.–23. Oktober 1980, Wien 1985, S. 339–364; Karl Vocelka, Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im Habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 2001, S. 354–361.

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bestimmter städtischer Eliten, gegenüber dem adligen Komitat, dem mächtigen Obergespan aus der gräflichen Dynastie der Károlyi und der allmählich auch in die ungarische Peripherie ausgreifenden Staatsverwaltung zu wahren. Wir fragen danach, wie die kommunalen Akteure an Informationen gelangten, welche Rolle persönliche Beziehungen in den Auseinandersetzungen spielten, und wo günstige Entscheidungen auch schlichtweg gekauft wurden. Wir untersuchen diese Fragen anhand der Quellen, die im Zusammenhang mit dem Erwerb des Ranges einer freien königlichen Stadt entstanden sind. Die Vorgeschichte dieser Privilegierung wurde schon knapp angedeutet. Gegen die Verleihung der Privilegien an die Stadt trat Graf Sándor Károlyi, der Obergespan des Komitats Szatmár, als machtvollster Gegner auf. Was stand für die Stadt in dieser Auseinandersetzung auf dem Spiel? Szatmár(németi) hatte bereits fast alle Privilegien erworben, die eine freie königliche Stadt auszeichneten. Einzig die ‚Krönung‘, das königliche Diplom und dessen Inartikulierung auf dem Landtag, fehlten noch. Diese beiden Rechtsakte waren für die Stadt freilich sehr wichtig, nicht nur wegen des Prestiges, sondern auch zur dauerhaften Absicherung ihrer Sonderstellung. Mit dem Status einer freien königlichen Stadt erwarb Szatmárnémeti nämlich den kollektiven Adelsstatus, schied damit aus dem Kompetenzbereich des adligen Komitats aus und entzog sich dadurch auch dem unmittelbaren Einfluss des mächtigen Obergespans, Sándor Károlyi. Ebenso wichtig war für die Stadt die Ablösung der sogenannten „ärarischen Güter“. Mit einer solchen Ablösung erhielt die Stadt von der königlichen Schatzkammer die alleinige Verfügung über die Bannrechte (Schankrecht, Mühlen, Mauten usw.), ein Privileg, das jedoch von zwei in der Stadt gelegenen Herrenhöfen und den dazu gehörenden Wirtshäusern durchbrochen wurde. Das eine Wirtshaus befand sich im Besitz von Georg Pankratius Gückel (oder Gickl), dem ehemaligen Szatmárer Festungskommandanten, das andere gehörte Sándor Károlyi. Auch der Graf hatte kein leichtes Spiel auf dem Landtag der Jahre 1712 bis 1715, denn die Frage seines Adelssitzes in Szatmár wurde von anderen politischen Problemen weit in den Schatten gestellt. Um seine eigene Position endgültig zu sichern, war die Inartikulierung des Szatmárer Friedens auf dem ungarischen Landtag in Preßburg eine geradezu existenzielle Frage, denn der Vertrag garantierte den kapitulierenden Kuruzzen den Besitz ihrer Güter. Károlyi musste in dieser Frage mit hartem Widerstand rechnen, insbesondere seitens der westungarischen Magnaten, die dem Kaiser in der Zeit des Aufstands unverbrüchlich die Treue gehalten hatten und dafür gern mit den Gütern der ehemaligen Kuruzzen belohnt worden wären. Gleichwohl blieb Károlyi neben den Problemen der großen Politik noch Zeit und Energie, um seine eigenen Gutsangelegenheiten nicht aus dem Blick zu verlieren.



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Für die Stadt Szatmár war Károlyi keinesfalls ein Gegner aus derselben Gewichtsklasse: Er bewegte sich nicht nur dank seines ständischen Amtes in anderen Kreisen, sondern baute – indem er sein Vermögen und seinen Status nutzte – ein weit gespanntes Klientelnetz auf, das ihm bei der Erledigung seiner Angelegenheiten beträchtliche Hilfe leistete. Für Károlyi bedeutete die Rechtsstellung seines Herrenhofes in Szatmár nur ein nachgeordnetes Problem, indes tat er als ein guter Hauswirt alles für deren Sicherung. Vom Landtag des Jahres 1712 schrieb er seiner Frau nach Hause, dass die Stadt Szatmárnémeti zur königlichen Stadt wurde, „aber wenn ich es kann, obwohl es schwer ist, werde ich das verhindern“. Da hinter der Sache aber eine höhergestellte Persönlichkeit stehe, werde er zu ihr in audientia gehen, wenn auch dies nicht helfe, werde er contradictio einlegen, also versuchen, die Rangerhöhung der Stadt rückgängig zu machen.60 Leider wissen wir nicht, wer die „höhergestellte Person“ war, die Szatmárnémeti unterstützte. Es ist möglich, dass es sich um den ungarischen Kanzler, Graf Miklós Illésházy, handelte, da die Briefe der städtischen Gesandten vermuten lassen, dass er zu diesem Zeitpunkt die Sache der Stadt unterstützte. Der Rang einer freien königlichen Stadt bereitete Károlyi nicht nur wegen seines Herrenhofs Sorgen, sondern auch deshalb, weil die Stadt sich damit der Kontrolle des Komitats entzogen hätte. Deshalb war sein Ziel, „den Landtag gegen sie zu kehren. Es wird sich schon zeigen, dass Gott uns hilft. Wenn ich das hinbekomme, dann wird das nicht nur dem Kaiser Gewinn bringen, ... sondern vielleicht auch uns selbst. Ich werde ihnen [den Stadtbürgern] demonstrieren, was ein Komitat bedeutet“.61 Die überlieferten Akten enthalten widersprüchliche Angaben, sodass es schwer fällt zu entscheiden, unter welchen Bedingungen Károlyis Vorfahren das städtische Grundstück und den Herrenhof erhalten hatten. Nach Ansicht des Magistrats der Stadt Szatmár verfügte der Herrenhof über gar kein Schankrecht, da Sándor Károlyis Vater dieses Privileg für seine persönlichen Verdienste lediglich auf zwanzig Jahre erteilt bekommen habe. Entsprechend habe im Jahr 1697, als diese Frist verstrichen war, der Kaiser auf Vorschlag der Zipser und der ungarischen Kammer das Privileg kassiert.62 Später erst, während der Kuruzzenkriege, habe Sándor Károlyi der Stadt das Schankrecht gewaltsam wieder aufgenötigt. Dagegen argumentierte der Graf, dass dieses Adelsgrundstück von alters her einen Immunitätsbezirk bilde, somit schon immer aus dem Geltungsbereich der städtischen Verwaltung ausgenommen sei. Seine Rechte seien weitaus älter als die 60 Ágnes Kovács (Hg.), Károlyi Sándor levelei feleségéhez, Bd. 1, S. 183–184 (Brief vom 14. Juli 1712). 61 Ebd., S. 190 (Brief vom 21. Juli 1712). 62 MOL P 392, Fach 19, Lad. 18. Nr. 7.

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vergleichsweise neuen Privilegien der Stadt. Ende des 17. Jahrhunderts habe die Stadt, aus Neid gegen seinen „armen Vater“, aufgrund „der verschiedensten lügnerischen Informationen“, mit hohem finanziellen Aufwand und mithilfe der Zipser Kammer das Schankrecht der Károlyi unrechtmäßigerweise aufheben lassen.63 Warum aber war für den mächtigen Herrn eine städtische Kneipe so wichtig? Es drehte sich dabei nicht nur um eine Prestigefrage, obwohl auch das eine wichtige Rolle spielte, sondern auch um hohe bare Einkünfte aus dem Ausschank. Anfang des 18. Jahrhunderts herrschte in Ungarn chronischer Geldmangel. Das Schankrecht war eine der wichtigsten und sichersten Einnahmequellen, sowohl für die Städte als auch für die großen Gutsherrschaften. So schrieb Sándor Károlyi seinem Sohn, dass die Kneipen „die nützlichsten Goldgruben“ einer Herrschaft seien.64 In dieser Zeit machten die Einnahmen der Wirtshäuser fast drei Viertel der städtischen Einnahmen von Szatmár aus.65 Nach der Niederschlagung des Kuruzzenaufstands wurde 1712 der erste ungarische Landtag einberufen, der aber wegen der Pest unterbrochen werden musste. Erst im Herbst 1714 wurde er fortgesetzt und 1715 beendet. Oberflächlich gesehen sicherten die auf dem Landtag verabschiedeten Gesetze zwar die relative Autonomie Ungarns im Rahmen der Habsburgermonarchie, innerhalb der von den Türken zurückeroberten Gebiete genossen die ungarischen Stände jedoch kaum noch Mitspracherechte. Der Kaiser behielt auch in der Religionsfrage freie Hand. So geriet die ungarische Zentralverwaltung – trotz anderslautender gesetzlicher Verordnungen – immer stärker unter den Einfluss der Wiener Zentrale. 63 Ebd., Nr. 13. 64 Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 190. 65 Später wurde dieser Anteil kleiner, blieb jedoch weiterhin sehr wichtig für den städtischen Haushalt. In den königlichen Städten betrug dieser Anteil zur Mitte des 18. Jahrhunderts circa ein Viertel der städtischen Einkommen. Kállay, Szabad királyi városok. Die städtische Einnahmen flossen aus verschiedenen Quellen: a) den vom König überlassenen Regalien (Wein- und Bierausschank, Schnapsbrennerei, Mühlen, Mauten etc.), b) aus Stadtkapitalien stammende Einnahmen (Zinsen, Pachtgebühren usw.), c) aus Grundbesitz und dessen Bewirtschaftung stammende Einnahmen (Leibeigenendörfer, Weingärten, Wälder, Fischerei, Jagd usw.), d) aus der Amtstätigkeit (Kanzlei- und Gerichtstaxen usw.). István Kállay, Wirtschaft und Gesellschaft der königlichen Freistädte Ungarns zur Zeit Maria Theresias, in: Anna M. Drabek/Richard G. Plaschka/Adam Wandruszka (Hg.), Ungarn und Österreich unter Maria Theresia und Joseph II. Neue Aspekte im Verhältnis der beiden Länder. Texte des 2. Österreichisch-Ungarischen Historikertreffens, Wien 1980, Wien 1982, S. 121–130, hier S. 123–124. Die städtischen Einnahmen in Szatmárnémeti waren übrigens am Anfang des Jahrhunderts sehr gering, im Jahre 1707 betrug der Jahresüberschuss nur 2 562 Gulden. AS F 20, Nr. 8, Stadtprotokoll; Bagossy, Szatmár-Németi története, S. 232.



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Auch die Autonomie der Städte wurde seit Ende des 17. Jahrhunderts immer weiter eingeschränkt. Bereits der Landtag von 1687 hatte eine Erhöhung der Zahl freier königlicher Städte untersagt.66 Auf den ungarischen Landtagen war das politische Gewicht der Städte ohnehin nicht groß und schrumpfte während des 18. Jahrhunderts weiter, sodass seit Beginn des 19. Jahrhunderts alle königlichen Freistädte zusammen über eine einzige Stimme verfügten.67 Und doch gelang es Anfang des 18. Jahrhunderts zahlreichen Städten, ihre alten Privilegien bestätigt zu bekommen und den Titel einer freien königlichen Stadt zu erlangen.68 Das war vor allem auf den Geldmangel des Wiener Hofs zurückzuführen. Die kaiserliche Kammerverwaltung nutzte jede Gelegenheit, Einnahmen zu erschließen, wobei die Verleihung des Ranges einer freien königlichen Stadt eine besonders gute Einkommensquelle darstellte.69 66 Auf diesen Landtag wurde Szatmárnémeti schon eingeladen, gegen den heftigen Protest der Abgeordneten des Komitats Szatmár. Vilmos Fraknói, A Habsburg-ház trónöröklési jogának megállapítása az 1687/8-ik évi országgyűlésen [Die Festsetzung des Erbrechts des Hauses Habsburg auf dem Landtag von 1687/8], Budapest 1922, S.  14–15. Die Stände versuchten auch während des 18. Jahrhunderts die Erhebung neuer Städte zu Freistädten zu verhindern. Im Jahre 1751 kam es auf dem Preßburger Landtag sogar zu einer ernsten Auseinandersetzung, als die Vertreter einer neuen Freistadt durch den Adel vom Landtag vertrieben wurden. Andor Csizmadia, A magyar városi jog [Das ungarische Stadtrecht], Kolozsvár 1941, S. 43–92. 67 Csizmadia, A magyar városi jog, S.  91–92, 101–102. Das gilt für die ganze Habsburgermonarchie, wo die Städte im Kontext der politischen Machtverhältnisse zu schwach waren, als dass sie vom Adel auf den Landtagen als gleichwertig betrachtet worden wären. „Während bei den Ständeversammlungen im bürgerlichen Holland der gesamte Adel eine Stimme hat, jede Stadt aber ihre eigene Stimme, hatten etwa die Städte auf den Landtagen im Land unter der Enns eine Stimme, in der Steiermark wurden 31 Städte/Märkte von der Stimme des Städtemarschalls wahrgenommen, in Ungarn und Böhmen geht die Tendenz in dieselbe Richtung.“ Baltzarek, Staat und Bürgertum, S.  273. Auch im Alten Reich wurde die Situation der Städte nach dem Dreißigjährigen Krieg immer schwieriger: „The basic attitude of even the greatest communes now really became defensive. In practice, the electors and princes did not recognize the ‘votum decisivum’ in the Reichstag, by which the Peace of Westphalia (1648) had formally accorded an equal rank to the free imperial cities.“ Peter Moraw, Cities and Citizenry as Factors of State Formation in the Roman-German Empire of the Late Middle Ages, in: Tilly/Blockmans (Hg.), Cities, S. 116. 68 Von 1681 bis 1750 wurden 14 Siedlungen in den Rang einer königlichen Freistadt erhoben. Neben Szatmárnémeti wurden auch Pest und Buda Anfang des 18. Jahrhundert aufgrund ihrer mittelalterlichen Privilegien königliche Freistädte. Im 18. Jahrhundert gab es in Ungarn etwa 500 bis 600 Märkte und 61 königliche Freistädte; etwa 6,4 % der Gesamtbevölkerung lebte in diesen städtischen Siedlungen. Kállay, Die Städte Ungarns, S. 76. 69 Die Staatsschulden erreichten im Jahre 1711 die schwindelerregende Höhe von etwa 49 Millionen Gulden. Allein dadurch ist erklärlich, warum es am Anfang des 18. Jahrhunderts

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Um das königliche Diplom und die Inartikulierung als königlich freie Stadt auf dem Landtag zu erreichen, entsandte der Stadtrat von Szatmár Delegierte nach Wien und nach Preßburg. Am Anfang unserer Geschichte rechneten diese städtischen Deputierten aufgrund der geneigten Haltung der Preßburger und der Zipser Kammern mit der baldigen Ausstellung der ersehnten Urkunde. Wie sich zeigte, hatten die Gesandten jedoch keine leichte Aufgabe übernommen: Das dringendste Problem bestand in der Ablösung der Schankrechte. Auf Vorschlag der Zipser Kammer waren die Verhandlungen in dieser Frage zwar bereits im Gange, die Höhe der Ablösungssumme blieb jedoch lange in der Schwebe. Die Rekonstruktion dieser Vorgänge gibt uns eine plastische Vorstellung davon, wie es den von weither anreisenden protestantischen Bürgern gelang, sich durch die Labyrinthe der Wiener und der Preßburger Behörden einen Weg zu bahnen, wobei sie sich lediglich auf begrenzte finanzielle Ressourcen stützen konnten. Außerdem traten sie während des ungarischen Landtags zur Durchsetzung ihrer Ziele als ‚Lobbyisten‘ auf. Über welches Beziehungskapital die städtischen Gesandten verfügten und mit welchen Mitteln sie ihre Ziele zu erreichen hofften, darüber informieren uns die Briefe, die sie zwischen 1713 und 1715 aus Wien bzw. Preßburg nach Hause schickten. Die Berichte der Gesandten sind leider unvollständig; ein Teil ist wahrscheinlich verloren gegangen, denn aus bestimmten Phasen fehlt jeglicher Hinweis. Zwei zeitgenössische Quellen berichten, dass die vorhandenen Briefe nach dem Tod der Gesandten, der Stadtschreiber Mihály Váradi und Ferenc Ladányi, aus deren privaten Nachlässen ins Rathaus gelangt sind.70 Die städtischen Interessenvertreter, die als Gesandte hervortraten, kamen aus den Reihen des städtischen Senats. Dabei wurde auf Parität geachtet, sodass ein Deputierter immer aus Szatmár, der andere aus Németi stammte. Alle gehörten dem Adel an und waren rechtskundig, ohne dass wir Genaueres über ihre Ausbildung wissen. Die drei aktivsten Gesandten – Miklós Nánási, Mihály Váradi und Ferenc Ladányi – bekleideten zugleich das Amt eines Stadtschreibers. Miklós Nánási hatte zuvor bereits als Stadtrichter (Bürgermeister) amtiert.71 Auch mate-

relativ leicht und „billiger“ wurde, den Titel einer freien königlichen Stadt zu erhalten, verglichen mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 70 AS F 20, Nr. 440/1714. 71 Nánási war zwischen 1704 und 1708, dann in den Jahren 1708, 1710, 1712, 1714, 1716, 1719, 1720, 1725–1728 Stadtrichter, dazwischen bekleidete György Csegöldi (adlig, Kaufmann) in den Jahren 1711, 1713, 1715 usw. die Funktion. Wenn er gerade nicht das Amt des Stadtrichters ausübte, saß er im Rat.



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riell stand er ganz oben in der städtischen Gesellschaft, mit drei oder vier anderen Familien gehörte er zur Spitze der lokalen Elite. Der Auftrag der Gesandten war ausgesprochen komplex, sodass dafür überhaupt nur wenige Personen in Frage kamen. So entschied der Rat im Jahr 1714, dass der Stadtschreiber Ferenc Ladányi weiterhin Gesandter bleiben solle, da „keine circumspectus und kluges subjectum in kurzer Zeit solche fundamentale Sachen“ erlernen könne, insbesondere, da man „in vielen Orten und in fast allen dicasterien [gemeint sind die Zentralbehörden] verkehren muss“.72 Die Dienste eines Gesandten wurden honoriert: So wurden zum Beispiel Mihály Váradi seine Schulden gegenüber der Stadt erlassen und er erhielt als weitere Belohnung ein Grundstück und ein Weingut.73 Alternativ hätte man auch einen der in der Hauptstadt etablierten Agenten mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen am Wiener Hof beauftragen können. Doch wurde dieser Weg in einer derart wichtigen und heiklen Angelegenheit als allzu unsicher erachtet. Ein Gesandter schrieb: „Ansonsten halte ich es für nicht sehr empfehlenswert, jene Sachen einem Agenten anzuvertrauen, da man sie leicht korrumpieren kann, wenn unsere adversarii das bemerken würden.“74 So blieb es bei eigenen Gesandten, deren Finanzierung die Möglichkeiten der Stadt auf Dauer freilich überstieg, weil sie sich mehrere Jahre hindurch fast ununterbrochen in den teuren Hauptstädten Wien und Preßburg aufhalten mussten. Wie haben sich die Abgesandten aus der ungarischen Provinz im Wiener und Preßburger Milieu geschlagen? Wenn wir die Berichte der Gesandten lesen, dann finden wir als ständig wiederkehrendes Motiv das Warten. Ständig waren sie gezwungen zu warten: in den Vorzimmern von Beamten, auf Audienz, auf eine Besprechung, auf wichtige Unterlagen, auf Entscheidungen. Sie hofften, dass am Ende des Wartens und des ständigen Hin- und Herschiebens von Unterlagen ein für sie günstiges Ergebnis stehen würde. Nachdem der Stadtschreiber Mihály Váradi seit einem Jahr von zu Hause fort war, schrieb er im Januar 1713 jedoch: „Ich bin des großen Wartens müde geworden ... Wenn sie wenigstens resolvieren 72 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief der Gesandten Váradi und Erdődi an den Stadtrat, Wien, 19. Sept. 1714. 73 AS F 20, Nr. 8, Stadtprotokoll. 74 AS F 20, Nr. 429/1713. Brief des Gesandten Váradi an den Rat, Wien, 9. Febr. 1713. Die Aufgabe der städtischen Deputierten war voller Unannehmlichkeiten. Ladányi beschwerte sich z. B. mehrmals wegen Geldmangels, wegen der Teuerung in Wien und Preßburg, wegen des Mangels an gewöhnlichem Rindfleisch und aus Heimweh. Die Abwesenheit von Familie und Frau bot manchmal sogar Anlass zu Spott. AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi, Preßburg, 3. März 1715.

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würden, dass sie jene Fiskalität nicht [an die Stadt] vergeben wollen, müsste ich wenigstens nicht mehr warten. Es wäre dann leichter, als wenn die Herren, die meine langandauernde Pein sogar bedauern, sich an uns mit lieben Worten und Ermunterungen wendeten.“75 Ende Januar schrieb er noch desillusionierter: „Ich bin wegen der langen Qual und Zeitvergeudung so erbittert, dass ich mich kaum zurecht finde. Was soll ich tun, denn wenn ich wüsste, dass in der Sache der Fiskalität die kaiserliche aulica favorabilis opinio nicht zu seiner Majestät gelangt ist, hätte ich die Stadt schon verlassen, aber die Herren sowohl opportuno als auch infortuite umwerbend, ermuntern und assekurieren sie mich gleichfalls, ... weil sie selbst für die so lange Verspätung der Emmision der referada seitens seiner Majestät keine Erklärung finden.“76 Um ihre Sache voranzubringen „umwarben“ die städtischen Gesandten einflussreiche Personen. Dabei waren sie sich zu Anfang nicht völlig sicher, in welchen Kreisen sie sich mit Aussicht auf Erfolg bewegen konnten. Der Stadtschreiber Mihály Váradi schrieb Mitte Februar 1713 aus Wien: „Bis jetzt habe ich mich nicht getraut, einen solchen [hochgestellten] Menschen zu konsultieren, sondern habe mich an die oberen Beamten der kaiserlichen aulica und cancellaria gewandt, in deren Händen die Sachen liegen“, die behaupten, „dass sie gern sekundierten, wenn es nur von ihrer Gunst abhinge“.77 Aus ihren Anweisungen geht hervor, dass die städtischen Gesandten in Wien den ungarischen Kanzler, Graf Miklós Illésházy, den Kanzleirat Graf László Hunyady, den Palatinalrichter Ádám Meskó und dessen Bruder, den Hofkammerrat Jakob Meskó aufsuchen sollten, um Informationen zu sammeln und die Angelegenheit voranzubringen. Offenbar wurde Szatmár zu dieser Zeit vom Kanzler unterstützt, denn im März 1713 warnte er die städtischen Gesandten persönlich, dass Graf Sándor Károlyi bald in Wien eintreffen werde, weshalb er versprach, „die Sache dringend zu erledigen, bevor der Herr eintrifft, da er schon unterwegs ist und möglicherweise mehr bieten werde“. Es sei zu befürchten, dass Károlyi ihre Sache hintertreiben werde. Der städtische Gesandte bemerkte, dass der Kanzler „uns hoffentlich weiter sekundieren wird“.78 Er bat ihn um Unterstützung beim Vorsitzenden der Hofkammer, damit die ersehnte Urkunde möglichst schnell ausgestellt werde. 75 AS F 20, Nr. 429/1713, Brief des Gesandten Váradi, Wien, 14. Jan. 1713. 76 Ebd., Brief des Gesandten Váradi, Wien, 1. Apr. 1713. Anfang April wurde ihnen endlich eine Audienz beim Kaiser gewährt, wo sie ihr Anliegen ausführlich schildern konnten. Brief des Gesandten Nánási an den Rat, Wien, 8. Apr. 1713. 77 Ebd., Brief des Gesandten Váradi, Wien, 9. Febr. 1713. 78 Ebd., Brief des Gesandten Váradi, Wien, 1. März 1713.



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Neben den genannten Personen tauchen in dem Briefwechsel auch Sámuel Alvinczi, Sekretär der siebenbürgischen Kanzlei, und Ferenc Somogyi, Sekretär bzw. Rat der ungarischen Kanzlei, auf. Von Somogyi erhielten die Deputierten vertrauliche Informationen darüber, wie der ehemalige Festungskommandant von Szatmár, Gückel, sein Schankprivileg zu sichern versuchte. Unter den nachgeordneten Wiener Beamten wird der Protokollführer Ádám Király am häufigsten erwähnt, der vorher höfischer Geschäftsträger79 gewesen war, und an den sich auch andere freie königliche Städte wie z. B. Szeged, später allerdings auch Graf Károlyi wandten. Die Deputierten aus Szatmár beschritten aber auch andere Wege. So freundeten sie sich anscheinend mit mehreren Subalternbeamten der Kanzlei an, einer der städtischen Gesandten half sogar in der Behörde bei Kopierarbeiten aus. Der Kanzlist versprach ihnen, ihre Sache schnellstmöglich zu erledigen. Hier in der Kanzlei – schrieb der Gesandte – sei nichts in guter Ordnung, sie hätten alle Akten „durchwühlt“, aber es sei ihnen nicht gelungen, das zu finden, was sie suchten, obwohl ein halber Tag darüber verstrich.80 Theoretisch konnten die städtischen Delegierten aus der ostungarischen Provinz also – dank persönlicher Beziehungen – auch solche Akten lesen, zu denen ihnen laut Archivordnung der Zugang streng verboten war.81 Außerdem tauschten die Delegierten verschiedener Städte und Regionen untereinander Informationen aus. Die Gesandten aus Szatmár standen in ständiger Verbindung mit anderen Schicksalsgenossen. Diejenigen, die eine Audienz beim Kaiser erhalten hatten, benachrichtigten die anderen. Weil die Gesandten aus Szat­már zudem gezwungen waren, während des Landtags ständig in Preßburg zu weilen, leisteten sie auch für andere Städte Botendienste.82 Die städtischen Gesandten bildeten während des Landtags in Preßburg eine eigene Interessengruppe. Die Szatmárer standen aber auch in regelmäßiger Verbindung zu den Deputierten des Adels aus ihrer Region. Wenn es nichts Anderes zu vermelden gab, dann tauschten sie zumindest Klatsch von daheim untereinander aus. Da es eine organi-

79 Agent bei Hof, eine Art „Lobbyist“. 80 AS F 20, Nr. 429/1713, Brief des Gesandten Váradi, Wien, 14. Jan. 1713. 81 Eine Verordnung von 1561 beispielsweise untersagte den Beamten der Ungarischen Kammer Informationen weiterzugeben. Abschriften durften nur mit Bewilligung des Königs ausgefertigt werden. Győző Ember, Az újkori magyar közigazgatás története Mohácstól a török kiűzéséig [Ungarische Verwaltungsgeschichte der Neuzeit von der Schlacht bei Mohács bis zur Vertreibung der Türken], Budapest 1946, S. 129. 82 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi, Preßburg, 10. März 1715.

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sierte Nachrichtenübermittlung nicht gab, behalfen sich die Städte Oberungarns auf diese Weise und bauten ein eigenes, rudimentäres Informationsnetz auf.83 In all diesen Beziehungen spielte die konfessionelle Solidarität eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Als auf dem Landtag die Frage der Rangerhöhung der Stadt bevorstand, besuchte der Gesandte aus Szatmár gezielt die anderen protestantischen Deputierten und bat um ihre Unterstützung, den entsprechenden Gesetzesartikel unverändert ‚durchzubringen‘, was sie auch versprachen.84 Im Anschluss besuchte er weitere „wohlgeneigte Herren“, die wir leider nicht namentlich kennen. Manches Mal wird erwähnt, dass die Gesandten mit einzelnen „Wohltätern“ zu Mittag aßen, um bei dieser Gelegenheit vertrauliche Informationen auszutauschen. Unter den auf dem Landtag versammelten Gesandten kursierten verschiedene Gerüchte („wie einige der Herren verlauten lassen“ bzw. „probabiliter behaupten“) und ganz nebenbei benachrichtigten die Deputierten auch noch die Daheimgebliebenen über den Krieg gegen die Türken, über andere Fragen der internationalen Politik und über Sensationen wie Kometen, Morde und Prophezeiungen. Um die Legitimität ihrer Sache zu untermauern, kam rechtsverbindlichen Urkunden große Bedeutung zu. Die Beschaffung solcher Dokumente bildete ein ständig wiederkehrendes Thema in der Korrespondenz: Die Gesandten verlangten verschiedene Akten von daheim, sie versuchten, sich solche aus der Kanzlei oder der Kammer zu verschaffen, und sie fassten Vorlagen, Gesuche und Gegenantworten ab auf der Grundlage solcher Urkunden. Als der städtische Gesandte erfuhr, dass auch Graf Károlyi zum Landtag in Preßburg eingetroffen war, bat er den Rat der Stadt, ihm alle verwendbaren Akten über die Herkunft der fiskalischen Güter zu senden, weil sicherlich auch ihr Gegenspieler alle nützlichen Dokumente mitgebracht habe. Ende März trafen die entsprechenden Akten aus Szatmár ein, nach deren Lektüre Váradi beruhigt bemerkte, dass „unser adversarius ... weder auf dem einen noch auf dem anderen Wege eine würdige pretentio erheben könne“, und äußerte die Hoffnung, dass auch die Hofkammer sie gegen Károlyi unterstützen werde, der „in seinem Hochmut“ sich selbst schade. Gückel, der Inhaber 83 István Németh, Információszerzés és hírközlés a felső-magyarországi városokban [Informationsvermittlung und -verbreitung in den oberungarischen Städten], in: Studia Agriensia 20 (1999), S. 117–127. Als Informationsquellen dienten diesen Städten vor allem gemeinsam bezahlte Spione, Gesandte und in die kaiserlichen Hauptstädte delegierte Agenten. Im Zentrum dieses Informationsnetzes standen die Großhändler der Stadt Kaschau, die gute Verbindungen zu den Finanz- und Militärbehörden unterhielten, indem sie für Kredite und Kriegslieferungen bürgten. 84 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi, Preßburg, 10. März 1715.



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des anderen Wirtshauses, hatte gegen die Stadt eine Klage bei der Kanzlei eingereicht. „Damit wir ihm Hindernisse in den Weg legen können“, verlangten die Deputierten erneut, dass ihnen alle einschlägigen Akten umgehend zugeschickt würden, und zählten detailliert auf, welche Dokumente sie benötigten. Weil sie keine „erfahrenen Leute“ seien, befürchteten sie, dass „die Sache entstellt wiedergegeben würde, insbesondere ohne documentum kann man hier schwer dagegen vorgehen“.85 Auch gegen Károlyis Wirtshaus reichten sie ein Gesuch bei der Kanzlei ein, aber „seitdem konnte es in dieser Sache keine determinatio geben“, weil die Agenten Károlyis sie zu verzögern versuchten. Auch Károlyi habe verschiedene Akten geschickt, „um seine eigenen Rechtsansprüche zu untermauern“. Der Szatmárer Gesandte in Wien forderte jenes Schreiben des Kaisers aus dem Jahre 1697 an, das Károlyi untersagte, ein Wirtshaus zu unterhalten. Er versicherte seinen Landsleuten, dass er die Sache so gut wie möglich vertreten werde, sofern er nicht mit discretio besiegt werde. An diesem Punkt seufzte er auf: „Oh großer Gott, von wie vielen Seiten werden wir molestiert“, der „arme Mensch“ wird „hier zermalmt“.86 Discretio bildete für die Gesandten das wichtigste Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen. Es ist ein Schlüsselwort, das in fast allen Briefen auftaucht. Das Wörterbuch des in Ungarn üblichen Lateins zählt für den Begriff mehrere Bedeutungen auf: 1. Belohnung, Trinkgeld, 2. Rücksicht, 3. Bescheidenheit, 4. Unterscheidung, 5. Verschwiegenheit. Das Wörterbuch führt als konkretes Beispiel für den Wortgebrauch discretio bibalis et axungii auf: Trink- und Schmiergeld87 mithin, und genau diese Bedeutung nahm das Wort in der städtischen Korrespondenz an. Im mittelalterlichen Latein hatte das Wort diese Bedeutung noch nicht gehabt, aber Anfang des 18. Jahrhunderts wurde es allgemein so verwendet. Max Weber hat die regelmäßig vorkommende Beschenkung von Beamten vor der Moderne unter anderem auf die vorherrschend nicht-monetäre Ökonomie und das Fehlen regelmäßiger, in Geld ausgezahlter Gehälter zurückgeführt.88 Dies ist eine vollkommen zutreffende Beobachtung für Ungarn zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Geldmangel herrschte allenthalben, Geld zu beschaffen war eine ausgesprochen komplizierte Angelegenheit. Als Ende 1714 die für die Schankrechte zu zahlende Summe bereits festgelegt worden war und Szatmár sie auch 85 Ebd., Brief der Gesandten Ladányi und Váradi an den Rat, Wien, 18. Aug. 1714. 86 Ebd. 87 Antonius Bartal, Glossarium mediae et infimae latinitatis regni Hungariae, Budapest 1901, S. 219. 88 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., Tübingen 1976, S. 126.

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schon teilweise bezahlt hatte, bot die ungarische Kammer der Stadt ein Geschäft an: Szatmárnémeti schuldete der Kammer noch 12  000 Gulden, die Kammer schuldete einem gewissen Pál Ottlik 6 000 Gulden, sodass ein Teil der Schulden der Stadt Szatmárnémeti an Ottlik übertragen wurde, der damit abzufinden war. Graf Szunyogh, der Rat der ungarischen Kammer, drängte die Gesandten, die noch ausstehende Summe umgehend zu zahlen. Das stellte die Deputierten vor eine praktisch unlösbare Aufgabe. Sie konnten gerade einmal 600 Gulden „mit großer Mühe“ auftreiben, indem sie die Summe vom praeceptor der Kammer auf 15-tägige Frist ausliehen. In den folgenden zwei Wochen machte sich der städtische Gesandte deswegen ständig Sorgen, er fürchtete sich „vor dem Schaden und vor Ehrlosigkeit“ und bat den Stadtrat dingend, den Gesandten der benachbarten Städte unbedingt Geld für ihn mitzugeben.89 Inzwischen reichte die Ungarische Hofkanzlei ein Gesuch bei der Kammer ein, die Schulden der Stadt Szatmárnémeti an sie als Gehaltsbestandteile zu übertragen, ein Ansinnen, das die städtischen Deputierten zu vereiteln wussten, wobei ihnen Graf Szunyogh behilflich war, vermutlich, weil er von dem Dreiecksgeschäft mit Ottlik profitierte. Charakteristisch für die finanzielle Lage der Stadt – aber auch für das ganze Land – war, dass es dem Gesandten nicht gelang, kurzfristig auch nur eine Anleihe von 500 Gulden aufzutreiben. Szunyogh hatte ihn nämlich nötigen wollen, auf der Stelle zumindest diese Anzahlung an Ottlik zu entrichten. Der städtische Gesandte hatte sein Glück überall versucht, er ging „Herren, Kaufleute, Metzger, das e(dle) Kapitel“ an, aber „es langt von nirgendwo“.90 Wegen der Nachrichten über den erneuten Krieg gegen die Türken und über den Tatareneinfall wollte niemand Geld verleihen. Nur die Preßburger wären bereit, gegen Wucherzinsen einzuspringen. Die Korruption ist eng mit der frühmodernen Herrschaftsstruktur und mit der üblichen Besoldung von Amtsträgern verbunden. Obwohl die Beamten in den Zentralbehörden de jure regelmäßige Gehälter bezogen, wurden diese meist nur mit großer Verspätung, oft auch nur teilweise ausbezahlt. Der oberste Würdenträger des Landes, der Palatin Pál Esterházy, erhielt zum Beispiel nur einen geringen Teil seines Salärs, als Kompensation für ausstehende Zahlungen bekam er jedoch mehrfach Güter geschenkt. Gleichwohl meldete sein Sohn nach seinem Tode dem Wiener Hof seinen Rechtsanspruch auf rückständige Gehaltszahlungen an.91 Unter solchen Bedingungen konnten dienstrechtliche Regeln auch nicht ansatz89 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 20. Jan. 1715. 90 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 15. und 24. März 1715. 91 Emma Iványi, Esterházy Pál nádor közigazgatási tevékenysége (1681–1713) [Die administrative Tätigkeit des Palatins Pál Esterházy (1681–1713)], Budapest 1991.



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weise durchgesetzt werden, die – wie zum Beispiel eine Verordnung aus dem Jahr 1681 – den Amtsträgern der Hofkammer streng untersagte, irgendein Geschenk anzunehmen.92 Wie Valentin Groebner für das Spätmittelalter festgestellt hat, bildete die Differenz zwischen Normen und Praktiken im Zusammenhang mit Geschenken „kein Defizit, keine Kluft und keine Lücke, sondern jenen Raum, in dem sich die Amtspersonen als Personen bewegen und den sie für ihre eigenen Logiken verwenden“.93 Korruption ist in Zusammenhang mit frühneuzeitlichen Verwaltungen ein lange bekanntes Phänomen. In der jüngeren Forschung wird es nicht länger schamhaft verschwiegen oder mit Entrüstung kommentiert. Man hat sogar argumentiert, dass Korruption für die unteren Schichten ein Mittel zur Teilhabe an der Macht sein konnte.94 Einige Forscher vertreten die Meinung, dass die frühmoderne Administration geradezu auf informellen Beziehungsnetzen und einem System von Schenken und Beschenktwerden beruhte.95 Den Zeitgenossen schien 92 Ember, Az újkori magyar közigazgatás, S. 67. 93 Valentin Groebner, Angebote, die man nicht ablehnen kann. Institution, Verwaltung und die Definition von Korruption am Ende des Mittelalters, in: Reinhard Blänkner/Bernhard Jussen (Hg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, S.  163–184, hier S.  183: „Die Regeln normieren nicht das Handeln, sondern das Reden über die Regeln. Sie sind, kurz, nicht Regeln ersten, sondern zweiten Grades.“ Eine Zusammenfassung der historischen Korruptionsforschung: Niels Grüne, „Und sie wissen nicht, was es ist“. Ansätze und Blickpunkte historischer Korruptionsforschung, in: Niels Grüne/Simona Slanička (Hg.), Korruption. Historische Annäherungen an eine Grundfigur politischer Kommunikation, Göttingen 2010, S. 11–34. 94 James C. Scott hat den Begriff ‚Protokorruption‘ für die Frühneuzeit vorgeschlagen, weil in dieser Epoche andere Bedingungen und Verhältnisse galten, als in der Moderne. Vgl. auch Antoni Mączak, Korrupció a modern korban [Korruption in der Moderne], in: Századok 122 (1988), Nr. 5–6, S. 1001–1003. Ein siebenbürgisches Beispiel für frühneuzeitliche Korruption bei Árpád Kulcsár, A korrupció jelensége Erdélyben az Apafikorban (1661–1690) Das Phänomen der Korruption zur Zeit Apafis in Siebenbürgen (1661–1690)], in: Árpád Kulcsár/János Szulovszky (Hg.), Korok, régiók, társadalmak. Tanulmányok Gyimesi Sándor 60. születésnapjára, Budapest 1994, S. 41–77. 95 Zur Neubewertung von Klientelismus und Korruption vgl. Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen, in: Freiburger Universitätsblätter 37 (1998), S. 127–141, hier S. 140. Aus seiner Sicht einer verhaltensorientierten politischen Anthropologie des Klientelismus hat es sich um keinen ‚Abgrund von Korruption‘, „sondern ganz einfach um eine notwendige und durchaus funktionale und zweckmäßige Entwicklungsstufe auf dem Weg zum modernen Staat gehandelt.“ Laut Groebner, Angebote, S. 168–169, beruhte der Aufstieg frühmoderner Staatlichkeit und Verwaltung im Wortsinn auf Geschenken. Dadurch habe man einen Ausgleich der

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es jedenfalls eine völlig normale Sache zu sein.96 Sie lamentierten nicht über die Tatsache als solche, sondern über Geldmengen, die ihre Kräfte überstiegen. Von Anfang an bahnten sich die Gesandten der Stadt Szatmár den Weg mit Geschenken, aber man brauchte immer weitere discretiones, die auch in Naturalien, vornehmlich in Rindern, bestehen konnten.97 Das Schenken erfolgte meist „freiwillig“, in dem Sinne, dass die Gesandten von sich aus Präsente anboten, um einen Informanten oder Entscheidungsträger gewogen zu machen. Es gibt jedoch auch mehrere Beispiele dafür, dass der betreffende Würdenträger oder Beamte seine Ansprüche offen äußerte. Anlässlich des Gerüchts über die unmittelbar bevorstehende Ankunft des Grafen Károlyi in Wien ließ der Kanzler im März 1713 durch einen seiner Leute ausrichten, dass „zwar die Kühe, die Eure Gnaden haben hierhin treiben lassen, besonders schön sind, allein es fehlt ein schöner Bulle“. Wie der Gesandte meinte, „ist es viel leichter fünf oder sechs schöne Rinder aufzutreiben, als hundert Gulden, die Euer Gnaden [gemeint ist der Stadtrichter und der Rat] durch ihre Boten zu geben versprochen hatten“. Es wäre gut „auch die anderen gnädigen Herren, insbesondere Herrn László Hunyady und Richter Ádám Meskó, wie Euer Gnaden versprochen, zufriedenzustellen, wenn auch nur teilweise.“98 Auch Sándor Károlyi wählte diese Form der Gabe: In einem Brief vom 14. Juli 1712 schrieb er seiner Frau, dass er einem seiner Vertrauensleute den Auftrag erteilt habe, für Hunyady zwanzig Kühe und ebenso viele Ochsen herbeitreiben zu Interessen, Kohäsion und Konsens innerhalb der einflussreichen Gruppen verwirklichen können. 96 Belege über Korruption finden sich überall. Graf Károlyi nutzte sie ebenso wie die anderen Städte. Die Nachbarstadt Debrecen zum Beispiel kämpfte zur selben Zeit um eine Rangerhöhung und bestach im Jahr 1712 die Beamten im Kriegsrat und in der Hofkanzlei in Wien mit Wein und Geld. István Balogh, A rendi állam várospolitikája, in: István Rácz (Hg.), Debrecen története 1693–1849, Bd. 2 [Die Geschichte der Stadt Debrecen 1693–1849], Debrecen 1981, S. 133. 97 Wegen des Geldmangels waren Naturalien gebräuchlich, in Westungarn und in den Wein­ anbaugebieten Wein, im Rest des Landes Rinder. Geld- und Naturalbezüge wurden alternativ genutzt und vonseiten der Beamten gleichermaßen gern akzeptiert. Nach Georg Simmel macht eine Bestechung mit Geld einen wichtigen qualitativen Unterschied aus, denn eine Bestechung mit einem Stück Land oder einer Viehherde ist nicht nur vor den Augen der Umgebung nicht zu verheimlichen, auch der Bestochene selbst kann sich nicht so verhalten, als ob gar nichts geschehen wäre. „Mit Geld dagegen kann man jemanden sozusagen hinter seinem eigenen Rücken bestechen, er braucht sich nichts davon wissen zu machen.“ Georg Simmel, Philosophie des Geldes, 2. Aufl., Leipzig 1907, S. 426. Solche Feinheiten sind hier nicht zu bemerken. 98 AS F 20, Nr. 429/1713, Brief des Gesandten Váradi an den Rat, Wien, 1. März 1713.



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lassen.99 Wenn Geld oder andere Geschenke nicht vorrätig waren, traten Versprechungen an ihre Stelle, die auch eine ganz offizielle Form annehmen konnten. Der Gesandte Váradi versicherte in einem im Namen der Stadt ausgestellten und mit dem Stadtsiegel versehenen Kreditbrief dem referendarius (wahrscheinlich Hunyady), dass sie ihn demnächst entweder mit Geld oder mit jungen Rindern oder mit Kühen und Kälbern umwerben würden, klärte aber die genaue Menge nicht, denn „weiß Gott, ob sie nicht mehr erwarten und ich nicht damit disgustus (Anstoß) erregen würde“.100 Als Graf Károlyi im Frühling 1713 in Wien ankam, wurde es noch wichtiger, dass man die Beamten mit Geschenken umwarb. Besorgt schrieb Váradi, dass Károlyi „das Aufwarten nicht versäumt. Ich sehe, wie seine Leute verlautbaren, dass der Graf vor allem Prinz Eugen101 umwerben wird. Er winkt mit discretiones, weiß Gott, was er damit bewirken wird“.102 Der Kanzler äußerte sich gegenüber dem Szatmárer Gesandten dahingehend, dass er die Sache der Stadt gern weiter unterstützen wolle, wenn nur Geld bereitliege und damit ihre Sache erledigt werde. Außerdem würde er es begrüßen, wenn die versprochenen Rinder noch vor dem ersten Sprießen des Grases zusammen mit dem Bullen aufgetrieben werden könnten. Man müsse auch Hunyady mit wenigstens einem Dutzend Dukaten von den insgesamt zugesagten 100 Talern dienen (also etwa einem Viertel der versprochenen Summe). Denn obwohl die gnädigen Herren den städtischen Gesandten gewogen seien, müsse man doch zur Kenntnis nehmen, dass man in Wien den Delegierten, angesichts ihrer Konfession, nur so lange entgegen komme, solange sie etwas geben könnten.103 Angesichts der allgemeinen Mittelknappheit stellt sich die Frage, wo der Rat von Szatmár die Schmiergelder überhaupt auftrieb. In den städtischen Akten haben die fieberhaften Beschaffungsaktionen Spuren hinterlassen. Im Jahr 1713 fertigte die Stadt für den Erwerb der fiskalischen Güter einen Schuldbrief in Höhe von 20 000 Gulden aus. Als im September die erste Rate in Höhe von 8 000 Gul­ den fällig wurde, war die kommunale Kasse nicht in der Lage, diese Summe nach

99 100 101 102 103

Ágnes Kovács, Károlyi Sándor levelei, Bd. I., S. 180. AS F 20, Nr. 429/1713, Brief des Gesandten Váradi an den Rat, Wien, 1. März 1713. Gemeint ist Prinz Eugen von Savoyen. AS F 20, Nr. 429/1713, Brief des Gesandten Váradi an den Rat, Wien, 5. Apr. 1713. Wie er schrieb: „die Welt ist uns nur solange günstig, angesichts unserer confessio, wie wir geben können; die leiblichen Dinge müssen aber wegen der seelischen nicht geschont werden“. Ebd., Brief des Gesandten Mihály Várady an den Stadtrat, Wien, 5. Apr. 1713.

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Wien anzuweisen, weshalb sie von der Kammer ermahnt wurde.104 Die Stadt suchte bei zahlreichen Personen um Darlehen an. Verschiedene kleinere oder größere Summen konnten aufgenommen werden, meistens zu zehn Prozent Zinsen. Der legale Höchstzinssatz belief sich übrigens auf sechs Prozent. Die Zinsleistung erfolgte manchmal in Wein statt in Geld. Unter den Gläubigern der Stadt finden wir Adlige aus der Gegend um Szatmár, Geistliche, aber auch Offiziere, Bürger aus Debrecen und selbst Leute aus Károlyis Klientel, wie Gábor Erős, den Szatmárer tricesimator (Steuereinnehmer), einen engen Vertrauten des Grafen. Im Frühling 1715 lieh man von Erős 1 000 Rheinische Gulden gegen Verpfändung der Hälfte zweier Wirtshäuser in Németi (die andere Hälfte lag schon seit längerer Zeit als Pfand bei Erős).105 Schon vorher waren die vier Szatmárer Wirtshäuser an die beiden abwechselnd amtierenden Stadtrichter und an mehrere Ratsmitglieder für insgesamt 9 000 Rheinische Gulden verpfändet worden. Entsprechend waren die Reserven der Stadt im Jahr 1714 erschöpft und folgerichtig entwickelte sich die Lösung der Angelegenheit nicht so, wie man es erhofft hatte.106 Das Frühjahr 1714 sah die Gesandten wieder in Wien. Ende April schrieben sie verbittert, dass die Urkunde über die Privilegierung der Stadt so lange nicht ausgehändigt werde, wie das vereinbarte Geld nicht bezahlt sei. Von zu Hause erhielten sie „keine consolatio“, denn daheim entfaltete sich eine Auseinandersetzung, ob die Schankrechte innerhalb der Stadt überhaupt so viel Geld wert seien. Gereizt schrieb Váradi: „Es ist zu spät darüber zu disputieren, ob die Anrechte so viel wert sind“, weil er nicht sehe, wie sie „die wegen ihren vielen Bedrängnissen ausbezahlten“ 21 000 Gulden zurückbekommen könnten.107 In der Zwischenzeit hatte sich – unter dem Einfluss von Károlyi oder nicht – die Ablösungssumme für die Schankrechte weiter erhöht. Jedenfalls befand sich die Angelegenheit erneut in der Schwebe. Man erbat beim Kammervorsitzenden eine persönliche Audienz, um die Sache vorzutragen, die zuvor durch den Rat Jakab Meskó weitergeleitet worden war. „In dieser Sache haben wir nach Gott, unseren Herrn, in Herrn 104 Schon zuvor hatte die Stadt in Verhandlungen versucht, einen 1672 von der Zipser Kammer in Beschlag genommenen Betrag (mehr als 5 000 Gulden) auf die Ablösungssumme anrechnen zu lassen. Szirmay, Szathmár vármegye, Bd. I, S. 187–188. 105 AS F 20, Nr. 553/1715; Nr. 509/1715, Brief des Rates an die Gesandten Erdődi und Ladányi vom 9. Juni 1715. Erős spielte hier eine interessante Rolle, die im Kapitel VII ausführlicher geschildert wird. 106 Die Stadt war zu Beginn des 18. Jahrhunderts in einer prekären Lage. Sie musste mehrere Tausend Gulden an die Kuruzzen und zugleich für die kaiserliche Armee 4 000 Gulden zahlen. Szirmay, Szathmár vármegye, S. 184. 107 AS F 20, Nr. 486/1714, Brief des Gesandten Váradi und Ladányi an den Rat, Wien, 25. Apr. 1714.



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Meskó Vertrauen“, schrieben die Gesandten. Und um ihr Vertrauen auf eine sichere Grundlage zu stellen, versprachen sie auch Meskó die Lieferung von Kühen, wie wir aus einem späteren Brief erfahren.108 Die Erledigung der Sache verzögerte sich – wahrscheinlich wegen des Geldmangels – spürbar. Sie mussten erneut um Audienz bitten und neue Petitionen einreichen, dabei wurde ihre Verhandlungsposition immer ungünstiger. Erst am 17.  August 1714 fiel die endgültige Entscheidung in der Sache der Schankrechte. Anstelle der ursprünglich vereinbarten Summe von 20 000 Gulden für Szatmár bzw. 25 000 Gulden für die Doppelstadt Szatmárnémeti war man zuletzt gezwungen, mehr als 32 000 Gulden aufzubringen.109 Über die Ursachen für diese beachtliche Verteuerung berichtet ein Brief, der leider verschollen ist, sodass man nur vermuten kann, dass Sándor Károlyi dahinter steckte. Die Gesandten rechtfertigten sich, dass „wir genug herumgelaufen sind und uns dafür genügend gequält haben“. Sie könnten nichts mehr erreichen, die Lösung liege nun in der industria der Stadt, die sich „aus solch einer lästigen Lage herausbeißen“ müsse.110 Jedenfalls hatten Károlyis Leute früher schon begonnen „hier in Wien damit zu prahlen, dass wenn der Herr auch nichts selbst dabei gewinne, er der Stadt zumindest größere Ausgaben in Höhe von 25 000 Gulden verursacht habe. Er habe daran seine Freude, denn er selbst hätte nicht so viel Geld. Er ist ja allein hier in Wien in Höhe von circa 22 000 Gulden verschuldet.“111 Der Hintergrund der Sache ist nicht völlig zu klären. So wissen wir nicht, auf welche Rechtstitel Károlyi

108 Meskó half ihnen auch früher bereits mit konkreten Ratschlägen, denen der Rat und die Gesandten aber nicht immer gefolgt waren. Im März 1713 entschuldigten sich die Gesandten, dass sie die Vorschläge ihres „guten Patrons“ wegen der Eile ignoriert hatten. AS F 20 Akten, Nr. 357/1713, Brief der Gesandten an Jakab Meskó vom 7. März 1713. 109 Nach einer Abrechnung vom 20. Januar 1730 mit der königlichen Kammer hat die Stadt für die Fiskalitäten 32 173 ungarische Gulden (7 106 Gulden für Németi und 25 066 Gulden für Szatmár) und für den Titel königliche Stadt 9 600 Gulden bezahlt. Országos Széchényi Könyvtár Kézirattára (Manuskriptensammlung der Nationalbibliothek „Széchényi“, Budapest), Fol. Lat. 299, Antal Csermák, Szathmár várának és városánok rövid le irása ... a város levéltárában találtakból, 1808 [Kurze Beschreibung der Burg und Stadt Szatmár, o. O. 1808], in: Antal Szirmay, Subsidia ad historiam comitatus de Szathmar collecta. 110 AS F 20, Nr. 486/1714. 111 AS F 20, Nr. 429/1713. Die neueste Forschung hat die Tatsache bestätigt, dass sich Károlyi im Jahre 1712 circa 26 000 Gulden für seinen Aufenthalt in Wien und Pressburg ausleihen musste. Ágnes Kovács, Károlyi Sándor, S. 204–208.

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seine Ansprüche auf die Szatmárer Ausschankrechte überhaupt stützte und wie ernst seine Absichten waren.112 Seit dem Jahr 1714 wurde die Lage der städtischen Gesandten immer schwieriger. András Erdődi, ein neuer Deputierter, schrieb aus Wien: „Ich sehe, dass jeder, der hierher kommt, sein Gesicht im voraus panzert, wenn seine Taschen nicht vollgestopft sind“.113 Er stieß immer häufiger auf Ablehnung; so besuchte er eine Woche lang täglich einen Beamten des Hofkammer-Ausschusses, bis dieser ihm klipp und klar mitteilte, dass er mit ihrer Angelegenheit gar nicht befasst sei. Erdődi war ratlos. Er könne die Denkweise des Gegenübers nicht durchschauen. Er habe zu wenig Mittel, um dem zu genügen, was hier verlangt werde. Andere städtische Gesandte, die hier als Agenten tätig seien, beklagten sich ebenfalls.114 Für Ladányi, den Szatmárer Gesandten in Preßburg, wurde discretio allmählich zur fixen Idee. Als von den Städten Landtagsgebühren verlangt wurden, begann er den Verdacht zu hegen, dass „wahrscheinlich auch dort Schmiergelder erwartet werden, wozu er absolut nicht in der Lage sei“, und drang erneut auf Geld, „weil sie anders nicht vorwärts“ kämen.115 Inzwischen sahen sich die Deputierten aus Szatmár auf dem erneut beginnenden Landtag in Preßburg mit Sándor Károlyi persönlich konfrontiert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie nur gerüchteweise voneinander gehört und hatten versucht, einander zu neutralisieren. Beim Landtag aber mussten die städtischen Deputierten mit offenen Gefechten rechnen. Anfang März 1715 kam Károlyi auf den Landtag und sie trafen ihn auch sofort. Károlyi „sah mich scharf an“, schrieb der Gesandte.116 Bei den Landtagsverhandlungen wurde die Privilegierung von Szatmárnémeti als königlich freie Stadt wider Erwarten doch nicht infrage gestellt; selbst Károlyi hatte keine Einwände, „sondern half eher“, wie einer ihrer Wohltäter berichtete.117 Als Ende März die Gesetze vor den beiden Häusern des Landtages zum letzten Mal verlesen wurden, erhob sich Károlyi trotzdem und verlangte, dass auch der Schutz der adligen curiae in den Städten in den Gesetzesartikel mit aufgenommen 112 Nach einigen Befunden hat Károlyi an der Jahrhundertwende die Fiskalgüter von Szatmár verpachtet. Die städtischen Kneipen erzielten im Jahre 1696 circa 2 100 Gulden Einkommen. Borovszky, Szatmár-Németi, S. 232–233. 113 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Erdődi an den Rat, Wien, 9. Jan. 1715. 114 Ebd., Brief des Gesandten Erdődi an den Rat, Wien, 19. Jan. 1715. 115 Ebd., Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 28. Febr. 1715. 116 Ebd., Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 3. März 1715. 117 Ebd. Das scheint ein wenig zweifelhaft, da wir wissen, dass Károlyi früher auf dem Landtag offen dagegen auftrat. Lányi Pál gömöri alispán naplója az 1712. évi pozsonyi országgyűlésről Das Tagebuch des Vizegespan des Komitats Gömör, Pál Lányi über den Pressburger Landtag vom Jahre 1712], in: Történelmi Tár, N.F. V (1904), S. 31.



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werde. Der städtische Gesandte wollte darauf antworten, aber „man ließ mich nicht lange sprechen, (…) das sei nicht notwendig, weil es darüber schon einen articulus gebe“.118 Die Angelegenheit wurde weiter hinter den Kulissen verhandelt. Anfang April 1715 befand sich Erdődi noch immer in Wien, aber um ihre Sache stand es schlecht, sodass die Szatmárer sich allmählich damit abfanden, dass sie sich im Falle der Gückel-Schenke – jedenfalls nach Meinung der Hofkammer – auf der Verliererstraße befanden.119 Erdődi versuchte es dennoch erneut mit den üblichen Geschenken, gab dem Richter Meskó 100 Gulden, hatte aber kaum Geld und borgte deshalb vom Hofagenten Ádám Király 20 Gulden.120 Der Rat schrieb resigniert, dass die Wirtshaussache „von anderen, von den Oberen abhinge“.121 Was das Geld betraf, so verhandelten sie über die Verpfändung eines der Stadtgüter ausgerechnet mit Miklós Eötvös, dem Vizegespan, der ein Vertrauter des Grafen Károlyi war. In der Zwischenzeit wurde Váradi nach Kaschau geschickt, wo er unter anderem weitere Akten über die Schankrechte bei der Zipser Kammer beschaffen sollte.122 Váradi erfuhr, dass die Zipser Kammer in der Wirtshaussache ihre Meinung mittlerweile zuungunsten der Stadt Szatmárnémeti revidiert und einen entsprechend abschlägigen Bericht an die Hofkammer gesandt hatte. Im Vorjahr habe der Kammerrat Szentiványi gesagt, ein drei Zeilen langes Gesuch der Stadt genüge, um der Károlyi-Familie die Unterhaltung eines Wirtshauses in der Stadt zu verbieten. Mittlerweile sei jedoch das Gegenteil eingetreten, weil der Graf – nach der Meinung des Gesandten – dessen „conscientia“ gekauft hätte. Der Rat von Szatmárnémeti sei nicht schnell genug gewesen, Károlyi habe alles erfahren und die Amtsträger in der Zipser Kammer „diskretisiert“, woraufhin diese ihre Meinung änderten. Auch in Preßburg habe er bereits alles Menschenmögliche beim Vorsitzenden der ungarischen Kammer versucht, weshalb er glaube, „dass wir ohne discretio nicht vorankommen können“. Aber selbst wenn man in Preßburg schließlich Erfolg habe, bleibe die Sache unsicher, weil die Zipser Kammer auf ihrer nachteiligen Meinung beharre. Deshalb schlage er auf Anraten „menschlicher Leute“ 118 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 28. März 1715. 119 Gleichwohl erwartete die Stadt noch im August 1715 eine „favorabilis opinio“ vonseiten der Zipser Kammer, wie aus einer Gesandteninstruktion zu entnehmen ist. AS F 20, Akten, Nr. 500/1715. 120 AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Erdődi an den Rat, Wien, 10. Apr. 1715. 121 Ebd., Brief des Rates an den Gesandten Erdődi, Szatmár, 14. Apr. 1715. 122 Ebd.

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vor, dass der Rat von Szatmár allen Bürgern, „die unter eurer Jurisdiktion leben“, ja allen Personen, „die sich unter eurer Rute befinden, sub severa poena [unter strenger Strafe] den Besuch der hündischen ungesetzlichen Schenken verbieten, wie das sowohl in Preßburg als auch in anderen edlen Städten praktiziert wird, damit der verluderte Hurensohn, wer es auch immer sein möge, der das Gemeinwohl schädigt und dort trinken geht oder von dort seinen Wein holt“, so bestraft werde, dass er für eine halbe Maß Wein den Preis eines Ochsen bezahlen müsse.123 Die Räte der Kanzlei schlugen im Zusammenhang mit dem Gückel-Wirtshaus das gleiche vor. In ihrer Verzweiflung griffen die Gesandten nicht nur zu ungehobelten Flüchen, sondern schlugen sogar eine moralische Erpressung vor. Ihrer Meinung nach hätte man schon im Vorfeld der Verhandlungen Károlyi bedeuten müssen, dass er sich „nicht so unwürdig“ einmischen solle, weil sie sich sonst gezwungen sähen öffentlich zu erklären, dass er mithilfe der „kuruzzischen Macht sein Wirtshaus mit Gewalt wiederhergestellt habe“, was ihn „in ein ungnädiges Gedächtnis und disgustus bringen würde“.124 Ende April drangen die Delegierten erneut auf Geld, denn wenn „sie dem Herrn director und den Kammerherren zu Gefallen wären, dann können wir hoffen, dass sie gegen Károlyis Wirtshaus ihre opinio“ beibehalten. „Aber ohne Discretisierung können wir nur wenig hoffen, jetzt, wo der Herr [gemeint ist Graf Károlyi] in der Nähe wohnt, und er den potiorii [Mächtigen] ebenfalls mit Naturalien und manchmal mit Vieh dient“.125 Sie fänden es zudem nicht tunlich, mit Károlyi in Kaufverhandlungen über sein Adelsgrundstück und das zugehörige Wirtshaus zu treten, weil man nicht sicher sein könne, dass es zu einer Einigung komme. Im Falle eines Scheiterns würden solche Verhandlungen die Rechtsposition des Grafen stärken, so „als ob er über ein echtes Privileg verfügen würde“. Stattdessen müsse darauf hingearbeitet werden, das Wirtshaus ganz zu tilgen. Sie könnten jetzt aber nurmehr auf die Entscheidung des Monarchen warten.126 Anschließend warteten sie ungeduldig auf das Ende der Landtagsverhandlungen, weil ihr Geld zur Neige ging.127 Anfang Juni wurde die Sache von der ungarischen Kammer an die Hofkammer weitergeleitet. Der Stadtrat schlug vor, dass Ádám Király, der an der Hofkammer als Protokollführer tätig war, mit der Vertretung 123 Ebd., Brief der Gesandten Ladányi und Erdődi, Preßburg, Ostersonntag 1715. 124 Ebd. 125 Ebd., Brief der Gesandten Ladányi und Erdődi, Preßburg, 28. Apr. 1715. 126 Ebd., Brief der Gesandten Ladányi, Erdődi und Mihály Máthé an den Rat, Preßburg, 12. Mai 1715. 127 Ebd., Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 7. März 1715.



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der Angelegenheit bevollmächtigt und man sich durch „schickliche discretio“ seiner versichern solle.128 Das Ergebnis all dieser Bemühungen fiel zwiespältig aus: Die Stadt erhielt zwar den Rang einer freien königlichen Stadt und löste auch die Schankrechte ab, es gelang ihr jedoch nicht, das an den beiden Adelsgrundstücken haftende Schankrecht außer Kraft zu setzten. Károlyi selbst erinnerte sich später an die Ereignisse folgendermaßen: „Die öfters erwähnte Stadt hat nicht nur die hiesige adlige Kammer, sondern auch jene aus Preßburg und auch die gnädige aulica [Hofkammer] gegen mich aufgehetzt, mit den verschiedensten falschen Informationen aufgereizt, am Ende auch auf den Landtagen allerlei erdenkbare arglistige Heimtücken durchgeführt“, aber schließlich „hat sie sich blamiert“. Dieser partielle Sieg kostete jedoch auch den Grafen große Mühe und mehrere Tausend Gulden.129 Die Geschichte findet hier noch kein Ende: Der Zwist zwischen den Grafen Károlyi und der Stadt Szatmárnémeti setzte sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts fort. Manchmal flammte der Konflikt neu auf, zuweilen schien er sich zu legen. Immer wieder versuchte der Rat der Stadt, das Schankrecht der gräflichen Familie auszuhebeln oder wenigstens zu neutralisieren. Dabei kam auch die von den Kanzlei- und Kammerbeamten vorgeschlagene Methode zur Anwendung: Man verbot den eigenen Bürgern den Besuch des Károlyi-Wirtshauses, hatte damit jedoch – trotz drastischer Strafen und ständig erneuter Verbote – keinen Erfolg. Worin sahen die Gesandten den Grund für ihre Misserfolge? Am Ende des Landtags zogen sie die Schlussfolgerung, dass wer „oben“ keine Protektoren habe, „keine Abhilfe finden kann“.130 Ein anderes Mal schrieben sie: „Hier wird sehr viel Geld verlangt, sonst wird hier die Freundschaft aufgekündigt.“131 Demnach waren Geld und Freundschaft eng miteinander verbunden – politische Beziehungen konnten nur mit discretio gepflegt werden. Ihre stets erneuerten Versuche zeigen allerdings, dass sie die Lage nicht als aussichtslos ansahen. Auch nach Misserfolgen glaubten die Deputierten, dass ihre Sache künftig nicht chancenlos sein werde, wenn man nur mit hinreichend discretio und durch die Pflege informeller Beziehungen die eigenen Chancen ein wenig verbessern könne. Die Herausbildung einer Bürokratie, die eine effiziente lokale Machtausübung ermöglichte, steckte im Habsburgerreich allgemein, und in Ungarn in Speziellen am Anfang des 18. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Durchgreifende Erfolge erzielte man erst infolge der josephinischen Reformen. Die Stadt Szatmár128 129 130 131

AS F 20, Nr. 509/1715, Brief des Rats an die Gesandten Ladányi und Erdődi, 9. Juni 1715. MOL, P 392, Fach 19, Lad. 18. Nr. 13. AS F 20, Nr. 429/1713. AS F 20, Nr. 598/1715, Brief des Gesandten Ladányi an den Rat, Preßburg, 15. März 1715.

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németi unternahm den teilweise missglückten Versuch, sich innerhalb des noch schwach ausgebauten bürokratischen Feldes zu bewegen und dabei die Lücken zwischen den nicht genau abgegrenzten Kompetenzen der verschiedenen Behörden zu erkennen und für die eigenen Interessen zu nutzen. Ihre Gesandten versuchten, die Machtstellung und das Klientelnetz des Grafen Károlyi mithilfe seiner Gegner und vor allem mit discretio zu neutralisieren. Sándor Károlyi nutzte jedoch die gleichen Mittel und überbot sie bisweilen einfach. Die Stadt erreichte ihre wichtigsten Ziele, lediglich der Kampf gegen den mächtigsten Grundherrn ihrer Region ging verloren. Verantwortlich dafür war zum einen, dass die Stadt im Verlauf dieses Kampfes die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreichte, ja überschritt.132 Zum anderen hatten sich jedoch auch die politischen Gewichte in Ungarn und im Habsburgerreich insgesamt grundlegend verlagert: Seit dem Ende des 17.  Jahrhunderts spielten die Städte kaum noch eine politische Rolle und auch wirtschaftlich konnten sie sich mit den großen Magnaten nicht mehr messen. Die Stadt Szatmárnémeti argumentierte mehrfach gegenüber den zentralen Behörden, dass die Städte die peculia regia seien und ihr Wohlergehen der königlichen Schatzkammer unmittelbar zugutekäme. Für die Behörden und die führenden Amtsträger war jedoch Graf Sándor Károlyi der wichtigere Verhandlungspartner, denn er hatte zahlreiche Grundherrschaften in den zurückeroberten Gegenden Ungarns gepachtet und gekauft, sodass man mit ihm gewinnbringende Geschäfte machen konnte. Der Kampf hatte zudem auch eine symbolische Ebene: Die gesamte Staatsverfassung Ungarns beruhte auf der adligen Privilegienordnung. Diese Ordnung infrage zu stellen – auch nur in einem konkreten Einzelfall – hätte unangenehme Folgen haben können. Der Spielraum, innerhalb dessen sich die städtischen Gesandten bewegten, war also ziemlich begrenzt. 132 Im Jahre 1707 erzielte die Stadt 6 333 Gulden Einnahmen bei 3 771 Gulden Ausgaben, verzeichnete also einen Überschuss von 2  562 Gulden. Die ‚Kosten der Freiheit‘ betrugen demnach das 16-fache des Überschusses oder das 6,5-fache der gesamten jährlichen Einnahmen der Stadt. Die Folge war eine schwere Verschuldung der Stadt, was freilich im 18. Jahrhundert eine allgemeine Erscheinung in Ungarn war. Wir wissen nicht, in welchem Rahmen sich das Verhältnis zwischen Kosten und städtischen Einnahmen bewegte, da es an entsprechenden Forschungen mangelt. Ein interessanter Vergleich: Die westungarische Stadt Güns/Kőszeg „kaufte“ in der Mitte des 17. Jahrhunderts ihre Freiheit mit einem Betrag (mehr als 30 000 Gulden), der das 7,9-fache der städtischen Einnahmen ausmachte. Rechnet man auch die Kosten der Gesandten mit ein, erhöht sich der Betrag auf das fast 10-fache des jährlichen Etats von Güns/Kőszeg. István Bariska, A szabad királyi várossá válás ára [Der Preis der Rangerhebung einer königlichen Freistadt], in: István Bariska/Imre Söptei (Hg.), Kőszeg 2000. Egy szabad királyi város jubileumára, Kőszeg 2000, S. 101.

VI.   Gábor Erős – ein gräflicher Klient an der Schnittstelle zwischen staatlicher Bürokratie, Stadt und Komitat Bisher haben wir mit Mátyás Pollereczky und Gábor Badda zwei Klienten des Sándor Károlyi näher vorgestellt, die unmittelbar zum gräflichen Herrschaftsapparat gehörten. Mit Gábor Erős wenden wir uns nun einem ganz anders positionierten Mittelsmann zu, der als Beamter der Krone in der Stadt Szatmárnémeti dem Magnaten besonders wertvolle Dienste leisten konnte. Dieser Zoll- und Steuerverwalter Gábor Erős ist in mehrerer Hinsicht hochinteressant: Wie anderswo in Europa setzte die staatlich-administrative Erfassung und Erschließung des Landes auch in Ungarn im Bereich der Finanzverwaltung ein. So ist es beileibe kein Zufall, dass zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Szatmár der Finanzbeamte Gábor Erős praktisch der einzige Repräsentant der Zentralmacht vor Ort war. Verglichen mit den Bediensteten der gräflichen Herrschaftsverwaltung konnte er unabhängiger agieren, denn seine Stellung hing nicht unmittelbar vom Wohlwollen des Magnaten ab. Und doch stand er in bestem Einvernehmen mit Sándor Károlyi, ja er machte sich ihm unentbehrlich. Denn im östlichen Ungarn waren – wie andernorts auch – persönliche Beziehungen zu den regionalen und lokalen Granden von außerordentlicher Bedeutung, wenn ein Amtsträger im Dienste der entstehenden Staaten erfolgreich agieren wollte. Mit den Worten Wolfgang Reinhards: „Frühneuzeitliche Patronage-Klientel-Beziehungen stellen ein System von sozial etablierten und ethisch fundierten mikropolitischen Verhaltensmustern dar, das inzwischen als der Inbegriff der politischen Kultur des frühneuzeitlichen Europa gelten darf.“1 Gábor Erős bewegte sich dabei gleichzeitig auf mehreren Ebenen, zum einen innerhalb der habsburgischen Steuerverwaltung, zum anderen innerhalb der Stadtgesellschaft, in die er allerdings nur durch seine amtlich-geschäftlichen Beziehungen eingebunden war, und nicht zuletzt innerhalb des regionalen Machtgefüges, das von Sándor Károlyi dominiert wurde. Über die Herkunft des Gábor Erős wissen wir wenig; es ist aber sicher, dass er dem Adelsstand angehörte und dass seine Herkunftsfamilie schon im 16. Jahrhun-

1 Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen, in: Freiburger Universitätsblätter 37/139 (1998), S. 127–141.

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Gábor Erős – ein gräflicher Klient

dert im Komitat Szatmár begütert war.2 Es sieht so aus, als ob im 17.  Jahrhundert Mitglieder der Familie Erős mehrfach Ehen mit Angehörigen des gut positionierten Komitatsadels eingingen.3 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts heiratete ein gewisser Gábor Erős (vermutlich der Vater unseres Helden) Erzsébet Irinyi, die Tochter des Stuhlrichters György Irinyi. Erzsébet Irinyis Nichte, Borbála – also vermutlich die Cousine unseres Protagonisten – war die Ehefrau des Vizegespans Miklós Eötvös.4 Ganz sicher können wir nicht sein, weil „Erős“ (deutsch: „Kräftig“) ein sehr verbreiteter Nachname war. Sicher ist jedoch, dass „unser“ Gábor Erős am Ende des 17. Jahrhunderts als Angestellter der Zipser Kammer in den Quellen auftaucht. In den Jahren 1690/91 wird er dort als Kanzlist geführt, zwischen 1690 und 1693 als Schreiber.5 Von 1694 bis 1703 amtierte er als königlicher Hofrichter (Provisor) in Szatmárnémeti,6 also als Verwalter der dortigen Kammergüter, zugleich als Provisor der Krongüter in Nagyvárad (Oradea, Großwardein). Wie die meisten Adligen der Region nahm er an dem von Ferenc Rákóczi II. geführten Aufstand teil. Und wie viele andere auch, schwenkte er beizeiten ins kaiserliche Lager um, sodass er zwischen 1711 und 1723 erneut als Hofrichter der Krongüter im Komitat Szatmár fungierte, zugleich auch – bis 1718 – als Stellvertreter des sogenannten „Tricesimators“, danach als dessen Nachfolger. In Ungarn wurden die Zollstationen von alters her „Dreißigst-

2 Erős ist ein ziemlich häufiger Familienname in Ungarn, im 17./18. Jahrhundert finden wir unter diesem Namen in mehreren Komitaten adlige Familien, was die Ermittlung konkreter Daten über Gábor Erős’ Vorfahren sehr erschwert. Einen Hinweis über seine mögliche Herkunft bietet der Umstand, dass seine Enkelin, Klára Erős, die Witwe des György Becsky, das Adelsprädikat „lengyelfalvi“ trug, was bedeutet, dass die Familie aus Lengyelfalva (heute Košická Polianka in der Slowakei), 10 km von Kaschau entfernt stammte. Der größte Grundbesitzer im Dorf Lengyelfalva war die mit den Károlyi verwandte Familie Perényi. MOL P 1823 Becsky család levéltára (Archiv der Familie Becsky), Missiles, Fasz. 1. Beschlüsse des Komitats Szatmár vom 1795 und 1834. 3 Solche Familien waren die Familien Sulyok und Irinyi, aber auch die Familie Kállay aus dem benachbarten Komitat Szabolcs. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts heiratete z. B. ein gewisser Gábor Erős Éva Sulyok, die Schwester des Vizegespans János Sulyok. Iván Nagy, Magyarország családai, Bd. IV, S. 78–79. 4 Über die Karriere von Miklós Eötvös siehe: Ágnes Kovács, Egy kelet-magyarorszgái karriertörténet: Eötvös Miklós pályája [Eine ost-ungarische Karriere: Die Laufbahn von Miklós Eötvös], in: http://tortenelem.ektf.hu/efolyoirat/04/kovacs.htm (Letzter Zugriff: 29. Juli 2011) 5 Fallenbüchl, A szepesi kamara, S. 219–234. 6 Die ersten Daten dazu findet man in der von ihm zusammengestellten Konskription vom 31. August 1694, in der er als Provisor erscheint.



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ämter“ genannt,7 wobei der Name „Dreißigst“ vom ursprünglichen Maß für Zölle auf Waren herrührte, dem dreißigsten Teil. Die Zollbeamten erhielten deshalb die Bezeichnung „Dreißiger“, latinisiert „Tricesimator“. Nach dem Rákóczi-Aufstand wurde die Zipser Kammer neu organisiert; während des Aufstandes hatte sie ihre Tätigkeit eingestellt. Anschließend war kaum jemand vom alten Personal aus der Zeit vor dem Aufstand übrig geblieben.8 Gábor Erős musste also seine Beziehungen neu aufbauen und seine Karriere neu begründen, was ihm nach einer längerer Phase der Unsicherheit auch gelang, denn spätestens seit 1720 kann man ihn als Leiter der königlichen Finanzverwaltung in Szatmárnémeti bezeichnen.9 Das Amt eines Tricesimators war mit wichtigen Kompetenzen verbunden, der Erhebung von Zöllen, der Kontrolle des Handels, aber auch mit den verschiedensten allgemein-administrativen Aufgaben. Manche Dreißiger interpretierten ihre Rolle als Vertreter der Krone recht selbstbewusst, bis dahin, dass sie sich den Aristokraten ihres Bezirks zu widersetzten wagten. Sie waren die Inhaber ihrer Ämter, mussten eine bedeutende Kaution hinterlegen und hafteten mit dem eigenen Vermögen. Dies erklärt, weshalb tricesimatores in der Regel vergleichsweise erfahrene Personen waren; meist wurde man erst im Alter zwischen 40 und 50 Jahren mit dem Amt betraut.10 Gábor Erős muss über ein nicht unbeträchtliches Vermögen verfügt haben, um das Dreißigstamt zu erwerben. Das Prestige dieser Position war ungefähr vergleichbar mit dem eines Stuhlrichters im Komitat, und das, obwohl ein Tricesimator zur Subordination gegenüber der Kammer verpflichtet war, was Erős oftmals beklagte.11 Gleichwohl galt dieses Staatsamt sogar als erstrebenswerter als die mit größerer Autonomie versehenen Komitatsämter, zum einen, weil es einträglicher war, zum anderen, weil man in örtlichen Konflikten von der Kammerverwaltung Rückenwind organisieren konnte, was Gábor Erős geschickt nutzte, um aus einer gefestigten Machtposition heraus als Vermittler aufzutreten. 7 Im Jahre 1724 waren der Ungarischen Kammer 40 Dreißigstämter unterstellt. 8 Fallenbüchl, A szepesi kamara, S. 219–234. 9 Zoltán Fallenbüchl, Állami (királyi és császári) tisztségviselők a 17. századi Magyarországon. Adattár [Staatliche (kaiserliche und königliche) Beamte im 17. Jahrhundert in Ungarn. Dateiverzeichnis], Budapest 2002, S.  89. Aufgrund seines Briefwechsels kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gábor Erős erst 1720 tatsächlich zum Tricesimator ernannt wurde. 10 Fallenbüchl, Állami (királyi és császári) tisztségviselők, S. 17–23. 11 1752 intervenierte zum Beispiel Pál Melczer, Mitglied des Kammerrates, im Interesse seines Schwagers Imre Horváth, des Stuhlrichters des Komitats Zemplén, der sich für das Dreißigstamt in Sátoraljaújhely bewarb; es gab aber zu viele Bewerber. Er bevozugte das Dreißigstamt, befürchtete aber, beide zu verlieren. Pál Melczers Brief an Antal Károlyi, Kassa, 28. Juni 1752, MOL P 398, Nr. 47256.

