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German Pages 156 [157] Year 1975
GÜNTER LANGE Heimat — Realität und Aufgabe
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Z E N T R A L I N S T I T U T FÜR G E S C H I C H T E
Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte
B A N D 56
GÜNTER LANGE
Heimat — Realität und Aufgabe Zur marxistischen Auffassung des Heimatbegriffs
2., bearbeitete Auflage
A K A D E M I E - V E R L A G • BERLIN 1975
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1973 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 200 • 100/231/75 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza/DDR Einbandgestaltung: Rolf Kunze Bestellnummer: 7523538 (2034/56) • LSV 0705 Printed in GDR EVP 7,50
Inhalt Vorwort 1. Der weltanschaulich-politische Ausgangspunkt Untersuchung
der 12
Die Heimat als objektiv-reales Verhältnis 12 Die Antwort der spätbürgerlichen deutschen Heimatideologie auf die Grundfrage der Philosophie .19 2. Die dem Volke entfremdete Heimat in der spätkapitalistischen Gesellschaft
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Die entfremdete Arbeit als Grundlage für den Verlust an Heimat „Heimat" als Gemeinschaftssurrogat
32 44
3. Die sozialistische Heimat als Aufgabe und Errungenschaft
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Heimat als Aufgabe im proletarischen Klassenkampf . . Die sozialistische Heimat als Errungenschaft und Aufgabe
55 70
4. Die produktive Aneignung der Natur als. Voraussetzung der Heimat
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Die Rolle der Arbeit für die Entwicklung der Verbundenheit mit der engeren Heimat •. . Eine notwendige Verteidigung des realen Humanismus gegenüber der inhumanen bürgerlichen Heimatideologie 5. Die räumliche Weite der Heimat
84 91 108
Das Verhältnis zwischen lokaler Heimat, Vaterland und sozialistischem Weltsystem 109 Die geographische Bestimmung und Einordnung der Heimat in der Ideologie des deutschen Imperialismus . . 126 6. Schlußbemerkungen
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VORWORT Ich preise die Heimat, so wie sie ist, doch dreifach die Kommende preis ich. W. Majakowski
In unserer Zeit vollziehen sich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution des Jahres 1917 hat den weltweiten Übergang der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus eingeleitet. In diesem Prozeß werden alle gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend umgestaltet und ihre Existenzformen erneuert. Das Vaterland wird für die arbeitenden Menschen zur Realität, weil es aufhört, eine Domäne der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung zu sein. Neben Nationalstaaten entstehen auch multinationale Gemeinschaften, in denen die Nationen und Völkerschaften auf neue Art zusammenleben und sich annähern. Diese sozialistischen Vaterländer entwickeln sich als souveräne Abteilungen des sozialistischen Weltsystems, das als internationale Existenzform unserer Gesellschaft eine dominierende Bedeutung gewinnt und die einheitliche kommunistische Menschheit auf unserem Planeten vorbereitet. In diesem revolutionären Prozeß findet auch der Wandel seinen Platz, der sich in den Beziehungen lokaler Gemeinschaften zu ihrer unmittelbar gegebenen Umwelt, zur engeren Heimat, vollzieht. Dabei ändert sich zugleich das Verhältnis dieser Gemeinschaften zueinander. Die Integration der sozialistischen Vaterländer in die Gemeinschaft der verbündeten Staaten ist zu einer notwendigen Bedingung für die weitere Entwicklung eines jeden von ihnen geworden. Die Menschen, die in ihren Heimatorten tätig sind, wirken nicht nur für ihre lokale Gemeinschaft, sondern zum Wohle des ganzen Volkes, der sozialistischen Völkerfamilie. Deshalb kann die Frage nach der engeren Heimat in unserer Zeit nur noch im Zusammenhang mit ihren Beziehungen zu umfassenderen Formen der menschlichen Gesellschaft beantwortet werden. Sie wird aber dadurch nicht gegenstandslos. Sie stellt sich lediglich auf neue Weise. Freilich sind nicht alle Klassen und Schichten, die in unserer Zeit die sozialistische Gesellschaft bilden, in gleicher Weise dazu befähigt, Vorbild und Inititator für den Übergang zur einheitlichen kommunistischen Menschheit zu sein. Der entscheidende Wesenszug aller Existenzformen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin, daß sich die Arbeiterklasse als führende Kraft bewährt, indem sie die Welt nach ihrem Bilde gestaltet. Sie ist nicht nur Träger der politischen Macht, sondern auch Hauptproduzent und kollektiver Eigentümer an den entscheidenden Produktionsmitteln im Lande. In ihrer praktischen Lebensstellung gibt es weder Bedingungen für egoistische 7
Sonderinteressen noch für eine Feindschaft der Völker und Nationen. Das ist es, was sie dazu befähigt, unter der Führung ihrer kommunistischen und Arbeiterparteien eine kameradschaftliche Zusammenarbeit zu pflegen und die allmähliche Annäherung der sozialen Klassen und Schichten von Werktätigen im Lande wie auch der nationalen Abteilungen unserer großen sozialistischen Weltgemeinschaft zu vollziehen. Die Perspektiven dieser Entwicklung können wir schon jetzt in ihren allgemeinen Zügen erkennen. Beim weltweiten Übergang der sozialistischen Völker zum Kommunismus wird sich der uralte Traum des Volkes erfüllen, daß der Mensch des Menschen Bruder werde — vereint durch die grundlegende Ubereinstimmung der sozialen Interessen und des moralischen Verhaltens. Bereits jetzt schwinden die aus der Ausbeutergesellschaft überlieferten Elemente der Fremdheit zwischen den Klassen und Nationen, entwickeln sich die sozialen Beziehungen, die wir vom Standpunkt der Arbeiterklasse a,us gesehen als heimatlich bewerten. Die Entwicklung des Sozialismus bildet mit dem unaufhörlichen wissenschaftlich-technischen Fortschritt eine Einheit. Die neuen sozialistischen Produktionsverhälthisse ermöglichen und gebieten es, in der produktiven Aneignung und Beherrschung der uns umgebenden Natur einen Sprung voran zu tun, der in der bisherigen Geschichte ohne Beispiel ist. Nichts vermag das besser zu verdeutlichen als der kühne Flug der Kosmonauten, die als erste Menschen jene elementare Kraft überwanden, die uns bisher an die Erde fesselte. Mitunter weniger offensichtlich, aber nicht minder revolutionierend sind die Fortschritte in den anderen Bereichen der Wissenschaft und Technik. Überall in unserer sozialistischen Welt stößt der Mensch in Regionen vor, die ihm bis dahin fremd gewesen sind, sei es in die räumliche Ferne oder in das tiefere Wesen von Erscheinungen. Indem wir uns diese Welt praktisch aneignen, verliert eine Region nach der anderen die Attribute des Fremden, weitet sich auch hier der Bereich, in dem wir heimisch geworden, den wir deshalb Heimat nennen dürfen. Mit der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln fiel auch die Schranke, die es der Menschheit bisher verwehrte, das gesamtgesellschaftliche Dasein bewußt und planmäßig zu gestalten. Zum ersten Male in der Geschichte zeitigt die freie Aktion der Volksmassen unter der/Zielbewußten Führung von marxistisch-leninistischen Parteien die gewollten Resultate. Wenn aber die alte, die Produzenten knechtende Arbeits- und Klassenteilung durch eine neue, sozialistische Gemeinschaft befreundeter Klassen und Schichten ersetzt wurde, von der die Gesetze der eigenen Vergesellschaftung erkannt und beherrscht werden, so bedeutet das wiederum, daß sich die Umwelt zunehmend in eine Heimstatt freier sozialistischer Bürger verwandelt. Es ist somit kein Wunder, daß uns die Frage nach dem Wesen der Heimat immer wieder aufs neue bewegt. Man könnte das Motiv dafür mit einem Bilde verdeutlichen: Gemeinsam stürmen wir voller Tatendrang die unendlichen 8
Höhen des gesellschaftlichen Fortschritts. Wir sind Revolutionäre und stimmen in diesem schöpferischen Sinne mit der kategorischen Forderung Goethes vom ewigen „Stirb und Werde 1" überein.1) Unser Bekenntnis zur Heimat verbindet sich stets mit unserer Tat für den sich entwickelnden Sozialismus. Das Gewordene wird immer wieder schöpferisch aufgehoben. Es zu negieren heißt aber nicht, es zu mißachten. Es gibt den Gipfelstürmern den sicheren Halt unter den Füßen, ist stets die Voraussetzung für den nächsten Schritt, Maßstab für das Errungene und Kraftquell für die Uberwindung der folgenden Schwierigkeiten des Weges — eine verteidigenswerte Errungenschaft. Das ist der Grund, weshalb sich unser Bekenntnis zur sozialistischen Heimat ebenso notwendig mit der Tat für den Frieden verbindet. Die Heimat, das schon Errungene, ist die Bedingung für das noch zu Erkämpfende — ist also Ausgangspunkt und Ziel zugleich. Diese objektiv-real gegebenen Zusammenhänge im Bewußtsein so widerzuspiegeln, daß es das praktische Handeln des Volkes für den Sozialismus beflügelt, ist die Aufgabe, die wir zu lösen haben. Es soll jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein, das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt in der zunächst skizzierten allgemeinen Form darzustellen. Hierzu gibt es bereits interessante Arbeiten.2) Die Vertreter vieler Wissenschaftsdisziplinen sind genötigt, die Frage nach der Heimat unter einem spezifischeren Aspekt zu stellen. Ihnen geht es um das Wesen und die Bedeutung der engeren Heimat, die selbst mit dem gegebenen Vaterland nicht in jeder Hinsicht identisch ist. Der Historiker stößt auf dieses Phänomen bei der Behandlung der Regionalgeschichte. Der Sprachwissenschaftler sieht sich ähnlich wie der Vertreter der Volkskunde mit regionalen Unterschieden in den Formen der Kultur und des sprachlichen Ausdrucks innerhalb der Nation konfrontiert. Der Pädagoge läßt sich in den Anfangsklassen der Schule vom heimatkundlichen Prinzip leiten und unterrichtet die Schüler im Fach Heimatkunde. Er verwirklicht dadurch ebenso den didaktischen Grundsatz, vom Nahen, Bekannten und Einfachen zum Ferneren, Unbekannten und Komplizierteren v.oranzuschreiten, wie auch das Prinzip sozialistischer Erziehung, die Aneignung der Theorie mit der selbständigen praktischen Bewährung in der näheren Umwelt zu verbinden. Dabei handelt es sich um das unmittelbar gegebene sozialistische Milieu einer kleineren menschlichen'Gemeinschaft innerhalb des Weltsystems, der Nationen und des jeweiligen Vaterlandes. Die Heimat in diesem engeren Sinne ist Gegenstand dieser Arbeit. Damit begeben wir uns auf ein weites Feld, auf dem nicht nur wertvolle Erkenntnisse reifen, sondern auch giftige Unkräuter in reicher Zahl und Schattierung wuchern. Es gibt nur wenige Begriffe, die von den Ideologen der reaktionären *) Johann Wolfgang von Goethe: Selige Sehnsucht. West-östlicher Diwan. Buch des Sängers. In: Goethes Werke. Auswahl in sechzehn Bänden. Dritter Band. Verlag Max Hesse. Leipzig (o. J.) Seite 17. 2) Siehe z. B. die anregende Schrift von Alfred Kueella: Das Eigene und das Fremde. Neue Beiträge zum sozialistischen Humanismus. Aufbau Verlag. Berlin und Weimar 1970.
