Hegel-Studien Band 30 9783787329526, 9783787314942

TEXTE UND DOKUMENTE Hegels "Philosophische Enzyklopädie" in Nürnberg. Mit einer Nachschrift von 1812/13, herau

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German Pages 298 [297] Year 1995

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Hegel-Studien Band 30
 9783787329526, 9783787314942

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HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

B and 3 0

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1995, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1494-2 ISBN eBook: 978-3-7873-2952-6 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE Hegels „Philosophische Enzyklopädie" in Nürnberg. Mit einer Nachschrift von 1812/13, herausgegeben von UDO RAMEIL (München)

9

„Ihr so interessantes Vaterland" Ein Brief Hegels an den ungarischen Gelehrten Ludwig Schedius. MitgeteUt und erläutert von KLAUS VIEWEG (Jena)

39

ABHANDLUNGEN (Bern) Hegel und Reinhold

45

(Buenos Aires) Die dialektische Natur der Vernunft. Über Hegels Auffassung von Negation und Widerspruch

89

(Firenze/Pisa) Zur logischen Bestimmung des ontologischen Gottesbeweises. Bemerkungen zum Begriff der Existenz im Anschluß an Hegel ....

105

MARTIN BONDELI

DANIEL BRAUER

ANGELICA NUZZO

S. F. BAEKERS (Den Haag) Die Zeit als Mitte der Philosophie Hegels

121

(Bochum) Hegel und Heidegger über Negativität

145

OTTO POGGELER

LITERATURBERICHTE UND KRITIK Th. Collmer: Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik (MATTHIAS KOSSLER, Mainz)

167

M. Rosen: Problems of the Hegelian Dialectic Bochum)

173

E. E. Harris: The Spirit of Hegel

(ORRIN

F.

SUMMERHILL,

Firenze/Pisa) ....

176

Hegel und Kant: ein offenes Problem für die philosophische Sache der Gegenwart. — A. Stanguennec: Hegel critique de Kant; St. Priest (ed.): Hegel's critique of Kant; B. Burkhardt: Hegels Kritik an Kants theoretischer Philosophie (GABRIELLA BAPTIST, Roma)

179

F. (ERNST-OTTO

(ANGELICA NUZZO,

-P. Hansen: Das älteste Systemprogramm des deut ONNASCH, Nijmegen) 190

G. Varnier: Ragione, negativitä, autoscienza

Roma)

195

Das Problem der sinnlichen Gewißheit. Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie des Geistes (ANNETTE SELL, Bochum)

197

J. O'Donohue: Person als Vermittlung

206

(GABRIELLA BAPTIST,

(ANNETTE SELL,

Bochum)

Die Naturphilosophie im Deutschen Idealismus. Hrsg. v. K. Gloy, P. Burger (JOHN W. BURBIDGE, Petersborough/Ontario)

210

C. F.

213

V.

Pfleiderer: Physik

(WOLFGANG BONSIEPEN,

Th. Petersen: Subjektivität und Politik

. . .

216

Marburg) . . .

219

(ANGELA REQUATE,

M. Quante: Hegels Begriff der Handlung L. Rizzi: Eticitä e stato in Hegel

Bochum)

(FRANZ HESPE,

(PASQUALINO MASCIARELLI,

Bergen)

Pisa)

221

Wirtschaß und moderne Gesellschaß — E. Rözsa: Hegel gazdasäfilosöfiäja 0OSEF CziRjÄK, Debrecen)

224

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. [Pinnisch.] NUOTIO, Helsinki)

229

KIMMO

Th. Steinherr: Der Begriff ,Absoluter Geist' in der Philosophie Hegels (DANIEL P. JAMROS, Buffallo, NY)

231

K. Comoth: Quasi perfecta

233

(HELMUT SCHNEIDER,

Bochum)

The Essenca of Believe. - [Schriften zu Hegels Religionsphilosophie] (TERRANCE G. WALSH, Berlin)

235

E. Matassi: Ereditä hegeliane (MICHELE BORRELLI, Universitä della Cala-

bria)

247

G. Mayos: Marxa i sentit especulatius de la historia (LLUIS ALEGRET I BIOSA, Barcelona)

250

M. Gans: Das Subjekt der Geschichte (KLAUS-JüRGEN GRüN, Erank-

furt/M.)

251

J. F. Kervegan: Hegel, Carl Schmitt

(ANGELICA NüZZO,

Pisa)

253

E. Weisser: Georg Lukäcs' Heidelberger Kunstphilosophie (ISTVäN

M. W.

FEH£R,

Budapest)

256

Löhneysen: Raffael unter den Philosophen — Philosophen über Raffael (OTTO PöGGELER, Bochum)

263

Hegels Nachlaß — E. Ziesche: Der handschriftliche Nachlaß. G. W. F. Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin (FRIEDHELM NICOLIN, Düsseldorf)

267

Kurzreferate und Selbstanzeigen über Y. Kubo, W. Kaltenbacher, Chun-lk Jang, P. Wild, R. Wisser/ L. St. Ehrlich (Hrsg.), J. Tischner

271

V.

BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993 Zusammenstellung und Redaktion: ANDREAS

GROSSMANN,

Bochum

281

HEGELS „PHILOSOPHISCHE ENZYKLOPÄDIE" IN NÜRNBERG Mit einer Nachschriß von 1812/13 herausgegeben und erläutert von Udo Rameil (München)

Hegel hat als Professor der „Philosophischen Vorbereitungswissenschaften" am Aegidiengymnasium in Nürnberg von 1808 bis 1816 in jedem Unterrichtsjahr in der Oberklasse einen Kursus zur philosophischen Enzyklopädie gehalten. Dazu war er durch den 1808 neu eingeführten bayerischen Schul- und Studienplan — das vor allem durch NIETHAMMER geprägte Allgemeine Normativ — angehalteni; der Lehrplan schrieb als Lehrgegenstand für die oberste Schulstufe „Einleitung in die Kenntniß des allgemeinen Zusammenhangs der Wißenschaften" unter dem Titel einer „philosophischen Encyklopädie“ vor. Hegel ging in seinen gymnasialen Lehrveranstaltungen im Rahmen der „Philosophischen Propädeutik" regelmäßig so vor, daß er auf der Grundlage eines Manuskriptes, das ihm als Vorlage diente, den Schülern Paragraphen diktierte, die er anschließend mündlich frei durch Anmerkungen erläuterte. Die Schüler mußten die Diktate mitschreiben und in häuslicher Arbeit in Reinschrift übertragen; außerdem war es ihre Aufgabe, ihre Aufzeichnungen von Hegels kommentierenden Erläuterungen im Zusammenhang selbständig auszuformulieren.^ Zu Beginn seiner Unterrichtstätigkeit in Nürnberg konnte Hegel nicht auf eine fertig ausgearbeitete Gesamtdarstellung seines philosophischen Systems zurückgreifen, die er — der gymnasialen Lehrsituation angepaßt — seinen philosophischen Enzyklopädiekursen hätte zugrunde legen können. Zwar war der Systemgedanke auch schon für Hegels Jenaer Zeit zentral, und spätestens mit dem Erscheinen der Phänomenologie des Geistes von 1807 liegt die Einteilung des philosophischen Systems, in das die Phänomenologie einleiten soll, in Logik, Naturwissenschaft und Geistesphilosophie öffentlich vor.3 Aber eine systematisch geschlossene detaUUerte Ausführung hat das damit aufgestellte philosophische Programm insgesamt in Jena nicht mehr erfahren. Die ausartikulierte systematische Gestalt der Hegelschen Philosophie entwickelt sich erst in Nürnberg, und sie nimmt dort 1 Allgemeines Normativ der Einrichtung der öffentlichen Unterrichtsanstalten. In; Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd 42. Berlin 1908. Vgl. 575, 583. — Wiederabdruck in: F. }. Niethammer: Philanthropinismus — Humanismus. Texte zur Schulreform. Bearbeitet von W. HiUebrecht. Weinheim, Berlin, Basel 1968. 59, 66. ^ S. den Bericht des Schülers D. Zimmermann, abgedruckt in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg, von G. Nicolin. Hamburg 1970. 133; vgl. Hegel-Jahrbuch 1972. 327. 3 S. die „Selbstanzeige" Hegels zur Phänomenologie des Geistes. In: G. W. f. Hegel: Gesammelte Werke (zit. als: GW). Bd 9. 447.

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UDO RAMEIL

von Anbeginn die Form einer philosophischen Enzyklopädie an. Vor diesem Hintergrund der Systementwicklung stellen Hegels Kurse zur „Philosophischen Enzyklopädie" in Nürnberg eine unverzichtbare Brücke zwischen seinen Jenaer Systementwürfen und den Heidelberger und Berliner Ausgaben der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften dar. Schon KARL ROSENKRANZ, der erste Herausgeber der Texte zu Hegels „Philosophischer Propädeutik", hat seine Edition von 184CB vornehmlich damit begründet, daß in diesen Texten „für die Anschauung der Entwicklung Hegel's ein sehr bedeutendes Moment gegeben sei" {Prop. V), und das vor allem deshalb, weil sich in der Nürnberger Enzyklopädie „die Zwischenstufe zwischen der Phänomenologie von 1807 und der Encyklopädie von 1817" zeige (ebd. XVIII); so bildeten Hegels „Hefte vom Gymnasium ... die beste Grundlage"® für die rasche Veröffentlichung der ersten Auflage der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften kurz nach Hegels Wechsel vom Nürnberger Gymnasium an die Heidelberger Universität. Diese Einschätzung der Nürnberger Texte Hegels zur philosophischen Propädeutik als Dokumente einer bedeutenden Zwischenphase in Hegels philosophischer Entwicklung und insbesondere die Beurteilung der Nürnberger Enzyklopädiekurse als unmittelbarer Vorstufe der Heidelberger Enzyklopädie (im folgenden: H. Enz.) ist seit ROSENKRANZ' Edition in der Hegel-Forschung opinio communis; differenzierte Detailuntersuchungen aber fehlen bis heute. Der bereits von ROSENKRANZ formulierte entwicklungsgeschichtliche Ansatz seiner Betrachtung und Würdigung des Nürnberger philosophischen Systems Hegels — für die Herausgeber der ersten Werkausgabe eher ungewöhnlich und erst für die spätere Forschung grundlegend — nimmt Hegels Kurse zur philosophischen Propädeutik allerdings pauschal als eine eigenständige und einheitliche Entwicklungsstufe im Denken Hegels zwischen Jena und Heidelberg und widmet den vielfältigen Entwicklungslinien innerhalb der Nürnberger Zeit Hegels — von einigen beiläufigen Bemerkungen im „Vorwort" abgesehen — keine Aufmerksamkeit. ROSENKRANZ' editorisches Vorgehen im einzelnen ist gerade nicht entwicklungsgeschichthch orientiert, sondern ausdrücklich von dem Bestreben geleitet, aus dem ihm vorliegenden mannigfachen Textmaterial „gewissenhaft Ein Ganzes herauszuarbeiten" {Prop. VII) und auf diese Weise einen ideal-typischen philosophischen Gesamtkursus zu konstruieren, wie ihn Hegel selbst niemals durchgeführt hat. Die für eine sachgerechte Interpretation der Denkentwicklung Hegels unabdingbare Aufgabe, durch Sonderung unterscheidbarer Schichten innerhalb der philosophischen Propädeutik den Fortschritt der Hegelschen Phüosophie in der Nürnberger Zeit durchschaubar und nachvollziehbar zu machen, war nicht lösbar, solange ausschließlich ROSENKRANZ' ganz anders ausgerichtete Edition zugrunde gelegt werden konnte. Die Textbasis konnte — was die philosophische ■* G. W. F. Hegel: Werke. Bd 18: Philosophische Propädeutik. Hrsg, von K. Rosenkranz. Berlin 1840 (zit. als: Prop.). ® K. Rosenkranz: G. W. F. Hegels Leben. Berlin 1844 (Nachdr. Darmstadt 1977). 305.

Hegels „Philosophische Enzyklopädie'

11

Enzyklopädie betrifft — auch durch die neueren Editionen der Nürnberger Schriften Hegels nicht verbessert werden, da sie vollständig auf eine Übernahme der RosENKRANZschen Textfassung des Kursus zur „Philosophischen Enzyklopädie" angewiesen waren.^ Erst zwei spätere Textfunde haben zu einer grundlegend neuen Situation geführt, die es erstmals möglich macht, hinter die von ROSENKRANZ hergestellte Textkompilation zurückzugehen und sie in ihrer Authentizität im einzelnen zu prüfen. Zum einen wurde im Berliner Hegel-Nachlaß ein Konvolut von Manuskripten aus Hegels Jenaer und Nürnberger Zeit wiedergefunden, die von ROSENKRANZ für seine Ausgabe benutzt worden waren. Zum anderen wurden im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg Nachschriften eines Gymnasialschülers von Hegel entdeckt, die Kurse dokumentieren, die durch die Manuskripte aus dem Hegel-Nachlaß nicht überliefert sind. Das im Berliner Hegel-Nachlaß aufgefundene Konvolut enthält u. a. sechs Schüler-Nachschriften von Hegels Diktaten aus fünf Philosophiekursen zwischen 1808/09 und 1810/11. Diese Manuskripte sind dadurch zusätzlich von großer Bedeutung, daß Hegel sie eigenhändig datiert und für spätere Kurse gelegentlich korrigiert und z. T. umfangreich überarbeitet hat. Wohl zu diesem Zweck hat Hegel sich diese Nachschriften anfertigen und aushändigen lassen, und dies ist auch der Grund dafür, daß sie in Hegels eigenem Nachlaß überliefert sind. Die Nachschriften im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg stammen von Hegels Schüler CHRISTIAN S. MEINER; sie enthalten Hegels Diktate zur Religionslehre (gemeinsame Kurse für Mittel- und Oberklasse von 1811/12 und 1812/13), zur Geisteslehre (Phänomenologie und Psychologie) aus dem Mittelklassenkurs von 1811/12 und zur Philosophischen Enzyklopädie aus dem Oberklassenkurs von 1812/13 und außerdem jeweils im Anhang auch MEINELS Ausarbeitungen der nicht diktierten mündlichen Anmerkungen Hegels aus dem Unterricht. In den Nachschriften, die sich im Hegel-Nachlaß befinden, sind solche Erläuterungskommentare Hegels zu den diktierten Paragraphen nicht aufgezeichnet. Daß Hegel die enzyklopädische Gesamtdarstellung seines philosophischen Systems nicht in einem Zuge, sondern erst durch eine allmähliche Anreicherung über mehrere Jahre hinweg gelingt, geht aus Hegels jährlichen Kurzberichten über seinen Unterricht hervor, die in den gedruckten G)unnasialprogrammen veröffentlicht wurden (s. N. Sehr. 3—10). In ihnen hebt Hegel — zumal für die ersten Unterrichtsjahre — wechselnde thematische Schwerpunkte in der Behandlung des enzyklopädischen Lehrstoffs hervor; aus seinen Angaben läßt sich eine Übersicht über die wesentlichen Ausarbeitiingsetappen der Nürnberger Enzyklopädie gewinnen: Im ersten Oberklassenkursus (1808/09) „wurde die Logik, nämlich mit Einschluß der sonst sogenannten Ontologie oder auch transzendentalen

^ G. W. F. Hegel: Nürnberger Schriften 1808—1816. Hrsg, von J. Hoffmeister. Leipzig 1938 (zit. als: N. Sehr.). — G. W. F. Hegel: Werke. Redaktion E. Moldenhauer und K. M. Michel. Bd4. Frankfurt/M. 1970.

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UDO RAMEIL

Logik, am ausführlichsten abgehandelt" (N. Sehr. 3).^ Im nächsten Schuljahr (1809/10) beginnt Hegel sofort mit der subjektiven Logik (Lehre vom Begriff) und schließt daran die Naturwissenschaften an. Im dritten Jahr (1810/11) kommt es im Kontext der Enzyklopädie zum erstenmal zu einer ausführlichen Behandlung der Lehre vom Geist: Der Oberklassenkurs umfaßt nun — unter Auslassung der gesamten Logik — die Erörterung der „Grundbegriffe der Wissenschaften der Natur und des Geistes" (N. Sehr. 4). Erst für 1811/12 und 1812/13 gibt Hegel in seinen Berichten an (ebd. 5 f), das gesamte dreiteilige Programm seiner philosophischen Enzyklopädie vorgetragen zu haben.® Die — naturgemäß pauschal und allgemein gehaltenen — Angaben Hegels zur philosophischen Enzyklopädie in seinen Abschlußberichten werden durch die wieder- und neuentdeckten Schüler-Nachschriften recht genau bestätigt und in vielen Einzelheiten ergänzt. Glücklicherweise dokumentieren die erhaltenen Nachschriften gerade die für die Entwicklung und Ausgestaltung der Nürnberger Enzyklopädie besonders interessanten Jahrgänge. Im einzelnen handelt es sich um folgende — in ihrer Originalgestalt bisher nicht edierte — Manuskripte: 1) 1808/09: Philosophische Enzyklopädie. Diktat-Nachschrift, von Hegel datiert „Oberklasse 1808—09" (Staatsbibliothek Berlin: Hegel-Nachlaß Kapsel 16, Fasz. 111,1)9. 2) 1809/10: Subjektive Logik und System der besonderen Wissenschaßen. Diktat-Nachschriften (getrennt durchnumerierte Paragraphenfolgen); die Nachschrift zur Subjektiven Logik von Hegel datiert „Oberklasse 1809—10", am Ende „bis Ostern 1810" (ebd. Fasz. IV); die Nachschrift zum System der besonderen Wissenschaßen von Hegel datiert „Oberklasse 1810 nach Logik" (ebd. Fasz. III,2). 3) 1810/11: System der besonderen Wissenschaßen. Diktat-Nachschrift, von Hegel datiert „Oberklasse des Gymnasiums Oct. 1810—9. Aug. 1811" (ebd. Fasz. VI).

^ In einem Brief Hegels an Niethammer vom 14. Dezember 1808 heißt es: „Mit der philosophischen Enzyklopädie in der Oberklasse verbinde ich, wie ich dies nach meinem Plane sehr leicht karm, noch transzendentale und subjektive Logik." (Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Hamburg 1952—54. Bd 1. 272.) Statt (wie hier und im oben zitierten Bericht) von „transzendentaler Logik" spricht Hegel im Oberklassenkursus von 1808/09 von „ontologischer Logik"; im Mittelklassenkursus von 1808/09 und in den folgenden Jahren bezeichnet Hegel diesen ersten Teil der Logik — wie später — als „objektive Logik". ® Die wenig differenzierten Berichte Hegels für die Jahre 1813/14 und 1814/15 geben keinen genauen Aufschluß, ob Hegel weiterhin alle drei Teile der Enzyklopädie behandelt oder sich — wie 1810/11 - auf Naturwissenschaft und Geisteslehre als ,System der besonderen Wissenschaften' beschränkt. * Zu den Heften aus dem Hegel-Nachlaß s. E. Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 29 (1975), 438—444; s. neuerdings: Der handschrißliche Nachlaß G. W. f. Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz. Teil 1: Katalog, beschrieben von E. Ziesche. Wiesbaden 1995. 212—222.

Hegels „Philosophische Enzyklopädie'

13

4) 1812/13: Philosophische Enzyklopädie 1812—1813. Nachschrift der Diktate und der Anmerkungen Hegels von „CHRISTIAN MEINET. Schüler der Oberklasse" (Landeskirchliches Archiv Nürnberg: Ms. 1763). Eine tabellarische Übersicht soll die je'weiüge thematische Erstreckung der durch diese Nachschriften dokumentierten Enzyklopädiekurseii vor Augen stellen: Philos. Enzyklopädie

1808/09

Einleitung

§§1-5

I. Logik A. Ontolog./Obj. Logik B. Subj. Logik C. Ideenlehre

3§ 6-10

§ 11-48 i§ 49-78 i§ 79-98

§§ 1/2-78 §§ 79-114

IL Naturwissenschaft A. Mathematik B. Physik überhaupt C. Organ. Physik

5 99-100

§§1/2- 6

1101-110

■ §§ 7-22 §§23-53 §§54-61

III. Geisteslehre A. Geist in s. Begriff B. Realer Geist C. Geist in seiner reinen Darstellung

1111-118

1809/10

1810/11

1812/13 il-7

18-16

§§ 1/2-6

§§ 7-22 §§ 23-53 §§54-64 §§65-67 §§68-149 5§ 150-159 5§ 160-164

i 17-20 i 21-28 i 29-42 143-52

153-61

Zum Kursus von 1808/09: Die Einleitung zeigt, daß Hegel — wie in der Phänomenologie des Geistes von 1807 — das System der philosophischen Wissenschaften als Fortsetzung der „Phänomenologie" auffaßt, die als Einleitung in dieses System konzipiert ist^^: „Die philosophische Wissenschaft setzt voraus, daß die Trennung der Gewißheit seiner selbst Hegels Anmerkungen zu den diktierten Paragraphen liegen in einer weiteren Nachschrift desselben Kurses vor, die Julius Friedrich Heinrich Abegg angefertigt hat; das Heft mit den diktierten Paragraphen ist im Familien-Archiv Abegg (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) leider nicht aufzufinden. Allerdings stellt Abegg des öfteren den Anmerkungen vollständig oder zum Teil den Text des zugehörigen Paragraphen voran. So sind die Diktate zur Geisteslehre (§§ 53—61) jeweils zu Beginn der Anmerkungen vollständig notiert; sie stimmen mit dem Diktattext der Geisteslehre in Memels Nachschrift exakt überein. ü Der Kursus von 1811/12 ist durch kein Dokument überliefert; wahrscheinlich unterscheidet er sich nicht wesentlich von dem auf ihn folgenden Kursus von 1812/13 (vgl. im folgendem Hegels Gutachten von 1812). '2 S. Verf.: Die Entstehung der ,enzyklopädischen' Phänomenologie in Hegels propädeutischer Geisteslehre in Nürnberg. Erscheint im Band zur Phänomenologie des Geistes (hrsg. von D. Köhler und O. Pöggeler) in der Reihe „Klassiker Auslegen" (hrsg. von O. Höffe).