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Übrigens durchlief Gábor Erős eine ausgesprochen typische Laufbahn. Wie er gehörten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert die meisten Mitglieder der Zoll,- Steuer- und Kameralverwaltung dem Adel an, obwohl es auch einzelne Beamte bürgerlicher Herkunft gab. Die Möglichkeiten des innerbehördlichen Aufstiegs waren ziemlich eingeschränkt. Wer im „mittleren Dienst“ als Schreiber anfing, dem war ein Vorrücken in die führende Position eines Kammerrats verwehrt. Wie im Falle unseres Helden endeten solche Laufbahnen meistens irgendwo in der Provinz in der einträglichen, angesehenen und einflussreichen Stellung eines Tricesimators.12 Die ungeschriebenen Regeln innerhalb der königlichen Kammerverwaltung erklären den Verlauf der Karriere des Gábor Erős jedoch nur teilweise. Hinzu kommt der Umstand, dass er zu den erprobten, treuen Gefolgsleuten von Sándor Károlyi gehörte. Während der Kuruzzenkriege amtierte er als dessen Zivilkommissar (Militärintendant) und war für die Versorgung der aufständischen Truppen zuständig.13 Wie üblich kann man auch in seinem Falle keine säuberliche Trennung zwischen amtlichen und privaten Funktionen erkennen. So beauftragte der Kuruzzengeneral Károlyi seinen Commissarius Erős den einen Tag mit einer Besichtigung der Truppen und einer Revision der Regimentskassen, den nächsten Tag mit eigenen Geldangelegenheiten.14 Zu seinen Obliegenheiten gehörte es auch, bei den Handwerkern in Szatmár Versorgungsgüter für die Soldaten aufzutreiben. So befahl Sándor Károlyi in einem Brief an Gábor Erős aus dem Jahr 1705, dass die Schuhmacher 300 Paar Stiefel herstellen sollten. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, schickte er auch gleich Soldaten in die Stadt, weil sich die Handwerker „in ihren großen dummen Schustermanieren aufgeblasen haben und gar nicht antworten. Sie tragen dem Lande keinen Nutzen ein, sie kennen keinen Anstand und haben die Gewohnheit, sich immer mit den in ihren schlauen Köpfen erfundenen faulen Ausreden zu entschuldigen.“15 Während des Kuruzzenkrieges stand Erős einige Jahre auch direkt im Dienst der Familie Káro12 Ebd., S. 16. 13 Zur Logistik der Kuruzzen-Armee siehe: Imre Bánkúti, Hadellátás és hadtápszervezet Rákóczi hadseregében Versorgung und Logistik in der Armee Rákóczis], in: Béla Köpeczi/Lajos Hopp/Ágnes R. Várkonyi (Hg.), Rákóczi-tanulmányok, Budapest 1980, S. 169– 181. Zum „Generalstab“ Károlyis gehörten 18 Personen. Miklós Eötvös war als districtus commissarius für mehrere ostungarische Komitate jenseits der Theiß verantwortlich. Der zweite Mann auf dieser Rangliste war Erős. Ebd., S. 173, 177–178. 14 Das ist aus dem Tagebuch Károlyis aus den Jahren 1706/07 ersichtlich. Szalay (Hg.), Gróf Károlyi Sándor önéletírása, S. 157, 189. 15 Szirmay, Szathmár vármegye, Bd. I, S. 183.



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lyi, wahrscheinlich als Hofrichter in Szatmár, wo er von der Frau des Kuruzzengenerals, Krisztina Barkóczy, herumkommandiert wurde.16 Nach dem Frieden von Szatmár bat Károlyi in Wien um Gnade für mehrere seiner Gefolgsleute, darunter auch für Erős, der ihm lebenslang ergeben blieb. Der Biograf des Sándor Károlyi bemerkt dazu, dass der Magnat „seinen gut gewählten Beziehungen und den Anhängern, die ihn bedingungslos unterstützten“ sehr viel verdanke.17 Umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass Gábor Erős sein Amt als Tricesimator nur dank Károlyis Unterstützung erwerben konnte. Nach Angabe des Archivars der Familie Károlyi scheint es sogar so, dass er zwischen 1712 und 1718/1720 als Hofrichter in Erdőd wieder im gräflichen Dienst stand.18

VI. 1  Gábor Erős und die Stadt Szatmárnémeti Die Beziehung von Gábor Erős zu den Bürgern von Szatmárnémeti kann bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden. Aus mehreren Briefen wird ersichtlich, dass er über die Stadtbewohner geringschätzig urteilte und sich als Teil des weit überlegenen Komitatsadels betrachtete. Für Distanziertheit sprechen auch seine zeitüblichen gesellschaftlichen Beziehungen zum eigenen Herkunftsmilieu und die Tatsache, dass er regelmäßig an den Komitatssitzungen teilnahm. Schon äußerlich hob sich sein Lebensstil von der städtischen Umgebung ab: So gehörte sein Wohnhaus zu den ansehnlichsten und bequemsten in Szatmárnémeti,19 was dazu führte, dass die mit Graf Károlyi verwandten Fräulein Perényi bei ihm 16 Er begann seinen Dienst im September 1706. Zoltán Fogarassy/ Ágnes Kovács (Hg.), Barkóczy Krisztina levelei férjéhez, Károlyi Sándorhoz, [Die Briefe von Krisztina Barkóczy an ihren Mann, Sándor Károlyi], Debrecen 2011, S. 105, 145, 153, 157 usw. Es ist interessant zu sehen, dass Károlyi ein ähnliches Angebot auch Miklós Eötvös machte, der im Sommer 1706 zwischen zwei Stellen wählen sollte: der des Distriktualkommissars beim Heer und der des Hofrichters der Munkácser Güter. Eötvös wählte nach einigem Zögern beide, bat aber um Umbenennung des Hofrichteramtes in Inspektor. Er begründete seinen Wunsch explizit mit der Angst vor Minderung seines Prestiges, denn das Amt des Hofrichters hatte er schon als 19-Jähriger bekleidet. Kovács, Egy kelet-magyarországi. 17 Kovács, Károlyi Sándor, S. 136. 18 Das behauptet Gábor Éble, der Archivar und Historiker der Familie Károlyi. MOL Familie Károlyi, P 417 Gábor Éble, Fasz. 15, A Károlyi család alkalmazottai [Die Bediensteten der Familie Károlyi]. Das erscheint ziemlich unwahrscheinlich, weil alle seine Briefe aus Szatmár datiert waren; er könnte aber in Károlyis Dienst gestanden haben. 19 Sein Haus lag in der Straße nahe der Kirche; die ,Vornehmheit‘ des Ortes wird dadurch belegt, dass seine Nachbarn György Csegöldi und András Szombati ebenfalls zur städtischen Elite gehörten.

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Quartier nahmen, wenn sie in der Stadt weilten.20 Aufgrund seiner Funktionen innerhalb der Kammerverwaltung war er verpflichtet seinen Wohnsitz in Szatmárnémeti zu nehmen, sodass man vermuten könnte, im Laufe vieler Jahre hätten sich persönliche Beziehungen zu einzelnen Bürgern ergeben. Aus seiner Korrespondenz wird das jedoch nirgends ersichtlich, im Gegenteil, man gewinnt den Eindruck, dass Erős in einer hermetisch abgekapselten Welt lebte und kaum mit den Stadtbewohnern verkehrte, es sei denn, seine amtlichen Funktionen boten dazu Anlass. Diese amtliche Stellung als örtlicher Vertreter des königlichen Fiskus, seine katholische Konfessionszugehörigkeit und seine enge Bindung an Sándor Károlyi prädestinierten ihn geradezu für die Rolle des Antagonisten gegenüber jedwedem Autonomiestreben von Magistrat und Bürgerschaft. Die meisten Quellen belegen genau das, doch gelegentlich können wir ihn auch in gänzlich unerwarteten Allianzen beobachten. Ende des 17. Jahrhunderts stellte Gábor Erős einen der Hauptprotagonisten im Konflikt zwischen der reformierten Bevölkerungsmehrheit und den gegenreformatorischen Kräften, die eine Rekatholisierung der Stadt mit Nachdruck betrieben. Dabei stand er in enger Allianz mit den Jesuiten, die sich 1639 in Szatmár niedergelassen hatten. In den 1690er Jahren unternahmen die Vertreter der habsburgischen Krone einen ernsthaften Versuch, die konfessionellen Verhältnisse im Magistrat zu verändern. Eine königliche Verordnung vom 15. Dezember 1690 schrieb für Ungarn allgemein vor, dass ab dem folgenden Jahr jede Neuwahl eines Magistrats durch königliche Kommissare beaufsichtigt werden solle. Gewöhnlich wurden dazu Kammerbeamte abgeordnet, die über beachtliche Befugnisse verfügten: Sie zählten die Stimmen aus, nahmen die Eide ab, prüften die städtischen Rechnungen, „rektifizierten“ die Steuerverzeichnisse und untersuchten auch die Lage der Kirchengemeinden. Ihr Prüfungsrecht umfasste also so fast die gesamte Stadtverwaltung. Aus den Anweisungen für die Städtekommissare geht ihr protestantenfeindlicher Auftrag klar hervor.21 Nachdem 1691 ein Kameralkommissar den reformierten Stadtrichter und zwei Räte ihrer Ämter enthoben hatte, erschien in den folgenden Jahren kein Vertreter 20 MOL P 397 Familie Károlyi, Acta oeconomica, Fasz. 100, Szatmári kúria gazdasági számadásai 1709–1822 [Die Rechnungen des Szatmárer Herrenhauses 1709–1822]. 21 István Nagy, A magyar kamara, S. 39; István H. Németh, A szabad királyi városok igazgatásának abszolutista vonásaihoz. A felső-magyarországi városok 1681. évi tisztújításai [Die absolutistischen Züge der Verwaltung der königlichen Freistädte. Die Restauration des Jahres 1681 in den oberungarischen Städten], in: László Mayer, György Tilcsik (Hg.), Egy emberöltő Kőszeg szabad királyi város levéltárában. Tanulmányok Bariska István 60. születésnapjára, Szombathely 2003, S. 229–254. Siehe dazu auch Kapitel V.



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der Krone in Szatmár. Infolgedessen beschlossen die Ratsmitglieder, die Wahlen künftig wieder ohne königlichen Kommissar abzuhalten. Hiervon unterrichtete der Jesuitensuperior 1694 die Zipser Kammer und erreichte, dass die Wahlen zum Magistrat unter Mitwirkung eines Kameralkommissars wiederholt wurden. In dieser Funktion wurde Gábor Erős 1695 erstmals tätig. Die Jesuiten forderten, dass die Katholiken die Hälfte des Marktzolls erhielten, der bis dahin allein dem reformierten Hospital zugute kam. Außerdem wollten sie an den Einkünften der reformierten Pfarrei beteiligt werden und die große Glocke der Stadtkirche zurückerstattet bekommen. Der Rat konnte sich darauf keineswegs einlassen und vertrat die Auffassung, dass sich die Jesuiten mit dem Dorf Berence und dessen Mühle zufriedengeben sollten, deren Abgaben im frühen 17. Jahrhundert zur Finanzierung der reformierten Schule gedient hatten und bereits für den Unterhalt der Jesuiten konfisziert worden waren. Dieser Streit zog sich mehrere Jahre hin; im Jahr 1697 wurden sogar Truppen eingesetzt, um die Forderungen der Katholiken gegenüber der reformierten Kirche durchzusetzen.22 Im Jahr 1695 hatte der Stadtrat zunächst kraft alten Rechts seine Wahlen ohne Kommissar abgehalten, mit dem Ergebnis, dass der reformierte Bürger Ambrus Kőszegi zum Stadtrichter bestimmt wurde. Die Zipser Kammer erklärte die Wahlen jedoch für ungültig, schickte Gábor Erős als ihren Kommissar nach Szatmár, der der Stadt einen katholischen Richter aufzwang. Darüber hinaus wurden die kommunalen Privilegien grundsätzlich infrage gestellt und eine Untersuchung gegen die Ratsmitglieder eingeleitet.23 Auch im Jahr 1697 wurden die Wahlen unter Zwang abgehalten, diesmal unter Aufsicht von Mihály Skottka, dem damaligen Tricesimator in Szatmár.24 Skottka enthob zwei der profiliertesten reformierten Ratsmitglieder ihrer Ämter – unter ihnen auch der nachmalige Stadtrichter Mihály Nánási – und setzte abermals einen Katholiken an die Spitze des Magis­trats. Die Stadt protestierte, eine Untersuchung wurde verordnet. Obwohl die Antworten nicht überliefert sind, hebt der Fragenkatalog nicht nur auf den sachlichen Kern des Konflikts ab, sondern gibt auch einen Eindruck von den Gerüchten, die innerhalb der reformierten Bevölkerung im Umlauf waren. Unter anderen wurde gefragt, ob es stimme, dass die im vergangenen Jahr der Stadt aufgezwungenen Ratsmitglieder weder das Bürgerrecht noch ein Haus in der Stadt 22 Sarkadi Nagy, Szatmár-Németi, S. 125–126. 23 AS F 20 Archiv der Stadt Szatmár, Dokumente, Nr. 317, 321, 345/1695; Ágoston, Közigazgatás, S. 28. 24 Unsere Daten sind widersprüchlich: über Mihály Skottka erfahren wir nicht, wie lange er eigentlich Szatmárer Tricesimator war. Gemäß einer unserer Quellen war Gábor Erős 1695 nicht nur Hofrichter, sondern auch Szatmárer Tricesimator, AS F 20, Nr. 350/1696.

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besäßen und dass mehrere von ihnen nach Ablauf ihrer Amtszeit die Stadt sofort wieder verlassen hätten. Ob es wahr sei, dass der Kommissar bei der Einsetzung von Richter, Notaren und Räten davon ausging, dass „die papistischen Leute verständig und die Calvinisten unvernünftig sein sollen?“25 Die Ergebnisse der Untersuchung kennen wir nicht; letztlich genehmigte die Kanzlei Ende 1697 erneut freie Wahlen der städtischen Amtsträger.26 Das weitere Vordringen der Katholiken und die Einmischung der Krone in das städtische Leben wurden dann vom Rákóczi-Aufstand für einige Zeit unterbrochen. Allerdings befand sich die Stadt mit dem Frieden von Szatmár im Jahr 1711 erneut in einer prekären Lage. Während des Aufstands wurde ein Teil der dortigen Kammergüter verwüstet. Laut der Konskription aus dem Jahre 1712 gab es in Szatmár einen kleinen Meierhof mit zwei Ackerparzellen von jeweils 20 bis 30 Hektar Umfang. Im dazugehörigen Hofgebäude wohnte auch der königliche Provisor. Darüber hinaus gab es die sogenannten „ärarischen Güter“ der Krone, bestehend aus einer Brauerei, einem Wirtshaus, der herrschaftlichen Fleischbank, zwei Mühlen am Szamos (eine davon brannte 1712 ab) sowie einem Weingarten im Stadtgebiet. Wie oben ausgeführt erzielten die Wirtshäuser zweifellos die bedeutendsten Einkünfte. Allein aus seinem Ausschank bezog die Verwaltung der Krongüter jährliche Bruttoeinnahmen in Höhe von 2 100 Gulden.27 Überhaupt bildete nicht der Meierhof den wertvollsten Bestandteil der Krongüter, sondern die damit verbundenen Bannrechte, die iura regalia minora: Schankrecht, Fleischbank, Zoll. Auf ihren Erwerb zielten die oben bereits ausführlich dargelegten Bestrebungen der Stadt. Wie begehrt diese Rechte waren, erkennt man auch daran, dass Sándor Károlyi sie sich im Jahr 1708 von Fürst Rákóczi als Pfandbesitz übertragen ließ.28 Nach dem Friedensschluss von 1711 war ihm selbstverständlich klar, dass er einen Besitz, den er aus den Händen des Anführers der Rebellen empfangen hatte, nicht ohne Weiteres gegenüber konkurrierenden Ansprüchen der Kammerverwaltung bzw. der Stadt verteidigen konnte. So überließ Károlyi – während er in Wien und Preßburg weilte – in einem klugen Schachzug diese Schankrechte dem Tricesimator Gábor Erős, auch weil er wusste, dass der Magistrat den „Mann der Kammer“

25 Die Fragepunkte sind undatiert, aber sie befinden sich neben einem am 5. Januar 1697 verfassten Brief der Stadt. AS F 20, Nr. 373/1697. 26 AS F 20, Nr. 293/1697. 27 Bagossy, Szatmár-Németi története, S. 232–233. 28 Károlyi bekam im Jahre 1708 vom Fürst Rákóczi die ärarischen Güter von Szatmár, wahrscheinlich als Pfandbesitz. Kovács, Károlyi Sándor, S. 198.



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nicht belästigen würde, denn dieser konnte der Stadt großen Schaden zufügen.29 Folglich bewirtschaftete Erős für eine gewisse Zeit dieses Wirtshaus, und dank seines Amtes ließen ihn die Stadtbewohner in der Tat in Ruhe. Denn um Gábor Erős führte kein Weg herum: So beauftragte die Zipser Kammer ihn mit der Wertbestimmung der Krongüter, die der Magistrat für die Stadt erwerben wollte.30 Im Herbst 1712 schrieb er seinem Patron, dass er an der Konskription der ärarischen Güter arbeite. Er werde ihn über das Ergebnis informieren und auch über die Auseinandersetzungen mit der Stadt in der Wirtshaus-Angelegenheit auf dem Laufenden halten.31 Anscheinend trieb Erős ein zweifach doppeltes Spiel, denn er versprach auch der Stadt seine Unterstützung, berücksichtigte dabei aber nicht nur die Interessen der Kammer, sondern auch jene von Károlyi. Aufmerksam verfolgte er die von den Stadtbewohnern unternommenen Schritte und benachrichtigte seinen Patron darüber, mehr noch, anscheinend versuchte er sogar den Magistrat zu behindern: „Ich weiß nicht, ob Eure Exzellenz davon weiß, dass die Stadtbewohner dort oben [gemeint ist in Wien] daran arbeiten, dass euer Wirtshaus verboten werde“, schrieb er und versicherte dem Grafen, dass er die Erklärung des ehemaligen Verwalters, das Károlyi-Wirtshaus sei vor dem Kuruzzenaufstand abgeschafft gewesen, nicht bestätigt habe.32 Dieses Entgegenkommen geschah nicht ohne Bitte um Gegenleistung: Mit gleichem Schreiben bat er Károlyi, bei der Einquartierung von Truppen die Dörfer zu verschonen, in denen seine eigenen Besitzungen lagen. Ein Jahr später, im Herbst 1713, schrieb Gábor Erős dem Grafen: „Der Gesandte der Stadt Szatmár, Miklós Nánási, kam gerade von der Kammer zurück. Ich weiß noch nicht, was er mitgebracht hat.“33 Einige Tage später benachrichtigte er seinen Patron, dass Nánási den Beschluss der Kammer mitgebracht habe, demzufolge die Stadt Szatmár die örtlichen ärarischen Güter erhielt. Obwohl er die Durchführung des Befehls zu verzögern versucht habe, sei ihm das nicht gelungen, da die Stadtbewohner so nachdrücklich auf die Umsetzung drängten.34 In diesem Brief betonte Erős einerseits, dass er auf Befehl der Kammer „in dieser Sache nach 29 Károlyi verpachtete 1713 seine Güter in Erdőd, Károly und Szatmár für insgesamt 4 500 Gulden an Eötvös, als er nach Wien verreiste. Kovács, Egy kelet-magyarországi. 30 MOL E 158 Urbaria et Conscriptiones, Nr. 47:20, Konskription vom 13. Juli 1712. Die Brauerei und das Wirtshaus waren abgebrannt, auch die Mühle war in schlechtem Zustand, aber in der Burg gab es ein Wirtshaus. Hinzu kamen ein allodiales Ackerfeld und ein Weingarten von 150 Butten. 31 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 22. Sept. 1712. 32 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 12. Febr. 1713. 33 Ebd., Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 14. Sept. 1713. 34 Ebd., Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 18. Sept. 1713.

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Recht und Gesetz verfahren werde“, andererseits rühmte er sich: „Mit großer List ... habe ich die Stadt überzeugt, dass sie mir das Gegenstück des Briefes, den die Kammer an sie geschrieben hat, aushändigt; ich lege das Schreiben Eurer Exzellenz bei.“ Im gräflichen Archiv finden sich sogar die Eingaben der Stadt in dieser Sache. Es gelang Károlyi demnach – wahrscheinlich mit Erős Hilfe – sich diese Schriftstücke zu verschaffen.35 Gewiss empfand Gábor Erős keinerlei Loyalität gegenüber der Stadt, es gab jedoch eine Grenze seiner Verpflichtung Károlyi gegenüber, denn einen amtlichen Befehl seiner Vorgesetzten konnte oder wollte er nicht einfach ignorieren. Anscheinend lavierte er geschickt zwischen den Parteien, denn im Herbst 1713 wurde er für seine Dienste vom Rat der Stadt belohnt: „Als Anerkennung für die geeignete Überlegung des wohledlen Herrn Gábor Erös, die er in der Ablösung der königlichen Fiskale gegenüber unserer edlen Stadt bewiesen hat“, gab der Rat ihm und seinen Erben zwei Grundstücke „von der Hälfte des allodialen Grundstückes, das vom Fiskus abgelöst wurde“, „dass sie es titulo juris civilis frei besitzen und benutzen und darauf ein Gebäude errichten können“.36 Dieses Verhalten des Magistrats lässt den Leser zunächst einmal stutzen: Waren die Ratsmitglieder wirklich so naiv? Wahrscheinlich nicht, vermutlich handelte es sich bei dieser großzügigen Schenkung um eine Zukunftsinvestition, denn wenig später, im Jahr 1715, sehen wir Gábor Erős bei der Frage, wie man die Kammerverwaltung dazu bewegen konnte, das Wirtshaus des ehemaligen Stadtkommandanten Gückel abzuschaffen, ganz auf der Seite der Stadt. Gábor Erős sei gut gesinnt, „kommunizierte mit uns und sammelte von uns über das Wirtshaus gründliche Informationen und schickte sie an die löbliche Zipser Administration“, schrieb der Rat von Szatmár an seine Gesandten in Wien.37 Gábor Erős vertrat der Stadt gegenüber die Interessen der Krone; im Zweifelsfall, wenn es zum Konflikt zwischen dem Magistrat und Károlyi kam, stand er loyal zu seinem Patron. Und doch entspannte sich sein Verhältnis zur Stadt Szatmár zusehends. Wir wissen nicht, wie viel das Geschenk dazu beitrug, bei den Ratswahlen des Jahres 1715 war er jedenfalls zwar als Kameralkommissar anwesend, griff jedoch nicht ein, sodass sie ohne Konflikt in althergebrachter Weise stattfinden konnten. Außerdem gewährte Erős dem Magistrat einen größeren Kredit. 35 MOL P 392, Fach 18, Lad. 17. Nr. 147. Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 1. Nov. 1713. 36 AS F 20, nr. 8, Protocollum Magistratuale Ci(vi)t(a)tis Szatthmár Anno 1704 usque 1724. Eintrag vom 29. Okt. 1713. 37 AS F 20, Nr. 1715/509. Der Brief des Rates an die Gesandten Ladányi und Erdődi, 9. Juni 1715.



Die Beziehung zwischen Károlyi und Erős

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Aus sporadisch überlieferten Daten wird ersichtlich, dass er dafür einen Teil der städtischen Wirtshäuser als Pfand erhielt. Um diese Schulden zu begleichen, beschloss der Rat im Jahr 1725 andernorts ein Darlehen aufzunehmen.38

VI. 2   Die Beziehung zwischen Sándor Károlyi und Gábor Erős Gábor Erős stand in regelmäßigem Briefwechsel mit Sándor Károlyi. Seine Schreiben enthalten stets Passagen, in denen er seinem Patron seine Reverenz erweist. Zu den hohen Festtagen – Ostern, Pfingsten, Weihnachten – gratulierte er und wünschte Gesundheit, „dass auch ich unter Euren väterlichen Fittichen bleibe und davon profitieren kann“.39 Selbstverständlich bekundete er anlässlich des Todes der Ehefrau von Sándor Károlyi sein Beileid. Und als der Graf den Titel eines Geheimrats erhielt und zum Mitglied des Statthaltereirates ernannt wurde, drückte er seine Freude darüber aus, „umso mehr, als nun auch auf unserem Boden jemand ist, der auf uns acht gibt.“40 Erős trat auch bisweilen persönlich vor Károlyi, um ihm aufzuwarten, obwohl er kein besonders häufiger Gast auf dem gräflichen Schloss in Nagykároly war, vermutlich schon wegen seiner vielfältigen Dienst­ obliegenheiten in Szatmár, aber auch aufgrund der häufigen politisch motivierten Reisen seines Patrons. In allen auf uns gekommenen Briefen tritt die Hierarchie zwischen den beiden Korrespondenzpartnern deutlich zutage.41 Durch Ausdruck dienstbeflissener Ehrerbietung und Dankbarkeit seitens des Klienten sowie gnädiger Gewogenheit, aber auch gerechten Zorns seitens des Patrons, wurde dieses Verhältnis ständig bekräftigt und damit auf Dauer gestellt. Die Briefe zeigen aber auch unverblümt, 38 Diese letztere Summe betrug 1 200 ungarische Gulden. KL F 20, Nr. 11, Eintrag vom 9. Apr. 1725. 39 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 16. Aug. 1716. 40 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 28. Aug. 1723. 41 Sándor Károlyi selbst, obwohl er Erős in seinen späteren Jahren stets „Herr“ nannte, verwendete in der Privatkorrespondenz mit seiner Frau und in seinem Tagebuch für Klienten stets die Bezeichnung „Diener“, und bezeichnete sich selbst als „Herr“ seiner „Diener“. Als Miklós Eötvös die entflohenen Leibeigenen Károlyis aufnahm, kam es zu einem Konflikt zwischen beiden. Károlyi tadelte Eötvös zunächst, verzieh ihm später jedoch. Er schrieb seiner Frau, dass er beabsichtige, Eötvös zwar weiterhin in seinen Diensten zu halten, dass er aber seine Mahnung wahrnehmen solle, denn wenn er ihn nicht einmal mahnen könne, wäre Eötvös sein Herr. Kovács, Egy kelet-magyarországi. Daran kann man erkennen, dass die zeitgenössische ungarische Sprache keine Ausdrücke kannte, um solche Feinheiten zu bezeichnen.

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welche materiellen und immateriellen Dienste man einander leistete. Es versteht sich, dass uns diese gegenseitig gewährten Vorteile in der Korrespondenz nicht fein säuberlich voneinander getrennt entgegentreten, sondern in ständiger Vermischung. Der analytischen Klarheit halber wollen wir in der Folge versuchen, sie systematisch zu rekonstruieren. Was also machte Gábor Erős für seinen Patron interessant? Wie wir gesehen haben, konnte er mit wertvollen Informationen aus der Stadt Szatmár dienen, aber auch mit Hinweisen über Vorhaben der Kammerverwaltung, bis hin zum Verrat von Dienstgeheimnissen. Für Károlyi waren diese Informationen, zu denen Erős dank seiner amtlichen Funktion Zugang hatte, von hoher Bedeutung. Er wurde zum Beispiel darüber in Kenntnis gesetzt, wann die Zipser Kammer welche Güter konskribieren lassen wollte. Bei diesem Verfahren wurden die Besitzrechte an einem Gut ermittelt, sein Wert bestimmt und die Steuerpflichten der darauf befindlichen Hörigen festgelegt. Zu Ostern 1719 verständigte Erős den Grafen „sub manu“, dass der Besitzer eines Gutes ermittelt werden solle, an dem Károlyi unmittelbar interessiert war.42 Darüber hinaus konnte Erős seinem Patron im Rahmen seiner Stellung als Diener der Krone unmittelbar von Nutzen sein, indem er Amtshandlungen „passend“ ausführte. Hierbei war freilich Vorsicht geboten, denn wenn er den Bogen überspannte, konnte bei seinen Vorgesetzten leicht der Eindruck von Illoyalität entstehen. So kamen ernste Schwierigkeiten auf, als er im Jahre 1715 die Herrschaft Erdőd, die Károlyi gehörte, im Auftrag der Kammer taxierte. Die Angelegenheit war besonders pikant, weil der Graf diesen bedeutenden Güterkomplex, der ursprünglich zur Krondomäne gehört hatte, im Jahr 1708 aus den Händen des Fürsten Rákóczi als Belohnung für seine militärischen Verdienste in der Kuruzzenarmee erhalten hatte. Erst im Jahr 1720 gelang es Károlyi, den Besitz an der Herrschaft Erdőd durch einen königlichen Donationsbrief endgültig gegenüber konkurrierenden Ansprüchen zu behaupten.43 Auftragsgemäß ermittelte Gábor Erős für das Gut einen ausgesprochen niedrigen Wert, wurde dann jedoch bei der Kammer deswegen angezeigt, was ihn zu dem brieflichen Seufzer veranlasste: „Es gibt viele Neider, aber Gott wird Eurer Exzellenz helfen“. Und er fuhr fort: „Ich habe der edlen Kammer geschrieben, wenn bezüglich der Konskription, et per consequens auch in der Wertschätzung, Zweifel entstanden sind, dann hätte man jemanden anderen beauftragen müssen“. Seiner Meinung nach sei seine Werter42 MOL P 398, Brief vom 4. Apr. 1719. 43 MOL E 158, 8:18. Károlyi erhielt die Herrschaft Erdőd – damals im Besitz des Ärars – im Jahre 1708 vom Fürsten Rákóczi. Es gelang ihm, die Herrschaft auch nach dem Frieden von Szatmár zu behalten, erhielt den königlichen Donationsbrief jedoch erst 1720 gegen die Summe von 2 625 Rheinischen Gulden. Kovács, Károlyi Sándor, S. 198.



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mittlung völlig korrekt, er habe freilich bei den Einnahmen „die unsicheren Vagabunden ausgelassen“.44 Die Kammer bezweifelte jedoch weiterhin die Richtigkeit seiner Konskription und setzte den Wert der Herrschaft deutlich höher an. Im Frühling 1715 schrieb er an Károlyi: „Ich bin erstaunt, dass Erdőd auf so viele Tausende geschätzt wurde.“45 Unter Verletzung seiner Geheimhaltungspflicht schickte er Károlyi die vorläufigen Ergebnisse der erneuerten Konskription zu und legte ihm nachdrücklich ans Herz, dass „dieses geheim gehalten werden soll, da die edle Kammer in Zorn geraten würde, denn uns ist die Aushändigung solcher Gegenstücke (gemeint sind Abschriften) verboten.“46 Später, im Jahr 1721, stellte sich ein ähnliches Problem bezüglich des Dorfes Réztelek, in der Nachbarschaft von Szatmárnémeti gelegen, das der Graf als sein Eigentum reklamierte, dessen Besitzverhältnisse aber verworren waren. Erős überprüfte den Sachverhalt in den Akten und zeigte sich auch diesmal hilfsbereit: „Über die Art, wie ich den Teilbesitz in Réztelek … auf- und zusammenschreiben soll, erwarte ich die Anweisungen Eurer Exzellenz“.47 Manchmal benötigte er im Gegenzug auch die Orts- und Sachkenntnisse des Grafen, fragte zum Beispiel nach den komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen im Adel. Diese Informationen waren für die Kammer sehr wichtig, denn wenn eine adlige Familie erlosch, fielen ihre Güter an den Fiskus heim. Gábor Erős wurde für den Grafen aber auch auf Feldern tätig, die mit seinem Amt überhaupt nichts zu tun hatten, von kleinen Gefälligkeiten bis hin zur Erledigung anspruchsvoller Aufträge. In Szatmárnémeti erteilte er Aufträge an verschiedene Handwerker, erledigte Einkäufe, prüfte die Rechnungen des gräflichen Hofrichters und ging auf Károlyis Anweisung hin einem Streit zwischen dem Stadtrat und dem Militär auf den Grund. Im Jahr 1717 reiste er nach Huszt, um Gefangene zu verhören, obwohl die Einsaat und die Weinlese sowohl auf der Krondomäne, als auch auf seinen eigenen Gütern dadurch unbeaufsichtigt blieben.48 Auch der Gräfin Károlyi erwies er immer wieder kleinere Dienste. So stimmte er der weiteren Nutzung eines alten Scheffels in ihrer Mühle zu, obwohl die Zipser Kammer grundsätzlich die Verwendung des Kaschauer Scheffels vorgeschrieben hatte. Im Juli 1712 untersuchte er in ihrem Auftrag einen Streitfall zwischen den Bierbrauern und dem Hofrichter.49 44 45 46 47 48 49

MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 27. Jan. 1715. Ebd., Brief vom 3. Apr. 1715. Ebd., Brief vom 6. Juni 1716. Ebd., Brief vom 5. Dez. 1720. Ebd., Brief vom 28. Sept. 1717. MOL P 397, Fasz. 100.

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In Ermangelung anderer Fachleute beauftragte ihn Károlyi im Jahr 1721 mit einer Herzensangelegenheit, der Einrichtung der Glashütte in Száldobágy.50 Erős verfügte anscheinend über einiges Wissen in diesem Bereich und konnte sich dank seiner Deutschkenntnisse mit dem böhmischen Hüttenmeister verständigen. Die Berichte, die er nach Inspektion der Hütte jeweils verfasste, zeugen von einiger Gewandtheit. Er äußerte sich kundig über die verwendeten Rohstoffe sowie die technische Ausstattung der Hütte und fertigte Skizzen von fehlenden Gerätschaften an.51 Wie oben dargelegt, zog sich der Bau der Glashütte hin. Erős setzte noch den Hüttenaufseher in sein Amt ein, nahm ein Inventar auf und stellte die Instruktionen in ungarischer und deutscher Sprache zusammen.52 Es ist unklar, warum anschließend statt seiner Gábor Badda mit diesem Projekt beauftragt wurde. Schließlich war Erős auch in die Geldgeschäfte des Sándor Károlyi involviert, dem er mehrfach mit eigenem Geld oder mit der Vermittlung von Krediten aushalf: „Bis zu dieser Stunde war ich ständig tätig, um Eurer Exzellenz Geld zu verschaffen.“ Als sich die Rückzahlung eines Darlehens an die griechischen Kaufleute in Németi verzögerte, trat er selbst als Bürge für 1 300 Rheinische Gulden in Vorleistung, betonte freilich, dass er nun ganz ohne Geld dastehe und deshalb darum bitte, dass die Rückzahlung an die Griechen nicht weiter verzögert werde.53 Gegenüber dem Grafen entschuldigte er sich wegen des beigefügten Schuldscheins: „Gemäß meinem Glaubensgelöbnis leihe ich absolut niemandem Geld, und wenn ich es doch tue, dann nur auf eine so unhöfliche Art. Ich bitte Eure Exzellenz dafür um Verzeihung“.54 Bei dieser Gelegenheit bat er Károlyi um ein Empfehlungsschreiben für seinen Sohn, István Erős. Im Herbst mahnte er die Rückzahlung des Restdarlehens an, da er demnächst in seinem Amt bestätigt werden wolle, was ihn viel Geld koste: „Ádám Király [sein Agent in Wien] verlangt nach Einreichung meines Gesuchs sowohl die Kaution als auch die den Herren zustehende discretio, die remuneratio seiner eigenen Bemühungen, was sich insgesamt auf mehr als 50 Die Glashütte von Száldobágy war eine der ersten von Károlyi gegründeten Manufakturen. Über die kurze Geschichte des Unternehmens siehe Kovács, Károlyi Sándor, S. 192–193 sowie oben Kapitel IV. 51 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, Brief vom 29. Mai 1721. 52 Ebd., Brief vom 4. März 1722. Zur Tätigkeit von Badda siehe Kapitel IV. 53 Den Hintergrund der spektakulären Besitzvermehrung Károlyis bildeten Kredite. Wegen des großen Kapitalmangels in Ungarn erwarb Károlyi mehrere Herrschaften mit der Hilfe kleinerer oder größerer Kredite. Er geriet in gewaltige Schulden, die sich bei seinem Tod auf 425 795 Gulden (mit rückständigen Zinsen sogar auf 497 795 Gulden) beliefen. Kovács, Károlyi Sándor, S. 196–210. 54 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 9. Juni 1720.



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1 000 Gulden beläuft.“55 Ein anderes Mal musste er Károlyis Bitte um einen Kredit ablehnen. Die in seiner Kasse vorhandenden Mittel seien für den Bedarf des Komitats reserviert. Einige Tage später aber kam Erős auf die Angelegenheit zurück und deutete an, dass er in etwa drei Wochen über Geld verfügen werde und es dem Grafen leihen könne.56 Was wir schon im Fall von zwei anderen gräflichen Klienten dieser Jahre – Mátyás Pollereczky und Gábor Badda – festgestellt haben, erweist sich hier erneut: Mangels entwickelter administrativer Strukturen wurden Klienten multifunktional, zum Teil auch ohne fachliche Eignung eingesetzt; eine klare Abgrenzung von Kompetenzen ist nirgends erkennbar. Auch Gábor Erős scheint sich auf den ersten Blick den Befehlen des Patrons vollständig unterzuordnen, auf den zweiten Blick nimmt man freilich einen ziemlich großen Gestaltungsspielraum wahr, der sich durch eigenständige Interpretation von Anordnungen ergab. Mehr noch, Erős zeichnet ein deutlich höheres Maß an Autonomie aus, da er gegenüber dem Grafen jederzeit entschuldigend auf anders lautende Befehle seiner Vorgesetzten in der Kammerverwaltung bzw. auf die Gesetzeslage verweisen konnte. Seine Tätigkeit bestand eben nicht nur in der Lösung praktischer Probleme mit hörigen Bauern, untreuen Gutsverwaltern, schwierigen Produktionsbedingungen in Hüttenbetrieben oder der wilden Natur von Land und Leuten, sondern griff in Bereiche aus, die sich dem unmittelbaren Einfluss des Grafen entzogen. Erős ging mit de jure autonomen, de facto zumindest teilautonomen Instanzen um, mit dem städtischen Magistrat, der Komitatsversammlung und der Kammerverwaltung. Dadurch stellten sich seine Aufgaben als gräflicher Klient besonders anspruchsvoll dar, sodass er nicht einfach austauschbar war. Die Briefe des Gábor Erős an Graf Sándor Károlyi atmen einen gewissen „familiären“ Geist. Er berichtet darin auch über persönliche Angelegenheiten, über seine Krankheiten, darüber, welche Schwierigkeiten ihm bei der Pachtung eines Zehnten zustießen, dass die Kammer ihm die Eintreibung von Schulden der „Deutschen“ in Szatmár als Strafe auferlegte und vieles mehr. Im Jahre 1717, als sich die Nachricht vom Einfall der Tataren verbreitete, bat er den Grafen um Rat, ob er seine Kinder aus der Stadt wegschicken solle, da er von seiner „Frau Mutter keine Ruhe habe“.57 Man fragt sich, ob es sich hier nicht um eine Inszenierung von Ratbedürftigkeit handelt. Ein andermal beklagt er sich über sein schweres Leben, da er seit einiger Zeit nie zu Hause sei, nicht einmal zu Weihnachten. Auch 55 Ebd., Brief vom 8. Nov. 1720. 56 Ebd., Brief vom 1. Apr. 1722. 57 Ebd., Brief vom 16. Aug. 1717.

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dieses Jahr sei er zum Fest nicht daheim, weil ihm die Durchführung der Konskription im Komitat Bihar befohlen worden sei: „Aber ich bin Diener und muss leichten Herzens den Anweisungen folgen“.58 Ein festes Bindeglied zwischen Patron und Klient bildete die katholische Konfession, die beiden sehr am Herzen lag. Gábor Erős begab sich mehrfach nach Nagykároly, um an der Andacht in der Schlosskapelle teilzunehmen. Er zeigte nicht nur im späten 17. Jahrhundert in den Konflikten mit dem überwiegend calvinistischen Stadtrat Einsatz für Konfessionsverwandte und katholische Kirche, sondern auch später noch. Im Dezember 1720 war er den Jesuiten behilflich, ihren Teilbesitz am Dorf Kisfalud im Komitat Zemplén zu sichern, der auf eine Donation von Ferdinand III. im Jahr 1647 zurückging.59 Zwei Jahre später wählte die Komitatsversammlung von Szatmár zum großen Ärger von Károlyi zwei reformierte Deputierte für den Landtag. Erős beeilte sich um Verzeihung zu bitten, dass er an der ‚missglückten‘ Sitzung des Komitats nicht teilnehmen und intervenieren konnte, da er sich genau an diesem Tag auf Befehl der Gräfin in Nagykároly aufhielt. Er diskutiere aber mit den wichtigsten Amtsträgern des Komitats, „wie man die zwei gewählten Abgesandten absetzen und zwei papistische adjudizieren könnte“.60 Auch wenn die Anstrengungen des Gábor Erős nicht immer von Erfolg gekrönt waren, er vielleicht auch nicht in allen Fällen in dem Maße engagiert war, wie er brieflich behauptete, so ist doch nicht zu bezweifeln, dass er seinem Pa­ tron in vielfältiger Weise zu Diensten war. Was aber konnte er von Sándor Károlyi erwarten? Auch hier ist ein Gemenge aus kleinen Vergünstigungen und fundamentalen Unterstützungsleistungen zu erkennen. Die Basis bestand in der gemeinsamen Erfahrung, die existenziellen Gefahren während des Kuruzzenkrieges und in der prekären Phase des Wechsels ins Habsburgische Lager gemeistert zu haben. Erős war ehrlich und dauerhaft dankbar dafür, dass ihn der Graf in dieser Situation geschützt hatte. Auch nach Abschluss des Friedensvertrags von Szatmár im Jahre 1711 war seine berufliche Situation zunächst nicht gesichert, denn die Dreißigstämter wurden reorganisiert: 1713 ging das Gerücht um, die Dienststelle in Szatmár solle ganz abgeschafft werden. Erős bat sogar Mihály Váradi, den Gesandten der Stadt Szatmárnémeti in Wien, dass er sich erkundigen möge, ob das örtliche Dreißigstamt fortbestehen werde. Die Sache zog sich in die Länge, Erős machte sich Sorgen um seine Zukunft. Er setzte Károlyi mehrmals auseinander, 58 Ebd., Brief vom 2. Juli 1718. 59 Ebd., Brief vom 31. Dez. 1720. 60 Ebd., Brief vom 7. Juni 1722.



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dass er die Schließung der Dienststelle auch vom Standpunkt der Kammerverwaltung für schädlich halte: „Seine Majestät wird davon merklichen Schaden haben. Die Einkünfte betragen mehrere tausend Gulden, weil der Weg von Siebenbürgen und Marmarosch nach Ungarn hier entlang führt. Und wenn das Amt versetzt werden sollte, dann wären die Verluste größer als der Gehalt des Tricesimators, den das Land bezahlt“.61 Für den Fall, dass das Dreißigstamt nach Nagykároly verlegt werden sollte, möge der Graf doch dafür sorgen, dass er dort zum Zuge käme. Er würde aber auch in Margitta oder Debrecen amtieren. An der Spitze des Dreißigstamtes von Margitta befände sich übrigens ein „Deutscher“, und: „Die fremde Nation ist gesetzwidrig“.62 Károlyi versuchte, dem Tricesimator Informationen aus den zuständigen Wiener Behörden zu beschaffen. Anscheinend gelang es dem Grafen schließlich, seinen Einfluss im Sinne seines Klienten geltend zu machen, jedenfalls blieb das Szatmárer Dreißigstamt erhalten, und Erős schrieb im November 1714: „Dass Sie meine Sache so sehr weitergebracht haben, danke ich Eurer Exzellenz mit großer Ergebenheit“.63 Damit war Gábor Erős aber noch nicht auf Dauer zum Dreißiger ernannt. Für den Fall der Fälle hatte er ein weiteres Eisen im Feuer. Nach dem Tod des Postmeisters von Szatmárnémeti im Jahre 1715 hielt er, mit einem Empfehlungsbrief der königlichen Kammerverwaltung versehen, auch um das Postmeisteramt an. Er bat Károlyi, für ihn beim Generalpostmeister in Wien zu intervenieren, weil er wusste, dass dieser Károlyis Gönner war: „Um erfolgreich zu sein, wolle auch Eure Exzellenz geruhen zu intervenieren, da Sie meine Qualifikation in der gesprochenen und geschriebenen deutschen Sprache kennen; es würde sehr viel bedeuten, wenn Eure Exzellenz dem hochgeborenen Herrn Postmeister, General János Pálfi, schreiben würde, dass er meine geringe Person empfehlen solle“.64 1718/19 wandte sich Erős erneut an die Kammer um seine Ernennung zum ordentlichen Tricesimator durchzusetzen. In dieser Zeit „umwarb“ er brieflich den starken Mann an der Spitze der Kammerverwaltung, Ludwig Albert Thavonath.65 Im Frühjahr 1719 schickte er Ostergrüße nach Nagykároly, erinnerte den Patron an seine beruflichen Sorgen, bedankte sich „tausendstmal“ für Károlyis 61 Ebd., Brief vom 1. Nov. 1714. 62 Ebd. 63 Ebd., Brief vom 29. Nov. 1714. 64 Ebd., Brief vom 26. Mai 1715. 65 Nach dem Rákóczi-Aufstand war der Österreicher Ludwig Albert Thavonat der Vorsitzende der Zipser Kammerverwaltung. Er galt als Mann der Hofkammer. 1712 erreichten die Pressburger, dass er abberufen wurde, später leitete er aber als königlicher Kommissar die Angelegenheiten der Ungarischen Kammer. Fallenbüchl, A szepesi kamara, S. 206.

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Fürsorge und versicherte ihm, dass „ich auch weiterhin in der Gunst Eurer Exzellenz lebe und sterbe“. Er erwähnte, dass „ich es gehorsam annehme, dass Sie mich ebenso wie bisher patronieren und rekommendieren, da dieses weiterhin nützlich sein wird“, zumal er wusste, dass Thavonath ein „gönnender Freund“ des Grafen war.66 Ob es Károlyis Empfehlung, den Beziehungen zum Vorsitzenden der Zipser Kammerverwaltung oder „discretio“ zu verdanken war, im November 1720 konnte Gábor Erős dem Grafen endlich berichten, dass er nun auch dauerhaft zum Dreißiger ernannt sei.67 Klient des Grafen zu sein, half aber nicht nur bei solchen schwerwiegenden Problemen, es betraf die gesamte Existenz. Manchmal wandte sich Gábor Erős an Károlyi mit der Bitte um kleinere materielle Wohltaten, wie die Lieferung von Dielen für den Hausbau oder der Eichelmast seiner Schweine in den gräflichen Wäldern. Auch wenn es um geplante Investitionen in Szatmárnémeti ging, war der Informationsvorsprung des Patrons Gold wert: Wiederholt erkundigte sich Erős bei Károlyi, ob die Festung in der Stadt, die während des Rákóczi-Aufstandes zerstört worden war, wieder errichtet werden solle. Er hatte auf dem Gelände ein größeres Grundstück erworben, und wollte dort sein neues Haus errichten lassen. Kurz vor Baubeginn im Jahr 1715 fragte er nach, ob ein Festungsneubau geplant sei, „weil ich mich nicht traue, mein Haus so zu bauen, wie ich es vorhabe.“68 1719 verbreitete sich erneut das Gerücht, dass die Festung doch noch errichtet werden solle, sicherlich wüsste Károlyi „dort oben“ mehr darüber.69 Man erkennt, dass es auch für einen in nachrangiger Stellung in der Provinz wirkenden Amtsträger von hohem Nutzen war, über Verbindungen in die politische Entscheidungssphäre in Wien zu verfügen. Dazu eine weitere Episode: Irgendwann während der Kuruzzenkriege hatte Erős, wie er schrieb, „den in Not geratenen Truppen seiner Majestät“ mit „vielen Rindern, Rossen umsonst“ ausgeholfen. Nun versuchte er, dafür beim Kriegsrat eine nachträgliche Bezahlung zu erreichen. Er konnte zwar Empfehlungsschreiben von mehreren Generälen ins Feld führen, seine Akten blieben aber bei Hofe stecken. Deshalb bat er Károlyi, ihn bei seinen Gönnern im Kriegsrat zu empfehlen, „vor allem dem allerhöchsten Eugenius“ (Prinz Eugen von Savoyen).70 Zwar schickte Károlyi eine entsprechende Empfehlung nach Wien, tadelte Erős jedoch bei gleicher Gelegenheit schwer, weil es ihm nicht gelungen sei, ihm 66 67 68 69 70

MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 28. März 1719. Ebd., Brief vom 8. Nov. 1720. Ebd., Brief vom 3. Apr. 1715. Ebd., Brief vom 4. Apr. 1719. Ebd., Brief vom 9. Nov. 1723.



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bei der Kammer einen bestimmten Weingarten zu verschaffen, auf den er ein Auge geworfen hatte. Bildhaft schildert der Tricesimator seine Erschütterung, als er den Brief seines Patrons las: „als ob ich in den Boden versänke, auch mein Blut kühlte aus, seitdem quäle ich mich in meinem Herzen, Körper und in meiner Seele wie ein Totgeschlagener“. Sein „Blut solle verderben“, wenn er Károlyis Haus schadete; er würde niemandem etwas Böses antun, „noch weniger Eurer Exzellenz, von der ich mein ganzes Wohl erwarte und den ich nach meinem Gott anstatt meines Vaters als meine Stütze anerkenne und betrachte“.71 In der Angelegenheit des Weingartens sei er übrigens völlig unschuldig, da man seine Hilfe gar nicht verlangt habe. Bald darauf legte sich Károlyis Zorn und er lud Erős für Dezember zu einer gemeinsamen Andacht nach Nagykároly ein. Die Beziehung zwischen Erős und Károlyi kann demnach als eine vielseitige, auf mehreren Ebenen funktionierende Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit verstanden werden. Sie waren geschäftlich eng miteinander verbunden, bei der Pachtung von Zehnten, im Zusammenhang mit dem Erwerb von Konzession und dem Betreiben von Wirtshäusern, bei Grundstücks- und Kreditgeschäften. Sehr häufig handelte es sich um Geschäfte mit Dritten, bei denen sie einander den Weg zu kommerziellen Partnern ebneten, der dem jeweils anderen aufgrund seiner ständischen Lage verwehrt war. Dabei gerieten sie manchmal auch in Situationen, in denen sich ihre Interessen widersprachen, vor allem, wenn durch bestimmte Transaktionen die Stellung von Erős gegenüber der Kammerverwaltung gefährdet war. So machte er Károlyi mehrmals auf die Zahlung von Steuerrückständen aufmerksam oder klärte ihn über Missbräuche seiner Gutsverwaltung auf, die sich einfach auf das Ansehen ihres Herrn verließen und Vorschriften offen missachteten. In einem seiner Briefe schrieb er erbittert: „Gott weiß, dass ich nur dann Eurer Exzellenz nicht diene, wenn es unmöglich ist, ich weiß aber nicht, auf wessen Anregung die Leute auf den Gütern Eurer Exzellenz ruhig verkaufen, erwerben, Handel treiben; beim Dreißigstzoll machen sie sich selten beliebt“.72 Er bat darum, Károlyi möge seinen Schwager, den Stuhlrichter Pál Dersőffy, mit der Erhebung der Rückstände beauftragen. Es sei betont, dass der do-ut-des-Charakter dieser Beziehung sich vor dem Hintergrund einer emotionalen Bindung entfaltete. Bei aller Geschäftsmäßigkeit und Gerissenheit der beiden Protagonisten spielten Loyalität und Treue eine große Rolle und machten Erős zu einem wahren Klienten eines echten Patrons.

71 Ebd., Brief vom 14. Nov. 1723. 72 Ebd., Brief vom 14. Apr. 1719.

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VI. 3  Tod eines Klienten und die Frage der Nachfolge Nach den aufregenden Jahren, die auf den Friedensschluss von 1711 folgten, in denen Gábor Erős im Konflikt zwischen der Stadt Szatmár und Sándor Károlyi eine bedeutende Rolle spielte, kann man die Beziehung zwischen Patron und Klient in den Folgejahren als geschäftsmäßig bezeichnen, gekennzeichnet von gegenseitigem Informationsaustausch, kleineren Dienstleistungen, Gönnerschaft auf der einen Seite und Ergebenheit auf der anderen. Seit 1725 verschwand der Tricesimator für die letzten fünf Jahre seines Lebens fast völlig aus den Quellen. Eine Erklärung hierfür liefert eine Eintragung vom 3. April in Károlyis Tagebuch: „Unglück bei meinem Herrn Gábor Erős, er wurde vom Schlag getroffen.“73 Zwar überlebte Erős den Schlaganfall und verstarb erst im Jahr 1730. Er klagte jedoch gegenüber Károlyi, dass ihn die Strafe Gottes ereilt habe, denn er könne „wegen der schweren Krankheit, an der ich leide, weder meine Hand noch meinen Fuß aus eigener Kraft bewegen“.74 In seinen letzten Jahren adressierte er nur einige kleinere Bitten an Károlyi, unter anderem in der Angelegenheit eines seiner Hörigen, dem er wegen seiner Lähmung alle Schreibarbeiten anvertraute. Dieser Helfer sei zwar vom Komitat von den Abgaben und Diensten befreit worden, solle nun aber doch zur Steuerzahlung herangezogen werden. Erős bat darum, dass er auch weiter von allen Lasten befreit bleibe, auf dass „ich in meiner unglücklichen Lage von ihm Gebrauch machen kann“.75 Obwohl Erős nicht mehr in der Lage war, seinem Gönner Gegendienste zu erweisen und sich die Beziehung zwischen ihnen sichtlich lockerte, unterstützte Károlyi aus Pietät seinen alten Gefolgsmann. In einem letzten Brief vom Februar 1730, kurz vor seinem Ableben, erbot dieser dem Grafen noch einmal seinen Gruß anlässlich der glücklichen Heimkehr von einer Reise.76 Abschließend stellt sich die Frage, ob eine solche Vertrauensstellung als Klient eines großen Herrn „vererbbar“ war. Gábor Erős hinterließ mindestens drei Söhne aus seiner ersten Ehe sowie seine zweite Ehefrau Erzsébet Illyési. Aus dieser zweiten Ehe war eine Tochter hervorgegangen. Die erste Ehefrau, Mária Dersőffy (bzw. Dessewffy), stammte aus einem Nebenzweig dieser bedeutenden Adelsfamilie,77 73 Gábor Éble (Hg.), Gróf Károlyi Sándor naplójegyzetei 1725-ből [Tagebuch des Grafen Sándor Károlyi vom Jahre 1725], in: Történelmi tár, NF, Bd. II. (1902), S. 98. 74 MOL P 398, Gábor Erős’ Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 3. Juni 1725. 75 Ebd., Brief vom 11. Dez. 1727. 76 Ebd., Brief vom 13. Febr. 1730. 77 Eine Frau Dersőffy aus Szatmárnémeti war Patin von László Károlyi, dem ältesten, frühverstorbenen Sohn des Sándor Károlyi. Barkóczy Krisztina levelei, S. 152, 424.



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deren Angehörige später in der Politik nicht nur auf Komitats-, sondern auch auf Landesebene eine Rolle spielten. Zu Lebzeiten hatte Gábor Erős mehrfach versucht, die Karrieren seiner Söhne mit den ihm zugänglichen Mitteln zu fördern, darunter ganz selbstverständlich auch die Unterstützung durch seinen Patron, Sándor Károlyi. Der Graf, immer auf der Suche nach geeigneten Leuten, war durchaus geneigt, Erős Söhne wohlwollend auf ihre Eignung zu prüfen. Es gibt mehrere Belege dafür, dass zumindest zwei von ihnen, István und Gábor, in den erweiterten Kreis seiner Klienten aufgenommen wurden: Im Herbst 1717 bedankte sich Gábor Erős, 78 dass Károlyi seinem Sohn – wahrscheinlich handelte es sich um den älteren Sohn István Erős – die Gnade erwiesen habe und ihn als Gehilfen von György Klobusiczky beschäftigte.79 Auch ein jüngerer Sohn, der ebenfalls auf den Namen Gábor hörte, stand wohl eine Zeit lang in Károlyis Diensten, denn in einem undatierten Brief entschuldigte er sich für eine unerlaubte Abwesenheit.80 Im Jahr 1727 schrieb er Briefe an den Grafen aus Beregszász und aus Munkács, wo er vermutlich als Bediensteter der Kammer beschäftigt war: „Seit langer Zeit hatte ich nicht das Glück Eure Exzellenz persönlich zu umwerben, aber um mein Glück nicht zu verlieren, versuche ich durch meinen Brief meiner ergebenen tiefen Pflicht zu entsprechen“.81 Die Laufbahn der beiden jungen Leute kann wegen Mangels an Quellen leider nicht genau nachgezeichnet werden; sie waren jedenfalls späterhin im Dienst des Komitats Szatmár tätig. Sicher ist, dass keiner von ihnen eine enge persönliche Bindung zur Grafenfamilie unterhielt. Im Jahr 1721 beschwerte sich Sándor Károlyi bei Gábor Erős über dessen ältesten Sohn István. Worum es sich genau handelte, kann nur vermutet werden, da wir nur das Antwortschreiben von Erős kennen. Danach hatte sich István Erős offenbar ohne Károlyis Wissen in konfessionelle Auseinandersetzungen eingemischt. Erős redete sich wegen des Benehmens seines Sohnes heraus: „Ich bedanke mich bis an mein Lebensende für die Sorge für meine Söhne … möge Gott Eure Exzellenz dafür segnen. Ich gestehe, dass ich die Taten von István traurig zur Kenntnis genommen habe. … Ich weiß nicht einmal, womit er sich beschäftigt, weil er es mir nie gesagt hat, auch war ich nicht besonders neugierig … Er war auch selten zu Hause. Wer hat nur den unreifen Mann dazu verleitet, sich in negotio religionis einzulassen? Das weiß ich auch nicht, da 78 Ebd., Brief vom 28. September 1717. 79 Es handelt sich wahrscheinlich um György Klobusiczky, Vizegespan, später Administrator des königlichen Salzamtes und nach 1723 Beisitzer der Distriktstafel. 80 Ebd., undatierter Brief. 81 Ebd., Brief vom 1. Jan. 1727.

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er es nie erwähnt hat“.82 Es scheint, als ob er zu seinen Söhnen aus erster Ehe keinen allzu herzlichen Kontakt pflegte. Gleichwohl wandte er sich im Herbst 1721 wegen der beiden jüngeren erneut an Károlyi und bat um „ihre Unterbringung im Kaschauer oder Erlauer Konvikt“, „wenn es möglich wäre, ex fundatione“.83 Das wenig herzliche Verhältnis zwischen Gábor Erős und seinen Söhnen aus erster Ehe zeigte sich auch nach seinem Tod, als wegen der Erbschaft ein Streit zwischen ihnen und seiner Witwe entbrannte. Sie bat Graf Sándors Sohn, Ferenc Károlyi, deshalb um Hilfe.84 Aufgrund ihrer Klage ernannte die Generalversammlung des Komitats am 10. April 1731 eine Kommission, bestehend aus Stuhlrichtern und Geschworenen, um die Angelegenheit schiedlich zu regeln. Die Söhne von Gábor Erős scheinen sich jedoch weder der Deputation noch der „für die amicabilis compositio verordnete disputatio“ unterworfen zu haben. Witwe und Tochter wurden entgegen der Gesetzeslage „ohne für die alltägliche Subsistenz notwendigen Lebensmittel“ gelassen. Deshalb beauftragte Ferenc Károlyi den Vizegespan des Komitats am 2. Mai 1731, dass er persönlich die Witwe in die Güter ihres verstorbenen Mannes einsetze. „Alle Lebensmittel und bewegliche Güter müssen inventarisiert und beschlagnahmt“ werden, für den Unterhalt der Witwe solle ein Teil davon einbehalten werden.85 Bei der Erbauseinandersetzung ging es um einen nicht unbeträchtlichen Nachlass. Wir sind über das Vermögen des Gábor Erős deshalb recht gut informiert, weil die Zipser Kammer bereits am 1. Mai 1725 eine Inventarisierung seiner Güter angeordnet hatte, vermutlich, weil er wegen seiner schweren Erkrankung das Amt als Tricesimator nicht länger wahrnehmen konnte und man sich Gewissheit über die Forderungen des Fiskus an den Steuererheber sowie über die eventuell erforderliche Deckung von Außenständen aus seinem Privatvermögen verschaffen wollte. Dabei handelte es sich keineswegs um den Ausdruck eines speziellen Misstrauens gegenüber Erős, sondern um eine Überprüfung, die beim Ausscheiden eines Dreißigers routinemäßig erfolgte. Das Vermögen umfasste in erster Linie Liegenschaften: Erős besaß in Szatmárnémeti in guter Lage in der Nähe des Marktplatzes ein Grundstück mit einem einstöckigen, unterkellerten Wohnhaus, dazu alle notwendigen Nebengebäude, namentlich ein Haus aus Holz, in dem die Dienerschaft wohnte, und einen Stall 82 Ebd., Brief vom 7. Mai 1721. 83 In Kassa/Kaschau und Eger/Erlau befanden sich zwei der bedeutenden Jesuitenschulen in Ungarn. Ebd., Brief vom 25. Okt. 1721. 84 Ebd., Erzsébet Illyésis (Witwe von Gábor Erős) Brief an Ferenc Károlyi, undatiert (wahrscheinlich April oder Mai 1731). 85 Ebd.



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für 20 Pferde. Dazu gehörte weiterhin ein freistehendes Haus mit Eingang zum Marktplatz hin, das als Amtsgebäude diente. Außerdem besaß er ein größeres Grundstück auf dem Gelände der geschleiften Festung von Szatmár, wo Gemüse und Mais angebaut wurden. Außerhalb der Stadt verfügte er unter verschiedenen Rechtstiteln über Grundstücke und Hufen an mehreren Orten im Komitat. Dazu gehörten Äcker, die in Dreifelderwirtschaft bewirtschaftet wurden, teils unter dem eigenen Pflug, teils verpachtet. In Szentmárton besaß er eine portio mit mehreren Hörigen. Hier hatte er einen Meierhof errichtet, mit einem Wohngebäude, Gemüse- und Obstgärten, Scheune, einem großen Stall und einer Mühle am Somesch. Außerdem verfügte er über mehrere Hufen in verschiedenen Dörfern im Komitat Szatmár sowie über mehrere Weingärten.86 Aus der Aufstellung wird ersichtlich, dass Erős seine Stellung dazu genutzt hatte, Grundstücke aus den beschlagnahmten Gütern von Emigranten zu erwerben und seinen Besitz durch Schenkungen, Pachtung und Kauf zu vergrößern. Er war dabei nicht wählerisch, sondern schätzte auch die kleinen Dinge: In einigen Ortschaften besaß er nur ein oder zwei Hufen. Auch dank dieser erfolgreichen Akquisitionspolitik gelang es seinen Kindern und Enkeln, ihre Positionen im Kreis bene possessionati im Komitat Szatmár zu festigen. Wir finden zahlreiche seiner Nachkommen unter den Amtsträgern des Komitats: Sein Sohn István amtierte 1724 als Stuhlrichter, 1734 als Advokat, 1742 als Hauptmann im Heeresaufgebot des Komitats. Sein Sohn László war 1722 Komitatsnotar, 1727 Perzeptor. Seinen Sohn Gábor schließlich, der zuvor wahrscheinlich Kammerbeamter gewesen war, finden wir 1732 und 1734 als Vizestuhlrichter. Wir wissen nicht, ob Mihály Erős, der 1738 ebenfalls als Vizestuhlrichter amtierte, ein Enkel von Gábor Erős war. Am Ende des Jahrhunderts bekleideten jedenfalls andere Enkel mehrfach das Amt des Steuereinnehmers.87 Klára (wahrscheinlich die Tochter des István Erős) heiratete György Becsky, den Sohn des Vizegespan György Becsky, der Mitte des 18. Jahrhunderts als Oberstuhlrichter im Komitat Szatmár fungierte. Diese Nachkommen gehörten mithin zum tonangebenden Teil des Komitatsadels, keineswegs jedoch zu den Gefolgsleuten der Familie Károlyi. Wenn schon die Söhne von Gábor Erős nicht in wichtige Klientelpositionen bei der Magnatenfamilie nachrückten, so wurden sie wenigstens durch dessen Schwiegersohn ein wenig entschädigt. Die Tochter heiratete János Podhorány, der seine Laufbahn ebenfalls bei der Zipser Kammer begann. In den Quellen er-

86 MOL E 156, Nr. 47:30. 15. Febr. 1729. 87 Szirmay, Szathmár vármegye, S. 134–138.

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Gábor Erős – ein gräflicher Klient

scheint er ab Sommer 1717 als Postmeister von Szatmár.88 Das Postmeisteramt wurde oft mit dem des Tricesimators kombiniert.89 Nach dem Schlaganfall von Gábor Erős führte Podhorány de facto dessen Amt weiter, auch wenn er dem Titel nach nur als Stellvertreter seines künftigen Schwiegervaters amtierte. János Podhorány fügte sich viel geschmeidiger in das Leben der Stadt ein als sein Schwiegervater, wenn auch wahrscheinlich nicht zur Begeisterung der lokalen Elite. Als Katholik und Staatsbeamter gehörte er zu dem Personenkreis, mit dessen Hilfe die Zentralgewalt in das Innenleben der Städte eindrang. Nach erfolglosen Versuchen am Ende des 17. Jahrhunderts gelang es der Staatsgewalt nämlich erst seit etwa 1735, die relative Einheit der reformierten Elite zu brechen, denn seither wurden mehrere „fremde Elemente“ in den Magistrat berufen. Dazu zählte auch János Podhorány, der immerhin das Amt eines Konsuls bekleidete, nach dem Oberrichter das zweithöchste städtische Amt, darüber hinaus auch das neu eingeführte Amt eines perceptor proventum oeconomicalium.90 Durch ihn konnte die Kammer die Geldangelegenheiten der Stadt – zumindest für kurze Zeit – unter ihre Kontrolle bringen. Zwar wurde allenthalben behauptet, das sei nötig, um die städtische Günstlings- und Misswirtschaft zu beenden, János Podhorány scheint dafür jedoch nicht der richtige Mann gewesen zu sein. Als er nach nur vier Jahren im Amt Ende 1738 verstarb, taten sich beachtliche Fehlbeträge in seiner Abrechnung auf. Es ist unbekannt, ob das auf Veruntreuung, Inkompetenz oder andere Gründe zurückzuführen ist. Auch Podhorány stand in einem regelmäßigen Briefwechsel mit Sándor und Ferenc Károlyi. Dass er zum Klientel der Grafenfamilie gehörte, erkennt man auch daran, dass Graf Ferenc Károlyi und seine Frau bei der Taufe seines Sohnes Pate standen.91 Und doch war auch diese Beziehung zur Magnatenfamilie bei Weitem nicht so eng wie die seines Schwiegervaters. Das lag vermutlich daran, dass János Podhorány weder in Güter- noch in Steuerangelegenheiten besonders wichtige Informationen bieten konnte. Aus Tradition und infolge der konfessionellen Nähe pflegten beide Seiten einen faktisch relativ belanglosen Kontakt. Um auf die Ausgangsfrage dieses Unterkapitels zurückzukommen: Klientelbeziehungen konnten in der Tat vererbt werden, jeder Generationswechsel in den Familien des Patrons und des Gefolgsmannes enthielt jedoch ein Moment der Unsicherheit. 88 MOL P 398, János Podhorányis erster Brief an Sándor Károlyi, Szatmár, 21. Juni 1717. 89 Fallenbüchl, A szepesi kamara, S. 24. 90 AS F 20, nr. 13. 91 Sein Sohn, Gábor Podhorányi, stiftete 1765 den Jesuiten ein Haus mit Garten, das sein Vater im Jahr 1727 von der Kammer für 300 Gulden angekauft hatte. Szirmay, Szathmár, S. 208; Sarkadi Nagy, Szatmárnémeti, S. 60.



Tod eines Klienten und die Frage der Nachfolge

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Die Eignung und die Loyalität des Klienten standen auf dem Prüfstand, die Frage, ob man miteinander harmonierte, galt es erst zu klären. Hinzu kommt, dass sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die politischen und sozio-ökonomischen Verhältnisse im östlichen Ungarn und die kulturellen Selbstverständlichkeiten innerhalb der gesamten Habsburgermonarchie rasch veränderten, mit der Folge, dass sich auch der Charakter der Patronagebeziehungen wandelte.

VII.  Der Wandel der Komitats- und der privaten Herrschaftsverwaltungen im Laufe des 18. Jahrhunderts In den einführenden Kapiteln wurden die institutionellen Rahmenbedingungen des untersuchten Beziehungsgeflechts dargestellt, darunter Aufbau und Funktion der königlichen Organe in Preßburg und in der ungarischen Provinz. Dabei haben wir die beginnende Bürokratisierung im Bereich der königlichen Verwaltung angesprochen, die demjenigen Modell fürstlicher Verwaltung entsprach, das deutschen Lesern sattsam bekannt sein dürfte. Wir haben darüber hinaus auch die weniger bekannten Organe des Komitats und der privaten Güterverwaltung auf den Latifundien der Magnaten vorgestellt. Es sei betont, dass die Administrationen der Komitate und der großen Adelsherrschaften im 18.  Jahrhundert ebenfalls einen fundamentalen Wandel durchliefen, sodass man sie keineswegs als Bollwerke der Tradition oder gar als Hindernisse auf dem Weg in die Moderne missverstehen sollte. Zugleich gaben sie der Entwicklung in Ungarn eine spezifische Färbung.

VII. 1  Die Umgestaltung des Komitats Szatmár in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Im Jahre 1723 wurde vom ungarischen Landtag ein Gesetz verabschiedet, das die Komitate verpflichtete, einen festen Sitz und ein Amtsgebäude zu unterhalten.1 Entsprechend gingen die Komitate im östlichen, weithin verwüsteten Teil des Landes allenthalben daran, Komitatshäuser mit Sitzungssaal, Archiv und Gefängnis zu errichten. In diesen großzügigen Gebäuden gab es meist auch Dienstwohnungen für den Ober- und Vizegespan, wo sie für die Dauer der Sitzungen standesgemäß untergebracht waren. Oftmals war auch eine Wohnung für den Notar vorgesehen, der sich dort dauerhaft einrichtete, damit er auch in den Sitzungspausen die laufenden Geschäfte führen konnte. In den vom Krieg verschonten west­ ungarischen Gebieten waren die Notare schon im 17. Jahrhundert einigermaßen

1 Gesetzartikel LXXIII:1723.



Die Umgestaltung des Komitats Szatmár

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Abb. 22 Das Komitatshaus in Nagykároly (Ansichtskarte des späten 19. Jahrhunderts). Im Kern stammt das beeindruckende Versammlungs- und Verwaltungsgebäude aus dem späten 18. Jahrhundert. Es wurde 1780 nach Plänen von Franz Sebastian Rosenstingl erbaut. Der Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Erdbebens von 1834 erfolgte nach Plänen des berühmten ungarischen Architekten Miklós Ybl. In den Jahren 1904/05 erfolgte eine weitere Umgestaltung im Stil der Zeit.

studierte Personen gewesen, die manchmal zu Vizegespanen aufstiegen.2 Diese Tendenz setzte sich in der Friedenszeit fort. Infolge des erwähnten Gesetzes über die Komitate aus dem Jahr 1723 entwickelte sich in den regionalen Standesvertretungen zwar landesweit ein rudimentärer Bürobetrieb, es fanden sich aber weder in dem Gesetz noch in den Komitatsbeschlüssen Bestimmungen darüber, wie das Amt des Notars funktionieren sollte. Das mochte an der prekären Situation dieser überlasteten Amtsträger liegen, kann aber auch auf die Haltung der Komitatselite zurückzuführen sein, die den Notar – einen zunehmend fachgeschulten „Profi“ 2 Zur Bedeutungszunahme von Studien und von juristischen Kenntnissen bei den Amtsträgern, insbesondere bei den Notaren des Komitats, siehe: Péter Dominkovits, Die leitenden Beamten des Komitats Ödenburg im letzten Drittel des 17. und ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, in: Forscher – Gestalter − Vermittler. Festschrift Gerald Schlag, Eisenstadt 2001, S. 67–76, Ders., Sopron a XVIII. század egyik regionális oktatási központja [Ödenburg, ein regionales Schulzentrum des 18. Jahrhunderts], in: Éva Turbuly (Hg.), A város térben és időben. (Sopron kapcsolatrendszerének változásai), Sopron 2002, S. 123– 170, insb. S. 146–162.

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Der Wandel

– gegenüber dem Vizegespan – dem klassischen Exponenten einer Honoratiorenverwaltung – nicht ungebührlich aufwerten wollte.3 Obwohl sich die Komitatsverwaltungen ab Mitte des 18. Jahrhunderts erheblich weiter entwickelten, wäre es gewagt, im strengen Sinne von Bürokratisierung zu sprechen. Alle Amtsträger blieben Wahlbeamte und erhielten ihre generellen Instruktionen und aktuellen Aufträge weiterhin von der Generalversammlung des Komitats. Die Vertretungskörperschaft des Komitatsadels blieb demnach allzuständig und allmächtig. Ihr gegenüber waren die Amtsträger des Komitats zur Berichterstattung verpflichtet. Überhaupt erlangten die wichtigen Rechtsgeschäfte ihre Gültigkeit erst dadurch, dass sie vor der Öffentlichkeit der Komitatsversammlung vollzogen wurden. Doch in der alltäglichen Amtsführung ergaben sich mit der Zeit gewisse Ähnlichkeiten mit der königlichen Verwaltung. Die grundlegendste Gemeinsamkeit lag in der Ausweitung der Schriftlichkeit, die sich anhand der Menge des überlieferten Schriftguts ermessen lässt.4 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, beschleunigt noch im letzten Viertel, wuchs die Aktenproduktion der Komitatsverwaltung sprunghaft an. Diese Vermehrung regulärer Geschäfte erforderte wiederum ein auf Dauer gestelltes Personal, was dazu führte, dass die Amtsträger – trotz des weiterhin geltenden Wahlprinzips – länger dienten. Zwar lassen sich die Amtszeiten nicht immer genau errechnen, die Zahl der Amtsinhaber pro Jahrzehnt ergibt aber ein recht gutes Indiz für die Grundzüge der Entwicklung: Tabelle 4: Karrierewege von Vizegespanen im Komitat Szatmár 1701–1791 (nach dem Datum ihrer Erstwahl in ein Komitatsamt) Periode

Vizegespane, die gleich als solche amtierten

1701–1711

6

1712–1731

2

Vizegespane, die davor als Stuhlrichter dienten

Vizegespane, die davor als Notar oder Anwalt dienten

Vizegespane Notare oder insgesamt Anwälte, die nicht Vizegespane wurden 6

4

2

1

5

5

1732–1751

1

3

4

5

1752–1771

2

1

3

3

1

2

4

13

1772–1791

1

3 Alajos Degré, A megyei közigazgatás átalakulása a XVIII. század elején [Die Transformation der Komitatsverwaltung am Anfang des 18. Jahrhunderts], in: Andor Csizmadia (Hg.), Jogtörténeti tanulmányok. IV. Budapest 1980, S. 59–70, hier 61–63. 4 Vgl. die Archivführer der Komitate, MOL.



Die Umgestaltung des Komitats Szatmár

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Die Tabelle sieht von der Dauer des Dienstes ab, die sich recht unterschiedlich gestaltete, denn manche amtierten nur kurz, andere jahrzehntelang. Doch in den jeweils zwanzig Jahre umfassenden Perioden fand sich jeweils ungefähr eine Handvoll Vizegespane. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden geeignete Kandidaten noch ansatzlos in dieses Spitzenamt gewählt, während sich seit 1725 so etwas wie ein Karrieremodell herausschälte. Erst nachdem man mehrere Jahre hindurch in den Ämtern eines Notars, Anwalts oder Stuhlrichters dem Komitat gedient hatte, konnte man zum Vizegespan aufsteigen. Niemand erklomm nun den Olymp auf Anhieb, selbst die scheinbare Ausnahme des 1790 gewählten Vizegespans Károly Luby stellt sich bei genauerem Hinsehen anders dar: Vor seiner Wahl ins Spitzenamt hatte er zwar kein Amt innerhalb des Komitats Szatmár inne, diente jedoch dem Grafen Antal Károlyi in dessen Reformprojekt einer königlichen Schulaufsicht. In Josephinischer Zeit kam es zu einer personellen Ausweitung der Gesamtkörperschaft des Komitats, mit der Folge, dass nicht mehr für alle Notare und Anwälte die Möglichkeit eines Aufstiegs zum Vizegespan bestand. Die Zahl der Komitatsanwälte und Notare nahm zu, die der Stuhlrichter sogar noch mehr. Ab 1724 gab es im Komitat Szatmár in jedem der vier Distrikte einen Ober- und einen Unterstuhlrichter, dem je ein Geschworener beigeordnet war.5 Ab 1778 wuchs die Zahl der Unterstuhlrichter auf zwei pro Bezirk, zur selben Zeit wurden statt des bis dahin üblichen einen Steuereinnehmers derer fünf eingestellt. Anfang des 19. Jahrhunderts, als sich die Zahl der Einwohner des Komitats Szatmár auf etwa 80 000 belief, unterhielt man zwei Vizegespane, sieben Notare, zwölf Stuhlrichter und ebenso viele Geschworene, drei Komitatsanwälte, sieben Steuereinnehmer und einen Rechnungsprüfer als bezahlte officiales.6 Um 1800 umfasste die Komitatsverwaltung etwa eben so viele Amtsträger wie die regionale Güterverwaltung der Károlyi.7 Letztere versahen ihre Funktionen freilich als Vollzeitberuf, die officiales des Komitates übten ihr ‚nobles‘ Amt nebenher aus. Nicht nur die Zahl, auch der Dienst der Amtsträger änderte sich. Sie amtierten wie gesagt sehr viel länger als ihre Vorgänger im frühen 18. Jahrhundert, viele Stuhlrichter sogar jahrzehntelang. Und die Organe des Komitats erledigten nun eine immer länger werdende Liste von Routineaufgaben: So stellten sie auch 5 Szirmay, Szathmár , Bd. 2, S. 134–138. 6 Ebd., S. 140–143. 7 In den fünf Herrschaften (Nagykároly, Erdőd, Misztótfalu, Fehérgyarmat, Királydaróc), die sich zum größten Teil über das Gebiet des Komitats Szatmár erstreckten, dienten 1790 36 officiales, ohne die Schreiber, Jäger, Förster, Ärzte und Ingenieure. Während der napoleonischen Zeit schwoll ihre Zahl weiter an. Vgl. Pettkó/Éble, Károlyi-család birtoklási története, Bd II. Anhang (mit Personalstand von 1790).

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Der Wandel

Viehpässe aus, beglaubigten Rechtsgeschäfte und Ähnliches mehr. Dementsprechend lässt sich eine zunehmende Formelhaftigkeit in der Art, wie die Geschäfte erledigt wurden, erkennen.8 Über ihre Verwaltungstätigkeit hinaus saßen diese Amtsträger im Komitatsgericht und sprachen Recht. Ihre Urteile fußten auf vorangegangenen Untersuchungen (quaestiones, cognitiones). Bei Weitem nicht alle Untersuchungen reiften auch zu Prozessen heran, sodass ihre Analyse ein besonders breites Bild der üblichen Konflikte liefert. Die meisten Untersuchungen der Zeitspanne zwischen 1767 und 1783 wurden von adeligen Einzelpersonen beantragt, in wesentlich geringerer Zahl traten Gemeinden als Initiatoren auf, und noch seltener wurden die Komitatsorgane auf Antrag von königlichen Behörden oder von Nachbarkomitaten tätig. Ein Ersuchen um die Einleitung eines solchen Verfahrens wurde öfter nicht berücksichtigt – das Komitat war darin souverän. Das commissio, der Auftrag zu einer Untersuchung, wurde in der Regel vom Vizegespan unterzeichnet, oft mit dem Vermerk, damit einer Entscheidung der Komitatsversammlung zu folgen. Die eine Untersuchung beantragenden Privatpersonen kamen aus drei unterschiedlichen sozialen Gruppen. Zum einen initiierte die Magnatenfamilie Károlyi eine Reihe von Untersuchungen, die allesamt die Entflechtung des gemeinschaftlichen Besitzes an Wäldern und Weiden bezweckten, die bis dato von ihren Gutsbetrieben und von zahlreichen lokalen compossessores, d. h. mitbesitzenden Adeligen, genutzt worden waren. Weiterhin findet sich eine Reihe von Untersuchungsanträgen aus der Schar der Kleinadligen. Diese unterhalb der Ebene des begüterten Komitatsadels angesiedelte Schicht von armen, ja besitzlosen Adeligen bevölkerte ganze Dörfer, gehörte aufgrund ihres Adelsstatus unter kein Patrimonialgericht und brachte ihre Angelegenheiten deshalb vor die Komitatsorgane. Drittens gab es Untersuchungsantrge aus dem Komitatsadel. Unter diesen Antragstellern finden sich die Namen fast aller Familien, die auch Komitatsbeamte stellten. Die meisten Untersuchungen sollten Besitzverhältnisse klären, ein etwas kleinerer Teil der Verfahren bezog sich auf tätliche Angriffe gegen die Habe oder die Person eines Adeligen. Es bleibt noch ein kleiner Rest an Anträgen, der sich nicht eindeutig zuordnen lässt, sondern ganz unterschiedliche Sachverhalte betrifft. Die Untersuchung dieser Aktenbestände erweist, dass von einer klaren räumlichen Abgrenzung der Verwaltungskompetenzen im Komitat weiterhin nicht gesprochen werden kann. Bei den amtlichen Untersuchungen der Jahre 1767 bis 1783 8 Der Geschäftsalltag der Komitatsverwaltung ist selten studiert worden. Vgl. Lajos Haj­du, II. József igazgatási reformtörekvései és ezek végrehajtása Tolna vármegyében [Die Bestrebungen von Joseph II. zur Reform der Verwaltungstätigkeit und ihrer Ausführung im Komitat Tolna], in: ders., A közjó szolgálatában, Budapest 1983, S. 115–306.



