Heldensage und Heldendichtung im Germanischen 9783110852578, 9783110111750


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German Pages 419 [424] Year 1988

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Table of contents :
Vorwort
Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen
Heldenlied und „Historisches Lied“ im Frühmittelalter – und davor
Zeugnisse zur Dietrichsage in der Historiographie von 1100 bis gegen 1350
Hadubrand’s Lament: On the Origin and Age of Elegy in Germanic
Vorzeitsage und Heldensage
Wandel und Konstanz in der Darstellung der Figur des Dietrich von Bern
Guðrún Gjúkadóttir in Miðjumdalr. Zur Aktualität nordischer Heldensage im Island des 13. Jahrhunderts
Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung
Heroische Maximen, homiletische Lehren und gelehrte Reminiszenzen in einigen Stücken christlicher Heldenepik, besonders in England
Zum Ursprung der altnordischen Heroischen Elegie
Die altenglische Judith: Weiblicher Held oder frauliche Heldin
Die Verschriftlichung von europäischen Heldensagen als mittelalterliches Kulturproblem
Bibliographie
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Heldensage und Heldendichtung im Germanischen
 9783110852578, 9783110111750

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Heldensage und Heldendichtung im Germanischen

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Herbert Jankuhn, Reinhard Wenskus Band 2

w DE

G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1988

Heldensage und Heldendichtung im Germanischen Herausgegeben von Heinrich Beck

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Walter de Gruyter · Berlin · New York 1988

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der Deutschen

Bibliothek

Reallexikon der germanischen Altertumskunde / begr. von Johannes Hoops. In Zusammenarbeit mit C. J. Becker ... Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter. Bis Bd. 4 hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... NE: Hoops, Johannes [Begr.]; Beck, Heinrich [Hrsg.] Bd. 2. Heldensage und Heldendichtung im Germanischen Heldensage und Heldendichtung im Germanischen / hrsg. von Heinrich Beck. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1988 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 2) ISBN 3-11-011175-6 NE: Beck, Heinrich [Hrsg.]

© 1988 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin • Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin

Vorwort Als in den Jahren 1928—1934 Hermann Schneiders dreibändige Germanische Heldensage im Grundriß der germanischen Philologie erschien, galt sie als die lehrbuchhafte Darstellung einer Forschungsrichtung, die Andreas Heusler seit Beginn des Jahrhunderts vertreten und ausgeformt hatte — angefangen von der Untersuchung ,Lied und Epos in germanischer Sagendichtung' (Dortmund 1905), über den Beitrag .Heldensage' in der 1. Auflage des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde (hrsg. J. Hoops, Straßburg 1911 — 1919, auch alle Einzelartikel zur Heldensage in diesem Lexikon stammen von A. Heusler) bis zur endgültigen Formulierung und Exemplifizierung des Begriffes Heldensage und Heldendichtung in ,Nibelungensage und Nibelungenlied' (Dortmund 1921). Heuslers Sicht empfanden Zeitgenossen und Nachfolgende als so fundamental neu, daß sie bis in die Anfange des Faches zurückgriffen, um den epochalen Wendepunkt zu markieren: die Abkehr von der romantischen Sagentheorie. Rund 30 Jahre nach Schneiders erster Gesamtdarstellung erschien der 1. Band in einer Neuauflage (Berlin 1962, Grundriß der germanischen Philologie, Band 10). Die Neuauflage unterschied sich von der Erstausgabe allein durch einen Anhang — eine Bibliographie über die Jahre 1928—1960 (besorgt durch R. Wisniewski) und eine .Einleitung zu einer Darstellung der Heldensage' (auch in Paul und Braunes Beiträgen 77, Tübingen 1955, 71 — 82). Diese 13 seitige Einleitung ist nun allerdings von einer Gewichtigkeit, die wiederum eine epochale Neuorientierung der Heldensagenforschung signalisieren könnte (eine Neuorientierung, die H. Schneider durch seinen Tod nicht mehr in die Tat umsetzen konnte). Der Heuslerschen These Heldensage ist Literaturgeschichte, die eigentliche antiromantische Erkenntnis und Grundlage des Schneiderschen Werkes, begegnet der Verfasser nun mit Zurückhaltung, ja Ablehnung. Sie sei für ihn heute nicht mehr maßgebend, „mindestens nicht ausschließlich". Die Situation von 1962 ist bedenkenswert: es erscheint eine mehr als 400seitige Darstellung der germanischen Heldensage — ergänzt durch einen Anhang aus der Feder desselben Autors, der einen fundamentalen Gedanken des eigenen Werkes infrage stellt. Was H. Schneider unversöhnt nebeneinan-

VI

Vorwort

der stehen lassen mußte und nur noch als programmhaftes Ziel formulieren konnte, hat bis heute zu keiner Synthese geführt. Die Heuslersche Position hat nach wie vor ihre Interpreten, sie begegnet aber auch der Kritik. Ein Gesamtentwurf, der wie der Heuslersche überzeugend aus einem umfassenden Altertumskunde-Verständnis entspränge, ist nicht an die Stelle getreten — trotz zahlreicher Ansätze und bedenkenswerter Versuche. Soviel ist deutlich: eine unreflektierte Rückkehr zur romantischen Sagentheorie ist nach Heusler nicht mehr möglich; aber auch Heuslers Sicht, mehr und mehr in ihrer Zeitbedingtheit erkannt, kann nicht mehr die alleinige Antwort von heute sein. In dieser Situation stehen auch die in diesem Band vereinigten Aufsätze. Sie decken ein weites Feld ab, und sie erproben unterschiedliche Ansätze, ohne auf eine gemeinsame Sicht verpflichtet zu sein. Die Beiträge gehen auf Vorträge zurück, die während eines Symposiums in Bad Homburg (11. —13. März 1985) gehalten oder in dieser Absicht geschrieben wurden. Die Bibliographie sucht eine Arbeit weiterzuführen, die R. Wisniewski für den Zeitraum von 1928—1960 leistete (im Anhang zu H. Schneider, Germanische Heldensage I, Berlin 1962, 2. Aufl., S. 458 — 555). Sie wurde unter tatkräftiger Mithilfe der Bonner Mitarbeiter Karin Hoff, Susanne Kramarz und Arnulf Krause erstellt. Sie erstrebt keine Vollständigkeit und entrât der kritischen Wertung. Möge sie doch ein Hilfsmittel zur weiteren Orientierung sein. Ein herzlicher Dank gebührt der Werner Reimers-Stiftung, die das Symposium von 1985 finanzierte. Sie bot mit ihren Hilfsmitteln, ihren gastlichen Räumen und der Hilfsbereitschaft ihrer Mitarbeiter Bedingungen für einen Gedankenaustausch, an die sich die Symposiumsteilnehmer in Dankbarkeit erinnern. Der Regierung von Nordrhein-Westfalen dankt der Herausgeber für die Gewährung eines Landesmittelzuschusses zur Erstellung eines Bibliographischen Wegweisers zur Germanischen Altertumskunde. Ohne die in diesem Zusammenhang geleisteten Vorarbeiten, die zu einer eigenen Publikation führen sollen, wäre die Erstellung des bibliographischen Teiles dieses Bandes nicht möglich gewesen. Bonn, November 1987

Heinrich Beck

Inhalt Vorwort

V

THEODORE M . ANDERSSON

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

1

A L F R E D EBENBAUER

Heldenlied und „Historisches Lied" im Frühmittelalter — und davor

15

OTTO GSCHWANTLER

Zeugnisse zur Dietrichsage in der Historiographie von 1100 bis gegen 1350

35

JOSEPH H A R R I S

Hadubrand's Lament: On the Origin and Age of Elegy in Germanic THOMAS K L E I N

Vorzeitsage und Heldensage

81 115

EDITH M A R O L D

Wandel und Konstanz in der Darstellung der Figur des Dietrich von Bern 149 PREBEN MEULENGRACHT SORENSEN

Guörun Gjúkadóttir in Miöjumdalr. Zur Aktualität nordischer Heldensage im Island des 13. Jahrhunderts 183 PIERGIUSEPPE SCARDIGLI

Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung

197

UTE SCHWAB

Heroische Maximen, homiletische Lehren und gelehrte Reminiszenzen in einigen Stücken christlicher Heldenepik, besonders in England . . . 213 ULRIKE SPRENGER

Zum Ursprung der altnordischen Heroischen Elegie

245

M I C H A E L SWANTON

Die altenglische Judith: Weiblicher Held oder frauliche Heldin

....

289

ALOIS W O L F

Die Verschriftlichung von europäischen Heldensagen als mittelalterliches Kulturproblem 305 Bibliographie 329

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen VON THEODORE M . ANDERSSON

In runder Zahl ist das .Nibelungenlied' 25mal so lang wie die entsprechenden nordischen Heldenlieder ,Siguröarkviöa in forna' und .Atlakviöa'. Über die relative Chronologie dieser Texte herrscht kein Zweifel; die Eddalieder stellen die frühere Stufe dar, das .Nibelungenlied' eine spätere Entwicklung. Wie ist es aber zu einer solchen radikalen Erweiterung gekommen? Karl Lachmann hatte die Vorstellung, das ,Nibelungenlied' sei aus einer Aneinanderreihung episodischer Lieder entstanden. Demgegenüber hat Andreas Heusler die Ansicht vertreten, daß die eigentliche Fabel im Lied und Epos unverändert blieb, und daß die neuen epischen Dimensionen mit gleichmäßigen Einschüben und Ausdehnungen zu erklären sind. Heuslers These ist in den letzten dreißig Jahren, zum Teil explizit, zum Teil implizit, von der Theorie der mündlichen Dichtung, oder, wie man heutzutage auch in Deutschland sagt, der „oral poetry" (etwas genauer „oralformulaic poetry"), in Frage gestellt worden. Wie einst die Rhapsodentheorie aus der Homerforschung auf die germanische Dichtung übertragen wurde, sind wiederum Einsichten, die aus der klassischen Philologie gewonnen wurden, für eine germanische Fragestellung wichtig geworden. Francis P. Magoun, Jr., ein Harvarder Kollege von Milman Parry und Albert Lord, war bekanntlich der erste, der es im Jahre 1953 unternahm, die Theorie von der Mündlichkeit auf altenglische Verhältnisse anzuwenden1. Er stellte die sprachlichen Wiederholungen im Beowulf mit den von Parry und Lord beobachteten formelhaften Wendungen bei Homer und in der südslawischen Epik auf eine Ebene und schloß aus diesem Vergleich, daß dem altenglischen Dichter ein ähnlicher mündlicher Formelschatz zur Verfügung stand, den er für seine epischen Zwecke auswerten konnte. Daraus ist in den Vereinigten Staaten eine langwierige Debatte entstanden: Kann man die altenglische Formelhaftigkeit wirklich mit der homerischen und südslawischen vergleichen? Wieviel und welche Art der Formelhaftigkeit verbürgt eine mündliche Genesis? Im Jahre 1966 zeigte Larry D. Benson, daß die aufgrund einer bekannten lateinischen Vorlage erarbeiteten .Meters of Boethius' genauso 1

The Oral-Formulaic Character of Anglo-Saxon Poetry. In: Speculum 28, 1953, S. 446 — 67.

2

Theodore M. Andersson

formelhaft sind wie der Beowulf 2 . Wenn das zutrifft, haben wir das Recht, den Beowulf als eine andersartige und weniger „literarische" Erscheinung als die ,Meters of Boethius' zu betrachten? Sollten wir nicht vielmehr annehmen, daß beide Gedichte in einer den Angelsachsen eigenen, stilisierten, aber durchaus literarischen, Dichtersprache verfaßt sind? Mit anderen Worten, ist die Formelhaftigkeit wirklich ein Beweis für Mündlichkeit oder ist sie nicht auch ein Charakteristikum der literarischen Komposition? Diese Debatte hat die amerikanischen Altgermanisten in zwei Lager gespalten, in die Strenggläubigen und die unbelehrbaren Skeptiker. Die Gläubigen haben sich keine Mühe erspart und ihre Gesichtspunkte mit einer Reihe von systematischen Analysen unterbaut. Die Skeptiker hingegen haben sich mit passivem Ablehnen begnügt und es meist unterlassen, ihre Zweifel näher zu begründen. Die Aufstellungen der oral-formulaic-Theoretiker verlangen aber, daß die Skeptiker eine durchdachte Alternative bieten. In den ,Hohenemser Studien zum Nibelungenlied' hat Franz H. Bäuml darauf hingewiesen, daß außer der mündlichen Theorie keine anderen Ursachen für die Formelhaftigkeit mittelalterlicher Texte geltend gemacht worden sind, und das ist im großen und ganzen richtig 3 . Wenn man diese Erklärung der unbestreitbaren Formelhaftigkeit für nicht richtig hält, ist man gezwungen, den Anschein mündlicher Formelhaftigkeit auf anderem Wege zu erklären. Eine grundsätzliche Schwierigkeit, die der Übertragung der mündlichen Theorie auf germanische Verhältnisse im Wege steht, erwächst aus recht verschiedenen Überlieferungsbedingungen. Die germanische Philologie stand jahrzehntelang im Schatten der klassischen Philologie, und es war unvermeidlich, daß sie aus dieser Richtung Impulse empfing, aber schon Andreas Heusler wies darauf hin, daß die germanische Quellenlage gewisse Vorteile für die Beurteilung der Entstehungsgeschichte bietet4. Für die Vorgeschichte der homerischen Epen müssen wir uns mit Spekulationen bescheiden, aber die germanische Überlieferung enthält eine ganze Reihe von Texten und Hinweisen, die den späteren Epen vorausgehen. Außer den bruchstückhaft erhaltenen germanischen Heldenliedern haben wir einige Hinweise auf solche Lieder in mittelalterlichen Chroniken, unter denen die von Otto Gschwantler neuerdings wieder in Angriff genommene Nacherzählung der Ermanarichsage bei Jordanes das weitaus wichtigste Zeugnis ist 5 . Alle überlieferten Heldenlie2 3

4 5

The Literary Character of Anglo-Saxon Formulaic Poetry. In: PMLA 81, 1966, S. 334 - 41. Zum Verständnis mittelalterlicher Mitteilungen. In: Montfört. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs 32, 1980, S. 288 [114], Lied und Epos in germanischer Sagendichtung. Dortmund 1905. S. 51 — 52. Ermanrich, sein Selbstmord und die Hamdirsage. Zur Darstellung von Ermanrichs Ende in Getica 24, 129 f. In: Die Völker an der mittleren und unteren Donau im fünften und sechsten Jahrhundert. Berichte des Symposions der Kommission für Frühmittelalterforschung, 24.

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

3

der und alle auf solche Lieder beziehbaren Anspielungen setzen das germanische Kurzlied voraus. Nirgends findet man die Erwähnung epischer Dichtung, für die die mündliche (d. h. oral-formulaic) Komposition die angemessene Entstehungsart und Überlieferungsform wäre. Das einzige Zeugnis, das sich für mündliche Epenkomposition in Anspruch nehmen ließe, ist der Beowulf. Magoun hat stillschweigend angenommen, daß dieses Gedicht als ganzes auf eine mündliche Vorstufe zurückgeführt werden könnte, obgleich er später mit der Begründung, daß Sänger nicht zyklisch komponierten, kleinere Erzähleinheiten ansetzte 6 . Edward Haymes hat dann Heusler ausdrücklich kritisiert, weil er das eddische Kurzlied zur Richtschnur für germanische Dichtung überhaupt gemacht hat. Haymes wollte stattdessen den Beowulf zum Prüfstein der germanischen Praxis erheben 7 . Heusler hat aber seine Annahme nicht nur auf die Eddalieder gegründet, sondern auch auf das Hildebrandslied und das Hengestlied, so daß seine These den Vorteil hat, auf deutschem, englischem und skandinavischem Boden dokumentiert zu sein. Haymes hingegen ist auf die Einzelerscheinung des Beowulf angewiesen. Das Postulat, daß es im Germanischen so etwas wie ein mündliches Epos gibt, ist trotzdem weit verbreitet, besonders in angelsächsischen Kreisen, in denen die deutschen und nordischen Zeugnisse nicht notwendigerweise zum Rüstzeug gehören. Man hat einfach den Ausnahmefall Beowulf zur Regel gemacht. Der einzige altenglische Forscher, der von der mündlichen Position ausgeht, der aber die Schwierigkeiten eingesehen und zu beheben versucht hat, ist meines Wissens John D. Niles 8 . In seinem 1983 erschienenen Buch versuchte Niles das Nebeneinander von memoriertem Kurzlied und mündlich komponiertem Epos zu erklären. Er nimmt an, daß gegen Ende des siebten Jahrhunderts der wachsende Wohlstand in England reichlichere Mittel für das Mäzenatentum schuf, die die Entwicklung einer neuen epischen Dichtung neben dem altererbten Kurzlied ermöglichten. Diese neue Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt in dem Gedicht Beowulf, das Niles ins zehnte Jahrhundert datierte 9 . Das heißt, England stellte wegen seines wirtschaftli-

6

7 8 9

bis 27. Oktober 1978, Stift Zwettl, Niederösterreich. Hg. v. Herwig Wolfram und Falko Daim. S. 187—204. Auch in den Denkschriften der Österreichischen Akad. der Wiss., phil.hist. Kl., Bd. 145. Béowulf Β: A Folk-Poem on Béowulf s Death. In: Early English and Norse Studies Presented to Hugh Smith in Honour of His Sixtieth Birthday. Hg. v. Arthur Brown und Peter Foote. London 1963. S. 128. Mündliches Epos in mittelhochdeutscher Zeit. Diss. Erlangen/Nürnberg 1969. S. 2—3. Beowulf: The Poem and Its Tradition. Cambridge Mass. 1983. S. 5 6 - 5 7 . Niles (vgl. Anm. 8), S. 96—117. Ich halte an der Frühdatierung fest in: The Dating of Beowulf. University of Toronto Quarterly 52, 1983, S. 2 8 8 - 3 0 1 . Siehe auch R. D. Fulk,

4

Theodore M. Andersson

chen Aufschwungs und seines kulturellen Vorrangs auch literarisch einen Sonderfall dar. Es ist natürlich nicht unmöglich, daß England noch auf der mündlichen Stufe eine Sonderentwicklung erlebt hat, aber viele Forscher haben es für einleuchtender gehalten, eine rein literarische Erklärung für die einzigartige Stellung des Beowulf zu suchen. Solche Erklärungsversuche sind durch die mit allen altenglischen Gedichten verbundenen Datierungsschwierigkeiten wesentlich erschwert. Die Datierungen schwanken innerhalb eines Spielraumes von etwa 300 Jahren. Die neulich von ganz seriösen Forschern vorgeschlagene Spätdatierung des Beowulf zeigt, daß die frühere Vereinbarung um das Jahr 700 lediglich ein consensus criticorum und keine Lösung war. Wir wissen tatsächlich nicht, wann der Beowulf geschaffen wurde, und wenn wir es wüßten, wüßten wir nicht, welche schon vorhandenen Werke dem Beowulfdichter bekannt waren und ihm als epische Vorbilder hätten dienen können. Diese Werke zerfallen, grob gesehen, in zwei Kategorien, in die Bibeldichtung (Genesis A und B, Exodus, Daniel, Judith) und in die hagiographische Dichtung (Andreas, Juliana, Elene, Guthlac). Die meisten dieser Texte sind episch, d.h. größeren Umfangs, als wir für das germanische Heldenlied ansetzen dürfen. Die Genesis A umfaßt 2318 Verse und wird gewöhnlich früher datiert als der Beowulf10. Darüber hinaus sind all diese Texte aus lateinischen Vorlagen entstanden. Sie sind daher als rein literarische Produkte zu verstehen und können für die mündliche Theorie nicht in Anspruch genommen werden. Wenn die Genesis A oder irgendeines der vergleichbaren Gedichte schon vor dem Beowulf entstanden wäre, wäre die Vorstellung eines epischen Gedichts dem Beowulfdichter nicht fremd gewesen. Er wäre sich der Tatsache bewußt gewesen, daß er sich in einer bestimmten literarischen Tradition bewegte. Als weltliches Epos aber fallt Beowulf aus dem Rahmen der übrigen altenglischen Dichtung und ist aus biblischen und hagiographischen Vorbildern nicht ohne weiteres abzuleiten. Infolgedessen haben diejenigen Forscher, die an eine schriftliche Provenienz des Beowulf glauben, ihren Glauben damit gefestigt, daß sie einen Einfluß von dem im Mittelalter bekanntesten Epos, Virgils Aeneis, annehmen. Ein Glaube stützt den anderen, aber die Beweise für diese Auffassung bleiben noch aus11.

10 11

Review Article: Dating Beowulf to the Viking Age. In: Philological Quarterly 61, 1982, S. 341-59. A. N. Doane: Genesis A: A New Edition. Madison Wise. 1978. S. 3 6 - 37. Ich bin überzeugt, daß die Aeneis ein wichtiges Vorbild fiir den Beowulfdichter war, aber Niles (vgl. Anm. 8), S. 74—79, bringt schwerwiegende Argumente gegen diese Auffassung.

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

5

Wenn nun der literarisch voreingenommene Kritiker diese ausweglose Lage überschaut und die Argumente überprüft, fragt er sich zunächst, wie es eigentlich zustande kam, daß am Ende des siebten Jahrhunderts die Angelsachsen plötzlich eine neue Dichtkunst erfanden, für die es in der germanischen Welt kein Beispiel gibt, die aber eine merkwürdige Übereinstimmung mit der südslawischen und der auf hypothetischem Wege erschlossenen griechischen Praxis aufzeigt. Das Zeitalter des Beda Venerabiiis war ja eine literarisch hochentwickelte Epoche, und es wäre überraschend, wenn gerade diese Epoche darauf verfallen wäre, eine auf vorliterarische Kulturen abgestellte Dichtkunst neu zu erfinden. In der mündlichen Theorie geht es nicht nur darum, die dichterischen Konventionen des Kurzliedes auf das Epos zu übertragen, denn das Kurzlied war ein memoriertes Lied, das mit Überlegung gedichtet, von Dichter und Zuhörern auswendig gelernt, und memoriter überliefert wurde12. Die oral-formulaic-Kompositionsart verlangte hingegen ganz neue Schöpfungs- und Überlieferungsbedingungen. Wo hat man diese Bedingungen vorgefunden? Oder haben sie sich am Ende des siebten Jahrhunderts oder zu irgendeinem anderen historischen Zeitpunkt spontan entwickelt? Kurz, wie erklärt man den Übergang von einer Gedächtniskultur zu einer Improvisationskultur, und zwar mitten in einer hochliterarischen Zeit? Eine mögliche Lösung, die sich in neuester Zeit Walter Haug zu eigen gemacht hat, ist die Annahme, daß das kurze Heldenlied keine memorierte Form, sondern ebenso wie die südslawische Epik ein Produkt der oralformulaic-Komposition war13. Die Überlieferungslage reicht nicht aus, um die Memorialkomposition des germanischen Heldenlieds völlig sicherzustellen, aber alle verfügbaren Zeugnisse weisen in diese Richtung. Die Analogie der Skaldendichtung überhaupt und vor allem die detaillierte Beschreibung von Egill Skallagrimssons Kompositionsvorgang hinsichtlich der Hçfuôlausn bestätigen, daß Gedächtnispoesie die germanische Normalform war14. Die Voraussetzung anderer Kompositionsarten in der germanischen Welt heischt Sonderargumente, die bis jetzt ausgeblieben sind. 12

13

14

Ich beziehe mich auf die Formulierungen von Joseph Harris: Eddie Poetry as Oral Poetry: The Evidence of Parallel Passages in the Helgi Poems for Questions of Composition and Performance. In: Edda: A Collection of Essays. Hg v. Robert J. Glendinning und Haraldur Bessason. Univ. of Manitoba Press 1983. S. 2 1 1 - 1 3 . Mittelalterliche Epik: Ansätze, Brechungen und Perspektiven. In: Epische Stoffe des Mittelalters. Hg. v. Volker Mertens und Ulrich Müller. Stuttgart 1984. S. 2. Egils saga Skalla-Grimssonar. Hg. v. Siguröur Nordal. ÍF 2. Reykjavik 1933. S. 1 8 2 - 92. Ausschlaggebend ist der Gebrauch des Wortes festa (S . 183): ArinbjQrn sat {>ar viö glugginn alla nóttina, til {jess er lysti; en siòan er ArinbjQrn haföi J»r komit, {» orti Egill alia drápuna ok bafdi fest svâ, at bam matti kneòa um morgintnn, {Μ er hann hitti ArinbjQrn. Siehe auch Lars Lönnroth; Hjálmar's Death-Song and the Delivery of Eddie Poetry. In: Speculum 46, 1971, S. 1 - 2 0 .

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Theodore M. Andersson

Hinzu kommt der relativ stabile Inhalt der Heldendichtung über viele Jahrhunderte. Die Hamöismäl weichen nicht wesentlich von dem Auszug bei Jordanes ab. Das deutet eher auf eine feste Überlieferung als auf die loseren Bedingungen der oral-formulaic poetry. Schließlich spricht der Vortrag der Bjarkamál vor der Schlacht bei Stiklastaöir für Memorialüberlieferung. Hier wird ein wohlbekanntes Lied rezitiert. „Ok er Jaetta upphaf", schreibt Snorri, „und das ist der Anfang" — „Dagr es upp kominn / Dynja hana fjaôrar", usw. 15 . Kein Zweifel, wie der Anfang lautet, denn alle können das auswendig. Snorri braucht nur ein paar Zeilen zu zitieren, um das ganze Lied ins Gedächtnis zu rufen. Dieser Eindruck wird von Saxo Grammaticus bestärkt, als er die Bjarkamál in lateinische Hexameter umgestaltet. Auch er geht von einem wohlbekannten Lied und einem festen Text aus 16 . Überhaupt scheint Saxos Übersetzungstätigkeit eher das memorierte Heldenlied als eine jeweils neu zu konzipierende Heldenfabel vorauszusetzen. Aus diesen Gründen möchte ich glauben, daß Niles' Hypothese, derzufolge die oral-formulaic poetry neben der älteren Memorialform aufgewachsen wäre, der exklusiven Annahme von germanischer Improvisation bei Walter Haug vorzuziehen ist. Doch bleibt die Frage offen, ob Improvisation eine notwendige Voraussetzung für die Komposition des Beowulf ist. Gegen diese These wäre einzuwenden, daß der Beowulf als Erzählstruktur der mündlichen Hypothese augenfällig widerstrebt. Das Gedicht bietet keine einheitliche, geradlinige, den südslawischen Liedern vergleichbare Erzählung, sondern die Struktur ist geradezu berühmt-berüchtigt unzusammenhängend, sprunghaft und vielfach durch Abschweifungen unterbrochen. Dies ist nicht der gleichmäßige Erzählrhythmus, den wir von einem auf breiten Publikumserfolg bedachten, volkstümlichen Sänger erwarten. Die Handlung umfaßt drei große Kämpfe, von denen die zwei letzten durch eine Zeitspanne von fünfzig Jahren und eine Landesgrenze getrennt sind. Die historischen, genealogischen und literarischen Anspielungen sind nicht immer leicht zu durchschauen, und die dichterische Haltung ist betont moralisch. Man könnte natürlich anführen, daß die erzähltechnischen "Schwierigkeiten gerade auf der nicht völlig ausgereiften mündlichen Form beruhen, aber das widerspräche dem allgemein angenommenen und akzeptierten Vorrang des Beowulf, der alle anderen altenglischen Gedichte bei weitem übertrifft. Diese Erwägungen unterstützen, glaube ich, eine literarische Erklärung des Beowulfphänomens, aber ganz gleichgültig, ob wir uns für eine literarische oder eine mündliche Erklärung entscheiden, bleibt das fundamentale Problem bestehen: Wie überbrückt man den Unterschied zwischen dem 15

Heimskringla. Hg. v. Bjarni Aöalbjarnarson. ÍF 27. Reykjavik 1945. S. 361.

16

Gesta Danorum. Hg. v. J. Olrik und H. Racder. Kopenhagen 1931. S. 5 3 - 6 1 .

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

7

Kurzlied und dem Epos? Wie entsteht das eine aus dem anderen? Ich möchte im folgenden auf eine Reihe von Bausteinen aufmerksam machen, aus denen sich die Epenentwicklung auf rein literarischem Wege verstehen ließe. Man braucht keine unbekannten Größen einzuschalten, um die Entstehung des Beowulf zu begreifen. Man hat schon vor langem erkannt, daß dieses Gedicht das ältere Kurzlied voraussetzt und einschließt. Zumindest ist es klar, daß der Dichter das klassische Heldenlied kannte, denn er gibt eine Reihe von Liedinhalten wieder, wie etwa Sigmunds Drachenkampf, das Hengestlied oder das Ingeldlied. Joseph Harris geht in einer vor einigen Monaten erschienenen Übersicht über altenglische Heldendichtung noch weiter und deutet den Beowulf als eine Art Literaturkatalog, der viele der schon existierenden Kurzgattungen — Genealogie, Schöpfungshymne, Elegie, Heldenlied, Preislied, Streitgedicht, Ruhmrede, usw. — in einer mosaikhaften Großform rekapituliert und zusammenschließt 17 . Das wäre ein äußerst literarischer Vorgang. Indem ich die literarische Entstehungsweise nun einmal provisorisch akzeptiert habe, wende ich mich den erzähltechnischen Fragen zu. Wie hat der Dichter des Beowulf das altüberlieferte Kurzlied episiert? Ich fange mit einer Formel an: Da aras maenig goldhladen öegn, gyrde bine his swurde; öa to dura eodon drihtlice cempan. (Hengestlied, 13 — 14) garutun se irò guöhamun, gurtun sih tro suert ana, helidos, ubar ¿ringa, do sie to dero hiltiu ritun. (Hildebrandslied, 6 — 7) Die Halbzeilen gyrde hine his swurde / gurtun sih iro suert ana sind eine Formel, obwohl mit dieser Feststellung durchaus nicht entschieden ist, ob es sich um eine memorierte oder eine improvisierte Formel handelt. Der größere Zusammenhang in diesen Texten, in denen ein Kämpfer sich waffnet, um sich in den Streit zu begeben, könnte als Motiv gelten. Obgleich die Formel als solche im Nordischen nicht belegt ist, finden wir das größere Motiv in den Atlamál (Str. 42) wieder: FlycJjuz Jjeir Atli gengo svá gorvir,

oc fóro í brynior, at var garör milli.

Wenn dieses Motiv aus dem Kurzlied gelöst und ins Epos übertragen wird, erscheint es in erweiterter Form. Im Waltharius (537—41) wird der Held

17

Die altenglische Heldendichtung. In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. v. Klaus von See. Wiesbaden 1985. S. 2 6 6 - 6 7 .

8

Theodore M. Andersson

beim Anmarsch der fränkischen Gegner geweckt, er wischt sich die Augen, rüstet sich und übt sich für den bevorstehenden Kampf: Ipse oculos tersos somni glaucomate purgans Paulatim rígidos ferro vestiverat artus Atque gravem rursus parmam collegit et hastam Et saliens vacuas ferro transverberat auras Et celer ad pugnam telis prolusit amaram. Etwas der Ausdrucksweise des Hildebrandsliedes ganz Ähnliches mag in dem deutschen Urlied gestanden haben, aber die einfache Formel ist durch Virgils epische Sprachmittel ausgebaut worden. Episch noch vollständiger ist die Bewaffnung Beowulfs, als er gegen Grendels Mutter antritt (1441—72). Dieser Passus beginnt mit der mittlerweile geflügelten Formel: eorlgewaedum,

Gyrede hine Beowulf nalles for ealdre mearn.

Im älteren Heldenlied hätte diese Wendung als Vorspiel ausgereicht, aber der epische Dichter führte die Szene detaillierter aus. Er lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, daß die Rüstung Beowulf gegen den „Kampfgriff" der Feindin feien soll (1443 — 47). Die Herstellung und Ornamentik des Helmes werden ziemlich breit geschildert (1448—54). Das größte Lob aber spendet der Dichter dem Schwert Hrunting, das Unferth dem Beowulf bei dieser Gelegenheit leiht (1455—71). Am Ende kehrt der Dichter dann zur Eingangsformel zurück (1471-72): Ne wxs Jwem oörum swa, syöjaan he hine to guöe gegyred haefde. Der Dichter hat das überkommene, formelhafte Motiv gewissermaßen erschlossen und durch die Einfügung von ausfuhrlichen Waffenbeschreibungen zu epischen Dimensionen ausgestaltet; das ist in völliger Übereinstimmung mit Heuslers Anschwellungstheorie. Ein weiteres, wichtiges Konzept für die Theoretiker der mündlichen Dichtung ist die „type scene" oder Erzählschablone, ein Ausdruck, der zur Beschreibung wiederkehrender, durch ähnliche Handlungselemente gekennzeichneter Szenen dient. Das germanische Heldenlied ist bekanntlich eine szenisch sehr beschränkte Gattung. Wenn man sämtliche in deutscher, englischer, nordischer oder lateinischer Sprache überlieferten Zeugnisse überblickt, könnte man auf das folgende szenische Inventar schließen:18

18

Näher ausgeführt in meinem Aufsatz Tradition and Design in Beowulf. In: Old English Literature in Context: Ten Essays. Hg. v. John D. Niles. Cambridge 1980. S. 90-106.

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

9

Kampfszenen unter freiem Himmel Festszenen in der Fürstenhalle Saalkämpfe In heroischer Absicht unternommene Reisen Wächterszenen Begrüßungsszenen Abfertigung von Boten Beratungen des Helden mit Königen oder Königinnen Reizreden Abschiedsszenen

Diese zehn Erzählschablonen bestreiten so gut wie den gesamten Handlungsinhalt der germanischen Heldenlieder. Auffallenderweise erschöpfen sie nicht weniger vollständig den Inhalt des epischen Beowulf — mit einem wichtigen Unterschied allerdings: im Gegensatz zum Heldenlied, in dem jede Erzählschablone in der Regel nur einmal vorkommt, verwendet der Beowulfdichter die jeweilige Schablone mehrfach. Mit anderen Worten, er dehnt das Ausmaß des Gedichtes aus, ohne das szenische Inventar zu vermehren. Die Bauelemente bleiben unverändert, nur der Umfang ist neu. In einem gewissen Grade ist das epische Ausmaß des Beowulf eine Folge von Wiederholungen, aber auch jede individuelle Erzähleinheit im Gedicht erfährt eine fühlbare Ausweitung. Auf das Einfachste reduziert, besteht das Beowulfepos aus einer Folge von drei Großkämpfen. Jeder Kampf entspricht der Kernaktion eines alten Heldenliedes, etwa des Hildebrandliedes. Während aber das überlieferte Hildebrandslied nur 68 Zeilen beträgt und in der vollständigen Form nicht viel länger war, beläuft sich jede Kampfaktion im Beowulf auf ungefähr 400 Zeilen. Der Waffengang war das Hauptstück des altgermanischen Heldenliedes. Daß er auch zum frühesten altenglischen Bestand gehörte, geht nicht nur daraus hervor, daß er häufig vorkommt, sondern auch daraus, daß er in vollausgeprägter Form schon in der Genesis A (1982—2009) auftritt. Diese Textstelle enthält die weitaus radikalste Abweichung von der biblischen Vorlage, die wir in diesem Gedicht antreffen. Damit impliziert sie eine Vertrautheit des Dichters mit den traditionellen Mitteln der Schlachtbeschreibung. Aus flüchtigen Andeutungen einer Schlacht von vier verbündeten Königen gegen die Könige von Sodom und Gomorra im Tale Siddim (1. Mose, 8—11) hat der englische Dichter eine vollendete Schlachtschilderung aufgebaut, die alle Konventionen ausnützt: das Frohlocken der Leichenvögel, den Zusammenprall der Heere, das Waffengetöse, das Gemetzel, die Flucht der Männer von Sodom und Gomorra und das Plündern der Besiegten. Wenn die Datierung der Genesis A um 700 zu Recht besteht, war die Schlachtschilderung schon damals ein festes literarisches Schema.

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Die Schilderung in Genesis A umfaßt nur siebenund2wanzig Zeilen, aber dasselbe Schema tritt, auf das Zweifache erweitert, in anderen altenglischen Gedichten auf. Es wird in die Elene (99-150) und die Judith (289-349) eingebettet und erscheint selbständig in The Battle of Brunanburh (73 Verse). Eine noch ausführlichere Fassung, die metaphorisch für den Zusammenstoß zwischen dem Roten Meer und Pharaos Heer verwendet wird, begegnet in der Exodus (447 — 590). Die größte Flexibilität in der Ausnützung dieses Schemas bezeugen die 325 Verse (vielleicht waren es 400 in der vollständigen Form) des Battle of Maldon. Auch hier treffen wir dieselben Erzählelemente in derselben Reihenfolge an — die Anordnung der Heere, die Leichenvögel, das Kampfgetümmel, das Gemetzel, die Flucht — aber im Vergleich zu früheren Fassungen ist jedes Element episch ausgesponnen. Der Dichter verlängert die Anordnung der Heeresmacht dadurch, daß er einzelne Kämpfer heraushebt und kommentiert. Der Anfang der Schlacht wird verzögert und auf hundert Zeilen ausgedehnt dadurch, daß die Wikinger mit den englischen Verteidigern um die Kampfbedingungen verhandeln. Das Gemetzel, das in Brunanburh in zehn Zeilen abgetan wird, nimmt in Maldon dreiundsiebzig Zeilen ein. Die Identifizierung von einzelnen Flüchtlingen bringt die Beschreibung der englischen Niederlage auf 124 Zeilen. Daraus dürfen wir schließen, daß die Schlachtschilderung in der altenglischen Literatur ein flexibles Erzählschema hat. Dieselbe Motivkette tritt in den 27 Zeilen der Genesis A wie in den annähernd 400 Zeilen des Maldon auf. Wenn wir uns nun dem Beowulf zuwenden, können wir gleich feststellen, daß der Dichter dieses Werkes die Kurzform sowie die Langform der traditionellen Schlachtschilderung beherrschte. Die Schilderung des Kampfes in Ravenswood (2922—98) ist mit den übrigen Schilderungen sprachlich eng verwandt und entspricht dem Umfang nach den Schlachtszenen in Elene, Judith und Brunanburh, die wir als Kurzform bezeichnen können. Aber in seiner Beschreibung von Beowulfs drei großen Zweikämpfen bedient sich der Dichter einer ähnlich ausführlichen Erzähltechnik wie der Dichter des Battle of Maldon. Jeder Kampf beansprucht rund 400 Zeilen, so daß diese drei Hauptmomente insgesamt mehr als ein Drittel des ganzen Gedichts ausmachen. Ringkämpfe mit Ungeheuern oder ein Zweikampf mit einem Drachen lassen sich wohl nicht unmittelbar mit Heeresschlachten vergleichen, aber der Beowulfdichter wandelt das Schlachtschema tatsächlich in geistvoller Weise ab. Insoweit gesellt er sich dem Exodusdichter bei, der dasselbe Schema zum Zweck einer Beschreibung des Zusammenstoßes zwischen dem Roten Meer und den ägyptischen Soldaten umgestaltet und neu belebt. Auch im Beowulf wird jede Kampfszene in kontrastierenden Bildern festgehalten, die einerseits den in die Flucht gejagten Feind und andererseits den triumphieren-

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den Sieger veranschaulichen. Grendel versucht immer wieder, aus der Halle zu entfliehen, aber es gelingt ihm schließlich nur unter Verlust eines Armes, der als Beowulfs Siegeszeichen dient und als solches für die Siegesbeute der traditionellen Schlachtschilderung eintritt. Der Drachenkampf wird wiederum, genau wie in Battle of Maldon, als Kontrastgebilde ausgestaltet, in dem die Flucht des feigen comitatus der Treue einzelner Kampfgenossen gegenübergestellt wird. In diesem Fall soll der Drachenschatz als Siegesbeute verstanden werden, die den Ruhm des sterbenden, aber doch siegreichen Beowulf sichert. Wenn wir den Beowulf als das Endresultat einer graduell anwachsenden Episierung des altüberkommenen Szenenrepertoires und Formelschatzes des germanischen Heldenliedes verstehen, brauchen wir die Existenz eines mündlichen Epos nicht anzunehmen. Die Bausteine lagen schon bereit, der Dichter brauchte nur für den Mörtel zu sorgen. Ein solcher literarischer Vorgang war schon in den biblischen und hagiographischen Gedichten vorgegeben, und der Gedanke lag nahe, ihn auf weltliche Stoffe zu übertragen, wie das dann im Beowulf und in Maldon geschehen ist. Daß die Engländer als erste diesen Gedanken verwirklichten, überrascht nicht, denn sie waren die ersten, die das lateinische Kulturerbe rezipierten. Wenn die Engländer den epischen Anstoß aus der lateinischen Literatur übernommen haben, dürfen wir annehmen, daß die beiden anderen Hauptkulturen des germanischen Mittelalters, die Deutschen und Skandinavier, ähnlich verfahren sind. Die Analogie trifft auf Deutschland jedenfalls zu, aber hier trat der Begriff des Buchepos erst ein Jahrhundert später auf. In Deutschland zog man im Gegensatz zu England das Neue Testament vor, wie Heliand und Otfrids Evangelienbuch bezeugen, aber auch das Alte Testament wurde nicht vernachlässigt, wie die altsächsische Genesis und die altenglische Ubersetzung in Genesis Β beweisen. Die Bibelepik blieb in Deutschland also hinter dem englischen Vorstoß kaum zurück. Man brachte es aber nicht zum Beowulf-ähnlichen, volkssprachlichen, weltlichen Epos. Doch sollten wir nicht vergessen, daß der Gesamtunterschied zwischen der Produktion weltlicher Epen in England und Deutschland (ich lasse die Waldere-Fragmente beiseite) der Unterschied zwischen Eins und Null ist. Das kann natürlich als unendliche Menge, aber auch als unreduzierbares Mindestmaß aufgefaßt werden. Die Vorstellung des weltlichen Epos war jedenfalls in Deutschland nicht weniger bekannt als in England, wie Alfred Ebenbauer zuletzt ausführlich dargestellt hat19. Nur war die Verwirklichung dieser Vorstellung auf die 19

Carmen Historicum. Untersuchungen zur historischen Dichtung im karolingischen Europa. Bd. I. Wien 1978.

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lateinische Sprache beschränkt. Dem Beowulf am ehesten vergleichbar sind die 1456 Hexameter des Waltharius, eines Heldengedichts von unbestimmbarem Datum, das ich aber geneigt bin, dem frühen neunten Jahrhundert zuzuweisen20. Wie im Falle des Beowulf bezieht der Waltharius seine Fabel aus der germanischen Heldensage, aber ich möchte mit Nachdruck betonen, daß dieses Kleinepos den Gedanken an ein früheres deutsches mündliches Epos nicht hat aufkommen lassen. Dazu sind die klassischen Vorbilder bei Virgil und Statius zu offenkundig. In diesem Sinne scheint mir der Waltharius ein wichtiges Seitenstück zum Beowulf zu sein. Er läßt vermuten, daß die epische Breite nicht etwa aus einem mündlichen (d. h. oral-formulaic) Vorläufer hervorgeht, sondern aus klassischen Vorbildern. Mündliches Epos im Germanischen ist ein entbehrliches Konzept. In Skandinavien ist die Lage anders, weil der Norden sich die lateinische Kultur erst im 12. Jahrhundert angeeignet hat. Wegen dieser Verzögerung ist das germanische Kurzlied länger am Leben geblieben als im Süden. Es war noch im 12. Jahrhundert die Normalform für episches Erzählen, neben den Sagas in Prosa. Als zu Ende des Jahrhunderts die isländischen Dichter mit längeren Formen zu experimentieren anfingen, ließen sie sich nicht mehr von der Bibelepik oder von klassischen Vorbildern leiten, sondern von den vulgärsprachlichen Erzählliedern, die inzwischen in Deutschland entstanden waren. Das läßt der Prolog zur Piöreks saga vermuten21. In Deutschland war das ältere germanische Memoriallied durch längere, im Zeitraum von etwa 1150 — 1170 bereits schriftlich fixierte Kurzepen ersetzt worden (Dietrichund Nibelungenepen)22. Um die Jahrhundertwende war diese Entwicklung im Norden schon bekannt geworden, wo ähnliche Stoffe noch im kurzen Memoriallied im Umlauf waren. Die neue, halbepische Mode aus dem Süden regte die isländischen Dichter an, ihre alten Heldenlieder umzuarbeiten und in umfangreichere Formen umzugestalten. Die Atlakviôa in 43 Strophen wurde zum Beispiel in den 105 Strophen umfassenden Atlamál bearbeitet. Das alte Sigurdgedicht („Forna") wurde zuerst auf 77 Strophen in der Siguröarkviöa in skamma erweitert und später auf ein Ausmaß von nicht

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Für die Frühdatierung ist zuletzt Peter Dronke wieder eingetreten: 'Waltharius' and the 'Vita Waltharn'. In: PBB(T) 106, 1984, S. 3 9 0 - 4 0 2 . Zum Prolog Michael Curschmann: The Prologue of Röreks saga: Thirteenth-Century Reflections on Oral Traditional Literature. In: Scandinavian Studies 56, 1984, S. 140—51, und Verf.: An Interpretation of ftöreks saga. In: Structure and Meaning: Approaches to Old Norse Literature. Hg. v. John Lindow, Lars Lönnroth und Gerd Wolfgang Weber. The Viking Collections: Studies in Northern Civilization. Bd. 3. Odense 1986. Näher begründet in meinem Aufsatz The Encounter between Burgundians and Bavarians in Adventure 26 of the Nibelungenlied. In: JEGP 82, 1983, S. 3 6 5 - 7 3 .

Die Oral-Formulaic Poetry im Germanischen

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weniger als 200 Strophen in der ,Siguröarkviöa in meiri' entwickelt 23 . Diese isländischen Experimente haben nie den Umfang eines Beowulf oder Waltharius erreicht, doch bezeugen sie ein episches Bewußtsein und die Kenntnis des zu erstrebenden epischen Ideals. Sie zeigen auch, daß die Methoden, die angewandt wurden, um ein episches Ausmaß zu erreichen, immer noch dieselben waren, d. h. die Ausdehnung des memorierten Kurzliedes durch die Einfügung neuer Personen, neuer Auftritte und neuer Zwiegespräche. Die Entwicklung des Epos in der germanischen Welt war kein geheimnisvoller Vorgang. Sie vollzog sich in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten, in England im achten Jahrhundert, in Deutschland im neunten Jahrhundert und in Island im zwölften Jahrhundert, aber die Regeln blieben unverändert. Der Ausgangspunkt war das memorierte Kurzlied, das ins Keimen geriet, als es in England und Deutschland mit dem lateinischen Epos in Berührung kam, in Island hingegen mit der volkssprachlichen Epenentwicklung in Deutschland. Wie kam es aber zur formelhaften Ausdrucksweise? Wir haben gesehen, daß die germanische Epenbildung eine recht artifizielle Prozedur war. Die Zeilenzahl wuchs an, ohne daß der Motivbestand, die Handlungsressourcen oder die sprachlichen Ausdrucksmittel reicher wurden. Die germanische Epenkunst war eine ausgesprochen auf sich selbst bezogene Kunst, die keine entsprechende Sprachbereicherung mit sich gebracht hat. Die Dichter waren auf den alten Wortschatz und die alten memorierten Wendungen angewiesen, die sie je nach Talent abgewandelt haben, um den epischen Stil vorzutäuschen. Aus dieser Armut ist die Formelhaftigkeit entstanden. Das läßt sich am besten im Nibelungenlied nachweisen. Seine Hauptquelle war die Ältere Not24. Die Ältere Not wiederum entstand aus der Verbindung eines Grimhildliedes (das von Saxo Grammaticus bezeugt ist) mit dem ersten Dietrichepos, das die Gestalten Rüdeger und Dietrich lieferte. Das ist genau dasselbe schichtenweise Wachstum, das wir in den altenglischen Schlachtschilderungen und in den progressiv anwachsenden Sigurdliedern beobachtet haben. Aber mit der Entstehung des zweiten Teils des Nibelungenliedes aus der Älteren Not ist die epische Nachbildung noch nicht am Ende. Schon der Schreiber des Darmstädter Aventiurenverzeichnisses war sich im klaren darüber, daß die Festeinladung im ersten und zweiten Teil Analogiebildungen

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Näher ausgeführt in The Legend of Brynhild. Islandica, Bd. 43. Ithaca, Ν. Y. 1980, and "Did the Poet of Atlamál K n o w Atlaqviöa? In: Edda: A Collection of Essays, Hg. v. Robert J. Glendenning und Haraldur Bessason. Univ. of Manitoba Press 1983. S. 243—57. Über dieses hypothetische und häufig angezweifelte Gedicht zuletzt Werner Hoffmann: Das Nibelungenlied. Stuttgart 1982. S. 5 2 - 5 4 .

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waren25. Der Dichter hat vieles aus der Notdichtung zur Ausgestaltung des ersten Teiles genommen, Strukturelles (etwa Brautwerbungsschema), Szenisches (etwa Botenempfänge) und Sprachliches, obwohl es nicht immer feststeht, ob er die Ältere Not oder den schon fertiggestellten zweiten Teil des Nibelungenliedes ausgeschrieben hat. Wiederum sind die Darstellungsmittel gewissermaßen steckengeblieben, während die Erzählproportionen ganz bedeutend zugenommen haben. Aus diesem Mißverhältnis von statischen Erzählmitteln und stark erweitertem Umfang erwächst eine sprachliche Wiederholungskunst, die dem mündlich-formelhaften Stil der südslawischen Epik zum Verwechseln ähnlich ist. Dieser Stil ist aber nicht von der mündlichen Aufführung übernommen worden, sondern entsteht durch die stufenweise Ausgestaltung des sprachlich und szenisch beschränkten Memorialliedes, das allmählich ins Kurzepos umgewandelt wurde. Der Vorgang war durchweg literarisch und läßt sich ohne Zuflucht zur mündlichen Theorie erklären.

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Helmut de Boor: Die Bearbeitung des Nibelungenliedes (Darmstädter Aventiurenverzeichnis). In: PBB(T) 81, 1959, S. 180.

Heldenlied und „Historisches Lied" im Frühmittelalter — und davor VON A L F R E D EBENBAUER

I Wer über heroische und geschichtliche deutsche Literatur des frühen Mittelalters, insbesondere der Karolingerzeit, reden will, muß sich mit einiger Notwendigkeit ihren Vorstufen zuwenden und adfontes hinabsteigen. Er muß sich zunächst mit der germanischen Völkerwanderungszeit und ihrer Dichtung auseinandersetzen und gerät damit unweigerlich in den Bannkreis der Theorien Andreas Heuslers. Mag auch Einigkeit darüber bestehen, „daß das Modell, das Andreas Heusler zur Darstellung und Interpretation der germanischen-deutschen Heldendichtung entworfen hat, den literarhistorischen Gegebenheiten nicht gerecht wird", so übt es „in seiner eingängigen Simplizität und Stringenz einen derartigen Denkzwang aus, daß die Kritik eines halben Jahrhunderts [. . .] es — im Prinzip — nicht aus den Angeln zu heben vermochte"1. Ich rufe in Erinnerung: Für Andreas Heusler gab es in der gemeingermanischen Epoche zwei „höhere Gattungen", das „Heldenlied" und das „PreisliedZeitgedicht"2. „ .Historische Lieder' als eine besondre, dritte [. . .] Gattung setzen wir bei den stabreimenden Germanen nicht an" 3 . Die beiden Gattungen definiert Heusler folgendermaßen: Das Heldenlied „ist ein größeres Werk . . . vorbedacht und auswendig gelernt, für den Einzelvortrag bestimmt. Es gehört zu den objektiven Gattungen, ohne ausgesprochene Beziehung auf die Gegenwart. Sein Inhalt ist eine heroische Fabel aus zeitlosem Einst; eine einkreisige Geschichte von straffem Umriß, sparsam mit Auftritten und Menschen. Die Darstellung ist episch-dramatisch zu nennen [. . .] Summarischer Bericht tritt zurück hinter geschauten Szenen, die sich ruckweise folgen." 4 Das „Preisfefed-Zeitgedicht" sieht so aus: „Ein Gedicht zu Ehren eines Gönners, vielstrophig, wohlvorbereitet, vom Einzelnen aus dem Gedächtnis vorgetragen. Es berichtet von den

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Walter Haug: Andreas Heuslers Heldensagenmodell: Prämissen, Kritik und Gegenentwurf. In: ZfdA 104, 1975, S. 273 f. Andreas Heusler: Die altgermanische Dichtung. 2 1943. Nachdruck Darmstadt 1967. S. 26 f. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 123. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 153.

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Alfred Ebenbauer meist kriegerischen Taten des Gefeierten und seiner Freigebigkeit. Sachliche Erzählung wechselt mit schildernden und mit preisenden Stellen. Der aus der Nähe gesehene Stoff ist nicht zur Fabel geballt, daher redelos. Es schwingt zwischen Verschronik und Lyrik (Hymnus)."5

Diese Definitionen Heuslers lassen sich folgendermaßen schematisieren: Heldenlied kein Gegenwartsbezug erzählend mit geballter Fabel mit direkter Rede szenisch episch-dramatisch

Preislied-Zeitgedicht Gegenwartsbezug aufzählend/herzählend ohne Fabel ohne direkte Rede nicht-szenisch lyrisch-hymnisch

Es ist nun klar, daß ein Text wie das ahd. Ludwigslied, das unmittelbar nach dem historischen Ereignis (Schlacht von Saucourt [881]) in epischdramatischer (szenischer) Form mit direkter Rede das Geschehen besingt, in dieses Schema nicht hineinpaßt. Heusler tut daher auch das Ludwigslied kurz ab: Es ist ein „sekundäres Produkt" aus geistlicher Feder mit geistlicher Drahtpuppengesinnung. Aus der germanisch-deutschen Literaturtradition habe das Gedicht hinauszufallen6. Heusler gewinnt seine Gattungssystematik im wesentlichen aus der Literatursituation des skandinavischen Nordens, aus den eddischen Heldenliedern und aus den Fürstenpreisliedern der Skalden. Er projiziert also ein aus früh- und hochmittelalterlichen Texten gewonnenes Gattungssystem in die germanische Frühzeit zurück. Das provozierte und provoziert die Frage: Hat Heusler mit seiner Vorgangsweise recht? Gab es wirklich diese Gattungen und gab es nur diese Gattungen? An der Existenz eines völkerwanderungszeitlichen Heldenliedes werden wir wahrscheinlich nicht zweifeln, und vielleicht hat dieses Heldenlied auch in etwa so ausgesehen, wie Heusler es sich — nach dem Muster der Atlakviöa — vorstellte7. Aber was hat es mit dem „Preislied-Zeitgedicht" auf sich? Bereits die merkwürdige Verbindung von zwei nicht gerade eindeutigen Typenbezeichnungen („Preislied" und „Zeitgedicht") macht stutzig, und die Orientierung von Heuslers Beschreibung der Gattung am skaldischen Fürstenpreis — einer doch sehr spezifisch skandinavischen Dichtungsart — stimmt bedenklich. So schreibt etwa Helmut de Boor: „Auf dt. Boden dürfte das Ludwigslied [. . .] der germ. Stilisierung des P[reisliedes] näher kommen als die nordischen 5 6 7

Heusler [vgl. Anm. 2], S. 123. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 129 f. Vgl. die Bedenken bei Klaus von See: Germanische Heldensage. Stoffe, Probleme, Methoden. Frankfurt 1971. S. 98.

Heldenlied und „Historisches Lied"

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Belege [. . .]" 8 . Das bedeutet: Für de Boor war das germanische Preislied weder redelos noch aufzählend, es hatte eine Fabel und war szenisch gebaut. — Wer hat recht, Heusler oder de Boor? Primärquellen aus der Völkerwanderungszeit fehlen natürlich, man ist bei der Beantwortung der Frage auf die sogenannten „Zeugnisse" verwiesen, auf Hinweise in lateinischen und griechischen Quellen. Es ist hier nicht der Ort, alle diese Belege zu diskutieren. Eine Stelle scheint jedoch der Überprüfung standzuhalten und Heuslers Ansicht zu stützen, nämlich die Nachricht des Priskos, der als oströmischer Gesandter im Jahr 446 an Attilas Hof kam. Er berichtet, daß beim abendlichen Festmahl zwei (germanische?) Sänger an Attilas Hof dessen „Siege und Kriegertugenden" besungen hätten9. Das weist mit einiger Sicherheit auf einen reihenden und gegenwartsbezogenen Fürstenpreis, nicht auf einen handlungsorientierten episch-dramatischen Gesang. Ein Werk von der Art des Ludwigsliedes läßt sich jedenfalls mit der Formulierung des Priskos kaum beschreiben. Die Folgerung heißt: Das „aufzählende Preislied" hat allem Anschein nach existiert. Die nächste Frage muß lauten: Hat es in der Völkerwanderungszeit nur das „Heldenlied" und das „aufzählende Preislied" (als „höhere Gattungen") gegeben, oder war das Spektrum vielfältiger und reichhaltiger? Gibt es Hinweise auf Lieder, die nicht in Heuslers Gattungsdichotomie hineinpassen? D.h.: Läßt sich ein Heldenlied mit Gegenwartsbezug und (nicht-tragischer) Fabel finden? Die Frage ist m. E. zu bejahen. Der Widsith gibt in wenigen Versen (V. 35—44) einen knappen und lebhaften Auszug aus der Geschichte des Helden Offa, der in einem Einzelkampf einen mächtigen Gegner bezwang: 35

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O f f a mold Ongle Alewih Denum: se was para manna modgast ealra; nohwapre he ofer Offan eorlscype fremede; ac O f f a geslog arest monna cnibt wesende cjnerica mast; nœnig efeneald him eorlscipe maran on orette ane sweorde: merce gemarde wiÖ Myrgingum bi Fifeldore: heoldon forò sippan Engle ond Swafe, swa hit O f f a geslogw. Helmut de Boot, s. v. .Preislied'. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte II. Berlin 1926/28. S. 722. Priskos: Historia Gothorum 205,11. Widsith, V. 35 ff., zit. nach R. W. Chambers: Widsith. A Study in Old English Heroic Legend. Cambridge 1912. S. 202 ff. - Weitere Belegstellen zur Offasage bei Heiko Uecker: Germanische Heldensagen ( = Slg. Metzler 106). Stuttgart 1972. S. 100ff.

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Daß hier eine „geschlossene Fabel" vorliegt, läßt sich kaum leugnen. Das weist in Heuslers System eindeutig auf Heldenlied: „Worauf es [beim Heldenlied] ankommt: die mehr zuständliche und typische Masse mußte sich schürzen zur bewegten einmaligen Fabel mit dramatischen Reden. [. . .] dies ist der Unterschied zwischen Zeitgedicht und Heldenlied."11 So wurde konsequenterweise für Heusler die Offa-Sage (um 500) von einem Skop zum Heldenlied gestaltet12. Andere votierten gegen diese Auffassung und rechneten mit einer weiteren germanischen Liedgattung. Vor Heusler sprach schon R. Koegel13 von einem „episch-historischen Lied" und Georg Baesecke14 nahm das Offa-Lied für einen eigenen Typ, ein „einsträngiges-geradliniges Heldenlied", das nicht in Wechselreden kulminierte und keine Tragik kannte. Wer hat recht, Heusler oder seine Kritiker — und worum geht es dabei eigentlich? Zunächst einmal geht es um den tragischen Aspekt der Offa-Fabel. Die Offageschichte erzählt von einem heroischen Sieg, nicht von einem tragischen Konflikt. Heusler hat die Tragik des Heldenliedes oft angesprochen, aber in der oben zitierten Gattungsdefinition wird Tragik nicht als konstituierend für das germanische Heldenlied angesehen. Ich glaube, mit Recht. Die germanische Heldendichtung erscheint nicht „schlechtweg als eine Dichtung des düsteren Verhängnisses"15. Diesbezüglich besteht kein Anlaß, die Offa-Geschichte aus der Heldendichtung auszuklammern. Dann ist da die Frage der Wechselrede. Die Rede ist nun in der Tat ein Konstituens der germanischen Heldendichtung. Aber: Läßt denn die WidsithStelle eine Aussage darüber zu, ob Offa und sein(e) Gegner geredet haben oder welche Rolle die szenische Gestaltung im Offa-Lied spielte? Doch wohl kaum. Dieser Punkt führt nicht weiter. Bleiben die Parteilichkeit und die „vaterländische Begeisterung", also politische und historische Aktualität, als Argument gegen Offas Heldencharakter. Das ist nun freilich eine schwierige Sache, geht es doch dabei letztlich um den entscheidenden Fragenkomplex: Heldendichtung und Geschichte. Wie sieht es damit bei der Offa-Geschichte aus? Heusler16 rechnet mit der Entstehung eines Offa-Liedes um 500, d. h. er setzt einen Abstand von über 100 Jahren zwischen dem zugrunde liegenden historischen Geschehen (vor 11 12 13

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Heusler [vgl. Anm. 2], S. 156. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 158 Anm. 1. Rudolf Koegel: Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgange des Mittelalters. Bd. 1,1. Straßburg 1894. S. 160. Georg Baesecke: Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums. Bd. I. Halle/Saale 1940. S. 469. Hermann Schneider: Heldendichtung, Geistlichendichtung, Ritterdichtung. Heidelberg 2 1943. S. 13. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 158 Anm. 1.

Heldenlied und „Historisches Lied"

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der Auswanderung der Angeln nach England im 5. Jh.) und seiner Gestaltung im Lied an. Dazwischen habe der Stoff als „ortsgebundene Volkssage" gelebt. Warum aber kann nicht schon in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts Offas siegreicher Kampf in einem Lied besungen worden sein? Wohl weil Heuslers Heldenlied keinen Gegenwartsbezug kennen darf und weil das Offa-Lied ein Heldenlied bleiben muß, denn sonst gäbe es neben Preislied und Heldenlied ja noch eine dritte Liedform, ein Preislied mit Fabel (und Redeszene). Grundsätzlich besteht aber für den von Heusler angenommenen Zeitabstand zwischen historischem Geschehen und Liedgestaltung keine Notwendigkeit. Zudem erledigt der angenommene Zeitabstand das anstehende Problem nur scheinbar, denn noch in der Darstellung des Widsith schimmert so etwas wie Aktualität des Geschehens durch17. Die Konsequenz aus diesem Dilemma hat Klaus von See18 gezogen, wenn er fragt: „Aber ist die Offa-Fabel überhaupt jemals eine Heldensage gewesen?" Die Antwort von Sees fallt negativ aus: „[. . .] es ist durchaus möglich, daß dieser Überlieferung ein Preislied zugrundeliegt, denn im Widsith-Bericht scheint der einseitig-parteiliche Preis, die vaterländische Begeisterung noch durchzuschlagen [. . .] Aber aus diesem Preislied hat sich keine Heldensage entwickelt." Indem von See das Offa-Lied als „Preislied" bezeichnet, hat er freilich Heuslers Gattungsdichotomie zerstört. Eine Fabel hatte das Offalied und wohl auch episch-dramatische Darstellung. Das aber ist für ein Heuslersches „Preislied" nicht möglich. Wie man es auch wendet, die Offa-Geschichte bleibt aus Heuslers Sicht der Dinge ein Problem, die Kritik an Heusler besteht zu Recht: Entweder spricht man Heldenliedern doch eine Art von Aktualität und Gegenwartsbezug zu, weicht also Heuslers Merkmalkatalog auf, oder man führt eine dritte Liedgruppe ein und stellt die Zweizahl der „höheren Gattungen" in Frage. Jedenfalls sollte man mit einem episch-dramatischen Lied mit „geballter Fabel" (plot), mit direkter Rede (?) und Gegenwartsbezug rechnen. Welche Folgerungen ergeben sich nun aus diesen Überlegungen? Die Einführung einer „dritten höheren Gattung" in das Heuslersche Gattungssystem verliert an Gewicht, wenn man den diachronen, den literarhistorischen Aspekt in den Vordergrund rückt, wie es F. Genzmer19 versucht, für den das „epische Lied" eine Vorstufe des Heldenlieds und des Preislieds ist. Genzmer

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Was auch Heusler: Geschichtliches und Mythisches in der germanischen Heldensage, in: A. H.: Kleine Schriften. Bd. II. Berlin 1969. S. 500 f. einräumt, daß nämlich der Offa-Geschichte „ein vaterländischer Zug . . . seit alters zukam." von See [vgl. Anm. 7], S. 80. Felix Genzmer: Vorgeschichtliche und frühgeschichtliche Zeit. In: Annalen der deutschen Literatur. Hg. v. Heinz O. Burger. Stuttgart 2 1971. S. 10.

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denkt dabei an die Lieder auf Arminius, von denen Tacitus (Annales II 88) spricht. Ähnlich sah es schon G. Baesecke20, nur mit anderer Terminologie und Reihenfolge: Am Anfang stand das Preislied, das mit Geschichtlichem angereichert wurde und über ein „geradliniges Heldenlied" zum „Heldenlied" führte. Solche Vorschläge sind problematisch. Zunächst vom Material her, da wir von den „Arminiusliedern" zuwenig wissen; dann aber vor allem wegen der Frage: Wie soll man sich die von Baesecke und Genzmer angenommene Gattungsentwicklung vorstellen? Wenn man Heuslers Bestimmung des „Preisliedes" ernst nimmt — und ich glaube, das muß man —, dann scheint kein Weg vom epischen Lied zum Preislied (Genzmer) oder vom Preislied zum Heldenlied (Baesecke) zu führen. Weder der Übergang von einem erzählenden „epischen Lied" zu einem aufzählenden Preisgedicht (Genzmer) ist wahrscheinlich, noch auch eine Entwicklung von einem aufzählenden Preisgedicht zu einem erzählenden Heldengedicht (Baesecke). Das aufzählende lyrischhymnische Preislied ist ein Typus sui generis, seine Verwandten sind der Hymnus und das Merkgedicht. Ein solches Lied wird durch Anreicherung mit Historischem nicht episch, sondern länger. Hymnischer Tatenpreis führt nicht zu episch-dialogischer Gestaltung. Das hat Heusler21 richtig gesehen und Sätze wie „Das Heldenlied ist eine jüngere Stufe des Preislieds" abgelehnt. Es bleibt die Frage nach dem synchronen Verhältnis des „dritten Typs" zum Heldenlied. Das „epische Lied", bzw. das „geradlinige Heldenlied" oder das „historische" Lied haben offensichtlich gleichzeitig mit dem Heldenlied existiert. Genzmer22 hat das schön demonstriert: Der Beowulfdichter erzählt uns (V. 867 ff.), daß unmittelbar nach Beowulfs siegreichem Grendelkampf ein Lied erschaffen und gesungen wurde, das diese Tat in Verse bringt. Dabei handelt es sich wohl nicht um ein „aufzählendes Preislied", sondern um ein zur Fabel geballtes (Helden-)Lied. Aber — so Genzmer — wir hören nicht, „daß einer der Anwesenden zu ihm [dem Heldensänger] gesagt hätte: ,Was singst du denn da? Weißt du denn nicht, daß es von gegenwärtigen Heldentaten nur Preislieder gibt?' " — Aktualität und Gegenwartsbezug können nicht so rigoros aus der germanischen Heldendichtung gestrichen werden, wie Heusler dies tut. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß im Heldenlied — freilich in unterschiedlichem Ausmaß — dem Geschehen sein historisches Fundament 20

21 22

Baesecke [vgl. Anm. 14], S. 366. — Als Beispiel für die Übergangsstufe dient wieder das Offa-Lied, das freilich die Beweislast, wie von See [vgl. Anm. 7], S. 80 zutreffend vermerkt, nicht zu tragen vermag, denn das Einzellied kann schwerlich etwas über Gattungsgeschichte aussagen. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 156. Felix Genzmer: Vorzeitsaga und Heldenlied. In: Festschrift für P. Kluckhon und H. Schneider. Tübingen 1948. S. 30.

Heldenlied und „Historisches Lied"

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genommen ist. Zur Diskussion steht also die Grenze zwischen Heldenlied und „historisch-epischem" Lied. Vor Heusler hat Joseph Seemüller23 in gut romantischer Tradition die Auffassung vertreten, daß das (einzelne) Heldenlied aus dem „historischen Lied" hervorgehe. Ausgangspunkt einzelner Heldenlieder sind demnach „historische Lieder", die „mit aufsteigender Entwicklung des historischen Sinns" zum „historischen Gedicht" werden können; bleibt das historische Gedicht aber auf dem ihm eigenen „volkstümlichen Boden" und vergrößert sich der Abstand zum historischen Ereignis, so geht der Weg „auf dieser historisch absteigenden poetisch aber ansteigenden Linie" „vom historischen zum epischen Lied". Das läßt sich schematisch so darstellen: historisches Gedicht

historisch

historisches Lied poetisch Was Seemüller hier formuliert, ist die Theorie von der „Verwandlung des ursprünglich Historischen ins Epische", ein Vorgang, den Markus Diebold24 als jenen Sublimierungsprozeß bezeichnet, der aktuelle Heldendichtung zur traditionellen werden läßt. Die These Seemüllers muß nach Heuslers Vorbild differenziert gesehen werden25: „Denkt man sich dies als Vorgang, der die Gattung schuf, oder der dem einzelnen Heldenlied zum Dasein verhalf?" Heuslers Stellungnahme: „Das zweite wäre leichter vorstellbar." Das Umgestalten einzelner Lieder zu Heldenliedern müßte dann im „Erlöschen der zeitgeschichtlichen, der ,aktuellen' Beleuchtung" bestehen, diese sei durch „die allgemein menschliche Teilnahme" ersetzt. Und: „Wer wollte die Möglichkeit dieses Vorganges bestreiten?"26 Die Möglichkeit wird eingeräumt, das Faktum aber dennoch bestritten, wenn Heusler meint: „Halten wir uns an die bekannten, überlieferten Zeitgedichte, nämlich die nordischen, dann wird der Schritt [seil, vom Zeitlied zum Heldenlied] riesengroß." Ferner sei bei den Germanen kein „Zeitgedicht"

23

24

25 26

Joseph Seemüller: Studie zu den Ursprüngen der altdeutschen Historiographie. In: Festschrift für Richard Heinzel. Halle/Saale 1898. S. 318 ff., bes. S. 320. Markus Diebold: Das Sagelied. Die aktuelle deutsche Heldendichtung der Nachvölkerwanderungszeit ( = Europ. HSS I 94). Frankfurt 1974. S. 101. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 156. Heusler [vgl. Anm. 2], S. 156.

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bekannt, das sich zum Heldenlied entwickelt habe, und kein Heldenlied, das sich zwanglos auf ein „Zeitgedicht" zurückführen ließe. Diese Feststellungen Heuslers sind zweifellos richtig, und doch gibt es Probleme. Man kann schwerlich ein Zeugnis für den Übergang eines Zeitlieds zum Heldenlied fordern, wenn weder ein Zeitgedicht noch ein Heldengedicht der Frühzeit erhalten ist. Die Frage des Übergangs ist auf Rekonstruktion angewiesen, genauso wie Heuslers Gattungssystem. Dazu kommt aber etwas Grundsätzlicheres: Seemüller spricht von einem „historischen Lied" als Vorstufe eines Heldenliedes. Ein „historisches Lied" hat es aber als Gattung der Frühzeit für Heusler nicht gegeben. Heusler setzt für das „historische Lied" Seemüllers sein „Zeitlied-Preisgedicht", bestreitet Seemüllers Auffassung — und trifft daneben. Heusler und Seemüller sprechen von verschiedenen Dingen. Heuslers Argumentation bewegt sich im Kreis: Der Abstand zwischen „Heldenlied" und „Preislied-Zeitgedicht" sei zu groß, als daß es Berührungen geben könnte, Kontakte des „Heldenliedes" mit dem „historischen Lied" seien zwar möglich, da es aber keine „historischen Lieder" gegeben habe, gebe es auch keine Verwandlung des Historischen ins Epische. Wenn freilich „historische Lieder" (als „dritter Typ") anzunehmen sind, dann muß und kann mit der Möglichkeit „historischer Lieder" als Vorstufen von „Heldenliedern" (auch nach Heusler) weiter gerechnet werden. In einem Punkt freilich verdient Heuslers Kritik Beachtung: Für Seemüller ist der Prozeß der Enthistorisierung, der zum Heldenlied (er sagt „episches Lied") führt, eine Art Grundgesetz, eine literarhistorische Notwendigkeit. Das Heldenlied entsteht sozusagen unbewußt, durch die Distanz von den Vorgängen. Für Heusler27 ist dagegen der Abstand zwischen Heldensage und Geschichte „viel zu groß, als daß er sich aus der kindlichen Sehart der Zeitgenossen erklärte." Heusler seinerseits betont den schöpferischen Anteil des Dichters: „Die bloße Ferne des Standpunkts erklärt nicht das Schöpferische, das Herausarbeiten einer ergreifenden Fabel." — Aber schließen diese gegensätzlichen Positionen einander wirklich völlig aus, geht es dabei nicht nur um eine unterschiedliche Akzentuierung? Schöpferischer Impuls und Entwicklungsprozeß können ja — trotz Heuslers Dementi — vielleicht auch Hand in Hand gehen. Heuslers Auffassung von der Dichtung der völkerwanderungszeitlichen Germanen ist m. E. dahingehend zu korrigieren, daß man auch mit „aktuellen" Heldenliedern (epischen Liedern, einsträngigen Liedern, historischen [Preis-]Liedern usw.) rechnen muß und daß dem Merkmal „gegenwärtig" nicht die Bedeutung zukommt, die Heusler ihm einräumen möchte. Wird dies zugestanden, dann spricht nichts dagegen, daß derartige Lieder durch 27

Heusler [vgl. Anm. 2], S. 162 f.

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Herausarbeiten der „allgemein-menschlichen Fabel", durch Episierung von Historischem zu einem Heldenlied „sublimiert" werden konnten, wodurch der unmittelbare schöpferische Zugriff eines „wirklichen" Dichters auf einen mehr oder weniger geschichtsträchtigen Stoff nicht ausgeschlossen ist. Die bisherigen Überlegungen gingen von Heuslers Konzeption der „höheren Gattungen" der gemeingermanischen Dichtung der Völkerwanderungszeit aus; sie waren sozusagen der Versuch einer immanenten Kritik, wollten Heuslers Darstellung zurechtrücken. Das ist, wie Walter Haug 2 8 feststellt, nur ein Weg, Heuslers Entwurf zu korrigieren. Nach Haug gibt es auch noch eine andere Möglichkeit, nämlich die Kritik von Heuslers Prämissen. Damit meint Haug die „Befreiung der Heldensage aus dem innerliterarischen Raum, die Öffnung zu den historischen, mythischen, unterliterarischen sagen- und märchenhaften Schichten" der Überlieferung. Das ist freilich kein einfaches Unterfangen, denn: „Wenn Heusler durch seine Vorstellung vom dichterischen Schöpfungsakt zwischen dem außerliterarischen und dem literarischen Bereich eine fast absolute Grenze aufgerichtet hat, so ist wenig gewonnen, wenn man diese Grenze nun einfach leugnet und mit einem ungebrochenen Kontinuum zwischen der Heldensage und dem Mythischen, dem Märchenhaften, dem Historischen zu arbeiten versucht." In meinem Fragebereich können das Mythische und das Märchenhafte außer Betracht bleiben, Augenmerk verdient das Historische. Wie will Haug hier Heuslers Prämissen kritisieren? Was setzt er an deren Stelle? Haug 2 9 ist mit Heusler (und damit gegen Seemüller) darin einig, daß sich die Heldensage aus historischen Ereignissen „nicht in einer Art selbsttätiger Entwicklung" ergibt, vielmehr muß „das geschichtliche Ereignis [. . .] unter dem Aspekt erscheinen bzw. gesehen werden, der es zu einer heldensagenhaften Gestaltung qualifiziert", (ib.) Auch für Haug liegt zwischen Geschichte und Heldendichtung eine Grenze, ein „diskontinuierliches Moment", das Haug — im Gegensatz zu Heusler — so fassen möchte: „Die Sage stellt Situationsschemata bereit, von denen her geschichtliche Ereignisse zu verstehen, d. h. in sinnvollem Zusammenhang zu sehen und zu formulieren sind — wobei die Möglichkeit einer bewußten politischen Tendenz (Legitimierung eines Herrschaftsanspruchs, eines Dynastiewechsels usw.) mit zu berücksichtigen ist. Das diskontinuierliche Moment wäre das vorgegebene Schema." Was in Heuslers ästhetischer Konzeption das autonome, schöpferische Individuum leistet, das leistet für Haug das Schema: die (teilweise) Verkehrung der

28

29

Walter Haug: Die historische Dietrichsage. Zum Problem der Literarisierung geschichtlicher Fakten. In: ZfdA 100, 1971, S. 44 ff. Haug [vgl. Anm. 28], S. 46 ff.