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und der Wahrheit bereits aufgehoben ist oder daß der Geist nicht mehr der Erscheinung angehört" (§ 2). Hegel plant nach Auskunft der Gliederung (§ 3) eine Darstellung des gesamten enzyklopädischen Programms: Logik, Wissenschaft der Natur und des Geistes; der Kursus bricht aber — wohl auch „wegen der Kürze dieses ersten Studienjahres" (N. Sehr. 3), das wegen der Neuorganisation des Gymnasiums erst verspätet begonnen werden konnte — bereits in der „Naturwissenschaft" ab (im 2. Kapitel „Physik des Unorganischen" des 2. HauptteUs „Physik überhaupt"). Die ausführliche Darstellung der Logik umfaßt die ontologische Logik, die subjektive Logik und als selbständigen dritten Teil die Ideenlehre. Zum Kursus von 1809/10: Die beiden Teile des Kurses Liegen in zwei voneinander getrennten Nachschriften (von derselben Schülerhand) vor. — Die erste Nachschrift ist auf dem Titelblatt mit „Subjektive Logik" und im Text mit „Logik" überschrieben. Der erste Paragraph gliedert die Logik — anders als 1808/09 — insgesamt in objektive und subjektive Logik. Die letztere, die allein „hier abgehandelt" wird, teilt sich in „Begriffs- und Ideenlehre"; die Ideenlehre ist also nicht mehr selbständiger dritter Teil der Logik insgesamt, sondern nun als zweiter Teil in die subjektive Logik integriert. Die Schlußlehre und die Ideenlehre sind von Hegel im Text und am Rand der Schülernachschrift stark überarbeitet worden. — Die zweite Nachschrift enthält das im Kursus von 1809/10 unmittelbar sich anschließende „System der besonderen Wissenschaften". § 1 kündigt eine Darstellung der Idee an, „wie sie in der konkreten Form als Natur und Geist erscheint". Behandelt wird aber ausschließlich „I. Naturwissenschaft"; sie endet in ihrem dritten HauptteU „Organische Physik" mit einem Paragraphen zur „Zoologie" (§ 61). In die Schülernachschrift hat Hegel eine stilistische Textkorrektur (§ 44) und vier Randnotizen zur „Besonderen Physik des Unorganischen" (§§ 45 —52) eingetragen, die aber in den Diktattext nicht eingreifen. Der Text zur „Naturwissenschaft" von 1809/10 diente Hegel als unveränderte Diktatvorlage für die (am Ende um drei Paragraphen erweiterte) „Naturwissenschaft" im Kursus von 1810/11. Zum Kursus von 1810/11: Hegel verzichtet in diesem Studienjahr völlig auf eine Darstellung der Logik, obwohl die Schüler in der Mittelklasse noch keinen speziellen Logikkurs erhalten hatten. Die „Wissenschaft der Natur" folgt exakt dem entsprechenden Diktattext von 1809/10; Hegel fügt an dessen letzten Paragraphen (§ 61 zur „Zoologie") drei weitere Paragraphen (§§ 62—64) zum Organismus an, in denen am Ende „die Erhebung in den Geist" vollzogen wird. — Erstmals erstreckt sich der Enzyklopädiekurs auch auf die Lehre vom Geist. Die interne Gliederung dieser Geisteslehre weicht von Hegels späterer Philosophie des Geistes noch erheblich ab. Auf die „Phänomenologie", die ohne weitere Ausführung nur kurz erwähnt wird (§ 65), folgen laut Einteilung des § 67 die Abschnitte „Der Geist in seinem Begriff, Psy-

Hegels „Philosophische Enzyklopädie'

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chologie überhaupt" (theoretischer Geist und praktischer Geist, der Recht und Moral umfaßt), „Realisierung des Geistes, Staatswissenschaft und Geschichte" und „Die Vollendung des Geistes in Kunst, Religion und Wissenschaft". Im fortlaufenden Diktattext stehen für die beiden letzten Abschnitte die Titel „Realer Geist" und „Geist in seiner reinen Darstellung". — Sowohl die Wissenschaft der Natur als die Lehre vom Geist sind in der Diktatnachschrift von 1810/11 von Hegel eigenhändig in mehrfachen Anläufen umfangreich überarbeifef worden. Diese Notizen leisten eine entscheidende Fortentwicklung vor allem in der Einteilung der Geisteslehre. 13 Zum Kursus von 1812/13 (vgl. die folgende Edition): Die besondere Bedeutung der Nachschrift des Oberklassenkurses von 1812/13 durch CHRISTIAN S. MEINEL liegt darin, daß es sich um das einzige vorliegende Dokument eines Hegelschen Lehrvortrages in Nürnberg handelt, der die „Philosophische Enzyklopädie" in allen drei Hauptteüen umfaßt. Nach dem allmählichen Ausbau des enzyklopädischen Gesamtprogramms in den Schuljahren 1808/09 bis 1810/11 hat Hegel frühestens 1811/12 eine im Programm vollständig durchgeführte Enzyklopädie vorgetragen (s. den Bericht: N. Sehr. 5); von diesem Kursus liegt jedoch keine Nachschrift vor. 1812/13 ist Hegel so vorgegangen, daß er — auf die Mittelklassenkurse zur Logik von 1810/11 und zur Psychologie (Lehre vom Bewußtsein und vom theoretischen Geist) von 1811/121^ aufbauend — Logik und Geisfeslehre nur abbreviativ darstellt; den Schwerpunkt des Kurses bildet somit die Wissenschaft der Natur. In MEINELS Nachschrift hat die Naturphilosophie (§§17—52) gegenüber der Logik (§§8—16) und der Geisteslehre (§§53—61) jeweils die vierfache Anzahl an Paragraphen. In seinem Privatgutachfen „Über den Vorfrag der Philosophie auf Gymnasien" für NIETHAMMER vom Oktober 1812, also nach Abschluß des — nicht dokumentierten — Kursus von 1811/12, erläutert Hegel sein Vorgehen: „Als ich im vierten Jahr der Existenz des Gymnasiums in der Oberklasse solche Schüler erhielt, welche die drei Kurse der Philosophie in der [unteren und oberen] Mittel- und Unterklasse durchlaufen hatten, mußte ich die Bemerkung machen, daß sie mit dem größten Teil des philosophischen wissenschaftlichen Kreises schon bekannt seien, und ich des größten Teils der Enzyklopädie entbehren könnte; ich hielt mich alsdann vornehmlich an die Naturphilosophie." (N. Sehr. 440) Die offenbar im Kursus von 1811/12 gewonnene Erfahrung bestimmf dann auch Hegels Verfahren im Oberklassenkurs von 1812/13, das er in seinem Abschlußbericht so beschreibt: „Von den drei Teilen der philosophischen 13 Zu Hegels damaliger Unsicherheit in der Abgrenzung des ,realen Geistes' vom ,praktischen Geist' und zum Fortschritt in der Einteilung der Geisteslehre s. Verf.: Der systematische Aufbau der Geisteslehre in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegel-Studien. 23 (1988), 19—49. 1^ Zum Psychologiekurs von 1811/12 s. Verf.: Bewußtseinsstruktur und Vernunß. Hegels propädeutischer Kursus über Geisteslehre 1811/12. In: Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Hrsg, von F. Hespe und B. Tuschling. Stuttgart—Bad Cannstatt 1991. 155-187.

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Wissenschaften, der Logik, der Philosophie der Natur und der Philosophie des Geistes, wurde bei dem zweiten, der Philosophie der Natur, länger verweilt, und von deren einzelnen Wissenschaften die Grundbegriffe angegeben; der erste und dritte aber wiederholungsweise durchgegangen, weil sie bereits in der Mittelklasse vorgekommen waren." (N. Sehr. 6) — Die Einleitung in die „Philosophische Enzyklopädie" von 1812/13 ist gegenüber dem entsprechenden Text von 1808/09 verändert und erweitert; Hegel geht nun von einer allgemeinen Bestimmung des Begriffs der Enzyklopädie aus und charakterisiert in Abhebung von einer „gewöhnlichen Enzyklopädie" (§ 2) die „philosophische Enzyklopädie" (§ 4)i®. Die frühere Reminiszenz an die Phänomenologie des Geistes als Einleitung in das philosophische System (s. o. § 2 von 1808/09) ist eUminiert. A. Logik: Der Anfang des kurzen Abrisses der Logik weist die Enzyklopädie von 1812/13 als unmittelbare Vorstufe der gedruckten Enzyklopädie von 1817 aus. Hegel beginnt mit einer Unterscheidung von Form (§ 8) und Inhalt (§ 9) der Logik. Der Form nach betrachtet sind drei Seiten des Logischen hervorzuheben; 1. die abstrakte oder verständige, 2. die dialektische oder negativ vernünftige, 3. die spekulative oder positiv vernünftige.'^ In die Heidelberger Enzyklopädie hat Hegel diese Reflexion auf die Form der Logik wortgetreu zu Beginn des „Vorbegriffs" der Logik übernommen (H. Enz. § 12); die 1812/13 in § 8 angeschlossenen Charakterisierungen der drei Seiten der logischen Form lassen sich unschwer als jeweiliger Kern der 1817 in drei Paragraphen (H. Enz. §§ 14—16) auseinandergezogenen Darstellung der Formmomente des Logischen wiedererkennen. Die Parallelen zwischen den Texten von 1812/13 und 1817 erstrecken sich selbst noch auf die Anmerkungen zu den Paragraphen; schon in Nürnberg stellt Hegel eigens heraus, die drei Seiten seien „keine besonderen Teile" der Logik; „Alle Begriffe müssen so betrachtet werden. Jeder logische Gegenstand hat diese drei Seiten an sich." (MEINEL „ad §8"'^; vgl. H. Enz. § 13 Anm.) In den Berliner Ausgaben der '5 In § 4 übeminunt Hegel den Text von § 1 aus dem Kursus von 1808/09 und berücksichtigt auch seine einzige eigenhändige Überarbeitungsnotiz im Schülerheft von 1808/09; die Einfügung des Wortes „Grundbegriffe" vor „Grundsätze". Auch in der „Vorrede" zum ersten Band der Wissenschafl der Logik vom 22. März 1812 formuliert Hegel diese Dreiheit der logischen Asp>ekte; „Der Verstand bestimmt und hält die Bestimmungen fest; die Vernunft ist negativ und dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Verstands in Nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie das Allgemeine erzeugt, und das Besondere darunter subsumirt." (GW. Bd 11.7) — Auf eine für Hegels spekulativen Grundgedanken der „konkreten Allgemeinheit" charakteristische Weise hat Hegel in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1832 den Schluß dieses Satzes wesentlich verändert; Anstelle der Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine heißt es nun, die Vernunft sei positiv, „weil sie das Allgemeine erzeugt, und das Besondere darin begreift" (GW. Bd 21. 8); entsprechend präzisiert Hegel kurz darauf zur Verdeutlichung seines Gedankens das durch die positive Vernunft hergestellte Allgemeine (GW. Bd 11. 8) durch den Zusatz, dieses Allgemeine sei ein „Allgemeines, das in sich concret ist" (GW. Bd 21. 8). In Abeggs Ausarbeitung von Hegels Anmerkungen heißt es entsprechend; „Doch sind keine Teile, sondern nur drei Seiten in der Logik verschieden . . . Diese drei lassen sich nicht voneinander trennen, jeder logische Gegenstand hat diese drei Momente" („ad § 8").

Hegels „Philosophische Enzyklopädie

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Enzyklopädie ist die dreifach entfaltete Form des Logischen dann unter dem Titel „Näherer Begriff . . . des Logischen" an das Ende des „Vorbegriffs" der Logik gerückt (§§ 79—82). — Die wenigen Paragraphen zur Logik von 1812/13 zeigen gegenüber der vorangegangenen Logikdarstellung in Nürnberg einen weiter fortgeschrittenen Aufbau, der nun ganz der Gliederung der Wissenschaß der Logik entspricht: Die Logik ist insgesamt — wie bereits 1809/10 — zweigeteilt in objektive Logik (§ 10) und subjektive Logik (§ 13). Die objektive Logik, „die Lehre vom reinen Sein und vom Wesen", ersetzt die „vormalige Metaphysik" (§ 10), deren besonderen Teile angegeben werden: Ontologie, rationelle Psychologie, Kosmologie und rationelle Theologie (§ 11). Auch hierin erweist sich die Enzyklopädie von 1812/13 bis in einzelne Formulierungen hinein als unmittelbare Vorarbeit für Hegels Darstellung in der Heidelberger Enzyklopädie (vgl. dort §§ 18, 22—25). Dies gilt ebenso für die sich anschließende Betrachtung der — die vormalige Metaphysik kritisierenden — kritischen Philosophie (§ 12 von 1812/13); diese gedrängte Darstellung ist ersichtlich die Vorlage für Hegels ausführlichere Ausarbeitung in der Enzyklopädie von 1817 (vgl. H. Enz. §§ TI ff). — Insgesamt kann festgestellt werden, daß die diktierte Kurzdarstellung der Logik von 1812/13 die ,Keimzelle' des „Vorbegriffs" der Logik in der Druckfassung der Enzyklopädie bildet. (In den erläuternden Anmerkungen zur objektiven Logik, die MEINEL („ad § 10") aufgezeichnet hat, findet sich bereits vollständig und in genauer Übereinstimmung die Gliederung der objektiven Logik der Heidelberger Enzyklopädie. Es fällt auf, daß Hegel sich bei der Abfassung dieses Teils der enzyklopädischen Logik von 1817 — nicht nur in der Kompendienform, sondern auch in der inhaltlichen Gliederung — an der Logikdarstellung der Nürnberger Enzyklopädie orientiert und nicht an der publizierten Wissenschaß der Logik; dies ist ein weiterer Beleg dafür, in welchem Ausmaß die Nürnberger Enzyklopädie die unmittelbare Vorstufe der gedruckten Enzyklopädie darstellt.) — Die Untergliederungen der ersten beiden Teile der subjektiven Logik, des Begriffs in seiner Subjektivität (§ 14) und in seiner Objektivität (§ 15)i*, stimmen 1812/13 mit dem entsprechenden Aufbau der Wissenschaß der Logik und der Enzyklopädie (1817) überein. — Die im Diktattext (§ 16) fehlende Unterteilung des Kapitels zur Idee hat Hegel in seinen kommentierenden Anmerkungen während des Unterrichts nachgeliefert; sie läßt sich MEINELS und ABEGGS Aufzeichnungen entnehmen: a. die Idee des Lebens, b. die Idee des Wahren und Guten, c. das Wissen oder die absolute Idee (ad § 16). Auch diese Einteilung deckt sich im wesentlichen mit derjenigen der Wissenschaß der Logik und der Heidelberger Enzyklopädie. MEINELS Formulierung: „Das Lebendige ist schön, insofern es den Zusatz von Äußerlichkeit hat" (ad § 16), weist darauf hin, daß Hegel in der Ideenlehre von 1812/13 außer der Idee des Wahren und der Idee

Zur Herausbildung dieses Mittelteils der subjektiven Logik Hegels s. Verf.: Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entstehung des Kapitels „Objektivität" in Hegels propädeutischer Logik. In: Hegel-Studien. 28 (1993), 165—191.

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des Guten auch die Idee des Schönen thematisiert^^, wie er es bereits in den Logikk rrsen der Oberklasse von 1809/10 (§§ 82 f) und der Mittelklasse von 1810/11 (g 133; vgl. Prop. 120: § 105, N. Sehr. 101; § [130]) getan hatte; davon distanziert sich Hegel später in der Begriffslehre (1816) der Wissenschaß der Logik.^^ B. Naturwissenschaß: Hegel gewinnt die ausführliche Darstellung der Naturphilosophie von 1812/13 im Ausgang von den Diktaten zum „System der besonderen Wissenschaften" von 1809/10, die er im Kursus von 1810/11 unverändert wiederholt und am Ende ergänzt (§§ 62—64) hatte. Das Schülerheft mit den Diktaten V(m 1810/11 hat er dann einer gründlichen Überarbeitung für den Vortrag der Naturlehre im folgenden Unterrichtsjahr unterzogen: Das Ergebnis dieser Revision dokumentiert der Diktattext von 1812/13, in dem die Berücksichtigung der Notizen Hegels im Schülerheft von 1810/11 nachzuvollziehen ist. Das können beispielhaft Einleitung und Gliederung (§§ 17—20) der „Naturwissenschaft" deutlich rr achen. 1812/13 beginnt Hegel die „Naturwissenschaft" mit einem Text (§ 17), der 1809/10 und 1810/11 — der Naturwissenschaft vorausgehend — das gesamte „System der besonderen Wissenschaften" einleitet und deshalb eine Unterscheidung von Natur- und Geisteslehre enthält (§1); da dieser die Realphilosophie insgesamt gliedernde Text nicht im strengen Sinne unter die „Naturwissenschaft" fällt, ergänzt ihn Hegel 1812/13 durch den Schlußteil des § 2 von 1809/10 und 1810/11, der nun in der Tat einführend die Natur als Gegenstand der philosophischen Wissenschaft von ihr charakterisiert. Der sich anschließende § 18 von 1812/ 13 wiederholt nahezu unverändert den § 3 von 1809/10 und 1810/11. Der § 4 dieser früheren Kurse enthält vorgreifend eine Reflexion auf das Ende der „Naturwissenschaft", auf das Werden der Natur zum Geist; auf diese Antizipation des Übergangs zur Geisteslehre verzichtet Hegel 1812/13. Die Weiterentwicklung der 5 und 6 von 1809/10 und 1810/11 mit Einbeziehung der Überarbeitungsnotizen Hegels im Schülerheft von 1810/11 bis zum Text von 1812/13 soll die folgende Gegenüberstellung verdeutlichen; (1809/10) 1810/11 §5 Die Idee, die als Natur in der Form der nicht reflektierten Unmittelbarkeit oder des Außersichseins ist, ist

Hegels Überarbeitung §5 Die Idee, als Natur in der Form der nicht reflektierten Unmittelbarkeit, ist

1812/13 (Meinel) §19 Die Idee, welche als Natur in der Form des unmittelbaren Außersichseins ist, ist

Der Aufzeichnung Meineis entsprechend heißt es in Aheggs Ausarbeitung der Anmerkung Hegels zu § 16: „Die reine Idee des Lebens ist Schönheit, das Zweite das Wahre und Gute, das Dritte das Wissen. Dieses ist die absolute Idee, die Idee in der Gestalt der Idee." S. GW. Bd 12. 181. — S. auch den Brief von L. Feuerbach an K. Daub, in: Hegel in Berichten (wie Anm. 2). 269; vgl. Verf.: Aufbau und systematische Stellung der Ideenlehre in Hegels propädeutischer Logik. (Erscheint im Tagungsband der Marburger Tagung von 1993 über Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Hrsg, von H.-C. Lucas und B. Tuschling.)

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Hegels „Philosophische Enzyklopädie'

(1809/10) 1810/11 a) in der Form des abstrakten reinen Außersichseins als Raum und Zeit; b) in der Form des Fürsichseins im Außereinandersein, als System der unorganischen Natur; c) in der Form des Anundfürsichseins, System der organischen Natur. §6

Hegels Überarbeitung

1812/13 (Meinel)

a) in der Form des ganzen ideellen Außersichseins, Raum und Zeit; b) als reales Außereinandersein oder das materielle Dasein dieser Äußerlichkeit, unorganische Natur; c) als lebendiges Dasein, organische Natur.

1. in der Form des ganzen ideellen Außersichseins, Raum und [Zeit]; 2. als

§6 Die Hauptwissenschaften der Naturphilosophie sind also a) Mathematik, b) Physik überhaupt,

§20 Die Hauptwissenschaften in der Naturphilosophie sind also 1. Mathematik, 2. Physik überhaupt,

Die Naturwissenschaft ist also a) Mathematik, b) Physik oder Wissenschaft der unorganischen, c) Wissenschaft der orc) Physiologie. ganischen Natur.

materielles Dasein dieser Äußerlichkeit, unorganische Natur; 3. Dasein, organische Natur.

3. Physiologie.

Die in den ersten Paragraphen des Kurses von 1812/13 sichtbar werdende Arbeitsweise Hegels ist charakteristisch auch für den folgenden Text der „Naturwissenschaft": Hegel rafft die Darstellung von 1809/10 und 1810/11 durch Auslassung einzelner Paragraphen (insgesamt übergeht er 25 Paragraphen der früheren Fassung), die übernommenen Paragraphen unterzieht er im Schülerheft der Diktate von 1810/11 einer Neubearbeitung; diese überarbeitete Version dient ihm dann als Diktatgrundlage für die folgenden Kurse. Durch Vergleich mit MEINELS Diktattext von 1812/13 ist festzustellen, daß Hegel das Schülerheft von 1810/11 nicht ausschließlich für die Enzyklopädiekurse bis 1812/13 überarbeitet hat. Manche seiner Bearbeitungsnotizen gehen inhaltlich über den Text von 1812/13 hinaus; in einzelnen Fällen ändert Hegel auch noch die Überarbeitungsstufe, die den Diktattext von 1812/13 bildet, offensichtlich für darauf folgende Kurse. Dieser Textbefund legt die Vermutung nahe, daß Hegel das Schülerheft mit den Diktaten von 1810/11 und seinen Überarbeitungsnotizen bis zum Ende der Nürnberger Lehrtätigkeit als Diktatvorlage gedient hat. Es ist kaum möglich, Hegels Notizen eindeutig bestimmten Überarbeitungsstufen zuzuordnen und auf diese Weise unterschiedliche Jahrgänge seines Enzyklopädiekurses zu rekonstruieren. Umgekehrt allerdings läßt sich der von MEINEL aufgezeichnete Diktattext von 1812/13 nahezu

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lückenlos in Hegels Notizen (im Schülerheft von 1810/11) zurückverfolgen; er ist aus der ersten und umfangreichsten Überarbeitung des Ausgangstextes von 1810/ 11 entstanden. Der so entwickelte Diktattext von 1812/13 bildet den Kern und die Grundlage für Hegels Ausarbeitung der Druckfassung der Enzyklopädie von 1817. Das Prinzip, das Hegel für die Entwicklung der zweiten Ausgabe der Enzyklopädie von 1827 angibt, nämlich „das Bestreben, gleichsam der Geiz, so viel als möglich stehen zu lassen"2i, gilt — wie bereits für die Bearbeitung des Diktattextes von 1810/ 11 — offensichtlich auch für die Erstellung der Ausgabe von 1817 im Ausgang von der späten Nürnberger Fassung der „Philosophischen Enzyklopädie" und erklärt so einige nahezu wörtliche Textübernahmen; § 3 von 1809/10 und 1810/11 über die Natur „als ein System von Stufen" bildet die Basis für § 18 von 1812/13 und wird bis in einzelne Formulierungen hinein in § 194 der Heidelberger Enzyklopädie übernommen. Die aus §§ 5 und 6 (1809/10 und 1810/11) entwickelten §§ 19 und 20 von 1812/13 (s. o.) zieht Hegel in der Druckfassung von 1817 in § 196 zusammen; „Die Idee als Natur ist 1) als das allgemeine, ideelle Aussersichseyn, als Raum und Zeit; 2) als das reelle Aussereinander, das besondere oder materielle Daseyn, — unorganische Natur; 3) als lebendige Wirklichkeit; organische Natur. Die drey Wissenschaften können daher Mathematik, Physik und Physiologie genannt werden. "^2 Die Naturwissenschaft ist in Hegels Nürnberger Enzyklopädie in einem beständigen Fortentwicklungsprozeß begriffen, im wesentlichen aber durchgängig bereits in der Weise aufgebaut, wie es dann die Heidelberger Enzyklopädie zeigt. So ist etwa von 1808/09 an der erste Hauptteil mit „Mathematik" überschrieben, und der zweite Hauptteil, die „Physik überhaupt" oder „Physik des Unorganischen", beginnt mit einem Kapitel zur „Mechanik". In den Berliner Fassungen der Enzyklopädie ändert Hegel diese Systematik; die „Erste Abteilung" der Naturphilosophie trägt jetzt den Titel „Die Mechanik". Den einzelnen Details der z. T. kontinuierlichen, z. T. diskontinuierlichen Fortschreibung der Naturphilosophie von 1808 bis 1830 müßte eine umfangreiche Einzelstudie nachgehen. Ein auffälliger Unterschied läßt sich in Hegels Darstellungsweise der „Physik des Organischen" konstatieren; In den Fassungen der Nürnberger Naturwissenschaft orientiert sich Hegel vorwiegend an — für diesen Teil der Naturlehre einschlägigen — Einzelwissenschaften wie Geologie, Geognosie, Oryktogenese, Mineralogie, Pflanzenph3'siologie, Zoologie, Medizin — und das entspricht ja auch dem Konzept eines „Systems der besonderen Wissenschaften". In der Heidelberger Enzyklopädie erwähnt Hegel solche wissenschaftlichen Disziplinen nur gelegentlich in erläuternden Anmerkungen, stellt aber in der eigentlichen Abhandlung der organischen Physik die organischen Prozesse in den Vordergrund. Insgesamt aber bleibt festzuhalten, daß Hegel die „Philosophie der Natur" in der Enzyklopädie von 1817 in direkter Anknüpfung an die Nürnberger Fassung der „Naturwissenschaft" ausar21 Hegel an Daub, 19. Dezember 1826 (Briefe von und an Hegel. Bd 3. 149). 22 Zit. nach der Originalausgabe (Heidelberg 1817), die als Faksimile-Nachdruck greifbar ist in Hegel: Sämtliche Werke. Hrsg, von H. Glöckner. Bd 4.