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deutschen Bourgeoisie so mißbraucht worden sind wie „Heimat". Die Liste der Publikationen, die unter diesem Stichwort erschienen und in der BRD noch immer produziert werden, ist kaum noch zu überschauen. „Heimat" liefert das Thema für unzählige Schlager, für Operetten, Schauspiele, Filme, Groschenhefte, Romane und Gedichte, aber auch für politische Treffen, Verbände, Forderungen — bald sentimental in der Betrachtung des „Eigenen", bald haßerfüllt gegenüber dem „Fremden", aber in jedem Falle illusionär und der politischen Vergangenheit zugewandt. In diesem ideologischen Leitbild wird das egoistische Klasseninteresse der reaktionären Großbourgeoisie in eine „allgemein-menschliche" Form gebracht und den arbeitenden Klassen und Schichten als Verhaltensnorm suggeriert. Von dieser Konstruktion haben wir uns entschieden abzugrenzen, mehr noch, sie muß in allen Erscheinungsformen offensiv und überzeugend zerschlagen werden. Damit ist das grundlegende Gestaltungsprinzip dieser Schrift vorausbestimmt, gegen ajle Schattierungen der spätbürgerlichen Heimatideologie streitbar zu sein.' Sie hat in unserer Republik ihren Einfluß noch nicht völlig verloren. Ihre Verwurzelung und Zählebigkeit resultiert nicht allein aus der kapitalistischen Vergangenheit, sondern auch aus den ideologischen Einflüssen, die pausenlos, mit wachsender Intensität und Raffinesse — gewissermaßen ohne Dolmetscher — über die westlichen Grenzen in unser Land hereingeschleust werden. Die notwendige Auseinandersetzung konnte indessen nur durch einen bewußten Verzicht ermöglicht werden: Der Sozialismus ist durchgängig als die grundlegende Alternative zur kapitalistischen Fremde gesetzt. Deshalb bedürfen die speziellen Probleme der sozialistischen Heimat noch mancher weiterführenden Untersuchung und differenzierteren Darstellung. Die prinzipiellen Ausgangspunkte hierfür zu setzen bleibt ein Anliegen dieser Schrift. Es liegt zugleich in der Natur der Sache begründet, daß hier die weltweite Alternative zwischen Sozialismus und Kapitalismus vornehmlich am Beispiel jener Erscheinungsformen behandelt wird, die wir in der DDR und in der BRD vorfinden. Da uns die Manier antikommunistischer Politiker und Ideologen wohlbekannt ist, diese Darstellungsweise als einen negativ akzentuierten „Beweis" für die angeblich fortbestehende „Einheit der deutschen Nation" zu werten, bedarf auch das einer Erklärung. Die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der BRD dient der ideologischen Abgrenzung gegenüber der kapitalistischen Vergangenheit, die dort noch gegenwärtig und damit unmittelbar erlebbar ist. Sie wird zugleich erzwungen durch die feindliche Konfrontation, die im Ergebnis der Bonner „Deutschlandpolitik" entstand und sich — offen oder verhüllt — den Export der Konterrevolution in die DDR und den Anschluß ihres Territoriums und der darauf ansässigen Menschen an das eigene Staatswesen zum Ziele setzt. Wir wenden uns also einem potentiellen Aggressor zu, wenn wir die Verhältnisse in der BRD besonders berücksichtigen. Wir übersehen keineswegs, daß sich diese expansive Politik, in der sich das besonders aggressive Wesen des Imperialismus in der BRD zeigt, auf einige objektive Faktoren stützen kann, die sich durch das 10
inzwischen schon Geschichte gewordene Zusammenleben in einem gemeinsamen deutschen Staat herausgebildet haben. Es erwächst uns also auch die Aufgabe, den Charakter, den Platz und die Perspektiven dieser Rudimente der Vergangenheit zu bestimmen, um die Legende von der fortbestehenden „nationalen Einheit aller Deutschen" und vor allem die darin verborgene Absicht zu zerschlagen, diese „Einheit" untef der Führung der imperialistischen Großbourgeoisie wiederherzustellen. Es sind also nicht „nationale Bande", sondern spezifisch Bedürfnisse des ideologischen Klassenkampfes, die sich in der Wahl der Beispiele widerspiegeln. Allerdings wollen wir dabei stets bedenken, daß sie nicht allein die Verhältnisse einzelner Länder, sondern das Wesen zweier Gesellschaftsformationen auf einer konkreten Stufe der historischen Entwi :klung charakterisieren. Wir beginnen die Untersuchung mit der Frage nach den weltanschaulichen Grundlagen. Sie soll uns enthüllen, wo wir das Wesen der Heimat grundsätzlich zu suchen haben. In der objektiven Realität? Oder im Denken und Fühlen der Menschen? Vielleicht gar nur in der Phantasie?