Die Umgestaltung des Komitats Szatmár

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kamen die untersuchenden Stuhlrichter aus unterschiedlichen Distrikten, hielten sich überhaupt nicht an die Distrikteinteilung, sondern wurden überall im ganzen Komitat tätig.9 In diesem Zeitraum gab es immer zwischen acht und elf gleichzeitig amtierende Stuhlrichter, die bei gleichförmiger Verteilung der Arbeitslast im Durchschnitt fünf bis sechs Protokolle hätten ausfertigen müssen. Stattdessen lässt sich mit Ferenc Geőcz ein Stuhlrichter benennen, der allein ein Drittel aller Untersuchungen in dieser langen Periode besorgte, während andere zwei- oder dreimal eine Untersuchung durchführten, manche keine einzige. Den fleißigen Herrn Geőcz werden wir noch näher kennenlernen.10 Macht durch Teilhabe an Entscheidungen gehörte zu den Früchten der Komitatsämter. Andere Früchte bildeten das Prestige und ein nicht ganz unbeträchtliches fixes Gehalt. Man sollte zusätzlich in Rechnung stellen, dass einzelne Amtsträger neben ihrer amtlichen Tätigkeit eine umfängliche ‚Privatpraxis‘ führten, so vor allem die Komitatsanwälte. Das Gehalt ließ sich außerdem durch Diäten aufbessern, die aus einem Tagessatz in bar und aus angemessener Verpflegung bestanden, bezahlt von der Partei, die eine Amtshandlung beantragte. Obwohl die Entwicklung von Komitat zu Komitat unterschiedlich verlief, weisen die verwaltungsgeschichtlichen Studien des Rechtshistorikers Lajos Hajdu erst das josephinische Jahrzehnt (1780–1790) als die Periode aus, in der wesentliche Modernisierungsschritte erfolgten. Diese Reformen bewirkten einen wachsenden Umfang der Akten, häufigere Sitzungen der Komitatsorgane und wegen des Anschwellens der Geschäfte die Einführung bzw. die Aufwertung von spezialisierten „Kleinversammlungen“ der Komitate.11 Diese Studien haben den Nachweis geführt, dass nach dem Tod Josephs II. weder die Verwaltungstätigkeit, noch die Rechtsprechung der Komitate in die alten Bahnen zurückkehrten, sondern dass die Reformen einen bleibenden Bürokratisierungsschub bewirkten.12

9 Arhivele Naţionale Române, Direcţia Judeţeană Cluj [Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Cluj], F 21 Fondul Prefectura Județului Satu Mare [Archiv des Komitats Szatmár], Fasciculi actorum miscellaneo-juridico civilium, IV.1. Acta miscellanea juridico civilium. 10 Siehe Kapitel X. 11 Hajdu, II. József igazgatási reformtörekvései, S. 115–306. 12 Ebenda.

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Der Wandel

Tabelle 5: Jahresgehälter der Amtsträger des Komitats Szatmár im Jahre 180913 Bezeichnung des Amtes Obergespan Erster Vizegespan Zweiter Vizegespan Obernotar Erster Unternotar Zweiter Unternotar Registrator Oberstuhlrichter Erster Unterstuhlrichter Zweiter Unterstuhlrichter Ordentlicher Geschworener Oberanwalt Unteranwalt Obersteuereinnehmer Untersteuereinnehmer Distrikt-Steuereinnehmer Rechnungsprüfer Beeideter Schreiber Steuereintreibungskommissar Landvermesser Oberarzt Wundarzt

Zahl der Beamten 1 1 1 1 1 1 1 4 4 4 12 1 2 1 1 4 1 4 9 1 1 6

Gehalt in Rhein. Gulden 1 500 600 300 500 250 150 300 300 150 150 100 300 75 500 300 150 200 100 80 400 400 200

Man darf also festhalten, dass sich während und nach der josephinischen Epoche hinter der Fassade einer siegreichen adligen Selbstverwaltung zumindest partielle Bürokratisierungsprozesse vollzogen. Weiter unten wollen wir prüfen, ob durch diese Entwicklung auch die Abhängigkeitsverhältnisse im Komitat verändert bzw. 13 Quelle: Szirmay, Szatmár, Bd I., S. 140–142. Zum Vergleich: Im Jahre 1809 kostete eine Pressburger Metze Weizen 988 Kreuzer (in österreichischer Währung), eine Metze Roggen 677 Kreuzer, eine Metze Gerste 477 Kreuzer, eine Metze Hafer 438 Kreuzer und eine Metze Mais 605 Kreuzer. Man muss in Rechnung stellen, dass die Preise gerade zu dieser Zeit wegen der napoleonischen Kriege besonders hoch waren; die Durchschnittspreise waren im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert sonst wesentlich niedriger. Preis für einen Zentner Brotmehl 701 Kreuzer. Preis für ein Pfund (0,56 kg) Rindfleisch 24 Kreuzer, im Jahre 1806 nur 19 Kreuzer (1 Pressburger Metze = 62,53 Liter; 1 Wiener Zentner = 56 kg; 1 Gulden = 60 Kreuzer). József Kőrösi, Adalékok az árak történetéhez [Daten zur Geschichte der Preise], Pest 1873 (Separat vom Pestvárosi statisztikai évkönyv, Bd. I.).



Die Bürokratisierung der privaten Güterverwaltung

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transformiert wurden. Wir haben gesehen, dass es Klienten in der Wildnis geben konnte, aber gab es auch Klienten in der Ödnis einer Bürokratie?

VII. 2 Die Bürokratisierung der privaten Güterverwaltung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Vorher schreiten wir mit der ‚privaten‘ Güterverwaltung jedoch noch ein Feld ab, auf dem sich die Vermittlung von Herrschaft im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ebenfalls stark veränderte. Es sei festgehalten, dass es sich bei der Güterverwaltung in erster Linie um eine Wirtschaftsverwaltung handelte, die jedoch auf zusätzliche Ressourcen zurückgreifen konnte, die den obrigkeitlichen Machtbefugnissen der Besitzer entsprangen. Ein Bild der Wirtschaftsweise auf den großen aristokratischen Gütern in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kann am ehesten dadurch gewonnen werden, dass man die Zusammensetzung ihrer Einkünfte analysiert. Die Einkommensstruktur für sämtliche Besitzungen der Károlyi lässt sich wegen des nunmehr einheitlichen Erhebungsmodus erstmals für das Jahr 1769 rekonstruieren.14 Aus der Übersicht geht zum einen hervor, dass die Erlöse der einzelnen Herrschaften umso höher ausfielen, je näher sie zum caput bonorum, zur gräflichen Zentralverwaltung in Nagykároly lagen. Diese Struktur konzentrischer Kreise betraf sowohl die Einkünfte aus den Schankwirtschaften als auch die Erlöse aus dem Getreideverkauf. Tabelle 6: Einkommen der Herrschaften der Familie Károlyi im Jahre 1769 Herrschaftsbezirk Nagykároly Herrschaft andere Herrschaften Nagykároly Herrschaften insgesamt Grund- und Hauszins Schweineverkauf Rinderverkauf Krüge Getreideverkauf Sonstiges Insgesamt: Gesamtertrag in Rheinischen Gulden

9,6 % 0,5 % 0,3 % 64,0 % 22,9 % 2,7 % 100,0 % 93 466

37,4 % 4,7 % 4,9 % 42,4 % 1,8 % 8,8 % 100,0 % 44 782

18,6 % 1,9 % 1,8 % 57,0 % 16,0 % 4,7 % 100,0 % 138 248

Herrschaften sämtlicher Herrschafts­ bezirke 25,0 % 1,0 % 7,9 % 49,2 % 13,1 % 3,8 % 100,0 % 250 666

14 Quelle: MOL P 397, Fasz. 364. Extractus Summarius Universorum Bonorum Anni 1769.

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Der Wandel

Betont sei die geringe Bedeutung des herrschaftlichen Eigenbetriebs im marktfernen Karpatenbecken, ein Strukturmerkmal, das man so oder ähnlich in allen osteuropäischen Regionen ohne gute Verkehrsanbindung ausmachen kann. Dieser Befund ist zwar seit Längerem bekannt, nichtsdestotrotz verkündet die in der marxistischen Tradition stehende Historiografie auch heute noch die These von der überall im Osten Europas anzutreffenden zweiten Leibeigenschaft, die einer erzwungenen Getreideproduktion für westeuropäische Märkte gedient habe.15 Darauf ist hier nicht näher einzugehen, im Zentrum unseres Interesses stehen die Folgen dieser Wirtschaftsweise für die Verwaltung der herrschaftlichen Güter. Wenn Eigenbetriebe gegenüber anderen herrschaftlichen Wirtschaftsformen in den Hintergrund traten, heißt das mitnichten, dass die Herrschaften keine Güterverwaltung benötigten. Für die hohe Bedeutung der Gutsbeamten spricht schon ihre große Zahl. Einige der aristokratischen Besitzkomplexe beschäftigten am Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Dutzend Beamte. Die Herrschaftsverwaltung der Grafen Károlyi umfasste im Jahre 1760 z. B. 18 Wirtschaftsbeamte, 1790 dann 55 Amtsträger, bis 1818 wuchs deren Zahl bei gleichbleibendem Besitz auf 202 Personen.16 Warum waren sie so zahlreich? Und was war ihre Funktion? Dazu ein kurzer Rückblick: In der Wiederaufbauphase nach 1711 suchten die großen Herrschaften durch Wiedererrichtung von Bauernstellen ihre Bareinkünfte zu erhöhen. Wegen der weltmarktfernen Lage war die Getreideproduktion für den Export bis zum Ende des 18. Jahrhunderts für den größten Teil des Landes freilich keine realistische Option, lediglich in den nordwestlichen Regionen des ungarischen Königreichs gestaltete sich das relativ ertragreich.17 In allen anderen Regionen konnte man Getreide im Grunde lediglich an die Bergbaustädte und die Armee vermarkten, deren Nachfrage aber nur begrenzt und vor allem schwankend war. Vor Mitte 15 Vgl. Holm Sundhaussen, Der Wandel in der osteuropäischen Agrarverfassung während der frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Divergenz der Entwicklungswege von Ost- und Westeuropa, in: Südostforschungen IL (1990), S. 15–56, hier S. 20: „..die verheerenden Auswirkungen des Systems der ,zweiten Leibeigenschaft‘ auf die wirtschaftliche Entwicklung des neuzeitlichen Osteuropa [kann] von niemandem bezweifelt werden“. Für eine Kritik des Ost-West Dualismus siehe András Vári, Wirrwarr der Herrschaftstypen? Herrschaftselemente und regionale Typologien von Herrschaft über Bauern, in: Axel Lubinski/Thomas Rudert/Martina Schattkowsky (Hg.), Historie und Eigen-Sinn. Festschrift für Jan Peters zum 65. Geburtstag, Weimar 1997, S. 115–127. 16 Nur Wirtschaftsbeamte, d. h. ohne Praktikanten, Jäger, Trabanten (hajdú) usw. Die Conduit-Listen der Károlyi-Beamten bzw. der Personalstand für 1760 und 1790 sind abgedruckt in: Pettkó/Éble, Károlyi család birtoklási története, Bd. II. Anhang. 17 Wellmann, Der Adel, S. 117–167.



Die Bürokratisierung der privaten Güterverwaltung

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des 19. Jahrhunderts erweiterte sich die Marktbasis der Getreideproduktion auch nicht durch Bierbrauen oder Schnapsbrennen: Ungarn war Weinland. Die übrigen Zweige der Landwirtschaft, jenseits des Getreideanbaus, bildeten jedoch eine Domäne bäuerlichen Wirtschaftens. Das galt insbesondere für den Weinanbau, aber auch für die Viehzucht.18 Den einzigen Ausweg für die herrschaftliche Wirtschaftsorganisation bot die Monopolisierung des Landwarenhandels. Gerade auf diesem Gebiet gab es freilich Konkurrenten, vom Komitatsadel über den Kleinadel bis hin zu den Städten. Die Bannrechte, die sog. regalia minora, auf denen die Handelsmonopolisierung beruhte, waren nämlich in keiner Weise fest umrissen. Wir haben oben ausführlich dargelegt, welche Bedeutung diese Rechte, vor allem das Schankrecht, für die Stadt Szatmárnémeti hatte. Tabelle 6 verdeutlicht, dass auch das Einkommen der Grafen Károlyi aus ihren Gütern ganz wesentlich von den Bannrechten abhing. Die gräfliche Herrschaftsverwaltung konnte diese Einnahmen vor allem deshalb erzielen, weil in Ungarn das in den österreichischen Ländern übliche einengende Prinzip fehlte, dass diese Rechte ausschließlich dazu dienten, den Eigenbedarf des Herrn zu decken.19 Die Lage stellte sich extrem verwickelt dar, weil die regalia minora einerseits als adlige Pertinenzien galten, die an jeder Parzelle in Adelsbesitz ‚klebten‘, die großen Herrschaften andererseits versuchten, die Zahl der Berechtig18 Freilich bot die Wiederbesiedlung weitsichtigen Herren die Möglichkeit, im Gegenzug für feste Besitzrechte und festgeschriebene mäßige Robotforderungen das Anzapfen der bäuerlichen Warenbestände vertraglich zu begründen. Graf Sándor Károlyi hat sich schon 1712, im ersten Entwurf des Kontraktes der deutschen Siedler, im Gegensatz zu den in dieser Gegend bis dahin allgemein üblichen fixen Bergrechten den Weinzehnten ausbedungen. Vgl.: Vonház, A Szatmár megyei, Okmánytár [Urkundenbuch] Nr. 9, weiter Nr. 36, 37, 73. Nach Ablauf der sieben Freijahre betrugen die Weinmengen aus dem Weinzehnt der deutschen Dörfer 1761 schon 45 % der gesamten Weinzehnteinnahmen und 30 % der Einnahmen von Wein aus dem gesamten Nagykárolyer Herrschaftsbezirk überhaupt. Dies ist beiderlei Hinsicht weit überproportional. Demnach gaben Altsiedler und Siedler anderer Nationen lieber den Schweiß ihres Angesichts beim Roboten, nicht aber ihrem Wein. MOL P 406 Központi gazdasági kancellária – Gazdasági és jogügyi igazgatóság – Régensi hivatal [Cancellaria oeconomico-centralis – Oeconomico-juridica Directio – Acta regentialia], 1789, fons 4, fasc. 1; fons 1. fasc. 1, weiter MOL P 397, I. C/2, No. Proth. 325. 19 „Dieses Vorkaufsrecht bot dem Grundherren die Möglichkeit, sich als Zwischenhändler einzuschalten. In Zeiten der Konjunktur konnten sie hohe Gewinne erzielen, indem sie ihre Grundholden zwangen, ihnen ihre Produkte zu einem wohlfeilen Preis zu verkaufen, während sie ein günstiges Angebot abwarteten.“ Helmuth Feigl, Die niederösterreichische Grundherrschaft vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianisch-josephinischen Reformen, Wien 1964, S. 98, vgl. noch S. 43. Freilich gesteht er ebendort, dass dieses Recht schon ab 1534 per Patent den Herren nur noch für den Eigenbedarf eingeräumt worden war.

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Der Wandel

ten zu begrenzen, vor allem die Bannrechte der Kleinadeligen zu bestreiten oder an Bedingungen zu knüpfen.20 Geschwächt wurde die Position der Güterverwaltungen durch die Urbarialregulierung von 1767, die unter anderem darauf abzielte, die herrschaftlichen Bannrechte zugunsten der bäuerlichen und städtischen Gemeinden zu beschneiden. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der Herrschaftsverwaltungen unterschieden sich in der Intensität der Aufsicht, wobei sie dem Modell Thünenscher Kreise entsprachen: konzentrisch angeordnete Wirtschaftszonen, von außen nach innen immer intensiver werdend. Im äußeren Bereich geringster Aufsichtsintensität versuchten die Herrschaftsverwaltungen lediglich, die herrschaftlichen Gerechtsame aufrechtzuerhalten. Die Verwaltungen mussten dort zumindest diejenigen Abgaben, die Herrschaftsrechte stifteten bzw. die ihr Bestehen bewiesen, um jeden Preis eintreiben, die symbolischen, rechtswahrenden Handlungen (z. B. Grenzbegehungen) vornehmen, die ständige Nutzung von umstrittenen Flächen und Anrechten aufrechterhalten und rechtsmindernde Handlungen Dritter abwehren. Im nächst engeren Kreis trieben sie außerdem Naturalabgaben wie den Zehnten oder den Neunten ein, was bereits deutlich mehr Wissen und Macht über die Untertanen voraussetzte. Im engsten Kreise um den Herrschaftssitz monopolisierten sie, gestützt auf die Bannrechte, den Landwarenhandel, allen voran den Ausschank. Dies erforderte nicht nur Orts-, Waren- und Marktkenntnisse, sondern auch eine gut funktionierende Verwaltung. Denn die Handelsmonopolisierung war nicht allein wegen der rechtlichen Unklarheiten umkämpft, diese Monopole erbrachten Extraprofite, und schon deswegen traten Konkurrenten auf, ob sie nun formal dazu berechtigt waren oder nicht. Diese Art herrschaftlicher Abschöpfung erforderte bedeutende Organisationsleistungen. Zur Belieferung der Schenken und allgemein beim Warentransport wurden bäuerliche Robotfuhren eingesetzt. Besonders die mehrtägigen Fuhren über größere Distanzen waren hart umkämpft und wurden 1767 durch die Urbarialregulierung eingegrenzt. Ließ die Herrschaft die Waren mit den üblichen Eintagesfuhren von Robotpflichtigen befördern, musste sie eine Transportkette organisieren, zumal die Länge eines Spannrobottages gesetzlich begrenzt war. 20 Vgl. (Anonym), A magyar polgári törvény [Ungarisches bürgerliches Gesetzbuch], Sárospatak 1824, S. 108–110. Demnach standen regalia minora eigentlich dem Grundherren zu. Einzelnen adeligen Höfen in königlichen Städten oder Mediatstädten gehörte dieses Recht nur aufgrund besonderer Privilegierung oder nachgewiesenem, ungestörtem usus. Bei einem adeligen compossessoratus ging die Vermutung jedoch dahin, dass, solange das Gegenteil nicht bewiesen wurde, alle compossessores proportional an den „jure regalia minora“ teilhatten.



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Die Zahl der Möglichkeiten der Glieder einer solchen Transportkette, sich trotz Aufsicht an falscher Stelle oder zum falschen Zeitpunkt einzufinden, ist nahezu unbegrenzt.21 Entsprechend groß war der Kontrollaufwand und dessen Grenznutzen war schnell erreicht. Auch daraus erklärt sich die Einkommensstruktur der gräflichen Herrschaften: Der Anteil der Einnahmen aus den Handelsmonopolen und aus Getreideverkäufen erreichte in der Zentrale der Gutsverwaltung seinen höchsten Wert, während der Anteil des Haus- und Grundzinses an den Einnahmen in den Außenherrschaften zwei- bis viermal so groß war wie im Zentrum. Weiter draußen wurden die Krüge meist verpachtet, in der Kernzone häufig in Eigenregie betrieben. Offensichtlich bestand eine Chance zur Einkommenssteigerung darin, die Kontrollintensität der inneren Kreise bis an die Grenzen des äußersten Kreises auszudehnen, stets im Kampf mit dem benachbarten Adel und den Dorfgemeinden. Der Wunsch, die Erlöse zu vermehren, veranlasste zielstrebige Herren schon im 17. Jahrhundert eine reguläre Gutsverwaltung einzurichten. Die zuvor in den Instruktionen für die Herrschaftsverwaltung unsystematisch aufgeführten Verhaltensregeln wurden seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem organisatorischen Kanon zusammengefasst, der die wesentlichen Merkmale einer bürokratischen Verwaltung enthielt.22 Der Verwalter wurde für seine Tätigkeit bezahlt und konnte außer Gehalt und Deputat keinerlei herrschaftliche Ressourcen beanspruchen. Er arbeitete nach Regeln, die in wiederholt aufgelegten Instruktionen immer detaillierter festgeschrieben wurden. Zuguterletzt wurde seine Verwaltungstätigkeit in eine Kompetenzhierarchie integriert. Dieses organisatorische Ideal kann man nach den Kriterien Max Webers zumindest partiell als bürokratisch bezeichnen. Freilich, in den Kriegszeiten des 17.  Jahrhunderts blieb das organisatorische Wissen vielfach folgenlos. Die Wirren des Krieges, die im Vergleich mit dem 18. Jahrhundert geringere Größe der herrschaftlichen Wirtschaftsorganisationen, gekoppelt mit der Neigung der Herren, die von ihnen selbst gesetzten hierarchisch geordneten Kompetenzen zu durchbrechen und sich direkt in Detailfragen einzumischen, schließlich die äußerst dürftige Alphabeti21 So fragte man sich 1760 in der Zentralverwaltung nach dem Ursprung von drei Paar Mühlsteinen für eine Trockenmühle, die man vor der Kirche in Olcsva am Wegrand gefunden hatte. Offensichtlich waren die Wagen aus der Nachbarherrschaft zu früh oder zu spät eingetroffen. Mühlsteine wurden in herrschaftlicher Eigenregie in der Nachbarherrschaft Salánk gebrochen. MOL P 397, I A.1. Prot. Sed. Oec 1760, S. 78. 22 Ausführlicher bei András Vári, Der Großgrundbesitz als Konfliktgemeinschaft, in: Jan Peters (Hg.), Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich, Berlin 1996, S. 253–273.

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sierung engte die Geltung der rationalen Ordnung in der Güterverwaltung ein.23 Dies ging zeitweise so weit, dass man sie nur als eine bürokratische Schimäre ohne Realitätsgehalt bezeichnen kann.24 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begegnen wir jedoch auf den Herrschaftskomplexen der Magnaten durchweg Verwaltungen, die sich dem bürokratischen Ideal immer mehr annähern, so auch im Falle der gräflichen Familien Károlyi, Grassalkovich und Festetics.25 Diese Komplexe setzten sich aus zahlreichen Einzelherrschaften zusammen, die jeweils von einem Hofrichter (provisor) geleitet wurden, dem zwei oder drei weitere officiales untergeordnet waren, meist ein Rentmeister (rationista), ein Kastner (frumentarius) und ein Beschließer (claviger). Dazu kamen weitere Schreiber und einiges Hilfspersonal. Eine zahlenmäßig große Organisation war auf den einzelnen Gütern aber eher eine Seltenheit.26 Vorausgesetzt, der Besitzer behielt eine solche Einzelherrschaft sorgsam im Auge, blieb die altertümliche, auf ein oder zwei umfassend loyalen Dienern basierende Organisationsform konkurrenzfähig. War der Herr jedoch dauerhaft abwesend oder wuchs die Zahl der Herrschaften in einem Maße, dass sie nicht länger in enger Folge in Augenschein genommen werden konnte, dann schlug die Stunde der Bürokra23 Vgl. István Hetyéssy, A Nádasdy-uradalom gazdatisztjeinek termelési és elszámolási vitája 1623/24-ben. [Der Streit der Wirtschaftsbeamten der Nádasdy-Herrschaft um Produktion und Rechnungslegung in den Jahren 1623–24], in: Agrártörténeti Szemle IX (1967), S.  457–479. Hier wurden die Rechnungen erst post festum, im Nachhinein zusammengestellt, und die Wirtschaftsbeamten erhielten von mehreren „Dienstherren“ auch mündliche Anweisungen, was Chaos und Streit hervorrief. Der Verfasser des Artikels erklärt den Streit allerdings mit den lebensfremden Beschuldigungen des bürokratischen Kontrolleurs. 24 Der Hofrichter von Fürst György Rákóczy I. verteidigt sich im Jahre 1647 mit dem Hinweis, er könne den Rechnungen keine Belege beilegen, da in den dortigen (Herrschaft Székelyhíd in sog. Partium) Ortschaften ein Mangel an Schreibkundigen herrsche. Vgl.: László Makkai (Hg.), I. Rákóczi György birtokainak gazdasági iratai (1631–1648) [Wirtschaftsakten der Besitzungen von György Rákóczy I. 1631–48], Budapest 1954, S. 543. Vgl. auch István György Tóth, Az írás térhódítása a paraszti és a nemesi kultúrában (Vas megye 17–18. század). [Die Verbreitung der Schrift in der adeligen und in der bäuerlichen Kultur. Das Komitat Vas im 17. und 18. Jahrhundert], Dissertation, Budapest 1991; ders., Mivelhogy magad írást nem tudsz... Az írás térhódítása a művelődésben a kora újkori Magyarországon [Die Verbreitung der Schrift in Ungarn in der Frühneuzeit], Budapest 1996. 25 András Vári, A nagybirtok, birtokigazgatásának bürokratizálódása a 17–19. században [Die Bürokratisierung der Güterverwaltung auf dem Großgrundbesitz im 17.–19.  Jahrhundert], in: Történelmi Szemle 32 (1990), S. 1–28. 26 Für eine schematisierende Beschreibung dieser Hierarchie siehe Wellmann, A gödöllői Grassalkovich-uradalom, S. 118.



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tie. Entsprechend wurden die Begriffe und Praktiken der neuen administrativen Ordnung auf den großen Herrschaftskomplexen langsam, sozusagen im Vollzug ausgeformt, sodass sie am Ende des 18. Jahrhunderts voll herangereift waren. Die neu eingeführte Instanz eines unabhängigen Rechnungsprüfers beschleunigte den Prozess weiter. Bezeichnenderweise formulierte der Rechnungsprüfer Dudovits, der wohl gescheiteste Beamte innerhalb der Güterverwaltung der Grafen Károlyi, im Jahre 1780 anlässlich einer regelmäßig abzuliefernden Aufstellung ein ausführliches Memorandum über die Frage, was in diesen Tabellen für den Herrn traditionell als Ausgabe aufgeführt wurde und was tatsächlich als sachlich begründete Ausgabe zu gelten hatte.27 Woher rekrutierte man das Personal der Güterverwaltungen im Allgemeinen und die Vollstrecker der Rationalisierungsbestrebungen im Besonderen? Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stammten die Herrschaftsverwalter ganz überwiegend aus dem Komitatsadel, bisweilen auch aus dem Kleinadel. Diese Wirtschaftsbeamten brachten ein gewisses Eigenvermögen mit, was bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schon allein deswegen eine Einstellungsvoraussetzung bildete, weil ein letztes, ziemlich wirksames Mittel der Herren gegen mögliche Veruntreuungen ihrer Verwalter in der Möglichkeit bestand, sich an deren Privatvermögen schadlos zu halten.28 Jenseits solcher Überlegungen waren wohl auch patriarchalische Auffassungen leitend, was an der weit verbreiteten Sitte sichtbar wird, die leitenden Herrschaftsverwalter nicht nur mit Gehalt und Deputat, sondern auch mit Pfandbesitz (inscriptio) zu belohnen, im frühen 18.  Jahrhundert noch mit einzelnen Bauernstellen oder ganzen Dörfern, seit den 1730er Jahren dann mit kleineren ‚Portionen‘, wie einem Haus als Dienstsitz mit einigem Acker- und Gartenland im Wert von 200 bis 1 000 Rheinischen Gulden.29 Angaben zur Rekrutierung der Beamten sind nur schwer zu ermitteln. In der Verwaltung der Grafen Károlyi gab es zwischen 1760 und 1790 sowohl Sprösslinge des heimischen Komitatsadels als auch Zuwanderer aus fernen Komitaten, vermutlich jüngere Söhne des dortigen Adels. Es finden sich aber auch Beispiele 27 MOL Archiv der Familie Károlyi, P 1503 Antal Károlyi, Extractus Veri Proventus Anni 1780, von János Dudovits, exactor. 28 So wies schon Graf Miklós Bethlen im 17. Jahrhundert seinen obersten Wirtschaftsbeamten an: „wenn er Wirtschaftsbeamte anstellt, so sollen sie sowohl in den rechtlichen Angelegenheiten wie auch in Bezug auf die Führung der Vorwerke gut bewanderte Leute, und nicht irgendwelche fremde, sondern begüterte adelige Menschen sein“. Gr. Bethlen Miklós gazdasági utasítása, in: Magyar Gazdaságtörténei Szemle II (1895), S. 45–51, hier S. 46. 29 Vgl. die Schätzung der Werte von 37 zur Wiederablösung vorgesehenen inscriptiones, von denen 14 bei ehemaligen Wirtschaftsbeamten der Károlyi lagen: MOL P 397, IV.1. Sváby Kristóf iratai. „Tabularis Conspectus Inscriptionalistarum“.

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für Wirtschaftsbeamte aus den Reihen der Hörigen, die zuerst manumittiert, dann mit Pfandbesitz an Äckern und Weinbergen ausgestattet und schließlich auch noch nobilitiert wurden.30 Der Anteil nichtadeliger Beamter und Schreiber lässt sich erst für den Zeitraum 1814–1818 halbwegs verlässlich feststellen.31 Tabelle 7: Rechtliche Stellung der Beamten der gräflich Károlyi’schen Familie, 1814–1818 Art der Quelle

Beamte adliger Herkunft

Beamte gemeiner Herkunft

Zusammen

Matrikel

21

27

48

Andere Quelle

19

7

26

Insgesamt

40

34

Keine Angabe

74 112

Wenn man annimmt, dass diejenigen, über deren Rechtsstellung wir keine Angaben haben, zu gleichen Teilen dem Adel und dem Dritten Stand angehörten, so machten die Edelleute eine knappe Mehrheit von etwa 55 % aus. Eine rational verfahrende Verwaltung arbeitete freilich ohne Ansehen der Person des Verwalters. Deswegen forderten die Instruktionen für das Herrschaftspersonal, dass sie für ihre Person das herrschaftliche Patrimonialgericht als Gerichtsstand akzeptierten und auf das Adelsprivileg verzichteten, nur vor dem 30 Der „perceptor“ Ferenc Mede übte seine Funktion innerhalb des gesamten Nagykárolyer Herrschaftsbezirks aus, stand also auf dem vierten oder fünften Platz in der Gesamthierarchie. Er wurde 1751 manumittiert, 1755 geadelt, erhielt zwei Hufen als Pfandbesitz (inscriptio) in der Mediatstadt Nagykároly, 1775 Befreiung vom Weinzehnt für seinen Rebbesitz auf dem Weinberg in Peér. Zu seinem Pfandbesitz in der Mediatstadt gehörten etwa 62 ha Acker und Wiese, der Wert der Meliorationen des Grundes und des städtischen Hauses wurde im Jahre 1802 auf 3 028 Rh. Gulden geschätzt. Die Schätzung wurde vorgenommen, weil die Herrschaft in Begriff war, das inscriptio wieder einzulösen. Die Karriere des Beamten ging aber schon 1787 mit Zahlungsrückständen von mehreren Tausend Gulden jäh zu Ende. MOL P 392, Lad. 8. No. 183–195; MOL P 1531, No. 869, 1644; P 407, No. 533, 840, 956. 31 Quelle: Matrikel der Geburtsorte der Beamten, insofern sie auf dem Gebiet des heutigen Ungarns oder in der heutigen Slowakei liegen. Rumänische und ehemals sowjetische Archive waren nicht zugänglich. Die angeführten „anderen Quellen“ sind überwiegend die Conduit-Listen der Beamten (MOL P 407, 1815, Nr. 137, 139; 1818, Nr. 911, Nr. 1915, Nr. 1444), ergänzt durch die Angaben aus den adelsgeschichtlichen Handbüchern und Komitatsmonografien.



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Herrenstuhl verklagt werden zu können.32 Für die Adligen unter den Herrschaftsbediensteten bedeutete das einen deutlichen Statusverlust. Demgegenüber erhielten die Gutsverwalter aus Familien mit Hörigenstatus kraft ihrer Anstellung die Freistellung von Vorspann, Einquartierung und Landessteuern, und näherten sich damit klar dem adligen Stand an.33 Bemerkenswerterweise zeigen die Personalakten der Wirtschaftsbeamten, die sich am Beginn des 19. Jahrhunderts einbürgerten, kein Interesse an der Standeszugehörigkeit der Beamten, obwohl sie ansonsten alles genauestens festhielten. Keine Hinweise auf Standesfragen enthält auch das erste ungarische Handbuch für Gutsverwalter aus der Feder eines ehemaligen Beamten der Grafen Festeticsts, deren Praxis landesweit als besonders fortschrittlich galt.34 Offenbar hielt man die traditionelle ständische Trennungslinie in dieser Frage für nicht sonderlich relevant. Die Herkunft der Wirtschaftsbeamten interessiert auch uns nicht per se. Es ist allerdings von Belang, dass die fortschreitende Bürokratisierung dazu führte, dass in den Gutsverwaltungen Personen kooperierten, die aus unterschiedlichen Segmenten der ständischen Gesellschaft stammten und daher in verschiedene soziale Rollen eingeübt waren. Die ausgeprägte Mischung des Personals erwies sich in vielerlei Hinsicht als vorteilhaft: So beherrschten die Beamten in der Regel drei bis vier Sprachen, was angesichts der ethnisch-konfessionellen Segmentierung der Region erforderlich war. Die Wirtschaftsbeamten wussten aber auch über mehrere kulturelle Stile und Deutungsrahmen Bescheid.35 Was diese Fähigkeiten bedeuteten, werden wir in Kapitel X zur intermediären Herrschaft klären.

VII. 3  Vertrauensleute und Bürokraten in Alltag und Krise Für die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war entscheidend, dass sich zwischen den Akteuren – dem patronus und seinen Klienten – eine im32 So z. B. die Instruktion des Fürsten Esterházy aus dem Jahre 1710: Esterházy herczeg 1710iki utasítása csobánczi és keszthelyi tiszttartójához, in: Magyar Gazdaságtörténeti Szemle III (1897), S. 310–313. 33 János Nagyváthy, Magyar gazdatiszt [Der Ungarische Wirtschaftsbeamte], Pest 1821, S. 244. 34 János Csondor, Gazdaságbeli számadó és számvevőtiszti utasítások... [Die Wirtschaft betreffende Instruktionen für die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung], Keszthely 1819, Anhang, Tab. 1. 35 András Vári, „Előértelmiségiek“. Értelmiség és nyelvhasználat a magyar nagybirtokon a XIX. században [„Protointellektuelle“. Intellektuelle und Sprachgebrauch auf dem ungarischen Großgrundbesitz im 19. Jahrhundert], in: Világosság 29 (1988), Nr. 5, S. 316–321.

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mer größer werdende räumliche Distanz auftat. Wie oben gezeigt, wohnte ab Ende der 1750er Jahre kein Mitglied der gräflichen Familie mehr in Nagykároly oder einem anderen Herrschaftssitz der Region. Gleichzeitig wurde es aufgrund der wachsenden Komplexität der Verwaltungen im Komitat und auf dem privaten Gutsbesitz immer schwieriger, Leben, Schalten und Walten der vom Magnaten Abhängigen zu überschauen. Ob diese Klienten dadurch an Autonomie gewannen, bleibt noch zu prüfen. Durch die Veränderungen ging auf jeden Fall der familiäre Charakter der Klientelbeziehung verloren. Auch wenn wir weiterhin den Begriff Klient verwenden, sei festgehalten, dass sich die lokalen Vertrauensleute der Grafen Károlyi von ihren Vorgängern vor 1750 deutlich unterschieden. Da die gräflichen Patrone fernab von Szatmár wohnten, steuerten sie das politische Leben im Komitat durch vertrauliche Briefe. In der Korrespondenz von Antal Károlyi vom Herbst 1759 bis Herbst 1761 mit seinen Vertrauensleuten in der Provinz geht es um viele unterschiedliche Themen, um Übergriffe des Militärs auf die örtliche Bevölkerung, um die Versuche junger Männer, sich vor dem Militärdienst zu drücken und die Hilfe, die ihnen dabei von ihren Grundherren gewährt wurde, um die populäre schismatische Bewegung innerhalb der griechischkatholischen Kirche, die der walachische Mönch Sophronie Ende 1760 lostrat,36 um die Zwistigkeiten mit dem Nachbarkomitat wegen der Sperre, die gegen die Ausbreitung dieser religiösen Bewegung errichtet wurde, um den Zustand der herrschaftlichen Kassen sowie um mögliche Kreditgeber.37 Der Kreis der Korrespondenzpartner aus dem Komitat war begrenzt. Am häufigsten wurden die beiden Vizegespane, László Becsky und Pál Tolnay, angeschrieben, weiterhin der Steuereinnehmer des Komitats, József Zanathy, schließlich der frühere Anwalt der Herrschaft und jetzige Komitatsanwalt Sándor Gáspár sowie der aktuelle Herrschaftsanwalt Szabó. Diese Vertrauten, die der Graf oder sein Vater persönlich in ihre Ämter gehievt hatten, erschienen ihm offenbar als die geeignetsten Vermittler seines Willens im Komitat. In dem Maße wie der Magnat seine Eigenschaft als lokal residierender, die Schar der Klienten persönlich beaufsichtigender Herr einbüßte, entstand das Bedürfnis nach einem Statthalter, der dem immer komplexer werdenden herrschaftlichen Wirtschaftsverband insgesamt vorstand. Als ebenso notwendig erwiesen sich jedoch weiterhin klientelare Bindungen zu anderen Beauftragten, die kaum kontrollierbare oder besonders heikle Aufgaben erfüllten und die sich gegenseitig beaufsichtigten.

36 Siehe Keith Hitchins, The Romanians 1774–1866, Oxford 1996, S. 202–203. 37 MOL P 1503, Akten von Antal Károlyi, fasc. 1.



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Es stellt sich die Frage, wieso eine mehr oder weniger bürokratisierte Verwaltung überhaupt gesonderte Kanäle persönlicher Einflussnahme zuließ. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass bürokratische Organisationen – im Gegensatz zur Annahme Webers – immer eine informelle Parallelstruktur aufweisen.38 Die Funktionsweise einer Bürokratie ist in der Tat an Satzung, Kompetenzen und Verfahrensregeln gebunden.39 Daneben gibt es aber stets auch eine andere, von den verschriftlichten Regeln abweichende Funktionsweise, die auf der Routine der Amtsträger und der vertrauensvollen Zusammenarbeit des Verwaltungspersonals aufbaut. Damit kann Verschleppung und Schlamperei, aber auch schnellere und effizientere Erledigung der Geschäfte einhergehen. Die informellen Beziehungen unter den Trägern der Verwaltung sind dabei wesentlich, denn nur vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Vernetzung können sie es wagen, abweichend von oder ergänzend zur gesatzten Ordnung vorzugehen. Informalität kann durchaus Effizienzreserven freisetzen. Will man diese Reserven aktivieren, muss man die personalisierte Ebene ansprechen. Wenn also die Magnatenfamilie aus irgendeinem Grund den Eindruck gewann, dass sie ihre Machtbasis und materiellen Ressourcen mithilfe der normalen Verwaltung nicht hinreichend unter Kontrolle halten konnte, bot sich der Rückgriff auf das vertraute Klientelverhältnis an. Das war vor allem dann der Fall, wenn sich Krisen einstellten, entweder, weil Entwicklungen eintraten, die sich der normalen Reichweite der Herrschaftsverwaltung entzogen, oder wenn die Herrschaftsadministration selbst in eine Krise geriet. Beides trifft für die Jahre 1758 bis 1760 auf den Gütern und innerhalb der Familie der Grafen Károlyi zu. Schon Sándor Károlyi hatte sich mit dem Ankauf von immer mehr Gütern und mit der Aufstellung eines eigenen Regiments in den 1730er Jahren finanziell so sehr übernommen, dass einer seiner Gläubiger im Jahr 1741 gegen ihn eine executio, eine Zwangsvollstreckung, über 100 000 Rheinische Gulden zu erwirken versuchte, die der Graf nur mit Mühe, Not und einigen Tricks abwehren konnte.40 Seinem Sohn Ferenc gelang es zwar, die Besitzungen noch weiter zu vermehren, die Schulden wuchsen allerdings auch. Nach dem Ableben von Fe38 Vgl. Albert Breton/Ronald Wintrobe, The Logic of Bureaucratic Conduct. An Economic Analysis of Competition, Exchange and Inefficiency in Private and Public Organizations, Cambridge 1982. 39 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie (5. Aufl.), Tübingen 1972, S. 561. 40 Darüber die eigene Darstellung von Károlyi in: Codicillus... Illumini Domini Alexandri quondam Comitis Karolyi Testamento ipsius die 18a Martii 1719 emanato subnexus, datum Sándor Károlyi, Éradony, 29a Aug. 1742. MOL P 392, Lad. 8. No. 158.

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renc Károlyi sah sich dessen Sohn und Erbe, Graf Antal, mit einer tiefen Liquiditätskrise konfrontiert. Nichts veranschaulicht das Ineinandergreifen von unterschiedlichen Beziehungsmustern so deutlich, wie eine solche Krise.41 Schon zu Lebzeiten von Sándor Károlyi, vollends nach dessen Tod im Jahre 1743, hatte sich eine Gruppe der Gutsverwaltung bemächtigt, die aus Demeter Rácz und anderen ebenfalls griechisch-katholischen Adeligen aus dem nördlichen Nachbarkomitat Máramaros bestand. Die Vorhut dieser Clique bildete besagter, 1710 geborener Demeter Rácz, der 1730 in den Dienst des alten Grafen Károlyi trat und ab 1732 als sein secretarius fungierte.42 Schließlich wurde ihm 1734, nach Aufstellung des gräflichen Regiments, auch noch die delikate Aufgabe anvertraut, im Rang eines Leutnants auf den jungen Grafen Ferenc während seines Dienstes im Feld aufzupassen, denn für Sándor Károlyi bildeten die bescheidenen Fähigkeiten und das aufbrausende Temperament seines Sohnes einen ständigen Anlass zur Sorge. Der erste Pfandbesitz, den Demeter Rácz im Jahre 1735 erhielt, wurde mit eben diesem Begleitdienst begründet.43 Anschließend diente Rácz als einer von mehreren Leitern der um diese Zeit ziemlich chaotischen Güterverwaltung, in die der alte Graf Sándor, der junge Graf Ferenc sowie dessen Ehefrau Krisztina Csáky ständig spontan hineinregierten. In Nagykároly lernte Demeter Rácz die Schwägerin des jungen Grafen, Konstancia Csáky, kennen, die nach dem Tod ihrer Schwester 1736 die Erziehung ihrer verwaisten Nichte und ihres Neffen übernommen hatte. Demeter Rácz heiratete die unvermögende und nicht mehr ganz junge Konstancia ohne Einwilligung der gräflichen Familie und handelte sich damit den Groll des alten Grafen ein, der ihm sogar einen Teil seines Pfandbesitzes wieder abnahm. Demeter Rácz saß den Sturm jedoch mit beharrlicher Standfestigkeit aus – nach zwei Jahren hatte er sich gelegt. Etwa um diese Zeit gelangten die Gebrüder Szaplonczay in die gräflich Károlyi’sche Verwaltung, Glaubensgenossen und Verwandte mütterlicherseits von Demeter Rácz, unvermögende Adlige aus dem nördlichen Nachbarkomitat Máramaros. Diese Familie war mit Kindern besonders reich gesegnet. Die Generation, die sich Anfang der 1740er Jahren auf den Besitzungen der Károlyi breit 41 Eigentlich gab es zwei Erben, denn auch die Schwester von Antal meldete Ansprüche auf die Erbschaft an, doch darauf wird hier nicht eingegangen. 42 Über seine Person, sein Mäzenatentum bzw. seine Förderung der griechisch-katholischen Kirche siehe neuerdings die herausragende Kleinmonografie: Terdik, Rácz Demeter, S. 333–380. 43 MOL P 392, fasc. 11, lad. 10, No. 126. Es handelt sich um die Erlaubnis, ein schon als Pfand veräußertes Dorf (Mezőpetri) auszulösen und für 25 Jahre ebenfalls als Pfand zu besitzen.



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machte, wies acht erwachsene Brüder auf, davon gelangten vier erwiesenermaßen in leitende Positionen in der Herrschaftsverwaltung, von zwei weiteren kann man es vermuten.44 Sie erhielten bedeutenden Pfandbesitz. Im ersten Pfandbrief für Kristóf Szaplonczay über zwei Hufen in der Mediatstadt Nagykároly aus dem Jahre 1754 heißt es, dass sein Dienst schon 12 Jahre währte.45 Dieser Pfandbrief des Grafen Ferenc ist mit einem Zusatz von dessen Sohn, Graf Antal, versehen, dass er dem „gnädigen Befehl seines Vaters in allem Folge leisten wird“. Das war bei Pfandbriefen absolut unüblich und deutet auf Spannungen zwischen Vater und Sohn im Zusammenhang mit dieser Besitzübertragung hin. Im Jahr 1757 kamen weit bedeutendere Stücke hinzu: Die kleine Herrschaft Kéc, die im Jahre 1827 etwa 34 000 Rheinische Gulden wert sein sollte, wurde für 15 Jahre an den Vorsteher des gräflichen Hofes, János Szaplonczay, verpfändet. Das Dorf Porcsalma wurde 1758 fast zur Gänze an Kristóf Szaplonczay verpfändet, der den Besitz mit einem Ansiedlungsprojekt aufwertete.46 Beim Tod des Grafen Ferenc im Jahr 1758 waren die Gebrüder Szaplonczay so stark, dass sie die ganze Organisation auch ohne Hilfe von Demeter Rácz hätten kontrollieren können. Neben der Verwandtschaft mit Rácz half ihnen wahrscheinlich auch, dass der gerissenste von ihnen, Kristóf Szaplonczay, mit Julianna Jasztrabszky verheiratet war, der Tochter eines alten und wichtigen Klienten der Károlyi und Vizegespan des Komitats in den 1730er Jahren.47 Auch Demeter Rácz schlug nicht unerheblichen Profit aus seiner Vertrauensstellung. Er vertrat die gräfliche Familie als plenipotentiarius in allen wichtigen Geschäften und erhielt als Belohnung für seine treuen Dienste mehrere Dörfer in Pfandbesitz.48 Außerdem zählte er mit einer Kreditsumme von über 26  000 44 György Petrovay, A Szaplonczay család leszármazása 1360-tól (Három címerrajzzal) [Die Abstammung der Familie Szaplonczay ab 1360 (mit drei Wappenzeichnungen)], in: Turul XIX (1901–1902), S. 73–85. Zu den Ämtern und Positionen: János leitete die gräfliche Hofhaltung als Hofkapitän, Illés war Hofrichter der Herrschaft Csongrád, Kristóf war 1752–1760 Inspektor, d. h. die zentrale Instanz im Herrschaftsbezirk Nagykároly, die die Mehrheit der Herrschaften umfasste, László war Hofrichter der Herrschaft Nagykároly. Vgl. MOL P 397, I. A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve 1760 [Der Schriftverkehr der Wirtschaftskommission von Nagykároly, 1760]. 45 MOL P 392, Lad. 8. No. 199, Inscriptionales super Domo Christophi Szaplonczay. 46 Pettkó/Éble, Károlyi-család birtoklási története, Bd. I, S. 47, 51, 124. 47 Petrovay, Szaplonczay család, S. 73–85. 48 Weiterer Pfandbesitz: einzelne Grundstücke mit Hufen in der Gemarkung von Nagykároly und das Dorf Vezend, das damals mit einem Wert von 5 000 Rh. Gulden inskribiert wurde, vgl. Terdik, Rácz Demeter; Pettkó/Éble, Károlyi család birtoklási története, Bd. I, S.  19 über Mezőpetri, dann S.  21 über Mezőterem, ein Irrtum, Rácz wollte dies haben, bekam es aber nicht, dann Bd. I, S. 22 über Vezend und Bd. I, S. 152–153 über Aradvány.

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Rheinischen Gulden zu den wichtigsten Gläubigern der Károlyi. Zum Vergleich: Das war etwa so viel wie der jährliche Ertrag aller sechs Herrschaften im Bezirk Nagykároly, ohne die Einkünfte des caput bonorum, der Herrschaft Nagykároly selbst.49 Insgesamt scheint Rácz eine der ganz wenigen Personen im Komitat gewesen zu sein, die stets über bedeutende Bargeldreserven verfügten. Die Herkunft dieser Mittel ist nicht ersichtlich. Das auffällige Gedeihen der Szaplonczay-Clique und ihre Art der Wirtschaftsführung dürfte den jungen Grafen Antal schon zu Lebzeiten seines Vaters irritiert haben, denn dieser verfügte in seinem Testament ausdrücklich, dass Demeter Rácz wegen seiner aufopfernden Dienste als plenipotentiarius auch künftig im Amt des Güterdirektors verbleiben solle. Für den Fall, dass dieser seinen Dienst quittiere, sollten ihm die von der Familie Károlyi erhaltenen Pfandgüter belassen werden.50 Dafür musste es gute Gründe geben. Als Graf Antal im Jahr 1758 das Erbe seines Vaters antrat, glaubte er dennoch feststellen zu müssen, dass diese Riege die Verwaltung der Herrschaften zu ihrem eigenen Nutzen monopolisiert hatte. Für den Historiker ist freilich Vorsicht geboten, denn die rasante Vermehrung der gräflichen Güter hatte nicht nur eine äußerst hohe Verschuldung mit sich gebracht, sondern auch eine Zersplitterung des Besitzes und der damit verbundenen Einnahmen und Ausgaben. Man war dadurch sowieso gezwungen, Teile des Besitzes als Pfand auszugeben oder weiter zu verpachten; einzelne Besitzungen dienten auch als Sicherheit für Kredite. Darüber hinaus konnte Gutsbesitz an einem bestimmten Ort besondere persönliche Rücksichten gegenüber Nachbarn erfordern. Die Herrschaftsverwaltung war bestrebt, all diese Querverbindungen zu dokumentieren, die Aufstellungen zeugen jedoch schon von den zeitgenössischen Schwierigkeiten dieses Unterfangens. Für den heutigen Betrachter ist es vollends unmöglich, ein klares Bild von der Wertentwicklung der Güter im Untersuchungszeitraum zu gewinnen. Wie dem auch sei, der junge Graf versuchte, die Gebrüder Szaplonczay loszuwerden. Man nahm die Revision ihrer Rechnungsbücher in Angriff, die sie aber Die Ablösung des Pfandbesitzes (Haus, Grundstück und Mobiliar) in Nagykároly kostete 9 000 Rh. Gulden, vgl. MOL P 398, Nr. 72497, Brief von Szuhányi an Antal Károlyi, 7. Sept. 1772. 49 In Bezug auf die verwandtschaftlichen Beziehungen von Demeter Rácz zu den Szaplonczay: MOL P 1531, No. 156. Das convictiva, die Rechnungsmängel der Szaplonczay wurden mit dem Geld von Rácz bezahlt: MOL P 397, I. A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve [Der Schriftverkehr der Wirtschaftskommission von Nagykároly], S. 67. 50 Modifizierung seines Testaments von Graf Ferenc Károlyi aus dem Jahre 1752, in MOL P 392, Lad. 8. No. 200, Kopie No. 195.



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entweder gar nicht oder nur unvollständig vorlegten. Deshalb wurden zwei der Gebrüder Szaplonczay vor dem Herrenstuhl erfolgreich strafrechtlich belangt. Als Schadensersatz (convictiva) für Veruntreuung und Unterschleif hatte der eine den Besitz an einem halben Dorf, an einem städtischen Haus und einem Weingarten zurückzugeben, der andere sollte 12 000 Gulden zahlen. Bei einem weiteren Bruder, János Szaplonczay, blieb es wohl bei dem Versuch, ihn zur Zahlung von Schadensersatz heranzuziehen.51 Wie allgemein üblich erbaten die Verurteilten die Fürsprache vornehmer Personen, erreichten die Appellation ihres Falles vor dem Komitatsgericht und erboten sich, mit ihrem Dienstherrn einen Vergleich zu schließen.52 Das erklärt auch, warum die beiden anderen Gebrüder Szaplonczay zwar entlassen, aber nicht strafrechtlich belangt wurden. Demeter Rácz, der ja nicht nur mit dem älteren Grafen Ferenc Károlyi, sondern auch mit den Szaplonczay verschwägert war, beglich zumindest einen Teil der convictiva.53 Ihm wurde nichts zur Last gelegt; der Tonfall in den Briefen des Grafen Antal an Demeter Rácz blieb stets höflich bis freundlich.54 Das muss nicht unbedingt auf tief empfundene Freundschaft hindeuten, denn an Irritationen fehlte es auch mit ihm in den 1760er Jahren nicht. Die 1757 geschlossene Ehe von Antal Károlyi mit der Freiherrin Josepha Harruckern dürfte nicht sonderlich glücklich gewesen sein; der Ehemann war vorwiegend unterwegs, die Ehefrau blieb allein, das erste Kind wurde erst zehn Jahre nach der Eheschließung im Januar 1768 geboren. Eine Reihe überlieferter Briefe vom Herbst 1765, die Josepha Károlyi an Demeter Rácz schrieb, zeugen von überschäumender Zuneigung und Sehnsucht nach dem dreißig Jahre älteren Mann, was unterschiedliche Interpretationen zulässt. Manche Zeitgenossen entschieden sich jedenfalls für eine böswillige Auslegung und setzten Graf Antal Károlyi durch anonyme Briefe ins Bild.55 Gleichwohl verblieb 51 Über Entlassung von Wirtschaftsbeamten, bzw. das convictiva, die Ersatzzahlungen für Rechnungsmängel bei den Angestellten: MOL P 397, I.A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve [Der Schriftverkehr der Wirtschaftskommission von Nagykároly, 1760], S. 5–6, 62, 69. 52 Dem Namen nach waren es convictiva, Schadensersatz aufgrund der eingereichten Rechnungen, da aber der Beschluss der sessio oeconomica, des Wirtschaftsausschusses, zugleich mit der Quittierung der bezahlten Gelder bzw. der übereigneten Besitzungen von der Einforderung weiterer ausstehender Rechnungen absah, handelte es sich in Wirklichkeit um einen Vergleich. 53 Über die sequestrierten Güter s. MOL P 1531, No. 156. Rácz bezahlt einen Teil der convictiva: MOL P 397, I.A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve, S. 67. 54 Er trat gelegentlich bis 1765 auch noch als plenipotentiarius auf – denn darunter wurde meist kein Amt, sondern eine für eine gewisse Handlung gegebene Vollmacht verstanden. 55 Terdik, Rácz Demeter, S. 333–380.

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Demeter Rácz in Amt und Würden, zwar ohne wichtige Kompetenzen, aber auch nicht mit besonderem Misstrauen beäugt. So hing der Schlüssel zum Herrschaftsarchiv auch 1767 noch in seinem Zimmer.56 Immerhin folgten in der Güterverwaltung vielfältige Maßnahmen gegen die Wirtschaftsweise der Vorjahre, vor allem in der Form einer grundlegenden Reorganisierung. Zum ersten Mal wurden die Wirtschaftsverwaltung und alle anderen Angelegenheiten klar voneinander getrennt. Seither oblag die Güteradministration einem kollegial verfassten Gremium, der „Wirtschaftskommission“, die aus fünf Assessoren bestand, mit dem altgedienten Anwalt Sándor Gáspár, der schon Sándor Károlyi gedient hatte, an der Spitze. Von den fünf Kommissionsmitgliedern waren zwei Protestanten; die Gebrüder Szaplonczay und Demeter Rácz fehlten selbstverständlich. Die Wirtschaftskommission hatte sich von allen juristischen Fragen, von Religionssachen und von den das Komitat betreffenden Agenden fernzuhalten. Die Patrimonialgerichtsbarkeit gehörte in die alleinige Verantwortung von Sándor Gáspár als dem Herrschaftsfiskal, alles andere behielt sich der Graf zur persönlichen Entscheidung vor.57 Wenn Graf Antal zu Hause weilte, führten er oder sein Sekretär Ferenc Geőcz den Vorsitz in der Kommission. Der Magnat traf manchmal auch in ganz nachrangigen Sachen die Entscheidung persönlich. Die Erfahrungen in der Krisenzeit zwischen 1759 und 1761 hatten ihn davon überzeugt, dass er die Güter nur mit eigenem, andauerndem und ernstem Einsatz sanieren und die ökonomische Grundlage für sein Geschlecht sichern konnte. Die Ergebnisse gaben ihm recht: Während sein Vater und sein Großvater sich mit rasanter Güterakkumulation und ebenso rasanter Verschuldung fast in den Ruin expandiert hatten, gelang es Graf Antal die übernommenen Schulden in Höhe von etwa 614 000 Rheinischen Gulden allmählich abzubauen.58 Umso bezeichnender ist der Umstand, dass dieser Herr, der die Aufsicht über seine Güter mit derselben persönlichen Aufmerksamkeit führte wie seinerzeit sein Großvater, und der dabei einen nimmermüden Einsatz zeigte, sehr wohl eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen traf, die der Bürokratisierung in der Herrschaftsverwaltung Vorschub leisteten. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass sich Graf Antal in bewusstem Gegensatz zur hochpersonalisierten älteren Form der Verwaltungstätigkeit für diesen neuen Verwaltungsstil entschied. 56 MOL P 398, Nr. 19997, Brief von Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, 9. Nov. 1767. Um diese Zeit supplizierte Geőcz schon seit zehn Monaten darum, die Ordnung des Archivs zu übernehmen und in Szatmár bleiben zu dürfen. 57 MOL P 392, Lad. 9, II. No. 247. Pro Memoria von Antal Károlyi, Nagykároly 1. Febr. 1760. 58 Pettkó/Éble, Károlyi-család birtoklási története, Bd. I, S. XIX.



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Der Wandel beruhte nicht allein auf seinen persönlichen Vorlieben, sondern war vermutlich auch auf seine Erfahrungen in der habsburgischen Armee und Verwaltung zurückzuführen. Jedenfalls war Graf Antal, der ja in einer familiären Tradition ausgeprägter personalisierter Machtausübung stand, ein erstaunlich schriftgebundener Verwalter seiner Güter. Von der Wirtschaftskommission forderte er eine regelmäßige Protokollführung, die wöchentliche Einsendung der Protokolle, die umfassende Inventarisierung jeder Einzelherrschaft anlässlich einer Amtsübergabe sowie die Neuordnung des Archivs.59 Hinzu kam die Einrichtung einer Kontrollstelle, des sogenannten exactorats, die keine alltäglichen wirtschaftlichen Aufgaben enthielt. Dieses Amt für Rechnungskontrolle wurde von den operativen Verwaltungsaufgaben entbunden (vermutlich ab 1769, spätestens ab 178060). Es agierte also von der normalen Verwaltung völlig getrennt, was die Kollegialität minderte und die Klarsicht förderte. Das exactorat hatte das Tun und Lassen der Wirtschaftsbeamten zu beurteilen, d. h., ihm oblag neben der rechnerischen auch die inhaltliche Kontrolle ihrer Wirtschaftsführung. Der exactor wurde zu einem Mitglied in der Wirtschaftskommission bestimmt. Der unabhängige Rechnungsprüfer steht und fällt mit der Vereinheitlichung sämtlicher von ihm zu kontrollierenden Agenden und Dokumente sowie mit kontinuierlicher und pünktlicher Ablieferung der Rechnungen und Belege. Seine Gestalt war daher ein leiser aber starker Motor für weitere Bürokratisierung, der dem Prozess Stabilität verlieh. Spektakulärer als die Installierung eines Rechnungsprüfers nimmt sich die 1788 erfolgte Zentralisierung der gesamten Verwaltung aus. Die Effizienz dieser Maßnahme sei zunächst einmal dahingestellt, im Zuge der Reorganisierung wurden jedenfalls neue Registraturen eingeführt und die Geschäfte in sachlich abgegrenzte Bereiche eingeteilt.61 Wie begrenzt solche Reformen waren – übri­ gens nicht nur hier, sondern auch in der preußischen ‚Vorzeigeverwaltung‘ der Zeit – zeigen begleitende Anordnungen aus der Praxis: Wenn ein Wirtschaftsbeamter gerade keine ‚fachgemäße‘ Aufgabe zu erledigen hatte, war er angehalten, 59 Vgl. den Brief von Sándor Gáspár an den Wirtschaftsbeamten der Herrschaft Misztótfalu, János Pap, 1. Febr. 1760, in dem er gewarnt wird, dass er dem Grafen durch seine seltene, zögerliche Berichterstattung unvorteilhaft aufgefallen sei. MOL P 397, I.A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve, S. 47. 60 Für exactor Dudovits s. MOL P 1503, Fasz. 2. Extractus Veri Proventu Anni 1780. Seine inscriptio für ein Haus und Grund in Nagykároly: MOL P 1531, Fasz. 3. Nr. 126; Fasz. 12. Nr. 521. Über seinen Dienstbeginn 1769: MOL P 407, Fasz. 1. Nr. 840. 61 MOL P 406, 1788, Nr. 525, Fonte 9, Fasc.1, Pos. 2. Instructio pro Officio Exactoratus; 1788, Nr. 546, Circulare ad Omnes DD. Officiales, Oeconomicos Rationantes Districtus Bonorum Magno-Karolinensium et Surány-Megyeriensis; 1788, Nr. 546. Instructio pro universis Dominis Officialibus Rationantibus.

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sich trotzdem mit etwas Nützlichem zu beschäftigen.62 Auch die sachlich ausdifferenzierten Amtsbezeichnungen sollte man nicht allzu wörtlich nehmen: Mit zynischem Pragmatismus wurde der Hofrichter Gacsály in der Herrschaft Fehér­ gyarmat angewiesen, er solle schnellstens irgendwelche Wachen auftreiben, mit der Nebenbemerkung, „sie mögen sich Richter oder Priester nennen“.63 Was sich als langsam voranschreitende, anhaltende Bürokratisierung ausnimmt, trägt demnach bei näherem Hinsehen auch andere Farben. „Die neue Zeit“, „der Fortschritt“, diese Charakterisierungen in der Geschichtsschreibung vor allem für die folgende josephinische Epoche, sind offenbar nur die halbe Wahrheit. Hinter dem Gewebe der bürokratischen Organisation sowie an ihren Rändern blieb die Welt von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen und den entsprechenden gesellschaftlichen Rollen geprägt. Wie diese ambivalenten Mischungsverhältnisse beschaffen waren, davon wird in den folgenden Kapiteln immer wieder die Rede sein, wenn wir uns mit den Angehörigen der Schwellengeneration befassen, die noch in der „alten Zeit“ aufwuchs, die Verbreitung der neuen Verwaltungsmethoden erlebte und mitgestaltete.

62 MOL P 397, I.A/1. Nagykárolyi gazdasági bizottság leveleskönyve, Brief an Gacsályi, Hofrichter von Herrschaft Fehérgyarmat, S. 59. 63 Ebd.

VIII.   József Zanathy, oder: Macht und Ohnmacht eines gebildeten Klienten „auf dem Boden der Ignoranz“ Eine stets wiederkehrende Frage unserer Untersuchung lautet: Welche Akteure übten lokale Macht mithilfe welcher Vermittler aus, welcher Methoden bedienten sie sich dabei, und wie argumentierten sie gegenüber Dritten? Dabei erweist es sich als besonders lohnend, die Übergangszonen und Berührungsflächen zwischen verschiedenen Machtbereichen in den Blick zu nehmen, denn genau dort waren solche Makler der Macht bevorzugt tätig. Wenn sie geschickt agierten, konnten sie wichtige Austauschprozesse von Informationen und Gütern so kanalisieren, dass sie zu einer Quelle persönlicher Kraft wurden. Im östlichen Ungarn öffnete sich wegen der großen räumlichen Distanzen und der bedeutenden sozio-kulturellen Unterschiede ein recht variabler Gestaltungsspielraum für solche Gestalten. Was aber geschah, wenn der Vermittler ein Fremder im Komitat war und aufgrund seiner kulturellen Orientierung auch auf Dauer ein Außenseiter blieb? Diese Frage wollen wir am Beispiel von József Zanathy beantworten, der zwei Angehörigen der Magnatenfamilie diente, Ferenc Károlyi und dessen Sohn Antal Károlyi, und der die barocken Formen der Patronage wie kein anderer im Komitat Szatmár zu kultivieren verstand. Dafür wurde er zeitweise mit besonders vertrauter Nähe zum Grafenhaus ‚belohnt‘, was ihn jedoch später nicht vor Bedeutungsverlust und materieller Gefährdung schützte.

VIII. 1  Anfänge der Karriere eines „vollkommenen Klienten“ Geboren 1716, verstorben 1789, war Zanathy ein Adliger aus dem westungarischen Komitat Vas.1 Im Alter von fast 30 Jahren stellte er sich in den Dienst von Ferenc Károlyi; in unseren Quellen taucht er kurze Zeit später, im Jahr 1746, auf. Die Anfänge seiner Laufbahn liegen im Dunkeln: Wie er nach Pest kam und wer ihn dem Grafen Károlyi empfahl, wissen wir nicht. Sein Bruder war Steuereinnehmer im Komitat Vas und dessen Sohn Domänenanwalt der gräflichen Fa1 Die Familie wurde vom Rudolf II. im Jahre 1602 in den Adelsstand erhoben. Reiszig/ Gorzó, Szatmár vármegye nemes családai, S. 613.

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milie Pálffy.2 Vielleicht zählte József Zanathy zunächst zum Klientel der Pálffy, wahrscheinlicher aber scheint es, dass er in Pest von sich aus oder durch seinen Schwiegervater Bekanntschaft mit Ferenc Károlyi machte. An seinem Lebensabend erinnerte er sich in einem Brief an dessen Sohn Antal folgendermaßen: „Die Verehrung für den verstorbenen lieben Vater Eurer Exzellenz hat mich an diesen Ort [gemeint ist Szatmárnémeti] gezogen“.3 Auf jeden Fall gehörte er zu den dezidiert katholischen Klienten der Károlyi, die zur ‚Domestizierung‘ des reformierten Adels ins Komitat Szatmár gelockt wurden. Sein ganzes Fortkommen führte er auf die Gnadenerweise der Károlyi zurück. In einem Brief an den Grafen Antal aus dem Jahre 1767 schrieb er, dass er nur durch dessen besondere Gnade zum Komitatsnotar gewählt wurde, und resümierte: „Wir sind genügend Leute, die das Brot Eurer Exzellenz essen.“4 Anfangs wirkte Zanathy als Privatsekretär von Ferenc Károlyi.5 Offenkundig bildete die Position eines Sekretärs ein ausgezeichnetes Sprungbrett für begabte junge Leute. Die Tatsache, dass Graf Károlyi ihn mit dieser Vertrauensstelle versah, zeigt, dass Zanathy entweder einen besonders guten Eindruck auf ihn gemacht hatte oder über ausgezeichnete Referenzen verfügte; wahrscheinlich beides. In dieser Zeit einer ersten Bewährung erledigte er verschiedene Aufträge vor allem in Pest: Geldangelegenheiten, Einkäufe, Anschaffungen, wobei er kleinere Entscheidungen schon bald selbstständig treffen konnte. Er leitete den gräflichen Haushalt in Pest, führte dessen Rechnungen, erteilte dem Personal Befehle. Er verwaltete bedeutende Summen, sammelte Bezüge der Károlyi ein, beglich deren Schulden und zahlte Zinsen aus. Im Jahr 1747 zum Beispiel wälzte er im Namen des gräflichen Hauses etwa 100 000 Gulden um, im darauf folgenden Jahr allein bis Mai mehr als 115  000 Gulden. Außerdem unternahm er zahlreiche Reisen, manchmal allein, manchmal mit Personen, die sich ebenfalls im Dienst der Károlyi befanden, bisweilen auch mit Angehörigen der Magnatenfamilie. Er pendelte vor allem zwischen Pest und dem Komitat Szatmár, kam aber auch viel in Preßburg und Wien herum. In der Hauptstadt schlugen die Ausgaben der Fräulein aus dem Hause Károlyi zu Buche. Große Summen wurden für Obst und „andere Erfordernisse der Tafel“, für den Zuckerbäcker und Erfrischungen ausgegeben, weiterhin für die Opernloge und Träger. Unter seinen Rechnungen finden wir Eintragungen wie die folgende: „Fräulein Évuska [Evchen] kaufte sich nach dem 2 Iván Nagy, Magyarország családai, Bd. XII., Pest 1868, S. 309. 3 MOL Familie Károlyi, P 398 Missiles, Nr. 82056, Brief von József Zanathy an Antal Károlyi, Nagykároly, 14. Dez. 1787. 4 Ebenda, Nr. 82008, Zanathys Brief an Antal Károlyi, Szatmár, 28. März 1767. 5 Ab diesem Jahr gibt es Rechnungen, die er als Sekretär führte.



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Mittagessen etwas Schmuck, eine Halsbinde und Blümchen“.6 Zu Ferenc Károlyi stand er trotz des Rangunterschieds in einem recht vertrauten Verhältnis: Von Pest begab er sich oft nach Gödöllő zum Kammerpräsidenten Graf Antal Grassalkovich.7 Dort berichtete er über die Gesundheit der gräflichen Familie, empfing „im Namen“ Károlyis die an ihn gerichteten Geburtstagswünsche und machte „im Antlitz seines Herrn“, also als sein Vertreter, Gesellschaftsbesuche. Er hatte also einen zwar andersgearteten, aber ebenso weiten und unspezifischen Wirkungskreis wie die anderen gräflichen Klienten dieser Zeit. Während die bislang vorgestellten Vermittler jedoch großenteils mit praktischen Aufgaben betraut wurden, die vor allem eine gewisse handfeste Alltagstauglichkeit voraussetzten, beruhte das herrschaftliche Interesse an József Zanathy auch auf seinen kulturellen Fähigkeiten, seiner katholisch-barocken Gelehrsamkeit und seinem Fingerspitzengefühl im Umgang mit hohen Herrschaften. An diesen habituellen Vorlieben hielt Zanathy lebenslang fest, auch nachdem ihn der Magnat nach Szatmár geschickt hatte, wo eher der versierte Verwaltungsfachmann und der kampfeslustige Konfessionspolitiker als der Schöngeist gefragt waren. Als Belohnung für seine treuen Dienste verschaffte ihm Ferenc Károlyi im Jahr 1748 nämlich das Amt eines Steuereinnehmers im Komitat Szatmár. Dieses Amt wurde überall in Ungarn mit Vertrauensleuten der Obergespane besetzt,8 die in 6 MOL Familie Károlyi, P 1502 Akten von Ferenc Károlyi (Károlyi Ferenc iratai), Fach 3d. Zanathy József titkár ( József Zanathy Sekretär), Rationes Josephi Zanathy secretarii de parata pecunia perceptione et erogatione. Die gesamten Ausgaben in Wien machten mehr als 12 000 Gulden aus. 7 Antal Grassalkovich (1694–1771) war ein typischer „self-made man“ des 18. Jahrhunderts. Als armer Adliger stieg er nach einer raschen Karriere in die Aristokratie auf (1736 Freiherr, 1743 Graf ), erwarb ein großes Vermögen und wurde einer der wichtigsten Landbesitzer Ungarns. Er war zu Beginn seiner Karriere Advokat bei der Ungarischen Hofkammer, dann Causalum Regalium Director, nach 1727 Präsident des Neoaquistica Commissio, 1731 zum Personalis (Generalanwalt) ernannt, zwischen 1748 und 1771 Präsident der Ungarischen Hofkammer. Er spielte eine große Rolle bei der Ansiedlung deutscher Kolonisten in Ungarn. Sein Palais in Preßburg und sein Schloss in Gödöllő waren Mittelpunkte des Gesellschaftslebens. Grassalkovich besaß ein eigenes Orchester, in dem Joseph Haydn oft als Dirigent gastierte. Seine Tochter Anna heiratete Graf Gábor Haller, einen Enkel von Sándor Károlyi. Ágnes Kenyeres (Hg.), Magyar Életrajzi Lexikon [Ungarisches biographisches Lexikon], Bd. I, Budapest 1967, S. 618.  8 Die Erhebung von Steuern, besonders von Militärsteuern, war eine heikle Angelegenheit. Trotz ständiger Drohungen blieb sie teilweise erfolglos; die Steuerverwaltung schuldete dem Militär im Jahre 1746 mehr als 4 Millionen Gulden. Michael Hochedlinger, Austria’s Wars of Emergence. War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683– 1797, London usw. 2003, S. 132.

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den meisten Komitaten das Nominierungsrecht innehatten. Schon 1754 rückte Zanathy zum Hauptsteuereinnehmer auf, und zwischen 1765 und 1778 nahm er außerdem das Amt eines Komitatsnotars wahr. Steuereinnehmer und Notare gehörten zu den wichtigsten Amtsinhabern auf Komitatsebene; der Notar war der faktische Leiter der Komitatsverwaltung.9 De jure sollten diese Amtsträger zu den begüterten Honoratioren, den bene possessionati innerhalb des Komitatsadels gehören, de facto waren die Notare – schon wegen der zeitraubenden und anstrengenden Amtstätigkeit – vollberuflich tätige Verwaltungsleute, oft recht gebildete, aber relativ unbemittelte Adlige.10 Als József Zanathy in Ferenc Károlyis Dienste trat, war er genau so ein besitzloser, talentierter junger Mann. Um ein Komitatsamt zu bekleiden, musste er jedoch vor Ort begütert sein. Er führte den Beinamen „von Józsefháza“, was auf Landbesitz im Komitat hinweist. Wahrscheinlich handelte es sich um Pfandbesitz aus gräflichem Eigentum, da das kleine Dorf Józsefháza11 zu deren Herrschaft Ecsed gehörte.12 Józsefháza und der Nachbarort Görbed wurden im Jahr 1747 von Ferenc Károlyi an Graf Ádám Bethlen 9 Im 18.  Jahrhundert wurde die Zahl der dem Notar nachgeordneten Unternotare und Schreiber stets erhöht. Unabhängig von der Größe der Komitate wurden sie von einem „Stab“ von 10–12 Personen geleitet. Neben dem ersten Untergespan gewann der Notar, der Leiter der Kanzlei, eine immer entscheidendere Rolle in der Administration der Komitate. Der Steuereinnehmer hatte eine ebenso wichtige und schwierige Aufgabe, die sich aber nur teilweise in seinem Gehalt wiederspiegelte. Notare und Steuereinnehmer erhielten am Anfang der Regierung Josephs II. ein Gehalt zwischen 400 und 600 Gulden, sie folgten also in der Hierarchie gleich nach dem ersten Untergespan. Lajos Hajdu, II. József igazgatási reformjai Magyarországon [Die administrativen Reformen von Joseph II. in Ungarn], Budapest 1982, S. 19–26. Auch Anrede und Titulatur waren für Untergespan, Komitatsnotar, Steuereinnehmer und Oberstuhlrichter die gleichen. Legújabb megbövített és megjobbíttatott magyar és német levelező könyv… [Neuester und erweiterter ungarischer und deutscher Briefsteller...], 2. Aufl., Pest 1815 10 Die Gefahr dieser Situation erkannte schon Maria Theresia. Sie beauftragte 1771 den Statthaltereirat damit, in Erfahrung zu bringen, ob in allen Komitaten solche Verhältnisse herrschten, wie im Komitat Bihar, wo die staatlichen Amtsträger auf Grundbesitz lebten, der den Großgutsbesitzern im Komitat gehörte, weshalb sie gegen diese mächtigen Herren niemals amtlich vorgingen. Kennzeichnend für den Zustand der Verwaltung ist die Verzögerung bei der Umsetzung dieses Befehls: Die Statthalterei erstattete erst 1780 den angeforderten Bericht. Danach lehnte die Mehrheit der Obergespane eine Zentralisierung der Komitatsverwaltung und die Errichtung von Wohnungen für die Amtsträger ab. Wohnungen für die Notare am Sitz der Verwaltung gab es überhaupt nur in neun Komitaten. Gerade wegen des großen Arbeitsanfalls zählten die Notare, die Steuererheber und die Schreiber zu den weniger begüterten Adeligen. Hajdu, II. József igazgatási reformjai, S. 44–46. 11 Ein Dorf etwa 20 km von Szatmárnémeti entfernt. 12 Reiszig/Gorzó, Szatmár vármegye nemes családai, S. 575.



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verkauft oder verpfändet, der die beiden Dörfer noch im gleichen Jahr an Zanathy weiterverkaufte. Schon 1752, nach nur fünf Jahren, gab er diesen Gutsbesitz gegen Zahlung von 10 000 Gulden an die Gutsverwaltung der Károlyi zurück,13 wahrscheinlich um mit dieser Summe einen geeigneteren Pfandbesitz zu erwerben; Genaueres wissen wir nicht. Es ist bemerkenswert, dass Zanathy über eine so große Summe verfügte. Möglicherweise half ihm sein wohlhabender Schwiegervater, Anton Tobias Mittermeyer, der Stadtrat in Pest und Lieferant der habsburgischen Armee war.14 Vielleicht erhielt er auch ein Darlehen von Ferenc Károlyi. Jedenfalls wurde er 1755 unter den gutsbesitzenden Adligen des Komitats Szatmár registriert.15 Neben seinen amtlichen Pflichten für das Komitat erledigte József Zanathy weiterhin vielfältige Aufgaben für die gräfliche Familie und für das Regiment von Ferenc Károlyi. So wurde er mit der Ausstattung der Wohnung von Antal Károlyi und seiner Frau beauftragt, worüber er ausführlich berichtete. Die meisten seiner Briefe behandeln jedoch Amtsgeschäfte, die Lage der Kriegskasse, die Schwierigkeiten bei der Steuereinnahme, den Geldmangel des Komitats. Da er in Szatmárnémeti wohnte, begab er sich immer dann, wenn der Magnat dort weilte, ins nahegelegene Nagykároly, um die gräflichen „Hände zu küssen“, und um seine Ergebenheit zu bekunden: „Wir sind zu unbedeutend, um die Gnade Eurer Exzellenz zu verdienen“. In der Korrespondenz von Ferenc Károlyi finden sich vom Sommer 1749 einige deutschsprachige Briefe aus der Feder des Schwiegervaters von Zanathy, der zum Beispiel darum bat, dass ihn sein Schwiegersohn nach Debrecen begleiten dürfe. Eine Bemerkung Zanathys wirft ein bezeichnendes Licht auf die guten finanziellen Verhältnisse und die ausgeprägte konfessionelle Orientierung der Herkunftsfamilie seiner Ehefrau, denn Anton Tobias Mittermeyer schenkte seiner Tochter eine Reise nach Rom,16 was ganz außergewöhnlich war für Frauen des örtlichen Adels.17

13 Pettkó/Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi-család, Bd. II., S. 176–177. 14 Leider ist in seinem Testament sein Vermögen nicht detailliert aufgeführt; wir erfahren nur, dass seine Töchter schon früher ihre Mitgiften erhielten. Budapest Főváros Levéltára [Archiv der Hauptstadt Budapest], 20. fondfőcsoport, 20. fond, 24. állag, Végrendeletek, hagyatéki leltárak – Pest város [Testamente, Nachlassinventare – Stadt Pest], Nr. 13.998 Testament des Anton Tobias Mittermeyer. 15 Bagossy, Szatmár-Németi története, S. 499. 16 Die Pilgerfahrt war für die barocke Frömmigkeit charakteristisch. Victor Lucien Tapié, Maria Theresia. Die Kaiserin und ihr Reich, Graz/Wien/Köln 1980, S. 202–203. 17 MOL P 398, Nr. 81950, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 26. Juli 1749.