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geschichtlichen Ereignisse in ihr Gegenteil. Oder, wie Haug 3 0 in einem späteren Beitrag formuliert: „Heroische Epik konstituiert sich dadurch, daß historische Erfahrung mittels literarischer Schemata zu sich selbst kommt." Das bedeutet, „daß das literarische Schema in gewisser Weise das Primäre sei". Also statt: „Am Anfang war der Dichter" — ein: „Am Anfang war das Schema". Mit diesem Ansatz meint Haug, die drei zentralen Axiome von Heuslers Heldensagentheorie grundsätzlich in Frage gestellt zu haben, nämlich: 1) das Axiom von der literarischen Ablösung der Heldensage von der Geschichte (Enthistorisierung, Entpolitisierung, Privatisierung im Sinne allgemein menschlicher Probleme und Konflikte), 2) das Axiom von der Geschlossenheit des literarischen Typus, d. h. die Abgrenzung der heldenepischen Gattungen von den übrigen literarischen Gattungen, 3) das Axiom von der Entwicklung der Heldendichtung als Folge von Neukonzeptionen auf der Basis fester Formen (Lied-Epos-Frage).

Demgegenüber formuliert Haug die drei Axiome um: 31 Die Heldensage sei „gerade als literarische eminent geschichtlich", es werden „vorgegebene literarische Schemata in den Dienst historischer Erfahrung gestellt" (1); für die Heldensage seien immer schon die beiden Möglichkeiten der „heroischen Stilisierung" und der „literarischen Entfaltung" gegeben (2); der Übergang vom Lied zum Epos sei nicht nur als „Anschwellung", sondern auch unter dem Aspekt der Herausbildung „eines spezifisch heroisch-historischen Bewußtseins" zu verstehen (3). Das sind wichtige Überlegungen, aber es bleiben doch einige grundsätzliche Fragen. Haugs unbezweifelbares Verdienst ist es zunächst, die eigentliche Prämisse von Heuslers Axiomen problematisiert zu haben, nämlich „die Prämisse der literarischen Autonomie der heroischen Dichtung" 3 2 . Literarische Autonomie, wie Heusler sie sieht, kann wohl heute unbestritten als als eine „Erfindung" von Heuslers Epoche gelten. Heldendichtung hatte sicher eine historisch-gesellschaftlich-politische Funktion, das ist — wie Haug treffend festhält — „eine literaturtheoretische Selbstverständlichkeit" geworden. Wie aber steht es mit den von dieser Prämisse abgeleiteten Axiomen und Haugs Schemata? Haug provoziert mit seinen Ausführungen nachgerade die Frage: Was sind diese Schemata, mittels derer historische Erfahrung zu sich selbst kommt? Es scheint mir zwei Möglichkeiten zu geben: 1) Es handelt sich um literarische Schemata, Vorgaben, mit deren Hilfe der Dichter im Rahmen einer etablierten Gattung Heldenlied historisches 30 31 32

Haug [vgl. Anm. 1], S. 281 f. Haug [vgl. Anm. 1], S. 292. Haug [vgl. Anm. 1], S. 277.

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Geschehen zum Heldengedicht verarbeitet. Das Schema ist dann Bestandteil und Gattungskonstituente der Heldendichtung. Um bei einem Beispiel Haugs zu bleiben: Der Sänger des Heldenliedes gestaltet die historischen Ereignisse um Ermanerich nach dem „literarischen Muster": „Verstellung des betrogenen Mannes und der verräterische Rat" (S. 280) um, weil eben dieses literarische Schema (neben anderen) spezifisch für ein Heldengedicht ist, um nicht zu sagen, die Heldendichtung konstituiert. — In diesem Fall würde Haug freilich nur in sehr geringem Ausmaß von Heusler abweichen. An die Stelle des schöpferischen Dichters, der die ergreifende Fabel aus dem historischen Geschehen herausarbeitet, würde eine „Technik" der literarischen Formung treten, die wohl eben dieser Dichter zu handhaben hätte. (Der Heldenliedverfasser würde an einen Kriminalautor erinnern, der die täglichen Kriminalfälle unter dem Raster der Darstellungsschemata des Kriminalromans betrachtet.) Heuslers Prämisse wäre nicht kritisiert, sondern der schöpferische Dichter durch einen „gelernten Dichter", der seine Schemata beherrscht, ersetzt. 2) Es handelt sich um historische Schemata, um Formen der Geschichtsbetrachtung, die nicht dem Heldendichter, sondern der Zeitepoche eigen sind, also Formen der historischen Erfahrung, die nicht auf der modernen Vorstellung von historischer Tatsächlichkeit beruhen 33 . Da mag es nun verschiedene Arten von geschichtserfassenden Schemata geben: Historische Erfahrung kann ebenso durch mythische Schemata zu sich selbst kommen, wie durch soziale Denkmuster (wenn etwa Staatlichkeit von der Struktur der Sippe oder Gefolgschaft gesehen werden „mußte"). Wie immer man nun solche Muster zur Aneignung historischer Erfahrung versteht, um sie kennenzulernen, wäre es notwendig, das Geschichtsverständnis der betreffenden Epoche insgesamt zu untersuchen — was Haug unterlassen hat. Besonders problematisch wird Haugs kritischer Ansatz angesichts der Frage einer „dritten, höheren Gattung" der germanischen völkerwanderungszeitlichen Dichtung. Haug meint zwar, durch die Neuformulierung von Heuslers zweitem Axiom das Gattungsproblem zumindest neu formuliert zu haben, aber für die Frage verschiedener Liedtypen ergibt sich daraus nichts. Haug spricht von Gattungen wie Mythos und Märchen, die Frage, was es mit Heuslers Gattungsdichotomie („Heldenlied" — „Preislied-Zeitgedicht") auf sich hat, wird nicht erörtert. Was aber ist mit Genzmers „epischem Lied" oder Baeseckes „geradlinigem Heldenlied" angesichts der literarischen Schemata? Hat es gattungsspezifische Schemata gegeben, dann sind wir

33

Daran hatte auch Heusler [vgl. Anm. 2], S. 162 schon gedacht, aber den Gedanken abgelehnt: „Man könnte auf den Gedanken kommen: diese rein persönlichen Fabeln ohne Massenschicksal und Politik — so haben das Volk und seine Sänger die Wirklichkeit gesehen [. . .]".

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bei einer Neuauflage des Heusler-Systems (mit mehr oder weniger starken Abänderungen) angelangt. Existierten die Schemata ohne Gattungsspezifizierung, dann sind sie keine rechte Hilfe, um die literarische Produktion der Völkerwanderungszeit zu beschreiben — es sei denn die Unterscheidung von Gattungen und Typen ist überhaupt hinfällig. Mit einer solchen Möglichkeit muß freilich gerechnet werden. Heuslers Position ist tatsächlich angreifbar, aber von einer viel grundsätzlicheren Position aus, als sie Haug eingenommen hat. Die Gegenposition zu Heuslers Modell ist nach wie vor die Auffassung der Romantiker, die Heusler gerade in Frage stellen wollte. Die Vorstellung von einer Fülle verlorener literarischer Denkmäler und die Annahme einer variablen Literaturproduktion „im Volke" macht — gemeinsam mit einem weitgehenden Verzicht auf die Bestimmung literarischer Typen und Gattungen — Heuslers Ansatz hinfällig. Wenn über alles immer poetisch geredet werden konnte, hat es wenig Sinn, Gattungspoetik im Heuslerschen Sinn zu betreiben. Es ist das Verdienst der „oral-poetry-Theorie"34, die „romantische" Auffassung von der Fülle volkstümlicher Dichtungen konkretisiert und die „technischen" Voraussetzungen für ein derartiges Bild früher Dichtung klargelegt zu haben. Dank der Arbeiten Milman Parrys, Α. B. Lords und ihrer Nachfolger können wir uns heute vorstellen, wie eine derartige Literaturproduktion vor sich gegangen sein könnte. Ob in der Völkerwanderungszeit tatsächlich so gedichtet wurde, wissen wir freilich nach wie vor nicht. Die Frage, um die es dabei geht, ist freilich nicht die, ob germanische Heldendichtung mündlich oder schriftlich war — mündlich („oral") war sie jedenfalls —, sondern: Wurden die germanischen Heldengedichte im Vortrag mit Hilfe von Formeln, Erzählschablonen usw. jeweils erst geschaffen (improvisiert), oder haben wir es mit einmal konzipierten, textlich weitgehend stabilen, von Generation zu Generation durch Auswendiglernen weitergegebenen Gedichten zu tun? Inwieweit dürfen wir die am slawischen Material gewonnenen Einsichten aber auf die germanische Dichtung übertragen? Die Belegsituation macht eine Stellungnahme zu dieser Frage fast zu einem Bekenntnis und dementsprechend starr stehen einander zwei Schulen gegenüber. Ich bekenne mich trotz meiner „immanenten" Kritik zur Sicht Heuslers und frage nun: Was folgt aus meinen bisherigen Überlegungen für die weitere Entwicklung des frühen Mittelalters, für die Karolinger- und Ottonenzeit, eine Zeitepoche, in der uns die Quellen weitgehend im Stich lassen? Wie haben sich Heldenlied und „historisches Lied" in den „dark ages" der deutschen Literaturgeschichte entwickelt? 34

Einführend dazu Edward R. Haymes: Das mündliche Epos. Eine Einführung in die ,Oral Poetry' Forschung ( = Slg.-Metzler 151). Stuttgart 1977.

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II Für die Betrachtung des germanischen Heldenliedes im frühen Mittelalter scheint mir die Feststellung wichtig, daß literarische Hochformen keine Erscheinungen „universalen Charakters" sind. Das Heldenlied als literarische Form hat Anfang, Blüte und Ende nicht anders als der Minnesang oder das „epische Theater" Brechts. Zudem haben wir von zwei unbestreitbaren Fakten auszugehen: 1) Wir besitzen keinerlei Hinweise darauf, daß die germanische Heldendichtung Stoffe verarbeitet, die später als im 6./7. Jahrhundert beheimatet sind. Als letzter Held der Heldendichtung gilt der 572 verstorbene Langobardenkönig Alboin. Selbst wenn man die eine oder andere Merowingergeschichte (etwa bei Gregor von Tours) als Heldensage ansehen möchte, gibt es doch keinen prominenten Helden germanischer Heldendichtung aus nachmerowingischer Zeit. Der Schluß liegt nahe, daß im 7. Jahrhundert die produktive Phase der Heldendichtung zu Ende war. Es sieht aus, als ob sich — was die Stoffe betrifft — zu dieser Zeit eine Art Kanon der Heldendichtung herausgebildet habe. 2) Die Heldendichtung hat weitergelebt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie in Island und im Donauraum den Weg aufs Pergament fand. Das bedeutet, daß auf die produktive Phase ein längerer Zeitraum der rezeptiven Tradierung folgte. Die rezeptive Phase ist n u n in ihrer Art produktiv, sie brachte (regional verschieden und mit unterschiedlich großer Sicherheit feststellbar) den Ubergang — von der rhapsodischen zur strophischen Form, — vom Stabreim zum Endreim, — vom Lied zum Epos (Problemkreise: Darstellungsweise, MündlichkeitSchriftlichkeit, Kurzepos/Großepos, wieder oral poetry). Dazu kommt ferner das, was Haug 3 5 Austarierung des Schemas durch: a) heroische Stilisierung (Einschrumpfen des zentralen Motivs), b) literarische Entfaltung (Streben nach der erzählerisch optimalen Form) nennt. Die Lieder dieser Phase hatten wohl Raum für Aktualisierungen politischhistorischer Art für das geschichtliche Bewußtsein politisch Handelnder („adels- und sippengebundene Literatur"). Zu rechnen ist natürlich in diesem Zusammenhang mit einem Eindringen neuer Motive und Motivationsstrukturen.

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Haug [vgl. Anm. 1], S. 282 und S. 292.

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Man hat nun vielfach versucht, diese Übergänge zu beschreiben, hat zahlreiche Termini für die Lieder dieser langen Übergangszeit vorgeschlagen: reimendes Heldenlied spielmännisches Heldenlied spielmännisches Erzähllied Ballade, bzw. Heldenballade usw. Alle diese Begriffe verwirren die Situation mehr, als daß sie sie klären. Am glücklichsten erscheint mir — auch wenn man dadurch der vielfaltigen Probleme keineswegs enthoben ist — der Vorschlag H. Fromms36, vom „Heldenzeitlied" zu sprechen und dieses „Heldenzeitlied" vom vorausgehenden „Heldenlied" und von der nachfolgenden „Heldenballade" abzugrenzen: Das „Heldenlied" lebte bis zum Ausgang der Völkerwanderungszeit („produktive Phase"), das „Heldenzeitlied" in der Karolingerzeit und im Hochmittelalter, die „Heldenballade" im späten Mittelalter. Während die „Heldenballade" einen subjektiven, lyrischen Stil aufweist, gleichermaßen zeitlos und gegenwartsnah wird, ihre Geschichtsbezogenheit und dabei ihr adelig-ständisches Ethos verloren hat, wird das „Heldenzeitlied" als „nationale Vorzeitkunde" verstanden und zeigt „eine adelsstandgebundene Weltbetrachtung". Das „Heldenlied" kennt demgegenüber noch die unmittelbare und eben produktive Beziehung zu einer heroischen Lebenswirklichkeit; es ist nicht Vorzeitkunde, sondern schildert heroische Gegenwart. Was aber bedeutet das alles für den (angenommenen) Typ des „historischen Liedes"? Für jene Gedichte also, die auffallige historische Ereignisse in epischdramatischer Form darboten und von denen eine romantisch orientierte Literaturauffassung annimmt, sie könnten jederzeit und überall (im Volk) entstehen? Wie verhalten sich „vorzeitbezogenes Heldenlied" und „gegenwartsbezogenes Ereignislied" — wie man die beiden Typen mit Emil Ploss37 bezeichnen kann — zueinander? Wenn man Heldenlied und „historisches Lied" scharf voneinander abgrenzt — wie es wohl Heuslers Art wäre, wenn er mit einem „historischen Lied" rechnete —, gibt es kein Problem. Das Heldenlied könnte in seiner produktiven Kraft erlahmen, das „historische Lied" aber weiterleben. Aber so geht es wohl nicht. Die beiden Liedformen stehen in einem engen Zusammenhang und das um so mehr, wenn man mit Seemüller das einzelne Heldenlied aus einem historischen Lied hervorgehen läßt, also mit einem Übergang

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37

Hans Fromm: Das Heldenzeitlied des deutschen Hochmittelalters. In: Neuphilologische Mitteilungen 62, 1961, S. 9 4 - 1 1 8 . Emil Ploss: Bamberg und die deutsche Literatur des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Jb. f. fränkische Landesforschung 19, 1959, S. 283.

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vom Historischen zum Epischen rechnet (was nicht einmal Heusler ganz ausschließen möchte, vgl. oben). Wenn wir diesen Vorgang mit Diebold als „Sublimierung" bezeichnen, lautet die Frage: Wie ist es erklärbar, daß nach dem 7. Jahrhundert keine Lieder über historische Ereignisse mehr zu Heldenliedern „sublimiert" wurden? Ist das „historische Lied" zugleich mit dem „Heldenlied" „eingeschlafen"? Oder hat es doch weitergelebt bis zum hochund spätmittelalterHchen „historischen Lied" und müssen wir mit einer Fülle von Verlorenem rechnen?38 Die Belegsituation für ein „historisches Lied" im frühen Mittelalter, in der Karolinger- und der Ottonenzeit, vom 8. bis zum 10. Jahrhundert läßt sich so darstellen: A) Gerhard Eis 39 rekonstruierte aus lat. Geschichtstexten: 1) ein altfriesisches Götterlied über Wodan und den Friesenfürsten Radbod (•)• 719) aus der .Vita Wulframni episcopi Senonensis', 8. Jh. 2) ein „Episodengedicht" über den Auftritt des Missionars Liafwin beim Sachsenthing in Marklo aus der ,Vita Lebuini', Ende 8. Jh. 3) ein „historisches Lied" über einen Überfall auf Lüttich und die Ermordung Bischof Landberts aus der ,Vita Landberti', Anfang 8. Jh. B) Zeugnisse für „historische Lieder"'· 0 1) über Graf Erbo (ca. 8 7 0 - 9 0 6 ) bei Ekkehard von Aura ( t 1125) Inhalt: Tod Erbos bei der Wisentjagd (?)

38

John Meier (Hg.): Balladen. 1. Teil ( = Dt. Lit. in Entwicklungsreihen. Reihe: Das dt. Volkslied. Bd. 1). Leipzig 1935. S. 9: Wir finden kaum „einen schwachen Rest von jener reichen Fülle erhalten, die wir mit Sicherheit voraussetzen können." — Ähnlich äußert sich Herbert Grundmann: Übersetzungsprobleme im Spätmittelalter. Zu einer alten Verdeutschung des Memoriale Alexanders von Roes. In: ZfdPh 70, 1947/48, S. 118: „[. . .] man muß sich doch den anschwellenden Strom lateinischen Schrifttums immer begleitet und gleichsam unterspült denken von volkssprachlicher Dichtung und ,Sage'." — Wolfgang Stammler: Die Anfange weltlicher Dichtung in deutscher Sprache. Eine neue Kennung. In: W. S.: Kl. Schriften zur Literaturgeschichte des Mittelalters. Berlin 1953. S. 3, behauptet, es gehe „eine weltliche, für die jeweilige Herrenschicht bestimmte Dichtung seit Karl dem Großen, neben der geistlichen Literatur einher, ist ihr gefahrlicher Nebenbuhler und wird daher von ihr entweder gescholten oder totgeschwiegen." Und weiter (S. 9): „Seit dem karolingischen Zeitalter besteht eine ununterbrochene weltliche Kmstdichtmg in deutscher Sprache." — Dietrich Hofmann: Vers und Prosa in der mündlich gepflegten mittelalterlichen Erzählkunst der germanischen Länder. In: FMSt 5, 1971, S. 152, rechnet mit einer ungebrochenen Kontinuität von Zeitliedern, bzw. geschichtlichen Erzählgedichten. — George T. Gillespie: Spuren der Heldendichtung und Ansätze zur Heldenepik in literarischen Texten des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Studien zur frühmittelhochdeutschen Literatur. Cambridger Colloquium. Hg. v. L. P. Johnson u. a. Berlin 1974. S. 235, denkt an balladenartige Kurzepen und Lieder zwischen 800 und 1200.

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Gerhard Eis: Drei deutsche Gedichte des 8. Jahrhunderts aus Legenden erschlossen ( = Germ. Stud. 181). Berlin 1936; vgl. auch Eis' Rezension von F. Genzmer: Vier altdeutsche Heldenlieder. In: ZfdPh 73, 1954, S. 333 f. Zusammenstellung der Beleg- und Textstellen bei Diebold [vgl. Anm. 24].

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30

Alfred Ebenbauer 2) über Adalbert von Bamberg und Bischof Hatto von Mainz (Anf. 10. Jh.) in den .Casus Sanct Galli' des Ekkehard IV. (ca. 1050) 3) über Kuno ( = „Kurzibold") von Niederlahngau (•(• 948) in den .Casus' Inhalt: Kunos Sieg über einen Slawen, einen Löwen, einen Rebellen 4) über Bischof Ulrich von Augsburg (f 973) in den ,Casus' Inhalt: ? 5) über Bischof Benno von Osnabrück (f 1088) in der ,Vita Bennonis' Inhalt: Benno organisiert Nachschub beim Ungarnfeldzug von 1051 6) mögliche Liedvorlagen des .Herzog Ernst' aus dem 10. und 11. Jh. 7) mögliche Liedvorstufen der Adelger-Episode der .Kaiserchronik'

Was sagen uns diese Belege? Hermann Schneider 41 hat sich die Antwort auf diese Frage in seiner berühmten Abhandlung über den Ursprung der Ballade leicht gemacht: „Der Leser wird nun vielleicht erwarten, sämtliche Kurzibolde, Hattos und andere fragwürdige Helden deutschen Gesangs über sich hereinbrechen zu sehen, deren historische Zeugnisse gedenken. Aber sie gehören nicht hierher; diese Lieder bleiben so schattenhaft, daß es pure Willkür wäre, sie, die vielleicht gar nicht förmlich erzählten, zu Vätern der deutschen Ballade [oder — so wäre hinzuzufügen — zu Nachfahren altgermanischer Poesie] zu machen." Das ist natürlich richtig. Aber dennoch: Unsere Zeugnisse sind so mangelhaft, daß wir — wenn wir nicht überhaupt mit einem resignierten Nescio unsere Bemühungen aufgeben wollen — auch diese geringen Zeugnisse prüfen müssen. Sind diese Belege ausreichend, um auf eine „Fülle von Verlusten" und eine ungebrochene Kontinuität historischer Lieddichtung zu schließen? Auf die Rekonstruktionsversuche von Gerhard Eis soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. M. E. hat nur ein Lied über den „Überfall auf Lüttich" einige Wahrscheinlichkeit für sich: Es mag als Nachklang der Heldendichtung aus der Zeit um 700 gelten. Was aber ist mit den „Zeugnissen", die Klaus Diebold unter dem Titel „Sagelieder" zusammengestellt und diskutiert hat? „Sagelieder" sind für Diebold „aktuelle Heldendichtung" der Nachvölkerwanderungszeit. Natürlich weiß Diebold, daß die klassische Zêit des germanischen Heldenlieds die Zeit der Völkerwanderung ist, und er betont auch, daß später — in dem Zeitraum, den ich als rezeptiv bezeichnet habe — „der Sinn für das Allgemeingültige und die damit verbundene Subümierung" der historischen Lieder zu Heldenliedern erloschen sei 42 . Aber Diebold will die 41

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Hermann Schneider: Ursprung und Alter der deutschen Volksballade. In: H. S., Kleinere Schriften zur Heldensage und Literatur des Mittelalters. Berlin 1962. S. 98. Die Epochengrenze wird dabei von Diebold [vgl. Anm. 24] um 800 angesetzt: „Um das Jahr 800 ist die Vermittlung von germanischen Heldensagenstoffen im großen und ganzen zum Stillstand gekommen. [. . .] Zur gleichen Zeit nimmt das aktuelle Heldenlied der

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Lücke füllen und eine kontinuierliche Literaturtradition von der Völkerwanderungszeit bis ins hohe Mittelalter nachweisen: „Die Entwicklung nach der um 600 anzusetzenden, dritten Gruppe ist sicher mehr oder weniger kontinuierlich verlaufen, was denn unsere Sagelieder auch bestätigen." Wie ist es nun wirklich mit dieser Kontinuität bestellt? Diebold43 beachtet selbst, daß von den beiden Todesfallen, die in den „Sageliedern" berichtet werden, derjenige Adalberts nicht eigentlich heroisch gesehen wird. Mir scheint auch Erbos Jagdtod nicht besonders heldisch zu sein. Diebold weist ferner selbst auf das Hervortreten des Empörerthemas, das dem unparteiischen germanischen Heldenlied völlig fremd sei. Und er verweist auf den großen Unterschied zwischen dem Gedicht über Kurzibolds Löwenkampf und einem heroischen Kampf, wie er von Beowulf gegen Grendel ausgefochten wird. Aber auf der anderen Seite sind die Sagelieder für Diebold ebenso personenorientiert wie die alten Heldenlieder, und außerdem entsprechen die Sagelieder durchaus der „heroic poetry", wie sie Maurice Bowra44 beschrieben hat. Bowras Buch ist nun aus der Heldensagenforschung sicherlich nicht wegzudenken. Aber seine Beschreibung heroischer Dichtung ist viel zu allgemein, als daß sich auf ihrer Basis ein Kontinuitätszusammenhang zwischen Heldenlied und „Sagelied" herstellen ließe. Die Karolinger- und Ottonenzeit läßt sich nicht von Bowra her als „heroic age" deklarieren. Auf die (schwierigen) formalen Aspekte schließlich geht Diebold überhaupt nicht ein. Für ihn besteht auch hier ein direkter Zusammenhang, wenn er für das „Sagelied" „in stilistischer Hinsicht eine Stufe" ansetzt, „die derjenigen der zeitgenössischen englischen Werke ungefähr gleichkommt." 45 Aber: Soll man sich wirklich das Adalbertlied als heroisches Stabreimlied vorstellen? Ich halte das für unmöglich. Diebold rechnet — wie ich auch — damit, daß einstmals historische Lieder und Heldenlieder nebeneinander existierten, bzw. daß es neben den „klassischen" Heldenliedern mit ihrer starken Abtrennung von der Geschichte auch Lieder mit stärkerer historischer Substanz, mit größerer politischer Aktualität gegeben habe. Ferner beachtet Diebold m. R., daß nach der Völkerwanderungszeit keine eigentliche Heldenlieder mehr entstehen: Nach 700 wurden keine historischen Lieder „sublimiert", sind nicht den Weg von

43 44 45

Nachvölkerwanderungszeit, das Sagelied seinen Anfang." (S. 99) Und weiter (S. 104): „[. . .] die Sageliedzeit war von der Spannung zwischen den beiden religiösen Welten [Heidentum und Christentum] geprägt." (Gegen diese merkwürdige Epochendefinition: Nachvölkerwanderungszeit vgl. die Rezension von Diebolds Buch durch Norbert Voorwinden in Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 8, 1975, S. 168.) Diebold [vgl. Anm. 24], S. 77 f. Cecil Maurice Bowra: Heroic Poetry. London 1952. Diebold [vgl. Anm. 24], S. 139.

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der „aktuellen" zur „traditionellen" Heldendichtung gegangen. Historische Lieder sollen aber trotzdem ungebrochen bis zu den Belegen des 10. Jahrhunderts weiter geschaffen worden sein. Auf die Frage, warum diese Lieder nicht sublimiert wurden, nicht zu Heldenliedern, nicht von aktueller zu traditioneller Dichtung wurden, geht Diebold nicht ein46. Wir kommen einfach um die Tatsache nicht herum, daß wir eine Beleglücke von rund 200 Jahren haben, in der sich nicht die geringste Spur von einem produktiven Weiterleben der literarischen Gattungen des Heldenlieds und des „historischen Lieds" findet. Tatsache ist ferner, daß die Belege für „historische Lieder" im 10. Jahrhundert plötzlich gehäuft auftreten. Das ist der Zeitpunkt, wo wir mit dem lat.-ahd. Mischgedicht De Heinrico auch einen erhaltenen Text kennen. Wenn wir diese Beleglücke literarhistorisch ernst nehmen, lassen wir uns dann von der bruchstückhaften Überlieferungslage täuschen? Dürfen wir für diese Frühzeit unserer Geschichte — besonders für mündliche Dichtung — überhaupt eine geschlossene Belegsituation erwarten? — Ich möchte vermuten: Die Helden(zeit)lieder wurden als altheimische Dichtung von den lateinisch-christlichen Autoren bewußt totgeschwiegen. (Dazu Alkuins berühmte Frage: Quid Hinieldus cum ChristoÎ) Für aktuelle Geschichtsdichtung — auch wenn sie älteren Mustern folgt — ist ein solches Totschweigen nicht von vornherein anzunehmen. Wenn ein historisches Ereignis oder eine wichtige Persönlichkeit im 8. und 9. Jahrhundert Gegenstand eines volkssprachlichen Gedichts geworden wäre, ist zwar — wegen der Verachtung der Volkssprache — nicht jederzeit mit einer Aufzeichnung zu rechnen, aber auch nicht mit einer bewußten Verdrängung und Unterdrückung. Inhaltlich gibt es ja keine Einwände gegen Preislieder, Zeitgedichte oder historische Lieder. Ich meine, irgendwelche Hinweise könnte man in diesem Bereich doch erwarten. Wenn also die Sagelieder etwas zeigen können, so nicht das kontinuierliche Weiterleben germanischer Heldendichtung, nicht die ständige Neuproduktion „aktueller Heldenlieder" = „historischer Lieder" = „Sagelieder". Dieser Befund weist vielmehr mit seiner deutlichen Uberlieferungslücke auf einen Kontinuitätsbruch für die Zeit des Aufstiegs und des Niedergangs des karolingischen Imperiums. Im 10. Jahrhundert scheint eine neue volkssprachliche historische Dichtung entstanden zu sein. Als deren Kennzeichen könnten gelten: parteiische Bindung, Betonung des Aufrührmotivs, d.h. spezifisch feudaler Konfliktsituationen, ein gewisser anekdotischer Charakter, das Fehlen 46

Diebold [vgl. Anm. 24] schreibt [S. 76]: „Wie erklärt sich das rasche Verschwinden der einzelnen Sagelieder? Man muß die Gründe — wie bei den historischen Volksliedern — im Mangel an Objektivität, in .äußerster Parteilichkeit und dem panegyrischen Engagement' [Zitat von Viktor Schlumpf: Die frumen edlen puren. Diss. Zürich 1969. S. 136] suchen.

Heldenlied und „Historisches Lied"

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echter Tragik. Vielleicht könnte man diese Dichtung (mit aller Vorsicht) mit Spielleuten zusammenbringen, mit jenen „wandernden Journalisten", von denen Wilhelm Scherer sagte: „Die .Aktualität' überwiegt Alles. Fast brutal drängt sich die Gegenwart auf und verlangt ihr Recht [. . .]" 47 . Literarhistorisch hätte ein solcher Ansatz einige Bedeutung. Die Ottonenzeit (10. Jh.) gilt in der deutschen Literaturgeschichte als die dunkle Epoche. Vielleicht müssen wir gerade in diese Zeit die Herausbildung einer neuen Form setzen, des mittelalterlichen historischen Liedes, dessen Ausläufer wir dann im späten Mittelalter finden können. Die Karolingerzeit wäre dann — trotz der kulturellen Blüte der „karolingischen Renaissance" — im Bereich der volkssprachlichen Lieddichtung eine Epoche der Stagnation, in der wir mit nichts anderem zu rechnen hätten, als mit der Weitergabe einer stofflich „erstarrten" Heldenliedüberlieferung. Vom breiten Strom volkstümlicher Lieddichtung dürfte man dann freilich nicht reden. Eine Frage ist nun freilich noch offen: die Stellung des Ludwigsliedes. Dieser Text bleibt der Angelpunkt aller Überlegungen zur Dichtungsgeschichte des frühen Mittelalters. Das Ludwigslied kann als missing link verstanden werden, das die Lücke zwischen Völkerwanderungszeit und Ottonenzeit überbrückt und die Kontinuität germanisch-deutscher Lieddichtung herstellen kann (zu fragen wäre vor allem nach der Beziehung zu ,Battle of Maldon'). Das Ludwigslied kann aber auch die Verbindung zu einer anderen Tradition herstellen: zu den lateinischen Rhythmen der Karolingerzeit. In der Epoche Karls d. Gr. entstanden lateinische historische Gedichte in einfacher rhythmischer Form, über Pippins Avarensieg von 796, über die Bruderschlacht von Fontenoy 841 und über die Gefangennahme Ludwigs II. in Benevent von 871. Das Ludwigslied könnte eine Nachahmung solcher lateinischer Gedichte und somit Wegbereiter einen neuen historischen Lieddichtung sein. Durch seine Vereinzelung wird es jedenfalls zum Versatzstück literarhistorischer Theorienbildung. Ich habe es daher bei der Formulierung meiner Hypothese übergangen. Es kann sie aber leicht zu Fall bringen, wenn es von einer „germanischen" Position her gelesen wird 48 . Und es gibt noch eine Reihe anderer Fragen: Sind nicht in manchen lebhaft und spannend erzählten Passagen bei den karolingischen Historiographen Geschichtslieder verarbeitet, wie etwa in der Novaleser Chronik (Der langobardische Spielmann, die Einnahme Pavias) oder in den Gesta Karoli? Die Brüder Grimm haben solche abgerundete Geschichten in den .Deutschen 47 48

Wilhelm Scherer: Geschichte der Deutschen Literatur. Berlin 4 1887. S. 60. Vgl. vor allem die wichtige Abhandlung von Heinrich Beck: Zur literaturgeschichtlichen Stellung des ahd. Ludwigsliedes und einiger verwandter Zeitgedichte. In: ZfdA 103, 1974, S. 37 ff.

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Sagen' zusammengestellt. Wenn das alles Lieder wären, ließe sich die „karolingische Lücke" vielleicht doch noch füllen. Und wie steht es schließlich mit den Liedern auf Karl den Großen? Stimmt Diebolds Satz: „Es wäre aber kaum verständlich, wenn eine so große und zentrale Gestalt wie Karl keine volkstümlichen Dichtungen hervorgerufen hätte?"49 (Hier leuchtet wieder die romantische Vorstellung vom gewaltigen Strom volkstümlicher Dichtung durch!) Und wie steht es letztendlich mit den Ursprüngen der französischen Dichtung? Mit historischen Liedern auf Roland und seinen Tod oder auf den hl. Wilhelm? Die Cantilenentheorie der Romanisten rechnete ja mit historischen Liedern als Vorstufe der französischen Chansons de geste. — Fragen über Fragen! Ob wir uns da nicht doch mit einem non liquet bescheiden müssen?

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Diebold [vgl. Anm. 24], S. 51.

Zeugnisse zur Dietrichsage in der Historiographie von 1100 bis gegen 1350 VON OTTO GSCHWANTLER

Zu Beginn des hier zu behandelnden Zeitraums ist der Höhepunkt der Wertschätzung der Heldensage durch Geschichtsschreiber schon überschritten. Dieser Höhepunkt liegt, wenn man von den Stammesgeschichten einmal absieht, eindeutig in den bis ins Jahr 1025 reichenden ,Quedlinburger Annalen'. Unter Kaiser Marcian (450—457) wird da, historisch richtig, von Attilas Einfall in Gallien berichtet. Dann aber heißt es weiter, daß zu jener Zeit Ermanrich herrschte, daß er seine beiden Neffen Embrica und Fritla hängen ließ und seinen Neffen Theoderich aus Verona vertrieb, so daß er bei Attila Zuflucht nehmen mußte. Unter Kaiser Anastasius (491 — 518) wird dann weiter berichtet, König Ermanrich sei von drei Brüdern ermordet worden, indem sie ihm Hände und Füße abschlugen, Theoderich aber habe mit Hilfe Attilas sein Reich in Italien zurückgewonnen1. Um 1100 schrieb dann Frutolf von Michelsberg in Bamberg seine berühmte Weltchronik. Er hat in diesem Werk alles an Quellen verarbeitet, was ihm nur erreichbar war. So hat er u. a. auch die Gotengeschichte des Jordanes gekannt und — in Form eines Exkurses — einen ziemlich umfangreichen Auszug dieses Werkes seinem Werk eingefügt. Frutolf kannte auch, vermittelt durch die sog. .Würzburger Chronik', jene Notizen über Ermanrich, Attila und Theoderich, und aufgrund seiner Kenntnis der Gotengeschichte von Jordanes fiel ihm auf, daß diese drei Herrscher gar nicht Zeitgenossen gewesen sein konnten. Frutolf zeigt mit aller Deutlichkeit die Widersprüche zwischen Sage und Historiographie auf, doch resultiert für ihn daraus nicht einfach, daß die Sage irre. Er rechnet zwar mit dieser Möglichkeit, hält aber auch für denkbar, daß der Historiograph Falsches schreibe, oder aber, daß in der Sage ein anderer

1

A n dieser Stelle sei Herrn Wilfried Hartl herzlich gedankt für seine wertvolle Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts. Vgl. Otto Gschwantler: Die Heldensagen-Passagen in den Quedlinburger Annalen und in der Würzburger Chronik. In: Gedenkschrift für Björn Collinder. Hg. v. Otto Gschwantler / Karoly Redei / Hermann Reichert. Wien 1984 ( = Philologica Germanica, hg. v. Helmut Birkhan, Bd. 6) S. 1 3 5 - 1 8 1 .

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Ermanrich und ein anderer Theoderich gemeint seien, die Attilas Zeitgenossen waren. Mit dieser Entdeckung des Widerspruchs zwischen Historiographie und Sage hat Frutolf Schule gemacht2. Noch in einer anderen Hinsicht hatte Frutolfs Werk weitreichende Wirkung. Bekanntlich geriet Theoderich gegen Ende seines Lebens in zunehmenden Gegensatz zum Senat in Rom und zur katholischen Kirche 3 . Dies führte zur Hinrichtung des ranghöchsten Ministers und Philosophen Boethius (524) und dessen Schwiegervaters, des Patricius Symmachus (526). Außerdem wurde Theoderich der Tod des Papstes Johannes angelastet, der auf der Rückreise von einer Mission in Konstantinopel, die nicht zur Zufriedenheit des Gotenkönigs verlaufen war, in Ravenna festgehalten wurde und wenige Tage später starb (18. Mai 526). Theoderichs bald darauf folgender Tod (30. August 526) wurde früh als Strafe für dieses Vorgehen aufgefaßt. Im IV. Buch, Kap. 30 seiner ,Dialogi' (geschrieben um 593/94) erzählt Gregor der Große eine Geschichte, die er von einem gewissen Julian gehört hatte, der zweiter Defensor der römischen Kirche und vor sieben Jahren gestorben war. Der Vater des Schwiegervaters dieses Julian reiste zur Zeit des Königs Theoderich nach Sizilien, um dort Steuern einzuheben. Auf der Rückreise sei er mit seinen Begleitern auf die Insel Lipara (heute Lipari) verschlagen worden, wo er einen frommen Einsiedler aufsuchte. Der fragte die Fremdlinge: „Wißt ihr, daß König Theoderich gestorben ist?" „Nein", antworteten sie ihm, „wir haben ihn lebend verlassen, und bis jetzt ist uns nichts Derartiges über ihn mitgeteilt worden." Darauf der Mann Gottes: „Ja, er ist gestorben; denn gestern um die neunte Stunde wurde er ohne Gürtel und Schuhe und mit gebundenen Händen zwischen Papst Johannes und dem Patrizier Symmachus hergeführt und in den nahen Krater des Vulcanus geworfen" (gemeint ist der feuerspeiende Berg Vulcanus auf der gleichnamigen, etwa zwei Kilometer vor Lipari gelegenen Insel). Die Reisenden hätten, so Gregor weiter, den Tag genau notiert, und bei ihrer Rückkehr nach Italien habe sich dieser Tag als Todestag Theoderichs erwiesen4. Frutolf ist der erste deutsche Geschichtsschreiber, der diese Version von Theoderichs Ende in ein Geschichtswerk aufnahm. Dadurch und durch seine Kritik an der Heldensage begründete er eine Tradition, die sich in der Historiographie durch die Jahrhunderte verfolgen läßt. 2

3

4

Vgl. Otto Gschwantler: Frutolf von Michelsberg und die Heldensage. In: Philologische Untersuchungen gewidmet Elfriede Stutz zum 65. Geburtstag. Hg. v. Alfred Ebenbauer. Wien 1984 ( = Philologica Germanica, hg. v. Helmut Birkhan, Bd. 7) S. 1 9 6 - 2 1 1 . Wilhelm Ensslin: Theoderich der Große. München 1959. S. 3 1 7 - 3 2 5 ; Herwig Wolfram: Geschichte der Goten. München 1979. S. 403 - 409. Gregor der Große: Dialoge. Übers, v. Joseph Funk. München 1933 ( = Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Bd. 3), S. 225 f.

Zeugnisse zur Dietrichsage

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Im ersten Teil der folgenden Ausführungen sollen Konstanz und Variation dieser von Frutolf begründeten Tradition bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts skizziert werden. Im zweiten Teil werden dann Zeugnisse in Geschichtswerken dieses Zeitraumes behandelt, die nicht in der Tradition Frutolfs stehen, aber ebenfalls auf Theoderichs Ende bzw. sein Wiedererscheinen nach seinem Tod Bezug nehmen.

I. Quellen, die in der Nachfolge Frutolfs stehen 1. Otto von Freising und Gottfried von Viterbo Zum ersten Mal wieder begegnet uns eine Version von Theoderichs Ende und eine Kritik an der Heldensage im Anschluß an Frutolf in Ottos von Freising Weltchronik, verfaßt 1143 — 1146. Die Hauptquelle dieses Werkes für die Zeit bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts bildet die Chronik Frutolfs 5 . Dies trifft auch auf die verhältnismäßig ausführlichen Passagen über die Goten und Theoderich zu. Die Herrschaft des Gotenkönigs in Italien wird sehr negativ gezeichnet. Er habe, so heißt es da, Herrschaft in Tyrannei verkehrt (Imperium vertit in tjrannidem), mehrmals wird seine Herrschaft als tjrannis bezeichnet, er selbst als tjrannus6. Natürlich wird auch sein hartes Vorgehen gegen Papst Johannes, den er habe einkerkern und verhungern lassen, sowie gegen den Patricius Symmachus und den Senator Boethius, die er hinrichten ließ, angeführt, und daran schließt sich die folgende Stelle: Ob ea non multis post diebus, XXX o imperii sui anno, subitanea morte rapitur ac iuxta Gregorii dialogum a Johanne et Simacho in Ethnam praecipitatus a quodam homine Dei cernitur. Hinc puto fabulam illam traductam, qua vulgo dicitur Theodericus vivus equo sedens ad inferos descendisse. Quod autem rursum narrant eum Hermanarico Attilaeque contemporaneum fuisse, omnino stare non potest, dum Attilam longe post Hermanaricum constet exercuisse tyrannidem istumque post mortem Attilae octennem a patre obsidem Leoni augusto traditum 7 . Beginnen wir mit Ottos Äußerung zu Theoderichs Ende. Otto unterscheidet deutlich zwischen der Legende vom Sturz in den Vulkan — hier begegnet übrigens der Aetna anstelle des feuerspeienden Berges Vulcanus —, für die

5

Otto Bischof von Freising: Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten. Übers, v. Adolf Schmidt. Hg. v. Walther Lammers. Berlin 1960 ( = Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. v. Rudolf Buchner, Bd. 16). Zu Frutolf als Hauptquelle vgl. die Einleitung von Lammers, S. XXXVI. ^ Chronik V,1 (vgl. Anm. 5), S. 376 ff. 7 Chronik V,3 (vgl. Anm. 5), S. 381 ff.

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Otto Gschwantler

er sich auf Gregors Dialoge beruft, und einer Version von Theoderichs Ende, qua vulgo dicitur, die also gewöhnlich im Volk erzählt werde: Theoderich sei lebend zu Pferde in die Hölle hinabgeritten. Darüber hinaus äußert er die Vermutung, daß diese zweite Version sich von der ersten herleite. Als Gemeinsamkeit zwischen den beiden Versionen kann man zunächst nur feststellen, daß Theoderich beide Male in der Hölle endigt. Im übrigen sind die Unterschiede groß. Vielleicht aber sah oder vermutete Otto noch weitere Gemeinsamkeiten, die ihn zu dieser Herleitung der volkstümlichen Sage veranlaßt haben mögen. Er hat wohl eine Form der Sage gekannt, nach der Theoderich von einem dämonischen Pferd entführt wird und vielleicht als gespenstischer Reiter weiterlebt, d.h. in die Rolle des Wilden Jägers eintritt. Die Möglichkeit, daß es sich um eine verkürzende Wiedergabe der auf der Inschrift von San Zeno, bei Diakon Giovanni (s. u.) oder in der ,Thidreks saga' bezeugten komplexeren Form der Sage (Bad, Nacktheit usw.) handelt, ist nicht auszuschließen, doch gibt es dafür keine konkreten Hinweise8. Falls Otto doch diese ausführlichere Form der Sage gekannt haben sollte, könnte ihn auch das Motiv der Nacktheit in seiner Herleitung bestärkt haben. Auch in jüngster Zeit wurde Dietrichs Nacktheit bei der Entrückung zu Pferde auf das discinctus atque discalciatus in Gregors Legende zurückgeführt 9 . Zwar bedeutet diese Formel „ohne Gürtel und ohne Schuhe" und nicht „nackt"10, doch wird in späteren Wiedergaben der Legende Theoderich gelegentlich als nudus et discalciatus bezeichnet, so schon in der Chronik Sigeberts von Gembloux, fertiggestellt i. J. 1105 1 1 . 8

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10 11

Edith Marold: Dietrich als Sinnbild der Superbia. In: Arbeiten zur Skandinavistik. 6. Arbeitstagung der Skandinavisten des Deutschen Sprachgebietes: 26. 9. —1. 10. 1983 in Bonn. Hg. v. Heinrich Beck. Frankfurt am Main / Bern / New York 1985. S. 443 — 486, hier S. 449. Erich Benedikt: Die Überlieferungen vom Ende Dietrichs von Bern. In: Festschrift fur Dietrich Kralik. Horn 1954. S. 9 9 - 1 1 1 , hier S. 105f. Klaus von See: Germanische Heldensage. Ein Forschungsbericht. In: GGA 218, 1/2, 1966, S. 5 2 - 9 8 , hier S. 79. Jetzt auch in: Klaus von See: Edda, Saga, Skaldendichtung. Aufsätze zur skandinavischen Literatur des Mittelalters. Heidelberg 1981. S. 1 0 7 - 1 5 3 , hier S. 134. Marold (vgl. Anm. 8), S. 485, Anm. 92. Vgl. die Stelle bei Heinrich Joachim Zimmermann: Theoderich der Große — Dietrich von Bern. Die geschichtlichen und sagenhaften Quellen des Mittelalters. Bonn 1972. S. 220. Vgl. auch Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine. Aus dem Lateinischen übers, v. Richard Benz. 9. Auflage Heidelberg 1979. S. 970. Auf Theoderichs „Nacktheit" wird schon in Walahfrid Strabos Gedicht ,De imagine Tetrici' angespielt (V. 56 ff.), wobei Nacktheit als moralische Nacktheit aufgefaßt wird. Vgl. Felix Thürlemann: Die Bedeutung der Aachener Theoderichstatue für Karl den Großen ,801' und bei Walahfrid Strabo ,829'. Materialien zu einer Semiotik visueller Objekte im frühen Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 59, 1977, S. 25—65, hier S. 51 f. (mit Text und Übersetzung). Vielleicht hat die Anspielung aber doch auch einen „realen", mit der Dietrichtradition verbundenen Hintergrund. Der ebenfalls

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Bei der volkstümlichen Version hebt Otto eigens hervor, daß Theoderich vivus zur Hölle gefahren sei. Das hat in Gregors Dialogen keine Entsprechung. Die Reisenden, von denen da erzählt wird, erfahren aus dem Munde des Einsiedlers, daß Theoderich gestorben sei, und nach ihrer Heimkehr stellen sie fest, daß der Tod genau an dem Tag eingetreten war, an dem der Einsiedler jene Vision hatte. Auch die Intention der Erzählung und ihr theologischer Ansatz verbieten es — trotz der Anschaulichkeit und Körperhaftigkeit der Schilderung — an eine Höllenfahrt bei lebendigem Leibe zu denken. Gregor will mit der Geschichte seine Lehre illustrieren, daß die körperlosen Seelen im Feuer der unterirdisch gelegenen Hölle körperliche Qualen erdulden müssen. Die Überschrift des unserer Geschichte vorausgehenden Kapitels XXIX lautet: „Warum man glauben muß, daß ein körperliches Feuer ein unkörperliches Wesen ergreifen kann." Die folgenden Kapitel XXX —XXXII illustrieren dann an je einem Exempel, daß die Seelen Verstorbener die Qualen des Feuers erleiden. Was da vor den Augen des Einsiedlers in den Krater des Vulkans geworfen wurde, war also eindeutig Theoderichs Seele. Spätere, meist stark verkürzende Wiedergaben der Legende in Geschichtswerken konnten allerdings leicht den Anschein einer körperlichen Höllenfahrt erwekken. Paulus Diaconus, zwei Rezensionen der ,Gesta Theoderici' und auch Frutolf von Michelsberg sprechen beim Sturz in den Vulkan ausdrücklich von Theoderichs anima und verbinden somit die historische Notiz über Theoderichs plötzlichen Tod einerseits, die Legende vom Sturz in den Vulkan anderseits im Sinne Gregors harmonisch miteinander. Andere derartige Wiedergaben der Legende unterlassen aber den ausdrücklichen Hinweis auf die Seele und können dann in ihrer Anschaulichkeit den Eindruck erwecken, als wäre Theoderich — ganz im Gegensatz zum ursprünglichen Sinn der Erzählung bei Gregor — lebend hinweggerafft und in den Vulkan gestürzt worden, und als handle es sich da um eine rivalisierende Variante zu der knappen Notiz der Chroniken über Theoderichs plötzlichen Tod12. Es ist nun immerhin bemerkenswert, daß Otto bei seiner Wiedergabe der Legende Gregors im Gegensatz zu Frutolf, den er doch kannte, den Hinweis, daß da Theoderichs Seele gemeint sei, unterläßt, obwohl er selbst sich im klaren war, daß es sich um Theoderichs Seele handelte. Er spricht ja unmittelbar vorher von Theoderichs Tod. Vielleicht wollte er damit andeuten, daß sich auch in die Legende vom Sturz in den Vulkan die Vorstellung eingeschlichen hatte, Theoderich sei lebendig hinweggeführt worden. Immerhin bezeugt die ,Kaiserchronik' (s. u.), daß eine solche Form der Legende schon zur Zeit

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dunkle Vers 34 (ib. S. 46) scheint von einem Bad zu sprechen, das das Volk Theoderich bereitet! Vgl. Gschwantler (vgl. Anm. 2), S. 206 mit Quellenhinweisen Anm. 60 u. 61.

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Ottos existierte. Das mochte ihn in seiner Vermutung bestärken, die volkstümliche Sage vom Höllenritt bei lebendigem Leibe leite sich von jener Legende her. Wenn man bedenkt, wie entschieden Otto den folgenden Satz, der sich mit der von der Sage behaupteten Gleichzeitigkeit von Ermanrich, Attila und Theoderich auseinandersetzt, von dem vorausgehenden abhebt (quod autem rursum narrant. . .), sieht man, daß er der Sage von der Entrückung zu Pferde durchaus einen gewissen Wahrheitsgehalt zubilligt, insofern sie in der Grundaussage mit Gregors Legende übereinstimmt. Aus der Antithese der beiden Sätze kann man auch schließen, daß hinter der Herleitung der Volkssage aus der Legende nicht rein sagenhistorisches Interesse steht, sondern die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit 13 . Gegen die Auffassung der Sage, Theoderich sei Zeitgenosse Ermanrichs und Attilas gewesen, nimmt Otto von Freising viel entschiedener Stellung als seine Hauptquelle Frutolf. Was Frutolf noch als vorsichtigen Zweifel angemeldet hatte, wird bei Otto zur Gewißheit: die Sage irrt (omnino stare non potest). Es scheint, daß Otto sich in ähnlicher Weise über den Ursprung der Sage von Dietrichs Exil bei Etzel Gedanken machte, wie er dies bei Dietrichs Entrückung zu Pferde getan hat. Um die zeitliche Diskrepanz zwischen Attila und Theoderich aufzuzeigen, führt Frutolf eine ganze Reihe von Fakten aus Theoderichs Leben an, u. a. daß Theoderich erst etwa zu der Zeit geboren wurde, als Attila starb, daß der siebenjährige Theoderich als Geisel nach Byzanz gegeben wurde, nach seiner Rückkehr dem Vater in der Herrschaft folgte, später von Kaiser Zeno zum Adoptivsohn gemacht wurde und dann die Herrschaft über Italien errang, indem er Odoaker besiegte und tötete. Damit wird eindrucksvoll demonstriert, daß Theoderich erst Jahrzehnte nach Attilas Tod in den Besitz Italiens gelangte und so niemals von dort zu Attila fliehen konnte. Otto führt lediglich an, daß der achtjährige Theoderich erst nach dem Tod Attilas nach Byzanz vergeiselt wurde. Zwar wird die Exilsage nicht ausdrücklich erwähnt, doch war wohl vor allem sie gemeint, wenn von einer Zeitgenossenschaft Theoderichs mit Attila die Rede war. Wenn man den Zusammenhang berücksichtigt, so darf man hinter Ottos Worten die unausgesprochene Antithese vermuten: Theoderich wurde von seinem Vater als Geisel an den Kaiserhof in Konstantinopel geschickt — und nicht von Ermanrich ins Exil an den Etzelhof getrieben. Auch in der Heldensagenforschung wurde Theoderichs Aufenthalt in Konstantinopel als eine mögliche Grundlage für die Exilsage in Erwägung gezogen14. 13 14

Hinweis W. Hartl. Richard Heinzel: Über die ostgothische Heldensage. In: WSB 119. 3. Abhandlung. Wien 1889. S. 1 - 9 8 , hier S. 56; Hellmut Rosenfeld: Wielandlied, Lied von Frau Heichen Söhnen und Hunnenschlachtlied. Historische Wirklichkeit und Heldenlied. In: PBB 77, 1955, S.

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Es gibt noch eine weitere Stelle im Werk Ottos, die für die Heldensage von Interesse ist. Er erzählt im Anschluß an Jordanes 15 das Ende Ermanrichs. Obwohl er also die beiden Rächer Ammius und Sarus namentlich gekannt haben muß, spricht er in seiner Nacherzählung nur von der heimtückischen Verwundung Ermanrichs durch einen seiner (namentlich nicht genannten) Dienstmannen ( i n f l i c t o sibi a quodam mìlite suo fraudolenter vulnere)16. Man wird daraus aber nicht schließen dürfen, daß Otto eine Form der Sage von Ermanrichs Ende mit nur einem Rächer kannte, da sich sonst keine Spur einer derartigen Überlieferung findet. Daß Otto weder an der Sage, falls er sie überhaupt kannte, noch an dem Jordanesbericht ein besonderes Interesse hatte, zeigt sich auch daran, daß er über die Ursache des Anschlags kein Wort verliert. Er mochte eine gewisse Ungereimtheit sehen in der einen Seitenwunde, die Ermanrich bei Jordanes beigebracht wird, und der Zweiheit der Rächer — ein Umstand, der vielleicht auch bei der Einführung des Motivs der Verstümmelung an Händen und Füßen eine Rolle spielt —, und so spricht er in seiner stark raffenden Wiedergabe nur von einem. Es wird also wohl bei dem einen Zeugnis Ottos zur Heldensage bleiben, aber dies ist bedeutsam genug. Es dokumentiert erstmals in der Geschichtsschreibung die volkstümliche Sage von Dietrichs Entrückung. Außerdem zeigt es uns, daß auch in Ottos Augen die Heldensage den Anspruch erhob, Geschichte zu sein, sonst hätte er sie nicht vom Standpunkt der Historiographie aus einer neuerlichen Kritik unterzogen, die sehr viel entschiedener ist als die Frutolfs. In einer Handschrift der Weltgeschichte Ottos von Freising, im Codex Admuntensis 164 (16) aus dem ausgehenden 12. Jahrhundert 17 , findet sich, ebenfalls von einer Hand des 12. Jahrhunderts geschrieben (in margine), zu Ottos Ablehnung der Heldensage folgende Randglosse: Nisi forte alius Theodericus fuer it sub Attila et item alius sub Erminrico, quos omnes vulgus Teutonicum pro uno computarit in cantilena18.

15 16 17

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204 - 2 4 8 , hier S. 214. Vgl. auch Norbert Wagner: Ich armer Dietrich. Die Wandlung von Theoderichs Eroberung zu Dietrichs Flucht. In: ZfdA 109, 1980, S. 2 0 9 - 2 2 8 , hier S. 210f., mit weiteren Literaturangaben Anm. 12. Vgl. Lammers, Chronik (vgl. Anm. 5), S. X X X V I . Chronik IV,16 (vgl. Anm. 5), S. 332. Vgl. dazu R. Wilmans in seiner Edition der Chronik Ottos in: M G SS 20. Hannover 1868. S. 8 3 - 3 0 1 , hier S. 103f. Chronik (vgl. Anm. 17), S. 216; Zeugnisse und Exkurse zur deutschen Heldensage, abgedruckt bei: Wilhelm Grimm: Die deutsche Heldensage. 4. Auflage (unter Hinzufügung der Nachträge von Karl Müllenhoff und Oskar Jänicke aus der Zeitschrift für Deutsches Altertum). Darmstadt 1957. S. 5 3 9 - 7 1 9 , hier S. 703 (LXXI).

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Die Glosse gibt sich — vor allem durch die einleitenden Worte nisi forte — auf den ersten Blick so, als wollte sie den Widerspruch zwischen Sage und Geschichte ebenso lösen wie Frutolf 19 , und es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß der Glossator eine unklare Erinnerung an Frutolfs Bemerkung hatte und daß er seine Notiz im Sinne Frutolfs begann. Doch haben seine Gedanken dann eine andere Richtung genommen. Frutolf hatte angenommen, die Sage berichte vielleicht von einem Ermanrich und einem Theoderich, die vielleicht wirklich Zeitgenossen Attilas waren {alius Ermenrkus et alius Theodericus dandi sunt Attilae contemporanei), von denen uns aber die schriftlichen Quellen nichts berichten. Er rechnet also mit zwei Theodorichen und zwei Ermanrichen. Der Glossator hingegen bleibt bei dem einen Ermanrich, setzt aber zwei, genaugenommen drei verschiedene Theoderiche an: außer dem historischen Gotenkönig Theoderich hätte es einen unter Ermanrich und einen unter Attila gegeben. Die weitere Entwicklung stellt er sich so vor, daß jener Theoderich der Zeit Ermanrichs in der Heldensage mit dem Theoderich der Zeit Attilas verselbigt wurde und daß auf diese Weise, so muß man folgern, aus Ermanrich ein Zeitgenosse Attilas wurde. Theoderich der Große blieb beiseite. In bezug auf Theoderich geht der Glossator demnach auf die von Frutolf erwogene Lösung ein, nicht aber in bezug auf Ermanrich. Es handelt sich hier nicht, wie bei Frutolf, um einen Versuch, die historische Richtigkeit der Sage als möglich zu erweisen, sondern um einen quasi wissenschaftlichen Versuch, eine Erklärung für die Gleichzeitigkeit Ermanrichs, Attilas und eines Theoderichs in der Sage zu geben. Auch hier ist übrigens, wie bei Frutolf, Attila der unverrückbare Fixpunkt. Die Sage wird als entstellte Geschichtserinnerung des vulgus Teutonicum gesehen. Der Glossator kannte die Exilsage, und zwar, wie wir aus der Bezeichnung cantilena schließen dürfen, in gebundener Form. Man könnte an ein Lied von der Rabenschlacht denken. Doch ist wohl auch für das Epos von Dietrichs Flucht mit einer liedhaften Vorstufe zu rechnen20, so daß mit cantilena auch diese gemeint sein könnte. In direkter Abhängigkeit von Otto von Freising steht Gottfried von Viterbo (1125 — 1191). Er wurde in Viterbo geboren und starb auch dort, stammte jedoch wahrscheinlich aus einer deutschen im Hofdienst stehenden Familie und wurde in Bamberg erzogen. Er war lange Zeit Kaplan König Konrads III., dann Kaplan und Notar Friedrichs I., dessen Begleiter er 19 20

So interpretiert Jänicke (vgl. Anm. 18), S. 703. Vgl. vor allem Theodor Steche: Das Rabenschlachtgedicht, das Buch von Bern und die Entwicklung der Dietrichsage. Greifswald 1939; Richard von Premerstein: Dietrichs Flucht und Rabenschlacht. Eine Untersuchung über die äußere und innere Entwicklung der Sagenstoffe. Gießen 1957 ( = Gießener Beiträge N. F. 15).

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häufig war. Neben seinen in Hexametern und Pentametern abgefaßten ,Gesta Friedrici', den ,Gesta Heinrici VI.' und dem .Speculum regum', einer in Verse gebrachten Weltgeschichte, die aber nur bis 768 reicht, verfaßte er eine .Memoria seculorum' (auch ,Liber memorialis'), vollendet 1185. Er hat diese Weltgeschichte bis zur Gegenwart dann als Buch umgearbeitet und als .Pantheon' veröffentlicht21. Gottfrieds Werk zeichnet sich durch geringen Tatsachensinn, durch Flüchtigkeit und eine Vorliebe für Fabeln und Geschichten aus. Hierin hat er die Geschichtsschreibung der Folgezeit (vor allem Martin von Troppau, s. u.) stark beeinflußt. Im ,Pantheon' finden sich zwei Stellen zur Heldensage. Unter Kaiser Leo heißt es (was Gottfried eignet, ist gesperrt wiedergegeben): Leo imperator cum Ostrogothis pacem componens, Teodoricum, filium Teodemari, s c i l i c e t V e r o n e n s i s , de quo T e o t o n i c i s e p i s s i m e miram n a r r a n t a u d a t i a m , obsidem recepit, cum octo esset annorum22. Die zweite Stelle handelt von Theoderichs Ende: Quem (Johannem) Teodericus s t a t i m in vinculis positum fame et i n e d i a extinxit. Item Teodericus Simachum et Boetium prius necari preceperat. Propter que scelera Teodericus ab hac l u c e subito raptus, imperii sui anno 30. d i s p a r u i t : et iuxta dialogum beati Gregorii a quodam s a n c t i s s i m o h e r e m i t a visus est a Johanne papa et Simacho, q u o s ipse o c c i d e r a t , in Etna monte c o r p o r a l i t e r in i g n e m precipitari. Quod autem quidam dicunt, ipsum Teodericum fuisse Hermenrico Ver o n e n s i e t Aitile contemporaneum, non est verum. Constat enim, Attilam longe post Hermenricum fuisse, Teodericum f i l i u m H e r m e n r i c i etiam longe post mortem Aitile, cum esset puer octennis Leoni imperatori in obsidem constat datum fuisse23. Was Gottfried gegen die Sage um Dietrich, Attila und Ermanrich einwendet, ist bei Wilhelm Grimm, Deutsche Heldensage Nr. 32 abgedruckt 24 und bietet gegenüber der Chronik Ottos von Freising, auf die sich Gottfried hier stützt, nichts Neues. Ganz unbeachtet blieb jedoch in der Sagenforschung, soweit ich sehe, Gottfrieds Bemerkung zu Dietrichs Ende, die wesentlich von der Ottos abweicht. Die Worte ab hac luce subito raptus dürften hier nicht 21

22 23 24

Gottfrieds Werke sind herausgegeben von Georg Waitz in: M G SS XXII. Hannover 1872. S. 1 —338; Literatur bei Dahlmann-Waitz: Quellenkunde der deutschen Geschichte. 9. Auflage hg. v. Hermann-Haering. Leipzig 1931. 6332; vgl. auch Hellmuth Rössler und Günther Franz: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte. München 1933. S. 271. .Pantheon' (vgl. Anm. 21), S. 188. Ib. S. 191. Grimm (vgl. Anm. 18), S. 49 (Nr. 32).

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einfach „sterben" bedeuten, sondern „plötzlich aus dieser Welt hinweggerafft"; nur so hat das folgende disparuit einen Sinn. Und so hat denn auch ein Schreiber zwischen luce und subito darübergeschrieben: vivus. In dem folgenden Satz wird erklärt, worin das plötzliche Verschwinden Theoderichs bestand, und im Gegensatz zur bisherigen Überlieferung wird betont, daß Theoderich corporaliter von Johannes und Symmachus in das Feuer des Ätna gestürzt wurde. Gottfried gibt, so scheint es, eine bewußte Gegendarstellung zu Otto25. Dieser berichtet vom plötzlichen Tod Theoderichs und konnte somit nicht im Zweifel sein, daß es Theoderichs Seele war, die in den Vulkan gestürzt wurde; von einer Entrückung bei lebendigem Leibe ist bei ihm nur in der Volkssage die Rede. Bei Gottfried ist Ottos subitanea morte rapitur durch ab hac luce subito raptus . . . disparuit ersetzt und beim Sturz in den Vulkan noch corporaliter eingefügt. Auf diese Weise ist das Motiv der Entrückung bei lebendigem Leibe konsequent mit der Legende vom Vulkansturz verbunden. Daß es sich da nicht etwa um eine Kombination handelt, die erst von Gottfried hergestellt wurde, sondern um eine volkstümliche Form der Legende von Theoderichs Ende im Vulkan, geht, wie wir sehen werden, aus der ,Kaiserchronik' hervor, die vor Gottfrieds .Pantheon' entstanden ist. Wenn Gottfried nur sagen wollte, daß Theoderich plötzlich hinweggerafft und in den Vulkan gestürzt wurde, dann ist das dazwischenstehende disparuit eigentlich überflüssig. Es ist daher möglich, daß dieses Wort aus einer anderen, von der Legende Gregors unabhängigen Überlieferung um Theoderichs Ende übernommen und in einen neuen Zusammenhang eingefügt wurde. Es könnte auf Dietrichs Entrückung zu Pferde weisen oder auf jenes geheimnisvolle, nicht näher bestimmbare Ende Dietrichs und anderer Sagengestalten, das in mittelhochdeutschen Texten mit den Worten: er ward verlern und ähnlich ausgedrückt wird 26 . Die anschließende Legende Gegors könnte dann als Alternative, als konkurrierende Version von Theoderichs Ende gemeint sein, oder als Spezifizierung, indem sie Genaueres über jenes geheimnisvolle Verschwinden zu berichten weiß. Wenn man annimmt, daß hinter disparuit eine eigenständige Überlieferung von Theoderichs Ende steht, so kann damit die scheinbare Redundanz dieses Wortes im Text Gottfrieds eine Erklärung finden. Wir werden auf dieses Problem später zurückkommen (.Flores temporum', Diacon Giovanni). Wir begegnen bei Gottfried also möglicherweise erstmals jener Überlieferung von Dietrichs geheimnisvollem Entschwinden, ferner im Zusammenhang mit der Legende Gregors expressis verbis der Vorstellung, Theoderich sei dem Leibe nach in das Feuer des Ätna gestürzt worden. 25 26

Auf diesen Gesichtspunkt hat mich W. Hartl aufmerksam gemacht. Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 108.

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Was die Kritik an der Chronologie der Sage betrifft, hält sich Gottfried an Otto von Freising, nur bringt er wieder alles durcheinander: er sagt, Attila habe lange nach Ermanrich gelebt, Theoderich lange nach Attila, bezeichnet aber doch Theoderich als Sohn Ermanrichs, was weder seiner eigenen Darstellung noch der Sage entspricht. In diesem Zusammenhang wird Ermanrich auch Veronensis genannt. W. Grimm bemerkt dazu, daß dies nur den Gedichten nach richtig sein kann, „und zwar nur in so weit, als Ermenrich nach Dieterichs Vertreibung Bern in seine Gewalt bekommt"27. Aber es ist unwahrscheinlich, daß Ermenrich in der Heldensage je von Berne zubenannt wurde wie Dietrich, vielmehr wird es sich auch da um bloße Verwechslung oder Flüchtigkeit handeln. Der Notiz unter Kaiser Leo zufolge — hier wird übrigens auch Theoderichs Vater Theodmar Veronensis genannt — hatte Gottfried bei den Teutonici reichlich Gelegenheit, über Dietrich erzählen zu hören. Vielleicht verdient da Erwähnung, daß Gottfried in Bamberg erzogen wurde, wo durch Bischof Gunther, die Würzburger Chronik und Frutolf reges Interesse an der Heldensage mehrmals bezeugt ist. Welche Art von Sagen, die die audacia Dietrichs zum Gegenstand haben, da gemeint sind, läßt sich nicht entscheiden. Man könnte an Jung-Dietrich-Abenteuer denken, da sich die Notiz als solche auf den jungen Theoderich bezieht. Bemerkenswert ist noch, daß Gottfried im Gegensatz zu Otto von Ermanrichs Selbstmord weiß. Er berichtet über den Hunneneinfall: Hec gens (Hunorum) conductu unius cervae t r a n s m e a n t i s t r a n s i v i t i n a c c e s s i b i l e s p r i u s i l l a s paludes. Ubi usque adeo gentem Gothorum perterruit, ut rex Gothorum Hermanaricus, qui multas iam gentes devicerat, timore Hunorum se i p s u m i n t e r f e c i s s e t , anno etatis sue 11028. Ein besonderes Interesse an der Sagengestalt wird man dem nicht entnehmen können. 2. ,Kaiserchronik' Für die beiden Themen: Darstellung von Dietrichs Ende und Stellungnahmen von Geschichtsschreibern zur Heldensage ist die ,Kaiserchronik' von besonderem Interesse. Sie ist das erste umfassende Geschichtswerk in deutscher Sprache und besteht aus einer fortlaufenden Reihe von Kaiserbiographien, die mit Julius Caesar beginnt. Auf die schwierigen Fragen nach Verfasserschaft und Datierung braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Das Werk 27 28

Grimm (vgl. Anm. 18), S. 50. .Pantheon' (vgl. Anm. 21), S. 183, Z. 17 ff.

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dürfte um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sein. Trotz der Volkssprachlichkeit des Textes ist die ,Kaiserchronik' — darüber gibt es wohl keinen Zweifel — ein Werk geistlicher Gelehrsamkeit, und das ist für unsere Fragestellung nicht unwichtig29. Unter Kaiser Zeno (V. 13825 — 14193) findet sich eine umfangreiche Erzählung über Dietrich von Bern. „Was in der Chronistik auf die Geschichte der fünf Kaiser Martianus, Leo, Zeno, Anastasius und Justinus verteilt ist, hat die Kaiserchronik unter die Herrschaftszeit Zenos vereinigt"30 (er regierte in den Jahren 474/75 und 476—491). Zunächst wird in die Zeit Attilas zurückgegriffen und kurz von Dietrichs Großvater erzählt. Es heißt da (V. 13839-13857): Nû lâzen wir die rede stân. ain vurste was dô ze Mêrân, gehaizen was er der alte Dieterich, ain helt bevollen êrlîch. der newolte nie werden Ezzelen man. mit her rait er ze Mêrân, sînes erbes er sich underwant, er nam im liute unde lant. er vorhte im sô harte, er flôch ze Lancparten. da gewan der alte Dietrich ainen sun hêrlîch, den kuonen Dietmaren, dem si alle grôzer knehthaite sît jähen. Do der alte Dietrich vn dem tôde gelach, sinen mannen er enphalch sine sune liebe. do gevuocte ez sich dar nâch sciere, daz Ezzel retranch in sin selbes pluote31. Der Großvater, der den Namen der alte Dieterîch trägt und Mêrân herrscht, muß vor Etzel nach Lancparten fliehen. Nach dem Tode Etzels 29

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31

Vgl. dazu Eberhard Neilmann: .Kaiserchronik'. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. v. Kurt Ruh. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin—New York 1978 ff., Bd. 4, 1983. Sp. 9 4 9 - 9 6 4 . Ernst Friedrich Ohly: Sage und Legende in der Kaiserchronik. Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung. Münster 1940. Reprographischer Nachdruck Darmstadt 1968 ( = Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung Heft 10). S. 219. Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen. Hg. v. Edward Schröder. Hannover 1892 ( = M G Deutsche Chroniken Bd. 1, 1. Abt.). S. 331 f.

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nimmt Dietmar, des „alten" Dietrich Sohn, Mêrâtt in Besitz (13858 f.). Etzels Söhne Plôdele und Frítele wollen Dietmar unter ihre Herrschaft zwingen, doch unterliegen sie in einer gewaltigen Schlacht und finden beide den Tod (13860 ff.). Nach dem Siege überbringen Boten Dietmar die Nachricht von der Geburt seines Sohnes Dietrich (13895 ff.) Dietmar schickt seinen Sohn Dietrich als Geisel an den Hof Kaiser Zenos. Durch Etius aufgestachelt, erobert während Dietrichs Aufenthalt in Konstantinopel Otacher, dessen Sitz in der Steiermark gedacht wird, Italien und läßt sich in Rom krönen (V. 13965 ff.). Kaiser Zênô belehnt Dietrich mit Italien und stattet ihn mit einem riesigen Heer aus. In der Schlacht von Rabene besiegt Dietrich Etius und enthauptet ihn, tötet bald darauf Otacher im Zweikampf und erobert dann Rom und ganz Italien (V. 14017 ff.). Dietrichs Vorgehen gegen Bôêtius, Senecâ (der hier an Stelle von Symmachus steht) und Papst Johannes wird eingehend dargestellt (14142 ff.), Dietrich wird nun als ubel wuotgrimme (14154) bezeichnet. Der Abschnitt über Dietrich schließt mit folgenden Versen (14164 ff.): 1465

14170

14175

14180

14185

Die cristen dò clageten, daz si verlorn habeten ir maister also lieben, dò räch si got sciere, want er die cristen hête gelaidiget. dô wart im vor gote vertailet. vil manige daz sähen, daz in die tievel nâmen, si vuorten in in den berch ze Vulkan (daz gebôt in sánete Johannes der hailige man), dà brinnet er unz an den jungisten tac, daz im niemen gehelfen nemac. Swer nû welle bewahren, daz Dieterîch Ezzelen saehe, der haize daz buoch vur tragen, do der chunic Ezzel ze Ovene wart begraben, dar nâch stuont iz vur wâr driu unde fierzech jar, daz Dieterich wart geborn. ze Chriechen wart er rezogen, dà er daz swert umbe bant, ze Róme wart er gesant, ze Vulkan wart er begraben. hie meget ir der luge wol ain ende haben. Zênô wonete an dem riche mit samt Dieterîche —

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14190 (f. 86e)

daz saget daz buoch vur wâr — sehse unde drîzech jâr und fiunf mânode mère. Constenobelasre begruoben den hêrren 32 .

Die Darstellung von Dietrichs Ende steht offenbar in der Nachfolge Gregors, doch weist sie bemerkenswerte Abweichungen auf: Nicht Johannes und Symmachus, sondern Teufel stürzen (auf Veranlassung des Papstes Johannes) Dietrich in den Vulkan, und nicht ein Einsiedler, sondern vil manige werden als Augenzeugen aufgerufen. Auch hier wird Dietrich offenbar lebend hinweggerafft. Der Sturz in den Vulkan scheint im Verständnis des Chronisten Dietrichs Tod bedeutet zu haben und nicht etwa sein Weiterleben in irgend einer besonderen Form; denn am Ende der Erzählung heißt es: Vulcân wart er begraben. Dietrich (d. h. seine Seele) muß im Feuer des Vulkans brennen „bis zum jüngsten Tag". Wenn man das wörtlich nehmen darf, dann würde das bedeuten, daß seine Qualen irgendwann ein Ende nehmen, daß Dietrich nicht die ewigen Qualen der Hölle, sondern die des Fegefeuers erleiden muß, bei dem es sich gleichsam um eine zeitlich begrenzte Hölle handelt. Der Aufenthalt im Fegefeuer „dauert maximal vom individuellen Tod bis zum Jüngsten Gericht" 33 . Zwar ist von der Rache Gottes die Rede, die am ehesten an die ewige Verdammnis denken läßt (worauf auch das Verbum verteilen deuten könnte), und wenn es weiter heißt, daa^ im niemen gebelfen nemac, so läßt 32

Eine ähnliche Vorstellung findet sich in der Chronik Alberichs von Trois Fontaines (hg. v. P. Scheffer-Boichorst. In: MG SS XXIII. Hannover 1874. S. 6 7 4 - 9 5 0 ) . Sie reicht bis zum Jahre 1251 und stützt sich auf ein reiches Quellenmaterial, u.a. Hieronymus, Beda, Sigebert von Gembloux, Hugo von Fleury, Otto von Freising, vielleicht auch Fredegar. Zu den Quellen ib. S. 651 ff. (Vorwort) und Zimmermann (vgl. Anm. 11), S. 125. Die Darstellung von Theoderichs Ende läßt sich aber auf keines dieser Werke zurückführen. Es heißt da ad a. 522: Idem rex Theodoricus Ostrogothorum de inferno in inferios sepelitur (Ausgabe S. 692; bei Zimmermann S. 232, wo rege zu streichen ist). Die Handschriften schreiben: . . . de inferno in inferno sepelitur, Scheffer-Boichorst änderte in inferius sepelitur. Die Stelle spielt auf Theoderichs Abstammung vom Teufel an und zeigt im übrigen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Stelle in der ,Kaiserchronik'. Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 102, verweist in diesem Zusammenhang auf eine Stelle im .Lucidarius' (vgl. Anm. 33), S. 61, 33 ff.: wen alse men die toten begrebit mit der erde, also begrebet men die seien mit dem fure inder nideren hellen, also kit von den riehen: „sepultus est in inferno". Das Bibelzitat bezieht sich auf Luc. 16,22 (Vulgata). Es scheint also, daß eine Formulierung, die ursprünglich auf die Seele ging, in volkstümlicher Weise vergröbert wurde: der lebend in den Vulkan geworfene Dietrich wurde im Vulkan (in inferno) begraben.

33

Jacques Le Goff: Die Geburt des Fegefeuers. Übers, v. Ariane Forkel. Stuttgart 1984. S. 431. — Im .Lucidarius' heißt es, daß im ersten Himmel, d. h. zwischen Erde und Mond, die Cacodemones sind, die den menschen mitwen, der tvirt in dem lüfte gewiseget un\ an den jungesten dac. Lucidarius, hg. v. Felix Heidlauf, Berlin 1915 ( = Deutsche Texte des Mittelalters Bd. 28). S. 6.