Hegels „Philosophische Enzyklopädie"

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beitet und dabei in Struktur und Detailformulierung vielfach eine große Nähe zu ihr bewahrt. C, Geisteslehre: Die Diktate zur „Lehre von dem Geiste" von 1812/13 beginnen mit dem Vollzug des Übergangs von der Natur zum Geist (§ 53). Der entsprechende Paragraph zur „Erhebung in den Geist" gehörte 1810/11 sinnvollerweise noch zur „Naturwissenschaft", deren Abschluß er bUdet (§ 64); ebenso verfährt Hegel in der Heidelberger Enzyklopädie (§ 298). Die Abweichung von diesem \'orgehen, am Ende der Naturphilosophie den Begriff des Geistes zu gewinnen, geht nicht auf das Konto des Nachschreibers MEINEL; sie findet sich ebenso in MEINELS und ABEGGS Aufzeichnungen der kommentierenden Anmerkungen Hegels. Die Geisteslehre insgesamt zeigt — wie ihre erste Darstellung im Rahmen der philosophischen Enzyklopädie von 1810/11 — einen vierteiligen Aufbau, nun aber im Text durch Einteilungsziffern eindeutig bezeichnet: 1. Phänomenologie des Geistes (§ 54), 2. Psychologie (§ 55), 3. „der Geist in der Verwirklichung seiner Vernünftigkeit" (Rechtswissenschaft, Moral, Staatswissenschaft, Geschichte) (§ 56), 4. „die Vollendung des Geistes" (Kunst, Religion, Philosophie) (§ 61). Hegels Unsicherheit in der Zuordnung von Recht und Moralität, die 1810/11 unter dem Titel „Praktischer Geist" noch zum Hauptteil „Psychologie" gehörten und dem Hauptteü „Realer Geist" vorausgingen, ist nun beseitigt: Im dritten Teil der Geisteslehre von 1812/13 ist bereits die Vorform der Philosophie des objektiven Geistes der späteren gedruckten Enzyklopädie erreicht. Die ersten beiden Hauptteüe, „Phänomenologie" und „Psychologie", sind noch nicht zur Philosophie des subjekti\'en Geistes zusammengefaßt; wie in den früheren Nürnberger Kursen fehlt eine ihnen vorausgehende „Anthropologie".^3 Der Geisteslehre (wie zuvor schon der Logik) widmet Hegel in den Diktaten von 1812/13 „wiederholungsweise" nur eine KurzdarsteUung. Deshalb folgt er auch nicht dem Diktattext der Geisteslehre von 1810/11, sondern entwirft am Rand des Schülerheftes von 1810/11 eine neue, übersichtartig geraffte Version der Geistesphilosophie für den Kursus von (vermutlich bereits 1811/12 und) 1812/13. MEINELS Aufzeichnung der Diktate von 1812/13 präsentiert einen Text, der sich vollständig in diesen Überarbeitungsnotizen Hegels finden läßt. Wie schon im Falle der Naturphilosophie zeigen Hegels Notizen im Heft von 1810/11 allerdings noch weitere Überarbeitungsstufen, die über den Stand der Geisteslehre von 1812/13 hinausgehen. Den systematisch wichtigsten Schritt über die Diktate von 1812/13 hinaus bildet der nachträgliche Entwurf eines Paragraphen zur „Anthropologie", der unter der Gliederungsbezeichnung „erstens" dem Textentwnrf für (1811/12 und) 1812/13 vorgeschaltet wird und die entsprechende Korrektur der übrigen Gliederungsziffern in Hegels Randnotizen im Schülerheft von 1810/11 nach sich zieht. Wie schon Hegels Überarbeitungsnotizen zur Naturwissenschaft geben seine Randentwürfe zur Geisteslehre zu der Annahme Anlaß, daß er das

23 S. dazu die in Anm. 13 genannte Abhandlung des Verf.

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Heft mit den Diktaten von 1810/11 und seinen Notizen bis zum Ende der Nürnberger Unterrichtstätigkeit verwendet hat. Den vier speziellen Themen des dritten Teils der Geisteslehre von 1812/13 — Recht, Moral, Staat, Geschichte — widmet Hegel jeweils einen eigenen Paragraphen (§§ 57—60). Auch diese Diktattexte hat Hegel am Rand des Schülerheftes von 1810/11 konzipiert, mit Ausnahme der Ausführung zur Geschichte; der geplante Textentwurf bricht nach dem Beginn ab: „§ D[ie] Gesch[ichte]". Hegel greift in diesem Fall auf §§ 157—158 des Diktattextes von 1810/11 zurück, die er in einer überarbeiteten Fassung zum neuen § 60 von (1811/12 und) 1812/13 zusammenzieht. In MEINELS und ABEGGS ausführlichen Aufzeichnungen der erläuternden Anmerkungen Hegels zu den diktierten Paragraphen sind die Untergliederungen der im Diktattext nur kurz skizzierten Kapitel der Geisteslehre angegeben: Die „Phänomenologie" hat die drei Stufen Bewußtsein (sinnliches Bewußtsein, Wahrnehmen, Verstand), Selbstbewußtsein (Begierde, Anerkennen, allgemeines Selbstbewußtsein) und Vernunft (ad § 54)^^; (jig „Psychologie" ist zweigeteilt in theoretischen Geist oder Intelligenz (Gefühl, Vorstellung, Denken) und praktischen Geist oder Willen (ad § 55). Die übrigen Anmerkungen geben Erläuterungen zu den bereits im Diktattext angeführten Kapiteln der beiden letzten Abteilungen der Geisteslehre von 1812/13. Überblickt man den Gesamtaufbau der Geistesphilosophie von 1812/13 mit ihrer detaillierten Untergliederung, so wird deutlich, daß das philosophische Programm der Geisteslehre der Heidelberger Enzyklopädie bereits nahezu vollständig durchgeführt ist. Es bleibt als wesenthcher letzter Schritt in der systematischen Gestaltung der enzyklopädischen Geisteslehre nur noch, Phänomenologie und Psychologie mit einer vorangestellten Anthropologie zur Philosophie des subjektiven Geistes zu vereinen, um so den endgültigen triadischen Aufbau der Philosophie des Geistes zu gewinnen. Zu Rosenkranz' Edition von 1840: Die erörterten Manuskripte zu Hegels „Philosophischer Enzyklopädie" im Rahmen der Nürnberger „Philosophischen Propädeutik" ermöglichen eine kritische Bewertung der besonderen Textgestalt, die ROSENKRANZ Hegels „Philosophischer Enzyklopädie" gegeben hat. Da ROSENKRANZ selbst im Vorwort zu seiner Ausgabe nur sehr vage und pauschal Auskunft über die Quellen gibt, die er zu seiner Textdarbietung kompiliert hat, kann die Authentizität des Wortlauts nur in einem

S. zur ,enzyklopädischen' Kurzform der Phänomenologie — außer der in Anm. 12 genannten Abhandlung — die Edition vom Verf.: Texte zu Hegels Nürnberger Phänomenologie. In: Hegel-Studien. 29 (1994), 9—61 und Verf.: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse". Hrsg, von L. Eley. Stuttgart—Bad Cannstatt 1990. 84—130.

Hegels „Philosophische Enzyklopädie'

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minuziösen Vergleich mit den vorliegenden originalen Manuskripten überprüft werden. Eine erste Einschätzung soll hier abschließend vorgenommen werden. I. ROSENKRANZ veröffentlicht Hegels „Begriffslehre für die Oberklasse" außerhalb der „Philosophischen Enzyklopädie" als eigenständigen Kursus (Prop. 123—145). Sicherlich hat ROSENKRANZ das im Hegel-Nachlaß überlieferte Schülerheft mit den Diktaten zur „Subjektiven Logik" von 1809/10 mit Hegels Überarbeitungsnotizen ausgewertet. Vermutlich bezieht sich ROSENKRANZ' Angabe, „das von ihr [seil, der Begriffslehre] vorhandene Heft wimmelt von immer neuen, eine reinere, festere Gestalt anstrebenden Correcturen" (ebd. XVI), genau auf diese von Hegel überarbeitete Schülernachschrift; die von ROSENKRANZ einigen Paragraphen (§§ 15—1/, 32, 36, 42, 44 f, 50) in Klammern beigefügten Erläuterungstexte Hegels (vgl. Prop. VI f) finden sich allerdings nur z. T. am Rand des Schülerheftes von 1809/ 10. In der Regel läßt sich ROSENKRANZ' Text der Paragraphen zur „Begriffslehre" aus Hegels Überarbeitungsstufe im Heft von 1809/10 rekonstruieren. Eine gravierende Abweichung ist im dritten Hauptabschnitt, der Ideenlehre, festzustellen: ROSENKRANZ orientiert sich in den ersten Paragraphen {Prop. 141 f: §§ 66—69) an Hegels Überarbeitungsversion im Schülerheft von 1809/10 (§§ 79—84), läßt dann aber die dort folgenden Ausführungen zur Idee des Lebens (§§ 85—91) vollständig aus. Erst die „Idee der Erkenntnis und des Guten" nimmt ROSENKRANZ in einer ausführlichen Version in seinen Text der „Begriffslehre" auf, nun allerdings auf eine kaum begreifliche Weise: An die ersten beiden Paragraphen {Prob. 142: §§ 70—71), die er aus Hegels Überarbeitung des Textes von 1809/10 nimmt (§§ 92—93), schließt er nicht etwa den unmittelbar folgenden Überarbeitungstext Hegels aus demselben Schülerheft (§§94—104) an, sondern ersetzt diesen durch den früheren Text der Diktate aus dem Enzyklopädiekursus von 1808/09: ROSENKRANZ' §§ 72— 79 {Prop. 142 ff) geben exakt §§90—97 der Diktatnachschrift von 1808/09 wieder. §§80—87 (Prop. 144 f) folgen dann wieder dem Text von 1809/10 unter Berücksichtigung der Überarbeitungsnotizen Hegels (§§105—114). Eine — äußerst merkwürdige — Konsequenz dieser ,Verschiebung' der Paragraphen zum „theoretischen Erkennen" aus dem Kursus von 1808/09 in den Kontext der Begriffslehre von 1809/10 ergibt sich nun für den Enzyklopädiekurs von 1808/09, den ROSENKRANZ seiner Fassung der Logik in der „Philosophischen Enzyklopädie" zugrunde legt: Die 1808/09 von Hegel diktierten Paragraphen zum „theoretischen Erkennen" (§§ 90—97) fallen in ROSENKRANZ' Text {Prop. 169: nach § 94) einfach aus, wohl deshalb, weil er sie — freilich aus unerfindlichen Gründen — bereits in der „Begriffslehre" (§§ 72—79) abgedruckt hatte (eben anstelle desjenigen Textes, der eigentlich dorthin gehörte). Geht man von ROSENKRANZ' Textdarbietung aus, so muß man zu der — völlig irreführenden — Ansicht gelangen, Hegel habe im Rahmen des vollständigen Enzyklopädiekurses zunächst die Idee des Lebens ausführlich behandelt, die Idee des Erkennens aber nur kurz angedeutet; im Kontext des Kurses zur Begriffslehre habe er dann die Gelegenheit ergriffen, unter Verzicht auf eine ausgedehnte Darstellung der Idee des Lebens nun die zuvor noch unentwickelte Idee des Erkennens auszuarbeiten. In Wahrheit hat Hegel in

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beiden Kursen, sowohl in der „Philosophischen Enzyklopädie" von 1808/09 als auch in der „Subjektiven Logik" von 1809/10, beide Ideen vollständig entfaltet, wenn auch in unterschiedlichen Textversionen. II. ROSENKRANZ' Text der „Philosophischen Enzyklopädie" weist außer der genannten Lücke in der Ideenlehre (Idee des theoretischen Erkennens) weitere Ungereimtheiten auf. Recht fragwürdig ist seine Konstruktion der Einleitung {Prop. 146 ff: §§ 1—11). Im wesentlichen folgt ROSENKRANZ' Text zwar dem Diktattext, den MEINEL 1812/13 aufgezeichnet hat; ROSENKRANZ' §§ 1, 4—8, 10 entsprechen MEINELS §§ 1, 2—6 (mit Umstellung von § 2 und § 3), 7. Der Diktattext von 1812/13 zur Einleitung ist mithin — nahezu vollständig — in ROSENKRANZ' Version der Einleitung in die Enzyklopädie enthalten, bei ihm aber , angereichert' durch die §§ 2, 3, 9 (und einen Klammerzusatz zu § 10); die Quelle dieser zusätzlichen Texte läßt sich aus den vorliegenden originalen Manuskripten nicht ausmachen. §11 bei ROSENKRANZ stammt aus der „Philosophischen Enzyklopädie" von 1808/09 (§ 5) und bestimmt dort — nach § 3 (Einteilung des „Ganzen der Wissenschaft" in drei Teile) und § 4 (Bestimmung des ersten Teils, der Logik) — nun die „Wissenschaften der Natur und des Geistes"; angehängt an § 10 bei ROSENKRANZ, der den Text von § 10 von 1812/13 wiedergibt und bereits Natur und Geist charakterisiert, vertiert er seinen ursprünglichen Sinn. A. Die Logik in ROSENKRANZ' Fassung der Enzyklopädie beginnt wiederum mit einer Mischung aus nicht nachweisbaren Texten (§ 12: 1. Satz; § 13) und Partien (§ 12: Rest, § 14: 1. Satz), die in den Diktaten von 1812/13 (§§ 8, 9) zu finden sind. Die Bestimmung der Logik als „speculative Philosophie" (Ros. § 14: 2. Teil) stammt aus 1808/09 (§ 6: 2. Teil), ebenso die Einteilung der Logik (Ros. § 15; 1808/ 09: §§ 7—10). Die Darstellung der Logik selbst (Ros. §§ 16—94) folgt im wesentlichen dem Diktattext von 1808/09 (§§ 11—98). Hervorzuheben sind folgende Besonderheiten: Von der Bestimmung des Wesens (Ros. § 33) ist nur der erste Satz in der Nachschrift von 1808/09 enthalten (§ 28); wie oben erwähnt fehlt in ROSENKRANZ' Textversion nach § 94 die ausführliche Darstellung der Idee des Erkennens von 1808/09 (§§ 90-97), die ROSENKRANZ in die „Begriffslehre für die Oberklasse" versetzt hat {Prop. 142 ff: §§ 72—79). B. In der Naturwissenschaft kombiniert ROSENKRANZ die Diktate von 1808/09 mit denen von 1809/10 (oder den textgleichen von 1810/11), häufig nach Art eines ,Reißverschlusses': Ros. § 96: § 99 von 1808/09; Ros. § 97; §§ 3, 4 von 1809/10; Ros. §§ 98, 99; §§ 100, 101 von 1808/09; Ros. § 100: §§ 8, 9 von 1809/10; Ros. §§ 101 ff: §§ 102 ff von 1808/09 usw. Gelegentlich verbindet ROSENKRANZ Diktattexte unterschiedlicher Jahrgänge zu einem neuen Paragraphen, den es so nur bei ihm gibt und den Hegel niemals diktiert hat. So fügt ROSENKRANZ etwa bei der Einführung des Begriffs der Materie {Prop. 173: § 110) zu Beginn der „Mechanik" auf diese Weise zwei verschiedene Bestimmungen der Materie übergangslos aneinander: Die erste stammt aus den Diktaten von 1808/09 (§ 111), die zweite aus den Diktaten von 1809/10 bzw. 1810/11 (§ 23).

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In der „Physik des Unorganischen" (oder „Physik überhaupt") beginnt ROSENKRANZ (Prop. 174: § 116) mit einem diktierten Paragraphen von 1808/09 (§ 116), schließt dann aber einen Paragraphen (Prop. 174: § 117) an, der drei Paragraphen von 1809/10 bzw. 1810/11 zusammenzieht (§§ 38—40), um dann wieder (Prop. 174 f: §§ 118, 119) in den Text von 1808/09 zurückzuspringen, der nach diesen beiden Paragraphen (§§ 117—118) abbricht. Durch diesen Abbruch bleibt es 1808/09 bei einer zweiteiligen „Physik überhaupt", die aus „Mechanik" und „Physik des Unorganischen" besteht; dem schließt sich ROSENKRANZ an, obwohl der Text von 1809/10 bzw. 1810/11 eine weiter fortgeschrittene Systematik aufweist: Dort enthält die „Physik des Unorganischen" als Mittelteil der „Naturwissenschaft" — wie dann auch die Diktate von 1812/13 — die drei Teile „Mechanik", „Allgemeine Physik des Unorganischen" und „Besondere Physik des Unorganischen". Zur „Besonderen Physik des Unorganischen" von 1809/10 und 1810/11 gehört — wiederum wie 1812/13 — 1. „Gestaltung" („Magnetismus", „Kohäsion" u. a.), 2. „Elektrizität" und 3. das „chemische Verhältnis". Von alledem hat ROSENKRANZ nur einen Paragraphen zum „chemischen Proceß" aufgenommen, der (im Anschluß an die letzten Paragraphen von 1808/09) diesen Teil der philosophischen Naturlehre bei ROSENKRANZ beendet; die Herkunft dieses Textes (Prop. 175: § 120) ist aus dem vorliegenden originalen Materialien nicht aufklärbar. In der „Physik des Organischen", die 1808/09 noch fehlt, orientiert sich ROSENKRANZ (§§121—126) am Text von 1809/10 (§§55—61) bzw. 1810/11 (§§55—61 mit den neuen §§ 62—64). Allerdings eliminiert er — unbegreiflicherweise — einen Paragraphen zum tierischen Organismus, in dem als „organische Systeme" Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion angegeben sind; diese drei „Hauptmomente" des tierischen Organismus hat Hegel in allen Darstellungen seiner Naturlehre durchgängig aufgeführt - 1809/10 bzw. 1810/11: § 59; 1812/13: § 48; H. Enz.: § 276. C. Zu Beginn der Wissenschaft des Geistes bietet ROSENKRANZ gleich zwei Gliederungen (§§ 128, 129), die weder miteinander kompatibel sind, noch je für sich mit den von Hegel vorgetragenen Einteilungen der Geistesphilosophie übereinstimmen. Die erste Gliederung (§ 128) stammt — wie der vorangehende § 127 — aus der Geisteslehre von 1810/11 (§§ 66—67). Dort aber geht ein Paragraph zur „Phänomenologie des Geistes" voraus (§65), so daß 1810/11 zusammen mit den in § 67 aufgeführten drei Abschnitten insgesamt eine vierteilige Philosophie des Geistes vorliegt; diese Einteilung macht ROSENKRANZ dadurch unkenntlich, daß er in seinem § 128 die „Phänomenologie" vollständig übergeht. Die zweite Einteilung (§ 129) präsentiert ROSENKRANZ irreführend als Untergliederung des ersten Abschnitts „Der Geist in seinem Begriff": Dieser Titel ist — nach § 128 (Ros.) bzw. § 67 (1810/11) gleichbedeutend mit dem Titel „Psychologie überhaupt" (der 1810/ 11 noch die „Phänomenologie" vorausgeht). ROSENKRANZ begreift den Titel „Der Geist in seinem Begriff" offenbar als Vorläufer des späteren Titels „Philosophie des subjektiven Geistes" und subordiniert ihm deshalb die Teile „Anthropologie", „Phänomenologie des Geistes" und „Psychologie". Den Text dieses § 129 hat ROSENKRANZ offensichtlich aus Hegels Randnotizen im Schülerheft von 1810/

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11 übernommen; dort aber hat Hegel zunächst eine vierteilige Geisteslehre entworfen, die er später durch Voranstellung der Anthropologie zu einer fünfteiligen Geisteslehre erweitert. Die ersten drei Abschnitte der Philosophie des Geistes sind auch in Hegels spätesten Überarbeitungsnotizen noch keineswegs einem Obertitel subsumiert, schon gar nicht — wie bei ROSENKRANZ — dem Titel „Der Geist in seinem Begriff", der in Hegels Diktaten stets die Psychologie als auf (Anthropologie und) Phänomenologie folgenden Abschnitt bezeichnet. Die weiteren Paragraphen zur „Wissenschaft des Geistes" in ROSENKRANZ' Ausgabe der „Philosophischen Enzyklopädie" (§§ 130—208) bieten einen Text, der in weiten Zügen dem Diktattext aus dem Oberklassenkurs von 1810/11 entspricht (§§ 68—164) und z. T. auch Hegels Randnotizen im Schülerheft aus diesem Unterrichtsjahr berücksichtigt. Die von ROSENKRANZ in Klammern beigegebenen — z. T. umfangreichen — Erläuterungen fehlen allerdings im Heft von 1810/11; die ausführliche Anmerkung zur Religion (Prop. 209 f: § 207) hat ROSENKRANZ „aus einem Umschlagblatt hergestellt" (ebd. XVII). Diese erste und noch recht grobe Analyse der Textfassung, die ROSENKPEANZ in seiner Edition der Nürnberger „Philosophischen Enzyklopädie" Hegels gegeben hat, macht deutlich, daß ROSENKRANZ mit Sicherheit die Schülerhefte (mit Hegels Überarbeitungsnotizen) aus dem Hegel-Nachlaß für seine Ausgabe herangezogen hat; darüber hinaus muß ihm eine Nachschrift aus dem Oberklassenkurs zur Enzyklopädie von 1812/13 Vorgelegen haben, wie die zahlreichen Textparallelen mit den Diktaten in MEINELS Heft von 1812/13 zeigen.25 Zwar enthält ROSENKRANZ' Edition der Nürnberger Enzyklopädie Hegels einige Textpartien, die im Wortlaut nicht genau oder gar nicht auf die erhaltenen originalen Dokumente zurückführbar sind und also als — möglicherweise auf anderen, heute nicht mehr zugänglichen Quellen beruhendes — Eigengut zu berücksichtigen sind. Wer sich aber ein authentisches BUd von Hegels Lehrvorträgen zur „Philosophischen Enzyklopädie" in Nürnberg machen wUl, kann nicht auf ROSENKRANZ' insgesamt verfälschende Textversion zurückgreifen, sondern muß die originalen Manuskripte zu Rate ziehen. Um die Entwicklungslinien in der Entstehung der philosophischen Enzyklopädie in Nürnberg nicht unkenntlich zu machen, muß von einer kompilatorischen Gesamtdarbietung der überlieferten Dokumente in der RosENKRANZschen Manier Abstand genommen werden; die erhaltenen originalen Textquellen müssen als je gesonderte Kurse jahrgangsweise ediert werden. Ein erster Anfang soll im folgenden mit der Edition von MEINELS Diktat-Nachschrift der Paragraphen zur „Philosophischen Enzyklopädie" von 1812/13 gemacht werden; denn diese Nachschrift ist von besonderem Wert: Sie ist das einzige Dokument eines Nürnberger Enzyklopädiekurses, in dem Hegel alle drei enzyklopädischen Hauptteile vorgetragen hat, und der späteste verfügbare originale Textbeleg aus Hegels Nürnberger philosophischen Propädeutik. 25 Ob Rosenkranz eine Nachschrift des Enzyklopädiekurses von 1811/12 zur Verfügung stand (der vermutlich mit dem Kursus von 1812/13 weitgehend übereinstimmt), ist nicht zu entscheiden, solange keine Quelle für den Kursus von 1811/12 verfügbar ist.