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VIII. 2  Zanathy als Stadtrichter von Szatmárnémeti Im Jahre 1751 wurde Zanathy wegen seiner katholischen Konfessionszugehörigkeit eine weitere Aufgabe zuteil: Finanzielle Unregelmäßigkeiten, die sich einige reformierte Mitglieder des Stadtrats von Szatmárnémeti hatten zuschulden kommen lassen, boten der habsburgischen Verwaltung die willkommene Gelegenheit für eine gegenreformatorische Offensive.18 Die Zipser Kammer beauftragte Zanathy mit der Untersuchung der städtischen Kassen. Seine Inquisition zeitigte sowohl für die Reformierten der Gegend allgemein, wie auch für die Stadt weitreichende Folgen. Unter anderem wurde der bis dahin amtierende Stadtrichter dispensiert und durch Zanathy kommissarisch ersetzt. Szatmárnémeti war am Anfang des 18. Jahrhunderts – wie schon angedeutet − eine Stadt mit überwiegend reformierter Bevölkerung. Dies äußerte sich auch in der Zusammensetzung des Rates, der im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts ausschließlich aus Calvinisten bestand.19 Nach einem misslungenen Versuch am Ende des 17. Jahrhunderts gelang es der Staatsgewalt erst 1735, die konfessionelle Einheit der städtischen Elite zu brechen und ‚fremde Elemente‘, d. h. Personen römisch- bzw. griechisch-katholischer Konfession in den Stadtrat zu

18 Einer der besten Kenner der Problematik äußert sich folgendermaßen dazu: „Das 18. Jahrhundert stellte im Vergleich zum vorangegangenen Jahrhundert die Epoche einer zwar weniger spektakulären, doch wesentlich wirksameren Gegenreformation. Das halbe Jahrhundert bis zum Toleranzedikt festigte den Sieg des Katholizismus. Die Unterdrückung war weniger brutal und wahrscheinlich gerade deshalb wesentlich wirksamer als im vorigen Jahrhundert.“ Die Protestanten besaßen weniger Schulen, ihre Karrieren wurden erschwert, sie wurden ständig belästigt, indem Untersuchungen gegen sie durchgeführt wurden. István György Tóth, Reformation und katholische Erneuerung, in: ders. (Hg.), Geschichte Ungarns, Budapest 2005, S.  314–315. Die Kommissare waren Agenten der Hof(kammer)politik. Sie betrachteten die Städte als „Kammergüter“ und wollten sie – zumindest wirtschaftlich – ihrer völligen Kontrolle unterwerfen. „Ihre Kommissäre gaben an Ort und Stelle verschiedene Direktiven, schriftliche Hinweise, arbeiteten die wirtschaftlichen Kalkulationen aus, kontrollierten die Rechnungen, regelten die Einnahmen und Ausgaben der Würdenträger und Beschäftigten, mit einem Worte, sie gingen auf die kleinsten Einzelheiten ein und schrieben im Detail vor, wie sich die Städte auf diesem Gebiet zu verhalten hatten.“ Špiesz, Der Wiener Hof, S. 91. Freilich kann man dieser Einmischung der Kammer auch positive Seiten abgewinnen: „Sie hat den Städten sehr wesentlich aus der großen Verschuldung und der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sie sich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert befunden haben, herauszukommen geholfen...“. Ebd., S. 92. 19 Siehe dazu Kapitel V.2.



Zanathy als Stadtrichter von Szatmárnémeti

Abb. 23 Außen- und Innenansicht der reformierten Kirche in Szatmárnémeti (erbaut zwischen 1788 und 1807). Im Vorgängerbau formierte sich im 18. Jahrhundert mehrfach der stadtbürgerliche Widerstand gegen Maßnahmen der gegenreformatorischen Obrigkeit und ihrer Vertreter vor Ort.

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boxen.20 Gleichwohl gelang es den Reformierten weiterhin, im Stadtrat zahlenmäßig die Oberhand zu behalten. Zanathy wohnte zwar in Szatmárnémeti, denn er hatte schon zwei Jahre, bevor er das Richteramt errang, eines der ansehnlichsten Häuser der Stadt erworben, übrigens von den Erben eines ehemaligen (reformierten) Stadtrichters.21 Er besaß allerdings kein Bürgerrecht. So verletzte seine Einsetzung in das kommunale Spitzenamt das geltende Gewohnheitsrecht gleich mehrfach: Er war weder Bürger der Stadt noch Mitglied der Mehrheitskirche noch gelangte er infolge freier Wahlen in das Amt. Hinzu kam, dass er von seinem Komitatsamt nicht zurücktrat, was für eine königliche Freistadt beleidigend sein musste. Trotz der zeitüblichen rhetorischen Übertreibungen zeigen die Genesungsgrüße, mit denen Zanathy im Herbst 1752 Ferenc Károlyi nach einer ernsten Erkrankung bedachte, wie sehr es ihm an gesellschaftlicher Verankerung in der Stadt mangelte und wie abhängig er sich von seinem Patron fühlte. Für den Fall eines Ablebens von Károlyi habe er sich „mit dem Gedanken getragen, welche Ecke des Landes ich ansteuern soll, das Komitat Pest oder Vas“.22 Doch die aktuellen politischen Kräfteverhältnisse begünstigten ihn. Der Magistrat war sichtlich eingeschüchtert, denn ein Teil der Ratsmitglieder wurde wegen Hinterziehung städtischer Gelder und staatlicher Steuern belangt, und die Anklage traf auch jene, die persönlich gar nicht in den Skandal verwickelt waren, da der Innere Rat kollektiv für die Finanzen der Stadt verantwortlich zeichnete. 20 Siehe Kapitel V.2. In den österreichischen Städten wurden ähnliche Regelungen schon Ende des 16. und Anfang des 17.  Jahrhunderts eingeführt. Die Städte waren übrigens bevorzugtes Angriffsziel der katholischen Reform, bzw. Rekatholisierungswelle. „Die Zusammensetzung des Rates war nach der Abschaffung der Prädikanten das nächste Ziel der Reformmaßnahmen. Die Wahl der Ratsmitglieder und des Richters im Beisein von landesfürstlichen Wahlkommissionen und die Einsendung der Resultate an die Regierung führten immer wieder zur Ablehnung der von der Bürgergemeinde gewählten Protestanten durch die Regierung. ... Das katholische Glaubensbekenntnis avancierte immer mehr zum Hauptkriterium für die Aufnahme in den Inneren Rat, die Wahl von Protestanten wurde unter Missachtung der Wahlreihung der einzelnen Ratsherren häufig annuliert...“ Martin Scheutz, Kammergut und/oder eigener Stand? Landesfürstliche Städte und Märkte und der „Zugriff “ der Gegenreformation, in: Rudolf Leeb/Susanne Claudine Pils/Thomas Winkelbauer (Hg.), Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie, München 2007, S. 327. In der Folgezeit wurden die Stadträte dann selbst zu Trägern der Gegenreformation. 21 KL F 20, Nr. 15. Tanácsi jegyzőkönyv [Protokoll des Rates], 1746–1753. Er bezahlte 900 Gulden für das Haus, obwohl die Durchschnittspreise unter 100 Gulden lagen. 22 MOL P 398, Nr. 81954, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 2. Sept. 1752.



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Im Laufe der Untersuchung trat deren antiprotestantischer Charakter immer klarer zutage.23 Wahrscheinlich hatten die Jesuiten auch diesmal24 den ersten Hinweis auf die Veruntreuung gegeben. Der Stadtrat stand nämlich in einem Dauerkonflikt mit dem Orden, in dem es einmal mehr um den Verkauf von alkoholischen Getränken ging. Der Rat hatte mehrfach bei der Kammer Klage geführt, dass die Jesuiten Wein in die Stadt einführten, der nicht für den eigenen Gebrauch, sondern zum Verkauf bestimmt war. Offenbar hatten sich die Jesuiten daraufhin bei Hofe beklagt, denn Maria Theresia beanstandete in einem am 2. Januar 1749 verfassten Reskript das städtische Verbot der Weineinfuhr für den Jesuitenorden in Szatmárnémeti, befahl dem Stadtrat, dessen Tätigkeit nicht länger zu behindern, und verbot darüber hinaus gleich noch die bis dahin übliche Bezahlung der reformierten Pfarrer und Lehrer aus der Stadtkasse.25 Durch die Zerstörung der konfessionellen Einheit des Rates wurde der Angriff auf die reformierte Kirche in Szatmárnémeti sehr erleichtert, insbesondere als nun seit 1751 mit dem Stadtrichter der höchste kommunale Würdenträger auf der Seite Wiens stand. Aus den Quellen können nur einige Momente des stürmischen Kampfes rekonstruiert werden. Während Zanathy als Stadtrichter amtierte, waren drei Streitpunkte besonders virulent, erstens die bereits erwähnte fiskalische Untersuchung gegen einige Ratsmitglieder, zweitens die Maßnahmen gegen die reformierte Kirche und die Schule, und drittens der Bau eines „Stabshauses“, eines Wohnhauses für Offiziere in der Stadt. Die Kammerverwaltung sah in der Vermischung der Steuereinnahmen und der sonstigen städtischen Einkünfte die Quelle allen Übels: Dadurch würden die Staatssteuern nicht etwa abgeführt, sondern im Interesse der Stadt verwendet. Obendrein würden die Einkünfte der Stadt 23 Über die gegenreformatorischen Züge der Entsendung des Wahlkommissars: Németh, Pre-modern State Urban Policy, S. 289–293. „At the same time, state control over the urban economy could be connected to the principle of one state and one religion, the reCatholicisation of towns with an overwhelmingly Protestant population and leadership. Therefore, the instructions to the commissioners delegated to elections of officers served to consolidate the urban economy and restore the capacity to pay taxes, as well as to promote the Catholicisation of the leading elite in the towns. Consequently, from this time on, the elite was not only the product of local politics but also a complex reflection of the influence of the appearance of commissioners in the towns. From the beginning, the measures introduced resulted in changes aimed at developing a more modern and more professional administration in the towns.“ Ebd., S. 289–290. In den österreichischen Städten wurde dieser Prozess mehr als ein Jahrhundert früher (und viel erfolgreicher) durchgeführt. Vgl. Scheutz, Kammergut, S. 322–329. 24 Wie schon Ende des 17. Jahrhunderts, siehe dazu Kapitel VI.1. 25 Sarkadi Nagy, Szatmár-Németi, S. 135–136.

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vernachlässigt.26 Das entstehende Defizit gegenüber dem Fiskus werde durch kommunale Anleihen gedeckt, mit letztlich ruinösen Folgen. Deshalb erließ man im Interesse einer „aufs allgemeine Wohl zielenden Regierung“ verschiedene Verordnungen, die darauf hinausliefen, dass die Stadt viele ihrer vor drei Jahrzehnten teuer erkauften Privilegien faktisch wieder einbüßte.27 Es mag sein, dass József Zanathy die geeignetste Person vor Ort war, um die in der Tat zerrütteten Finanzen der Stadt zu sanieren, hatte er doch bei der Verwaltung der gräflichen Privatschatulle und der Komitatskasse wertvolle Erfahrungen gesammelt. In Szatmárnémeti gab es nur einen recht begrenzten Kreis von schriftund rechenkundigen Personen, die überdies ein klüngelhaftes Netzwerk bildeten. Im Bericht der Kammer wurden der Stadtrichter Sámuel Szatmári28 und mehrere andere Senatoren bezichtigt, aus Eigennutz der Stadt Schaden zugefügt zu haben. Sie wurden deshalb im Jahr 1754 ihrer Ratsämter definitiv enthoben. Die städtische Elite sah das selbstverständlich völlig anders und setzte ihr Vertrauen in den ‚eigenen Mann‘ und nicht in den von außen kommenden ‚Fachmann‘, der im Kampf um Kirche und Schule auch noch zur konfessionellen Gegenpartei gehörte. Entsprechend wurde Sámuel Szatmári – trotz der vermutlich begründeten Vorwürfe gegen ihn – bei den Magistratswahlen von 1756 erneut zum Stadtrichter gewählt. Die Zipser Kammer konterte umgehend, enthob Szatmári wegen der bei Rechnungslegung festgestellten Fehlbeträge endgültig seines Amtes, und setzte Zanathy abermals kommissarisch in das Amt des Stadtrichters ein.29 In den reformierten Städten hatte sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine spezifische Symbiose zwischen Magistrat und Kirche entwickelt. Die calvinistischen Stadträte sahen die Sorge für das Seelenheil der Bürgerschaft als ihre vornehmste Pflicht an und zogen alle kirchlichen Angelegenheiten an sich. Das führte dazu, dass die städtischen und kirchlichen Finanzen nicht voneinander getrennt waren, sodass Pfarrer, Lehrer und Küster aus dem Stadtsäckel bezahlt wurden. Diesen Zustand wollte die Kammerverwaltung um die Mitte des 18.  Jahrhunderts beseitigen. Die Reformierten in Szatmárnémeti beharrten jedoch auf dem Status 26 Die Schulden der Stadt betrugen 1759 mehr als 17 000 Gulden. Kállay, Szabad királyi városok, S. 121. Szatmárnémeti bildete keine Ausnahme, die Verschuldung der Städte war ein allgemeines Problem. 27 MOL Familie Melczer, P 1828 Pál Melczer, Fasz. 2, Nr. 4. Pál Melczer war der Kommissar der Zipser Kammer. 28 Szatmári wurde im Jahr 1721 Mitglied des Inneren Rates als Stadtnotar, er war Ratsherr, bzw. Stadtschreiber zwischen 1721 und 1733 sowie von 1739–1746, im Jahr 1745 wurde er zum consul, 1749 zum Stadtrichter gewählt. AS F 20, Nr. 13, 15. Stadtprotokolle. 29 Die Fehlsumme machte 7 052 Gulden aus. István Kállay, Városi bíráskodás Magyaror­ szágon [Städtisches Gerichtswesen in Ungarn], Budapest 1996, S. 48.



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quo und argumentierten, dass die Kosten für die Erwerbung der Privilegien als Königliche Freistadt nahezu ausschließlich von den Bürgern mit reformiertem Bekenntnis aufgebracht worden waren, dass sich von den römisch-katholischen Bürgern niemand und aus der Gruppe der griechisch-katholischen nur drei Personen beteiligt hätten.30 Die habsburgische Verwaltung scherte sich nicht darum. Die am 8. Juli 1754 erlassene Verordnung stellte einen schweren Schlag gegen die reformierte Bevölkerung der Stadt dar. Danach wurde der Unterhalt von nunmehr lediglich zwei Pastoren genehmigt; ihre Gehälter durften nicht länger aus der Stadtkasse gezahlt, sondern mussten auf die reformierte Bevölkerung umgelegt werden.31 Den größten Verlust bedeutete die Herabstufung des reformierten Kollegs, das seit Anfang des 17. Jahrhunderts bestand, zu einer mittleren Lehranstalt, in der nur noch Unterricht bis zur Grammatikklasse erteilt werden durfte, während die oberen Klassen abgeschafft wurden. Das Schulkollegium wurde auf gerade einmal zwei Lehrer reduziert, die künftig aus Stiftungseinkünften bezahlt werden sollten.32 Gegen diese Verordnung erhob sich in der Stadt heftiger Widerstand. Für den 1. August 1754 beriefen die Vorsteher der reformierten Gemeinde eine Versammlung ein, an der auch Abgesandte des Komitatsadels teilnahmen, auf der ein Protestschreiben verfasst werden sollte. Der eifrige Katholik Zanathy stellte sich der Herausforderung. In Abstimmung mit dem Jesuitenprior András Hedri, mit dem er auch privat verkehrte, sowie mit dem Kommandanten des in Szatmárnémeti stationierten Regiments forderte er die versammelten Adligen auf, sofort auseinanderzugehen, andernfalls werde das Militär eingreifen. Dem Grafen Károlyi berichtete er, dass er den Versammelten befohlen habe, „aus der Stadt zum Verhandeln anderswohin zu verschwinden“33. So lange er als Richter amtiere, würde er solch eine Versammlung in seiner Stadt nicht dulden. Er konnte freilich nicht verhindern, dass die reformierten Ratsmitglieder und der calvinistische Adel aus den umliegenden Komitaten wegen der Schulangelegenheit eine gemeinsame Delegation, zu der auch der ehemalige Stadtrichter Szatmári gehörte, nach Preßburg und später nach Wien entsandten.34 Ihr Bittgesuch blieb jedoch ohne Ergebnis; als akademisches Kolleg wurde die Schule nie wieder hergestellt.

30 Im Jahre 1787 zählte Szatmárnémeti 8 209 Einwohner, davon waren 2 145 römisch- bzw. griechisch-katholisch, 5 980 reformiert, 80 lutherisch und 4 Juden. Thirring, Magyaror­ szág népessége, S. 47. 31 Sarkadi Nagy, Szatmár-Németi, S. 137, 180. 32 Siehe auch Kapitel V.2. 33 MOL P 398, Nr. 81958, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Debrecen, 22. Nov. 1754. 34 MOL P 392, Fach 167.

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Inzwischen wurden die Gemüter in der Stadt von einer anderen behördlichen Initiative erregt, die sie nicht minder empörte. Die Rede ist von dem schon erwähnten Bau eines „Stabshauses“, eines Quartiers für die Offiziere des im Komitat stationierten Regiments.35 Die von den ständigen Einquartierungen überforderte Bevölkerung sträubte sich gegen diese neue Einrichtung, obwohl sie letztlich eine Erleichterung bedeutete.36 Ein festes Quartier brachte es jedoch mit sich, dass der Regimentsstab fortwährend in Szatmárnémeti wohnte, was das Misstrauen der Bevölkerung einigermaßen erklärt. Die Errichtung des „Stabshauses“ wurde auch von Ferenc Károlyi dringend empfohlen, während Komitat und Stadt sich anfangs einig waren in ihrer Ablehnung. Zanathy tat sein Bestes, um die Widerstrebenden für das Projekt zu gewinnen und teilte dem Grafen im Herbst 1752 stolz mit, dass es ihm gelungen sei, die Stadt zu überzeugen: „Meine geringe (…) Vermittlung hat sie unter die gnädige Führung Eurer Exzellenz (…) geführt“.37 Man kann allerdings kaum abschätzen, ob seine Überzeugungsversuche zu diesem Sinneswandel führten oder ob dieser nicht einfach auf Einschüchterung beruhte, denn kurz darauf machte der Stadtrat seine Einwilligung wieder rückgängig und beschloss abzuwarten, bis eine Entscheidung höheren Orts vorlag. Zanathy war freilich davon überzeugt, dass der Vorsitzende der Kammer kein Gegner der Sache war.38 Im November 1754 erreichte sie endlich der erwartete positive Bescheid. Zanathy meldete, dass alles für den Bau des Stabshauses vorbereitet sei, nun müssten 35 Es ist interessant zu sehen, dass unter völlig anderen Umständen auch der Göttinger Magistrat in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (1723 und 1729) die Errichtung einer Kasernen in der Stadt ablehnte. Er sah in einer Kaserne mehr Nach- als Vorteile für die Stadt und bevorzugte die gewöhnte Einquartierungspraxis, die übrigens (und erstaunlicherweise) nahezu reibungslos funktionierte. Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995, S.  231–234. In der Habsburgermonarchie wurden die ersten Kasernen um 1718 erbaut. Die Initiative von 1748 konnte bis Ende des 18.  Jahrhunderts nicht vollständig verwirklicht werden. Im Jahre 1786 war erst etwa eine Hälfte der Infanterie in Kasernen untergebracht. Unter Joseph II. wurden dann viele der aufgehobenen Klöster dem Heer als Kasernen übergeben. Hochedlinger, Austria’s War, S. 315. Die erste Kaserne in Wien entstand 1721/23, aber erst Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Stadt sich am Kasernenbau zu beteiligen. Weitere Truppenunterkünfte wurden in der Residenzstadt dann im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erbaut, als die Heeresstärke bedeutend vergrößert wurde. Peter Csendes, Wiener Kasernen, in: Peter Csendes/András Sipos (Hg.), Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19.  Jahrhundert, Budapest/ Wien 2003, S. 69–71, hier S. 69. 36 Siehe dazu das Kapitel IX.4. 37 MOL P 398, Nr. 81953, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 28. Okt. 1752. 38 Ebd., Nr. 81956, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 13. Aug. 1753.



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nur noch fachkundige Meister angeheuert werden. Bei Baubeginn im Frühjahr 1755 brach jedoch die bis dahin nur untergründig spürbare Wut der reformierten Stadtbürger offen hervor. Hier überlassen wir das Wort Zanathy selbst, der am 29. April 1755, im Eifer des Gefechtes – während das „große Leid meine Hand zum Zittern bringt“ – ein knappes Schreiben verfasste: „Gestern um 9 Uhr haben wir mit dem Segen der Jesuiten-Patres den Grundstein gelegt.39 Das lärmende Volk sammelte sich gestern den ganzen Tag, von morgens bis abends, vor dem Rathaus. Am Abend schickte das Volk Szathmári zu mir mit der Aufforderung, die Bauarbeiten zu beenden. Ich habe aber gemäß des Befehls der Kammer und des Beschlusses seiner Exzellenz, des gnädigen Herrn Obergespans, weitermachen lassen. Zwar hat sich der Auflauf am Abend aufgelöst, doch das Volk versammelte sich heute wieder auf der Straße vor dem Rathaus, und nach ihrer bis 10 Uhr dauernden Synode ist es mit Hacken und Schaufeln auf den Rohbau losgegangen. (...) Sie haben einen großen Teil der Steine hinausgeworfen und haben sich an den Grundstein (…) herangemacht, ihn herausgerissen und mit den Worten herumgeschleppt, hier befindet sich des Richters Seele, die Seele seiner Mutter und die des Oberstleutnants. Sie haben ihn dann vor das Rathaus getragen, wo sie aber nicht hineingelassen wurden, da der Schlüssel beim Stadtschreiber war. Sie trugen ihn daraufhin weiter herum, wie die Philister die Bundeslade.“ Schließlich hätten sie den Grundstein vor seinem Privathaus abgelegt. „Ich habe erklärt, dass ich den Stein nicht in die Hand nehmen könne, da er gebenedeit sei. Stattdessen wurde er von Pater Superior … in die Kirche verbracht, wo er bis zu besseren Zeiten verwahrt wird.“40 Am folgenden Tag berichtete er Károlyi ausführlicher über die Ereignisse und vertrat die Ansicht, dass man die Vorfälle nicht einfach hinnehmen dürfe. Er war davon überzeugt, dass auch der Kammerpräsident nicht tolerieren werde, wenn man „auf den Befehlen seiner eigenen Kammer herumtrampelte“.41 39 Das sollte auch das Misstrauen der reformierten Bürger wecken. Die sog. pietas austriaca in der Zeit Maria Theresias „lässt sich als nachhaltige Betonung und Hervorhebung tridentinischer Andachtsformen definieren, die sich bewusst von protestantischen Frömmigkeitsformen abgrenzen. Die Anbetung der heiligen Hostie, die Bruderschaften, Prozessionen und Wallfahrten, die Marien- und Heiligenverehrung, die Bilder- und Reliquienverehrung werden als sichtbare Erkennungszeichen der Katholizität ausdrücklich empfohlen.“ Sylvaine Reb-Gombeaud, Religion und Religiosität unter Maria Theresia, in: Pierre Béhar/ Marie-Thérėse Mourey/Herbert Schneider (Hg.), Maria Theresias Kulturwelt. Geschichte, Religiosität, Literatur, Oper, Ballettkultur, Architektur, Malerei, Kunsttischlerei, Porzellan und Zuckerbäckerei im Zeitalter Maria Theresias, Hildesheim/Zürich/New York 2011, S. 23–43, hier S. 25. 40 Ebd., Nr. 81959, Brief von Zanathy an den Vizegespan, Szatmár, 29. Apr. 1755. 41 Ebd., Nr. 81960, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 30. Apr. 1755.

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Zanathy plädierte für sofortige Vergeltung, weil seine erschütterte Autorität nur so wiederhergestellt, die Fortsetzung der bisherigen Politik anders nicht gesichert werden könne. Der Bericht verdeutlicht einige Elemente des auf mehreren Ebenen verlaufenden Konflikts.42 Besonders auffallend ist der Gegensatz zwischen Katholiken und Reformierten, der sich auch auf der Ebene symbolischer Handlungen zeigt: das Ausgraben des gesegneten Grundsteins, die grobe Verhöhnung des katholischen Segens,43 der im Gegensatz zu den calvinistischen Glaubensregeln steht, das Gegenritual eines Umzugs mit dem entweihten Grundstein. Die reformierten Bürger erlebten die demonstrative Nutzung katholischer Riten seitens des neuen Stadtrichters als Provokation. Die Profanierung der sakralen oder gesegneten Objekte ähnelte ziemlich dem Ikonoklasmus der Frühprotestanten.44 Sie kannten die sakralen Handlungen der Katholiken, erlebten sie als „götzendienerische“ Praxis und neutralisierten sie durch Spott und Gegenritual.45 Deshalb wurde der 42 „Religion und Konfession stellten nicht nur Rechtfertigungsgründe für Kriege zur Verfügung, sondern gaben, grundlegender noch, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von Gewalt vor. Sie wirkten sinnstiftend und ordnend zugleich.“ „Gerade dort, wo Gewalt ihre legitimen Grenzen überschritt, (...) konnten religiöse Deutungen Sinn und Orientierung vermitteln.“ Kaspar von Greyerz/Kim Siebenhüner, Einleitung, in: ders. (Hg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500–1800), Göttingen 2006, S. 15–16. 43 Der Spott als eine mindere Form der Gewalt bildete „eine wirksame Waffe für die, die über keine institutionalisierte Macht verfügten, um die strukturelle Gewalt der Konfessionalisierung bloßzustellen oder zu instrumentalisieren.“ – schrieb Christophe Duhamelle im Kontext der konfessionellen Gewalt in Thüringen: Christophe Duhamelle, Wandlungen des Spotts. Konfessionelle Gewalt im Religionsfrieden, Eichsfeld 17.–18. Jh., in: von Greyerz/Siebenhüner (Hg.), Religion und Gewalt, S. 321. In unserem Fall handelt es sich um Spott als Waffe und nicht um Spott als Indiz der Aneignung bestimmter Normvorstellungen der Obrigkeit. Der Spott fungierte auch „als Ventil im interkonfessionellen Verhältnis und gleichsam als Verfestigung des eigenen Selbstbewusstseins.“ Ebd., S. 336. 44 Robert W. Scribner, Ritual and Reformation, in: Ronnie Po-Chia Hsia (Hg.), The German People and the Reformation, London 1988, S. 122–144. 45 Eine interessante Parallele bietet die bikonfessionelle Kleinstadt Bischofszell in der Schweiz, wo die protestantischen Jungen während der katholischen Prozessionen Gegenrituale organisierten: „Ritualisierte Formen des Verhaltens sprechen nicht nur für sich, sondern verweisen auch auf die alltäglichen Erfahrungen der Beteiligten. Für die Protestanten Bischofszells war im 17. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit dem katholischen Glauben eng verknüpft mit der Auseinandersetzung mit katholischen Institutionen, die massiven Einfluss auf das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der Stadt nehmen wollten. Expressive Abgrenzungsbemühungen von der anderen Konfession sind deshalb immer auch in diesem Rahmen zu verstehen. Dass diese Abgrenzungsbemühungen in antirituellem Verhalten Ausdruck finden konnten, macht einmal mehr deutlich, wie intensiv die Beschäftigung der Protestanten mit katholischen Praktiken ablief, wie sehr sie darum



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geweihte Grundstein nicht einfach aus dem Boden gerissen, sondern zum Haus des Stadtrichters gebracht. Zanathy stand nicht allein für die Verletzung städtischer Autonomie, seine Machtdemonstration wurde eng mit dem Vormarsch der katholischen Religion in der Öffentlichkeit verbunden. Dass jedoch die Reformierten aus Németi an diesem Spektakel nicht teilnahmen, weist auf den andauernden Zwist zwischen den beiden Stadtteilen hin. Zanathy machte den vormaligen Stadtrichter Szatmári für die Ereignisse verantwortlich, der offenbar, trotz der Untersuchung der Kammer wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten, weiterhin das Vertrauen der reformierten Mehrheit genoss. Der Protest wurde von Mitgliedern der alten städtischen Elite angeführt, die von der Macht verdrängt worden waren. Daraus können wir schließen, dass die Reformierten im Rat selbst, obwohl sie dort weiterhin die Mehrheit bildeten, ihre Interessen nicht länger durchsetzen konnten. Zanathy hielt sie mithilfe der Zentralverwaltung und der Armee in Schach. Seine Einschätzung, dass es ihm gelungen sei, die Stadtbevölkerung von einer für alle Seiten positiven Maßnahme zu überzeugen, erwies sich freilich als allzu optimistisch. Das Misstrauen war riesengroß, zumal die Armee in diesem Machtspiel eine Stütze der Rekatholisierungspolitik des Hofes bildete. So musste das Stabshaus wie ein Fremdkörper in der Stadt wirken,46 ja es symbolisierte die permanente Bedrohung des reformierten Glaubensbekenntnisses der Bevölkerungsmehrheit. Die Einschüchterung der Stadtbevölkerung trug dennoch Früchte, denn im Juli 1755 konnte Zanathy berichten, dass ein Vertrag zwischen Stadt und Komitat zustandegekommen sei, sodass der Bau des Stabshauses nun in Angriff genommen werden könne. Danach stellte die Stadt den Baugrund zur Verfügung, während die Baukosten vom Komitat übernommen wurden. Vermutlich ist der Sinneswandel der städtischen Elite schlichtweg darauf zurückzuführen, dass der angereiste Kammerkommissar den widerspenstigen Stadtbewohnern Festungshaft androhte. Zanathy berichtet darüber an Károlyi: „Am Anfang betrachteten unsere Leute bemüht waren, eine Erwiderung auf diese zu finden, und wie gerade dieses Bemühen um Abgrenzung auf ein Verwischen der religiösen Grenzen hinauslief: Die Protestanten verstanden ihre eigene Konfession in erheblichem Masse über das Verstehen der katholischen.“ Frauke Volkland, Konfessionelle Grenzen zwischen Auflösung und Verhärtung. Bikonfessionelle Gemeinden in der Gemeinen Vogtei Thurgau (CH) des 17. Jahrhunderts, in: Historische Anthropologie 5/3 (1997), S 370–387, hier S. 386. 46 „Errichtung und Aufbau von Festung und Garnison waren in der Politik des Landesherren neben umfassenden Eingriffen in das Stadtregiment und einer oktroyierten Steuerverfassung wichtige und entscheidende Maßnahmen, um die bis zum Dreißigjährigen Krieg nahezu unabhängig agierende Stadt in den entstehenden Untertanenverband einzugliedern.“ Pröve, Stehendes Heer, S. 321.

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die ganze Sache als einen Spaß, als aber Temeswar und Buda47 erwähnt wurden, haben sie ihren Mantel anders gewendet“. Er bat Károlyi, „Eure Exzellenz möge ihrer ungezogenen Tochter [gemeint ist die Stadt Szatmárnémeti], ihrem edlen Komitat gegenüber seine Großzügigkeit zeigen.“48 Man erkennt den grundsätzlichen Unterschied zwischen Zanathy und der städtischen Elite, die Szatmárnémeti als Königliche Freistadt in völliger Unabhängigkeit vom Komitat sah, was aber weder vom Komitatsadel, noch vom Magnaten, noch von Zanathy – einem Komitatsbeamten und Klienten des Grafen Károlyi – akzeptiert wurde. Er sah die Stadt als eine dem Komitat untergeordnete Körperschaft, sodass die Bewahrung ihrer Freiheiten bei ihm in den denkbar ungeeignetsten Händen lag. In den Briefen, in denen Zanathy dem Grafen über den Fortgang der Bauarbeiten am Stabshaus berichtet, tritt er uns als ein tatkräftiger, sachkundiger und fleißiger Bürokrat entgegen, der die Arbeiten sorgfältig beaufsichtigt, Materialien von bester Qualität zum günstigsten Preis auswählt und sogar in bautechnischen Details mitzureden versteht. Ansonsten enthält die Korrespondenz von Zanathy während seiner Amtszeit als Stadtrichter kaum Hinweise auf Belange der Stadt. Manchmal nutzte er seine Position dazu, seinem Patron Gefälligkeiten zu erweisen, so z. B. als sich Károlyi nach den Eigentumsverhältnissen an einem städtischen Grundstück erkundigte und Zanathy versprach, „die alten Verzeichnisse der edlen Stadt [daraufhin] zu überprüfen“.49 Es gab aber auch Situationen, in denen er seine grundsätzliche Loyalität gegenüber dem Grafenhaus nicht mit seinem Amtsethos versöhnen konnte. Ende 1761 wurde er bei Antal Károlyi denunziert, gegen dessen Interessen als Besitzer eines Gestüts verstoßen zu haben, woraufhin ihm dieser einen recht barschen Brief schrieb.50 Zanathy versuchte sich zu rechtfertigen: Die Herde des gräflichen Gestüts sei auf die Stadtgemarkung von Szatmár getrieben worden, was die Rechte der Stadt verletze. „Die Fürsprecher und Landrichter und mit anderen vier alte Leuten ex plebis kamen zu mir, um mich zu bitten, den Auftrieb zu verhindern, da es noch nie jemandem erlaubt worden sei, eine Pferde- oder Viehherde dort weiden zu lassen.“ Er habe für den nächsten Tag beide Räte einberufen. In der Ratssitzung sei der Beschluss gefasst worden, dass die Pferdeherde zum gräflichen Gestüt zurückgetrieben werden solle. „Diese Tat muss nicht mir, sondern dem ganzen Volke zugeschrieben werden, da Eure Exzellenz weiß, wie schwer es ist, das Volk bei solchen Gelegenheiten auf den richtigen Gedanken 47 48 49 50

Dort gab es in den Festungen große Gefängnisse. MOL P 398, Nr. 81962, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 13. Juli 1755. Ebd., Nr. 81954, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 2. Sept. 1752. MOL P 1503, fasc. 1., Brief von Antal Károlyi an Zanathy, 21. Okt. 1761.



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Abb. 24 Das Zentrum der Stadt Szatmárnémeti um 1890. Die ehemals überwiegend reformierte Stadt ist mittlerweile Bischofssitz. Die katholische Kathedrale im klassizistischen Stil bildet eine städtebauliche Dominante am zentralen Marktplatz.

und die richtige Bahn zu bringen, insbesondere für mich, dessen Devotion dem gnädigen Hause gegenüber bekannt ist“.51 Er bat um Verzeihung, wenn er „in der Ausübung meiner Pflicht und meines Eides“ Károlyi gekränkt habe.52 Zanathy befand sich in einer schwierigen Situation. Von der Stadt wurde er nicht akzeptiert, die Bevölkerung betrachtete ihn nicht als einen der ihren, sondern sah in ihm stets den gräflichen Klienten. Da er jedoch einen Eid geschworen hatte, die Stadt bei der Wahrung ihrer Rechte zu schützen, konnte er den gräflichen Gutsknechten nicht einfach die städtischen Weiden überlassen, sondern sah sich veranlasst, zumindest einige grundlegende Spielregeln einzuhalten. Das wurde von mehreren Personen aus Károlyis Umgebung genutzt, um den Patron gegen ihn einzunehmen. In diesem Moment standen sich zwei Pflichten unvereinbar gegenüber: die beeidete Treuepflicht gegenüber der Stadt und die Treue gegenüber dem gräflichen Haus, die zwar nicht auf einer formellen Eidesleistung 51 MOL P 398, Nr. 81962, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 23. Dez. 1761. 52 Zanathy deutete dem Plenipotentiarius Sándor Gáspár gegenüber an, dass er der Denunziant sei. Ebd.

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beruhte, faktisch aber um vieles verbindlicher war. Zanathy sah nämlich in der Treue den Schlüssel zu seiner Verbindung mit den Grafen Károlyi: „Ich bin der Meinung, dass wir die Treue nicht so sehr in der Schule erlernen, sondern ihren Keim mit unserer Geburt mitzubringen pflegen, und so wie wir nachher erzogen werden, so wird sie sich täglich weiter einwurzeln.“53

VIII. 3  „alles was Arm und Bein hat, muss wissen, dass ich Eure Exzellenz lieb habe…“ – Aufgaben, Ethos und Rhetorik eines barocken Klienten Die späten 1750er Jahre bildeten den Höhepunkt im Klientenleben des József Zanathy. Stand er bereits mit Ferenc Károlyi auf gutem Fuße, so kann die Beziehung zu dessen Sohn Antal zwischen 1757 und 1760 als besonders vertrauensvoll bezeichnet werden. In diesen Jahren, vor allem nach dem Tod des alten Grafen im Jahr 1759, bekleidete Zanathy die Funktion eines väterlichen Beraters für den jungen Erben. Einige Beispiele sind geeignet, den weiten Spielraum seiner Tätigkeiten zu verdeutlichen: Nachdem sein städtisches Amt spätestens 1759 geendet hatte,54 sorgte er gemeinsam mit seinem ‚Schwager‘,55 dem Leutnant István Püspöki, für die Ausrüstung des Regiments Károlyi, indem er bei der Bestellung von Waffen und Uniformen half.56 Im Herbst 1758 berichtete er über die Viehzählung in den gräflichen Gutsbetrieben: „Eure Exzellenz wird darin schmähliche Dinge entdecken, an vielen Stellen wird das Vieh des Herrn gemeinsam mit dem der Diener gehalten, das der Diener mit dem des Herrn; dieses Übel wird aber abgeschafft“.57 Ein andermal gab er Ratschläge, wie der gemeinschaftliche Besitz mit Verwandten des Grafenhauses tunlich zu nutzen sei. Auch andere finanzielle Belange der Familie finden sich in seinen Briefen; so stellte er um die gleiche Zeit 53 Ebenda. 54 Das Ende seiner Amtszeit ist schwer bestimmbar, weil zwischen 1759 und 1764 in den Stadtprotokollen die Angaben zu den Wahlen fehlen. Wahrscheinlich erscheint, dass er das Amt seit1759 nicht mehr bekleidete, weil er ständig in Károlyis Angelegenheiten unterwegs war. Im Jahr 1764 wurde der reformierte László Endrédi, der frühere Stadtschreiber, zum Stadtrichter gewählt, was erneut Probleme verursachte, weil er den Eid auf die Heiligen verweigerte. Bagossy, Szatmár-Németi, S. 251. 55 In Zanathys Briefen kommt Püspöki ständig als sein „Schwager“ vor, obwohl wir eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen ihnen nicht nachweisen können. 56 MOL P 398, Nr. 81969, Brief von Zanathy an István Püspöki, Pest, 26. Febr. 1757. 57 Ebd., Nr. 81976, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Csenger, 21. Nov. 1758. Er wies wahrscheinlich auf die Misswirtschaft der Szaplonczay-Brüder hin. Siehe dazu Kapitel VII.3.



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fest, dass „die Geldtruhe Eurer Exzellenz allein den Tagelöhnern, den Handwerkern und anderen Lieferanten etwa 38 000 Gulden schuldet“.58 Im Folgejahr besorgte er Kredite in Höhe von 16 000 Gulden, mahnte Antal Károlyi zugleich, dass er künftig „schmaler“ haushalten solle, da „der Faden reisst, wenn wir ihn zu sehr dehnen“.59 Nach Ferenc Károlyis Tod im Jahr 1759 bereitete er die feierliche Beisetzung vor und sorgte im Zusammenhang mit der Erbschaft dafür, dass eine friedliche Einigung unter den Hinterbliebenen gefunden wurde. Anschließend schlug er vor, einen Teil der persönlichen Dienerschaft des Verstorbenen in Nagykároly zu entlassen, denn „auch die Spatzen schwingen sich bald in die Luft, sie sollen nicht unnützerweise Brot verzehren“.60 Das löste allerdings helle Empörung aus, sodass er zurückrudern musste: „Hier gibt es solch einen Lärm unter den Dienern, dass ich es nicht beschreiben kann. … Das Gerücht hat sich verbreitet, dass Eure Exzellenz Ungarn überhaupt nicht mehr im Dienste halten möchte, sondern nur Deutsche: Ich erwarte die Anordnungen Eurer Exzellenz, welche der Ungarn behalten werden sollen und an wessen Stelle deutsche Diener kommen werden, da sowohl der Kutscher, der Vorreiter als auch der Koch, der Diener und der Küchenjunge sich in alle Winde verstreuen wollen, was großen Lärm unter den hiesigen Ungarn verursachen würde.“61 Schließlich konnte er die Diener jedoch beruhigen: „Zum Kutscher habe ich gesagt: nicht wahr, du wirst dem Grafen die Trompete nicht blasen, gelt, du spielst die Violine nicht, du wirst der Gräfin keine Röcke nähen, dagegen kann der ehrliche deutsche Diener nicht kutschieren, er bäckt dem Grafen keine Wecken und … so wurden sie überredet“ zu bleiben.62 Seinen schwierigsten und bedeutendsten Auftrag erhielt er im Juli 1759. Er sollte die maßgeblichen Leute am Wiener Hof und in den Zentralbehörden „umgarnen“, damit die Herrschaft Ecsed endgültig in den erblichen Besitz des gräflichen Hauses übergehen konnte. Den Großteil dieses äußerst wertvollen Gutskomplexes hatten die Károlyi bereits 1747 von der gräflichen Familie Aspremont gekauft; nach ungarischem Recht musste der Kauf noch durch einen königlichen Schenkungsbrief bekräftigt und legalisiert werden, was erst 1776 gelang. Zanathy verhandelte mit mehreren einflussreichen Personen, und selbstverständlich versprach er allenthalben discretio, doch Vorsicht schien ihm geboten. In Bezug auf den Kammervorsitzenden bemerkte er: „Die Korrespondenz ist schwierig 58 59 60 61 62

Ebd., Nr. 81972, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Pest, 5. Okt. 1758. Ebd., Nr. 81991, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Eger, 10. Febr. 1759. Ebd., Nr. 81982, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 2. Apr. 1759. Ebd., Nr. 81978, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 22. Febr. 1759. Ebd., Nr. 81983, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 13. März 1759.

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mit mächtigen Herren, die, wenn ich meinen Finger reichen würde, meine ganze Hand erwischen würden“.63 Seine Korrespondenz mit Károlyi enthält neben diesen Angelegenheiten von zentraler Bedeutung aber auch banale Neuigkeiten und Klatschgeschichten. Obwohl er den ganzen Juli in Wien verbrachte, konnte er kaum über Erfolge berichten: „Ich ärgere mich so, dass mich fast der Schlag trifft, weil ich bis jetzt umsonst herumlungere und nichts herausfinden konnte.“64 Er wolle aber solange in Wien bleiben, „auch wenn zuhause alles zugrunde ginge“, bis er Károlyi „mit bestimmten guten Nachrichten“ dienen könne.65 Schließlich musste er aber ohne die erhofften guten Nachrichten nach Szatmár abreisen, womit sein Niedergang als Klient vermutlich begann. Man sieht, dass auch zur Mitte des 18. Jahrhunderts die ‚amtlichen‘ und ‚privaten‘ Aufgabenfelder von Amtsträgern und Klienten noch kaum voneinander getrennt waren, dass es keine eindeutige Abgrenzung der Wirkungsfelder, keine klaren Kompetenzen gab. Entscheidend blieben persönliche Bindungen: Vertrauen bildete das maßgebliche Kriterium bei der Verteilung von Aufgaben. Die merkwürdig vielfältigen Wirkungsfelder des József Zanathy sind ein sprechender Beleg dafür. Obwohl offiziell in Diensten des Komitats stehend, wurde er von der Kammerverwaltung als finanz- und konfessionspolitische ‚Feuerwehr‘ in den Kampf mit dem Magistrat der Stadt Szatmarnémeti geschickt. Anschließend nahm er Aufgaben für die Heeresverwaltung wahr, fungierte als Nachlassverwalter, Majordomus und persönlicher Ratgeber, um zuguterletzt mit einer Sache beauftragt zu werden, von der die Stellung der Grafen Károlyi innerhalb der Habsburgermonarchie abhing. Bei alldem wird seine Identifikation mit der Person des Grafen und mit dessen Vermögen auch in der Verwendung der ersten Person Plural sichtbar: „Wir plagen uns wegen des Mangels an Geld, weil unsere Kasse leer ist“.66 Die Art der Rechnungslegung in den Gutsbetrieben empörte ihn maßlos: „Ich weiß kaum, was Eurer Exzellenz, was den Verwaltern und was den Knechten gehört. Lieber sollten wir das ganze Gut in den Sumpf von Ecsed versenken, als weiter so zu wirtschaften wie bisher.“67 Sicherlich wäre es naiv, solche Rhetorik für die Realität zu nehmen, und doch vermittelt die Lektüre seiner umfangreichen Korrespondenz den Eindruck, dass Zanathy ein ungemein engagierter, gewissenhafter und leistungsfähiger Klient war, der sein Bestes tat, um dem Grafenhaus zu dienen. Rhetorik und 63 Ebd., Nr. 81993, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Wien, 11. Juli 1759. 64 Ebd., Nr. 81985, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Wien, 24. Juli 1759. 65 Ebd., Nr. 81995, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Wien, 28. Juli 1759. 66 Ebd., Nr. 81986, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 22. Apr. 1759. 67 Ebd.



Aufgaben, Ethos und Rhetorik

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wahre Gefühle schließen sich ja nicht gegenseitig aus.68 Antal Károlyis Schicksal lag ihm sichtlich am Herzen. Stets wiederkehrend bezeugte er seine Treue: „Alles was Arm und Bein hat, muss wissen, dass ich Eure Exzellenz lieb habe.“69 Darüber hinaus war er deutlich gebildeter und verfügte über einen weiteren geistigen Horizont als seine Umgebung. Er sprach und schrieb drei Fremdsprachen (deutsch, lateinisch sowie französisch), was ihm half, den Aufenthalt von Baron und Baronesse Harruckern, den Schwiegereltern von Antal Károlyi, in Nagykároly abwechslungsreich und angenehm zu gestalten.70 Er interessierte sich lebhaft für Fragen der Religion, der Politik, der Geschichte, der Geografie und der Literatur. Die geistig uninteressierte Welt des Komitats Szatmár befriedigte ihn nicht: „Wir haben hier, mein gnädiger Herr, keine denkwürdige Neuigkeit, wir sprechen über die Ernte, die Mahd oder das schöne Wetter“.71 Manchmal fällte er aus geringfügigem Anlass niederschmetternde Urteile über die Provinz: „Auf diesem Boden der Ignoranz ist es eine große Kunst einen mit besonderen Sitten ausgestatteten Stallknecht zu finden“.72 So nimmt es nicht Wunder, dass er sich selbst für eine „verfehlte Existenz“ hielt, „der ich mich seit meiner Kindheit mit den Büchern beschäftigt habe und zufällig zum Perzeptor und Buchhalter wurde“.73 Über die europäische Politik versuchte er sich über Briefwechsel mit Bekannten auf dem Laufenden zu halten: „Aus Wien schreibt einer meiner Wohltäter, dass der Preuße fast die ganze Munition nach Berlin tragen lässt und von den neulich in seine Hände gelangten Schlesiern ein dreijähriger Steueranschlag verlangt würde.“74 Stets betonte er, auch in seinen aktivsten Jahren als Amtsträger des Komitats, wie sehr ihm geistige Beschäftigung Freude bereite. In den Jahren größter Nähe zum jungen Grafen Antal nahmen Zanathys Schreiben einen intimen Tonfall an: „Auch ich begrüße meinen Herrn, den kleinen

68 Vgl. Mark Hengerer, Amtsträger als Klienten und Patrone? Anmerkungen zu einem Forschungskonzept, in: Stefan Brakensiek/Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 45–78. 69 MOL P 398, Nr. 81992, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Wien, 9. Juli 1759. 70 Ebd, Nr. 81972, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 5. Okt. 1758. 71 Ebd., Nr. 81965, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 15. Juni 1756. Trotzdem hegten seine „Schicksalsgenossen“ wie Ferenc Geöcz eine gute Meinung über ihn. Geöcz lud ihn zusammen mit Vitkay als Beisitzer auf die Gerichtssitzung der Kameraladministration nach Huszt ein und charakterisierte ihn als Mann von „Herz, Verstand und Religion“. Vgl. dazu Kapitel IX.4. 72 Ebd., Nr. 81968, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 25. Apr. 1757. 73 Ebd., Nr. 81997, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 28. Febr. 1760. 74 Ebd., Nr. 81963, Brief von Zanathy an Ferenc Károlyi, Szatmár, 29. Juli 1756.

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General.“75 Er gratulierte zu dessen kommenden Kindersegen, indem er tausend Glückwünsche zum „Meisterstück“ entrichtete.76 Manchmal schlug er einen geradezu neckischen Ton an: „Mein lieber gnädiger Herr, wenn ich fragen darf, wird Eure Exzellenz im nächsten Herbst taufen? Hier paaren sich die Vögel, auch ich würde mich paaren, wenn ich dazu käme.“77 Ausführlich beklagte er seine Erkrankungen. Als seine Hände anschwollen und erlahmten, berichtete er: „Meine beiden Hände sind so verkrüppelt, dass ich beim Schreiben die Feder mit dem dritten Finger halte.“78 Nachdem er davon geheilt war, erkrankte er an Malaria und delirierte: „Zwei Nächte lang habe ich genug herumgenarrt, wie die Diener behaupten.“79 Interessanterweise ist in keinem seiner Briefe von materiellen Geschenken die Rede, die in der Forschung als praktisch obligatorische Elemente der Beziehung zwischen Patron und Klient gesehen werden und bei anderen Klienten der Károlyi, wie wir oben gesehen haben, sehr wohl eine wichtige Rolle spielten. Ob Zanathy seinen Herrn wirklich nicht mit kleinen Aufmerksamkeiten beschenkte – wir wissen es nicht. Vermutlich vertrug sich das nicht mit seinem Selbstverständnis als Mitglied der Gelehrtenrepublik; stattdessen eignete er seine weltlichen und geistlichen Schriften seinem Herrn und Gebieter zu. Er selbst wurde 1759 für seine treuen Dienste sehr wohl ganz handfest belohnt, indem er in Szamosdob gräfliche Güter als Pfandbesitz erhielt. Sein sofortiger Versuch, diesen Pfandbesitz in erbliches Eigentum zu verwandeln, wurde jedoch vonseiten der Herrschaft zunächst ignoriert.80

VIII. 4  Ein alternder Klient auf dem Abstellgleis Seit 1760 wurden die Briefe des József Zanathy an seinen Patron seltener. Er berichtete über die Steuereinnahme, über die Komitatssitzungen, über Heeresangelegenheiten, so „dass nichts in dem unter der Leitung Eurer Exzellenz befindlichen edlen Komitat ohne Euer Wissen vorfallen möge.“81 In einem Brief aus dem Jahr 1768 schreibt er selbst, dass er sich seit Längerem nicht gemeldet habe, 75 Ebd., Nr. 81965, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 15. Juni 1756. 76 Ebd., Nr. 81966, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 24. Sept. 1757. 77 Ebd., Nr. 81982, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 2. Apr. 1759. 78 Ebd., Nr. 81988, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 2. März 1759. 79 Ebd., Nr. 81986, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 22. Apr. 1759. 80 Ebd., Nr. 81988, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 2. März 1759. Ende der 1760er Jahre besaß Zanathy 4,75 Hufen (224 Joch) mit 11 Hörigen (er war damit das ärmste Mitglied des Familienverbands Szuhányi). Vgl. dazu Tabelle 9 in Kapitel IX. 81 Ebd., Nr. 82010, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 10. Juli 1767.



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„weil ich keinen Grund dafür hatte und ich wollte Eure Exzellenz nicht grundlos belästigen.“82 Wir konnten nicht sicher in Erfahrung bringen, was zwischen Zanathy und seinem Patron vorgefallen ist. Entweder ist die offensichtliche Entfremdung zwischen ihnen auf die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen in Wien zurückzuführen. Möglicherweise war Graf Antal auch der subtilen Bevormundung durch den deutlich älteren Zanathy überdrüssig. Vielleicht jedoch hatte der treue Diener einfach seine Schuldigkeit getan, denn die wichtigsten Aufgaben von József Zanathy fielen in die Zeit der krisenhaften Übernahme der Herrschaft durch Antal Károlyi. Nachdem diese Krise gemeistert war, verringerte sich seine Bedeutung. So wurde er nicht zum Mitglied im Vorstand der Commissio oeconomicalis, dem Zentralorgan der Güterverwaltung ernannt.83 Obendrein resultierte aus dem endgültigen Umzug der gräflichen Familie nach Wien, Pest und Preßburg nicht nur eine physische Distanz zur Welt des Komitats, sondern auch eine lebensweltliche Entfremdung, ohne dass der alternde Klient fallengelassen wurde. Er blieb freilich mit erheblich geschwächtem Bezug zur Herrschaft in der Enge der lokalen Welt zurück. Zanathys Ehefrau, auf deren Herkunft er stolz war und die er sehr verehrte, muss zwischen Ende 1757 und Anfang 1759 gestorben sein. Seitdem lebte der Witwer zunächst mit seinen drei Kindern in einem Haushalt. In den 1770er Jahren verließen die beiden Söhne Mihály und Antal das Elternhaus aus Gründen der Ausbildung, während die Tochter Teréz beim Vater blieb und ihm den Haushalt führte.84 Wie in Patronagebeziehungen weithin üblich, bat auch Zanathy seinen Herrn um Hilfe bei der Ausbildung und Platzierung seiner Söhne. 1769 verschaffte Antal Károlyi dem Antal Zanathy, bei dessen Taufe er wahrscheinlich Pate gestanden hatte, ein Stipendium am Theresianum von Waitzen/Vác.85 In dieser von Maria Theresia gegründeten und von den Piaristen geleiteten Eliteschule studierte im Jahr 1767 auch József, der Sohn von Graf Antal Károlyi.86 Nachdem 82 Ebd., Nr. 82015, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 14. Febr. 1768. 83 Nach seinen sporadischen Bemerkungen war er mit dem in Ungnade gefallenen Demeter Rácz befreundet, stand aber in nicht gerade freundlichen Beziehungen mit Sándor Gáspár, dem Plenipotentiarius, der eine Schlüsselposition innehatte. Es wird kein Zufall sein, dass er gerade im Jahr 1760 Antal Károlyi um eine Gehaltserhöhung bat. Anscheinend hatte er kein Nebeneinkommen mehr. Ebd., Nr. 81997, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 28. Febr. 1760. 84 Später heiratete sie Antal Szentléleki, einen Geschworener des Komitats. 85 Ebd., Nr. 82016, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 2. Febr. 1769. 86 János Kisparti, A váci Theresianum története [Geschichte des Vácer Theresianums], Vác 1914, S. 37. Die Förderung von Söhnen verdienstvoller, aber mittelloser Staatsbeamter war eine beliebte Form der Belohnung in der Regierungszeit Maria Theresias. Olga Khava-

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sein jüngerer Sohn im Jahr 1773 die Schule abgeschlossen hatte, trat Zanathy erneut an den Grafen heran mit dem Hinweis, dass er sich für die technischen Wissenschaften interessiere: „Dieses mein Kind hofft, dass, da in Szenc87 auch im nächsten Jahr nur die Geometrie unterrichtet wird und die Trigonometrie gerade nicht, die er aber hören und studieren möchte, weshalb ich Eure Exzellenz bitte, die Güte zu haben ihn in Eure gnädige Gunst aufzunehmen, und weil in Wien wohl diese Wissenschaften unterrichtet werden, ihn in eine dort befindliche Stiftung aufzunehmen, so dass er die Trigonometrie und Architektur nach seinem Gefallen studieren kann, da ich sehe, dass er für diese Wissenschaften ganzes Herz und Lust verspürt ... Caeterum mein gnädiger Herr, ich bin nicht Zebedäus88, dass ich meine beiden Söhne auf die rechte und linke Seite Eurer Exzellenz setze, sondern nur der Eifer, der vom Fleiß dieses Jungen angespornt wird, bringt mich dazu, so zu handeln.“89 Damit spielte er auf die gleichzeitige Förderung seines älteren Sohnes Mihály durch den Grafen an, für die er sich 1774 bedankte: „Ich habe, mein gnädiger Herr, von meinem Sohn Miska, der sich unter den Fittichen Eurer Exzellenz befindet, vernommen, dass ... Eure Exzellenz, seiner Gnade entsprechend, meinen Sohn zum Soldatenstand verhelfe.“90 Antal Károlyi erhielt zahlreiche solcher Bitten um Unterstützung, sogar von Unbekannten.91 Die Anfragen nova, Az apai érdemeket a fiúkban jutalmazni… Az iskoláztatás privilégiuma Mária Terézia uralkodása idején [Die Verdienste der Väter in den Söhnen belohnen... Das Privileg der Schulbildung während der Regierungszeit Maria Theresias], in: Századok 139/5 (2005), S. 1112–1113. Für Ungarn waren zehn Stiftungsplätze vorbehalten. Neben der deutschen wurde auch die französische Sprache, Fechten und Tanzen unterrichtet. Besonderer Wert wurde auf die Naturwissenschaften (Physik, Geometrie und Architektur) gelegt. Ratio studiorum collegii regii Theresiani Vaciensis… Vacii 1781. 87 In Szenc gab es ein Collegium Scientiarum Politico-Oeconomico-Cameralium, ein Jahrzehnt früher gegründet und ebenfalls von Piaristen geleitet, wo Fachleute für die Staatsverwaltung, insbesondere für die Kammeradministration ausgebildet wurden. Hier wurde unter anderem Geometrie, Kartografie, Physik, Wirtschaft, Rechnungsführung und amtliche Schriftführung unterrichtet. Nach einem Brand im Jahre 1776 wurde das Kollegium allerdings nicht wieder aufgebaut, obwohl die mehr als 100 Ingenieure und anderen Fachleute, die hier studiert hatten, während der Urbarialregulierungen und Entwässerungsarbeiten gute Dienste geleistet hatten. Kosáry, Művelődés, S. 495–496. Antal Zanathy studierte zwischen 1772 und 1774 in Szenc. 88 Zebedäus war der Vater der Apostel Jakob und Johannes. 89 MOL P 398, Nr. 82031, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 4. Okt. 1773. 90 Ebd., Nr. 82036, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 13. Febr. 1774. Antal wollte wahrscheinlich an der militärischen Ingenieurakademie in Wien weiterstudieren, aber das gelang ihm nicht. 91 Olga Khavanova, Official Policies and Parental Strategies of Educating Hungarian Noblemen in the Age of Maria Theresia, in: Ivo Cerman (Hg.), Adelige Ausbildung. Die



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seines alten Vertrauten Zanathy schlug er selbstverständlich nicht aus, sondern unterstützte seine Söhne in jeder Hinsicht, zumal sie wohl begabte, eifrige junge Männer waren. Es stellt sich die Frage, ob ihre Schulung Teil einer gezielten Ausbildung zum Klienten war, wie es einschlägige Studien für andere Teile Europas hervorgehoben haben.92 Der ältere Sohn Mihály schlug letztlich keine Offizierslaufbahn ein, sondern kehrte bald ins Komitat Szatmár zurück, wo er seit 1784 als Stuhlrichter amtierte, seit 1796 als Obersteuereinnehmer, womit er das berufliche Erbe seines Vaters antrat. Er heiratete in eine angesehene Familie des Komitatsadels ein; mit seiner Frau Magdolna Szuhányi, der Tochter des Vizegespans László Szuhányi, hatte er fünf Kinder.93 Der jüngere Sohn Antal wurde Vermessungsingenieur, zunächst im Dienst der Károlyi, und als solcher nahm er – wie sein Bruder Mihály − auch an der Szamos-Regulierung teil.94 Einen seiner Briefe an seinen Paten und Patron unterzeichnete er mit clientum infimus.95 Der alte Zanathy wurde von diesem Sohn allerdings enttäuscht, als dieser den gräflichen Dienst quittierte.96 Über das weitere Los des Antal Zanathy erfahren wir ein wenig aus einem einzigen Brief, den er nach dem Tod seines Vaters an Antal Károlyi geschrieben Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006, S. 95–115. 92 Vgl. Heiko Droste, Die Erziehung eines Klienten, in: Stefan Brakensiek/Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 23–44. 93 Iván Nagy, Magyarország nemes családjai, Bd. XII., S. 309. 94 Sándor Takáts, A Szamos szabályozása a múlt században [Die Regulierung der Szamos im vorigen Jahrhundert], in: Magyar Gazdaságtörténelmi Szemle 5 (1898), S. 563. Mihály kommandierte im Jahr 1777 insgesamt 640 Arbeiter für die Reinigung des Flusses ab. Ebd., S. 568. 95 MOL P 398, Nr. 81940, Brief von Antal Zanathy an Antal Károlyi, Gyula, 22. Nov. 1783. In ungarischen Briefen findet sich fast nie die (Selbst-)Bezeichnung „Klient“. Als „clientus“ bezeichneten sich mehrheitlich in lateinischsprachigen Briefen die Studierenden (freundlicher Hinweis von Olga Khavanova). Der Terminus „Patron“ kommt zwar häufiger vor, aber nicht allzu oft. Das war nicht nur in Ungarn so. In den Korrespondenzen hochadliger kaiserlicher Höflinge Mitte des 17. Jahrhunderts ist „der Terminus ,Patron‘ anders als der des ,Klienten‘ recht häufig anzutreffen“. Hengerer, Amtsträger als Klienten und Patrone?, S. 69. Zur Semantik der Patronage siehe auch ebd., S. 69–78. In einem Briefsteller vom Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Brief „Eines Clienten an einen hohen Gönner“ als „Egy tanuló ifjúnak kegyes jótevőjéhez való köszönete“ (Dank eines Studenten an seinen gnädigen Gönner) übersetzt. Legújabb megbövített..., S.101–102. 96 Er kartierte die Güter der Familie Károlyi. Auch aus dem Banat ist eine von Zanathy gezeichnete Karte bekannt. Ferenc Fodor, Magyar vízmérnököknek a Tisza-völgyben a kiegyezés koráig végzett felmérései, vízi munkálatai és azok eredményei [Regulierungswerke, Aufnahmen und Resultate ungarischer Wasserbau-Ingenieure im Theißtal bis zur Periode des Ausgleichs], Budapest 1957, S. 132.

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hat. Neun Jahre hindurch hatte er demzufolge in den gräflichen Herrschaften im Komitat Békés im Süden der Tiefebene gearbeitet. Im Jahr 1786 „…musste ich den beim Cameralis Administratio aus Temes gesuchten Dienst fortsetzen und für die bestellte Zeit nach Temesvár übersiedeln.“97 Im späten 18. Jahrhundert finden wir ihn jedoch erneut in Szatmár, nun als Ingenieur in Diensten des Komitats.98 Wie kann man diese Befunde interpretieren? Sicherlich durchliefen die Söhne des József Zanathy keine herausragenden Laufbahnen als Klienten der Károlyi, dazu besaß ihr Vater zum Zeitpunkt ihres Karrierebeginns vermutlich nicht mehr genügend Platzierungspotenzial. Stattdessen blieben sie lediglich im weiteren Umfeld des Grafenhauses, erreichten jedoch reputierliche Stellungen im Dienste desjenigen Komitats, das ihren Vater zunächst nicht gerade mit offenen Armen empfangen hatte. Das ist umso bemerkenswerter, als sich dessen wirtschaftliche Lage problematisch gestaltete. József Zanathy besaß offenbar nie das Geschick, seine Klientenstellung beherzt in größeren ökonomischen Erfolg umzumünzen. Im Februar 1760 klagte er erstmals über seine schwierigen Lebensverhältnisse und verlangte vom Komitat bzw. vom Obergespan Antal Károlyi eine Gehaltserhöhung, indem er sich auch auf die materielle Versorgung seiner drei Waisenkinder berief.99 Im Herbst 1766 wandte er sich erneut an Károlyi, diesmal um dessen Protektion für die Erlangung des Amtes eines Provinzkommissars100 zu erhalten: „Ich schreibe wohl mit Scham diesen Absatz meines Briefes.“ Gleichwohl bitte er darum, dass „Eure Exzellenz die Güte habe, bei den gnädigen Herren Kanzlern 97 Ebd., Nr. 81941, Brief von Antal Zanathy an Antal Károlyi, Nagykároly, 2. Juli 1789. Aus seinem Brief geht hervor, dass er gekränkt war, weil ihm im Jahr 1786 am Anfang der großen Katasterarbeiten nur eine Stelle mit 2 Gulden Diurnum angeboten wurde. Als er auf zwei seiner Briefe keine Antwort von Antal Károlyi erhielt, übersiedelte er nach Temesvár. 98 Als Komitatsingenieur fertigte er die Karte des Komitats an und führte kleine Regulierungsarbeiten in Szatmárnémeti durch. Ferenc Fodor, A magyar térképírás [Die ungarische Kartographie], Bd. I., Budapest 1952, S. 160–163. Seine Karte wurde in einem Atlas publiziert: Magyar Átlás..., azaz Magyar, Horvát és Tót országok vármegyéi s szabad kerületei és a határ őrző katonaság vidéinek közönséges és különös táblái [Ungarischer Atlas...], Bécs 1802–1811. Wir haben keinen Hinweis darauf, wieso Károlyi keine bedeutendere Verwendung für ihn bei den Entwässerungsarbeiten fand. Siehe dazu Kapitel IX.5. 99 Ebd., Nr. 81997, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 28. Febr. 1760. Er schrieb, dass er seit 12 Jahren als perceptor diene, und dass er mit jährlichen 300 Gulden Gehalt seine Familie nicht ernähren könne. 100 Das Provinzkommissaramt (Commissariatus provincialis) wurde 1723 errichtet und war für die Versorgung der Truppen zuständig. Das Amt sollte die Interessen der Zivilbevölkerung gegenüber der Armee wahren.



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einzugreifen und meine Person wirksam zu rekommandieren. Ich weiß, dass Eure gnädige Rekommandation jede andere übertrifft.“101 Interessant ist seine Bemerkung: „Ich habe keine Bekannten, denen ich die Sache anvertrauen kann“. Ein paar Jahre früher hatte sich Zanathy monatelang in Wien aufgehalten und dabei viele hohe und niedere Amtsträger kennengelernt. Damals spielte er jedoch die Rolle des von Károlyi delegierten Verhandlungspartners, eine Rolle, aus der er für seine eigenen Angelegenheiten keinen Nutzen zu ziehen verstand. Hinzu kam, dass seine finanzielle Situation nicht so beschaffen war, dass er einer Bittschrift mit ‚angemessener‘ discretio den nötigen Nachdruck verleihen konnte. Sein Vorstoß blieb jedenfalls ohne Erfolg, sodass er einen Monat später resigniert schrieb: „Ich glaube, Eure Exzellenz, dass mein Glück nur zu blühen und keine Früchte zu tragen pflegt. Sed fiat voluntas Dei!“102 Wieso jedoch der Eifer bei der Suche nach zusätzlichen Einkommensquellen? Wenig später, im Frühjahr 1767, wurde ruchbar, dass er in seiner Eigenschaft als Einnehmer der Kriegssteuern (perceptor) größere Fehlbeträge hatte auflaufen lassen, deren Begleichung seine finanziellen Kräfte weit überstiegen. Bei der Rechnungslegung für die vergangenen zwei Jahre ergab sich ein Fehlbetrag von über 6  000 Gulden.103 Obwohl nicht auszuschließen ist, dass diese bedeutende Summe oder zumindest ein Teil davon in seiner eigenen Tasche gelandet war, sind auch andere Erklärungen denkbar. Zwar waren die zeitgenössischen Techniken der Buchführung hinreichend entwickelt, dass einer solchen fatalen Entwicklung durch einen rechnungsführenden Amtsträger ‚an sich‘ vorgebeugt werden konnte. Die alltäglichen Umstände der Eintreibung der Steuern und der Auszahlung an das Militär grenzten im östlichen Ungarn jedoch an ein offenes Chaos. Auch so konnten sich erhebliche Restanten ansammeln. Zanathy versuchte, die Art des Zustandekommens der Fehlbeträge nachträglich zu erklären und sich dadurch zu rechtfertigen. Schließlich war er jedoch wohl oder übel gezwungen, an die Gnade der Königin zu appellieren, zunächst allerdings ohne Erfolg.104 Der Vizegespan László Szuhányi riet Antal Károlyi, seinem alten Klienten zu helfen und ihm bei Hofe Fürsprecher zu verschaffen.105

101 MOL P 398, Nr. 82003, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 16. Okt. 1766. 102 Ebd., Nr. 82001, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 23. Nov. 1766. 103 Ebd., Nr. 72470 und 72472, Briefe von László Szuhányi an Antal Károlyi, Károly, 25. Febr. 1767 und 10. Jan. 1767. 104 MOL Familie Károlyi, P 396 Acta publica, Lad. 190, Fach 143. 105 MOL P 398, Nr. 72520, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Károly, 22. Febr. 1778.

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Einmal mehr sah Zanathy in dem Grafen seine einzige Stütze und bat im Dezember 1767 um die Überlassung eines Pfandbesitzes in Tótfalu.106 „Ich muss gestehen, dass ich ihn nicht um meiner Verdienste willen erbitte, da ich in der Vergangenheit von Verdiensten nicht viel hielt. Gegenwärtige Verdienste habe ich sowieso nicht, und weil ich täglich älter werde, kann ich auch zukünftige Verdienste nicht anbieten. Meine ganze Hoffnung stützt sich auf die Eurer Exzellenz und Eurem gnädigen Blut erwiesene Treue, sowie die von Eurer Exzellenz mir gegenüber bis heute geübten Gnade. Wenn ich meine Söhne auf die in mir wohnende Treue vereidigen könnte, wie Hadrubal seinen Hannibal, dann würde ich sie an meiner Stelle Eurer Exzellenz opfern.“107 Wahrlich ein schönes Beispiel barocker Rhetorik! Seit Ende der 1760er Jahren kränkelte Zanathy immer mehr. In seinen selten gewordenen Briefen erwähnt er immer wieder seine Erkrankungen, insbesondere einen wiederkehrenden Schüttelfrost.108 Selbstironisch schrieb er: „Meiner Erfahrung nach hat sich die Krankheit so an mich gewöhnt, dass sie, selbst wenn ich sie gar nicht wahrnehme, sich auf mir niederlässt.“109 Trotzdem ging er seiner Amtstätigkeit weiter nach. Zur Komitatssitzung fuhr er, indem er sich „auf meinen Pferdewagen ein Bett machen ließ“110, um dort die Arbeit mal liegend, mal stehend zu erledigen. Mit der Zunahme der amtlichen Vorschriften im Kontext der josephinischen Reformen vermehrte sich sein Arbeitspensum noch.111 Zanathy schrieb ständig, ließ kopieren, bereitete Berichte vor, verglich die Rechnungsbücher beider Kassen.112 Außerdem fand er äußere Bedingungen vor, die alles andere als ideal waren: „Wahrhaft, Eure Exzellenz, es gibt jetzt viel Arbeit, meine 106 Statt Misztótfalu bekam er damals wahrscheinlich den Pfandbesitz in Encsencs. 107 MOL P 398, Nr. 82006, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 20. Dez. 1767. 108 Die Malaria war im 18. Jahrhundert in Ungarn ziemlich verbreitet, gerade in sumpfigen Regionen und Überschwemmungsgebieten. 109 Ebd., Nr. 82032, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 23. März 1773. 110 Ebd., Nr. 82021, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Erdőd, 28. Sept. 1770. 111 Eine immer wiederkehrende Beschwerde seitens der damaligen Behörden war die Vermehrung der „Schreiberei“. Für die dauerhaften Fortschritte der Bürokratisierung als wichtiges Resultat der josephinischen Reformen in Ungarn siehe Kállay, II. József, S. 381–399. Trotz der zeitgenössischen Klagen werden die josephinischen Reformen von der modernen Forschung als „Grundstein der modernen Bürokratie“ bewertet: „Versuchen wir die Bedeutung josephinischer Reformen, die in bezug auf Bürokratie und Beamte gesetzt wurden, zu gewichten, so kristallisiert sich der eine Schwerpunkt um die Einheitlichkeit, Regelmäßigkeit und Effektivität der Administration, der andere um die arbeitsrechtliche Absicherung der Beamten.“ Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848, Wien/Köln/Graz 1991, S. 34. 112 MOL P 398, Nr. 82032, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 23. März 1773.



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Schreiber sind wie die Kälber und so viele Notare wir sind, so weit voneinander entfernt wohnen wir.“113 Auch der Komitatsversammlung erschienen ihre wechselnden Tagungsorte unbefriedigend, die Zentralbehörden drängten ebenfalls darauf, der Komitatsverwaltung einen festen Sitz zu geben.114 Infolge eines entsprechenden Komitatsbeschlusses und auf Károlyis Befehl wurde Nagykároly zum neuen Komitatssitz erkoren, sodass Zanathy Ende 1772 dahin umziehen musste. Dem alternden Notar wurde seine Arbeit immer saurer. So klagte er darüber, dass ihn die Fülle der Aufgaben dazu nötigte, auch nachts zu arbeiten, obwohl er auch mit Brille schlecht sehe. Er verlangte deshalb, dass das Komitat den Schreiber anstellte, der ihm dabei half. In Nagykároly ging es ihm gesundheitlich nicht besonders gut, weshalb er 1776 nach Encsencs, auf seinen von Károlyi erhaltenen Pfandbesitz zog. Noch einmal wandte er sich an seinen Patron mit der Bitte, ihm das kleine Gut zu erblichem Volleigentum zu überlassen: „... zwar mit Furcht, doch mit demütigem Vertrauen stelle ich mich vor das gnädige Antlitz Eurer Exzellenz.“115 Ein Antwortschreiben Antal Károlyis ist nicht überliefert, die Tatsache, dass die Nachkommen József Zanathys auch im 19. Jahrhundert noch Grundbesitzer in Encsencs waren, spricht dafür, dass er der Bitte seines Getreuen schließlich nachgekommen ist.116 Das half diesem jedoch nicht aus der aktuellen finanziellen Klemme. Im Jahre 1778 richtete er eine Supplikation um Schuldenerlass an die königliche Statthalterei, doch ohne Erfolg: „Meine Bittschrift nahm, Eure Exzellenz, schnell den Weg hin nach und zurück von Preßburg, um eine sehr bittere Antwort zu enthalten: Pauper ubique jacet.“117 Zwei Jahre später wandte er sich an alle möglichen Personen, mit denen er amtlich zu tun hatte, sie möchten zur Unterstützung seines Gnadengesuchs seine langjährigen Verdienste bezeugen. Unter seine Verdienste rechnete er auch die Zurückdrängung der Calvinisten in der Stadt Szatmárnémeti, woran die reformierten Herren in der Komitatsversammlung einigen Anstoß nahmen, sodass der Vizegespan László Szuhányi seine liebe Not hatte, dem Schwager und Religionsgenossen die nötige Unterstützung

113 Ebd., Nr. 82023, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Szatmár, 9. Sept. 1771. 114 Maria Theresia drängte die Komitate 1771 dazu, einen festen Sitz zu errichten, wo auch die Komitatsbeamten untergebracht werden sollten. Hajdu, II. József igazgatási reformjai, S. 44–46. 115 MOL P 398, Nr. 82043, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 6. Jan. 1776. 116 Er bekam 25,5 Hufen, damit eines der größten Pfandgüter, das die Károlyis je verliehen haben. 117 MOL P 398, Nr. 82049, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 30. Jan. 1778.

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vonseiten des Komitats zu sichern.118 Und ein weiteres Mal unterstützte Antal Károlyi im Jahr 1781 seinen alten Getreuen, indem er ihm 638 Gulden schenkte, die sofort zur Begleichung der Fehlbeträge in der Steuerrechnung eingesetzt werden mussten.119 Zanathy schrieb, dass er seiner Dankbarkeit keinen sichtbaren Ausdruck verleihen, dass er lediglich seine Treue anbieten könne. Er verschreibe sein Leben dem Hause Károlyi „bis zum Verschließen meines Sarges“.120 Auch der greise Zanathy versuchte noch, sich irgendwie nützlich zu machen. So rückte er 1781 mit einem Plan heraus, wie man die gräfliche Wirtschaft rentabler gestalten könnte. Schon zwanzig Jahre vorher war auf seinen Vorschlag hin ein Wald in der Gemarkung von Pér gerodet und mit Wein bepflanzt worden, aus dem die gräfliche Gutsverwaltung nun schönen Profit schlug. Da „Eure Exzellenz im Jahr für 25 bis 30 und noch mehr Tausende von Dukaten Wein für ihre eigenen Schenken kaufen lassen muss, obwohl man sie mit etwas Fleiß aus den eigenen Gütern ... verschaffen könnte“, schlug er erneut die Neuanlage bzw. Erweiterung von Rebgärten vor.121 Darüber hinaus widmete er seine Zeit immer mehr seinen gelehrten Vorlieben. In seiner aktiveren Zeit hatte er schon ein Geografiebuch ergänzt und verbessert, das im Jahre 1757 in Nagykároly erschien.122 Möglich wurde das durch das Mäzenatentum des Ferenc Károlyi, der die dortige Druckerei 1755 gegründet hatte.123 Eines der ersten Werke, das in Nagykároly in Druck ging, die „Kurze Beschreibung Ungarns in Versen“ von István Pap [Magyarország versekben való rövid leírása, 118 Ebd., Nr. 72530, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Károly, 9. Okt. 1780. 119 Sein Weingarten in Pér wurde im Jahr 1781 für 1 588 Gulden zur Begleichung der Fehlsumme versteigert. Nach seinem Tod am 29. Mai 1790 ersuchte seine Tochter das Komitat um Erlass der Schulden. Ebd., Fach 144, Nr. 907. 120 Ebd., Nr. 82050, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 22. Febr. 1781. 121 Ebd., Nr. 82051, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Encsencs, 16. Dez. 1781. Wahrscheinlich nicht ohne Eigeninteresse, da er gerade seinen Weingarten in Pér verloren hatte. 122 István Vetsei Pataki, Magyar Geografiája … Ungarische Geografie] (verbessert und ergänzt von József Zanathy), Nagy-Károly 1757. József Szinnyei, Magyar írók élete és munkái [Leben und Werk ungarischer Schriftsteller], http://mek.niif.hu/03600/03630/ html/index.htm Interessenterweise waren die ersten beiden Drucker, Vetsei und Pap, Calvinisten und in Basel geschult. 123 MOL A 57, Magyar Kancelláriai Levéltár [Ungarische Hofkanzlei], Libri regii, Band 43, S. 610, Genehmigung vom 27. Okt. 1755. In der Zeit der Aufklärung wurden zahlreiche neue Druckereien in Ungarn gegründet. Die Mehrzahl der Publikationen erschien jedoch noch nicht in ungarischer Sprache, aber ihre Zahl nahm beständig zu. János Kalmár, Aufklärung und Kultur, in: István György Tóth (Hg.), Geschichte Ungarns, Budapest 2005, S. 415. In Nagykároly wurden bis 1800 etwa 160 Bücher gedruckt.



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Abb. 25 Titelseite des Werkes von István Pataki Vetsei: Magyar Geografiaja … [Ungarische Geographie] (verbessert und ergänzt von József Zanathy), NagyKároly 1757.