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1. Der weltanschaulich-politische Ausgangspunkt der Untersuchung Die Heimat als objektiv-reales Verhältnis Wer es unternimmt, das in deutscher Sprache vorliegende Material zum Wesen der Heimat kritisch zu sichten, der stößt auf eine Fülle unterschiedlicher Interpretationen. Es scheint so, als hätte fast jeder der bürgerlichen Autoren den Ehrgeiz gehabt, seinen Gegenstand auf eine möglichst einmalig^, originelle Art und Weise zu definieren. Eine grundsätzliche Ubereinstimmung gibt es nur bei Autoren, die von marxistisch-leninistischen Positionen ausgehen. Hier ist die Vielgestaltigkeit der Bestimmungen mit dem durchaus zulässigen Bestreben zu erklären, das Wesen der Heimat unter verschiedenen Aspekten zu erfassen. Heimat ist „die raumzeitliche Bestimmung und Begrenzung der gemeinschaftlichen Beziehungen der Menschen"1), lesen wir an einer Stelle. Es bleibt dabei jedoch offen, wodurch diese Gemeinschaftsbeziehungen im Unterschied zu anderen charakterisiert sind. In einer weiteren Arbeit erfahren wir: Heimat sei „das unmittelbar gegebene natürliche und soziale Milieu, in welchem der Mensch geboren und aufgewachsen ist, in dem er lebt, arbeitet und kämpft."2) Hier wird von einem objektiv-realen Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt ausgegangen. Im Mittelpunkt steht dabei aber nicht eine bestimmte Form der menschlichen Gemeinschaft, sondern das sich in dieser Vergesellschaftung entwickelnde Individuum. Während in den genannten Fällen von der Heimat des Menschen (der menschlichen Gesellschaft) die Rede war, beschränken sich andere Autoren darauf, die Frage nach der sozialistischen Heimat aufzuwerfen. In der Regel wird sie bestimmt als „der unmittelbare Lebensbereich, den wir gesellschaftlich und produktiv ausfüllen, den wir lieben und den wir sozialistisch gestalten."3) Sozialismus und Ideologie. Herausg. Werner Müller. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften. Berlin 1969. Kap. 5: Persönlichkeit und Entwicklung der sozialen Gefühle im Sozialismus (Dieter Weigert). Seite 303. 2 ) Sigrid Schwarz: Die Liebe zur Heimat, ein wesentliches Ziel unserer patriotischen Erziehung. Dissertation. Päd. Fakultät der Humboldt-Universität Berlin 1956. Band I. Seite 16 (ohne die Hervorhebung im Original zitiert). 3 ) Heinrich Genikow: Über Wert und Mißbrauch der Heimatliebe. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. III/1962. Seite 658. Ähnliche Definitionen geben: Friedrich Donath: Bemerkungen'zur Diskussion um die Begriffe Heimat-Vater12
Doch auch diese Bestimmung kann nicht voll befriedigen. „Lebensbereich" kann geographisch, aber auch als geistige Sphäre idealistisch gedeutet werden. Wodurch wird die Weite des heimatlichen Raumes bestimmt? Kann man denn „gesellschaftlich und produktiv" nebeneinander stellen, obwohl die Produktion selbst ein gesellschaftlicher Akt ist? Wodurch wird die sozialistische Umwelt zur Heimat im vollen Sinne des Wortes? Und wer ist „wir" — für wen ist die sozialistische Umwelt Heimat? Wenn schließlich schon die psychische Bezogenheit von Menschen zu dieser Umwelt in die Bestimmung des heimatlichen Milieus einbezogen wird, warum dann nur die affektivemotionale, nicht auch die rationale Beziehung? Fragen über Fragen, die eine Beantwortung erfordern. Das Wort Heimat ist in der deutschen Sprache seit langer Zeit gebräuchlich. Seine Wurzel kshi stammt aus indoeuropäischer Zeit. Es bedeutete „sich aufhalten", „wohnen", etwas „bewohnen".4) In den älteren germanischen Dialekten fand man dann heim (angelsächsisch), auch häm (altsächsisch) und hem (gothisch).5) Im althochdeutschen Sprachgebrauch waren bereits Ableitungen wie in heimoti geläufig. Im.Mittelhochdeutschen gebrauchte man neben anderen Formen heimote und heimoute. Ursprünglich wurden diese Worte noch als Neutra, später auch in der feminimen Form gebraucht, die heute allein gebräuchlich ist. Die Ableitungssilbe „ot" ist dabei im Laufe der Zeit durch „at" verdrängt worden. Seitdem 15. Jahrhundert ist heimat in verschiedenen Gegenden des deutschen Sprachgebietes nachweisbar. Heimat wurde auch von Luther benutzt, der die Bibel in die deutsche Sprache übersetzte. Damit hat er viel zur Verbreitung dieses Wortes beigetragen. Es stimmte zu dieser Zeit in einer Beziehung überein mit dem lateinischen patria6), mit Vaterland — einem Terminus, der gleichfalls Wandlungen durchgemacht hat, bis er uns in seiner heutigen Form zur Verfügung stand.7) Es wäre nun durchaus denkbar, die Etymologie dieser Worte zu untersuchen. Aber das würde uns keineswegs die Lösung der Aufgabe erleichtern, ihre heutige Bedeutung zu erfassen. Das gilt nicht nur für Heimat. Wer z. B. das Wesen des feudalen Königtums bestimmen will, dem nützt es auch in diesem Falle wenig, zu erfahren, daß König (Kuning) von Kyni, Könne hergeland-Nation. In: Aus der Arbeit der Natur- und Heimatfreunde im Deutschen Kulturbund. 9/1959. Seite 227, Erik Hühns: Referat. In: Um unsere sozialistische Heimat. Deutscher Kulturbund. Berlin 1958. Seite 28. Der gleiche Verfasser äußerte sich ähnlich, wenn auch immer wieder modifiziert, noch an mehreren anderen Stellen.. 4 ) Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Vierter Band. Zweite Abteilung. Verlag S. Hirzel, Leipzig 1877. Seite 855. 6 ) Ebenda, Zwölfter Band. Erste Abteilung. Verlag S. Hirzel. Leipzig 1956. Seite 27 6 ) Ebenda. Vierter Band. Zweite Abteilung. Seite 864f. ') Ahd.: „fatarland", „fatarheim", „fataruodil". * ' Mhd.: „vaterlant". Vergl. Jacob Grimm: Geschichte der deutschen Sprache. Zweiter Band. Weidmannsche Buchhandlung. Leipzig 1848. Seite 792. 13
leitet ist und früher einmal „Vorsteher einer Gens" bedeutet hat.*) Daraus folgt, daß man die Analyse nicht mit einer Betrachtung von Worten beginnen darf.») Will man das Wesen der Heimat erfassen, die unterschiedlichen Interpretationen dieses Begriffes durch die Angehörigen verschiedener Klassen in der einen oder anderen Geschichtsepoche richtig deuten, so muß man vom praktischen Lebensprozeß der Menschen ausgehen. Die Klassiker des Marxismus haben sich stets entschieden gegen das in der bürgerlichen Ideologie übliche Verfahren gewandt, die Veränderung des Bewußtseins darauf zu beschränken, „das Bestehende anders zu interpretieren, das heißt, es vermittelst einer andren Interpretation anzuerkennen." 10 ) Die Heimat ist eine objektiv-reale gesellschaftliche Erscheinung, deren Wesensmerkmale im Heimatbegriff zu bezeichnen sind. Wir gehen dabei von den objektiv determinierten Bedürfnissen konkret-historischer sozialer Menschengruppen aus, die in einex bestimmten Umwelt leben. Dieses Milieu ist gemeint, wenn wir von der Heimat sprechen. Ist dabei von der Heimat im engeren Sinne die Rede, so meinen wir die uns unmittelbar umgebende sinnliche Welt. 11 ) Aus dieser Bestimmung folgt, daß die Heimat keine eigenständige Erscheinung ist. Sie existiert nur als Beziehung ganz bestimmter sozialer Menschengruppen zu ihrer Umwelt. Dieses Verhältnis ist objektiv-real, also unabhängig vom ,und außerhalb des menschlichen Bewußtseins gegeben. Jeder Mensch wird in eine von ihm vorgefundene Umwelt hineingeboren. In ihr ist ein bestimmtet Entwicklungsstand der Produktivkräfte, sind die dem mehr oder weniger entsprechenden Produktionsverhältnisse und geistigen Vorstellungen bereits gegeben. Die soziale Herkunft und der Wohnort der Eltern fixieren in der Regel auch den Platz, den ihr Kind im sozialen Gefüge und im geographischen Gebiet dieser konkreten Gesellschaft einnehmen wird. Es ist unbestreitbar, daß diese Umwelt den Menschen „formt", indem sie einen Einfluß auf ihn ausübt. Zugleich aber wirkt der gesellschaftlich produzierende Mensch auf sein natürliches und gesellschaftliches Milieu verändernd ein und gestaltet es nach seinen Bedürfnissen. In diesem Prozeß 8
) Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. In: MEW, Band 21. Dietz Verlag. Berlin 1962. Seite 105. 8 ) Dieses fehlerhafte Verfahren war auch bei Diskussionen in der DDR zuweilen üblich. Vgl. z. B.: Um unsere sozialistische Heimat, Seite 25, und im Gegensatz dazu die kritische Beurteilung dessen auf Seite 32. 10 ) Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. In: MEW. Band 3. Dietz Verlag. Berlin 1958. Seite 20. u ) Dieser Ausdruck verweist nicht nur darauf, daß die nähere Umwelt den Sinnen als Objekt der Erkenntnis kontinuierlich und intensiv zugängig ist. Die erkennende Beziehung ist stets in die praktisch gegenständliche eingebettet. Es sei deshalb schon hier angemerkt, daß „die sinnliche Welt als die gesamte sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen" ist. Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Seite 45. 14
ändert der Mensch sich selbst und dabei auch seine Anschauungen über die Umwelt. Das objektiv-reale Verhältnis zwischen Mensch und Heimat wird selbstverständlich auch erlebt und mehr oder minder richtig erkannt. In diesem Sinne ist Heimat undenkbar ohne ein bestimmtes psychisches Verhältnis. Es wäre aber falsch, das individuelle Heimatgefühl in die Bestimmung des Gegenstandes einzubeziehen.12) Dieses fehlerhafte Herangehen beginnt fast immer damit, daß in der Betrachtung „des Menschen" stillschweigend die Begriffe vertauscht werden. Anstatt ihn als das. individuelle Glied einer bestimmten sozialen Gemeinschaft zu verstehen, geht man vom einzelnen Menschen aus, vom künstlich vereinzelten Einzelnen. Das ist die Brücke, um das Problem anschließend aus dem Bereich objektiv-realer gesellschaftlicher Beziehungen auf die Ebene der Individualpsychologiezu transformieren. Es ist unbestritten, daß den handlungswirksamen psychischen Beziehungen zur Umwelt eine große, aktive und in-unserer Zeit sprunghaft wachsende Bedeutung zukommt. In der politischen Praxis können die Einsicht und das leidenschaftliche Gefühl der Menschen für die Lösung einer Aufgabe sogar ausschlaggebend sein. Aber diese hohe Bedeutung darf nicht zu der Annahme verleiten, als wären die gedankliche Reflexion und emotionale Identifikation „genauso wichtig" wie das objektiv-reale Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Stellt man die Frage philosophisch, dann geht es nicht um ein größeres oder geringeres Maß an Wertschätzung, sondern zunächst um den Nachweis des Primats, das dem Materiellen zukommt, um die Erkennbarkeit der Welt. Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, das dialektische Wechselverhältnis zwischen dem Materiellen Und dem Ideellen richtig zu bestimmen. Die materiellen Beziehungen werden ideell reflektiert, im Gefühl in positiver oder negativer Hinsicht als bedeutsam erlebt. Das psychische Verhältnis ist also im Sinne der Grundfrage stets sekundär und kann in dieser Hinsicht den objektiv-realen Beziehungen nicht gleichbedeutend zur Seite gestellt werden. Es ist bei der Beurteilung der engeren Heimat von besonderer Bedeutung, die materialistische Grundposition hervorzuheben. Dieses Milieu weist, im 12 )