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sich das nicht ohne weiteres mit der Lehre vom Fegefeuer vereinbaren, daß die Seelen durch Gebet und Almosen der Gläubigen erlöst werden können. Es ist aber doch zu bedenken, daß feuerspeiende Berge seit dem 11. Jahrhundert vielfach als Stätten des Fegefeuers gelten. So antwortet im ,Lucidarius' (geschrieben im letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts) der Meister auf die Frage des Jüngers, wo die oberhelle sei: Do sprach der meister: in maniger stete dirre weite, uf den hohen bergen, unde inden inseln in dem mer. da búrnet suebel unde bech, da die seien inne werden gewizeget die do suln werden erlöst34. Aber diese Inseln sind schon lange vor dem ,Lucidarius' als Stätten des Fegefeuers bezeugt. Der Mönch Jotsuald erzählt in seiner Vita des Abtes Odilo (gest. 1049) kurz nach dem Tode dieses Heiligen, ein Mönch sei auf der Rückreise von Jerusalem auf eine kleine Felseninsel verschlagen worden, auf der ein Einsiedler lebte. Der weiß von einem nahegelegenen feuerspeienden Berg zu berichten, aus dem man das Klagen gepeinigter Seelen höre, die aber durch die Gebete der Mönche und die Almosen an Arme von ihren Qualen erlöst werden können. Der Pilger überbringt die Botschaft dem Abt von Cluny, der dann das Fest Allerseelen auf den Tag nach Allerheiligen festsetzte, was wahrscheinlich zwischen 1024 und 1033 geschah. Der berühmte italienische Mönch und Kardinal Petrus Damiani nahm jene Geschichte Jotsualds fast wörtlich in seine ,Vita Odilonis' auf, die weite Verbreitung fand 35 . Eine etwas abweichende Form der Geschichte findet sich in dem bis 1111 reichenden Chronikon Sigeberts von Gembloux (gest. 1112)36, ebenso in der .Legenda aurea' von Jacobus de Voragine, entstanden etwa zwischen 1275 und 1280. Da heißt es: Petrus Damiani erzählt auch, daß Sankt Odilo, der Abt von Cluny, vernahm, wie bei dem Berge Vulcanus in Sizilien häufig Stimmen und Heulen der Teufel gehört wurden, die da schrien, daß der verstorbenen Seelen ihren Händen durch Almosen und Gebete entrissen würden. Da gebot er, daß in seinen Klöstern nach dem Fest Allerheiligen das Gedächtnis der Seelen gefeiert werde. Das ward hernach von der ganzen Christenheit bestätigt37.

34

35 36

37

.Lucidarius' (vgl. Anm. 33), S. 5. Vgl. auch Der keiser und der kunige buoch oder die sogenannte Kaiserchronik. Hg. u. komm. v. Hans Ferd. Massmann. 3. Teil. Quedlinburg und Leipzig 1854. S. 951. Le Goff (vgl. Anm. 33), S. 154 f. mit Quellenhinweisen. Sigebert von Gembloux: Chronik. Hg. v. D. L. C. Bethmann. In: M G SS VI. Hannover 1844. S. 3 0 0 - 3 7 4 , hier S. 353; bei Massmann (vgl. Anm. 34), S. 950. Zit. nach Le Goff (vgl. Anm. 33), S. 155. Vgl. Massmann (vgl. Anm. 34), S. 949.

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Auf dieser Stelle basiert die ausführliche Wiedergabe der Erzählung im gereimten .Passional', das gegen Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben wurde 38 . Nicht nur im ,Passional' und in der .Legenda aurea', sondern schon in Sigeberts Chronik wird der Vulcan auf Sizilien als Stätte des Fegefeuers genannt39. Die sizilianischen Vulkane sind zu allen Zeiten als Ort der Unterwelt und der Hölle bezeugt, seit dem 11. Jahrhundert aber auch als Stätten des Fegefeuers. Da mochte sich gelegentlich die Interpretation einstellen, Dietrich sei im Fegefeuer. Die einzige deutsche Heldendichtung, die etwas über Dietrichs Ende weiß, ist der ,Wunderer'. Wegen frevelnder Worte, zu denen ihn der Teufel verleitet hat, wird er (lebend) von einem Höllenroß hinweggeführt (und ist auch noch bey leben / her Dieterich von berti) und bekommt nun von Gott als Buße auferlegt {gott thet y m ein buoss geben), in der Wüste Rumeney (rumanyag) gegen Drachen zu kämpfen biss an den jüngsten tagm. Ein heroisiertes Fegefeuer also. Schrecklich ist das Ende Dietrichs in der ,Kaiserchronik' in jedem Fall und auch überraschend, da er fast durch die ganze Geschichte als durchaus positive Gestalt gezeichnet wird. Er wächst in Konstantinopel zu einem helt lussam heran (V. 13932) und wird im Laufe der Geschichte immer wieder als helt, helt guot und wîgant bezeichnet (V. 14001, 14120, 14097, 14135). Er gewinnt die Liebe und das Vertrauen des Kaisers, rächt an Etzius ritterlich die Kränkung der Kaiserin (V. 14075), kämpft gegen Odoaker alse der lewe tuot (V. 14122) und erwirbt, wie der Dietrich der Sage, Ruhm (V. 14108 f.). Er erfüllt sein Versprechen gegenüber dem Kaiser (V. 14135 f.). Aber wenige Zeilen später ist er der ubel wuotgrimme (V. 14154). Ohly hebt hervor, daß in der Dietrichgeschichte die Attribute nicht seiner Person, sondern seinem jeweiligen Handeln verhaftet sind und daß auch in der lateinischen Chronik Theoderich mit dem Augenblick seines Eingreifens gegen den Papst den Titel rex verliert und fortan als tyrannus bezeichnet wird: Die Person ist durch ihre jeweilige Rolle verdeckt. Jede Episode trägt ihren in sich geschlossenen zeichenhaften Sinn."41 Obwohl Dietrich wegen seines Vorgehens gegen die Führer der Christen als ubel îvuotgrimme (V. 14154) erscheint, ist sein Bild in der ,Kaiserchronik' selbst am Ende seiner Tage nicht einfach das verzerrte Dietrichbild der Chronistik. Papst Johannes hatte dem Kaiser gegenüber 38

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41

Das Passional. Eine Legendensammlung des dreizehnten Jahrhunderts. Hg. u. mit einem Glossar versehen v. Fr. Karl Köpke. Quedlinburg und Leipzig 1852 ( = Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur Bd. 32). S. 582. Zur Symbolik des Feuers in den Strafvorstellungen und der Bedeutung der Vulkane bei den Lokalisierungsversuchen des Fegefeuers vgl. Le Goff (vgl. Anm. 33), S. 19 u. 253. Zit. nach Otto Höfler: Der Rökstein und die Sage. In: Arkiv för nordisk Filologi 78, 1963, S. 1 - 1 2 1 , hier S. 40. Ohly (vgl. Anm. 30), S. 224, Anm. 16.

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Dietrich wegen seiner unehelichen Geburt als der Herrschaft unwürdig hingestellt: enge^ame niht sînen êren, da£ ain ungeborner man Ròmisk riche solté bewarn (14147 ff.). Dietrichs Vorgehen gegen den Führer der Christenheit wird somit „aus seinem Ehrgefühl menschlich verständlich motiviert und nicht allein als Ausdruck von Dietrichs arianischer Häresie hingestellt, wie es bisher immer geschehen war. Nicht als Häretiker muß Dietrich zur Hölle fahren, sondern weil er sich von seinem verletzten Ehrgefühl verleiten ließ, sich an den Führern der Kirche zu vergreifen." 42 Dietrichs uneheliche Geburt zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Dietrich-Geschichte der ,Kaiserchronik'. Schon in Getica (269) wird Dietrichs Mutter als concubina bezeichnet, und das wird wohl den geschichtlichen Tatsachen entsprechen. In der .Kaiserchronik' hetzen böse Ratgeber Kaiser Zeno auf, Dietmars angeblichen Verrat an sînem kebeselinge (V. 13913) zu rächen. Als Odoaker sich nach Rabene zurückgezogen hat, beschimpft er Dietrich als Kebsensohn und fordert ihn zum Zweikampf auf (V. 14112 ff.): er gie ûf den buregraben, er hiez Dieterîche sagen, er newasre niht edele, geborn von ainer kebese43. Dietrichs Vorgehen gegen Odoaker erhält durch den Kebsenvorwurf, ähnlich wie im Konflikt mit dem Papst, eine gegenüber der Geschichte neue und beschönigende Begründung. Im Erzählzusammenhang hat das Motiv die Funktion der Kampfreizung, die in der Heldensage häufig begegnet. So schmäht im Hunnenschlachtlied Gizurr den Halbbruder Angantyrs als „Sohn der Magd" und in Widukinds Sachsengeschichte (I, cap. 9) fordert der Thüringerkönig Irminfrid den fränkischen Theuderich auf, er solle doch zuerst um seine Freilassung ansuchen, ehe er auf das Reich Anspruch erhebe44. Es ist bemerkenswert, daß die kirchenpolitischen Ursachen des Konflikts zwischen Theoderich und dem Papst in der ,Kaiserchronik' ganz eliminiert und durch ein gängiges Motiv der Heldensage ersetzt sind. Auch sonst findet sich manches, was an die Heldensage erinnert. Als Begräbnisstätte Etzels wird Ofen genannt. Nach dem Anhang zum Heldenbuch und der Weltchronik Heinrichs von München fand der Nibelungenuntergang in Ofen statt, und noch Aventin kennt Ofen als Residenz Etzels45. Theoderich wird Dietrich (allerdings nicht von Berne), einmal auch Dietmar es sun (V. 14107) genannt, 42 43 44

45

Ib. S. 220. .Kaiserchronik' (vgl. Anm. 31), S. 336. Vgl. Otto Gschwantler: Formen langobardischer mündlicher Überlieferung. In: Jb. f. internationale Germanistik 9, 1979, S. 5 8 - 8 5 , hier S. 68 f. Massmann (vgl. Anm. 34), S. 955.

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Attila durchwegs Etzel, und für Ravenna steht Rabene. Der Ortsname Mêrân wird mit einer alten, durch die Heldensage vermittelten Bezeichnung für die Goten zusammenhängen, denn eine Regensburger Glosse des 12. Jahrhunderts gibt Gothi mit Meranare wieder 46 . Dietrichs Aufenthalt am Kaiserhof in Konstantinopel erinnert in manchen Zügen an die Exilsage. Der historische Theoderich kam mit acht Jahren i. J. 461 an den Hof Kaiser Leos und weilte dort zehn Jahre. Da nach der ,Kaiserchronik' schon zu dieser Zeit Zeno Kaiser des Ostreiches war, können Ereignisse, die sich tatsächlich erst unter Zeno zugetragen haben, mit Dietrichs Geiselschaft in Verbindung gebracht werden. Fünf Jahre nach der Entlassung aus der Vergeiselung wurde Theoderich von Kaiser Zeno zu seinem Waffensohn gemacht, wurde ferner Magister militum praesentalis und erhielt den Ehrenrang des Patricius (476). Im Jahre 484 bekleidete er das Konsulat 47 . Diese Auszeichnungen finden in der ,Kaiserchronik' ihren Widerhall in den Worten, daß Dietrich gewaffen nam (d. h. zum Ritter geschlagen wurde), daß der Kaiser ihm iinen van anvertraute und daß Dietrich dem Kaiser so lieb wurde, da^ er in sînem râte nam (V. 13933 ff.). Dietrich bricht also in der ,Kaiserchronik' aus seiner Vergeiselung nach Italien auf so wie der Dietrich der Heldensage aus dem Exil bei Etzel. Obwohl er in der ,Kaiserchronik' die zu erobernden Länder vom Kaiser zu Lehen erbittet, betont er (V. 14010 f.): vil willic ist mir Mêrân, mîn kunne ist ze Lancparten 48 . Schon Dietmâr hatte von sînen mâgen Lancparten bereitwillige Unterstützung gegen die Etzelsöhne erhalten (13882 f.). Das gewaltige Heer, das aufgestellt wird (V. 14019 ff.), ist wohl als Erfüllung der Bitte Dietrichs an den Kaiser zu verstehen, ihm zu helfen (V. 14009). Eine geschichtliche Grundlage hat dieses Motiv nicht, erinnert vielmehr an die Heldensage, wo Dietrich bei seinen Versuchen, die Heimat zurückzuerobern, von Etzel unterstützt wird, und auch in den ,Quedlinburger Annalen' kehrt Dietrich mit Hilfe Attilas zurück 49 . Die Namen der Völkerschaften, die die ,Kaiser-

46

Ohly (vgl. Anm. 30), S. 219; Schröder, Kaiserchronik (vgl. Anm. 31), S. 332, Anm. 1; Heinzel (vgl. Anm. 14), S. 9 ff. Nach George T. Gillespie: Spuren der Heldendichtung und Ansätze zur Heldenepik in literarischen Texten des 11. und 12. Jahrhunderts. In: Studien zur frühmittelalterlichen Literatur: Cambridger Colloquium. 1971. Hg. v. L. P. Johnson u.a. Berlin 1974. S. 235 — 263, hier S. 243, ist Mêrân „Maronien im Balkan". Martin denkt an Berhtungs Mêrân im Wolfdietrich. Siehe Alpharts Tod, Dietrichs Flucht, Rabenschlacht. Hg. v. Ernst Martin, B e r l i n - D u b l i n - Z ü r i c h 21967 ( = Deutsches Heldenbuch Bd. 2). S. XLVIII.

47

Vgl. Ensslin (vgl. Anm. 3), S. 41; Wolfram (vgl. Anm. 3), S. 338. .Kaiserchronik' (vgl. Anm. 31), S. 334. Vgl. Gschwantler (vgl. Anm. 1), S. 136 f.

48 49

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chronik' in diesem Zusammenhang nennt, erinnern an die Namen der Ostvölker, die im jBiterolf und in der .Thidreks saga' Dietrich im Dienste Etzels unterwirft 50 . Die Darstellung der .Kaiserchronik' erweckt den Eindruck, daß die Exilsage aufgrund des Geschichtswissens des Verfassers der ,Kaiserchronik' umgeformt wurde, und bestärkt in der Auffassung, daß auch Otto von Freising Theoderichs Aufenthalt in Konstantinopel als historische Grundlage der Exilsage ansah. Auch in dem Stück über Dietrichs Ahnen finden sich einige Heldensagenreminiszenzen. Was über den Befreiungskampf der Goten von den Hunnen (V. 13861 ff.) erzählt wird, hat seine historische Grundlage in den Kämpfen germanischer Stämme nach dem Tode Attilas gegen dessen Söhne, insbesondere in der Schlacht am Nedao i. J. 454, in der die Hunnen vernichtend geschlagen wurden und in der Attilas ältester Sohn Ellak den Tod fand (Jordanes, Getica 260 — 62). Auf dieses Ereignis geht die Sage vom Tod der Etzelsöhne Scharpfe und Orte in dem mhd. Epos ,Rabenschlacht' zurück51. Die ,Kaiserchronik' nennt, genau wie die Sage, namentlich zwei Etzelsöhne, doch sind die Namen der Sage durch zwei andere ersetzt, die jedoch ebenfalls aus der Heldensage stammen: Bloedel ist in der Heldenepik Etzels Bruder, Frítele einer der Harlungischen Brüder, die von Ermenrich getötet werden52. Wahrscheinlich handelt es sich auch bei dem alten Dietrich, der als Großvater Dietrichs eingeführt wird, nicht um eine freie Erfindung des Chronisten. Das Gedicht ,Ortnid' (Str. 597) und der ,Anhang des Heldenbuchs' führen Wolfdietrich unter Dietrichs Ahnen an. Wolfdietrich betrat ebenso wie der alte Dietrich der ,Kaiserchronik' als Flüchtling die Lombardei53. In mehreren Handschriften der ,Kaiserchronik' hat der alte Dietrich vier sune genau wie Wolfdietrich54. Daraus kann man ersehen, daß für diese Schreiber der alte Dietrich mit Wolfdietrich identisch war. Man darf daher wohl auf alten Zusammenhang schließen. Eine auffallende Übereinstimmung bezüglich der geographischen Verhältnisse findet sich übrigens in dem Abschnitt über Dietrichs Ahnen in der Weltchronik Heinrichs von München: Dietrichs Ahnherr Dietwart herrscht über Mêran, erst dessen Sohn Sigeher erobert Lamparten55. Auch dies spricht für eine sagenhistorische Grundlage der 50 51 52 53

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Gillespie (vgl. Anm. 46), S. 243, Anm. 36; vgl. auch ib. Anm. 37. Rosenfeld (vgl. Anm. 14), S. 212 ff. Vgl. die Stellenangaben bei Gillespie (vgl. Anm. 46), S. 243, Anm. 33. Hermann Schneider: Germanische Heldensage, 2. durch einen Anhang erweiterte Aufl. des 1. Bandes. Berlin 1962 ( = Grundriß der germanischen Philologie 1 0 / 1 - 3 ) . S. 283. .Kaiserchronik' (vgl. Anm. 31), S. 332, Anm. zu V. 13850. Vgl. Massmann (vgl. Anm. 34), S. 934. Diese Übereinstimmung ist schon Grimm (vgl. Anm. 18), S. 224, Anm., aufgefallen, ohne daß er ihr weitere Bedeutung beigemessen hätte. Vgl. auch Gisela Kornrumpf: Heldenepik

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Darstellung der ,Kaiserchronik'. Wenn die .Kaiserchronik' diesen alten Dietrich zu einem Zeitgenossen Etzels macht, so dürfte sie darin einer Anregung Frutolfs folgen, die mit einem anderen Theoderich zur Zeit Attilas rechnet56. Man gewinnt den Eindruck, daß die ganze Vorgeschichte dazu dient, Dietrich und sein Geschlecht der Heldensage gemäß in Oberitalien zu verankern. Die Kritik an der Chronologie der Heldensage ist offenbar abhängig von Frutolf, dessen Chronik für die Partien von Kaiser Arnulf bis Heinrich IV. mit ziemlicher Sicherheit herangezogen ist57. Zunächst fällt auf, daß — anders als bei Frutolf, Otto von Freising und Gottfried von Viterbo — Ermanrich nicht mehr erwähnt wird. Er kommt ja in der ,Kaiserchronik' überhaupt nicht vor, und so beschränkte sich der Chronist auf Dietrich und Etzel. Man mag darin ein weiteres Symptom für das auch sonst feststellbare Nachlassen des Interesses an dieser Sagengestalt sehen. In seinem Bestreben, die Ungleichzeitigkeit von Dietrich und Etzel zu beweisen, geht die ,Kaiserchronik' etwas weit: zwischen Etzels Tod und Dietrichs Geburt, so behauptet sie, wären 43 Jahre verstrichen. Diese große Zeitspanne erklärt sich zum Teil wohl daraus, daß die ganze Dietrichgeschichte in die Zeit Zenos verlegt wird, obwohl auch da der Zeitabstand so groß nicht ist: Attila starb 453, Zeno regierte in den Jahren 474/75 und 476-491. Die Verse (14176ff.) Swer nü welle bewasren, daz Dieterich Ezzelen saehe, der haize daz buoch vur tragen58 werden verschieden interpretiert. Nach Eduard Schröder will der Verfasser der ,Kaiserchronik' „für seine eigene wirre darstellung den glauben an eine schriftliche vorläge erwecken." 59 In diesem Sinne übersetzt auch Gert Kaiser: „Wer immer nun zu erweisen beabsichtigt, daß Dietrich Etzel gesehen habe,

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und Historie im 14. Jahrhundert. Dietrich und Etzel in der Weltchronik Heinrichs von München. In: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübinger Colloquium 1983. Hg. v. Christoph Gerhardt / Nigel F. Palmer / Burghart Wachinger. Tübingen 1985. S. 8 8 - 1 0 9 , hier S. 104. Ohne an Frutolf zu denken, meint Ohly (vgl. Anm. 30), S. 219: „Die Gleichnamigkeit von Großvater und Enkel ist zwar häufig, hier aber wahrscheinlich dem Bedürfnis entsprungen, Etzel, dessen Zeitgenossenschaft mit Dietrich, dem Sagenhelden, man aus historischen Gründen leugnete . . ., auf diese Weise einen anderen Dietrich beizuordnen". Neilmann (vgl. Anm. 29), Sp. 956 mit Hinweis auf Welzhofer und Korrekturen von Schröder. Zimmermann (vgl. Anm. 11), S. 136 führt an: „. . . kommen das .Chronicon Wirciburgense', wahrscheinlich über die Chronik des Frutolf/Ekkehard . . . in Frage". Hinweis auf Schröder, .Kaiserchronik' (vgl. Anm. 31), S. 68 — 72. .Kaiserchronik' (vgl. Anm. 31), S. 337. Ib. S. 337, Anm. 2.

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der lasse das Buch [die fiktive Vorlage] Vortragen"60. Für diese Auffassung spricht, daß wenige Verse später abermals da% buoch erwähnt wird (V. 14190), und hier ist eindeutig die (angebliche) Quelle der .Kaiserchronik' gemeint, ebenso in V. 14091. Wenn man diese Bedeutung auch für die in Frage stehende Stelle annimmt, dann wird der Vertreter der Ansicht, Dietrich und Etzel seien Zeitgenossen gewesen, nicht etwa aufgefordert, den (schriftlichen) Beweis dafür zu erbringen, sondern sich durch die schriftliche Quelle der ,Kaiserchronik' widerlegen, eines besseren belehren zu lassen. So hat die Stelle anscheinend auch der Verfasser der ,Prosakaiserchronik' verstanden, wenn er schreibt: Swer nu seit da% Dieterich von Berne E%eln den künig von Ungern sähe, der seit unrebte; der selbe sehe an Cronicam . . .61 Cronica bezeichnet hier die ,Kaiserchronik' als Quelle der ,Prosakaiserchronik'62 und entspricht dem buoch in unserer Stelle, das dann als Vorlage der Kaiserchronik verstanden wäre. Von anderen Interpreten wird da% buoch in V. 14178 als die schriftliche Quelle, der schriftliche Beweis für die Behauptung verstanden, Dietrich und Etzel seien Zeitgenossen gewesen. So übersetzt Maßmann: „Wer hiernach behaupten wolle, daß Dietrich Etzein im Leben gesehen habe (14195 — 14196), der führe den Beweis aus den Büchern."63 Der Verfasser der ,Kaiserchronik' war dann offenbar davon überzeugt, daß seine Forderung nicht erfüllt werden könne, denn das ,Hildebrandslied', die ,Quedlinburger Annalen' und die .Würzburger Chronik', wo man von Dietrichs Aufenthalt bei Etzel hätte lesen können, waren ihm offenbar unbekannt. Ob man sich nun, wozu ich neige, für die erste oder die zweite Interpretation entscheidet: in jedem Fall wird mit Nachdruck der Vorrang des Buches gegenüber der mündlichen Überlieferung postuliert. Der Dietrich-Abschnitt endigt mit den Worten: hie meget ir der luge ml ain ende haben. Nach Friedrich Ohly würde die Dietrich-Geschichte der ,Kaiserchronik' nicht deshalb als luge bezeichnet, weil sie „unhistorisch" oder Heldensage sei, sondern wegen der tyrannischen Gefangensetzung des Papstes durch Dietrich. „Gerade die dem Dichter historisch verbürgte tyrannische Tat Dietrichs macht diesen Abschnitt seiner Geschichte, weil heilsgeschichtlich verurteilenswert, zur ,Lüge'." 64 60

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Gert Kaiser: Deutsche Heldenepik. In: Europäisches Hochmittelalter. Hg. v. Henning Krauss. Wiesbaden 1981 ( = Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. v. Klaus v. See, Bd. 7). S. 1 8 1 - 2 1 6 , hier S. 215. Zit. nach Kornrumpf (vgl. Anm. 55), S. 100. Ib. S. 100, Anm. 37. Massmann (vgl. Anm. 34), S. 933; vgl. auch Xenja von Ertzdorff: Die Wahrheit der höfischen Romane des Mittelalters. In: ZfdPh 86, 1967, S. 3 7 5 - 3 8 9 , hier S. 379; Gillespie (vgl. Anm. 46), S. 244; Kornrumpf (vgl. Anm. 55), S. 99. Ohly (vgl. Anm. 30), S. 32.

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Schon im Prolog zur Kaiserchronik begegnet das Wort lug (V. 29 ff.): manege erdenchent in lugene unt vuogent si zesamene mit scophelichen Worten.

Hier scheint das Wort bewußte Erfindung, fictio zu bedeuten. Wenn diese Bedeutung auch in der Stelle über die Dietrichsage vorliegt, dann urteilt der Verfasser der ,Kaiserchronik' wesentlich schärfer als Frutolf von Michelsberg, der mit einem Irrtum der Sage rechnete, und auch schärfer als Otto von Freising und Gottfried von Viterbo, die den Irrtum der Sage für erwiesen hielten, es aber bei der Konstatierung dieses Irrtums bewenden ließen. An bewußte Erfindung ist wohl auch in der vorliegenden Stelle der ,Kaiserchronik' nicht gedacht. Unmittelbar vorher wird im Anschluß an Frutolf von der Unmöglichkeit gesprochen, daß Dietrich Etzel „gesehen" habe, und so dürfte mit luge doch primär die historische UnZuverlässigkeit und Unglaubwürdigkeit der Dietrichsage in diesem Punkt gemeint sein. „Diese Lügen sind demnach falsche Behauptungen über einzelne historische Persönlichkeiten, die unter Hinweis auf eine sichere, meistens schriftliche Überlieferung widerlegt werden können." 65 Eine gewisse Abwertung der Heldensage ist also in der ,Kaiserchronik' vorhanden, insofern der schriftlichen Geschichtsüberlieferung, dem buoch, eindeutig der Vorrang eingeräumt wird gegenüber der oralen Überlieferung der Heldensage. Der Vorwurf der Lüge bezöge sich, falls Ohly mit seiner Deutung der Stelle doch recht haben sollte, überhaupt nicht auf die Sage, sondern lediglich auf den letzten Abschnitt der Dietrichgeschichte, wie die ,Kaiserchronik' selbst sie erzählt66. Wahrscheinlich ist, daß er sich auf die historisch falsche Behauptung der Sage bezieht, Dietrich und Etzel seien Zeitgenossen gewesen. Eine generelle Verurteilung der Heldensage oder auch nur der Dietrichsage kann aus der Stelle nicht abgeleitet werden. 3. Die ,Sächsische Weltchronik' Im Anschluß an die ,Kaiserchronik' soll das Zeugnis zur deutschen Heldensage in der ,Sächsischen Weltchronik'67 behandelt werden, dem ersten histo65 66

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Ertzdorff (vgl. Anm. 63), S. 379. Joachim Knape: Zur Typik historischer Personen-Erinnerung in der mittelhochdeutschen Weltchronistik des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters (vgl. Anm. 55), S. 17—36, S. 21 meint, es liege eine „explizite Gesamtbewertung Dietrichs" vor. — Den Dietrichabschnitt der Prosimetrumfassung der .Sächsischen Weltchronik' (C1) bringt Knape S. 28—36. Sächsische Weltchronik. Hg. v. Ludwig Weiland. Hannover 1876 ( = M G Deutsche Chroniken Bd. 2, 1. Abt.).

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riographischen Werk in deutscher, genauer mittelniederdeutscher Prosa. Ihre Hauptquelle und Grundlage ist wieder das Geschichtswerk Frutolfs68. Ihr Verfasser nennt sich in der gereimten Vorrede der van Repegowe, und man hat vielfach angenommen, daß darunter Eike von Repgau, der Verfasser des , Sachsenspiegels', zu verstehen sei, doch ist dies ziemlich unwahrscheinlich69. Das Werk wurde höchstwahrscheinlich von Franziskanern verfaßt 70 und ist in drei Rezensionen überliefert, von denen die knapperen, A und B, lange Zeit unbestritten als die älteren galten und dem Verfasser der Chronik zugeschrieben wurden. Daß dies auch für die dritte, um vieles umfangreichere und gerade für die Heldensage wichtige Rezension C zutreffe, wie der Herausgeber der Chronik Ludwig Weiland meinte71, blieb umstritten72. Eine völlig konträre Auffassung der Uberlieferungsverhältnisse vertrat Hubert Herkommer 1972: nach ihm stünde das sogenannte „Prosimetrum" der Fassung C (C1) mit seinen Einschüben aus der ,Kaiserchronik' in Versform am Anfang, gefolgt von der jüngeren Version mit Kaiserchronikeinschüben in Prosa (C2), während es sich bei *A und Β um eine kürzende Redaktion handle73. Dies hat auch eine neue, sehr viel spätere Datierung zufolge: das Werk wäre zwischen 1260 und 1275 entstanden, während man sonst, vor allem wenn man mit Eike als Verfasser rechnete, die Jahre um 1230 annahm74. Allerdings wurden gegen die Priorität der Rezension C gewichtige Einwände vorgebracht75, so daß man weiterhin mit der Entstehung des Werkes in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts rechnen muß.

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Zimmermann (vgl. Anm. 11), S. 140 mit Hinweis auf Weiland, .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 20 ff. Vgl. zuletzt Manfred Zips: Daz ist des van Repegouwe rat. Bemerkungen zur Verfasserfrage der .Sächsischen Weltchronik'. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 106, 1983, S. 4 3 - 7 3 . Vgl. Hubert Herkommer: ,Das Buch der Könige alter ê und niuwer è'. In: Verfasserlexikon (vgl. Anm. 29), Bd. 1, 1978, Sp. 1 0 8 9 - 1 0 9 2 ; ders.: Eike von Repgows .Sachsenspiegel' und die .Sächsische Weltchronik'. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 100, 1977, S. 7 - 4 2 . Weiland, .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 39 ff. Vgl. die Einwände bei Helmut de Boor: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. 1. Teil: 1 2 5 0 - 1 3 5 0 . München 1962 ( = Helmut de Boor / Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 3. 1. Teil). S. 190. Herkommer: Eike von Repgows .Sachsenspiegel' und die .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 70), S. 1 6 - 1 9 ; Zips (vgl. Anm. 69), S. 48. Herkommer, Eike von Repgows .Sachsenspiegel' und die .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 70), S. 20 f.; Zips (vgl. Anm. 69), S. 49. Vgl. die Literatur bei Zips (vgl. Anm. 69), S. 50, sowie Ruth Schmidt-Wiegand: Eike von Repgow. In: Verfasserlexikon (vgl. Anm. 29) Bd. 2, 1980, Sp. 4 0 0 - 4 0 9 , hier Sp. 407 f.

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Die Stelle über das Ende Dietrichs und die daran anschließende Notiz über die Heldensage lauten in der Rezension C2: In den tiden let de koning Dideric dot slan to Rome Symachum patricium unde den gûden meister Boecium. He sterfde oc den paves Johannem hungeres in deme kerkere. Darna starf de koning Dideric gahes dodes. Also de paves Johannes bat vor sineme ende unsen herren got, dat he de cristenen wroke over den bösen man, do wart he hinen gevort och sunlike in Vulcanum, de dar brant immer mer. Etelike lude spreket, daß Dideric van Berne noch in der helle leve. Dit was de Dideric van Berne, Diedmares sone, van des siechte de Amelunge quemen. Swe so mer wille weten von sineme siechte unde sinen orlogen, de lese Hystoriam Gothorum. It wirt doch van eme manich logentale gedan. He het oc van Berne, wante he allererst Berne gewan unde darut bedwanc de lant. Er waren de Goten unstede van lande to lande, wände se sider Burgundiam gewunnen, dar se noch hude sittet 76 . Das Absätzchen Also ... in der helle leve fehlt in den Rezensionen A und Β und ist nur in der Gruppe C vorhanden. Wahrscheinlich ist es durch die ,Kaiserchronik' angeregt 77 . In beiden Texten ist von Gottes Rache an Dietrich die Rede, doch im übrigen sind die Abweichungen groß. In der ,Kaiserchronik' ist allgemein von der Klage der Christen über den Verlust ihres Herrn die Rede, die Gottes Rache herbeiruft. In der ,Sächsischen Weltchronik' bittet Papst Johannes vor seinem Tode Gott, die Christen an Dietrich zu rächen. In der ,Kaiserchronik' gibt Johannes Teufeln den Auftrag, Dietrich in den Vulkan zu stürzen (V. 14173). In der ,Sächsischen Weltchronik' ist von einem Befehl des Papstes nicht die Rede, und es bleibt offen, wer Dietrich in den Vulkan stürzt. Dafür findet sich hier die Bemerkung, daß das Feuer des Vulkans immer stärker brannte, was in der ,Kaiserchronik' keine Entsprechung hat. Sie nimmt auf die unmittelbar vorhergehende Bemerkung, Dietrich sei eines plötzlichen Todes gestorben, keine Rücksicht und stimmt mit der ,Kaiserchronik' darin überein, daß Dietrich keines natürlichen Todes starb, sondern, wie es in der .Sächsischen Weltchronik' heißt, hinen gevort wurde

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.Sächsische Weltchronik' Kap. 111 (vgl. Anm. 67), S. 134f. Bei Grimm (vgl. Anm. 18) ist Nr. 84 (S. 228) aus einer späten obd. Handschrift ein Stück abgedruckt, ohne Vermerk, daß es sich dabei um die .Sächsische Weltchronik' handelt. Er ist Nr. 48c (S. 463) nachgeholt, wo auch die Stelle von König Etzels Schatz ausgehoben ist, den Kaiser Karl in Ungarn gefunden haben soll. Sie ist die Quelle für die Verse aus Karlmeinet Nr. 75b (S. 191) und Nr. 72d (S. 468). In den Zeugnissen und Exkursen finden sich an folgenden Stellen Hinweise auf die .Sächsische Weltchronik' und kurze Zitate daraus (doch nie das ganze Stück im Zusammenhang): Nr. XXI,7 (S. 620), Nr. XXX,1,a (S. 657 f.), Nr. LXXVI (S. 706).

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Vgl. .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 134, Anm. 7.

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(man vgl. .Kaiserchronik' V. 14172: sie vuorten in in berch). Das in diesem Zusammenhang verwendete Junlike „sichtbar" 78 erinnert an Gottfrieds corporaliter. Da die Darstellung von Dietrichs Ende derselben Tradition verpflichtet scheint, der wir bei Gottfried und in der ,Kaiserchronik' begegneten, dürfte auch ihr Verfasser der Meinung gewesen sein, Dietrich sei zwar lebend hinweggeführt worden, habe aber beim Sturz in den Vulkan den Tod gefunden. Dem fügt er dann die Bemerkung hinzu, einige Leute behaupteten, daß Dietrich noch jetzt in der Hölle lebe. Sie hat kein Gegenstück in der ,Kaiserchronik' und entspricht auch nicht deren Vorstellung, daß Dietrich im Vulkan begraben sei. Wenn der Verfasser des Absätzchens irgendeinen Zusammenhang zwischen seiner eigenen Darstellung von Dietrichs Vulkansturz und der folgenden Bemerkung sah oder im Sinne einer Harmonisierung herstellen wollte, würde dies bedeuten, daß nach Auffassung einiger Leute Dietrich beim Sturz in den Vulkan nicht den Tod gefunden habe und daher noch jetzt in der helle, im Vulkan also, lebe. Da die ,Kaiserchronik' im Zusammenhang mit dem Vulkansturz nichts von Dietrichs Tod erwähnt, ist nicht auszuschließen, daß die Worte da brinnet er unζ an den jungisten tac „einige Leute" zu dieser Behauptung veranlaßt haben. Dies könnte auch erklären, weshalb hier nur etelike lude erwähnt werden, was zunächst nicht auf eine volkstümliche und weitverbreitete Sage zu deuten scheint. Wahrscheinlich ist, daß ein solcher Zusammenhang weder vorgegeben noch intendiert war. Der Verfasser setzt die Bemerkung deutlich von seiner eigenen Darstellung ab. Dann aber bleibt ganz offen, auf welche Weise Dietrich in die Hölle kam. Es liegt nahe, die Sage von Dietrichs Höllenritt, wie etwa Otto von Freising sie erzählt, mit der Angabe in der .Sächsischen Weltchronik' zu verbinden: Dietrich ist lebend auf einem Pferd zur Hölle gefahren und dort lebt er noch jetzt. Das noch hätte also zunächst einen von der Gegenwart in die Vergangenheit zurückweisenden Charakter: Dietrich ist nicht gestorben und lebt noch jetzt. Doch hat das noch wohl auch einen Aspekt, der auf die Vorläufigkeit des jetzigen Zustands und in die Zukunft weist: Dietrichs Aufenthalt (als Mensch) in der Hölle wird endigen. Soll Dietrich irgendwann (lebend) in diese Welt zurückkehren? Oder ist mit noch die Vorläufigkeit des Fegefeuers gemeint? Immerhin sind Vulkane als Stätten des Fegefeuers gut bezeugt (s. o.), und das Motiv der ständig zunehmenden Qual {de dar brant immer mer) begegnet im Hinblick auf das Fegefeuer schon in Jotsualds Vita Odilonis 79 . Doch muß diese Möglichkeit wohl ausgeschlossen werden. Ein lebender Mensch an der 78 79

Ib. S. 695 (Glossar). Vgl. Le Goff (vgl. Anm. 33), S. 155.

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Stätte der Armen Seelen, das ist und war wohl unvorstellbar. Man könnte leven unter Umständen als „existieren, sich aufhalten" verstehen und dann weiter auf Dietrichs Seele beziehen. Aber solche Versuche scheitern daran, daß helle in der .Sächsischen Weltchronik' immer in der Bedeutung „Hölle" verwendet wird, nicht etwa anstelle von oberbelle für „Fegefeuer"80. Im folgenden Absätzchen wird darauf verwiesen, daß es sich da um den Dietrich der Sage handelt, um Dideric van Berne81, Diedmares sone, und es wird der sagenhafte Name der Amelungen für Dietrichs Geschlecht genannt. Der wissensdurstige Leser wird auf die Hjstoria Gothorum verwiesen, womit die Chronik Frutolfs gemeint ist. Die Warnung, daß von Dietrich manich logentale gedan wird, ist wohl nicht durch die einschlägige Stelle bei Frutolf, wo von Lüge nicht die Rede ist, sondern durch die Kaiserchronik angeregt 82 . Inhaltlich besteht ein beachtenswerter Unterschied. Der Vorwurf der Lüge bezieht sich in der ,Kaiserchronik' primär auf die Behauptung der Sage, Dietrich habe am Hofe Etzels geweilt. Die .Sächsische Weltchronik' ist allgemeiner, sie spricht von „vielen" erlogenen Geschichten. Das wird wohl nicht nur auf die Exilsage gehen. Zur Frage der Chronologie äußert sich der Chronist nicht, obwohl er Frutolf kannte. Hat er an Dietrichs Kämpfe mit mythischen Wesen und an die Sage von Dietrichs dämonischer Abstammung gedacht, da er gerade jene auf die Hystoria Gothorum verweist, die sich über Geschlecht (also doch vor allem Abstammung?) und Kämpfe Dietrichs informieren wollen? Ob mit logentale historisch falsche oder geradezu erfundene Geschichten gemeint sind, muß wohl offenbleiben. Die Worte der .Sächsischen Weltchronik' gehen jedenfalls merklich über die bisherige Kritik an der Heldensage in Geschichtswerken hinaus, obwohl ihr Interesse am historischen Theoderich deutlich durch die Sage bestimmt ist. Schließlich sei noch vermerkt, daß sich auch in der .Sächsischen Weltchronik' zur Ermanrichsage nichts findet, obwohl im Anschluß an FrutolfEkkehard kurz vom Hunneneinfall berichtet wird (cap. 98). Nachdem die Sage von der Hinde, die Hunnen den Weg weist, erzählt wurde, heißt es: Se [d. i. die Hunnen] vordreven oc van deme lande de Goten%i, de er al de werlt bedwungen hadden. Se bedwungen to jungest den keiser van Rome bi des koning Evelines tiden. 80

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Vgl. .Sächsische Weltchronik' S. 134 und 210. Diese Stellen gehören allerdings nicht der Fassung C an. So wird Dietrich auch schon .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 133, Z. 20 genannt, wo er erstmals erwähnt wird. Weiland, .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 135, Anm. 2, verweist auf die ,Kaiserchronik' und die Chronik von Frutolf-Ekkehard. Nach Weiland sollte die .Kaiserchronik' allerdings nur in der Gruppe C herangezogen sein (ib. S. 24). Weiter oben im selben Kapitel sind die Goten in Ungarn lokalisiert, was bei Frutolf keine Grundlage hat: . . . dat land der Goten, dat nu Utigeren is.

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Dit vint men al gesreven in Hystoria Hunorum vullichlike. Nicht einmal der Name Ermanrichs wird also erwähnt. Man wird daraus auf mangelndes Interesse an dieser Sagengestalt schließen müssen. 4. Die ,Flores temporum' Hier sei noch ein Werk angeführt, das nicht direkt in der Nachfolge Frutolfs steht, das aber insofern in die hier zu behandelnde Traditionskette gehört, als es u. a. aus der ,Sächsischen Weltchronik' geschöpft hat84, wahrscheinlich auch bei der Stellungnahme zur Dietrichsage: Die .Flores temporum'85, verfaßt im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts von einem ungenannten Minoriten (später häufig Martinus Minorità genannt) in einem Franziskanerkloster des alemannischen Raums. Sie stellen ein umfangreiches Geschichtswerk dar, das nach Ausweis der bisher bekanntgewordenen Handschriften im wesentlichen auf den süddeutschen Raum beschränkt blieb, hier aber nachhaltig gewirkt hat. Sie sind als Papst- und Kaiserchronik angelegt und fußen in ihrer Anlage und in der zugrundegelegten Chronologie vor allem auf der,Chronica Summorum Pontificum Imperatorumque ac de VII aetatibus mundi' des Dominikaners Martin Strebski von Troppau86 (Martinus Polonus, gest. 1278), dessen Werk das am stärksten verbreitete Geschichtshandbuch des späten Mittelalters war. In den Theoderich betreffenden Teilen der ,Flores temporum' ist außerdem das ,Chronicon Wirciburgense' als Quelle herangezogen 87 . Martin von Troppau gibt nach Paulus Diaconus die Legende von Theoderichs Sturz in den Vulkan wieder und erwähnt weiter nichts von Sagen über Dietrich. In den ,Flores temporum' finden sich gegenüber Martin von Troppau zwei bemerkenswerte Zusätze: Symmacum patricium et Boecium phylosophum viros christianissimos, cónsules Romanos, occidit, et ipse post ebdomadas (90. die post Mart.) 14 anno Domini 528 apud Ravennam subito mortuus, nusquam comparuit, quem papa Johannes et Symmacus in ollam Vulcani proicerant; sic fuit

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Weiland, .Sächsische Weltchronik' (vgl. Anm. 67), S. 61. .Flores Temporum'. Hg. v. O. Holder-Egger. In: M G SS XXIV. Hannover 1879, S. 228 - 250. Vgl. Peter Johanek: .Flores Temporum' (Martinus Minorità). In: Verfasserlexikon (vgl. Anm. 29), Bd. 2, 1980, Sp. 7 5 3 - 7 5 8 . Martin von Troppau: Chronicon pontificum et imperatorum. Hg. v. Ludwig Weiland. In: M G SS XXII. Hannover 1872. S. 3 9 7 - 4 7 4 . Vgl. Anna-Dorothee v. den Brincken: Martin von Troppau (Martinus Polonus). In: Verfasserlexikon (vgl. Anm. 29), Bd. 6, Lieferung 1, 1985, Sp. 1 5 8 - 1 6 6 . Vgl. die Quellenhinweise am Rande der Ausgabe (vgl. Anm. 85), S. 250, und Zimmermann (vgl. Anm. 11), S. 131.

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cuidam oranti a Domino revelatum. Multa de ipso cantantur, que a ioculatoribus sunt conficta88. Im Zusammmenhang mit Dietrichs Ende begegnet hier die Wendung nusquam comparuit. Die Worte stehen an der gleichen Stelle wie Gottfrieds disparuit89, doch bedeutet nusquam comparuit etwas anderes: „er ist niemals (wieder) erschienen, wurde niemals (wieder) gesehen". Der folgende Relativsatz wird dann wohl als Begründung gemeint sein: Theoderich wurde nicht wieder gesehen, „da in den Vulkan geworfen" 90 . Das könnte so verstanden werden, als wäre er auch in diesem Falle bei lebendigem Leibe oder, wie Gottfried sagt, corporaliter in den Vulkan gestürzt worden. Doch das unmittelbar vorausgehende subito mortuus verbietet eine solche Interpretation. Wenn von einem Toten eigens gesagt wird, daß er nicht wieder erschien, dann werden sich die Worte nusquam comparuit wohl gegen den mehrfach bezeugten Glauben richten, daß Theoderich in irgendeiner Form wiederkehre91. Heinrich Steinhöwel, dessen Deutsche Chronik von 1473 im wesentlichen einen Auszug aus den Flores temporum darstellt, gibt die Worte subito mortuus, nusquam comparuit mit gâhlinge todjvnd verloren wieder92. Der Ausdruck verloren wird in mhd. Texten mehrmals auf Dietrich und ähnlich Entrückte angewandt, wobei häufig noch besonders hervorgehoben wird, daß niemand zu sagen wisse, was aus ihm geworden sei93. Es ist indessen zweifelhaft, ob Steinhöwel mit dieser Übersetzung, die offenbar dem Sagenhorizont seiner Zeit entspringt, den Sinn der lateinischen Vorlage genau erfaßt und ob das nusquam comparuit als lateinische Entsprechung zu mhd. verlern zu verstehen ist. Unter Kaiser Justinus kommt Steinhöwel noch einmal auf .Dietrichs Ende zu sprechen und vermerkt einfach: In dem iar ward künig dietrich von bern verloren / man weiß och nit wa hin er kamen jy«94. Hier war er von einer Vorlage unabhängig, und man darf auch annehmen, daß das zu seiner Zeit eine gängige Formel 88

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,Flores Temporum' (vgl. Anm. 85), S. 250. Der Sturz in den Vulkan wird bei Martin von Troppau (vgl. Anm. 86) zweimal erwähnt: einmal im Papstkatalog unter Papst Johannes (S. 420), dann unter Kaiser Justinus (S. 455). Vgl. auch Zimmermann (vgl. Anm. 11), S. 127 f. Eine Abhängigkeit der .Flores temporum' von Gottfried läßt sich nicht nachweisen. Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 108. Vgl. die Quellenhinweise bei Höfler (vgl. Anm. 40), S. 34. Heinrich Steinhöwel: Ein tiitsche Cronica von anfang der weit vncz vff keiser fridrich (III.). Ulm 1473. S. 10b (Österr. Nationalbibliothek Inkunabel III.F.37). Bei dem anschließenden Hinweis Steinhöwels auf Dietrichs Höllenritt dürfte es sich um eine wörtliche Übersetzung der Stelle bei Otto von Freising handeln. Vgl. Müllenhoff, ZE XXI (vgl. Anm. 18), S. 620; Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 104. Zur Abhängigkeit der Chronik Steinhöwels von den .Flores temporum' siehe Wilhelm Wackernagel: Geschichte der deutschen Literatur. 2. Auflage Basel 1 8 7 9 - 9 4 . Bd. 1. S. 447, Anm. 196a. Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 108. Steinhöwel (vgl. Anm. 92), Bl. II a ; vgl. dazu auch unten nach Anm. 136.

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war, über Dietrichs Ende zu sprechen. Einen Teil dieser Formel setzte er ein, um das nusquam comparait der ,Flores temporum' wiederzugeben. Seine Übersetzung kann daher nicht als Argument gegen die hier vorgetragene Interpretation der Stelle angeführt werden, daß sich die Worte nusquam comparuit gegen den Glauben an eine Wiederkehr Theoderichs wenden. In dem abschließenden Satz wird offenbar nicht nur im Hinblick auf chronologische Irrtümer behauptet, daß vieles, was über Dietrich erzählt wird, auf Erfindung der joculatores beruhe. Die Worte klingen an die .Sächsische Weltchronik' an: multa . . . sunt confida entspricht ziemlich genau den Worten manich logentale gedan. Erstmals wird hier in bezug auf die Dietrichsage von Fiktion gesprochen95. Darüber hinaus glaubt der Chronist zu wissen, daß solche Dichtungen gesungen wurden und von joculatores stammten. Er scheint nach wie vor an mündlich tradierte und vorgetragene Dichtung zu denken, obwohl zu seiner Zeit ein Großteil der Heldensage bereits Literatur geworden war. II. Nicht von Frutolf abhängige Zeugnisse In den folgenden drei Zeugnissen wirkt sich die Unabhängigkeit von Frutolf zunächst darin aus, daß die Chronologie der Heldensage nicht mehr Gegenstand der Kritik ist, und es findet sich in dieser Gruppe auch keine generelle Polemik gegen die Heldensage. Bei aller Verschiedenheit haben die drei Texte das gemein, daß sie Angaben machen über eine Wiederkehr Dietrichs in diese Welt nach seinem Tod bzw. nach seiner Entrückung. Dietrich erscheint zumindest in zweien der drei Zeugnisse als gespenstischer Reiter, der enge Verwandtschaft zum Vorstellungsbereich des Wilden Jägers aufweist oder mit ihm identisch ist. Dietrich von Bern als Wilder Jäger — das wurde und wird sehr verschieden interpretiert. Wenn man davon ausgeht, daß Wodan als Gott der Toten und auch als Anführer des Totenheeres bezeugt ist, wäre Theoderich in die Rolle dieses Gottes eingetreten und so mythisiert worden96. Da jedoch die Vorstellung vom Wilden Jäger und von der Wilden Jagd nach der Christianisierung vielfach als Teufelsspuk hingestellt wurde, ergibt sich als Gegenposition, der arianische Ketzerkönig sei erst von seinen katholischen

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Zum Begriff der fictio vgl. Peter von Moos: Poeta und históricas im Mittelalter. Zum MimesisProblem am Beispiel einiger Urteile über Lucan. In: PBB 98, 1976, S. 9 3 - 1 3 0 , bes. S. 119f. Anm. 57; ferner Fritz Peter Knapp: Historische Wahrheit und poetische Lüge. Die Gattungen weltlicher Epik und ihre theoretische Rechtfertigung im Hochmittelalter. In: DVjS 54, 1980, S. 5 8 1 - 6 3 5 , bes. S. 591 ff. Otto Höfler: Theoderich der Große und sein Bild in der Sage. In: Anz. d. phil.-hist. Kl. d. Österr. Ak. d. Wiss. 111, 1974, S. 349-372.

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Gegnern in die Rolle des diabolisierten Wilden Jägers versetzt worden97. Im folgenden soll auf die Frage nach dem Ursprung nicht näher eingegangen werden. Vielmehr sollen die Zeugnisse des angegebenen Zeitraums daraufhin befragt werden, welche Vorstellungen von einem Weiterleben Dietrichs in Umlauf waren und wie die Verfasser der Zeugnisse bzw. ihre Zeitgenossen diese Vorstellungen bewerteten. 1. Die .Chronica regia Coloniensis' Die nur in fragmentarischen Handschriften überlieferte .Chronica regia Coloniensis' setzte wahrscheinlich mit der Regierung des Augustus ein und basiert bis zum Jahre 1106 auf der Chronik Frutolfs und Ekkehards, bis 1144 auf den .Korveyer Annalen' und wird erst für die folgenden Jahre ausführlicher und selbständiger. Sie wurde 1197 in einem Zuge geschrieben und 1202 nur noch um zwei Berichte für die Jahre 1198 und 1199 ergänzt. Zum Jahre 1197 berichtet sie von einer Dietricherscheinung, die in keinem Zusammenhang mit den Spekulationen um Dietrichs Ende steht, die der Chronist in dem Geschichtswerk Frutolfs vorfand. Die Dietricherscheinung von 1197 ist in einer älteren und einer jüngeren Rezension der ,Kölner Königschronik' überliefert. Es ist das Verdienst Karl Haucks, den Dietrich-Bericht beider Rezensionen, besonders der älteren, die bis dahin kaum Beachtung gefunden hatte, eingehend gewürdigt zu haben98. Hier zunächst der Wortlaut der Dietricherscheinung in den beiden Fassungen: Recensio I: eodem tempore quibusdam iuxta Mosellam ambulantibus apparuit fantasma mirae magnitudinis in humana forma equo nigro insidens. Quibus perterritis, ad eos accedens, ne terreantur, hortatur. Theodericum Bernensem se nominai et in brevi per totum imperium causam adventus sui debere innotesci. Cumque plura cum eis conferret, equo quo sedebat Mosellam transivit, quosdam nobiles illic habitantes per eos invitane ad quendam locum, dicens se in ascensione Domini illuc venturum et quae ventura erant eisdem pronuntiaturum. Recensio II: Eodem e t i a m anno quibusdam iuxta Mosellam ambulantibus apparuit fantasma mirae magnitudinis in humana forma equo nigro insidens. Quibus t i m o r e p e r c u l s i s , id q u o d v i d e b a t u r ad eosdem a u d a c t e r accedens, ne p e r t i m e s c a n t , hortatur. Teodericum q u o n d a m r e g e m Verone se nominai et d i v e r s a s c a l a m i t a t e s et m i s e r i a s 97 98

von See (vgl. Anm. 9), S. 79; Mössinger (vgl. Anm. 103), S. 48 f. Karl Hauck: Heldendichtung und Heldensage als Geschichtsbewußtsein. In: Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner. Göttingen 1963. S. 118—169, hier S. 137 ff.

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s u p e r v e n t u r a s u n i v e r s o R o m a n o imperio denunciat. Hec et alia plura cum eisdem contulit, et ab eis recedens equo quo sedebat Mosellam transivit et ab oculis eorum e v a n u i t " . Nicht nur in der jüngeren, auch in der älteren Rezension ist von phantasma die Rede, und man gewinnt zunächst auch durch den älteren Text den Eindruck, es handle sich da um den sagenhaften Bericht von einer Erscheinung, einer Vision. Die Dietrichgestalt der Rezension I kündigt allerdings nicht expressis verbis irgendwelche Katastrophen, Krieg etwa, an, sie sagt vielmehr, daß die Ursache ihres adventus in Kürze im ganzen Reich bekannt werde und kündigt die Voraussage der Zukunft für einen späteren Zeitpunkt an: sie gibt den Leuten, die da an der Mosel unterwegs sind, den ganz konkreten Auftrag, sie mögen Adeligen jener Gegend die Einladung übermitteln, sich am Himmelfahrtstag mit ihr an einem bestimmten Ort zu treffen. Da werde sie quae ventura erant verkündigen. Da der Chronist die Erscheinung des Frühlings 1197 erst notierte, nachdem der Tod Kaiser Heinrichs VI. am 29. September desselben Jahres und anderes Unglück eingetreten war, verstand er sie primär, genau wie die vorausgehenden Unheilsnachrichten von Hungersnot und Wolfsplage, als Vorzeichen künftigen Unheils, so daß er gar nicht mehr erwähnt, was aus der geplanten Zusammenkunft am Himmelfahrtstag geworden ist (S. 140 f. und 145 f.). Es bleibt aber das Gespräch mit dem sehr konkreten Auftrag an die ambulantes, und daraus hat Hauck den Schluß gezogen, daß es sich da nicht um eine reine Vision handle, sondern um einen maskierten Dietrichauftritt, den er ähnlichen Ladungen an die Seite stellt, „die zur Konvention des Maskenumritts, des Maibrauchtums und des ritterlichen Festes gehören" (S. 140). Die Bezeichnung der Erscheinung als Phantasma versteht Hauck nicht als Gespenst, gespenstischen Reiter, sondern als Maske, als riesenhafte Maske (mirae magnitudinis) (S. 142). Bezüglich der Riesenhaftigkeit verweist er auf eine Kolossalfigur Karls d. Gr., die in Aachen bei feierlichen Prozessionen mitgetragen wurde (S. 129 ff.), weiters auf eine Notiz in den ,Annales Leobenses', in denen Attila und andere Gestalten der deutschen Heldensage als gygantes bezeichnet werden (S. 136). Er erinnert in diesem Zusammenhang an Ulrich von Liechtenstein, der im Jahre 1240 als wiedererschienener König Artus auftrat und eine bedeutende Gruppe von Adeligen in Form einer Artusgesellschaft um sich vereinigte, und auf Ulrichs Venusfahrt von 1227, wo er in einem Schreiben die Ritter über Zeit und Ort der Begegnung informierte (S. 140 f.). Wie Ulrich, so hätte auch die Dietrichmaske von 1197 bestimmte politische Absichten verfolgt. Nach

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Chronica regia Coloniensis. Hg. v. G. Waitz. Hannover 1880 ( = MG SS rer. Germ, in us. Schol. 18). S. 159.

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Hauck handelte es sich bei dem ganzen Unternehmen um eine Verschwörung des moselländischen Adels gegen Heinrich VI., hervorgerufen durch den Machtdruck des Kaisertums auf die Fürsten (S. 152). Für sie sei Heinrich VI. ein dem Ermanrich der Sage vergleichbarer Tyrann gewesen, dessen Herrschaft durch die „Wiederkehr Dietrichs von Bern" beseitigt werden sollte. „Denn ein Hauptinhalt und Höhepunkt nicht nur des geschichtlichen Daseins Theoderichs, sondern auch des Sagenlebens Dietrichs war sein Kampf gegen einen Tyrannen". Der Dietrich der Sage „hat ebenso das für eine Verschwörung benötigte leidenschaftliche in tyrannos wie ideale Leitbilder für eine bessere Ordnung" (S. 151). Für die Adeligen des Moselraums war Dietrich „so etwas wie ein δαιμόνιος άνήρ und daher der kühnste Tyrannenkämpfer" (s. 153). Hauck denkt an ein Frühlingsfest und an einen Auftritt, der etwa dem in der Ballade von ,Konink Ermenrikes dot' vergleichbar ist, wo die Helden in Festgewändern, unter denen die Waffen versteckt sind, und veilchenbekränzt erscheinen, um den Tyrannen Ermanrich zu töten (S. 153). Diese Spur wäre durch den Chronisten verwischt worden, für den Theoderich eine Gestalt der Hölle war, „wie er mit dem schwarzen Roß der Erscheinung und der Wolfsatmosphäre andeutet. Ja, da er sie als Vorzeichen des Kaisertodes wertet, weist er vorsichtig, aber dennoch bestimmt darauf hin, daß sich da die Hölle selbst auftat, nachdem der Kosmos ebenso gegen diese Kaiserherrschaft rebellierte wie die Fürsten . . . " Seine Worte ließen in ihrer Schilderung von Geschehenem und erzählten Meinungen „alte Gedanken der Antichrist- und Messiaskaiserprophetien anklingen" (S. 153 f.). Es ist allerdings nicht so, daß nach Haucks Auffassung Dietrich von Bern in der laikalen Überlieferung schlichtweg der verklärte Vorzeitkönig und Sagenheld war, daß er unberührt geblieben wäre von der kirchlichen Verdammung. Derjenige, der in der Dietrichmaske auftrat, tat dies „obwohl man zu wissen glaubte, daß Dietrich in der Hölle lebe" (S. 151). Theoderich war einerseits „einer der exemplarischen Idealherrscher, andererseits einer der entrückten mythischen Könige, von denen man Zeichen nur in besonderen Unheilszeiten erwartete. Wer als Dietrichmaske auftrat, benützte ebenso die Autorität des beispielhaften Herrschers, wie er sich der Schrecken des Mythos von der Wiederkehr dieses Heldenkönigs in einem Zeitalter bediente, das Politik auch mit Jenseitsvisionen und Prophetien zu machen gewohnt war" (S. 144). Der Schrecken, den die ambulantes angesichts der Erscheinung hatten, wird zum Teil wohl auch darauf zurückzuführen sein (S. 145), und es besteht wohl kein Anlaß zu der Vermutung, der Chronist habe die Erscheinung schreckhafter gezeichnet, als sie ihm geschildert wurde. Während aber Dietrich für ihn doch wohl ein ewig Verdammter war, hoffte man im Volk auf seine Wiederkehr. „Sie würde dem Helden Erlösung und dem Reich die Wiederherstellung

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der guten alten Ordnung bringen" (S. 151)100. Hauck sieht die Dietricherscheinung von 1197 primär im Zusammenhang mit der Kaisersage und dem Erscheinen der falschen Friederiche nach 1250 und erinnert u.a. an die im 13. Jahrhundert festlich begangene Wiederkehr von König Artus (S. 154). Noch stärker als die ältere Rezension hat die jüngere an den Erwartungshorizont der Kaisersage angeglichen: hier ist die Dietricherscheinung (id quod videbatur) ganz als jenseitiges Gespenst verstanden, was man auch an der „summarischen Zusammenfassung der Botschaft", vor allem aber an den Worten über das Verschwinden der Erscheinung ersehen kann: ab oculis eorum evanuitm. Die Erscheinung nennt sich nun nicht mehr, wie in der älteren Rezension Theodericum Bernensem, sondern historisierend Theodericum quondam regem Verone. Die Prophetie, mancherlei Katastrophen würden das ganze römische Reich heimsuchen, wird nun gleich ausgesprochen, irgendeinen Auftrag erhalten die Angesprochenen nicht. Die Erzählung wird dem Typus der Kaisersage angeglichen, so daß „eine sagenhafte Parusie und Prophetie Dietrichs entstand" (S. 147 f.). Der Interpretation Haucks wurde entgegengehalten, daß es zum Dietrichauftritt der ,Kölner Königschronik' zahlreiche Parallelen gebe, die häufig im engen Zusammenhang mit der Vorstellung vom Wilden Jäger stehen. Die Ankündigung von unheilvollen Ereignissen, von Krieg, Hungersnot und Pestilenz sei kennzeichnend für die Rodensteinersage und andere Sagen vom Wilden Jäger. Da nun Theoderichs Beziehung zur Wilden Jagd ganz geläufig sei, werde man, so Klaus von See, „auch das Zeugnis des Kölner Geistlichen in diesen Zusammenhang stellen müssen."102 Noch in unserem Jahrhundert sagte man: „Wenn der Wilde Jäger kommt, gibt es Krieg" u. ä. Die einschlägigen Sagenberichte über den Rodensteiner zeigen allerdings, daß da immer der Rodensteiner als Anführer des Wilden Heeres gemeint ist103. Schon in der Vorrede zu den Protokollen, die über diese Sage im Jahre 1742 aufgenommen wurden, heißt es, daß sich der Geist gerade dann merken lasse, „wann Kriegszeiten, große Heereszüge und andere außerordentliche wichtige Dinge vorkommen wollten", im weiteren ist aber von einem Geisterheere die Rede104. Man sieht weder ihn noch sein Gefolge, man hört nur das unheimliche Getöse

Hauck (vgl. Anm. 98), S. 151. Ib. S. 146 und 139 mit Anm. 68. Mit Recht weist Hauck (ib.) auf die methodisch lehrreiche Wechselbeziehung von Sagenbildung und Brauchtum hin: der Maskenauftritt im älteren Text ist im jüngeren zum reinen Spuk geworden. 102 von See (vgl. Anm. 9), S. 81; vgl. auch Grimm (vgl. Anm. 18), S. 54 (Nr. 35). 103 Ygi (jj e Beispiele bei Friedrich Mössinger: Die Sage vom Rodensteiner. Verbreitung, Motive und Entstehungsgeschichte. Mainz 1962. S. 43 ff. 104 Vgl. ib. S. 9; ähnlich in einem Sagenbericht aus dem Jahre 1816, ib. S. 23. 100 101

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in der Luft 105 . Der Rodensteiner erscheint manchmal auch als einzelner Reiter ohne jegliches Gefolge106, aber es wird nichts davon erwähnt, daß es sich da um ein böses Vorzeichen handelte oder gar, daß damit eine Prophetie verbunden war. Vom Lindenschmidt, dem Wilden Jäger des Neckartals und der Pfalz, wird allerdings erzählt, daß er in einer Schmiede eingekehrt sei, um dort sein Pferd beschlagen zu lassen, und wenig später seien die französische Revolution und die folgenden Kriege ausgebrochen107. Eng damit verwandt ist eine Geschichte aus Island, die sich im Jahre 1206 in Norwegen zugetragen haben soll: Ein Fremder, der von weit herkommt, kehrt bei einem Schmied ein und bittet um Herberge und daß man sein Pferd beschlage. Schließlich gibt er sich als Odin zu erkennen und springt mit seinem Pferd über einen hohen Zaun und verschwindet. Vier Tage später habe die große Schlacht von Lena in Schweden stattgefunden108. Diese Geschichte wurde natürlich schon mehrfach mit dem Dietrichauftritt von 1197 in Verbindung gebracht109. Snorri Sturluson berichtet ganz allgemein vom Glauben der Schweden, Odin offenbare sich ihnen, bevor große Kämpfe stattfinden110. Man wird also doch mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß auch auf dem Kontinent ein gespenstischer Reiter im Mittelalter als Vorbote kommenden Unheils auftreten konnte. Theoderich tritt in der ,Kölner Königschronik' nicht als Anführer der Wilden Jagd in Erscheinung, auch nicht als (einzelner) Wilder Jäger, der — häufig mit irgendwelchen dämonischen Tieren — hinter etwas herjagt, sondern einfach als Reiter mirae magnitudinis und auf schwarzem Pferd. Da auch solche Reitererscheinungen in den Vorstellungsbereich des Wilden Jägers im weiteren Sinne gehören können, wird man auch für die Dietricherscheinung die Zugehörigkeit oder Nähe zu diesem Komplex nicht von vornherein ausschließen. Immerhin passen einige Elemente gut in das Erscheinungsbild des Wilden Jägers: das schwarze Roß, der schon in Rezension I erwähnte Ritt über die Mosel hinweg, auch Riesenhaftigkeit scheint für den Wilden Jäger bezeugt111. Selbst wenn man annimmt, daß Theoderich hier 105 106 107 108 109 110

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Ib. S. 44 f. u.ö. Ib. S. 27 ff. Ib. S. 29; die Einkehr beim Schmied wird auch vom Rodensteiner erzählt. Fornmanna Sögur. Kaupmannahöfn 1834; Bd. 9. S. 55 (Kap. 20). Mössinger (vgl. Anm. 103), S. 48 f.; von See (vgl. Anm. 9), S. 81. Snorris Königsbuch (Heimskringla). Übertr. v. Felix Niedner. Bd. 1. Jena 1922 ( = Thüle. Altnordische Dichtung und Prosa, 2. Reihe. Bd. 14). S. 35. Zur Unterscheidung dieser beiden Erscheinungen vgl. Hans Szklenar: Die Jagdszene von Hocheppan — ein Zeugnis der Dietrichsage? In: Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters. Beiträge der Neustifter Tagung 1977 des Südtiroler Kulturinstitutes. Hg. v. Egon Kühebacher. Bozen 1979. S. 407—465, hier S. 460. Allerdings gibt es zwischen beiden doch auch zahlreiche Übereinstimmungen und auch Gestalten, die in beiden Rollen auftreten wie eben Dietrich und auch

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Züge des Wilden Jägers trägt, mit ihm in Zusammenhang gebracht oder mit ihm identifiziert wurde, wäre damit noch nicht gesagt, daß Dietrich als Wilder Jäger generell und von Anfang an als Gestalt des Teufels galt. Im christlichen Mittelalter wurde die Wilde Jagd vielfach als Teufelsjagd, der Wilde Jäger als der Leibhaftige verstanden. Doch war dies nicht die alleinherrschende Auffassung, auch nicht unter Klerikern. Und so hat es mittelalterliche Herrscher gegeben, die niemals kirchlicher Verdammung anheimfielen und doch als Anführer der Wilden Jagd oder als Wilde Jäger in die Sage eingingen, so etwa König Artus, Karl der Große, Karl V. von Frankreich oder Waldemar IV. Attertag von Dänemark112. Wenn das in manchen Fällen als Strafe für begangenes Unrecht aufgefaßt wird, so darf man darin wohl eine sekundäre Motivierung und eine Folge der Abwertung dieser volkstümlichen Glaubensvorstellung sehen. Es war schon davon die Rede, daß Theoderich für den Chronisten wohl eine Gestalt der Hölle war, und unheimlich und erschreckend war er seinen Worten zufolge auch den Leuten, denen er begegnete. Doch weisen wesentliche Elemente über eine Erscheinung des Wilden Jägers hinaus und schon Friedrich Sieber hat bestritten, daß es sich hier um den Wilden Jäger handelt: „Der Wilde Jäger kommt im Sturme, meist mit Gefolge, er spricht nicht mit den Leuten bis auf seinen Jagdspruch, er kündet Unglück nicht mit Worten, sondern einfach durch sein Erscheinen."113 Auch das Wort adventus paßt nicht in einen solchen Zusammenhang. Also wird es sich doch eher um eine Wiederkehr Theoderichs im Sinne der Kaisersage handeln. Auch so könnte man an eine Vision, an eine nach der Kaisersage stilisierte Vision denken. Aber der konkrete Auftrag, den die Erscheinung gibt, spricht dafür, daß tatsächlich jemand in der Gestalt Dietrichs auftrat, und daß es, im Sinne Haucks, um die Einleitung einer Verschwörung ging. Dann aber konnte für den Initiator des Unternehmens und die Adressaten jener Botschaft Theoderich nicht schlichtweg der diabolisierte Wilde Jäger sein. Das wäre ein

Odin. Szklenar (ib.) hält eine neue volkskundliche Untersuchung des ganzen Komplexes für ein Desiderat. Ich möchte ihm voll zustimmen. Zur Riesenhaftigkeit des Wilden Jägers vgl. Alfred Endter, Die Sage vom wilden Jäger und von der wilden Jagd, Diss. Frankfurt 1933, S. 33. 112

1,3

Vgl. dazu Karl Meisen: Die Sagen vom Wütenden Heer und Wilden Jäger. Münster i. W. 1935 ( = Volkskundliche Quellen. Heft 1). S. 46 u. 95 (zu Artus), S. 49, 80 und 85 (zu Karl V. von Frankreich). Zu Waldemar vgl. Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. 4. Auflage. Hg. v. Elard Hugo Meyer. Gütersloh 1875. Bd. 2. S. 787. Zu Karl d. Gr. vgl. ζ. B. den Bericht des Lazarus Gizner aus dem 16. Jahrhundert bei Wilhelm Herzog: Die Untersbergsage nach den Handschriften untersucht und herausgegeben. Graz 1929, S. 39. Friedrich Sieber: Dietrich von Bern als Führer der wilden Jagd. In: Mitteilungen der schlesischen Gesellschaft für Volkskunde. Bd. 31/32, 1931, S. 8 5 - 1 2 4 , hier S. 112.

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denkbar schlechter Patron für eine Unternehmung gewesen, die für das ganze Reich von Bedeutung sein sollte. Nochmals sei Sieber zitiert: „Daß Theoderich dem römischen Reich Unglück kündet, zeigt, daß er im Bewußtsein als politische, herrscherliche Persönlichkeit lebt. Es ist offensichtlich, daß diese seine Rolle nicht im geringsten aus kirchlicher pseudohistorischer Überlieferung hervorgegangen sein kann, sondern daß tatsächlich Volksüberlieferungen, frei von kirchlicher Beeinflussung, vorhanden waren. Ob wir an ähnliche Ausformungen wie in der Kaisersage denken dürfen, bleibe dahingestellt."114 Nach dem Chronikbericht vermag Dietrich jedenfalls in diese Welt zurückzukehren, auf einem schwarzen Pferd reitend, bevorstehendes Unheil ankündend und, wie schon Erich Benedikt vermutete, „vielleicht auch eingreifend"115. Die Dimension der Kaisersage ist jedenfalls schon dadurch eröffnet, daß die Ursache des Theoderich-adventus (Rezension I) und die Prophetie (Rezension II) das ganze Reich betreffen. Und so wird man doch mit Frantisek Graus sagen können, Dietrich sei hier „(vereinzelt) mit der Reichs- und Königssage verbunden."116 2. Das ,Chronicon imperatorum et pontificum Bavaricum' und die ,Historiae imperiales' des Diakon Giovanni Das erste der beiden genannten Werke ist Ende des 13. Jahrhunderts im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet entstanden. Es verwertet neben der Chronik Martins von Troppau unter anderem die .Historia ecclesiastica' des Hugo von Fleury, deren Version von Theoderichs Sturz in den Vulkan wiedergegeben wird, auf die aber ein eigenständiger Zusatz folgt. Huius (Iustiniani) tempore Theodericus rex Gysegothorum prefatus Arriane fidei sanctum Iohannem papam in carcere peremit. . . Deinde terribili morte ipse miser pollutam peccatis animam exspiravit; quam quidam solitarius in insula Liparia manens corporalibus oculis in Volcani ollam demergi vidit, ubi mare fervei sicut cacubus ab igne. 114

115

1,6

Ib. S. 112; im weiteren weist Sieber darauf hin, „daß von der Erscheinung Dietrichs als unglückbringender Reiter bis zur Erscheinung als Wilder Jäger kein allzugroßer Entwicklungsweg zurückzulegen war". Er meint, Dietrich sei erst in der Folgezeit infolge der kirchlichen Polemik zum Wilden Jäger geworden (ib.). Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 107; Dietrich ist hier der zu Roß Entrückte, „nicht ein zur Hölle Gefahrener, auch nicht der meist nächtlich und mit lärmendem Spuk einherjagende Wilde Jäger" (ib.). Vgl. auch Walter Haug: Theoderichs Ende und ein tibetisches Märchen. In: Märchen, Mythos, Dichtung. Festschrift für Friedrich von der Leyen. Hg. v. Hugo Kuhn / Kurt Schier. München 1963. S. 8 3 - 1 1 5 , hier S. 89 mit Anm. 20. Frantiäek Graus: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln/Wien 1975. S. 44, Anm. 57.

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Sed ex illusione dyabolica fabulati sunt homines, hunc natum ex matre belua marina fuisse; qua ipsum vocante, ipse dextrario insidens armatus ad manendum cum ea perpetuo intravit mare, et adhuc sabbatis exire ad litus et cum Witigone confligere; quem vivum introisse dicunt ad inferos et ad bellum sabbatis exire117. Das ,Chronicon' hat offenbar Dietrich und Witege verwechselt118: Nicht Witege ist zur Hölle gefahren, sondern Dietrich. Außerdem ist die Abstammung von der Meerfrau von Witege auf Dietrich übertragen, und nach ,Thidreks saga' und ,Rabenschlacht' ist es Witege, der sich vor Dietrich ins Meer rettet. In ,Rabenschlacht' Str. 965 wird eigens erwähnt, das Meerweib habe Witege mit samt sînem marke hinweggeführt. Das stimmt zu ipse dextrario insidens, und daß Witege dabei armatus war, ergibt sich auch aus dem Kontext der ,Rabenschlacht'. Für Dietrich bezeugt das ,Chronicon' abermals den Glauben, daß er lebend in die Hölle {ad inferos) einging — wir dürfen annehmen: doch wohl zu Pferde wie bei Otto von Freising und in zahlreichen anderen Quellen — und daß er jeden Samstag wiederkehre, um mit Witege zu kämpfen. Es besteht ohne Zweifel ein Zusammenhang mit dem Schlußteil der altschwedischen Fassung der .Thidreks saga' 119 . Sie berichtet, ähnlich wie die isländische Fassung, wie Didrik, um einem Hirsch nachzujagen, aus dem Bad eilt, sich in einen Bademantel hüllt und ein teuflisches Pferd besteigt, das ihn hinwegführt (Kap. 382). Doch bedeutet das nicht Didriks Ende. Ohne Übergang erzählen die folgenden Kapitel weiter (383 — 385): Wideke hatte sich vor Didrik zu seiner Ahnin, einer Meerfrau, gerettet. Didrek habe dann seinen Gegner auf der Insel Fimber (Fehmarn) ausfindig gemacht, ihn besiegt und getötet. Er reitet schwer verwundet durch Deutschland und stirbt unerkannt in Schwaben. Im letzten Kapitel (386) wird versucht, eine Verbindung zwischen beiden Versionen herzustellen. Didrik habe in einem unterirdischen Gemach ein Pferd aufziehen lassen, mit dem er dann heimlich und scheinbar für immer aus dem Bad wegreitet, damit Wideke nicht gewarnt werde120. Die 117

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Chronicon imperatorum et pontificum bavaricum. Hg. v. G. Waitz. In: M G SS XXIV. Hannover 1879. S. 220—225, hier S. 222; bei Zimmermann S. 235. Zu den Quellen vgl. die Angaben bei Waitz (S. 220). Der Text Huius (Iustiniani) ... ab igne folgt Hugo von Fleury, nur rex Gjsegotborum ist Zusatz. Weiter oben im Text wird Ermelrtcus rex Híspante vel Gotbie als Bruder Theoderichs bezeichnet. Wo man Frutolf nicht kannte, war das immer noch möglich. Vgl. dazu Schneider (vgl. Anm. 53), S. 280. Zur Abstammung Witeges vgl. Alexander Haggerty Krappe: Zur Wielandsage. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 159, 1931, S. 1 6 1 - 1 7 5 , bes. 171 ff. Vgl. Schneider (vgl. Anm. 53), S. 280; Müllenhoff, ZE X X X I (vgl. Anm. 18), S. 6 6 6 - 6 7 0 . Sagan om Didrik af Bern. Hg. v. G. O. Hyltén-Cavallius. Stockholm 1850. S. 2 9 9 - 3 0 3 ;

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Stelle im ,Chronicon' hat eigentlich nichts mit Dietrichs Ende zu tun — daß er lebend in die Unterwelt fuhr, wird nur erklärend oder ergänzend hinzugefügt — sie bezieht sich auf Dietrichs Existenz nach seinem irdischen Leben. Aber in der altschwedischen Saga wird daraus ein letzter Kampf mit Wideke und damit eine Geschichte um Dietrichs Ende. Der große Held soll nicht sterben, ohne doch noch seinen Bruder gerächt zu haben. Benedikt sieht darin „eine echt sagamäßige Säkularisierung" des ewigen letzten Kampfes des weiterlebenden Helden121. Man denkt bei dem immer wiederkehrenden Kampf zwischen Dietrich und Witege an das Hjaöninga vig oder an den Einherjar-Mythos. Es gibt aber auch viele Volksüberlieferungen, die erzählen, „daß Tote immer wieder bestimmte Handlungen vollbringen müssen (z. B. eine fluchwürdige Tat ihres Lebens). Besonders häufig wird geglaubt, daß sie ihren Tod und Todeskampf immer aufs neue durchmachen. Daß Kampfgefallene ihren letzten Streit in steter Wiederholung ausfechten müssen, ist nur ein Einzelfall dieses häufigen Typus von Gespenstersagen."122 Solche Sagen mit ihrer, wie Höfler sagt, „gespensterhaften Mechanik" 123 begegnen auch im Zusammenhang mit der Wilden Jagd: häufig wird von Waffengängen innerhalb des Geisterheeres erzählt124. Nach Hermanns von Sachsenheim ,Mörin' lebt Dietrich in der Wüste rumenej und kämpft jeden Tag mit drei Drachen, nach dem ,Wunderer' muß er eben dort bis an den Jüngsten Tag gegen Drachen kämpfen125. Eine Überlieferung von Dietrich als Wildem Jäger, der eine Frau verfolgt, liegt wahrscheinlich einer Geschichte in Boccaccios Decamerone (V. Tag, 8. Erzählung) zugrunde, in der die Verfolgung jeden Freitag stattfindet und zwar Thidreks saga af Bern. Hg. v. H. Bertelsen. Köbenhavn 1 9 0 5 - 1 1 ( = SUGNL 34). Bd. 2. S. 395 — 398. Nach Dietrich v. Kralik: Die Überlieferung und Entstehung der Thidrekssaga. Halle/Saale 1931 ( = Rheinische Beiträge und Hilfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde Bd. 19). S. 36 — 39, standen jene Kapitel auch im verlorenen Schluß der norwegischen Mb und gehörten dem Konzept des Sagamannes an. Vgl. Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 103 und 105. 121

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Benedikt (vgl. Anm. 9), S. 103. Nach Benedikt könnte man unter Umständen auch die Verse 257 — 75 in ,Daz buoch von dem Übeln wîbe' (Hg. v. Ernst A. Ebbinghaus. 2., neubearbeitete Auflage Tübingen 1968. = ATB Nr. 46) als „Anspielung auf einen ewigen oder doch besonders schicksalhaften Streit der beiden Recken verstehen" (ib. S. 103 f.). Otto Höfler: Kultische Geheimbünde der Germanen. Bd. 1. Frankfurt/Main 1934. S. 242, mit Hinweis auf Knut Stjerna, der eine große Zahl solcher „Iterations-" oder „Wiederholungssagen" zusammengestellt hat. Ib. S. 123. Ib. S. 162, mit Hinweis auf Hans Plischke: Die Sage vom Wilden Heere im deutschen Volke. Diss. Leipzig 1914. S. 59 ff. Vgl. die Textwiedergaben bei Höfler (vgl. Anm. 40), S. 40.