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PHILOSOPHISCHE ENZYKLOPÄDIE 1812-1813

(Nachschrift Meinel)^^ §1

Die Enzyklopädie der Wissenschaften hat den gesamten Umkreis derselben nach dem Gegenstand einer jeden und nach den Grundbegriffen desselben zu betrachten. §2

In einer gewöhnlichen Enzyklopädie werden die Wissenschaften empirisch aufgenommen, wie sie sich vorfinden; sie sollen vollständig aufgeführt werden, ferner in einer Ordnung, dadurch daß das Ähnliche und unter gemeinschaftliche Bestimmungen Zusammentreffende zusammengestellt wird. §3

Es gibt keine absoluten Grenzen für einen Umfang von Kenntnissen, der eine besondere Wissenschaft ausmachen soll. Jeder allgemeine oder konkrete Gegenstand kann in seine Arten oder TeUe geteilt und jede solche Art oder Teil wieder zum Gegenstand einer besonderen Wissenschaft gemacht werden. §4

Die philosophische Enzyklopädie ist die Wissenschaft vom notwendigen, durch den Begriff bestimmten Zusammenhang und von der philosophischen Entstehung der Grundbegriffe und Grundsätze der Wissenschaften. §5

Sie ist daher eigentlich die Darstellung des allgemeinen Inhalts der Philosophie, denn was in den Wissenschaften auf Vernunft gegründet ist, gehört zur Philosophie; was dagegen in^^ ihnen auf willkürlicher und äuDie Edition beschränkt sich auf die von Hegel diktierten Paragraphen; auf die Wiedergabe der von Meinel aufgezeichneten Anmerkungen Hegels zu den Paragraphen wird verzichtet. — Die Transkription stammt vom Verf. auf der Grundlage des originalen Manuskripts; Orthographie und Interpunktion sind modernisiert. Im Apparat wird gelegentlich auf die Schülernachschrift von 1810/11 mit Hegels Überarbeitungsnotizen Bezug genommen. — Verf. dankt dem Landeskirchlichen Archiv Nürnberg für die Genehmigung der Edition. 27 in] an

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ßerlicher Bestimmung beraht oder, wie es genannt wird, positiv und statutarisch ist, so wie auch das bloß Empirische, gehört ihnen eigentümlich an. §6

Die Wissenschaften sind nach ihrer Erkenntnisweise entweder empirisch oder rein rationell, absolut betrachtet sollen beide denselben Inhalt haben; es ist das Ziel des wissenschaftlichen Bestrebens, das bloß empirisch Gewußte immer mehr aufzuheben, es zu begreifen und dadurch der rationellen Wissenschaft einzuverleiben. §7 Das Ganze der Wissenschaft teilt sich in die drei HauptteUe; 1. die Logik; 2. die Wissenschaft der Natur; 3. die Wissenschaft des Geistes. Die Logik ist nämlich die Wissenschaft der reinen Idee. Natur und Geist macht die Realität der Idee aus, jene als äußerliches Dasein, dieser als sich wissend.

I. Teil. Logik §8

Die Logik hat der Form nach drei Seiten: 1. die abstrakte oder verständige; 2. die dialektische oder negativ vernünftige; 3. die spekulative oder positiv vernünftige. Der Verstand bleibt bei den Begriffen in ihrer festen Bestimmtheit und Unterschiedenheit von anderen stehen, das Dialektische zeigt sie in ihrem Übergehen und in ihrer Auflösung auf. Das Spekulative oder [Positiv-]Vernünftige erfaßt ihre Einheit in ihrer Entgegensetzung. §9 Ihrem Inhalte nach betrachtet die Logik den Verstand und die Vernunft an und für sich selbst oder das Verständige und Vernünftige, insofern es nicht bloß ein bewußtes Begreifen ist, sondern die absoluten Begriffe als den an und für sich wahren Grund von Allem. §10

Der objektive Teil der Logik, der die Lehre vom reinen Sein und vom Wesen enthält, tritt an die Stelle der vormaligen Metaphysik, welche die abstrakten Gedanken oder reinen Verstandesbegriffe angewendet auf

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die Welt und den Geist enthält, ohne nähere Untersuchung des Werts dieser Begriffe selbst. §11

Der 1. Teil der Metaphysik war die Ontologie, die Lehre vom abstrakten Sein oder Wesen. Der 2. Teil [war] die rationelle Psychologie, der die metaphysische Natur der Seele, ihre Materialität und Unsterblichkeit betrachtete. Der 3. Teil, die Kosmologie, handelte von der Zufälligkeit, Notwendigkeit oder Ewigkeit der Welt, von der Freiheit des Menschen, vom Ursprünge des Bösen u. s. f. Der 4. Teil, die rationelle Theologie, enthielt vorzüglich die metaphysischen Beweise vom Dasein Gottes und dann die Betrachtungen seiner Eigenschaften. §12

Die kritische Philosophie hat vornehmlich auf den Wert der in dieser Metaphysik gebrauchten Verstandesbegriffe aufmerksam gemacht und sie für unfähig erklärt, durch sie die Dinge an sich selbst zu erkennen, indem sie nur Formen des subjektiven Verstandes zur Beziehung des Mannigfaltigen sind, wie es in dem Gefühle und in der Anschauung gegeben wird; aber diese Begriffe auf die Dinge an sich angewendet, nämlich insofern sie über das Endliche hinausgehen und unendliche oder Vernunftbegriffe werden, so werden sie leer und geraten in Widersprüche. Die theoretische Erkenntnis geht daher durch den Verstand nur auf Erscheinungen, und die theoretische Vernunft kann nach dieser Ansicht nur eine formelle Einheit hergeben, wodurch jener zur Vereinfachung der Gesichtspunkte und Gründe der Erfahrung und zum Systematisieren derselben geleitet wird. §13 Die subjektive Logik hat den Begriff zu ihrem Gegenstand, der Begriff aber ist das Gesetzt- oder Bestimmtsein, insofern es Anundfürsichsein ist; sie hat denselben zu betrachten in seiner Subjektivität, in seiner Objektivität und als Idee. §14 In seiner Subjektivität ist er der formelle Begriff als solcher, Urteil und Schluß.

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§15

In seiner Objektivität ist der Begriff der in die Existenz verlorene Begriff und hat die drei Stufen des Mechanismus, des chemischen Prozesses und des Zweckes. §16

Die Idee ist das Objektive, insofern es durch den Begriff nicht nur bestimmt ist, sondern derselbe auch seine Natur ausmacht.

II. Teil. Naturwissenschaft §17

Das System der besonderen Wissenschaft stellt die Idee dar nicht im Elemente des Wissens, sondern wie sie in der konkreteren^® Form als Natur und Geist erscheint, als jene in der Gestalt der gleichgültigen äußerlichen Unmittelbarkeit und Gegenständlichkeit. §18

Die Natur ist als ein System von Stufen zu betrachten, deren eine aus der anderen notwendig hervorgeht, aber nicht natürlicherweise oder in der Wirklichkeit, sondern in der inneren, der Natur zugrunde liegenden Idee. §19

Die Idee, welche als Natur in der Form des unmittelbaren Außersichseins ist, ist 1. in der Form des ganzen ideellen Außersichseins, Raum und [Zeit]; 2. als materielles Dasein dieser Äußerlichkeit, unorganische Natur; 3. als lebendiges Dasein, organische Natur. §20

Die Hauptwissenschaften in der Naturphilosophie sind also 1. Mathematik, 2. Physik überhaupt, 3. Physiologie.

konkreteren] 1810/11: konkreten

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I. Mathematik §21

Raum und Zeit machen das ganz ideelle Dasein oder die reine sinnliche Form aus: Der Raum, die reine Form als ruhige Gleichgültigkeit des Außersichseins; die Zeit, die reine Form als das Außersichkommen oder als reines Insichsein, das außer sich kommt. §22

Als Ideen aber haben sie Bestimmungen in ihnen selbst, welche den Begriff in seinen Momenten darstellen. Diese dargestellten Momente sind die Dimensionen des Raums und der Zeit. §23

Der Raum als das ruhige Außereinandersein ist eigener gleichgültiger Gestalten fähig, die zunächst nur unmittelbare und äußerliche Bestimmungen haben. Ihre inneren Verhältnisse nach den Bestimmungen der Gleichheit und Ungleichheit aufzusuchen, ist der Gegenstand einer Wissenschaft, der Geometrie. §24

Die Zeit für sich ist keiner solchen Wissenschaft fähig, weil sie kein ruhiges Außereinander ist, daher in ihr nicht dergleichen unmittelbare Ganze stattfinden können. Solche Verknüpfungen sind in Rücksicht auf sie nur möglich, daß ihre Negativität als ein ruhiges Eins aufgefaßt wird, welches äußerlich auf mannigfaltige Weise verknüpfbar ist. §25

Die Arithmetik, die Wissenschaft der Zahlen, ist analytisch, weil in ihr die Verknüpfungen oder Ganzen nicht in der Gestalt des unmittelbaren Daseins Vorkommen, deren wesentliche oder innere Verhältnisse erst aufzusuchen wären, sondern sie sind nur das, als was sie schon gesetzt sind. §26

In der Arithmetik wie in der Geometrie werden Größen betrachtet, die, so willkürlich und allgemein ihr Wert sei, als endliche Größen gelten, d. h. als solche, die auch außer dem Verhältnisse für sich bestimmt und bestehend sind.

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§27 Die Analysis des Unendlichen^^ als Differential- und Integral-Rechnung betrachtet unendliche Größen, d. h. solche, die nicht mehr außer ihrem Verhältnisse den Wert eines bestimmten Quantums haben können oder soUen und deren Verhältnis auch nicht ein Quantum ist, sondern verschwindende sind, die^o allein in ihrem letzten Verhältnisse oder an ihren Grenzen^^, d. h. rein nur als Momente eines Verhältnisses, als qualitative Größenmomente, Wert haben. §28 Die angewandte Mathematik ist keine immanente Wissenschaft, sondern nur die Anwendung der reinen Mathematik auf die Größenverhältnisse, die in der Natur vorhanden sind und aus der Erfahrung aufgenommen werden.

II. Die Physik überhaupt 1. Mechanik §29 Die Mechanik betrachtet überhaupt die gestaltlose Materie^^ nach den Erscheinungen ihrer Schwere. §30 Die Materie hält sich in sich selbst außereinander (Repulsion), aber sie ist in ihrem Außereinander wesentlich als Insichsein bestimmt oder als Bestreben, sich in Eins zu setzen (Attraktion). Die Schwere ist das Wesen der Materie. §31 Die Körper, insofern sie als verschieden sich außereinander halten, beziehen sich durch die allgemeine Schwere [aufeinanderj^s und drücken dies Suchen ihrer Einheit durch ihre Bewegung zueinander aus; insofern aber ihre Einheit keine materielle Kontinuität wird, sondern sie sich in des Unendlichen] ist das Unendliche 1810/11: des Unendlichen * verschwindende sind, die] die verschwindende sind, 1810/11: verschwindende sind, die an ihren Grenzen] 1810/11: an ihrer Grenze 32 die gestaltlose Materie] Hegels Notiz: die Wirkung der Materie 33 [aufeinander] 1810/11: aufeinander

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bloß idealer Raumbeziehung gegeneinander halten, sind sie ein eigenes Zentrum der Bewegung. §32

Das Sonnensystem ist ein solches System freier Körper, welche sich auf einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt beziehen, zugleich aber eigene Zentren der Schwere sind; diese freie Bewegung ist der Gegenstand der absoluten Mechanik. §33

Die besonderen Massen, in welche die Masse eines freien Körperindividuums trennbar ist, haben keine eigenen Zentren der Schwere, erhalten sich also bei ihrem Suchen der Einheit nicht zugleich in freier Bewegung gegen jenes, sondern haben zwar durch Schwere eine eigentümliche Bewegung, die aber äußerlich bedingt ist und in Vereinigung mit dem Zentrum sich aufhebt, Fall. §34

Der Gegenstand der gemeinen Mechanik ist die Wirksamkeit der besonderen, einem Zentralkörper angehörenden Massen^^ gegeneinander, die sie durch eine ihnen^s äußerlich mitgeteilte Bewegung, durch Stoß gegeneinander ausüben.

2. Allgemeine Physik des Unorganischen oder der Materie im realen Unterschied §35

Die Schwere ist der Gegensatz des zum Insichsein nur strebenden Außersichseins der Materie; das erreichte Insichsein oder ihr Selbst hat ein der Schwere der Materie gegenübertretendes Dasein, es ist das Licht, das formierende Prinzip ihrer Individualisierung. §36

Den realen Gegensatz hat der Lichtkörper einerseits an dem bloß Starren und Spröden, dem lunarischen Körper, andererseits an dem Aufgelösten, bloß Neutralen, dem kometarischen Körper. Der planetarische Körper ist die individualisierte Totalität oder der Körper der Wirklichkeit.

^ Massen] Masse 1810/11: Massen ihnen] ihm 1810/11: ihnen

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§37 Der Körper der Individualität hat diejenigen Bestimmungen, welche zuerst frei für sich bestehende Körper sind als unterworfene Momente an ihm, denen kein eigenes Zentrum der Schwere zukommt, sondern die ihm als seine allgemeinen Elemente angehören und deren Beziehung das Leben oder den Prozeß desselben ausmacht.

3. Besondere Physik des Unorganischen, die individualisierte Materie §38 Die besondere Physik hat die besondere Individualisierung, Verteilung und Vereinzelung des Erdkörpers an ihm selbst zu betrachten. §39 Die 1. Stufe dieser Individualisierung ist die Gestaltung, die Art des inneren Zusammenhalts der Materie durch spezifische subjektive Formen^^ und deren äußere Begrenzung im Raume. §40 In der Gestalt steht das Prinzip der strengen Individualität als Magnetismus, die lineare^^ Entgegensetzung der Materie in Extreme, die nur durch die Beziehung auf den Indifferenzpunkt gehalten sind, gegenüber der Gestalt der flüssigen Unbeshmmtheit, der Kugelgestalt. Zwischen beide fallen die Verbindungen dieser Momente, die mannigfaltigen Formen der Kohäsion überhaupt, die besonderen Kristallisationen, Bruchgestalten und Arten, im Widerstande gegen äußere mechanische Gewalt sich zu verhalten. §41 Das 2. Moment ist die beginnende Freiheit und Spannung des inneren Gegensatzes, Elektrizität; es treten in demselben zwei mechanisch besondere Körper miteinander, die darin auch mechanisch besondere bleiben, ihre Spezifikation gegeneinander nach dem elektrischen Verhältnis hat noch kein verschiedenes materielles Dasein.

^ durch spezifische subjektive Formen] 1810/11: durch eine eigene Form eine spezifische subjektive Form lineare] lineale

Hegels Notiz:

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§42

3. Im chemischen Verhältnisse geht die ganze Besonderheit des Körpers in die Bestimmtheiten des Gegensatzes ein; diese 1. als abstrakte Bestimmtheiten sind die vier einfachen eigentlichen chemischen Elemente oder Stoffe; 2. die besondere Natur der Körper damit verbunden begründet die Wahlverwandtschaften im chemischen Prozesse, welche überhaupt in der Neutralisation der chemisch sich verhaltenden Körper und wieder in ihrer^s Trennung bestehen.^9

III. Physik des Organischen §43

1. Der Erdkörper überhaupt ist in seiner mineralischen Besonderung als ein Ganzes, dessen Teile Stufen der Entwicklung einer zugrunde liegenden Idee sind, und daher als ein organisches System zu betrachten, das sich jedoch nicht durch fortdauernde Selbsterzeugung erhält, sondern dessen Bildungsprozeß ein vergangener ist. §44

Die Geologie hat die Gebilde der Erde als Resultate jenes erloschenen Prozesses zum Gegenstände, die Geognosie betrachtet die allgemeinen dieser Gebilde, die Gebirgsarten nach ihrer Beschaffenheit, ihrer Lagerung u. s. f. und macht mit der Oryktognosie, welche sich mit den einzelnen relativ einfachen Gebilden beschäftigt, die auch die Bestandteile jener allgemeinen sind, die Mineralogie aus. §45

[2.] Die vegetabilische Natur ist der Anfang des subjektiv werdenden, des eigentlichen organischen Prozesses; er hat in der Pflanze jedoch noch nicht die vollständige Kraft der individuellen Einheit, indem sie, die ein Individuum ist, solche organische Glieder hat, welche wieder als selbständige Individuen angesehen werden können.

38 ihrer] ihr 3® welche . . . bestehen.] Hegels Notiz: der .. . besteht.

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§46 Die Pflanzenphysiologie betrachtet die allgemeine Natur derselben, die Botanik mehr ihre besondere Beschaffenheit und ihr System, sie gründet ihre Einteilung vornehmlich auf die Teile der Befruchtung. Die Pflanze erreicht diese höhere Stufe der organischen Trennung in der Einigung nicht sowohl, als sie dieselbe nur andeutet und darin an einen höheren Organismus angrenzt. §47 [3.] Die animalische Natur hat diejenige Einheit, wodurch alle organischen Glieder einem Ganzen als Subjekt unterworfen sind. Die Physiologie des tierischen Organismus betrachtet die Funktionen der Organe, wie sie zur fortdauernden Hervorbringung des Ganzen mitwirken und durch diesen Prozeß ebenso hervorgebracht und erhalten werden. Die Anatomie betrachtet diese Organe nur als Teile in ihrem unlebendigen Dasein. §48 Der tierische Organismus hat die drei Hauptmomente, welche ebensoviele organische Hauptsysteme desselben bilden: 1. das Moment des Gefühls, die Sensibilität, sein allgemeines einfaches Insichsein in seiner Äußerlichkeit, 2. das Moment der Tätigkeit überhaupt, die Irritabilität, die Reizbarkeit von außen und die Rückwirkung dagegen, 3. das Moment der Selbsterhaltung als solcher, die Reproduktion. §49 Die komparative Anatomie betrachtet den allgemeinen Typus des Tiers in den verschiedenen Gebilden der Klassen und Gattungen, wie derselbe in den einfachsten tierischen Organisationen sich zu zeigen anfängt und dann immer entwickelter und vollkommener hervortritt, ferner wie er sich nach den verschiedenen Elementen, worin die Tiergeschlechter leben, Lebensweise^ u. s. f. modifiziert. §50 Die Zoologie klassifiziert die Tiere zunächst nach ihren gemeinschaftlichen Hauptmerkmalen und nimmt die Bestimmungen hierzu von Hauptstufen der Entwicklung des animalischen Typus, von den unorganischen Elementen, die denselben bestimmen, auch von den Waffen im * Lebensweise] Hegels Notiz: Lebensweisen

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Verhältnisse zu anderen her. Die Natur vermischt zugleich auch die bestimmten Grenzen durch Übergänge, worin ein Prinzip des Unterschiedes mit anderen sich vermengt. §51

Der Organismus steht überhaupt in Beziehung auf seine unorganische Natur, diese Trennung ist zuerst subjektiv als Gefühl eines Bedürfnisses vorhanden, sie macht sich zweitens zu dem äußerlichen Gegensätze der organischen und unorganischen Natur; diese verhält sich erregend zum Organismus, der sie nach seiner Rezeptivität in sich aufnimmt, aber durch die Assimilation seine Einheit in sich immer^i herstellt. §52

Die Medizin ist die Wissenschaft der Krankheit des Organismus; er befindet sich in diesem Zustande, wenn er eine in ihm gesetzte unorganische Potenz nicht zu überwältigen vermag und ein einzelnes System sich vereinzelt festsetzt, wodurch die besonderen Systeme überhaupt der Selbständigkeit zugehen und das Ganze somit sie aufzulösen in Gefahr kommt.

III. Teil. Die Lehre von dem Geiste*^ §53

Das Tier hat Gefühl, insofern seine organischen Momente schlechthin in der Einheit des Lebens ihre Bestimmung und Bedeutung haben, aber sein Gefühl ist nur ein bestimmtes, oder das, worauf es sich als Subjekt bezieht, ist eine Äußerlichkeit. Die letzte Reflexion der Äußerlichkeit in das abstrakte Element der Einfachheit, worin das Subjekt sich auf sich selbst bezieht und als Ällgemeines erscheint, ist die Erhebung in den Geist. §54

Die Lehre von dem Geiste enthält erstens: die Lehre vom erscheinenden Geiste, vom Geiste nämlich, insofern er sich auf äußere Gegenstände bezieht, oder vom Bewußtsein, Phänomenologie des Geistes. immer] Hegels Notiz: wieder ■*2 Die diktierten Paragraphen zur Geisteslehre sind auch in Aheggs Ausarbeitung der Anmerkungen Hegels enthalten; Meineis und Aheggs Texte der Diktate stimmen — mit Ausnahme der Hervorhebungen — exakt überein.