'
Das geschieht jedoch häufig. Siehe z.B.:ErikHühns: Nation—Vaterland—Heimat. In: Aus der Arbeit der Natur- und Heimatfreunde im Deutschen Kulturbund. 8/1959. Seite 176; Friedrich Donath: Bemerkungen zur-Diskussion um die Begriffe Heimat—Vaterland—Nation. Ebenda. Seite 228. Dieser Vorwurf kann nicht dadurch entkräftet werden, daß man sein Bekenntnis zur 'sozialistischen Heimat als objektiv gegeben bezeichnet. In diesem Urteil kommt wiederum die Verwechslung des individuellen mit dem gesellschaftlichen Bewußtsein zum Ausdruck. Das persönliche Bekenntnis ist eine subjektive Äußerung, die einen objektiven Tatbestand mehr oder weniger genau reflektiert. Siehe hierzu: Erik Hühns: Bericht zur Diskussion des Materials „Voraussetzungen, Inhalt und Bedeutung der Heimatkunde". In: Arbeitsmaterial. Zentrale Kommission Natur und Heimat des Präsidialrates des Deutschen Kulturbundes. Berlin 1967. Seite 15. 15
Vergleich mit dem Vaterland, bestimmte Besonderheiten auf, die zu Mißverständnissen Anlaß geben und von reaktionären bürgerlichen Ideologen mißbräuchlich interpretiert werden. Machen wir u..s das an einem Beispiel deutlich: In der bürgerlichen Schule des Deutschen Reiches war es üblich, den Zöglingen diese Geschichte zu erzählen: „Sicher habt Ihr schon einmal bemerkt, daß auf den in Deutschland hergestellten Waren in fremder Sprache ein Hinweis auf das Herkunftsland steht: ,Made in Germany'!" Und man gab dann die folgende Erklärung dazu: „Es waren früher die Engländer, die mit einer solchen Kennzeichnung den deutschen Waren den Absatz im Ausland erschweren wollten. Aber dank der deutschen Tüchtigkeit ist dieses Zeichen zum Inbegriff deutscher Qualitätsarbeit geworden. Deshalb sind wir stolz auf dieses fremde Zeichen!" So oder ähnlich versuchte der Lehrer, den Schülern eine gesellschaftliche Erscheinung vorzustellen, die in ihrem ganzen Ausmaß empirisch nicht zu überschauen ist: das bürgerliche Vaterland. Er ging in unserem Falle von den Positionen der imperialistischen Ideologie aus, stellte das Nationale als das schlechthin Eigene und das Andersnationale als das Fremde (im Sinne des Feindlichen) dar — erzog also die Kinder zu einem illusionären Gemeinschaftsbewußtsein und zum Chauvinismus gegenüber anderen Völkern. Aber dabei mußte er eine Form wählen, die für unsere Betrachtung aufschlußreich ist: Das Vaterland ist — von Zwergstaaten abgesehen — immer eine konkret-abstrakte Größe. Auf Reisen kann manihm durchaus in konkreter Gestalt begegnen. Aber welcher Mensch lebt schon im Wohnwagen? In der Regel ist man heute trotz zunehmender räumlicher Mobilität für längere Zeit an einem Orte ansässig, vor allem hier kontinuierlich und intensiv tätig und so mit einem konkreten Milieu unmittelbar konfrontiert. Die ferneren Gebiete des Landes nehmen im Vergleich hiermit einen abstrakteren Charakter an — von ihnen erfährt man meistens nur in vermittelter Form, so wie in diesem Falle durch den Lehrer. Dabei erhält man ausgewählte Informationen, im geschilderten Falle von einer apologetisch interpretierten „Nationaleigenschaft der Deutschen", die man nicht am tatsächlichen Verhalten aller Glieder der Nation mißt und auch nicht direkt prüfen kann. Dieses Abstraktum wurde mit Hilfe eines Symbols anschaulich und erlebbar gemacht. Auf diesem Hintergrund tritt eine Besonderheit der engeren Heimat ganz plastisch hervor. Sie ist dem Menschen unmittelbar als Feld der praktischen Bewährung gegeben. Dadurch hat sie für die dariii lebenden Individuen eine konkret-sinnliche, anschauliche Gestalt, der wie jeder Erscheinung eine große Mannigfaltigkeit eigen ist. In dieser Spezifik liegt ein Reichtum und zugleich ein Mangel begründet. Am Konkreten erweist es sich, ob gegebene Abstrakta die Wirklichkeit richtig widerspiegeln oder ob es sich dabei, wie im eben geschilderten Falle, um eine willkürliche ideologische Konstruktion handelt. Die Praxis ist das oberste Kriterium der Wahrheit. In der engeren Heimat macht jeder selbst die Probe auf das Exempel. Darin liegt eine wertvolle Möglichkeit 16
für die Herausbildung und Entwicklung des proletarischen JClassenbewußtseins, des sozialistischen Bewußtseins bei allen Bürgern in der DDR. So und nicht anders sollte man die Worte des Liemes verstehen: „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald. Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde und die Fische im Fluß sind die Heimat. Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört."13) Johannes R. Becher hat diesen Standpunkt einmal ausführlich begründet: „Ich habe, wenn ich mich daraufhin prüfe, eigentlich nie einem Abstraktum gedient: ich habe weder für die,Menschheit' noch für den .Fortschritt', weder für den .Frieden' noch für das ,Gute' gewirkt, und wenn ich einmal ein Gedicht solch einem Abstraktum gewidmet habe, mißriet es mir und wurde miserabel. Es beeindruckte mich tief, als ich in Paris in einer Nebenstraße des Place Saint-Sulpice eine Inschrift für den französischen Dichter Paul le Fort las, die lautete: ,Er fiel am Chemin des Dames für sein Haus, für seine Straße und für den Place Saint-Sulpice.' Vom Vaterland war nicht die Rede, aber für den Place Saint-Sulpice konnte man sterben, so zauberhaft war er."14) Und auch Erwin Strittmatter sagte von einem seiner Helden: „Das Vaterland war für Hilm die Gutskate mit den Eltern. Das Vaterland war ein festes Mädchen, das er noch nicht hatte, und der Sparstrumpf für Hof oder Werkstatt in der Truhe der Mutter."1®) VC^ir werden später noch einmal auf die Frage zurückkommen, welche Bedeutung diesen konkreten Dingen im Kapitalismus als Element der künftigen sozialistischen Heimat zukommt. Zunächst aber ist diese Aussage unter einem anderen Aspekt bedeutsam: Zur Erkenntnis gehört neben der theoretischen Einsicht auch die praktische Erfahrung, die man aus den unmittelbaren Lebensverhältnissen gewinnt. Aber darin steckt eine Schwierigkeit: Gerade deshalb, weil uns die Welt in der engeren Heimat in ihrer bunten Vielfalt entgegentritt, ist es im Prozeß der spontanen Erkenntnis sehr kompliziert, den irreführenden Schein an der Oberfläche der Dinge zu eliminieren, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und zum Kern der Dinge vorzustoßen. „Dadurch, daß das Denken vom Konkreten zum Abstrakten aufsteigt, entfernt es sich — wenn es richtig i s t . . . — nicht von der Wahrheit, sondern kommt ihr näher." Es gilt diese Feststellung Lenins auch für unseren Gegenstand: „denn alle wissenschaftlichen . . . Abstraktionen spiegeln die Natur tiefer, getreuer, vollständiger ls)
Herbert Keller: Junge Pioniere lieben die Natur. In: Frisch auf singt all ihr Musici. Verlag Volk und Wissen. Berlin 1957. Seite 341. ") Johannes R. Becher: Das poetische Prinzip. Aufbau-Verlag. Berlin 1957. Seite 396. l6 ) Erwin Strittmatter: Der entminte Acker. In: Im Licht des Jahrhunderts. Verlag der Nation. Berlin 1964. Seite 232. 2 Lange, Heimat
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wider."19) Es wäre also falsch, wollte man sich, der konkret-sinnlichen Gestalt der engeren Heimat wegen, mit einer nur empirischen Betrachtung ihrer Elemente begnügen. Die Versuchung dazu liegt nahe; aber gerade das ist eine Gefahr für die tiefere Erkenntnis. Aus diesem Gegensatz zwischen dem Konkreten und dem AbstraktKonkreten erklärt es sich, daß Heimatbewußtsein und Heimatliebe — im Unterschied zum Vaterlandsbewußtsein und Patriotismus — auch spontan, also schon relativ früh entwickelt werden. Sozialistisches Heimatbewußtsein und -gefühl muß indessen — genau so wie das psychische Verhältnis zum Vaterland — durch Bildung und Erziehung vermittelt werden. Wissenschaftliche Erkenntnis kann sich niemals spontan einstellen und die sozialen Gefühle, die der sozialistischen Wirklichkeit entsprechen, sind nur im Ergebnis einer langwierigen Erziehung und Auseinandersetzung zu gewinnen. Das unmittelbare, spontane Erkennen und Erleben muß also mit der tiefen theoretischen Erkenntnis zu einer Einheit verschmolzen werden, so wie es in den Worten des Dichters anklingt: „Du Heimat, sommerlich mir zugewandte! Du: heilige Nähe! Du: das tief Erkannte!"17) Nahe, das ist bekannt und gewohnt, aber auch meinem Wesen entsprechend, meinen Bedürfnissen angemessen. Und tief erkannt, in ihrem Wesen begriffen. So stellt sich die sozialistische Heimat unserem Denken und Fühlen dar. Aus dem unterschiedlichen Grade der Unmittelbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ergeben sich noch andere Probleme. So kann man z. B. das konkrete Ergebnis seiner Produktion buchstäblich mit Händen greifen. Schafft man es für die Befriedigung lokaler Bedürfnisse, dann erlebt man mit seiner Hilfe ohne besondere Mühe, wie der Mensch die Bedingungen seiner näheren Umwelt gestaltet. Die Tatsache, daß man dabei auch ein gesellschaftliches Verhältnis eingeht und so mithilft, die gesamtgesellschaftlichen Beziehungen im Lande zu reproduzieren, erschließt sich nur dem Denkenden. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Bedeutung dieser zielgerichteten, bewußten Tätigkeit ein Spezifikum der engeren Heimat zu sein. Das gesamtgesellschaftliche Interesse wird vom sozialistischen Staat zur Geltung gebracht. Dabei ist es selbstverständlich, daß das Einzelne stets mannigfacher als das Allgemeine ist. Viele Menschen widmen sich mit leidenschaftlicher Hingabe einem „Hobby". Das kann ein schöpferischer Beitrag zur allgemeinen kulturellen Entwicklung, aber auch ein absonderliches Unternehmen sein. Vergißt man dabei, daß das Allgemeine nur durch das Einzelne und in ihm existiert, so gelangt man abermals zu falschen Schlüssen. la )
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W. I. Lenin: Aus dem philosophischen Nachlaß. Dietz Verlag. Berlin 1954.1 Seite 89. Johannes R. Becher: Schönes Land. In Becher: Schöne deutsche Heimat. Aufbau Verlag. Berlin 1956. Seite 22.