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bei Ravenna von der Pineta auf das Meer zu, genau also dort, wo nach der ,Rabenschlacht' die Verfolgung Witeges durch Dietrich stattfand und wo Dietrich, wenn man den Namen der Wüste rumeney von der Romagna herleiten darf, bis zum Jüngsten Tag gegen Drachen kämpft. Ebenso auffallend wie die Lokalisierung ist, daß Dietrichs Kampf mit Witege und die Verfolgung der Frau in der Boccaccio-Geschichte jede Woche an einem bestimmten Tag stattfinden 126 . Der Vergleich zeigt jedenfalls die Nähe des immer wiederkehrenden Kampfes zum Wilden Jäger als Verfolger einer Frau. Man könnte fragen, ob es sich bei Dietrichs gespenstischem Kampf mit Witege um eine spezielle Ausformung der Sage von Dietrichs Verdammung handelt. Es ist allerdings so, daß der geistliche Chronist sehr entschieden gegen diesen Aberglauben Stellung nimmt: auf Grund teuflischer Vorspiegelung oder Täuschung hätten Menschen diese Geschichte erzählt. Man wird daraus schließen dürfen, daß eine solche Geschichte von einer allwöchentlichen Wiederkehr Dietrichs nicht die einhellige Billigung der Geistlichkeit fand. Die Heftigkeit der Ablehnung scheint ferner darauf hinzudeuten, daß in den Augen derer, die diese Geschichte erzählten, dieser immer wiederkehrende Kampf nichts Schimpfliches für Dietrich war, sondern etwa als Perpetuierung eines von so vielen Kämpfen und so vielen Mißerfolgen erfüllten Lebens aufgefaßt wurde. In den Jahren um 1320 schrieb der Veroneser Diakon Giovanni seine ,Historiae imperiales', die auf dem .Anonymus Valesii' basieren, dem im wesentlichen auch die Biographien Odoakers und Theoderichs entnommen sind127. Giovanni bringt eine Version von Theoderichs Ende, die erstmals in ähnlicher Form in der berühmten Inschrift auf zwei Reliefs an der Basilika San Zeno in Verona bezeugt ist. Die eine der beiden zusammengehörenden 126

Otto Plaßmann: Dietrich von Bern als Wilder Jäger. In: Germania 12, 1940, S. 1 7 6 - 1 8 3 . Vgl. auch Horst P. Pütz: Der Wunderer und der Herr der Tiere. In: Österr. Zeitschrift für Volkskunde 31, 1977, S. 1 0 0 - 1 1 5 , hier S. 105, der auf eine auffallende Übereinstimmung der Erzählung Boccaccios gerade mit dem .Wunderer' hinweist. Zur Frauenjagdsage und ihrer historischen Dokumentation s. Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart. Sagen, Märchen, Exempel und Schwanke mit einem Kommentar hg. v. Lutz Röhrich. 2 Bde. Bern/München 1962—67. Bd. 2. S. 393—407. Die frühesten Zeugnisse stammen aus dem 12./13. Jahrhundert. „Wahrscheinlich ist die Sage aber auch nicht sehr viel älter als diese Zeugnisse anzusetzen. Dagegen spricht die für sie typische Form der Jagd: Jäger zu Pferd, die mit einer Meute auf Wild jagen, hat es im germanischen Altertum gewiß noch nicht gegeben; dieses Vergnügen gehört erst zum mittelalterlichen Ritterleben" (ib. S. 403). Zur Interpretation der einschlägigen mhd. Texte (,Eckenlied', .Virginal', .Wunderer') vgl. John L. Flood: Dietrich von Bern and the Human Hunt. In: Nottingham Mediaeval Studies 17, 1973, S. 1 7 - 4 1 .

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Carlo Cipolla: Per la storia d'Italia e de' suoi conquistatori nel medio evo più antico. Bologna 1895. S. 643.

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Platten stellt einen Reiter dar mit wehendem Mantel, das Hifthorn an den Mund setzend, die andere einen Hirsch und zwei Jagdhunde, deren einer sich am Rücken des Hirsches festbeißt, der Hirsch sprengt auf eine Gestalt rechts im Bild zu, die deutlich als Teufel gekennzeichnet ist und unter einem gewölbten Portal steht. Im oberen Teil der ersten Platte steht, auf beiden Seiten des Reiters, in zäsurgereimten Hexametern: o regem stultum petit infernale tributum moxque paratur equus quem misit demon iniquus exit aquam nudus petit infera non rediturus. Am oberen Rand der zweiten Platte steht der Vers: nisus equus cervus canis huic datur hos dat avernus Die Reliefs werden in die Zeit zwischen 1135 und 1140 bzw. einige Jahre danach datiert128. Etwas mehr als 100 Jahre später, um 1250, bringt die norwegische ,Thidreks saga' eine Version von Dietrichs Ende, die in einem wie immer gearteten Traditionszusammenhang mit den Reliefs und der Inschrift von San Zeno stehen muß, und nochmals etwa 70/80 Jahre später erzählt Diakon Giovanni nach der Erwähnung von Theoderichs Tod und Begräbnis folgende zu seiner Zeit lebendige Sage über das Ende des Gotenkönigs: Hic est theodoricus, quem ueronenses appellant diatricum, de quo fabulose fertur a personis uulgaribus, quod fuit genitus a diabolo: et regnauit uerone et fecit fieri arenam ueronensem, et postmodum, misso nuntio ad infernum, recepii a patre suo dyabolo equum unum et canes, et dum hec muñera theodoricus accepisset, tanto gaudio repletus est, quod de balneo in quo lauabatur solum inuolutus linteamine exiens, equum ascendit, et statim nunquam comparuit, set per siluas adhuc de nocte uenari dicitur et persequi nimphas129. Nahe verwandt mit dieser Stelle ist der Sagenbericht über Theoderichs Ende in ,Des böhmischen Herrn Leos v. Rozmital Ritter- Hof- und Pilgerreise durch die Abendlande 1465 — 67'. Auf seiner Reise durch Italien kam er auch nach Verona (das er Verona Theoderici nennt), wo er die Sage von Dietrichs Entrückung offenbar aus lebender mündlicher Überlieferung kennenlernte,

128 Vgl Ingeborg Schröbler: Ikonographische Bemerkungen zur Komposition der Vorauer Bücher Mosis und zu bildlichen Darstellungen der Rolandsage. In: ZfdA 100, 1971, S. 250—269, hier S. 267 ff.; eine sorgfältige Beschreibung des Reliefs mit reichen Literaturhinweisen auch bei Szklenar (vgl. Anm. I l l ) , S. 435 f. 129

Zit. nach Cipolla (vgl. Anm. 127), S. 644 f.

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da seine Darstellung in einigen Punkten von der des Diakons Giovanni abweicht. Sub arce Veronensis iuxta (lumen balneum est, in quo Theodericus Veronensis lavare consueverat. Fama tenet, Theodericum cum in balneo lavaret, visis quibusdam feris, extemplo equum conscendisse, atque eos insecutum esse, ex eo tempore postea nunquam apparaisse, ita ut quo devenerit in hanc usque diem ignoretur 130 .

Einige spätere Bezeugungen der Veroneser Sage bleiben hier außer Betracht, ebenso die Geschichte über Theoderichs Ende in dem spanischen ,Libro de los Enxemplos' aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts, und die Geschichte in den ,Gesta Romanorum', die offensichtlich von Theoderich auf König Symmachus übertragen ist 131 . Allen diesen Texten ist eine Reihe markanter Motive gemeinsam, sie werden daher wohl in einem Traditionszusammenhang stehen. Über den Ursprung des Motivkomplexes, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der angeführten Texte hat Edith Marold vor kurzem ausführlich gehandelt. Kurz zusammengefaßt: Dietrich als Sinnbild der superbia habe aus einer Legende um Alexander den Großen, der im Mittelalter ebenfalls als Symbol der Torheit gilt, das Motiv der Tributforderung angezogen, von einem weiteren Symbol der superbia, dem Kentauren, das Motiv der Nacktheit 132 , das daraus folgende des Bades und schließlich das der Verfolgung des Hirsches. So erkläre sich auch die für die Dietrichsage charakteristische Verbindung der Sage vom Toten- oder Teufelspferd, das jemanden in die Hölle oder ins Jenseits bringt, einerseits und der Sage von Personen, die einen Hirsch verfolgen und dabei verschwinden, andererseits 133 . Auch Marold rechnet mit der Möglichkeit, „daß es volkstümliche Traditionen von Dietrich als Wildem Jäger, oder allgemeiner als Gespensterreiter, gab, die eine Entsprechung von Kentaur und Theoderich nahelegten." 134 Eine solche Vorstellung muß doch wohl vorausgesetzt werden, da Dietrichs Entrückung zu Pferde bzw. sein 130

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Des böhmischen Herrn Leos v. Rozmital Ritter-Hof- und Pilgerreise durch die Abendlande 1 4 6 5 - 6 7 . Hg. v. J. Andreas Schmeller. Stuttgart 1844. S. 122. Dazu Marold (vgl. Anm. 8), S. 454 ff.; zur Geschichte im ,Libro de los exemplos' vor allem Haug (vgl. Anm. 115). Vgl. Anm. 11. Das Detail des Bademantels leitet Marold (vgl. Anm. 8), S. 473 f., sehr einleuchtend von der bildlichen Darstellung des Reiters mit dem wehenden Umhang ab. Auf einen d i r e k t e n Zusammenhang deuten die Worte Giovannis (solum inuolutus linteamine, „nur in ein Badetuch gehüllt") und die eng damit übereinstimmenden der .Thidreks saga' (hleypur bann upp og tekur sina badkaapur og sveipar sig med) allerdings nicht. Marold (vgl. Anm. 8), S. 466 ff. und 470 ff.; s. auch S. 457. Eine enge Beziehung zwischen dem Hirsch als Führer ins Totenreich und dem Hirsch als Jagdobjekt des Wilden Jägers sieht Horst Peter Pütz: Studien zur Dietrichsage. Mythisierung und Dämonisierung Theoderichs des Großen. Diss. Wien 1969. S. 253 f. Ein Beispiel für die Verfolgung eines Hirsches durch den Wilden Jäger ib. S. 252. Ib. S. 472; s. auch S. 449.

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Höllenritt sich weder von der Alexanderlegende noch von den Kentaurenvorstellungen herleiten läßt. Eine enge Verbindung zwischen Dietrich als Wildem Jäger und seiner Entrückung zu Pferde besteht in der von Diakon Giovanni überlieferten Form der Sage. Hier ist von der Verfolgung eines Hirsches nicht die Rede, dementsprechend auch nicht von einem Ritt in die Hölle: Dietrich reitet hinweg und lebt als Wilder Jäger fort, der Waldfrauen verfolgt. Da Dietrich hier als Teufelssohn gilt, erhält er auf seine Bitte, nicht auf eine Forderung hin von seinem Vater Pferd und Hunde, und diese Geschenke stehen in Einklang mit seiner Rolle als Wilder Jäger 135 . Das statim könnte darauf hinweisen, daß Giovanni eigentlich sagen wollte, Theoderich sei sogleich verschwunden136, und das würde auch gut in den Zusammenhang passen: der Gotenkönig bestieg das Pferd und verschwand sogleich, doch jage er noch jetzt nächtens durch die Wälder. So oder ähnlich dürfte wohl auch die Volkssage erzählt haben, auf die sich Giovanni beruft. Doch schreibt er eben nicht statim disparuit, sondern statim nunquam comparuit und wendet sich damit wohl gegen den Glauben, daß Dietrich in irgendeiner Form wiedergekehrt sei (oder wiederkehre). Die Worte entsprechen also in etwa dem {petit infera) non rediturus der Inschrift von San Zeno137. Da bei Giovanni im folgenden Satz von Dietrich als Wildem Jäger die Rede ist, wird wohl am ehesten diese Art von Wiederkehr gemeint sein. Für diese Deutung scheint auch das sed des letzten Satzes zu sprechen: Dietrich wurde niemals wiedergesehen, ist niemals wieder erschienen, und doch (sed) werde erzählt, er jage in den Nächten nach Waldfrauen. Eine ganz ähnliche Formulierung wie die Giovannis begegnet in der oben zitierten Stelle bei Leo von Rozmital: ex eo tempore postea nunquam apparuisse. Noch deutlicher als Giovanni sagt Leo: von jener Zeit an ist Dietrich niemals wieder erschienen, doch stellt er diese Bemerkung in einen anderen Zusammenhang. Daß Dietrich nie mehr gesehen wurde, das sei der Grund dafür, daß man bis zum heutigen Tag nicht wisse, wo er hingekommen sei. Inhaltlich genau dasselbe findet sich in der jThidreks saga': man hat seither nichts mehr von ihm vernommen (og alldrei hefer sipann tilspurst), von da an weiß niemand zu sagen, was aus ihm geworden ist (Hepann j fra kann einngi madur atb seigia fra Pidrek kongi huad af honum ward)13&. Eine Formulierung, die sich ursprünglich gegen den Glauben an

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S. auch Marold S. 464. Da sie in San Zeno nicht nur die älteste, sondern auch die „ursprünglichste Variante" sieht (S. 465 und 473), spricht sie im Zusammenhang mit der Version bei Giovanni von Änderungen. — Zur Teufelsabstammung vgl. auch o. Anm. 32. Höfler (vgl. Anm. 40), S. 35. Ib. S. 33. .Thidreks saga af Bern' (vgl. Anm. 120), Bd. 2, S. 393.

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Dietrichs Wiederkehr wandte — dies klingt wohl auch in den Worten der Thidreks saga an — wird nun in einen Zusammenhang gerückt, der von Dietrichs geheimnisvollem Verschwinden und seinem weiteren Schicksal handelt, und rückt nun so in die Nähe von mhd. er ward verlornm. Wenn man davon ausgehen darf, daß Leo einigermaßen getreu die Veroneser Sage seiner Zeit wiedergibt, würde dies bedeuten, daß es in Verona im 15. Jahrhundert eine Sage von Dietrichs Ende gab, die ganz frei von diabolischen Zügen war. Nicht nur in Deutschland, auch in Italien hätte es also Dietrichfreundliche Überlieferungen über sein Ende gegeben. Hat sich die Sage zwischen Diakon Giovanni und Leo von Rozmital zugunsten Theoderichs gewandelt? Vielleicht sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen, daß auch schon früher die Geschichte so oder so erzählt werden konnte, wie ja auch die diabolisierte Version in Verona nach Leo noch weiterbestand140. Obwohl sich Giovanni ausdrücklich auf persones vulgares bezieht, scheint er die Sage von der Entrückung Dietrichs zu Pferde bis zu einem gewissen Grade zu akzeptieren. Er gibt sie verhältnismäßig ausführlich wieder, während er die Legende vom Sturz in den Vulkan gar nicht erwähnt, obwohl sie ihm sicher bekannt war 141 . Ausdrücklich wendet er sich aber gegen den Glauben, daß Dietrich jemals wieder erschien. Sagen von Dietrich (Beatrik) als Wildem Jäger wurden noch im 19. Jahrhundert im Umkreis von Borgo (Valsugana) aufgezeichnet. Beatrik jagt da Hexen, die Sympathie ist auf seiner und nicht der Verfolgten Seite, und er heißt daher cacciatore della caccia pia142. Wenn etwa schon im 13. Jahrhundert Dietrich als Verfolger der nimphas positiv gesehen wurde, so könnte man auf eine Version von Dietrichs Ende schließen, die nicht in dem Maße diabolisiert war wie bei Giovanni, und dessen ablehnende Haltung gegenüber dem Auftreten Dietrichs als Wilder Jäger wäre dann letztlich darin begründet, daß diese Form des Weiterlebens zu ehrenvoll schien für einen Teufelssohn. Es besteht in der Form der Ablehnung enge Übereinstimmung mit den .Flores temporum', obwohl ein direkter (literarischer) Zusammenhang nicht nachweisbar ist143. Es scheint — wie auch die Inschrift von San Zeno zeigt — zum festen Bestand geistlicher Rede über Dietrichs Ende gehört zu haben, zu betonen, daß Dietrich niemals wieder in Erscheinung trat.

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S. oben bei Anm. 92 u. 94. Belege bei Marold (vgl. Anm. 8), S. 454 f. Cipolla (vgl. Anm. 127), S. 647 f. Höfler (vgl. Anm. 40), S. 31 f. Höfler (ib. S. 35) meint: „Der Ausdruck nmquam lateinischer schriftlicher Tradition eingeschoben".

comparait

hat sich ihm offenbar aus

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Zusammenfassung Was die Kritik an der Heldensage betrifft, kann so etwas wie eine Entwicklung festgestellt werden. Frutolf konstatiert den Widerspruch zwischen der Geschichtsschreibung und der Heldensage, in der Ermanrich, Attila-Etzel und Theoderich-Dietrich als Zeitgenossen gelten, doch ein Urteil fallt er nicht. Schon O t t o von Freising nimmt entschieden gegen die Sage Stellung, ebenso die ,Kaiserchronik'. Ihr Vorwurf der luge bezieht sich aber nicht auf die Heldensage allgemein, sondern auf die falsche Behauptung, Dietrich und Etzel seien Zeitgenossen. Allerdings postuliert sie generell den Vorrang des Buches gegenüber der mündlichen Überlieferung. Gottfried von Viterbo ist der letzte, der aufgrund der Einsichten Frutolfs gegen die Chronologie der Heldensage Stellung nimmt. Durch die Ernsthaftigkeit der Argumentation dokumentieren diese Geschichtsschreiber eindrucksvoll, daß der Anspruch der Heldensage, Geschichtsüberlieferung zu sein, auch in der obersten Bildungsschicht prinzipiell anerkannt wurde. Die Kritik an der Heldensage setzt sich in Geschichtswerken des 13. Jahrhunderts fort, doch geht sie nicht mehr auf die Chronologie ein, sie wird allgemeiner und schärfer. Die .Sächsische Weltchronik' spricht, wahrscheinlich durch die ,Kaiserchronik' angeregt, in bezug auf Dietrich von manich logentale, und man ist geneigt anzunehmen, daß von hier ein direkter Weg führt zur Bemerkung der .Flores temporum': . . . que a ioculatoribus sunt conficta. Dieser Wandel der Kritik könnte damit zusammenhängen, daß es inzwischen auch die neue Gattung der aventiureoder märchenhaften Dietrichepen gab, daß die nun überhaupt stärker im Vordergrund stand und daher in erster Linie Ziel der Kritik wurde. Diese Art der Kritik begegnet später wieder, ausdrücklich bezogen auf Dietrichs Kämpfe gegen Riesen, Drachen und Zwerge in Twingers von Königshofen ,Weltchronik' (um 1390) und in den davon abhängigen Werken des 15. Jahrhunderts. Nach Frutolf wird Ermanrich als Gestalt einer eigenen Sage (Hamdirsage) nicht mehr erwähnt, obwohl sich mehrmals Gelegenheit dazu bot. In der ,Kaiserchronik' wird sein Name sogar bei der chronologischen Erörterung weggelassen. Gelegentlich wird er im Zusammenhang mit Dietrich genannt, bei Gottfried als Vater Dietrichs, im .Chronicon Bavaricum', das Frutolf und seine Kritik nicht kannte, als dessen Bruder (vgl. Anm. 117). Die Legende von Theoderichs Sturz in den Vulkan hat im Laufe der Zeit mancherlei Abwandlungen erfahren. In Gregors Dialogen ist eindeutig gemeint, daß die Seele Theoderichs von (den ebenfalls schon Verstorbenen) Johannes und Symmachus in den Vulkan geworfen wird. In der ,Kaiserchronik', in Gottfrieds ,Pantheon' und in der .Sächsischen Weltchronik' wird Theoderich/Dietrich lebend hinweggeführt und in den Vulkan geworfen. Damit rücken die Legende und die Sage vom Höllenritt bei lebendigem Leibe

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näher zusammen, dies noch mehr, wenn man bedenkt, daß Theoderich auch in der Legende, ebenso wie auf der Inschrift von San Zeno, gelegentlich als nackt bezeichnet wird (vgl. Anm. 11). Wie in der Legende, so wird auch die Sage von der Entrückung Dietrichs zu Pferde in den behandelten Zeugnissen (ausgenommen Leo von Rozmital) unter einem geistlichen Aspekt gesehen. Wie in der Legende, so fahrt Theoderich zur Hölle in der von Otto von Freising und im ,Chronicon Bavaricum' erwähnten Sage, ebenso auf der Inschrift von San Zeno. Giovanni erwähnt die Hölle nicht ausdrücklich, aber er selbst war sich wohl gewiß, daß Theoderich in der Hölle endigte. In der ,Thidreks saga' und in der von Leo von Rozmital (der allerdings nach dem hier behandelten Zeitraum schreibt) mitgeteilten Sage bleibt offen, wohin Theoderich geraten ist. Zwar hat es vulgarisierende Abwandlungen der Legende vom Sturz in den Vulkan gegeben, aber nur die Sage von der Entrückung zu Pferde (die man auch für das ,Chronicon Bavaricum' annehmen darf) wird als volkstümlich bezeichnet (Otto, ,Chronicon Bavaricum', Diakon Giovanni). Sie begegnet denn auch in der epischen Überlieferung, in der .Thidreks saga' und im .Wunderer'. Sie stimmen darin überein, daß Dietrich auf einem Teufelsroß aus Bern hinweggeführt wird. Während die Saga eigentlich keine Begründung für dieses Ende Dietrichs gibt, weiß der .Wunderer' von frevelnden Worten, zu denen ihn der Teufel verleitet hatte (Str. 130). Das Motiv der stultitia bzw. der superbia von San Zeno klingt auch hier an und begegnet auch sonst, um den Eintritt in die Rolle des Wilden Jägers zu begründen (z.B. bei König Waldemar s.o. Anm. 112). Aussagen über die Existenzweise Dietrichs nach seinem irdischen Leben machen die .Kölner Königschronik', die .Sächsische Weltchronik' (. . . noch in der belle leve), das ,Chronicon Bavaricum' und Diakon Giovanni. Ein nochmaliges Abwägen der Argumente, die bei der Interpretation der einschlägigen Stelle der ,Kölner Königschronik' ins Spiel gebracht wurden, hat zu dem Ergebnis geführt, daß einige Elemente des Chronikberichts durchaus ins Erscheinungsbild des Wilden Jägers passen, andere jedoch nicht, und daß diese den Oittñchadventus von 1197 dem Vorstellungsbereich der Königssage zuordnen. Der Auftritt selbst dürfte sich im Sinne Haucks am besten als Einleitung einer Verschwörung verstehen lassen. Dies aber setzt voraus, daß der wiederkehrende Dietrich nicht als Gestalt des Teufels aufgefaßt wurde, sondern als Heldenkönig und Tyrannenbekämpfer, unter dessen Patronanz die rechte Ordnung wiederhergestellt werden soll. Wie der Glaube an Dietrichs allwöchentliche Wiederkehr und seinen Kampf mit Witege im Volk gesehen wurde, läßt sich schwer sagen. Der Chronist lehnt ihn entschieden ab und verurteilt ihn als Blendwerk des Teufels. Vielleicht darf man daraus schließen, daß diese wohl sehr alte Vorstellung nicht als schändlich galt. Diakon Giovanni, der als erster Geschichts-

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Schreiber Dietrich als Wilden Jäger bezeugt, nimmt gegen diesen Glauben Stellung. Auch die ,Sächsische Weltchronik' distanziert sich deutlich von der Vorstellung, daß Dietrich noch in der Hölle lebe. Kleriker scheinen sich also solchen Vorstellungen gegenüber eher ablehnend verhalten zu haben. Dies dürfte damit zusammenhängen, daß der Komplex der Wilden Jagd nicht immer und überall als Teufelei galt, was auch bei der Frage nach dem Ursprung von Dietrich als Wildem Jäger berücksichtigt werden sollte. Alles, was mit der Wilden Jagd zu tun hat, ist vieldeutig und unheimlich, und das wohl nicht erst unter dem Einfluß des Christentums. Das Totenheer und seinen Anführer mit Teufeln oder Verdammten gleichzusetzen, lag von Anfang an nahe. Seit der „Geburt des Fegefeuers" (Le Goff) im 12. Jahrhundert konnte die Versetzung in die Wilde Jagd auch als eine Art Fegefeuer aufgefaßt werden (so etwa im Falle Karls des V., s. Anm. 112), so auch Dietrichs Kampf gegen Drachen im ,Wunderer'. Da der Aetna auch als Stätte des Fegefeuers galt, klingt in der ,Kaiserchronik' die Möglichkeit an, daß es sich in der Legende vom Sturz in den Vulkan um eine zeitlich begrenzte Strafe handelt. Diakon Giovanni wendet sich mit den Worten statim nunquam comparait gegen den Glauben an eine Wiederkehr Dietrichs (wohl speziell als Wilder Jäger). Eine ganz ähnliche Bemerkung findet sich schon in den ,Flores temporum' und, dem Inhalt nach, in der Inschrift von San Zeno. Es scheint in geistlicher Rede über Dietrichs Ende üblich gewesen zu sein zu betonen, daß er niemals wieder erschien, was wieder voraussetzt, daß der Glaube an eine Wiederkehr fest verwurzelt war. Er kommt noch im letzten Kapitel der ,Thidreks saga' zur Sprache, als Thidrek auf dem Teufelsroß ins Verderben reitet. Da ruft ihm der Knappe zu: „Herr, wann wirst du wiederkommen? Warum reitest du so schnell?" Und er antwortet: „. . . Wiederkommen werde ich, wenn Gott will und Sankt Maria."

Hadubrand's Lament: On the Origin and Age of Elegy in Germanic VON JOSEPH HARRIS

The quaint nineteenth-century quality of my title will not disguise the fact that there is widespread academic skepticism about the possibility of any real knowledge of "origins", especially in a theoretical climate that postulates an infinite regress of texts. Even without an ultimate philosophical justification, however, literary history "must begin somewhere", and today the practical justification of a search for "origins" lies as much in the mutual illumination of otherwise isolated literary structures as in the explanatory literary-historical system it creates.

The general argument of this paper will be that contrary to prevailing opinion elegy is an old literary form among the Germanic peoples and that heroic elegy in Old English and Old Norse can be traced to an "origin" of sorts in an oral poetic genre that was common Germanic property. That this is the prehistory of the genre or its immediate starting point rather than its ultimate origin would be a valid objection, but some evidence for a generative social setting in funeral customs was collected long ago by such literary historians as Koegel, Ehrismann, and Baesecke,1 and there are a few discussions, such as those by Schücking and Sieper,2 which try to establish some links between 1

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Rudolf Koegel: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, Straßburg 1894, vol. I, pt. 1, pp. 47 — 55 (note that Koegel's derivation of the Old English elegies, belonging to a long finished debate, is quite different from what I propose, pp. 62—63); Gustav Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1932, — 2nd rev. ed. — pt. 1, pp. 35—44; Georg Baesecke: Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums, Halle (Saale) 1940, vol. I: Vorgeschichte, pp. 358-367. L. L. Schücking, Das angelsächsische Totenklagelied, in: Englische Studien, 39 (1908), 1 — 13; Ernst Sieper: Die altenglische Elegie, Straßburg 1915, pp. 3 — 31, 78—106. Baesecke [cf. η. 1] remarks: "Jedenfalls aber hängt sie ['die nordische Drapa-Kunst,' but he has in mind the erfidrápa, especially 'Eiríksmál'] ihrerseits noch deutlich mit den kultischen Totenfeiern zusammen" (p. 469).

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the early or primitive references to ritual lamentation or generally to mourning and the much later and beautifully complex elegiac poetry. However, while the items collected under headings such as "Totenlieder, Totenklage, Klagelieder" would seem sufficient to prove an elegiac sensibility, the "culture," as it were, on which could have "grown" the elegy as a Common Germanic poetic form, it will never be possible to show all the connecting links to the much later verse, the bridges over what Baesecke described in a similar case as a literaryhistorical "Abgrund". 3 A would-be historian of Germanic elegy will have to rely to a large extent on theoretical arguments and on analogies. But here we meet our first stumbling block. Weren't "die alten Germanen" terribly tough and unfeeling? Didn't they exhibit "icy hardness" and "steely coolness"? Wasn't it, in fact, the twelfth-century that taught tender feelings to Northern Europe?4 These questions are, of course, just a parody of the Denkschemata that we inherit from high-school cultural history, clichés that seem to emanate from two sources: first, the laudable wish to understand the alterity of peoples who doubtless were other than ourselves and to construct a scheme of historical development out of those alterities; second, the more or less popular reception of the historical construct, and the fabrication, for reasons that have nothing much to do with disinterested science, of such a thing as a Germanenideologie. The threat to scholarship comes, I think, when the reflection of such popular ideologies obscures a fresh view of the evidence. A second stumbling block is our preference for the most precise and tidy models in literary history, even at the price of explanatory power. An example of such false economy would be the equation of Heldensage with Heldenlied·. the fewer and the more structured the entities we have to deal with the greater the positive feeling of security. Heusler, the master of the trend I am speaking of, was not so enamored of the "hard" image of the Germanen as lesser literary historians, but one might say that he was too committed to the principle of Ockham's Razor, unwilling to multiply the entities needed to fill the empty spaces of the literary history of a non-written literature. Heusler's opinion presents such an important obstacle to our case for a relatively early Germanic elegy because his model, enshrined in his great 3 4

Baesecke [cf. η. 1], p. 468. It seems unnecessary to document these common attitudes in detail; four striking examples occur in the course of this paper, and one can compare Baesecke's interesting ambivalence [cf. η. 1, p. 167]. Of personal honor as the mainspring of tragedy Hugo Kuhn asked: "1st es nicht ein gefahrliches germanisches Klischee, was schon so lange den Blick für den Sinn des Hildebrandslieds trübt?" ('Stoffgeschichte, Tragik und formaler Aufbau im Hildebrandslied', in: Text und Theorie, Stuttgart 1969, p. 120). The present article is also an effort to overcome a dangerous cliché.

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synthesis 'Die altgermanische Dichtung', allows neither for connections between the heroic elegies in Old English and those in Old Norse nor for any organic link between the strong strand of skaldic erfikvadi and the Old Norse heroic elegies proper.5 Instead the Eddie elegies are ascribed to a late revival of heroic poetry attributed to the Icelandic renaissance of the later eleventh and, especially, the twelfth centuries. Heusler, however, does not really argue his case in 'Die altgermanische Dichtung' but merely states the results as part of a magisterially (and seductively) complete total picture. Traced to its source in brief sections of his 1906 paper 'Heimat und Alter der eddischen Gedichte. Das isländische Sondergut' the argument proves to be fatally bound up with received ideas about the trajectory of cultural history in general and with the dating of extant Eddie texts.6 Neither of these points can be fully argued here, but the inadequacy of Heusler's model as literary history is plain to see in his own unexpressed assumptions about our bedivilled question of a literary "origin," for Heusler presents, as it seems to me, a plausible enough milieu for the flourishing of Eddie elegy but no suggestion of a generic source and no reason to believe in an almost unique literary creation ex nihilo. This treatment of the Old Norse heroic elegy in isolation gains no support from Heusler's tentative ideas about the Old English elegy — perhaps connections to funeral lament, more probably to Ovid — even though his contemporary and friend Neckel, after essaying a more direct literary-historical version of Old English influence, had ended, it seems, by favoring the existence of an 'altgermanische Heldenklage.' 7 The problems presented by Heusler's treatment of the various forms of elegy in Old Norse were resolved in 1938 — 40 when Wolfgang Möhr supplied the history lacking in the Heuslerian model.8 Möhr, noting pervasive similari5

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Andreas Heusler: Die altgermanische Dichtung, Potsdam 1941, 2te neubearbeitete und vermehrte Ausgabe, pp. 143 — 150, 183—189. Heusler's ideas on the Anglo-Saxon elegy are ably reviewed in the context of other origin theories and carried further by Gerhard Dietrich, 'Ursprünge des Elegischen in der altenglischen Literatur', in: Literatur-Kultur-Gesellschaft in England und Amerika: Aspekte und Forschungsbeiträge Friedrich Schubel zum 60. Geburtstag, Frankfurt 1966, pp. 3—27 (ed. G. Müller-Schwefe and K . Tuzinski). Andreas Heusler, 'Heimat und Alter der eddischen Gedichte. Das isländische Sondergut', in: ASNSL, 116 (1906), 2 4 9 - 2 8 1 ; cited from his: Kleine Schriften, Berlin 1969, vol. II, pp. 1 6 5 - 1 9 4 , esp. pp. 1 6 8 - 1 6 9 . Gustav Neckel, 'Anhang: die altgermanische Heldenklage', in his: Beiträge zur Eddaforschung, mit Exkursen zur Heldensage, Dortmund 1908, pp. 495—496; Neckel's ideas on the subject seem to have evolved in the course of the book (cf. 'Egil und der angelsächsische Einfluß', pp. 3 6 7 - 3 8 9 ) . Wolfgang Mohr, 'Entstehungsgeschichte und Heimat der jüngeren Eddalieder südgermanischen Stoffes', in: ZDA, 75 ( 1 9 3 8 - 3 9 ) , pp. 2 1 7 - 2 8 0 ; "Wortschatz und Motive der jüngeren Eddalieder mit südgermanischem S t o f f , in: ZDA, 76 ( 1 9 3 9 - 4 0 ) , pp. 1 4 9 - 2 1 7 .

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ties between the Old Norse Eddie elegies and Danish ballads, reconstructed their common starting point as eleventh and twelfth-century predecessors of the ballad from the Danish-Low German area. These ancestors were heroic elegies which themselves derived from a revitalization of heroic poetry through an international wave of novelistic fictions of ultimately southern origin, and the Icelandic poets of the twelfth and thirteenth centuries find their roles severely limited in Mohr's theory. This model, with all the questions it raises about transmission, reception, and the virtually unattested but seminal southern "novelistic" poems, is not accepted by all students of Eddie poetry and would, I would have thought, encounter great skepticism from ballad scholars.9 Nevertheless, Mohr's theory must rank as the current standard. While I admire Mohr's non-Ockhamite, reconstructive method, I think he should have cast his net wider and not merely compared some West Germanic expressions, as he did, but should have drawn the full consequences of the West Germanic analogues. Mohr, I think, built a contradiction into his work by making free use of early West Germanic material from the 'Heliand' and Old English poetry but excluding the Old English elegies from his derivation of the proto-forms of the Old Norse poems. He seems, in fact, to have recognized this objection to some extent where, near the end of his second article, he cites some evidence for an old, Common Germanic elegy. 10 But one must logically grant that (1) either these West Germanic parallels are somehow irrelevant or (2), if relevant, they move the "origin" of elegy in Germanic oral literature well back beyond Mohr's hypothetical "novelistic" beginnings. My own suggested modification of Mohr's model would project the old generic core and some of the language and motifs that flesh it out (but of course no individual poem now extant) back into the continental period before the Anglo-Saxon invasions. From that starting point the novelistic influences from proto-ballad poetry, made likely by Mohr's discussion, could have been absorbed into an old generic core. In my interpretation of the data most traces of the elegiac grow out of the same Common Germanic stratum and can be used to fill in the voids of oral literary history. The exercise in 9

10

The current generation is skeptically disposed toward early ballad origins; cf. The European Medieval Ballad: A Symposium, Odense 1978, passim (ed. Otto Holzapfel, in collaboration with Julia McGrew and lern P10); my review in: Speculum, 55 (1980), 583 — 87; and Ernst Erich Metzner, 'Die mittelalterliche Volksballade im germanischen Raum unter besonderer Berücksichtigung des skandinavischen Nordens', in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, vol. 8: Europäisches Spätmittelalter, Wiesbaden 1978, pp. 331—354. Mohr [cf. η. 8], pp. 210—217, esp. p. 211; Mohr also considers briefly the possibility of influence from the Old English elegy on his postulated stages (p. 212).

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reconstruction, triangulating backward to a common ancestor, is, of course, a familiar application of the basic method of historical linguistics, but it is also the same method virtually all literary historians approve when applied to Germanic metrics, to the form of the Heldenlied, or even, with considerably less evidence, to the praise poem. In any case, the method is comparative reconstruction and the main evidence is analogy. In a short programmatic paper of 1982 I laid out the more obvious formal similarities between heroic elegy in Old English and Old Norse, together with a few examples of more minute similarities at the level of motif and diction.11 Elegy in the two "national" traditions can be imagined as developing away from a common starting point, a starting point that becomes at least moderately tangible through the comparison of the two major bodies of heroic elegy, but the developments — beginning with the stage of maximum similarity attested by the most primitive surviving examples in each language, 'Wulf and Eadwacer' and 'Guörunarkviöa I' — are quite different, the Old English evolving towards a poetry of ideas and the Old Norse toward third-person narratives embodying a second growth of legend. I wish, however, to reemphasize the fact that this model makes no proposal for dating extant texts but deals strictly with generic typology — which is, I think, the way to write literary history of oral poetry. The very recent literature on the subject of the Eddie elegies — scholarship on the Old English poems is little concerned with "origins" 12 — includes a provocative essay by Ulrike Sprenger.13 Sprenger also criticizes Mohr's elegy theory, but her solution is diametrically opposed to mine, for she proposes to return to Heusler's idea of a genre invented in the Iceland of the twelfthcentury renaissance. To Heusler's model she adds, however, a very strong influence from contemporary Christian thought and language and proposes to demonstrate this with examples of vocabulary shared by the heroic elegies and Icelandic and Norwegian religious literature. Despite its formidable learning and ingenuity, Sprenger's modification of Heusler's picture is no more convincing than the original, partly because it has not addressed the old problems. (Like Mohr, Sprenger does come to grapple late in her paper, footnotes 44—45, with the problem of the West Germanic analogues, but 11

12 13

Joseph Harris, 'Elegy in Old English and Old Norse: A Problem in Literary History', in: The Vikings (ed. Robert T. Farteli), London and Chichester 1982, pp. 1 5 7 - 1 6 4 ; rpt. in: The Old English Elegies: New Essays in Criticism and Research (ed. Martin Green), Rutherford [N.J.] etc. 1983, pp. 4 6 - 5 6 . Surveyed in Harris [cf. η. 11] and in Dietrich [cf. η. 5], Ulrike Sprenger, 'Heroische Elegie und geistliche Literatur', in: Akten der Fünften Arbeitstagung der Skandinavisten des deutschen Sprachgebiets 16.—22. August 1981 in Kungälv, St. Augustin 1983, pp. 1 8 5 - 9 6 (ed. Heiko Uecker).

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she resolves in favor of Heusler). No sources for the new poetic form are provided and no rationale for a creation from nothing, and without a preexisting old genric core it is hard for me to see how there could be "influence" from religious literature — influence on what? But even the existence of the influence itself seems to me doubtful. Let us look briefly at some of the arguments. Sprenger shows that Old Icelandic sárr and its derivatives and compounds occur frequently in Icelandic and Norwegian religious literature and also in the heroic elegies, but this coincidence is balanced, I suggest, by some 154 occurrences of the cognate sar in the Old English poetic corpus, including 15 in 'Beowulf alone.14 It is true that the great mass of these Old English occurrences are also in religious texts, but no conclusions can be drawn from that fact unless the overwhelming size of the religious literature relative to the secular is taken into account. Unless one makes that statistical adjustment it would be possible to prove, by the same methods used here on sárr, that almost any word in the Old English poetic corpus, even the old vocabulary of the warrior-band, was "ecclesiastical." In practice, of course, the mere statistics of distribution have to be balanced by common-sense considerations. More persuasively Sprenger shows that a few collocations such as sárr+svíkja (fiá er mie sára svicna hqfòof) in 'Siguröarkviöa in skamma' (57,3—4), a poem with close affinities to the Eddie elegies proper and conventionally considered to belong to their late group, can be paralleled in the Norwegian homily book (sárlega svicviri)\ but this collocation too is also attested in Old English verse (sare beswicene) . 1S For the collocation of gráta\grátr-\- sárr (Gör. 1,20,8) Sprenger counters Mohr's parallels from Danish ballads with instances from West Norse religious texts (p. 187), but again Old English offers sare greten some two hundred years earlier.16 With sárr+dauói (Jrá Siguröar sárom dauòa, Gör. 11,7,4) Sprenger's supporting evidence seems a little more convincing, and Old English offers only such parallels as se bitera dead (Dan 223), laölicne deaÖ (Chr 1173), sar 14

15

16

A Concordance to the Anglo-Saxon Poetic Records, Ithaca and London 1978 (ed. J. B. Bessinger, Jr.; programmed by Philip H. Smith, Jr.; with an index of compounds compiled by Michael W. Twomey). Old English texts will be cited from: The Anglo-Saxon Poetic Records, 6 vols., New York 1931 — 53 (ed. G. P. Krapp and E. van Kirk Dobbie); their titles and abbreviations are those of the Bessinger-Smith concordance. The Eddie elegies will be cited from: Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern, Heidelberg 1962 (hrg. v. Gustav Neckel, 4te., umgearb. Auflage v. Hans Kuhn); Eddie titles will be abbreviated according to the system of this edition. Sprenger [cf. η. 13], p. 187; Ρ 106.39. The collocation sarr+bugr (Sg. 60, 10; Sprenger, p. 186) seems unmatched in the OE poetic corpus; however, hjge is coupled with geomrende, hreomcearig, gnornende, geomor, and compounded as hygegeomor, and sar appears with the synonym sefa. Sprenger [cf. η. 13], p. 187; Chr 1571.

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ond swar gewin ond sweartne dead (Chr 1411), and se deorca dead (Phx 383, 499). It seems, however, that one meaning of Old Icelandic sárr is never attested in the elegies, the idea of guilt. 17 If this Christian semantic development of the word that originally meant "wounded" could be demonstrated for the elegies, it would at least make likely a local religious influence, but its absence would actually seem to constitute positive counter-evidence, evidence that makes it unlikely that ecclesiastical literature could be responsible for the use of sárr in the elegies. My counter-argument would, however, also seem to be unnecessary since the word under discussion and most of the collocations cited by Sprenger are already present in the traditional (ultimately oral) poetic language of early Germanic poetry, and the lexicon of emotions, to which sárr belongs, is, in the main, already established in the related Old English elegies. Another of Sprenger's examples, heavily stressed, is the phrase s i t j a j f i r , used in a wake-like situation as in the line er hon sat s o r g f u l l j f i r SigurÒi (Gör. 1,1,3—4). Sprenger puts together evidence to suggest that the genesis of the phrase (presumably in Old Norse) was in a blending of two ideas: first, the Mary's "standing over" the dead Christ; and second, a pre-existing phrase sitja J f i r used for attending on a victim of illness: „Aus dieser Bedeutung und unter Einwirkung des auf die Vulgata zurückgehenden Ausdrucks standa j f i r in Verbindung mit gráta oder einem entsprechenden Adjektiv im Sinne von 'betrauern' ergab sich die analoge Verwendung von sitja j ' f i r . " 18 Now, this seems a tortuous and improbable origin for a simple phrase, or rather not for its origin but for the mere extension of sitja y fir from the ill or the dying to the dead. But a more important objection is that we find the exact phrase already attested of the dead Beowulf and his dragon in what would seem to be an impeccably secular and traditional context: Wiglaf siteô ofer Biowulfe, byre Wihstanes, eorl ofer oôrum unlifigendum, healdeö higemaeöum heafodwearde leofes ond laöes (2906-2910). Sprenger asserts, in refutation of Mohr's general thesis, that the expression does not occur in funeral contexts in the Danish ballads (n. 30), but I would 17

18

Sprenger [cf. η. 13] phrases this sense of the word as follows: "Sárr bezeichnet in der geistlichen Literatur den schweren Seelenzustand von Schuldigen oder sich schuldig Fühlenden, aber auch von unschuldig Gepeinigten oder von Pein Bedrohten" (pp. 186 — 187). Although the former sense is lacking in the major dictionaries, I think Sprenger is correct in finding it in her religious texts. Sprenger [cf. η. 13], p. 190.

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be reluctant to draw any conclusion from this absence of evidence. Much more to the point is the positive evidence of 'Beowulf, and the failure to draw the Old English sources into a literary-historical model is the same mistake Möhr made. Sprenger implicitly answers this objection when she rejects Mohr's occasional West Germanic parallels (e. g., ser+hugi in 'Heliand' 4588 and 1357): "Den Umweg über das Altsächsische (Westgermanische) kann man sich jedoch ersparen" (p. 186); "die Heranziehung von Heliandbeispielen ist unnötig, bezüglich der Elegienwortschatzbeispiele ergibt sich die Parallelität der geistlichen Dichtung" (p. 187). She articulates here what one might call a theory of synchonic privilege, but such a theory seems to me misplaced in a basically traditional (and therefore diachronic) poetic system. Sprenger offers a similar argument at the level of motif with the claim that the grieving Mary of the Christian tradition made possible the image of the griefstricken Guörun that appears several times in the elegies: "Wenn Guörun als große Leidende dargestellt ist, so läßt sich das allein auf dem Hintergrund der oben skizzierten geistlichen Literatur verstehen."19 If there were no other grieving women in Old Germanic verse or if the image contrasted sharply with what we read elsewhere, this explanation might have more cogency. But granted that Guörun is the most outstanding, the "große Leidende" in Sprenger's suggestively Christian phrasing, there are at least quite a few analogues, "kleine Leidenden" (so to speak), including Oddrún and the grieving supernumeraries in 'Guörunarkviöa I' and the unnamed many who suffer alluded to at the end of 'Guôrûnarhvçt' and in 'Deor', and the Marian origin slights the passions and sufferings of the speakers of the 'Wife's Lament' and 'Wulf and Eadwacer', the grieving Hildeburg of the Finnsburg Episode, the geatisc meowle at Beowulf s funeral, and perhaps the woman in the 'Husband's Message'. Guörun was also the great female exemplar of the revenger, but in both her roles — mater patiens and mater ulciscens — it was popularity and the complicated course of oral literature, and not some improbable influence from the Mother of God, that made her the greatest of the common types. For Sprenger the two aspects of Guörun's traditional character evince two stages of development, the first showing the "eiserne Härte" (p. 189) of the old Guörun, the second twelfth-century tenderness; it follows that the "laughing and crying" topos that expresses the fusion would itself be a late creation. I see no reason to doubt that the topos and both roles are quite early or to assign the grieving woman to the twelfth century, though in view of the possibility of "fusion" in the history of the story and its possible role in the creation of complex characters, the two aspects could have ultimately 19

Sprenger [cf. η. 13], p. 189; also pp. 190-91.

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separate origins. 20 Sprenger associates the escalation of Guôrùn's grief into the "absolute" and her desire for death with Christ's mother (pp. 190—91), but elegiac exaggeration and the problem of unity across the divide of death appear to be old topoi probably bound up with ancient ritual. 21 When Guörun falls to her knees and kisses the dead Sigurd in 'Guörunarkviöa Γ Sprenger sees the influence of a Christian threnos-scene, perhaps early Byzantine (p. 191). No such derivation, however, is at all necessary; the kiss, natural enough in the context and paralleled in 'Helgakviôa Hundingsbana II' and the related ballads, is here a part of the theme of the poem (a point which I would like to develop more fully on another occasion); the kneeling posture, also thematically justified, would seem to be a part of the traditional contact of the grieving elegist with the dead: Hildeburg in 'Beowulf was the "wretched one by the shoulder" (of her dead son)22 when she gnornode, / geomrode giddum\ and as with the Herborg of 'Guörünarkviöa I' (st. 8), part of the elegiac image of Hildeburg concerns her personal engagement in the funeral {bet, 1.1114). Sprenger concludes that "die Heroische Elegie eine isländische Schöpfung ist, die in der geistlichen Literatur wurzelt" (p. 192); the genre is to be dated, in general, "nicht vor 1200" (p. 193). I grant the force of some of her critique of Möhr (p. 192), but I disagree with the conclusions point for point. Sprenger concedes the non-Icelandic nature of the ballad motifs and Danish placenames pointed out by Möhr, but discounts them as adventitious, not essential features: "dies sind jedoch bloß Elemente" (p. 192). But such motifs and language could not wander to Iceland without matrix poems; and if the poems to be postulated are ballads rather than the generic sources of the Icelandic elegies, the resulting literary-historical model suffers from the faults of both Heusler's and Mohr's models. I short, we cannot do without a Danish stage, and Heusler's model simply cannot integrate much of the evidence. II. My review of research, at least of the major works, has been predominently negative. The difficulty in constructing a convincing positive case for tracing the roots of Old Norse heroic elegy back beyond the twelfth century is only partly due to the scarcity of early sources, for there is a curious movement 20

21 22

Cf. Sprenger [η. 13], η. 44. On "fusion" in Sagengescbichte, Hellmut Rosenfeld, 'Nibelungische Lieder zwischen Geschichte und Politik: Parallellied, Annexionslied, Sagenmischung, Sagenschichtung,' in: BGDSL (T), 99 (1977), 6 6 - 7 7 . Harris [cf. η. 11], pp. 1 6 1 - 6 3 . Retaining the manuscript reading at 'Beowulf 1117 according to arguments summarized by Donald K. Fry, in: Finnsburh. Fragment and Episode, London 1974, p. 42.

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in our field today that finds it easier to believe in the archaizing than in the archaic and an obscure, never fully expressed assumption that it is more realistic (less "romantic", a key term of opprobrium) to believe in recent fraud than that the oral centuries had a voice, that is, to believe in the existence of traditions. The readily available evidence for older elegy would combine the kinds of theoretical arguments I have been using with analogies, for example with analogies between the skaldic elegies and the Norse heroic elegies and between both and the Old English elegies. We could, for example, compare the conclusion of 'Sonatorrek' to that of 'GuórúnarhvQt': the language theme in those two examples of elegiac closure is the central idea of 'Guörünarkviöa I', and a somewhat similar role for language is one of the most affecting themes of the 'Wanderer' and the 'Seafarer'. 'Sonatorrek', with its firm anchoring in a certain myth complex and the last of all the rites of passage, has important implications for erfikvœii in general, and this elegiac subgenre could provide (if treated in the manner of the old Cambridge school) a theoretical bridge from myth and ritual to the sophisticated literary forms.23 Such arguments, however, require for effect a greater degree of consensus than exists on this topic of elegy. A simpler type of positive evidence would be constituted by traces of an unrecognized early Germanic elegy more or less under our noses, but first we must establish a consistent (if not elaborately technical) meaning for "elegy." The problem of elegy can be approached by asking what formal features do the poems and parts of poems known as elegies have in common. In the present context, limited to the Old English and Eddie elegies, a minimal formal description could be: a dramatic monologue spoken by a figure originally from heroic story who tells, in the first person, about the joys and especially the griefs of his life, "expressing an attitude toward [his] experience".24 Already problems and special cases present themselves, and 23

24

Documented in my in-progress 'Myth, Ritual, Elegy: The Origin of Egill Skallagrimsson's Sonatorrek.' The whole definition of an Old English elegy by S. B. Greenfield, 'The Old English Elegies', in: Continuations and Beginnings. Studies in Old English Literature, London 1966, p. 143 (ed. E. G. Stanley), bears quoting: "a relatively short reflective or dramatic poem embodying a contrasting pattern of loss and consolation, ostensibly based upon a specific personal experience or observation, and expressing an attitude toward that experience." I omit 'The Ruin' from the corpus of OE elegies because although its mood is elegiac, its structure does not accord with the first-person speaker of the others; the "Old Man's Lament" in 'Beowulf (2444 — 2462) lacks a first-person component only superficially. 'The Husband's Message' has an ambiguous status among the elegies; the I-speaker appears to be a rune-stick, a letter from husband to wife, and influential interpretations read the whole poem (and the preceding riddle) as a speech of the Cross: R. E. Kaske, Ά Poem of the Cross in the Exeter Book: "Riddle 60" and "The Husband's Message'", in: Traditio, 23 (1967), 41—71; Margaret E.

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such a formal description slights the "elegiac" aspect, mood or content, central to the usual understanding of the term. Proceeding by examples may introduce fewer unnecessary complications. Most scholars would agree that 'Guörunarkviöa II' (called "in forna" in the prose after 'Brot') is both the oldest Eddie elegy and typologically the closest to lost early exemplars, if such are to be postulated.25 The motifs of its opening stanzas could be analyzed as: (1) self-identification of the speaker, (2) characterization of her youth, (3) the decisive change when she was given in marriage, (4) praise of the dead husband, and (5) blame directed at her jealous brothers. Such a poem is obviously comparable to the 'Wife's Lament', and I propose to use as terminus technicus for poetry of a similar structural make-up the expressions "formal elegy" or "elegiac form" or "elegy" pure and simple; these terms should lend a semantic solidity through their opposition not only to all "forms" that are not elegy but also to non-formal conceptions such as "the elegiac" or "elegiac sentiments or materials." In the formal sense just assigned, then, we can rather easily recognize "elegy" in, for example, the central lament of Guöriin in 'Guörunarkviöa I' (st. 18 — 22) or in 'Guörunarhvgt's' final section or in Brynhildr's self-justification in 'Helreiö Brynhildar' and Oddrún's long speech in Oddrúnargrátr'. In all these cases the "formal elegy" is more or less overgrown with other narrative and dramatic material; though by convention we call the entire poem a "heroic elegy," the fact is that the "formal elegy" as we have just defined it is only the most important element in a much more complex final form, each poem being in effect a small "Großform" 26 built around a "formal elegy." But we also speak conventionally about "elegiac passages" in poems that are not conventionally classed among the heroic elegies; and if we apply our formal definition to these passages it turns out that some are, formally speaking, "elegies" included within the larger poem. Examples would be part of Brynhildr's speech in 'Siguröarkviöa in skamma' and parts of the domestic quarrel section of

25

Goldsmith, 'The Enigma of The Husband's Message', in: Anglo-Saxon Poetry. Essays in Appreciation, Notre Dame and London 1975 (ed. Lewis E. Nicholson and Dolores Warwick Frese), pp. 242—263. However, allegory or not, the contents and diction of the speech of the stick (or Stick) are quite similar to such elegies as 'The Wife's Lament,' and I will allow myself a few allusions to 'The Husband's Message' as a tentative member of our corpus. Scholarship on the datings and relative order of the later Eddie poems is hopelessly at odds with itself. Probably the best remarks on Gör. II are those of Einar Olafiir Sveinsson: Islenzkar bókmenntir i fornöld, Reykjavik 1962, I, pp. 484—89, p. 213, where Gör. II is supposed to have borrowed from Br., Akv., HH. II, and perhaps Grt. and made loans to Gör. I, Sg., and probably to Ghv. and the skalds Gisli and Ivarr, certainly to Bjarni Kálfsson (1182).

26

The concept is borrowed from Heinz Klingenberg: Edda — Sammlung und Dichtung, Basel and Stuttgart 1974 (Beiträge zur nordischen Philologie 3).

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'AtlamáP. However, the examples I would like chiefly to refer to are Sigrún's lament in 'Helgakviöa Hundingsbana II' (36—38) and part of Guôrùn's speech in 'Hamöismäl' (5). We can extend the term "formal elegy" to these passages, given, however, the concession that our definition is not an exacting one but simply based on some undetailed structural similarities with the other "formal elegies." In another context an elaborate structural description and consideration of the relationship of form to (elegiac) sentiment might be worthwhile; here, however, the point is that these elegiac passages are no less "formal elegies" for being imbedded in larger poetic contexts which have nothing to do with elegy. One can support this analytical strategy with analogies. 'Beowulf contains, among other included genres, genealogy, heroic lay, praise poem, creation hymn, and elegy, and all these genres are found elsewhere, either pure or incorporated into different matrices. Of course, 'Beowulf is an exemplar of "epic synthesis" (if not of a literary "summa" 27 ), but the same principle holds for the prophecies that so swell out the 'Atlamál' and 'Skamma'. The older editors and commentators regard our included elegies in 'Helgakviöa Hundingsbana II' and 'Hamöismal' as in some way "intrusive." 28 But that need not be false to sustain my point: some audience presumably regarded the preserved poems as unities of some sort,29 no matter what the history of the elements. In fact it seems that there are no generically pure examples of the larger literary forms if we consider the true einfache Formen to be something like speech acts;30 in any case, most of what we recognize as major literature is to some extent generically complex with a complexity achieved partly by the incorporation or reception of einfache, oder wenigstens einfachere, Formen. These principles would seem to apply also to the heroic lay and to its most important, only undoubtedly early extant exemplar, the 'Hildebrandslied'.31 The heroic lay (taking Heusler's reconstruction as the norm) is admittedly more likely to occur in a generically "pure" state than more open forms such as the epic, but in the 'Hildebrandslied' itself we can (if the principles I have been suggesting be granted) easily recognize two constituent or included genres: proverb (or gnome or sententia) and oath. The former, found in Hadubrand's suspicious words mit geru seal man geba infahanort 27 28 29 30

31

J. Harris, 'Beowulf in Literary History,' in: Pacific Coast Philology, 17 (1982), 16—23. Cf. Ursula Dronke's exemplary treatment in: The Poetic Edda, Oxford 1 9 6 9 , 1 , 1 5 1 - 5 4 , 1 8 0 f f . Cf. Klaus von See: Die Gestalt der Hávamál, Frankfurt 1972. J. Harris, 'The senna: From Description to Literary Theory,' in: Michigan Germanic Studies, 5 (1979), 6 5 - 7 4 . The text usually cited is that of Wilhelm Braune: Althochdeutsches Lesebuch, fortgeführt von Karl Helm, 15. Auflage bearbeitet von Ernst A. Ebbinghaus, Tübingen 1969, pp. 84-85.

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widar orte, is widely recognized and noncontroversial;32 and if the argument of the present paper were that the proverb was an old and Common Germanic oral genre, the cogency of the evidence would be immediately conceded.33 The oath, as found in Hildebrand's wettu irmingot [. . .] obana ab bevane,¡dat du neo dana halt mit sus sippan man / dine ni gileitos, is more problematic because of the philological uncertainties surrounding individual words — by 1976 there were at least seventeen different explanations for wettu,34 Nevertheless, as a whole the passage fairly clearly means something like Baesecke's "Das wisse der Allgott oben im Himmel, daß du doch niemals noch mit so nahem Gesippen Verhandlung fuehrtest." 35 Van der Kolk cautiously calls the first half-line "eine Beteuerungsformel wie nhd. 'Weiss Gott, weiss der Teufel'"; 36 and although Gutenbrunner's "Übersetzung im Zusammenhang" differs somewhat, his commentary is more or less in accord with this view.37 The heart of Hildebrand's meaning here is dat [. . .] geleitos, and the preceding line, the main clause of the sentence, in some way attests to the truth of this dependent clause, whether as a simple asserveration or as a call to witness. Structurally speaking such a sentence (consisting of a statement of purported fact supported by an appeal to a higher power) can be called an oath and, as with the proverb, could be enlisted as evidence for early Germanic (oral) oaths. The subject here, however, is elegy, and I want to argue, with the analogy of included oath and proverb fresh in mind, that the generic pattern behind lines 15 — 29 was "elegy" by our formal definition. I shall refer to this speech as Hadubrand's Lament. The speech is, prima facie, at least a first person retrospective that begins, like 'Guôrûnarkviôa II', with self-identification, some account of the speak32

33

34 35

36

37

In another context exact discriminations here among proverb, sententia, and gnomic saying might be important. Siegfried Gutenbrunner: Von Hildebrand und Hadubrand. Lied — Sage — Mythos, Heidelberg 1976, pp. 59—62 gives extensive attention to the role of the "Sprichwortgipfel" in 'Hildebrandslied' and the other old heroic poems. Ommo Wilts: Formprobleme germanischer Spruchdichtung, Diss. Kiel 1968, pp. 71—72, discusses the adaptation of the form of this "proverb." Cf. Andreas Heusler, 'Sprichwörter in den eddischen Sittengedichten,' in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 25 (1915), 1 0 8 - 1 1 5 ; 26 (1915), 4 2 - 5 7 ; cited from: Kleine Schriften, II, 309: "Soviel is ja klar, daß die sprachlich-metrische Art der altnordischen Sprichwörter einen gemeingermaniseben Gnomenstil darstellt. Auch die deutschen stabenden Sprichwörter, so spät sie auftauchen, zeugen dafür." According to Gutenbrunner [cf. η. 32], p. 21. Georg Baesecke: Das Hildebrandlied. Eine geschichtliche Einleitung für Laien, mit Lichtbildern der Handschrift, alt- und neuhochdeutschen Texten, Halle 1945, p. 37. Helmich van der Kolk: Das Hildebrandlied. Eine forschungsgeschichtliche Darstellung, Diss. Amsterdam 1967, p. 131. Gutenbrunner [cf. η. 32], pp. 26 and 21.

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er's youth, and praise of the dead Hildebrand. Of course the real Hildebrand isn't dead, but it is basic to the conception of the poem that Hildebrand returns to hear something like his own funeral eulogy (like Tom Sawyer) or rather mixed comments on himself as legendary figure (like Rip van Winkle) — a situation with literary potential for either comedy or tragedy. In its broad formal features, then, and in content, the speech conforms to our technical definition of "elegy". A closer look at the constituent motifs, with comparison to the corpus of undoubted "formal elegies," offers some further confirmation. To facilitate the comparisons the speech is here divided into brief segments. 1 (11.14-17) Hadubra/rt gimahalta, Hiltibrantes sunu: 'dat sagetun mi usere liuti, alte anti frote, dea erhina warun, dat Hiltibrant haetti min fater: ih heittu Hadubrant. The "elegy" begins with the self-identification and name of the speaker. That these opening motifs are distinct from the first-person narrative itself, and therefore not made redundant by the antecedent general classification of the speech as a "formal elegy," is clear from the fact most "elegies" lack them. Not the underlying generic pattern, however, but the dramatic situation in 'Hildebrandslied' as a whole is responsible for the precise form of this motif; yet the "elegy" in 'Deor' opens with a similar self-naming: Píet ic bi me sylfum secgan wille, ]D£et ic hwile was s Heodeninga scop, dryhtne dyre. Me waes Deor noma (35 — 37). 'Guôrûnarkviôa II' begins with identification of the speaker but without the name itself: Maer var ec meyia, móòir mie foeddi, biç>rt, í búri, unna ec vel brœôrom; unz mie Giúki gulli reiföi (1,1—6). In general, context prohibits the included "elegies" in such texts as 'Helgakviöa Hundingsbana II' and 'Hamóismál' from having such a self-naming, but any first-person retrospective about one's own life is about self-identification in a larger sense (a fact especially clear in Oddrúnargrátr'). 'Vainglory', which is not to be classed as a member of our elegy corpus despite some similarities, opens with a quite similar appeal to authority: Hwaet, me frod wita ssegde, snottor ar,

on fyrndagum sundorwundra fela!

Hadubrand's Lament

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The wisdom ( f r o t e j f r o d , snottor) of the venerable ( a l t e j f r o d ) oral informants (sagetun mijme [. . .] sagde) is associated with the past {dea erhina warun\on fyrndagum). These initial motifs are, however, not exclusive to "elegies" or to elegiac material (many are paralleled in the Old English riddles) and need not be exclusive to lend some support to the argument. From the point of view of the elegiac analogues the next group of lines comprises two intertwined ideas: (a) an account of Hildebrand's desertion of his wife and child, in other words a version of the story of Hildebrand's exile; and (b) an account of those left behind, chiefly a compressed version of the story of Hadubrand's childhood, but also a telescoped account of the story of Hildebrand's wife after his flight. Both themes are, of course, colored by Hadubrand's attitudes toward the events of his life: 2 (11.18-22)

(a) forn her ostar gweit, floh her Otachres nid, hina miti Theotrihhe, enti sinero degano filu. (b) her furlaet in lante luttila sitten prut in bure, barn unwahsan, arbeo laosa: (a) her raet ostar hina. The retrospective narrative belongs to the basic generic definition, but it is peculiar to the elegiac tone that the story involves desertion and isolation, due either to death, war, or treachery. The 'Wife's Lament,' 'Wulf and Eadwacer', and the 'Husband's Message' offer clear parallels to the departure and desertion motifs mounted in similar backgrounds of feud and exile; in most of the elegies in Old Norse and Old English, however, the departure in question is death though that, too, can be due to a feud. In Deor's story there would seem to be an element of treachery, paralleled probably in Otachres nid (a clearer parallel, of course, is 'Beowulf 1200—1201) and in the 'Wife's Lament' ( Ongunnen pat pas monnes magas hycgan / purh dyrne gepoht, pat hy todalden une, / pat wit gewidost in woruldrice / lifdon laÒlicost, 11 — 14). The 'Hildebrandslied's' vocabulary of exile resembles most that of the 'Wife's Lament': Mr est min htaf ord gewat / forn er ostar gimit; heonan of leodum / hina miti Theotrihhe [. . .] her raet ostar hina. In the 'Husband's Message' (though its status as an elegy is problematical), as in 'Hildebrandslied', a feud is responsible for the exile: H ine fahpo adraf / of sigepeode (19—20); the suffering of Herborg in war (Gör. 1,9,1—2: Pá varò ec hapta oc hernuma) is heaped on her losses through death, rather than the cause of separation, and resembles more the anticipated austerities facing the Geatish women (Bwf 3018—20: ac sceal geomormod, golde bereafod / oft nalles ane e¡land tredan, / nu se herewisa hleahtor alegde). The lines marked (b) are, of course, my strongest evidence for an underlying elegiac form. Hildebrand left behind his "little" wife sitting in her quarters

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and an infant child, lacking patrimony. These are philologically deep waters, and one ventures only with trepidations to deviate from the conclusions of Ute Schwab's impressive book which takes its origin from these lines.38 There are, however, again many parallels within the corpus of early Germanic elegies, the entire 'Wife's Lament' offering a narrative parallel told from the point of view of the deserted woman. It may be less obvious, however, that the Old English poem, like the German one, focuses on the deserted woman's dwelling place (in bure)·. Het mec hlaford min Heht mec mon wunian

herheard niman . . . (15) on wuda bearwe . . . (27).

More generally, the sense of place is paralleled in elegiac contexts, along with the diction itself, in 'Guörunarkviöa II's' opening quoted above (biqrt, ί bàri) and in 'Oddrúnargrátr' (17,1: Brjnhildr íbúrí). A similar motif, probably best regarded, however, as a different theme, is presented when the speaker of an "elegy" associates the absent and lamented one with a certain place (Bwf 2455: GesyhÒ sorhcearig on his suna bure-, Gör. 1,20,1—3: Sacna ec ί sessi oc ί sango I míns málvinar). The formula prut in bure probably does not itself have any specific elegiac flavor — parallels were collected by Schwab, though she prefers to emend.39 There seems to be a significant bond, however, between the scene of elegiac discourse and the verb "to sit"; typically the elegist either "sits" or "wanders." Closest to the 'Hildebrandslied's' luttila sitten is probably the selfdescription of the deserted woman in 'Wulf and Eadwacer': ond ic reotugu sat (10), and very typical is the gesture in 'Deor': Sat secg monig sorgum gebunden (24); Sited sorgcearig, salum bidaled (28). The gesture is negated in Sigrún's Sitca ec svá sal at Sefafjqllom, / ár né um natr (HH. 11,36,1—3) and repeated in a full form in 'Oddrúnargrátr' 13,1—4: Pi nam at setiaz sorgmóò kona, at telia bçl af trega stórom; here we also have the conditions of a kind of performance (and perhaps something of a "double scene")40 which frame the utterance: Sa^tu oc hlyddir, meòan ec sagôac pér j mqrg ill urn scqp min oc peira (34,1 — 4). I take it that 38

Ute Schwab: arbeo laosa. Philologische Studien zum Hildebrandlied, Bern 1972 (Basler

39

Schwab [cf. η. 38], pp. 27—35, esp. pp. 30—35. Bur can be specifically the women's quarters;

40

Lars Lönnroth, 'The double scene of A r r o w - O d d ' s drinking contest', in: Medieval Narrative.

Studien zur dt. Spr. u. Lit. 45). rerferences in Schwab [cf. η. 38], p. 30. A Symposium, Odense 1979, pp. 9 4 — 1 1 9 ; Den dubbia scenen. Muntlig diktning frán Eddan til A B B A , Stockholm 1978.

Hadubrand's Lament

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gewiteÖporne on sealman (2460) in the "Old Man's Lament", one of the included elegies in 'Beowulf, is a terminal form of the sitting gesture, and of course it is part of the ritual action associated with erfikvœdi in the sagas.41 In contrast, the "Last Survivor" (Bwf 2231 —2270) is characterized by verbs meaning "wander," and his speech (2247 — 2266) is framed, like Oddrún's, by references to this gesture: [. . .] se dar lengest hivearf, j weard winegeomor [. . .] unblide hivearf / dages ond nihtes [. . .] (Bwf 2 2 3 8 b - 3 9 a , 2 2 6 8 b - 6 9 a ) . The speaker of the 'Wife's Lament' combines both gestures: Jjonne ic on uhtan ana gonge under actreo geond J>as eoröscrafu. Pier ic sittan mot sumorlangne daeg, Jwer ic wepan masg mine wraecsijjas . . . (35 — 38). Her husband or lover, however, is imaged sitting: [. . .] min freond sited / under stanhlipe (47). Similarly Guörun combines the two in 'GuörunarhvQt': Guörun grátandi, Giúca dóttir, gecc hon tregliga á tái sitia, [.. .] táruchlyra (9,1—6). We are probably justified in constructing the same combination of gestures out of the scattered references in 'Guörünarkviöa II': Gecc ec grátandi vid Grana rada, j úrughljra (5,1—3); Hvarf ec ein podan (11,1); Fór ec af fialli (13,1); Sat ec med Pòro (14,1). The expression sitja y f i r shows up in the Old Norse elegies three times: er hon sat sorgfull y f i r Sigurdi (Gör. 1,1,3—4); er ec sárla sate y fir Sigurdi (Gör. 11,12,3—4); Svalt pá Sigurdr, sa^tu y f i r daudom (Hm., 7,5 — 6); a variant form is sitja um: ne kveina um sem konor adrar, / pá er sat so/tin um Sigurdi (Gör. 11,11,9 — 10). This gesture would seem, however, to be more specifically associated with the rituals surrounding death. In general an elegiac reference or connotation is obviously not to be claimed for the vast majority of the occurrences of the common verb sit. Hadubrand's words here (passage 2 b) express his self-pity, a feature so pervasive in the corpus of elegies that detailed comparisons are unnecessary; we can, however, attach a more concrete discussion to the three principal lexical signals of this self-pity in the passage: Hadubrand's use of the verb furlaet·, his description of himself as barn unwahsan, arbeo laosa\ and his characterization of his mother as luttila. The first of these is an interpretation that may depend as much on context as on the verb itself; OHG instances seem to offer a very wide semantic-emotional range, and the word is often translated 41

The passage is discussed in my work in progress cited above, n. 23. Two doubtful instances of sitja (Ghv. 2,1—2, and 18,7—8) seem to indicate simply a gesture typical of women.

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with the fairly neutral zurücklassen (so for example by Baesecke). Other readers, however, have also overheard an emotional tone; 42 and Gutenbrunner cites a significant passage that would support a pathetic sense ('Heliand' 1184: [sie] irò aldan fader ênna forlé tun, / frôdan bi them flôdé). The problem remains whether the emotional force is located only in the context or also in furlaet. I think modern verlassen, with its range between factual "leave" and emotional "desert," is adequate here. In any case, barn unwahsan itself is certainly intended to evoke pity and express the son's self-pity. The Old English parallels (some five verse instances of a word for "child" + unweaxen) seem to occur predominently in contexts intended to evoke a reader's sympathy.43 The compressed tale of Hadubrand's youth as alluded to in barn unwahsan and arbeo laosa is richly suggestive; that the latter, at least, is a term with legal associations does not dampen its emotional ring. The elegiac corpus offers no exact parallels to the content of arbeo laosa, but for form and for the emotional tone we may cite a few expressions from the Eddie elegies: hvé gordo mie Giüca arfar / ástalausa oc eidrofa (Hlr. 5,5 — 8); Hvt pú mér . . . harma slíca, / vilia ¿aussi, vili um segiaì (Gör. 11,9,1—4); Mie veit ec á moldo munar lausasta (Gôr. 1,4,3—4). 44 Similar collocations with leas are to be found in the Old English elegies, but from these weak parallels we cannot draw elaborate conclusions beyond the probability that the tone of arbeo laosa is not the bloodlessly neutral one we 42

43

44

Francis B. Gummere: The Oldest English Epic: Beowulf, Finnsburg, Waldere, Deor, Widsith, and the German Hildebrand, New York 1922, translated "In his land he left forlorn behind him bride in bower and boy ungrown" (p. 174); Hans Naumann: Frühgermanentum. Heldenlieder und Sprüche, München 1926, p. 56, rendered "Da ließ er im Lande verlassen zurück [. . .]". On the legal sense offurlaet, John G. Kunstmann, 'Hildebrandslied 10—22 a', in: MLN, 54 (1939), pp. 501-506. The full range of furlaet is to be seen in Rudolf Schützeichel: Althochdeutsches Wörterbuch, 3te durchgesehene u. verbesserte Auflage, Tübingen 1981. Bearti unweaxen (Gen 2872) characterizes Isaac at his sacrifice; a did unweaxen (EgD 11), the underaged beam Edward (soon to become "the Martyr") acceded to the throne in the context of a list of national calamities; eaferan sinne / unweaxenne (Exo 413) is again Isaac; the eaforan mweaxne of 'Andreas' 1627 are the innocent young men of the Mermedonians who have just been slain and revived, i. e., baptized, by the saint's flood. In 'Elene' 529 the point of unweaxenne is rather to account for the transmission of knowledge via word of mouth (grandfather to dying father to young son) across the centuries from the Crucifixion down to the Invention of the Cross. In 'Maldon' 152 ( b yse mweaxeti) the word belongs to one of the poem's themes, the contrast of young and old warriors (cf. J. Harris, 'Stemnettan: Battle of Maldon, Line 122a,' in: Philological Quarterly, 55 [1976], 114-115 and George Clark, 'The Battle of Maldon: A Heroic Poem', in: Speculum, 43 [1968], 52-71). Cf. Gör. 1,8,8; another way of expressing deprivation, also used in the elegies, is valinn at+dat. as in vaòin at vilia sent vidr at laufi (Hm. 5,5—6); va&in at vilia vare, meda« ec liflac (Sg. 57,5-6).