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§55

Zweitens: Den Geist in seinem Begriffe oder nach den Bestimmungen seiner Tätigkeit innerhalb seiner selbst betrachtet die Psychologie. §56

Drittens: Den Geist in der Verwirklichung seiner Vernünftigkeit betrachtet die Rechtswissenschaft und Moral, die Staatswissenschaß und die Geschichte. §57

Die Wissenschaft, welche die philosophischen Begriffe des Rechts enthält, ist Naturrecht genannt worden. §58

Die Moral betrachtet die Handlungsweise der Menschen gegeneinander, insofern sie durch die Gesinnung bestimmt ist und die besondere Existenz zum Gegenstände hat. §59

Das Staatsrecht als inneres betrachtet die notwendige Organisation eines Staates, insofern es nämlich philosophisches Staatsrecht ist; das äußere Staatsrecht und die Politik die äußeren Verhältnisse der Staaten. §60

Die Geschichte betrachtet nicht nur die äußerlichen Schicksale der einzelnen Völker nach ihren unmittelbaren Ursachen und zufälligen Umständen, sondern hat das Prinzip eines Volkes aufzufassen; ferner aber noch mehr betrachtet sie in der Weltgeschichte den allgemeinen Geist, wie er von den Anfängen seines Bewußtseins an sich immer höher zum vernünftigen Selbstbewußtsein emporgehoben [hat] und in einem inneren Zusammenhänge durch die Geschichte der getrennt erscheinenden Nationen und ihrer Schicksale die Stufen seiner Bildung durchlaufen ist. §61

Das Vierte ist die Vollendung des Geistes nach seiner Darstellung und absoluten Erkenntnis in Kunst, Religion und Philosophie.

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IHR SO INTERESSANTES VATERLAND"

Ein Brief Hegels an den ungarischen Gelehrten Ludwig Schedius Mitgeteilt und erläutert von Klaus Vieweg 0ena)

Das Original des im folgenden wiedergegebenen Briefes liegt in der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaft (Magyar Tudumänyos Akademia Könyvtära) Budapest (Sign.: M. Irod. Lev. 4 154).i Der Brief besteht aus zwei ineinandergelegten Doppelblättern im Quartformat; auf der Anschriftseite befindet sich ein gut erhaltenes rotes Siegel.

Sr Woh[l]gebohrn Herrn Professor von SCHEDIUS frey zu Pesth in Ungarn Euer Wohlgebohrn nehme ich mir die Freyheit, eine Einladung zu machen, die nicht sosehr in der kurzen persönlichen Bekanntschafft, welche ich in Jena mit Ihnen zu machen die Ehre hatte^, ihre Entschuldigung finden kann, als vielmehr in Ihren vom Inn[-] und Auslande sosehr geschätzten Bemühungen, Ihr Vaterland mit sich selbst und die Auswärtigen mit demselben bekannt zu machen; — Bemühungen, welche das Publikum leider! seit einigen Jahren nicht mehr zu seiner Kenntniß kommen siehU. Indem ich seit dem Frühjahr die Redaction der hiesigen politischen Zeitung übernommen habe, — wie ich zu diesem Geschäffte gekommen 1 Der Bibliothek danke ich für die freundliche Zustimmung zur Veröffentlichung des Briefes. Herrn Prof. Jänos Rathmann sei Dank für die Unterstützung meiner Arbeiten in Budapest. 2 Ludwig Schedius unternahm 1802 eine „literarische Reise" nach Deutschland. Vgl. C. von Wurzbach: Biographisches Lexicon des Kaisertums Oesterreich. Bd 29. Wien 1875. 151. 3 Hegel bezieht sich hier auf Die Zeitschrift von und für Ungern, die Schedius von 1802 bis 1804 herausgab. Zu Anliegen und Inhalt dieser Zeitschrift vgl. Istvdn Fried: Funktion und Möglichkeiten einer deutschsprachigen Zeitschrift in Ungarn. Die Zeitschrift von und für Ungern. In: Zeifschriften und Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa. Hrsg. V. I. Fried u. a. Berlin 1986. 139-157.

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bin, werden Sie sich aus der Katastrophe, welche Jena auch von einer andern Seite, als der wissenschaftlichen, nur zu berühmt gemacht hat, leicht erklären können — und den Inhalt dieser Zeitung, so viel die Natur der Sache es zuläßt, zu veredeln bestrebt bin, so würde mir nichts so viel Vergnügen machen können, als von Ihnen durch Beyträge unterstützt zu werden, die nicht anders als interessant seyn könnten, und wie ich deren bereits aus andern Gegenden erhalte, und noch mehrere zu erhalten die Hoffnung habe. Es wird mich freuen. Ihnen hiedurch zugleich ein Mittel darbieten zu können, das vielleicht wenigstens einen TheU der Zwecke Ihrer Zeitschrift* zu erfüllen geeignet ist, die Seite nemlich, nach welcher Ihre patriotischen Bemühungen die Wirkung haben mußten, die Aufmerksamkeit und Achtung des Auslandes auf Ihr so interessantes Vaterland zu ziehen. Es ist auffallend, wie wenig der Gang Ihrer innländischen Begebenheiten in Deutschland, das so viele Berührungspunkte mit Ihrer Nation hat, — Punkte, welche für beyde Nationen eher zu vervielfältigen und zu verstärken, als zu vernachlässigen wichtig seyn wird — bekannt ist. Ich berühre von solchen interessanten Gegenständen, nur die so patriotisch betriebenen Anstalten zur Verbesserung der Nationalindustrien und des Erziehungswesens, die Verhältnisse der Religionsverschiedenheiten, besonders aber die inneren Staatsrechts-Verhältnisse der verschiednen Stände, und die Verhandlungen der Reichstage. Ungarn hat eine Verfassung, welche mit der englischen in so wesentlichen Punkten zusammentrifft. Zu der Konsideration, welche die letztere im Auslande genießt, trägt gewiß die Publicität nicht wenig bey, welche die Verhandlungen über die Angelegenheiten der Nation haben; und Konsideration beym Auslande ist ebenso ein nicht unwichtiger National-Vortheil, als sie für das Ehrgefühl eines Volkes nicht gleichgültig sein kann. Indem ich Sie um Nachrichten von den wichtigen Veränderungen, Fortschritten, und neuen Anlagen in Bezug auf jene Gegenstände ersuche, glaube ich von einer andern Seite keine indiscrete Bitte zu thun, indem nemlich von keiner Aussprengung von Staatsgeheimnissen die Rede ist. Was insbesondre die Verhandlungen des itzigen, wie es uns nur scheint, denn näher sind wir hier aussen nicht damit bekannt, wichtigen Reichstags betrifft, so ist bey der großen Anzahl der beratschlagenden Mitglieder, — bey der Rechenschafft, die ein Theil der Stände seinen Kommittenten ablegt, und den Instructionen, die er von ihnen einhohlt — ferner bey der, so viel ich weiß, öffentlichen Abhaltung eines ^ Vgl. Anm. 3.

Ein Brief Hegels an Ludwig Schedius

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Theils der Sitzungen, schon diejenige Publicität der Verhandlungen vorhanden, welche es jedem, dem sonst in politischer Rüksicht daran gelegen seyn kann, Kenntniß davon zu haben, dieselbe sich ohne Schwierigkeit zu verschaffen möglich macht. Es fehlt daher allein die besondre Art von Publicität für das allgemeinere Publikum, gegen welche, besonders insofern es ein ausländisches Publikum ist, weiter keine Art des Interesses statt finden kann. Indem es Korrespondenz[-]Nachrichten oder Aktenstükke sind, was ich, wenn Sie meine Bitte nicht ungütig aufnehmen, von Ihnen erhalten würde, so füge ich noch die Bemerkung hinzu, daß ich allein alle Verantwortlichkeit, die nur auf den Gebrauch, der davon gemacht wird, fallen kann, auf mir habe, wenn der Fall einer Verantwortung Vorkommen sollte, was, wie ich glaube, nicht geschehen wird, da, ausser der nach der Natur der Sache zu beobachtenden Schiklichkeit, eine Censur alles Nicht-Passende beseitigt. Ich verpflichte mich zugleich, auf mein Ehrenwort, und als eine Bedingung, unter [der] ich allein Mittheilungen von Ihnen erhalten kann, Ihren Nahmen unter keinerley Umständen, wem es sey, zu nennen. Ich füge noch bey, daß nach der Natur eines Zeitungsinstituts eine regelmässige wöchentliche Mittheilung mir das wünschenswertheste seyn würde; und daß, wenn Ihnen Ihre Geschäffte nicht erlaubten, unmittelbar diese Korrespondenz zu führen, es Ihnen wenigstens nicht schwer seyn wird, irgend einen dazu tauglichen Mann aufzufinden, der das Nähere besorgte; meine Bitte um Ihre unmitelbare Theilnahme würde alsdenn sich auf das Ersuchen um Ihre Zeitung und gefällige Beyhülffe einschränken. Erlauben Sie mir noch hinzuzufügen, daß die Gewohnheit unseres Instituts ist, für eine solche demselben erwiesene Gefälligkeit ein Honorar von 8 bis 10 Karolins jährlich abzutragen, daß dabey die Kosten der Korrespondenz auf uns fällt, und daß die benannte Summe nur der gewöhnliche bestimmte Ausgangspunkt, der nach Beschaffenheit der Sache und den Unkosten, die der Hr Korrespondent haben kann, erhöht werden würde und daß ich darüber Ihre Erklärung erwarte. Sollte sich der Umfang der mitzutheüenden Nachrichten weiter z. B. auf die benachbarte Türkey ausdehnen können, sollten wir bedeutende Aktenstücke erhalten können, so würde unsre Verbindlichkeit schon dadurch grösser werden. Nachdem ich mir meine Wünsche an Sie, Ihnen auseinander zu setzen erlaubt habe, so wiederhohle ich schließlich, daß ich mir diese Freyheit genommen, weil ich wußte, daß ich sie an einen Mann thue, der sich warm und thätig für sein Vaterland interessirt, der diß Interesse auch in

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Bemühungen und Umständen sehen kann, welche gemeinen Augen, demselben aus dem Wege zu liegen schienen, dessen humane Gesinnung endlich eine Bitte, wenn ihr Gegenstand auch ganz allein als eine freundschafftliche Gefälligkeit anzusehen wäre, nicht ungütig aufnimmt. Ich hoffe daher nicht ganz eine Fehlbitte gethan zu haben, und werde mich durch jede Unterstützung, welche Sie meinem Geschäffte zukommen lassen werden. Ihnen für sehr verpflichtet halten. Mit dem Ersuchen um eine baldige Antwort habe ich die Ehre, unter der Versicherung meiner vollkommnen Hochachtung zu seyn. Euer Wohlgebohm Bamberg d. 8. Aug. 1807 ergebenster Diener Professor Hegel Der vorstehende Brief wurde bisher in Ungarn zweimal veröffentlicht: von ANDOR SAS (1917) und von FRITZ VALJAVEC (1933).® Trotz dieser beiden Publikationen wurde der Brief über Ungarn hinaus wohl kaum bekannt. In der von HOFFMEISTER und NICOLIN herausgegebenen Ausgabe der Briefe von und an Hegel fehlt er. Dies rechtfertigt seine neuerliche Mitteilung an dieser Stelle. Hegels Schreiben gehört zu einem Konvolut, welches zumeist Briefe deutscher bzw. deutschsprachiger Gelehrter an LUDWIG SCHEDIUS enthält, u. a. von CHRISTIAN GOTTLOB HEYNE, JOHANN GOTTFRIED EICHHORN, JOHANNES VON MüLLER, FRIEDRICH SCHLEGEL, JOHANN JAKOB GRIESBACH, HEINRICH KARL ABRAHAM EICHSTäDT.^

Der Empfänger des Briefes, LUDWIG SCHEDIUS (1768—1847), stammte aus einer aus dem Braunschweig-Lüneburgischen nach Ungarn übergesiedelten Familie; er besuchte die evangelischen Schulen in Preßburg (Bratislava) und Oedenburg (Sopron).^ Von 1788 bis 1791 studierte er Philologie, Geschichte, Theologie und Philosophie an der Universität Göttingen, u. a. bei A. L. SCHLöZER und C. G. HEYNE. Die Ideen der Göttinger Aufklärer prägten entscheidend sein Denken; überhaupt 5 Vgl. Andor Sas: Hegel hazänkrol. In: Athenaeum, Jahrgang 1917. 358—365, und Fritz Valjavec: Briefe deutscher Gelehrter und Schriftsteller an Ludwig Schedius. In: A Gröf Klebelsberg Kuno Magyar Törtenetkutato Intezet Evkönyve. Budapest 1933. 258—302. — Unsere Textwiedergabe stützt sich mit auf die von F. Valjavec vorgenommene Transkription; die dort enthaltenen kleinen Fehler wurden korrigiert. Für Korrekturhinweise danke ich Frau Dr. Christina Junghanß (Weimar) und Herrn Prof. Friedhelm Nicolin (Düsseldorf). ^ Vgl. Anm. 1 und 5. Ein Brief von Friedrich Schlegel an Ludwig Schedius vom 27. Januar 1813 enthält auch die Bitte an den ungarischen Gelehrten um Mitarbeit an einer Zeitschrift, und zwar an Schlegels Wiener Zeitschrift Deutsches Museum. ^ Vgl. C. V. Wurzbach (wie Anm. 2). 149—153.

Ein Brief Hegels an Ludwig Schedius

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trugen die Ideen der Aufklärung, später der deutschen Klassik in Kunst und Philosophie, zu einer sich besonders in den Jahren von 1780 bis 1820 vollziehenden „erstaunlichen Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen den Deutschen und den Ungarn" bei®. Die wohl wichtigsten „Brücken" hierfür waren die Universitäten Göttingen und Jena als die bevorzugten Ausbildungsstätten der protestantischen Intellektuellen Ungarns.® Nach seiner Rückkehr nach Ungarn erhielt SCHEDIUS 1792 eine Professur für Ästhetik und Philologie an der Universität Pest. Die Förderung der nationalen Bildung und Literatur in Ungarn steht im Zentrum seiner Publikationen zur Ästhetik, zur ungarischen Literaturgeschichte, zur Geographie und Geschichte seiner Heimat. Im Sinne der deutschen und europäischen Aufklärung galt sein besonderes Interesse der Schaffung gelehrter Gesellschaften und besonders gelehrter Zeitschriften, Nach dem Vorbild der Allgemeinen Literatur-Zeitung (ALZ) aus Jena, zu welcher SCHEDIUS direkte Verbindungen hatte, gründet er 1802 als „bescheidene Entsprechung" zur ALZ^ — Die Zeitschrift von und für Ungern. Der Geist von Aufklärung und Frühliberalismus, das Denken von Freiheit und Toleranz bestimmte ihr geistiges Profil; sie war, obwohl sie nur bis 1804 bestand, eine der wichtigsten Stimmen der reformorientierten Intellektuellen Ungarns und zugleich ein wichtiger Beitrag zur Vertiefung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn. (LUDWIG SCHEDIUS war u. a. Mitglied der Göttinger Gelehrten Gesellschaft, der Jenaer lateinischen Societät und ab 1816 Ehrenmitglied der Societät für die gesammte Mineralogie in Jena.) Hegel bezieht sich in seinem Brief auf die von SCHEDIUS herausgegebene Zeitschrift und hat auch „am klarsten die kulturelle Mittlertätigkeit von SCHEDIUS anerkannt"!^. Während einer Deutschland-Reise des Pester Professors kam es in Jena — so Hegels Bemerkung im vorUegenden Brief — zu einem kurzen Treffen von SCHEDIUS und Hegel. Mit diesem Brief versuchte Hegel den ungarischen Gelehrten für eine Mitarbeit an der Bamberger Zeitung zu gewinnen, als Korrespondent, welcher über die ungarische Kultur und Geschichte, aber eventuell auch über die Situation im mittleren und südöstlichen Europa berichten könnte. Als Redakteur der Bamberger Zeitung (Anfang März 1807 — Ende November 1808)i® geht es Hegel darum, dem Leser mit den „Weltbegebenheiten"i4, mit wichtigen geschichtlichen Vorgängen, mit der damaligen historischen Situation in verschiedenen Regionen Europas ver® Vgl. Fritz Valjavec: Briefe (wie Anm. 5). 259. ® Vgl. Istvän Fried: Funktion und Möglichkeiten (wie Anm. 3). 141 — 145; Karola Doromby: Schedius Lajos mint nemetmagyar kulturközvetitö. Budapest 1933. Vgl. Istvän Fried: Die Zeitschrift von und für Ungern (wie Anm. 3). » Ebd. 144. '2 Fritz Valjavec: Briefe (wie Anm. 5). 259 Fußnote 9. Vgl. dazu Manfred Baum/Kurt Meist: Politik und Philosophie in der Bamberger Zeitung. In: Hegel-Studien. 10 (1975), 87—127. Wilhelm R. Beyer: Zwischen Phänomerwlogie und Logik. Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung. Frankfurt/M. 1955. Hegel an Niethammer, 20. Februar 1807. Vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 145.

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traut zu machen. Er spricht selbst von seiner „weitläufigen Kommunikation"i5, von Beiträgen, „wie ich deren bereits aus andern Gegenden erhalte"; Hegel „war bedacht", — so RUDOLF HAYM — „sich hie und da eine Nachricht auf besonderem Wege und durch private Mittheüung zu verschaffen"’^®. Europäischer und nationaler Blickwinkel werden verknüpft; einerseits entgeht Hegel mit seiner Option für die moderne französische und englische Verfassung nationalistischen Attitüden, andererseits belegen seine Hervorhebung der „patriotischen Bemühungen" oder sein „Interesse für die staatliche Neuordnung vornehmlich der Verfassungsgrundlage (insbesondere des Königreichs Westfalen)"’^, sein bleibendes theoretisches Bemühen um die Frage einer „Verfassung Deutschlands" überhaupt. Es zeigen sich das Abgehen von der zeitweiligen „Option für Österreich" (OTTO PöGGELER)’*, aber auch das Interesse für den konstitutionell regierten ungarischen Ständestaat. Bei der Erwähnung der „interessanten Gegenstände" nationale Industrie, Erziehung und Religionsverschiedenheit und innere Staatsrechtsverhältnisse werden die letzteren besonders herausgehoben, dabei berührt Hegel das später in seiner „Rechtsphilosophie" inhaltlich behandelte Problem der „Konsideration", der „inhaltlichen Anerkennung" von Staaten. Wie in andern Briefen der Bamberger Zeit, besonders in den Briefen an NIETHAMMER, steht im Mittelpunkt der Zusammenhang von staatlicher Konstitution und Publizität; letztere gilt Hegel geradezu als „göttliche Macht". Sie muß — so Hegels Selbstverständnis als Journalist — als „klarer und unparteüscher Spiegel in seiner Reinheit" erhalten werden.’® Damit erweist sich Hegel als Zugehöriger der ,liberalen Zeitungsschreiberbande', wie FRIEDRICH GENTZ diesen Kreis später verächtlich kennzeichnete. Öffentlichkeit im weitesten Sinne, das „Sprechen der Regierung mit dem Volke über ihre und seine Interessen", können sowohl die äußere wie innere Akzeptanz der staatlichen Ordnung befördern.Im Brief an SCHEDIUS wird für das öffentliche Abhalten eines Teils der Reichstags Sitzungen („Verhandlungen über die Angelegenheiten der Nation"), für die breite Informierung auch des ausländischen „Publikums" über das Beratene und Beschlossene plädiert. Hegel versteht sein an SCHEDIUS gerichtetes Ersuchen um Beiträge für die Bamberger Zeitung auch als Angebot, eines der Anliegen der seit 1804 nicht mehr erscheinenden Zeitschrift von und für Ungern zu verwirklichen: „die Aufmerksamkeit und Achtung des Auslandes" für Ungarn zu befördern.

Hegel an Knebel, 30. August 1807. Vgl. Briefe. Bd 1. 189. Rudolf Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857. 270. Baum/Meist: Politik und Philosophie (wie Anm. 13). 97 f. Vgl. Otto Pöggeler: Hegels Option für Österreich. In: Hegel-Studien. 12 (1977), 83—128. Hegel an Niethammer, 8. Juli 1807. Vgl. Briefe. Bd 1. 176 f. Hegel an Niethammer, November 1807 und 22. Januar 1808. Vgl. Briefe. Bd 1. 197, 209.

MARTIN BONDELI (BERN)

HEGEL UND REINHOLD

Welche Bedeutung hat die Philosophie REINHOLDS für Hegels Denkentwicklung gehabt? Dem Urteil der Hegelschen Differenz-Schriß^ von 1801 nach gar keine oder lediglich eine negative. REINHOLDS philosophische Versuche erscheinen als das pure Gegenteil der Identitätsphilosophie, als deren Vertreter Hegel sich gemeinsam mit SCHELLING unmittelbar nach 1800 versteht. Statt die begrifflichen, reflexiven Entgegensetzungen in einer absoluten Identität, in einer spekulativen transzendentalen Anschauung harmonisch aufzulösen, setzt der Erzdualist REINHOLD eine reflexive oder Verstandesidentität, welche die Entzweiung nur verfestigt, an die Spitze seiner Philosophie und operiert zu allem Überfluß mit einem ungelenken, auf Vernichtung alles Natürlichen angelegten Verhältnis von Form und Stoff. Statt sich nach dem Modell der Selbstdestruktion und Selbstkonstruktion endlicher Reflexionsbestimmungen zum Unendlichen zu erheben, praktiziert der Zauderer REINHOLD ein schlecht unendliches, bodenloses „Anlaufen" ins wahrhaft Unendliche, welches ihm nachträglich bestenfalls als billiges Glaubensprodukt eines Urwahren zufällt. Der Schulphilosoph REINHOLD verkennt, daß es ein philosophisches Bedürfnis gibt, welches mit der Aufhebung der Entzweiung steht und fällt, und reduziert alles Philosophieren auf das Einüben eines Handgriffes des Begründens und Ergründens. REINHOLD, der einstige Hoffnungsträger der nachkantischen Spekulation, ist im Zeitalter der Vollendung der mit KANT anhebenden philosophischen Revolution zum Gegenrevolutionär geworden. Er verkündet sein „La revolution est finie", indem er die Philosophie nurmehr als Logik fortgesetzt wissen will. Doch der von Hegel in der Differenz-Schrift dargestellte Kontrast zwischen seiner Philosophie und der REiNHOLDschen Un-Philosophie ist all1 Differenz des Fichte'schen und Schelling'sehen Systems der Philosophie. In: G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4: Jenaer Kritische Schriften. Hrsg, von H. Büchner und O. Pöggeler. Hamburg 1968. 5—92. (Im folgenden GW 4)

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zu schön, um wahr zu sein. Denn in der Tat erkennt man in Hegels und REINHOLDS philosophischer Entwicklung zwei Denkwege, die sich in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in ihren nachkantischen Entwürfen weitgehend überschneiden und die sich unmittelbar nach 1800 durch zum Verwechseln ähnliche Programme und Ansprüche auszeichnen. Zudem ist dieser Kontrast momentaner, einseitiger Ausdruck eines Verhältnisses, das man aufgrund von Hegels Entwicklungsgang hin zum Standpunkt der Phänomenologie des Geistes als doppelte Negation bezeichnen muß. Betrachtet man das Gesamtergebnis der Jenaer Philosophie Hegels, so hat er REINHOLD nicht nur — in gemeinsamer Sache mit SCHELLiNG — in einfacher Form negiert, sondern auch stillschweigend in sich aufgehoben und in dieser Konfiguration gegen SCHELLING zurückgewandt. Erst in späteren Jahren, aus einiger Distanz, macht Hegel REINHOLDS untergründiges Wirken in seinen Texten ein Stück weit transparent. In der Wissenschaft der Logik und in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften wird dem zur Spekulation unfähigen REINHOLD immerhin das Verdienst zugeschrieben, in der Frage nach dem „Anfang" des Philosophierens die entscheidenden Impulse gegeben zu haben. Das Verhältnis zwischen Hegel und REINHOLD ist bis anhin weder in der Hegel-Literatur noch in der REiNHOLD-Literatur mit der nötigen Gründlichkeit untersucht worden.^ Häufig hat man nur um marginale Fragen gestritten wie etwa: ob Hegel in der Differenz-Schrift Recht behält, wenn er zu Beginn des REINHOLD-Abschnittes behauptet. REINHOLD scheine nicht geahnt zu haben, daß mit der ScHELLiNGschen Philosophie längst eine andere Philosophie vorliege als der FiCHTEsche transzendentale Idealismus.3 Was den Kern der Auseinandersetzung betrifft, blieb es bei gelegentlichen Hinweisen, daß Hegels kritische Intervention gegen REINHOLD in der Differenz-Schrift argumentativ nicht immer über alle 2 Siehe Helmut Girndt: Die Differenz des Hegelschen und Vichteschen Systems in der Hegelschen ,Differenzschrifl'. Bonn 1965; ders: Hegel und Reinhold. In: Philosophie aus einem Prinzip. Karl Leonhard Reinhold. Hrsg, von R. Lauth. Bonn 1974. 202—224; Otto Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: ders: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München 1973. 110—169; Hermann Braun: Differenzen. Bemerkungen zu einem Buch von Helmut Girndt. In; Hegel-Studien. 4 (1967), 288—299; Rüdiger Bubner: Problemgeschichte und systematischer Sinn der „Phänomenologie" Hegels, ln; ders: Dialektik und Wissenschafl. Frankfurt/M. 1973. 9—43; Tom Rockmore: Hegel's circular Epistemology. Bloomington, London 1986; Reinhard Lauth: Hegel vor der Wissenschaftslehre. Mainz 1987. 3 Siehe GW 4. 77. — Die Kritiker Hegels haben hier sicherlich Recht, wenn sie dem entgegenhalten, daß Reinhold schon sehr früh und sehr genau weiß, daß es neben der Fichteschen eine Schellingsche Philosophie gibt. Vermutlich meint Hegel aber mit dem Nicht-Wissen etwas anderes. Er fragt danach, ob Reinhold auch von der wahrhaften Differenz beider Systeme weiß, ob er deren Differenz nicht mißversteht.