Ähnlich steht es um das Verhältnis von Notwendigkeit und Zufall. Das. Notwendige ergründet man über das theoretische Denken. Tritt man jedoch seiner Umwelt weitgehend spontan gegenüber, dann erfährt man es durch staatliche Weisungen und zentrale Publikationen. In der unmittelbaren Umwelt wird man dagegen mit unzähligen Zufälligkeiten konfrontiert. Um zu begreifen, daß der Zufall die Ergänzung und Erscheinungsform der Notwendigkeit ist, die sich nicht nur in der engeren Heimat geltend macht, bedarf es wiederum gründlicher Überlegungen. Weil die engere Heimat auch spontan und relativ früh als bedeutsam erlebt wird, entwickelt sich bei den meisten Menschen ein 'positiv-emotionales Verhältnis zu ihr. Dem entsprechen Gefühle der Liebe, der Geborgenheit, aber auch der Verantwortung, der Abneigung gegen das Rückständige und des Hasses gegen die Feinde. Dabei bleibt es stets zu prüfen, ob die gegebene Umwelt auch den tiefverstandenen sozialen Grundinteressen angemessen ist. Diese entscheidende Frage darf man im Überschwang der Gefühle nie vergessen. Die sentimentale Heimattümelei des Kleinbürgers liefert noch immer den Beweis datür, daß man von solchen Gefühlen übermannt werden kann. Im Sozialismus läuft das stets auf eine lokalpatriotische Beschränktheit hinaus. Unter kapitalistischen Verhältnissen dient die Heimattümelei dazu, die Köpfe von werktätigen Menschen mit Illusionen zu vernebeln, damit sie von ihren bürgerlichen „Heimatfreunden" politisch unterdrückt, in Kriege gehetzt und auch in Friedenszeiten ausgebeutet und korrumpiert werden können. Daher die berechtigte Warnung davor, sich an solchen Formeln zu berauschen. „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik."18) Diese Forderung von Bertolt Brecht wird sofort verständlich, wenn man die Hauptrichtungen der bürgerlichen Heimatideologie in der westdeutschen Bundesrepublik in Augenschein nimmt. Die Antwort der spätbürgerlichen deutschen Heimatideologie auf die Grundfrage der Philosophie Nur wenige bürgerliche Ideologen haben es im imperialistischen Deutschland versucht, den Begriff „Heimat" näher zu bestimmen. Sie knüpfen dabei meistens an die Gedanken von Eduard Spranger an, die er im April 1923 auf der Eröffnungssitzung der „Studiengemeinschaft für wissenschaftliche Heimatkunde" zum Ausdruck gebracht hat: „Der Mensch hat, wo er auch lebe, immer eine Umwelt, ein für ihn und seinen Lebensvollzug bedeutsames .Milieu', nicht aber eine Heimat. Eine Heimat hat er nur da, wo er mit dem 18)
Bertolt Brecht: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. In: Brecht: Versuche 20/21. Heft 9. Aufbau Verlag. Berlin 1952. Seite 94.
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Boden und mit allem Naturhaft-Geistigem, das diesem Boden entsprossen ist, innerlich verwachsen ist." Und er kam zu dem Schluß: „Heimat ist erlebbare und erlebte Totalverbundenheit mit dem Boden... ist geistiges Wurzelgefühl."19) Ähnlich wie Spranger hob auch Max-Hildebert Boehm eine irrational gedeutete Beziehung des individuellen Menschen zur äußeren Natur hervor: „Heimat ist in Gefühl und Geist verwandelte Bodenständigkeit."20) Damit ist nicht schlechthin die Gewöhnung des Menschen an die Umwelt gemeint. Boehm leitet dieses psychische Verhältnis aus den „Dämonien des Bodens — la terre et les morts..." ab.21) Die geistige Verwandtschaft mit der vom Hitlerfaschismus zur vollen Sumpfblüte gebrachten „Blut- und Boden"Mystik ist unverkennbar. Aloys Fischer führte die soziale Gemeinschaft als einen zusätzlichen Faktor in die Betrachtung ein. Aber auch er wies ihr nur am Rande seiner Bestimmung einen Platz an. Für das Kind sei Heimat „die durch Dauergewöhnung bekannte Welt..."22) Dem Erwachsenen bedeute sie die „einem Menschen ¡^ugehörige innere Welt, die von der eigenen Persönlichkeit aufgebaute und deshalb ihren Gefühlsund Willenshori^pnten entsprechende Wertwelt,"23) Kurt Stavenhagen trat 1939 mit einer ersten umfassenden Darstellung der bürgerlichen Heimatideologie hervor, die 1948 in Westdeutschland mit nur geringfügigen Änderungen neu aufgelegt worden ist: „Das soziologische Ganze der Heimat ist inneres Miteinandersein, ist Gemeinschaft."24) Auch er meinte damit ein individuelles, psychisches Verhältnis: Heimat im unmittelbaren Sinne des Wortes seien die „persönlichen Einungen", worunter er „die Einheit eines mehrere Personen umfassenden seelischen Schicksalslebens" verstand25) ' In anderen Fällen mißt man bestimmten Menschengr«£/>e» eine größere Bedeutung zu als bei Stavenhagen, der die „Landsmannschaft" nur als „mittelbare Heimat" erwähnt.26) Diese unter kapitalistischen Verhältnissen fiktive Gemeinschaft steht im Mittelpunkt bei jenen westdeutschen Heimatideologen, die Argumente für die nationalistische Propaganda im eigenen Lande liefern. Das Streben, die im Ergebnis des zweiten Weltkrieges aus Ost- und SüdostM)
Eduard Spranger: Der Bildungswertder Heimatkunde. Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart 1964. Seite 14. 20 ) Max-Hildebert Boehm: Das eigenständige Volk. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht. Göttingen 1932. Seite 100. 21 ) Ebenda. Seite 101. 22 ) Aloys Fischer: Psychologisch-ethische Vorfragen der lieimaterziehung. In: Walter Schoenichen: Handbuch der Heimaterziehung. Heft 1. Verlag Gebr. Borntraeger. Berlin 1923. Seite 81. 23 ) Ebenda. Seite 82. 24 ) Kurt Stavenhagen: Heimat als Lebenssinn. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht. Göttingen 1948. Seite 22. Die erste Auflage ist im gleichen Verlag unter dem Titel „Heimat als Grundlage menschlicher Existenz" erschienen. 25 ) Ebenda. Seite 34. 26 ) Ebenda/Seite 48ff. 20
europaausgesiedeltenundindasjet2ige Gebiet der BRD überführten Deutschen als Irredenta in der Bundesrepublik zu erhalten, regte die Unterstellung an, daß der Heimatbegriff „seinen Schwerpunkt zusehends vom Ort auf den Menschen" verlagere. „Gerade der Verlust der räumlichen Heimat läßt den modernen Menschen eine Kompensation suchen. Er findet sie in dem menschlichen Element, das doch im Heimatbegriff auch steckt. Bäume und Berge, Flüsse und Landschaft haben — so merkt er — nur symbolische und hervorrufende Kraft. An sich selbst wären sie nichts, knüpfte sich das Heimaterlebnis nicht — und in erster Linie — an die Menschen, die ihm diese Landschaft erst zur Heimat machen."27) Andere Exponenten der Bonner „Heimatpolitik", denen die pseudojuristische Begründung von Gebietsansprüchen an die Adresse anderer Staaten obliegt, kehren noch immer die geographische Komponente hervor: „,Heimat' im Rechtssinn ist jener ererbte oder freigewählte Ort, wo der Mensch die ihm zukommenden Rechte in Anspruch nimmt, um die ihm obliegenden Pflichten erfüllen können."2*) Hier würde die Geringschätzung der geographischen Komponente das gesteckte Ziel gefährden. Also betont man den „Raum", in dem heute andere Menschen leben. Alfred Delp bekannte sich ausdrücklich zur idealistische^. Grundposition von Spranger und Stavenhagen, verknüpfte jedoch den bis dahin vorherrschenden Bezug zur Psyche eines abstrakten Individuums mit einem objektividealistischen Verhältnis: mit einer göttlichen Grundordnung und Verfassung des Menschen. Auf dieser Welt biete nur die Religion die letzte Sicherheit und Geborgenheit.29) In der Folgezeit ist in der christlichen Theologie dem irdischen Dasein eine größere Bedeutung beigemessen worden. Galt bis dahin die Erde als „Jammertal" und allein der „Himmel" als die „ewige Heimat", so entdeckte man nun eine „doppelte Beheimatung" des Menschen, wobei die „irdische Heimat" auf den Platz einer „Wirklichkeitsstufe" im Anstieg zur „ewigen Heimat" des Himmels verwiesen ward.30) Diese „irdische Heimat" ist bei Künneth der Lebensraum, in dem sich die physische Volksexistenz ge") Eugen Lemberg: Deutscher Osten im Unterricht. In: Der deutsche Osten im Unterricht. Grundlagen und Wege. Verlag Robert Lerche. München 1955. Seite 8. 