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might expect of a legal term. Instead a strong element of complaint inheres in the expression. One suspects, further, that the whole subject of an heir or a patrimony carried a powerful emotional charge; in "The Old Man's Lament" the surviving father, having lost his son, means to die, "does not care to await another heir {yrfeweardas) in the precincts" (Bwf 2451 — 53), and in that distorted high-medieval reflection of the 'Hildebrandslied', 'Hildibrands Sterbelied', Hildibrandr Húnakappi regrets his dead son with related vocabulary: Liggr ¡Dar inn svasi sonr at hgföi, eptirerfingi, er ec eiga gat (4,1—4). Hildibrandr (like the Old Man) laments the loss of this heir ( e p t i r e r f i n g i ) ; in Hadubrand's Lament the same heir complains of his lost patrimony (arbeo). That leaves luttila, which, I realize, is hardly less disputed than other parts of these lines. In my opinion luttila is fem. acc. sing, and goes naturally with prut. Schwab summarizes the communis opinio: "Die Beziehung von luttila st. Akk. Sg. F. auf prut scheint bei dem überlieferten Text zunächst einleuchtend (so schon Lachmann), nur scheitert sie an dem Sinn 'klein,' der eindeutig in allen germanischen Parallelen überliefert ist. Wenig zum Heldenlied paßt Baesecke's sentimentale Lösung 'die kleine' . . ." 45 But, with all due respect, this is a perfect example of allowing the specter of an uncritically inherited interpretation of early Germanic culture to obscure our view and determine our reading of an important text. Whatever the 'Hildebrandslied' contains is our best and earliest evidence of the kinds of poetry that flourished in the eighth century; cultural history should be a construct from texts, not a norm for interpretation. Schwab herself concedes "der syntaktische Zwang, luttila [. . .] auf prut [. . . ] zu beziehen" and acknowledges that the only objection ("nur scheitert") to this natural reading is an apriori sense of what "ought" to be in a so-called "heroic poem" ("Wenig zum Heldenlied paßt [. . ,]"). 46 Once the syntax is solved in favor of the woman (the arguments are all laid out by Schwab) the question of the exact sense of luttila is less pressing; in my opinion Baesecke's "sentimentale Lösung 'die kleine'" needs only to be supplemented with stronger connotations of misery suggested by the few 45 44

Schwab [cf. η. 38], p. 28; Baesecke [cf. η. 35], p. 37. A further example of this phenomenon: van der Kolk [cf. η. 36] uses his apriori idea of what is proper to a "Germanic warrior" to justify displacing lines 45 —48 and reassigning them to Hadubrand: "Daß Hildebrand als germanischer Krieger auf diese Beleidigungen [the contents of Hadubrand's speech down to 1.44] mit den Worten aus Ζ. 46 — 48 reagiert habe, ist kaum glaublich. In Hildebrands Munde würden sie wie eine elegisch-bittere Klage über sein eigenes Schicksal wirken. Das würde schlecht zum Ethos der Gefolgschaftstreue passen, das im Hl. eine so wichtige Rolle spielt" (p. 115).

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occurrences of the word as applied to a person in early Germanic poetry; later, of course, in the sometimes elegiac Danish ballads the word becomes a formulaic epithet for women and girls. Gering had translated "Er ließ im Lande elend [ = luttilä\ zurück die Frau im Hause"; 47 Gutenbrunner agreed with "Er ließ daheim in Drangsal [ = lattila] zurück [. . .]"; 48 Saran offered a rather subtle reason for taking luttila as '"klein gemacht dadurch, daß ein Stück nach dem andern mit Gewalt weggenommen wird,' also 'ausgeplündert,' 'ihres persönlichen Besitzes beraubt'" and compared the other occurrence of the word in the 'Hildebrandslied', where (1. 67) the warrior's hacked shields are literally verkleinert·, unti im irò lin tun luttilo wurtun.49 Schwab dismisses this view with an exclamation point; 50 I find it perhaps overly precise in its application to property but correctly tending in the direction of the best parallel passage yet cited, one from the Eddie elegy 'Guörunarkviöa Γ: nú em ec svá lítil, sem lauf sé opt Í /ç>lstrom, at igfur dauôan (19,5 — 8). If not demonstrably traditional, this simile at least belongs to a traditional image group 51 and clearly bears a sense like "pitiful through reduced circumstances". Luttila cannot be reduced to the bathetic "short of stature," and its connotations would seem to be not very different from those pondered by Müllenhoff with "beautiful or unhappy" ( b e l l a m an miseraiη?).52 3 (11.23-28) (a) dex sid Detrihhe darba gistuontu» fatereres mines: dat uuas so friuntlaos man. (b) her was Otachre ummet tirri, (c) degano dechisto miti Deotrichhe. her was eo folches at ente: (d)imo M'as eo feh/a ti leop: (c) chud was here . . . chonem mannum. In the group of lines numbered three we have basically a passage of praise for the dead Hildebrand comparable to the explicit praise of the dead Helgi 47

48 49

50

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Hugo Gering, untitled reply to Friedrich Kauffmann, 'Noch einmal der Zweite Merseburger Spruch', in: ZDP, 26 (1894), 465. Gutenbrunner [cf. η. 32], p. 18. Franz Saran: Das Hildebrandslied, Halle 1915, pp. 140; Saran points out that the terms in lines 20—22 a, applying to the wife, then the son, form a kind of chiasm underlined by secondary alliteration (luttila — laosa) and that the semantic effect of the chiasm would be to align the woman's plight in luttila with the son's in arbeo laosa. Schwab [cf. η. 38], p. 28; but Gutenbrunner's commentary [cf. η. 32], p. 19 approaches Saran's idea: "luttila: auf pritt bezogen (ASg. Fem.) 'klein', d. h. durch Odoaker nach dem Abzug Hildebrands 'deklassiert', aus dem Herrenhaus vertrieben." Dronke [cf. η. 28], pp. 1 8 4 - 1 8 5 , 227. Quoted in Schwab [cf. η. 38], p. 28 (originally from Schmeller).

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and Sigurd and to the implicit praise of the departed in the 'Wanderer', "the Lament of the Last Survivor," and the "Old Man's Lament" and elsewhere. Heusler and other earlier scholars have reckoned on praise of the dead as the core of the early forms related to elegy. 53 But we can try for a bit more precision by analysing into motifs: (a) is at least partly an expression of sympathy for the exiled Hildebrand; (b) is probably an obscure part of the story of Hildebrand as told by Hadubrand, and I will not attempt to comment on it at this point; (c) is simply praise of Hildebrand;54 and (d) presents an outbreak of the undercurrent of blame we sensed already in the preceding group of lines, but mixed with admiration. (a) The first line and a half (des [. . .] mines) are extremely controversial, but in the present context, and tentatively, I want to adopt the interpretation according to which the reference is to Hildebrand's absence from Dietrich; in other words, Dietrich had to do without Hildebrand, probably because he had died, as Hadubrand thinks. 55 (Further discussion below.) In the older explanation of darba gistuontun,56 the line and a half would belong to our motiv (c), praise. We are on more solid ground with friuntlaos man·, current scholarship tends to agree that the reference is to Hildebrand, not Dietrich.57 As for the sense of the adjective, Schwab and others have well established the possibility of "lordless" or, in effect, "exiled" instead of "stripped of relatives." The best parallels are from Old English, especially from the elegies; for example: [...] oppe mec freondleasne frefrán wolde (Wnd 28). In many of these instances it is not absolutely necessary to choose from among "friend, relative," and "lord" 58 since though one meaning will predominate, the others, depending on context, will resonate along with it. The important point is that the word expresses a pathos, a sentimentality that may seem "wenig zum Heldenlied [zu passen], " Similar sympathy with the exile (or with the dead) is quite explicit in the 'Wife's Lament' and the 'Husband's Message', and it seems to be present in vague or implicit form in the "Lament of the Last Survivor", the "Old Man's Lament", and 'Wulf and Eadwacer' or expressed in various oblique ways in 'Skamma', 'Guörunarkviöa II', 'Guôrûnarkviôa III', Oddrúnargrátr', 'Guôrûnarhvçt', and 'Hamöis53 54 55

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Heusler [cf. η. 5], pp. 55 and 143 — 146; Schiicking and Sieper [cf. η. 2], Including a possible instance of "elegiac exaggeration" (Harris [cf. η. 11]). Elisabeth Karg-Gasterstädt, 'Darba gestuontun (Hildebr. 23)', in: BGDSL, 67 (1945), 357-361. E. g., Gutenbrunner [cf. η. 32], p. 20: "Darum war und blieb für Dietrich mein Vater unentbehrlich." Schwab [cf. η. 38], p. 42; Gutenbrunner [cf. η. 32], p. 20 still prefers Dietrich. Even "outlaw" is instanced as a legal meaning of freondleas mann (John R. Clark Hall: A Concise Anglo-Saxon Dictionary, 4th ed. with a supplement by Herbert D. Meritt, Cambridge 1960); extensive discussion in Schwab [cf. η. 38].

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mài'. But each of these passages would require its own extensive and sympathetic interpretation. If darba gistuonton means that Dietrich and Hildebrand became separated, the idea is carried on in friuntlaos man.59 Hildebrand finds his closest parallel in the mneleas wrecca of Old English (e. g., WfL 10 and Bwf 2613) and especially in the wineleas guma of the 'Wanderer' (45), and he bears some resemblance to the lordless 'Deor' and the lamenting warriors of the 'Eddica minora'. (c) The praise motif itself is richly attested in 'Helgakviöa Hundingsbana II', 'Guörunarkviöa I', 'Guörunarkviöa II', and 'Guôrûnarhvçt', and is probably implicit in 'Helreiö', 'Guörunarkviöa III', 'Skamma', and 'Oddrúnargrátr'. The superlative in dechisto may be an expression of a tendency to superlatives (Enn sá sárasír, er peir Sigurd minn, / sigri rtent an [. . .] enn sá grimmastr [. . .] enn sá hvassastr [. . .], Ghv. 17) and exaggeration in the context of "formal elegy".60 Even if dechisto presents no more than a normal superlative as found everywhere in laudatory contexts, there are notable parallels in the passages of praise in the corpus of elegies. (d) The idea of blame in an elegy may seem a bit queer at first glance,61 but a moment's reflection reminds us that it comes with the basic attitude of 59 60 61

Schwab [cf. η. 38], pp. 4 5 - 4 6 . Harris [cf. η. 11]. Many commentators have doubted that 1.27 b is blame, providing further instances of aprioristic interpretation according to a fixed Germanenideologie (cf. η. 46). Van der Kolk [cf. η. 36] summarizes (p. 129): "Während die älteste Forschung die Bedeutung 'zu lieb' unbeanstandet akzeptiert hatte, hat spätere Forschung, als deren Wortführer hier R. Kögel gelten kann, die Bedeutung 'zu lieb' für unvereinbar mit dem Ethos der Heldendichtung gehalten. Wie hätte, argumentierte Kögel, der jugendlich stürmische Hadubrand, wie hätte überhaupt ein Held der alten Zeit fast tadelnd sagen können, daß einem Recken das Fechten zu lieb wäre? Darum wollte er den Ausdruck in ti leobe = zur Freude ändern." Helfe the gratuitous rewriting of a perfectly understandable text on the basis of preconceptions is too much for van der Kolk; and he admits: "Daß bei einer wörtlichen Interpretation, im Zusammenhang mit den Zeilen 20, 21 und 22 [i.e., arbeo laosa, etc.], so etwas wie ein Tadel hindurchzuschimmern scheint, wurde zu verschiedenen Zeiten bemerkt." (Van der Kolk's references at this point include Kenneth J. Northcott, '"Das Hildebrandslied': A Legal Process', in: MLR, 56 (1961), 342—348, whose explanation on p. 346 captures my sense of the line: "'he was always too fond of fighting' — too fond to settle down to his responsibilities as a paterfamilias?") Van der Kolk prefers to let the text stand but adopt a weakened sense "sehr lieb" or leave open the possibility that ti was added by "ein spätere Bearbeiter, wobei dahingestellt bleiben muß, ob er es als Tadel gemeint hätte" (p. 130). In 'Beowulf virtually every instance of to as an adverb before an adjective simply means "too", just as in the catalogue of extremes to be avoided in 'Wanderer' 65—69; blame of an admired lord is obviously not against the ethos of the 'Maldon' poet (ofer mod) or the 'Beowulf poet when his narrator characterizes Hygelac's raid (Bwf 1206: syÒan he for wlenco wean ahsode) or even when he shows Beowulf s heroic flaw at the end of his life (including Bwf 2684 b was sto bond to strong).

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complaining or lamenting. In the undoubted elegiac corpus we find such accusations leveled at a present ally of the speaker (coded Al), as Hildebrand considers himself to be, or a present opponent (A2), or at an absent, thirdparty ally (Bl) or opponent (B2), or at fate, luck, or history in general (C). The classifications are not exclusive, are all simplifications, and depend on the vagaries of interpretation; and A l is the rarest form, it seems. 62 But we need to remember that Hadubrand thinks he is complaining about a third party (Bl) and that the difference between ally and opponent is rendered fairly meaningless when it is a matter of brothers or husband or wife. The exact tone of the blame here, within its framework of (grudging?) admiration, is also a matter of interpretation along with the question of exactly where the blame begins (is the note sounded already in her was eo folches at ente?)·, it is impossible to miss in arbeo laosa, etc., and indeed Hadubrand had grounds for complaint, if not against his father at least against life in general. 4 (11. [23-24],29,[42 - 44]) [dei sid Detrihhe darba gistuontu» fatereres mines] ni waniu in iu lib habbe' . . . [dat sagetun mi sçolidante westar ubar wentilsço, dat /»an wie furnam: tot ist Hiltibra«t, Heribrantes suno.'] That brings us to the last line of the Lament, which Hadubrand closes with a remarkable statement: "Ich glaube nicht, daß er noch am Leben ist". 63 The line ends the speech on a strangely uncertain note but becomes more comprehensible with the recognition that it is the middle term of an escalating triad (so printed above). Hadubrand first expresses the idea in a form that is not only vague but actually ambiguous; darba gistuontun could refer to any separation; at first a reader will think of accidents of war or events in a background story of feuds. 64 On second thought, and after reading ni waniu ih iu lib habbe, the first member of the triad is clarified as a pregnant

62

Given these (very loose) principles we may analyse the main corpus as follows: Deo B2 and C; WIE Al and B2; WfL Bl and B2; Wan C; Sfr C; Rim C; Lament of Last Survivor in Bwf C; Old Man's Lament in Bwf, negation of Bl (? — feohleas gefeaht)·, HH.II B2 (Dagr; etnn veìdr OÒinri)·, Gör. I A2 (Brynhildr); B2 (valda megir G'iúca mino bçlvï); Sg. B2 (Atli); Hlr. B2 (Giúca arfar, Oöinn; Gudrun; pan vilto mie)·, C (st. 14); Gör. II B2 (brothers); Gör. III B2 or A2; Od. A l (Borgny); Bl (Atli, father); C (st. 34); Ghv. Bl (brothers; Jçrmunrekr); blame motif merges with whetting: Hm. Bl (jQrmunrekr); as in Ghv.

63

Translation of Heinz Mettke: Älteste deutsche Dichtung und Prosa. Ausgewählte Texte, Frankfurt am Main 1976, p. 81. Cf. Karg-Gasterstädt [n. 55].

64

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formulation, and we may wonder if the problematic plural in darba and its verb is not intended to comprise both the separation of exile/feud and the separation of death. The central element of the triad is not, like the first, strictly speaking ambiguous, but the play of potential alternatives is preserved by the subjectivity of the phrasing. Finally, in the last member of the triad the ambiguities and alternatives are resolved in an emphatic, third-person form. Hadubrand's earlier uncertainty or subjectivity is perhaps not to be separated from his appeal to the authority of seafarers from the east who told him the news; his conviction is an effort of will, but for that reason all the more absolute as basis for action: tot is Hiltibrant, Heribrantes suno. This presentation thus seems to make of Hildebrand's death an epistemologica! as well as a psychological problem; and Hadubrand's mode of expression in the central line of the triad, emphasizing the thought process of the speaker and using a negation of the word "life," may seem, in the light of the analogues, to set up a contrast between himself, the living, and the dead Hildebrand. The "death certificate", as we may call the motif in which the speaker of an elegy declares the missing and lamented dead, is fairly widespread in the elegiac literature, though none of the parallels have closely similar wording or a similarly complicated structure.65 But when the "death certificate" includes a contrast with the living speaker, producing a more complicated motif or combination of motifs, we approach the kind of more detailed agreement that perhaps excludes accident. In the 'Wanderer', for example, the speaker's dead lord, covered by earth, is juxtaposed to the living outcast: sijj^an gearu iu goldwine minne hrusan heolstre bewrah ond ich hean Jsonon wod wintercearig ofer wajsema gebind (22—24). The 'Seafarer' (offering a distant resemblance to Hadubrand's waniu) contrasts the mental processes of the aged speaker to the inert lord, given to the earth: gomelfeax gnornaö, wat his iuwine, asjjelinga beam, eorjpan forgiefene (92—93). In the Norse texts the contrast of living and dead seems to have the force of a topos, briefly and bluntly expressed in 'Guôrûnarkviôa I', 4,5 — 10: heft ec fimm vera forspell bedit [. . .] pó ec ein l i f t , elegantly in 'Helgakviöa Hundingsbana II', 36,1—4: Sitca ec svá sal [. ./.] at ec una l í f i , / nema at lidi lofÖungs lióma bregÒi. And Oddrún wonders aloud hví ec eptir mâc [. ./.] l í f i halda,¡ er 65

The "death certificate" in simple form is found, for example, in Wan 78—84; Sfr 86; Rim 56; Bwf 2235, 2 2 6 5 - 2 2 6 6 ; Gör. 1 , 6 , 7 - 8 ; Gôr. 1 1 , 3 , 7 - 8 ; 7 , 5 - 8 ; Od. 1 9 , 7 - 8 . The AngloSaxon examples merge with the ubi sunt topic; the Norse sample is tied to particular stories.

Hadubrand's Lament

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ec ógnhvqtom unna póttomξ [. ./·] sem siàlfri mér (Od. 33,1—4).66 The whole problem of the survivor lies at the heart of the elegies for the dead (very clear for "Lament of the Last Survivor", "Old Man's Lament", and 'Sonatorrek'), and for the erfikvœài we have what we can take to be a precious bit of contemporary metacommentary from 'Egils saga' when Arinbjçrn urges Egill to compose a poem instead of grieving over the death of his brother, for, he says, MaÒr skaI eptir mann l i f j a . In any case, this comparative material provides a way of understanding the theme of Hildebrand's death in Hadubrand's speech and the peculiar mode of its realization: the German poem presents a unique variation on a traditional combination of motifs. III. This is the end of Hadubrand's Lament but perhaps not quite the end of our catalogue of elegiac motifs. Just as, according to Schwab, a motif of the Sage may be present as a "psychische Realität," as "Verdacht,"67 hovering behind or between the lines of the Lied, so generic form itself may imply a horizon of expectations even when only some of the markings of the genre are present, and the expections must condition our reading even when the special factors of a generically nonstandard case or a different dominent genre determine its main lines. This can be explified from 'Hamôismâl' and 'GuôrûnarhvQt'. Carol Clover points out, in a brilliant forthcoming paper that centers on Hildigunnr's whetting of Flosi in 'Njáls saga' but actually embraces a wider study of the applications of female lament in feud societies, how the sons' reactions show that they understand Guórún's supposedly elegiac stanzas 3 — 5 in 'Hamôismâl' to be in effect an incitement to revenge, a hvqt\ and she demonstrates only a little less conclusively how Guórún's whetting stanzas, 2—3, in 'Guôrûnarhvçt' are taken by the sons as elegy.68 Clover's point is quite different from mine and concerns the functional substitution of oral genres, but she does acknowledge the reactions of characters in the matrix poem as an index to the standard expectations of the included genre: the characters of the matrix poem ( G r o ß f o r m ) may function as the audience of the included genre and provide valuable clues to the proper horizon of expectations. To take a concrete example: in 'Hamôismâl' Hamöir's first response to his mother is "little would you then have praised Hçgni's great 66

67 68

A few other passages seem to combine the announcement of death with a contrast with the living: Bwf 2249 ff.; Gör. 1,8,1; Hm 7 , 5 - 8 (in third person). Schwab [cf. η. 38], p. 66. Carol Clover, 'Hildigunnr's Lament,' in: New Approaches to Old Norse Literature, Odense [in press] (ed. Gerd Wolfgang Weber, John Lindow, and Lars Lönnroth).

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deeds, when they awakened Sigurd from sleep; you sat up in the bed, but the slayers laughed." In 'Hamôismâl' these lines constitute a famous nonsequitur, apparently answering a charge absent from the poem but resembling the one in 'Guôrûnarhvçt' 3, a charge to the effect that Hamöir and Sçrli are lesser men than their uncles. Of course, generations of editors and commentators have resorted to theories of lost lines and to several types of editorial intervention to make the passage read smoothly, but it seems equally plausible that Hamöir is responding to a merely implicit element, a psychological or subtextual, but perhaps never a textual reality. In the larger context of Hadubrand's Lament we can point to a nonsequitur that seems to be similar to Hamöir's reproachful response to an unspoken criticism. Among the most discussed lines in Old Germanic poetry are Hildebrand's reference to Hadubrand's armor: 5 (11.46-48) 'wela gisihu ih in dinem hrustim, dat du habes heme herrón goten, dat du noh bi desemo riche reccheo ni wurti'. Until relatively recently these lines were usually transposed to a spot between lines 57 and 58 and reassigned to Hadubrand; the justification for this violence to the text was that the passage is hard to understand as transmitted and would fit well in the editorially chosen spot.69 Obviously I cannot recapitulate the pros and cons of this old argument, but Ebbinghaus's recent survey adequately establishes the necessity (given contemporary concepts of textual criticism) of retaining the manuscript reading. 70 The interventionists' view 69

70

Ernst A. Ebbinghaus, '"wela gisihu ih in dinem hrustim . . .": W . 45—62 of the Lay of Hiltibrant and Hadubrant', in: Festschrift fur Konstantin Reichart, Bern and München 1969, pp. 59 — 62 (ed. Ch. Gellinek). The transposition made possible smooth and beautiful readings such as Werner Schröder, 'Hadubrands tragische Blindheit und der Schluß des Hildebrandsliedes', in: DVjsch, 37 (1963), 481—497. But even without appeal to a hermeneutic lectio difficilior, it must be clear that the proper task is to interpret this unique early text, not to rewrite it according to our intuitions; a good statement of conservative textual principles from this point of view is: J. Knight Bostock: A Handbook on Old High German Literature, 2nd ed. rev. K . C. King and D. R. McLintock, Oxford 1976, pp. 55 — 56, and the reading there manages quite well "to make sense of what [the scribes] wrote down" (p. 56). Van der Kolk [cf. η. 36], pp. 113 — 115, maintains the older view and surveys accordingly; most recent editors, e. g., Gutenbrunner [cf. η. 32], pp. 22 — 23, retain the manuscript reading and order. Other reasons for retaining the manuscript are brought forward by D. R. McLintock, 'The Politics of the Hildebrandslied', in: New German Studies, 2 (1974), 61 — 81, esp. 68 — 70 and Alain Renoir, "The Armor of the Hildebrandslied: An Oral-Formulaic Point of View', in: NM, 78 (1977), 389—395. Also cf. the general statement in favor of a conservative treatment of the text in Ernst A. Ebbinghaus, 'Some Heretical Remarks on the

Hadubrand's Lament

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did, however, have the value of trying to point up something odd about the passage, and commentators who retain the manuscript order have not really been successful in ferreting out the exact force of the lines. Hadubrand had just ended his rejection of the peace offering with the claim that Hildebrand was dead (37 — 44). Ebbinghaus rightly notes that the full inquit formula (Hildibrant gimahalta, Heribrantes suno) in line 45 underscores the drama of the situation (and, I would add, its irony) by echoing the full name and patronymic in 44 {tot ist Hiltibrant, Heribrantes suno). The general meaning of Hildebrand's next three lines must be: I see by your fine armor that you are well treated in this kingdom. The armor is only the outward and visible sign of wealth and favor and connects with the idea of armor as booty in line 57 ff. and perhaps with the rejected wealth of line 36.71 The political situation would seem, however, to need no explicit statement: Hadubrand is the defender of the homeland and leader or champion of an army against an apparent foreign invader; Hadubrand, not being a king, must have a herrón goten, whether Odoacer or some unknown successor. Hildebrand pretends to read his statement of this obvious political situation out of Hadubrand's fine armor, but why does he deny that Hadubrand has been a reccheo, an exile, bi desemo riche? The textual interventionists said that since only Hildebrand had actually been an exile, this denial, equivalent to a charge of lying, must come from Hadubrand. With Ebbinghaus we reject textual intervention, but Ebbinghaus's explanation of the line only paraphrases the text (p. 61). Bright new armor might suggest that its bearer was inexperienced in war, but why the specific denial that Hadubrand has been an exile when he has made no such claim? Perhaps Hildebrand interpreted something Hadubrand had said as implicitly raising such a claim. If so, the source of his inference does not seem to lie solely in Hadubrand's second speech (37—44) but could have been read out of the Lament as something implied by its underlying genre. In undoubted "elegies," of course, we find the exile motif in various forms: exile in foreign lands, as in the 'Husband's Message' and as reported of Hildebrand himself; the internal exile of being left behind, as in the 'Wife's Lament' and as told of Hildebrand's wife; and life as an exile after the death of a loved lord, as in the 'Wanderer'. (This last form is the nexus, on the one hand, with

71

Lay of Hiltibrant and Hadubrant', in: Festschrift Taylor Starck, The Hague, London, and Paris 1964, pp. 140—147. The transposition and reassignment was still being advocated, however, in the late 1970's and 1980's: J. Sidney Groseclose and Brian O. Murdoch: Die althochdeutschen poetischen Denkmäler, Stuttgart 1976, p. 35; Brian O. Murdoch: Old High German Literature, Boston 1983, p. 62 (somewhat qualified by p. 57). So Baesecke [cf. η. 35], p. 25; rejected by van der Kolk [cf. η. 36], p. 114.

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Christian ideas of life as pilgrimage and, on the other, with the Norse and Old English survivor topos.) In his Lament Hadubrand complains that he was deserted and believes his original lord, his father, to be dead; he invests his own isolation with emotion by his word choice. He does not directly hint that he considers himself to have been an "exile"; but if his speech expresses an underlying elegiac generic idea, Hadubrand's interlocutor might have sensed a merely implicit claim to have suffered like the speakers of that genre and responded to it as an immanent but unrealized motif frequent in the genre. Just as Hamöir sensed an unspoken rebuke and realized only in his reply an implicit element of Guörun's speech, so it is only in Hildebrand's seemingly disjointed rejoinder that the most emotional word in the elegiac vocabulary of 'Hildebrandslied', reccheo, finally is uttered, and then only as a bitterly ironic negation. If the admittedly speculative argument of this section is acceptable and the full force of reccheo as a standard item of the elegiac lexicon (as we know it from the contemporary Old English poems) is granted, a logical further step would be to ask whether perhaps the entire idea of line 48 might not have elegiac resonances. Certainly bi desemo rtche would fit easily into an Old English elegy. The primary meaning in 'Hildebrandslied' is probably political ("under this regime"); but an elegiac context would lift the phrase toward a more general sense, perhaps as a secondary connotation. The most frequent interpretation has probably been something like "in this kingdom", 72 but von Grienberger had already translated "in diesem Leben", 73 and Gutenbrunner gives "in dieser Welt," pointing it out as a possible biblical echo.74 On the other hand, many editors have identified rtche as a masculine substantive referring to the herrón goten.ls Each interpreter has his reasons, and I favor the more general sense. 72 73

74

75

Charles Clyde Barber: An Old High German Reader, Oxford 1964, p. 144. Theodor von Grienberger: Das Hildebrandslied, in: Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Philos.-hist. Kl., 158. Bd., 6. Abhandl., pp. 10 and 64. Gutenbrunner [cf. η. 32], p. 23. Gutenbrunner maintains that suasat chind 53, is definitely biblical, pp. 9 2 - 9 3 . Baesecke [cf. η. 35] translated "bei diesem Fuersten" (p. 39); Alfred Jolivet and Fernand Mossé: Manuel de l'allemand du moyen âge, Paris 1942, p. 307, comment '"tu n'as pas perdu la faveur de ton maître [;] richi peut être employé personnellement dans le sens de 'Seigneur' en vha (cf. Muspilli 12) et mha."; Barber [cf. n. 72], p. 48, considers this as a second possibility; Saran [cf. n. 49], p. 152, thinks the neuter noun can mean '"die Regierung, der König', wie mhd. at ok bezt ok froöligast at hlyöa, meöan frá er sagt, ok géra sér heldr gleöi at en angr ... (FAS 3, S. 164).91 .niemand braucht solchem mehr Glauben zu schenken, als angemessen erscheint. Es ist auch am besten und klügsten zuzuhören, solange erzählt wird, und sich [daran] mehr zu freuen als zu ärgern'. Munu fjser ok fár eöa engar fornra manna sögur, at menn vili meö eiöum sanna, at svá hafi verit sem sagöar eru, ¡svi at flestar veröa oröum auknar (S. 279) ,Es dürfte auch wenige oder keine Geschichten von Männern der Vorzeit geben, bei denen man beeiden wollte, daß es sich so zugetragen hat, wie erzählt, denn die meisten Geschichten werden weiter ausgesponnen'.

Auch diese Argumente, die der Fornaldarsaga ja im Grundsatz alle Verbindlichkeit absprechen, klingen bereits im Prolog der Köreks saga an, wo das Hyperbolische der Saga als dichtersprachliche Rhetorik erklärt und an der sagnaskemtun gerühmt wird, daß sie nichts koste und — ungefährlich sei (I 6,13 ff.), Vorzüge, die, einer Heldensage angerühmt, nicht einer gewissen Pikanterie entbehren. Die besprochenen Versuche, die Fornaldarsögur glaubwürdig zu machen oder ihre Unglaubwürdigkeit zu bagatellisieren, sind also insgesamt reichlich halbherzig. Sie laufen eher auf eine Distanzierung von der Vorzeitsage als 89 90 91

Vgl. Buchholz [Anm. 5], S. 82 f. Vgl. Reuschel [Anm. 5], S. 110 f. Ähnlich S. 231 : parf ok engl meira trünaö á at legga,

en baja pó gleit a f , ά meöan ham

heyrir.

Vorzeitsage und Heldensage

147

auf ihre überzeugte und überzeugende Rechtfertigung als Vorzeitkunde hinaus. Ihre immer wunderbarer, übernatürlicher ausgemalte Welt trägt aber nicht nur der Vorzeitsage zunehmende Skepsis ein, den zu Übergröße gesteigerten Vorzeithelden droht überdies das Schicksal, daß ihre übermenschlichen Züge entweder, wie oben erwähnt, ins Monströse oder aber ins RiesischUngeschlachte, Groteske, Lächerliche umschlagen. Das illustriert schön der Nornagests Páttr (FAS 1, S. 323 f.): Sigurör trifft hier auf den als riesisches Ungetüm hingestellten Starkaör; der aber weicht erschrocken zurück — ein zitternder Koloß. Doch Sigurör schlägt ihm mit einem Schwerthieb einen 7 Pfund schweren Zahn aus, der laut Nornagestr noch an einem Glockenseil in Lund als eine Art Touristenattraktion hängt. 92 Mit Vergnügen wird es auch das Publikum der J>iöreks saga quittiert haben, wenn der riesenstarke Heime in panischer Angst vor dem Geräusch der klappernden Mühle davonläuft (I 220,5 ff.). 93 Auch fröre kr selbst wird mehrfach in ein sehr desillusionierendes Licht gesetzt, vor allem in seinen Kämpfen mit Viöga und Ekka. Von einem bestimmten Punkt an, das zeigen diese Beispiele, stellte sich offenbar das Verlangen ein, den ins immer Gigantischere aufgeblähten Vorzeithelden wieder zu demontieren, ihn lächerlich zu machen, wenigstens innerlich zu verkleinern und ihn so in einen menschlich erträglichen Rahmen zurückzuholen. Zu S. 143 —145 sei nachdrücklich verwiesen auf den während der Drucklegung erschienenen, weit ausgreifenden Aufsatz von Hans Fromm, Riesen und Recken. In: DVjs. 60 (1986), S . 4 2 - 5 9 .

92

93

Das ganze wirkt wieder wie ein — nun ins Lächerliche gezogener — Nachklang von Augustinus, Civ. Dei XV,9: Vidi ipse non solus, sed aliquot mecum in Vticensi litore molarem hominis dentera tam ingentem, ut, si in nostrorum dentium modulos minutatim concideretur, centum nobis uideretur facere potuisse. Sed ilium gigantis licuius fuisse crediderim. ,Ich selbst, und nicht ich allein, sondern mehrere andere mit mir, sah an der Küste von Utica einen so ungeheuren menschlichen Backenzahn, daß, wenn man ihn in kleine Teile von der Größe unserer Zähne zerschlagen hätte, wohl hundert Stück daraus geworden wären. Doch das ist vermutlich eines Riesen Zahn gewesen.' — In der hübschen Stelle aus der Skiöarima, die Buchholz [Anm. 5], S. 164 Anm. 441, beibringt, belegt der Bauernsohn Skiöi seinen Besuch in Valhgll mit einem 4 Kilo (20 Mark) schweren Zahn. Weitere Beispiele dieser Art bei L. Wolf [Anm. 6], S. 48 ff.

Wandel und Konstanz in der Darstellung der Figur des Dietrich von Bern VON EDITH M A R O L D

Dietrich von Bern ist, so kann man wohl sagen, der berühmteste und vor allem der beliebteste Held der deutschen Heldensage geworden. So berühmt und beliebt, daß selbst ein Luther sich herabließ, seinen Namen in Predigten zu erwähnen, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu gewinnen1. Als etwa fünfhundert Jahre zuvor sich ein Kleriker von Bamberg über einen Bischof und dessen ungebührliche Heldensageninteressen beschwerte, ist unter den erwähnten Beispielen sogleich wieder der Amelung, d. h. Dietrich von Bern2. Allerdings sind alle diese Erwähnungen auch von einer gewissen Geringschätzung dieses Publikums begleitet: Es sind die „rustici" 3 und der „gemeine Mann" 4 , die sich an den Erzählungen ergötzen, die von ihm „singen". Die große Resonanz, die diese Figur der Heldensage in allen Schichten der Bevölkerung gefunden hat, führt zu der Fragestellung, wo wohl der Grund für diese Beliebtheit zu suchen sei. Eine Antwort auf diese Frage könnte dadurch zu finden sein, daß man versucht, aus den vorhandenen Denkmälern eine Geschichte des Erzählens von Dietrich, wie ich es nennen möchte, aufzubauen. Der Terminus „Erzählen" ist aus mehreren Gründen gewählt: Er ermöglicht es, sich von literaturgeschichtlichen Implikationen freizuhalten. Es soll hier nicht, wie es schon öfter geschehen ist 5 , versucht werden, eine Geschichte der Heldenlieder von Dietrich und ihrer Entwicklung zu rekonstruieren. Es ist ja unterdessen anerkannt, daß Heldensage sich nicht nur in Heldenliedern mit ganz bestimmten gattungsmäßigen Bestim1 2

3

4

5

Vgl. Grimm 1957, S. 348 (Nr. 146). „semper ille Attalam, semper Amalungum et cetera id genus portenta tractat" (zit. nach Grimm 1957, S. 37, Nr. 18b). Quedlinburger Annalen: „Et iste fuit Thideric de Berne, de quo cantabant rustici olim" (wahrscheinlich aber ein Zusatz aus späterer Zeit. Vgl. dazu Lorenz 1886, S. 145 ff. Vgl. Aventin, Bairische Chronik 1580: „Dietrich von Bern. Unser Leut singen und sagen noch viel von jm, man findet nit bald ein alten König, der dem gemeinen Mann bey uns so bekannt sey, von dem sie so viel wissen zu sagen." (zit. nach Grimm 1957, S. 341, Nr. 136/ 2)· Z.B. Schneider 1962, Mohr 1944 und Premerstein 1957.

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mungen wie .tragisch-heroischer Konflikt' oder .Privatisierung historischpolitischer Gegebenheiten', weiterentwickelt 6 . Aber selbst der Begriff ,Held' müßte sehr weitgefaßt werden, um all dem gerecht zu werden, was von Dietrich erzählt wird. Andererseits könnte gerade diese Figur uns darüber belehren, daß unser Begriff von Heldentum zu eng ist, weil er an ganz bestimmten literarischen Gattungen orientiert ist. Man wird damit rechnen müssen, daß das, was ein bestimmter Kreis von Menschen unter Heldentum versteht, historisch und soziologisch variabel ist. Auch darauf kann eine Geschichte des „Erzählens", die zunächst einfach das Erzählgut sammelt, das um eine Figur entsteht, eine Antwort finden. Die Forschung der Heldensage war zu sehr an der Figur des tragisch-heroischen Helden orientiert. Diese Fixierung sollte aufgegeben werden zugunsten eines sehr weit gefaßten Begriffes von „Held", der nicht im voraus festgelegt, ob darunter ein Mensch zu verstehen ist, der ethisch vorbildlich handelt — was ebenfalls historisch variabel ist — oder eine große, außerordentliche Tat vollbringt oder auch nur aktiv oder passiv Beteiligter eines außerordentlichen Ereignisses ist 7 . Der Versuch, die Geschichte des Erzählens von Dietrich von Bern zu rekonstruieren, soll nicht, wie es meist geschieht, von den mittelalterlichen Denkmälern zurückblickend deren Ursprünge in einer früheren Zeit suchen. Er soll vielmehr nur von den vorhandenen Denkmälern ausgehend eine Geschichte des Erzählens nachzuzeichnen versuchen. Dabei wird die Frage nach den Erzählstrukturen und ihrem Wandel im Mittelpunkt stehen. Zum erstenmal wird so etwas wie eine Sage von Dietrich greifbar in dem Bericht des Johannes von Antiochien über die Ermordung von Odoaker. Dieser byzantinische Chronist des 7. Jh.s berichtet, Theoderich habe Odoaker ermordet und dabei gerufen: „Dir tue ich, wie du den Meinen getan hast!" 8 Aus diesem Bericht kann man so etwas wie eine sagenhafte Interpretation des in erster Linie politischen Mordes 9 als Rache erschließen10. Und zwar liegt es nahe, dabei an eine Verwandtenrache zu denken. Es gibt mehrere Argumente, daß man in dieser Erzählung einen Reflex einer sagenhaften Darstellung der Ereignisse sehen kann, die Theoderich zum Alleinherrscher in Italien gemacht hatten. 1. Der gotische Hof selbst bot eine andere Erklärung: Ennodius, Cassiodor und Jordanes u. a. begründen den Mord damit, daß Theoderich einem An6 7 8

9 10

Vgl. dazu Schneider 1955. Vgl. dazu von See 1971, S. 166 ff. ,,Τούτό έστιν δ και σύ τους έμοϋς έδρασας", Joannis Antiochenus, frag. 214a, ed. bei Mommsen 1872, S. 332. Vgl. dazu Wolfram 1979, S. 352. Diesen Bericht hat auch schon Schneider 1962, S. 231 für die erste Bezeugung einer Sage von Dietrich von Bern gehalten.

Die Darstellung der Figur des Dietrich von Bern

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schlag auf sich selbst zuvorkommen wollte 11 . Das sollte wohl die offizielle Version und politische Rechtfertigung des gotischen Hofes sein12. Diese Version ist auch gegenüber der des Johannes die frühere. 2. Wie Johannes von Antiochien zu seiner Version kam, ist nicht bekannt, wie überhaupt die Quellenlage für seine Weltchronik äußerst problematisch ist13. Es könnte sein, daß ihm seine Version über Malalas, einen zeitgenössischen byzantinischen Schriftsteller, zukam, der eine mehr volkstümliche Geschichtschronik14 verfaßte. Von dieser Chronik ist nur mehr ein Auszug aus späterer Zeit vorhanden, in dem sich die bei Johannes referierte Geschichte jedoch nicht befindet. Es wäre aber möglich, daß sie in dem Original enthalten war und daß Malalas eine damals verbreitete Version unter den Goten aufgriff. 3. Daß gotische Traditionen für byzantinische Geschichtsschreiber zugänglich waren, scheint zunächst außergewöhnlich. Aber es wäre darauf hinzuweisen, daß ζ. B. Narses die 7000 Goten unter Führung des Ragnaris, die sich nach einer Belagerung der Festung Campsae 555 ergeben mußten, nach Konstantinopel schickte. Sie sind dann wahrscheinlich byzantinische Söldner geblieben15. L. Schmidt wies auch darauf hin, daß öfter im Krieg Goten in den Orient gebracht wurden (ib. S. 93). Goten sind auch späterhin in angesehenen Stellungen in byzantinischen Diensten nachweisbar (ib. S. 95). Ob allerdings hinter dieser sagenhaften Darstellung des Mordes schon eine Dichtung stand, wie vermutet wurde 16 , muß dahingestellt bleiben. Eine nächste Frage wäre, für welches Unrecht Theoderich an Odoaker Rache nahm, wer mit den „Meinen" gemeint war in dem Ausruf, „. . . wie du den Meinen tatest." Verschiedene Personen waren schon vorgeschlagen worden: Am häufigsten wird angenommen, daß es sich dabei um das rugische 11

12

13 14 15 16

Ennodius, Panegyricus 5 0 - 5 2 (MGH auct. ant. 7, 1885, S. 209); Cassiodor, Chronica a. 493 (MGH auct. ant. 11, 1894, S. 159); Jordanes, Romana 349 (MGH auct. ant. 5/1, 1882, S.45); ebenso Consularia Italica (MGH auct. ant. 9, 1892, S. 320 f.). Die byzantinischen Quellen dagegen (Prokop, Marcellinus Comes) sprechen vom „tückischen Mord an Odoaker", vgl. Zimmermann 1972, S. 64. Vgl. Wagner 1980, S. 209 f. Daher halte ich es nicht für richtig, in der bei Joh. Ant. gegebenen Version die Begründung Theoderichs selbst zu sehen, wie Wolfram 1979, S. 349 das tut: „Noch die eigenhändige Ermordung Odoakars begründete Theoderich mit dem Unrecht, das dem rugischen Königshaus widerfahren war." Das halte ich für eine Auslegung von Joh. Ant., die eine Sicherheit vorspiegelt, die den Quellen nach nicht gegeben ist. Zimmermann 1972, S. 63. Zimmermann 1972, S. 50. Schmidt 1943, S. 92. Schneider 1962, S. 231 sieht darin den „Reflex eines gotischen Heldenliedes". Auch Mohr 1944, S. 134, 154 f. will in den Äußerungen der Protagonisten den Niederschlag einer dichterischen Formung erkennen. Er vergleicht Odoakars Ausruf „Wo ist Gott?" mit dem Ausruf des Hildebrandsliedes „welaga nu, waltant got."

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Königspaar Fewa (Feletheus) und Giso handelt17. Odoaker hatte in einem Winterfeldzug das Rugierreich 486/7 vernichtet und das rugische Königspaar in Rom hinrichten lassen. Der Sohn des Ehepaares, Friederich, versuchte 488 das rugische Reich zurückzuerobern, wurde aber durch den Bruder Odoakers, Hunulf, vertrieben. Friederich und die rugische Ostgotenpartei suchten nun bei Theoderich Schutz und Hilfe und waren auch an dem Italienfeldzug beteiligt. Allerdings fiel Friederich während der Kämpfe in Italien wieder von Theoderich ab und verbündete sich mit dem Heermeister Tufa, ein Bündnis, das allerdings nicht lange halten sollte. Schließlich kam Friederich vermutlich in den Kämpfen mit Tufa ums Leben18. Dazu kommt, daß Ennodius in seinem Panegyricus angibt, Theoderich hätte seinen Feldzug wegen eines Streites, der zum Mord an seinen Nächsten (propinqui) führte, unternommen19. Aus dieser Stelle hat man in Verbindung mit der genannten Stelle bei Johannes von Antiochien gefolgert, daß die Königin Giso eine Amalerin (eine Kusine Theoderichs) sei20. Die Worte bezögen sich also auf das rugische Königspaar. Von einer Verwandtschaft mit Giso weiß aber Ennodius nichts, und ebenso wenig davon, daß der Mord an Odoaker eine Rachehandlung war 21 . Und es ist keineswegs sicher, ob die obengenannte Stelle sich wirklich auf die Tötung des Rugierkönigs und seiner Gattin bezieht, um so mehr, als die Rugier z. T. in feindseliger Beziehung zu den Ostgoten standen. Der zu Theoderich geflohene Friedrich war gerade in Italien wieder von ihm abgefallen und hatte sich mit dem Gegner, Odoakers Heermeister Tufa, verbündet. Die Interpretation, die vermutlich von Theoderich selbst und ihm folgend von dem ihm Vertrauten gegeben wurde, war die Abwendung einer Verschwörung. Die Deutung als Rache muß später erfolgt sein und in anderen Kreisen,

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Vgl. Wolfram 1979, S. 333. Man ging sogar so weit, aus dieser Stelle bei Joh. Ant. eine Verwandtschaft der Giso mit Theoderich zu rekonstruieren, vgl. Wenskus 1973, S. 248. Vgl. dazu Schmidt 1933, S. 122 f., 289, 297; Wolfram 1979, S. 346 f., 351. Ennodius, Panegyricus 25 (MGH auct. ant. 7, 1885, S. 206): „nata est felicis inter vos causa discordiae, dum perduellos ánimos in propinquorum tuorum necem Romana prosperitas invita vit." Hier ist es natürlich wiederum eine Interpretationsfrage, wer diese „propinqui" sind. Häufig gelten Giso und ihr Gatte als diese „propinqui". Busse 1901, S. 71 hingegen will es auf die Goten beziehen, die nach den Zügen Alarichs und Vidimers in Italien zurückgeblieben waren und von Odoaker bedrängt wurden. Es steht jedenfalls fest, daß der Hauptgrund der Auftrag des oströmischen Kaisers war, der Theoderich die Möglichkeit bot, sich eine Herrschaft in Italien zu erobern, vgl. Schmidt 1933, S. 288 ff. und Wolfram 1979, S. 347, der annimmt, daß der Plan Odoaker anzugreifen schon vor der Ankunft Friederichs in Novae-SviStov gefaßt wurde. Vgl. Wenskus 1973, S. 248; Wagner 1979, S. 42 Anm. 86. S. o.

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daher darf man Ennodius und Johannes von Antiochien nicht ohne weiteres kombinieren und daraus eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen Theoderich und Giso folgern 22 , denn eine spätere Interpretation der Tötung des Odoaker kann ganz andere Beziehungen hergestellt haben. Ein anderer Vorschlag war, den Mord an Odoaker als Rache für den auf dem Balkan in einem Hinterhalt der Römer gefallenen Bruder Thiudimund (in der Sage Diether) zu interpretieren. Das setzt aber voraus, daß man in der Sage den Tod des Bruders Odoaker zu Last legte, wofür wir keinerlei Anhaltspunkt haben. Nun könnte aber auch an folgenden historischen Kontext gedacht werden23: Odoaker war Skire, er war der Sohn des Fürsten Edica, 433 geboren. Die Skiren waren die erklärten Feinde der Gotenstämme, die sich in Pannonien als römische Föderaten nach der Zerstörung des Hunnenreiches niedergelassen hatten, wohl um vor den nach Südrußland zurückkehrenden Hunnen sicher zu sein. Valamer, der Oheim Theoderichs sollte nach römischen Vorstellungen einen Sperriegel an der pannonischen Save zum Schutz Dalmatiens und Obermoesiens bilden. Mit ihm zusammen führten seine Brüder Thiudimer, der Vater Theoderichs, und Vidimer die Gotenstämme an, jedoch hatte Valamer eine Art Oberherrschaft inne. Nördlich von den Goten, jenseits der Donau hatten sich die Germanenstämme niedergelassen, die in der Schlacht am Nedao sich von der hunnischen Herrschaft befreit hatten — die Rugier am Ostrand des österreichischen Waldviertels und im Weinviertel, die Eruier in Südmähren, die Donau-Sueven östlich der March und in der Slowakei, die Sarmaten und die Skiren zwischen dem Donauknie und der Theißmündung. Die Goten waren bei dieser entscheidenden Schlacht, in der auch ein Sohn Attilas fiel, entweder wartend abseits geblieben24, oder sie hatten, was jetzt für wahrscheinlicher gilt, auf Seiten der Hunnen gekämpft 25 . Wohl auch aus diesem Grund gab es zwischen den nördlich der Donau siedelnden Germanenstämmen und den in Pannonien lebenden ostgotischen Stämmen immer wieder Feindseligkeiten. Unter anderem geschah in der Mitte der 60er Jahre des 5. Jh.s folgendes: Die Sweben unter ihrem Führer Hunimund fielen in Dalmatien ein, nachdem sie durch Thiudimers Reichsteil gezogen waren. Thiudimer lauerte

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Schneider 1962, S. 231 sagt zurecht, vom Standpunkt der Geschichtsschreibung seien keine Verwandten bekannt, die Odoakar hätte töten können. Ebenso steht Baesecke 1940, S. 196 der Rekonstruktion einer Verwandtschaft skeptisch gegenüber. Zum Folgenden vgl. Schmidt 1933, S. 268 ff. und Wolfram 1979, S. 323 ff. Schmidt 1933, S. 269 f. Wolfram 1979, S. 329 f.

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ihnen am Plattensee bei ihrer Rückkehr auf, schlug sie und nahm Hunimund gefangen. Thiudimer aber dachte weiter: Er ließ sie und ihren Führer Hunimund frei, machte ihn sogar zu seinem Waffensohn und Schloß ein Bündnis mit ihm. Wohl weniger aus Barmherzigkeit, wie der Historiker Jordanes meinte, sondern aus Berechnung, um das Bündnis der Donaustämme dadurch zu sprengen. Aber Thiudimer hatte sich getäuscht, Hunimund kehrte zurück in seine Heimat, trat alsbald mit den Skiren in Verbindung und hetzte sie zum Krieg gegen die Goten auf; er selbst nahm aber vermutlich an den Kämpfen nicht teil. 468 oder 469 fiel das Heer der Skiren im Reichsteil Valamers, des Bruders des Thiudimer, ein. In der darauffolgenden Schlacht wurde Valamer getötet, aber die über seinen Tod erbitterten Goten errangen einen glänzenden Sieg über die Skiren. Als Nachfolger für Valamer, der eine Art Oberherrschaft über alle drei Ostgotenstämme ausgeübt hatte, wurde Thiudimer gewählt. Nachfolger im Reichsteil Valamers aber wurde Theoderich, sobald er von Byzanz, wo er als Geisel seine Jugend verbracht hatte, zurückkehrte. Erneut kam es zu einer Schlacht im nächsten Jahr gegen die Koalition der Donaustämme, die diesmal sogar durch oströmische Truppen unterstützt wurden. Auch hier konnte sich Theoderichs Vater, Thiudimer, als glänzender Sieger erweisen. Schließlich sicherte sich Thiudimer durch eine Schlacht gegen die Sueben im Jahr 469/70 endgültig die Vorherrschaft an der Donau. Die Zeit der 50er und 60er Jahre des 5. Jh.s scheint eine bedeutende Zeit für die Gotenstämme gewesen zu sein, die von der Dynastie der Amaler geführt wurden 26 . Aus der Wortwahl bei Jordanes kann man an manchen Stellen erkennen, daß diese Zeit auch unter den Goten Italiens noch in mündlicher und vielleicht auch dichterischer Überlieferung tradiert wurde 27 . Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Lassen sich aus den Ereignissen dieser Jahre vielleicht Anhaltspunkte für die Deutung von Odoakers Worten, wie sie bei Johannes von Antiochien überliefert sind, finden? Theoderich hatte, da er Ravenna kriegerisch nicht einnehmen konnte, nach dreijähriger Belagerung ein Abkommen mit Odoaker unterzeichnet, daß sie gemeinsam herrschen sollten. Als Odoaker in den Palast zu Theoderich kam, ließ er ihn ergreifen und tötete den Wehrlosen eigenhändig. Gewiß hat der historische Theoderich seinen Gegner getötet, um sich die Alleinherrschaft zu sichern28. Er hat ja dann auch vorsichtshalber Odoakers 26

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Vgl. Wolfram 1979, S. 329: „Die pannonische Geschichte der Ostgoten handelt von Fürsten und Kriegern; sie ist wie keine zweite die Erinnerung an die Taten tapferer Männer." Schmidt 1933, S. 275 meint, daß die Wortwahl des Jordanes (Get. 278), der die siegreiche Schlacht Thiudimers 469 über die Sueben und ihre Verbündeten schildert, deutlich ihren Ursprung in den nationalen Überlieferungen zeige. Vgl. Wolfram 1979, S. 352; Schmidt 1933, S. 300.

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Bruder, Gattin und Sohn auf verschiedene Weise ums Leben gebracht29. Aber die Sage hatte ein anderes Motiv gesucht als die realpolitischen Interessen und auch die gotische Hofpropaganda: Sie sah in der Tötung Odoakers Verwandtenrache. Und die eben erzählten Ereignisse könnten es sein, auf die sich die Sage bezog: Der Tod von Theoderichs Oheim Valamer, der bei den meisten byzantinischen Geschichtsschreibern als sein Vater gilt 30 , beim Überfall der Skiren 31 . Ja, man könnte die Parallelen vielleicht sogar noch weiter ziehen: Liegt nicht auch eine gewisse Parallele vor zu jenem betrügerischen Bündnis, das Hunimund mit Thiudimer Schloß, dem dann der Überfall der Skiren folgte, bei dem Valamer ums Leben kam? Man könnte vielleicht annehmen, daß im Rahmen der verdeutlichenden und vereinfachenden Heldensage der Verrat des Hunimund bereits einem Skiren und dann in der Folge vielleicht dem Odoaker selbst zugeschrieben wurde. Es wäre also Verwandtenrache, Rache für den Oheim, vielleicht in Traditionen, die Valamer zum Vater Theoderichs gemacht haben, sogar Vaterrache, wenn Theoderich seinen Gegner Odoaker mit der Sicherheit des Bündnisses in den Hinterhalt lockt und ihn tötet. Die Motivierung eines Mordes als Rache ist offenbar für die Sage angemessener als die Abwendung eines Hinterhalts. Es gibt eine Reihe entsprechender Fälle, die uns zeigen, daß diese Motivation ein typisches „Erzählmuster"32 ist: Noch einmal begegnen wir der Motivierung eines wohl politischen Mordes als Rache bei Johannes Antiochenus: Theoderich tötet 484 mit Wissen des Kaisers Rekitach, den Sohn seines Gegenspielers Theoderich Strabo, und Johannes fügt hinzu: „denn er hatte gegen ihn einen alten Zorn, weil er

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Odoakars Gattin Sunigilda ließ man verhungern, seinen Bruder Hunulf erschoß man mit Pfeilen, als er in einer Kirche Schutz gesucht hatte. Odoakers Sohn Thela ging zunächst ins Exil nach Gallien, wurde aber bei einem Rückkehrversuch getötet. Das Verhältnis Valamer—Theoderich scheint bei vielen Geschichtsschreibern unklar, so sieht ζ. B. Beda in Valamer einen Beinamen Theoderichs: „Theodorico, cognomento Valamer" (De huius saeculi aetatibus, ed. Momsen, S. 305). Der Grund dafür dürfte erstens sein, daß Theoderich in Valamers Reichsteil sein direkter Nachfolger wurde (Wolfram 1979, S. 333), zweitens, daß Thiudimer nur kurz — vier Jahre (468—472) — die Oberherrschaft über die Goten innehatte, so daß Theoderich bald auch hier als direkter Nachfolger galt. Und als solcher konnte er auch bald als sein Sohn betrachtet worden sein. Diese Traditionen scheinen vor allem im Ostteil des Römerreiches gegolten zu haben, wo die Goten unter Theoderich als „Valameriaci" bezeichnet wurden (Wolfram 1979, S. 18). Im Westen hat ja sogar die Sage den richtigen Namen des Vaters bewahrt (Dietmar). Ist es vielleicht kein Zufall, daß auch die Racheversion zuerst im Osten aufgezeichnet wurde? Auch Wagner 1980, S. 209 f. (Anm. 6) verwies schon auf den Tod Valamers durch die Skiren. S. dazu u.

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seinen — hier fehlt ein Wort — getötet hatte" 33 . Das fehlende Wort läßt sich gut ergänzen, denn es ist bekannt, daß Rekitach nach dem Tod seines Vaters zunächst in Gemeinschaft mit den beiden Brüdern seines Vaters die Herrschaft übernahm, sie bald darauf aber ermorden ließ und allein herrschte. Daher ist in die Lücke wohl „Oheim" einzusetzen34. Auch hier ist wohl das ursprüngliche Motiv, den letzten Sprößling der rivalisierenden Familie zu beseitigen, der ja, wie sich gezeigt hatte, seine Machtambitionen recht skrupellos auslebte, wenn er auch nicht sonderlich geschickt und erfolgreich darin war 35 . Ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich soll zeigen, daß dieses Schema weit verbreitet war: Die wikingische Sage von Ragnarr loöbrok und seinen Söhnen benutzt es ebenfalls, um den Einfall der Söhne in England und die Tötung des englischen Königs Ella damit zu motivieren. Der historisch gut bezeugte Wikingerführer Ivarr und seine Gefährten, bekannt als die Ragnarssöhne, oder auch die Söhne Loöbroks (auch in den historischen Quellen), haben einen sagenhaften Vater namens Ragnarr, der — falls ihm der Seinewikinger Reginheri in der historischen Realität entsprochen haben sollte — mit großer Sicherheit keinen Fuß nach England gesetzt hat. Und dennoch wird in der Sage von Ragnarr der Einfall der Wikinger unter Ivarr in Northumberland mit der Tötung ihres Vaters durch Ella in der Schlangengrube begründet 36 . Es scheint also, daß in all diesen sagenhaften Traditionen bei ihrer Bildung eine gewisse Zahl von Handlungsmustern wirksam wird, Stereotype, die die Rezeption der Geschichte prägen und lenken 37 . Diese Erzählmuster stiften Kausalzusammenhänge spezifischer Art zwischen historischen Begebenheiten bis hin zur Extrapolation verschiedener Ereignisse. Man kann Sagengeschichte als Anwendung solcher (heroischer) Erzähl- und Deutungsmodelle begreifen. Haug 3 8 hat versucht, diese Handlungsschemata als „literarische Schemata" zu interpretieren, als „Formulierung historischer Erfahrung aufgrund von

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Joh. Ant. fragm. 214,3: ,,Ιχοντος και παλαιάν όργήν πρός αύτόν ota τόν αύτοΰ άποκτεΐναντα", (FGH IV, 1868, S. 620). Schmidt 1933, S. 287. Die Interpretation des Mordes an Rekitach als Verwandtenrache zog auch schon Baesecke 1940, S. 196 zum Vergleich heran. Auffallend ist, daß beide Fälle bei Joh. Ant. aufgezeichnet sind. De Vries 1923, S. 253 sieht in diesem Rachezug der Loöbrökssöhne sogar den Kern der Sage von Ragnarr loöbrok. Vgl. Graus 1975, S. 5. Haug 1975. Vgl. dazu bereits Busse 1901, S. 83: „Die gotische, wie überhaupt die ganze germanische poesie hatte einen sehr eng begrenzten kreis von motiven und Situationen, die überall typisch wiederkehren."

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bereitstehenden Motivationsmustern" (S. 281). Das trifft in etwa dasselbe, nur meine ich, daß man Sagenbildung nicht mit literarischen Schemata erklären kann. Es sei denn man würde einen m. E. unangemessen weiten Begriff von „Literatur" voraussetzen39. Ich meine, es wäre besser, hier einfach Erzählschemata anzunehmen, die sozusagen bereitliegen, um Fakten der historischen Wirklichkeit motivierend zu verknüpfen und auf diese Weise zu interpretieren. Ob eine solche Interpretation der Wirklichkeit dann auch noch literarisch gestaltet wird, ist eine weitere Frage. Bei komplexeren Erzählschemata wie den von Haug angeführten Beispielen vom Tyrannen, der durch einen bösen Ratgeber sich selbst seiner besten Stützen beraubt, wird man allerdings nicht nur Erzählschemata, sondern feste Erzähltraditionen annehmen müssen40. Wir nehmen also an, daß sich die Sage von Dietrich von Bern zuerst als sagenhafte Interpretation der Ermordung Odoakers als Rache für den Tod Valamers entwickelte. Damit ist auch schon zumindest der Ansatz für die Exilsage gegeben. Denn zwischen dem Tod des Valamer und der Ermordung des Odoaker liegen lange Jahre, in denen die Goten unstet auf dem Balkan umherzogen. Bald nach Abschluß der Kämpfe mit Skiren und Sueben gaben die Goten ihre pannonischen Wohnsitze auf, und der größte Teil von ihnen brach unter Thiudimer, der aber bald starb, in Richtung Byzanz auf. Der Grund war, daß Pannonien ihnen nichts mehr zu bieten hatte, die Provinz war ausgeplündert, und der reiche Süden lockte; aber in der Sicht der Heldensage konnte eine Verbindung zwischen diesen Kämpfen, dem Tod Valamers und dem Aufbruch zu den langen Wanderungsjahren auf dem Balkan zustande kommen. Die sagenhafte Motivierung war aber dann die der Vertreibung durch die Mörder des Valamer, um so mehr als Theoderich ja sofort der Fürst des „valamerischen" Stammesteiles wurde, und sogleich, wahrscheinlich sogar gegen den Willen Thiudimers, sicher aber ohne dessen Wissen seinen ersten Feldzug unternahm41. Die Grundstruktur der gotischen Sage könnte also folgendermaßen ausgesehen haben: Die Skiren überfallen nach einem betrügerischen 39

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M. E. hat Haug 1971 noch einen umfassenderen Begriff von diesem Erzählschema: „Wenn die Sage sich nicht unter dem Aspekt eines bestimmten ästhetischen Interesses von der Geschichte löst, dann erfolgt die Umformung im Interesse des Geschichtsverständnisses selbst. Konkret würde das bedeuten: Die Sage stellt Situationsschemata bereit, von denen her geschichtliche Ereignisse zu verstehen, d. h. in sinnvollem Zusammenhang zu sehen und zu formulieren sind." (S. 48). Die Beispiele, die Haug nennt, liegen verhältnismäßig weit auseinander: Ermanarich, der Gotenkönig, Valentinian II, der oströmische Kaiser und der Westgotenkönig Rodrick; das zeigt, daß offenbar diese Sage in den Erzähltraditionen der Antike zur Verfügung stand und auf verschiedene Herrscher angewandt werden konnte. Wolfram 1979, S. 333.

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Freundschaftspakt die Ostgoten und töten ihren Führer Valamer. Im Verlauf der Kämpfe werden die Ostgoten gezwungen, ihre Wohnsitze aufzugeben. Es folgt ein langes Wanderleben, bis es Theoderich gelingt, Odoaker, den Skiren, siegreich zu bekämpfen und Rache zu nehmen für die treulose Ermordung seines Oheims 42 . Bei dieser Rekonstruktion der Sage könnten wir auch die seltsame Zahl von dreißig Jahren für das Exil Theoderichs zu erklären versuchen. Denn der Skirenüberfall, bei dem der Bruder von Theoderichs Vater sein Leben ließ, fand 468 oder 469 statt — die Rache des Theoderich, die Ermordung Odoakers im Jahre 493. Das sind annähernd dreißig Jahre. Bei der Ausprägung der Zahl von dreißig Jahren für das Exil, die sich als erstaunlich konstant in der Überlieferung zeigt43, wird wohl auch die Zahl der Regierungsjahre Theoderichs in Italien eine Rolle gespielt haben: So wurden die Jahre des Exils gewissermaßen an die Jahre seiner Regierungszeit angeglichen44. Leitet man das Exil von der Wanderungszeit auf dem Balkan ab, steht man nicht mehr vor dem schwierigen Problem, die Umwandlung von 30 Jahren der erfolgreichen Herrschaft in 30 Jahre „Elend" des Exils, des Vertriebenendaseins zu begründen. Schon zu Beginn des 9. Jh.s zeigt das Hildebrandslied, daß der Wandel Dietrichs zum Vertriebenen vollzogen ist. Wir können es daraus erschließen, daß Dietrich mit vielen seiner Krieger (darunter auch Hildebrand), vor Odoakers Feindschaft nach Osten floh45. 42

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Im Wanderleben auf dem Balkan haben schon zahlreiche Forscher den Ursprung der Exilsage gesucht: Heinzel 1889, S. 56; Busse 1901, S. 79; Wolff 1928, S. 125; Lukman 1941, S. 80; Mohr 1944, S. 119; Zink 1950, S. 245. Die Ablehnung Wagners 1980, S. 216, weil damit die Abfolge umgekehrt wäre und dieser Komplex dem Sagenbestand um Wolfdietrich angehöre, ist mir nicht recht verständlich. Denn die Exilsage entsteht ja nicht durch eine Umkehrung der Reihenfolge, sondern dadurch, daß eine Vertreibungssage vor den Kampf gegen Odoaker gesetzt wird. Etwas später sieht Wagner aber doch einen „Anknüpfungspunkt" in der Aufgabe der pannonischen Wohnsitze nach den Auseinandersetzungen mit den Skiren und anderen Donaustämmen (S. 221). Vgl. Kuhn 1963. Vgl. Chambers 1965, S. 39. Seit altersher gibt es Zweifel daran, ob das Hildebrandslied ein Zeugnis fur Dietrichs Flucht sei, Kauffmann 1896 hat schon daran gezweifelt, Steche 1939 interpretierte es so, daß Hildebrand zu Dietrich geflohen sei. Das nahm Kolb 1979 wieder auf und versuchte den philologischen Nachweis zu führen daß „floh her . . . hina miti Theotrihhe" als „hin zu Dietrich" zu interpretieren sei. Sie können jedoch nicht überzeugen. Einen anderen Deutungsversuch machte Wagner 1980, S. 222, der in der Feindschaft zwischen Ermanarich und Dietrich das Primäre sieht. Seiner Meinung nach habe Otacher im Hildebrandslied die Stelle Ermanarichs eingenommen, sei es auf Grund einer Kontamination mit einer parallelen Überlieferung, die Odoaker noch als überwundenen Gegner tradiert hätte, sei es aus letztlich gelehrtem Wissen. Auch das kann nicht überzeugen, man sollte die Worte des Hildebrandsliedes so nehmen, wie sie da stehen: „Er (d. h. Hildebrand) floh nach Osten, er floh vor der

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Das Mißtrauen Hadubrands, der in Hildebrand einen Hunnen vermutet, zeigt eine Veränderung der ExilvorStellung an: Das Exil ist nicht mehr langes Wanderleben, sondern besteht in der Vorstellung, daß Theoderich und die Seinen Aufnahme finden bei Attila, dem Hunnekönig. Dieser wird zwar nicht beim Namen genannt, taucht aber wohl als „chuning, Huneo truhtin" im Text selbst auf 46 . Auch die bekannte Jahreszahl von 30 Jahren läßt sich aus „ih wallota sumaro enti wintro sehstic ur lante" erschließen. Aus der Situation des Gedichtes geht hervor, daß Vater und Sohn im Laufe eines Rückeroberungsversuches47 einander gegenüberstehen, ob als auserwählte Zweikämpfer oder durch ein zufalliges Zusammentreffen, wie andre meinen, mag dahingestellt bleiben48. Insgesamt muß man sagen, daß die Gestalt Theoderichs in der weiteren Tradition seiner Sage einer kaum glaublichen Wandlung unterzogen wird: Der siegreiche Rächer verschwindet, an die Stelle tritt die Figur des Vertriebenen, die in der Folge die Zeugnisse der Heldensage beherrscht. Man hat die verschiedensten Erklärungsversuche für diesen erstaunlichen Wandel geboten: Wagner hat sie in seiner Untersuchung „Ich armer Dietrich"49, die eben dieser Frage nachgeht, zusammengestellt (S. 210), so daß es überflüssig ist, hier diese Übersicht zu wiederholen. Generell muß aber allen Versuchen folgendes entgegengehalten werden, daß man diese Frage in mehrere Teilfragen zerlegen muß: 1. Wie kommt es dazu, daß Odoaker zum Vertreiber Dietrichs wird? 2. Damit in Zusammenhang steht die Frage, wie konnte die Eroberung Italiens als eine Rückeroberung interpretiert werden? 3. Wie kommt es dazu, daß aus dem Sieger der Dulder im Exil, der „arme Dietrich" wird? Vor allem die dritte Frage ist von den ersten beiden abzutrennen, denn der Vertriebene muß nicht unbedingt als ein Dulder dargestellt werden. Man

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Feindschaft Odoakers, von hier (weg) mit Theoderich und vielen seiner Helden." Dabei ist zu berücksichtigen, daß dieser Text Rede Hadubrants ist, der selbstverständlich seinen Vater in den Vordergrund rückt (vgl. Busse 1901, S. 68 f.). Kolb 1979, S. 71 will es als Variation von „chuning" betrachten und beides auf Dietrich beziehen. Wie aber käme Dietrich zu einer solchen Bezeichnung? Vgl. auch Wagner 1980, S. 225. Weitere Deutungen für „Huneo truhtin" waren Kaiser Zeno (Kauffmann), Führer eines nicht-germanischen Volkes des Balkan (Steche), vgl. Zink 1950, S. 231. Nach Kolb 1979 handelt es sich nicht um einen solchen, sondern das Lied baue auf der Zeit vor der Eroberung Italiens durch Dietrich auf. Dann ist es wohl ein reiner Zufall, daß Hildebrand ebenfalls dreißig Jahre im Exil war wie Dietrich? Vgl. dazu Kuhn 1969 S. 128 f. Wagner 1980, S. 210.

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hat vielfach in der Entwicklung Theoderichs als unglücklichen, tragischen Exilierten den Einfluß des Schicksals der Ostgoten nach ihrer Vertreibung aus Italien gesehen, die selbst im Exil lebend, ihren Helden als Exilierten darstellten50. Ein solcher Einfluß auf die Gestaltung der Sage ist zwar vorstellbar, aber man könnte ihn sich in zwei ganz verschiedenen Wirkungen vorstellen: Man kann sich vorstellen, daß ein Volk oder eine Menschengruppe sich und ihr Schicksal als tragisch empfindet und daher sich in ihrem Nationalhelden in diesem Sinn porträtiert, aber ebensogut wäre es denkbar, daß das Schicksal der vertriebenen Goten eine ganz andere Auswirkung auf die Gestaltung der Sagenfigur gehabt hätte: Die Idealfigur einer solchen Gruppe könnte auch ein Held sein, dem man die Macht und sein Land geraubt hat, der aber siegreich und rächend zurückkehrt. Bei den Überlegungen, wie man sich einen solchen Wandel einer Sagenfigur erklären kann, muß man aber vor allem zwei Dinge bedenken: 1. Der Wandel muß kein einmaliges Ereignis gewesen sein, gleichsam eine einmalige Verkehrung der historischen Figur in ihr Gegenteil. Dieser Wandel kann sich auch langsam über verschiedene Stufen entwickelt haben. 2. Es gibt sehr verschiedene Arten, das Exil eines Helden darzustellen: a) Das Exil kann die Zeit der Vorbereitung auf den großen Endkampf und eine Wartezeit auf die günstige Gelegenheit sein. b) Es kann die Zeit kriegerischer Kämpfe sein, die in der Rückeroberung gipfeln. c) Es kann die Zeit hilflosen und heroisch ertragenen „Elends" sein, geprägt von Unglück und fehlschlagenden Versuchen, die Heimat wiederzuerlangen. Wir werden daher gut daran tun, die uns zur Verfügung stehenden Zeugnisse daraufhin zu befragen, wie sie das Exil der Sagenfigur darstellen. Und noch eine allgemeine Überlegung ist vorauszuschicken: Wir müssen uns hüten, unsere durch die historischen Kenntnisse geprägte Perspektive unbewußt auf die Menschen zu übertragen, unter denen die Heldensage sich formte. Die historische Bedeutung des Germanenführers, der als erster versuchte, eine Verbindung von Germanentum und römischem Staat herzustellen, mag für uns verständlich sein. Aber es war vielleicht erst Karl der Große, der aus eigenen sehr ähnlichen Antrieben diese Bedeutung des Gotenkönigs erkannte, und der daher sein Standbild nach Aachen transportieren ließ. Für Theoderichs Zeitgenossen und ihre unmittelbaren Nachfahren 50

So z.B. Chambers 1965, S. 38f. Ablehnend Höfler 1974, S. 351; Haug 1971, S. 47 nennt es eine „Verlegenheitslösung."

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wird diese historische Bedeutung Theoderichs nicht klar gewesen sein, und die Regierungszeit in Italien war für sie nur ein Teil des bewegten Lebens, das mit einer Vergeiselung in früher Kindheit begann und sich in dem unruhigen und wechselvollen Dasein als Heerführer der Gotenscharen, die auf dem Balkan umherzogen, fortsetzte. Und vom Standpunkt der Heldensage aus ist vielleicht der Weg zum Erfolg interessanter als der Erfolg selbst51. So mag in den gotischen Traditionen die Zeit seit der Konstituierung des Amalerreiches in Pannonien bis zur endlichen Niederlassung in Italien sich deutlicher niedergeschlagen haben als die Zeit der Konsolidierung in Italien selbst. Diese Zeit der Wanderung eines Völkerwanderungsstammes war die Zeit des Heldentums, aber auch der Not und Existenzsorge zugleich. Durch die lange Zeit der Wanderungen mit ihrem kriegerischen Dasein unfähig zu einem ruhigen Leben als bäuerliche Siedler, waren sie nur noch in der Lage, mordend und brandschatzend durch die Gegend zu ziehen, immer neue Forderungen an den oströmischen Kaiser zu stellen. Beutegierig und kriegslüstern, zugleich aber ständig von der Konkurrenz anderer Germanenstämme bedroht, die der Kaiser gegeneinander ausspielte in der Hoffnung, diese würden sich in gegenseitigen Kämpfen aufreiben. Diese Jahre müssen tiefe Spuren in der Erinnerung des Volkes hinterlassen haben, vielleicht eindrücklichere als die Zeit der Herrschaft in Italien. Wenn wir diese Perspektive berücksichtigen, dann wird unser Blick schon von selbst auf die Zeit vor der Eroberung gelenkt als die Zeit des allgemeinen Heldentums. Man könnte sie gewissermaßen die Zeit des „Heroic age" der von Theoderich geführten Goten nennen52. Bei aller Anerkennung der These, daß Heldensage Geschichtskunde sei, darf nicht übersehen werden, daß erzählte Geschichte immer schon eine Perspektive enthält. So wird die heroische Geschichte Theoderichs eine andere sein als seine politische, und wiederum eine andere wird es sein, wenn wir sein Dasein unter dem Aspekt der Geschichte des weströmischen Königtums und seiner Weiterfuhrung im Kaisergedanken des Mittelalters betrachten. Und so meine ich, löst sich in der Berücksichtigung dieser verschiedenen Aspekte der m. E. scheinbare Gegensatz von siegreichem Völ-

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Busse 1901, 83 ff. versuchte in diesem Zusammenhang darzulegen, daß die Darstellung von Friedenszeiten ganz außerhalb der Motivik der Heldendichtung liegt. Er zieht zum Vergleich Beowulf heran, dessen 50jährige Friedensherrschaft das Epos mit ganzen fünf Versen schildert, und die Karlssage, die ebenfalls das friedliche Wirken Karls des Großen vernachlässigt. Und er kommt für Theoderich zu dem Schluß: „Für den heldengesang ignorierte man einfach die spätere zeit und beschränkte sich auf die epische Verherrlichung des kampffrohen jugendund mannesalters Theoderichs." (S. 87). Vgl. Mohr 1944, S. 119.

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kerwanderungskönig und Herrscher in Italien und dem vertriebenen und rächend zurückkehrenden Helden. Wie entwickelte sich also die Exilsage? Wie oben schon angedeutet liegt der Keim in der Racheerzählung, wenn man annimmt, daß die frühen Deutungen des Odoakermordes diese Tat als Rache für den Tod Valamers beim Skirenüberfall interpretieren. Tat und Rache lagen etwa dreißig Jahre auseinander, und wie schon oben angemerkt, wurde die Zeit der dreißigjährigen Regierungszeit Theoderichs angepaßt. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Sage folgende Struktur: I. Begangenes Unrecht (Tod des Valamer) II. Wanderungszeit III. Rache an Odoaker Es mag dabei nahegelegen haben, die Wanderungszeit kausal mit dem begangenen Unrecht zu verknüpfen, so daß zu der Tötung Valamers auch noch die Vertreibung der pannonischen Goten aus ihren Wohnsitzen kam. Aber eine Vertreibungssage ist noch keine Exilsage. Sie entsteht erst, wenn die Sagenbildung sich an dem Erzählmuster orientiert, das eine Eroberung als Rückeroberung darstellt. De Vries53 hat für dieses Sagenschema eine Reihe von Beispielen gebracht, die sich leicht noch vermehren ließen. In der Tat lassen sich auch einige sagenhafte Ansätze dafür bezeugen. Man hat immer schon darauf verwiesen, daß vor Theoderich schon Goten in Italien gewesen waren54. Und bei Fredegar 55 im 7. Jh. finden wir bereits die Erwähnung, daß die in Italien zurückgebliebenen Goten den Kaiser Zeno gebeten hätten, ihnen Theoderich als Hilfe gegen Odoaker zu senden. Odoaker ist hier zwar noch nicht der Vertreiber Theoderichs, aber bereits 53

de Vries 1961, S. 323: arab. und türk. Eroberer des Irans gaben sich als Sassaniden aus; die Spartaner wanderten als rückkehrende Herakliden in ihre Wohnsitze ein. Die Ablehnung Wagners 1980, S. 215 mit dem Argument, daß „in allen Fällen [. . .] diese Tradition indessen alsdann an intakten Stammesverbänden" hänge, kann ich nicht einsehen. Ob die Sage schon bei den Goten, oder aber, was ich für wahrscheinlicher halte, erst bei späteren Überlieferungsträgern umgebildet wurde, ist schwer zu entscheiden. Vgl. Wagner 1980, S. 214.