Hegel und Reinhold

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Zweifel erhaben sei und daß sie, sofern man Hegels veränderte Ansicht zum Anfang und zur Einleitung in die Philosophie nach der frühen Jenaer Zeit einbezieht, doch merkwürdig paradox erscheine. Im folgenden möchte ich, diese Fragerichtung aufgreifend, der Sache genauer nachgehen. Es soll aufgezeigt werden, welche Differenzen jenseits der Polemik zwischen Hegel Reinhold zur Zeit der Differenz-Schrift vorhanden sind (2) und welche Wirkungen REINHOLD auf den Hegel der Phänomenologie des Geistes sowie auf den späteren Hegel denn genau gehabt hat (3). Beginnen will ich aber mit einer kurzen Darstellung zum Verhältnis Hegels zu REINHOLD vor der Differenz-Schrift und mit der Frage, was Hegel vor 1800 veranlaßt haben könnte. REINHOLD als seinen Kontrahenten zu betrachten (1).

1. Zu Hegels Verhältnis zu Reinhold in den 1790er fahren Hegels erste Erwähnungen REINHOLDS finden sich Mitte der Berner Zeit, Ende 1794/Anfang 1795. In den Briefen an HöLDERLIN und SCHELLING spricht Hegel anerkennend von REINHOLD als einem sich von der Orthodoxie wohltuend abhebenden aufklärerischen Geist und als dem neben FICHTE avanciertesten Denker der neueren nachkantischen Philosophie.^ In den frühen Fragmenten Hegels wird REINHOLD zwar nur einmal und eher beiläufig erwähnt. Doch verweisen mehrere Stellen auf eine Auseinandersetzung mit typisch REiNHOLDschem Gedankengut. So wird in Hegels Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie von Ende 1794 der berühmte „Satz des Bewußtseyns" zitiert^, so wird in der Notiz Eine transzendentale Idee^ von Anfang 1795 zum Teil wörtlich auf die Definition der Willensfreiheit in den Briefen über die Kantische Philosophie angespielt. ^ Ferner tauchen in einem Hegelschen Fragment von Mitte 1795 ^ Siehe Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Bd 1. 3. durchgesehene Auflage. Hamburg 1969. 12, 21. 5 Siehe G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 1: Frühe Schriften I. Hrsg, von F. Nicolin und G. Schüler. Hamburg 1991. 169. (Im folgenden GWl). 6 Siehe GWl. 195 f. ^ Schon 1789 fertigt Hegel sich Exzerpte aus zwei Rezensionen an, in denen das Freiheitsproblem im Zusammenhang von Kants praktischer Vermmft von zentraler Bedeutung ist. Es handelt sich um die Rezensionen von Ulrichs Eleutheriologie, oder über Freiheit und Notwendigkeit und Rehbergs Über das Verhältnis der Metaphysik zu der Religion aus der Allgemeinen Literatur-Zeitung (vgl. G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 3; Hegel: Frühe Exzerpte. Hrsg, von F. Nicolin. Hamburg 1991. 184—200). Der Verfasser der Rehberg-Rezension ist mit großer Wahrscheinlichkeit Reinhold, vgl. Eberhard Günter Schulz: Rehbergs Opposition gegen Kants

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erstmals die typisch REiNHOLDschen Termini „Grundsatz" und „Fundament" auf.®

Zweifelsohne hat Hegel bei seiner positiven Referenz auf REINHOLD dessen angewandten KANTianismus der praktischen Vernunft aus den Briefen über die Kantische Philosophie^ im Auge. Insbesondere dürfte Hegel, der Mitte der Berner Zeit einen ganz ähnlichen Typus des KANTianismus zum Programm erhebt, REINHOLDS Anwendung von KANTS Moralitätsbegriffs auf Religion und Naturrecht und die damit verbundene Kritik der positiven Religion und des positiven Staates fasziniert haben. Und bestimmt wird Hegel, der sich bei seinen Reflexionen zum Begriff der Moralität besonders dem Problem der moralischen „Triebfedern", des Subjektivierens des objektiven Gesetzes annimmt, von REINHOLDS Freiheitsauffassung in den Briefen fruchtbare Anregungen empfangen haben. Denn REINHOLD thematisiert neben der Freiheit als intelligibler Selbstgesetzgebung besonders die Freiheit als ein im Bereich des empirischen Subjekts anzusiedelndes Sich-Entscheiden für oder gegen das Moralgesetz. Für REINHOLDS spekulativ-philosophisches Projekt einer neuen Theorie des VorstellungsVermögens oder Elementarphilosophieii, welche das KANTische System der Vernunftkritik zu übersteigen beansprucht, hat Hegel erklärtermaßen weniger Sympathien, ja er kann ihm sowohl aus aufklärungspragmatischen Gründen als auch aus seinem betonten KANTianismus der praktischen Vernunft heraus wenig Sinn abgewinnen. Ist seines Erachtens REINHOLDS Bestreben, die KANTische Vernunftkritik als Philosophie aus einem einzigen Vermögen und in Form eines einzigen Systems zu rekonstruieren, aus dem vereinigungsphilosophischen Bedürfnis der Zeit heraus durchaus begrüßenswert, so nicht REINHOLDS Vorschlag, die Vorstellung als das höchste und einheitliche Vermögen zu statuieren, sowie dessen folgenreicher Versuch, das System der Vernunftkritik durch den Satz des Bezmßtseins als höchsten Grundsatz alles Ethik. Eine Untersuchung ihrer Grundlagen, ihrer Berücksichtigung durch Kant und ihrer Wirkungen auf Reinhold, SchiUer und Fichte. Köln, Wien 1975. 44, 177 ff. * Siehe den Anfang von Text 32 in: GW 1. 281 f. * C. L. Reinhold: Briefe über die Kantische Philosophie. Neu hrsg. von R. Schmidt. 2 Bände. Leipzig 1913. 10 Vgl. ebd. Bd 2. 502 ff. 11 C. L. Reinhold: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens. Prag und Jena 1789; C. L. Reinhold: Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen. Erster Band das Fundament der Elementarphilosophie betreffend. Jena 1790; Zweyter Band die Fundamente des philosophischen Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend. Jena 1794.

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Wissens neu zu begründen. Dies verraten sowohl Hegels abwertende Verwendung des Begriffs der Vorstellung^^ in den Fragmenten der Berner Zeit als auch die Bemerkung zum Satz des Bewußtseins aus dem Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie. Der Satz des Bewußtseins wird mit einem mangelhaften, weU bloß durch „Empirie" oder durch „Abstraktion" gewonnenen „Grundvermögen" in Zusammenhang gebracht und mit einer „Generalkraft" verglichen, aus der sich keine besonderen Prinzipien „herleiten" ließen.i^ Hegel bewegt sich mit dieser Deutung im Bereich einer kritischen Haltung gegenüber REINHOLDs oberstem Grundsatz, die in dieser Zeit sowohl KANT-Anhänger als auch die spekulativen Nachkantianer FICHTE und SCHELLING einnehmen. Dieser Haltung zufolge soll es sich beim Satz des Bewußtseins weder um einen absoluten (nicht-empirischen) noch um einen mehr als bloß formalen Grundsatz handeln.Dabei entspringt Hegels eigene Sicht während der Berner Zeit einer betont vor-spekulativen, KANTischen Position, die unverkennbar auf Anregungen von C. C. E. SCHMIDS „Empirischer Psychologie" zurückgeht.^5 Hegel ist mit SCHMIDS kritizishscher und mit JACOBIS reflexionskritischer Rede über das Unbedingte der Auffassung, daß ein absolutes Grundvermögen unerkennbar ist und daß es, sobald es diskursiv, durch Grundsätze, höchste Begriffe usw. dargestellt wird, sich zu einem komparativen Vermögen depotenziert. Deshalb ist Hegel näher besehen auch der von den REiNHOLDschen Mängeln gereinigten frühen Grundsatzphilosophie EICHTES und SCHELLINGS abgeneigt.

Vermutlich versteht Hegel Vorstellung von Anbeginn als „imaginatio" und nicht als „repraesentatio". „Vorstellen" erhält deutlich die Konnotation von einem schlechten Glauben oder einem Unvermögen der Vernunft, bei sich selbst zu sein. Vgl. GW 1. 354. 13 Vgl. GWl. 169. i'i Die Rede von Reinholds bloß „empirischem", „abstraktem" und „formalem" Grundsatz ist bei den Vertretern der spekulativen Philosophie spätestens seit Fichtes Aenesidemus-Rezension gang und gäbe. 13 Hegel hat die in der Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienene Rezension dieses Werks, die nachweislich aus der Feder Reinholds stammt, 1794/95 exzerpiert (vgl. G. W. F. Hegel: Frühe Exzerpte. 209 f). Dabei hat Hegel offenkundig Schmids Bestimmung, wonach wir durch „psychologische Erfahrung" und „Zergliederung" lediglich zu einem „comparativen" und nicht zu einem „unbedingten Grundvermögen" gelangen können, sowie seine Erklärung, daß, wie im Falle von Begriffsgattungen, auch bei einer „Generalkraft" die Artunterschiede nicht begreiflich gemacht werden können (vgl. C. C. E. Schmid: Empirische Psychologie. Jena 1791. 161, 163), auf Reinholds Satz des Bewußtseins bezogen. Dem hat Schmid insofern vorgearbeitet, als er das „VorsteUungsvermögen" nicht als absolutes, sondern nur als höchstes komparatives Grundvermögen gedeutet hat (vgl. ebd. 173). 13 Darauf deutet etwa Hegels Kritik an Fichtes orthodox anmutender deduktiver Beweisart (vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 16) — eine Kritik, die letztlich auch ScheUings früheste Systemansätze trifft.

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In seiner Frankfurter Zeit von 1797 bis 1800 äußert sich Hegel weder zu REINHOLDS elementarphilosophischen Versuchen noch zu REINHOLDS in diese Zeitperiode fallende Weiterentwicklung seines Denkens zunächst in Richtung der FicHTEschen Wissenschaftslehre und schließlich der jACOBischen Glaubensphilosophie. Hätte Hegel, der sich in Frankfurt von KANTS Moralphilosophie entfernt und sich nun auf der Ebene von JACOBIS Reflexions-Kritik ebenfalls einem spekulativen Typus des Vereinigungsdenkens zuwendet, dies getan, hätte er auf eine bemerkenswerte Parallele aufmerksam machen müssen. Beide, Hegel und REINHOLD, verlegen sich in ihren esoterischen Denkbemühungen mehr oder weniger ausgeprägt auf JACOBIS Ansicht, wonach die Aufgabe der Philosophie vornehmlich darin besteht, das höchste, nur durch das Medium des Glaubens zugängliche Sein zu offenbaren. Das System des Wissens ist deshalb dem Glauben untergeordnet, es hat die Funktion, mittels antinomischer Bewegung der Begriffe zu der Grenze hinzuführen, wo der Glaube ein treten muß. Diese neue Sicht der Dinge, die in Hegels frühem Frankfurter Fragment Glaube und Sein angelegt ist und spätestens im sogenannten Systemfragment von 1800 manifest wird, präsentiert REINHOLD besonders in seinen beiden Schriften Über die Paradoxien der neuesten Philosophie und Sendschreiben an J. G. Lavater und J. G. Fichte über den Glauben an Gott von 1799. Gegen hybride Ansprüche des spekulativen Wissens wird behauptet, der „Glaube" sei die eigentliche Instanz der „Gewißheit"i^, er sei die „Urwahrheit" und sein „Grund" das „Urwahre"!®. Dabei wird von REINHOLD, mit einem Seitenhieb gegen FICHTE, auch die von Hegel schon einige Jahre früher geäußerte Kritik an der Auffassung laut, nur das Ich sei das höchste Wissens- und Glaubensprinzip der Philosophie. Dem entgegnet REINHOLD, daß zwar dem Glaubenden sehr wohl durch die Stimme seines Gewissens gesagt werde „Ich bin", jedoch nur indem diese Stimme „zu einem höheren, zu demjenigen Seyn ruft, das über alles blosse Dasein, die sinnliche Existenz erhaben ist, und mit dem allerhöchsten Seyn, das kein Begriff fassen kann, unmittelbar zusammenhängt". Ausgehend von diesen Parallelen zwischen Hegels Denkentfaltung in der Berner und Frankfurter Zeit und REINHOLDS nachkantischen Denkphasen bis 1800 wird nun eigentlich kaum plausibel, weshalb Hegel REINHOLD Anfang des 19. Jahrhunderts als Antipoden darstellt. Ergibt Siehe C. L. Reinhold: Sendschreiben an J. C. Lavater und J. G. Fichte über den Glauben an Gott. Hamburg 1799. 17. 18 Vgl. ebd. 20. w Ebd. 71 f.

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sich während der Berner Zeit zumindest noch eine moderate vor-spekulative Kritik an REINHOLDS Grundsatzdenken, so zeigt sich um 1800, mit der gereiften Glaubensspekulation der Frankfurter Zeit, überhaupt keine sachliche Differenz zu REEMHOLD. Eine Differenz ergäbe sich lediglich dann, wenn Hegel seinen um 1800 erreichten Standpunkt auf REINHOLDS Phase der Elementarphilosophie und auf dessen FiCHTE-Phase zurückbeziehen würde. In diesem Falle könnte Hegel — der Selbstkritik REINHOLDS folgend — mit seinem Postulat eines höchsten zu glaubenden Seins oder überreflexiven Lebens vornehmlich darauf insistieren, daß REINHOLD mit dem „Satz des Bewußtseins" als einem diskursiven Prinzip und sodann mit dem „Ich" als einem obersten Prinzip des spekulativen Wissens die wahrhaft höchste und evidenteste Voraussetzung der Philosophie, die wahrhafte Spekulation verfehlt habe. Es ist denn auch sehr wahrscheinlich, daß Hegels Einstellung zu REINHOLD unmittelbar vor 1800 aus einem derartigen Rückbezug auf dessen frühere Phasen der spekulativen Philosophie erwächst und daß dabei der Name REINHOLDS ein für allemal mit dem wenig schmeichelhaften Prädikat „Grundsatzphilosophie" verknüpft wird.20 Dabei ist es fraglos, daß Hegels im Kampf der nachkantischen Systeme stark engagierter Freund SCHELLING seinen Teil zu dieser Sichtweise beiträgt. Denn zwischen SCHELLING, dessen Erstlingsschrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt von 1794 wesentlich von REINHOLDS Grundsatzphilosophie zehrt^i, und REINHOLD ergibt sich ab Mitte der 90er Jahre eine unüberhörbare Dissonanz. Anlaß ist die Tatsache, daß in der Allgemeinen Literatur-Zeitung 1796 eine Rezension zu ScHELLiNGs IchSchriß aus der Feder von JOHNANN BENJAMIN ERHARD erscheint, in welcher mit der geheimnisvollen Kraft der „intellectualen Anschauung" wenig freundlich umgegangen wird.22 SCHELLING, der in REINHOLD den Autor oder zumindest den Anstifter vermutet, verfaßt sogleich eine polemische „Anti-Kritik", deren Adressat unschwer zu identifizie20 Der Differenz-Schrift ist zu entnehmen, daß Hegel zwar die sogenannten Systemwechsel, die Reinhold nach der Elementarphilosophie vollzogen hat, nicht entgangen sind, daß aber bei Hegels Gesamteinschätzung der Reinholdschen Lehre auch nach 1800 das Bild vom Grundsatz-Philosophen im Vordergrund steht. 21 Diese Schrift entsteht, wie Jacobs erwähnt, in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Magisterspezimen Schellings, das den Titel trägt Über die Möglichkeit einer Philosophie ohne Beinamen, nebst einigen Bemerkungen über die Reinholdische Elementarphilosophie. Vgl. Wilhelm G. Jacobs: Zwischen Revolution und Orthodoxie? ScheUing und seine Freunde im Stift an der Universität Tübingen. Texte und Untersuchungen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1989. 74, 284. ^ Siehe Johann Benjamin Erhard: Tübingen bei Heerbrandt: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen. Von Friedr. Wilh. Joseph Schelling. 1795. In: Allgemeine Literatur-Zeitung. Nr 319. Dienstag, 11. Oktober 1796. Col. 89—91.

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ren ist. SCHELLING spricht darin von den „unglücklichen Untersuchungen über einen ersten Grundsatz der Philosophie", von „abstrakten Grundsätzen", die der „Tod alles Philosophierens" seien. Am Anfang der Philosophie könne niemals ein Grundsatz, sondern — der Würde des „freien Mannes" angemessen — nur ein „Akt der Freiheit" bzw. ein „Postulat" der „freien That" stehen.23 In den Abhandlungen zur Erläuterung der Wissenschaßslehre von 1796 und 1797 kritisiert SCHELLING dann im selben Ton die Ausführungen REINHOLDS aus der FiCHTE-Phase. REINHOLD, SO wird behauptet, habe die Pointe des FiCHTEschen Idealismus nicht erfaßt; er sei faktisch auf dem alten Standpunkt des „Bewußtseins" stehen geblieben und verkenne deshalb das Zugleich von „produzierendem" Verstand und „Objekt", von „passiver" und „aktiver", von „idealer" und „realer" Handlung des Ich, welches sich ein Nicht-Ich entgegensetzt. SCHELLING leistet damit schon ab Mitte der 90er Jahre der pejorativen Kennzeichnung der Philosophie REINHOLDS als abstrakt-formell und dualistisch Vorschub.

2. Hegels Reinhold-Kritik in der Differenz-Schrift Was Hegel in der Differenz-Schrift neben dem Nachweis der Unterschiede zwischen der FiCHTEschen und der ScHELLiNGschen Philosophie dazu führt, gegen REINHOLD vorzugehen, wird nur verständlich, wenn man die Fortsetzung des Streites zwischen SCHELLING und REINHOLD im Auge behält. Insbesondere gilt es folgende Tatsachen in Erinnerung zu rufen:

vollzieht Ende 1799 eine erneute Wende und bekennt sich zu einer Position, die er in CHRISTOPH GOTTFRIED BARDILIS Grundriß der ersten LogilG'^ vorfindet und die als „Logischer Realismus" oder „Rationaler Realismus" bezeichnet wird. Diese Wende führt nicht nur zum endgültigen Bruch REINHOLDS mit FICHTE, der in einer vernichtenden Rezension des Grundrisses REINHOLD attackiert und die von Hegel aufgegriffene Bemerkung äußert, es handle sich beim Grundriß um eine „Umarbeitung — REINHOLD

23 Siehe F. W. /. Schelling: Sämtliche Werke. Hrsg, von K. F. A. Schelling. Stuttgart, Augsburg 1856 ff. I/l. 242 f. 24 C. G. Bardili: Grundriss der Ersten Logik, gereinigt von den Irrthümmern bisheriger Logiken überhaupt, der Kanhschen insbesondere; keine Kritik, sondern eine Medicina mentis, brauchbar hauptsächlich für Deutschlands kritische Philosophie. Stuttgart 1800.