28 ) Kurt Rabl: Die Frage des Rechts auf die Heimat in den angelsächsischen Staaten und den Ländern des Ostblocks. In: Das Recht auf die Heimat. Band 1. Verlag Robert Lerche. München 1958. Seite 87f. 29 ) Alfred Delp: Zur Erde entschlossen. Verlag Josef Knecht. Frankfurt/Main 1949. Herausg. Paul Bolkovac. (Der Verf. wurde im Februar 1945 von den Hitlerfaschisten hingerichtet.) Seite 78, 91. 30 ) Peter Paul Pauquet: Pilger zwischen Staub und Stern. Verlag Josef Habbel. Regensburg 1948. Seite 17. In diesem Sinne äußerte sich auch der Papst in einem Handschreiben vom 10. August 1952 an die Teilnehmer des 75. Deutschen Katholikentages in Berlin. Vergl.: Der Papst an die Deutschen. Verlag Scheffler. Frankfurt/Main 1956. Seite 203. Vertreter anderer Konfessionen unterscheiden sich nur in Nuancen von dieser Interpretation.
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staltet.31) An anderer Stelle verstand er sie „als regionaler Existen^ort", „als Ort des geschichtlichen Schicksals", aber auch „ als Rezeption von Lobenswerten" und „Ort der Geborgenheit", wo man mit Verständnis und Liebe rechnen könne.88) Diese „phänemonologische Analyse" bleibe jedoch insofern an der Oberfläche, weil „der spezifische, prinzipielle und zutiefst irrationale — ich betone: irrationale — Sinn des Phänomens ,Heimat' nur dann zu fassen (sei), wenn wir nach seiner Gottesbeziehung fragen."38) Heimat sei die „Erhaltungsordnung1 und „Gabe Gottes."3*) Es fehlt auch an Versuchen nicht, die Definition des Zusammenhanges durch eine eklektische Aufzählung von „Elementen" oder Funktionen der Heimat zu ersetzen — teils trivial,36) mitunter auch mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, immer jedoch mit einer in letzter Konsequenz irrationalen Erklärung. Schließlich finden wir dualistische Konzeptionen, in denen objektiven wie subjektiv-psychischen Nuancierungen gleichermaßen eine das Wesen der Sache bestimmende Rolle zugesprochen wird.36) Beginnen wir die Analyse dieser Ansichten mit der Untersuchung, wie hier die Grundfrage einer jeden Philosophie, die Frage nach dem Primat des materiellen Seins oder des Bewußtseins beantwortet wurde. Es ist unschwer zu erkennen, daß der philosophische Idealismus das Feld beherrscht. Als das eigentliche Wesen der Heimat erscheint stets eine psychische Bezogenheit, bald zur äußeren Natur, bald zu abstrakten Menschen oder zu anderen „Elementen" des „heimatlichen Raumes". Die Außenwelt erscheint zwar in diesen subjektividealistischen Konstruktionen, aber nie als eine bestimmende Ursache des psychischen Erlebens. Der „Raum" erlangt die Bedeutung als Heimat aus dieser Sicht nur dadurch, daß an ihm „Erlebriiskomplexe" haften.37) Diese Autoren behandeln allesamt nicht das, was sie vorgeben. An die Stelle der Heimat, in dem — ebenso wie beim Vaterland — „bestehende Mächte 31 )
Walter Künneth: Politik zwischen Dämon und Gott. Lutherisches Verlagshaus. Berlin 1961. Seite 144. 32) Walter Künneth: Die Frage des Rechts auf die Heimat in evangelischer Sicht-In: Das Recht auf die Heimat. Band 1. Seite 13—16. ss ) Ebenda. Seite 16. 31 ) Ebenda. Seite 17 f. 86) So z. B. der ehemalige Bonner Minister und Sprecher der „Sudetendeutschen Landsmannschaft" Seebohm: „Heimat; das ist der Mensch und die Gemeinschaft, ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ist das Ringen» mit den Elementen, ist der Kampf um das Dasein, ist Mühe, Blut und Schwdiß und zugleich die Sehnsucht der Menschheit nach der ewigen Ordnung, nach dem Garten Eden an Stelle des wüsten Feldes, das Dornen und Disteln trägt." Hans-Christoph Seebohm: Das Recht auf die Heimat. In: H-Ch. Seebohm: 3 Vorträge (o. J.) Seite 4. 30) So z. B. Johanna Schmidt: Heimat und Kultur, Fontane Buchhandlung. BerlinNeukölln 1955. Seite 23. 37) Wilhelm Brepohl: Heimat und Selbstentfremdung. In: Zeitschrift für evangelische Ethik. 6/1958. Seite 364. 22
und Verhältnisse" 38 ) zum Ausdruck kommen, wird stillschweigend das Heimatgefühl gesetzt. Das ist der tiefere Sinn der Feststellung, „daß Heimat nichts ist ohne mein Heimatgefühl, ohne mein Empfinden, dort zu Hause zu sein."39) Man geht nämlich immer davon aus, daß ein bestimmtes „seelisches Sosein" den Ausschlag dafür gäbe, auf welche „Person- und Sachwerte" sich der Mensch bezieht. 40 ) Der Gewinn der Heimat wird auf diese Weise zu einer Frage der „psychologische(n) Disposition", des „geistigen Horizonts".41) Mitunter ist der daraus folgende Schluß offen formuliert: „Es liegt also letztlich am Menschen selbst, ob er einen Raum, einen Ort, wo immer er sich befindet, als Heimat ansieht, empfindet oder ob er das nicht tut." 42 ) Damit wird bereits die innere Funktion der bürgerlichen Heimatideologie angedeutet, die kapitalistischen Verhältnisse in den Augen der Volksmassen apologetisch zu verklären. Man erklärt die blinde Anpassung an das kapitalistische Milieu zur Norm und verschleiert die historische Mission der Arbeiterklasse, die gesellschaftlichen Verhältnisse im Lande im demokratischen Sinne umzugestalten, damit sie vom Volke bejaht werden können. Die revanchistische Fronde unter diesen Heimatideologen geht noch darüber hinaus. Sie stellt es keineswegs in das subjektive Ermessen der Bürger, sich an das internationale Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Kapitalismus, „anzupassen" und mit den derzeitigen Grenzen dieses spätkapitalistischen Staates abzufinden. Außenpolitisch zählt nicht die Heimat — denn das hieße, die Rechte anderer Völker auf ihre Siedlungsgebiete zu respektieren. In dieser Hinsicht steht die Aufgabe im Mittelpunkt, die „Heimatfähigkeit" zu üben, um imstande zu sein, dereinst auch „fremde" Gebiete mit kapitalistischen „Ordnungs- und Heimatelementen" erfüllen zu können.43) Hier wird dieäußere Funktion der bürgerlichen Heimatideologie deutlich, das Feindbild der westdeutschen Bevölkerung zu prägen und als aggressive nationalistische Mobilisierungsideologie zu wirken. Der gleichen Aufgabe dient auch — in ähnlicher Differenzierung — die objektiv-idealistische Variante. Die geistige Verwandtschaft beider Richtungen wird schon dadurch offenbar, daß die meisten subjektiv-idealistischen Bestimmungen im Ansatz auch eine religiöse Beziehung einschließen. Schon Spranger sagte, „die höchste Spitze des ,Heimatlichen weiterer Bedeutung' 3S) 39 ) 40 ) 41 ) 4a )
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Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Seite 109. P. Wilpert: Das Recht der Heimat. In: Heimat in unserer Zeit. Verlag Der Wegweiser. Troisdorf 1959. Seite 64. Kurt Stavenhagen: Heimat als Lebenssinn. Seite 97. Dorothee' Neff: Der Heimatverlust bei den Flüchtlingen. Dissertation. Philosophische Fakultät der Universität Erlangen 1956. Seite 34. Ludwig Landsberg: Diskussionsbeitrag. In: Heimat in unserer Zeit. Seite 87. Ähnlich äußerte sich auch Gotthold Rhode: Wandlungen des Heimatbewußtseins. In: Der Remter. 4/1954. Seite 28. Eugen Lemberg: Umdenken in der Verbannung. Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst. Heft 13. Bonn 1957. Seite 16.