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Man dachte dabei in erster Linie an den Westgoten Alarich, s. Schneider 1962, S. 230; Zink 1950, S. 2461; Heinzel 1889, S. 55; Wolff 1928, S. 126f.; Baesecke 1940, S. 197; Rosenfeld 1955, S. 214f.; Chronicarum quae dicitur Fredegarii scholastici liber II: „Gothi postquam Roman vastaverunt et terra Aetaliae possiderant, se dicionem imperatores espontaniae tradiderunt. Ab Odoagro rege et Erolis eos et reliquas vicinas gentes eorum adsiduae vastarentur, per legatus Leonem imp(eratorem) postulaverunt, ut Theodoricum eis instituent patricium, ut per ipsum adversariis resisterint." Auf Fredegar verwiesen bereits Busse 1901, S. 71; Schneider 1962, S. 230; Zink 1950, S. 246 f.; der in dieser Stelle ein Zwischenglied zur Rückeroberungssage sieht; Baesecke 1940, S. 197.

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Die Darstellung der Figur des Dietrich von Bern

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der Unterdrücker der Goten56. Man könnte vielleicht auch an Vidimir, einen Oheim Theoderichs denken, der nach 472 mit einem Teil der Goten nach Italien zieht und dort stirbt. Sein Sohn führt dann die Reste dieser Abteilung nach Südgallien zu den Westgoten. Am eindeutigsten jedoch scheint mir folgende sagenhafte Tradition der Kaiserchronik in das Bild zu passen: Dort57 wird erzählt, daß der ,alte Dietrich' Meran besessen habe. Von dort wird er vertrieben, weil er nicht Etzels Mann werden wollte. Er geht nach Westen und lebt bis an sein Lebensende in der Lombardei. Er hat dort vier Söhne, von denen nur Dietmar genannt wird. Als Etzel an einem Blutsturz stirbt und seine Söhne Blodelin und Fritel die Herrschaft übernehmen, kommt Dietmar wieder zurück und nimmt Meran wieder in seinen Besitz. Als die Etzelsöhne Zins fordern, kommt es zum Kampf. Sie werden besiegt und fallen in der Schlacht. Zu dieser Zeit wird Dietrich geboren. Dann folgt die Geschichte von seiner Vergeiselung und seiner Erziehung am Kaiserhof. Als Odoaker die Herrschaft an sich reißt, bietet Dietrich dem Kaiser Hilfe an und empfiehlt sich mit den Worten: „vil willic ist mir Meran, min künne ist ze Lamparten."58 Ein Dietrich, der Verwandte in der Lombardei hat und der gegen Odoaker kämpft — der Schritt bis zu Odoaker als Vertreiber ist da nicht mehr weit. Man hat meistens damit gerechnet, daß dieser „alte Dietrich" erfunden ist (später gilt ja Wolfdietrich als der Großvater Dietrichs59), um die Erbansprüche Dietrichs in Italien zu erhärten60 oder um Etzel auf seiner Zeitstufe einen Dietrich gegenüberzustellen, da die Kaiserchronik ja gegen das gemeinsame Auftreten von Dietrich von Bern und Etzel polemisiert61. Aber hier könnte auch eine alte Tradition vorliegen, die auf folgenden Abschnitten der Gotengeschichte62 basiert: Geschichte

Kaiserchronik

I. Vidiricus zieht auf der Flucht vor den Hunnen 376 nach Pannonien,

I. Der alte Dietrich verläßt Meran, weil er sich der Hunnenheerschar

56

Odoaker galt auch immer schon als Usurpator der Herrschaft in Italien, der den rechtmäßigen Herrscher ins Exil schickt: vgl. Jordanes, Kap. 46: Odoacar . . . Italiam occupavit et Oreste interfecto Augustulum filium eius de regno pulsum in Lucullano Campaniae castello exilii poena damnavit" s. Premerstein 1957, S. 14. Das wäre übrigens eine überraschende Parallele zu der oben rekonstruierten Rachesage: Tötung des Vaters, Vertreibung des Sohnes ins Exill

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V. 13840 ff. V. 14028 f. Vgl. Schneider 1962, S. 283. Schneider 1962, S. 418. Ohly 1940, S. 219. Dargestellt nach Wolfram 1979, S. 310 ff.

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wo er römischer Föderat wird. 427 zieht er nach Gallien63.

entziehen will und siedelt sich in der Lombardei an.

II. Thiudimir, Valamir und Vidimir kehren zu den hunnischen Goten zurück und werden ihre Könige (440). Die Söhne Attilas unterliegen gegen die Gepiden und die mit ihnen verbündeten Stämme.

Dietmar kehrt zurück und besiegt die Söhne Etzels.

III. Thiudimirs Sohn, Theoderich, wird Geisel in Byzanz und erobert sich Italien durch den Sieg über Odoaker.

Dietrich, der in Byzanz als Geisel erzogen wird, unterstützt den Kaiser, besiegt Odoaker.

Wie man sieht, entsprechen die Ereignisse einander exakt: Veränderungen haben sich ergeben in den Orten: die Flucht Vidiricus geht nach Pannonien, die vom „älteren Dietrich" von Meran nach Italien; und in der Haltung gegenüber den Hunnen, was die Söhne betrifft: Thiudimer, der getreue Vasall (wohl auch noch der Etzelsöhne in der Nedaoschlacht) wird zum Besieger der Etzelsöhne. Die erste Variante könnte entstanden sein, um eben den Gebietsanspruch der Goten auf Italien zu begründen. So könnte in dieser Tradition der Kaiserchronik, vielleicht vermittelt über die pannonische Hunnensage64, eine der älteren Sagenbildungen erhalten geblieben sein, in denen versucht wurde, einen Anspruch der Goten auf Italien zu begründen. Dafür, daß die Wanderungszeit auf dem Balkan und die daran anschließende Eroberung Italiens der historische Boden war, auf dem die Exilsage wuchs, gibt es noch einen weiteren Hinweis: In dem ags. Gedicht „Deors Klage" wird Theoderich 65 mit einem rätselhaften Vers als eine der Leidensfiguren vorgestellt, deren vergängliches Leid dem Dichter Mut machen soll sein eigenes Leid zu ertragen: Deodric ahte M seringa bur3 {MES ofereode 63

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t>ritÌ3 wintra Jwet wœs monjum α φ fisses swa mac3 66 .

Die Identität des jungen Greutungenkönigs, der 376 nach Pannonien floh, und des Vidirich, der 427 mit seinen Söhnen von Pannonien nach Gallien zog, ist nicht sicher, aber Wolfram 1979, S. 318 hält sie für möglich. Vgl. Bleyer 1906, S. 496 ff. Es ist im allgemeinen anerkannt, daß Peodric hier den Ostgotenkönig Theoderich meint, Malone hat dagegen die Meinung vertreten, daß es sich um einen Sohn des Merowingerkönigs Chlovis handle, der bei Gregor von Tour erwähnt wird. Aber seine sehr kompilierte Deutung, die auf vielen Vermutungen aufgebaut ist, fand wenig Anklang. Vgl. auch Malone 1959. Deor, ed. K. Malone, London 1933, Str. 18.

Die Datstellung dei Figur des Dietrich von Bern

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Von der Gedichtstruktur her kann der „Besitz von Maeringaburg"67 nur eine Situation der Sorge und des Leidens bezeichnen, und die Erwähnung der dreißig Jahre macht es ganz deutlich: Es muß eine Beschreibung von Theoderichs Exil sein68. In Verbindung mit der Bezeichnung Theoderichs als „marika skati" (= maeringa skati) auf dem Rökstein69 hat man Maeringas(r) als einen Namen der von Theoderich geführten Goten erklärt, der got. Mériggôs geheißen haben müßte70. Zwei Möglichkeiten der Deutung bieten sich an: Die Ableitung von germ. * mër — berühmt, dann wären die Goten „die berühmten (Goten)71. Diese Deutung wird mit Recht bezweifelt, da die Ableitung von Völkernamen mit -ing- von einem Adjektiv keine Parallelen hat72. Man wird daher die schon von Heinzel vorgelegte Erklärung akzeptieren, der den Namen von Valamer ableitet, was er durch die Bezeichnung von Truppen des Theoderich als „Valameriaci"73 unterstützen kann. Die Goten wären, wie auch andere Gruppierungen im 5. und 6. Jh. nach dem benannt worden, der sie zusammenstellte und führte. Auch für die Reduzierung des Namens auf das Zweitglied kann Heinzel Beispiele beibringen74.

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„ahte" hat allen Interpreten Schwierigkeiten gemacht, die man durch Emendationen zu beseitigen trachtete, Malone 1966, S. 25; vgl. auch Heinzel 1889, S. 16; Zink 1950, S. 238. Vgl. Malone 1966, S. 39; Malone 1959, S. 119 ff.; Kuhn 1963, S. 118; Zink 1950, S. 237; Heinzel 1889, S. 16; Busse 1901, S. 78. Die Mehrzahl der Forscher sieht in dem RaurikR der Inschrift den Sagenhelden Dietrich von Bern. Die Deutung von Malone 1959, es handle sich hier um Theoderich, den fränkischen Königssohn, wurde nur von wenigen angenommen, z.B. von Jacobsen 1961. Vorher hatte v. Friesen 1920 in PiaurikR einen weichselgotischen Häuptling gesehen, der bei einem Überfall auf Östergötland gefallen war. Vgl. auch Wessen 1958 und 1964, Höfler 1952, 1963, 1975, wo die Vielzahl der Deutungen besprochen wird. Man könnte die Strophe vielleicht auch folgendermaßen interpretieren: ,Einst herrschte Theoderich über den Strand des Gotenmeeres /Hreiö-Meeres, (jetzt ist er vertrieben); nun sitzt er gerüstet, der Fürst der Mieringe, mit seinem Schild zu Pferde (und wartet auf die Möglichkeit zur Rache)'. Diese Deutung müßte aber erst im Kontext der gesamten Inschrift erhärtet werden. Sollte die Interpretation Höflers sich als richtig erweisen, daß der Stein Rache beschwören soll für den toten Sohn des Runenritzers, würde die oben angeführte Interpretation sich sehr gut in diesen Kontext einfügen. Heinzel 1889, S. 10 ff. Ähnlich auch Bugge 1910, S. 53, der über Valamer hinaus auch auf -mer als Zweitglied der Namen seiner Brüder weist. Malone 1966, S. 39 deutet Maeringas entsprechend seiner Theorie vom Franken Theoderich als „Grenzleute", als Bezeichnung für die Westgoten im Süden des Frankenreiches. So Schneider 1962, S. 212. Johannesson 1932, S. 128. Bei Liberatus Diaconus, Breviarium causae . . . cap. 48 (Migne PL 68, c. 1028). Wolfram 1979, S. 18 weist daraufhin, daß noch Athalarich, der Enkel Theoderichs von Malas τοϋ Όυαλαμεριακος genannt werde. Heinzel 1889, S. 17ff., z.B. Hermunduri - Thüringer.

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Theoderich wäre also der Sage bei den Angelsachsen und im Norden als Führer der „Maeringe" bekannt geworden. Ob hier auch die Bezeichnung Theoderichs als rex mergothorum im Prolog zu Notkers Boethius 75 dazugehört, ist nicht so sicher. Da auch die Lautgestalt Schwierigkeiten macht (e statt zu erwartendem ä oder íé)76, wird man vielleicht geneigt sein, Ostbergs Vorschlag 77 anzunehmen, die Mergothi als Produkt einer falschen Abtrennung aus „Theodoricus cognomento Valamer Gothorum suscepit regnum" (so in der Quelle, bei Beda) zu betrachten. Deors Masringaburg wäre also „Goten-Burg", warum aber sollte das ein Exilort sein? Klarer wird es erst, wenn man in Betracht zieht, daß die Landschaft Meran (nicht der kleine Ort in Südtirol) sowohl traditionell als Land der Goten gilt als auch sprachlich von den Goten, den * Meriggos, hergeleitet werden kann. Eine Regensburger Glosse des 12. Jh. 7 8 , die die sagenhaften Stämme der Völkerwanderungszeit mit zeitgenössischen Völkern identifiziert (z. B. die Hunnen mit den Ungarn usw.), erklärt die Goten als „Meranare", also als Einwohner von Meran. Und auch in der Heldendichtung ist Meran das Herrschaftsgebiet der Goten 79 . Die Landschaft Meran umfaßt im Mittelalter Istrien, Kroatien und Dalmatien 80 . Den Namen der Landschaft erklärte Heinzel als slawisierte Form des Gotennamens 81 . Die im Balkan einrückenden Slawen trafen dort noch Goten, die dort geblieben waren. Nach deren Namen sei dann der Name der Landschaft mit einem slawischen Suffix gebildet worden 82 . Die Maeringaburg des Deor könnte also mit Meran gleichgesetzt werden. Wie aber kam nun Meran, verstanden als Landschaft im nördlichen Jugoslawien, dazu, als Exilort Theoderichs verstanden zu werden? Als Erklärung bietet sich an, daß Theoderich in der Tat aus diesem Landesteil seine Erobe75

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„. . . Theodericum vero regem mergothorum et ostrogothorum pannoniam et macedoniam occupasse" (SGall 825, ed. Sehrt & Taylor Starck, S. 3). Heinzel 1889, S. 19 nimmt literarische Vermittlung an. Ostberg 1979. Zit. bei Müllenhoff 1865, S. 415: „Hvni vvnger. Gothi Meranare. Wandali Nortlute. Amelunge: baier, Sclaui vvilz." S. Kaiserchronik 13839 ff., weitere Stellen s. Grimm 1957, S. 156, 159, 214, 224. Auch in der historischen Realität war zumindest ein Teil der als Meran bezeichneten Länder seit der Ansiedlung der Goten in Pannonien gotisches Land: Es war wahrscheinlich der Reichsteil Valamers, der bis zur Mündung der Karasica (Aqua Nigra) und später bis Sirmium reichte, d. h. im wesentlichen das Gebiet Slawonien, vgl. Schmidt 1933, S. 270; Wolfram 1979, S. 232. Belege für den bis in die Neuzeit hinein existierenden Landschaftsnamen s. Höfler 1952, S. 356 f. Heinzel 1889, S. 19. Schmidt 1943, S. 102.

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rung begann. D o r t hatte er nach seinem Marsch von Novae in Trakien seine ermüdeten und ausgehungerten Leute Winterquartier 488/9 beziehen lassen, bevor er daran ging, die Macht Odoakers zu brechen 8 3 . Wenn die Eroberung Italiens verstanden wurde als Rückeroberung durch einen Vertriebenen, dann konnte die Landschaft, v o n der aus er seine Eroberung begann, auch als Ort seines Exils betrachtet werden. Wir können also eine Sagengestalt erschließen, die folgendermaßen strukturiert war: I. Theoderich wird aus seiner Heimat (in die sein Vater eingewandert war?) (Norditalien, Langobardei) vertrieben. II. Er lebt dreißig Jahre im Exil in Meran. III. Von dort aus beginnt er seine Kämpfe gegen Odoaker, den er schließlich besiegt. Akzeptieren wir diesen Exilort für die Heldensage u m 800 etwa, dann können wir beobachten, daß die Vorstellungen des Hildebrandliedes durchaus mit dieser Lokalisierung des Exilortes übereinstimmen: „Forn her ostar giweit": Hildebrand geht mit Dietrich nach Osten ins Exil. Und die Nachricht v o m angeblichen Tod seines Vaters bekommt Hadubrand „mstar ubar wentilseo" (v. 43). Beide Angaben, vor allem aber die zweite, passen genau auf die geographische Lage von Norditalien und der Landschaften, die man im Mittelalter als Meran bezeichnete 84 . Aber das Hildebrandslied bietet noch ein weiteres Detail der Sagengeschichte: Aus der Bezeichnung bzw. Beschimpf u n g Hildebrands als „alter H u n " (v. 39) und der Angabe, daß der Ring, den Hildebrand seinem Sohn bietet, v o m König stamme, dem „Huneo truhtin" (v. 35), ist zu folgern, daß dieses Heldenlied bereits den Sagenzug vom Exil Theoderichs bei Etzel/Attila kannte 8 5 . Wie läßt sich damit die oben erschlossene Sage vom Exil in Meran im Gotenland verbinden? Man könnte zur Erklärung einmal auf das historische Faktum verweisen, daß die Hunnen nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern durch die Poebene zur Theiß zogen und dabei wohl auch das Gotenland passiert haben mußten. Z u m anderen blieben die Hunnen die östlichen Nachbarn der Goten 8 6 . Aber ausschlaggebend für die Entwicklung der Vorstellung eines Exils bei den Hunnen am Hof Attilas waren wohl die Traditionen aus der Vätergeneration

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Schmidt 1933, S. 294; Wolfram 1979, S. 349. Auf die Lage des Exilortes im Osten, in dem Raum, aus dem die Eroberung Italiens erfolgte, wies schon Kolb 1979, S. 68 f. Das mußte noch nicht die Etzelburg (in Gran) sein, dorthin wurde der Sitz Attilas erst durch die Identifizierung der Hunnen mit den Awaren und Ungarn verlegt (vgl. dazu Bleyer 1906, S. 447 ff. und Wagner 1980, S. 223, Anm. 287). Diese Vorstellung hat auch die Heldensage bewahrt: Die östlich von Istrien liegende Mark Saders ( = das dalmatinische Zara) gilt als hunnisch, s. Heinzel 1889, S. 10.

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Theoderichs. Valamer und Thiudimer waren treue und angesehene Vasallen am Hof des Hunnenkönigs, ja, sie dürften von allen unterworfenen Germanenstämmen seinen Söhnen am längsten die Treue gehalten haben87. Es besteht weitgehend Übereinstimmung in der Forschung, daß Theoderich hier Träger der Geschichte seines Vaters wurde88. Daß dadurch eine zeitliche Einebnung erfolgte, die Attila und Theoderich auf eine zeitliche Ebene stellt, hat zwar bereits die Historiker des Mittelalters gegen die Heldensage polemisieren lassen89, ist aber eine häufige Erscheinung der Heldendichtung, für die Geschichte nicht eine lineare Zeitabfolge ist, sondern eher ein nicht näher bestimmter Zeitabschnitt, in dem sich alle großen Gestalten der Heldenzeit begegnen können90. Durch die Übertragung der Geschichte seines Vaters auf Theoderich ist aber eine weitere Veränderung seiner Sage entstanden: Zunächst, so vermuten wir, bestand das Exil Theoderichs aus Jahren des Herumwanderns in der Fremde, nun aber finden wir ihn an einem Königshof wieder. Daran ist nicht nur die Übernahme der Geschichte seines Vaters schuld, sondern wiederum ein bestimmtes Modell heroischen Erzählens: nämlich der Vertriebene, der an einem Königshof lebt und dort seine Heldentaten vollbringt 91 . Man muß nur an die Entwicklung des Wortes Recke aus „wreccheo" Vertriebener denken, — noch im Hildebrandslied hat es die alte Bedeutung (vgl. V. 48). 87

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Wolfram 1979, S. 308 stellte sogar fest, daß die Ostgoten als Volk erst unter den Amalern entstanden seien, und zwar unter hunnischer Herrschaft. Den Rückhalt dieser Herrschaft „bildete die den Hunnen eidlich verpflichtete und treu ergebene Mehrheit der 375/76 unterworfenen greutungischen Ostgoten". Das zeigte sich zuletzt noch in der Schlacht am Nedao (s. o.). Heinzel 1889, S. 56; Busse 1901, S. 76 f.; Wolff 1928, S. 128; Baesecke 1940, S. 198; Zink 1950, S. 247; Rosenfeld 1955, S. 214; de Vries 1961, S. 322; Wagner 1980, S. 223. Es ist nicht ungewöhnlich, daß der berühmte Held eines Geschlechtes die sagenhaften Traditionen der Generationen vor ihm und nach ihm an sich zieht. Theoderich dürfte sogar noch sagenhafte Traditionen seines Urgroßvaters (?) Vinitharius-Vidimir (s. dazu Wolfram 1979, S. 313 ff.) an sich gezogen haben. Bleyer 1906, S. 487 ff. stellte fest, daß die in den ungarischen Chroniken überlieferten sagenhaften Traditionen um Detreh ( = Theoderich) darauf beruhen, daß das Schicksal des Hunnenkämpfers Vinitharius (Tod durch einen Pfeilschuß, der ihn in den Kopf traf, und Niederlage seines Volkes gegen den Hunnenkönig Balamber, der durch Attila ersetzt wurde) und die Erinnerungen an Theodemer (Leben als Vasall am Hof Attilas) auf Dietrich übertragen wurden. Z.B. Kaiserchronik v. 14195ff., Gottfried von Viterbo (zit. bei Grimm 1957, S. 49). Vgl. etwa Busse 1901, S. 77, der daraufhinweist, daß der Sänger des Widsith bei Eormenric (t 374), Güöhere (f 437) und Aelfwine (561-573) gewesen sein will. Vgl. Busse 1901, S. 82f.: daß der typus des recken sowieso einer der beliebtesten in der germanischen poesie war: vgl. Wud3a und Háma, Sçemund und Fitela, Wolfdietrich, Walther Iring etc. auch könig Rother, Wate und Hòrant geben sich wenigstens für recken aus, und wie sehr der begriff,recke' mit dem des epischen helden verschmolz, lehrt ja am besten die bedeutungsentwicklung des Wortes selbst."

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Die nächste große Veränderung in der Sagenentwicklung brachte die Ersetzung von Odoaker durch Ermanarich. Sie ist uns sicher erst in den Quedlinburger Annalen aus dem Ende des 10. Jh.s bezeugt. Diese Annalen sind auf einer Kaiserliste aufgebaut und berichten zu jedem Kaiser die wichtigsten Ereignisse seiner Regierungszeit. Dabei haben sie auch sagenhafte Stoffe verarbeitet. Die Grundlage könnte Bedas Weltchronik sein, der ein Interpolator verschiedene Sagenstoffe hinzugefügt hat92. Unter den Kaisern Marcian und Valentinian, die 7 Jahre geherrscht haben sollen, wird berichtet, daß Attila von Egidius (Aetius) und Thorismund, dem Herrscher von Reims, geschlagen worden sei. Hier wird dann der entscheidende Passus hinzugefügt: „In jener Zeit herrschte Ermanricus über alle Goten, verschlagener [sc. als alle] in der List, großzügiger in Geschenken; nach dem Tod seines einzigen Sohnes Fridericus, der nach seinem Willen erfolgte, hing er seine Neffen Embrica und Fritla an den Galgen. Theoderich, seinen Neffen, den er auf Anstiften Odoakers aus Verona vertrieben hatte, zwang er im Exil bei Attila zu verweilen." 93 Dann folgen die Kaiser Leo maior (17 Jahre), Leo minor (1 Jahr), Zeno (17 Jahre): Hier wird berichtet, daß Odoaker Rom erobert. Unter Anastasius (27 Jahre) wird berichtet: „Der Fall des Ermanricus, König der Goten [bewirkt] von den Brüdern Hemido und Serila und Adaccaro, deren Vater er getötet hatte, durch Abschneiden von Händen und Füßen, schmählich, wie er es verdient hatte." Hierauf wird berichtet, daß Theoderich sein Reich mit Unterstützung Attilas erwarb. Er besiegte Odoaker in Ravenna (seinen Vetter). Dieser wird aber durch das Eingreifen Attilas nicht getötet, sondern er wird nur geächtet. Attila gibt ihm einige Städte zwischen Elbe und Saale94. Unter Justinus (9 Jahre) wird die Tötung von Johannes, Symmachus und Boethius und der Tod Theoderichs erwähnt. Unter Justinian (39 Jahre) wird nach der Auseinandersetzung Thüringer— Franken der Tod Attilas berichtet: Er wurde ermordet von einem von ihm geschändeten Mädchen, dessen Vater er getötet hatte. 92

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Schröder 1897 hat auf Grund der Namensformen die Meinung ausgesprochen, daß diese Interpolation in England im 9. Jh. entstand, und zwar als Interpolierung und Glossierung von Bedas Weltchronik. Jiriczek 1898, S. 72 hält auch eine Interpolation in Deutschland fur möglich. „Eo tempore Ermanricus super omnes Gothos regnavit, astutior in dolo, largior in dono; qui post mortem Friderici unici fìlli sui sua perpetrata volúntate, patrueles suos Embricam et Fritlam patíbulo suspendit. Theodoricum similiter patruelem suum instimulante Odoacro patruele suo de Verona pulsum apud Attilam exulare coegit." (MGH, Script. 6, S. 23): Dahinter soll eine Lokalsage stehen, die den Schreiber der Quedlinburger Annalen dazu brachte, dieses Motiv zu erfinden. Hauptgrund aber war der Ortsname Oticherslef oder Attigeresliep (heute Ettgersleben) in der Nähe des Zusammenflusses von Saale und Elbe. Vgl. Lorenz 1886 S. 148 f.

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Die Darstellung der Dietrichssage in diesem Denkmal zeigt einige grundlegende Veränderungen: Der Vertreiber ist nicht mehr Odoaker, sondern ein Gotenkönig, der etwa hundert Jahre vorher starb, bevor Theoderich die Regierung über die pannonischen Goten antrat. Wann diese Veränderung eintrat, ist schwer zu sagen, sie ist zum erstenmal in diesem Denkmal bezeugt, und der Versuch, Ermanarich als Vertreiber bereits im Hildebrandslied anzusetzen, muß als sehr unsicher gelten95. Aber im Prinzip haben wir hier schon die Reihung der Ereignisse, wie sie uns dann in den zusammenfassenden Werken des Mittelalters entgegentritt: Die Vertreibung Dietrichs durch Ermanarich auf Anstiften eines bösen Ratgebers, das Exil bei Attila, der Tod Ermanarichs und die Heimkehr Dietrichs. Unterschiede bestehen nur darin, daß hier Ermanarich nicht eines natürlichen Todes stirbt wie in der Thidrekssaga und in den mhd. Epen, sondern daß man noch von seinem Tod durch die Rache dreier Brüder weiß. Und ein weiterer Unterschied besteht auch darin, daß die Heimkehr Dietrichs noch kriegerisch ist, die Schlacht bei Ravenna steht noch am Ende des Exils, und der Sieg bringt in der Tat die Heimkehr des Vertriebenen. Unsere Frage lautet jetzt jedoch: Wie kam jene Verbindung Dietrichs mit Ermanarich zustande, die ja jeder Zeitrechnung spottet? Es sind viele Argumente genannt worden, und es wird wohl so sein, daß es eine Reihe von Berührungspunkten zwischen beiden Sagenkreisen gab. Zunächst ist einmal festzustellen, daß Ermanarich zumindest in einem geographisch begrenzten Gebiet eine überragende Sagenfigur wurde, und zwar ist es der norddeutsche und der angelsächsische Raum. Zeugnis dafür legt die frühe ags. Dichtung Widsith dafür ab96. Eormanric ist dort das gepriesene Zentrum der Dichtung: Der Dichter gibt vor, zu diesem großen König zu gehen (v. 5 ff.), bei ihm verweilt er (v. 88), von ihm erhält er einen Armreif (v. 90 f.). Die größten Helden leben an seinem Hof (v. 111). Im norddeutschen und ags. Raum und ausstrahlend in den skandinavischen Raum sind uns denn auch die Dichtungen über Ermanarichs Fall erhalten (Hamöismäl, Ermenrikes Dot, Thidrekssaga), während dieser Gotenkönig im Süden nur die Rolle des Vertreibers und Mörders der Harlungen zu spielen hat97. So ist es 95 96

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Wagner 1980, S. 222 f. Zink 1950, S. 167 Schloß aus der großen Rolle, die Eormanric im Widsith spielt, auf die große Beliebtheit der Sagen von Ermanarich. Das einzige Zeugnis für die Existenz der Svanhildsage im Süden, der in einer St. Galler Schenkungsurkunde bezeugte Frauenname Suanailta, mit dem Vater Heimo, ist kein ganz sicheres Zeugnis. Vgl. auch Jiriczek 1898, S. 114; Zink 1950, S. 191. Die Quedlinburger Annalen kennen die Swanhildsage nicht, wohl aber die Verstümmelung durch die namentlich genannten Brüder, denen Odoaker beigegeben ist. Zu der Frage, ob hier gelehrte Kombination vorliegt oder Sage, s. u.

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wahrscheinlich, daß die Verbindung der Dietrichssage mit Ermanarich in dem Raum stattfand, wo Ermanarich eine so überragende Sagenfigur war: Die Quedlinburger Annalen fügen sich diesem Bild ein. Ja, wenn Schröder recht haben sollte, daß die sagenhaften Interpolationen der Quedlinburger Annalen einem Angelsachsen zu verdanken wären98, dann müßte man eigentlich dieses Dokument als Zeugnis über die Entwicklung der ags. Heldensage werten. Aber die Tatsache, daß Ermanarich eine so berühmte und prominente Figur der Heldensage war, reicht allein nicht aus als Begründung für den Zusammenschluß der beiden Sagen. Wir könnten dem hinzufügen, daß Ermanarich ja auch ein Vorfahr von Theoderich, ein Amaler, war. Und nach dem Zeugnis des Jordanes kannten auch die Goten in Italien bereits heldensagenhafte Traditionen von ihm (die Sunildasage und die Verstümmelung durch ihre Brüder). De Vries sah die Einsetzung des Ermanarich in die Dietrichsage als eine Folge der Exilsage an: „Um einen gotischen Fürsten zu finden, der einmal in Italien geherrscht haben könnte, mußte man also auf noch frühere Zeiten zurückgehen und dann bot sich der übelbeleumundete Ermanarich von selbst an" 99 . Hier wird Ermanarich eine schwer zu vereinigende Doppelrolle aufgebürdet: Er soll einerseits den Anspruch der Goten auf Italien legitimieren, andererseits soll er zugleich der Vertreiber Theoderichs sein. Wenn die Wahl auf Ermanarich fiel, weil er weit genug in der Zeit zurücklag, um die Ansprüche der Goten zu bekräftigen, dann konnte man ihn nicht gleichzeitig wiederum zum Vertreiber Theoderichs machen. Die Verwandtschaft allein wird also kaum ausreichen, um Ermanarich als Vertreiber Theoderichs zu begründen. Man kann dann eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Dietrich und Ermanarich heranziehen: Der eine ist der Schützling der Hunnen, der andere der König, dessen Großreich von den Hunnen zerstört wird, ja, der sogar wegen des Hunnenansturms seinem Leben ein Ende bereitet hatte100. Nun steht aber dieser These entgegen, daß Ermanarich, dort, wo er in den Sagen auftritt, kaum noch mit den Hunnen in Verbindung gebracht wird. Die Sagenbildung um ihn hat sich ganz auf die Rachehandlung zurückgezogen und den historischen Kontext in weitaus höherem Grad vernachlässigt, als dies bei Dietrich der Fall war. Aber es wäre denkbar, daß auf einer früheren Stufe der hunnische 98 99 100

S. o. Anm. 79. de Vries 1961, S. 323. Vgl. Heinzel 1889, S. 56; Schneider 1962, S. 30. Neuerdings Haug 1971, S. 47, der annimmt, Dietrich sei in die Rolle, „des mit den Hunnen verbundenen, deklassierten Verwandten eingetreten", eine Rolle, die er aus der Analyse des Hunnenschlachtliedes, der Brávallaschlacht und der .Schlacht von Kuruksetra' als Bestandteil eines festen Erzählschemas zu erweisen trachtete.

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Kontext eine größere Rolle spielt und bei der Vereinigung der beiden Sagenkreise mitwirkte. So wie die Quedlinburger Annalen die Geschichte darstellen, sieht es aus, als wäre Dietrich in die Ermanarichsagen hineingezogen worden und nicht, als hätte man einfach Odoaker durch Ermanarich ersetzt. Das zeigt sich auch schon darin, daß Odoaker in den Quedlinburger Annalen nicht verschwunden ist: Er ist der böse Ratgeber, und er ist auch zuletzt derjenige, gegen den Dietrich kämpfen muß. Ermanarich ist also nur der, der ihn vertreibt. Wie konnte das geschehen? Gehen wir von den Quedlinburger Annalen aus, dann ist Dietrich nur ein Fall von vielen: Die Tötung des Sohnes, die Tötung der Neffen werden ihm zur Last gelegt — und Dietrich gilt dort ja auch als sein Neffe. War es die Verwandtschaft, die Dietrich zum Opfer Ermanarichs gemacht hatte? Diese Reihenfolge einer Entwicklung: Dietrich würde zum Verwandten Ermanarichs gemacht und deswegen dann von ihm vertrieben, weil Ermanarich der „Sippenfeind" schlechthin sei 101 , ist unglaubwürdig. Es müssen stärkere Gründe vorliegen, um einfach hundert Jahre und drei bis vier Generationen zu überspringen. Ich meine deshalb, daß man die Reihenfolge umkehren muß: Die Verbindung wurde hergestellt auf der Basis der Vertreibungssage. Dazu möchte ich versuchen, in Kürze eine Skizze der Entwicklung der Ermanarichfigur zu geben: Schon der geschichtliche Ermanarich war eine mächtige Herrscherfigur, ein kriegerischer Großkönig, der seine Nachbarvölker bekriegte und beherrschte 102 . Dieses Bild bestätigt auch die erste Version einer sagenhaften Darstellung seines Untergangs, die Sunildasage, die Jordanes berichtet. Die Sage hat die einfache Struktur: Übeltat eines Tyrannen (grausame Tötung einer Frau für den Abfall ihres Gatten — pro mariti fraudulenta discessu —) und nachfolgende Vergeltung durch die Verwandten des Opfers 103 . Auch die ags. Zeugnisse zeigen Eormanric als den tyrannischen Großkönig: der Widsith noch bewundernd, aber hier findet sich die viel besprochene Apposition „wrathes waerlogan". Man hat es meist mit „böse 101

So Wagner 1980, S. 227: Er führt die Vertreibung Dietrichs auf Ermenrich, als dessen dritte „sippenfeindliche Untat" zurück. Erst später sei er von Odoaker ersetzt worden. Die Triade der Untaten sei das Werk eines „sehr bewußten, planenden Gestaltungswillen" gewesen. Aber was diesen veranlaßte, gerade Dietrich als drittes Opfer gegen alle Genealogie und Zeitrechnung zu wählen, wird nicht angegeben.

Das geht aus dem Zeugnis des Ammianus Marcellinus ( X X V I I , 5,6, und X X X I , 3,1) hervor. Wolfram 1979, S. 99 spricht von der Herrschaftsform des „Protektorats" über die Nachbarvölker. Ich halte den Weg, Ermanarichs Charakter als Tyrann in der Sage von seiner geschichtlichen Stellung als Großkönig abzuleiten, für richtiger, als anzunehmen, er sei vom Feind gegen die eigenen Verwandten (Tötung von Gattin und Sohn) zum „Wüterich gegen alle" gemacht worden (vgl. Baesecke 1940, S. 190). 103 Ygi dazu Gschwantler 1980, der in der ursprünglichen Sagengestaltung dem Thema der Rache am Tyrannen durch die von ihm Unterdrückten den Vorrang gibt. 102

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und treulos" oder „der üble Tyrann", der „Eidbrecher" wiedergegeben 104 . Aber man hat mit Recht auf den Widerspruch zu der sonst so bewundernden Haltung des Widsithdichters aufmerksam gemacht. Daher dürfte der Versuch von K. Malone 105 , „wrathes wasrlogan" als „Feind der Treubrüchigen" zu übersetzen, unter Verweis auf die Rosomonengeschichte einiges für sich haben. Vor allem ist aber auch daran zu erinnern, daß der Widsith bereits die Harlungensage kennt (v. 112 f.), die ihn ja als Töter der beiden Brüder kennt 106 . Eindeutiger schildert dann Deor Eormanric als Tyrannen: Ve geascodan wylfenne geloht; Gotena rices; Sast seeg monig wean on wenan, ]?£et )M2S cynerices

Eormanrices ahte wide fole \œt wses grim cyning. sorgum gebunden, wyscte geneahhe overcumen waere.

Und wahrscheinlich läßt sich hierher auch Beowulf ν. 1200 f. stellen: Hier wird von Hama gesagt: searo-nidas flëah107/Eormenrïces. Dem searo-nïdas läßt sich das „astutior in dolo" der Quedlinburger Annalen direkt an die Seite stellen. Die angelsächsischen Zeugnisse schildern also Eormanric als einen mächtigen Großkönig, der seine Herrschaft auch mit Gewalt und List durchsetzt. Seltsamerweise wird aber nirgends, außer vielleicht bei Beowulf, eine Sage sichtbar, die man etwa der Sunildasage bei Jordanes an die Seite

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Man hat diese Stelle früher, weil sie wenig mit dem sonst gebotenen Bild des Eormanric als „kunstsinnigem, freigebigem König" im Widsith übereinstimme, als spätere Interpolation betrachtet, vgl. Bojunga 1892, S. 548. Dagegen Chambers 1965, S. 34, der die Schilderung des Eormanric als großer Herrscher, als Förderer der Künste (v. 88 ff.) durchaus mit dem Bild des Tyrannen vereinbar hält. — Ähnliches finden wir ja auch bei Jordanes, der ihn einerseits als „nobilissimus Amalorum" nennt, andererseits die Untat an Sunilda berichtet. Diesem Doppelcharakter entspricht auch die Charakterisierung in den Quedlinburger Annalen als „astutior in dolo, largior in dono". Malone 1946; Chambers 1965 blieb bei der alten Übersetzung „feil and faithless". Vgl. Jiriczek 1898, S. 74. Wenn v. 124 auch Freojîeric neben Wudga und Hama genannt wird, liegt es nahe zu denken, daß dem Widsith auch schon die Tötung des Sohnes bekannt war (wenn Friederich damals schon als Sohn Ermanarichs galt?); zu Jjeodric (v. 115) s.u. Becca (= Bikki der Ths.) zeigt, daß wohl auch schon die Sagenfassung vom bösen Ratgeber bekannt war. Wenn Malone 1966, S. 14 annimmt, daß Eormenric dem Dichter des Widsith als Tyrann bekannt war, er aber keine speziellen Geschichten dazu kannte, wird er durch die Existenz dieser Namen widerlegt, die ja sowohl für Dichter wie für Zuhörer sich mit bestimmten Sagen verbinden mußten. Widsith gibt ja fast überhaupt keine Inhalte an, sondern bietet nur Helden- und Königskataloge, daraus aber kann man nicht schließen, daß die zu den Namen gehörenden Sagen nicht bekannt waren. Die Hs. hat fealh, das wird aber meist als Schreibfehler für flêah betrachtet, vgl. HeyneSchücking 1961, 2, S. 87.

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stellen könnte, und doch zeigen die Quedlinburger Annalen, daß die Sagenbildung um diese Figur überaus reichlich war. Neben der Sage von der Rache für die Schwester durch zwei Brüder, scheint es eine Sage von der Vaterrache durch drei Brüder gegeben zu haben. Auch die Harlungenfabel ist schon bekannt, die Tötung des eigenen Sohnes und ebenso die Figur des bösen Ratgebers, der ebenfalls in eine Sage mit einem bestimmten Racheschema gehört: Ein Mann, der sich für die Tötung eines Angehörigen oder die Kränkung seiner Ehre dadurch an einem Herrscher rächt, daß er ihn durch schlechte Ratschläge dazu bringt, sich aller ihm hilfreichen Menschen (meist Verwandte) durch Mord oder Vertreibung zu entledigen. Ist der Tyrann dann gänzlich isoliert, wird er dem Untergang preisgegeben. Dieses Erzählschema, das Haug 108 als das grundlegende der Sagenbildung um Ermanarich aufzeigte, eignet sich m. E. besser, um die Entwicklung von Ermanarich, dem mächtigen Tyrannen und Herrscher, zum Sippenfeind zu erklären109. Um diesen mächtigen Herrscher der Gotengeschichte bildeten sich eine Reihe von Sagen, die alle von der Rache von Unterdrückten und durch die Grausamkeit des Herrschers Bedrohten zum Inhalt haben: Die Rache konnte entweder ein direkter Angriff auf das Leben des Herrschers — so die Sagen von der Verstümmelung (und Tötung?) durch zwei/drei Brüder — sein, oder indirekt ihm Schaden durch böse Ratschläge und Verleumdung zufügen — wie in der späteren Sage von Svanhild, der Tötung der Harlungen und der Vertreiber des Theoderich. Nehmen wir diese Sagenstruktur für die Sagen um Ermanarich an, so stellen wir fest, daß die Dietrichsage dieselbe Struktur besitzt: Unrecht und Rache, Vertreibung und Vergeltung oder Tötung eines Angehörigen und Rache dafür. In dieser Strukturähnlichkeit sehe ich den Grund für die Anknüpfung der Theoderichsage an die Ermanarichsagen. Auf Grund der Strukturähnlichkeit wurde die Dietrichsage diesem Kreis zugeordnet, Ermanarich, der Tyrann par excellence erhielt darin die Rolle des Vertreibers110. Als nun ios Ygi d a 2 u v o t allem Haug 1975. Auf dieses Motiv wiesen auch schon Jiriczek 1898, S. 113 und Krappe 1923 hin. 109

Diese Entwicklung wird schon sehr früh durch eine Warnung des Erzbischofs Fulko von Reims an König Arnulf (•)• 899) bezeugt: Ihm wird als warnendes Beispiel jener re(x) qu(i)dam Hermenric(us) nomine vorgehalten, „qui omnem progeniem suam morti destinaverit, impiis consiliis cuiusquam consiliarii sui" (zit. nach Grimm 1957, S. 34). Bisher hat man die Umwandlung Ermanarichs zum Sippenfeind dadurch erklärt, daß man Sunilda zu seiner eigenen Gattin gemacht hatte, was wiederum das Motiv der verbotenen Liebe zum Stiefsohn und dessen Tötung mit sich brachte, vgl. Wagner 1980, S. 216 f. Aber dabei wird der erste Schritt, der alles in Gang bringt, nicht motiviert. Besser scheint es mir daher, die Entwicklung aus der Erzählung vom bösen Ratgeber abzuleiten.

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Vgl. Rosenfeld 1955, S. 214. Auf einem anderen Weg versuchte Lukman 1949, S. 5 (auch schon Lukman 1941, S. 84 f.), die Verbindung Dietrichs mit Ermanarich zu erklären: Der

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die Ermanarichsagen sich wandelten und das Modell vom Verwandtenfeind, entwickelt aus der Rachefabel mit dem bösen Ratgeber, die Oberhand gewann, da wurde Theoderich zum Verwandten Ermanarichs gemacht, der ihn dann auf Anraten eines bösen Ratgebers vertrieb 111 . Diese Rolle hat nun Odoaker erhalten, nicht, weil man den von der Geschichte her bekannten Feind Dietrichs irgendwie integrieren mußte, sondern weil die Geschichten um Ermanarich diese Rollen vorsahen. Deutlich wird das vor allem darin, daß die Rolle Odoakers mit dem bösen Rat zur Vertreibung Dietrichs nicht zu Ende ist. Odoaker erscheint noch einmal, und diesmal als einer der drei Brüder, die Odoaker als Rächer ihres von ihm ermordeten Vaters durch Verstümmelung töten. Die Rolle, die Odoaker hier übernahm, war also exakt dem Schema der Rache durch den bösen Rat angepaßt: Odoaker und seine Brüder haben einen Mord an dem Tyrannen Ermanarich zu rächen. Einer der drei Brüder wird der böse Ratgeber Ermanarichs, und als alle Neffen tot oder vertrieben sind, da können die drei Brüder ihre Rache ausführen 112 . Nun wäre noch zu fragen, wann wohl die Theoderichsage in den Kreis der Ermanarichsagen eingetreten sein könnte. Sicher bezeugt ist die Eingliederung ja erst in den Quedlinburger Annalen. Aber man hat schon festgestellt, daß die Formulierung des Hildebrandliedes „Floh her Otachres nid", es auch

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tyrannische Ermanarich der Dietrichdichtung gehe auf Ermanarich, den Sohn des Aspar zurück, der in Byzanz lebte, 465 Konsul war und der Dietrichs Truppen weiter nach Kleinasien führte, als Theoderich zurückbeordert wurde (484). Hier scheinen sich doch sehr wenig Anknüpfungspunkte zu bieten. Ähnlich dürfte die Entwicklung auch bei der Sage von der Tötung seines Sohnes Friedrich vor sich gegangen sein. In ihm kann man den aus seiner Heimat vertriebenen Rugier Friederich, Sohn des Fewa und der Giso, sehen, der bei Theoderich Schutz suchte. Er wird zunächst auch als Vertriebener in den Kreis der Ermanarichsagen aufgenommen und erst später (im Lauf der Umwandlung Ermanarichs zum Sippenfeind) zu seinem Sohn geworden sein. Die Erzählung von den drei Brüdern in den Quedlinburger Annalen ist nach Ausweis der Namen der anderen beiden Brüder und der Todesart eine Verbindung mit der Sunildasage eingegangen, die aber den Quedlinburger Annalen nicht bekannt zu sein scheint. Die Einbeziehung Odoakers in die Sage als dritter der rächenden Brüder muß nicht gelehrten Ursprungs sein, wie man vielfach gemeint hat (Heinzel 1889, Lorenz 1886, und Jiriczek 1898), denn Odoaker hat hier eine festumrissene Rolle in einem Erzählschema: der Rächer, der sich zunächst als böser Ratgeber einschleicht, den König durch seine Ratschläge seiner Getreuen und Verwandten beraubt und schließlich den Wehrlosen mit Hilfe seiner Brüder tötet. Die Existenz eines solchen Erzählschemas wird dadurch bestätigt, daß es an ganz anderer Stelle der germanischen Sage wieder auftaucht: Die spätere Ragnarssage griff ebenfalls diesen Sagentyp wieder auf, um damit die Eroberung von Nordengland durch die Ragnarssöhne darzustellen: König Ella tötet Ragnarr. Dessen ältester Sohn schließt scheinbar Frieden mit dem König und wird sein Vertrauter. Als die anderen beiden Söhne landen, geht er mit einem Teil des Heeres zu ihnen über und Ella wird besiegt und getötet.

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zuließe, eine Sage, wie sie die Quedlinburger Annalen bieten, im Hintergrund zu sehen113. Aber wir bekommen keinerlei sicheren Hinweis dafür. Auch die ags. Zeugnisse sind zweifelhaft: Im Widsith wird unter den Helden Eormanrices auch ein ]peodric erwähnt. Es könnte sein, daß ihn der Dichter dort hingestellt hat, weil er ihn schon im Umkreis der Ermanarichsagen — und dann wohl als Vertriebenen kennengelernt hatte114. Ähnlich verhält es sich auch mit Deor: Vor der Strophe über Eormanric steht die Strophe über das Exil ]peodrics115. Aber es muß zweifelhaft bleiben, ob damit schon etwas über den Zusammenhang der beiden Sagenkreise ausgesagt ist, denn es gibt eigentlich keinen Hinweis darauf, daß die Strophen in Deor inhaltlich aneinander anschließen. Es läßt sich nicht mit voller Sicherheit sagen, ob die ags. Zeugnisse eine relativ frühe Verbindung der Ermanarichsage mit der Dietrichsage bezeugen, aber es gibt immerhin Hinweise, daß man damit rechnen könnte. Dieser Zusammenschluß der beiden Sagen hatte jedoch Konsequenzen für die Gestaltung der Dietrichsage: Da die Verstümmelung Ermanarichs als Rache für die Tötung der Sunilda, resp. des Vaters der drei Brüder bekannt war, konnte das Exil Theoderichs nicht mehr mit der Tötung des Vertreibers enden116. Das zeigen schon die Quedlinburger Annalen ganz deutlich. Erst ein Gedicht um 1200 hat die Konsequenz gezogen und Dietrich in der Tat zum Töter Ermenrichs gemacht: das Lied von Ermenrikes Dot117. Es ist damit vereinzelt geblieben. Sowohl die Thidrekssaga wie die mhd. Tradition lassen Thidrek/Dietrich nach dem Tod Ermenrichs118 nach Hause kehren. Ob der seltsame Verzicht Dietrichs auf die Ausnützung seines Sieges in der Rabenschlacht auch von dieser neuen Sagenstruktur abzuleiten ist, möchte ich bezweifeln, denn die Quedlinburger Annalen lassen Theoderich durchaus siegreich heimkehren. Rosenfeld wird Recht haben, wenn er dieses seltsame Verhalten damit begründet, daß es eine festgeprägte Fabel vom Tod der

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Busse 1901, S. 74. Vgl. Chambers 1965, S. 40; Zink 1950, S. 235. Vgl. Jiriczek 1898, S. 75. Vgl. Heinzel 1889, S. 62 f.; Wolff 1928, S. 130. Vgl. Wolff 1928, S. 129, 215 f. Ermenrich stirbt ganz unkriegerisch eines natürlichen Todes oder an einer Krankheit. Der Tyrann wird in den dt. Denkmälern nicht mehr bestraft. Allerdings scheinen auch in Deutschland noch andere Traditionen gelebt zu haben, wie der Anhang zum Heldenbuch und Agricola beweisen, wo Ermenrich von Eckart, dem Pflegevater der Harlungen getötet wird, s. dazu Jiriczek 1898, S. 82. Jiriczek sprach ebda. S. 112 die Meinung aus, daß gerade die Verschmelzung der Ermanarichsage mit der Dietrichsage die Ursache gewesen sein könnte, daß die Ermanarichsagen in Deutschland verblaßten. Denn der Tod Ermanarichs konnte nicht das Werk zweier fremder Helden sein, dessen Früchte dann Dietrich einheimste.

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Etzelsöhne und verlorener Schlacht mit der Heimkehr zum Königshof gab, die aus dem Sagenkreis um Theodemer stammt119. Ich würde aber darin nicht die Ursache für den seltsamen Verlauf der Rabenschlacht in unserem erhaltenen Gedicht sehen, sondern umgekehrt folgern: Erst wenn die Rabenschlacht nicht mehr Sieg und Rache am Vertreiber darstellen konnte, war es überhaupt möglich, den Tod der Etzelsöhne zum beherrschenden Zentrum zu machen. Andere wiederum haben diese wenig ruhmreiche Heimkehr davon abgeleitet, daß Dietrich in der Nibelungenkatastrophe alle seine gotischen Gefolgsleute verloren hat120 und auch Etzel alle seine Mannen verlor und deshalb Dietrich nicht mehr helfen konnte. Daß Dietrich bei all seinen Kämpfen verliert, zeigt gerade, daß die Exilsage ihre prägende Kraft verloren hat. Wäre noch die siegreiche, rächende Rückkehr als das ruhmreiche Ende des Exils vorhanden gewesen, dann hätte sich die Rolle Dietrichs in den Kämpfen am Etzelhof nicht }n dieser Weise gestalten lassen. Wir müssen also das Argument umkehren: weil die siegreiche Rückkehr nicht mehr von der Exilsage gefordert wurde, konnte Dietrich mit seinen Helden diese Rolle in der Nibelungentradition übernehmen. Strukturell jedoch ist das Rachemotiv beibehalten worden in Zusammenhang mit der letzten Schlacht, der Rabenschlacht: Nur ist es nicht mehr der Vertreiber, an dem sich Theoderich rächt, sondern es ist Witege, der für den Tod der beiden Etzelsöhne am Ende dieser Schlacht zur Verantwortung gezogen wird. Allerdings hat damit die Dietrichsage ihre Geschlossenheit verloren, ihre Struktur eingebüßt. Dennoch scheint das Bedürfnis eines rächenden Abschlusses auch für die schwedische Didrikssaga bindend gewesen zu sein, denn sie hat die Auseinandersetzung mit Widrik Werlandsson an das Ende ihrer Geschichte gestellt. Trotz dieser strukturellen Neubesetzung muß man feststellen, daß die eigentliche Exilerzählung damit zerstört wurde. Der Vertriebene kann sich nicht an seinem Vertreiber rächen und kehrt ziemlich lahm, nachdem der Widersacher gestorben ist, in sein Reich zurück. Die notwendige Beziehung von Anfang und Ende, von Vertreibung und Rache sind abgerissen, und damit kommt in der weiteren Sagenentwicklung der Gestaltung des Exils, des Lebens Dietrichs als „Recke" größere Bedeutung zu als der Rachefabel121. Durch die Einsetzung Ermanarichs als Vertreiber, als Feind Dietrichs wird die Verwandlung Dietrichs vom siegreichen Rächer in den Helden des Exils bewirkt. 119 120 121

Vgl. Rosenfeld 1955, S. 215 f. Busse 1901, S. 82; Jiriczek 1898, S. 112. Das beobachtete bereits Busse 1901, S. 82.

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Unter dem Einfluß von Deors Klage und der tränenreichen Darstellung im Nibelungenlied und in der Rabenschlacht war man immer geneigt, das Exil Dietrichs als die Tragik seines Lebens zu betrachten122. Man hat hier m. E. zu Unrecht eine Übertragung aus den Gestaltungen des Hoch- und Spätmittelalters vorgenommen, vielleicht auch beeinflußt von der Vorstellung, daß Heldendichtung notwendigerweise tragisch sein müsse. Ausgehend von dieser Forderung hat man auch immer Schwierigkeiten gehabt, so etwas wie eine tragische Exilfabel zu konstruieren123, für die sich dann bestenfalls der Verzicht auf die Ausnützung des Sieges wegen seiner gefangenen Mannen, später wegen des Todes der ihm anvertrauten Etzelsöhne anbot. Das aber ergibt immer noch keine tragische Fabel im strengen Sinne, und Hugo Kuhn 124 hat zurecht die Existenz einer Exilfabel verneint und der Exilsage lediglich die Funktion eines Rahmens für alle die verschiedenen Erzählungen verschiedenster Art zugebilligt. Das gilt aber m. E. nur für den Zeitpunkt, ab dem durch die Einsetzung von Ermanarich als Vertreiber die alte Rachesage gesprengt war. Dieses Exil muß aber nicht tragischen Charakter im Sinne einer Verzweiflungssituation gehabt haben. Kuhns Analyse ist m. E. zu sehr von den hochmittelalterlichen Denkmälern beeinflußt125. Exil kann auch bedeuten, daß der Held fern seiner Heimat offen ist für alle Arten von Abenteuern126. Zwar werden für uns diese „historischen, mythischen, folkloristischen und poetischen Dietrich122

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Vgl. etwa Höfler 1974, S. 350, 368. Kuhn 1969, S. 135 f. versuchte unter Berufung auf das Hildebrandslied (darba gestuontun fateres mines; dat uuas so friuntlaos man; welaga nu . . .) und der Darstellung Dietrichs im Nibelungenlied als Klagendem die tragische Grundstruktur der Dietrichsage zu erweisen. „Auch für die Tragik der Rabenschlacht ergibt sich als Motivierung nur das Unheil des langen Exils und der Verlust der Gesellen" (S. 136). Vgl. Kuhn 1969, S. 136 und 139 der Dietrich als den „tragisch Überlebenden" konzipiert, ein Bild, das nie zur Fabel geworden sei, sondern in verschiedene Zusammenhänge integriert wurde. Auch Zink 1950, S. 229 stellt fest: „le simple fait que Dietrich ait dû quitter son pays et n'ait pu y rentrer qu'au bout de trente ans n'est qu'une donnée assez maigre." Möhr 1944 dagegen schrieb dem alten Lied von Dietrich von Bern die Tragik des „verlorenen Königsglücks" zu, eine Konzeption, die sich m. E. zu sehr an der Gestaltung des Hunnenschlachtliedes orientiert. Kuhn 1969, S. 139. Vgl. auch Schneider 1962, S. 230: Landflucht und Verbannung seien „niemals der Gegenstand, sondern höchstens die Voraussetzung eines Liedes." Dazu ist es fraglich, ob die Textstelle des Hildebrandsliedes, v. 23 f. „sid Detrihhe/ darba gistuontun// fateres mines:/ dat uuas so friuntlaos man", in der Tat im Sinn eines Verlustes seiner Mannen interpretiert werden muß (s. Kuhn 1969, S. 130). Es könnte auch heißen: „Weil Dietrich meinen Vater brauchte (vgl. Heinzel 1889, S. 43), er war ein Mann ohne Freunde (Verwandte ?), (d.h. ein Verbannter, Geächteter). Busse 1901, S. 55 Anm. 2 vergleicht ahd. friuntlaos mit ags. freondléas, wineléas — „geächtet". Höfler 1974, S. 368 erinnert an den πολύτλας Όδύσσευς — aber was wäre die Odyssee, wollte man ihr die Abenteuer des Helden wegnehmen?

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Fabeleien", wie Hugo Kuhn sie bezeichnet hat 127 — erst im Spätmittelalter greifbar, weil sie damals aufgeschrieben wurden und ihre endgültige literarische Formung fanden. Man spricht dann von der „märchenhaften Dietrichepik" als Unterhaltungsliteratur — aber wer wollte behaupten, daß es diese Form der Erzählung erst im Spätmittelalter gab? Man ist geneigt, der Frühzeit nur das tragisch-heroische Heldenlied als literarische Gattung zuzuschreiben, aber wäre es nicht zu bedenken, daß das Heldenlied in diesem Sinn vielleicht nur die oberste Schicht heroischer Dichtung darstellte, die von höchster literarischer Qualität zeugte? Man müßte in Erwägung ziehen, ob nicht die postulierte Abfolge von Heldenlied, Spielmannslied in ein Nebeneinander von unterschiedlichen Formen heroischen Erzählens umgewandelt werden müßte 128 . Die Exilsage Theoderichs bot beiden Formen des Erzählens Möglichkeiten und Raum: Sie war der Boden, wo einerseits ein tragisches Heldenlied wie das Hildebrandslied erwachsen konnte, aber andererseits bot sie auch die Möglichkeit, gerade durch die Exilsituation, Dietrich zum Helden der verschiedensten Abenteuer zu machen. Und so finden wir noch vor dem Hildebrandslied ein Zeugnis für ein Riesenabenteuer Dietrichs im Fragment des altenglischen Waldere aus dem 8. Jh. Ein Heldenlied im tragisch-heroischen Sinn läßt sich daraus wohl kaum rekonstruieren. Aus der Anspielung kann man erschließen, daß Witege Dietrich aus der Gefangenschaft bei Riesen erlöste, so daß Dietrich flüchten konnte. Aus Dankbarkeit schenkte ihm Dietrich ein Schwert und Reichtümer. Wir kennen ähnliche Darstellungen aus der mhd. Dietrichepik, aus Virginal (610 ff.), Sigenot und aus einer Anspielung im Alphart (252 ff.), woraus ersichtlich wird, daß auch in diesem Bereich bestimmte Traditionen bestanden. Ohne auf die möglichen mythischen Ursprünge des Motivs hier eingehen zu wollen129, müssen wir sagen, daß nach der Art und Weise, wie auf die Erzählung im Waldere angespielt wird, es sich nur um das anspruchslose Motiv einer spannenden Erzählung von Gefangenschaft und Befreiung eines Helden und seinem Dank dafür handeln kann. Die Vorstellung des im Exil lebenden Dietrich bot also den Dichtern von Heldenliedern (im weitesten Sinn; der auch die sog. Spielmannslieder umfaßt) eine Figur, die fast beliebig mit Abenteuern versehen werden konnte 130 : sei 127

Kuhn 1969, S. 139. ΐ2β Ygi dazu Haug 1975, S. 275, der an dem „Heuslerschen Axiom" der scharfen Abgrenzung der Heldenepik gegenüber anderen Gattungen Kritik übt, bes. 282: „Das, was bei Heusler als spielmännische Zwischenstufe erscheint, ist also eine Möglichkeit, die von Anfang an präsent ist . . ." 129 Vgl. dazu Höfler 1974, S. 363 ff. 130 Das erkannte schon Graus 1975, S. 44 f.

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es nun während der Zeit des Exils oder in ihrer Jugend. Denn dié Sage, die sich aus der Historie entwickelt hatte, die einen größeren Rahmen auch zu einer epischen Gestaltung geboten hätte, hatte ja ihren Zusammenhang verloren. Aber ich frage mich, ob nicht genau darin der Grund für die Beliebtheit des Helden zu allen Zeiten bestand: Es gab jede Menge spannender Abenteuer von ihm, und ich meine, es wurden, als sie im Spätmittelalter zu Papier kamen, nicht mehr, sondern höchstens noch andere. Die Fülle von einzelnen Abenteuern, die uns dort entgegentritt, hat im Erzählen von Dietrich immer schon bestanden. So wird es dann verständlich, warum als warnendes Beispiel einer Heldensage, mit der ein Bischof sich nicht beschäftigen sollte, gerade Attila und Amalung genannt werden. Dietrich an Etzels Hof, Dietrich in Bern in seiner Jugend: Das war der Held, den die Abenteuer suchten, die den Zuhörern Vergnügen machten: Abenteuer mit Riesen- und Drachenkämpfen, die Zahl der Herausforderer, die den Kampf mit Drachen suchten, wurde immer größer — sie war ja auch beliebig vermehrbar. Schließlich stand dieser Held zur Verfügung für den Kampf mit dem größten Helden seiner Zeit, mit Siegfried, und in ihrem Gefolge konnte man noch etliche andere Helden gegeneinander antreten lassen. Gerade, weil eine festgefügte Fabel nach der Sprengung des Bezugsrahmens von Vertreibung und Rache fehlte, wurde die Figur wie keine andere verfügbar für das, was man mit einem heutigen Terminus Unterhaltungsliteratur bezeichnen könnte. Damit aber zugleich wurde ihre Popularität begründet. Literatur Baesecke, Georg: Vorgeschichte des deutschen Schrifttums. Halle 1940. Bleyer, Jakob: Die germanischen Elemente der ungarischen Hunnensage. In: PBB 31, 1906, S. 4 2 9 - 5 9 9 . Boer, Richard Constantin: Die Sagen von Ermanarich und Dietrich von Bern. Halle 1910. Bojunga, K.: Die 72 Völkerschaften im Widsiö. In: PBB 16, 1892, S. 5 4 5 - 4 8 . Bugge, Sophus: Der Runenstein von Rök. Hg. durch M. Olsen, mit Beiträgen von A. Olrik und E. Brate. Stockholm 1910. Busse, Bruno: Sagengeschichtliches zum Hildebrandsliede. In: PBB 26, 1901, S. 1—92. Chambers, R. W.: Widsith. A Study in Old English Heroic Legend. New York (Erstveröff. 1912) 1965. Qfimm, Wilhelm: Die deutsche Heldensage. Darmstadt 4 1957. Graus, FrantiSek: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln/Wien 1975. Gschwantler, Otto: Ermanarich, sein Selbstmord und die Hamdirsage. Zur Darstellung von Ermanarichs Ende in Getica 24, 129 f. In: Die Völker an der mittleren und unteren Donau im 5. und 6. Jh. Berichte des Symposions der Komm, für Frühmittelalterforschung 24. bis 27. Okt. 1978, Stift Zwettl, NÖ. Hg. H. Wolfram u. F. Daim. Wien 1980 ( = ö . Ak. d. W., phil.-hist. Kl. Denkschriften 145. Bd.: Veröffentlichungen der Komm. f. Frühmittelalterforschung Bd. 4). S. 1 8 7 - 2 0 4 .

Die Darstellung der Figur des Dietrich von Bern

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Guórún Gjúkadóttir in Miöjumdalr. Zur Aktualität nordischer Heldensage im Island des 13. Jahrhunderts* VON PREBEN MEULENGRACHT SORENSEN

Die nachfolgenden Bemerkungen beschäftigen sich mit Gudrun Gjúkadóttir nicht so sehr als Heldin in der nordischen heroischen Dichtung oder in der Prosaparaphrase der Völsunga saga und in Snorris Edda, sondern mit ihrem Erscheinungsbild auf Island im 13. Jahrhundert, besonders in den Erzählungen von den Träumen des sechzehnjährigen isländischen Mädchens Joreiör Hermundardóttir in Miöjumdalr nahe bei Laugavatn, die es im Jahr 1255 geträumt haben soll: 1 In dieser Erzählung der Sturlunga saga wird Guöruns Name und das, wofür sie steht, zwar nicht im Zusammenhang mit der Heldensage, aber doch mit einem impliziten Hinweis auf diese verwendet. Die Heldensage wird als bekannt vorausgesetzt und ist so Bestandteil des Referenzrahmens der Erzählung in ganz derselben Weise, wie es in der übrigen Sagaliteratur zum Beispiel die norwegischen Könige und isländischen Bischöfe sind. Mit anderen Worten, sie tritt als historische Person auf, als realer Bestandteil der isländischen Vorstellungswelt, wie sie sich in der Sturlunga saga teilweise niedergeschlagen hat. Die Beschäftigung mit dieser wiedererstandenen Guórún kann uns vielleicht helfen beim Versuch, zu verstehen, auf welche Weise im dreizehnten Jahrhundert auf Island die Heldendichtung, die man damals niederschrieb oder verfaßte, aufgefaßt wurde. Die Erzählung von Joreiör ist nur in einer der beiden Haupthandschriften der Sturlunga saga enthalten, in Króksfjardarbók (Am 122 a fol.), und ihre Herkunft liegt im Dunkeln. Björn Magnússon Ólsen meinte, dieser Abschnitt stamme aus der erschlossenen Gi^urar saga ok SkagfirÒinga,2 und selbst wenn es diese Saga kaum gegeben haben dürfte, so ordnet sich diese Erzählung sowohl aufgrund ihrer Lokalisierung in jener Gegend, aus der Gizurr Por* Die Übersetzung aus dem Dänischen besorgte Gerd Wolfgang Weber (Frankfurt). 1 Sturlunga saga I—II, hg. von Jón Jóhannesson, Magnus Finnbogason und Kristján Eldjárn (Reykjavik, 1946), I, 5 1 9 - 2 2 . 2 Björn M. Olsen, „Um Sturlungu," Saßt til sögu Islands og lslen\kra bókmennta ad fornu og n j j u 3 (Kobenhavn, 1920), 374.

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valdsson stammte, wie auch wegen ihrer ausgeprägten Sympathie für seine Person seinem Umkreis zu. Pétur Sigurôsson hielt es für das Wahrscheinlichste, daß dieses Kapitel vom Redaktor der Sturlunga-Sammlung eingefügt worden sei, den man gewöhnlich mit Gizurs Verwandten Porör Narfason identifiziert. 3 Dieser Ansicht hat sich Jón Jóhannesson angeschlossen4. Robert J. Glendinning hat zwar Joreiörs Träume bei seiner Analyse in Träume und Vorbedeutung in der Islendinga Saga Sturla Thordarsons ausgelassen, sagt aber in seinem Nachwort über sie: „Wenn Sturla Poröarson diesen Traumzyklus, der eine kleine anekdotische Erzählung für sich bildet, wirklich in seine Saga aufgenommen hat, so hat er es sicher aus ganz anderen Gründen getan, als es bei den sonstigen Träumen der Islendinga saga der Fall gewesen ist" (S. 246).5 In der Erzählung werden alle vier Träume berichtet. Den ersten Traum hat Jóreiòr am 22. Juli 1255, drei Tage nach dem Kampf an der laverà, in dem Porvarör Pórarinsson die beiden Schwiegersöhne Sturla Sighvatssons besiegte, Hrafn Oddsson, der fliehen konnte, und Eyjólfr Porsteinsson, der dort erschlagen wurde. Das Mädchen träumt, eine dunkelgewandete Frau reite auf einem grauen Pferd über den Hofplatz des Gehöfts Miöjumdalr. Sie fragt die Frau, woher sie komme, und erhält zur Antwort: „Von Norden, aus násheimr," das heißt „Leichenheim" oder aus der „Welt der Toten". Joreiör fragt weiter, ob sie etwas über Porvarör wisse, und die Frau antwortet mit einer Strophe, derzufolge er ein Schutzschild für die Welt sei und brünnenbekleidet am Kampf teilnehme. Seine Widersacher werden brennumenn .Brandstifter' genannt — nach dem Mordbrand von Flugumyri — und mannhundar ,Menschenhunde'. In der folgenden Strophe sagt die Traumfrau, Jóreiòr, ihr Vater und ihr ganzes Geschlecht würden erleben, daß dies sich bewahrheiten werde, und in der dritten Traumstrophe verweist sie die Brandstifter in die Hei, das Totenreich. Hierauf folgt ein Prosanachsatz, in dem sie sagt, daß das ganze Land durch die Schlechtigkeit der Brandstifter wieder heidnisch werden werde. Sechs Nächte danach träumt Joreiör ihren zweiten Traum von derselben Frau, die wiederum aus dem Norden kommt; wiederum fragt das junge Mädchen nach Porvarör, und die Traumfrau antwortet mit einer Halbstrophe, in der sie sagt, daß er pröngt of hjarta sei „bedrückt im Herzen", aber daß er bald Genugtuung dafür erhalten werde. Wie im ersten Traum dürfte dies auf 3

4 5

Pétur Sigurôsson, Um Islendinga sögu Sturlu PórÒarsonar (Safn til sögu Islands og Islenzkra bókmennta VI, 2; Reykjavik, 1933-35), 1 2 4 - 5 . Sturlunga saga I, 577. Robert J. Glendinning, Träume und Vorbedeutung in der Islendinga Saga Sturla Thordarsons. Eine Form- und Stiluntersuchung (Bern und Frankfurt am Main, 1974), 246.

Guörun Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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den Kampf an der f>verá zu deuten sein. Dort kämpfte f>orvarör, um seinen Bruder Oddr zu rächen. Jóreiór fragt nun nach dem dritten Bruder Steinólfr, und die Traumfrau antwortet mit zwei Halbstrophen, die ursprünglich kaum zusammengehört haben dürften. In der ersten Halbstrophe erzählt sie, daß Steinólfr jetzt zusammen mit Egill Pein erleide. Worauf sich dies bezieht oder wer Egill ist, wissen wir nicht. Die Sturlunga saga macht über Steinólfr im Zusammenhang mit dem Kampf an der laverà keine Angaben. Die andere Halbstrophe lautet — mit Anklängen an die Hâvamâl-Sttoçhen 42 und 43 — folgendermaßen: Ves ]DÚ vinr vinar míns, en ek mun meö svinnum at saka bótum. (Sei meines Freundes Freund; ich will bei den Tapferen sein da, wo sie Genugtuung empfangen). In Joreiörs drittem Traum tritt die Frau in blauschwarzen Kleidern auf und wirkt ehrfurchtgebietend (mifzilûôlig). Wiederum reitet sie auf einem grauen Pferd. Sie fragt Joreiör jetzt, weshalb sie nicht nach ihrem Namen gefragt habe. Das Mädchen antwortet, daß es sich vor ihr fürchte, stellt aber dann diese Frage trotzdem und erhält von der Traumfrau zur Antwort, sie heiße Guörun Gjúkadóttir. Joreiör fragt jetzt, warum es hier Heiden umtreibe, und Guörun antwortet darauf, daß es Joreiör nichts angehe, ob sie heidnisch oder christlich sei, daß sie aber der Freund aller sei, die ihre Freunde seien. Diesmal fragt Joreiör nach Gizurr Porvaldsson, und Guörun antwortet mit einer Strophe dahingehend, daß Gizurr sich an einen sorgenvollen Morgen erinnere, aber hoffe, alles werde dennoch nach seinen Wünschen verlaufen. In einem anschließenden Prosadialog sagt sie, wenn es so komme, wie sie hofft, werde Gizurr sein Leben lang über Island herrschen. Erneut wird Porvarör verherrlicht; „ich finde Gefallen an denjenigen Vögeln, die hoch fliegen," sagt sie. Von Hrafn Oddsson aber sagt sie, alle schwarzen Vögel ekelten sie an, und über Porgils skaröi, daß sie alle Vögel, die ihr eigenes Nest beschmutzten, böse und schlecht finde. Danach spricht sie eine Strophe, in der sie Joreiör darum bittet, ihre Träume von Porvarör weiterzuerzählen, und schließlich sagt sie zu dem Mädchen, daß sie sich ihr jetzt dreimal gezeigt habe, und sie fügt hinzu: „Früher war alles dreifach, ebenso wie Gottes Dreieinigkeit gut ist." Obwohl so die ersten drei Träume abgeschlossen sind, folgt im Herbst, als die Nächte dunkel zu werden beginnen, ein vierter Traum. Jetzt reitet Guörun von Osten heran und schleift einen Mann hinter sich her, der am Schwanz des Pferdes festgebunden ist. Es ist Eyjólfr Porsteinsson, und als

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Joreiör fragt, warum er solchermaßen mißhandelt werde, antwortet die Traumfrau, daß dies der Lohn dafür sei, daß er Gizurs Sohn Hallr beim Flugumyri über die hartgefrorene Erde geschleift habe. Im Wegreiten spricht sie ihre letzte Strophe: In den alten Tagen sei alles besser gewesen, jetzt aber würden König Hákon und seine Söhne lange über das Land herrschen. Zur Frage, ob Joreiör Hermundardóttir aus Miöjumdalr tatsächlich diese Träume von Guörün Gjúkadóttir geträumt hat, möchte ich mich nicht äußern. Ob Träume dieser Art echt oder unecht sind, läßt sich nicht entscheiden;6 eine eingehendere Untersuchung macht es indes wahrscheinlich, daß es sich bei dieser Erzählung nicht um eine literarische Fiktion handelt, sondern um eine volksläufige Anekdote, die für authentisch gehalten wurde. Die Erzählung kann weder als Teil der Islendinga saga noch der Sturlunga saga entstanden sein, sondern muß einen anderen Ursprung haben. Dies geht aus den Divergenzen zwischen ihr und dem Rest der Saga hervor. In der Saga fehlen, wie schon erwähnt, entsprechende Angaben über Steinólfr, und die Geschehnisse um Hallr Gizurarson nach der brenna von Flugumyri werden abweichend dargestellt.7 Anzunehmen ist auch, daß die Erzählung in ihrem ursprünglichen Zusammenhang auch Angaben über Joreiör, ihren Vater und ihre Verwandten, sowie über den Priester Pàli, der in der Einleitung der Erzählung als Bauer in Miöjumdalr genannt wird, enthalten hat. Auch der innere Aufbau der Erzählung weist einige Eigentümlichkeiten auf. Wie erwähnt ergeben die drei ersten Träume ein abgeschlossenes Ganze, zu dem der vierte Traum nicht von Anfang an dazugehört zu haben scheint. Darüber hinaus unterscheiden sich die Träume voneinander in ihrem Verhältnis zu den historischen Begebenheiten, die sie referieren, und Träume und Prosa stimmen in diesem Punkt nur schwer überein. In den Strophen der ersten beiden Träume wird auf den Kampf an der t>verá in der PräsensZeitform Bezug genommen, und sie sind als entweder gleichzeitig mit diesem Kampf oder vorher gesprochen denkbar, aber nicht als einige Tage später entstanden, wie es die sie begleitende Prosa behauptet. Der dritte Traum handelt von den vier Häuptlingen, ohne daß dabei ein bestimmtes Ereignis geschildert würde, sieht man einmal von der neuerlichen Erwähnung der Flugumyri-Brenna ab. Die Strophe des vierten Traums behandelt die Zeit nach 1262, als Island unter die Herrschaft des norwegischen Königs kam, und der Traum kann deswegen nicht, wie die Prosa angibt, im Jahr 1255 geträumt worden sein.8 Diese Abweichungen führen zu der Schlußfolgerung, daß die in den vier Träumen enthaltenen Strophen ursprünglich nicht in 6

Das Echtheitsproblem ist v o n R. J . Glendinning in op. cit., kap. III diskutiert.

7

Vgl. Pétur Sigurösson, op. cit., 124; und Sturlunga saga I, 577.

8

Vgl. Pétur Sigurösson, op.cit., 124—5.