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der REiNHOLDischen, weiland Elementar-Philosophie".^^ Mit dieser Wende zieht REINHOLD auch in höchstem Maße den Zorn SCHELLINGS auf sich. Denn SCHELLING liegt auch mit BARDILI, seinem Vetter, seit einiger Zeit in einem erbitterten Streit.^6 — Hinzu kommt, daß REINHOLD im Sommer 1800 SCHELLINGS System des transzendentalen Idealismus rezensiert und bei dieser Gelegenheit mit seiner Überzeugung, SCHELLINGS Philosophie sei eine „Amalgamation des Denkens und Dichtens", offen herausrückt.27 — Nicht übersehen werden darf, daß der sachliche Streit zwischen ScHELLiNG-Hegels Identitätssystem und REINHOLD-BARDILIS Rationalem Realismus sich nicht nur in Form eines Zusammenpralls gegensätzlicher Auffassungen, sondern gerade auch in Form einer durch ähnliche Auffassungen entstandenen Konkurrenzsituation abspielt, die von erheblicher publizistischer Bedeutung ist. 28 Sowohl der Rationale Realismus als auch das absolute Identitätssystem begreifen sich als realistische bzw. naturphilosophische Korrektur des bisherigen subjektivistischen Monismus FICHTES und streiten sich in der Folge um den Anspruch, das vollständige, ausgewogene und mithin endgültige Einheitssystem der nachkantischen Systemphilosophie zu sein.29 Außerdem vertreten beide Phi25 Siehe Fichte: Rezension von Bardilis „Grundriß der Ersten Logik“. In; Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg, von R. Lauth und H. Jacob. StuttgartBad Cannstatt 1962 ff. 1/6. 435. 25 Bardili war Anfang der 90er Jahre Repetitor Hegels und Hölderlins am Tübinger Stift. Siehe dazu: Wilhelm G. Jacobs: Zwischen Revolution und Orthodoxie? 65, 67. Zum spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Schelling und Bardih siehe: Manfred Zahn: Fichtes, Schellings und Hegels Auseinandersetzung mit dem „Logischen Realismus“ Christoph Gottfried Bardilis. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 19 (1965), 201—223, 453—479. Bes. 208 f, 471 ff. 22 C. L. Reinhold: Allgemeine Literatur-Zeitung. Jena 1800. Nr 231 und 232. 13. August 1800. Col. 361—366, 369 —376. Tübingen, in d. Cottaisch. Buchh.: System des transzendentalen Idealismus, von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. 1800. Col. 376. 28 Das Kritische Journal der Philosophie ScheUings und Hegels (1802—3) (in: GW 4. 113 ff) versteht sich wesentlich als Gegenorgan der Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfänge des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1801—1803 (6 Hefte. Hefte 1—3 1801, Heft 4 1802, Hefte 5 und 6 1803), die Reinhold unter Mithüfe Bardilis und Jacobis verfaßt. Siehe dazu: Hartmut Büchner: Hegel und das Kritische Journal der Philosophie. In: Hegel-Studien. 3 (1965), 95-156. 29 Die Parallele läßt sich auf diesem Hintergrund insofern noch weiterführen, als auch beide Positionen sich in diesem Korrekturversuch wechselseitig eines nicht überwundenen Subjektivismus bezichtigen und diese gegenseitigen Bezichtigungen in der Folge zu entkräften versuchen. Reinhold, indem er den naturphilosophischen Ansatz Schellings als eine scheinrealistische Überbietung des Fichteschen Subjektivismus diagnostiziert und seine eigene Position in pointierter Absetzung von der mit Kant anhebenden Subjektphilosophie vorträgt. Schelling imd Hegel, indem sie den Rationalen Realismus als eine objektlose, formale Identitätsphilosophie abtun und Reinhold eine Verkennung der wahren Differenz zwischen dem Fichteschen und Schellingschen System anlasten.

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losophien den Standpunkt eines sich von der vorangegangenen Glaubensphilosophie absetzenden absoluten Wissens. REINHOLD und BARDILI nehmen eine höhere Form des „Erkennens" an^o, Schelling und Hegel eine über der Reflexion stehende intellektuelle Anschauung bzw. ein überreflexives spekulatives Wissen. Und schließlich deckt sich die Logik-Konzeption des Logischen Realismus weitgehend mit Hegels ab 1801 entstehender Auffassung von Logik. BARDILIS Logik ist, wie später die Hegelsche, eine grundlegend auf der Einheit von „Denken" und „Sein" aufbauende ontologische Logik. Und wie später in der Hegelschen werden bereits in ihr Bestandteile der formalen Logik (Begriff, Urteil, Schluß) und der Erkenntnistheorie (Kategorienlehre) in die Form entwicklungslogischer Zusammenhänge, in ein System des Organismus gekleidet. Während SCHELLING in dieser geradezu überdeterminierten Streitsituation die Kampfansage aufnimmt und in äußerster Rage gegen die Un-Philosophie REINHOLDS vorgehUi, REINHOLD in Reaktion darauf das ScHELLiNG-Hegelsche Identitätsdenken der PhUodoxie bezichtigt, verhält Hegel sich als kluger Taktiker, der im Endeffekt drei Fliegen auf einen Schlag trifft. Er richtet zum einen das Augenmerk auf den neuralgischen Punkt in der Auseinandersetzung zwischen SCHELLING und FICHTE in Sachen Naturphilosophie und verstärkt mit Erfolg deren aufgebrochene Uneinigkeit. Er kritisiert zweitens ganz im streitbaren Geiste SCHELLINGS die REiNHOLD-BARDiLische Philosophie. Drittens läßt er die guten Argumente dieser Philosophie für die spätere Ausgestaltung seines Systems und für die damit einherlaufende Abgrenzung von SCHELLING nicht außer acht. Das soll nicht heißen, daß Hegels Kritik an REINHOLD nur ein taktischer Schachzug auf dem Weg der Etablierung seines philosophischen Systems ist. Hegel ist sehr wohl auch darum bemüht, auf bestehende sachliche Unterschiede aufmerksam zu machen. Das Problem dabei ist allerdings, daß ihm dies aufgrund der polemischen Ausgangslage, wel* Es dauert allerdings gut ein Jahr, bis Reinhold endgültig von Jacobis Glaubensphilosophie abrückt und sich dem Bardilischen Standpunkt des Erkennens anschließt. Vgl. dazu C. G. Bardilis und C. L. Reinholds Briefwechsel über das Wesen der Philosophie und das Unwesen der Spekulation. Hrsg, von C. L. Reinhold. München 1804. 247—251. Einige Auszüge aus früheren Briefen Reinholds an Bardüi finden sich bereits im ersten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht. (Siehe Alexander von Schönborn: Karl Leonhard Reinhold. Eine annotierte Bibliographie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. 92). 31 Dazu vor allem sein polemisches Gespräch zwischen dem ,Verfasser und einem Freund' Ueber das absolute Identitäts-System und sein Verhältniß zu dem neuesten (Reinholdischen) Dualismus. (In; GW4. 129—173. Siehe auch die dazugehörige Notiz Ein Brief von Zettel an Squenz: GW4. 190-194).

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che die bestehenden Gemeinsamkeiten mit der Gegenposition verdeckt, nur mangelhaft gelingt. Im folgenden soU deshalb anhand von Hegels hauptsächlichen Vorwürfen gegen REINHOLD der Versuch unternommen werden, die tatsächlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Positionen herauszuheben.

a) Der Vorwurf der abstrakten bzw. formalen Identität Der Begriff der „Identität" ist ein Schlüsselbegriff in der Debatte zwischen ScHELLiNG und Hegel einerseits, BARDILI und REINHOLD andererseits. Dabei tritt er bei Hegel und SCHELLING in mindestens drei Bedeutungen auf. Erstens im Sinne einer Identitätssetzung durch einen Satz oder Grundsatz, die mittels der Formel „A=A" exemplifiziert wird, zweitens als vereinigungstheoretischer, die Prinzipien- und Systemeinheit des philosophischen Systems kennzeichnender Begriff, wobei er hier so etwas wie harmonische, umfassende Einheit von Subjektivität und Objektivität, Transzendental- und Naturphilosophie bedeutet, drittens als wahrheitstheoretischer Begriff, bei dem die Frage der Übereinstimmung von Subjektivem und Objektivem im Mittelpunkt steht. In Hegels Differenz-Schrift sind vorerst nur die ersten beiden Bedeutungen von Belang, die wahrheitstheoretische Bedeutung wird erst später, in der Phänomenologie des Geistes, thematisiert. Was die erste Bedeutung betrifft, lautet Hegels Verdikt, mit Identitätssetzungen oder philosophischen Grundsätzen des Typs „A=A" könne die Philosophie nicht beginnen. Damit wird nicht nur der Argumentationsgang im § 1 von FICHTES Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre kritisiert, sondern im selben Atemzug der REiNHOLD-BARDiLische Anfang mit einem „Denken als Denken", das mittels der Identitätsformel „A als A in A durch A" ausgedrückt wird. Hegel wendet in diesem Zusammenhang gegen REINHOLD und BARDILI ein, was zuvor JäSCHE und FICHTE aus unterschiedlicher Position eingewandt haben und was zur selben Zeit auch SCHELLING monierü^; Das „A als A in A durch A" REINHOLDS und BARDILIS 32 Jäsche macht gegen Bardili die gleiche Kritik geltend wie Kant zwei Jahre zuvor in seiner „Erklärung gegen Fichte"; Aus BardiUs formalem Satz der Identität könne kein „reales Objekt" herausgefunden werden (siehe Kant: Schriften zu Logik und Metaphysik 2. Werkausgabe. Hrsg, von W. Weischedel. Bd 6. 430). Nach Fichte wird in der Reinhold-Bardilischen Identitätsformel die Reflexion und Setzungsstruktur seines „A=A" im § 1 der Grundlage verkarmt, weshalb sie ein vöUig unbrauchbares Prinzip darstelle (siehe Fichte: BardiH-Rezension. In: Fichte: Gesamtausgabe \I7. 437, 447 f). Nach Schelling handelt es sich bei der Reinhold-Bar-

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sei lediglich das Prinzip der „unendlichen Wiederholbarkeit" und insofern eine „abstrakte Einheit" oder „absolute Formalität".33 Eine nähere Betrachtung zeigt uns, daß dieser Vorwurf grundsätzlich auf einer verkürzten Interpretation der besagten Identitätsformel beruht. Obschon REINHOLD und BARDILI von einem — durch den Gedanken der mathesis universalis geprägten — Paradigma des Denkens als eines „Rechnens" und „Berechnens" ausgehen^^, restringieren sie die Identitätsformel keineswegs auf eine Wiederholbarkeit des A, auf eine logische Einheit des Begriffes oder auf das logische Identitätsprinzip. Ebensowenig soll die Formel, wie FICHTES „A=A", als Beispiel für eine evidente Tatsache des Bewußtseins oder als Grundsatz genommen werden. Mit dieser Formel kennzeichnen REINHOLD und BARDILI vielmehr eine als „principium rationis" zu fassende^^, auf eine Einheit von Denken und Sein angelegte Grundstruktur des „Denkens als Denkens", die im Hinblick auf die „Anwendung" desselben, d. h. auf die konkrete Darstellung und Begründung der anfangs nur behaupteten Einheit spezifiziert wird. Das „A als A" wird dabei als „modus generalis", „A in A" und „A durch A" werden als „modi speciales" vorgestellt.3^ Während der modus generalis für die Relation von Einem und Vielem steht, stehen die beiden Modi für die ursprünglichen Kategorien der Inhärenz und Kausalität. Wichtig ist dabei, daß der modus generalis auf einer höheren Anwendungsstufe als das Eine, welches selbst Vieles ist („A bezeichnend das Eine, welches sich selbst gleich, unwandelbar unter allem Wandel, und unendlich wiederholbar als A, das Wesen unseres Denkens ausmacht")37, begriffen und erst auf einer unteren Anwendungsstufe unter dem Aspekt des rechnenden Denkens als das Eine, wiederholbar im Vielen („A als Einheit in A, A, A usw., mithin ... im Vielen"), aufgefaßt wird33. REINHOLD verdeutlicht in seiner Rezension des Grundrisses diese bei BARDILI nicht immer klar herausgehobene Stufung, indem er die „Unendlichkeit" und „Wiederholbarkeit" als solche klar über die „mathematische Unendlichkeit" hebt, welche selbst nicht unendlich sei, sondern

dilischen Identitätsformel lediglich um die „blosse logische" Identität des „Gattungsbegriffes" (vgl. GW 4. 147). 33 Vgl. GW 4. 18 f, 24 f. 3* Siehe Bardili: Grundriß. 2. 35 Vgl. ebd. 204. 35 Vgl. ebd. 14, 71, 76, 37 Vgl. ebd. § 11. 38 Vgl. ebd. § 7.

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nur „endlich ins Unendliche" laufe.Und im ersten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht behandelt er das Verhältnis von Einheit und Vielheit auf dem Hintergrund der Unterscheidungen „absolut"/ „relativ" und „unendlich"/ „endlich"40 und konstruiert damit eine Stufung, bei der die absolute Einheit als das höchste Eine zu verstehen ist und aller (auch der absoluten) Vielheit vorausgesetzt werden muß. Die absolute Vielheit wird in Anknüpfung daran als die „unendliche Wiederholbarkeit" des Einen verstanden, eine „Wiederholbarkeit", die im Einen selbst und nicht in einem Anderen besteht. Die mit dem Rechnen gegebene Einheit und Vielheit ist dagegen nur eine relative, das Eine besteht hier im Anderen, im Vielen. Nun wird Hegel zwar dem Verständnis der REiNHOLD-BARDiuschen Identitätsformel zumindest insofern besser gerecht als JäSCHE, FICHTE und ScHELLiNG, als er in der Folge berücksichtigt, daß es REINHOLD und BARDILI nicht bloß um das Denken als solches, sondern auch um eine Anwendung desselben geht und daß die Kritik folglich exakt an diesem Punkt einsetzen muß. So konstatiert Hegel, in REINHOLDS Anwendung des Denkens werde dasselbe „zwar auch antinomisch, indem A in der Anwendung der That nach als B gesetzt" sei, und deshalb zu einem Prinzip nicht bloß des Verstandes, sondern der „Vernunft".Und darauf folgt dann auch die entsprechende neue Kritik; „Aber diese Antinomie ist ganz bewußtlos und unanerkannt vorhanden, denn das Denken, seine Anwendung, und sein Stoff stehen friedlich nebeneinander."^ Mit dieser modifizierten Interpretation und Kritik Hegels wird jedoch letztlich die verkürzte Darstellung der Formel nicht wettgemacht, sondern durch eine Verschiebung des Identitätsbegriffs auf einen Aspekt der zweiten, vereinigungsphilosophischen Bedeutung von Identität fortgesetzt. Wie der kritische Einwand Hegels verrät, stellt sich für ihn das Problem der formalen Identität im Zusammenhang einer bestimmten Weise der Entgegensetzung und des Übergehens von Bestimmungen. Kurz: Es ist seines Erachtens ein Aspekt des Dualismus, der die Crux des formalen Identitätsdenkens bei REINHOLD und BARDILI ausmacht. DaVgl. C. L. Reinhold: Allgemeine Literatur-Zeitung. 1800. Nr 127—129. 5.—7. Mai 1800. Stuttgart b. Löflund. Grundriss der ersten Logik, von C. G. Bardüi. Nr 127. Col. 276. ^ Siehe: C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 1. 104 ff — Zur Zeit von Hegels Abschluß der Differenz-Schrift (Vorrede Juli 1801) hegen sicher Reinholds Hefte 1 (Vorrede 3. Januar 1801) und 2 (Vorrede 30. März 1801) vor. Hegel bezieht sich in seiner Auseinandersetzung aber ausschheßUch auf das erste Heft, das zweite wird nur an einer Stelle (GW 4. 80) kurz erwähnt. « Vgl. GW 4. 82. Z22f. « Vgl. ebd. 82. Z 23-25.

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durch wird es in neuer Weise irreführend, wenn Hegel von der „abstrakten Einheit" oder der „absoluten Formalität" der Identitätsformel spricht. Denn unter dieser neuen Bedingung kann doch nur gemeint sein, daß sie Ausdruck von etwas ist, das auf einer „abstrakten" oder „formalen" Entgegensetzung beruht. Hinsichtlich der Annahme, daß eine abstrakte, formale Identität zur Aufstellung eines philosophischen Systems nicht genügen kann, daß vielmehr eine absolute Identität vorausgesetzt werden muß, besteht zwischen REINHOLD und Hegel in der Tat keine Uneinigkeit.

b) Der Vorwurf der dualistischen Identität und der Gegenvorwurf der Duplicität Der Vorwurf des Dualismus ist der Hauptvorwurf, den Hegel gegen REINHOLDS neueste Lehre erhebt. Näher besehen taucht er auf mindestens drei unterschiedlichen Ebenen auf. Zum einen wird das im Rahmen der „Anwendung" des „Denkens als Denkens" explizierte Verhältnis von „Form" und „Stoff" hervorgehoben. Mit diesem Verhältnis werde keine harmonische Beziehung beschrieben, sondern eine Übermacht der Form statuiert, insofern der Stoff sich der Form zu „fügen" habe.'*^ in Anlehnung an FICHTE weist Hegel darauf hin, daß REINHOLD bereits in der Elementarphilosophie in zentraler Weise mit diesem Begriffspaar operiert hatte, und spricht von REINHOLDS neuer Lehre als einer „aufgewärmten Elementar-Philosophie" (1).^ Zum zweiten wird der Vorwurf des Dualismus im Zusammenhang des, die Anwendung des Denkens ermöglichenden, Verhältnisses von Denken und „Nicht-Denken" bzw. „Materie" geäußert. REINHOLD setze in diesem Rahmen ein Verhältnis von Denken und Materie voraus, in dem die Materie gleichsam von außen hinzu „postuliert" werden müsse.Dadurch werde die in Anspruch genommene grundsätzliche Einheit von Denken und Sein in zweifacher Weise unterlaufen. Einmal, indem eine Anwendung des Denkens zur Einheit von Denken und Sein hinzutrete^^, zum zweiten, indem diese Anwendung aufgrund des Verhältnisses von Denken und Materie dualistisch gedacht werde (2). Drittens wird der Vorwurf des Dualismus von Hegel mehr oder weniger unterschwellig auch gegen REINHOLDS Begriffssystem « Vgl. ** Vgl. « Vgl. 4« Vgl.

ebd. ebd. ebd. ebd.

82. 88. 87. 18.

Z 32; 88. Z 29; 90. Z 6. Z 34 f. Z 34 f; 88. Z 3. Z31; 19. Z 10.

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und sein Philosophieverständnis gerichtet. Nach Hegel hantiert REINHOLD nicht nur mit statischen Begriffen, sondern verfehlt mit seiner „Begründungs- und Ergründungstendenz" auch die eigentliche Aufgabe der Philosophie (3). Hegel stellt dagegen sein eigenes, mit SCHELLING geteiltes Ideal einer „absoluten Identität" von Subjektivem und Objektivem, die eine ausbalancierte, harmonische, die Selbständigkeit der beiden Pole bewahrende Einheit von Subjekt und Objekt sein soll. Im Medium des spekulativen Wissens wird diese absolute Einheit als ein Eins- bzw. Aufgehobensein und zugleich als Differentsein von Subjekt und Objekt gefaßt und mittels der Formel der „Identität der Identität und der Nichtidentität" festgehalten.47 Im Zusammenhang der Einheit des „subjektiven Subjekt-Objekt" (Transzendentalphilosophie) und des „objektiven Subjekt-Objekt" (Naturphilosophie) übernimmt Hegel auch die ScHELLiNGsche Vorstellung von der „Indifferenz" von Subjektivem und Objektivem“*® und spricht von der „reellen Synthese" als dem „absoluten Indifferenzpunkt", in welchem die beiden Pole „dadurch vernichtet sind, daß sie vereinigt beyde bestehen"“*^. Gegen REINHOLDS „Ergründungs- und Begründungstendenz" wird schließlich hervorgehoben, daß Philosophieren ein „Bedürfnis" nach Aufhebung von „Entzweiung" sei und daß es darum zu tun sein solle, starre begriffliche Entgegensetzungen in ein flüssiges Begriffssystem zu überführen. Ad 1) Mit seinem Hinweis auf das Form-Stoff-Verhältnis trifft Hegel in der Tat einen wunden Punkt des REiNHOLDschen Denkens, der bis zur Elementarphilosophie zurückreicht. Dort hatte REINHOLD Form und Stoff als die „inneren Bedingungen" des VorstellungsVermögens bestimmt und stieß auf die Schwierigkeit, daß dieses Begriffspaar der Forderung nach einem die KANTischen Erkenntnisstämme vereinenden Vorstellungsvermögen widerstrebte, was insbesondere durch die Versuche FRIEDRICH SCHILLERS, zwischen Formtrieb und Stofftrieb eine angemessene Mitte, den Spieltrieb, zu finden, offenbar wurde. Jetzt wird das Form-Stoff-Verhältnis wiederum herangezogen, um aus der Anwendung des Denkens auf die Materie das Zustandekommen eines „Objektes" zu explizieren. Nun darf man allerdings die bloße Tatsache, daß REINHOLD mit dem Form-Stoff-Verhältnis operiert, nicht überbewerten. Insbesondere darf man den Kontext, in dem dieses Begriffspaar auf47 Vgl. ebd. 64. Z 14. 4® Siehe Schelling: Darstellung meines Systems. In: Schelling: Sämtliche Werke. 1/4. 114. 49 Vgl. GW4. 75. Z 16 f.

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taucht, sowie seine nähere Bedeutung nicht außer acht lassen. So wird das Form-Stoff-Verhältnis sowohl bei BARDILI wie bei REINHOLD nur zur Beschreibung der mechanischen Objektwelt verwendet, die Generierung der organischen Objektwelt (Pflanze, Tier, Mensch) wird dagegen mittels einer Formpotenzierung dargestellt, in welcher das Verhältnis von „Teilen" und „Ganzem" dominant ist.^^’ Zudem wird das Form-StoffVerhältnis nur bei BARDILI mit einer eindeutigen Unterordnung des Stoffes konnotiert, so beispielsweise als ein „Zernichten" des Stoffes durch die Form.51 REINHOLD dagegen bedient sich hauptsächlich einer Aufhebungs-Terminologie: In der Anwendung des Denkens wird die Materie als solche „aufgehoben, zugleich aber ein an derselben im Denken und durch dasselbe Unvertilgbares herausgehoben"An anderer Stelle verwendet REINHOLD die Trias „Aufhebung“, „Heraushebung" und „Erhebung“ Diese näheren Umschreibungen der Bewegung im Form-Stoff-Verhältnis sind sicherlich kaum problematischer als Hegels eigenes Verständnis von einer Aufhebung der Gegensätze, das in den Vordergrund tritt, sobald entwicklungslogische Sachverhalte erörtert werden. Erwähnenswert ist schließlich, daß REINHOLD in den Darstellungen des Rationalen Realismus vom vierten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht an das Begriffspaar Form und Stoff nicht mehr verwendet und statt dessen ein der organischen Objektwelt angepaßtes Beschreibungsmodell einführt. REINHOLD konstruiert — in Anlehnung an den LEiBNizschen Entwicklungsgedanken — einen Dreischritt vom „nexus", „coalitio" und „compositio", demzufolge ein gegebenes Ganzes („nexus") mittels einer „coalitio" geteilt und mittels einer „compositio" rekomponiert wird.^ Ad 2) Die Anwendung des Denkens muß nicht unbedingt, wie Hegel hervorhebt, äußerlich zur vorausgesetzten Einheit von Denken und Sein hinzutreten. Dies jedenfalls dann nicht, wenn man unterstellt, daß die These der Einheit von Denken und Sein als erkenntnismethodisches Regulativ aufgefaßt wird. In diesem Ealle wird es der Anwendung des Denkens überlassen, welche bestimmten Denkprinzipien sich auch als Seinsprinzipien erweisen. Bei REINHOLD zeichnet sich — im Unterschied

^ Vgl. Bardili: Grundriß. Bes. 109, 135.; C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 3. 142 ff, 203. Vgl. Bardili: Grundriß. 67. 52 Siehe: C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 2. 182. 53 Vgl. ebd. 194. 54 Vgl. ebd. z. B. Heft 6. 22, 113 ff.