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Nagykároly 1756], versah der Drucker übrigens mit einer Widmung für Mihály Zanathy, den „heranwachsenden Jüngling“. In dem kleinen Betrieb wurden unter anderem auch zwei vom kränkelnden Ferenc Károlyi aus dem Französischen übersetzte religiöse Schriften gedruckt.124 Zanathy versah nebenbei das Amt des Zensors für diese Druckerei.125 In seinem Grußschreiben zu Weihnachten 1782 machte Zanathy seinen Pa­ tron darauf aufmerksam, dass er ihm im vorigen Sommer „das von mir ins Ungarische übersetzte Hohelied“126 zugeeignet hatte und bat um Hilfe bei der Drucklegung.127 Vier Jahre später wandte sich der nun 72-jährige erneut mit pathetischen Worten an seinen Patron: „Eure Exzellenz, das ungarische Wort liegt in unserem Lande im Sterben und auch jene, die am Regierungssitz leben, sind darüber besorgt, wie für ihre Enkel die alte ungarische Sprache bewahrt werden kann. Dazu sind jene Bücher geeignet, die in ungarischer Sprache verfasst worden und so beschaffen sind, dass sie den Leser nicht nur in der Muttersprache festigen, sondern ihn auch seelisch beglücken können. ... Ich werde sterben, mein Gnädiger Herr, 124 Gábor Éble, Egy magyar nyomda a XVIII. században [Eine ungarische Druckerei im 18. Jahrhundert], Budapest 1891, S. 35–37. Beide Schriften erschienen kurz vor seinem Tod, in den Jahren 1757 und 1758, die erste wahrscheinlich eine Übersetzung von Schriften des reformierten schweizerischen Theologen Jean-Frédéric Ostervald, die zweite eine bisher unbekannte katholische Arbeit. 125 Ebd., S. 23–24. 126 Auch die städtische Kultur wurde noch sehr stark von religiöser Literatur geprägt. Eine Analyse der Bibliotheken in mehreren oberungarischen (heute: slowakischen) Bergstädten Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt ein interessantes Bild: „In Schemnitz gab es in den kleineren Büchereien 59 % religiöse und 38 % nichtreligiöse Bücher, in Neusohl stieg der Anteil der geistlichen Literatur auf 61 %, der der weltlichen sank auf 35 %.“ Viliam Čičaj, Die Bildung und die Kultur in den mittelslowakischen Bergstädten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Gerda Mraz (Hg.), Maria Theresia als Königin von Ungarn, Eisenstadt 1984, S. 183–193, hier S. 188. 127 MOL P 398, Nr. 82052, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 26. Dez. 1782. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um das Manuskript „Az üdvösséget szerető léleknek számadása, vagy is az esztendőnek minden napjaira különösen kirendelt Elmélkedések“ [Die Rechenschaft der heilliebenden Seele oder Gedanken für jeden Tag des Jahres] des Priesters im Paulanerorden Jean Baptiste Élie Avrillon. Es ist nicht klar, um welches von Avrillons Büchern es sich handelt, die wahrscheinliche Variante ist: L’année affective, ou sentiments sur l’amour de Dieu, tirés du Cantique des Cantiques pour chaque jour de l’année Heiliges Jahr oder anmutige Gedanken über die Liebe Gottes aus dem Hohen Lied gezogen], das auch ins Deutsche übersetzt wurde und von dem Mitte des 18. Jahrhunderts mehrere Auflagen auf dem Markt waren. Zanathy konnte also das Buch auch aus dem Deutschen ins Ungarische übersetzen. Er sprach zwar auch Französisch, verwendete die französische Sprache in der Korrespondenz mit Antal Károlyi aber selten.



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auch Eure Exzellenz wird sterben, aber was den Namen der Toten lebendig halten wird, ist der Ruhm Eurer Exzellenz, den Druck dieser Arbeit ermöglicht zu haben. ... Dies wird ein Denkmal sein und weiterleben“.128 Dieses Mal hatte sein Drängen keinen Erfolg – die Übersetzung ist nie in den Druck gegangen. Der Brief zeugt von einem Wandel der Mentalitäten, der sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Ungarn vollzog, in dessen Rahmen die ungarische Sprache deutlich aufgewertet wurde. Dass die geliebte Muttersprache aussterben könnte, war ein zu dieser Zeit verbreiteter literarischer Topos.129 Dass Zanathy durch Lektüre und Autorenschaft in das ungarische Geistesleben integriert war, ist ganz deutlich, ob er in engerem Kontakt zu anderen Angehörigen der Gelehrtenrepublik stand, lässt sich nur vermuten, da wir keine entsprechende Korrespondenz haben finden können. Wir wissen, dass er mehrfach Ferenc Barkóczy besucht hat, den Bischof von Erlau/Eger und späteren Erzbischof von Gran/Esztergom, übrigens ein Verwandter von Ferenc Károlyi, der als Förderer der muttersprachlichen Kultur bekannt ist.130 So wurde Boethius’ De consolatione philosophiae auf Anregung von Barkóczy 1757 ins Ungarische übersetzt. Er begründete die Förderung von Übersetzungen und von muttersprachlicher Literatur sowohl mit religiösen als auch mit ständisch-nationalen Argumenten.131 In Stil und Rhetorik ähneln Zanathys Briefe der zeitgenössischen Korrespondenz unter ungarischen Literaten, die auch für den Kreis um Bischof Barkóczys charakteristisch war: eine Mischung

128 MOL P 398, Nr. 82055, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 12. Jan. 1786. 129 Das geht vor allem auf die Prophezeiung Herders zurück, der in seinem Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ den Slawen eine große Zukunft, den Ungarn hingegen den Untergang verkündete. László Sziklay, Die Anfänge des „nationalen Erwachens“, der Aufklärung und der Romantik in Mittel- und Osteuropa, in: ders. (Hg.), Aufklärung und Nationen im Osten Europas, Budapest 1983, S. 27. 130 Barkóczys gilt in der ungarischen Literaturgeschichte als Vertreter der Übergangsperiode zwischen Barock und Frühaufklärung. István Bitskey, Barkóczy Ferenc, az irodalmi mecánás [Ferenc Barkóczy, der Literaturmäzen], in: József Szauder/Andor Tarnai, Irodalom és felvilágosodás. Tanulmányok, Budapest 1974, S. 358. 131 Eines der Hauptziele der Aufklärung in Ungarn war die Modernisierung der ungarischen Literatursprache, eine „Spracherneuerung“. Die wichtigste Gestalt dieser Bewegung, Ferenc Kazinczy, wollte „die Literatursprache mit belletristischen Mitteln, mit Übersetzungen oder, wie er sagte, mit ,Gips-Abgüssen‘ modern und beweglich“ machen. Sziklay, Die Anfänge, S. 19. Kazinczy vertrat sogar die Meinung, dass die ungarischen Literaten statt originelle Werke zu schreiben sich auf Übersetzungen konzentrieren sollten. Über die Spracherneuerung siehe Endre Bojtár, Aufklärung in Mittel- und Osteuropa, in: László Sziklay (Hg.), Aufklärung und Nationen im Osten Europas, Budapest 1983, S. 89– 98.

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aus dezidiert katholischem Spätbarock132 und Neostoizismus mit einem Hauch Frühaufklärung. Seinen letzten Brief an Antal Károlyi verfasste József Zanathy etwa drei Monate vor seinem Tod. Er war zum Beisitzer am Gerichtshof erster Instanz in Nagykároly berufen worden, einem im Rahmen der Josephinischen Reformen neugegründeten Gericht. Die Wahrnehmung des Amtes setzte freilich einen festen Wohnsitz am Gerichtsort voraus, weshalb er von Antal Károlyi ein Haus in Nagykároly erbat: „Dank Gottes sonderlicher Leitung lebe ich im 72. Jahr meines Lebens, und es ist das 42. Jahr, dass ich das Brot des gnädigen Károlyi-Hauses esse, und obwohl ich in so vielen Jahren zahlreiche feindliche Kämpfe auszustehen hatte, bin ich nie zurückgewichen. Jetzt in einem Alter, in dem ich ruhen müsste, wurde ich bei dem auch in diesem adligen Komitat errichteten subalternum judicium … zum Beisitzer ernannt… Auf meine Söhne kann ich mich nicht stützen, Eure Exzellenz, weil der hier Wohnende im Amt ist. Und weil bei ihm viele Leute verkehren, kann man dort nicht in Ruhe arbeiten. Der zweite aber ist ohne meine Zustimmung seinen Grillen nachgegangen, so dass er … eher die Trauer als die Freude meines Alters ist. Aber ich habe eine gut erzogene junge Frau Tochter, die nachdem sie aus dem Kindesalter herausgewachsen ist, zur Stütze meines Witwerlebens wurde, ... ich würde sie als Pflegerin und Hausfrau nehmen. ... Und weil es hier Priester, Kirche, 132 „In den letzten Jahrzehnten des 18. und auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind noch zahlreiche Spuren des barocken Erbes in Mittel- und Osteuropa vorhanden.“ Sziklay erwähnt hier das kulturelle Erbe der Adelshöfe, der Pfarrhäuser, der Provinzschulen usw. Es lebten hier auch solche literarische Gattungen (z. B. das Heldenepos) weiter, die in Westeuropa zuletzt für das Barock charakteristisch waren. Sziklay, Die Anfänge, S. 23–24. In Ungarn wurde eine Gruppe der Literaten, die in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts tätig waren, unter dem Sammelbegriff „schulmäßiger Klassizismus“ zusammengefasst. Ihr Ausgangspunkt war der Poetikunterricht an den höheren Schulen. Diese Dichtergruppe – ihre Mitglieder waren mehrheitlich Mönche (Dávid Baróti Szabó, Pál Ányos, József Rájnis, Miklós Révai usw.) − war Vertreter „des adeligen Barock und des traditionellen (kirchlichen) Weltbildes“. Ihr Verdienst bestand in der Einbürgerung antiker Versformen in die ungarische Dichtung. István Fried, Die ungarische Literatur im Zeitalter der Königin Maria Theresia, in: Gerda Mraz (Hg.), Maria Theresia als Königin von Ungarn, Eisenstadt 1984, S. 368–369. Fried charakterisiert ein von Baróti Szabó anlässlich des Todes der Königin geschriebenes Gedicht: „allegorisierende Manier, flache und schulmäßige Verwendung der Mythologie, eingebettet in die charakteristische adelige Anschauung.“ Ebd., S. 370. Das Wenige, was wir über Zanathys literarische Tätigkeiten wissen, zeigt Ähnlichkeiten mit dieser Gruppe. Révai, das bedeutendste Mitglied der Gruppe, war in den 1770er Jahren in Nagykároly, in dem von Károlyi gegründeten Piaristengymnasium tätig (zunächst als Schüler, dann 1775 als Lehrer). Obwohl viel jünger (geboren 1749 oder 1750), stand er vielleicht mit Zanathy in Kontakt.



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Doktor, Apotheke und Barbier gibt, wäre es für einen 72-jährigen alten Mann das Beste, in Ihrer Nähe zu wohnen.“133 József Zanathy starb im April 1789 in Nagykároly. Sein Sohn Antal schilderte den Tod seines Vaters folgendermaßen: „Dem Allmächtigen beliebte es, meinen armen vergreisten Vater nach einem mit viel schwerer und mühseliger Arbeit und mit zahlreichen Kümmernissen verbrachten Leben und nach einer fünfmonatigen Krankheit zu sich zu nehmen.“134 Nach Zanathys Tod sequestrierte das Komitat sein Vermögen.135 Der ältere Sohn Mihály konnte das Gut Encsencs – unter Ausnutzung seiner amtlichen Stellung – aus der Konkursmasse für sich retten. Der jüngere Sohn Antal klagte gegenüber Károlyi: „Diese [meine] schreckliche Traurigkeit hat durch die Macht unseres edlen Komitats noch zugenommen, die schon vor dem Wegräumen des noch nicht erkalteten Körpers auf alle ... seine verdienten und erworbenen Güter die Hand legte, und uns auch des mütterlichen Erbes beraubte, so dass für uns von unserem Vater außer der Erziehung nicht mehr als das bloße Leben übrig blieb.“136 Er verlangte, dass auch er einen Teil des Guts Encsencs erhalten solle. Vielleicht werde ihm auch die Möglichkeit geboten, „wenn auch keine solche wohltätigen, aber wenigstens danach strebende, treue Dienste zu leisten wie mein verstorbener Vater.“137 Wie diese Bitte von Antal Károlyi aufgenommen wurde, wissen wir nicht. Sicher ist, dass der Name Zanathy von Józsefháza und das Gut Encsencs vom älteren Sohn und dessen Nachkommen weitergeführt wurden. Unter ihnen finden sich mehrere Komitatsbeamte und Offiziere; eines der Enkelkinder war im 19. Jahrhundert als Herrschaftsanwalt für György Károlyi tätig.138 Dieser Zweig der Familie Zanathy ist also im Wirkungskreis der Magnatenfamilie geblieben.

133 MOL P 398, Nr. 82056, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 14. Dez. 1787. 134 Ebd. Zanathys Geburtsdatum ist unsicher und sein Sterbedatum wird unterschiedlich angegeben. In der Bibliothek der katholischen Pfarrei von Nagykároly befindet sich ein Manuskript mit biografischen Daten von József Zanathy, verfasst von seinem Enkel, Ignác Zanathy, in dem als Sterbedatum März 1788 figuriert. Sein Sterbedatum wird jedoch in den Briefen seiner Söhne und vom Archivar der Familie Károlyi, Gábor Eble, mit 9. April 1789 benannt. Szinnyei, Magyar írók, http://mek.niif.hu/03600/03630/html/index. htm (Zugriff: 10. Okt. 2010) 135 MOL P 396, Lad. 190, Fach 144. 136 MOL P 398, Nr. 82056, Brief von Zanathy an Antal Károlyi, Károly, 14. Dez. 1787. 137 Ebd. 138 Interessant ist der Vergleich mit dem im Komitat Vas gebliebenen Teil der Familie Zanathy: Von den Söhnen des Bruders unseres Helden war einer Anwalt bei Graf Pálffy, ein anderer Offizier und ein dritter Mönch. Iván Nagy, Magyarország családai, Bd. XII, S. 309.

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VIII. 5  Fazit War die Karriere des József Zanathys eigentlich ein Erfolg oder eher ein Misserfolg? Wenn wir daran denken, dass er mittellos, nur mit seinen Kenntnissen und einem Adelstitel versehen ins östliche Ungarn übersiedelte, dann scheint seine Karriere ziemlich erfolgreich. Wenn wir ihn jedoch mit einigen exzeptionellen Figuren unter den Klienten der Károlyi vergleichen, z. B. mit Ferenc Geöcz, dem Sekretär des Grafen Antal Károlyi, der erst 1765 nobilitiert worden war, und zwei Jahrzehnte später zum Vizegespan des Komitats gewählt wurde, dann stellt sich seine Laufbahn nicht mehr ganz so glänzend dar. Dass dem begabten und gebildeten Zanathy der ganz große Sprung nicht gelang, hatte wahrscheinlich mehrere Gründe. Zum einen war er auf Gedeih und Verderb gebunden an die Magnatenfamilie Károlyi. Ihr verdankte er alles, von seinem Verhältnis zu ihren jeweiligen Häuptern hing bis zu seinem Lebensende alles ab. Solange er in der besonderen Gunst von Antal Károlyi stand, gestaltete sich seine Laufbahn recht vielversprechend. Als sich ihr Verhältnis ‚abkühlte‘, wurde er zwar keineswegs verstoßen, sondern – angesichts seiner wahrlich nicht unverschuldeten Finanzmisere – mit großer Nachsicht behandelt und weiter unterstützt. Da es ihm zum anderen aber niemals gelang, sich in das soziale Leben des Komitats zu integrieren, sind seine letzten Lebensjahrzehnte durch Stagnation gekennzeichnet. Er war und blieb ein Fremder in Szatmár, ein vermutlich gefürchteter Vertreter der Habsburgermonarchie mit gegenreformatorischem Eifer. Zu einem Makler der Macht konnte er so nie werden, da ihm für eine Brückenfunktion die Verankerung im lokalen Feld fehlte. Seine Möglichkeiten der Vermittlung blieben deshalb begrenzt, ja Zanathy erscheint geradezu als ein bulliger Vertreter zentralstaatlicher Initiativen und ein Agent der Gegenreformation in der mehrheitlich protestantischen Stadt.139 139 Dieser Prozess, der in Ungarn nie vollkommen erfolgreich war, kam mit dem Toleranzpatent von Joseph II. an ein Ende. „Das Verhältnis des Staates zu den protestantischen Kirchen in Ungarn kann man also traditionell als Durchsetzung der repressiven staatlichen Gewalt interpretieren, die die Interessen der Kirche unterstützt und zu Konzessionen nur unter dem Druck äußerer Umstände bereit ist. Man kann jedoch die Perspektive auch umdrehen und dieses Verhältnis als Bestandteil eines Prozesses ansehen, in dem sich der Staat als entscheidende säkulare Autorität behauptet, die dank ihres Instrumentariums und ihrer Effektivität imstande ist, die Kirche(n) in den Bereich der Ethik und des Privatlebens zu verdrängen. Da es sich zeigte, dass der Staat nicht fähig war, seine Einwohner auf der Basis eines konfessionellen Prinzips zu integrieren (was sich in Ungarn im Unterschied zu Böhmen und Österreich schließlich weitgehend als unmöglich erwies), sondern dadurch, dass er die Einwohner zu Untertanen des Staates (zu Staatsbürgern) erklärte,

Fazit

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Auch seine schöngeistige Attitüde wird ihm unter den Bewohnern des Komitats Szatmár kaum Freunde verschafft haben, ja man kann sogar vermuten, dass sie ihn zusätzlich ‚entfremdete‘, diente sie ihm doch zur Herstellung von kultureller Gemeinsamkeit mit der Magnatenfamilie – eventuell auch noch zur imaginierten Gelehrtenrepublik – in Distinktion zum provinziellen Umfeld. Darin ist er übrigens ein nicht ganz untypischer Vertreter der frühneuzeitlichen literati, die man eben nicht als herrschaftsferne Gruppe von Feingeistern ansehen sollte, sondern als Herrschaftsstand innerhalb der ständischen Welt.140 Am Beispiel von József Zanathy wird deutlich, dass es für den heutigen Betrachter nicht ganz einfach ist, den handelnden Personen Mitte des 18. Jahrhunderts gerecht zu werden. Angesichts der großen Diskrepanz zwischen der materiellen Dürftigkeit der Existenz im östlichen Ungarn, verbunden mit einer notwendigen Orientierung aller Akteure an der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, und der barocken Rhetorik, deren sich József Zanathy befleißigte, fällt es bisweilen schwer, sein Verhalten nicht zu ironisieren. Aber neben der unfreiwilligen Komik, die sein Handeln und Schreiben in der Tat aufweisen, ist auch sein ehrliches Bemühen erkennbar, der schmerzlich empfundenen Absurdität der eigenen Existenz eine würdevolle Haltung entgegenzusetzen. So gesehen erweist sich in der rhetorischen Überhöhung seines Dienstes für die Károlyi nicht nur das rationale Kalkül eines Klienten, sondern auch der Versuch, einer lebenslangen Beziehung ethisch und kulturell Sinn zu geben.

hörte er auf, eine kirchliche und konfessionelle Einheit anzustreben.“ Kowalská, Seelenheil und Staatsmacht, S. 351. 140 Heinrich Bosse, Gelehrte und Gebildete – die Kinder des 1. Standes, in: Das Achtzehnte Jahrhundert 32/1 (2008), S. 13–37.

IX.   Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi an der Spitze des Komitats Szatmár Wir wenden uns nun mit László Szuhányi einer Person zu, die den Wandel der sozialen Ordnung, der kulturellen Selbstverständlichkeiten und der politischen Machtverhältnisse im Komitat Szatmár mitvollzog und in einer langen, von 1748 bis 1784 währenden Laufbahn mitgestaltete. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Szuhányi nicht sonderlich von den anderen Klienten der Grafen Károlyi in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Auch diese Familie kam von außerhalb, gehörte der katholischen Konfession an und verdankte nahezu alles der Huld und Gnade der Magnatenfamilie. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass sich seit den 1760er Jahren die Situation eines Klienten in zentralen Hinsichten veränderte. Die nahezu permanente Abwesenheit der Grafenfamilie und deren veränderte Ambitionen, die sich zunehmend an einem Modell höfischer Aufklärung orientierten, muteten ihren „Stallwachen“ im Heimatkomitat neuartige Aufgaben zu, eröffneten ihnen aber zugleich neuartige Möglichkeiten, ja bis dahin ungeahnte Handlungsspielräume.

IX. 1  Herkunft Die Szuhányi stammten aus katholischem Adel in den fernen nordwestlichen Komitaten Trencsén und Nyitra. Erst Márton Szuhányi, der Vater unseres Protagonisten, wurde von Sándor Károlyi zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Szat­már geholt, zunächst als sein persönlicher secretarius, dann als Erzieher seines 1705 geborenen Sohnes Ferenc. Als Erzieher war er wohl zwischen 1710 und 1717 tätig; anschließend wurde er auf allen möglichen anderen Aufgabenfeldern eingesetzt.1 Sein Gönner muss mit ihm zufrieden gewesen sein, denn auf seine Empfehlung hin erteilte ihm Karl VI. im Jahr 1715 ein Adelswappen.2 So wurde Márton 1 Vgl. die Artikel ,Szuhányi‘, in: Nagy, Magyarország családai, Bd. X., S. 884–886; Kempelen, Magyar nemes családok, Bd. X., S. 242. Über Márton Szuhányi siehe Éble, Károlyi Ferenc, S. 72–73. 2 Artikel ,Szuhányi‘, in: Kempelen, Magyar nemes családok, Bd. X., S. 242. Damit war allerdings keine Übertragung von Hufenbesitz verbunden.

Herkunft

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Szuhányi mit Unterstützung des Grafen Károlyi in den Jahren 1718, 1722 und 1727 zum Notar des Komitats gewählt. In diesen Amtsperioden besorgte er den Schriftverkehr des Komitates, hielt Kontakt mit den königlichen Behörden, vor allem mit der Statthalterei, und befasste sich mit der Einquartierung von Truppen. Im Jahr 1721 heiratete Márton Szuhányi die Baronin Éva Perényi. Deren Vater, der Obergespan Pál Perényi, war in den Nachbarkomitaten Abaúj und Ugocsa begütert und darüber hinaus verheiratet mit einer Schwester von Sándor Károlyi, der Baronin Zsuzsanna Károlyi. Aus dieser Ehe entstammte eben jene Éva Perényi, sodass der junge Márton Szuhányi durch seine Ehe mit einer Nichte des Grafen Sándor in die erweiterte Magnatenfamilie einheiratete. Zwar stand der Graf dieser Eheschließung zunächst reserviert gegenüber, opponierte aber nicht dagegen.3 Der Familie Perényi blieb Sándor Károlyi immer freundschaftlich verbunden, u. a. bemühte er sich um eine Amnestie für den Bruder der Baronin, Mihály Perényi, der Obrist bei den Kuruzzen gewesen war.4 Márton Szuhányi wurde genauso vielseitig im Dienst der Károlyi eingesetzt, wie wir es bereits im Falle des Gábor Badda und des Gábor Erős gesehen haben. Die Palette seiner Funktionen reichte von Angelegenheiten des gräflichen Haushalts, über die Akquisition neuer Güter, die Aufnahme und Tilgung von Darlehen, bis hin zu Komitatssachen. Schon 1722 überlegte Sándor Károlyi, die Wahl des Márton Szuhányi zum Vizegespan im Nachbarkomitat Bereg zu lancieren, weil der Graf und seine Schwester dort begütert waren.5 Daraus wurde dann nichts, möglicherweise, weil Szuhányi nicht noch einmal umsiedeln wollte, zumal er von Károlyi pfandweise zwei Hufen in der Mediatstadt Nagykároly erhalten hatte, auf denen er eine größere Hauswirtschaft errichtete.6 Márton Szuhányi stand dem alten Grafen so nahe, dass er im Jahr 1726 den Brautzug anführen durfte, der den jungen Ferenc Károlyi und seine Braut, die Gräfin Krisztina Csáky, aus deren fern 3 Kovács, Károlyi levelei, Bd. II., Nr. 206, S. 323. Brief von Károlyi an Krisztina Barkóczy, 9. März 1720. 4 Kovács, Károlyi levelei, Bd. I., Nr. 118, S.  152–155. Der ehemalige Kuruzzen-Offizier Mihály Perényi kehrte aus der Emigration ohne vorheriges königliche Pardon zurück und hielt sich auf seinen Gütern versteckt, was ein äußerst gefährliches Spiel war. Károlyi war wütend, versuchte aber, eine Amnestie für Perényi zu erwirken. 5 Kovács, Károlyi levelei, Bd. II, Nr. 283, S. 435. Károlyi überlegte, seine Schwester zu bewegen, im Interesse der Wahl von Szuhányi die Familie Csáky zu kontaktieren. „An seine Stelle als Notar setze ich Jasztrabszky“, schrieb er mit bemerkenswerter Bestimmtheit über die Besetzung der Stelle eines Komitatsnotars, immerhin eines Wahlamtes! 6 Inscriptio: MOL P 392, Lad. 9/II. Elenchus Insriptionalium in Omnibus Bonis ... Dni Antonii Károlyi existentium, 27. November 1767.

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Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi

im Norden gelegenen Heimat, dem Zips (ungarisch Szepes), nach Szatmár geleitete.7 Nach seiner Tätigkeit als Komitatsnotar wurde Márton Szuhányi 1732 zum ersten Vizegespan in Szatmár gewählt. Dieses Amt übte er allerdings nicht lange aus, denn schon 1733 erklomm er die Spitzenposition seiner Karriere als Rat der königlichen Statthalterei und als Deputierter des Komitats Szatmár auf dem ungarischen Landtag.8 Seine Ratsstellung verdankte er höchstwahrscheinlich ebenfalls Sándor Károlyi, gehörte der Magnat doch zu den Mitbegründern dieser neuen ungarischen Zentralbehörde, in der er selbst von 1723 bis zu seinem Tode 1743 die Ratswürde innehatte. Da der Graf in seinem letzten Lebensjahrzehnt häufig so schwere Gichtanfälle erlitt, dass er nicht nach Preßburg reisen konnte, hielt Márton Szuhányi dort für ihn die Stellung. Als consiliarius der Statthalterei musste Szuhányi sowieso in Preßburg anwesend sein. Da die ungarischen Reichsstände dort ebenfalls tagten, wirkte er nicht nur beim Statthaltereirat, sondern auch auf den Landtagssitzungen als Ohr und Auge des alten Grafen.9 Welche Vertrauensstellung er genoss, lässt sich daran ermessen, dass er Sándor Károlyi im November 1733 nach Wien begleiten durfte, wo dieser in langwierigen Verhandlungen mit dem Hofkriegsrat sein letztes großes Projekt zu verwirklichen suchte: die Aufstellung eines eigenen Kavallerieregiments unter dem Kommando seines Sohnes.10 Diese Einsätze in der Ferne brachten es mit sich, dass Márton Szuhányi im Komitat selbst nicht ganz so feste Wurzeln schlagen konnte, wie es bei einer auf die lokale Adelsgesellschaft zentrierten Lebensweise vielleicht hätte gelingen können. In dieser Hinsicht ist von Bedeutung, dass sowohl Márton Szuhányi, als seine beiden Söhne Antal und László Frauen aus Nachbarkomitaten heirateten. Die Männer aus der jüngeren Generation verbanden sich mit Bräuten aus der Familie Kállay aus Szabolcs.11 Diese Kállay waren dort weitverzweigt und äußerst einflussreich, in Szatmár nutzte das allerdings nicht viel. 7 Éble, Károlyi Ferenc, S. 193. 8 Szuhányi wurde 1733 Rat der Statthalterei und diente bis 1754. Vgl. Ember, A Magyar Királyi Helytartótanács, S. 202. 9 Vgl. die Briefe von Szuhányi an Károlyi über den Landtag: Éble, Károlyi Ferenc, S. 463, 465, 473, 482–483, 489–491. Die Komitatsversammlung musste ihn als Deputierten wählen, was einmal mehr den großen Einfluss Károlyis zeigt. 10 Éble, Károlyi Ferenc, S. 202. 11 László Szuhányi heiratete entweder vor seinem Amtsantritt oder ganz am Anfang seines Dienstes, denn bereits im Februar 1775 gibt er die Vermählung seiner Tochter bekannt: P 389, Nr. 72503, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 2. Febr. 1775.



Erste Stellung als Notar des Komitats

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IX. 2  Erste Stellung als Notar des Komitats László Szuhányi wurde irgendwann zwischen 1723 und 1725 geboren. Über seinen Geburtsort sind wir ebenso wenig unterrichtet wie über seine Ausbildung.12 Am Ende seiner Karriere im Jahre 1784 schrieb er, dass er dem Komitat seit 36 Jahren diene; danach müsste er 1748 in dessen Dienst eingetreten sein.13 Wenn er die zeitübliche Ausbildung für Angehörige des Komitatsadels durchlaufen haben sollte, wurde er zunächst von einem Privatlehrer zu Hause unterrichtet, besuchte dann für maximal sechs Jahre die Lateinschule und studierte anschließend zwei Jahre philosophia. Weiterhin ist anzunehmen, dass er dem Komitat zwei bis vier Jahre unentgeltlich als substitutus diente und im Alter von etwa 22 bis 25 Jahren in sein erstes Amt gewählt wurde. Bis dahin durfte er mit der Unterstützung seines Vaters rechnen, der 1754/55 zum Zeitpunkt der Adelskonskription noch lebte.14 Als consiliarius bei der Statthalterei dürfte Márton Szuhányi auch nach dem Tod seines gräflichen Gönners Sándor Károlyi im Jahre 1743 die Karriere seines Sohnes László sehr gefördert haben. Erst ab 1754 sind Briefe und Akten von László Szuhányi überliefert. Um diese Zeit amtierte er als Komitatsnotar, ein verheirateter Mann, der sich auf seine Schwäger und auf seinen Vater stützen konnte.15 Von seinem Bruder Antal, der die Offizierslaufbahn einschlug und 1776 zum Oberst ernannt wurde, ist in seiner Korrespondenz nie die Rede.16 Man kann mit gutem Grund davon ausgehen, dass László Szuhányi seine Karriere mit bedeutenden Startvorteilen gegenüber potenziellen Mitbewerbern begann. Es gab allerdings auch keinen Automatismus, der dem Sohn die Position des Vaters einfach garantierte. Gleichwohl ist es bezeich-

12 Gábor Éble, A cserneki és tarkeöi Dessewffy család [Die Familie Dessewffy von Csernek und Tarkeö], Budapest 1903, Anhang, Tafel V; ders., A nagykárolyi gróf Károlyi család, Anhang, Tafel V gibt 1721 als Jahr der Heirat von Éva Perényi und Márton Szuhányi an. Ihr Sohn László war das erste Kind. 13 MOL P 389, Nr. 72578, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 26. Nov. 1784. 14 Nagy, Magyarország családai, Bd. X., S. 884–886; Kempelen, Magyar nemes családok, Bd. X., S. 242. 15 Die Adelskonskription der Jahre 1754/55 kennt einen Márton Szuhányi im Komitat. Auch in seinen Briefen findet sich einmal ein Hinweis, P 389, Nr. 72444, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, 29. Dez. 1754. 16 Éble, A nagykárolyi gróf Károlyi család, Anhang, Tafel V.

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nend, dass er wie schon sein Vater nicht als Stuhlrichter eines Bezirks startete, sondern gleich im Amt eines Komitatsnotars, in das er 1754 gewählt wurde.17 Die Bedeutungszunahme des Notarsamtes im Zuge der Ausbreitung von Schriftlichkeit wurde oben bereits skizziert. Die Stellung eines Notars scheint in Szatmár nach 1743, nach dem Tod des alten Grafen Károlyi, zu einer Sprosse auf der Leiter in die Spitzenposition des Vizegespans geworden zu sein. Der Wandel der Rekrutierung von Würdenträgern des Komitats ist unten in Tabelle 8 zusammengefasst. Statistische Bedeutung kann solch kleinen Zahlen nicht beigemessen werden. Für Tabelle 8 wurde deswegen eine andere Methode gewählt: Sie veranschaulicht die Karrierewege der Amtsträger des Komitats in mehreren zeitlichen Schnitten zwischen 1724 und 1784. Man erkennt, dass einige Aufsteiger aus den mit Büroarbeit und Rechnungslegung verbundenen Positionen eines Notars, perceptors oder exactors bis in die politische Führungsposition eines Vizegespans aufstiegen. Zugleich verdeutlicht die Tabelle, dass die leitenden Ämter Katholiken vorbehalten waren. Bei genauerem Hinsehen gewinnt man auch einen ersten Eindruck, wie László Szuhányi sein verwandtschaftliches Netzwerk wob. Seine Schwäger unter den Amtskollegen erscheinen in der Tabelle vom Zeitpunkt der Heirat an in Kursivdruck. Dabei sind zwei wichtige Verbündete noch nicht einmal aufgeführt, der Stuhlrichter Ferenc Geöcz, dessen Tochter mit dem Sohn von Szuhányi verheiratet war, und der praefectus bonorum der gräflichen Familie, Ferenc Somogyi, der eine seiner Töchter ehelichte. Die ersten Amtsjahre des jungen László Szuhányi standen weitgehend unter der Ägide der habsburgischen Armee. Das bildete keineswegs einen Gegensatz zum Dienst am Magnaten, denn Graf Ferenc Károlyi war mit Leib und Seele Offizier. Das Komitat Szatmár, dem der Graf seit 1722 als Obergespan vorstand, durfte sich auf dem Gebiet der Verpflegung und der Unterbringung der hier stationierten Truppen auch nicht das kleinste Versäumnis leisten. Die Briefe des jungen Notars lassen erkennen, welch große Anstrengungen er unternahm, um es seinem Herrn recht zu machen: Die Einheiten mussten halbwegs gleichmäßig aufgeteilt und in den Häusern der Bewohner von Stadt und Land untergebracht werden. Die einquartierten Soldaten begingen häufiger gewaltsame Übergriffe auf ihre Quartiersgeber, in zeitgenössischer Diktion „Exzesse“, die untersucht werden mussten. Die geschädigten Zivilisten forderten dafür Schadenersatz, manchmal wurde sogar gezahlt. Die Verpflegung der Mannschaften sollte in natura geleistet werden.

17 Schon vor der Wahl konnte der Obergespan einen Amtsträger beim Ausscheiden des Vorgängers interimistisch einsetzen.



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Erste Stellung als Notar des Komitats

Tabelle 8: Vizegespane, Notare und Steuereinnehmer (perceptores) des Komitats Szatmár 1724–1784 (nach Szirmay, korrigiert)18 Wahl

Erster Notar

Zweiter Notar

László Bagossy László Kende Márton Szuhányi László Bagossy László Kende Márton Szuhányi Márton József Eötvös Sámuel Bence Szuhányi Szathmáry László Bagossy János Sámuel Bence Jasztrabszky Szathmáry

László Erős

1738

József Eötvös

György Becsky

Mihály Linkner

Pál Tolnay

1746

József Eötvös

Mihály Linkner

Pál Tolnay

László Irinyi --

1724 1727 1732 1734

Erster Vizegespan

Zweiter Vizegespan

Sámuel Bence Szathmáry László Klobusiczky Pál Tolnay

Dritter Notar

-András Komáromy --

perceptor/exactor B – Cassa Bellica D – Cassa Domestica János Jasztrabszky László Erős (exactor)

D Imre Irinyi B György Horváth

--

Gábor Badda Ádám Zombori

--

Sámuel Komáromy László Jékey Mihály Ajtay D. László Irinyi

1754

Pál Tolnay

László Becsky László Szuhányi

Ferenc Bagossy

1765

László Becsky

László Szuhányi

József Zanathy

László Vitkay Mihály Linkner Udvarhelyi

D. László Irinyi

László Vitkay Imre Erős

D. László Irinyi

B. József Zanathy B. László Illosvay

1771

László Becsky

László Szuhányi

József Zanathy

1778

László Becsky

László Szuhányi

László Vitkay Antal Ferenc Cseh Imre Dósa Nozdroviczky (perceptor)

1780

László Szuhányi

László Irinyi László Vitkay Antal János 1780 Nozdroviczky Szuhányi

B. László Illosvay

József Zanathy (exactor) Imre Dósa (perceptor) József Zanathy (exactor)

1784

László Szuhányi

László Eötvös Antal Sándor Mátay József Császy Nozdroviczky

Die Felder, in denen katholische Amtsinhaber aufgeführt werden, sind hellgrau unterlegt. Die protestantischen Amtsinhaber sind dunkler hervorgehoben, wo weder das eine noch das andere zutrifft, bleibt das Feld weiß. Die Angehörigen der Familie Szuhányi sind fett gedruckt, ihre Schwäger erscheinen ab dem Zeitpunkt der Eheschließung in Kursivdruck.

18 Szirmay gibt manchmal falsche Angaben zum Amtsbeginn, hier wurden sie partiell (in Bezug auf Szuhányi, Becsky und Irinyi) korrigiert.

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Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi

Dazu musste die Kontribution bei der Bevölkerung termingerecht eingetrieben und ratenweise aus der cassa bellica des Komitats an das Militär ausgezahlt werden. In Bezug auf die Pünktlichkeit der Bezahlung von Kontributionen gewährte der Notar keinen Pardon. Die Härte seines Durchgreifens erscheint auf den ersten Blick unbegreiflich: Als einzelne Stuhlrichter des Komitats die Kontribution nur schleppend einbrachten, wurden sie mit militärischer Zwangsvollstreckung durch die Einquartierung von Soldaten bedroht. Diese sogenannte „Exekution“ richtete sich also nicht etwa gegen säumige Bauern, sondern gegen die Häuser und Güter von Personen, die dem alteingesessenen Komitatsadel entstammten!19 Diese Härte hielt der junge Amtsträger jedoch aus guten Gründen für nötig, denn das Militär drohte ihm selbst ständig mit „Exekution“, schon bei zwei- bis dreimonatigem Zahlungsverzug. Solche Entscheidungen – nicht nur im heiklen Fall der Steuereintreibung, sondern ganz allgemein – waren keine individuellen Entschlüsse des László Szuhányi, sondern galten stets als Maßnahmen des gesamten Komitats. Doch Vorsicht ist geboten: Zwar waren die allerwichtigsten Angelegenheiten der Generalversammlung des Komitats vorbehalten, die laufenden Geschäfte wurden jedoch von „Partikularkongregationen“ erledigt. Obwohl die Teilnahme auch an diesen Versammlungen jedem Adeligen unbenommen blieb, erschienen auf diesen „Kleinversammlungen“ (so die wörtliche Übersetzung aus dem Ungarischen) meist nur einige Amtsträger und die betroffenen Personen.20 Die Beschlüsse wurden also de facto von der Komitatselite im Namen der universitas gefasst. Als Notar hielt László Szuhányi den gesamten Schriftverkehr in Händen. Er war es, der die Generalversammlung des Komitats und die beiden Vizegespane über alle Vorkommnisse informierte, und er erstattete auch dem Obergespan im Falle seiner Abwesenheit brieflich Bericht. Diese Rolle als Drehscheibe für wichtige Informationen verlieh ihm besondere Bedeutung in den Augen des fast immer in der Ferne weilenden Grafen. Szuhányi berichtete ihm über die von der Statthalterei erhaltenen Schreiben, die wichtigsten fügte er in Kopie bei. Er fasste nicht nur die Beschlüsse des Komitats und die Urteile des Komitatsgerichtes zusammen, er kolportierte auch die Sprüche und Taten seiner Kollegen. Was berichtenswert war und was nicht, das entschied letztlich er selbst, wenn auch aufgrund klarer Vorgaben von Károlyi. So war ihm aufgetragen, nach jeder Gerichtssitzung die Zahl der erledigten Zivilprozesse aufzuführen. 19 MOL P 389, Nr. 72448, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, Nagykároly, 7. Apr. 1756. 20 Hajdu, II. József igazgatási reformtörekvései, S. 118–126.



Erste Stellung als Notar des Komitats

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Allerdings war László Szuhányi beileibe nicht der Einzige, der regelmäßig berichtete. Auch seine beiden Vorgesetzten, der erste und der zweite Vizegespan, standen im ständigen Kontakt mit dem Obergespan. Sándor Gáspár, der vor dem Dienstantritt von Szuhányi dem Komitat als Notar gedient hatte, korrespondierte auch nach dem Tod seines Gönners, Graf Sándor, weiter mit dessen Sohn, Graf Ferenc Károlyi. Der bis 1754 als Stuhlrichter, danach als Vizegespan dienende György Becsky jun. sowie Miklós Eötvös, der ab 1754 als Stuhlrichter amtierte, pflegten ebenfalls eine solche Korrespondenz, wie auch der bereits näher vorgestellte József Zanathy. Auch die Spitzenbeamten der gräflichen Güterverwaltung kamen als Informanten infrage, da sie ihrerseits an den Grafen über alle wesentlichen Vorkommnisse Rapport erstatteten, und da sie im regelmäßigen Austausch mit dem Komitat standen, ja oft an den Versammlungen teilnahmen, selbst wenn sie kein Komitatsamt innehatten. Trotz solcher alternativer Informationsquellen für den Magnaten konnte Szuhányi mit exklusiven Informationen für seinen Patron aufwarten.21 Seine Berichte spiegeln auch nicht bloß die Erwartungen an ihn wider, denn selbst das Militär, der Augapfel des Grafen, wurde von ihm recht nüchtern beurteilt. Bei der Steuereintreibung war er um die pünktliche Erledigung aller Pflichten bemüht. Sorgsam behielt er die zeitlichen Abläufe im Auge und warnte frühzeitig, so z. B. im Februar 1756, als er inoffiziell vernommen hatte, dass die Komitatskassen leer seien.22 Szuhányi versuchte demnach seine Aufträge möglichst glatt über die Bühne zu bringen, was zwar zuweilen die Befriedigung von sehr harten Forderungen des Militärs bedingte, was jedoch nicht einfach als amtliche Beihilfe zur Bauernschinderei eingestuft werden kann.23 So wies er schon 1754 als noch ganz junger Notar Beanstandungen der einquartierten Soldaten über die Qualität der ihnen verabreichten Lebensmittel in Bausch und Bogen ab. Dem Grafen 21 Auch die fleißigsten Korrespondenzpartner schrieben nicht mehr als 8 bis 10 Briefe im Jahr, mit jahrelangen Pausen. Ausnahmen sind die jeweiligen Inspektoren des Herrschaftsbezirks (Mlinarics, Sváby, Berzeviczy), der aulae prefectus, Janics und Gáspár, der alte Vorstand der Commissio oeconomicalis, die intensivere Briefkontakte pflegten. Die Briefe von Szuhányi bildeten die ergiebigste Informationsquelle für Ferenc Károlyi in den 1750er Jahren. 22 MOL P 389, Nr. 72449, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, Nagykároly, 5. Febr. 1756. 23 Über die Härte der Militärexekution vgl. die Briefe des Hofrichters von Misztótfalu, Gergely Szekeres and die Commissio oeconomicalis, an das damalige Zentralorgan der Güterverwaltung 1760/61: MOL P 1531, Nr. 98. Der Hofrichter scheint Ende Juni des Friedensjahres 1760 ernsthaft zu fürchten, dass sich die durch die Soldaten um ihre Vorräte, ja um ihr Brot gebrachten Bauern auf und davon machen könnten, wenn es so weitergehen würde.

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Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi

erklärte er, dass die Bauern den einquartierten Soldaten sowieso immer mehr als vorgeschrieben gäben, weil sie ihre Ruhe haben wollten. Die konkrete Beschwerde der Soldaten ließ er gleichwohl untersuchen, mit dem Ergebnis, dass die Beanstandungen völlig grundlos seien.24 Zwölf Jahre später argumentierte er bei einer vergleichbaren Beschwerde der Armee ganz ähnlich.25 Etwas mehr Mühe hatte er schon mit einem Truppenkommandanten, der eine pauschale Niederschlagung aller Schadenersatzforderungen des Komitats wegen einer Reihe von „Exzessen“ seiner Truppe forderte. Mit dem Argument, dass noch nicht alle Übergriffe ordentlich untersucht worden seien, verweigerte der Notar dem Kommandanten den entsprechenden Entscheid. Mit diesem Kniff ging er einer direkten Konfrontation mit dem Oberstleutnant aus dem Weg, wie er dem Grafen, dem Obergespan und dem Inspektor der Kavallerie ganz unbefangen berichtete.26 Ähnlich verfuhr Szuhányi in Bezug auf andere, dem Komitat auferlegte Lasten. Im Frühjahr 1759 sollte man größere Mengen Hafer liefern. Der Hafer wurde problemlos aufgetrieben, der Transport nach Szolnok und Pest gestaltete sich allerdings ungleich schwieriger.27 Es war sehr beschwerlich, mit den kleinen Bauernwagen solch weite Wege zu machen. Man musste eine möglichst große Kolonne bilden, also ganze Scharen von Fuhrwerken zusammenziehen. Je mehr Vorspanntage von Hörigen benötigt wurden, desto häufiger war man gezwungen umzuladen, und desto schwieriger war es, den gesamten Ablauf zu koordinieren. Als im folgenden Herbst erneut Haferlieferungen gefordert wurden, versuchte Szuhányi sich der Transportaufgabe möglichst zu entziehen.28 Man kann also sagen, das Komitat und sein Notar beugten sich, wo sie mussten, sie standen jedoch fest und wagten sogar Widerworte, wo sie es sich entweder leisten konnten oder wo es wegen der Beschwerlichkeit der aufgebürdeten Lasten partout nicht anders ging. Wie der Herr, so’s Gscherr – dieses geflügelte Wort scheint auch auf die Dienstverhältnisse von László Szuhányi zuzutreffen. Zuerst drehte sich bei ihm alles ums Militär, später kamen die Volksbeglückungsprojekte des aufgeklärten Absolutis24 MOL P 389, Nr. 72443, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, Nagykároly, 21. Nov. 1754. 25 MOL P 389, Nr. 72467, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 9. Jan. 1766. 26 Ebd. 27 MOL P 389, Nr. 72450, 72451, 72453, Briefe von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 8. Apr., 22. Apr. und 15. März 1759. 28 MOL P 389, Nr. 72452, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 17. Okt. 1759.



Der „wohlgeordnete Policeystaat“

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mus hinzu. Das entsprach sowohl den veränderten und erweiterten Interessen des Magnaten als auch der allgemeinpolitischen Lage, denn die Anforderungen der Krone an die Komitate wandelten sich in dieser Zeit ganz grundsätzlich.

IX. 3  László Szuhányi, Graf Antal Károlyi und der „wohlgeordnete Policeystaat“ Die Komitatsnotare waren die natürlichen Partner der neuen, während der Regierungszeit von Maria Theresia einsetzenden Politik zentralstaatlicher Fürsorge und Förderung, denn sie verfügten über die erforderlichen Informationen vor Ort und konnten die Ausführung der Projekte im Blick behalten.29 Erstmals wurde das für László Szuhányi spürbar, als er 1754 über die Apotheken und Ärzte im Komitat Auskunft geben sollte. Seine Auskunft war kurz – es gab keine Apotheken.30 Projekte zum Bau von sogenannten „Stabshäusern“ und Kasernen durchzogen seine gesamte Amtszeit. Schon 1755 wurden zwei solcher Gebäude unter seiner Aufsicht gebaut.31 Für 1759 liest man vom Bau zweier weiterer Kasernen, 1768 von vier „Quartierhäusern“ für Offiziere.32 Diese Bauten wurden dem Komitat „von oben“ verordnet, die Wahl der konkreten Orte stand ihm aber wohl frei. So fällt auf, dass vier der sieben Ortschaften mit Quartiersneubauten nur eine Meile entfernt von Nagykároly lagen, eine fünfte in der direkten Nachbarschaft von Erdőd. Vielleicht wollte man die Belastungen auf die Dörfer abwälzen, wobei die Offiziere doch in der Nähe ihrer Truppen bleiben mussten. Wie wir bereits gesehen haben, steckte eine ähnliche Logik hinter dem Versuch, in der Königlichen Freistadt Szatmárnémeti ein Stabshaus zu errichten.33 Andererseits wollte Graf Antal Károlyi die Neusiedler in seiner Mediatstadt Nyíregyháza im Nachbarkomitat Szabolcs davor schützen, dass sie mit der Errichtung eines Stabshauses 29 Für den Gesamtkontext des aufgeklärten Absolutismus in Ungarn vgl. Éva H. Balázs, Hungary and the Habsburgs 1765–1800. An Experiment in Enlightened Absolutism, Budapest 1997. Über die aktivistische Auffassung der Fürsorge des Staates am Beispiel von Sonnenfels, ebd. S. 78–85. 30 MOL P 389, Nr. 72443, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, Nagykároly, 21. Nov. 1754. 31 MOL P 389, Nr. 72447, Brief von László Szuhányi an Ferenc Károlyi, Nagykároly, 29. Juli 1755. Die Stabshäuser lagen in Fehérgyarmat und Csanálos. 32 MOL P 389, Nr. 72450, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 8. Apr. 1759. Die Orte sind Csenger und Madarász. Ebd. Nr. 7243, Brief von Szuhányi, 5. Sept. 1768. Die Häuser liegen in Csanálos, Fény, Petri und Vezend. 33 Siehe Kapitel VIII.2.

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zusätzlich belastet würden, da sie bereits viel zu viel Vorspann leisten müssten, wie er gegenüber dem Vizegespan des Nachbarkomitats klagte. Der Bau von Offiziersquartieren und Kasernen war zwar mit Kosten verbunden, an sich jedoch – sieht man von besonderen Umständen ab, wie den Provokationen, denen die calvinistischen Bürger der Stadt Szatmárnémeti dabei ausgesetzt waren – eine Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung vor Übergriffen und zur ordentlichen Unterbringung des Militärs.34 Korrespondenz und Akten von Szuhányi setzen an Weihnachten 1761 für vier Jahre aus. Da die gesamte Überlieferung für diese vier Jahre fehlt, muss man davon ausgehen, dass sie vernichtet worden ist.35 Als die Korrespondenz 1765 wieder einsetzt, sehen wir Szuhányi als substitutus vicecomes, als zweiten Vizegespan des Komitats. Zwar spielte er damit immer noch die zweite Geige, nahm aber doch eine viel bedeutendere Position ein, als die eines Notars. In der Folge war er über mehr als zwanzig Jahre an allen wichtigen Entscheidungen des Komitats beteiligt und in alle neuen Entwicklungen involviert. In der Geschichte der ungarischen Komitate bildet die theresianische Urbarialregulierung von 1767 ein besonderes Kapitel. Die Pläne der Königin zur Reform der Agrarverfassung, zur Erfassung der Obliegenheiten aller Untertanen, zur Fixierung der Lasten, insbesondere der Robotdienste, und zur Begrenzung der seigneurialen Rechte wurden von den ungarischen Ständen auf dem Landtag von 1764 rundweg abgelehnt.36 Nach Auflösung des ergebnislosen Landtages wurden die Maßnahmen einfach als königliches Patent proklamiert, was nach ungarischem Staatsrecht unzulässig war. Mit Verweis auf diesen Rechtsbruch, und weil diese Politik die Interessen der Grundherren verletzte, versuchten manche Komitate, vor allem im westlichen Teil Ungarns, die Durchführung der Urbarialregulierung zu behindern und die Bauernschutzpolitik Maria Theresias zu unterlaufen.37 34 MOL P 1503, fasc. 1. Brief von Antal Károlyi an Vizegespan Ibrányi, 29. Jan. 1761. 35 Vgl. István Bakács, A Károlyi család nemzetségi és fóti levéltára [Das Familienarchiv der Familie Károlyi], Budapest 1965, S.  12–14. Die missiles wurden in den 1820er Jahren geordnet, das Archiv musste aber danach mehrmals umziehen. Darüber hinaus gab es Verluste von Quellen im Zuge der Kampfhandlungen bei der russischen Belagerung von Budapest 1945. 36 Über den Landtag: Dezső Szabó, A magyarországi úrbérrendezés. 37 Zusammenfassung der Vorgehensweise bei der Urbarialregulierung: Ferenc Oltvai, A Csanád megyei urbariális küldöttség és iratai (1712–1743), 1767–1785 [Die Urbarialdeputation und Akten im Komitat Csanád (1712–1743) 1767–1785], in: Gyula Erdmann (Hg.), Kutatás – Módszertan. Rendi társadalom, polgári társadalom 2, Gyula 1989, S. 315– 327. Über Konflikte zwischen Bauern und Grundherren während der Durchführung siehe Ibolya Felhő, Mária Terézia úrbérrendezése a Buda és Pest környéki helységekben [Die



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Im Komitat Szatmár waren die bäuerlichen Lasten, verglichen mit den westlichen Teilen des Königreichs, weniger drückend. Wie oben erwähnt, gestaltete sich hier das Verhältnis zwischen Gutsherren und Hörigen erheblich anders als es die Doktrin von der „zweiten Leibeigenschaft“ vermuten ließe. An einigen Orten gab es zwar Ansätze zu herrschaftlichen Eigenbetrieben, in den von solchen Herrschaftssitzen entfernteren Dörfern jedoch kaum. Der größere Teil des herrschaftlichen Einkommens stammte aus dem Verkauf von Wein und Schnaps in konzessionierten Krugwirtschaften. Die Urbarialregulierung, der allerhöchsten Absicht nach eine Maßnahme zum Schutze der Bauern, brachte zwar einerseits eine Fixierung der Herrenrechte, andererseits aber auch eine ganz erhebliche Erhöhung der Robotverpflichtungen, vor allem für die bis dahin recht milde veranlagten Mediatstädte, wo die Ackerbürger bis dahin ausschließlich Bargeldzahlungen und Naturalabgaben geleistet hatten.38 Diese althergebrachte Kombination von Lasten passte den Einwohnern wesentlich besser als die Ergebnisse der Bauernschutzmaßnahmen. Auch die Einführung von in den östlichen Regionen bis dahin unbekannten anteiligen Naturalabgaben, wie dem Zehnten und dem Neunten, wurde von den Pflichtigen als drückende Last empfunden. Insgeheim waren die Grundherren im Komitat Szatmár von diesem Teil der Reformen wohl eher angetan. Ganz am Anfang des Reformprozesses, während der Voruntersuchung zur Urbarialregulierung, als dem Komitat aber bereits ein Katalog der künftig untersagten herrschaftlichen Praktiken mitgeteilt wurde, schrieb Szuhányi seinem Obergespan, dass das Nachbarkomitat dagegen protestiert habe. Er hielt es dagegen für angebracht abzuwarten und die Meinung weiterer Komitatsversammlungen in Erfahrung zu bringen, bevor man sich dem Protest anschloss.39 Mehr geht aus der Korrespondenz nicht hervor; auch in den Schreiben des Stuhlrichters Geöcz Urbarialregulierung Maria Theresias in den Ortschaften um Buda und Pest], in: Tanulmányok Budapest Múltjából XVIII, Budapest 1971, S. 121–160. Zur Renitenz eines Komitats bei der Durchführung siehe Imre Wellmann, A parasztnép sorsa Pest megyében kétszáz évvel ezelőtt tulajdon vallomásainak tükrében [Das Schicksal des Bauernvolkes im Komitat Pest vor 200 Jahren im Spiegel seiner eigenen Zeugenaussagen], Budapest 1967, S. 22–24. 38 MOL P 397, fasc 94. Tabella Individualis, in qua Praestationes Novi Urbarii cum Statu priori Dnor Erdőd et Béltek…; P 397, fasc. 11. Tabella in qua Praestationes Novi Urbari cum statu priori Bonorum Misztótfalu…; P 397, fasc. 106. Tabella in qua Praestationes Novi Urbarii cum Statu priori Bonorum K. Darocz… Über die neuen Lasten: MOL P 397, fasc. 94. Tabella Individualis in qua Praestationes Novi Urbarii (…) Erdőd et Béltek... ; P 406, fasc. 6, fons 1. fasc. 1. pos. 3. 39 MOL P 389, Nr. 72463, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 29. Sept. 1766.

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an den Grafen fehlen diesbezügliche Passagen völlig. Dieses Fehlen von Hinweisen auf Diskussionen über die Urbarialregulierung erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass weder dem Grafen noch den kleineren Grundherren in Szatmár die Angelegenheit gänzlich unwillkommen war.40 Eine zusätzliche Erklärung wäre, dass just in diesen Monaten einige im Komitat Szatmár heimgefallenen Güter im Wert von 21 000 bis 24 000 Rheinischen Gulden von der königlichen Kammer zum Verkauf angeboten wurden, wofür sich Szuhányi interessierte und wofür er die Fürsprache des Grafen erbat, der die Güter dann aber lieber selbst kaufte, was für Szuhányi nicht ganz unerwartet geschah. Das Schweigen des Komitats Szatmár lässt auch auf die Haltung des Obergespans Graf Antal Károlyi schließen, denn er konnte die regionale ‚öffentliche Meinung‘ zu dieser Zeit noch ganz erheblich beeinflussen, wenn er nur wollte. Das steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den älteren Urteilen in der ungarischen Geschichtsschreibung. Der große liberale ungarische Historiker des Maria-Theresianischen Zeitalters zeichnet beispielsweise folgendes Bild der politischen Elite: Die großen Männer, auf die sich die Macht der Königin stützte, „fanden die königliche Macht schon voll konsolidiert. Ihre Ambitionen konnten nunmehr lediglich unter den Schwingen dieser Macht befriedigt werden. Und wenn die Königin nicht offen gegen die Verfassung des Landes verstieß, waren sie bereit, ohne Gewissensbisse oder politische Prinzipien der Krone zu Diensten zu sein. (...) Weg, Ziel und Methode lagen offen zutage: durch freiwillige Angebote von Getreide, Geld und Husaren, durch loyale Reden, wenn nötig, auch durch Gerichtsurteile die eigene Dienstbereitschaft zu signalisieren. (...) Doch auch diese Dienstbereitschaft hatte ihre Grenzen. (...) Wie bereitwillig sie auch waren, der königlichen Macht gegenüber gegnerischen Parteien oder Bestrebungen zum Siege zu verhelfen, so unzuverlässig wurden sie, sobald sich die königlichen Forderungen gegen die Privilegien von Adel und Kirche richteten. Das war nicht nur durch ihre persönlichen Interessen diktiert, sondern vor allem durch Überzeugungen in der Tiefe ihrer Seele, dass nämlich nur die adelige Freiheit ihnen, ihren Familien und der ganzen Nation die ihnen zustehende Autonomie in der Monarchie gewährte, und dass nur diese Freiheit den Erhalt des ungarischen Königreichs als eines besonderen politischen Körpers ermöglichte. Dieses esprit de corps führte sie

40 Anderswo gab es erheblichen und offenen Widerstand. Vgl. Dezső Szabó, A megyék ellenállása Mária Terézia úrbéri rendeleteivel szemben [Der Widerstand der Komitate gegen Maria Theresias Verordnungen], Budapest 1934.



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im Notfall an die Seite der natürlichen Opposition, bestehend aus den Komitaten und den Protestanten.“41 Die aristokratische Elite bildete die standesgemäße Umgebung von Antal Károlyi. Dass er die ständischen Proteste gegen die ungesetzlichen Maßnahmen der Königin dennoch nicht unterstützte, kann materielle Gründe haben, wie der oben angedeutete Kauf von Gütern, die von der Kammer angeboten wurden. Es könnte aber auch sein, dass der Graf die königliche Gunst nicht verspielen wollte, weil er sonst nach dem frühen Ende seiner Offizierskarriere sein Verlangen nach Ruhm und Ehre nicht hätte befriedigen können. Kurz nach dem ergebnislosen Landtag von 1764/65, auf dem die Weigerung der Stände, die Urbarialregulierung zu unterstützen, bei der Königin großen Widerwillen erregte und die ungarischen Ständevertreter infolgedessen kollektiv abgestraft wurden, verlieh Maria Theresia dem Grafen Antal Károlyi die Würde eines wirklichen Geheimrates. Zufall? Vielleicht. Jedenfalls nahm Károlyi in der Folge immer größeren Anteil an den königlichen Reformmaßnahmen, zugleich förderte er bestimmte Protagonisten und Strömungen der aufklärerischen Öffentlichkeit. So unterstützte er den Dichter Miklós Révai, der am Gymnasium der Piaristen in Nagykároly Anfang der 1770er Jahre unterrichtete und dann mit Hilfe von Károlyi Wien besuchen konnte. Révai wirkte auf vielen Gebieten – als Lehrer, Dichter, Redakteur und Sprachwissenschaftler – an der Verwirklichung des Programms der muttersprachlichen Kulturentwicklung mit.42 Die bedeutendste Reformmaßnahme der 1770er Jahre bildete die Ratio educationis, die königliche Verordnung zur Reform der öffentlichen Bildungsinstitute. Zur Kontrolle und Hilfe bei der Durchführung wurde das Land in acht Schulbezirke aufgeteilt; zwei von ihnen leitete Károlyi, der damit die Bildungspolitik im östlichen Ungarn (in insgesamt 11 Komitaten) beaufsichtigte.43 Er nahm seine Aufgabe ausgesprochen ernst, richtete am Sitz eines der Schulbezirke in Nagyvárad eine Ritterakademie44 ein, die ganz im Sinne des Reformprogramms wirkte, ließ muttersprachliche Lehrbücher drucken, unterstützte deren Verbreitung an 41 Henrik Marczali, Mária Terézia 1717–1780, Budapest 1891 [Reprint Budapest 1897], S. 163. Siehe auch Henry Marczali, Hungary in the Eighteenth Century, Cambridge 1910. 42 Domokos Kosáry, Művelődés a XVIII. századi Magyarországon [Bildung im Ungarn des 18. Jahrhunderts], Budapest 1980, S. 315–316. 43 Ebd., S. 414–415. 44 Dabei handelte es sich um eine königliche Akademie mit zwei Lehrgängen in Philosophie und Recht. Es wurden jedoch weitere Fächer wie Mathematik, Agrarwissenschaft (oeconomia rustica), Geschichte usw. für die künftigen Beamten unterrichtet. Ebd.

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den Schulen durch eine großzügige Stiftung und bezahlte die Gehälter der Lehrer an der neuen „Normalschule“ in Nagykároly.45 Es fehlte nur noch, dass er selbst zur Feder griff, doch soweit kam es dann doch nicht. Aber mit dem, was er tat, war er tief in das Terrain der Gelehrtenrepublik vorgedrungen, sodass ein Zusammentreffen mit der Schar der Intellektuellen unvermeidlich wurde. Wir werden sehen, dass László Szuhányi einer der Nutznießer dieses gräflichen Rollenwandels wurde.

IX. 4  Verwandtschaft, soziales Umfeld und Vermögensverhältnisse László Szuhányi operierte innerhalb der Öffentlichkeit des Komitats auf der Grundlage eines wachsenden Privatvermögens, gestützt von einem dichter werdenden Geflecht verwandtschaftlicher Beziehungen und getragen von der konfessionellen Solidarität innerhalb der katholischen Elite. Schon sein Vater Márton Szuhányi hatte ein kleines Privatvermögen akkumuliert. Im Jahr 1755 besaß er ein Pfandgrundstück in der Mediatstadt Nagykároly im Wert von 500 Rheinischen Gulden.46 Dieses Grundstück am gräflichen Herrschaftssitz war bebaut; der Wert des Hauses lässt sich allerdings nicht ermitteln. Jedenfalls war der Grundbesitz von Szuhányi zu dieser Zeit der wertvollste in Nagykároly, gemeinsam mit dem eines anderen gräflichen Klienten, János Jasztrabszky. In der Mediatstadt Csenger besaß er außerdem einen Herrensitz (curia), dessen Wert jedoch ebenfalls nicht überliefert ist.47 Das ist typisch für die Quellenlage zum Besitz des Komitatsadels. Die Angaben in den Pfandbriefen für städtische Grundstücke geben lediglich den Bodenwert an, meist zwischen 300 und 500 Rheinischen Gulden, beziehen jedoch die Häuser, die darauf erbaut wurden, nicht mit ein. Der Gebäudewert belief sich meist auf 1 000 bis 3 000 Gulden.48 Gerade weil die Besitzungen des 45 Über die Förderung der Normalschule in Nagykároly siehe Kosáry, Művelődés, S. 459, über die ab 1778 einsetzende Förderung der Abfassung und Publikation von muttersprachlichen (ungarischen, ruthenischen, rumänischen) Lehrbüchern durch Luby und Révay, ebd. S. 462, die Ritterakademie von Nagyvárad, ebd. S. 497. Die Normalschule wurde von dem Wiener Architekten Franz Sebastian Rosenstingl geplant. Bara, A Károlyiak, S. 103– 104. 46 MOL P 397, Acta Oeconomica. Die Güterbeschreibung von Püspöky (Anno 1755) setzt das Grundstück des consiliarius Szuhányi an die erste Stelle, d. h. schon sein Vater, Márton Szuhányi, hatte es von Sándor Károlyi bekommen. 47 Siehe Csenger in: Aladár Vende, Szatmár vármegye községei [Gemeinde im Komitat Szatmár], in: Borovszky (Hg.), Szatmár vármegye, S. 33–168, hier: S. 50–51. 48 MOL P 392, Lad. 9. Nr. 284. Elenchus Inscriptionalistarum in Omnibus Bonis ... Dni Károlyi existentium 27. Nov. 1767; MOL P 397, Acta Oeconomica. Güterbeschreibung von



Verwandtschaft, soziales Umfeld

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Komitatsadels wesentlich kleiner waren und zerstreuter lagen als die Güter der hochadeligen Herrschaft, ist es nahezu unmöglich, vollständige Bilanzen über deren Vermögen aufzustellen.49 In den Jahren 1759/60 musste das im Lauf einer Generation angesammelte Vermögen der Familie Szuhányi durch ein mikropolitisches Erdbeben hindurch gerettet werden. Wir haben oben bereits berichtet, dass sich der Generationswechsel nach dem Tode von Graf Ferenc Károlyi und der Übernahme der Herrschaftsverwaltung durch Graf Antal dramatisch gestaltete. Die Riege der bisherigen Gutsverwalter wurde förmlich vertrieben.50 Unklar ist, wo die Szuhányi in diesem Kampf standen. Jedenfalls sah sich der alte Márton Szuhányi im Jahre 1760 veranlasst, eine dringende Bitte an den jungen Grafen zu richten, in der er um die Rückgabe der ihm von Sándor Károlyi verliehenen, in der Zwischenzeit aber von den Wirtschaftsbeamten wieder abgenommenen Besitzungen bat.51 Obwohl die Sache nicht genau rekonstruiert werden kann, steht ihr Ausgang fest: Bei der 1767 durchgeführten Konskription der Pfandbesitzungen, die den Klienten von den Grafen Károlyi gewährt worden waren, sind unter dem Namen Márton Szuhányi zwei städtische Grundstücke in der Mediatstadt Nagykároly verzeichnet. Statt wie vormals mit 500 Gulden, wurde ihr Wert nun mit 600 Gulden veranschlagt. Irgendwann kurz vor 1767 erhielt Szuhányi darüber hinaus ad beneplacitum eine Hufe in der Mediatstadt Erdőd, die früher Gábor Badda gehört hatte.52 Im Jahr 1765, in dem László Szuhányi zum Vizegespan gewählt wurde, bekam er gemeinsam mit seinem Bruder auch noch einen königlichen Donationsbrief über die Hälfte jeweils zweier Dörfer im Komitat Szatmár.53

Püspöky Anno 1755. 49 Eine der wenigen Ausnahmen siehe Gyula Benda, Egy Zala megyei. Ein Versuch, die Vermögensakkumulation der Wirtschaftsbeamten in Zusammenhang mit Koalitionsbildung und mit Unterschleif zu sehen: András Vári, Herrschaftvermittler auf dem ungarischen Großgrundbesitz am Anfang des 19.  Jahrhunderts, in: Heinrich Kaak/Martina Schattkowsky (Hg.), Herrschaft. Machtentfaltung über adligen und fürstlichen Grundbesitz in der frühen Neuzeit, Köln/Weimar 2003, S. 263–296. 50 Siehe dazu Kapitel VII. 51 Éble, Károlyi Ferenc, S. 72–73. 52 MOL P 392, Lad. 9. Nr. 284. Elenchus Inscriptionalistarum in Omnibus Bonis ... Dni Károlyi existentium 27. Nov. 1767. 53 Donationsbrief von Maria Theresia über die Dörfer Hirip und Ivácskó für die zwei Szuhányi-Brüder, Antal, Oberstleutnant des Regiments Haller, und László, Notar von Komitat Szatmár, 17. Okt. 1764. MOL A 57, Magyar Kancelláriai Levéltár, Libri regii, Bd. 47. S. 96–97.

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Ferngelenkte Autonomie – László Szuhányi

Für das Jahr 1767 lässt sich der Liegenschaftsbesitz der Szuhányi rekonstruieren, weil die Urbarialregulierung alle Besitzungen mit nichtadeligem Charakter registrierte. Die Tabelle 9 führt auch den Grundbesitz verwandter Familien auf, inklusive des in anderen Komitaten gelegenen Besitzes.54 Tabelle 9: Der Besitz des Familienverbands der Szuhányi im Komitat Szatmár Besitzer

Komitat

Ortschaften

Witwe des Sándor Gáspár Ferenc Geőcz Antal Szuhányi

Szatmár

Apa und 16 weitere Ortschaften

Szatmár

Dob

Bereg Szabolcs Szatmár Ugocsa Ung Bereg Szatmár

János Szuhányi László Szuhányi

László Vitkay József Zanathy

Bereg SzabolcsSzatmár Szatmár

2367

115

19

Zahl der unbehausten Söllner 18

26,250

1024

46

5

7

Dercen, Ópályi, Batiz, Hirip, Ivácskó, Nagyhódos, Kökényesd

17,000

784

52

3

1

Köblér, Horlyó, Dubrovka

0,125

7

1

3

0

Dercen, Csenger, Csengerújfalu, Farkasaszó, Gyügye, Hirip, Ivácskó, Kishódos, Ököritó, Porcsalma Jánd, Nagymada, Kiskolcs, Vámfalu, Vitka

20,500

1151

69

24

3

6,375

299

17

4

2

4,750

224

11

4

1

Encsencs, Papos, Pusztadaróc, Udvari

Zahl der Hörigenhufen 39,750

Umfang in Joch

Zahl der Hörigen

Zahl der behausten Söllner

Die Tabelle enthält den Pfandbesitz, aber keine Pachten. Ein ungarisches Joch konnte 1 100, 1 200 aber auch 1 300 Quadratklafter ausmachen. Nimmt man 1 200 Quadratklafter zur Grundlage, so entsprach ein Joch 0,432 Hektar.

Um die Angaben in der Tabelle besser einordnen zu können, sei erwähnt, dass nicht nur die Szuhányi, sondern auch die anderen Personen aus ihrem sozialen und familiären Umfeld über wesentlich geringfügigeren Besitz an Boden und über deutlich weniger Hörige verfügten, als die Grafen Károlyi, die über 2 486 Hörigenhufen mit insgesamt 114 623 Joch Boden geboten, also über einen hun54 Fónagy, A nemesi birtokviszonyok, Bd. II, S. 717–718.



Verwandtschaft, soziales Umfeld

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dertfach größeren Gutsbesitz. Andererseits hoben sie sich weit vom Niveau der übrigen Familien des Komitatsadels ab, die mit zwei bis sechs Hörigenhufen und 50 bis 300 Joch Urbarialgrund ausgestattet waren, aus deren Reihen jedoch sehr wohl noch Ständedeputierte, Geschworene, Stuhlrichter und Steuereinnehmer gewählt wurden. Diese Aufstellung liefert insofern ein verzerrtes Bild, als dass das Allodialeigentum fehlt, das gerade im extrem großen und im kleinsten Gutsbesitz überproportionale Bedeutung hatte. Für die Amtsführung war ein gewisses Privatvermögen jedenfalls äußerst nützlich. Den neuralgischen Punkt der Truppenverpflegung konnte der Vizegespan Szuhányi z. B. dadurch entschärfen, dass er allen in der Umgebung einquartierten Offizieren freien Tisch gewährte. Es lässt sich kaum mit einem Mann streiten, dessen Wein man täglich trinkt.55 Das stellte zwar eine ziemliche Belastung seines Budgets dar – der Vizegespan erhielt in diesen Jahren 400 Rheinische Gulden pro Jahr als salarium – die Sache hatte jedoch höchste Priorität.56 László Szuhányi war weit davon entfernt, sich lediglich auf seine amtliche Stellung zu verlassen. Nachdem er Vizegespan geworden war, baute er ein familiäres Netzwerk auf. Warum er nicht früher dazu kam, ob er – und wohl schon sein Vater – vom alteingesessenen Komitatsadel abgelehnt wurden oder ob sie von sich aus eher Verbindungen außerhalb des Komitats suchten, kann nicht gesagt werden. Ende November 1758 starb seine erste Frau, Éva Kállay, im Wochenbett nach der Geburt ihres fünften Kindes. Nach einigen Jahren nahm Szuhányi sich eine zweite, jüngere Frau, Veronika Dessewffy. Auch sie kam von auswärts, ihr Vater, Ferenc Dessewffy, war der Vizegespan von Abaúj, ein Zweig dieser Familie war auch im Nachbarkomitat Bereg begütert57 – nicht gerade arme Verwandte, aber wieder nicht aus Szatmár, dem Komitat seines amtlichen Wirkens. Auch seine älteste Tochter, Anna-Mária, heiratete im Februar 1775 nach außerhalb,58 nach auswärts zwar, aber zugleich auch deutlich nach aufwärts: Baron Ferenc Barkóczy war der Sohn des Obergespans von Máramaros und wurde 55 MOL P 389, Nr. 72467, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 9. Jan. 1766. 56 MOL P 389, Nr. 72509, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 17. Sept. 1777. 57 Éble, A cserneki és tarkeöi Dessewffy család, Anhang, Tafel III; sowie Éble, Károlyi család leszármazása, Anhang, Tab. V. 58 Die Trauung fand am 18. Februar 1775 statt. Zwei Wochen vorher teilte Szuhányi Antal Károlyi in einem Brief die freudige Nachricht mit: „die ergebenen Diener Eurer Exzellenz haben sich vermehrt, Baron Ferenc Barkóczy hat sich mit meiner Tochter ... vermählt.“ MOL P 389, Nr. 72503, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 2. Febr. 1775.

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selber königlicher Kämmerer. Anders jedoch die zweitälteste Tochter von László Szuhányi und Éva Kállay, Franciska, die im April 1780 den Notar des Komitates, László Vitkay, heiratet.59 Die Tochter aus seiner zweiten Ehe mit Veronika Dessewffy, Magdolna, wurde 1783 die Ehefrau von Mihály Zanathy, Sohn des vormaligen Szatmárer Richters, Komitats-exactors und Notars József Zanathy.60 Von einem Amtskollegen, Ferenc Geöcz, wurden die beiden als Leute mit „Herz, Verstand und Religion“ beurteilt.61 Die Schwiegersöhne waren ziemlich strategisch platziert – der Komitatsnotar Vitkay hielt Szuhányi den Rücken frei, was er im Trubel der Josephinischen Verwaltungsreformen bitter nötig hatte. Die amtliche Unterstützung des anderen Schwiegersohns, des Stuhlrichters Mihály Zanathy, war auch nicht unwichtig; seine Familie diente außerdem als Brücke zu den prägenden Gestalten in der katholischen Kirche.62 László Szuhányi hatte auch zwei Söhne, den 1754 geborenen János und den 1756 geborenen József. Der Vater ließ beide studieren, was als Ausdruck seines Wohlstands gelten kann. Die beiden Söhne wurden 1776 und erneut 1778 nach Pest geschickt, um unter der Leitung eines Oberrichters bzw. des jurium director der zentralen gräflichen Domanialverwaltung Jura zu studieren.63 Zwei Jahre später schrieb der Vater an den Grafen, dass sein Sohn József Lust verspürte, bei der „Prätorianer-Garde“ (d. h. bei der Königlich Ungarischen Leibgarde,64 der Einheit mit dem absolut höchsten Prestige) zu dienen, und bat seinen Herren um Protektion.65 Dass dies zunächst nicht gelang, verstimmte ihn sichtlich: Er klagte, dass er seine Söhne für den Dienst an König und Vaterland vorbereitet habe, und nun sei keine Verwendung für sie zu finden, sodass sie ihres Lebens überdrüssig 59 MOL P 389, Nr. 72524, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. März 1780. Die ersten beiden Töchter, Anna-Mária und Franciska, stammten von seiner ersten Frau, Éva Kállay. 60 MOL P 389, Nr. 72545, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 4. Nov. 1782. Magdolna stammte von Veronika Dessewffy ab. 61 MOL P 389, Nr. 20039, Brief von Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Dob, 27. Okt. 1778. Geöcz war schon zum Assessor der Kameraladministration in Máramaros ernannt, und lud seine ehemaligen Kollegen Zanathy und Vitkay mit Erlaubnis des Obergespans Károlyi als Beisitzer auf die Gerichtssitzung der Kameraladministration in Huszt ein. Das Zitat gibt seine Meinung über die früheren Kollegen wieder. 62 Über den Umgang seines Vaters mit Geistlichen siehe Kapitel VIII. 63 MOL P 398, Nr. 72506, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, 29. Jan. 1776, weiter Nr. 72513, 19. Jan. 1778. 64 Die Königlich Ungarische Leibgarde wurde von Maria Theresia im Jahre 1760 errichtet. Sie bestand aus 120 jungen Leuten adliger Herkunft; jedes Komitat konnte zwei Jungen für fünf Jahre nach Wien schicken. Bán (Hg.), Magyar Történelmi Fogalomtár, Bd. II., S. 200. 65 MOL P398, Nr. 72528, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, 25. Sept. 1780.



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würden. Jetzt lümmelten sie zu Hause herum. Der Vater überlegte, ob er sie nach Pest oder ins Ausland schicken sollte, denn „...man muss sein Fortkommen bei fremden Potentaten finden, fremde Götter ansprechen, wenn man hierzulande auf keinen grünen Zweig kommt.“66 Doch kurz darauf bekam József die ersehnte Stelle bei der Garde.67 Sein Bruder János war seit 1778 substitutus eines Stuhlrichters, 1783 empfahl ihn der Vater in einem Brief an seinen Herrn für die Stelle eines verstorbenen ordentlichen Stuhlrichters – anscheinend ohne Erfolg.68 Erst 1800 taucht er in den Quellen wieder auf, nun als Notar des Komitats. In der Zwischenzeit ehelichte er Krisztina, die Tochter des ehemaligen gräflichen Sekretärs und nunmehrigen Stuhlrichters Ferenc Geöcz.69 Man kann also sagen, dass in den 1780er Jahren die Verwandten von László Szuhányi, seine Söhne, Schwiegersöhne und deren Väter, einen bedeutenden Teil der Amtsträger im Komitat Szatmár stellten. Auch aus gemeinsamer Konfession ließen sich Netzwerke knüpfen. Alle Ehefrauen der Szuhányi waren Katholikinnen. Auf seinem Adelssitz in der von calvinistischem Kleinadel bewohnten Mediatstadt (oppidum) Csenger ließ Márton Szuhányi eine Kapelle bauen, die den Katholiken der Umgebung bis 1804 als einzige Kirche diente.70 Als sein Sohn zwei neu erworbene Ortschaften in Besitz nahm, kassierte er das Recht des dortigen reformierten Pastors, von dem calvinistischen Dorf den Zehnten zu fordern.71 Auch bei der Verteilung der Truppen konnten andere als unpersönlich-bürokratische Gesichtspunkte im Spiel sein, konfessionelle nämlich. Die Truppen wurden in den zwanzig Jahren, in denen Szuhányi im Komitat die Einquartierung organisierte, immerzu ganz unverhältnismäßig der calvinistischen Stadt Szatmárnémeti aufgebürdet.72 66 MOL P398, Nr. 72533, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, 4. Nov. 1780. 67 MOL P398, Nr. 72540, Briefe von László Szuhányi an Antal Károlyi, 7. Sept. 1781; Nr. 72541, 18.  Sept. 1781. Auch die genealogischen Handbücher wissen nichts von diesem Sohn, obwohl seine Existenz aus den Briefen des Vaters unzweifelhaft hervorgeht. 68 MOL P398, Nr. 72564, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, 22. Aug. 1783. 69 1790 berichtete der junge Graf József Károlyi vom Tod der Tochter von Geöcz, die die Frau des „jungen Szuhányi“ gewesen sei. MOL P 389, Nr. 35145, Nagykároly, 15. Mai 1790. 70 Vende, Szatmár vármegye községei. Csenger, S. 50–51. 71 MOL P 389, Nr. 72479, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 14. Mai 1768. 72 Der Vizegespan ließ z. B. einen Stab auch dann noch in Szatmár einquartieren, als es der kommandierende General unbedingt nach Nagykároly dislozieren wollte und wegen der Weigerung des Komitats eine Eingabe höheren Ortes einreichte, MOL P 389, Nr. 72471, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. Juli 1767; ebd. Nr. 72469, Nagykároly 23. Sept. 1767. Nagykároly blieb in der Folge sowohl von Soldaten, als auch vom Stab verschont.