Guörun Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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den Zusammenhang, wie ihn die sie jetzt umgebende Prosa konstruiert, hineingehört haben. Mancherlei deutet auch darauf, daß diese Strophen ursprünglich nicht zusammengehörten, jedenfalls weichen sie in ihrem Charakter voneinander ab. Die drei Strophen des ersten Traumes haben Endreim und stehen im sogenannten galdralag, dem Zauber-Versmaß, bei dem die letzte Verszeile der Strophe noch einmal wiederholt wird. Die erste Halbstrophe des zweiten Traumes ist im galdralag und die zweite und dritte in dem epischen fornyrdislag, während die drei Strophen der letzten beiden Träume regelmäßige achtzeilige fornyrâislag-StroçYicn sind. Diese Unregelmäßigkeiten und Brüche legen den Schluß nahe, daß die Erzählung nicht von Anfang an als literarisches Ganze entstanden ist, sondern am ehesten als eine Sammlung von Bruchstücken zu gelten hat, die nur notdürftig mit einem Rahmen versehen worden sind. Die einfache und unvollkommene Form sehe ich als Argument an dafür, daß die Träume als tatsächliche Vorkommnisse betrachtet wurden, als volksläufige Nachrichten, die als politische Stellungnahmen für Gizurr Porvaldsson und seine Parteigänger entstanden und gesammelt und schließlich als Teil des historischen Stoffes in die Sturlunga saga mit aufgenommen wurden. Hinzugefügt werden muß, daß einige der Strophen auf jeden Fall ursprünglich zusammengehört zu haben scheinen und einem Gedicht entstammen, das Merkmale der Gattung Traumvision aufweist in dem Maße, wie sein ,Ich' der Träumenden befiehlt, das, was sie vernommen habe, weiterzuerzählen. Guörun Gjúkadóttir wird namentlich nur in der Prosa und nicht in den Traumstrophen genannt, aber unabhängig davon, ob Guârùn mit der Traumfrau von Anfang an identifiziert worden ist oder nicht, so setzt diese Identifikation voraus, daß die Guörun-Sage in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf Island allgemein geläufig war. In der Erzählung weiß Jöreiör sofort, wer Guöriin ist, sowie diese ihren Namen nennt, und die Zuhörer dürften kaum Anstoß daran genommen haben, daß ein sechzehnjähriges Bauernmädchen mit den Hauptpersonen der Heldendichtung vertraut war. Sie dürften also dieselben Kenntnisse besessen haben, und aus der Form der Erzählung und aus ihrer propagandistischen Absicht können wir schließen, daß sie sich nicht bloß an eine kleine Gruppe von Spezialisten wandte, sondern in der Allgemeinheit ihr Zielpublikum hatte. Die Träume der Jöreiör und die Erzählung vermitteln uns so ein Bild der allgemeinen Vorstellung von Guörun Gjúkadóttir in jenem Jahrhundert Islands, in dem das literarische Interesse an den Heldensagen am intensivsten war. Guörun tritt hier als Gespenst auf, zuvörderst aber ist sie eine Walküre, die ihre Günstlinge im Kampf schützt und die Gegner zur Hei schickt, ins

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Totenreich. Ihre Kleidung ist düster und ihr Reittier grau. Dies sind die Farben des Todes, und sie selber kommt aus der Totenwelt. Ihr Auftreten ist gebieterisch und imponierend, zugleich aber auch furchteinflößend; Joreiör fürchtet sich vor ihr, und im letzten Traum legt sie gegenüber Eyjólfr, dem toten Gegner ihrer Günstlinge, Grausamkeit an den Tag. Zweierlei ist an dieser Walkürengestalt besonders hervorgehoben: Zunächst ihre Aufforderung zur Loyalität. Im zweiten Traum sagt sie zu Joreiör: „Sei meines Freundes Freund!" Im dritten Traum hebt sie ihre eigene Loyalität hervor: Sie ist ihren Freunden ein Freund. Das Gegenteil hierzu ist Hrafn, und besonders ist es Porgils skaröi, der sein eigenes Nest beschmutzt. Hiermit spielt die Traumfrau wohl auf seine mangelnde Loyalität gegenüber Gizurr und gegen seine eigenen Verwandten an, und vielleicht besonders darauf, daß er die Herrschaft der isländischen Häuptlinge hintertrieben hat. 9 Zum zweiten wird Guöruns Verhältnis zum Christentum in der Prosa dreimal hervorgehoben; in den Strophen ist es dagegen nicht erwähnt. Zunächst beschuldigt sie Eyjólfr und Hrafn, die Feinde Gizurrs, sie wollten auf Island wieder das Heidentum einführen. Dann weist sie, als Joreiör sie eine Heidin nennt, dies zurück, und schließlich bekennt sie sich am Ende des dritten Traums zur Dreieinigkeit des christlichen Gottes. Auf diese Weise tritt Guörun im Gewand jener vorchristlichen Helden vor uns, die sich vom Heidentum lösten und an den christlichen Gott geglaubt hätten, wenn er ihnen offenbart worden wäre. Offensichtlich soll Guörun, indem sie mit den Merkmalen dieses „edlen Heiden"-Typus ausgestattet wird, als eine positive Figur gezeichnet werden, wodurch ihre Autorität als Vertreterin des Loyalitätsprinzips und als Fürsprecherin der Partei Gizurs und Porvaldrs untermauert wird. 10 In diesen Träumen gleicht diese Guörun Gjúkadóttir mehr der heroischen und willensstarken Guörun in der Atlakvida als der verzweifelten Guörun beispielsweise im Ersten Gudrunlied oder im Zweiten Gundrunlied. Dennoch zeigt sie auch Empfinden für Trauer und Sorge, wenn sie von Porvarör sagt, er sei pröngt of hiarta „bedrückt im Herzen" (nach dem Tod des Bruders), und wenn sie von Gizurr sagt, daß er sich an den morgun sáran „den schlimmen Morgen" nach dem Brand von Flugumyri entsinne, bei dem seine Frau und seine Söhne umkamen. Die Guörun-Gestalt der Sturlunga saga hat sowohl das Heroische wie das Elegische mit der Guörun der Heldendichtung gemeinsam, 9 10

Vgl. Sturlunga saga I, 577. Vgl. zum Begriff des „edlen Heiden" L. Lönnroth, „The Noble Heathen. A Theme in the Sagas," Scandinavian Studies 41 (1969), 1 —29; G. W. Weber, „Irreligiosität und Heldenzeitalter. Zum Mythencharakter der altisländischen Literatur," Specvlvm norroenvm. Norse Studies in Memory of Gabriel Turville-Petre, hg. von Ursula Dronke u.a. (Odense, 1981), 474—505.

Gudrun Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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und die Sprache der Strophen ist von beidem geprägt. Sentimentalen Wendungen steht eine Reihe von heroischen Ausdrücken aus der Eddadichtung gegenüber. Porvarör wird buòlungr, auÒskati und sonr oddvita genannt. Gizurr wird mit mildingr und ödlings sonr umschrieben. Guöruns eigener Loyalitätskonflikt aus der Heldendichtung hat in den Träumen der Joreiör keinen Platz, denn diese handeln nicht von ihr selbst. Aber er ist Teil der allgemeinen Vorstellung von dieser Figur, und es verdient festgehalten zu werden, daß gerade sie als Autorität und Kommentator historischer Ereignisse in den Fällen verwendet wird, wo es um Loyalitätskonflikte und Loyalitätsbruch geht. Jene Zeit empfand sie offenbar als die passende Fürsprecherin für Männer, denen der Bruder erschlagen worden war oder die Frau und Söhne durch einen Mordbrand verloren hatten. Nach der Erzählung von Joreiör soll nun im folgenden von drei weiteren Beispielen für jene Auffassung von Guörun, wie sie sich in den Träumen niedergeschlagen hat, die Rede sein. Den ersten Beleg liefert die Saga von Gísli Súrsson, in der Gisli bekanntlich seine Schwester Pórdís mit Guörun vergleicht. Die Strophe — nach Finnur Jónssons Zählung Nummer 9 der Strophen Gísli Súrssons11 — steht an einem der dramatischen Höhepunkte der Saga: unmittelbar, nachdem Pórdís verkündet hat, daß Gisli der Mörder ihres ersten Mannes sei. Sie ist in drei Varianten überliefert, die jedoch alle den gleichen Sinn ergeben. Sveinbjörn Egilsson hat sie folgendermaßen übersetzt: Meine Schwester, die sorgfaltig auf ihre Kopfbedeckung bedacht ist, besaß nicht die gleiche Seelenstärke wie die geistesstarke Guörun Gjúkadóttir, die mit unbeugsamem Sinn ihren berühmten Ehegemahl tötete und auf diese Weise den Tod ihrer tapferen Brüder rächte.12 Diese Deutung ist von Finnur Jónsson, Björn Karel Pórólfsson und anderen im wesentlichen akzeptiert worden. 13 Ernst Albin Kock, Gabriel TurvillePetre und Jon Helgason haben andere Deutungen vorgeschlagen, die sich auf andere Lesarten für die Wörter salfastrar (AM 556 a 4to) oder salfastar (AM 149 fol. und AM 445c, I 4to) und sveigar in den Handschriften stützen;14 die Grundaussage der Strophe bleibt davon unberührt, und ich werde hier nicht näher darauf eingehen. Interessanter in diesem Zusammenhang ist 11 12 13

14

Den norsk-islandske skjaldedigtning, hg. von Finnur Jónsson, A, 1 (Kabenhavn, 1912), 102—3. Tvttr sögur af Gisla Sürssyni, hg. von Konrad Gislason (Kebenhavn, 1849), 183. Den norsk-islandske skjaldedigtning B, 1 (Kabenhavn, 1912), 97; Vestflrdinga sqgur, hg. von Björn Pórólfsson und Guöni Jónsson (Islenzk fornrit VI, Reykjavik, 1943), 62. Ernst A. Kock, Notationes Norroena. Antecknmgar tili Edda och Skaldediktning 3 (Lund, 1924), 35; Gabriel Turville-Petre, „Gisli Súrsson and his Poetry", Nine Norse Studies (London, 1972); Jón Helgason, „Salfastar sveigar", Specvlvm norroenvm, 185 — 7.

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Peter Footes Kommentar zu dieser Strophe in George Johnstons englischer Übersetzung der Gisla saga. Hier ist der Sinn des Ausdrucks gatin sveigar in der Übersetzung schärfer verdeutlicht mit: „My sister, heedfull of her marriage headdress" — „meine Schwester, achtsam auf ihre Hochzeitshaube".15 Sveigr bedeutet nicht nur .Kopfbedeckung', sondern die ,Haube' der verheirateten Frau, ist also ein Ehesymbol. Gisli bezeichnet seine Schwester also nicht als putzsüchtig, wie Björn Karel Pórólfsson meinte, sondern als auf ihren Status als Ehegattin bedacht. Hiermit wird der Gegensatz zwischen Por di s und Guörun noch weiter verdeutlicht. Pórdís verrät ihren Bruder, weil ihr ihr Status als verheiratete Frau wichtiger ist. Guörun hingegen erschlägt ihren Gemahl als Rache für ihre Brüder. Wie in Joreiörs Träumen verkörpert Guörün hier unbeugsame Sinnesart und unbedingte Loyalität. Nun beschränkt sich diese Beziehung zwischen der Gisla saga und der Heldendichtung bekanntlich nicht nur auf Gislis Strophe, sondern findet sich auch in der Haupthandlung der Saga selbst und ihrer Intrige, die in einigen wichtigen Punkten mit der Nibelungensage übereinstimmt. Wer die Heldensage kennt, sieht die Saga zwangsläufig vor diesem Hintergrund. Und hier nun sind die Helden und ihre Handlungsweisen nicht bloß Parallelen zu den Hauptpersonen der Saga, wie dies in Gislis Strophe der Fall ist; vielmehr wirkt umgekehrt auch die Saga als Kommentar der Ideale der Heldendichtung. Liest man die Saga, stellt sich Gislis Vergleich zwischen Pórdís und Guörün schließlich als unhaltbar heraus. Er vergleicht nämlich die Reaktion seiner Schwester nach dem Totschlag an ihrem Ehemann mit Guöruns Reaktion auf den Totschlag an ihren Brüdern. Betrachtet man jedoch den gesamten Handlungsverlauf der Gisla saga, erscheint die Handlungsweise der Por di s nicht als zur Handlungsweise Guöruns gegensätzlich, sondern als mit ihr parallel. Diejenigen Eddalieder, in denen Guörnns Verhalten nach dem — von ihren Brüdern veranlaßten — Mord an Sigurör beschrieben wird, zum Beispiel das Zweite Gudrunlied und die GuÒrùnarhvqt, zeigen Guörün als unglücklich und unversöhnlich und als zu einer Versöhnung mit ihren Brüdern nicht bereit. Im Zweiten Gudrunlied wünscht sie sich, daß Högnis Herz von Raben zerrissen werden möchte und weist alle Schätze, die er und Gunnarr ihr als Buße für Sigurör anbieten, zurück. Von hier ist es bis zur Reaktion von Gislis Schwester Pórdís nicht weit, wenn sie in einer gefühlsgeladenen Situtation am Grabhügel ihres toten Ehemannes Gisli entlarvt. Daß Pórdís nicht den Tod ihres Bruders wünscht, läßt sich indessen aus der Fassung S der Saga ersehen, in der sie unmittelbar, nachdem sie Gisli 15

Peter Foote, „ A n Essay on the Saga of Gisli and its Icelandic Background", The Saga of Gisli, übers, v o n George Johnston (2. Ausg., London, 1973), 62.

Gudrun Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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verraten hat, dies bedauert und mit ihren eigenen Worten zu bagatellisieren versucht: „Ich weiß nicht, ob dies wahr ist oder nicht, . . . und stets bringen die Ratschläge der Frauen Verderben." 16 In der Fassung M werden diese Sätze Gislis Bruder Porkell beigelegt, und dort ist die ganze Passage auf eine Weise verpfuscht, die darauf hindeutet, daß der Text von S hier der primäre ist. Nachdem Gisli getötet worden ist, handelt Pórdis genauso wie Guórún. Sie versucht ihn zu rächen, und sie läßt sich von Börkr, ihrem jetzigen Mann, der als Bruder ihres toten ersten Mannes die Ächtung und Tötung Gislis betrieben hat, scheiden. Beide Heldinnen sind in einem unlösbaren Loyalitätskonflikt gefangen, und der Unterschied zwischen beiden liegt nicht so sehr in ihren Reaktionen auf diesen Konflikt, als vielmehr in der Art und Weise, wie er in der Sage einerseits und in der Saga andererseits veranschaulicht wird. In der Atlakviöa fehlt Guörüns Verbitterung gegen ihre Brüder. Im Zweiten Gudrun lied wird ihr Zorn mithilfe des Vergessenstrankes gebrochen. Die Gisla saga aber legt mit ihrer Pórdís-Gestalt das Gewicht ganz auf diesen inneren Konflikt. Von einem anderen Ansatz herkommend, als ich ihn hier gewählt habe, hat Theodore M. Andersson die Gisla saga als „the saga which most clearly questions the transmitted norms of heroic conduct" bezeichnet. 17 Bei dieser Infragestellung der heroischen Ideale spielten sowohl die Gegensätze wie die Parallelen zwischen Guörun Gjúkadóttir und Pórdis eine wichtige Rolle. In Gislis Strophe vertritt Guörun die heroische Forderung. In der Sagahandlung wird diese durch die Gestalt der Pórdis nuanciert und problematisiert. 18 Ich bin hier nicht auf das textliche Verhältnis zwischen Strophe und Saga eingegangen. Hinsichtlich der Datierung der Strophen Gísli Súrssons herrscht keine Einmütigkeit. Finnur Jónsson und andere waren der Ansicht, daß sie von Gisli, also im zehnten Jahrhundert, gedichtet seien, wie die Saga behauptet. 19 Von der neueren Forschung ist dies bezweifelt worden, und Peter Foote beispielsweise rechnet die Strophen dem zwölften Jahrhundert zu. 20 Demgegenüber hat Gabriel Turville-Petre behauptet, nichts stehe der An-

16 17

18

19

20

Tvcer sögur af Gisla Surssyni, 119. Theodore M. Andersson, „Some Ambiguities in Gisla saga. A Balance Sheet", Bibliography of Old Norse-Icelandic Studies 1968, hg. von Hans Bekker-Nielsen (Kabenhavn, 1969), 42. Vgl. Preben Meulengracht Sorensen, „Murder in marital Bed: An attempt at understanding a crucial scene in Gisla saga," Structure and meaning in Old Norse literature. New approaches to textual analysis and literary criticism, hg. von John Lindow u. a. (The Viking Collection 3, Odense, 1986), 2 5 6 - 5 8 . Finnur Jónsson, Den oldnorske og oldislandske litteraturs historie I (2. Ausg., Kobenhavn, 1920), 508-9. Peter Foote, op. cit., 1 1 3 - 2 3 .

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Preben Meulengracht Sorensen

nähme entgegen, daß sie erst vom Verfasser der Saga gedichtet seien.21 In jedem Falle ist Strophe 9 jedoch ein integraler Bestandteil des Sagatextes, und die Unterschiede zwischen dem Bild, das die Strophe von Cordis entwirft, und dem, das die Saga von ihr zeichnet, lassen sich als Teil des Themas dieser Saga selbst auffassen: als Teil ihrer Behandlung zweier einander widersprechender Loyalitätsverpflichtungen. Meine beiden letzten Beispiele entstammen der isländischen Wirklichkeit in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Sie haben nicht direkt etwas mit Guórún Gjúkadóttir zu tun, illustrieren aber indirekt jenes Ideal, für das Guórún in Jóreiórs Träumen und in Gislis Strophe steht. Es geht um zwei Frauen, die auf die gleiche Weise wie Guórún handeln. Die eine ist Steinvör, die Tochter Sighvatr Sturlusons und die Ehefrau Hálfdan Saemundarsons aus dem Geschlecht der Oddaverjar. Sie lebt mit Hálfdan auf dem Hof Keldur fünfzig Kilometer südöstlich von Miöjumdalr. Nach der Sturlunga saga zu urteilen war Steinvör eine der markantesten Frauengestalten ihrer Zeit, und wäre sie nicht die Tochter Sighvats und damit zwangsläufig gegen Gizurr feindlich eingestellt gewesen, hätte man sie sich gut als zeitgenössisches Vorbild für die Guôrûn-Gestalt in Joreiörs Träumen vorstellen können. Im Jahr 1242 kehrt Steinvörs Bruder Porör kakali aus Norwegen nach Island zurück, um die frühere Machtposition seines Vaters und seiner Brüder zurückzugewinnen und Genugtuung für die an ihnen begangenen Totschläge zu erhalten. Er sucht Hilfe bei Schwester und Schwager auf Keldum, und der Schilderung der PórÒar saga kakala zufolge antwortet Steinvör sogleich sowohl für sich wie für ihren Mann, daß Hálfdan ihn selbstverständlich unterstützen werde. Hieran schließt sich eine hvöt, eine ,Aufreizung' im Stile der heroischen Dichtung an: Ich will jetzt (sagt sie zu Hálfdan) dies klarstellen, daß es zwischen uns beiden keine große Eintracht mehr geben wird, wenn Du meinem Bruder Porör nicht hilfst. Es wird dann etwas Unnatürliches geschehen: Ich werde mir Waffen verschaffen und Männer suchen, die sich mir anschließen wollen, und Dir werde ich die Schlüssel zur Speisekammer geben. 22 Der friedfertige Hálfdan läßt sich jedoch trotz dieses ernsten Vorwurfs der Unmännlichkeit nicht überreden. Später im selben Herbst ruft Steinvör die Thingbauern Hálfdans zur Hilfeleistung für Kolbeinn zusammen, aber Hálfdan schickt sie, als er davon hört, wieder nach Hause. Ein letztes Mal hören wir von Steinvör in der Porgils saga skarÖa, wo erzählt wird, daß sie den von 21 22

Gabriel Turville-Petre, op.cit., 1 3 6 - 4 6 og 1 4 8 - 5 3 . Sturlunga saga II, 6.

Guórún Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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ihrem Vater geerbten Hof Grund im Eyjafjörör auf Porvarör Pórarinsson überschreibt, also jenen Helden, den Guórún Gjúkadóttir in Joreiörs Träumen preist. In der Saga heißt es, Steinvör fordere Porvarör auf, diesen Hof festzuhalten, soweit er Manns genug dazu sei23. Sein Widersacher, gegen den Porvarör die Besitzungen im Eyjafjörör verteidigen soll, ist Porgils skaröi, dem dieser Besitz vom norwegischen König Hákon verliehen worden ist. Steinvörs in Porvarör gesetzten Erwartungen erfüllen sich, und der Konflikt endet mit Porgils Erschlagung. Eine Frauengestalt von ähnlichem Format wie Steinvör ist ihre Nichte I>uriör. Sie war die Tochter Sturla Sighvatssons mit seiner Kebse Vigdis Gíslsdóttir, die Gizurr Porvaldsson später von Skagafjörör vertreibt. Die tslendinga saga berichtet, wie ï>uriôr und Vigdis und ]?uriörs Ehemann Eyjólfr Porsteinsson, der Schurke in Joreiörs Träumen, eines Sommertages bei schönem Wetter draußen vor dem Gehöft in Mööruvelür im Eyjafjörör sitzen. Man schreibt das Jahr 1253, und die Saga bietet folgenden Wortwechsel: Eyjólfr sagte da im Scherz zu Vigdis: „Was war der Grund dafür, daß Gizurr dich nicht in Skagafjörör wohnen lassen wollte?" Vigdis ärgert dies, und sie schwieg. Da antwortete ihre Tochter I>uriör: „Weil Gizurr meinte", sagte sie, „daß jedes alte Weib eher als Du meinen Vater Sturla rächen werde. Er sieht, daß Du mit nichts weiter als mit Deinem Äußeren begabt bist."24 Dieser Dialog liefert den Auftakt für den Mordbrand auf Flugumyri, der für viele Menschen den Tod bedeuten wird, schließlich auch für Eyjólfr, der, wie gesagt, im Kampf an der Pvcii fallen wird. Die f r j j a oder hvöt, die Aufreizung, bei der eine Frau einen Mann verhöhnt oder zur Rache aufreizt, ist ein klassisches Motiv sowohl der Heldendichtung wie der Sagas. Die beiden geschilderten Szenen entstammen indessen einem aktuellen zeitgenössischen Zusammenhang und sollen tatsächliche Ereignisse der isländischen Zeitgeschichte des 13. Jahrhunderts erklären. Selbst wenn die Szenen auch hier literarisch dem traditionellen Motiv nachgeformt worden sein sollten, so ist die Haltung Steinvörs und Puriörs dennoch Wirklichkeit und nicht literarisch. Beide Frauen vertreten jene absolute Loyalitätsforderung, für die Guórún Gjúkadóttir die frühgeschichtliche Repräsentantin ist, und wie Guórún handeln sie ohne Rücksicht auf die Konsequenzen ihres Handelns. Die vier besprochenen Beispiele gehören allesamt der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an, und ich möchte nun abschließend unter diesem Blickwinkel 23 24

Sturlmga Sturlmga

saga II, 211. saga I, 481.

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Preben Meulengracht Sarensen

ein paar Schlußfolgerungen über das Verhältnis zwischen Heldendichtung und Überlieferungsepoche, das heißt jener Zeit, die sie rezipiert und auf Pergament niederschreibt, ziehen. Joreiörs Träume machen eine allgemeine Verbreitung und Vertrautheit mit Guörün Gjúkadóttir und der Sage, deren Hauptperson sie ist, wahrscheinlich; weiter ist wahrscheinlich, daß diese Heldensagengestalt als die „alte Guörün" mit dem „unbeugsamen Sinn" aufgefaßt wurde, wie wir sie aus der AtlakviÖa und den Hamòismàl kennen. Das von diesem Guórún-Typus repräsentierte Loyalitätsideal besaß, wie die Erzählungen von Steinvör und l>uriör — und zahlreiche andere — beweisen durchaus Aktualität. Die Träume konzentrieren sich auf Begebnisse — den Mordbrand von Flugumyri und den Kampf an der Pverá — bei denen die Loyalitätspflicht und Racheverpflichtung eine entscheidende Rolle spielten. Die zeitgenössischen Ereignisse haben indessen auch gezeigt, wie problematisch und schicksalsträchtig es sein konnte, seiner Freunde Freund zu sein und der Rächer seiner Verwandten, und dieses Problem ist eines der wichtigsten Themen in der Literatur des dreizehnten Jahrhunderts, in der das heroische Ideal hervorgehoben und zugleich auch kritisiert wird. Beides findet sich schon in der Zeitgeschichte: Steinvörs und Puriörs Haltung ist so heroisch wie Guöruns Aufreizung ihrer Söhne Hamöir und Sörli oder Brynhilds Reizrede gegenüber Gunnarr, aber es wird auch klar, daß diese Haltung negative und verwerfliche Konsequenzen nach sich zieht. In der Sturlunga saga ist der friedfertige Hálfdan, der die Hohnrede seiner Frau ignoriert, als ein besserer Mann als Eyjólfr, der sich zur Untat des Mordbrandes auf Flugumyri aufreizen läßt, geschildert. Die Problematisierung der heroischen Ethik tritt in den die ältere Geschichte Islands behandelnden Sagas deutlicher hervor, wofür die Gtsla saga nur ein Beispiel von vielen ist. Nicht um eine Absage an den Heroismus geht es, sondern um die Verdeutlichung von dessen tragischen Folgen auf einer Ebene, die dem gewöhnlichen Sterblichen näher liegt, als die Ebene der Heldendichtung es tut. Diese Diskussion wird jedoch auch innerhalb der Heldendichtung selbst geführt, und wenn man sich das dreizehnte Jahrhundert zum Ausgangspunkt nimmt und die Lieder über Guörün in der Älteren Edda sich ansieht, erscheinen sie nicht so sehr als Ausdruck unterschiedlicher Schichtungen in einer langen Uberlieferung, wie die Forschung das gegenseitige Verhältnis dieser Gedichte zueinander hat auffassen wollen, sondern eher als Ausdruck unterschiedlicher Standpunkte gegenüber der heroischen Ethik und gegenüber Guörün als ihrem markantesten Opfer. Der Kern der GuörunGestalt und die Hauptzüge der Handlung bleiben konstant, aber das eine Gedicht legt das Gewicht auf die bedingungslose Loyalität gegenüber den eigenen Verwandten, ein anderes mehr auf die tragischen und sentimental

Guörun Gjúkadóttir in Miöjumdalr

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beklagten Folgen dieser Loyalität. Am eindeutigsten tritt diese zwiegesichtige Einstellung in den HamÓismál zutage, die, wie Klaus von See gezeigt hat, als ein kritischer Diskussionsbeitrag über das heroische Ideal angesehen werden können.25 Hier wird Guöruns zerstörerischer Heroismus durch ihren Sohn Hamöir folgendermaßen kommentiert: svá scyldi hverr görum vería til aldrlaga sveröi sárbeito, at sér né striddit. (So sollte jeder den anderen zum Tode wehren mit wunderbeißendem Schwert, daß er sich (dadurch) nicht selbst Kummer bereitet. — Übersetzung von Klaus von See). Meine Bemerkungen galten nicht der Frage nach dem Ursprung und nach der Entwicklung der germanischen Heldendichtung, sondern sind der Versuch, mit Guörun Gjúkadóttir als Beispiel die Heldendichtung von einem Standpunkt aus zu betrachten, der sich zeitgenössisch zu machen sucht mit jener Epoche, die es der Mühe für wert befand, diese Dichtung aufzuschreiben und in Prosafassungen nachzuerzählen. Im Bewußtsein dieser Epoche war das Heldenzeitalter historische Wirklichkeit, und in seinen Personen mit ihren Handlungsweisen sah man Menschen und Ereignisse der eigenen Zeit abgespiegelt, wie dies in den Träumen der Jóreiór, in den Erzählungen von Steinvör und Puriör und — auf einer anderen historischen Szene — in Gislis Strophen geschieht. Zugleich fand das 13. Jahrhundert auch Anlaß, die heroische Ethik, von der die Ereignisse der eigenen Gegenwart in so hohem Maße geprägt waren, infragezustellen. So reflektiert die Literatur über diese Helden und ihre extremen Handlungsweisen und die Konsequenzen der sie tragenden Ethik. Man kann sagen, daß die Heldendichtung und die Sagas die historische Wirklichkeit in einen Mythos umwandeln, der einige der wesentlichsten Probleme der Zeit in sich aufzunehmen und zu erklären vermag. Hierfür war Guörun Gjúkadóttir ein geeigneter Anknüpfungspunkt, und deshalb — glaube ich — spielt sie in der nordischen Heldendichtung, die im 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, eine so große Rolle. So gesehen sind alle Gedichte über sie gleichzeitig. Das Interesse der Sturlungenzeit konzentriert sich nicht zum wenigsten auf die Widersprüche in den Erzählungen über diese Frauengestalt, die in der AtlakviÖa als die kompromißlose Schwester auftritt, die ihre eigenen Kinder für die Rache opfert, und die in der GuörunarkviÒa als unglückliche Witwe ihren Brüdern den Tod wünscht. Den Träumen der Jóreiór Hermundardóttir im Jahre 1255 nach zu urteilen ent25

Klaus von See, „GuömnarhvQt und Hamöismäl", in: Edda, Saga, Skaldendichtung. \ur skandinavischen Literatur des Mittelalters (Heidelberg, 1981), 250—8.

Aufsätze

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Preben Meulengracht Serensen

sprach in der Auffassung dieser Epoche, in der die nordische und Heldendichtung aufgeschrieben wurde, das erste Guörün-Bild der geschichtlichen Wirklichkeit des alten ,Heroic Age' am ehesten.

Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung V O N PIERGIUSEPPE S C A R D I G L I

0. Die indogermanische Dichtersprache war und ist heute noch Gegenstand der Forschung, obwohl die daraus erwachsenden Erträge zwangsläufig spärlich und bedenklich bleiben müssen. Wesentlich anders ist es um die germanische Heldendichtersprache bestellt. Hier sind die Voraussetzungen für bedeutende Ergebnisse gegeben. Machen wir uns daran, aus dem Themenkreis etwas aufzugreifen. 1. Stabreim, Komposita, Eigennamen, Formeln, nominaler Stil, Variation: dies sind die Maßstäbe, die in bezug auf die kulturelle und sprachliche Konvergenz der germanischen Heldendichtung vom 4. bis zum 6. Jh. mit Erfolg angewandt werden können. Der massive Gebrauch von Variationen und Komposita erschwert unsere Suche nach dem ursprünglichen, gemeinsamen Wortschatz der germanischen Heldendichtung. Das Verlangen der Dichter nach Synonyma brachte eine Kettenreaktion mit sich, woran die Komposita als Gipfel der poetischen Steigerung stark beteiligt waren. Wenn man den einfachen Begriff „alt" nimmt und davon ausgeht, daß die epische Sprache u. a. ein gemeinsames Wort gamall kannte (altisländisch: 14 Mal in der Edda vorkommend), so ergibt sich folgendes: Der nächste Dichter fand gamall zu abgedroschen und steigerte es zu gigamalod „alt" (altsächsisch: Heliand 72, 481; vgl. aber auch altisländisch gamlaÖr). Der übernächste Dichter wollte seine Vorgänger überbieten und erfand (das Kompositum) gamolferhd „alt" (altenglisch: Genesis 2867). Ebenso haben wir altisländisch fold, altenglisch folde, altsächsisch folda als Variationssynonym für das gemeine Wort „Erde" und ihre Sippe (gotisch airpa, altisländisch jqrÖ, altenglisch eorde, althochdeutsch erda, altsächsisch ertha). Im Altenglischen zeigt foldwang „Erde" (Christus 975, Gujalac 1300) die Folgen der Variation. Bei „arm" haben wir dieselbe Entwicklung: arm usw. ist der Ausgangspunkt; neben arm tauchten altisländisch armligr und altenglisch earmlic auf; die nächste Stufe ist, wiederum mit Hilfe der Komposition, altenglisch

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Piergiuseppe Scardigli

earmcearig (Wanderer 20, Seefahrer 14). Je nach Erfindungsgabe und Art des Wortes kam man dazu, alle Kombinationsmöglichkeiten zu erschöpfen. War der Hörer der gewöhnlichen Wörter, wie eldr „Feuer" (altisländisch, aber auch im Altenglischen und Altsächsischen vorhanden) und f j r „Feuer" (altenglisch, aber auch im Althochdeutschen, Altfriesischen, Altsächsischen und Altnordischen vertreten) müde, so bot ihm der Dichter eine neubelebende Zusammensetzung, altenglisch œledfyr (Phönix 366). Bei diesem Verhalten des epischen Dichters wird eher eine Entwicklungslinie als eine greifbare Wortreihe sichtbar. Und doch sind einige Dutzende von ziemlich sicheren gemeinsamen Wortbeständen bei aufmerksamer Sichtung der Synonyma, die um die Meyersche Liste der Hauptbegriffe in der germanischen Heldendichtung kreisen, wieder zu gewinnen. 2. 1889 stellte Richard M. Meyer diese Liste der „wichtigsten Worte der altgermanischen poetischen Sprache" zusammen. Zwar war seine Absicht nicht die, nach dem Grundbestand der poetischen Sprache während der Völkerwanderungszeit zu fragen. Er suchte vielmehr die Begriffe aus, die am häufigsten in der epischen Dichtung variiert werden, ohne sich dabei um eventuelle Restbestände einer gemeinsamen Dichtersprache zu kümmern. Dennoch ist es der Mühe wert, diese Liste von 160 Wörtern hier wiederzugeben. Natürlich wäre manches zu verbessern oder zu ergänzen, einiges aufeinander abzustimmen. Meyer erklärt übrigens (S. 145), er habe verschiedene Stichworte ausgelassen, „weil die Zahl ihrer Variationen in einer [sie] oder allen altgermanischen Dialekten zu gering war". Er führt als Auslassungen an: „Alter, Bitte, Flucht, Helm, Last, Panzer, Sieger, Tal, Torheit; bewohnen, binden, kosten, loben; beständig, falsch, trunken, veränderlich". Im großen und ganzen haben wir in dieser Liste jedoch einen wertvollen Anhaltspunkt. Wir zählen also auf, in alphabetischer Reihenfolge: 1. Adler, 2. alt, 3. anreizen, 4. antreffen, 5. aufziehen, 6. ausgezeichnet, 7. Aussehen, 8. Bank, 9. Baum, 10. begierig, 11. beginnen, 12. befreien, 13. bereit, 14. Berg, 15. berühmt, 16. besitzen, 17. besprechen, 18. bestimmen, 19. Bett, 20. Betrug, 21. betrügen, 22. bewachen, 23. Bier, 24. Blut, 25. blutig, 26. böse, 27. brechen (transitiv), 28. brechen (intransitiv), 29. Burg, 30. Busse, 31. büssen, 32. Drache, 33. Drohung, 34. dunkel, 35. Ehre, 36. elend, 37. Erde, 38. erfahren, 39. erfreuen, 40. ergreifen, 41. erlangen, 42. feig, 43. Feind, 44. feindlich, 45. Fessel, 46. Feuer, 47. Freude, 47. Freund, 49. freundlich, 50. Frevel ( = Schandtat), 51. fröhlich, 52. Fürst, 53. gebären, 54. gedeihen, 55. Gefahr, 56. Gefahrte, 57. Geist, 58. Geschlecht, 59. glänzen, 60. glänzend, 61. Glück, 62. glücklich, 63. Gott/Götter, 64. Gut, 65. Haus, 66. Held, 67. helfen, 68. Herz, 69. Hilfe, 70. Himmel, 71. hindern, 72. Hindernis, 73. hören, 74. Hügel, 75. immer, 76. Kampf, 77. kämpfen, 78. klagen, 79. klug, 80. Kraft, 81. Leben, 82. Liebe, 83. lieben, 84. Lohn, 85. Los, 86. Macht, 87. mächtig, 88. Mahl, 89. Mann, 90. Meer, 91. Menge, 92. Menschen, 93. Mord, 94. Nacht, 95. nie, 96. passend, 97. Riese, 98. Ross, 99. ruhen, 100. Schar, 101. Schatz, 102. Schicksal, 103. Schiff, 104. Schild, 105. schlagen, 106. Schmähung, 107. Schmerz, 108. schmücken, 109. schnell, 110. schön, 111. schrecklich, 112. Schwert, 113. schwingen, 114. sehen, 115. siegen, 116. Sohn, 117.

Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung

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Sonne, 118. Sorge, 119. Speer, 120. Speise, 121. sprechen, 122. stark, 123. sterben, 124. strafen, 125. Strom, 126. tapfer, 127. Teppich, 128. töricht, 129. Tür, 130. Tisch, 131. Tod, 132. tot, 133. töten, 134. traurig, 135. tüchtig, 136. umarmen, 137. Unheil, 138. Unrecht, 139. Unterhaltung, 140. Untreue, 141. Urzeit, 142. vernichten, 143. Verwandter, 144. verwunden, 145. Volk, 146. völlig, 147. vorsichtig, 148. Vorzeichen, 149. Weg, 150. Weib, 151. Welle, 152. Weltende, 153. wild, 154. Wind, 155. Wolf, 156. Wort, 157. Wunde, 158. wünschen, 159. Zeit, 160. ziemen.

3. Es erhebt sich offensichtlich die Frage, ob diese Grundbegriffe sich dazu eignen, jeden beliebigen heldischen Stoff, mit der unerläßlichen Ergänzung der Eigennamen, darzustellen. Man kann mit der Iring-Sage einen Test versuchen. Von diesem „Heldenlied" ist uns in Wirklichkeit nur eine Prosafassung am Anfang der Sachsengeschichte des Widukind von Corvey (10. Jh.) erhalten. Allem Anschein nach haben wir es mit der prosalateinischen Umformung eines Kurzliedes zu tun. Als Richttext nehmen wir die Zusammenfassung der Sage von Heiko Uecker: „Der Thüringerkönig Irminfried ist mit Amalaberga, der Tochter des fränkischen Königs Hugo ( = Chlodwig) verheiratet. Sein getreuester Gefolgsmann ist Iring. Theuderich, der Kebssohn Chlodwigs, bemüht sich nach dem Tod seines Vaters um die Freundschaft der Thüringer, wird jedoch von Irminfried, der von Amalaberga dazu getrieben wird, wegen seiner Herkunft geschmäht. Theuderich bewegt Iring durch Geld dazu, seinen Herrn zu töten, was dieser vor den Augen des Frankenkönigs tut. Von Theuderich wegen dieser Schandtat verachtet, tötet Iring nun auch diesen und rächt so seinen Herrn, dessen Leiche er auf die Theuderichs legt. Mit einem Schwert bahnt er sich den Weg hinaus" (S. 131 f.).

Im Vordergrund stehen: Thüringer (Eigenname = E), König (52), Irminfried (E), Amalaberga (E), Tochter (116), Franken (E), Hugo (E), heiraten (58), treu (140), Gefolgsmann (56), Held (66), Iring (E), tapfer (126), Theuderich (E), Kebssohn (116), Unrecht (138), Tod (131), Vater (143), Freund (48), anreizen (3), Schmähung (106), Gold (101), Fürst (52), töten (133), Frevel (50), Rache (124), Körper/Leiche (81), Schwert (112). Diese Aufzählung ist etwas ungenau, die Vergleichsliste, wie gesagt, lückenhaft. Es wäre allerdings von vornherein utopisch, absolute Präzision erzielen zu wollen. Das begriffliche Gerüst des Heldenliedes ist jedoch somit, bei aller Unvollständigkeit der Meyerschen Liste, befriedigend umrissen. Im Zusammenhang mit Stabreim und Variation könnte man theoretisch erwarten, daß ein Sänger ein Wort für jeden möglichen Anlaut brauchte. In Wirklichkeit haben wir zum Teil unvergleichlich stattlichere Sammlungen von Synonyma, vor allem für „Fürst" (146 gezählt), „Kampf (103), „tapfer" (78), „Schatz" (76), „klug" (64), „Held" (57), die weit über dieses praktische Ziel hinausgehen. 4. Eine Art „Variationslehre" liefert uns ein Lied der eddischen Sammlung, die Alvíssmál. Es hat folgenden Inhalt: Alviss, „der Allwissende", ist ein Zwerg, der Ansprüche auf die Tochter des Gottes Thorr stellt. Thorr will

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die Heirat unbedingt verhindern und verspricht dem Zwerg Alviss, seine Zusage zu erteilen, wenn er in der Lage sei, eine Reihe von Fragen zu beantworten. Alviss ist einverstanden und beantwortet tadellos die dreizehn Fragen, vergißt darüber aber, daß die Nacht inzwischen zu Ende geht und wird, vom Sonnenaufgang überrascht, in einen Stein verwandelt. Alle Fragen bestehen darin, diejenigen Wörter zu ermitteln, mit denen gewisse Wesen bestimmte Begriffe bezeichnen. „Erde", „Himmel", „Mond", „Sonne", „Wolken", „Wind", „Windstille", „Meer", „Feuer", „Wald", „Nacht", „Getreide", „Bier" werden aufgegriffen. Wie man sieht, hat trotz der von Meyer aufgeführten Termini kein einziger der erwähnten Begriffe direkt mit der epischen Sprache zu tun. Es geht hier vielmehr um die bekannten, kosmisch-mythischen Interessen der eddischen Weisheitsdichtung, die in der magisch-sakralen Sprache wurzelt. Wichtig ist trotzdem die Sortierung der Sprachebenen, insbesondere einer „Göttersprache", die anders als die „Menschensprache" sein soll. Denn der Mensch gebraucht Wörter des Alltags, die die geläufigsten und grammatikalisch einfachsten sind. Der Wortschatz, der hingegen Göttern, Riesen, Elfen, Zwergen usw. zugeschrieben wird, ist in der Alltagssprache nicht anzutreffen, jedenfalls nicht in derselben Funktion. Man kann ihn allgemein als eine Stufe, oder besser, als ein Stockwerk höher bewerten. Hierbei ist einiges zu unterscheiden und zwar nach den Maßstäben „archaisch"/„poetisch". Poetische Umschreibungen stellen uns vor Erweiterungen und Einschränkungen der Anfangsbedeutung. Der Dichter der Alvíssmál setzt sich mit dem Problem der poetischen Sprache, vielmehr der poetischen Sprachen, auseinander. Wenn in Str. 16 die Elfen die Sonne „schönes Rad" nennen, so haben wir eine Art Kenning, die uns in eine gehobenere Sphäre, nämlich die der poetischen Sprache führt. 5. Der Heldendichtung wäre wahrlich der Boden entzogen, wenn sämtliche Eigennamen, in erster Linie die Völker- und Personennamen, wegfielen. ibu du mi enan sages ik mi de odre uuet, cbind, in chunincriche, cbud ist mir al irmindeot „wenn du mir den einen nennst weiß ich über die andern Bescheid Junge, im Königreich bekannt ist mir jede Abstammung", sagt mit Selbstverständlichkeit Hildebrand im Hildebrandlied 12 — 13. Den besten Beweis dieser erstaunlichen Information erbringt der Wldsl^: von etwa 443 Wörtern insgesamt machen die Eigennamen Î55;' álso über ein Drittel aus. Die drei sogenannten pulur, „Aufzählungen", die eine Art Zitate im Gedicht darstellen, bestehen praktisch nur aus Eigennamen. Solche Teile enthalten ein Minimum an linguistischen Bindemitteln, wie mid „bei", ond „und"; manchmal, wie Z. 29—33, gibt es nur Eigennamen, das Verb

Zur sprachhistorischen Bewertung der germanischen Heldendichtung

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(„herrschte") ist zu ergänzen. Erstaunlich oft begegnen uns Eigennamen, die wir aus anderen Quellen gar nicht oder nur dürftig kennen. So z. B. Wids$ 80: mid Lidingum ic was

ond mid Eeonum ond mid Longbeardum

wobei uns die Langobarden gut bekannt, die Lidingen und die Leonen kaum ein Begriff sind. Ähnlich Z. 63: mid Hronum ic was

ond mid Deatium ond mid Heaporeamum,

worin die Dänen zusammen mit obskuren Hronen und HeaJjoreamen erscheinen. Wir glauben, über die Geschichte der Langobarden gut informiert zu sein. Doch sind wir den langobardischen Königsnamen (?) Elsa Z. 117 und Sceafa Z. 32 gegenüber hilflos. Elsa wird zwischen Eadwine und Mgelmund, d.h. Audoin (etwa 546—565, vgl. auch Z. 74) und Agilmund, den ersten legendären König der Langobarden geschoben (vgl. Origo gentis Langobardorum und Paulus Diaconus, Historia Langobardorum I 15). So wie die Dinge liegen, sind wir gezwungen anzunehmen, daß es nicht Absicht der Dichter gewesen sein kann, bekannte, wenig bekannte und nicht existierende Menschen gemischt aneinanderzureihen. Es muß an uns liegen, wenn wir Menschen und Völker historisch nicht erfassen können. Man sollte im Gegenteil meinen, daß die Hörer im Bilde waren und sich freuten, auch nur die bloßen Namen ihrer Helden aufgezählt zu vernehmen. Sie wußten ganz genau, wer Z. 115: Seccairi) [. . .] ond Becca(n),

Seafola(n) ond Peodric

waren; wir wissen es nicht. Diese Listen waren jahrzehnte- und jahrhundertelang der mündlichen Überlieferung anvertraut, nahmen unterwegs Ergänzungen aus späteren Zeiten auf und kamen Repertoiren und Lehrbüchern gleich. Wieviel germanische Heldendichtung in nackten Eigennamen enthalten sein kann, beleuchtet eine Zeile des Wldsljs, Z. 58: \ic was] mid Sweom ond mid Geatum ond mid Supdenum, „[ich war] bei den Schweden, den Gauten und den Süddänen". Es ist offensichtlich eine Anspielung auf den Inhalt des Beowulf, der von Dänen handelt, die auch Ingwine oder Scyldingas genannt werden (vgl. 6.1); die Hauptrolle spielt König Hröögär, welcher über 40 Mal erwähnt ist. Ferner kommen Schweden vor, auch Scilfingas genannt, mit dem bedeutenden König Ongenpeow (Wïdsïj? 31: Ongendpeow!), der achtmal erwähnt ist. Der Held Beowulf selbst gehört dem Stamm der Gauten (Gëatas) an, die auch Wederas und Hréòlingas genannt werden und deren König Hygeläc, welcher über 30 Mal erwähnt ist, die zweitgrößte Gestalt im Beowulf darstellt. Alle diese führenden Helden gehören in den Anfang des 6. Jh.

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Schon aus den Völkernamen im Wïdsïfj, Ζ. 58 ersehen wir die Verbreitung der Kenntnisse der Beowulf-Sage unter germanischen Stämmen. In Zeile 45 des WïdsîJj wird nicht nur der zentrale Hröögär, sondern auch Hröpwulf (im Beowulf Ζ. 1017 und 1181 Hrööulf genannt, also aus einer selbständigen Quelle), Sohn des jüngeren Bruders HroÒgars, Haiga, erwähnt. Wiederum ist dieser Held (und sein Untergang) als Hrólfr kraki (kraki - „lange Latte"), der berühmteste König aus dem Geschlecht der Skjöldungen, (= Scyldingas), dem ältesten dänischen Königshaus, der nordischen Sage bestens bekannt. Im WïdsïJj Ζ. 49 werden femer Heorot, eigentlich ,Hirsch', die Halle des Königs Hröögär und die Heapobearden mit ihrem Führer Ingeld angeführt, die uns ebenso aus dem Beowulf vertraut sind. 6. Im Vergleich zu der üppigen Zahl an Stammes- und Personennamen ist der Anteil an geographischen Namen gering. Das mag ζ. T. damit zusammenhängen, daß die Völkerwanderungszeit eben durch das ständige Wechseln der Wohnsitze für die meisten Stämme und durch das Fehlen einer städtischen Kultur im römischen Sinne gekennzeichnet ist. Zusammensetzungen mit -burg, -land, -rice, Flußnamen wie Fifeldor, die Eider (?), Wîds$ Ζ. 43, oder Wistla, die Weichsel, Wïdsl^ 121; Ventilseo, „Wandalenmeer" (?? — kommt auch in Merigarto vor), Hildebrandlied 43, kommen relativ selten vor, so als wollten die Germanen der Völkerwanderungszeit viel von den Taten und wenig von den Schauplätzen wissen. Eine einzige Ortsangabe — wenn man sie so auffassen will — befindet sich in den 48 Zeilen des Finnsburg-Fragments, eben Finnsburuh Z. 36. Wenn man aber bedenkt, daß die Sage vom Friesenkönig Fin(n) handelt, der siebenmal im Beowulf erwähnt ist, so gewinnt man aus dieser Ortsangabe kaum eine wirkliche Lokalisation: Die Finnsburg ist die Burg, wo Finn lebt und kämpft. Es ist eher der Stammesname Fresan, Frjsan „Friesen", der im Beowulf im Zusammenhang mit Finn erwähnt wird und uns nebenbei eine geographische Orientierung gibt. 6.1. Mit den Ortsnamen befinden wir uns eine Stufe tiefer im Vergleich zu den Personen- und Völkernamen, für die, um eine Variation zu erzielen, die Umschreibung erfunden und die Beschreibung etwas zurückgestellt worden ist. Die Dänen sind Höcingas „Nachkommen des Hoc". Nicht umsonst Hnaf, Sohn des Hoc (Finnsburg 40), in WïdsI|D 29 ,,[mold\ Höcingum", „herrschte über die Höcingas"'. Im Beowulf werden die Dänen oft Scyldingas, „Nachkommen des Scyld" (vgl. auch 5) genannt. Bei den Ortsnamen wird über die Beschreibung nicht hinausgegangen, eventuell mit einem Personennamen als erstes Glied. Wäre der Hauptheld des Gedichtes um Finn sein Vater Folcwalda gewesen, so wäre die Burg ohne weiteres nach ihm benannt. Ein beschreibender Ortsname war für den Zuhörer das „Rabenholz", ein berühmter Wald, 510 Schauplatz der Schlacht zwischen Gauten und Schwe-

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den. Als Beweis dient Beowulf Ζ. 2925, wo der Wald Hrefnawudu, englisch Ravenswood, genannt ist; zehn Zeilen weiter wird er Hrefnesholt genannt. Dies gibt berechtigten Anlaß zur Vermutung, der Wald sei erst nach der Schlacht so getauft worden. Bekanntlich ist der Rabe der Vogel der blutigen Walstätten. Dem epischen Sänger kam es nicht auf eine Lokalisation, sondern auf eine zweckmäßige, Grauen erregende Charakterisierung der Stätte an. 6.2. Etwas überraschend wirkt das Nebeneinander von epischen Prunkkomposita, die aus zwei Elementen bestehen, von „Kampf" und durch ihn errungenen „Ruhm" erzählen, immer wieder heldische Begriffe präsentieren, und von bescheidenen, teilweise wie aus der Kindersprache entnommenen, eingliedrigen Rufnamen. Beispielhaft ist der historische Name Attila (Regierungszeit 433—453). Mit Mtla im Altenglischen, At Ii im Altisländischen, Ett^el im Mittelhochdeutschen ist stets dieselbe Person gemeint: der Hunnenkönig. Sein Name tanzt insofern aus der Reihe, als seine nächsten Verwandten, wie sein Vater Mundtuch, stammeseigene Bildungen der Rufnamen aufweisen, Attila hingegen eine vom Standpunkt der gotischen Sprache her durchsichtige Benennung, „Väterchen", eine Verkleinerungsform auf -ila von gotisch atta, ein gängiges Wort für „Vater" ist. Attila war ein um Gunst werbender Spitzname; seine Gestalt erweckte Ehrfurcht und Scheu, und seine Haltung war alles andere als die eines biederen Familienvaters (vgl. die Schilderung des Priscus). Die Völkerwanderungszeit liebte die Gegensätze: ein ebenso bebedeutender Westgotenfürst, Fritigernus, der große Besieger Ost-Roms — Schlacht von Adrianopel 378, in der Kaiser Valens umkam — dürfte in die Heldensage als Fridla, vgl. WïdsïJ) 113, eingegangen sein. Wiederum ein Kosenamen, von dem man meinen würde, er hätte vor allem im trauten Familienbereich Geltung gehabt. O f f a , König (?) der Angeln, die sich noch auf dem Kontinent befanden, war ebenfalls ein großer Held, doch ist in diesem Fall die Theorie der Gegensätze weniger maßgebend als seine persönliche Entwicklung. Laut Saxo Grammaticus und Svend Âgeson war U f f o , der Sohn des Dänenkönigs Wermund, bis zu seinem 30. Lebensjahr stumm gewesen. Von seiner Umwelt erhält ein minderwertiger Mann einen minderwertigen Namen. Doch wußten die Sänger und ihre Zuhörer, daß sich aus diesem sogenannten „Aschenlieger" später ein großer Held entpuppte. Bikki heißt der ränkevolle Ratgeber der Jçrmuttrekr (Ermanarich), der den Untergang des Randvér und der Svanbildr veranlaßt. Dies erfahren wir unter anderem aus der Prosa nach den eddischen Atlamál und aus Saxo Grammaticus (8, 10). Für ihn ist übrigens Bicco kein Germane, sondern ein Slave. Hrpr, fonakrs Sohn, in HamÒismàl 14, sowie HlçÔr in HlçôskviÔa 14 werden ausdrücklich hornungr „Bastard" genannt. Es handelt sich möglicherweise um übernommene (hunnische?), teils adaptierte Namen, die doch eine

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nützliche Mitteilung über den besonderen Status der betreffenden Personen enthalten (bezeichnend Glossarium mediae latinitatis Catal. s. v. bastardus, Sp. 244: „Ego Suniarius comes, cum filios meos Raimundo et Guillelmo et Ato bastardo [. . .]". Die Namen Finn, Hnœf (sein Schwager), Hoc („Tierjunge"? sein Schwiegervater) und Eaha („Pferd"?) in dem Finnsburg-Lied scheinen wiederum auf die epische Bearbeitung einer mythologischen Handlung zurückzuführen zu sein, so wie dies auch von den //^'-Liedern vermutet worden ist. Nicht zu vergessen ist der bäuerliche Hintergrund, der auch während der großen Wanderungen nicht ganz verloren ging. Ein nie abgerissener Faden verbindet oben erwähnte Namen mit Furtius, einem abgesetzten König der Quaden (2. Jh. v. Chr.), dessen Nachfolger feierlich Ariogaisus heißt (Dio Cassius 72,13,3). Übrigens waren die Quaden die „Mistigen" (vgl. deutsch Kot, holländisch kwaad „böse"), falls diese an sich einleuchtende Etymologie richtig ist: Auch dieser Name spricht für eine Verbindung zur Welt der Bauern. Die eingliedrigen Rufnamen verlangen allerdings von Fall zu Fall verschiedene Erklärungen und sind entsprechend auf verschiedene Typologien zurückzuführen. Ihr Verhältnis zu den zweigliedrigen Rufnamen ist das eines kontrastreichen Zusammenspiels. Soviel zur Charakterisierung der epischen und der sich mit den epischen vermischenden, bescheideneren Eigennamen. Man bedenke, daß dieses Namengut sich im Abendland weitgehend durchsetzte und sich heute noch großer Beliebtheit erfreut. 7. Einige wenige Worte zur Syntax der germanischen Heldendichtung. Die Sätze werden, wie es der mündlichen Uberlieferung eigen ist, überwiegend aneinander gereiht (Parataxe). Man kann sich annähernd vorstellen, daß jede Langzeile einem sinnvollen Satz entsprach. Wie zu erwarten war, hat der Drang zur Variation bewirkt, den zu engen Rahmen dieser simplen Satzfolge zu sprengen. Als stilistisches Mittel ist natürlich der jeweilige Wechsel von direkter Rede und erzählenden Teilen wichtig. Durch Schwächung oder Stärkung des Satzumfanges, durch Vermehrung oder Weglassen der Variation konnte der Dichter Wirkungsvolles erzielen. Der angeborene Sinn für Balance erlaubt es oft, die Freiheit des metrischen Gefüges zur Steigerung der stilistischen Effekte zu verwenden. So erhält der Satz Heuslers, daß der antike Dichter zählt, während der germanische wägt, volle Gültigkeit. 8. Diese poetische Erfahrung über die Stammesgrenzen hinweg, die Spitzenleistungen anstrebte (vgl. das Thema des Wettstreites im Deor), hat sicher viel zur reifenden Entwicklung der germanischen gentes in der Völkerwanderungszeit beigetragen. Es bot sich die letzte Gelegenheit, längst nach der

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Schaffung politischer Unabhängigkeit, freiwillig ein kulturelles Gemeinwesen anzuerkennen. Vor allem als Träger und Verbreiter der „Geschichte" war der epische Sänger jedem Germanen eine Lebensnotwendigkeit, ein fundamentales Merkmal der Zivilisation. Mit der Bekehrung zum Christentum begann unter den germanischen Stämmen ein großer Kultur- und Strukturwandel. Es entstand ein Gegensatz zwischen den wenigen, wohlsituierten Anhängern der schriftlich-lateinischen Erziehung, vor allem Mönchen und Priestern in enger Verbindung mit den Königshöfen auf der einen Seite, und den vielen Anhängern der mündlichgermanischen Tradition auf der anderen, also der Masse, unter der sich hin und wieder doch auch, bisweilen mit geteilten Gefühlen, Mönche, Priester und Könige befanden. Damals dürfte es niemandem entgangen sein, daß die völlige Romanisierung in England und in Deutschland — so wie im ursprünglich keltischen Gallien — der Preis der Bekehrung hätte sein können. In den Gegenden, in denen bereits eine Art von Nationalgefühl vorhanden war, war man von Anfang an bemüht, dem Geist und nicht dem Buchstaben der christlichen Lehre zu folgen. Dafür wurden die Westgoten Wulfilas bahnbrechend und wegweisend. Bereits Ende des 4. Jhs., also gleichlaufend mit der Entwicklung der Heldendichtung, war eine christliche Bibelsprache entstanden, die bewußt oder unbewußt, direkt oder indirekt, einen starken Einfluß auf die einzelnen analogen späteren Initiativen im germanischen Sprachbereich ausübte. Umgekehrt besteht kein Zweifel daran, daß Wulfilas Schule die schriftlich-literarische Tradition der Goten und darüber hinaus der Germanen so formvollendet und trefflich eröffnen konnte, weil sie gewissermaßen die christliche Botschaft und die antike Rhetorik mit der heidnischen Epik zu verbinden wußte. Man denke nur daran, wie sich die Alliteration und die Variation im wulfilanischen Text'niedergeschlagen haben. 8.1. Noch sichtbarer ist die ununterbrochene Linie vom Heldenlied zur Messiade und zur christlich-religiösen Dichtung im allgemeinen unter den Sachsen. Das Mitwirken der Sachsen am Fortbestehen der heidnischen Heldendichtung kennen wir nur andeutungsweise und indirekt. Doch abgesehen vom Themawechsel, ist die christliche Dichtung des Heliand und der Genesis ohne die Heldendichtung nicht vorstellbar. Die Bibelepik ist nicht nur die unmittelbare Fortsetzung der alten Tradition, sondern sie weist auch ein Niveau auf, das sie ohne jenes Rückgrat niemals hätte erreichen können. Genau betrachtet, erweist sich die altsächsische Bibeldichtung sogar als eine Fundgrube für die Rekonstruktion der epischen Sprache. Zusammensetzungen wie erbi-ward „Erbe", „Nachkomme", „Sohn", das siebenmal im Heliand und einmal in der Genesis vorkommt, liefern einen wesentlichen Anhaltspunkt zur Wiedergewinnung der gemeinsamen Aus-

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drucksmittel; man vergleiche dazu altisländisch erfi-vqrÖr (auch arfvqrÔr), altenglisch jrfe-mard, althochdeutsch Erbi-ivart (Eigenname), mittelhochdeutsch erb{eri)-wart·, dasselbe gilt für erö-buandi „Erdbewohner", zu vergleichen mit altisländisch jarÖ-bjggjandi, altenglisch eord-büend\ oder hard-möd „kühn", „mutig", „tapfer", zu vergleichen mit altisländisch harö-modugr, altenglisch heard-möd, althochdeutsch hart-muat-, oder sumarlang „lang wie der Sommer", zu vergleichen mit altisländisch sumar-langr, altenglisch sumor-lang mittelhochdeutsch sumerlanc, usw. 8.2. Sowohl die Blüte einer völlig isolierten christlichen Dichtung im altsächsischen Sprachraum, als auch der Umfang der religiösen Dichtung, sowie die Übernahme der Heldendichtung zu christlichen Zwecken bei den Angelsachsen sind mit der Anknüpfung an die epische Tradition zu erklären. Umgekehrt versteht man damit das Fehlen einer nennenswerten Prosaliteratur und die zögernden ersten Versuche, diesen Mangel zu überwinden. Wer im 7. und im 8. Jh. in England Prosawerke verfaßte, schrieb Latein. Abgesehen von spärlichen, größtenteils verlorengegangenen Texten, entdeckte Alfred der Große (849 — 899) als erster die politische Relevanz einer nationalen, mit der lateinischen konkurrierenden Prosa und förderte Musterübersetzungen von christlichem und historischem Interesse, ja z. T. führte er sie persönlich aus: das galt lateinischen Werken wie denen Gregors des Großen, Bedas, des Orosius und Boetius. Alfred war diesbezüglich Bahnbrecher, und dies ist bei aller Bewunderung für seine außergewöhnlichen Verdienste deutlich zu spüren. Mit seiner Initiative war der herkömmlichen Art, aus der Lebenserfahrung direkt zu dichten, ein Ende gesetzt; diese Art wird in ihrer vielseitigen, traditionellen Funktion von Tacitus (Germ. 2) summarisch mit den Worten „quod unum apud illos memoriae et annalium genus" wiedergegeben „(in alten Liedern), der einzigen Art ihrer geschichtlichen Überlieferung" (Fuhrmann). 8.3. Nicht viel anders liegen die Dinge in dem zunehmend von Franken dominierten deutschen Gebiet. In seiner Zuschrift an Liutbert, den Erzbischof von Mainz, bemerkt Otfrid (etwa 800 — 870) über seine zeitgenössische deutsche Sprache: „lingua [. . .] haec velut agrestis habetur, dum a propriis nec scriptura nec arte aliqua ullis est temporibus expolita: quippe qui nec historias suorum antecessorum, ut multae gentes ceterae, commendant memoriae, nec eorum gesta vel vitam ornant dignitatis amore", d.h. „diese Sprache wird für roh gehalten, weil sie nie von den Sprechenden, weder schriftlich noch sonst in irgendeiner Weise, gepflegt worden ist: kein Wunder, denn weder halten sie, wie viele andere Stämme [wer ist gemeint?] tun, die Heldentaten ihrer Vorfahren für erinnerungswürdig, noch ehren sie ihre Handlungen oder ihr Leben, wie es angebracht wäre". Man hat den Eindruck, Otfrid stehe vor einer Leere oder einer Lücke: Der Abbruch mit der poetisch-fruchtbaren

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Vergangenheit ist bereits vollzogen, der Weg zur neuen literarischen Tradition noch nicht angebahnt. So entfaltete sich die althochdeutsche Prosa als eine Nachbildung der lateinischen: Althochdeutsche Prosawerke sind fast ausschließlich Übersetzungen lateinischer Originale. Mühsam und durch eine intensive Glossierung angeleitet, d. h. von deutschen Erklärungen zu einzelnen lateinischen Wörtern, entstehen die ersten Übersetzungen und nur langsam folgen die ersten selbständigen Prosawerke, die im vielseitigen Opus des Sankt Galler Mönches Notker Teutonicus (950—1022) ihren Höhepunkt erreichen. 8.4. Nur in Skandinavien konnte sich das Dichten und Erzählen nach altem, mündlichem Brauch bis ins hohe Mittelalter behaupten. In der Snorra Edda 26 (13. Jh.) wird berichtet, daß der Gott(-Dichter) Bragi besonders máisnilld „redegewandt" und oröfimi „Wortmeister" sei und am meisten von Dichtung verstehe. Wortmeisterschaft und Poesie gehen Hand in Hand und gehören eigentlich eher der göttlichen als der menschlichen Sphäre an. Bragi ist aber auch allgemein speki „weise", „reich an Kenntnissen", verkörpert also die hervorragende Beherrschung aller Werte, die mit dem gesprochenen Wort verbunden sind. Nach Bragi werden Männer und Frauen genannt, die hohe Wortfertigkeit (orÖsnilld, eine Kontamination von máisnilld und oròfimt) erlangen. Auf dieser Ebene scheinen alle Gattungen der gebundenen und ungebundenen Rede unter dem Aspekt des Könnens, der Kunst, vereinigt zu werden, von der geheimnisvollsten (rúna = „Geheimnis") und wortkargsten Runeninschrift bis zur geschraubtesten Skaldenstrophe und der einfachen und zweckmäßigen Prosa der Sagas. Nur in Skandinavien dürfte das gesprochene Wort ohne wesentliche Irrwege geschriebenes Wort geworden sein. 9. Am Anfang der jeweiligen schriftlichen Überlieferung der germanischen Stämme, unmittelbar, eventuell auch einige Zeit nach der Bekehrung, ist aber auch eine harte Verurteilung der epischen Dichtung anzutreffen, als einer mit dem Christentum nicht zu vereinbarenden Kunst. Besonders bekannt ist in England das Zeugnis des Alkuin (etwa 730 — 804) in einem Brief an Hygbald, den Bischof von Lindisfarne (MGH, Ep. IV, 81). In der Gegenüberstellung von Praktiken, die zu empfehlen bzw. zu vermeiden sind, befinden sich die „sermones patrum", die „Predigten der Kirchenväter" auf der einen und die „carmina gentilium", die „heidnischen Lieder" auf der anderen Seite. Es folgt der Satz: „quid Hinieldus cum Christo?", „was hat Ingeld mit Christus zu tun?". Die Erwähnung eines Helden, des Königs der Headubarden, Ingeld, der in Beowulf 2064 und in WIdsIJ) 48 vorkommt (Ingellus bei Saxo Grammaticus und Ingjald bei den Isländern), erlaubt die Einordnung dieser „carmina" in die epische Tradition. Thegan, Chorbischof von Trier, schreibt 837/8 das Leben Kaiser Ludwigs des Frommen (MGH SS II, 590-603). In Gesta Hludovici II 19 erzählt er:

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„poetica carmina gentilia, quae in iuventute didicerat, respuit, nec legere nec audire nec docere voluit", „die heidnischen Lieder, die er in seiner Jugend kennengelernt hatte, lehnte er ab; er wollte sie weder lesen, noch hören, noch jemandem beibringen". Dies soll als Beweis seiner Anpassung an die Wünsche der Kirche dienen. Auch hier ist ein großer Gegner der „carmina gentilia" am Werk. Nur aus dem Brief Alkuins kann man die Anspielung auf den mündlichen Vortrag der Sänger mit Sicherheit entnehmen. Aus den Worten des Thegan geht deutlich hervor, daß die „heidnischen Lieder", die, so wie die Edda, in einer erstarrten Form zu Pergament gekommen sind, nur noch für das Lesen oder das Vorlesen bestimmt waren. Dies bestätigt auch der Passus von Einhard (etwa 770—840), aus der Vita Caroli Magni 29, wo es heißt: „item barbara et antiquissima carmina, quibus veterum regum actus et bella canebantur, scripsit memoriaeque mandavit", d. h. „ebenso ließ er alte volkstümliche Lieder, in denen die Taten und Kriege früherer Könige besungen wurden, aufzeichnen und lernte sie auswendig". Heusler meint: „das Erlöschen des alten Hofsängertums setzt man für Deutschland ins 8 . - 9 . Jh. und erklärt es aus dem Verfall der kleinen Fürstenhöfe, der Feindschaft der Geistlichkeit und dem Wettbewerb der Mimi. Wie sich der Übergang vollzog, wie die alten Stoffe an die Spielleute gelangten, wird durch keine Denkmäler aufgehellt". Wenn niemand mehr in der Lage war, die Heldenlieder vorzutragen, wie kommt es dann, daß Ende des 12./Anfang des 13. Jhs. das Nibelungenlied der Nachwelt gesichert wird? Die vielen mittelhochdeutschen episch-ritterlichen Lieder, die in der Völkerwanderungszeit ihre Wurzeln haben, beweisen, daß, bei aller Geschmacks-, Stil- und Sprachänderung, die Erinnerung und die Beliebtheit bestimmter Ereignisse zäh fortlebte: Attilas Tod, Untergang der Burgunden, Theoderichs kriegerische Unternehmen sind nicht vergessen. Gelegentlich wurden die Erzählstoffe außerhalb der Dichtung, d. h. in Form von Sagen tradiert. Ihnen wurde anscheinend nach wie vor großes Interesse entgegengebracht. Um 1100 zeigen die Quedlinburger Annalen 215 ziemlich genaue Kenntnis der Dietrich- und Ermenrichsagen (MGH SS 111,31). Darin ist eine spätere Interpolation zu lesen: „et iste fuit Thideric de Berne, de quo cantabant rustici olim", „. . . Theoderich von Verona, von dem früher die Bauern sangen". Nach dem Ende der Heldenzeit kehrt anscheinend die Kontinuität der Tradition zurück zu den Bauern. Liudger (etwa 742 — 809), Friese und Missionar bei den Friesen und Sachsen, trifft auf dem Landgut einer vornehmen ostfriesischen Frau den blinden Bernlef, der bei den Bauern sehr beliebt ist und „antiquorum actus regumque certamina bene noverai psallendo promere" (Vita Liudgeri in MGH SS II, 412), d.h. „er konnte die Taten der Alten und die Kämpfe der Könige gut auf der Harfe hervorbringen". Es muß offen bleiben, ob sein

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Vortrag, v o n der Begleitung durch ein Musikinstrument abgesehen, in gebundener oder ungebundener Rede, also in Versen oder in Prosa, stattfand. 10. Bewegt, ereignisreich und schicksalhaft ist die Völkerwanderungszeit f ü r die Germanen, v o n den Extremen der Eroberung und des Untergangs gekennzeichnet. Diese Epoche fand ihren A u s d r u c k in K r a f t und sachlicher Konzentration, in höchster Spannung, mit starkem A k z e n t auf den Fakten, doch ohne die formelle Seite zu vernachlässigen. Das Modell, das ü b e r w o g und nach dem man sich richtete, w a r eine der Kriegermentalität angepaßte Sprache, die sich v o n den einfachen F o r m e n der seßhaften Bauern und somit v o n dem Alltag entschieden abhob. Sie w a r keine an Lautmalereien reiche Umgangssprache, sondern feierlich in der W o r t w a h l , in der die Grundhaltung zu erkennen ist, die der geschichtlichen Tragweite der Ereignisse Rechnung trägt.

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Heroische Maximen, homiletische Lehren und gelehrte Reminiszenzen in einigen Stücken christlicher Heldenepik, besonders in England* VON U T E S C H W A B

Alcuins Wort „Quid Hinieldus cum Christo" ist so viel zitiert worden, daß man sich unbehaglich vorkommt, wenn man es anführt. Und doch muß diese Frage am Anfang unserer Bemerkungen zu Ausschnitten aus dem Gebiet der ags. Dichtung stehen, worin einige Möglichkeiten der christlich-gelehrten Färbung ,heldischer Züge' gezeigt werden sollen. Diese Beispiele sind (u. a.) die Handlungsweise der beiden ,Heroen' im ,Dream of the Rood', dann die homiletische Rhetorik der weiblichen Heldin und des männlichen Protagonisten im ags. Waldere — und eine Kampfszene des Beowulf. Bemerkungen über das immer wieder bei ähnlichen Situationen gnomisch formulierte vorbildliche Verhalten beim Tod des Herrschers und ,Helden' haben sich dabei verbindend ergeben. Wir wollen am Anfang keine Normen zitieren oder aufstellen in bezug auf die Beschaffenheit des .christlichen' Helden, wollen nicht fragen, ob es außer den Märtyrern überhaupt christliche Heroen gibt — und wie ein ,miles Christi' beschaffen sein muß, um als solcher unanstößig vor dem Urteil der Kirche dazustehen. Diese Fragen sind seit Paulus und Augustinus längst erörtert1. Es geht uns hier dagegen um Details aus einem großen Komplex: Wir geben ihnen — provisorisch — eine exemplarische und illustrative Funktion. Wir entnehmen unsere Textsegmente der schriftlich, also durch geistliche Hände und folglich im geistlichen Milieu überlieferten ags. Dich* Der Vortragstext wurde in seiner offenen Form beibehalten. Es wurde keine Vollständigkeit der Belege zu den einzelnen Motiven (Leichenhilfe, etc.) angestrebt; eine umfassende Untersuchung dieser Art wird vorbereitet. 1 Vgl. etwa A. Harnack, Militia Christi, Tübingen 1905; H. Edmonds, Geistlicher Kriegsdienst, in Festschrift Herwegen, Münster 1938; A. Waag, Der miles christianus und seine mittelalterliche Tradition, Bern—Frankfurt 1975; C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935 (Nachdruck 1965); dazu auch: J. E. Cross, The Ethic of War in Old English, in: P. Clemoes —Κ. Hughes (Hrsg.), England before the Conquest, Cambridge 1971, S. 269—282; U. Schwab, Das Traumgesicht vom Kreuzesbaum, in: Gedenkschrift Richard Kienast, Heidelberg 1978, bes. S. 150 ff.

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tung, die also wohl zum Vorlesen in einem Kreis von Klerikern oder mindestens durch geistliche Lektoren bestimmt war. Dies ist beim ,Dream of the Rood' genauso vorauszusetzen wie beim ,Beowulf und beim ,Waldere'. Lesungen für ein Publikum gebildeter oder sonst hochstehender Laien sind natürlich nicht ausgeschlossen2. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Beowulf ja in einem Manuskript zusammen mit der heroisch-alttestamentlichen Judith' überliefert ist, mit der er einen Schreiber gemeinsam hat. Was will denn die Mahnung Alcuins an die Klostergemeinschaft von Lindisfarne (in jenem Brief von 797) eigentlich besagen? Zwei Dinge: Es sollen keine Spielleute im Refektorium auftreten, welche auf die alte Weise mit Harfenbegleitung sich wie bei einem weltlichen Bankett gebärden und die alten Gesänge (natürlich ohne schriftlichen Vorlesetext und nicht in der dulcís modulatio, die sonst die Stimme des Lektors beim Mahl einnahm, sondern in alten, unrömischen Melodien) vortragen: Verba Dei legantur in sacerdotali convivio. Ibi decet lectorem audiri, non citharistam; sermones pat rum, non carmina gentilium. Quid Hinieldus cum Christo? Heldengesang mit Gitarrenbegleitung ist keine würdige Unterhaltung in Kloster oder Stift: man erinnere sich an den oft zitierten „obscenus cantus laicorum" Otfrieds, den andere, erbauliche Gesänge ersetzen können und sollen, wie eben Otfrieds eigene Bibeldichtung, worin ja auch manchmal die Zuhörer aktiviert, zum Mitsingen aufgefordert werden. Der Lektor also, und nicht der Sänger: Christus ist ein christlicher Held — und manche andere können es durch die geistliche Feder werden (stößt doch ein Hildebrand sein ,waldand got' aus und wird doch das opprobrium des durch die Vaterhand erschlagenen Sohnes durch die Fuldische Mönchsfeder nicht auf das Pergament gebracht): Aber Ingeld ist nicht zu retten — dies ist das zweite ausschlaggebende Moment beim Verständnis der alcuinischen Mahnung, denn seine Gestalt steht ja für Mord und Totschlag an verschwägerten Gästen, für die Pflicht der Rache. Eine Geschichte, die im Beowulf wie einiges anderes Derartiges nur andeutungsweise als „digression" verschriftlicht vorliegt, auch in den wenigen Zeilen des Widsith (45 — 49) gleichfalls lediglich allusiv — was auf allgemeine Bekanntheit der Geschichte durch mündlich vermittelten Vortrag schließen läßt. Ein Held wie Ingeld ist kein christlicher Held, und es gibt keinen Kunstgriff, welcher des Vaterrächers 2

D. Whitelock, The Audience of Beowulf, Oxford 1951, betont — mit Einschränkungen! — die Bestimmung des Epos als „first and foremost literature of entertainment, and as such, intended mainly for laymen" (S. 19), gibt aber zu, daß die biblische Gelehrsamkeit der Dichtung nur „christlich" Gebildeten verständlich sein konnte (S. 20 und pass.). Auch hier bietet sich als mögliche Lösung der Publikumsfrage diejenige des as. Heliand an: „Lektionsstoff für Schüler an Stätten geistlichen Lebens". Vgl. meine Überlegungen in Caedmons carmen, Festschrift Stutz, Wien 1984.

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Gebaren einer christlichen Zuhörerschaft anders als verwerflich darstellen könnte. Eng ist das Haus des Herrn, es kann nicht zwei so verschiedene Handlungsprinzipien beherbergen: Angusta est domus: utrosqm tenere non potuit. Non vult rex coelestis cum paganis et perditis nomine tenus regibus communionem habere, quia rex Ule aeternus régnât in coelis, Ule paganus perditus plangit in inferno3. Ingeld ist durch seine Handlung verworfen: daß er auch Heide ist, läßt ihn heillos unrettbar in der Hölle schmachten. Für ihn ist keine Bleibe im Hause Gottes, in jedem Sinne. Daß der Politiker Alcuin in einem anderen Brief, an Karl den Großen, einen nordhumbrischen Edelmann lobt, der seinen Herrn gerächt hatte4, steht nur in scheinbarem Widerspruch zu seiner autoritären Haltung gegenüber den schockierenden Kirchennachrichten aus England (die übrigens seinem eigenen Ruf bei dem fränkischen Klerus schaden konnten). Wir wissen, daß die Blutrache im Ehrenkodex des christlichen Mittelalters lange lebendig war, wovon die überlieferten Zeugnisse natürlich nur einen ganz kleinen Ausschnitt bieten. Immer wieder wird bei der Frage nach dem „heidnischen" Charakter des Beowulf auf den Ausspruch des Helden hingewiesen: 1384 SeIre biÖ œghwœm pat be his freond wrece pona he fela murne ,Für jeden ist es besser, seinen Freund zu rächen anstatt viel zu trauern' — aber dieses Zitat einer heldischen Norm bezieht sich ja auf die Rache an der unterweltlichen Mutter des Ungeheuers Grendel. Der Ausspruch der Rachenorm ist also lediglich eine heroisch-traditionell-sprichwörtliche Zugabe zu der Fortsetzung von Beowulfs Erlösungstätigkeit, der Verfolgung des Monsters in die Unterwelt. Daß der im Schlaf Überfallene, ohne Gegenwehr zuvor ermordete Hondscioh dann 2078 ebenso formelhaft als girded cempa bezeichnet wird, zeigt neben anderem weiter die rein schmückende Funktion solcher Formeln und Sentenzen. Man halte daneben den Rachewunsch Sigemunts und seiner Mannen und Kriemhilts Racheaufschub und Rachegelöbnis in der 17. Aventiure des Nibelungenliedes, mit der wir uns noch kurz zu beschäftigen haben (1028,3 f.; 1032 f.; 1046,2 nu la^e es^got errechen noch siner vriunde hant), vor dem christlichen Begräbnis Siegfrieds. In dem ersten verschriftlicht — sogar auch epigraphisch — überlieferten, um 700 datierbaren Stück epischer christlicher ags. Dichtung, nämlich in den runisch in das Monumentalkreuz von Ruthwell eingemeißelten Stabversen über Christus, das Kreuz und die Grablegung, nun etwa dreißig (halb verstümmelten) Kurzversen, die einer pergamentschriftlichen Vorlage

3 4

MGH, Ep. IV, Nr. 124, S. 183. MGH, Ep. IV, Nr. 232, S. 376. Dieser und andere Nachweise bei Whitelock (wie Anm. 2) S. 14—15, auf die wir auch im folgenden Bezug nehmen.