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liegt im Religiösen."44) Zwar definierte er es als ein subjektives „Gefühl innerster Verwurzelung", aber er bereitete zugleich dem objektiven Idealismus den Weg, als er die „überirdische Welt" als die „eigentliche Heimat" des Menschen bezeichnete.45) Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob man sie — wie bei Neff — als „objektiven Geist" bezeichnet, der sich in der Kultur offenbart46), oder — wie in klerikalen Deutungen — als eine imaginäre G-ottheit. Die Heimat ist in diesen Fällen immer eine objektive geistige Größe — eine Form des gesellschaftlichen Bewußtseins und der darin vorgestellte „Himmel". Bei der religiösen Deutung werden vor allem zwei Argumente ins Feld geführt. Die einen stützen sich auf Textstellen der Bibel.47) Diese dogmatische Methode ignoriert die Tatsache, daß die geistige Physiognomie der Gesellschaft stets einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktion entspricht. Weder die seßhaft-patriarchalische noch die halbnomadische Lebensweise der Menschen vergangener Jahrhunderte, die abwechselnd hervorgehoben werden, können uns in der Gegenwart Maßstäbe setzen. Andere flüchten sich in irrationale Spekulationen darüber, warum der Mensch gerade auf diesem Fleckchen Erde geboren sei, das er zufällig bei seiner Geburt vorfindet. Man geht davon aus, daß „Heimat die Gabe und Stiftung des göttlichen Schöpferwillens ist, der uns aus unerkennbaren Gründen eben da hineingesetzt hat. Die ganze Irrationalität seines Schöpferwillens, seiner Führungen des menschlichen Lebens erscheint jetzt in dem komplexen Tatbestand, daß ich nur an dieser Stelle geboren und zu Hause bin, diesen Vater und diese Mutter habe und alles, was dazu gehört."48) Weil also das Kind Zeitpunkt, Ort und Umstände seiner Geburt nicht zu bestimmen vermag, soll man glauben, daß das Dasein des Menschen insgesamt theonom bestimmt sei. In Wirklichkeit gibt es selbstverständlich einen ganz und gar nicht mystischen Zusammenhang zwischen dem Geburtsort und dem Ort der Ansässigkeit der Eltern. Es zeigt sictí, daß die Religion das Verhältnis zwischen Heimat und Fremde in das Gegenteil verkehrt. Als vertraut und bekannt wird in ihr das in der Illusion vorgestellte „Reich Gottes" verheißen, während die auf der Erde wirklich gegebene Heimat entweder als Fremde verketzert oder als sekundäre Erscheinung abgetan wird. Die „himmlische Heimat" ist nicht wie auf der Erde umgrenzt und der 'Entwicklung unterworfen, sondern unendlich und ewig. Sie ist nicht Umwelt für tatsächlich existierende Menschen, sondern die irrationale Sphäre für die eingebildete Fortexistenz der „Seele" nach dem Tode dieser Menschen. Nicht der Schritt in diese Fremde ist somit das Wagnis, sonu)
Eduard Spranger: Der Eigengeist der Volksschule. Verlag Quelle und Meyer. Heidelberg 1963. Seite 42. ") Ebenda. Seite 43. *•) Dorothee Neff: Der Heimatverlust bei den Flüchtlingen. Seite 166. ") So z. B. bei Richard Kammel: Die Heimat im Lichte der Bibel. Wichern-Verlag. Berlin Spandau 1949. 4a ) Wendland: Theologische Fragen zum heutigen Heimatproblem. In: Heimat in unserer Zeit. Seite 29.
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dem das Eintreten in die reale Welt der Erscheinungen, hinter denen die „Versuchung" lauert.49) Damit wird abermals stillschweigend der Gegenstand verlassen, der zu erklären war. Statt das Wesen der Heimat kennenzulernen, erfahren wir wieder'etwas von der Beschaffenheit eines in bestimmter Weise gefärbten Heimatgefühls. Wie steht es nun um die Antwort auf die zweite Seite der Grundfrage der Philosophie, auf die Frage nach der Erkennbarkeit der Welt? Die klerikale Interpretation verflüchtigt das Wesen der Heimat völlig,' indem sie es von der sozialen Wirklichkeit in die religiöse Einbildung transformiert. Aber auch Spranger gab zu verstehen, daß man die einzelnen Seiten der Heimat immer als Glied eines mystischen „Allebens" sehen müsse, „dessen Gesamtsinn freilich der menschlich-subjektiven Erfassung nur in Ahnungen und in Gleichnissen zugänglich ist." 60 ) Stavenhagen berief sich auf eine ganz und gar „rätselhafte Fähigkeit des Menschen, seelisch zu transzendieren", eine „freundliche Gesinnung" zu entwickeln und sich durch „persönliche Einungen" eine Heimat zu schaffen. 61 ) Röhrig behauptete sogar: „Heimat ist kreatürliches Urgefühl, es kommt aus den Tiefen der Seele und läßt sich mit dem Verstände nicht erklären. Es ist in seinem innersten Kern der Drang zur Mutter, den das kleine Kind ebenso empfindet wie das junge Tier." 52 ) Daß man „Dinge des Gefühls" nicht bestimmen könne 63 ), ist eine platte Unterstellung, die der Psychologe ohne Mühe widerlegt. Genauso unhaltbar ist aber auch die Gleichsetzung sozialer Gefühle mit dem tierischen „Nestinstinkt". Die Heimatliebe ist keine angeborene biologische Eigenschaft des Menschen, sondern ein Produkt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie ist ein soziales, historisch bedingtes Gefühl, das keinem Tier eigen ist. Aber selbst dann, wenn das spezifisch menschliche Gefühl gemeint ist, bleibt eine jede Interpretation inhuman, die darin verharrt — also die intellektuelle und' die tätige Seite des menschlichen Verhältnisses zur Umwelt ignoriert. In dieser Frage stimmen wir Hegel zu: „Das Widermenschliche, das Tierische besteht darin, im Gefühle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich mitteilen zu können." 64 Mitunter wird es offen gesagt, daß diese Beschränktheit weniger aus der Kompliziertheit des Gegenstandes herrührt, sondern vielmehr einen Erkenntnisverzicht zum Ausdruck bringt. Brües machte die erstaunliche Entdeckung, daß Heimat sprachlich dieselbe Wurzel habe wie Geheimnis! Daß Heimtücke auf denselben Stamm zurückgeht, ist seinem Spürsinn indessen entgangen. ") E. Ch. Welskopf: Entfremdung, historisch gesehen. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. 6/1965. Seite 716. 50 ) Eduard Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. Seite 26. 61 ) Kurt Stavenhagen: Heimat als Lebenssinn. Seite 26. sa ) Herbert Röhrig: Der Heimatgedanke in unserer Zeit. In: Deutscher Heimatbund. Jahrbuch 1959. Seite 28. ") Ebenda. Seite 36. M ) G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. In: Hegel: Sämtliche Werke. Band II. Verlag Felix Meiner. Leipzig 1949. Seite 56. 25
Aber das paßt auch nicht in sein Konzept. Er rät uns nämlich, den Begriff nicht zu analysieren, weil „wir an manche Geheimnisse nicht rühren dürfen. „Es bleibt gegenüber der Seelenmacht der Heimat ein nie ganz zu. klärendes Geheimnis und läßt an Bezirke streifenj die sich der Errechenbarkeit ganz entziehen. Erhalten wir in uns selber der Welt ihre Geheimnisse, und wir werden wieder Heimat haben."85) Spranger machte den Versuch, dieses Mysterium durch eine Erklärung zu rechtfertigen: „Übermäßige Bewußtmachung kann unter Umständen urtümliche Kräfte stören, ja zerstören." Derjenige wisse nichts vom Sinn der Liebe, der es deutlich sagen könnte, warum er sein Land liebe.66) Das mindeste, was man gegen diese Behauptung einwenden muß, geht dahin, daß die Bezugsebenen vertauscht werden. Anstatt die Frage philosophisch zu klären, wird etwas gesagt, was bis zu einem gewissen Grade pädagogisch von Bedeutung ist. Es ist, wie wir gesehen haben, durchaus möglich, das Wesen der Heimat rational zu bestimmen. Aber das bedeutet nicht, daß wir im Prozeß der Bildung und Erziehung bei der Vermitdung von Kenntnissen stehenbleiben -sollen. Die Heranwachsenden dürfen nicht vorzeitig mit Abstraktionen konfrontiert werden, die ihr Fassungsvermögen übersteigen. Unter allen Umständen ist die Bildung mit der praktischen Tat, mit dem daraus resultierenden Erleben und einer humanistischen Erziehung der Gefühle zu verknüpfen. Aber das ändert nichts an der Hauptaufgabe, ein wissenschaftliches Weltbild zu vermitteln. Erst die tiefe Einsicht in Wesen und Funktion der Heimat ermöglicht ein auf Sachkenntnis und echter Überzeugung beruhendes Handeln, die Herausbildung tiefer Gefühle. Die bürgerliche Heimatideologie ist einer konsequent wissenschaftlichen Betrachtung nicht gewogen. Die letzte Konsequenz aller Versuche, das Wesen der Heimat zu ergründen, ist stets das Eingeständnis, daß $ie ein „Rätsel", ein „Geheimnis", ein „Mysterium" und daher nicht exakt zu bestimmen sei. Es gibt dafyr mehrere Ursachen. Eine erkenntnistheoretische Wurzel des philosophischen Idealismus und Agnostizismus hegt bereits in dem Unvermögen, „in dem komplizierten Netz der sozialen Erscheinungen wichtige Erscheinungen von unwichtigen zu unterscheiden . . ." 6 ') Wie bei jeder Definition geht es auch in diesem Falle um die Aufgabe, diejenigen invarianten Merkmaie hervorzuheben, die bei der Klasse von Gegenständen das Wesen ausmachen, und stets das zu betonen, was in der jeweiligen historischen Situation praktisch bedeutungsvoll ist. Das ist vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus gesehen eine Einheit, die der wesentlichen Übereinstimmung von wissenschaftlicher und ideologischer Erkenntnis entspricht. Anders bei Ideologen 65 )
Otto Brües: Geheimnis der Heimat. Gefährdung und Rettung. (Vortr.) Schriftenreihe des Rheinischen Heimatbundes. Heft 7. Neuß (1959). Seite 16. 58 ) Eduard Spranger: Volkstum und Erziehung. In: E. Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. Seite 57. 6? ) W. I. Lenin: Was sind die „Volksfreunde" und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten? In: Lenin.: Werke. Band 1. Dietz Verlag. Berlin 1961. Seite 130.