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IX. 5 Die Vermittlerrolle des László Szuhányi bei der Regulierung des Szamos und der Trockenlegung des Ecseder Moors Auf der Suche nach Ruhm und Ehre fand Graf Antal Károlyi seine größte Herausforderung im Wasserbau.73 Eine Caprice war das nicht. Die Idee, durch die Trockenlegung von Feuchtgebieten Boden urbar zu machen, wurde z. B. vom preußischen König Friedrich II. im Oderbruch im großen Stil verwirklicht. Dazu wurde für die Oder zwischen 1746 und 1753 ein begradigtes Flussbett ausgehoben. Die Schiffbarmachung von Gewässern wurde im Königreich Ungarn nach französischen und englischen Vorbildern schon 1725 auf die Tagesordnung gesetzt, und zwar in Gestalt einer privaten Gesellschaft, die den Waag (ung. Vág, slow. Váh) begradigen sollte. Die geografische Lage des Landes, das von den Bergzügen der Karpaten und der Ostalpen umkränzt ist, sowie die ‚falsche‘ Fließrichtung der Donau von West nach Ost, machten das Netzwerk der Flüsse allerdings wenig geeignet, einen Anschluss an den Weltmarkt herzustellen. Die Ausnutzung von eventuellen Absatzmöglichkeiten vor Ort wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass sich die aus den Bergen kommenden Flüsse an den Rändern der Tiefebene plötzlich verlangsamten, dabei durch das Absetzen des mitgebrachten Gerölls ihren eigenen Weg verbauten und dadurch riesige Überschwemmungs-, Sumpf- und Moorgebiete bildeten. Die ungarischen Flüsse, so auch der Szamos (rum. Someș), der Hauptfluss Nordsiebenbürgens und Nordostungarns, verbanden deshalb nicht, sie trennten eher die Berge, die Erze und Salz bargen und Holz boten, von der großen Ebene im Landesinneren. Unterschiedliche Interessenten versuchten deshalb, diese Verkehrshindernisse zu überwinden und die Sumpfgebiete zu entwässern. Schon Graf Ferenc Károlyi hatte in den Jahren 1749 bis 1751 versucht, das Moor von Ecsed durch Kanäle trockenzulegen, musste sich aber nach kurzer Zeit angesichts des dazu nötigen Aufwands geschlagen geben.74 Im Zuge seiner Bemühungen kam immerhin der Gesetzesartikel XIV im Jahre 1751 zustande, der den Abriss aller dem Gemeinwohl schädlichen Mühlen bestimmte. Man war der Meinung, die Mühlenwehre stellten nicht nur ein Hindernis für den Schiffs-

73 Vielleicht auch in den Schulen – aber seine Tätigkeit als Oberinspektor des Schulbezirkes von Nagyvárad zwischen 1777 und 1782 hinterließ keine Spuren in seiner Korrespondenz mit den Vertrauten. 74 Der Aufruf von Graf Ferenc Károlyi an das Komitat vom 6. Juni 1749, die Austrocknung des Moores vorschlagend, siehe MOL P 396, 20/a. Vgl. außerdem Sándor Takáts, Az ecsedi láp eresztése a mult században [Die Trockenlegung des Moors von Ecsed im 18. Jahrhundert], in: Magyar Gazdaságtörténelmi Szemle 6 (1899), S. 1–34, hier 7–9.



Die Vermittlerrolle des László Szuhányi

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Abb. 26 Diese Detailkarte des Umlands von Szatmárnémeti zeigt eindrucksvoll, wie weit sich die Feuchtgebiete in der Niederung des Szamos erstreckten. Die Karte entstand zwischen 1782 und 1785 im Zuge der Josephinischen Landesaufnahme.

verkehr dar, sondern würden durch die Verlangsamung des Wasserlaufs auch zu Überschwemmungen führen. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts erschien der Landgewinn, der durch Regulierung der Flüsse erreicht werden konnte, immer verlockender, vor allem in der Periode nach der europaweiten Missernte von 1770/71 mit einem bis 1774 andauernden extrem hohen Preisniveau für Getreide. Die Versuche zur Trockenlegung der Sümpfe blieben allerdings im Großteil des Landes aus ökonomischer Perspektive vor dem Zeitalter der Eisenbahn sinnlos. Auch in den 1770er Jahren, als Landgewinnung mit erhoffter Produktionsausweitung helle Begeisterung hervorrief, waren solche Maßnahmen nur dort realistisch, wo es in nicht allzu weiter Entfernung Absatzmärkte gab, was nur für die westlichen Landesteile Ungarns zutraf, keinesfalls für den Nordosten. Gleichwohl bestand ab der Mitte des 18. Jahrhunderts großes Interesse der königlichen ungarischen Kammer und des Statthaltereirates an der Regulierung der Flüsse. Diese Idee kann als typisch für die zeitgenössische ökonomische Doktrin gelten, die in der Verbesserung der Wasserwege einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Binnenhandels und zur Steigerung der Produktivität des Landes

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sah.75 Der Ausbau der Wasserwege und der Fernstraßen, die Förderung und zugleich Kontrolle des Verkehrs und überhaupt der Bewegungen im beherrschten Raum bildeten ein Hauptanliegen der europäischen Monarchien. Die Propagandisten des ‚Allgemeinwohls‘ übersahen dabei gern, dass dem Nutzen für den Staat hohe Kosten gegenüberstanden, zunächst einmal für die Komitate, die Flussregulierungen und Dammbauten finanzieren mussten, letztlich für die Untertanen, deren außerordentliche Robotleistungen das ganz Vorhaben überhaupt erst ermöglichten. Andere, dauerhafte Kosten werden sichtbar, wenn man die Feuchtgebiete nicht mit den Augen eines Kammerrates, sondern eines Ortsansässigen betrachtet: Dann sieht man, dass die Landbevölkerung Nutzungsformen entwickelt hatte, die in regional unterschiedlichen Varianten an die natürlichen Gegebenheiten angepasst waren und die in ihrer Gesamtheit erhebliche Ressourcen darstellten und große Produktionsmengen erbrachten. Warum mussten dann aber diese produktiven Wirtschaftsräume auf Biegen oder Brechen der Flussregulierung weichen? Der Versuch, die Vielfalt der auf Wassernutzung basierenden Wirtschaftsräume zu einem einheitlich geregelten Transportsystem zusammenzufassen, kann nicht nur unter dem Gesichtspunkt der rationalen Ziele und Zwecke der Staatsführung interpretiert werden. Die Flussregulierung fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Einstellungen und Aktivitäten, die insgesamt den ‚herrschenden Stil‘ der Zeit repräsentieren, der zugleich ein Stil der Herrschenden war. Dazu gehören die Festungssysteme von Vauban, die Faszinationen für das Vermessen von Land, Dingen und Menschen, die geometrische Gestaltung von Schlössern und Parkanlagen, die artes mechanicae und die Vorstellungen vom Staat als Maschine.76 Die mentalitätsgeschichtlichen Hintergründe dieser Ästhetik der Macht können hier nicht näher erörtert werden, den Hinweis benötigen wir allerdings, um die Verhaltensweisen der Akteure in unserer Geschichte verstehen zu können: Hier ging es um hohe Ideale, nicht bloß um niedrige Gewässer. Die Statthalterei und die Kammer konzentrierten ihre Aufmerksamkeit zunächst auf die Schiffbarmachung, die Räumung des Flussbetts von Baumstämmen 75 Herbert Knittler, Das Verkehrswesen als Ausgangspunkt einer staatlichen Infrastrukturpolitik, in: Herbert Matis (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981, S. 137–160. 76 Johannes Kunisch, Absolutismus, Göttingen, 1986, S. 9–19. Ist es ein Zufall, dass Graf Antal, der Betreiber der Entwässerungsprojekte, zugleich Gründer einer Buchpresse, Erbauer des Pester Stadtpalais der Familie Károlyi, Kavallerie-Offizier und Appellationsrichter war?



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und Hindernissen aller Art und den Abriss der mit Dämmen versehenen Mühlen. Eine entsprechende Aufforderung erreichte Szatmár schon im Herbst 1754. Daraufhin erwiderte das Komitat wahrheitsgetreu, dass die Einwohner zwar von alters her verpflichtet seien, Wege und Dämme instand zu halten, zusätzliche Kosten und Robotleistungen aber nicht schultern könnten. Über eine weitere, zehn Jahre später ergehende Aufforderung, die Moore durch Kanäle zu „reduzieren“, schrieb Szuhányi seinem Obergespan: „Heiliger Gedanke! Nur den Geldbeutel müsste man dazu haben!“77 Und trotzdem kam das große Projekt in Gang, nicht zuletzt mit tätiger Unterstützung unseres Protagonisten. Gemäß der hohen ‚idealen‘ Bedeutung der Regulierungsarbeit erfolgten nämlich nicht länger nur vereinzelte Mahnungen und Aufforderungen der zentralen Behörden, sondern es wurde ein lang andauernder Veränderungsdruck aufgebaut. Die Initiativen zu den Wasserbauprojekten in den 1760er und 1770er Jahren kamen entweder von den Ingenieuren, die den Regierungsstellen Projektvorschläge unterbreiteten, oder aber direkt von den Räten in den zentralen Behörden. Diese beiden Gruppen waren eng miteinander verbunden; die Ingenieure waren in den zeitgenössischen wissenschaftlichen Konzepten und Ideologien versierte Militäringenieure, oft nicht-ungarischer Abstammung.78 Da Wien und Preßburg die Kosten der Projekte weder tragen wollten noch konnten, mussten sie auf die Ortsansässigen, d. h. auf die Komitate abgewälzt werden. Die wehrten sich zunächst, wie und wo sie nur konnten. In solch einer Situation war es entscheidend, ob sich vor Ort ein Großgrundbesitzer fand, der durch seine Aspirationen und durch kulturelle Gemeinsamkeiten mit den zentralen Regierungsstellen und auch mit den Ingenieuren verbunden war. Solch ein reformwilliger Aristokrat erhielt rasch die Würde und die Rechte eines königlichen Kommissars. Er musste freilich selbst genügend Gewicht in der Region haben, um die maßgeblichen Kreise auf das Großprojekt einschwören zu können. Graf Antal

77 MOL P 389, Nr. 72459, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 19. Dez. 1765. 78 Wie Samuel Krieger, Franz Böhm, Kapitän Suchodolsky. Vgl. Béla Tenk, A vízszabályozások Tolna vármegyében a XVIII. században [Die Wasseregulierungen im Komitat Tolna im 18.Jahrhundert], o. O. 1936. Manchmal werden entweder die Leistungen oder die fremde Nationalität der Ingenieure ausgeblendet. Vgl. Ferenc Fodor, Magyar vízimérnököknek a Tisza-völgyben a kiegyezés koráig végzett felmérései, vízi munkálatai és azok eredményei. [Regulierungswerke, Aufnahmen und Resultate ungarischer WasserbauIngenieure im Theißtal bis zur Periode des Ausgleichs], Budapest 1957.

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Abb. 27 Karte des Ecseder Moores von Cyrill Mező (etwa 1783). Die „gewestete“ Karte lässt die Größe der Feuchtgebiete im Niederungsgebiet der Kraszna nördlich von Szatmár und Nagykároly erahnen.

Károlyi gehörte zu dieser kleinen Gruppe ähnlich gesinnter Magnaten.79 Sie waren allesamt hohe Offiziere und Mitglieder von Freimaurerlogen. Im Nordosten des Landes, im Wassersystem der Theiß, wurde im Jahre 1770 den an den Flüssen gelegenen sechs Komitaten ein umfassendes Regulierungsprogramm befohlen.80 Im Folgejahr gingen die Robotpflichtigen des Komitats 79 Außer Graf Antal Károlyi waren das Graf Károly Sigray, Graf Lőrinc Orczy, Graf Miklós Vay. Alle standen als königliche Kommissare der Regulierung von unterschiedlichen Flusssystemen vor. Sigray war Obergespan seines Komitates und Richter an der Septemviraltafel. Sein Sohn wurde 1795 in der sog. Jakobiner-Verschwörung von Martinovics hingerichtet. Über Orczy vgl. Edit Császár, Orczy Lőrincz és a Tiszaszabályozás [Lőrincz Orczy und die Theißregulierung], in: Századok 42 (1908), S. 29–48, 105–122. Die Gestalt, die Aufklärung, Ingenieurwissenschaft, Militärkarriere, Unternehmergeist und Protestantismus vereinte, war Baron Miklós Vay, vgl. Orsolya Szakály, Egy vállalkozó főnemes. Vay Miklós báró (1756–1824) [Ein unternehmungslustiger Aristokrat. Baron Miklós Vay (1756–1824)], Budapest 2003. 80 Sándor Takáts, A Szamos szabályozása a múlt században [Die Regulierung des Szamos im vorigen Jahrhundert], in: Magyar Gazdaságtörténelmi Szemle 5 (1898), S. 551–576,



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Szatmár auch wirklich daran, das Flussbett des Szamos zu reinigen.81 Die Anordnungen wurden jedoch weiterhin mit Hinweis auf die fehlenden Mittel schleppend ausgeführt. Denn, so erklärte der Vizegespan des Komitats, der Abbruch der Mühlen mit ihren Wehren würde das Mahlen des Mehls beeinträchtigen. Zwar habe man von Schiffsmühlen gehört, doch in der hiesigen Gegend gäbe es keine Mühlenbauer, die sie bauen könnten.82 Die wiederholten Beschwerden der Komitate ob der ungeheuren Belastung wurden jedoch schroff zurückgewiesen und die Aufforderung zur Schiffbarmachung durch Maria Theresia, dann am 6. Dezember 1773 durch den Palatin, Erzherzog Joseph, wiederholt und die Aufgaben spezifiziert. Die Statthalterei erneuerte die Aufforderung bis zum Frühjahr 1774 gleich dreimal; am 8. Juni 1774 wurde sie erneut erlassen, diesmal unter Androhung von Zwang.83 So ging man in Szatmár, begleitet von fortgesetzten Protesten, schließlich doch an die Arbeit. Im Jahr 1771 hatten Militäringenieure den Fluss bereist und allein innerhalb des Komitats Szatmár über 60 Mühlen gefunden, deren Dämme den Abfluss des Wassers behinderten.84 Schon im Herbst 1771 wurden erhebliche Robotleistungen für die Räumung aufgebracht, sodass Szuhányi seinen Obergespan darum bat, die Erstattung der Kosten für die geleistete Arbeit beim Kammerpräsidenten zu befürworten.85 Die Belastungen für das Komitat waren in der Tat schon in dieser ersten Phase erheblich. Im Herbst 1771 brachte das Komitat Szabolcs 1 572 Robottage auf, Szatmár mehr als das Doppelte, nämlich 3 336 Tage zusätzliche Zwangsdienste. Hinzu kamen Bargeldausgaben in Höhe von 4  637 Rheinischen Gulden, das entsprach in etwa den regulären jährlichen Personalkosten des Komitats.86 Als Zeichen dafür, dass man vor Ort mittlerweile wusste, dass das ‚große Projekt‘ nicht mehr aufzuhalten war, kann das im Sommer 1771 entwor-

hier S. 549–555, ferner László Nyárády, Vízszabályozás és ármentesítés [Wasserregulierung und Überschwemmungsabwehr], in: Borovszky (Hg.), Szatmár vármegye, S. 278– 294. 81 MOL P. 398, Nr. 72493, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 4. Sept. 1771. 82 MOL P. 398, Nr. 72496, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 31. Aug. 1772. 83 Ebenda. 84 Takáts, A Szamos szabályozása, S. 551–552. 85 MOL P 389, Nr. 72493, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 4. Sept. 1771. 86 Takáts, A Szamos szabályozása, S. 555–556.

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fene Wasserregulierungsprojekt des früheren gräflichen Sekretärs und nunmehrigen Stuhlrichters Ferenc Geöcz gelten.87 Der hatte seine Nase immer im Wind. Mit der Schiffbarmachung der Flüsse sollten zugleich Dämme gebaut und auf den Dämmen gute Straßen errichtet werden. Über einschlägige Komitatsbeschlüsse zum Bau einer Straße auf dem Szamos-Damm berichtete László Szuhányi schon 1772.88 Die Arbeiten kamen jedoch so schleppend voran, dass sich Antal Károlyi 1774 veranlasst sah, ein Rücktrittsgesuch als Kommissar einzureichen, was die Königin erwartungsgemäß nicht akzeptierte. Dieser erneute Vertrauensbeweis, vielleicht gerade auch die Hindernisse, scheinen den Grafen weiter angestachelt zu haben. So erbat Antal Károlyi vom Kriegsrat die Abordnung eines Militär-Ingenieurs, dem 1775 auch stattgegeben wurde. Ingenieur-Kapitän Suchodolsky fertigte noch im selben Jahr ehrgeizige Regulierungspläne, die erforderlichen Machinen (Hebevorrichtungen) wurden aber bis zum Herbst nicht rechtzeitig fertig, denn arbeiten konnte man bevorzugt in dieser Jahreszeit bei Niedrigwasser. Im August 1776 bereiste Suchodolsky den Fluss nochmals und fand – wider Erwarten und gegen alle erlassenen Befehle – immer noch einzelne völlig intakte Mühlendämme vor.89 Denn hinter den Mühlenbesitzern stand das ganze Gewicht des feudalen Rechts, das ihnen eine breite Palette von Rechtsmitteln gegen unbillige Ansprüche an die Hand gab. Eine der von Suchodolsky für schädlich gehaltenen Mühlen gehörte László Lónyay. Ihr Abriss war schon 1762 befohlen worden, erfolgte aber erst 1779.90 Lónyay, der sich dermaßen querstellte, war 1772 Vizegespan des Nachbarkomitats Bereg, davor Deputierter von Bereg auf dem Landtag.91 Effektive Räumungsarbeiten begannen im Herbst 1776, Szuhányi schrieb dem Obergespan Károlyi, dass die Räumung des Bettes des Szamos und der Theiß jetzt zu gleicher Zeit in Angriff genommen werde, nunmehr mithilfe von Machinen

87 MOL P 389, Nr. 20016, Brief von Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Dob, 10. Aug. 1771. 88 MOL P 389, Nr. 72496, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 31. Aug, 1772. 89 MOL P 389, Nr. 72507, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 3. Aug. 1776. 90 Takáts, A Szamos szabályozása, S. 565. 91 Tivadar Lehoczky, Bereg vármegye [Komitat Bereg], Budapest/Beregszász 1996 [1. Aufl. Ungvár 1881–1882], S. 162–163, 168. Die Mühle von Lónyay lag auf Szabolcser Gebiet. Vgl. MOL P 38, Nr. 72523, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. Febr. 1779. Die Mühle stand nicht am Szamos, sondern an der Kraszna, unweit der Mündung der Kraszna in den Szamos.



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(Hebevorrichtungen).92 In den späten 1770er Jahren arbeitete Graf Antal Károlyi ernsthaft, beständig und mit Nachdruck an der Unternehmung. Seine Korres­ pondenz mit Szuhányi schwoll auf das Doppelte und Dreifache an und drehte sich mehrheitlich um Wasserbauprobleme. Károlyi befahl den Stuhlrichtern, die vor Ort die Arbeiten beaufsichtigten, über deren Fortschritte Protokoll zu führen und ihm die Diarien zuzuschicken. Ferenc Geöcz schickte seinem Herrn das erste Diarium schon nach einer Woche zu, um stolz zu berichten, wie viele Baumstämme er mit seinen Leuten entfernt hatte.93 Das geballte herrschaftliche Interesse, die Machtstellung von Károlyi als Obergespan und königlicher commissarius, die dauernde Präsenz und Berichterstattung der anderen gräflichen Klienten einerseits, die objektiven Schwierigkeiten der Aufgabe andererseits, all das brachte Szuhányi in eine beschwerliche Lage. Dauernd musste er sich rechtfertigen gegen den Vorwurf, er habe nicht rechtzeitig Robotpflichtige in hinreichender Zahl an den rechten Ort geschickt. Schlimmer noch, er hatte sich gegen die Anschuldigung zu verteidigen, dass er absichtlich den Abriss der Mühlendämme bestimmter Herren hinauszögern würde.94 Dieser Vorwurf war wirklich unzutreffend; seine gesamte Korrespondenz kann als Ausweis dafür gelten, dass der Vizegespan Szuhányi wirklich Feuer für die ‚große Sache‘ gefangen hatte. Da auch für Graf Antal Károlyi als Kommissar der Königin das Projekt immer wichtiger wurde, beharrte er gegen alle Widerstände auf der Regulierung des Szamos. Bis 1780 gelang es ihm tatsächlich, den Fluss schiffbar machen zu lassen, doch dieser Zustand ließ sich nur durch unausgesetzte Instandhaltungsarbeiten und strenge Kontrollen aufrechterhalten. Als die ständige Aufsicht vor Ort weggefallen war – wir berichten weiter unten darüber, wie es dazu kam – standen im Jahr 1800 wieder 123 Mühlenwehre im Szamos.95 Vom Befehl zur Schiffbarmachung des Szamos war es nur ein kleiner Schritt zum Projekt der Trockenlegung des Moors von Ecsed, das Károlyi 1775 in Angriff nahm. Das Moor machte ein Zehntel der Fläche des Komitats aus und wurde von einem Nebenfluss des Szamos, der Kraszna gespeist. Als notwendige Ergänzung dieses Projektes wurden erste Pläne auch zur Regulierung der Kraszna (rum.

92 MOL P 389, Nr. 72505, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 31. Aug. 1776. 93 MOL P 389, Nr. 20027, Brief von Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Dob, 8. Sept. 1777. 94 MOL P 389, Nr. 72508, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 29. Sept. 1777. 95 Takáts, A Szamos szabályozása, S. 575.

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Crasna) erarbeitet.96 Nach den Anfängen unter der Leitung von Graf Ferenc Károlyi in den Jahren 1749 bis 1751 baute das Komitat 1772 am Ostrand des Moors einen weiteren Kanal.97 Aber auch das reichte bei Weitem nicht aus. Schließlich wurden im Jahr 1777 umfassende Pläne zur Entwässerung des ganzen Moors von Ecsed fertiggestellt, angefertigt von einem jungen Ingenieur, der auf Kosten von Antal Károlyi studiert hatte. Der Graf bestritt aus eigener Kasse sogar einen Teil der Kosten für die Tagelöhner, die zwar ebenfalls zwangsweise zur Arbeit abkommandiert wurden, die aber immerhin für die harte Arbeit entlohnt wurden.98 Károlyi griff dafür tief in die eigene Tasche. Die Kosten der Regulierungsarbeiten machten in diesen Jahren etwa ein Fünftel bis ein Viertel des Reinertrags der gräflichen Güter aus.99 Der Lohn reichte jedoch nicht aus, um die Schinderei attraktiv zu machen, sodass sich Fälle von Schlamperei und Arbeitsverweigerung häuften. Die Komitatsversammlung sah sich deshalb veranlasst, zusätzliche Robotleistungen von Hörigen anzuordnen.100 Im darauffolgenden Jahr erging eine entsprechende Verordnung der Statthalterei an die betroffenen Komitate, unentgeltliche Zwangsdienste zu stellen.101 Rechnet man die verschiedenen Angaben hoch, so kann von einer zusätzlichen Robotbelastung von sechs bis sieben Tagen pro Jahr für jeden bäuerlichen Haushalt, ob Vollbauer oder Söllner, ausgegangen werden.102 96 MOL P 389, Nr. 72512, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. Okt. 1777. 97 Das Stück war lediglich 6 km lang. Nyárády, Vízszabályozás, S. 279–280. 98 MOL P. 396, 20/a. Aufruf von Graf Antal Károlyi an das Volk, gegen Bezahlung bei der Trockenlegung zu arbeiten, Nagykároly, 27. Juni 1778. 99 Für die Gesamteinnahmen der Károlyi: MOL P 1503, Extractus Veri Proventus Anni 1780, von János Dudovits, exactor. Die Quote des Hofes betrug im Jahre 1800 50 000 Rheinische Gulden, zur freien Disposition blieben über 75 000 Gulden übrig. Laut Takáts (Az ecsedi láp, S. 14–19.) betrug im Jahr 1778 der Beitrag von Antal Károlyi 16 593 Gulden, in den nächsten zwei Jahren wurden aber wesentlich mehr Arbeiten verrichtet, aus diesen Jahren hat man allerdings keine Angaben über den herrschaftlichen Aufwand. 100 Der Tagelohn betrug 0,05 Gulden pro Tag. Takáts, Az ecsedi láp eresztése, S. 14–19. 101 Ebd., S. 12–34. 102 Was den Arbeitsaufwand betrifft, schrieb Szuhányi 1778 von 500 bis 800 Arbeitern, 1780 von 1 000 Arbeitern während der gesamten Arbeitsperiode (8–12 Wochen). Die Anfangs- und Endpunkte der Arbeitsperiode sowie die Zeit, in der wegen des schlechten Wetters nicht gearbeitet wurde, kann man nicht feststellen, so rechnen wir mit Minima. Das macht die Zahl von etwa 80 000 Tagen in der Tabelle durchaus realistisch. Szatmár hatte 12 302 Urbarialwirte (Hufenbauern, behauste und unbehauste Söllner) in der Zeit vor 1786. Davon ausgehend entfielen auf jeden bäuerlichen Haushalt 6 bis 7 Tage zusätzliche Arbeitslast.



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Aller obrigkeitliche Nachdruck, auch die geballte wirtschaftliche, politische und symbolische Macht des Magnaten einschließlich des energischen Einsatzes seiner Klientenschar, konnten die Widerstände der hörigen Bauern und des Komitatsadels, die sich auf je eigene Art gegen die Regulierungsarbeiten richteten, nicht dauerhaft überwinden. Allerdings äußerte sich die Widerborstigkeit in den Jahren zwischen 1775 und 1782, als die Herrschaft den Sieg davon zu tragen schien, in eher unscheinbarer Form: Die Aktivitäten der bäuerlichen Bevölkerung hatten nichts Heroisches, sie dienten schlichtweg dazu, die gewohnten Nutzungsformen der Feuchtgebiete den veränderten Bedingungen pragmatisch anzupassen und allzu drückende Zumutungen sachte zu unterlaufen. Als László Szuhányi zum Beispiel die just gereinigte, begradigte und ausgetiefte Kraszna per Schiff hinunterfahren wollte, schickte er vorsichtshalber einen Emissär voraus, der ihm berichtete, Unbekannte hätten Bäume gefällt, die nun im Flussbett lagen, ja es seien sogar neue Dämme aufgeworfen worden.103 Das Moor war ungemein reich an Fischen; Szuhányi stellte fest, dass die Baumstämme genau dort lagen, wo es sich gut fischen ließ.104 Darüber hinaus wurde das Moor, das den Offizieren, die Maria Theresia mit der Urbarialkonskription beauftragt hatte, als grüne Einöde erschien und von ihnen als wertlos in die Steuerregister eingetragen worden war, in Wirklichkeit sehr wohl genutzt. Immer wenn sie von den Behörden gefragt wurden, klagten die Bauern über die Überschwemmungen, die ihre Wiesen und ihr Heu vernichteten. Das Vieh könne mit Riedgras vermengtes Heu nicht verdauen. Das stimmte. Für Jungvieh. Ältere Tiere konnte man sehr wohl mit bestimmten Riedgrassorten füttern; obendrein wurden sie ins Moor getrieben, wo sie auf höher gelegenen Flecken weideten. Manche dieser Stellen wurden sogar gemäht, sodass Heu aus dem Moor geholt werden musste. Das alles waren keine absonderlichen Einzelfälle, sondern gehörte in das übliche Nutzungssystem von Überschwemmungsgebieten.105 Die Bauern nutzten das Moor als Wiese und 103 MOL P 389, Nr. 72523. Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. Febr. 1779. 104 MOL P 389, Nr. 72527, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 18. Sept. 1780. 105 Péter Morvay, Az Ecsedi-láp vidékének egykori állattartása és pásztorélete [Die ehemalige Viehhaltung und das Hirtenleben in der Gegend des Moors von Ecsed], in: Ethnographia (1940), S. 123–143. Dass die Nutzung der Feuchtgebiete ein umfassendes System von Produktion, Verbrauch, Siedlung und Rechtsverhältnissen implizierte, wurde zuerst vorgeschlagen von Bertalan Andrásfalvy, A Sárköz ősi ártéri gazdálkodása [Die archaische Überschwemmungswirtschaft des Sárköz], Budapest 1973. Auch in anderen Regionen, so z. B. in Transdanubien, nutzten die Bauern das Moor: Lajos Takács, A Kisbalaton és környéke [Der kleine Plattensee und seine Umgebung], Kaposvár 1978.

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Weide, dessen Trockenlegung ihre gewohnte Wirtschaftsweise demnach gefährdete. Nach der Entwässerung sollte zwar produktiveres Grünland entstehen, aber wer würde es nutzen dürfen und zu welchem Preis? Davon abgesehen dauerten die Entwässerungsarbeiten viele Jahre, und die Bauern mussten doch auch in dieser Zeit irgendwoher Heu beziehen. Obwohl der Vizegespan die neu ausgehobenen Kanäle gegen Sabotage durch Haiduken bewachen ließ, bauten die Dörfler, als es am kältesten war, Dämme quer durch die Kanäle, um ihr Heu aus dem Moor zu holen. Das war Szuhányi sicherlich bekannt, denn ihm wurde genauestens darüber berichtet.106 „Aber gleich danach zerstörten sie ihre Dämme wieder“, berichtete er, was die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Bauern und Vizegespan nahelegt.107 Doch offiziell musste er selbstverständlich schweigen. Wenn die begrenzte Fruchtbarkeit der Feuchtgebiete publik wurde, hätte das die Steuerveranlagung der Dörfer im gesamten Komitat infrage gestellt. Als das Wasser des Moores binnen drei Jahren merklich gesunken war, berichtete Szuhányi seinem Herren schadenfroh, dass dort, wo es nunmehr bloß vertrocknetes Röhricht gab, die Anwohner Nutzungsrechte für Wiesengrundstücke zu beweisen suchten, freilich vergebens. Denn wo sie jetzt mähen wollten, habe es früher – wie jedermann bekannt – doch nichts als ungenutztes Moor gegeben.108 Die Freude war verfrüht. Zwar waren bäuerliche Wirtschaftssysteme durchaus nicht unveränderlich; die Ackerbürgerstädte im mittleren Theißtal schlossen sich zum Beispiel schon um die Mitte des 18.  Jahrhunderts zu einem Regulierungsprojekt zusammen, offensichtlich, weil ihre veränderte Wirtschaftsweise dies erforderte.109 Doch solcher Wandel kam nicht ins Komitat Szatmár, nicht zu dieser Zeit schon. Hier wirkten die stille Sabotage der Bauern und eines Komi-

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Der Autor stellt ein Ausweichen der Bauern auf die Feuchtgebiete vor dem Vordringen der Ackerbau treibenden herrschaftlichen Eigenwirtschaft fest. Englische Zusammenfassung der Problematik: Gyula Viga, Changes in the landscape and traditional peasant farming, Publicationes Universitatis Miskolcinensis, Sectio Philosophica, Tom. XII, Miskolc 2007, S. 147–156. MOL P 389, Nr. 72523, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. Febr. 1779. Die Dämme wurden quer über die neuen Kanäle gebaut, die Täter kamen aus Ecsed und Mérk. MOL P 389, Nr. 72535, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 22. Febr. 1781. MOL P 389, Nr. 72554, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. Okt. 1782. Zoltán Babos/László Mayer, Az ármentesítések, belvízrendezések és lecsapolások fejlődése Magyarországon [Die Entwicklung des Deichbaus, des Binnengewässerschutzes und der Entwässerung in Ungarn], in: Vízügyi Közlemények 21 (1939), S.  32–91, 227–287.



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tatsadels zusammen, der schmollend nur auf die Gelegenheit lauerte, um sich den Zumutungen der Krone, der Zentralbehörden, des Magnaten und seiner Leute zu entziehen. Von Beginn der Regulierungsarbeiten an hatte die Mühlenfrage für Unmut im Komitatsadel gesorgt. Hinzu kamen die zwei- bis dreimal im Jahr anfallenden, jeweils wochenlang dauernden Einsätze der adligen Stuhlrichter und Geschworenen, die sich im baumlosen Hochmoor Wind und Regen aussetzen mussten, um die Entwässerungsarbeiten zu beaufsichtigen.110 Das trug nicht gerade zur Beliebtheit des Projekts bei. Allmählich gewannen die Gegner der Flussregulierung Oberwasser, weil die Dauer des Vorhabens und seine Kosten einfach unabsehbar waren. Schon im Jahr 1774 bekundete das Komitat Szatmár, dass es weder die Schiffbarmachung des Szamos, noch die Abwehr der Überschwemmungen für durchführbar hielt und die enormen Kosten und Belastungen für die misera plebs fürchtete.111 Die Adeligen des Komitats waren ähnlich bodenständige Leute wie ihre Bauern. Sie hielten das Trockenlegungsprojekt für blanken Unsinn. Ihr schlagendstes Argument besagte, dass bei erfolgreicher Eindeichung der Flüsse und bei gelungener Beschleunigung des Abflusses der Fluten die Lage der oberen Flussabschnitte auf Kosten der flussabwärts liegenden Strecken verbessert würde. Schnelleres Abfließen aus den Nebenflüssen vergrößerte die Wahrscheinlichkeit, dass Flutwellen weiter unten im Hauptfluss aufeinandertreffen und einander verstärken und infolgedessen Überschwemmungen bisher unbekannten Ausmaßes entstehen würden. Dies hatte eine besondere Bedeutung am Ostrand des Komitats, wo kurz nacheinander die Kraszna in den Szamos und der Szamos in die Theiß mündeten. Die Gefahr war völlig real und betraf das Nachbarkomitat Szabolcs noch unmittelbarer als das Komitat Szatmár. Noch direkter als künftige Fluten berührten den Adel natürlich aktuelle Fragen des Besitzrechts und des Einkommens. In der Tat tangierte die Flussregulierung Bodenrechte, Wasserrechte und durch den Abbruch vieler Mühlen auch bare Einkünfte. Man trat dem begüterten Adel also allenthalben nahe. Unter den achtzehn namentlich bekannten Mühlenbesitzern finden sich sowohl Großgrundbesitzer aus den Nachbarkomitaten als auch zwei begüterte Stuhlrichter des Komitats ­Szatmár sowie der im Dienst der Károlyi alt und reich gewordene herrschaftliche 110 Szuhányi selbst bat den Grafen im Namen des Komitats um die Überlassung einer Bretterbude, die die Gräfin beim Vogelschießen zu nutzen pflegte, um sie ins Moor zu bringen und dort bei Unwetter als Schutzhütte zu verwenden. MOL P 389, Nr. 72530, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 9. Okt. 1780. 111 MOL P 396, 20/a. Schreiben des Komitats Szatmár, Konzept ohne Adresse, wahrscheinlich Komitat Szabolcs, 24. März 1774.

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Anwalt und plenipotentiarius.112 Normalerweise wussten solche Leute ihren Beschwerden wirkungsvoll Gehör zu verschaffen. Dass an dem Regulierungsprojekt überhaupt so lange gearbeitet werden konnte, lag an der besonderen Machtkonstellation. Die Zügelung der Naturgewalten und die Entwicklung der Schifffahrt vereinte – im Dienste der Allgemeinheit – die projektbegeisterten Zentralbehörden und den Magnaten Antal Károlyi in dem Bestreben, ihre Anhänglichkeit ans Königshaus, ihre grenzenlose devotio, darzustellen. Diese Koinzidenz behinderte offenbar bis in die frühen 1780er Jahre die sonst übliche Kommunikation aus der Provinz an den Hof, obwohl gerade Maria Theresia und Joseph II. Wert darauf legten, den Weg der Beschwerdeführung weit offen zu halten. Wie gesagt, Unzufriedenheit herrschte im Komitatsadel von Beginn an, die Beschwerden wurden schon 1774 vernehmlich geäußert, dramatische Formen nahmen sie in den 1780er Jahren an, als das Regulierungsprojekt immer noch nicht abgeschlossen war, sondern auf unabsehbare Zeit weiterzudauern und Kosten zu verursachen drohte. Im Jahr 1782 gingen die Befürworter noch davon aus, dass die Arbeiten bald abgeschlossen sein würden.113 Die Kanäle hatten ihre ursprünglich geplante Länge erreicht, was Szuhányi in einem Schreiben an Graf Antal jubeln ließ: „Ich gratuliere Eurer Exzellenz von Herzen, dass Sie die Arbeit am Moor soweit vorangebracht haben, wodurch Sie alle Gegner beschämt, dem Hof Ihrer Majestät aber bewiesen haben, dass Sie die zerstörerischen Gewässer schiffbar gemacht und zum Nutzen dieser Gegend verwendet haben.“114 Doch nun fingen Szuhányi und die Ingenieure an, auch noch ernsthaft über die Schiffbarmachung der kleinen Kraszna nachzudenken. Damit sollte die menschheitsbeglückende Unternehmung gekrönt werden.115 Die Arbeiten am Moor und an den Kanälen sollten also weiter fortgesetzt werden, offenbar bei unverminderter Kraftanstrengung. Das hatte Rückwirkungen. Die wachsende Spannung innerhalb des Komitatsadels ist nur mittelbar dem gereizten Ton der Briefe des László Szuhányi zu entnehmen. Deshalb kann man einen ursächlichen Zusammenhang zwischen übermäßiger Inanspruchnahme der Ressourcen des Komitats und dem Ende der Karrieren des Vizegespans und seines 112 MOL P 398, Nr. 20026, Brief von Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Dob, 12. Okt. 1777; weiter Nr. 20032, Brief von Geöcz an Károlyi, 5. Okt. 1777. 113 MOL P 389, Nr. 72560–72561, Briefe von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 22. Nov. und 19. Dez. 1782. 114 MOL P 389, Nr. 72561, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 22. Nov. 1782. 115 MOL P 389, Nr. 72562, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 19. Dez. 1782.



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gräflichen Gönners nicht eindeutig belegen. Wie auch immer, in einer Reihe von Konflikten endete jedenfalls ihr Wirken für das bonum commune in den Jahren 1784/85. Im Mai 1784 wurde ein Prozess gegen die Ehefrau von Szuhányi angestrengt. Im August 1784 entfachte das Komitat einen heftigen Konflikt mit der josephinischen Bürokratie. Das Komitat wurde durch einen Militärkommandanten aufgefordert, bei der Bevölkerungszählung (conscriptio) Hilfe zu leisten,116 obwohl die Armee gegenüber dem Komitat nicht weisungsberechtigt war, die Volkszählung nicht durch Landtagsbeschluss legitimiert war, und das Komitat nicht einmal durch die Statthalterei in Kenntnis gesetzt worden war.117 Das war zu viel, jede Unterstützung seitens des Komitats unterblieb. Dessen Amtsträger überlegten sogar, ihre Ämter demonstrativ niederzulegen.118 Im Oktober 1784 schickte man eine offizielle Beschwerde an die Statthalterei, in der man forderte, dass über die Konskription zunächst auf einem Landtag verhandelt und bis zu dessen rechtlich bindendem Beschluss vertagt werden müsste.119 In diesem Sommer 1784 berichtete der Vizegespan Szuhányi nicht einfach nur wie vorher über Gerüchte, dass man im Komitat mit der Trockenlegung des Moors von Ecsed unzufrieden sei, sondern erstmals auch davon, dass einzelne Gutsbesitzer es nicht länger zuließen, dass ihre Bauern zur Arbeit ins Moor gebracht würden. Szuhányi, der früher die Hörigen mithilfe von Soldaten und sogar – völlig unberechtigt – ins Nachbarkomitat zur Arbeit hatte treiben lassen, ließ nun diesen offenen Widerstand ungeahndet, nur die Namen der widerspenstigen Grundherren wurden notiert.120 Zu gleicher Zeit büßte der Vizegespan Szuhányi die Freude an seiner Tätigkeit ein. Die Serie von Verordnungen, die im Zuge der josephinischen Verwaltungsreform auf das Komitat niederprasselten, behagte ihm überhaupt nicht. Er musste die Zusammenlegung der Komitate121 und die Einführung des Deutschen 116 Die erste Volkszählung in Ungarn war überall von heftigen Protesten seitens des ungarischen Adels begleitet, der darin die Verletzung seiner Vorrechte sah und die Abschaffung seiner Steuerfreiheit befürchtete. 117 MOL P 389, Nr. 72577, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 30. Aug. 1784. 118 MOL P 389, Nr. 72579, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 27. Sept. 1784. 119 MOL P 389, Nr. 72581, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 14. Okt. 1784. 120 Ebd. 121 Joseph II. sah auch früher in den Komitaten die größten Hindernisse für seine Reformen, der Widerstand gegen die geplante Volkszählung war der letzte Tropfen. Mit einem Dekret am 18. März 1785 löste er die Komitate auf und gliederte Ungarn in zehn Bezirke, die von Kommissaren geleitet wurden. Das Komitat Szatmár wurde mit vier weiteren

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als Amtssprache über sich ergehen lassen. Da seit längerem Nachrichten über den blutigen Aufstand der rumänischen Bauern in Siebenbürgen die östlichen Komitate Ungarns beunruhigten, beschloss er am 26. November 1784 das Adelsaufgebot zu verkünden und bat seinen Herren und Obergespan darum, ihm keinen fremden Offizier vor die Nase zu setzen, sondern den Komitatsadel persönlich in den Kampf führen zu dürfen.122 Ein würdiger Abgang durch den Tod auf dem Schlachtfeld wurde ihm jedoch nicht zuteil. Das Adelsaufgebot ritt nirgendwohin, stattdessen wurde der Bauernaufstand durch kaiserliche Truppen zerschlagen.123 Im darauffolgenden Jahr wurde Graf Antal Károlyi der Posten des Kommissars für die Wasserregulierung entzogen.124 Anfang Mai 1785 war dem Komitat Szatmár eine Anzeige und ein Befehl des Statthaltereirates zugeschickt worden.125 Der Inhalt der Anzeige ist nicht bekannt, es handelte sich wahrscheinlich um eine Beschwerde des Nachbarkomitates Szabolcs über die Regulierungsarbeiten, die man für die Überschwemmungen ihrer flussabwärts liegenden Gebiete verantwortlich machte. Daraufhin schickte die Komitatsversammlung den Ingenieur Suchodolsky zur nochmaligen Besichtigung des Szamos, der allerdings nichts zu bemängeln fand. Szuhányi schrieb Antal Károlyi, dass er, während der Ingenieur seine Untersuchungen anstellte, mit aller Macht die Arbeiten weiterführen und das Bett des Szamos begradigen wolle. Höheren Ortes schien man eine Revision der Regulierungsarbeiten angeordnet zu haben; dem wollte Szuhányi faciam viam brevem per exempla zuvorkommen. Er empfahl seinem Gönner, mögliche Vorwürfe einfach auf ihn abzuwälzen, denn er würde sich schon reinwaschen können.126 Man weiß nicht, welche Vorwürfe in Bezug auf die Trockenlegung des Moores und die Szamosregulierung erhoben wurden; aus einem späteren Schreiben ist zu entnehmen, dass die hohen Kosten und die Beschwerden des Nachbarkomitats Szabolcs dabei eine Rolle spielten.127 Ob Károlyi das Angebot seines eifrigen Mitstreiters in

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nordöstlichen Komitaten zum Bezirk Munkács zusammengefasst. Über die Reform siehe Hajdu, II. József igazgatási reformjai, S. 176–178. MOL P 389, Nr. 72578, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 26. Nov. 1784. Béla Köpeczi (Hg.), Kurze Geschichte Siebenbürgens, Budapest 1990, S. 434–437. Takáts, Az ecsedi láp eresztése, S. 33–34. MOL P 389, Nr. 72590, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 10. Mai 1785. MOL P 389, Nr. 72583, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 2. Mai 1785. MOL P 389, Nr. 72591, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 2. Juli 1785.



Die Vermittlerrolle des László Szuhányi

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Anspruch nahm, weiß man ebenfalls nicht. Jedenfalls berichtete ihm Szuhányi im Herbst 1785, dass der neue Bezirksadministrator Szatmár besucht, sich das Moor und das Regulierungswerk angeschaut, das Projekt für gut befunden habe und es weiterführen wolle.128 Dazu ist es allerdings nie gekommen. For good or evil, dem Moor von Ecsed war noch ein weiteres Jahrhundert beschieden, bevor es im späten 19. Jahrhundert wirklich trockengelegt und kultiviert wurde.129 László Szuhányi schied aus dem Dienst; am 22. November 1785 wurde er durch die Komitatsversammlung130 von seinem Posten verabschiedet.131 Wie er schrieb, benötigte er diese Ruhe auch, denn das neue josephinische Verwaltungssystem zu erlernen, würde ihm genauso schwer fallen, wie es einem alten Musikanten Probleme bereite, neue Stücke zu lernen, vor allem weil man neuerdings nach Noten spiele, was er nie gelernt habe. Dieser melancholische Abschied mit antibürokratischen Untertönen steht in deutlichem Kontrast zu seiner früheren rastlosen Tätigkeit, aber auch zu seiner verhaltenen Zustimmung, die er der josephinischen Verwaltungsreform vorher entgegengebracht hatte. So hatte er durchaus viele Maßnahmen begrüßt, mit denen die schwerfälligen Komitatsgeschäfte beschleunigt werden sollten.132 Es scheint, dass er den ruppigen Umgang mit den alten Freiheiten des Komitatsadels einerseits ablehnte, andererseits der neuen, schnelleren und zielstrebigeren Art der Komitatsführung doch Hochachtung zollte.

128 MOL P 389, Nr. 72588, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 10. Okt. 1785. 129 Vgl. P 397. I. A. 1. fasc, 2, S.  478. Bericht des Gespans von Vállaj darüber, dass er das Röhricht am Rande des Moors abschneiden und die Parzellen zu Wiesen machen ließ – das große Werk warf also Nutzen ab. Im selben Jahr, am 2. Juli 1786, gab allerdings das Inspektorat dem Hofrichter von Gyarmat die Erlaubnis, die oeconomia, d. h. die Meierei von Olcsva wegen der Fluten anderswohin zu transferieren – also doch Schaden. Eine mögliche Erklärung: Vállaj liegt am mittleren Lauf der Kraszna, Olcsva nahe der Mündung, das Regulierungswerk beschleunigte die Flutwellen. 130 Joseph II. war strikt gegen die Selbstverwaltung der Komitate und löste sie im Jahre 1785 auf. Seiner Ansicht nach stellten vor allem die Komitatsversammlungen Hindernisse für eine gute Administration dar. Jedes Komitat sei wie ein selbstständiges Land und jede Komitatsversammlung benehme sich wie ein Landtag. In der Folge finden sich nur noch sog. „partikulare Kongregationen“, wahrscheinlich auch in diesem Fall, d. h. Zusammenkünfte der wichtigeren Beamten. Hajdu, II. József igazgatási reformjai, S. 187–191. 131 MOL P 389, Nr. 72582, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 28. Dez. 1785. 132 MOL P 389, Nr. 72589 und 72591, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 8. Juli und 2. Juli 1785.

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IX. 6  Dienst am Allgemeinwohl und soziale Stellung Abschließend soll überlegt werden, worin die sozio-ökonomischen und kulturellen Grundlagen der Macht des László Szuhányi bestanden, der in einem Spannungsfeld zwischen teilweiser Autonomie und selbstverständlicher Abhängigkeit agierte. Seine Korrespondenz legt Zeugnis ab von einer gewissen Gruppensolidarität.133 Selten bezichtigte er Kollegen eines Vergehens, meist erwähnte er Taten, nicht aber Täter. Mehrfach versuchte er, Dinge zu vertuschen und schrieb das dem Obergespan auch ganz unverblümt, so z. B. als Ferenc Irinyi, der Bruder des Stuhlrichters Antal Irinyi, am Karfreitag bei der Jagd ertappt, entwaffnet und festgenommen wurde.134 Wie weit dies tatsächlich als Ausweis von Solidarität oder eher als konfliktscheue Verwaltungspraxis zu gelten hat, sei dahingestellt. Zunächst ist solch ein Verhalten wenig spezifisch, sondern übertragbar auf viele Eliten, die sich über längere Zeit an der Macht halten. Gab es spezifischere Attribute? Und lässt sich gegenüber dem frühen 18. Jahrhundert ein Wandel feststellen? Die Mitwirkung von László Szuhányi an dem Regulierungsprojekt könnte uns bei der Suche danach helfen. Bei Großprojekten, ob in Szatmár oder anderswo, kann die Rolle der lokalen Unterstützer und Vermittler kaum überschätzt werden. Stets geht es darum, dem Willen der Herrschaft bzw. der Obrigkeit in der lokalen Umwelt Geltung zu verschaffen: durch Übersetzung in lokale Idiome, durch konkretes Handeln, im Zweifelsfall auch durch unmittelbaren Zwang. Die Bezwingung der Natur durch Ingenieurwissen löste im späten 18. Jahrhundert auch in der ungarischen Provinz wachsende Faszination aus und fand eine gewisse Akzeptanz. Dadurch wurde ein wichtiges Element des Zeitstils in eine sozio-kulturelle Umgebung transferiert, die dafür zunächst wenig aufnahmebereit schien. In der Aktenüberlieferung und der Korrespondenz aus den etwa fünfzehn Jahren, in denen das Regulierungsprojekt von Antal Károlyi vorangetrieben wurde, lassen sich zahlreiche Personen identifizieren, die ihre Gutachten, Stellungnahmen oder Meinungen für den Grafen zu Papier brachten. Es fällt auf, dass die Sache, trotz aller Schwierigkeiten und vieler Fehlschläge, zumindest in einem bestimmten Personenkreis immer populärer wurde. Unter ihnen war es nicht allein die Macht des Magnaten Károlyi, die Konformität erzwang, nein, die ‚große Sache‘ selbst begeisterte einige Beteiligte so sehr, dass sie sich aufrichtig mit ihr identifizierten. Die Briefe von László Szuhányi 133 Ganz ähnlich auch die Korrespondenz des Stuhlrichters Ferenc Geöcz, die aus Raumgründen nicht detailliert vorgestellt wird, aber die gleichen Schlüsse erlaubt. 134 MOL P 389, Nr. 72585, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 1. Apr. 1785.



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und Ferenc Geöcz enthielten zunehmend Begriffe, Argumente, Selbstverständlichkeiten, die aus dem gedanklichen Haushalt aufgeklärter Ingenieure stammten. Zum einen galten ihnen Überlegungen, die sich auf Messungen stützen konnten, als besonders schlagende Argumente. Zum anderen wurde die Lösung von Problemen immer im Rahmen umfassender Systeme gesucht; partielle, zeitweise, pragmatische Lösungen erschienen ihnen offenbar grundsätzlich als unzureichend. Schließlich verrät die Korrespondenz, dass ‚Gemeinwohl‘ im Kern ökonomisch interpretiert wurde, verstanden als Vermehrung landwirtschaftlicher Produktion, als Steigerung von Produktivität und als Verbesserung des Warenverkehrs durch die Schiffbarmachung der Gewässer. Die Gewährsleute des Grafen übernahmen damit wesentliche Elemente aus dem Argumentationshaushalt der praktischen Aufklärung und des Kameralismus. Während die gräflichen Klienten den obrigkeitlichen Veränderungswillen vermittelnd umzusetzen suchten, veränderte sich ganz allmählich ihre eigene soziale Position, auf lange Sicht sogar ganz erheblich, denn ihnen wuchs dadurch eine gewisse Autonomie zu. Was war der Schlüssel für diese wachsende Autonomie der Vertrauten der Magnaten bei konstant bleibender Funktion als Herrschaftsvermittler? Sie mussten ihre Unentbehrlichkeit und die Bedeutung ihres Dienstes für den Magnaten auf eine Art demonstrieren, die ihre Ehre und Prestige heben half, zugleich ihrer Funktion als Herrschaftsvermittler keinen Abbruch tat. Dazu benötigte man eine ‚große Sache‘, ein Projekt – möglichst nicht nur im Dienste des Magnaten, sondern zum Wohl der ‚Allgemeinheit‘. Denn eine solche ‚große Sache‘ gewährte viele Vorteile. Zunächst demonstrierte solch ein hart umkämpftes Großprojekt wie die Flussregulierung die Unentbehrlichkeit der Vertrauten. Das band den großen Herren an sein Fußvolk. Galt dieser Zusammenhang jedoch auch in umgekehrter Richtung, wie in den alten Kriegszeiten, als die Gefolgschaft auf Gedeih und Verderb vom Erfolg und von der Gunst des dominus abhing? Nun, Kämpfe gab es auch inmitten der Friedenszeit der 1770er Jahre genug. Die großen Projekte der Zeit standen typischerweise im Gegensatz zu lokalen Interessen. Durch diese Frontstellung gegenüber der lokalen Welt gerieten die Vertrauten jedoch nicht in vollständige Abhängigkeit von ihrem Herrn, denn der Vertraute diente zwar, aber nicht nur dem Herrn, sondern eben auch der Sache. Und da der Vertraute der Sache diente, gab es ein – wenn auch abstraktes – Forum, wo er Berufung gegen diese oder jene konkrete Forderung seines Herren einlegen konnte. Wieder ist der Vizegespan László Szuhányi ein gutes Beispiel: Er identifizierte sich mit der Sache der Trockenlegung des Moors, versuchte das Projekt noch zu verteidigen und fortzusetzen, als es von den Zentralbehörden bereits ausgebremst wurde. Sein Versuch, die Regulierungsarbeiten in dieser Situation eigenmächtig

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weiterzuführen, war sogar gefährlich.135 Das war kein Akt des Gehorsams gegenüber seinem Herrn mehr, wie er auch schon früher gerade wegen seiner Identifikation mit dem Projekt seinem patronus Károlyi etliche Male widersprochen hatte. Die Unterschiede in den Argumentationsweisen der Ingenieure und des Komitatsadels waren keine zufälligen Erscheinungen. Das Funktionieren des Selbstverwaltungsorgans Komitat basierte normalerweise auf dem Herkommen und der kollektiven Weisheit des Adels – es war praxisbezogen und unwissenschaftlich. In unserem Falle hatten das Komitat Szabolcs und die Pessimisten in Szatmár sogar zum Teil Recht mit ihren Befürchtungen in Bezug auf die Wasserregulierung. Auf die Nähe des Ingenieurwissens zur absolutistischen Ideenwelt wurde schon hingewiesen – da trafen also zwei Gedankenwelten aufeinander. Demnach kann die anhand der Korrespondenz festgestellte Übernahme von Elementen des ‚Ingenieur-Diskurses‘ durch die Komitatsbeamten unterschiedliche Bedeutungen haben. Es kann als persönliche Nähe der Betroffenen zum intellektuellen Schaffen der Zeit gedeutet werden, denn die Lebenswege der beiden Komitatsbeamten, Szuhányi und Geöcz geben auch solche Anhaltspunkte. Die Übernahme kann aber auch auf eine mehr oder minder bewusste Strategie der Vertrauten von großen Herren hindeuten, also auf die Strategie einer sozialen Gruppe verweisen: Durch die neue Sprache gewannen Szuhányi und Geöcz nicht nur ein Werkzeug zur Verwirklichung des Großprojekts, sondern auch eine innovative Dimension für das eigene professionelle Tun, für ihr Verwaltungshandeln, das sie aufwertete, ihre soziale Rolle, die als ‚schwebend‘ beschrieben werden kann, festigte. Die Teilhabe am Fortschritts-Diskurs wertete die Rolle der lokalen Projektbetreiber deutlich auf. Man kann die sporadischen Übernahmen von ‚wissenschaftlichen‘ Argumenten in den Texten der Herrschaftsvermittler als Kulturtransfer deuten. Doch sollte man diese Adaption fremden Wissens mit der Bedeutung einer Gruppenstrategie befrachten? Vielleicht hilft es, wenn man eine dritte Ebene des gesellschaftlichen Kontexts ins Blickfeld rückt. Sowohl die ungarische wie auch die polnische Historiografie hat für die achtziger und neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts einen reformfreudigen Adel identifiziert, der sich intellektuell betätigte und mit großem Elan gesellschaftliche und kulturelle Reformprojekte verfasste oder diskutierte.136 Diese Entwicklung wurde – gar nicht unberechtigt, doch vielleicht etwas einsei135 MOL P 389, Nr. 72590, Brief von László Szuhányi an Antal Károlyi, Nagykároly, 10. Mai 1785. 136 Jerzy Jedlicki, Der Adel im Königreich Polen bis zum Jahre 1863, in: Armgard von Reden-Dohna/Ralph Melville (Hg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Wiesbaden/Stuttgart 1988, S. 89–116; Éva H. Balázs, Berzeviczy



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tig – mit der Ausstrahlung der französischen Aufklärung und mit dem Krisenbewusstsein des polnischen bzw. ungarischen Adels in Zusammenhang gebracht. Die Reformfreudigkeit des Adels wurde von Jonathan Dewald in eine weitere, europäische Perspektive gestellt.137 Danach bezeugt die verbreitete Teilnahme des europäischen Adels an den Foren und Kulturformen der Aufklärung, der weit über eine Modeerscheinung hinaus der Rang einer kulturellen Umorientierung zukommt, eine neue Form seines Selbstverständnisses: Allgemein verbreitete sich die Ansicht, dass an die Stelle eines auf Privilegien gegründeten Adels ein auf dem Dienst am Gemeinwohl ausgerichteter und auf erfolgreichem Wirtschaften fußen­der Adel treten sollte. Die zeitgenössische Intellektualisierung des Adels ist somit als spezifische Anpassung an Modernität zu verstehen. Entsprechend gelang es den lernfähigen Teilen des alten Adels recht gut, sich in die führenden Positionen einer erneuerten Gesellschaft hinüberzuretten. Diese europäische Hintergrundfolie könnte die Deutung der Übernahme von Diskurselementen durch die zwei Komitatsbeamten auf eine belastbarere Grundlage stellen. Weitere, nun deutlichere Spuren der gesamteuropäischen Entwicklung werden im Komitat Szatmár einige Jahre später sichtbar, nun in stärker politischer Form: Am 7. Juli 1794 fand am Komitatssitz Nagykároly die feierliche Amtseinsetzung von Graf József Károlyi als Obergespan des Komitats Szatmár statt.138 Unter den Anwesenden wurde ein Subskriptionsbogen für die Gründung eines ungarischen Nationaltheaters herumgereicht. Die Liste der Unterzeichner ist bislang vor allem in Hinblick auf Verbindungen zu den Freimauern und zur 1795 aufgedeckten sogenannten ‚Jakobiner-Verschwörung‘139 untersucht worden. Die Gesellschaft war aber auch in anderen Hinsichten äußerst vielsagend: Aristokraten und Kleinadelige, Beamte und Intellektuelle, Protestanten und Katholiken fanden sich zusammen, vom Reformgeist beseelt, sodass es fast nebensächlich erscheint, wie viele „Jakobiner“ unter ihnen waren. Was in unserem Zusammenhang Gergely, a reformpolitikus 1763–1795 [Gergely Berzeviczy, der Reformpolitiker, 1763– 1795], Budapest 1967; Szakály, Egy vállalkozó főnemes. 137 Jonathan Dewald, The European Nobility, 1400–1800, Cambridge 1996. 138 Balázs, Berzeviczy Gergely, S. 205–211. 139 Die geheime Polizei deckte 1794 eine angebliche „Jakobiner-Verschwörung“ in Wien, in der Steiermark und in Ungarn auf. Der Anführer war ein ehemaliger Franziskanermönch, Professor der Lemberger Universität und Spitzel der geheimen Polizei, Ignác Martinovics. An der ungarischen „Jakobiner-Verschwörung“ waren einige Hundert Intellektuelle, Adlige und Beamte beteiligt. Die Angeklagten wurden zu schweren Strafen verurteilt, die Hauptverdächtigen wurden 1795 hingerichtet. Über die Geschichte der ungarischen Jakobiner siehe Kálmán Benda (Hg.), A magyar jakobinusok iratai [Schriften der ungarischen Jakobiner], Bd. I-III, Budapest 1952–1957.

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auffällt: Unter den zwei Dutzend Förderern des Nationaltheaters befanden sich auch der Leiter der Güterverwaltung der Károlyi und zwei Stuhlrichter des Komitats Szatmár.140 Nahmen diese, im Vergleich mit den aristokratischen Spendern oder mit den zentralen Gestalten der literarischen Öffentlichkeit eher unscheinbaren Komitatsbeamten zufällig am aktuellen Diskurs teil? Oder setzten sie den oben thematisierten sozialen Rollenwandel des Komitatsadels fort, indem sie sich zugleich als Vertraute des Magnaten, als Menschen von Bildung und als Diener des Allgemeinwohls verstanden? Wir haben es wohl mit recht eigenartigen Vermittlern zu tun, die ihre prekäre soziale Autonomie durch die Anpassung an und Aneignung von Modernität verteidigten und ausbauten.

140 Diese waren allerdings nicht mehr Szuhányi oder Geöcz, die zu dieser Zeit wahrscheinlich nicht mehr lebten. Eine Verbindung ergibt sich durch die Tochter von Szuhányi, Ehefrau des Wirtschaftsdirektors, der 1794 für das Nationaltheater spendete.

X.   Der Wandel asymmetrischer persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Zu Beginn des 18. Jahrhunderts – wir haben darüber in den Kapiteln III, IV und VI ausführlich berichtet – zeichneten sich die klientelaren Verhältnisse durch ihren umfassenden und unspezifischen Charakter aus, durch das familiäre Gewand, in das sie gekleidet waren, das ein Ausdruck der tatsächlichen lebensweltlichen Nähe zwischen Dienern und Herren war. Wenn Gábor Badda oder Gábor Erős in der Zeit des Wiederaufbaus auch nicht stets und ständig ihren Dienst an der Seite von Sándor Károlyi verrichteten, so kann doch von einer starken Nähe und vielseitigen Verbundenheit gesprochen werden. Dies änderte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Zwar lebte das ältere Modell fort, vor allem in Gestalt der Privatsekretäre der Magnaten, doch insgesamt verloren die genannten Momente ihre prägende Kraft. Asymmetrische persönliche Verhältnisse waren auch um 1800 eher die Regel als die Ausnahme, doch der Dienst für die großen Herren wurde immer spezifischer, abgegrenzter, versachlichter, die familiäre Semantik, in die er gehüllt wurde, erscheint immer fadenscheiniger. So wurde – spektakuläres Exem­pel! – das Konzept der Gnade des Herrn gegenüber seinen Dienern zu einer schlichten Bringschuld der Herrschaft gegenüber ihrem Personal umgedeutet.1 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewannen alternative Grundlagen gesellschaftlicher Geltung allenthalben in Europa an Kraft. Ihre legitimierende Wirkung wurde auch von den traditionellen Eliten Ungarns, selbst von den Magnaten anerkannt, was sich nicht nur in ihrem Engagement für kulturelle Belange zeigt, sondern auch in ihrer Beteiligung am Aufklärungsdiskurs, an der Freimaurerei, ja selbst an den abenteuerlichen Verschwörungen der „Jakobiner“. Die prägende Kraft der neuen Werte und Haltungen haben wir im vorigen Kapitel am Beispiel des László Szuhányi und des Grafen Antal Károlyi kennengelernt. ‚Patriotische‘ Projekte wie das Meliorationsvorhaben in der Szamos-Niederung waren geeignet, Herren und Diener, Patrone und Klienten auf einer veränderten Grundlage zusammenzuführen, ja der Dienst an der ‚guten Sache‘ konnte die agency der Gefolgsleute merklich heben.

1 Vári, Gnade und Kontrakt, S. 187–211.

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Der Wandel vom 18. zum 19. Jahrhundert

Die Aufklärung präferierte Verdienst gegenüber Abstammung: Meritokratien sollten an die Stelle von Geburtshierarchien treten. Diese gesamteuropäische Entwicklung wurde für Frankreich folgendermaßen beschrieben: „From 1760 onwards the notions of worthiness and honour, which until then had defined what was special about nobles, were overtaken by a new notion: merit, a middle class value, typical of the third order, which nobility took over, made its own, accepted and officially recognised as a criterion of nobility“.2 Solches meritum wurde diskursiv erzeugt: Gemäß der Vorstellungswelt der Aufklärung erkannte das räsonierende Publikum, die „bürgerliche Öffentlichkeit“, den Wert eines Individuums kraft seines von Sittlichkeit getragenen Denkens und Handelns.3 In sozialgeschichtlicher Perspektive konstituierten die aufgeklärten Individuen die entstehenden „gebildeten Stände“, eine neue Schicht, „deren gesellschaftliche Aufgabe darin bestand, dafür zu sorgen, Menschen und Verhältnisse nach Maßgabe des Vernünftigen und des Sittlichen zu bilden.“4 Diese gebildete Leistungselite begründete dem eigenen Anspruch nach eine neue Leistungsgesellschaft. Die westdeutsche Forschung der 1970er/80er Jahre hat emphatisch hervorgehoben, dass die Ausprägung des Bildungsbegriffs innerhalb der Spätaufklärung dazu führte, die „geburtsständischen Schranken“ zu sprengen, wodurch er „eine neue Oberschicht der Gebildeten verursachte“.5 Dabei ist freilich lange unbeachtet geblieben, wie weit die aufgeklärte Öffentlichkeit der Gebildeten meritum aufzufassen bereit war. Auch geburtsständischer Rang und ererbtes Vermögen fielen leichthin unter die Verdienste, wurden sie nur ostentativ in den Dienst von Allgemeinwohl und Fortschritt gestellt. Vor einigen Jahren hat Olga Khavanova im Rahmen ihrer Analyse von Gesuchen um die Vergabe von Stipendien an den habsburgischen Eliteschulen ein ganz erstaunliches Gemisch alter und neuer Argumente rekonstruiert: In diesen Bittschriften gehen 2 Guy Chaussinand-Nogaret, The French nobility in the eighteenth century. From feudalism to enlightenment, Cambridge 1985, S.  34. Andere Autoren terminieren diese Transformation noch früher, so Jay M. Smith, The culture of merit. Nobility, royal service, and the making of absolute monarchy in France, 1600–1789, Ann Arbor 1996; Dewald, The European nobility. 3 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962. Umfassend dazu Heinrich Bosse, Bildungsrevolution 1770–1830, Heidelberg 2012. 4 Hans Erich Bödeker, Die „gebildeten Stände“ im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert: Zugehörigkeit und Abgrenzungen. Mentalitäten und Handlungspotentiale, in: Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1989, S. 21–52, hier S. 22. 5 Ebd. S. 23.



Der Wandel vom 18. zum 19. Jahrhundert

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Familienehre und Bildung, Ruhm des eigenen Geschlechts und persönliche Bedürftigkeit, Nützlichkeit für den Staat und gegenreformatorische Rücksichten ein legitimatorisches Amalgam ein, das im Ton größter Selbstverständlichkeit daherkommt.6 Solche kombinierten Vorstellungen von ‚Verdienst‘ bauten für adlige und aristokratische dilettanti eine goldene Brücke in das neue Reich der Humanität.7 Das galt auch für die Károlyi und ihre Klienten, waren sie doch als Zöglinge eben dieser Erziehungsanstalten in den Gebrauch der ‚gemischten Argumente‘ eingeübt worden. Zugleich spornten solche Vorstellungen die Aristokraten an, sich auf den unterschiedlichsten Gebieten zu engagieren, mit der Konsequenz, dass im Habsburgerreich die der Theorie nach bürgerlichen Unternehmungen – die privat getragenen, der Öffentlichkeit jedoch zugänglich gemachten Bildungsstätten, die kulturellen Einrichtungen, ja selbst das Vereinswesen – von der Aristokratie mitfinanziert und mitgetragen wurden. Wie hat sich diese Umbruchzeit auf die klientelaren Verhältnisse ausgewirkt? Im Folgenden wird versucht, das Spiel mit verschiedenen Rollen anhand zweier leitender Beamter aus der Lebensspanne des Grafen Antal Károlyi darzulegen. Die beiden Herren waren – Ferenc Geöcz zeitweise, Ferenc Klobusiczky dauerhaft – Glieder bürokratisierter Verwaltungen. Zugleich traten sie als Mittelsleute zwischen dem fernen Zentralstaat bzw. dem nicht minder fernen Magnaten einerseits und der lokalen Sphäre auf. Da es ihnen zumindest zeitweise glückte, die Kommunikation so zu kanalisieren, dass sie als Mittelsleute unentbehrlich erschienen, kann man sie als Träger intermediärer Herrschaft charakterisieren.8

6 Olga Khavanova, A kérelemírás mestersége. Hivatalnoki pályafutások a 18.  századi Habsburg monarchiában [Die Profession des Bittgesucheschreibens. Beamtenkarrieren in der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert], in: Századok 128 (2008), S. 1249–1266; dies., Official Policies and Parental Strategies of Educating Hungarian Noblemen in the Age of Maria Theresia, in: Ivo Cerman/Luboš Velek (Hg.), Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006, S. 95–115. 7 Vgl. den Assoziationsplan des führenden aufgeklärten Schriftsstellers Kazinczy, in dem die schaffenden Künstler und die Unterstützung gewährenden Magnaten in vordefinierten, griechisch-arkadischen Rollen aufzutreten hatten: Anna Fábri, Az irodalom magánélete: Irodalmi szalonok és társaskörök Pesten, 1779–1848 [Das Privatleben der Literatur: Literarische Salons und Gesellschaften in Pest 1779–1848], Budapest 1987, S.  95–215, 249–336. 8 Hierzu sei auf die Passagen zu „intermediärer Herrschaft“ in der Einleitung verwiesen.

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X. 1  Ferenc Geöcz – Klient, Amtsträger des Komitats, Kammerbeamter Über die Herkunft Ferenc Geöcz ist fast nichts bekannt. Ein Mann namens Franciscus Antonius de Göz, Hungarus, wurde 15. Dezember 1733 an der Grazer Universität immatrikuliert, das Datum ist aber etwas zu früh für unseren Mann, der sich 1766 das erste Mal verehelichte und 1797 noch lebte.9 Außerdem bezeichnet das Immatrikulationsverzeichnis diese Person mit perillustris, was auf adelige Qualität hinweist. Es steht aber eindeutig fest, dass ‚unser‘ Ferenc Geöcz erst 1765 durch Maria Theresia nobilitiert wurde. Wie auch immer, für einen Plebejer hatte er eine ausgezeichnete Erziehung genossen, denn er sprach und schrieb Latein, Deutsch, Ungarisch und Französisch, verfügte auch über gute juristische Kenntnisse. Man weiß nicht einmal, aus welcher Gegend er stammte. Einen schwachen Hinweis lieferte er selbst in einem seiner Briefe, in dem er schreibt, dass sein Halbbruder in Prag zur Schule gegangen sei.10 Einer deutsch-böhmischen Abstammung widerspricht jedoch sein von Anfang an exzellentes, höfisch-verschnörkeltes Ungarisch. Der junge Ferenc Geöcz begegnet uns ab 1759 in den Quellen als secretarius des Grafen Antal Károlyi. Zugleich gehörte er, wenn er in Nagykároly weilte, dem obersten Leitungsorgan der gräflichen Güterverwaltung an, der sogenannten Wirtschaftskommission. Er kann demnach als persönlicher Mitarbeiter der Károlyi charakterisiert werden, der zugleich in der Leitung einer bürokratischen Organisation tätig war. Aus den ersten Jahren seiner Tätigkeit sind nur wenige Briefe erhalten, die an alle möglichen Adressaten gerichtet sind, nur nicht an Graf Antal, da er diesen ja überall hin begleitete. Im Dezember 1765 erhielt er von Maria Theresia den Adelsbrief, im selben Jahr bekam er von Károlyi pfandweise ein ganzes Dorf im Umfang von 26 Hufen übereignet, auf denen 46 Hörigenfamilien und 5 Söllner wirtschafteten.11 Das war der umfangreichste Pfandbesitz, den die gräfliche Familie nach 1758 irgendeinem ihrer Diener gewährte. 9 Quelle: Júlia Varga, Magyarországi diákok a Habsburg Birodalom kisebb egyetemein és akadémiáin 1560–1789 [Ungarische Studenten auf den kleineren Universitäten und Akademien des Habsburgerreiches], Budapest 2004, S. 270. Dieser Geöcz ist als Parvist immatrikuliert worden, sein Geburtsort war Eszék. 10 MOL P 398. Nr. 20333 Geöcz an Antal Károlyi, Dob, 27. Febr. 1778. 11 Adelsbrief von Maria Theresia, Wien, 8.Okt.1765, MOL A 57, Magyar Kancelláriai Levéltár, Libri Regii, Bd. 47, S. 329–331. Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története, Bd. I, S. 44. Einen Vergleich mit anderen Pfandgütern gewährt MOL P 397 IV. 296. Tabularis Conspectus Inscriptionalistarum.



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Kurz darauf, im Herbst 1766, heiratete Ferenc Geöcz. Das ganze Jahr hindurch schon war er nicht an der Seite seines Herrn mitgereist, sondern weilte nun in Nagykároly.12 Es scheint jedoch, dass der Graf zunächst weiterhin Wert auf seine persönlichen Dienste legte: Er wurde im Januar 1767 nach Pest beordert. Die unstete Existenz eines Sekretärs wollte er wohl nicht länger führen, denn er beklagte sich in Briefen an seinen Herren darüber, dass er seinen heimischen Haushalt vernachlässige. Er bot an, das herrschaftliche Archiv in Nagykároly zu ordnen, eine Aufgabe, mit der er bereits begonnen hatte.13 Geöcz interpretierte die Erlaubnis des Grafen zu seiner Heirat offenbar als Zusicherung, für alle Zeiten im Komitat Szatmár bleiben zu dürfen. Er bestand darauf, dem Grafen dienen zu wollen und bat, ihm zu einem Komitatsamt zu verhelfen.14 Ferenc Geöcz hatte mit Anna Irinyi eine Frau aus bestem Hause geheiratet. Sie stammte aus einer Familie, die in Szatmár seit dem Jahr 1278 nachzuweisen ist. Zum Zeitpunkt der Eheschließung dienten zwei Mitglieder der Familie Irinyi dem Komitat, der eine als Stuhlrichter, der andere als Obersteuereinnehmer.15 Auch der Vater der Braut, István Irinyi, war in den 1730er Jahren dreimal zum Stuhlrichter gewählt worden; zum Zeitpunkt der Hochzeit war er allerdings bereits verstorben. Ferenc Geöcz passte sich nahtlos in dieses Milieu ein: Er bekam die gräfliche Einwilligung in Nagykároly zu bleiben, und setzte die Archivarbeiten fort. Auch sein Wunsch nach einem Komitatsamt wurde umgehend erfüllt, schon im Februar 1768 war er als substitutus eines Stuhlrichters tätig, denn als Obergespan hatte Graf Károlyi das Recht, solche interimistischen Ernennungen vorzunehmen, ohne die Wahl der Komitatsbeamten abzuwarten.16 Im Jahr 1771 wurde Geöcz dann auch ganz regulär zum Stuhlrichter des Komitats gewählt, behielt aber seine Stelle als archivarius der Károlyi bei. Geöcz war ein loyaler Helfer seines Herrn, was übrigens auch Widerspruch mit einschloss. So setzte er sich mit einer eklatanten Fehleinschätzung des Grafen in mehreren Briefen auseinander, zwar in äußerst höflichem Ton, in der Sache aber 12 MOL P 398. Nr. 19988. Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 19. Okt. 1766. 13 MOL P 398. Nr. 19985. Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. Jan. 1766. Darin bietet sich Geöcz an, das Archiv zu ordnen, was eine große, langwierige Arbeit sei, doch er bittet noch nicht um Verbleib im Komitat. 14 MOL P 398. Nr. 19999 Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 28. Jan. 1767. 15 MOL P 398. Nr. 19988 Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 19. Okt. 1766. 16 In den Untersuchungsakten erschienen des öfteren Beamte, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gewählt worden waren. Solche ,Stellvertreter‘ wurden allesamt später ordentliche Stuhlrichter. Vgl. die erste von Geöcz geführte Untersuchung in: Rumänisches Nationalarchiv, Kreisdirektion Cluj, F 21 Fondul Prefectura Județului Satu Mare (Archiv des Komitats Szatmár), IV.1. Acta Miscellana juridico-civilium fasc. 5. Acta 14, 20. Febr. 1768.

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kritisch. Antal Károlyi war nämlich auf den unglücklichen Gedanken verfallen, die von seinen Hörigen zu entrichtende taxa mit der von seinen Gütern zu bezahlenden contributio, der Kriegssteuer, sowie mit der portio, dem Wert der Fourage für die im Komitat stationierten Truppen zu vergleichen, um die seiner Meinung nach besonders hohe steuerliche Belastung der Gutsherren nachzuweisen. Geöcz verfertigte zwar die angeforderte Aufstellung über die Höhe von taxa und contributio Dorf für Dorf, erklärte aber ausführlich, die ganze Welt wisse, dass die taxa bei weitem nicht die einzige Belastung der Bauern darstelle, so dass man sich mit einem solchen Vergleich nur lächerlich machen könne. Es sei besser, gar keine konkreten Angaben zu machen, sich höchstens ganz allgemein über die fragwürdige Rechtmäßigkeit der contributio zu äußern, diesen Vergleich aber keinesfalls publik zu machen.17 Als Stuhlrichter führte Geöcz Lokaluntersuchungen überall im Komitat Szatmár durch und war der mit Abstand aktivste Komitatsbeamte.18 In den Briefen an seinen Herren referierte er über die vor ihm liegenden Amtsgeschäfte, insbesondere über die Rechtsstreitigkeiten. Wir wissen nicht, was ihm der Graf darauf antwortete, aber selbst wenn er gar keine Weisungen erteilte, so war er auf jeden Fall der bestinformierte Grundbesitzer im Komitat. Ferenc Geöcz war an den großen Projekten des Grafen Antal Károlyi in gleichem Maße beteiligt wie der Vizegespan László Szuhányi. Es scheint, dass sein Ehrgeiz mit der Stelle eines Stuhlrichters nicht völlig gestillt war. Im September 1778 erhielt er jedenfalls die Ernennung zum Assessor bei der königlichen Kameraladministration in Máramaros, dem nördlich gelegenen Nachbarkomitat. Wie oben dargelegt, handelte es sich bei der Kameraladministration um die mittlere Behördenebene innerhalb der ungarischen Kammerverwaltung. Sie verfügte über vielfältige Kompetenzen: Neben der Aufsicht über die Zollverwaltung der Dreißigstämter oblag der Kameraladministration auch die Verwaltung der königlichen Domänen, die hier ausgedehnte Waldungen und fünf Mediatstädte umfassten. Sie war außerdem zuständig für die im Komitat Máramaros besonders wichtigen 17 MOL P 398. Nr. 19986 Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. Jan. 1766; ebd. Nr. 19996 Ferenc Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 15. Febr. 1766. 18 In den Jahren 1768 bis 1770 konnten insgesamt 25 Untersuchungen rekonstruiert werden, davon wurden sieben durch Ferenc Geöcz durchgeführt, bei einer weiteren Untersuchung wirkte er als Geschworener mit. Weitere drei Stuhlrichter haben jeweils eine Untersuchung geführt, bei den anderen Akten konnte die Identität des untersuchenden Beamten nicht festgestellt werden. Der Einsatzbereich von Geöcz erstreckte sich auf das ganze Komitat. Nach seiner Wahl im Jahre 1771 führte er nur drei weitere Untersuchungen bis 1775 durch, in dieser Periode von 1771 bis 1783 gab es einen substitutus judlium namens János Szuhányi, der vier Untersuchungen durchführte. Die übrigen stellvertretenden Richter erledigten meist nur zwei bis drei von insgesamt 34 Untersuchungen.