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entnommen zu sein scheinen (welche wiederum teilweise dem stärker dogmatisierenden und theologisch aktualisierenden .Dream of the Rood' 5 von über 300 Kurzversen im Vercelli-Book entsprechen), treten zwei christliche Helden auf: der Herr (wealdend, frea, dryhten, beorn, rice cyning, heofona hlaford, aóelin¿) und sein Getreuer im Kampf: Christus und die ,Rod' (das Kreuz) als weiblicher Held. Die ,Rod' stellt sich, auf gelehrt-enigmatische Art das antike Schema der Prosopopeia benutzend, selbst redend und handelnd vor: als ein Krieger, der, im letzten Kampf mit seinem Herrn verbunden, es nicht wagt, gegen ihrer beider Feinde vorzugehen, obwohl es ihm ein leichtes gewesen wäre, diese zu Fall zu bringen. Ja, im Gegenteil, die ,Rod' wagt sogar nicht einmal, sich zu beugen, weil sie weiß, daß sie ihren Lord zum vorherbestimmten Tode (56 a fyll) tragen muß, nach seinem .Wort': 35

Pasr ic {sa ne dorste ofer Dryhtnes word bugan oööe berstan, Jja ic bifian geseah eoröan sceatas. Ealle ic mihte 38 feondas gefyllan, hwseöre ic fasste stod. 42 Bifode ic Jsa me se beorn ymbclypte; ne dorste ic hwœôre bugan to eordan, feallan to foldan sceatum. Ac ic sceolde faeste standan. Rod waes ic arsered. Ahof ic ricne Cyning, 45 heofona Hlaford; hyldan me ne dorste. 47 b ne dorste ic hira aenigum sceööan. ,Und da wagte ich nicht, wider das Wort des Herrn mich niederzubeugen, noch zu zerbrechen, als ich die Erde zittern sah. Alle Feinde hätte ich zu Fall bringen können, doch ich stand fest . . . Ich zitterte, als mich der Mann umschlang. Ich wagte mich nicht zur Erde zu neigen, zu Boden zu fallen — ich sollte dagegen fest stehen . . . Ich wagte es nicht, auch nur einen von ihnen zu verletzen . . . ' Die Rod muß passiv handeln — und darin besteht ihr Heldentum —, obwohl sie für den Herrn im Kampf aktiv sein könnte und wollte. Gerade durch diesen Gehorsam in bezug auf das Verbum (35 b), also im Dienst zum Tode des Herrn, führt sie den Sieg des durch ihr eigenes Dasein Getöteten herbei, den Tod, der zugleich auch für sie selbst einen Sieg darstellt, trotz

5

Wir zitieren den Text nach M. Swantons Ausgabe, Manchester 1970, und verweisen besonders auf die reichhaltige Einleitung. — Meine Übersetzung ist dem Text in Gedenkschrift Kienast (wie Anm. 1) beigegeben. — Die Interpunktion und einige andere Kleinigkeiten weichen von Swanton ab, ohne daß dies hier eigens vermerkt würde.

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der Schmach, die nur vorübergehend und scheinbar ist — und, wie der Tod des Siegers über den Tod, auch für sie (und für andere durch sie) das Leben bedeutet. Dies der christlich paradoxe heldisch-unheldische Kampf der Rod, der in Demut und Gehorsam geführt wird, der Kampf einer Heldin, welche des befohlenen Erlösungstodes wegen sich nicht nur unheroisch, sondern sogar auch ihrem Herrn gegenüber unehrerbietig benimmt: sie steht aufrecht während seines Kampfes und muß darauf verzichten, die Feinde durch ihren herabwuchtenden Schlag zu Fall zu bringen (39 feondas gejyllan) — sie bleibt auch aufrecht stehen, anstatt sich in weltlich-höfischem Gehorsam zu beugen (35;42 bugati), als der Herr auf sie, den Galgen, steigt. Sie darf sich erst dann neigen (59 hnag), als sie, nach vollbrachter Agonie, zusammen mit ihrem Herrn verwundet und geschändet, seinen Körper den von fern her gereisten Getreuen in die Arme gleiten läßt: 59 b 60

hnag ic hwaeôre Jjam secgum to handa, eaömod, eine mycle. Genamon hie Jjaer aelmihtigne God

,doch beugte ich mich der Männer Hand entgegen, demütig, mit großer Standhaftigkeit. Sie ergriffen da den allmächtigen Gott'. Und sie halten dann die Totenwache — auch eine Geste, die in den Bereich des Heroischen gehört, wie wir noch weiter beobachten werden. Wie von Wiglaf, der nach dem Tode ,zu Häupten' beider Kämpfer, Beowulfs und des Drachen, sitzt und so die Totenwache vollzieht, 2908 eorl ofer oörum unlifigendum, healdeö hige-maeöum heafod-wearde, leofes ond laöes. '(Wiglaf) der Edle, lebendig bei den Toten, hält den Geistesmüden zu Häupten die Wache, für den Freund und den Feind' — so heißt es von den Freunden des Herrn, die ihn vom Kreuzesbaume entgegengenommen hatten: 63 65

Aledon hie öaer limwerigne, gestodon him aet his lices heafdum, beheoldon hie öasr heofenes Dryhten, ond he hine öaer hwile reste, meôe asfter öam mielan gewinne.

,Da legten sie den Gliedmüden hin, sie standen seinem Leichnam zu Häupten; sie bewachten da den Herrn des Himmels, und er ruhte da eine zeitlang, müde nach dem großen K a m p f . Dies ist die Totenwache für den (63) limwerigne, den, der ,vom Kampfe müde Glieder' hat und der doch zugleich in seiner nun toten Menschheit der Herr des Himmels ist, trotz seines schmachvollen Todes ,Dominus Victoriae', sigora wealdend (67) und (69) meere peoden genannt wird.

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Nur bei der Abnahme des Leichnams, bei der Sorge für den toten Herrn, wirkt also die Rod aktiv für ihn und sie darf es auch tun. Und sie handelt zusammen mit einem treuen Gefolge (das jedoch anonym bleibt) — und sie handelt nach den Gesetzen der heroischen Sitte. Vielleicht gehört es eng zu der germanisierenden' Tendenz christlicher Dichtung, daß der zwielichtige Beowulf dem Totenritual so großen Raum zumißt, obwohl dieses auch äußerlich ,heidnische' Züge trägt 6 . Wir müssen im Zusammenhang nicht ausführlich an die archäologische Widersprüchlichkeit von Sutton-Hoo erinnern, wo das Schiffsbegräbnis die Tauflöffel des wohl anderswo, also in geweihter Erde bestatteten Fürsten birgt. Wie ja auch im Dream of the Rood das sorh-leod (67), das .Klagelied' der Getreuen, nicht fehlt: eines der anscheinend wirklich echten Zugeständnisse dieses raffiniert-theologisch ausgestatteten Gebildes7 an .germanische Sitte' 8 . Die Kreuzabnahme ist sogar in den wenigen Runenversen von Ruthwell festgehalten — dies bestätigt die Gewichtigkeit des Themas, das zusammen mit der Darstellung des Christus .Victor' auf der Nordseite des Monuments9 sich als (leicht zu akkommodierender) Teil des großen Paradoxons des .Lebens durch den Tod' zu erkennen gibt, wie es in vielfaltiger Gegensätzlichkeit den kunstvollen Stil des ,Kreuzestraumes' geprägt hat. Auch der ,Heliand' schenkt übrigens der ,Sorge für den toten Herrn' besondere Beachtung; und die Sitte wird sogar in sentenzartigen Versen als vorbildlich dargestellt, wobei — wie in der as. Dichtung so oft — das biblische Geschehen als exemplarisch für das Verhalten im politischen Leben steht. Joseph von Arimathia hat hier stellvertretend und bibelhistorisch die Rolle der .Freunde' des Herrn (wie sie anonym im .Dream of the Rood' Dazu zuletzt Roberta Frank, Old Norse Memorial Eulogies and the Ending of Beowulf, in: The Early Middle Ages, Acta 6 (1979), wo auch eine späte Entstehung des Beowulf vorgeschlagen wird. 7 Der Text wird immer wieder unter diesem Gesichtspunkt neu diskutiert; einige Hinweise und Entdeckungen auch in U. Schwab, Östliche Einflüsse in der Überlieferung des ae. Kreuzgedichtes ,The Dream of the Rood' = Eichstätter Beiträge 4,1982, S. 302—334; Dies., Exegetische und homiletische Stilformen im Dream of the Rood, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, Münstersche Mittelalter-Schriften 51, München 1984, S. 101-130. * Dazu immer noch: L. L. Schücking, Das angelsächsische Totenklagelied, Englische Studien 39 (1903), bes. S. 4: die Beobachtungen nehmen von dieser Stelle her ihren Ausgangspunkt. 9 Dazu Meyer Schapiro, The Religious Meaning of the Ruthwell Cross, Art Bull. 26 (1944), S. 2 3 2 - 2 4 5 ; F. Saxl, The Ruthwell Cross, Journal of the Warburg . . . 7 (1943), S. 1 - 9 : diese und andere verbinden die Inschrift mit dem Cliché des .Christus Victor' von Ps. 90,13 Super aspide/» et basiliscum ambulabis . . . — Eine andere Interpretation wird jedoch jetzt von Kristine Edmondson Haney, The Christ and the Beasts Panel on the Ruthwell Cross, AngloSaxon England 14 (1985), S. 215—231 vorgeschlagen. Hier weitere Nachweise. 6

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heißen) übernommen: er ist uses drobtines thegan (5715), jungro Cristes (5716; vgl. 5720 uses drohtines jungro). Er geht, nachdem er die Erlaubnis dazu eingeholt hat, zum ,Galgen', wo er wußte, daß ,der Gottessohn', (5731) hreo hangondi herren sines, ,der Leichnam seines Herrn hing'; er nimmt ihn ab von der neuen (!) ruod und befreit ihn von den Nägeln, (5733) antfeng ina mid is faÒmon, so man is frohon seal, lioBes lichamon, ,er nahm ihn in die Arme, so wie man (d. h. bei solcher Gelegenheit) es mit dem Leichnam seines lieben Herrn (nach guter Sitte) tun soll' 10 . Es scheint ein poetischer Brauch, an die Schilderung der letzten Ehren, welche die angehörigen Mannen ihrem Herrn erweisen, sprichwortartige Mahnungen zu fügen: sie betonen die ,bis heute' geltende Schicklichkeit des vollzogenen Zeremoniells. Im ,Beowulf steht ein solcher Passus vor dem Planctus und nach dem Klageritt um den Leichenhügel: 3169 Jja ymbe hlaew riodan hilde-diore, asj)elinga beam, ealra twelfe, woldon ceare cwiöan, kyning maenan, word-gyd wrecan ond ymb wer sprecan; eahtodan eorlscipe ond his ellen-weorc duguöum demdon, swa hit gedefe biö, 3175 Jjaet mon his wine-dryhten wordum herge, ferhöum freoge, Jsonne he forö seile of lic-haman . . . weoröan. Swa begnornodon Geata leode 3177 hlafordes hryre, heorö-geneatas ,Then those brave in battle, the children of princes, twelve in all, rode around the mound, would lament their grief, bewail their king, recite a lay and speak about the man. They praised his heroism and acclaimed the nobility of his courageous deeds. It is fitting that a man should thus honour his friend and leader with words, love him in spirit, when he must needs be (led forth) from the flesh. Thus the people of the Geats, the companions of his hearth, mourned the fall of their lord 11 . Noch in der 17. Aventiure des Nibelungenliedes ,Wie Sifrit beklaget und begraben wart', findet sich bei dieser Gelegenheit eine solche Ausdrucksform. Nachdem ausführlich von dem Waschen und Aufbahren der Leiche (1026), von dem wuof der Verwandten, Mannen (1021) und Bürger (1036; 1040), von Seelenmessen und Almosengeben (1052; 1053; 1059; 1060; 1063), von

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Zitiert nach der Ausgabe von Behaghel-Mitzka, Altdeutsche Textbibliothek 4. Zitiert nach der Ausgabe von Heyne—Schiicking—Schaubert, Paderborn 1963, I18; die Übersetzung ist von M. S wanton, Beowulf, Manchester 1976.

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der Totenwache während dreier Tage und Nächte (1035; 1055; 1056) und von dem klagen helfen überhaupt die Rede war, heißt es: 1062,4

si dienten im nach tode

also man lieben vriunden soft2.

Ganz ähnlich sentenzartige Worte hören wir in der Rede, die im Schlußakt des Nibelungenliedes (ausgerechnet) Gunther in den Mund gelegt wird, als Dietrichs Recken um die Herausgabe von Rüdegers Leichnam bitten — sie wollen ihm durch diesen ,dienest' (2262,3; 2264,1; vgl. 2266,4!) Jonen' (2263,3; 2264,4): 2264

Do sprach der künec Gunther: „nie dienest wart so guot, so den ein vriunt vriunde nach dem tode tuot. daz heiz' ich staete triuwe, swer die kan began, ir lonet im von schulden: er hat iu liebe getan."12a

Sentenzartige Phrasen, welche sich auf die Pflicht, den toten Herrn und Verwandten vom Kampfplatz zu tragen, beziehen, vermeinen wir schon im lateinischen Bericht der Getica zu hören: die Visigoten suchen nach der Schlacht auf den katalaunischen Feldern ihren König Theoderich verzweifelt und lange, „ut viris fortibus mos est", und Thorismund bereitet dann die Totenfeierlichkeiten, „ut decebat filium", nachdem der Vater im Angesicht Attilas aus dem leichenübersäten Schlachtfeld weggetragen worden war. Auch hier wird der Tote zunächst durch mehr oder weniger tonal artikuliertes ,Klagen' beweint (cantibus honoratu[s) . . . dissonis vocibus) und danach erst die Trauerfeier (mit geordneten Klageriten) vorgenommen12b. In ,Maldon', um nur noch dies eine Beispiel zu nennen, kann der erschlagene Anführer Byrhtnoö nicht von seinen Getreuen weggetragen werden, denn diese müssen ja weiterfechten, da der Kampf nicht zu Ende ist. Ja, ihr .Dienst' dem Toten gegenüber zeigt sich gerade darin, daß sie ihr Kampfgelübde halten und nicht Zitiert nach Bartsch—de Boor—Wisniewski, Wiesbaden 1979. Dieser Aspekt soll anderswo noch ausführlicher behandelt werden. Vgl. O. Plassmann, Von der germanischen Totenehrung, Germanien 1942, S. 83—87. H. Beumann, Widukind von Korvey (wie unten Anm. 58), S. 175 f. 12a triuwe, Ionen, dienest waren schon vorher im Zusammenhang mit der dem guten Brauch entsprechenden Leichenhilfe genannt worden; diese sittlichen Forderungen werden in der Hohnstrophe Volkers 2266 auf das hic et nunc der Situation reduziert: ,holt euch den Leichnam selbst mit Waffengewalt — d. h. versucht doch die Rache! —, dann habt ihr dem Toten einen vollen Dienst erwiesen'. — Als Gegenstück vgl. man das zynische Verhalten der Burgunden (wiederum Volkers), als ein Hunne versucht, einen verwundeten Verwandten aus dem Leichenberg vor dem Saal zu ziehen (2014—2016). — 12b C. 41 Diese kennen wir aus der Beschreibung der strava Attilas in denselben Getica (c. 49) des Jordanes, aus Beowulfs Bestattung. Das sorh-leoÖ im Dream of the Rood gehört in diesen Bereich, von dem sich das spontane Klagen, der wuoj, im Nibelungenlied (beim Bekanntwerden des Todes Siegfrieds und Rüdegers usw.) scheidet. 12

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fliehen. Die Totenklage kristallisiert sich hier in (teils autobiographischen) Reden der Getreuen, die durch ihren Entschluß weiterzukämpfen ihrem .Herrn' und .Verwandten' seine Wohltaten vergelten120, indem sie seinen und ihren Ruf aufrecht erhalten (vgl. nochmals die Spottstrophe Volkers, Nib. 2266) — und indem sie ihn rächen. Die gute, althergebrachte Sitte, dem toten Herrn zu dienen, wird in dieser Situation nicht als allgemeingültige Sentenz zitiert, sondern gemäß dem zeithistorischen Charakter, ja der propagandistischen Funktion dieses poetischen Berichtes entsprechend, zur .Meinung der Leute daheim' konkretisiert, welche das Verhalten der Krieger loben oder tadeln werden {dorn, d. h.,memoria'), vor denen sich die Heimkehrer verantworten müssen: 220

Ne sceolon me on |j£ere jjeode Jaegenas astwitan Jsast ic of ôisse fyrde feran wille, eard gesecan, nu min ealdor ligeö forheawen ast hilde. Me is Jjaet hearma maest: he wies segöer min mseg and min hlaford.

,Es sollen mich [so spricht der edle Aelfwine aus mercischem Geschlecht] die Männer in meiner Heimat nicht tadeln, daß ich aus dieser Kriegerschar weg nach Hause gehe, nun da mein Herr erschlagen auf dem Kampfplatz liegt. Mein Schmerz könnte nicht größer sein: er war mein Verwandter und dazu mein Lord!' 12d Was von Christus selbst und seiner Agonie am Kreuz im ,Dream of the Rood' ausgesagt wird, klingt fremd für germanische Ohren: er entkleidet sich zum Kampf, anstatt sich zu rüsten: 39 Ongerede bine pa geong baeleÒ. Denken wir dagegen an ,Waltharius' (333 ff.), an Hiltibrant und Hadubrant! Es ist möglich, daß im .Dream of the Rood' über patristische Quellen noch Vorstellungen des athleta Christi — Christus athleta in der Arena mitgewirkt haben. Wir zitieren hier nur einen Passus aus mehreren solcher Stellen Die Themen der feierlichen Totenklage sind hier einzelnen hochadeligen Kämpfern in den Mund gelegt, die gleichzeitig durch diese (literarischen) Reden ihre Pflichttreue bekunden. Das Lob des Gefallenen betrifft auch hier den .vorbildlich freigebigen Herrn', den .lieben Verwandten', den .Anführer im Kriege'. Ob Maldon in dem (nun fehlenden) Schlußteil eine offizielle Totenklage (vgl. Attilas Totenfeier; Beowulf; Diu Klage) enthalten hat, ist, den historischen Umständen entsprechend (s. u.), mehr als fraglich. Ähnlich werden im Nibelungenlied, in kunstvoller Regelung, diese drei Themen der Totenklage dreien der Ritter Dietrichs in den Mund gelegt und auf drei Gesätze verteilt, welche auf eine allgemein gehaltene Einleitung dieser drei Klagestrophen folgen (2257 ff.). — Das Motiv des ,Heraustragens des toten Führers aus der Schlacht' gehört auch zu diesem Komplex typischer Themen, vgl. das Suchen, Finden und Wegtragen Theoderichs des Visigotenkönigs vom Kampfplatz (.Getica', oben); ,Beowulf, 3135 f. Zu ,Maldon' und .Waltharius' vgl. unten. 12d Vgl. v. 249 ff. Zit. nach D. G. Scragg, MUP 1981. 12c

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(auf deren theologischen Hintergrund wir anderswo eingegangen sind).13 „Entkleiden wir uns zu einem öffentlichen Wettlauf auf der Rennbahn der Wahrheit", so beginnt ein Simile bei Clemens von Alexandria; Christus „stellt durch den Kampf mit dem Tode, wie mit einem Ringkämpfer, das Sterbliche als unsterblich dar" — so Eusebius; Ambrosius sieht den entblößten Christus athleta als königlichen Sieger — im Gegensatz zu dem ersten Adam, der nach dem Falle schamentblößt nach Kleidern sucht, usw.14 Ongerede hine pa geong heeled pat was God almihtig sträng ond stiòmod . . . modig — so der Anfang des ,Kampfes am Kreuz' im Vercelli-Book (v. 39 —41a): der Ausdruck geong haleÒ hat besonders germanische Übersetzer dazu verlockt, an Christus, den Jungen Helden', zu denken. In Wirklichkeit bedeutet ags. halei lediglich .Mensch; Mann' 15 . Es wird hier, in diesem crucialen Moment (wie so oft in diesem auf die Zweinaturenlehre ausgerichteten Werk) die humane und die divine Einheit Christi betont. In der runenschriftlichen Überlieferung ist es — in noch krasserem Gegensatz — der allmächtige Gott selbst, der sich hier zur Agonie entkleidet: 1,1 [+ Ond\ gereda hina God almehttig pa he walde on galgu gistiga \m\odig . . . Es fehlen hier auch die heldischen Epitheta sträng ond stiÖmod. Das Adjektiv modig als Bezeichnung des mächtigen Gotteskönigs, der sich (selbst!) auf sein Marterinstrument begibt, bezieht sich jedoch hier enger auf die Öffentlichkeit' seines Sterbens — auch dies ein Faktum, welches anscheinend besonders in der östlichen Patristik kommentiert wird: \m\odigßore allee\ men heißt es in Ruthwell. Der Vercelli-Text scheint diese Worte einer kommentierenden Erweiterung zu unterziehen, die Mißverständnisse ausschließt: Christus ist im Buchtext (41) modig on manigra gesjhde pa he wolde mancyn lysan. Der ,Waltharius'16 — unseres Erachtens eine Vorlage (oder mindestens die Hauptquelle) des ags. ,Waldere'17 — kennt keine eigentliche Leichen wache, nur viele Leichen. Aber nicht die Leiche des Helden, Walther, auch nicht die Leichen der beiden Protagonisten, Gunther und Hagen. Das versöhnliche Ende der Dichtung — wenn auch wohl nicht so pedantisch-burlesk ausgemalt

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Vgl. U. Schwab, Das Traumgesicht vom Kreuzesbaum. Ein ikonologischer Interpretationsansatz zu dem ags. Dream of the Rood. Gedenkschrift für Richard. Kienast, Heidelberg 1978, S. 1 3 1 - 1 9 2 , hier: S. 151 f. Stellennachweise ebda. Dazu und zu den ,heldischen' Lexemen im ,Dream of the Rood' vgl. nun besonders die Nachweise in: Dora Faraci, Aspetti eroici nel Dream of the Rood, in: Atti dell'Accademia Peloritana dei Pericolanti, Classe di Lettere, Filosofia e Belle Arti, Voi. 58; Messina 1982. Zitiert nach Κ. Strecker und nach der Übersetzung von P. Vossen, Waltharius, Berlin 1947. Zitiert nach Waldere. Testo e commento di U. Schwab, Messina (Peloritana ed.) 1967.

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wie im ,Waltharius' 1 8 — gehört zu den konstitutiven Zügen der WaltherGeschichte. A u c h bei der Ausgestaltung des Schlusses zeigt sich die (gewiß schon ursprüngliche und christliche),Offenheit' in der A n l a g e der Erzählung, welche ja durch die romantische K o m p o n e n t e , w i e w i r anderswo gezeigt haben, seit je mitbedingt ist. Walther ist — trotz allem Blutvergießen — im Recht: Er weiß dies und spricht es auch aus (.Waltharius' 605 ff.; 6 5 4 ff.; 7 0 2 ff.). Walther ist der Verteidiger, nicht der A n g r e i f e r ; er ist der durchziehende Flüchtende ohne Gefolge; er ist der Beschützer des Mädchens. Dieses letzte Faktum w i r d meist vergessen, da ja Hiltgunt im ,Waltharius' eine mehr als bescheidene Rolle spielt. A b e r aus diesem Umstand rechtfertigen sich auch eo ipso die hunnischen Bauge, welche Walther mitführt, u n d 1 9 die es ja G u n t h e r zusammen mit dem Mädchen und dem R o ß angetan haben

(602 f.; 819). Der (noti) iure : mid unryhte20 (so expressis verbis ,Waltharius' 704 — ,Waldere' 1,27) angegriffene Verteidiger und Beschützer darf und kann nicht fallen, nicht n u r um der poetischen Gerechtigkeit willen, sondern weil er in seiner Lage auf G o t t vertraut. Walther führt keine Reliquien eines schutzgewaltigen Heiligen oder Schlachtenhelfers oder das >f mit sich. Kein Landesfeind greift ihn mit seiner Armee im eigenen Gebiet an — er ist allein in der Fremde (befremdend nur, warum er nicht Gunther und Hagen in ihrer Residenz aufgesucht hat, um offiziell bei seinen Freunden um das Durchzugsrecht zu bitten: also doch die stillschweigende Voraussetzung einer alten Rivalität zwischen Walther und Gunther in der lateinischen Dichtung?). Wie dem auch sei, Walther fleht nicht um ein Wunder vom Himmel (wenn das rätselhafte Schwert im .Waldere' 1,24 f. nicht als solches zu betrachten ist21); kein mythischer Heerführer wird bemüht (sondern Walther selbst wird im 18

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Die Rolle von Mc 9,42 und Mt 5,30 als biblischem Muster für die Wunden wird bei D. M. Kratz, Quid Waltharius Ruodliebque cum Christo?, in H. Scholler (hrsg.), The Epic in Medieval Society. Aesthetic and Moral Values, Tübingen 1977, S. 126—149, hier S. 134—136, herausgestellt. Wir fügen hinzu, daß pes ,Fuß' im Süddeutschen (wie anderswo) auch das ganze ,Bein' bezeichnet: der Gebrauch von pes durch den Dichter des .Waltharius' (im Gegensatz zu der vorher [1369] beschriebenen Amputierung des ganzen Beines vom Oberschenkel an) ist also kein logischer lapsus, obwohl die Wahl des Wortes durch den Bibeltext verursacht worden sein kann. Vgl. unten Anm. 30. Cross (wie oben Anm. 1) übersetzt (S. 274, Anm. 3) mit .sought the battle first, wrongly'. Man müßte den juristischen Aspekt noch unterstreichen (und weiter untersuchen!), also etwa interpretierend wiedergeben, ,ohne irgendein Recht fiir seinen Überfall geltend machen zu können' (wie es der Held in den angeführten Stellen des .Waltharius' selbst begründet). — Die Lesung des Passus im .Waldere' ergibt sich übrigens klar aus der photographischen Reproduktion in meiner Ausgabe, die in Kopenhagen seinerzeit unter ultraviolettem Licht angefertigt wurde. Wir erinnern an das gottgesandte Schwert, mit dem Beowulf in der .Unterwelt' die Mutter Grendels tötet, 1550—1556 (.Then the son of Ecgtheow, the hero of the Geats, would have perished under the wide earth, had not his war-corslet, his strong coat of mail, furnished him succour, and the holy God, the all-wise Lord, brought about victory in battle. With

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.Waldere' 1,6 von seiner Braut an seine Siege als Hunnen-Feldherr erinnert): der christliche Gott wird allein als Vertreter von Recht und Unrecht angerufen (,Waldere' II, 25 ff.; vgl. unten). 22 .

Das Vertrauen auf Gott als den Schützer des Rechtes wird in den ags. Waldere-Fragmenten besonders betont, deren christliche Grundhaltung sich bis ins Homiletische steigert. Ein Umstand, der uns noch weiter beschäftigen wird. Zunächst nochmals dies: die Anlage der Geschichte .Walther und Hiltgunt' hat keinen Platz für die Tragik, welche die frühere Sagenforschung einmal postuliert hat: Walther, der um sein Recht und um das Mädchen kämpft, kann in keiner Bearbeitung des Stoffes fallen. Gunther — auch er ein Christ, aber ein schlechter! — ist die negative Integration Walthers, so wie wir ihn aus der lateinischen Dichtung kennen und auch aus den wenigen Anspielungen auf seinen Charakter in den ags. Fragmenten zu begreifen glauben. Gunther steht im Banne der avaritia und der superbia und — bei seiner Gier auf den Besitz des Mädchens — auch der luxuria. Der Gegensatz zwischen Walther und Gunther (den man sagengeschichtlich vielleicht doch, wie gesagt, in altem Rivalentum suchen mag) ist nicht der Gegensatz zwischen Christ und Heide. Die Hunnen sind ja die Heiden kat'exochen. Walther kämpft nicht g e g e n sie, sondern er kämpfte ja f ü r sie — aber dies wurde nicht zur Problematik seines Geschickes, kein Seelenkonflikt entspann sich daraus, vielleicht weil es zu dieser Lage (deren Ursachen ja im ,Waltharius' breit geschildert sind) keiner erklärenden Worte bedurfte. Die Hunnen des .Waltharius' sind nicht eigens als Heiden gekennzeichnet, weil dies ja zum Allgemeinwissen gehörte — für einen Poeten, der mit subtilerer Schulweisheit prangte, wäre eine solche Bemerkung ohnehin nicht am Platze gewesen. Daß Walther sogar General in der HunnenArmy gewesen ist, gereicht ihm zum Ruhm. Neben anderen Motiven gebraucht ja in der englischen Version Hildgyth dieses Argument in ihrer an den bereits kampfmüden Helden gerichteten Ermunterungsrede, als Beweis für seine sonst nimmer versiegende Energie in der Schlacht, indem sie ihn Aetlan ordwyga (1,6) nennt. Auf diese Rede und auf die anderen Reden (aus ease, the Ruler of the heavens decided it aright after Beowulf had got up again'); 1657 b—1664 (,almost had my struggling ceased, if God had not protected me. I could do nothing in the fray with Hrunting, trusty though that weapon be. Howbeit the Ruler of men granted me that I might see hanging in beauty on the wall a huge old sword (often and often has he guided those who are deprived of friends), so that I drew that weapon.'). — Es ist hier nicht der Platz, Ansichten über die allegorische Natur von Kampfplatz (vgl. jedoch etwa Whitelock, wie oben Anm. 2, S. 67—70) und Schwert zu referieren. — Übersetzung nach J. R. Clark Hall, Northampton 1967 7 . 22

Diese Bemerkungen beziehen sich kontrastiv auf die aufschlußreiche Arbeit von W. Speyer, Die Hilfe und Epiphanie einer Gottheit, eines Heroen und eines Heiligen in der Schlacht, in: Festschrift B. Kötting, Pietas, Münster 1980, S. 55—77.

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deren Fragmenten ja die ags. Version auf uns gekommen ist) werden wir gleich im Zusammenhang zurückkommen. Zunächst jedoch noch ein Wort zu dem Verhalten der beiden Haupthelden, Walther und Gunther, den zwölf Gefallenen gegenüber. Hier sind wir allein auf die lateinische Bearbeitung des Stoffes angewiesen (und es ist fraglich, ob und wie diese Kämpfe am Wasgenstein in der ags. Version geschildert wurden: vielleicht — wenn überhaupt — nur zusammenfassend-kurz). Die elf Vasallen Gunthers werden ja durch Walthers überlegene Kampftechnik bei der Verteidigung seiner Stellung (zum Schutze des Mädchens) und durch ihre eigene Unbesonnenheit ,gerichtet' — auf das durchscheinende Vorbild von entsprechenden Szenen der Psychomachie wurde anderswo bereits hingewiesen. In fünf Fällen vollzieht Walther die „Hinrichtung" durch das Schwert: wörtliches Muster ist dreimal der blutige Sieg der Demut über die Superbia, der, während die Linke des Richters sie am Haarschopf packt, von dem Richtschwert das Haupt abgeschlagen wird 23 .

Der Landesherr Gunther, welcher, feige hintanstehend, seine Leute in den Tod geschickt hatte, kümmert sich nicht um ihre Leichname, die in Walthers , Stellung' zurückbleiben. Er läßt sein totes Gefolge liegen und schert sich nicht um das Schicksal der Gefallenen: er hätte sie ja von Walther zur Heimführung, zu christlichem Begräbnis fordern können, was ihm der Held gewiß nicht verweigert hätte. — so meinen wir, das Publikum. Es ist Walther dagegen, der Mörder selbst (in seiner Rolle als gerechter Richter!), der die Leichen .ordnet', Kopf zu Körper fügend 24 , nachdem sich Gunther auf den Scheinrückzug begeben hat. Es ist Walther also, der zumindest etwas von der Pflicht des Herrn der Toten, des für den Kampf überdies Verantwortlichen, übernimmt, Walther, der ,Richter' selbst, der sich um die Gefallenen, die Lehensleute des .Anderen' kümmert. Er bestattet die Leichen nicht (und ist dazu auch nicht befugt), aber er verrichtet für sie mit entblößtem Schwert kniend ein Gebet. Dieses Gebet gehört zu jenen Zügen, die Walther offen als den ,miles christianus' kennzeichnen sollen (wie etwa das Kreuzeszeichen über den von Hiltgunt bei der Verlobung gereichten Becher, wie etwa der [oft zitierte] Gott um Verzeihung heischende Kniefall: 561 ,Hac coram porta 23

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Zuletzt etwa U. Schwab, Nochmals zum ags. Waldere neben dem Waltharius, Paul und Braunes Beiträge (Tübingen) 101 (1979), hier: S. 348. So auch etwa in der .Klage': 396 do greif der ellenthajte \uo und hieζ si schiere baren die Hute die da waren. do man si leit uf den re, der fürste het ir houbet e dem libe getragen. — In Hinblick auf die oben zur Totenklage zitierten Stellen aus der .Battle of Maldon' ist hier der Bericht aus dem Liber Eliensis nicht uninteressant, wonach der Abt und die Mönche von Ely selbst den Körper des gottesfürchtigen Helden (und Wohltäters der Abtei) Byrhtnoö zum Begräbnis vom Kampfplatz geholt hätten. Da die Wikinger das Haupt Byrhtnoös als Siegestrophäe mit sich geführt hätten, habe der Abt den Körper Byrhtnoös mit einer Wachskugel als Kopfersatz versehen (wie auch aus späteren Berichten bezeugt ist), vgl. E. V. Gordon im Vorwort zu seiner Ausgabe (Methuen 1937), S. 20 f.

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verbum modo iacto superbum: / Hinc nullus rediens uxori dicere Francas / Praesumet se impune ga^ae quid tollere tantae.' / Necdum sermonem complevit, humotenus ecce / 565 Corruit et veniam petiit, quia talia dixit.) Das andere Gebet für die Gerichteten aus dem Mund des gerechten Richters, als der sich Walther auf der Schablone der Psychomachie gebärdet, mag uns in seiner sicheren Ich-Bezogenheit ironisch vorkommen, jedoch ist vielleicht unser moderner Blick getrübt — denn gerade weil Walther ja wie die richtende Tugend der Psychomachie handelt, ist er ja im Recht und Stellvertreter des höchsten Richters. Das Gebet — das der .Richter' mit entblößtem Schwert25 vor seinen Opfern spricht — lautet: 1161 Rerum factori, sed et omnia facta regenti, Nil sine permisso cuius vel denique iusso Constat, ago grates, quod me defendid iniquis Hostilis turmae telis nec non quoque probris. Deprecor at dominum contrita mente benignum, Ut, qui peccantes non vult sed perdere culpas, Hos in caelesti praestet mihi sede videri. Dem Schöpfer der Dinge und Lenker alles Geschaffenen, ohne dessen Duldung oder vielmehr Willen nichts bestehen kann, sage ich Dank, daß er mich vor den feindlichen Waffen der gegnerischen Schar und auch vor Schimpf und Schande bewahrte. Indes ich bitte den gütigen Gott mit demütigem Sinn, er, der nicht die Sünder, sondern die Sünden vernichten will, wolle mir die Gnade gewähren, daß diese von mir im Himmelreich geschaut werden.' Der Held dankt also zunächst für den Sieg, den er demütig dem Schutze Gottes zuschreibt, welcher ihn auch vor der Niederlage bewahrt und ihm Kampfesruhm beschert hat. Er bittet jedoch nicht um Verzeihung für die eigenen Taten (denn er wurde ja überfallen!), seine contritio zeigt sich lediglich in der Bitte, daß Gott seinen Gegnern vergeben möge (da Gott ja nicht die Sündigen ins Verderben schickt, sondern lediglich die Sünden vernichten will), damit er, Walther, sie einst am Orte der ewigen Glorie erblicken möge (wohin sie logischerweise vor ihm kommen, da sie ja schon tot sind). Walther zweifelt also keineswegs an der eigenen gerechten Sache oder an der eigenen künftigen Seligkeit, ja, er hat es nicht einmal nötig, Gott hier darum zu bitten26. 25

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Althof bezieht sich in seinem Kommentar zu dem Gebet Walthers „mit gefalteten Händen den Griff der Waffe umfassend" auf den Eidesschwur; dies gehört nicht zu unserer Stelle. Als sprachlicher Anhaltspunkt für v. 1160 bleibt nur Aen. 12,175 Tum pins Aeneas stricto sic ense precatur (Waltharii Poesis II, Leipzig 1905, S. 307). Dies ist also auch eine Art ,Fürbitte für die Verstorbenen'. Die .Fürbitte' ist neben den eigentlichen Totenmessen und den Exsequien den Toten nach alter christlicher Sitte „von

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Wie dem auch sei — das Gebet wird von dem Totschläger gesprochen und nicht von einem dazu Verpflichteten, nicht von dem — überdies aus Leichtfertigkeit schuldigen — König, welcher als Landesherr (den er ja Walther gegenüber herauskehrt) auch für die Herausgabe der Toten sorgen müßte, für die standesgemäße Aufbahrung und Heimführung der Leichen seiner Untertanen verantwortlich ist. Gunther, der christliche König, kümmert sich nicht um die Leichenwache, nicht um das Begräbnis27. Der Heimatlose, Flüchtige, der die Freunde des Wormser Herrschers bei der Abwehr ihres Angriffes zu Tode gebracht hat, komponiert dagegen ihre Körper christlich-schicklich — und betet, auf richtige Art, nach Osten gewendet28. Aber: auch er hält keine Leichenwache während der Nacht, als er und das Mädchen abwechselnd die Wacht für ihre eigene Sicherheit vollziehen. Und gleich am Morgen dann nimmt er den Gefallenen Rüstung und Waffen ab (ihre Pferde waren vorher schon, gleich nach dem Gebet [1168 ilko] auf die Weide geführt worden); Walther bringt die Wertstücke weg, sonst aber nichts, wie der Dichter des ,Waltharius' auf seine pedantische Weise bemerkt: Er läßt die Toten also nicht nackt liegen, bedeckt sie aber auch nicht und bahrt sie nicht auf: 1191 Aggreditur iuvenis caesos spoliarier armis Armorumque habitu, tunicas et cetera linquens; Armillas tantum, cum bullis baltea et enses, Loricas quoque cum galeis detraxerat ollis. Da machte sich der Recke daran, den Erschlagenen die Waffen abzunehmen und den Waffenrock, während er ihnen das Wams und alles übrige ließ; nur die Armschienen, die Gürtel mit Metallbuckeln

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Nutzen", welche im Purgatorium weilen, wo die noch nicht ganz Gereinigten nachholen müssen, was sie auf Erden an Büßungen und Genugtuungen versäumten. Althof meint in seinem Waltharius-Kommentar zu v. 1158: „Da Walther die Möglichkeit fehlt, die von seiner Hand gefallenen Feinde zu begraben, so rüstet er die Leichen wenigstens zur Bestattung vor und überläßt diese selbst den Angehörigen der Toten." Althof geht hier vom „altgermanischen" Milieu aus und nicht von der frühfeudal-christlichen Gesellschaft am Hofe Gunthers, welche der .Waltharius'-Dichter mit einiger Komik (und sicher nicht ohne zeitgenössische Anspielung) zeichnet: unter den Gästen am Wormser Hof und den Angreifern Walthers befindet sich ja der Bischof der Stadt Metz, Carnaio (ν. 581 ff.; Mettensis metropolitanas, 644), Ekivrid, ein edler Sachse, usw. — Althof nennt an germanischen Parallelen das Eckenlied bei Kaspar v. d. Roen (Str. 203), wo Dietrich von Bern den im Zweikampfe von ihm getöteten Ecke bestattet. Weiter wird angeführt: Hervarar Saga Kap. 5, wo Oddr die elf von ihm erschlagenenen Berserker begräbt, usw. Aber hier liegen die Dinge doch wieder ganz anders. Vgl. unten Anm. 32 zu .Beowulf 446. Es genüge hier der Hinweis auf E J. Dölger, Sol Salutis, bes. S. 261—262. Vgl. dazu das Material bei U. Schwab, Quaedam ubi commodum duxit mystice sensu depingens: Ost und West in der as. Bibeldichtung, in: Atti dell'Accademia Peloritana dell'Università di Messina, Classe di Lettere, Filosofia e Belle Arti 63 (1984) (im Erscheinen).

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und die Schwerter, ferner die Panzer zusammen mit den Helmen nahm er ihnen ab. Dies ist kein Leichenraub: Walther hat sich mit Recht, im Angesicht der Feinde, die Beute im Einzelkampf erobert29 und führt sie zusammen mit den im Hunnenland verdienten Schätzen weg 30 . Walther ist ja nun der ,Einzelkämpfer' kat'exochen, der Heimkehrer ohne Heer — er handelt nach allgemein gültigem Kriegsrecht. Waltharius nimmt den von ihm Getöteten die Rüstungen ab — Waldere rühmt sich seiner eigenen als des ,treuen' Erbstückes seines Vaters, das ihn gleichsam als wahrer Freund und Verwandter schützt — wenn die unmaegas, die bösen burgundischen Verwandten ihn angreifen (11,17—22)31. Beowulf bittet Hroögar vor dem Kampf mit Grendel, er möge seine teure Rüstung, seines Vaters Hreöel Erbe, dem Herrscher, Hygelac, zusenden (da er, Beowulf, ja keinen Sohn hat). Unter diesem Aspekt erscheint Gunther doppelt feige und seines Königsnamens unwürdig: Er selbst hätte sich der Rüstungen seiner toten Freunde annehmen und diese zusammen mit den Leichen den Angehörigen senden oder wenigstens an diese Pflicht denken, die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung bedauern sollen. Beowulf entbindet mit heldischer Ironie seinen Gastgeber (für den er ja freiwillig ficht, wie es auch Gunthers Gäste tun!) der Sorge für seinen Leichnam, sollte er fallen: der Menschenfresser Grendel wird ja ohnehin nichts von seinen sterblichen Resten übriglassen! Hroögar wird der Pflicht ausdrücklich enthoben, des toten Kämpfers ,Haupt zu verhüllen' oder andere ,Leichenhilfe' zu leisten: (445 b) na pu minne pearft bafalatt hjdan; (450 b) no du jmb mines ne pearft lices feorme leng sorgian — ,Du brauchst um die Bestattung meines Leibes nicht lange Sorge zu tragen'. Der Ausdruck (446) bafalan hydan war in der früheren Forschung lange Gegenstand von Diskussionen; man dachte sogar an die Sitte der .Hauptbegrabung'. J. Hoops 32 belegte dann

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Vgl. die kommentierenden Bemerkungen zu .Hildebrandlied' 61, etwa in meinem arbeo laosa, Bern 1972 — und als Gegenbeispiel den Kampf Parzivals mit Ither! — Waffen und Rüstungen und Pferde der im Hunnenland gefallenen Ritter werden nach dem Bericht der .Klage' von Attila ihren Angehörigen geschickt (1289 f.; 1614; 1776, usw.). Gunther, Kratz (wie oben Anm. 18), etwa G. F. Jones, The Ethos of the Waltharius, in: Kunstmann Festschrift, 1959, und andere sprechen von .gestohlenen' Schätzen: da Walther heimlich aus dem Hunnenland flieht, kann er sich ja das nötige Reisegeld, sein .Gehalt' als hunnischer Heerführer und das im Kriegsdienst erbeutete Gut nicht offiziell von Attila erbitten. Einer der Hauptpunkte, bei denen die englische Bearbeitung vom Waltharius abweicht, vgl. dazu zuletzt Paul und Braunes Beiträge (Tübingen) 101, S. 247 und den Kommentar meiner Ausgabe zur Stelle. Englische Studien 54 (1920), S. 19 ff.

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aus Bedas HE (IV,19), dem Bericht der Graböffnung der Hl. Aethiltryth (f 680), daß die Sitte, das Antlitz der Leiche mit einem Tuch zu bedecken, auch bei den Angelsachsen bestand. Dies gehört zur sog. ,Leichenhilfe', die bei den Nordleuten so geleistet wurde, daß der nächste Verwandte dem Toten Mund, Augen und Nase Schloß, den Leib streckte und den Kopf (oder die ganze Leiche) umhüllte 33 . Bei Erschlagenen vollzog derjenige die Handlung, welcher die Rache übernahm 34 . Nach den Gegebenheiten des ,Waltharius' wäre dies also die Pflicht von Gunther und Hagen gewesen. Noch in der 17. Aventiure des Nibelungenliedes, die von Siegfrieds Bestattung handelt, wird mutatis mutandis dieses Brauches gedacht, und man meint, daß bei der Aufeinanderfolge der Bestattungsakte noch die alte Schicht durchscheint. Wir können es uns an dieser Stelle nicht versagen, noch auf die ,Leichenhilfe' Iwanets im .Parzival' einen Blick zu werfen. Dem unritterlich mit dem gabylot getöteten ,Roten Ritter' nimmt Parzival Rüstung, Waffen und Roß ab und reitet von dannen: 159,5 Ithern von Gahmen er jtemerliche Ilgen linζ. Allein Ivanet ,bedeckt' ihn mit Blumen, verfertigt aus dem gabylot ein Kreuz, reitet sofort in die Stadt, um den Toten holen zu lassen (wobei auch des .Klagens' nicht vergessen wirt): 159,13 Iwanet uf in do brach der liebten bluomen %eime dach35.

Der hlaford, wie Gunther im ags. .Waldere' genannt wird (1,30), stirbt nicht. Er wird ja anderswo in der germanischen Sagenwelt gerichtet, allerdings nicht als Einbeiniger. Niemand braucht sich in den Walther-Dichtungen (soweit wir sehen) um seine Leiche zu kümmern, „wie es einem Herrscher gebührt". Dies bleibt dann dem Dichter der ,Klage' des 13. Jh.s überlassen, der dieser Pflicht jedoch recht lax nachkommt 36 . Gunther kommt wohl auch in dem ags. Stück mit dem Leben davon — obwohl wir nicht wissen, wieweit die ,Nibelungen' in England bekannt waren, und obwohl er in der Stabreimfassung des ,Waldere' noch konzentrierter 37 als unrecht handelnder, prahlerischer Feigling 38 charakterisiert wird. Nicht so sehr die Goldgier als sein Anspruch auf das Mädchen, den er unbedingt durchsetzen will, kennzeichnen seine (wenn auch nur indirekt in den Reden genannten) Handlungen. Im ,Waltharius' will der ,Held auf der Flucht' um des guten Friedens willen dem König ein Durchzugsgeld von erst hundert, 33

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Ibd. nach K. Weinhold, Altnordisches Leben, S. 474 f. Man vgl. nun H. Uecker, Die altnordischen Bestattungssitten in der literarischen Überlieferung, Diss. München 1966, S. 1 7 - 1 9 zu ,hylja'. Weinhold, ebda. Zitiert nach der Ausgabe von K. Lachmann 18915, hrsg. G. Weber, Frankfurt 1963. Die .Klage' des Königs ist konventionell; sie wird erst am Schluß dem heimreitenden Swemmel empfohlen: 1725 und sagt ouch Guntheres man da% si gedenken mol dar an Wie ir der kiinec te phlac mit ganzen eren manegen tac. An dem nach Worms zurückgeleiteten Roß Gunthers (1770), das die Menge dort erkennt, beginnt man das Unheil zu ahnen, welches seinen Herrn getroffen hat. Dies läßt vielleicht ebenfalls auf die relative Kürze der dialogstrukturierten ags. Version schließen. Vgl. den Kommentar in meiner Waldere-Ausgabe.

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dann von zweihundert Spangen zahlen — im ,Waldere' lehnt Gunther sogar (also die beiden, alle beiden) Schreine ab, welche das hunnische Gold bergen, ja selbst das Schwert, welches Waldere ihm opfern möchte (1,28 f.). Was kann er also noch — soweit wir sehen — wollen, warum möchte der König überhaupt noch fechten, wenn nicht um den Besitz der Prinzessin? Dieses Moment bedingt hauptsächlich die Eigenständigkeit des ,Waldere' — und wir wissen nicht genau, wie wir sie erklären sollen, ob diese verschiedene Motivation (wenn wir sie richtig erschlossen haben) sich — wie so vieles — als eine Umgestaltung des ,Waltharius' zugunsten einer anderen Auffassung oder anderer Pointen erklären läßt. Auf jeden Fall: was die christlich-homiletischen Momente des ,Waldere' betrifft, so sind sie dicht mit dieser vom ,Waltharius' sich abhebenden Schicht verzahnt, aber so, daß sie manchmal lediglich als Ausarbeitung von dort gegebenen Impulsen wirken. Hierher erklärt sich eben das Gebaren Hildgyths, die nicht in die Hände des ,hlaford' fallen will und also ihren Beschützer wortgewaltig aufmuntert, nun (1,6f.; 29) nicht den Kampfmut zu verlieren. Zu den Argumenten, die sie gebraucht, gehört auch dies: ,Gott hat Dir bisher geholfen, sieh zu, daß er es auch weiterhin tut' — so die allgemeine Bedeutung. Der genaue Sinn der betreffenden drei Kurzverse (1,22 b—23) ist wegen des fehlenden weiteren kontextlichen Bezuges (im Hinblick auf die Stellung der .Mahnrede' im Handlungsgefüge selbst und dessen Abweichungen von der Struktur des ,Waltharius') nicht leicht zu bestimmen: die

weoröe öe selfne

godum dsedum

öenden öin god recce

,Würdige Dich selbst mit guten Taten, solange Gott Dir Beachtung schenkt' Heißt dies:,Schau zu, daß du weiterhin zu Deinen Ehren tapfere Taten begehst und nütze die Zeit aus — den Kairos — während welcher Gott Dich führt, Dich in seinen Schutz genommen hat'? Bei dieser Interpretation, die ich ähnlich in meiner ,Waldere'-Ausgabe vor Jahren vorgeschlagen habe, hätte also Gott quasi die Rolle der Fortuna (die ja im Waltharius eine antikisierende Rolle spielt), bzw. der wyrd . . . Aber: ist denn hier der Ausdruck godum deedum überhaupt auf die Kriegstüchtigkeit Walderes bezogen . . . oder sind die ,guten Taten' vielleicht gar im christlichen Sinne gemeint? Also etwa so: .Verleihe Deiner (geistlichen) Stellung größeren Wert durch verdienstvolle Werke, damit Dich Gott weiterhin leite und Dir beistehe!'39 39

Es ist die Frage, ob denden (mit Konjunktiv) auch finale Bedeutung haben kann, wie dies etwa in dem folgenden Satz der .Exeter Gnome' der Fall zu sein scheint: Hy sceolon tafle jmbsittan penden him hyra torn toglide ,sie sollen bei ihrem Spiel sitzen, bis daß (auf daß, damit)

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Ist hier mitten in der .Ermunterung zum Aushalten im Kampf' ein solch frommer und also — wie es auf den ersten Blick scheint — deplazierter Ausspruch möglich? Wäre eine solche neue Nuance der Interpretation nur durch das Medium des Weibermundes gerechtfertigt, durch die Furcht Hildgyths, in die Hände Guöheres zu fallen — weshalb sie nun zu allen Mitteln der Mahnrede greift, also auch die Möglichkeit in Betracht zieht, Gott durch meritorische Taten weiterhin günstig zu stimmen? Obwohl Gott ohnedies dem zu Unrecht Angegriffenen beisteht — wie Hildgyth ja auch weiß und sagt (1,27)? Dies ist jedoch kein Widerspruch. In der Tat werden beide Argumente — ,Gott der Gerechte hilft den Gerechten' — ,Meritorische Werke sind angebracht, um sich der Hilfe Gottes zu versichern' in der Rede des Helden selbst (am Ende des Fragmentes II) in engem Zusammenhange und noch deutlicher dargelegt. Hier läßt sich das eben über das Verhältnis zum Waltharius Gemutmaßte wieder beobachten: volente deo (570) hofft der Held (also in bedingtem Gottvertrauen), auch Hagens Kriegskünste zu überwinden; und Walther selbst erinnert die zagende Hiltgunt beim Herannahen der Franken an seine Siege im Hunnenheer, die er mit Hilfe Gottes erlangen konnte (so wie im .Waldere' das Mädchen in ihrer Ermunterungsrede die Erfolge ihres Verlobten im avarischen Heer herausstellt): 552

Qui me de variis eduxit saepe peridis, Hic valet hic hostes, credo, confundere nostros.

,Er, der mich oft aus vielerlei Gefahren herausgeführt hat, kann auch hier unsere Feinde, so vertraue ich, zuschanden machen.' Vgl. ,Waldere' 1,4 b oft at bilde gedreas swatfag and sweordwmd secg after oòrum. 6 Mtlan ordwyga ne lat din eilen nu gyt gedreosan to dtege .blutig und durch das Schwert verwundet ist noch immer beim Kampf (gegen dich) ein Krieger nach dem anderen gefallen. 6. Heerführer Attilas! Laß deinen Mut heute nicht sinken'.

Wir betrachten also nun das ,Gottvertrauen' Walderes in seiner eigenen Rede (Fragment II). Es handelt sich um den ebenfalls rhetorisch stilisierten g y l p , den der Held seinem Gegner Guöhere (wohl vor dem letzten, entscheidenden Kampf) vorträgt. Er rühmt sich u. a. seiner treuen Verteidigungswaffen — der Rüstung und des Helmes seines Vaters — und seiner (siegesgewohnten) Hand, die ihn nicht im Stich lassen, die sich nicht wie .falsche Verwandte' ( u n m e e g a s , Guöhere wohl eingeschlossen) benehmen werden. Gott hilft denen zum Sieg, die im Recht sind:

ihr Zorn verraucht. . .' (182). — Man vergleiche die ähnliche, an Abraham gerichtete Mahnung Gottes, in der .Genesis A': ne lat pu pe pin mod asealcan warfast willan mines ne pearft pu pe wiht ondradan penden pu mine lare lastest (2168 b—2170 a) ,Laß deinen Mut nicht sinken und an meinem wahren Willen zweifeln, du brauchst dich vor nichts zu fürchten . . . solange du mein Gebot befolgst'.

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öeah maeg sige syllan Se öe symle byö recon and rasdfest ryhta gehwilces se öe to öam halgan helpe gelifeö to gode gioce he Jaser gearo finded gif öa earnunga aer geöenceö forine moten wlance wela britnian aehtum wealdan Jjast is

,Doch mag Jener den Sieg gewähren, der immer mit Rat und Tat bereit ist, wenn es um eine gerechte Sache geht: (27) Wer von dem Heiligen Hilfe erhofft, Unterstützung von Gott, der wird (sie) da in vollem Maße finden, (29) wenn er da vorher der Verdienste gedenkt (zu erwerben). Dann können die Reichen ihr Gut verteilen, ihr Eigentum verwalten, das ist .. , 40 Die Hilfe Gottes dem .Gerechten' gegenüber ist also nicht automatisch, sie wird aber demjenigen sicher und pünktlich zuteil, der vorher an gute Werke gedacht hat, sich also Verdienste erworben hat. Es wäre theoretisch möglich, bei diesem Text, welcher der Interpunktion in der Hs. völlig entbehrt, mit v. 26 das Ende der ,Reizrede' Walthers anzusetzen und mit v. 27 eine Gegenrede beginnen zu lassen, worin Gunther oder Hagen dem Helden heuchlerisch vorwerfen, seine hunnischen Schätze nicht zu gottgefälligen Zwecken verwendet zu haben. Wenn man (wie bisher) dieses Stück ebenfalls Walther zuschreibt, so enthält es seinen selbstgerechten Vorwurf gegen die Habgier der Gegner, jedoch die Zusicherung, den eigenen Reichtum zu verdienstvollen Zwecken bereits (teilweise) verwendet oder aber zumindest an eine solche Verwendung gedacht zu haben. In diesem Falle wäre — wie in Hildgyths Rede — die Einheit des Gedankens ,Gott hilft den Gerechten, wenn sie meritorische Werke vollbringen' gewahrt. Auch hier eine bedingend-einschränkende Konjunktion: Gott hilft in Hildgyths Rede „denden", ,solange' er will und mag, gemäß den guten Taten seines Schützlinges (oder paränetisch gewendet: der Schützling Gottes soll ,gute Werke' vollbringen, damit ihn Gott weiterhin führe . . .). In Walderes Rede hilft Gott (11,29), wenn , g i f derjenige, welcher göttliche Hilfe erheischt, vorher an den Erwerb der entsprechenden Verdienste (earnunga) denkt.

Dies alles scheint seltsam im Heroischen, besonders wenn man den ,Waldere' (hauptsächlich seines traditionellen Versmaßes halber) als .archaisch' betrachtet. Setzt man das Stück jedoch ins 10. Jh., wofür vieles spricht, so ist es mit dem altgermanisch-heldischen Anspruch schon chronologisch schlecht 40

Ich gebe hier vorläufig meinen Text (jedoch ohne Interpunktion und andere textkritische Auszeichnungen) nebst meiner Übersetzung aus Paul und Braunes Beiträge (Tübingen) 101, S. 367 f. wieder und komme dann auf andere Interpretationsmöglichkeiten zu sprechen. — Alternative zu v. 30: 'Dann mögen die Mächtigen ihr Gut regieren'.

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bestellt. Wir vermeinen dagegen, schon den Weihwasserdunst der Moniage zu spüren — und vielleicht nicht zu Unrecht. Hier zunächst nur folgendes. Man muß bedenken, daß die geistliche Feder den kontinentalen Stoff höchstwahrscheinlich aus lateinischer Quelle (dem Waltharius) für ein geistlich gebildetes Publikum anglisiert und, für den Zweck des volkssprachigen Vorlesestoffes, entsprechend weiter ,verkanzelt' — wir wissen nicht mit welchem Ausgang. Der Hunnenschatz ist im ,Waltharius' und im .Waldere' ein Hauptmovens der Erzählung. Der Schatz stachelt im .Waltharius' die avaritia Gunthers auf — und auch die Beutegier seiner Begleiter (mit Ausnahme Hagens, der dies erkennt und ausspricht, v. 349 ff.). Die avaritia treibt die Leute Gunthers in den Tod. Ist denn der Walther des .Waltharius' auch ,avarus'? Wir haben es bereits verneint, doch mögen dem damaligen Publikum wie den heutigen Kritikern Zweifel gekommen sein. Im .Waldere' ist vieles anders. Hier, wo Hildgyth mehr im Mittelpunkt steht, können die hunnischen, von Guöhere verschmähten Schätze eine andere Bestimmung erfahren. Auch die Schwertgeschichten lenken von den kostbaren Baugen ab oder sollen es. Das künftige Schicksal des hunnischen Goldes wird ja im lateinischen Stück nicht zur Diskussion gestellt. Das Gold motiviert im .Waltharius' das unfaire Verhalten des nibelungischen Königs, seinen Überfall — und dann die blutige Niederlage aller drei Protagonisten, auch die Blessierung des Besitzers: 1404 Sic, sic armillas partiti sunt Avarenses! Im ,Waltharius' stehen die Schätze im Mittelpunkt. Im ,Waldere', wo ja, wie wir bereits sagten, die Maid Hildgyth als zu beschützendes Gut mehr Gewicht hat als das Gold, kann auch auf die .richtige', also .gottgefällige' Nutzung des Reichtums (wohl doch durch Walther) hingewiesen werden. Und homiletisch gemünzt sind auch die — mit dem Wortschatz der geistlichen (soweit wir beurteilen können: späten und z. T. vielleicht prosaischen) Literatur übereinstimmenden Prägungen dieses Endabschnittes der .Trutzrede' Walderes. Das Schlüsselwort dieses letzten Abschnittes des ags. Stückes, auf den die Forschung m. W. niemals als unicum aufmerksam gemacht hat, weil dieser leider fragmentarisch gebliebene Passus ja nicht in das eingebürgerte Konzept des „archaisch-heroischen" Charakters des ,Waldere' (gegenüber dem burlesken ,Waltharius'!) paßte, das Schlüsselwort also ist das Wort earnung .Verdienst', und zwar im geistlichen Sinne. Dieses Wort kommt in der ags. geistlichen Dichtung achtmal (incl. .Metra' und .Salomon und Saturn') vor, und zwar immer im Sinne von meritum. Nur ein einziges Mal ist ge-earnung in der heroischen Dichtung belegt, und zwar in dem skandinavisch beeinflußten, späten (nach 991) verfaßten, propagandistischen ,Maldon'. Und nur hier ist

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der Ausdruck im weltlich-heldischen Sinne als .Lohn' belegt: Trotz des dem .Waldere' ähnlichen Gefüges gif hi pa geearnunga ealle gemunden (v. 196 f.) bezieht sich das Wort im Sinne des .Hallenethos' auf die Geschenke, welche die Krieger im Frieden von ihrem Anführer erhalten haben, um sie dann im Kampf mit Aktion zu vergelten. (Historisch ist die Ähnlichkeit des Gefüges vielleicht durch eine Kontrafaktur der christlichen Literatur zu erklären — ob dies auch auf das Wort earnung selbst zutrifft, bleibt noch zu klären)41. Die der Kirche zugewandten guten Werke des ealdorman Byrhtnoö haben ihm auch das Lob der kirchlichen Geschichtsschreibung eingebracht, und dabei sind in unserem Zusammenhange besonders interessant die Worte, welche ihm ein Mönch von Ramsey (zwischen 997 und 1005) in seiner Vita Oswaldi widmet; der geistliche Autor sieht den riesigen Helden im Kampf, wie er, über alle hinausragend, durch seine Tugenden und seine guten Werke gestützt wird: Stabat ipse, statura procerus, emimns super caeteros, cujus manum non Aaron et Hur sustentabant, sed multìmoia pietas Domini fulciebat, quoniam ipse dignus erat. Percutiebat quoque a dextris . . . quoniam elemosinae et sacrae Missae eum confortabant. Protegebat se a sinistris debilitationem oblitus sui corporis, quem orationes et bonae actiones elevabant4U.

Es ist bezeichnend für den .homiletischen' Stil des .Waldere' und für seine kunstvolle Rhetorik 42 , daß sein Verfasser nicht nur Patterns benützt, die wir aus der geistlichen Dichtung kennen43, sondern auch sog. ,Prosa-Wörter' gebraucht, die sich sonst schwer in der Dichtung finden. Wir zitieren an Prosa-Ausdrücken zunächst das von Stanley festgemachte wordum cidan (Hildgyths Mahnrede, 1,12 b), welches er aus Aelfric's ,Letter to Wolfgeat' belegt44. Das Wort earnung .geistlicher Verdienst' wird von Stanley nicht in Betracht gezogen, weil es ja gleichfalls im poetischen Kontext vorkommt: Wir weisen für die vielen ags. Prosabelege auf die Stellensammlung (mit breitem Kontextmaterial) hin, welche Marina Cutrufelli demnächst veröffendichen wird 45 . Nach weiteren Prosa-Ausdrücken müßte der Text des Waldere genauer untersucht werden. Wir nennen an dieser Stelle nur noch das Hapax geapneb (11,19), welches sich auf die Rüstung — oder Marina Cutrufelli vom Institut für germanische Philologie an der Facoltà di Lettere der Universität Messina beschäftigt sich mit Gebrauch und Deutung dieses Wortes in der ags. Literatur. Ihre Arbeit wird voraussichtlich 1986 in den Atti der Accademia Peroritana, Messina, erscheinen. 41 a J. Raine (Hrsg.), Historians of the Church of York, 1886, Bd. I, S. 455; in Gordons Ausgabe S. 5 f. 42 Auf die ich in meiner Ausgabe hingewiesen habe. 43 Anklänge an .Christ und Satan' sind von Bugge und Holthausen angemerkt und dann von mir in meinem Aufsatz in Paul und Braunes Beiträgen (Tübingen) 101, S. 348 f. nochmals (vielleicht mit übertriebener Beachtung) herausgestellt worden. 44 E. G. Stanley, Prosaic Vocabulary of Old English Verse, Neuph. Mitt. 72 (1971), hier S. 403. Die Stelle befindet sich in Bibl. d. ags. Prosa III (hrsg. B. Assmann), 12.307. 45 Wie oben Anm. 41. 41

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wahrscheinlich auf den Helmteil dieses väterlichen Erbes (11,18 Aelßeres l a f ) — bezieht, dessen hervorragende Eigenschaft eben durch dieses sonst unbekannte Kompositum bezeichnet wird, vielleicht ein Terminus technicus der Rüstungsindustrie, der nach seinen Bestandteilen etwa .aufklappbarer' (g^-),Nasen-(»iè)helm' bedeutet46. Das Grundwort dieser Zusammensetzung, neb(b), ist ein ausgesprochenes ,Prosawort': wir finden es einmal in der ,Phoenix' (, Schnabel') und daneben nur in den ,Riddles' und in den ,Metra', was die Verwendung in der ags. Poesie betrifft. Es steht in der Prosa öfters, mehrfach in Alfreds ,Cura Pastoralis', und zwar u. a. in recht wenig feinem Zusammenhang (ins Gesicht speien'47, usw.). Aus der gelehrten geistlichen Lektüre stammen vielleicht noch zwei Ausdrücke der Waldere-Fragmente. Der eine ist stanfat ,Steinbehälter', wie Guöhere in seiner Prahlrede das Futteral nennt, in dem er sein Wunderschwert stille gehided ,heimlich verborgen' (11,3) hat. Das Substantiv kommt sonst nur noch in den nordhumbrischen Evangelien vor, als Übersetzung des ,Salbengefäßes' Mc 14,3 (alabastrum); ein Anklang an den ganzen Vers findet sich in den ,Metra' XX,151, wo es vom Feuer heißt, es sei on stanum eac stille gehjded. Also Reminiszenen aus der Schullektüre48? Vielleicht ist auch das ,Lob der Hand' (11,21 b) — auf die berühmte Rechte des Helden Waltharius bezogen — von der Lektüre eines Prosawerkes angeregt, nämlich von Bedas .Historia Ecclesiastica' (111,6). Dort liest man den Ausspruch: Numquam inveterascat haec manus ,Ne forealdige peos bond afre', und zwar die mildtätige Hand des Heiligen Oswald, die ihm (wie dem Walther!) im Kampf abgeschlagen und unverwest in einem Reliquienschrein aufbewahrt wurde. Mit derselben alfredischen und nachalfredischen geistlichen Literatur hat der .Waldere' in diesem letzten homiletischen Passus, dem ja unsere besondere Aufmerksamkeit gilt, eine Formel gemeinsam: 11,27 se öe him to öam halgan helpe geüfeö, to gode gioce he Jwer gearo findeö Anklang an 11,27 finden wir gleich zweimal im metrischen Vorwort der englischen Übersetzung der ,Dialoge' Gregors des Großen: 10 18 46 47

48

49

to Ipissa haligra helpe geliefeö \>xt J>u him to ]?eossum halgum

helpe bidde49.

Vgl. den Kommentar meiner Ausgabe zur Stelle. In bezug auf Deut. 25,5 huic in faciem mulier expuaP. donne brecce hio him on bat ηebb foran (EETS 45, S. 43,15; S. 45,3; vgl. MPL 77,19). Die wir hier deshalb nochmals zitieren, vgl. Paul und Braunes Beiträge (Tübingen) 101, S. 238 und 249, Anm. 34. H. Hecht (hrsg.), Bischof Werferths Übersetzung der Dialoge Gregors des Großen, Hamburg 1907, S. 2 (Hs. 0): v. 10 geht auf das Erlangen des Himmelreiches durch die Hilfe der

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Die Phrase gehört zu einem formulaic system50. Hier stehen die ,Heiligen' im Plural, während in der (oben Anm. 43) bereits erwähnten Stelle aus ,Christ und Satan' der ,Heilige' sich auf Gott selbst bezieht, wie im ,Waldere'. Wir zitieren hier nochmals den ganzen Passus, weil dieser — ähnlich wie in unserem Stück — Teil eines größeren Inhaltsmusters, dem ¿er-^/ifer-System51, ist: 289

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gif we ]?aet on eoröan ser ge]pencaö, (W. 11,29) and us to ]pam halgan helpe gelefaö. (W. 11,27) Ponne he us no forlasteö, ah lif syleö (W. 11,30 + 25) (wir werden im Himmel belohnt werden) gif £ider moton, (W. 11,30) and Jjaet on eoröan asr gewycaö. (W. 11,29) ForJjon se biö eadig . . .

Wir sehen an diesen Beispielen, in welchem Boden der Vers ,Waldere' 11,29 gif da earnunga œr geÖenceÖ wurzelt: er entstammt der geistlichen Mahnrede und ist eigentlich auf das Leben nach dem Tode bezogen, im Sinne: ,wer sich œr, vorher', in diesem Leben also, Verdienste (earnunga) erwirbt, hat nach dem Tode {after, ,danach') sich die ewige Seligkeit .verdient'. Im heldischen Kontext des ,Waldere' scheint das œr-œfter-Muster umfunktioniert zu sein im Hinblick auf die Garantie der Waffenhilfe Gottes: wer sich œr (29 b) durch Verdienste, d. h. durch gute gottgefällige Werke und Almosen (wir setzen I,23 und 11,29 parallel) die Freundschaft des Herrn erhält, dem wird er den Sieg nicht verweigern, zumal er ja in allen Rechtslagen als Wahrer der Gerechtigkeit (11,26) firm ist. earnung ist durch den Kontext hier jedenfalls als elemosjna zu verstehen und zielt auf die richtige Verwendung des Reichtumes, also (meinen wir) der hunnischen Schätze und aber auch des Goldes überhaupt (das ja auch der Sagenheld Gunther besitzt!). Der Schlüsselvers für diese (neue?) Wendung der englischen Waltherbearbeitung ist eben II,29 gif öa earnunga

asr geöenceö

— denn dieser Vers kann auch apo koinu gefaßt oder vieleicht sogar ganz zum folgenden gezogen werden, also zu

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Heiligen; v. 18 ist ein Teil der Bitte des bischöflichen Übersetzers an den König, er möge ihn den Heiligen empfehlen, deren Taten er hier beschreibe. .Andreas' (1566) ond uns pone halgan belpe btddan\ ,Fates of the Apostles' (88) Nu te ponne bidde . . . pat he geomrum me (90) pone halgan heap helpe bidde·, ,Gu{jlac' (922) at pam halgan peorvan helpe gemetton. Darüber habe ich gehandelt und Belege gesammelt in dem gleichnamigen Aufsatz in der Gedenkschrift für Sergio Lupi, Florenz 1977.

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11,30 Jjonne moten wlance aehtum wealden

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welan britnian

Also: ,wenn sie vorher daran denken (lies dann: gedencaff)52, verdienstliche Taten zu vollbringen, d. h. Almosen zu geben, fromme Stiftungen zu vermachen usw., dann können die .Stolzen' ihren Reichtum (richtig) verwalten. Wie auch immer die letzten Verse des II. Waldere-Fragmentes syntaktisch zu verbinden sind (der abrupte Schluß läßt keine endgültige Entscheidung zu), so geht es hier doch offensichtich um die richtige oder falsche Verwendung des Reichtums (wela; aht), also der .hunnischen' Goldschätze (1,28 f. sjncfatas; beaga manigo) oder aber (auch) des burgundischen Goldes. Welan britnian (brjttan, usw.) ,den Reichtum verteilen' ist ein StandardAusdruck der heroischen Dichtung, ursprünglich — enkomiastisch — auf den ringbrechenden, Gold nach Gunst und Laune verteilenden Fürsten bezogen (der ja auch der sinces brytta, goldes brytta, beaga brytta, usw. genannt wird). Bryttan, britnian (usw.) mit verschiedenen Objekten, die ,Gold, Geld, Schätze' bedeuten, steht formelhaft für die standesgemäß-großzügige Lebensart und Verwaltung eines edlen Herrn. Es wird so etwa auch von den Häuptlingen des Alten Testaments ausgesagt, wie z. B. von Malalehel in der Paraphrase der ags. Genesis (A) in bezug auf Gen. 5,17. Hier wird zu diesem nicht näher bekannten Namen auch eine allgemein für Leute adligen Standes zutreffende Formel gebraucht: 1180b

longe siÖÖan geared gumum

gold brittade ... se eorl was aíele (vgl. v. 2179; ,Dan.'

690; ,Beow.' 2383, usw.).

Das Wort wlance ,,superbi' wird in diesem Kontext (,Waldere' 11,25 — 31) verwendet, wohl um zu zeigen, daß hier der im kirchlich-ethischen Sinne schlecht verwaltete Besitz gemeint ist, also vielleicht im Hinblick auf den Reichtum Gunthers, des Rex superbus, wie wir ihn aus dem ,Waltharius' kennen. Das Exemplum derjenigen, welche, durch die praesumptio (wlenco) verblendet, ihre abundantia an Gold mißbrauchen, sind die Sodomiter: nicht nur ihre unersättliche cupiditas wird in Kommentaren zu Gen. 19 getadelt, nicht nur ihre avaritia bei der Beherbergung von Fremden schon bei den jüdischen Exegeten gebrandmarkt, sondern besonders die Verschwendung des Überflusses an Gütern zugunsten der Laster der Völlerei und der Luxuria. Und dies wird ja von Gott exemplarisch bestraft. Der Vorwurf, den der geistliche Bearbeiter des ,Waldere' dem Helden in den Mund legt, daß nämlich sein Gegner, durch die superbia verblendet, das ,welan britnian' nicht als christlicher Fürst ausübt, dieser Vorwurf klingt (wenn wir die letzten Zeilen 52

Vgl. zu diesem Emendationsvorschlag meinen Aufsatz in Paul und Braunes Beiträgen (Tübingen) 101, S.28f.

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des zweiten Fragmentes richtig interpretieren) an die Charakterisierung der Sodomiter in der ags. Genesisparaphrase (Genesis A) an53. Als Parallelen der Lexik bieten sich zunächst folgende Ausdrücke an: Sodom ist die reiche goldburh (2251), deren Halle of er readum golde (2406) ,über dem Schatz' errichtet ist und deren König goldes brjtta (1897) genannt wird und deren Bürger wlance (2420) heißen: 2581 hie £>ass wlenco onwod and wingedrync jjaet hie firendasda to frece wurdon synna friste soö ofergeaton, drihtnes domas and hwa him dugeöa forgeaf, blaed on burgum ,ihre Arroganz blähte sie auf und die Weintrinkerei, so daß sie immer gieriger nach Laster wurden und das Gottesgesetz vergaßen, und wozu Gott ihnen Reichtum im Überfluß in jener Stadt gewährt hatte. Die abundantia wird also in dem christlich-rhetorischen Heldenstück des ,Waldere' (soweit wir es lesen können) als Mißbrauch des Reichtums (und darunter fallen auch die Folgen von avaritia und Besitzgier) neben die superbia des Burgundenkönigs gestellt: durch den sich dem Publikum ergebenden Vergleich mit den Sodomitern wird die Feindseligkeit den Fremden (dort die beiden Engel — hier Walther und Hiltgunt) gegenüber (und die potentielle luxuria Gunthers) noch unterstrichen: Sodomitae divitiis et abundantia elati . . . impii circa deum . . . aversique sunt a susceptione peregrinorum . . . deus disposuit eorumpunire superbiam. So weiß man aus Josephus54. Und aus der Schullektüre des Orosius ist bekannt: bonis male utenti, abundantia rerum causa malorum fuit. Ex abundantia enim luxuria, ex luxuria foedae libídines ado levere55. Der Held des ,Waldere' lehrt dagegen durch seinen geistlichen Verfasser: Wer seinen Reichtum zu Almosen, zu guten Werken (earnunga) verwendet, hat Gottes Hilfe, hat den gerechten Sieg auf seiner Seite. Anders die Sodomiter, welche von Gott wegen des Mißbrauchs ihres Überflusses gestraft werden. Sie sind dem dives (Le 16) typologisch zugeordnet, dessen Reichtum ihn zur superbia führte und Gott vergessen ließ. Der Kommentar des Hieronymus zu Ez. 16,48 nennt diese Parallele zusammen mit dem argentum et aurum aus Deut. 8,11: Die iniquitas Sodomae (deren Maße für den rex superbus et demens gelten), besteht aus „superbia, saturitas panis, et abundantia,

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Allgemeine und weiterführende Gedanken zum sodomitischen Reichtum in der Genesis A bei: Nina Boyd, Doctrine and Criticism. A Revaluation of ,Genesis A', Neuph. Mitt. 83 (1982), bes. S. 236. Josephus, Ant., I, xi, 1 (ree. F. Blatt, 1958). Historiarum adversum Paganos Libri VII, ree. C. Zangemeister, Corpus christianorum series latina 5 (1882) 1,5,1.

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et otium ipsius" (man denke luxuriaeqm opulentia'