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der Bourgeoisie. Ihre Lebensstellung drängt sie zum Individualismus, und das Monopol der geistigen Arbeit verleitet sie dazu, der ideellen Seite das Primat zuzusprechen. Bereits dieser Umstand fördert eine individualisierende und psychologisierende Betrachtungsweise. Um eine andere Ursache zu zeigen, sei an dieser Stelle noch einmal auf Spranger verwiesen. Er meinte, „daß eine für alle Menschen gleiche Heimat ein Widersinn wäre." Das begründete er mit der Ansicht, daß sich die Umwelt durch ihre subjektive Bedeutsamkeit in eine seelische Eigenwelt verwandele, die nur dem einzelnen zugehörig sei. Es ist unverkennbar, daß Spranger hier unter den Anspruch, die Heimat zu erklären, die Herausbildung des individuellen Heimatgefühls beschreibt. Allerdings vermag er auch diesen Vorgang nicht rational zu erklären. Er geht, ohne die Rolle der praktisch-gegenständlichen Beziehungen zur Umwelt zu erfassen, davon aus, daß sich im Laufe der individuellen Entwicklung des Kindes seine Seelenstruktur ändere. „Wandelt sich die Seelenstruktur, so wandelt sich, parallel dazu, die zugehörige erlebbare Welt, und zwar von der typischen Seelenart des Subjekts her bedingt."58) Es ist unbedingt zu unterstützen, wenn sich der Verfasser gegen die mechanistische Vorstellung wandte, daß sich die Heimat des Kindes in „konzentrischen Kreisen" weite.69) Das Nahe ist dem Kinde oft bedeutungslos, während sich seine Phantasie an Schilderungen über eine weite Ferne entzündet. Aber das hängt nicht primär mit -einer sich von selbst wandelnden „Seelenstruktur" zusammen, sondern ist aus der praktischen Lebensstellung des Kindes zu erklären. Wir werden auf diese Frage in einem anderen Zusammenhang zurückkommen. Hier ist diese Aussage nur insofern interessant, weil sie uns eine weitere Ursache idealistischer Bestimmungen erklärt: Das ist die positivistische Art des Herantretens an die Aufgabe. Es wird lediglich immer das einseitig hervorgehoben; was aus der Sicht einer bestimmten Berufsgruppe — zum Beispiel des Pädagogen — von Bedeutung ist. Damit wird der philosophische Bezug, d. h. die Aufgabe vernachlässigt, die allgemeinsten Zusammenhänge aufzudecken. Es wäre jedoch unbegreiflich, daß die Schwierigkeiten der Erkenntnis von bürgerlichen Autoren in keinem Falle gemeistert werden, gäbe es nicht zugleich gewichtige politische Gründe, soziale Wurzeln des philosophischen Idealismus und Agnostizismus. Die konkrete soziale Wirklichkeit in der BRD läßt es offenbar als nicht angeraten erscheinen, bestimmte und damit nachprüfbare Angaben über den Charakter des gesellschaftlichen Milieus im Lande zu machen. Unter diesen Umständen bevorzugt man die Technik der „Unterbewußtseins-Propaganda", die auf das „Tiefbewußtsein", auf das Unbewußte in der menschlichen Psyche spekuliert.60) Experten der revanchistischen ss )
Eduard Spranger: Der Eigengeist der Volksschule. Seite 30. 26f. 19. Spranger sprach deshalb von „organisch-konzentrischen Lebenskreisen". Siehe Eduard Spranger: Der Bildungswert der Heimatkunde. Seite 47f. und Eduard Spranger: Der Eigengeist der Volksschule. Seite 18f. M ) Hans Zbinden: Das Heimaterlebnis als Erzieher zum Übernationalen. Verlag Deutsche Rundschau. Baden-Baden 1953. Seite 10.
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„Heimaterziehung" vertreten die Forderung, die für ihre Zwecke erfolglose „Wertlehre" durch „Werterleben und Werterfahrungen" zu ersetzen. Den Schülern soll das „Fremde" dadurch verdeutlicht werden, daß man ihnen alle nur erdenklichen „Leidenssituationen" aus dem Alltag sozialistischer Länder vor Augen führt. Das soll ein „Vakuumin der Seele schaffen, die Unruhe, die immer engagiert sein läßt." 61 ) Das Ziel sei „der politisch wache Mensch, den die Unruhe treibt: ,Unsern Brüdern fehlt die Freiheit, das ist eine blutende Wunde. Und Venn ich vorläufig nicht handeln kann wie ich möchte, so muß ich immer daran denken. Unsere Generation ist eine von diesem Unerlöstsein getriebene. " c2 ) Die folgerichtige Konsequenz dieser Methode ist die Unterdrückung des Sachwissens. Der gleiche Verfasser schrieb: „Es kommt nicht darauf an und kann unter Umständen den Weg zur Erkenntnis lähmen, etwa den Begriff ,Volk' voreilig zu definieren. Die Erkenntnis der angeführten Wesenheit ,Volk c , ein Erahnen reicht nach und nach aus, solche Begriffe wie Volksarmee, Volksstaat, Volkspolizei als perfide Verschleierung Ulbrichtschen SEDTerrors zu erkennen." 63 ) Wer die Tatsachen in einer derart perfiden Weise umkehrt wie der Altnazi Kieser, der hat freilich allen Grund, sich gegen den „Irrglauben an die Gewalt der sogenannten,Grundbegriffe'.. ."zu wenden. 64 ) Dieser Verfasser befindet sich in völliger Ubereinstimmung mit vielen anderen. „Auch für ,Freiheit', sowenig man den Begriff definieren kann, sind elementare Umschreibungen notwendig," schrieb Wolfgang Hilligen. „Für unsere Zwecke der heutigen Situation genügt als Definition der Freiheit vollkommen: Freiheit ist das, was die jenseits des Eisernen Vorhangs nicht haben und was wir diesseits des Eisernen Vorhangs, bei aller Unvollkommenheit im einzelnen, haben." 66 ) Diese Massensuggestion wird stets verknüpft mit der Anwendung von Methoden, die das Resultat der Bildung und Erziehung als Ergebnis eigener Überlegungen jund Erfahrungen erscheinen lassen. Es ist als Ziel gesetzt, daß die Objekte dieser hinterhältigen Manipulierung in jeder Situation gerade das tun wollen, was sie nach dem Willen fremder Mächte tun sollen. Man läßt zu diesem Zwecke nach Kieser „unaufhörlich das Material der Einzelsituationen in die Seele f l i e ß e n . . . hinführend zu der aus solcher eindrücklichen Situation wie eine reife Frucht sich lösenden Erkenntnis: So geht das nicht, es muß anders werden. . .