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Salzbergwerke. Geleitet wurden diese Mittelbehörden von einem Administrator, dem zwei oder drei Assessoren zuarbeiteten. Ein solcher Assessor hatte eine ausgesprochen verantwortungs- und ehrenvolle Position inne.19 Vom Umfang der zu verwaltenden Ressourcen kann sie mit dem Posten eines Güterdirektors in einem der großen aristokratischen Besitzkomplexe verglichen werden. Wie Ferenc Geöcz zu dieser Stelle kam, weiß man nicht genau. Dass Protektion durch Antal Károlyi dabei eine Rolle gespielt hat, ist zwar durchaus möglich – Geöcz bedankte sich jedenfalls artig bei ihm nach seiner Ernennung – doch sind keine besonderen Kontakte des Grafen zur Kammeradministration bekannt. Eine andere Spur deutet eher auf eigene Verdienste hin: Im Frühjahr 1778 hatte Geöcz als Deputierter an der ‚Regulierung‘ der Gerichtsbarkeit in den fünf Mediatstädten im Komitat Máramaros teilgenommen, die der Kameraladministration unterstanden. Die rechtliche Materie war kompliziert, den Vorsitz führte der Kameraladministrator – es kann gut sein, dass Ferenc Geöcz bei dieser Gelegenheit durch seine Kenntnisse und den für ihn typischen Diensteifer aufgefallen war.20 Innerhalb der Kammeradministration gab es einen Aufgabenbereich, der für den Aufbau einer intermediären Herrschaftsposition wie geschaffen war. Nach ungarischem Recht basierte nahezu aller Landbesitz – mit Ausnahme dessen, was aus der mythischen ‚ersten Landnahme‘ stammte – auf königlicher Schenkung (donatio). Deshalb bedurften die Grundstücksgeschäfte auch unter Adeligen einer königlichen Bestätigung, um unanfechtbar zu sein. In diesen Urkunden wurden jeweils auch die Bedingungen für die Vererbung des Besitzes genannt. Hatte eine Familie keine rechtmäßigen Erben im Sinne des Donationsbriefes mehr (defectus semini), so fiel der Besitz an die Krone heim. Das war z. B. dann der Fall, wenn die Familie im Mannesstamm erlosch, die donatio aber eben auf diesen Stamm begrenzt war. Die tatsächliche Durchsetzung der königlichen Heimfallsrechte hing jedoch davon ab, dass die Kammerverwaltung davon überhaupt Wind bekam und die Rechte der Krone nachweisen konnte.21 Ähnliche Verwicklungen schuf die Institution der Verpfändung, von der man in Zeiten des knappen Geldes ebenfalls reichlich Gebrauch gemacht hatte. Da der Krone während der Jahrhunderte der Kriege und des Chaos einiger Grundbesitz abhandengekommen war, setzte Maria Theresia zur Gegenoffensive an und erklärte die Ermittlung von Besitzrechten des Ärars zu einer der Hauptaufgaben der Kammerverwaltung. Für Informanten wur19 Vgl. István Nagy, A magyar kamara 1686–1848 [Die ungarische Kammerverwaltung 1686–1848], Budapest 1971, insb. S. 213–215. 20 MOL P 398. Nr. 20333 Geötz an Antal Károlyi, Dob, 27. Febr. 1778. 21 Vgl. Ferenc Eckhart, Magyar alkotmány és jogtörténet [Ungarische Verfassungs- und Rechtsgeschichte], Budapest 1946, S. 346–354.

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den sogar gestaffelte Belohnungen ausgesetzt, die bis zu einem Drittel des Wertes des zurückgewonnenen Besitzes ausmachten.22 Als frischgebackener Kammerbeamter legte Ferenc Geöcz seine Funktion als Stuhlrichter des Komitats nieder, blieb aber in unverändert reger Korrespondenz mit dem Grafen. Er äußerte sich regelmäßig über den Fortgang der Regulierungsarbeiten am Szamos, wobei er – ganz im Sinne von Antal Károlyi – das Vorhaben stets enthusiastisch feierte. Zu seiner Begeisterung mag beigetragen haben, dass er selbst ein Pfandgut im Komitat Szatmár besaß, das von Überschwemmungen bedroht war. Auch ansonsten unterschieden sich seine Dienste für den Magnaten gar nicht so radikal von dem, was er zuvor als Archivar, Rechtsberater und Stuhlrichter übernommen hatte. So hörte er nicht auf, seine ‚unmaßgebliche Meinung‘ über Prozesse des Grafen und über Rechtsstreitigkeiten in seiner Umgebung zu äußern. Dabei gab er mindestens in einem Fall nachweislich für den Grafen verwertbare Dienstgeheimnisse preis. Im Kern ging es darum, dass die Kammer beabsichtigte, einer Adelsfamilie, an deren Grundbesitz sowohl die Kammer als auch Graf Károlyi Besitzrechte geltend machten, einen Tausch anzubieten. Dies hätte die Kammer in den tatsächlichen Besitz des Gutes gebracht, sodass jeder Versuch, die Rechtsansprüche der Károlyi noch durchzusetzen, wesentlich erschwert worden wäre. Wenn dagegen der Graf eine schnelle Einigung mit dem aktuellen Besitzer erzielte, waren die Ansprüche der Kammer dahin. Entscheidend war also die Reihenfolge, in der die Besitzrechte geklärt wurden. Allein die Information, dass die Kammer einen Tausch erwog, hatte auf den Ausgang des Streits entscheidenden Einfluss. Seine Indiskretion entschuldigte Ferenc Geöcz zwar in einem Schreiben an den Grafen damit, dass der Kammer ja kein Schaden entstanden sei, bat aber den Empfänger den Brief zu vernichten. Der riss zwar die Unterschrift ab, bewahrte das Schreiben jedoch auf.23 Dennoch war Ferenc Geöcz kein unbrauchbarer Kammerbeamter. In allen Belangen, die von der bürokratischen Zentrale eindeutig zu kontrollieren waren, ließ er sich nichts zuschulden kommen. So lehnte er Einladungen oder Arbeitsaufträge des Grafen ab, wenn ein anderer Assessor krank oder abwesend war, weil die wöchentlichen Berichte pünktlich eingereicht und von mindestens zwei Mitgliedern der Kameraldeputation unterschrieben werden mussten.24 Unter solchen Umständen entschuldigte er sich, dass er wegen seiner Amtspflichten außerstande sei, den Grafen zu besuchen. Auf dem Feld der feudalen Besitzrechte jedoch, das 22 István Nagy, A magyar kamara, S. 127–128. 23 MOL P 398. Nr. 20081 Geöcz an Antal Károlyi, ohne Ort, ohne Datum (1778–1787). 24 MOL P 398. Nr. 20045 Geöcz an Antal Károlyi, Brief vom 31. März 1780.



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völlig von lokalen Gegebenheiten dominiert wurde, war keine echte Kontrolle möglich. Hier kam alles auf intime Kenntnisse an, wer mit wem auf welche Art verwandt war, wie einzelne Grundstücke und ganze Güter über Generationen hinweg vererbt, getauscht, geteilt und verpfändet worden waren, und welche Beweise dafür erbracht werden konnten. Die königlichen Rechte aufzuspüren, war zwar eine seiner Hauptaufgaben. Doch in Wahrheit schaltete und waltete Ferenc Geöcz mit seinen Informationen, wie es ihm beliebte. Interessant sind dabei zwei Umstände: Zum einen war die Chance für den Aufbau einer intermediären Herrschaftsstellung offenbar weniger mit einer amtlichen Stellung verbunden, sondern hing eher von ganz bestimmten Tätigkeitsfeldern und Funktionen ab. Zum anderen zeichnete diese Figur eine gewisse Hybridität aus: Als disziplinierter Bürokrat inventarisierte Ferenc Geöcz ein heimgefallenes Gut völlig regelkonform und gewissenhaft und gab das dabei entstandene Bündel komplexer Informationen vorschriftsmäßig an die Zentralverwaltung weiter. Zugleich sammelte er bei derselben Gelegenheit weitere besitzrechtlich, ökonomisch und politisch relevante Informationen, die er nach eigenem Gutdünken nutzte. Dass dies keine unzulässige Deutung ist, erweist die untersuchte Korrespondenz. Wir können zwar nur den einen eklatanten Bruch des Dienstgeheimnisses dokumentieren, den wir vorn bereits geschildert haben. Ferenc Geöcz berichtete dem Grafen jedoch dauernd über Interna oder versprach, bestimmte Informationen einzuholen: Als Joseph II. im Jahr 1783 incognito Siebenbürgen bereiste, wurde seine Marschroute geheim gehalten, weil sich der König ein unverfälschtes Bild von seinem Land verschaffen wollte. Deshalb beauftragten die Komitate und die adligen Herrschaften ihre Vertrauensleute in der Staatsverwaltung, sie rechtzeitig vor der Ankunft des Herrschers zu warnen, damit die Kolonnen der Robotarbeiter kurz vor der „allerhöchsten“ Durchreise zumindest die abscheulichsten Wege passierbar machen konnten. Ferenc Geöcz gehörte zu genau diesen Informanten. Ähnliches gilt im Zusammenhang mit der Reorganisation der königlichen Verwaltung im Rahmen der josephinischen Reformen. Sowohl für den Magnaten als auch für den Komitatsadel war es von größter Bedeutung, über die geplanten Maßnahmen rechtzeitig in Kenntnis gesetzt zu werden. Nicht alles kann freilich als ein Schachern mit Informationen interpretiert werden. So berichtete Ferenc Geöcz dem Grafen stolz über die ablehnende Reaktion des Komitats Máramaros gegenüber dem Toleranzpatent Josephs II.25 Da klingt unverfälscht gemeinsame konfessionelle Gesinnung an, die wiederum Solidarität stiftete. 25 MOL P 398. Nr. 20050 und 20052, Geöcz an Antal Károlyi, Sziget, 6. April 1782 und 29. Mai 1782.

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Solch ein treuer Anhänger verdiente Belohnung. Nicht genug, dass er noch in recht jungen Jahren mithilfe des Grafen nobilitiert wurde und ein ganzes Dorf als Pfandbesitz verliehen bekam.26 Auch viele Jahre später, noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts, durfte die Familie Geöcz das Dorf gegen Zahlung einer mäßigen Summe bis 1833 behalten.27 Das ist umso bemerkenswerter, als die gräfliche Güterverwaltung zu dieser Zeit eine Politik konsequenter Ablösung von Pfandgütern verfolgte. Offensichtlich fand irgendwann nach 1784 der Dienst von Geöcz bei der Kammerverwaltung ein Ende. Unklar ist, wie und weshalb. Es könnte mit der Umgestaltung der Kameraladministration in Máramaros im Jahr 1785 zu tun haben. Dabei wurde der Behörde ihre wichtigste Funktion, die Verwaltung der Salzsachen, abgenommen und unmittelbar dem Hofkammer-Departement für das Münz- und Bergwesen in Wien unterstellt.28 Seine Talente blieben allerdings nicht ungenutzt. 1787 wurde er zum Vizegespan des Komitats gewählt. Der abermalige Wechsel von Ferenc Geöcz in den Komitatsdienst geschah allerdings zur Unzeit, denn Joseph II. hob die Autonomie der Komitate auf und übertrug ihre Verwaltungsaufgaben neu geschaffenen, größer dimensionierten Bezirken. Der Komitatsadel war aus diesem Grund, aber auch wegen der kaiserlichen Bauernschutz- und Kirchenpolitik, zutiefst gekränkt. Wer wie Geöcz als Amtsträger an der Reformdiktatur Josephs II. mitwirkte, zog sich den Zorn der Adelselite zu. Bekanntlich überspannte der Kaiser den Bogen völlig: Sein 1787 unüberlegt angefangener Krieg gegen die Türken verlief glücklos. Seine Forderungen nach Rekruten, Kontributionszahlungen und Getreide wiesen die Komitate im September 1789 schnöde zurück. Im Dezember siegte der anti-habsburgische Aufstand in den österreichischen Niederlanden, dem heutigen Belgien. Als Joseph am 26. Januar 1790 alle seine Edikte in Bezug auf Ungarn (bis auf drei) zurückziehen musste, befand sich das ganze Land in Aufruhr. Die Leiche des am 20. Februar 1790 verstorbenen Königs war noch nicht ausgekühlt, da wurden die josephinischen Beamten überall in Ungarn von ihren Posten verjagt. Klügere Personen kamen dem zuvor: Mit einer demonstrativen Verurteilung der eigenen Mitwirkung an der nunmehr als gesetzwidrig betrachteten josephinischen Staatsverwaltung könne man sogar die eigene Karriere ins neue Regime hinüberretten – diesen Rat bekam der dezidiert josephinische Vizegespan 26 MOL P 397 IV. 296. Tabularis Conspectus Inscriptionalistarum. 27 Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története, Bd. I, S. 44–45. 28 István Nagy, A magyar kamara, S. 267. Allerdings blieb die Kameraladministration in Máramaros grundsätzlich erhalten.



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des Komitats Szerém, Hajnóczy, von seinen Freunden.29 In unserer Region teilte der Administrator Rosenfeld, der im Zuge der josephinischen Verwaltungsreform zum Leiter des Distrikts aufgestiegen war, schon am 17. Februar 1790 – also noch vor dem Tod des Königs – dem Vizegespan Geöcz mit, er betrachte seine Aufgabe als erledigt. Abtreten erschien ihm vorteilhafter als fortgejagt zu werden. Seither stand das Komitat wieder unter der Leitung des letzten „rechtmäßigen“ Obergespans von Szatmár, Graf Antal Károlyi. Schon am 8. Februar lud die Komitatsversammlung Károlyi ein, er möge ihrer nächsten Versammlung vorsitzen. Neuwahlen lagen in der Luft.30 Geöcz dachte ähnlich wie Rosenfeld. Ihm scheint klar gewesen zu sein, dass seine Abwahl bevorstand. Nun ging es darum, einen einigermaßen ehrenhaften Abgang hinzulegen. Er war sichtlich gekränkt über die öffentlich auf den Komitatsversammlungen gegen ihn erhobenen Vorwürfe und darüber, dass er gemeinsam mit allen anderen noch amtierenden officiales genötigt wurde, das juramentum decretale, einen Eid auf die Gesetze zu leisten, als ob sie bis dahin unter Missachtung der Gesetze tätig gewesen wären.31 Wiederholt wandte er sich mit der eindringlichen Bitte an Antal Károlyi, er möge je eher desto besser ins Komitat kommen und zumindest die Sitzung der Komitatsversammlung persönlich leiten, in der die Neuwahlen anstanden.32 In der Tat waltete der Graf seines traditionellen Amtes als Obergespan. Bei der Gelegenheit wurde Ferenc Geöcz erwartungsgemäß abgewählt, bekleidete auch nie wieder einen Komitatsposten, ein größerer Skandal wurde aber immerhin verhindert. Geöcz schien also in seiner Bedrängnis wieder die Nähe des hohen Herrn gesucht zu haben. In den folgenden Jahren benötigte er die schützenden Fittiche des Magnaten, so scheint es, jedoch nicht mehr dringend. Nach seiner Abwahl konnte er sich mit seinem kleinen Gutsbetrieb und seinem häuslichen Glück trösten, denn er heiratete 1791 ein zweites Mal, nahm die Schwester seiner verstorbenen Frau, Krisztina Irinyi, zur Frau.33 Und seine öffentliche Rolle war ebenfalls nicht völlig ausgespielt: Ein Jahr nach seiner Abwahl bekam er im Sommer 1791 den 29 György Bónis, Hajnóczy 1750–1795, Budapest 1954. 30 MOL P 398. Nr. 20074, Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 28. Febr. 1790. Rosenfeld berief die nächste Versammlung für den 11. März 1790 ein. Er forderte Geöcz auf, diese Versammlung zu leiten und bei dieser Gelegenheit dem Komitat mitzuteilen, dass es wieder unter der Leitung von Obergespan Graf Károlyi stehe. 31 MOL P 398, ohne Nummer, Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. März 1790. 32 MOL P 398. Nr. 20073, Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 20. Febr. 1790, ferner Nr. 20071, Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 17. März 1790, Nr. 20069. Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly, 6. April 1790. 33 MOL P 398. Nr. 20077, Geöcz an Antal Károlyi, 8. Juli 1791.

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Auftrag, als königlicher commissarius die Eingaben der miteinander verfeindeten katholischen und calvinistischen Bürger der Stadt Szatmárnémeti zu untersuchen. Geöcz, der das Toleranzpatent missbilligt hatte, fühlte sich dennoch abgestoßen durch den konfessionellen Kleinkrieg und bat Károlyi, ihn künftig nicht wieder für den Posten eines königlichen Kommissars in Betracht zu ziehen, der die Wahlen zu den städtischen Ämtern in Szatmár beaufsichtigen sollte, und diesen Wunsch auch an die Zentralbehörden weiterzuleiten.34 Während all dieser Wirren blieb Ferenc Geöcz dem Magnaten nah genug verbunden, dass ihm dieser die frohe Botschaft über Nachwuchs im Hause Károlyi bereits mitteilte, als die werdende Mutter noch kaum vier Monate schwanger war. Dies war freilich die Hauptsorge der gräflichen Familie in jenen Jahren. Als der Gönner von Ferenc Geöcz, Graf Antal, im Jahre 1791 starb, stand er schon in einem gewissen Vertrauensverhältnis zum jungen Grafen József, der 1788 die Grundlagen der Komitatsverwaltung in seiner Amtsstube erlernt hatte.35 An den großen Feierlichkeiten anlässlich der Amtseinsetzung des jungen Grafen als Obergespan des Komitats Szatmár im Juli 1794 nahm Geöcz noch teil.36 Nach einigen nicht allzu gewichtigen Briefen – Gratulation zum Namenstag der verwitweten Gräfin beispielsweise – riss die Verbindung ohne ersichtlichen Grund 1797 ab. Vielleicht starb er. Der gleichnamige älteste Sohn von Ferenc Geöcz wurde 1804 zum Unternotar des Komitats gewählt und brachte es rasch, binnen 13 Jahren, bis an die Spitze der Komitatshierarchie, in die Position des Vizegespans.37 Die Familie Károlyi nahm in diesen Jahren, nach dem Tod des jungen Grafen József im Jahre 1803, herzlich wenig Anteil am Komitatsleben. Hohe Gönner musste er also entbehren. Eine Familie gründete er nicht. Der jüngere Sohn, László Geöcz machte eine Karriere bei der Kammer, allerdings recht weit von Szatmár entfernt. Im Jahre 1815 wird er als Assessor der Kameraladministration in Temes aufgeführt, erreichte also eine vergleichbare Stellung wie sein Vater in Máramaros vierzig Jahre zuvor. Die Tochter, Krisztina Geöcz, heiratete wie schon erwähnt János Szuhányi, den Sohn von László Szuhányi. Dass die Familie Geöcz dann doch nicht zu einer der führenden Familien im Komitat aufstieg, lag an biologischen Zufällen: Beide Söhne starben, ohne männliche Nachkommen hinterlassen zu haben.

34 MOL P 398. Nr. 20076, Geöcz an Antal Károlyi, Szatmár, 3. Juni 1791. 35 MOL P 398. Nr. 20064, Geöcz an Antal Károlyi, Nagykároly , 8. August 1788. 36 Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története Bd. I, S. 57. 37 Vgl. Szirmay, Szathmár Bd. I, S. 130.



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Zum Nachfolger von Ferenc Geöcz als Vizegespan wurde ein gewisser Károly Luby gewählt, der vorher nie ein Komitatsamt in Szatmár bekleidet hatte. Auch Luby war katholisch, kam aus einem fernen Komitat, heiratete dann jedoch im Jahr 1753 mit Ágnes Becsky ebenfalls eine Erbin aus den Reihen der bene possessionati im Komitat Szatmár. Er diente als Inspektor der Volksschulen im Schulbezirk Nagyvárad, als dort Antal Károlyi die Direktion führte. In dieser Eigenschaft ließ er Schulbücher in den Volkssprachen Ungarisch, Ruthenisch und Rumänisch drucken.38 Von 1786 bis 1790 war er Vizegespan im Komitat Bihar, im südlichen Nachbarkomitat von Szatmár. Dort tat er sich als Anführer der Opposition gegen die josephinischen Reformen hervor. Seine Wahl zum Vizegespan in Szatmár und zum Abgeordneten des Komitats auf dem ungarischen Landtag von 1790 ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass er als Kompromisskandidat galt, war er doch ursprünglich ein Verfechter der aufgeklärten theresianischen Bildungsreformen gewesen, dann ein Gegner des Josephinismus und die ganze Zeit hindurch ein Klient der Károlyi. Zwischen den Karrieren und den familiären Strategien von Szuhányi, Geöcz, Zanathy und Luby gibt es eine Menge Gemeinsamkeiten. Sie alle dienten der Magnatenfamilie Károlyi. Sie stützten sich dabei auf Bildung, sowohl in Form von Schul- bzw. Fachbildung, mehr noch in Form einer Teilnahme am zeitgenössischen Diskurs der Gebildeten. Obwohl die kleine Zahl der Familienmitglieder, deren Laufbahnen und Eheverbindungen einigermaßen bekannt sind, keine statistischen Schlüsse erlaubt, kann man auf einen gewissen Zusammenhalt, auf die wachsende Kohärenz der sozialen Gruppe schließen. All dies gab ihnen ein wenig mehr politisch-soziales Eigengewicht. Die traditionelle Ferne der Krone und die zunehmende Ferne der Magnaten ermöglichten es ihnen, aus der „familiären“ Nähe zur Grafenfamilie hinaus- und in intermediäre Herrschaftspositionen hineinzuwachsen. Die Teilnahme an den zeitgenössischen Diskursen förderte ihre partielle Autonomie. Das Konnubium förderte eine gewisse Integration, sodass sich die Umrisse einer halbwegs kohärenten Provinzelite abzeichnen. Doch Vorsicht ist geboten: Ihre Ellbogenfreiheit im Verwaltungsalltag, ihre Teilautonomie im Vermittlungsgeschäft bedeuteten keineswegs Unentbehrlichkeit und Unverwundbarkeit. Ihre intermediäre Herrschaftsposition war zwar strukturell angelegt, sie konnte aber relativ leicht von einer anderen Person ausgefüllt werden. Die 38 Orbán Sipos, Bihar vármegye közoktatásügye [Geschichte des Unterrichtswesens des Komitats Bihar], in: Samu Borovszky (Hg.), Bihar vármegye és Nagyvárad, Budapest 1901, S. 396–409, hier S. 398. Siehe außerdem: Ede Reiszig d. J., Bihar vármegye története. III. A szatmári békétől a szabadságharczig [Geschichte des Komitats Bihar. Bd. III. Vom Szatmárer Frieden bis zum Freiheitskampf ], in: Ebd., S. 455–582.

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soziale Elite war zwar sozial zunehmend kohärenter, was aber keineswegs Konkurrenz untereinander ausschloss. Und die rasch aufeinanderfolgenden politischen Kurswechsel waren hochgefährlich.

X. 2  Ignác Klobusiczky – intermediäre Herrschaft in der Güterverwaltung Seit 1780 lebte keines der Mitglieder der Grafenfamilie mehr auf ihrem Stammsitz Nagykároly. Diese dauerhafte Abwesenheit mündete in eine zunehmende Bürokratisierung der Herrschaftsverwaltung. Wegen der räumlichen und sozialen Ferne des Herrn und mangels alternativer Kommunikationskanäle in die lokale Sphäre öffneten sich auch in dieser Privatbürokratie für die lokalen Spitzenbeamten Spielräume zur Etablierung intermediärer Herrschaft.39 Besonders ausgeprägte Chancen, eigenen Antrieben zu folgen und die Anordnungen der Herrschaftszentrale ins Leere laufen zu lassen, ergaben sich in Zeiten vormundschaftlicher Verwaltung, d. h. in Phasen, in denen der Chef des Hauses Károly verstorben, sein Erbe aber noch minderjährig war. Dafür bildet die Gestalt des bonorum regens Ignác Klobusiczky ein gutes Beispiel. Seine Geschichte schließt den Reigen unserer dramatis personae ab. Sein Vater, László Klobusiczky, war Stuhlrichter im Komitat Szatmár gewesen, seine Mutter entstammte der katholischen Familie Kende, die von alters her dem Komitatsadel angehörte. Angehörige der Familie Klobusiczky hatten sich auch früher schon im Dreieck aus Magnatenfamilie, Krone und Kirche bewegt, die sechs Söhne von László Klobusiczky perfektionierten diese Strategie:40 Der älteste, György, war Mitglied des Jesuitenordens, ab etwa 1787 canonicus des Kapitels von Nagyvárad im Komitat Bihar, im Nachbarkomitat von Szatmár. Antal, der zweitälteste der Gebrüder Klobusiczky, war zunächst ab 1764 als Sekretär von zwei aufeinander folgenden Obersten Richtern des Landes (judex curiae) tätig, 39 Als oberster Leiter der herrschaftlichen Verwaltung vor Ort wirkte bis 1794 Ferenc Somogyi. Zwischen 1796 und 1806 experimentierte man mit einer Direktion aus der Distanz: In diesem Zeitraum wohnte der oberste Verwaltungsleiter, Sámuel Burián, in Pest. Ab 1806 übernahm Ignác Klobusiczky diese Funktion, dem die zwei Rechnungsprüfer Dudovits und Pukay sowie der Inspektor des Herrschaftsbezirks Nagykároly, Borsiczky, beigeordnet wurden. 40 Quellen für die biografischen Angaben: Artikel „Familie Klobusiczky“, in Iván Nagy: Magyarország családai, Bd. VI., S. 274–282, József Szinnyei, Magyar írók, (http://mek. oszk.hu/03600/03630/html/ – Zugang: 7. Nov. 2012), in Bezug auf den Statthaltereirat, Győző Ember, Helytartótanács, S. 202–258.



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Abb. 28 Außenansicht des Palasts der Grafen Károlyi in Budapest in der Kecs­ keméti-Straße 21 im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Lithographie, 1837/38). Von hier aus steuerte die gräfliche Güterverwaltung die Bewirtschaftung der großen Latifundien und die übrigen Aktivitäten der Károlyi.

der Grafen József Illésházi und Miklós Pálffy. Das Amt des judex curiae galt als die zweithöchste Charge innerhalb des Königreichs Ungarn, gleich nach dem palatinus. Antal Klobusiczky hatte also Gelegenheit, nützliche Bekanntschaften mit den einflussreichsten Männern der Monarchie zu machen. Von 1770 bis 1771 diente er als Sekretär des Statthaltereirates, schließlich wurde er Kammerdirektor in Nagyvárad. Wie sein Bruder Ignác Klobusiczky, unser Protagonist, geriet er damit an den Ort des Wirkens des Grafen Antal Károlyi in dessen Zeit als Schulbezirksdirektor. Ein weiterer Bruder, László Klobusiczky, war zunächst ebenfalls Frater der Societas Jesu. Nach der Auflösung des Ordens wurde er Kapitän im Regiment Károlyi, nahm an den Feldzügen gegen Frankreich teil, wurde verwundet und starb. Auch Péter Klobusiczky war zunächst Jesuit, dann Weltgeistlicher, ab

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1787 Sekretär von László Kollonich, dem damaligen Erzbischof von Kalocsa, zwischen 1808 und 1822 Bischof von Szatmár, schließlich seit 1822 Erzbischof von Kalocsa. Der zweitjüngste der Brüder, József, wurde 1783 Sekretär im Statthaltereirat, ab 1786 diente er dieser Behörde als Rat, seit 1801 oder 1807 – das ist nicht völlig geklärt – war er königlicher Statthalter von Fiume, dem einzigen wichtigen Seehafen der Habsburgermonarchie, schließlich von 1810 bis zu seinem Tode im Jahre 1826 Obergespan des nordöstlichen Komitats Borsod, wo er ansehnliche Güter erwarb. Das ist Dienstadel wie er im Buche steht. Die Brüder akkumulierten Würden und Macht in einem Maße, wie es die Angehörigen ihrer Elterngeneration keineswegs erreicht hatten. Bis etwa 1770 besaß die Familie kaum irgendwelche Güter: Nach Angabe der theresianischen Urbarialkonskription verfügte nur László Klobusiczky über einige Hörige mit insgesamt dreieinhalb Hufen im Komitat Szatmár.41 Der soziale Aufstieg der Gebrüder Klobusiczky erstrahlt vor diesem Hintergrund in desto hellerem Lichte. Ihre beeindruckenden Ämterkarrieren durchliefen sie vermutlich in engem Zusammenspiel. Was den jüngsten der Brüder, Ignác Klobusiczky, dazu bestimmte, im Jahre 1806 die Verwaltung sämtlicher Károlyi-Güter zu übernehmen, ist nicht völlig zu klären, es sei denn, man stellt das Netzwerk familiärer Kontakte in Rechnung: József Klobusiczky hatte an der angesehenen, dem Wiener Theresianum nachgebildeten Akademie in Vác studiert. Seine Ausbildung war von Antal Károlyi finanziert worden, wofür er sich in Briefen ausgiebig bedankte.42 Später diente er im Statthaltereirat, als sich der junge Graf József Károlyi dort seine ersten Sporen verdiente.43 Auch Antal Klobusiczky verfasste Dankesbriefe für die reale oder auch nur für eine unterstellte Förde41 Fónagy: Dissertation. Es gab einen Zweig der Familie, der in den Grafenstand erhoben wurde und Güter erwarb. Die beiden Linien der Familie Klobusiczky trennten sich im frühen 17.  Jahrhundert; von einem Zusammenhang der Karrieren von Angehörigen dieser beiden Zweige fehlt jede Spur. 42 Olga Khavanova, Official Policies and Parental Strategies of Educating Hungarian Noble­men in the Age of Maria Theresia, in: Ivo Cerman/Luboš Velek (Hg.): Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006, S. 95–115, hier S. 111. 43 Leider gab es anscheinend zwei József Klobusiczky im Statthaltereirat, der eine begann seinen Dienst als Sekretär 1765, der andere 1783. Nur der Letztere diente zur gleichen Zeit wie József Károlyi. Zwei weitere Klobusiczkys waren zur selben Zeit im Statthaltereirat tätig, die die familiengeschichtliche Literatur nicht verorten kann. Olga Khavanova hat nicht realisiert, dass es zwei Personen mit dem Namen József Klobusiczky gab. Sie gibt das Datum des Studiums im Theresianum nicht an, sodass man nicht in Erfahrung bringen kann, welcher der beiden Klobusiczkys in welchem Verhältnis zu den Károlyi stand.



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rung seitens Antal Károlyi. Schließlich konnte sich László Klobusiczky glücklich schätzen, dass er nach der Aufhebung des Jesuitenordens ins Regiment Károlyi aufgenommen wurde und darin rasch aufsteigen konnte. Zumindest in groben Umrissen zeichnet sich demnach ein ganzes Geflecht klientelarer Abhängigkeiten zwischen den Magnaten und den Gebrüdern Klobusiczky ab. Der besagte jüngste Bruder Ignác, um den es in der Folge gehen wird, hatte 1787 eine Bürostelle bei der Distriktualgerichtstafel in Ostungarn innegehabt. Nach eigener Aussage stand er seit 1790 im Dienste der Károlyi, unklar ist jedoch in welcher Eigenschaft.44 Überliefert sind aus den Jahren 1793/94 mehrere respektvolle Grußbriefe an Gräfin Elisabeth Waldstein, die Ehefrau von József Károlyi, anlässlich ihrer Namens- und Geburtstage. Seine Briefe wurden huldvoll beantwortet, ja 1793 durfte er ihr einen Besuch in Wien abstatten, wo ihm die gräfliche Familie Unterkunft gewährte.45 Dieser vertrauensvolle Umgang mit dem jungen gräflichen Paar war recht ungewöhnlich, vielleicht hatte er in der zentralen Güterverwaltung der Károlyi in Pest eine Vertrauensstelle inne, vielleicht hatten sich andere gesellschaftliche Berührungspunkte ergeben, wir wissen es nicht. Für Ignác Klobusiczky ergab sich jedenfalls – und das ist nun klar zu beobachten – im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit, eine Position intermediärer Herrschaft innerhalb der gräflichen Güterverwaltung aufzubauen. Nach dem frühen Tod des Grafen József Károlyi im Jahre 1803 übernahm dessen Witwe die Vormundschaft über die minderjährigen Erben. Es verstrichen keine drei Jahre, da erhielt Ignác Klobusiczky den Posten eines bonorum regens, der eigens für ihn geschaffen wurde. In einem Brief vom 23. Februar 1806, den er anlässlich seiner Ernennung verfasste, versuchte er gegenüber der Gräfin einige Punkte zu klären, die der Anstellungsbrief seiner Ansicht nach noch nicht hinreichend erfasste.46 Seinen Amtssitz sollte er nicht in Pest, sondern in Nagykároly nehmen. Gehalt und Deputat waren im Anstellungsbrief zwar geklärt, allein es blieb noch 44 MOL P 397/IV. Zweiter Brief von Ignác Klobusiczky an Gräfin Károlyi, geb. WaldsteinWartenberg, 23. Febr. 1806. Darin blickt er auf einen bereits 16 Jahre währenden Dienst zurück, was einen Eintritt im Jahre 1790 impliziert. Freilich findet sich sein Name weder im Personalstand der Herrschaften aus dem Jahre 1790, noch in dem der Zentralverwaltung aus dem Jahre 1793. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass er zu den persönlichen Dienern gehörte. 45 MOL P 398. Nr. 40370, Klobusiczky an Gräfin Waldstein-Wartenberg, Pest, 3. März 1793; weiter Nr. 40371, Klobusiczky an Gräfin Károlyi, geb. Waldstein-Wartenberg, Pest; 16. März 1793 sowie Nr. 40372, Klobusiczky an Gräfin Károlyi, geb. Waldstein-Wartenberg, Pest, 18. März 1794. 46 MOL P 397/IV. Zweiter Brief von Ignác Klobusiczky an Gräfin Károlyi, geb. WaldsteinWartenberg, 23. Febr. 1806.

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eine Reihe von Wünschen, so beispielsweise, dass er die sechs Pferde, die er gestellt bekam, aus dem gräflichen Gestüt bekommen wollte. Für seine Reisen wünschte er sich exklusive Verpflegung. Während des Aufenthalts in Nagykároly bedingte er sich Obst und Gemüse aus dem herrschaftlichen Garten aus, als ob nicht schon ein Deputat für seinen Lebensunterhalt gewährt worden wäre. Wegen der öfter nötigen Reisen in die Hauptstadt bat er um Beibehaltung seiner Dienstwohnung in Pest. Obwohl er kein Freund von übertriebener Titulatur sei, fand er es doch am schicklichsten, wenn sein Titel nicht Direktor lautete, sondern regens.47 Über die Prinzipien der Güterverwaltung wolle er sich später äußern, in diesem ersten Brief nur ein, zwei Punkte berühren. So könne nur derjenige den Armen wirksam helfen, der in der Lage sei, den Bedürftigen unverzüglich unter die Arme zu greifen, zumal sich diese in ihrer Not nicht selbst an die Gräfin wenden könnten. Daher erbitte er die Erlaubnis, vier bis fünf Gulden Bargeld oder ein bis zwei Scheffel Brotkorn ohne Rechnungslegung, ja ohne die Vorlage eines Gesuchs, austeilen zu dürfen. Die zweite dringend klärungsbedürftige Frage knüpfte an der Feststellung an, dass man in Ungarn „sowohl die Richter, als die politischen Beamten, besonders aber die Komitats-Herren, deren der mindeste der Herrschaft dienen oder schaden kann, mit Leutseeligkeit, Gastfreiheit und anderen Verbindlichkeiten zu gewinnen hat“. Die dafür erforderlichen Mittel müssten augenblicklich verfügbar sein. So sei es vonnöten, gewisse Leute im Interesse der gräflichen Familie mit Wildbret oder Geldsummen bis zu 100 Gulden zu beschenken. Es sei auch erforderlich, von Zeit zu Zeit, besonders bei Gelegenheit der Komitatsversammlungen, Gastmäler zu veranstalten. Daher „bitte ich um Erlaubnis, meine Ausgaben durch Wildpret und andre Naturalien, welche der Herrschaft kein bares Geld kosten, ersetzen zu können“. Schließlich bat er noch darum, im Falle einer eventuellen Anzeige, Anklage, Beschwerde oder Verdächtigung immer erst angehört zu werden. Neben den gewundenen Argumenten, die eines Tartuffe würdig wären, fällt auf, dass der neue „Regent“ seine Pflichten zur genauen Rechnungslegung zu lockern trachtete, wo es immer ging. Dieses Bestreben, schon im Moment des Amtsantritts für jedwede Eigenmächtigkeit Absolution zu erhalten, lässt nichts Gutes in Bezug auf strenge und umfassende Rechnungslegung erwarten, obwohl die Sitte des Beschenkens der Komitatsbeamten nachweislich üblich war.48 47 Klobusiczky schrieb: „...man möge für mich die vormalige Titulatur regens auch aus dem Grunde belassen, weil man diese Benennung auf den Karolyischen Gütern gewohnt ist“. 48 Vgl. den Vorschlag von Klobusiczky, den Vizegespan Sándor Eötvös und den Stuhlrichter János Csoba wegen günstiger Urteile zu beschenken. Eötvös bekam ein Paar Büffelkühe, dem Stuhlrichter sollten „unter irgendeinem guten praetextus“ 150 Rh. Gulden zukom-



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Abb. 29 Mehrfach wurde erwogen, die veraltete Festungsanlage in Nagykároly durch ein modernes, standesgemäßes Schloss zu ersetzen. Die Abbildung zeigt einen nicht ausgeführten Entwurf von Franz Rosenstingl aus dem Jahre 1783.

Klobusiczky scheint sich glänzend zurechtgefunden zu haben; er muss seinen Aufgabenkreis schon vorher gut gekannt haben. Denn als er gleich nach Übernahme seines Amtes die Instruktionen für die untergebenen Beamten schrieb und sie an die Gräfin schickte, legte er ein „Verzeichnis der Secretarial Acten und Prothocolle vom Jahre 1793, nehmlich von der Zeit an, als der seelige Graf die Gütter übernahm und bei uns die ordentliche Manipulation der Geschäften anfing. Aus dem Verzeichnis werden Euer Gnaden einsehen, dass bei mir jede Ordnung herrschte, welche seit dem das Karolyi Haus existieret von mir zum erstenmahl in Secretariat eingeführet war“.49 Seine Amtsführung bestätigt den Eindruck, dass er bürokratisch gut geschult war. Bemerkenswert sind seine Kenntnisse sowohl über landwirtschaftliche Fragen wie auch über handwerkliche Technologien und die lokalen ökonomischen Besonderheiten in Szatmár. Wo er diese erworben hatte, ist unbekannt. men. Es gab weitere Schenkungen an kleinere Würdenträger, wobei es dazu gehörte, dass diese wiederum die ihnen zustehenden Diäten nicht entgegennahmen. Vgl. Vorschlag von Klobusiczky MOL P 407. 1815 Nr. 207, 17. Jan. 1815. Vgl. auch die Beschenkung des Vizegespans und Obernotars aus dem Komitat Csongrád mit einem Bullen bzw. mit zwei Kühen. P 407. 1818. Nr. 881, Derekegyház, 4. Mai 1818. 49 MOL P 398 Nr. 4374, Klobusiczky an Gräfin Károlyi, Nagykároly, 6. Nov. 1806.

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In Konflikten zeigte er sich als unumschränkter Herr der Lage, als Gebieter über die Güterverwaltung. Unklar ist, wie viel Land und Hörige er sein Eigen nennen konnte. Ein wenig besaß er schon, inwieweit das seiner Stellung Eigengewicht gab, ist kaum abzuschätzen.50 Er wusste jedenfalls eigene, ihm persönlich ergebene Vertraute zu gewinnen. In seinem – auf unerklärliche Weise innerhalb des Bestandes der Korrespondenz der gräflichen Familie erhalten gebliebenen – Briefwechsel aus den Jahren 1808/9 mit dem herrschaftlichen Fiskal der Nachbarherrschaft Nyírbátor, Herczeg, kann man Spuren für ein solches Verhältnis entdecken. Der Fiskal war ihm behilflich beim Tausch eines Grundstücks neben seinem Weingarten in Muzsaly und beim Erwerb eines dort hinführenden Weges.51 Der Wert der Grundstücke ist unbekannt, das Anbaugebiet von Muzsaly war jedoch für seine hochpreisigen Qualitätsweine bekannt. Das eingetauschte Grundstück benötigte Klobusiczky zum Bau eines „Weinhauses“. Im Gegenzug schrieb er auf Bitte von Herczeg einen Brief an den Vizegespan des Komitats Szabolcs, wo die Herrschaft Nyírbátor lag. In den Jahren der napoleonischen Kriege wurde der regionale Adel mehrfach im Rahmen der sog. insurrectio für die habsburgische Armee aufgeboten. Herczeg und auch Klobusiczky selbst verspürten jedoch keinen unstillbaren Durst auf Heldentaten. So berichtete er in seinem Brief an den Vizegespan des Nachbarkomitats, wie zufrieden die herrschaftlichen Wirtschaftsbeamten in seiner Gegend waren mit der „anständigen“ Behandlung durch die Musterungskommission des Komitats Szatmár und mahnte eine ähnlich schonende Behandlung des Herrschaftspersonals im Komitat Szabolcs an.52 Man kann dieses Beispiel als Hinweis darauf lesen, dass auch die bürokratisierte Güterverwaltung von persönlichen Koalitionen durchsetzt war.53 Diese informellen Netzwerke machten 50 Die Adelskonskription von 1809 verzeichnete Klobusiczky als eine im Nachbarkomitat Bereg mit Landbesitz ausgestatte Person. Sándor Kávássy, Nagykároly nemessége 1809ben [Der Adel von Nagykároly], in: Szabolcs-Szatmár-Bereg Megyei Szemle 28 (1983), S. 433–449. 51 MOL P 398 Nr. 4379, Klobusiczky an Herczeg, Nagykároly, 18. Nov. 1808; Nr 4380. Klobusiczky an Herczeg, Nagykároly, 2. Aug. 1808; Nr. 4388, Klobusiczky an Herczeg, Nagykároly, 28. Sept. 1809. 52 MOL P 398. Nr. 4390, Klobusiczky an Herczeg, Nagykároly, 27. März.1809; Nr. 4391, Klobusiczky an Herczeg, Nagykároly, 14. April 1809. 53 Vgl. das Netzwerk eines Gutsverwalters (Gespan): András Vári, Herrschaftsvermittler auf dem ungarischen Großgrundbesitz am Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Heinrich Kaak/Martina Schattkowsky (Hg.), Herrschaft. Machtentfaltung über adligen und fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar 2003, S. 263–296; ders., Uralom az uradalomban. A nagybirtokos, a gazdatisztek és a parasztok közötti hatalmi viszonyok egy per tükrében az 1810-es években [Herrschaft in der Herrschaft. Die Machtverhältnisse



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keineswegs Halt an den segmentären Grenzen der ständischen Gesellschaft, im Gegenteil, die ständischen Grenzen wurden auf allen Ebenen überschritten. Die Netzwerke umspannten nämlich einerseits die Herrschafts- und Komitatsverwaltungen, andererseits die adeligen und bürgerlichen Lokaleliten.54 Besonders gut sichtbar werden diese Verbindungen in Konflikten, vor allem in Kriminalfällen.55 Wie fest Ignác Klobusiczky im Sattel saß, erwies sich in den Konflikten, die er zwischen 1813 und 1816 mit der vormundschaftlichen Güterverwaltung ausfocht. Die Güter der Károlyi standen – wie erwähnt – bereits seit dem frühen Tod von Graf József im Jahr 1803 unter Vormundschaft. Die Witwe, Gräfin Elisabeth Waldstein-Wartenberg, heiratete zwar ein zweites Mal, der zweite Gatte, Graf Keglevits, starb jedoch schon bald, sodass im Jahr 1813 der Bruder der Gräfin, Graf Emmanuel Waldstein-Wartenberg, zum Vormund ernannt wurde.56 Er beherrschte die ungarische Sprache, hatte offensichtlich wirtschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen, lebte aber in Wien und wollte von dort die Güter bis ins Detail gehend leiten. Daher brauchte er eine disziplinierte Bürokratie. Schon in seinem ersten Brief an die Güterverwaltung, in dem er die Übernahme der Vormundschaft mitteilte, drohte er Härte an.57 Dem bonorum regens Ignác Klobusiczky begegnete er mit Misstrauen. Als dieser beispielsweise im Jahr 1815 die Gesuche zwischen dem Großgrundbesitz, den Wirtschaftsbeamten und den Bauern im Spiegel eines Prozesses in den 1810er Jahren], in: Századok 3 (2004), S. 539–600. 54 Vgl. Gyula Erdmann, Az úrbéres terhek növekedése és egy gazdatiszt-kiskirály üzelmei Békéscsabán a XIX. század elején [Das Anwachsen der Urbariallasten und die Umtriebe eines Wirtschaftsbeamten-Lokalpaschas in Békéscsabán am Anfang des 19.  Jahrhunderts], in: László A. Varga (Hg.), Rendi társadalom – polgári társadalom 3. Társadalmi konfliktusok, [Ständische Gesellschaft-bürgerliche Gesellschaft, Bd. 3: Soziale Konflikte], Salgótarján 1991, S. 133–138. Hier kann ein Netzwerk unterhalb des Praefectus des Herrschaftsbezirks rekonstruiert werden, bestehend aus Wirtschaftsbeamten und Stadtrichtern. Vgl. József Glósz, Szekszárd a 19. század elején. Társadalmi konfliktusok egy stagnáló mezővárosban [Szekszárd am Anfang des 19. Jahrhunderts. Soziale Konflikte in einer stagnierenden Kleinstadt], in: Századok 2 (1995), S.  363–380. Hier scheint ein Bund der katholisch-ungarischen Zunftmeister einer lockeren Koalition von lokalen Vertretern der Herrschaft, den deutschstämmigen Händler-Patriziern und den reformiert-ungarischen Ackerbürgern der Stadt gegenüber zu stehen, die hierarchische Struktur ist allerdings nicht ganz klar. 55 Vgl. Glósz, Szekszárd; Erdmann, Umtriebe; Vári, Herrschaftsvermittler. 56 Emmanuel Waldstein-Wartenberg aus dem Dux-Leitomischl Zweig der Waldstein war selbst mit einer ungarischen Gräfin Sztáray verheiratet, durch sie erwarb er wohl auch die Herrschaft Vinna im Komitat Ung im Nordosten Ungarns. Vgl. Iván Nagy: Magyarország családjai, Bd. XII. Budapest 1865, S. 21–25. 57 MOL P 414. 1813. No. 656. Brief von Emmanuel Waldstein-Wartenberg an die Güterverwaltung, Pest, 22. Nov. 1813.

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von Witwen sowie von erkrankten bzw. erblindeten Wirtschaftsbeamten unterstützte, wurden die Eingaben abschlägig beschieden, womit der Vormund deutlich machte, dass die Entscheidungsgewalt nun bei ihm lag.58 Graf Emmanuel Waldstein-Wartenberg entsandte sogar einen Kontrolleur auf die östlich gelegenen Güter, der den Wirtschaftsbeamten auf die Finger sehen sollte. Die ‚Wärme‘ des Empfangs, den man diesem Kommissar aus Pest bereitete, kann man einem Brief des Gutsinspektors Toth aus Nagykároly entnehmen. Toth entschuldigte sich beim Grafen Waldstein-Wartenberg, dass er den fremden Besucher fortwährend falsch tituliert habe, weil er nicht gewusst habe, mit wem er zu tun hatte. Schließlich habe er lediglich einen Befehl erhalten, dass „ein Individuum“ aus der königlichen Kameral-Forstverwaltung in Kassa (dt. Kaschau, slow. Košice) kommen werde, das die Wälder inspizieren und über deren bessere Nutzung ein „projectum“ machen solle. Namentlich genannt sei in dieser Anweisung aber niemand. Als das „Individuum“ in Nagykároly angekommen sei, habe es kein Dokument vorweisen können, um sich als Beauftragter des Vormundes zu legitimieren. So habe niemand wissen können, wie sein Name und Titel lautete.59 Bei dem „Individuum“ handelte es sich um den Freiherrn Maldiny, der wenig später erneut erschien und fünf Tage auf Schloss Nagykároly hauste, was Klobusiczky auf den Plan rief. Er machte gegenüber dem Vormund geltend, dass Unterbringung, Verpflegung und Bezüge des Kontrolleurs keinesfalls zulasten seines Etats gehen dürften.60 Schließlich sei auch er, Graf Waldstein-Wartenberg, in seiner Funktion als Vormund zur Rechnungslegung verpflichtet. In der Tat hatte dieser über sein Schalten und Walten einmal jährlich in einer mehrtägigen, aufwändigen Sitzung des Komitatsgerichts von Pest Rechenschaft abzulegen.61 Umso unangenehmer für ihn, dass der Regent Klobusiczky in seiner offiziellen Korrespondenz in aller Höflichkeit wiederholt die Befehle des Vormunds als sachlich bzw. fachlich falsch, unbegründet oder unausführbar darstellte. Aktiv und pflichtbewusst wie er war, lief der Vormund immer wieder ins offene Messer. Er bemängelte z. B., dass es in der großen Herrschaft Károly nur ein einziges Brauhaus gab, das dann nicht einmal aus den umliegenden Gütern aus-

58 MOL P 407 1815. No. 308, Gesuch vom 20. Aug. 1814, Stellungnahme des Regenten vom 27. Jan. 1815. Entscheidung des Vormunds vom 9. Febr. 1815. Weiterhin P 407 1815. No. 172, Gesuch vom 15. Nov. 1815, Notiz des Regenten 13. Jan. 1815, Entscheidung des Vormundes 23. Jan. 1815. 59 MOL P 407 1815. Nr. 421. Bericht von Inspector Tóth, Nagykároly, 18. Jan. 1815. 60 MOL P 407 1815. Nr. 245. Brief von Klobusiczky, 24. Jan. 1815. 61 MOL P 1531.



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reichend mit Gerste beliefert werde.62 Der Vormund forderte eine Erklärung, warum 1 000 Scheffel63 Gerste für bares Geld gekauft werden mussten. Die Antwort nutzte Klobusiczky, um die Tiefe der Unkenntnis des Fragestellers genüsslich auszuleuchten. In der Gegend werde kein Bier getrunken, in normalen Jahren könne man nicht einmal das wenige Bier aus dem einen Brauhaus absetzen, lediglich im Vorjahr habe man wegen des besonders schlechten Wetters einen ungewöhnlich guten Bierabsatz erzielt (vermutlich, weil die Weinlese enttäuschend ausfiel). Die Bauern der Gegend bauten überhaupt keine Gerste an; die von den herrschaftlichen Äckern gewonnene Braugerste decke jedoch in Normaljahren den Bedarf des Brauhauses. Schritt für Schritt, wie für ein Kind von schwachem Verstand, wird dargelegt, dass eine Ausweitung des Anbaus von Gerste entweder die Erweiterung der herrschaftlichen Äcker voraussetze, was eine unbillige Belastung der Hörigen bedinge, oder dass die Aussaat von Gerste nur auf Kosten des Weizens vermehrt werden könne. Dabei seien die Erlöse aus dem Verkauf von Weizen um vieles höher, sodass man Gerste kaufen und immer noch Gewinn erwirtschaften könne. Es fehlte nur noch eine grafische Veranschaulichung. Ähnlich strukturierte Briefwechsel gab es in diesen Jahren eine ganze Reihe.64 Am 9. Januar 1815 verfügte der Vormund eine neue Ordnung für den Holzverkauf aus den herrschaftlichen Waldungen, womit er den Vorschlägen des „Individuums“ Maldiny folgte. Danach sollte die Zuteilung von Holz für den Eigenbedarf der Herrschaften dem Oberjäger als Vertreter der Zentralverwaltung unterstellt werden. Der Oberjäger hatte darüber Register zu führen und Rechenschaft abzulegen. Klobusiczky hatte sofort eine Antwort parat, die die Unsinnigkeit der neuen bürokratischen Regelung verdeutlichen sollte: Die einzelnen Güter im Herrschaftsbezirk Nagykároly lägen über sechs Komitate verstreut, jeweils 10 bis 14 Meilen voneinander entfernt. Wenn da der Wind irgendwo das Dach eines Gebäudes beschädige, seien sämtliche Wände vom Regen durchtränkt, bis die Er62 MOL P 407 1815. Nr. 214. Brief des Grafen Waldstein-Wartenberg, 3. Dez. 1814; Bericht des Inspektors Tóth, 16. Dez. 1814; Brief von Klobusiczky 16. Jan. 1815. 63 ung. „köböl“ = 83 Liter 64 P 407 1815. Nr. 178. Brief von Klobusiczky 7. Jan. 1815, weiterhin siehe einen Fall über die Ablösung von Robot, ebd, 1815. Nr. 329., über die Initiative von Grafen Waldstein zum Schnapsbrennen und deren wenig zufriedenstellende Ergebnisse, ebd. 1815. Nr. 314. Bericht des Vizeexaktors Sándor Szabó und des Beschließers Ferenc Peer vom 23. Jan. 1815, Bericht des Regenten vom 28. Jan. 1815 und Antwort des Vormundes vom 9. Feb. 1815. In diesem Fall wurde auch noch der Exaktor Erdélyi bemüht, siehe dessen Bericht ebd., 1815. Nr. 318. vom 22. Jan. 1815, Antwort des Vormundes vom 9. Feb. 1815. Als Gesamteindruck drängt sich die wiederholte Bloßstellung des Vormunds auf.

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laubnis zum Holzbezug vom Oberjäger eintreffe.65 Das könne namhaften Schaden verursachen, vor allem, wenn das Gebäude aus Lehmziegeln erbaut sei. Auch der Holzverkauf wurde dem Oberjäger unterstellt. Jeder Kaufwillige musste sich an ihn wenden, um die Erlaubnis in Form einer assignatio zu erhalten. Damit sollte man sich zum Rationisten begeben, der das Geld entgegennahm, es verbuchte und quittierte, die assignatio vidimierte, womit dann der Käufer zum Wirtschaftsbeamten der einzelnen Herrschaft gehen sollte, der den örtlichen Gutsverwalter anwies, das Holz auszugeben. Die leitenden Wirtschaftsbeamten sollten in Zukunft mit dem Holzverkauf nichts mehr zu tun haben – ein eindeutig auf bürokratische Kontrolle abzielendes Projekt also. Die Einwände des „Regenten“ sind vorhersehbar. Er kritisierte die Lauferei, die die Kauflust bremsen werde, und die hoffnungslose Überlastung der zuvor schon mit Arbeit überhäuften Rationisten. Schließlich verwies er darauf, dass die neue Ordnung nichts prinzipiell Neues bringe, denn es sei bereits jetzt eine gegenseitige Kontrolle von zwei Wirtschaftsbeamten üblich, des leitenden Hofrichters und des ausführenden Gespans. Nun würden sich zwar drei Leute gegenseitig kontrollieren, aber ob das ein Sprung nach vorne wäre? Ignác Klobusiczky hatte Recht. Die Einwände, die er geltend machte, können in Anbetracht der Wirtschaftsweise auf den herrschaftlichen Gütern als zutreffend angesehen werden. Doch auch der Vormund, Graf Waldstein-Wartenberg, hatte Recht. Denn sogar Klobusiczky musste in einem Nebensatz zugeben, dass sich einzelne Beamte bisweilen vergessen hatten, sodass Erlöse aus dem Holzverkauf auf Abwege geraten waren. Es fällt aber auf, dass er nicht nur ein oder zwei Punkte, einzelne besonders lebensfremde Züge des neuen Systems kritisierte, sondern das alte System in toto verteidigte. Auch dadurch wird klar, dass der „Regent“, indem er dem Vormund die Bedeutung der lokalen Umstände und die bedingenden Faktoren der Verwaltungstätigkeit vor Augen hielt, zugleich diejenigen Bedingungen verteidigte, auf die sich seine intermediäre Herrschaft gründete. Ironischerweise betonte er seine eigene Abhängigkeit innerhalb der bürokratischen Hierarchie: Nachdem er alle jene Umstände, die das neue System der „Holzmanipulation“ unmöglich machten, aufgeführt hatte, erklärte er sich bereit, den Anweisungen des Vormunds – ungeachtet seiner eigenen Vorbehalte – aufs Treueste zu folgen, wenn er nur alles detailliert schriftlich mitgeteilt bekäme. Damit ist natürlich impliziert, wer für die eventuell entstehenden Schäden aufzukommen hatte. Der nächste Angriff der vormundschaftlichen Herrschaftsverwaltung, den es abzuwehren galt, bestand in der systematischen Erfassung der persönlichen Eigen65 MOL P 407 1815. Nr. 162, Klobusiczky an Graf Waldstein, 9. Jan. 1815.



Ignác Klobusiczky

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schaften, Kenntnisse, Schulbildung und bisherigen Laufbahn der Wirtschaftsbeamten mitsamt ihrer Beurteilung durch Vorgesetzte in Form von sog. „ConduitListen“. Damit war die Absicht verbunden, künftig alle Personalentscheidungen aufgrund dieser Informationen zentral zu treffen. Dass dies eine Kampagne war, zeigt ihr Ablauf: Im ersten Jahr, 1814, wurden nicht nur die Beamten und Schreiber, sondern auch das Gesinde erfasst, dann aber ließ der Eifer von Jahr zu Jahr nach.66 Parallel dazu entspann sich ein Konflikt um die Besetzung vakanter Stellen innerhalb der gräflichen Herrschaftsverwaltung. Die darin tätigen „Beamten“ hegten nämlich die Erwartung, dass solche Stellen entweder durch das Vorrücken von Untergebenen oder durch die Söhne der bereits Dienenden besetzt werden sollten. Die sich innerhalb des Systems befindlichen Personen suchten vor allem das Eindringen von fremden Bewerbern zu vereiteln. Besonders scharf bekämpften sie persönliche Vertraute des Vormundes, in denen sie nicht nur Fremde, sondern auch potenzielle Kontrolleure sahen. Es ging dabei nicht einfach nur um den leicht zu durchschauenden Versuch einzelner Wirtschaftsbeamter, die eigenen Protegeés in Stellung zu bringen, sondern durchaus ums Prinzip, nämlich um ein fest verbrieftes Indignat. Für die vakant gewordene Stelle des Inspektors in Megyer, dem nordöstlichsten der drei Herrschaftsbezirke der Károlyi, schlug Mihály Tóth, Inspektor des Herrschaftsbezirks von Nagykároly, am 10. Januar 1815 drei Personen vor, die Zeit ihres Lebens unter ihm gedient hatten. Er begründete seinen Vorschlag als der Billigkeit genügende „Gradualpromotion“, fügte aber noch zwei weitere Namen hinzu.67 Diese seien dem Inspektorat völlig unbekannt, man nenne ihre Namen nur, weil es so anbefohlen sei, obwohl es mehrere hervorragend geeignete Kandidaten vor Ort gebe. Dieser Vorschlag wurde vom Regenten Klobusiczky in einem Begleitbrief mit zum Teil wortwörtlicher Übernahme einzelner Formulierungen unterstützt.68 Im selben Brief empfahl der Regent jedoch auch einen auswärtigen Kandidaten, den er persönlich kannte und der die Weitsicht gehabt 66 Dieses Kontrollmittel wurde zuerst in der staatlichen Verwaltung angewandt, siehe Lajos Hajdú, Az állami tisztviselők minősítési rendszere II. József uralkodása idején [Das Qualifizierungssystem der Staatsbeamten während der Herrschaft Josephs II.], Állam és Igazgatás 1973, S. 519–523. Solche Conduitenlisten aus den Jahren 1800 bis 1820 befinden sich bei der Eszterházy-Verwaltung: MOL P. 156. Bd. 29 sowie bei der gräflich Batthyány-Verwaltung: MOL P 1322. Bde. 58–61. Die Conduitenlisten der Károlyi-Beamten siehe MOL P. 407, das meiste davon wiederabgedruckt in Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története, Bd. II. Anhang. 67 MOL P 407 1815. Nr. 173. Bericht von Inspektor Tóth an den Regenten, 10. Jan. 1815. 68 Ebd. Bericht des Regenten an den Vormund, 13. Jan. 1815.

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hatte, die Schwester des Herrschaftsfiskals von Nyírbátor zu ehelichen. Genau dieser Bewerber erhielt die Stelle tatsächlich. Am selben Tag noch schickte der Inspektor Mihály Tóth aus Nagykároly eine Petition an den Vormund, abermals begleitet von einem wohlwollenden Empfehlungsschreiben Ignác Klobusiczkys, das die Beachtung des Gesuchs anrät. Das Schreiben trägt zwar allein die Unterschrift des Inspektors, formuliert war es jedoch im Namen des ganzen Inspektorats, d. h. aller Wirtschaftsbeamten im Herrschaftsbezirk.69 Darin wird beklagt, dass nun ein Auswärtiger zum Inspektor in Megyer berufen wurde. Dadurch seien die im Dienste der Familie Károlyi in Ehren ergrauten Wirtschaftsbeamten von der „Gradualpromotion“ abgeschnitten worden, und auch die Kanzlisten und Praktikanten seien ihrer Beförderungsaussichten beraubt. Die Verzweiflung und die schuldige Treue gäben dem Inspektorat den Mut, diese schwärende Wunde aufzudecken. Recht detailliert wird in dem Schreiben geschildert, was alles aus schuldigem Respekt für den Dienstherrn nicht aufgeführt werden könne. Es wird daran erinnert, welche Verfügungen der Magnaten in der Vergangenheit ihre Position gestärkt hatten; dabei wird selbst das Testament des Grafen József Károlyi wörtlich zitiert. Das Schreiben ist nichts weniger als die Forderung nach einem Stellenmonopol für die aktuell in der Herrschaftsverwaltung tätigen Personen und ihre Familien, gerichtet an den Vormund, aber auch an den Regenten. Der Regent erklärte sich mit der Forderung einverstanden, einerseits aus Billigkeitserwägungen, andererseits, weil gerechte Belohnung die mächtigste Quelle des Diensteifers sei.70 Der Vormund war selbstverständlich völlig anderer Meinung; seine vierseitige Erwiderung ist äußerst scharf formuliert.71 Interessanterweise gab der Vormund nicht einfach einen schlichten Hinweis auf seine absoluten Befugnisse, sondern ging auf die zur Diskussion stehenden Sachverhalte ein, listete die Verdienste des neu eingestellten Inspektors auf, und ließ sich über die Unzulänglichkeiten der schon länger amtierenden Beamten und Schreiber aus. Er benötigte demnach Argumente, ein bloßer Hinweis auf die eigene Machtvollkommenheit reichte offenbar nicht aus. Das lässt den Ausgang des Konflikts erahnen: Trotz des bösen Blutes blieben alle Hauptdarsteller im Dienst. Der Vormund übte noch bis 1821 sein Amt aus, Inspektor Mihály Tóth, der die Bittschrift verfasst und unterfertigt hatte, diente in Nagykároly auch 1818 noch, möglicherweise auch noch länger. Ignác Klobusiczky befand sich zwar ab 1816 im Ruhestand, 69 MOL P 407 1815. Nr. 208, 10. Jan. 1815. 70 MOL P 407 1815. Nr. 208. Brief des Regenten an den Vormund, 17. Jan.1815. 71 MOL P 407 1815. Nr. 208. 26. Jan. 1815.



Ignác Klobusiczky

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seine Rente in Höhe von 3 600 Gulden kann jedoch als ausgesprochen üppig bezeichnet werden.72 Nur den Eindringling, den – nach Ausweis der Conduit-Liste – erst 40-jährigen, gesunden Emanuel Schwoy, sucht man 1818 vergeblich unter den gräflichen Beamten.73 Diese Auseinandersetzungen waren nicht allein durch persönliche Animositäten motiviert. Der Vorfall zeigt die wahre Stärke von Klobusiczky. Er hatte in einem scheinbar modernen Organisationskontext eine recht bedeutende Hausmacht aufgebaut. Zur Abwehr von Durchgriffsmöglichkeiten der Zentrale verwendete er Hinweise auf lokale Eigenarten und führte praxisnahe Überlegungen an. In einigen Konflikten wies er sogar recht dreist auf die Pflicht des Vormunds hin, über sein Tun und Lassen vor dem Vormundschaftsgericht Rechenschaft ablegen zu müssen, was man als eine unverhohlene Drohung mit Denunziation interpretieren kann.74 Dazu brauchte es eine gewisse Stellung. Es drängt sich der Verdacht auf, dass ihn seine alte Beziehung zum gräflichen Paar, bzw. zur mittlerweile verwitweten Gräfin dazu ermutigte. Entscheidender war jedoch sein eigener familiärer Hintergrund, die Hausmacht der Gebrüder Klobusiczky, die zu diesem Zeitpunkt in ihrem Zenit stand. Ignác bekleidete das Amt eines bonorum regens von 1806 bis 1816. In dieser Zeit war sein Bruder József zunächst Gouverneur des Seehafens Fiume, dann seit 1810, nachdem der Hafen aufgrund des Friedens von Schönbrunn an die Franzosen übergeben werden musste, Obergespan im Komitat Borsod. Ein weiterer Bruder, Péter Klobusiczky, amtierte seit 1808 als Bischof von Szatmár. Sein Ruhm umschloss die gesamte Brüderschar, was sich auch symbolisch ausdrückte, als beim feierlichen Einzug des Bischofs in die Stadt Szatmárnémeti seine Equipage auf der einen Seite durch den Gouverneur József Klobusiczky, auf der anderen Seite durch den bonorum regens Ignác Klobusiczky eskortiert wurde, vom Jubel der katholischen Stadtbewohner und von Kanonendonner begleitet.75 Es soll nicht verschwiegen werden, dass die alles überragende Stellung der Klo72 Angaben über Tóth und Klobusiczky: Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története Bd. II, S. 247, 256. 73 Pettkó-Éble, Károlyi család birtoklási története Bd. II, S. 262, 285. 74 Vgl. MOL P 397. IV. I. 6. a. Számvevői Tudósítás, 1817. Der Bericht des Exactors László Iványi beanstandet, dass die Rechnungslegung des Vormundes, Graf Emmanuel Waldstein, über die Einkünfte und Vermögensgegenstände der Károlyi-Waisen in den Komitaten Csongrád, Békés, Nyitra, Heves und Pest in einer von den früheren Berichten abweichenden, daher mit ihnen nicht vergleichbaren Form geschehen sei. Eine Reihe von weiteren, ebenfalls auf Vergleichbarkeit und Wahrhaftigkeit abzielenden Einwänden folgten. 75 Szirmay, Szathmár, Bd. I, S. 195.

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Abb. 30 Das gräfliche Schloss in Nagykároly zeigt sich auf dieser Federzeichnung von Tivadar Dörre aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in klassizistischem Gewand. Nach mehreren fruchtlosen Anläufen unter den Grafen Ferenc und Antal ließ József Károlyi (1792/93) diesen Bau von seinem Architekten Josef Bitthauser inmitten eines englischen Landschaftsparks errichten. Im Jahr 1847 wurden von Miklós Ybl Umbauten vorgenommen, die nicht mehr erhalten sind. Die heutige neogotische Gestalt erhielt Schloss Nagykároly zwischen 1893 und 1896 durch den deutschen Architekten Arthur Meinig.

busiczky im Komitat auch auf dem Mangel an Alternativen beruhte, vor allem darauf, dass die Magnatenfamilie von dannen gezogen war. 76 Trotzdem stand Ignác Klobusiczky keinem Teilfürstentum vor; in mancherlei Hinsicht trieb er sogar selbst die weitere Straffung und Rationalisierung der Herrschaftsverwaltung voran, indem er mit einigen säumigen Beamten recht hart ins Gericht ging.77 Intermediäre Herrschaft stellt sich somit als partiell dar, ihre Träger als hybride Figuren. Es erschien uns lohnend, an seinem Exempel und am Beispiel seiner etwas älteren Zeitgenossen die Frage nach dem Wandel des Klientelismus in den drei Jahrzehnten zwischen 1780 und 1810 zu erörtern. Ein durchgehendes 76 Sándor Kávássy, Nagykároly nemessége 1809-ben, in: Szabolcs-Szatmár-Bereg Megyei Szele 28 (1999), S. 433–449. 77 Vgl. Vári, Herrschaftsvermittler.



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Charakteristikum dieser wichtigsten Vertrauensleute der Károlyi bildete deren wachsende Intellektualisierung. Gesellschaftliche Eminenz beruhte nun selbst in dieser entlegenen Region Ungarns nicht länger allein auf der persönlichen Bindung an den Magnaten, sondern auch auf Fachkenntnissen, auf bürokratischer und juristischer Expertise, auf eigener Bildung und Bildungsaspirationen für die Söhne sowie auf der zentralen Rolle, die sie in der entstehenden provinziellen Öffentlichkeit der Kleinstadt und des Komitats einnahmen. Dazu mehr im Schlusskapitel XI.

X. 3  Vergleichende Perspektiven Die empirischen Befunde zur intermediären Herrschaft sollen zum Abschluss noch einmal in eine europäisch-vergleichende Perspektive gerückt werden. Der werdende Staat war im östlichen Ungarn zwar der wichtigste Agent der Bürokratisierung, neben der staatlichen Administration trugen aber auch die Verwaltungen der großen aristokratischen Güter zur Veralltäglichung bürokratischer Formen bei. Trotz der allenthalben wachsenden Verschriftlichung und Versachlichung blieben allerdings hier wie dort persönliche Abhängigkeitsverhältnisse von höchster Bedeutung – sie nahmen nun freilich eine andere kulturelle Gestalt an. Das Weiterwirken personaler Bindungen in einer – zumindest auf den ersten Blick – weitgehend bürokratisierten Herrschaftssphäre sollte man nicht auf die habituellen Prägungen der Eliten reduzieren. Diese Bindungen wurden dadurch gestärkt, dass keine unmittelbaren, direkten Kommunikationsstränge zwischen den Zentralen und der lokalen Welt bestanden. Eine solche Situation des fernen Staates und des nicht minder fernen Magnaten schuf Raum für Mittelsleute vor Ort, in struktureller Perspektive für intermediäre Herrschaft. Begnügt man sich mit der Rekons­ truktion der Verwaltungsvorschriften und Behördenschemata, dann ergibt sich ein Bild vollkommener Rationalität. Um intermediäre Herrschaft zu erkennen, muss man die Praxis der Verwaltung untersuchen, weshalb sie der älteren, vorwiegend an Normen interessierten Verwaltungsgeschichte vielfach verborgen geblieben ist. Wo Formen intermediärer Herrschaft überwiegen, ist die Wirkungsmacht bürokratischer Verwaltung erheblich eingeschränkt. Selbst wenn die administrativen Routinen genauestens eingehalten werden, wissen alle Eingeweihten, dass nicht sie es sind, die Entscheidungen zugrunde liegen, sondern eine zweite, ‚eigentliche‘, personal strukturierte Ebene. Obwohl intermediäre Herrschaft weit verbreitet war und ist, kann sie übrigens nicht auf Legitimität bauen. Inhaber solcher Positionen berufen sich typischerweise auf lokale Eigenarten, auf außeror-

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dentliche Begebenheiten oder Vorkommnisse, die ihre Sonderstellung begründen sollen. Die grundsätzlich überlegene Legitimität des Modells einer ‚ordentlichen‘ Verwaltung bleibt dadurch aber letztlich unangefochten. Ob durch die Schwäche der fürstlichen Zentralmacht oder durch die Stärke der Magnaten und Stände bedingt, ob durch die schiere Größe des Reichs oder seine kulturelle Vielfalt verursacht, vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Staat in den Ländern der habsburgischen Krone vor Ort weit weniger präsent als in den Territorien des Alten Reichs.78 In den böhmischen und österreichischen Ländern änderte sich das im Zuge der Verwaltungsreformen, die Maria Theresia und Joseph II. seit den 1740er Jahren durchführten.79 Die sogenannten Kreisämter, neue Verwaltungsbehörden auf kleinregionaler Ebene, erhielten dort wichtige Befugnisse, wodurch die ‚privaten‘ Güterverwaltungen der böhmischösterreichischen Adels- und Klosterherrschaften in allen öffentlichen Belangen zu staatlichen Auftragsverwaltungen herabgestuft wurden.80 Diese bezeichnenderweise auch als ‚Wirtschaftsämter‘ bezeichneten Herrschaftsverwaltungen wurden nunmehr angehalten, die Beschwerden der Bauern sorgfältig zu protokollieren, staatliche Aufträge innerhalb knapp bemessener Fristen zu erledigen, den Kreisämtern regelmäßig Bericht zu erstatten und stets Akteneinsicht zu gewähren. Diese Indienstnahme der herrschaftlichen ‚Privatverwaltungen‘ schuf eine breite 78 Vgl. Stefan Brakensiek, Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich, in: Stefan Brakensiek/Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 1–21. Für ein hessisches Beispiel vgl. Karin Gottschalk, Alkoholische Gärung. Herrschaftskompetenz und Eigennutz in der frühneuzeitlichen Lokalverwaltung Hessen-Kassels, in: ebd., S. 233–259. Für die Rheinpfalz vgl. Niels Grüne, Local Demand for Order and Government Intervention: Social Group Conflicts as Statebuilding Factors in Villages of the Rhine Palatinate, c. 1760–1810, in: Wim Blockmans/ André Holenstein/Jon Mathieu (Hg.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300–1900, Farnham 2009, S. 173–186. 79 Michael Hochedlinger, Stiefkind der Forschung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie. Probleme – Leistungen – Desiderate, in: Thomas Winkelbauer/Michael Hochedlinger (Hg.), Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit, Wien 2010, S. 293–394. 80 Pavel Himl, Die ,armben Leüte‘ und die Macht. Die Untertanen der südböhmischen Herrschaft Ceský Krumlov im Spannungsfeld zwischen Gemeinde, Obrigkeit und Kirche (1680–1781), Stuttgart 2003; Petr Mat’a/Thomas Winkelbauer, Einleitung: Das Absolutismuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zuammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und 18. Jahrhundert, in: dieselben (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 7–42.



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Berührungsfläche des Staates mit der bäuerlichen Bevölkerung. Durchgreifenden Erfolg zeitigten diese Reformen im josephinischen Jahrzehnt.81 In Ungarn spielte sich derselbe Ausbau des Staates vor Ort jedoch erst nach der Revolution von 1848/49 bzw. nach dem „Ausgleich“ von 1867 im liberalen Staat ab. Zwar wurden – wie erwähnt – bürokratische Reformen auch vorher bereits durchgeführt, die Selbstverwaltung der Komitate blieb jedoch bis 1848 erhalten. Bis dahin befand sich die ländliche Bevölkerung in weit größerer Staatsferne als die Landbewohner in den Territorien des Alten Reiches, aber auch in Österreich und Böhmen. Staatsferne manifestierte sich in Ungarn am spektakulärsten in der lokalen Rechtsprechung und Verwaltung, die eben nicht unter Kontrolle der Krone stand: Die Hörigen waren der geballten, nahezu formenlos und willkürlich agierenden Ortsherrschaft des aristokratischen Großgrundbesitzes ausgesetzt. Ausgeübt wurde diese Lokaladministration von den Wirtschaftsbeamten der Gutsbesitzer, die – im Gegensatz zu ihren Kollegen in den habsburgischen Erbländern – nicht einmal gehalten waren, die von den Untertanen vorgebrachten Sachverhalte zu protokollieren. Knappe, informelle Meldungen beim örtlichen Gespan, darin bestand die Grundlage für dessen Entscheidungen, die von Ehrsachen über Sittlichkeitsdelikte bis hin zu Erbschaftsfragen und Vermögensangelegenheiten ein weites Spektrum lokaler Konflikte betrafen. Eine solche örtliche Rechtsprechung und Verwaltung, die in den Händen von Gutsverwaltern lag, machte diese bei vielen Gelegenheiten zu Richtern in eigener Sache.82 Als Appellationsforum und Kontrollinstanz diente der sog. Herrenstuhl des Komitats, was sicherlich besser als nichts war. Bedenkt man jedoch, dass dort Angehörige des regionalen Adels zu Gericht saßen, dann wird deutlich, dass auch hier vielfach Beteiligte in eigener

81 Wolfgang Schmale/Renate Zedinger/Jean Mondot (Hg.), Josephinismus – eine Bilanz, Bochum 2008; Derek Bales, Joseph II., Bd.1: In the Shadow of Maria Theresa 1741–1780, Cambridge 2008; ders., Joseph II., Bd. 2: Against the World, 1780–1790, Cambridge 2009. 82 Vgl. die Anweisung der Zentralverwaltung an die Hofrichter der einzelnen Herrschaften vom 19. Juni 1782, Ungarisches Staatsarchiv (Magyar Országos Levéltár, MOL), Archiv der Familie Károlyi, P 397 Acta Oeconomica. I.A.1. fasz. 2. Die Hofrichter wurden angehalten, den Bittsuchern eine unmittelbare Übergabe ihres Gesuchs an den praefectus zu verwehren, stattdessen die Bittgesuche selbst aufzunehmen, mit den notwendigen Informationen zu versehen und mit einer Stellungnahme weiterzuleiten. Erst wenn sich die Petenten mit dem Entscheid nicht zufrieden zeigten oder wenn die Beschwerde den Hofrichter selbst betraf, sollten diese es zulassen, dass der Klageführende seine Sache gegenüber dem Herrenstuhl des Komitats persönlich vortrug.

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Sache urteilten.83 Hörige Bauern und Bürger der Mediatstädte machten somit auf den rechtlich vorgesehenen Verfahrenswegen vor allem Ohnmachtserfahrungen. Wenn Instanzen fürstlicher Verwaltung auf lokaler Ebene fehlen, fällt es Untertanen schwer, erfolgversprechende Routinen im Umgang mit der Staatsgewalt zu erlernen.84 Im Alten Reich kam seit dem 16. Jahrhundert eine Reihe von Verfahren in Gebrauch, die geeignet waren, die fürstliche Macht gegenüber den regionalen und lokalen Gewalten zu stärken, indem sie den Untertanen die Möglichkeit eröffneten, sich unmittelbar – in den Worten der Zeit: immediat – zu beschweren. Diese Verfahren (Supplikationen85, Visitationen86, 83 Imre Seereiner, Úriszéki bíráskodás a Károlyiak salánki uradalmában a XVIII. század végén [Rechtsprechung des Herrenstuhls der Károlyi-Herrschaft Salánk am Ende des 18. Jahrhunderts], in: Levéltári Szemle 28 (1978), S. 399–416. Seereiner hat für die josephinische und die postjosephinische Periode die Tätigkeit des Herrenstuhls der Herrschaft Salánk untersucht. Die Mehrheit der dort verhandelten Fälle betraf in beiden Zeitabschnitten Urbarialstreitigkeiten, Zehnt-, Wald- und Schankkonflikte, in denen sich Grundherr und Bauer gegenüberstanden. 84 Stefan Brakensiek, Communication between Authorities and Subjects in Bohemia, Hungary and the Holy German Empire, 1650–1800: A Comparison of Three Case Studies, in: Blockmans/Holenstein/Mathieu (Hg.), Empowering Interactions, S. 149–162. 85 Cecilia Nubola/Andreas Würgler (Hg.), Formen der politischen Kommunikation in Europa vom 15. bis 18. Jahrhundert. Bitten, Beschwerden, Briefe, Berlin/Bologna 2001; dieselben (Hg.), Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert), Berlin 2005; Martin Paul Schennach, Supplikationen, in: Josef Pauser/Martin Scheutz,/Thomas Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Wien/München 2004, S. 572–584 (vor allem zu den österreichischen und böhmischen Ländern, ohne Nachweise für Ungarn). 86 Ernst Walter Zeeden/ Hansgeorg Molitor (Hg.), Die Visitation im Dienste der kirchlichen Reform, Münster 1977; dieselben (Hg.), Kirche und Visitation, Stuttgart 1984; Rudolf Schlögl, Bedingungen dörflicher Kommunikation. Gemeindliche Öffentlichkeit und Visitation im 16. Jahrhundert, in: Werner Rösener (Hg.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 241–261; Arthur Stögmann, Kirchliche Visitationen und landesfürstliche „Reformationskommissionen“ im 16. und 17. Jahrhundert am Beispiel von Niederösterreich, in: Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Wien/München 2004, S. 675–684; Mareike Menne, Herrschaftsstil und Glaubenspraxis. Die bischöflichen Visitationen im Hochstift Paderborn 1654–1691, Paderborn 2007. Zur weltlichen Visitation vgl. Thomas Klingebiel, Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel, Hannover 2002, hier S. 99–140. Den engen Zusammenhang zwischen beiden Formen der Visitation betont Helga Schnabel-Schüle, Kirchenvisitation und Landes­visitation als Mittel der Kommunikation zwischen Herrschaft und Untertanen, in:



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Berichte87 und Enquêten88) zeichneten sich allesamt dadurch aus, dass sie eine Dreieckskommunikation zwischen Untertanen, Ortsobrigkeiten und Fürstenstaat herstellten. Eine gewisse Rechtssicherheit bot zudem der juristische Instanzenzug, der bis vor die obersten Gerichte, das Reichkammergericht bzw. den Reichshofrat, führte. Treten triadische Kommunikationsformen systematisch an die Stelle dyadischer, so stärkt dies einerseits die Verhandlungsmacht der Mindermächtigen gegenüber lokalen Granden. Andererseits profitieren die Fürsten bzw. die fürstenstaatlichen Zentralverwaltungen davon, dass sie im Streit zunehmend als Schlichter angerufen werden.89 Damit die Einhegung örtlicher Macht durch Triangulierung und Verrechtlichung greifen kann, damit Untertanen von den Möglichkeiten administrativer und rechtlicher Verfahren tatsächlich Gebrauch machen, muss gewährleistet sein, dass sie den Verwaltern vor Ort nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Wenn jedoch, wie es in der ländlichen Gesellschaft Ungarns der Fall war, Rechtsmittel vor höheren Gerichtsinstanzen nicht vorgesehen sind und Supplikationen an die zentralen Behörden oder an die Krone ohne die Zahlung von Bestechungsgeldern unbeantwortet bleiben, kann kein Vertrauen in solche Formen der Konfliktlösung entstehen. So nimmt es nicht wunder, dass die Bürger der ungarischen Heinz Duchhardt/Gert Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1997, S. 173–186. 87 André Holenstein, Kommunikatives Handeln im Umgang mit Policeyordnungen. Die Markgrafschaft Baden im 18. Jahrhundert, in: Ronald Asch/Dagmar Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln 2005, S. 191–208; ders., „Ad supplicandum verweisen“. Supplikationen, Dispensationen und die Policeygesetzgebung im Staat des Ancien Régime, in: Nubola/Würgler (Hg.), Bittschriften und Gravamina, S. 167–210. 88 Anton Tantner, Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelen­konskription in der Habsburgermonarchie, Innsbruck 2007; Lars Behrisch, „Politische Zahlen“. Statistik und die Rationalisierung der Herrschaft im späten Ancien Régime, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31/4 (2004), S. 551–577; ders., Vermessen, Zählen, Berechnen des Raums im 18. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Vermessen, Zählen, Berechnen. Die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2006, S. 7–25. 89 André Holenstein, Introduction: Empowering Interactions. Looking at Statebuilding from Below, in: Blockmans/Holenstein/Mathieu (Hg.), Empowering Interactions, S. 1–31; Stefan Brakensiek, Lokale Amtsträger in deutschen Territorien der Frühen Neuzeit. Institutionelle Grundlagen, akzeptanzorientierte Herrschaftspraxis und obrigkeitliche Identität, in: Asch/Freist (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess, S. 49–67; ders., Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche, München 2009, S. 395–406.

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Mediatstädte und die Bauern in den Dörfern – mehr oder weniger unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke oder Schwäche – ihr Heil nicht in offenen, vor Gerichten und Behörden ausgetragenen Konflikten suchten. Ihnen erschienen stattdessen die personalisierten Spielarten der Interessenvertretung und die Pflege asymmetrischer Abhängigkeitsbeziehungen als allein gangbare Wege, zumindest als vorteilhaftere Alternative. Die Pflege von Klientelbeziehungen blieb deshalb nicht auf die Eliten beschränkt, sondern wurde zu einem Teil der Verhaltenskultur breitester Schichten. Und dies hatte wiederum Rückwirkungen sowohl auf die Mächtigen, wie auch auf diejenigen, die von ihnen beauftragt wurden, ihre Herrschaft bis in die ländliche Welt hineinzutragen. Das Buhlen um die persönliche Gunst des Höhergestellten, dem ein gnädiges Gewähren von individuellen Vorteilen für den Bittenden entsprach, die damit verbundenen Haltungen, Handlungen und Semantiken erschienen den Beteiligten als selbstverständlich, als ‚natürlich‘, wenn nicht sogar als sittlich geboten.

XI.  Klientelverhältnisse im Wandel – Zusammenfassung und Ausblick Wir haben versucht, dem Wandel der Abhängigkeitsverhältnisse unter ungleichen Akteuren in einem spezifischen Kontext der ungarischen Geschichte nachzugehen. Wir haben dazu in jedem Kapitel mehrfach die Perspektive gewechselt: Einerseits haben wir mit dem Klientelbegriff theoretische Überlegungen aufgegriffen und weiter entwickelt, die uns geeignet erscheinen, die mit dem Geflecht gegenseitiger Abhängigkeit und mikropolitischer Kooperation verbundenen sozial- und kulturgeschichtlichen Probleme zu erfassen. Andererseits haben wir Antworten formuliert, indem wir biografische Miniaturen verfasst haben. Diese Erzählungen dienen dazu, uns und dem Leser die Vielfalt der Konstellationen vor Augen zu führen, die den historischen Wandel hervorbrachten, und deren zeitliche Abfolge zugleich Ausdruck des historischen Wandels war. Zum Abschluss sollen zentrale Ergebnisse noch einmal rekapituliert und Überlegungen formuliert werden, einerseits, wie solch komplexe Prozesse des Wandels zu erfassen sind, andererseits, welche langfristig wirksamen Züge eben dieser Wandel trug.

XI. 1  Zur Methode und Begrifflichkeit Sozialhistorische Rekonstruktionen haben den Vorteil ins Detail zu gehen. Im Dickicht der Empirie werden begriffliche Werkzeuge auf ihre Tauglichkeit geprüft. Dabei hat es hat sich in unserem Kontext gezeigt, dass man in puncto Klientel auf mehrere Dinge achtgeben muss. Erstens: Die Kommunikationsformen zwischen den Grafen Károlyi und ihren Klienten, wie auch die Lebensumstände der Betroffenen scheinen auf den ersten Blick die aus der Anthropologie herrührende Betonung des persönlichen Charakters der Beziehung zu rechtfertigen. Doch beobachtet man die Entwicklung der Beziehungen über einen längeren Zeitraum, dann fällt auf, dass das Netzwerk der Klienten mühelos einem neuen Herrn aus der Magnatendynastie diente, dass der Nachfolger des verstorbenen Herrn ohne Anstrengungen dessen Netzwerk erbte. Offenbar haftete die Beziehung nicht allein an dessen Person, sondern eher an seiner Dynastie, möglicherweise sogar an dem Personenverband insgesamt, bestehend aus der herrschaftlichen Familie und ihren Klienten. Der scheinbar absolut unzweideutige

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dyadische, zwei Personen verbindende Charakter dieser sozialen Beziehung ist also zu hinterfragen. Zweitens muss auf die Beschaffenheit der Abhängigkeit der Klienten achtgegeben werden. Auch feinere Varianten der Analyse von aktuellen Klientelverhältnissen, die Abhängigkeit nicht mit ungleichem Tausch gleichsetzen, versuchen Abhängigkeitsgefälle (gradient of dependency) zwischen Patron und Klient dingfest zu machen. Wird damit ein steil abschüssiges soziales Terrain abgebildet, so stellt sich fast automatisch die Idee von Vermittlern (brokers) ein. Das mag auf einem Forschungsfeld, das durch die soziale und räumliche Trennung einer peasant society von einer städtischen Schicht von politisch-wirtschaftlichen Teilhabern an Staat und Kapitalismus Früchte tragen.1 Im frühneuzeitlichen Europa war eine solche soziale und räumliche Trennung allerdings selten. In unserem Untersuchungsgebiet kann man gut beobachten, wie erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Aristokraten und lokaler Adel räumlich und sozio-kulturell auseinanderdrifteten und wie dadurch der Zwischenraum für brokerage und schließlich für intermediäre Herrschaft von Maklern entstand. Zuvor jedoch reichte das ordnende Prinzip der ständischen Gesellschaft zumindest ideel sehr weit, das heißt auch Bauern oder Angehörige der ‚falschen‘ Konfession, selbst ‚fremde‘ ethnische Gruppen waren zwar in den ständischen Versammlungen und Organen nicht vertreten, wurden aber doch mit repräsentiert.2 Das schuf Verwicklungen und wechselseitige Durchdringung: Ein Gefälle zu erkennen und zu messen, ist aber nur zwischen zwei distinkten Punkten möglich. Auch was die alltäglichen Tätigkeiten von Herren und Klienten betraf, standen sie einander in geringer sozialer und räumlicher Entfernung gegenüber. Unter solchen Umständen entstanden komplexere Abhängigkeiten und Netzwerke als in den dichotomisierten Gesellschaften Lateinamerikas des 20. Jahrhunderts. Der brokerage-Aspekt war fast allgegenwärtig und daher nichtssagend. Deshalb muss man Abhängigkeit hier anders auffassen: Der in der soziologischen Tradition üblichen Frage nach dem Grad der Abhängigkeit wurde von uns geringe Bedeutung beigemessen, stattdessen haben wir eher darauf geachtet, was überhaupt den Eintritt in das Netz von Klienten ermöglichte, welche Eigenschaften und Umstände 1 John Duncan Powell, Peasant society and clientelist politics, in: The American Political Science Review (1970), S. 411–425. 2 Maßgebliche Begriffsbestimmung bei Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 1974. Zum Wandel der Konzeption an der Wende zum 19. Jahrhundert vgl. Barbara StollbergRilinger, Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin 1999.



Zur Methode und Begrifflichkeit

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zum Klienten befähigten. Dadurch konnten wir die unterschiedlichen und sich historisch wandelnden Grundlagen der Abhängigkeit in Augenschein nehmen. Drittens erschien es uns sinnvoll, sich auf die konkrete Beschaffenheit dessen zu konzentrieren, was Patrone und Klienten einander gewährten. Auch hier war weniger nach quantitativen Aspekten zu fragen. Wieviel man für den anderen getan hatte, war nebensächlich – man konnte ja gar nicht anders als mit unterschiedlichen Maßstäben messen. Gefragt wurde eher, was die Tätigkeit des Klienten und die Erwartungen des Patrons beeinflusste und leitete. Um es von bloßem Austausch auch begrifflich zu unterscheiden, haben wir diesen Aspekt Kooperation genannt. Der Klient konnte der Beziehung zum Patron weder entrinnen, noch konnte er sie ignorieren, er lebte darin. Er trachtete zwar danach, eigene Lebensentwürfe zu verwirklichen, sich gegen den Willen der Herren zu stemmen war jedoch unmöglich. Aber den Auftrag ein wenig umdeuten? Das ging leicht und ohne besondere Gefahren. Was wir beobachtet haben, ist also ein beständiger Prozess der partiellen Kooperation von Abhängigen: Teils war der Klient abhängig, zum Teil kooperierte er, zum anderen Teil aber eben nicht. Auch dieses komplexe Beziehungsfeld war geschichtlichem Wandel unterworfen. Dieses Buch hat eine Präferenz für bestimmte Gestalten entwickelt, die zwar keineswegs Repräsentativität beanspruchen können, deren Handeln jedoch den Charakter von Indizien trägt, die über die individuellen Umstände, das spezifische Tun und Lassen hinausweisen. Zugleich sind wir bestrebt gewesen, möglichst nicht zu den vorgefertigten Schemata und Entwicklungstypologien zu greifen, die in der Historiografie zur Geschichte Ostmitteleuropas bis vor Kurzem vorherrschten.3 Entsprechend haben wir auch nicht beabsichtigt, eine Analyse der 3 Als ein methodischer Zugriff, dem wir uns verbunden fühlen, kann das Konzept gelten, das im Rahmen eines Forschungsprojektes am Geisteswissenschaftlichen Zentrum „Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas“ in Leipzig entwickelt wurde. Dieses Konzept nimmt Abschied von der üblichen Vorstellung, dass die Geschichte dieser europäischen Großregion eine Geschichte der Mängel gewesen sei, gekennzeichnet von verzögerter Urbanisierung, verspäteter Aufklärung, ausbleibender Industrialisierung, fehlender Verbürgerlichung, scheiternder Liberalisierung. Funktional treten in diesem Modell Adlige und Intellektuelle an die Stelle der aus dem westlichen Europa vertrauten Trägergruppen der Modernisierung. In den Ländern Ostmitteleuropas sei der Wandel von vielfältigen gesellschaftlichen Eliten induziert worden, die miteinander um die kulturelle Hegemonie und den politischen Einfluss konkurrierten, so Karsten Holste/Dietlind Huechtker/ Michael G. Müller, Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure – Arenen – Aushandlungsprozesse, in: dieselben (Hg.), Aufsteigen und Obenbleiben in europäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Akteure − Arenen − Aushandlungsprozesse, Berlin 2009, S. 9–19.

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Zusammenfassung und Ausblick

gesamten gesellschaftlichen Struktur Ungarns zu geben. Stattdessen haben wir mit aller Vorsicht versucht, ausgehend von mikrohistorischen Rekonstruktionen, eine Erklärung mittlerer Reichweite für den historischen Wandel zu liefern, der sich im 18. Jahrhundert zutrug.4 Wir sind davon ausgegangen, dass man auf dieser mittleren Ebene zu relevanten Aussagen gelangen kann. Der nützliche Begriff der sozialen Rolle – zugespitzter noch, der klientelaren Rolle in asymmetrischen Beziehungen – den wir häufig verwendet haben, ohne ihn systematisch zu bestimmen, gehört genau dieser mittleren Ebene an.5 Die Wandlungen der klientelaren Rollen auf einer solchen mittleren Ebene zu untersuchen, bedeutet zugleich, die Begrifflichkeit kontextgebunden zu handhaben. Das ist nicht ohne Gefahren, denn wir wollen nicht in Partikularismus verfallen. Aber auch die differenziertesten Versuche, den Begriff des Klienten zu bestimmen, scheinen uns immer noch allzu abstrakt und zugleich zu unbestimmt zu sein, wenn damit beabsichtigt ist, einen Sachverhalt bzw. eine Verhaltensweise aus einer Struktur heraus kausal zu erklären.6 Stattdessen haben wir es vorgezogen, Geschichten über das Handeln von Personen zu erzählen, in denen der Ort und die Umstände sowie der Ablauf der Geschehnisse detailliert genug geschildert werden, um dem Leser ein narratives Angebot zu unterbreiten, das für seine Deutungen offenbleibt. Der Begriff Klient wird bei diesem Verfahren zum Kürzel für ein handlungsleitendes Rollenbündel, das in der zeitgenössischen Überlieferung aufscheint. Was waren nun die wichtigsten Wandlungen, die dieses Rollenbündel im Untersuchungszeitraum durchlief ?

XI. 2  Befunde Zur Klärung dieser Frage haben wir die Wortwahl der Zeitgenossen genau untersucht. Dabei erwies es sich, dass der expliziten Patronage-Semantik, die in den Briefen der Zeit gepflegt wurde, nicht die überragende Bedeutung zukam, wie man vielleicht vermuten würde. Der Grund dafür ist deren Allgegenwart. Als gän4 Wir folgen dabei dem amerikanischen Soziologen Robert K. Merton, Social Theory and Social Structure, Glencoe/Illinois 1957. 5 Robert K. Merton, The role-set, in: British Journal of Sociology 8, 1957, S. 106–120; Erving Goffman, Interaktion im öffentlichen Raum, Frankfurt am Main 2009. Dabei haben wir souverän außer Acht gelassen, dass es sich bei dem Rollenbegriff seiner Genese nach um einen Strukturbegriff handelt. 6 Vgl. die umfassende Behandlung bei: Gioia Weber Pazmiño, Klientelismus. Annäherungen an das Konzept, Phil. Diss. Univ. Zürich 1991.

Befunde

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gige Münze der zeitgenössischen Selbststilisierung hat die Klientel-Semantik eine Tendenz zum Vagieren.7 Wir haben deshalb ein weiter gefasstes semantisches Feld auf mögliche Hinweise für die Kooperation von Abhängigen untersucht. Die traditionelle Semantik des Servitoren-Verhältnisses (servitores bzw. familiares), mit der Betonung des Dienstes und des Aufwartens, blieb auch Anfang des 18. Jahrhunderts im Gebrauch.8 Diese Redeweise hielt die grundsätzliche Möglichkeit bereit, Beziehungen unter Ungleichen ohne Gesichtsverlust zu gestalten, unter Wahrung der Würde beider Seiten. Das verweist auf die normativen Bezugspunkte außerhalb der Dyade aus Herr und Diener, Patron und Klient, auf die in ihrer Kommunikaten rekurriert wurde. Dieses ‚Dritte‘9 konnte sehr unterschiedlich verstanden werden, präsent war es insofern stets, als den Akteuren ein rein instrumentelles Handeln offenbar unstatthaft erschien. Inhalt und Charakter der normativen Bezugssysteme variierten zu jedem Zeitpunkt je nach ständischer und konfessioneller Position der Beteiligten. Im Lauf des 18.  Jahrhunderts verschoben sich die normativen Begründungszusammenhänge: Stand um 1700 als konfessionsübergreifender gemeinsamer Bezugspunkt ein situativ höchst dehnbares Verständnis adliger Libertät10 (pro patria et deo), so lieferte 100 Jahre später der aufgeklärte Diskurs über Humanität und perfectibilité von Mensch, Natur und gesellschaftlichen Einrichtungen die nötigen 7 Vgl. hierzu die methodischen Einwände von Mark Hengerer, der die extreme Dehnbarkeit der Patronage-Semantik überzeugend herausarbeitet: Mark Hengerer, Amtsträger als Klienten und Patrone? Anmerkungen zu einem Forschungskonzept, in: Stefan Brakensiek/ Heide Wunder (Hg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 45–78. 8 Betont sei, dass sich die Klienten der ungarischen Magnaten im 17./18. Jahrhundert lediglich dieser Semantik bedienten, aber keine servitores mehr waren. Vgl. dazu die warnenden Worte zum italienischen Klientelwesen von Sidney Tarrow, Peasant Communism in Southern Italy, New Haven 1967, hier S. 69: „Observers often confuse the clientele rela­ tionship with feudalism; in reality it is quite different. In feudal society, social relations were formalized, hierarchical and legaly sanctioned. A logical pyramid of mutual obligations was built up which was congruent with the requirements of the society for defense and solidarity ... Clientelismo, however, is shifting and informal, and has no institutional recognition in concrete institutions.“ 9 Anregend hierzu das Programm des Graduiertenkollegs „Die Figur des Dritten“ an der Universität Konstanz unter http://www.uni-konstanz.de/figur3/progorg.htm (letzter Zugriff am 5.8.2012). 10 Joachim Bahlcke, Hungaria eliberata? Zum Zusammenstoß von altständischer Libertät und monarchischer Autorität an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, in: Petr Mat’a/ Thomas Winkelbauer (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 301–316.

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Referenzpunkte.11 Wie dazu Konfessionszugehörigkeit12 und Loyalität gegenüber der habsburgischen Krone ins Verhältnis gesetzt wurden, gestaltete sich je nach Konstellation recht variabel. In der Rekonstruktionsphase zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es offenbar kaum Alternativen zum patrimonialen Herrschaftsverband. Sándor Károlyi, der Patron, der das Komitat Szatmár zu dieser Zeit dominierte, baute auf ein Vertrauens- und Treueverhältnis zu seinen Klienten, das in ein familiäres Gewand gekleidet war. Angesichts der Weite des Landes faktisch unkontrollierbar, agierten diese Klienten weitgehend eigenständig. Treuer Dienst für den Herrn wurde mit lebenslanger Förderung und umfassendem Schutz abgegolten. Wegen der spezifischen Umstände löste man sich im östlichen Ungarn besonders spät von diesen Formen patrimonialer Herrschaft. Wir haben versucht, dem Wandel der klientelaren Verhältnisse gerecht zu werden. Das war insofern schwierig, als unser Untersuchungsgebiet in der tiefsten Provinz lag und nicht der formbewussten höfischen Gesellschaft angehörte. In solchen Grenzländern, wie der ungarischen ‚végek‘, der polnischen ‚kresy‘ oder 11 Das galt freilich nur für diejenigen Adligen, die sozialen und politischen Ehrgeiz entwickelten. Die Mehrheit des ärmeren Komitatsadels blieb der traditionellen Libertät verpflichtet. Vgl dazu Ivo Cerman, Habsburgischer Adel und Aufklärung. Bildungsverhalten des Wiener Hofadels im 18. Jahrhundert, Stuttgart 2010. 12 Jean Bérenger, Die ungarischen Stände und die Gegenreformation im 17. Jahrhundert, in: Heiner Timmermann (Hg.), Die Bildung des frühmodernen Staates – Stände und Konfessionen, Saarbrücken 1989, S. 193–207; Winfried Eberhard, Voraussetzungen und strukturelle Grundlagen der Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, in: Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (Hg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, Stuttgart 1999, S. 89–103; Robert J.W. Evans, Grenzen der Konfessionalisierung. Die Folgen der Gegenreformation für die Habsburgerländer (1650–1781), in: ebd., S. 395–412; Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700, Münster 2000; István György Tóth, Old and new faith in Hungary, Turkish Hungary, and Transylvania, in: Ronnie Po-chia Hsia (Hg.), Blackwell Companion to Reformation World, Malden 2004, S. 205–222; Jörg Deventer (Hg.), ‘Confessionalization‘ – a useful theoretical concept for the study of religion, politics and society in early modern East-Central Europe? in: European Review of History 11 (2004) 3, S. 403–425; Joachim Bahlcke, Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790), Stuttgart 2005; Joachim Bahlcke, „Veritas toti mundo declarata“. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts – eine Fallstudie, in: Joachim Bahlcke/Karen Lambrecht/Hans-Christian Maner (Hg.), Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Leipzig 2006, S. 553–574.

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auch der amerikanischen frontier, konnte Herrschaft bisweilen zu rüden Formulierungen greifen. Mangelte es an Kontrollpersonal, konnten Herren schon einmal befehlen: „Stellen Sie dort irgendjemanden hin, gleichwie ob Priester oder Soldat.“ Solche oft zu beobachtende vage Verwendung von Funktionsbezeichnungen macht deren analytische Nutzung zweifelhaft, jedenfalls, wenn sie ohne Kontext lediglich auf der mehr oder weniger willkürlichen Benennung in der jeweiligen Archivüberlieferung beruht. Auch wenn diese relative Formlosigkeit nie ganz verschwand, lässt sich ein folgenschwerer Wandel im Verhältnis zwischen Patronen und ihren Klienten feststellen: Eine erste Veränderung durchlief diese Beziehung durch den Wegzug des Magnaten aus dem Komitat. Waren die Klienten zuvor in den Alltag ihres Herrn unmittelbar eingebunden gewesen, lässt sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine zunehmende räumliche und soziale Distanz, ein Auseinanderdriften der Lebensstile von Komitatsadel und Magnaten erkennen. Messbare Indizien für diese größer werdende soziale und kulturelle Kluft sind die steile Zunahme der herrschaftlichen Einnahmen und die damit einhergehende Bautätigkeit, sowohl in Pest als auch an den immer prächtiger werdenden Herrschaftssitzen auf dem ‚platten Lande‘. Aber allein schon die räumliche Trennung brachte eine erhebliche Schwächung des Modells des patrimonialen Herrschaftsverbandes mit sich. Zugleich wurden andere soziale Institutionen mächtig, die Menschen ebenfalls verbanden, erzogen und koordiniertes Handeln erzeugten, von der Alphabetisierung zum zunehmenden Schriftgebrauch, von der für Ostmitteleuropa charakteristischen lateralen Expansion der Ackerbürgerstädte bis hin zur Konfessionalisierung, von den überlokalen Marktmechanismen, die auch den Landwarenhandel zu erfassen begannen, über den Ausbau der ständischen Verwaltungen, bis hin zum allmählichen Vordringen der Staatsverwaltung in die Fläche. Dadurch wurde der patrimoniale Herrschaftsverband nicht etwa abgeschafft, sondern verlor an Prägekraft zugunsten dieser anderen Mechanismen. Die Fäden der Abhängigkeit fransten aus, mit weitreichenden Folgen. Eine zweite Veränderung erfolgte in Reaktion auf die erste. Während die Welt neue Integrationsmechanismen hervorbrachte, welche die Kräfte der patrimonialen Herrschaft alten Stils relativierten, versuchten die Herren anstelle des alten Modells neue Herrschaftsmechanismen zu entwickeln. Einer davon bestand in der Bürokratisierung der eigenen Herrschaftsausübung. Dadurch wurden die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse beileibe nicht aus der Welt geschafft, sie lebten innerhalb der bürokratisierten Organisationen weiter. Zwischen den beiden Prozessen des Wandels bestand ein zeitlicher Zusammenhang, der zweite bildete meist eine Reaktion auf den ersten. Doch abermals ist

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Zusammenfassung und Ausblick

Vorsicht geboten, denn vergleichsweise moderne Mechanismen der Herrschaftsausübung traten in Ungarn zum Teil auch früher schon auf, bisweilen bereits im 17.  Jahrhundert. Umgekehrt konnten die Bürokratisierung der staatlichen bzw. der gutsherrschaftlichen Verwaltungen und die damit verbundene Veränderung der klientelaren Verhältnisse unter bestimmten Bedingungen auch sehr viel später erst erfolgen. War der Magnat dauerhaft abwesend und an den lokalen Belangen desinteressiert, oder war die aristokratische Herrschaft durch ein Vormundschaftsregiment geschwächt, konnten sich innerhalb der bürokratischen Verwaltung Formen intermediärer Herrschaft entwickeln. In solchen Phasen entfalteten vor Ort agierende Gestalten ein hohes Maß autonomer Macht. Es sei noch einmal betont, dass dies nicht etwa Ausdruck besonders archaischer Verhältnisse war, im Gegenteil, intermediäre Herrschaft setzte voraus, dass vergleichsweise moderne Ansprüche an bürokratisches Handeln gestellt wurden, die sich dann vor Ort in ein Instrument der Ausübung persönlicher Macht ummünzen ließen. Eine weitere Option, aus der Distanz die Peripherie unter Kontrolle zu halten, bestand für die Magnaten im Einsatz von persönlichen Beauftragten, die nicht aus der Region stammten und dadurch in stärkerer persönlicher Abhängigkeit zu ihnen standen. Solch eine Entsendung ortsfremder Kommissare war eine uralte Methode, die nun in neuem Gewand und in neuem Kontext wieder auftauchte. In der Summe dieser Entwicklungen lässt sich jedenfalls festhalten, dass die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu beobachtende gesellschaftliche Transformation, die den Geltungsbereich des patrimonialen Herrschaftsmodells schmälerte, keineswegs das Todesurteil für die Klientelbeziehungen bedeutete. Ein Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist von Wolfgang Reinhard formuliert worden: „Nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in den meisten anderen Ländern lag die Lokalmacht so weitgehend bei den örtlichen Eliten, dass die zentrale Kontrolle von Regionen bloß durch die Institutionen eines Verwaltungsapparats nicht zu gewährleisten, sondern nur mittels dessen Ergänzung durch informelle Verfahren möglich war, das hieß in erster Linie Einbindung jener Eliten in Klientelverbände der Zentrale.“13 Dieser Vorgang hat sich im Komitat Szatmár sehr gut beobachten und auf die im Verlauf des 18.  Jahrhunderts angewandten administrativen Methoden und lokalen Aneignungsweisen hin untersuchen lassen. Das Vordringen bürokratischer Verfahren und Routinen lässt sich auf allen untersuchten Ebenen feststellen, selbstverständlich in der königlichen Kammer13 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 205.

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verwaltung, aber auch innerhalb der herrschaftlichen Güterverwaltung, und auch im Magistrat der Stadt Szatmárnémeti und in der Selbstverwaltung des Adels, im Komitat. In diese zunehmend auf Schriftlichkeit basierende und allmählich an verschriftlichte Normen gebundene Welt bürokratischer Organisationen war der Klientelismus eingebettet. Patronagebeziehungen sollten dabei nicht als wesensfremde Fremdkörper oder Störfaktoren interpretiert werden. Stattdessen kann man erkennen, dass sich unter den Angehörigen des Komitatsadels administratives Handeln und aktive Bekundungen der Loyalität zum Magnaten einander durchdrangen, ja bedingten. Die spezifischen Regeln der jeweiligen administrativen Umwelt – die Wahlverfahren im Komitat und die damit verbundenen Vorstellungen adliger Standesehre, die Handlungsweisen des Magistrats, die sich an einem Ideal städtischer Autonomie orientierten, die sich auf Subordination unter die Befehle des Königs berufenden Aktivitäten der Kammerverwaltung – galten durchaus und wurden im Alltag beachtet. Gleichwohl agierten in all diesen administrativen Umwelten Vertrauensleute der Grafen Károlyi, zumeist in zentraler Position. Wenn es elementare Interessen ihres Herrn betraf, konnten sie zwar im Einzelfall gegen die Binnenlogik ihrer Institution verstoßen, in der Regel beachteten sie jedoch die dort geltenden Spielregeln. Wir konnten sogar zeigen, dass die Klienten der Károlyi in vielen Fällen den Bürokratisierungsprozess eher vorantrieben als behinderten, da sie über Erfahrung auf mehreren Feldern administrativen Handelns verfügten und „rationalere“, „modernere“ Verfahrenselemente von einem Feld auf ein anderes transferierten. Sie trugen damit zur Professionalisierung insbesondere der Komitatsverwaltung bei, in der zunehmend spezialisierte Kenntnisse erforderlich wurden, um das Amt eines Vizegespans, eines Notars oder eines Stuhlrichters angemessen wahrnehmen zu können. Obwohl diese Ämter den Charakter einer Vollzeitbeschäftigung annahmen, blieben sie weit über unseren Untersuchungszeitraum hinaus bis zum Ersten Weltkrieg Wahlämter. Die „beauftragte Selbstverwaltung“ durch regionale Adelskorporationen wurde also – ähnlich wie in Großbritannien – nur teilweise durch eine staatliche Verwaltung ersetzt, sodass die Administration in der Provinz vor 1848 nur in bestimmten Bereichen, in der Kammerverwaltung vor allem, von Berufsbeamten gewährleistet wurde. Den dritten Aspekt der Transformation des Klientelismus bildete die allmähliche Entfaltung der aufgeklärten Öffentlichkeit. Sie trug sich koevolutiv, d.h. unabhängig von den ersten beiden hier genannten Aspekten zu, für die Beziehung zwischen Patron und Klienten hatte sie gleichwohl größte Bedeutung. Das Aufkommen der räsonierenden Öffentlichkeit schuf nämlich neue soziale Rollen, die sich in der Figur der Intelligenz bündeln lassen. Die meisten Darstellungen der

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Geschichte der Intelligenz in Ungarn rekurrieren auf das josephinische Jahrzehnt und die darauf folgende Zeit als die Epoche, in der diese Schicht entstand.14 Damit war insofern ein Bruch verbunden, als mit der Entstehung der Intelligenz eine öffentliche Legitimation von Verhaltensweisen aufkam, die weder auf dem Gebet, noch auf dem Waffendienst fußten. Es wurden also modellhaft ausgeprägte Alternativen zum patrimonialen Herrschaftsverband bzw. zur kirchlichen Gemeinschaft geboren. Das Eindringen des Ideenguts der Aufklärung, die auch die katholische und protestantische kirchliche Öffentlichkeit nicht unberührt ließ, der Reformeifer Josephs II. und die Reaktionen darauf, all dies brachte eine enorme Ausweitung der Öffentlichkeit mit sich. Im Wesentlichen handelte es sich darum, dass jenseits eines Dienstes in einem Herrschaftsverband oder als Alternative zu einer Laufbahn in der Kirche oder zur Abwanderung in die Armee oder in die höfische Gesellschaft nach Wien, auch in der ungarischen Provinz eine neue Rolle des öffentlichen Agierens entstand – eben die Rolle des Intellektuellen. Diese Aufwertung von Bildung und Gelehrsamkeit erfolgte inmitten einer Ständegesellschaft, was das heikle Problem aufwarf, wohin die Gebildeten nichtadeliger Geburt gezählt werden sollten. Für sie wurde zunächst eine eigene gesellschaftliche Kategorie geprägt, die der honoratiores, die seit den 1780er Jahren in der Amtssprache Verwendung fand, unter anderem innerhalb des Rasters sozialer Kategorien für die josephinische Volkszählung von 1787.15 Die Teilnahme solcher honoratiores plebejischer Herkunft an der Landespolitik kam zwar in der nachjosephinischen Reaktion unter Beschuss, was die allmähliche Integration dieser Gruppe nur aufhalten, aber nicht verhindern konnte. Im Vormärz wurden die Angehörigen dieser Gruppe schließlich vom Adel als gleichwertig akzeptiert. In einer Art ständischen 14 Vgl. Domokos Kosáry, Művelődés a XVIII. századi Magyarországon [Bildung im Ungarn des 18. Jahrhunderts], Budapest 1980, S. 321–345; Károly Vörös, A modern értelmiség kezdetei Magyarországon [Die Anfänge der modernen Intelligenz in Ungarn], in: Valóság 18 (1975), Nr. 10, S.  1–20, Gusztáv Heckenast, A honoráciorok a reformkorban [Die Honoratioren im Vormärz], in: Századok 123 (1989), Nr. 3–4, S. 427–441; Elemér Mályusz, A magyarországi polgárság a francia forradalom korában [Das ungarische Bürgertum in der Zeit der Französischen Revolution], in: A Bécsi Magyar Történeti Intézet Évkönyve, Bd. I, Budapest 1931, S. 225–282; Csaba Csapodi, Nemesség és értelmiség Magyarországon 1848 előtt [Adel und Intelligenz in Ungarn vor 1848], in: János Buza (Hg.), Gazdaságtörténet – Könyvtártörténet. Emlékkönyv Berlász Jenő 90. születésnapjára, Budapest 2001, S. 79–92. 15 Gusztáv Heckenast, A honoráciorok a reformkorban [Die Honoratioren im Vormärz], in: Századok 113 (1989), S.  427–441; Gusztáv Thirring, Magyarország népessége II. József korában [Ungarns Bevölkerung zur Zeit Josephs II.], Budapest 1938, S. 55–57, 63–65.

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Emanzipation adelte Bildung also. Selbstverständlich musste dieser Prozess Auswirkungen auf die Stellung der zahlreichen vermögenslosen Adeligen haben, aber auch darauf, was hervorgehobene Stellung in der Gesellschaft im Allgemeinen legitimierte. Obwohl der Wandel der aristokratischen Rollen kein Gegenstand unserer Untersuchung war, sollte man an dieser Stelle doch anmerken, dass die Magnaten eine parallele Entwicklung durchliefen. Ihr traditionelles Rollenverständnis wurde in seine Bestandteile zerlegt und mit veränderter kultureller und politischer Bedeutung versehen wieder zusammengesetzt.16 Diese Intellektualisierung der Adels- und der Klientenrollen führte freilich nicht zur völligen Ablösung der überkommenen Rollenmuster. Leute, die zunächst mit dem Schwert, dann auf dem Ross durch Bereisung der unwegsamen Weiten ihrer Herrschaft dienten, dienten ihr nun außerdem mit der Feder und ihrem kritischen Verstand. Nirgends in den Quellen finden wir jedoch einen Klienten, der ein älteres Rollenmuster gegen ein neueres eingetauscht hätte. Die Teilnahme am aufgeklärten Diskurs substituierte die alten Formen der Gefolgschaft keineswegs, eher wollte man sich sowohl auf dem einen wie auch auf dem anderen Feld hervortun. László Szuhányi, der Technikbegeisterte, wollte noch im Jahr 1784, im Alter von über sechzig Jahren mithin, den Komitatsadel gegen die aufständischen rumänischen Bauernscharen führen. Wissenschaft ersetzte den Waffendienst keineswegs, vielmehr schichteten sich die unterschiedlichen Rollenverständnisse übereinander. Unterschiedliche Situationen förderten mal diese, mal jene Interpretation zutage. Doch die Rollen der Klienten und Vertrauten wurden zugleich komplexer und öffentlicher. Dadurch entstanden vermehrt Möglichkeiten, unter den Elementen der eigenen Rolle mal dieses, mal jenes Element zu betonen. Das enthielt auch die Chance zur vorsichtigen Distanznahme. Welche Haltungen die Gebildeten aus der Provinz in der nach-josephinischen Restaurationszeit konkret einnahmen, kann freilich nur schwer erfasst werden. An der großen Sammlungsaktion für das Nationaltheater im Jahre 1794 hatten sich die maßgeblichen Kreise im Komitat Szatmár noch lebhaft beteiligt. Nach der Hinrichtung der Teilnehmer an der sog. Jakobiner-Verschwörung im Jahr 1795 stellte sich jedoch im ganzen Land vorerst Totenstille ein. Die Jakobiner-Verschwörung dürfte unmittelbare Auswirkungen auf Szatmár gehabt haben, denn 16 Jonathan Dewald, The European Nobility, 1400–1800, Cambridge 1996, Kapitel 4: Life and Culture. Für Ungarn sei auf die zentrale Rolle von István Széchenyis, Miklós Wesselényis oder Lajos Batthyánys im Vormärz hingewiesen: István Fazekas/Stefan Malfèr/Péter Tusor (Hg.), Széchenyi, Kossuth, Batthyány, Deák. Studien zu den ungarischen Reformpolitikern des 19.  Jahrhunderts und ihren Beziehungen zu Österreich, Wien 2011.

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einer der mutmaßlichen Beteiligten, Károly Koppi, Angehöriger des PiaristenOrdens und Professor der Weltgeschichte an der Universität in Pest, zog sich nach seiner Entlassung aus dem Universitätsdienst im Jahr 1795 zuerst ins Nachbarkomitat, 1800/01 dann nach Nagykároly zurück.17 Auch vor dieser Phase der politischen Reaktion bedurften Buchhandlungen und Leihbibliotheken einer Genehmigung durch den Statthaltereirat, 1798/99 wurden jedoch alle Lesekabinette und Leihbibliotheken verboten. Erst 1811 wurden sie wieder zugelassen, allerdings nur in Buda, Pest und Preßburg/Pozsony, wo sie leicht zu kontrollieren waren.18 Ebenso restriktiv verfuhr man mit Thea­ tern und Vereinen. Doch trotz Zensur und politischer Reglementierung kann die Existenz einer provinziellen Öffentlichkeit als gesichert gelten. Nur so erklärt es sich beispielsweise, dass die erste gelehrte Zeitschrift Ungarns, die „Tudományos Gyűjtemény“ (Wissenschaftliche Sammlung), deren erste Ausgabe im Jahre 1818 in Pest erschien, herausragend viele Abonnenten im Komitat Szatmár hatte.19 Das ganze späte 18.  und frühe 19. Jahrhundert hindurch gab es sowohl in Nagykároly als auch in Szatmárnémeti je eine Druckerei, deren Produktion sich freilich in engen Grenzen bewegte. Es entsteht also der Eindruck eines langsamen Wiedererwachens, was durch die Forschungsergebnisse über die Entwicklung der städtischen Gesellschaft in Ungarn insgesamt bestätigt wird.20 Wie die Formierung von neuen intellektualisierten Rollen auf die Vertrauensleute der Károlyi wirkte, lässt sich nur indirekt, durch die Rekonstruktion ih17 Artikel „Koppi, Károly József “, in: Szinnyey, József, Magyar írók élete és munkai, http:// mek.oszk.hu/03600/03630/html/k/k11978.htm (letzter Zugriff am 18. 01. 2013). Koppi hatte bereits 1769/70 bei den Piaristen in Nagykároly unterrichtet, er starb 1801 ebendort. Siehe auch András Forgó, Koppi Károly szerepe a 18. század végi nemesi-értelmiségi reformmozgalomban [Károly Koppis Rolle in der adeligen-intellektuellen Reformbewegung vom Ende des 18. Jahrhunderts], in: András Forgó (Hg.), A piarista rend Magyarországon, Budapest 2010, S. 127–148. 18 Antal Fülöp, A magyar olvasóközönség a felvilágosodás idején és a reformkorban [Das ungarische Lesepublikum während der Aufklärungsperiode und des Vormärzes], Budapest 1978, S. 46–47. 19 Ernő Taxner-Tóth, Nyomdaipar, újságok és könyvek a felvilágosodás kibontakozásában [Die Entfaltung der Druckindustrie, Zeitungen und Bücher in der Aufklärungszeit], in: Attila Debreczeni (Hg.), Folytonosság vagy fordulat? (A felvilágosodás korának időszerű kérdései), Debrecen 1996, S. 69–80, hier 78–79. 20 Vgl. Vera Bácskai, Városok és városi társadalom Magyarországon a XIX. század elején [Städte und städtische Gesellschaft in Ungarn in der erste Hälfte des 19. Jahrhunderts], Budapest 1988. Die funktionale Analyse der beiden hier behandelten Städte, Szatmárnémeti und Nagykároly, die erste mit 14 000, die zweite mit 11 000 Einwohnern, bestätigte ihre Rolle als sekundäre Marktzentren.

Ausblick

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res Handelns erschließen – dazu sei auf die Kapitel VIII, IX und X verwiesen. Explizit kamen die Grundlagen der eigenen gesellschaftlichen Geltung nirgends zur Sprache; die Briefe der einschlägigen Verdächtigen – József Zanathy, László Szuhányi, Ferenc Geöcz, Ferenc Klobusiczky – schweigen zu diesem Punkt. Wie könnte es aber auch anders sein? Das war schließlich kein Plauderthema. Auch bei bester Archivlage wären die Lektüre der gebildeten Klienten und ihre anschließenden Gespräche über das Gelesene wegen ihres informellen Charakters wohl kaum zu rekonstruieren. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass in der von uns untersuchten Periode das komplexer gewordene Rollenbündel der Klientelverhältnisse nicht nur eine interessante Vermischung von Altem und Neuem darstellte. Die komplexer gewordenen Rollen der Abhängigkeit nährten – wie aufeinandertreffende kalte und warme Meeresströmungen die Fische – einen erheblichen Teil der werdenden Intelligenz. Wir sehen in unserer Epoche die Anfänge einer Entwicklung, die in den Aktivitäten der intellektuellen Helfer und Verbündeten der liberalen Aristokratie im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 gipfeln wird. Im östlichen Ungarn entstammten diese Personen – anders als in Deutschland – also nicht dem protestantischen Pfarrhaus, sondern Familien, die Hauslehrer, Gutsbeamte, Herrschaftsanwälte oder Privatsekretäre hervorbrachten.21

XI. 3  Ausblick Um es noch einmal zu betonen: Die Rollen der gebildeten Klienten an sich, nicht nur ihre kulturellen Kontexte, nahmen in der Spätaufklärung eine komplexere Gestalt an. Der Intellektualisierung der klientelaren Rollen einerseits entsprach die Akzeptanz von Abhängigkeitsverhältnissen andererseits, auch bei politisch radikalen Gebildeten. Ein Beispiel dafür ist József Hajnóczy, eine der Hauptfiguren der Jakobiner-Verschwörung, der nacheinander zwei aufgeklärten Aristokraten, dem Grafen Miklós Forgách und dem Grafen Ferenc Széchényi als Sekretär diente.22 21 Vgl. Hans H. Gerths, Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus, Göttingen 1976. Zusammenfassung der sozialgeschichtlichen Literatur bei Hans Erich Bödeker, Die „gebildeten Stände“ im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert: Zugehörigkeit und Abgrenzungen. Mentalitäten und Handlungspotentiale, in: Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1989, S. 21–52 sowie aktuell bei Heinrich Bosse, Bildungsrevolution 1770–1830, Heidelberg 2012. 22 György Bónis, Hajnóczy 1750–1795, Budapest 1954. Hajnóczy erhielt bei Graf Forgách die Gelegenheit, die französischen Enzyklopädisten zu studieren. Aufgrund der Förderung

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Zusammenfassung und Ausblick

Die ungarische Historiografie hat dieses Phänomen vielfach kommentiert, doch in den meisten Darstellungen erscheint die soziale Lage der Intelligenz, dieses Unterkommen der werdenden Titanen der Nationalliteratur als Hauslehrer und Herrschaftsfiskale als ein unerquicklicher Zustand.23 Diesbezügliche Textstellen lassen sich mit Leichtigkeit in den Lebensbeschreibungen vieler Literaten finden, doch sei nach deren Aussagekraft gefragt. Dass sich ein junges Talent hintangesetzt fühlt, ist gleichsam eine anthropologische Konstante. Gedient haben sie jedoch alle, und zwar nicht nur in Ungarn, sondern in allen von Aristokratien dominierten Gesellschaften Mitteleuropas, auch in Böhmen und in Polen. Es fragt sich, ob sich die jungen Talente wirklich so widerwillig in den Dienst der Magnaten begaben, wie es ihre späteren Interpreten nahelegen. Uns erscheint es dagegen angebracht, den Wandel der Klientelverhältnisse, die allmähliche Anpassung des Dienens inmitten einer sich entfaltenden Öffentlichkeit, als eine breite Kontaktzone von unterschiedlichen Verhaltensmustern und Attitüden zu betrachten. Diese Kontaktzone transportierte mit traditionellen Verhaltensweisen zugleich auch ältere institutionelle Aspekte der Herrschaftsausübung in die Welt der Moderne. In Bezug auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts ist eine von Historikern oft aufgeworfene Frage, wie die alten Eliten – der Komitatsadel, die oppositionellen Magnaten, große Teile der katholischen und protestantischen Kirchen – streckenweise eine relativ weitgehende Erneuerung von Staat und Gesellschaft betreiben konnten. Ein weiteres Problem stellt die Krise des Liberalismus im späteren 19. Jahrhundert dar, für die zumeist die Unvollständigkeit der gesellschaftlich-politischen Transformation ins Feld geführt wird, woran eben die alten Eliten schuld seien, die vor radikaleren Lösungen immer zurückschreckten. Diese Janus-Köpfigkeit der Eliten war allerdings, wenn man bereit ist, unseren Geschichten zum Wandel der Herrschaftsverhältnisse im 18. Jahrhundert zu folgen, gar nicht erst im Vormärz angelegt, sondern früher. Und die Ambivalenzen durch seine aristokratischen Patrone wurde er als Nichtadeliger von Joseph II. zum Vizegespan ernannt. Er blieb auch nach dem Tod des Kaisers ein Anhänger des Josephinismus und unterstützte dessen Politik weiterhin publizistisch, so z. B. mit: (Anonym) Politischkirchliches Manch-Hermaeon von den Reformen Kayser Josephs überhaupt vorzüglich in Ungarn, mit nüzlichen Winken zur Richtung der Gesinnungen des Adels, der Geistlichkeit und des Volks auf den nächst bevorstehenden Reichstag in Ungarn, ohne Ort 1790. 23 Dóra K. Csanak, Nevelők és titkárok. Adalékok az értelmiség pályakezdéséhez a 18. században [Erzieher und Sekretäre. Beiträge zum Berufsanfang von Intellektuellen im 18. Jahrhundert], in: János Buza (Hg.), Gazdaságtörténet – Könyvtártörténet. Emlékkönyv Berlász Jenő 90. születésnapjára. Budapest 2001, S. 69–78, erster Publikationsort: Jacques Le Goff/Béla Köpeczi (Hg.), Intellectuels français – intellectuels hongrois. XIIIème – XXème siècle, Budapest/Paris 1985, S. 143–151.

Ausblick

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waren nicht auf die politische Ebene begrenzt. Ambivalenz scheint ein Grundzug der hier vorgestellten Geschichten zu sein. Über deren Aus- und Nachwirkungen in Bezug auf das Erneuerungs- und Modernisierungspotenzial der Gesellschaft müsste ein weiteres Buch geschrieben werden. Ein ‚Held‘ dieses neuen Buches könnte László Bártfay (1791–1858) sein, Sekretär von György Károlyi (1802–1877), dem Sohn von József Károlyi. Dessen Tagebücher aus den 1830er und 1840er Jahren zeugen von der fortdauernden Mehrschichtigkeit seines Selbstverständnisses als Intellektueller und von dem fortdauernden persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Magnatenfamilie. Archaischer noch als manche seiner Vorgänger im 18. Jahrhundert lebte László Bártfay sogar im gräflichen Haushalt. Wie sie überprüfte er die Gutsrechnungen, unterzeichnete die Verträge über den Verkauf von Raps an jüdische Kaufleute, erledigte die amtliche Korrespondenz. Wenn es sein musste, verfasste er auch die Verteidigungsschriften in Prozessen wegen Majestätsbeleidigung und beaufsichtigte die Geschäfte des aristokratischen Hauses während der Internierung des Grafen. Zugleich war er Kassenwart der Akademie der Wissenschaften, deren Gutachter in literarischen Wettbewerben. Sein Salon galt als einer der gesellschaftlichen Zentren in Pest: Dort trafen sich Künstler, Intellektuelle und liberale Politiker.24 László Bártfay ist nicht mehr Gegenstand, doch Fluchtpunkt unserer Untersuchung. Wie er lebte und wirkte, kann als ein Indiz für die Zählebigkeit der ambivalenten Rollenmuster interpretiert werden, deren Genese wir beobachten konnten. Die „Intellektualisierung“ von Teilen der Aristokratie, ihre Anpassung an die kulturellen und politischen Leitideen des 19.  Jahrhunderts, öffnete den Raum für eine ausgeprägte Individualisierung ihrer Dienerschaft. Darüber verging der Klientelismus nicht etwa, sondern änderte seine kulturelle Gestalt.25 Auch wenn seit dem späten 18. Jahrhundert alternative Mechanismen der politischen Mobilisierung, der Stiftung von Loyalität und der Ausübung von Macht mit den Be24 Zsuzsa Kalla (Hg.), Bártfay László naplója (1838–1841). Szövegkiadás [Tagebuch von László Bártfay (1838–1841). Textedition], Budapest 2006. 25 Es ist interessant zu sehen, wie sich die politisch-habituellen Rollenmuster am Wiener Hof und in der Entourage des Magnaten in der Provinz entsprechen. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wird der Fürst als Vater gesehen, so zum Beispiel in dem Fürstenspiegel Princeps in compendio aus dem Umkreis Ferdinand II. Auch Sándor Károlyi galt als väterliche Figur für seine Klienten. Mit der Aufklärung wurde dieser Paternalismus durch neue Modelle ersetzt. Vgl. Stefan Brakensiek, Die Männlichkeit der Beamten. Überlegungen zur Geschlechtergeschichte des Staates im Ancien Régime und an der Schwelle zur Moderne, in: Jens Flemming (u.a. Hg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag, Kassel 2004, S. 67–88.

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ziehungen zwischen aristokratischen Herren und ihren Getreuen koexistierten und oftmals auch konkurrierten, blieb der Klientelismus ein prägendes Element der politischen Kultur des Landes. Das bedeutete zugleich, dass die Patronagebeziehungen ihre Eindeutigkeit einbüßten. Niemand – auch die Magnaten nicht – erwartete, dass sich Klienten als servitoren gebärdeten, sondern ihren Herren als geistig unabhängige Individuen entgegentraten. Mit der Vorstellung des eigenen Zivilisierungsauftrags wurde die Dyade zwischen Herrn und Diener um ein „Drittes“ erweitert, eine Fiktion zwar, gleichwohl eine ungemein folgenreiche. Uns stellt sich die Frage, ob dies eine Besonderheit der ungarischen Geschichte darstellte oder ob sich nicht ähnliche Phänomene in anderen Teilen Ostmitteleuropas beobachten ließen – und möglicherweise auch darüber hinaus?

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Literatur

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Literatur

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Internet Magyar írók élete és munkai, hg. von József Szinnyey, 14 Bde., Budapest 1891–1914 (Digitalisat des biographischen Handbuchs): http://mek.oszk.hu/03600/03630/html/k/ k11978.htm (letzter Zugriff am 6.8.2013) Programm des Graduiertenkollegs „Die Figur des Dritten“ an der Universität Konstanz: http://www.uni-konstanz.de/figur3/progorg.htm (letzter Zugriff am 5.8.2012) Website des Foschungsprojekts „Frühneuzeitliche Institutionen in ihrem sozialen Kontext. Praktiken lokaler Politik, Justiz und Verwaltung im internationalen Vergleich“ mit einem deutsch-ungarisch-tschechisch-lateinischem Glossar zur Rechts- und Verwaltungsterminologie des 17./18.  Jahrhunderts: http://www.lokaleherrschaft.de/ (letzter Zugriff am 7.8.2013)

Abbildungsverzeichnis Umschlag Entwurf für die Gestaltung eines Trauerzugs für Graf Ferenc Károlyi im Jahre 1758 (Nachweis: Ungarisches Staatsarchiv Budapest, Archiv der Familie Károlyi, P 1502 Akten des Grafen Ferenc Károlyi, Fach 4b).

Kapitel I Abb. 1  Geschichtskarte von Österreich-Ungarn (Nachweis: http://www.eduhi.at/dl/Oesterreich-Ungarn_Geschichte.JPG, Original: F. W. Schubert/W. Schmidt, Historisch-geographischer Schulatlas der alten Welt, des Mittelalters und der Neuzeit, Wien: Ed. Hölzel 1899).

Kapitel II Abb. 2  Karte des Komitats Szatmár, Ende des 18. Jahrhunderts, gefertigt von Cyrill Mező und Antal Zanathy (Nachweis: Atlas Hungaricus seu regnorum Hungariae, Croatiae et Slavoniae comitatuum, Privilegiatorum districtuum, et confiniorum generales & particulares mappae geographicae, Viennae 1802–1811. Fotografie: András Emődi). Abb. 3  Grundriß des Schloßes Karol in Ober Hungarn, Ao 1666 (Nachweis: Generallandesarchiv Karlsruhe, HfK Planbände, Nr. 13 (60)). Abb. 4 Das Gebäude der Ungarischen Kammer in Pozsony/Preßburg (heute: Universitätsbibliothek in Bratislava) (Nachweis: Fotografie Roman Holec). Abb. 5  Grundriß des Schloßes Karole in Ober Hungarn, Ao 1666. Kupfer des Ingenieurs Lucas G. Ssecho, in: Theatrum Europaeum, Band 9, Frankfurt am Main 1672, Tafel 27 (Nachweis: Universitätsbibliothek Augsburg, urn:nbn:de:bvb:384-uba000244 -1241-2). Abb. 6  László Károlyi (1622–1689) und Erzsébet Sennyey (1626–1672) im Kreis ihrer zwanzig (!) Kinder. Votivtafel eines unbekannten Künstlers aus der Schlosskapelle in Nagykároly (Nachweis: Schlossmuseum Nagykároly, Fotografie: Júlia Bara). Abb. 7  Graf Sándor Károlyi (1669–1743). Ölgemälde eines unbekannten Künstlers (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 2122, Fotografie: Judit Kardos). Abb. 8 Gedenkfahne für Sándor Károlyi aus der gräflichen Grablege in Kaplony (1743) (Nachweis: Fotografie Júlia Bara). Abb. 9 Graf Ferenc Károlyi (1705–1758) in der Uniform seines Husarenregiments. Öl­ gemälde eines unbekannten Künstlers, vermutlich um 1750 (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 2123, Foto­ grafie: Judit Kardos).

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 10 Schloss Olcsva (Nachweis: Zeichnung von Arthur Meinig, in: Károlyi Ferenc gróf és kora 1705– 1758, Budapest 1893, Fotografie: Júlia Bara). Abb. 11 Kaiserlicher Husar des Regiments Károlyi im Jahr 1734 (Nachweis: Manuscripta ad militiam spectantia, Generallandesarchiv Karlsruhe – Leihgabe des Großherzoglich Badischen Hausfideikommisses, Signatur Hfk-Hs Nr. 105). Abb. 12 Entwurf für die Gestaltung des Trauerzugs für Graf Ferenc Károlyi im Jahre 1758 (Nachweis: Ungarisches Staatsarchiv Budapest, Archiv der Familie Károlyi, P 1502 Akten des Grafen Ferenc Károlyi, Fach 4b). Abb. 13 Graf Antal Károlyi (1732–1791) als Feldzeugmeister des Ordens vom Goldenen Vlies. Ölgemälde eines unbekannten Künstlers (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 2125, Fotografie: Judit Kardos). Abb. 14 Jozefa Harruckern (1740–1802), Ehefrau des Grafen Antal Károlyi. Ölgemälde des Wiener Hofmalers Johann Michael Militz (1725–1779) (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 2121, Fotografie: Judit Kardos). Abb. 15 Gedenkfahne für Graf Antal Károlyi aus der gräflichen Grablege in Kaplony (1791) (Fotografie: Júlia Bara). Abb. 16 Die „Nationalschule“ in Nagykároly, Entwurf von Franz Rosenstingl aus dem Jahr 1780 (Nachweis: Ungarisches Staatsarchiv Budapest, Tervtár (Plansammlung), T 20, Nr. 97/3). Abb. 17  Prospekt der Kirche des Piaristenklosters in Nagykároly (1788) (Nachweis: Katholisches Pfarramt Carei/Nagykároly, Fotografie Julia Bara). Abb. 18 Graf József Károlyi (1768–1803) (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 53.21, Fotografie: Judit Kardos).

Kapitel III Abb. 19 Graf Sándor Károlyi (1669–1743) (Nachweis: Ungarisches Nationalmuseum Budapest © MNM, Inv.Nr. 83.7, Fotografie: Judit Kardos).

Kapitel IV Abb. 20  Idealisierte Darstellung einer Glashütte (1772). Radel/Renard: Verrerie en bois. 1: Intérieur d’une Halle de petite Verrerie à pivette ou en bois, 4: Plan et coup d’un Four de petite Verrerie à pivette, et différentes opérations relatives à sa construction, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Recueil de planches, sur les sciences, les arts libéraux, et les arts mécaniques, Vol. 10, Paris 1772, S. 27 (Reproduktion des ARTFL-Projekts der University of Chicago) http://portail.atilf.fr/encyclopedie/images/V27/plate_27_10_1.jpeg http://portail.atilf.fr/encyclopedie/images/V27/plate_27_10_4.jpeg.

Abbildungsverzeichnis

393

Kapitel V Abb. 21 Plan der Stadt Szatmárnémeti aus dem Jahr 1665 (Nachweis: Hieronymus Ortelius,  Ortelius Redivivus et Continuatus, Oder der Ungarischen Kriegs-Empörungen Historische Beschreibung…, Bd. II, Nürnberg/ Frankfurt 1665, S. 212).

Kapitel VII Abb. 22 Das Komitatshaus in Nagykároly (Ansichtskarte des späten 19. Jahrhunderts) (Fotografie: Júlia Bara).

Kapitel VIII Abb. 23  Außen- und Innenansicht der reformierten Kirche in Szatmárnémeti (erbaut zwischen 1788 und 1807) (Fotografie: Júlia Bara). Abb. 24 Das Zentrum der Stadt Szatmárnémeti um 1890 (Nachweis: Stahlstich von J. Pásztor, in: Koloman Géresi, Nagy-Károly, Szatmár und ihre Umgebung, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Ungarn, Bd. 2, Wien 1891, S. 357–382, hier S. 361, http://ia700309.us.archive.org/BookReader/BookReaderImages.php?zip=/3/ items/diesterreichis18wienuoft/diesterreichis18wienuoft_jp2.zip&file=diesterreic his18wienuoft_jp2/diesterreichis18wienuoft_0379.jp2&scale=2&rotate=0). Abb. 25 Titelseite des Werkes von István Pataki Vetsei, Magyar Geografiaja … [Ungarische Geographie] (verbessert und ergänzt von József Zanathy), Nagy-Károly 1757 (Nachweis: Ungarische Nationalbibliothek Széchényi, Budapest).

Kapitel IX Abb. 26 Detailkarte des Umlands von Szatmárnémeti (Nachweis: Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv: Josephinische Landesaufnahme (1782–1785), http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3a/ Satmar_Josephinische_Landesaufnahme_pg29–13.jpg). Abb. 27 Planum Lacus Etsediensis Láp dicti, cum circum jacentisbus possessionibus, Cyrillus Mező (Landvermesser), ohne Ort, ohne Jahr, kolorierte Handzeichnung (41 x 59 cm) (Nachweis: Ungarische Nationalbibliothek Széchényi, Budapest, TK 1 107).

Kapitel X Abb. 28 Außenansicht des Palasts der Grafen Károlyi in Budapest in der Kecskeméti-Straße 21 im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Lithographie, 1837/38) (Nachweis: Historisches Museum, Hauptstädtisches Bildarchiv Budapest). Abb. 29 Entwurf von Franz Rosenstingl aus dem Jahre 1783 (Nachweis: Ungarisches Nationalarchiv Budapest, Tervtár (Plansammlung), T 20, 101/5, Bl. 7r).

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 30 Das gräfliche Schloss in Nagykároly, Federzeichnung von Tivadar Dörre aus der Mitte des 19. Jahrhunderts (Nachweis: Koloman Géresi, Nagy-Károly, Szatmár und ihre Umgebung, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Ungarn Bd. II, Wien 1891, S. 357–382, hier S. 363 http://ia700309.us.archive.org/BookReader/BookReaderImages.php?zip=/3/ items/diesterreichis18wienuoft/diesterreichis18wienuoft_jp2.zip&file=diesterreic his18wienuoft_jp2/diesterreichis18wienuoft_0381.jp2&scale=2&rotate=0).

Ortsverzeichnis Apa RO, rum. Apa 286 Aradvány HU (Aradványpuszta, heute Teil der Stadt Nyíradony) 227 Batiz RO, rum. Botiz 286 Bátorkeszi SL, slow. Bátorove Kosihy 130, 135 Béltek (Krasznabéltek) RO, rum. Beltiug 281 Beregszász UKR, ukr. Берегове (Berechowe), dt. Beregsaß, Lampertshaus 203 Berence (Szamosberence) RO, rum. Băbășești 189 Besztercebánya SL, slow. Banská Bystrica, dt. Neusohl, lat. Neosolium 98, 101, 102, 104, 137, 138, 141, 158, 264 Buda HU (heute Budapest), dt. Ofen 94, 95, 161, 165, 248, 356 Cluj (heute Cluj-Napoca) RO, ung. Kolozsvár, dt. Klausenburg 9, 11, 103, 104, 165 Csanálos RO, rum. Urziceni, dt. Schinal oder Schönthal 124, 279 Csenger HU 279, 284, 286, 289 Csengerújfalu HU 286 Csongrád HU 135, 139, 140, 141, 227 Debrecen HU 149, 174, 176, 199, 237 Dercen UKR, ukr. Дерцен (Dertsen) 286 Derekegyház HU 139 Dob (Tiszadob) HU 286 Dubrovka UKR, ukr. Дібрівкя (Dibriwka) 286 Ecsed HU (heute Nagyecsed) 236, 251, 252, 290, 294, 297, 298, 300, 303, 305 Eger HU, dt. Erlau 85, 204, 265 Encsencs HU 260, 261, 267, 286 Éradony RO, rum. Adoni 225 Erdőd RO, rum. Ardud, dt. Erdőd 74, 75, 86, 94, 128, 130, 187, 191, 194, 195, 211, 279, 285

Esztergom HU, dt. Gran 265 Farkasaszó RO, rum. Fărcașa 286 Fehérgyarmat HU 211, 232, 279 Fény RO, rum. Foeni 279 Fiume HR, kroat. Rijeka 326, 337 Fót HU 94 Gödöllő HU, dt. Getterle 235 Görbed (Szatmárgörbed) RO, rum. Românești 236 Graz AT 147, 314 Gyarmat (Fehérgyarmat) HU 305 Gyügye HU 286 Gyula HU, dt. Deutsch-Jula 86 Hirip RO, rum. Hrip 286 Hochkirch D 87 Hódmezővásárhely HU 135, 139, 140, 141 Homoród (Középhomoród) RO, rum. Homorodu de Mijloc 133 Horlyó UKR, ukr. Худльово (Hudljowo) 286 Huszt UKR, ukr. Хуст (Hust), dt. Hust 195, 253, 288 Ivácskó RO, rum. Necopoi 286 Jánd HU 286 Józsefháza RO, rum. Iojib, dt. Josefhausen 236, 267 Kalocsa HU 326 Kaplony RO, rum. Căpleni, dt. Kaplau 73, 74, 85, 88, 124 Karlowitz SR, serb. Сремски Карловци (Sremski Karlowci) 36, 69 Kassa SL, slow. Košice, dt. Kaschau 69, 145, 158, 170, 179, 184, 195, 204, 332 Kéc RO, rum. Chețiu 227 Királydaróc RO, rum. Craidorol? 211 Kisfalud (Bodrogkisfalud) HU 198 Kishódos HU 286 Kiskolcs RO, rum. Culciu Mic 286 Köblér UKR, ukr. Кибляриì (Kibljari) 286 Kökényesd RO, rum. Porumbești 286

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Ortsverzeichnis

Kolozsvár.  Siehe Cluj Kőszeg HU, dt. Güns 182 Lengyelfalva SL, slow. Košická Polianka 184 Madarász RO, rum. Mădăraș 128, 279 Margitta RO, rum. Marghita 199 Megyer (Tótmegyer) SL, slow. Palárikovo 335, 336 Mérk HU 300 Mezőpetri RO, rum. Petrești, dt. Petrifeld 226, 227 Mezőterem RO, rum. Tiream 227 Misztótfalu RO, rum. Tăuţii de Jos (Teil der Stadt Tăuţii-Măgherăuş) 211, 231, 260 Mosóc SL, slow. Mošovce 101 Munkács UKR, ukr. Мукачеве (Mukatschewe), slow. Mukačevo, dt. Munkatsch 104, 187, 203, 304 Muzsaly (Nagymuzsaly) UKR, ukr. Мужієве (Muzhiyeve) 330 Nagyhódos HU 286 Nagykároly RO, rum. Carei, dt. Großkarol 30, 36, 38, 67, 68, 69, 75, 77, 86, 89, 90, 94, 96, 100, 111, 119, 122, 124, 125, 126, 137, 138, 141, 193, 198, 199, 201, 209, 211, 215, 217, 222, 224, 226, 227, 228, 237, 251, 253, 261, 262, 264, 266, 267, 271, 279, 283, 284, 285, 289, 294, 309, 314, 315, 324, 327, 328, 329, 332, 333, 335, 336, 338, 356 Nagymada (Nyírmada) HU 286 Nagyvárad RO, rum. Oradea, dt. Großwardein 36, 69, 70, 90, 184, 283, 284, 290, 323, 324, 325 Németi (heute Teil der Stadt Szatmárnémeti, Satu Mare) RO 145, 146, 148, 153, 154, 160, 161, 166, 176, 177, 196, 247 Neusohl SL.  Siehe Besztercebánya Nyírbátor HU 100, 124, 330, 336 Nyíregyháza HU 279 Ököritó RO, rum. Sćlćjeni 286 Olcsva HU 75, 76, 94, 219, 305 Ópályi HU 286 Papos HU 286 Paris FR 94, 95 Penzing AT (heute Wiener Bezirk) 92, 94

Pér (Szilágypér) RO, rum. Pir 262 Pest (heute Budapest) HU 17, 92, 93, 94, 95, 113, 135, 165, 233, 234, 235, 237, 255, 278, 288, 289, 292, 315, 324, 327, 328, 332, 351, 356, 359 Petri RO, rum. Petrești, dt. Petrifeld 279 Philippsburg D 86 Porcsalma HU 227, 286 Pozsony SL.  Siehe Preßburg Prag CS, tschech. Praha 87, 314 Preßburg SL, slow. Bratislava, ung. Pozsony 17, 34, 42, 62, 63, 72, 74, 94, 114, 136, 146, 150, 159, 160, 161, 162, 165, 166, 167, 169, 170, 172, 178, 179, 180, 181, 190, 208, 234, 235, 243, 255, 261, 272, 293, 356 Pusztadaróc RO, rum. Dorolț 286 Réztelek (Résztelek) RO, rum. Tătărești 195 Rijswijk NL 36 Salánk UKR, ukr. Шаланки (Shalanky) 127, 131, 132, 133, 219, 342 Sárospatak HU 39 Sátoraljaújhely HU 185 Schemnitz dt. SL, slow. Banská Štiavnica, ung. Selmecbánya 264 Surány (Beregsurány) HU 138, 231 Száldobágy (Bükkszoldobágy) RO, rum. Solduba 127, 128, 129, 130, 132, 133, 134, 196 Szatmárnémeti RO, rum. Satu Mare, dt. Sathmar 10, 24, 29, 30, 143, 144, 145, 146, 147, 150, 155, 156, 158, 161, 162, 163, 164, 165, 172, 177, 178, 179, 181, 182, 183, 184, 185, 187, 188, 195, 198, 199, 200, 202, 204, 217, 234, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 248, 249, 258, 261, 279, 280, 289, 291, 322, 337, 353, 356 Szegvár HU 135 Székelyhķd RO, rum. Săcueni 220 Szenc SL, slow. Senec, dt. Wartberg 256 Szentes HU 139 Szentmárton (Kakszentmárton) RO, rum. Mărtinești 205 Szolnok HU 278

Ortsverzeichnis

Temesvár RO, rum. Timişoara, dt. Temeswar 248, 258 Terem (im 19. Jh. Pusztaterem) HU 137, 138 Udvari (Szatmárudvari) RO, rum. Odoreu 85, 286 Ungvár UKR, ukr. Ужгород (Ushhorod), dt. Ungwar 90 Vác HU, dt. Waitzen 91, 135, 255, 326 Vállaj HU, dt. Wallei 305 Vámfalu RO, rum. Vama 286 Várad.  Siehe Nagyvárad Vásárhely.  Siehe Hódmezővásárhely Vasvár HU, dt. Eisenburg 34 Vezend RO, rum. Vezendiu 227, 279 Vitka (heute Teil der Stadt Vásárosnamény) HU 286

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Wien AT 14, 17, 19, 24, 36, 37, 42, 49, 51, 54, 57, 58, 59, 60, 62, 64, 67, 70, 72, 74, 75, 82, 86, 88, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 98, 99, 102, 103, 105, 113, 114, 115, 149, 150, 159, 160, 161, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 171, 172, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 187, 190, 191, 192, 196, 198, 199, 200, 214, 234, 235, 241, 243, 244, 251, 252, 253, 255, 256, 259, 272, 283, 284, 288, 293, 309, 320, 326, 327, 331, 354, 359 Zenta SR, serb. Сента (Senta) 36 Zöldvár, nicht existierende Ortschaft SL, Forst neben Nagyszalánc, slow. Slanec 104, 128, 130, 132, 133, 134

Komitate Abaúj 271, 287 Békés 86, 258, 337 Bereg 39, 94, 271, 286, 287, 296, 330 Bihar 64, 94, 198, 236, 323, 324 Borsod 326, 337 Csongrád 86, 329, 337 Gömör 132 Kővár 64 Közép-Szolnok 64 Kraszna 64, 294, 296, 297, 299, 301, 302, 305 Máramaros dt. Marmarosch 199, 226, 287, 288, 316, 317, 319, 320, 322

Nyitra 270, 337 Pest 240, 337 Szabolcs 39, 94, 184, 272, 279, 286, 295, 301, 304, 308, 330 Szepes 272 Szerém 321 Temes 36, 258, 322 Ugocsa 94, 271, 286 Ung 94, 286, 331 Vas 233, 240, 267 Zaránd 64 Zemplén 52, 185, 198 Zólyom 13

SILVIO JACOBS

FAMILIE, STAND UND VATERLAND DER NIEDERE ADEL IM FRÜHNEUZEITLICHEN MECKLENBURG (QUELLEN UND STUDIEN AUS DEN LANDESARCHIVEN MECKLENBURG-VORPOMMERNS, BAND 15)

Die Erforschung des mecklenburgischen Adels steht noch am Anfang und entspricht keineswegs seiner historischen sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung. Drei Themenbereiche, die das Denken und Handeln der frühneuzeitlichen Aristokratie prägten, greift die Untersuchung auf: Familie, Stand und Vaterland. In einer Kombination von mikro- und makrohistorischen Forschungsansätzen werden u. a. Fragen der Repräsentation, der Genealogie und des Erbes erörtert (Familie), kulturelle, ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt (Stand) und die Beziehungen des Adels zu den Landesherren und zur Landespolitik analysiert (Vaterland). 2014. 374 S. 60 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22210-9

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TATJANA TÖNSMEYER

ADELIGE MODERNE GROSSGRUNDBESITZ UND LÄNDLICHE GESELLSCHAFT IN ENGLAND UND BÖHMEN 1848–1918 (INDUSTRIELLE WELT, BAND 83)

Das 19. Jahrhundert gilt als bürgerliches Jahrhundert. Die vorliegende Studie zeigt jedoch, dass die Geschichte des europäischen Adels dieser Zeit nicht als Untergangsgeschichte zu lesen ist. Vielmehr vermochten sich gerade großgrundbesitzende hochadelige Gruppen erfolgreich zu behaupten. Diese Prozesse einer Stabilisierung auf dem Lande beleuchtet die vorliegende Untersuchung. Sie analysiert, aufgrund welcher Eigenlogiken, Sinnstiftungen und Praktiken Magnaten ein Obenbleiben in den Interaktionen mit nichtadeligen Gruppen auszuhandeln vermochten. Sichtbar werden dabei spezifische Mischungsverhältnisse aus Traditionalität und Modernität und somit ländlich geprägte Räume, die integraler Bestandteil von Gesellschaften auf dem Weg in die Moderne waren. 2012. 372 S. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-20937-7

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JAN GALANDAUER

FRANZ FÜRST THUN STATTHALTER DES KÖNIGREICHES BÖHMEN

Franz von Thun und Hohenstein (1847–1916) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der österreichischen und tschechischen Geschichte. Zwei Mal war er Statthalter von Böhmen (1889–1896 und 1911–1915), einmal Ministerpräsident und Innenminister der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder (1898–1899). Das Werk des Historikers Jan Galandauer hat die Entwicklungen der politischen Geschichte im Blick und stellt Thun als Repräsentanten des böhmischen Adels vor den Hintergrund des Nationalitätenkonflikts, der (teilweise) ungelösten sozialen Spannungen, wirtschaftlichen Herausforderungen und gesellschaftlichen Neuorientierungen seiner Zeit. Für eine deutschsprachige Leserschaft werden wichtige und erhellende Einblicke anhand des Lebensweges von Fürst Thun vor dem Hintergrund eines um seinen Bestand ringenden und in den Endzügen liegenden Reiches geboten. 2014. 384 S. 79 S/W- UND 20 FARB. ABB. GB. MIT SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78820-1

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ECKART CONZE, WENCKE METELING, JÖRG SCHUSTER, JOCHEN STROBEL (HG.)

ARISTOKRATISMUS UND MODERNE ADEL ALS POLITISCHES UND KULTURELLES KONZEPT, 1890–1945 (ADELSWELTEN, BAND 1)

Unbestritten nahm die Bedeutung des Adels zum 20. Jahrhundert hin in Europa ab. Gleichzeitig traten in unterschiedlichsten Diskursbereichen um 1900 neue Ideen und Konzepte von Adel oder Aristokratie auf. Dieser als Aristokratismus bezeichneten Ausweitung der Semantik des Adeligen spürt der Band mit interdisziplinären Perspektiven nach. Er spannt den Bogen von Nietzsches Philosophie eines „Neuen Menschen“ über die Figur des Dandys in Kunst und Literatur, die Ideen einer „Geistesaristokratie“, etwa im GeorgeKreis, bis hin zu Neuadelsvorstellungen in der völkischen Bewegung und im Nationalsozialismus. 2013. 385 S. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-21007-6

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ALMA HANNIG, MARTINA WINKELHOFER-THYRI (HG.)

DIE FAMILIE HOHENLOHE EINE EUROPÄISCHE DYNASTIE IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT

Die Familie Hohenlohe war eine der einflussreichsten europäischen Dynastien, die ihre herausragende Bedeutung und führende Stellung im Deutschen Kaiserreich und in der Habsburgermonarchie im langen 19. Jahrhundert erlangt hatte. Ihre Familienmitglieder bekleideten wichtige Ämter in der Politik, Diplomatie, Kirche und beim Militär. Zugleich haben sie sich im Bereich der Kunst, Musik und des Sports engagiert. Der vorliegende Sammelband präsentiert Lebensabrisse der bedeutendsten Mitglieder der Familie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Neben den bekannten Repräsentanten wie Reichskanzler Chlodwig und Obersthofmeister Constantin Hohenlohe werden Persönlichkeiten vorgestellt, deren Bedeutung und Einfluss damals unbestritten war, die heute aber fast in Vergessenheit geraten sind. Darunter befinden sich der zweitreichste Mann im Deutschen Kaiserreich“, der Präsident des ersten Deutschen Olympischen Komitees, ein „Duzfreund“ des deutschen Kaisers und des russischen Zaren oder auch ein Freund und Förderer des Komponisten Franz Liszt. 2013. 413 S. 16 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-22201-7

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JÖRG GANZENMÜLLER

RUSSISCHE STAATSGEWALT UND POLNISCHER ADEL ELITENINTEGRATION UND STAATSAUSBAU IM WESTEN DES ZARENREICHES (1772–1850) (BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE OSTEUROPAS, BAND 46)

Die Teilungen Polens waren in der Geschichte des Russischen Reichs die größte territoriale Expansion nach Westen. Die Zaren standen fortan vor der Aufgabe, eine historische Region in ein autokratisch verfasstes Imperium einzugliedern. Dazu sollte der polnische Adel mit seinem ausgeprägten ständischen Bewusstsein in den russischen Dienstadel integriert werden. Zudem musste das unterverwaltete Zarenreich in den annektierten Gebieten eine staatliche Bürokratie etablieren. In beiden Fällen war man auf die Kooperation des polnischen Adels angewiesen. Die Studie nimmt eine russischpolnische Perspektive ein und versucht somit, die lange Zeit vorherrschenden nationalen Sichtweisen aufzubrechen und beiden Seiten gerecht zu werden. 2013. 425 S. 2 S/W-KARTEN. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-20944-5

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