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— denn auch eine solche Deutung ab, was dazu führt, daß nicht mehr vom Denken als solchem zur Anwendung desselben geschritten, sondern direkt von einem Prinzip des angewandten Denkens ausgegangen wird.®^ ln bezug auf den zweiten Punkt, den Vorwurf des Dualismus von Denken und Materie, muß genauer beachtet werden, daß nicht nur Hegel aus seiner Position einer absoluten Identität heraus, sondern auch REINHOLD aus seiner Position einer das Moment der ursprünglichen Differenz einbeziehenden Einheitsvorstellung gute Gründe hat, seinen Kontrahenten des Dualismus bezichtigen zu können. Die Ungereimtheit der REiNHOLD-BARDiLischen Einheitsvorstellung besteht darin, daß unter der Voraussetzung der Einheit von Denken und Sein einerseits und der Anwendung des Denkens andererseits auch eine metaphysische Einheit behauptet wird. Dadurch entsteht die Doppelgestalt eines objektiv idealistischen — die Einheit von Denken und Sein repräsentierenden — und eines empiristischen — die Dualität von Denken und Materie repräsentierenden — „realistischen" Einheitssystems. Und es erhebt sich sogleich die Frage, wie eine Einheit von Denken und Sein zusammen mit der Annahme eines Gegensatzes von Denken und Materie (= Nicht-Denken) konsistent vertreten werden kann. Das Denken müßte dann entweder auch das „Nicht-Denken" in sich enthalten, was zu einer contradictio in adjecto führt, oder es müßte das Nicht-Denken aus sich ausschließen, wodurch der Forderung einer absoluten Einheit von Denken und Sein nicht Genüge getan wird. Aus dieser Perspektive hat Hegel mit seiner Gegenvorstellung einer absoluten, totalen Identität natürlich relativ leichtes Spiel. REINHOLD versucht in seiner Weiterentwicklung des Rationalen Realismus, dieser Schwierigkeit insofern Herr zu werden, als er eine auf die ursprüngliche Anwendung des Denkens zugeschnittene Konzeption einer viergliedrigen „Analysis"^^, bestehend aus „Thesis", „Hypothesis", „Antithesis" und „Synthesis", vorlegt und darin die Einheit von Denken und Materie durch ein „Ur-Verhältnis" von ursprünglicher ZU BARDILI^S

^ Die These der Einheit von Denken und Sein ist bei BardUi mehrdeutig. Anders als Reinhold geht er auch von einer ursprünglichen Einheit von logischen Denkgesetzen und Seinsgesetzen aus. Vgl. Bardili: Grundriß. Vorrede. XII ff. 56 Diese Auffassung Reinholds wird vor allem in den beiden letzten Heften der Beiträge zur leichtern Übersicht (siehe Heft 5. 18, Heft 6. 24.) von Bedeutung. 5^ Reinholds „Analysis" ist nicht, wie Hegel meint, ein Begründen der Realität von Erkermtnis durch „Trennen" (vgl. GW4. 79. Z 30 f), sondern ein — sich an Platos dialektisches Verfahren im „Liniengleichnis" anlehnendes — viergliedriges Begründungsverfahren, welches kurz als ein „Zurückführen" einer Bedingung oder Voraussetzung auf ihren Grund umschrieben wird (vgl. Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 2. 93 ff; Heft 4. 213).

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Einheit (Thesis) und ursprünglicher Differenz (Hypothesis) ersetzt. Damit bleibt nun auf der einen Seite die Frage offen, wie das Zusammen von ursprünglicher Einheit und ursprünglicher Differenz in diesem Ur-Verhältnis in concreto gedacht wird, und insoweit bleibt auch die Hegelsche Kritik resistent. Auf der anderen Seite entwickelt REINHOLD daraus aber ein Instrument für seine Zurückwendung des Dualismus-Vorwurfs auf das ScHELLiNG-Hegelsche Identitätssystem. REINHOLD kann nun seinerseits darauf hinweisen, daß ein Identitätssystem einer mit der Einheit anhebenden ursprünglichen Differenz bedarf, um sich als solches überhaupt sinnvollerweise begründen zu können. Ein Einheitssystem, welches das Moment der Differenz nur immanent, als Mittel der Entfaltung oder Selbstdarstellung einführt, hat kein Kriterium für den Nachweis an der Hand, daß es nicht von einer ursprünglichen Sc/ieinidentität ausgeht, daß es in Wirklichkeit nicht ein Differentes ausschließt und so unbewußt eine „Duplicität" konstruiert. Auf dieser argumentativen Basis richtet sich REINHOLD nun insbesondere gegen SCHELLINGS Einführung der Differenz aus Gründen des bloß „erklärenden" Wissens^^ und gegen dessen Einheit als „Indifferenz" von Subjektivem und Objektivem^o. Die ScHELLiNGsche Indifferenzthese liefert aus REINHOLDS Sicht nicht nur den expliziten Beweis einer scheinanfälligen, weil differenzverschlingenden Einheit, sondern sie führt auch zu einem Verhältnis von Indifferenz und Differenz, das, falls die Differenz im Indifferenten liegt, zu einer Selbstzerstörung des letzteren führt, oder aber, falls die Differenz jenseits der Indifferenz liegt, die Indifferenz sinnlos werden läßt. Man ersieht aus dieser Streitkonstellation, daß REINHOLD den Dualismus-Vorwurf im Unterschied zu Hegel und SCHELLING nicht nur auf einer vereinigungstheoretischen (Nihilismusvorwurf), sondern auch auf einer begründungstheoretischen Voraussetzung (Scheineinheit) erhebt und deshalb die Forderung ins Zentrum rückt, das Ursprungsprinzip müsse im Hinblick auf dessen Begründung ein Nexus von Einheit und Differenz sein, in dem beide Glieder zugleich in ihrer Eigenständigkeit festgehalten werden. Daß im Endeffekt nicht nur Hegel auf eine vereinigungsphilosophische Schwäche von REINHOLD Einheitsvorstellung, sondern auch REINHOLD auf eine begründungstheoretische Schwäche des ScHELLiNG-Hegelschen

Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 2. 181; Heft 5. 18, Heft 6. 24. ^ Vel. C. L. Reinhold: Rezension von Schellings System des transzendentalen Idealismus. (Vel. Anm. 27). Col. 365. ^ Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 3. 182 ff.

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Identitätssystems hinweist^i, zeigt sich allein daran, daß Hegel im Gange zur Phänomenologie des Geistes den begründungs- und wahrheitstheoretischen Aspekten seines wissenschaftlichen Systems eine weit größere Bedeutung zumißt. Ad 3) Berücksichtigt man Hegels Begründungsversuch einer wissenschaftlichen Position der Philosophie, wie er in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes exponiert wird, kommt man zum Schluß, daß seine Polemik gegen die das eigentliche Ziel der Philosophie verfehlende REINHOLDsche „Ergründungs- und Begründungstendenz" vorübergehender Natur ist. Sie entsteht offenkundig, weil Hegel zur Zeit der Differenz-Schrift in erster Linie der Frage einer adäquaten Vorstellung von der Einheit des Absoluten nachgeht und das Problem der Darstellung eines, über den antinomischen Reflexionsstandpunkt hinausgehenden, reflexiven und intellektuell anschauenden Wissens des Absoluten zu bewältigen versucht. Anders verhält es sich mit Hegels Vorwurf, REINHOLD hantiere mit einer ungelenken Begrifflichkeit. Dieser Vorwurf, auf den Hegels stets wiederkehrender Ausspruch, REINHOLD „reduziere" die Philosophie auf Logik^2^ anspielt, ist von nachhaltiger Bedeutung und zielt ins Zentrum der sowohl für Hegel wie für REINHOLD relevanten Aufgabe, eine angemessene logisch-begriffliche Darstellung von Prozessen des Aufhebens von Widersprüchen, des Werdens und Übergehens vom Einen ins Andere zu finden — von Prozessen, die unmittelbar mit der organischen Struktur der Logik-Konzeption Zusammenhängen. Um klären zu können, weshalb und mit welchem Recht Hegel REINHOLD starre Begrifflichkeit vorwirft, gilt es zunächst näher festzuhalten, von welcher Auffassung einer flexiblen, den Momenten der Prozessualität angemessenen Begrifflichkeit er selbst auszugehen gedenkt. Wir haben bei der Klärung der Identitätsfrage gesehen, daß Hegel Sätze oder Grundsätze auf der Stufe des Verstandes für völlig ungeeignet hält, das Absolute auszudrücken, zumal danüt seines Erachtens nur in einer bewußtlosen Weise Antinomien produziert werden. Die Vernunft, die beFreilich muß man schon in dieser Phase auf Unterschiede ScheUings und Hegels aufmerksam machen. Hegel betont in der Differenz-Schrift das Moment einer nicht nur darstellenden und sich aufhebenden, sondern auch sich irüttels Reflexion der Reflexion zum Absoluten hinkonstruierenden Differenz weit stärker als Schelling (siehe dazu Kurt. R. Meist: Hegels Systemkonzeption in der frühen fermer Zeit, ln: Hegel in ferm. Hrsg, von D. Henrich und K. Düsing. Bonn 1980. 62 ff). Dennoch stehen auch bei Hegel begründungstheoretische Überlegungen in dieser Zeit noch nicht im Vordergrund. Hegel müßte hier natürlich sagen: auf eine bestimmte Form von Logik. Denn er kann sich ja nicht generell gegen die Aufstellung einer Logik wenden, zumal er doch spätestens ab Herbst 1801 selbst ein solches Projekt verfolgt.

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wußt und reflektiert von einem antinomischen Charakter ihrer Bestimmungen ausgeht, erscheint ihm dagegen schon als besserer Kandidat zur Erfassung des Absoluten. Dort, wo die Vernunft die Antinomie als einen sich setzenden und sich selbst aufhebenden Widerspruch und wo somit die Antinomie eine sich selbst vernichtende Bestimmung produziert, ist sie am nächsten beim Absoluten. Die so beschriebene Antinomie ist der höchste Ausdruck, der vom Absoluten auf dem Standpunkt der Reflexion geleistet werden kann.^3 Die „transzendentale Anschauung"^ des Absoluten ist jenes Medium, das hinzutreten muß, wenn dieser Standpunkt überschritten werden soll. Dabei denkt Hegel sich das Verhältnis von negativer, sich selbst zerstörender Reflexion und positiver, transzendentaler Anschauung derart, daß mit ihm der selbstzerstörerische Prozeß in ein geregeltes Werden zum und Produzieren des Absoluten verwandelt wird. Hegel bringt in dieser Hinsicht mit der erklärten Aufgabe, „Seyn" und „Nichtseyn" seien im „Werden" zu vereinigen^^^ wie auch mit dem Gedanken des „Producirens"^ im Werden bereits Bestimmungen der Wissenschaß der Logik ins Spiel, allerdings werden sie noch ganz metaphorisch verwendet. Eine logisch-strukturelle Vollzugsform des Werdens und Produzierens kündigt sich erst nach der Dißerenz-Schriß 1802 in Glauben und Wissen mit der Denkfigur der „Negation der Negation" an, und sie wird erst in Hegels Logik-Konzeption von 1804/05 voll ausgebildet.^7 Was REINHOLD betrifft, befindet er sich insofern in einer ähnlichen Problemlage wie Hegel, als er ein selbstzerstörerisch widersprüchliches Verhältnis von Identität und Nichtidentität in einer Weise zu bannen hat, daß sich daraus ein geregeltes Fortschreiten der Bestimmungen ergibt. REINHOLD spricht in dieser Beziehung von einem „Aufheben" des „Widerspruchs" und entfaltet im letzten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht den Gedanken einer „successiven Aufhebung" von „vier Widersprüchen", die analog zur viergliedrigen Analysis angesetzt werden.^® Im Unterschied zu Hegel ist REINHOLD aber nicht darum bemüht, eine logische Struktur des Fortschreitens herauszuarbeiten. Erst in den Darstel« Siehe GW 4. 18. Z 13 ff; 26. Z 16 f. « Vgl. ebd. 27 ff. 65 Vgl. ebd. 16. Z5ff. 66 Vgl. ebd. 14. Z 10. 67 Zur Herausbildung des Negationsbegriffs in Hegels Jenaer Zeit siehe: Thomas Kesselring: Die Produktivität der Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik. Frankfurt a. M. 1984. 140 ff; Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Boim 1986. 196 ff, 249. 66 Siehe Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 6. 29, 32, 46 —49.

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lungert des Rationalen Realismus ab dem vierten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht beginnt REINHOLD, das Moment des „Werdens" des „Veränderlichen"^^ im Rahmen des Begriffs des angewandten Denkens zu erörtern. Von BARDILIS Logik-Konzeption kann er für dieses Problem wenig Hilfe erwarten. Im Gegenteil: BARDILIS betont PARMENiDEische Grundhaltung in bezug auf das Verhältnis von Denken und Nicht-Denken erweist sich hierfür als Hindernis. BARDILI folgert aus seiner Erklärung eines über den Qualitätsunterschieden stehenden Begriffs des Denkens als solches, „Widerspruch" und „Negation" seien Momente des Nicht-Denkens, was bei ihm mit der These einhergeht, wonach die Beiziehung der Negation zur Kopula in den Urteilen der Relation das Denken oder den affirmativen Grundcharakter der Kopula zerstöre.Daß für das Theorem des hypothetischen Beginnens und des Zurückführens eines ersten Gegebenen auf seinen Grund ein bestimmtes Verständnis von Negation unabdingbar ist, wird nicht thematisiert. Hegels Vorwurf der ungelenken Begrifflichkeit deutet somit auf jeden Fall auf ein auffälliges Defizit des Logischen Realismus hin. Obschon Hegel, wie gesagt, zur Zeit der Differenz-Schrift selbst noch über keine logische Struktur antinomischen Fortschreitens verfügt, ist bei ihm im Unterschied zu REINHOLD von Beginn an das Bemühen ersichtlich, die Idee des antinomischen Fortschreitens mit einer prozessualen Begrifflichkeit auszudrücken.

c) Das hypothetische Beginnen. Der Vorwurf des Glaubensdogmatismus und des unendlichen Anlaufens in die Philosophie Eine weitere zentrale Kritik in Hegels Kontroverse mit REINHOLD betrifft das REiNHOLDsche Begründungskonzept. REINHOLD hat die Begründung der „Realität" von „Erkenntnis" so angesetzt, daß mit einem „ersten", „hypothetischen" Wahren zu beginnen ist, welches sodann auf ein „Urwahres" zurückgeführt werden soll. An anderer Stelle exemplifiziert REINHOLD dieses Begründungsverfahren auch als ein durch die viergliedrige Analysis hindurchlaufendes „Zurückführen" einer anfänglichen „Bedingung" auf ihren „Grund". Hierzu wirft Hegel REINHOLD vor, dieses Unternehmen sei Ausdruck eines vorläufigen oder provisorischen Philosophierens, einer Vorhof-Philosophie, welche nicht zum Erkennen Vgl. ebd. Heft 4. 223. ^0 Siehe Grundriß. § 12. 6 ff. 69

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des Absoluten gelange, sondern lediglich zu einem perennierenden, bodenlosen „Anlaufen" zum Absoluten/^ Diesem vergeblichen Philosophieren vor dem Absoluten entsprechend, erscheine das Absolute nur als ein völlig reflexionsloses, fertiges Produkt, nur als ein sich aus dem Unbegreiflichen offenbarendes Ergebnis.^ ln diesem Zusammenhang fällt auf, daß Hegel offenkundig der Ansicht ist, REINHOLDS hypothetisches Beginnen sei lediglich die abstrakte Kehrseite seiner Grundsatzphilosophie, der Grundsatz-Dogmatismus und der Hypothesis-Skeptizismus seien im Grunde nur zwei Seiten ein und derselben REINHOLDschen Un-Phüosophie. Denn REINHOLDS Philosophie steht für Hegel nun sowohl für eine Philosophie, die dem „Wahn" verfallen ist, die Philosophie mit einem „absoluten Grundsatz" beginnen zu wollen, als auch für eine Philosophie, die jetzt ins Gegenteil übergehen mußte und nur noch mit einem zögerlichen und letztlich haltlosen Herantasten ans Absolute beginnen kann. Betrachten wir die Sache näher, so ergibt sich, daß Hegels Kritik zwar nicht in allen Punkten ins Leere trifft, daß sie jedoch den REiNHOLDschen Problemkomplex des hypothetischen Beginnens reichlich verkürzt darstellt und so jene Problemstellungen und Lösungsversuche verdeckt, in denen er mit REINHOLD übereinstimmt. Dies zeigt sich, wenn wir darauf achten, daß BARDILI und REINHOLD den Begriff des Hypothetischen in unterschiedlicher Weise verwenden. Der Begriff des Hypothetischen, der bei BARDILI und REINHOLD seinen Ort im angewandten Denken hat, ist mehrdeutig. BARDILI spricht zum einen von dem mit dem angewandten Denken anzusetzenden Stoff als einer „Hypothesis (Unterlage, Voraussetzung)"^^, ln dieser Form erscheint die Hypothesis als eine notwendig anzunehmende Relation von Denken und Stoff, bzw. als das darin durch den Stoff repräsentierte Glied, ln gleicher Weise wird die Hypothesis innerhalb von REINHOLDS Begriff der Analysis definiert, ist sie doch die den Stoff repräsentierende Bestimmung im Verhältnis zum Denken (Thesis). Hypothesis wird hier also wörtlich verstanden: als dasjenige, was dem Denken unterliegt bzw. mit dem Denken vorauszusetzen ist. Zweitens spricht BARDILI von der Hypothesis als der notwendigen Annahme alles Daseins, wie es uns gegeben ist und wie es auf das Sein höherer Ordnungen zurückgeführt wird.^^ In diesem Falle steht das Verhältnis von gegebenem Stoff oder Hypothese 71 72 73 74

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

GW 4. 83. Z4, 10. GW4. 85. Z 13-86. Z 17. Bardili: Grundriß. 256. ebd. 258.

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zum vollständig bestimmten Sein oder der aufgehobenen Hypothese im Vordergrund. Hypothesis wird dieser Redeweise nach als entwicklungslogische Entität verstanden: als das unentwickelte, mangelhaft bestimmte Etwas. Drittens taucht sowohl bei BARDILI als auch bei REINHOLD der Begriff der Hypothesis in logisch-erkenntnistheoretischer Bedeutung auf. Die Hypothese ist die Annahme X, die im Rahmen des Begründungsganges auf ihre Gültigkeit hin zu prüfen ist. Die Annahme ,X ist eine Hypothese' heißt in diesem Falle: X ist ein Vorausgesetztes, das nur hypothetisch oder problematisch gewiß ist. Was das Verhältnis zwischen BARDILI und REINHOLD einerseits und Hegel andererseits in dieser Sache betrifft, verdient es festgehalten zu werden, daß Hegel sich in seiner Kritik an REINHOLDS Theorem des hypothetischen Beginnens allein auf die dritte Bedeutung bezieht und die anderen beiden stillschweigend akzeptiert. Jedenfalls läßt sich keine wesentliche Differenz zwischen dem hypothetischen Beginnen BARDILIS und REINHOLDS, wie es sich aus den ersten beiden Bedeutungen ergibt, und der Hegelschen Struktur des Voraussetzens „endlicher" Bestimmungen hinsichtlich der Darstellung des Unendlichen, wie sie sich bereits in der Zeit der Differenz-Schrift abzeichnet^^, herauslesen. In der Wissenschaß der Logik wird Hegel diese Übereinstimmung dann auch explizit konzedieren. Entscheidend für Hegels Kritik ist offenkundig allein die Ansicht, wonach das als hypothetisch oder problematisch Gesetzte bei REINHOLD nicht über sich hinaus, hin zum Urwahren gelangen kann^, was letztlich ein zweifaches bedeutet: I) daß das hypothetisch oder problematisch Gewisse nie apodiktisch gewiß werden kann^®^ Hegel thematisiert das Ausgehen von „endlichen Anfängen" auf dem Weg zum Unendlichen besonders in der Vorlesung Logica et Metaphysica vom Wintersemester 1801. Siehe Manfred Baum/Kurt Meist: Durch Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten. In: Hegel-Studien. 12 (1977), 54. Hegel teilt in der Wissenschafl der Logik Reinholds Ansicht, derzufolge hinsichtlich der Struktur des Begründungsganges, des „Vorwärtsschreitens", welches vielmehr ein „Rückwärtsgehen und Begründen" ist, eine Unterscheidung zwischen einem „ersten Wahren" und einem „Wahren" überhaupt vorzunehmen ist. Siehe G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 21: Wissenschaß der Logik. Teil 1. Die objektive Logik. Hrsg, von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1985. 57. (Im folgenden GW 21). 77 Vgl. GW 4. 82. Z 26-30. 78 Wie Hegel erwähnt, muß das Absolute oder Urwahre bei Reinhold auch schon als „urwahr" gewußt werden. Denn das nur problematisch oder h5rpothetisch Gewiße kommt aus sich heraus nicht zu einer absoluten Gewißheit (vgl. GW 4. 86. Z 5—9). Diese Kritik am hypothetischen Beginnen nimmt Hegel, im Unterschied zu jener an der Differenz zwischen erstem Wahren und Wahrem, auch später, in der Wissenschaß der Logik, nicht zurück. Vgl. GW21. 57 f.

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II) daß zwischen dem hypothetisch oder problematisch Gesetzten und dem Urwahren kein Übergang oder Zusammenhalt möglich isü^, zumal REINHOLD Hegel zufolge von dem hypothetisch oder problematisch Gesetzten in einer Weise spricht, daß sich die Vorstellung des hypothetischen Setzens bald als ein Umschlagen des hypothetischen Wissens in ein „Arkanum" des Glaubens und damit als unsinnig erweist (Ila), bald zu einem unendlichen Regreß, zu einem „Anlaufen zu dem Anlaufen" führt (Ilb). Doch auch diese präzisierte Kritik Hegels an REINHOLDS hypothetischem Beginnen läßt sich bei näherem Hinsehen nur teilweise aufrecht erhalten. Daß ein hypothetisch oder problematisch Gewisses durch welche Form der Überprüfung auch immer nicht apodiktisch gewiß werden kann, daß man im Fortgang der Prüfung des hypothetisch oder problematisch Gewissen lediglich von unterschiedlichen Graden einer wahrscheinlichen Gewißheit sprechen kann, ist unbestreitbar. Dies hat innerhalb der nachkantischen Systemphilosophie bereits der FICHTE der Begriffs-Schrift nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Hegel hat deshalb gegen REINHOLD hinsichthch I) insofern Recht, als dieser gelegentlich davon spricht, mit dem Begründungsgang des Zurückführens der Bedingung auf den Grund werde von einem hypothetischen oder problematischen zu einem „kategorischen" und „apodiktischen" Prinzip der Philosophie vorangeschritten.®! Hegel hat jedoch insofern Unrecht, als er mit dieser Kritik offenbar unterstellt, ohne die apodiktische Gewißheit, ohne die Gewißheit durch das Absolute fehle einem aufgestellten Theoriegebäude jedwede Sicherheit. Ehes ist, wie die Wissenschaftstheorie unseres Jahrhunderts gezeigt hat, keineswegs der Fall. Daß Hegel auch in bezug auf Ila), den Vorwurf der unsinnigen Rede von einem hypothetischen Beginnen nur teilweise Recht behält, zeigt sich dann, wenn man darauf achtet, daß REINHOLD das hypothetische Beginnen anhand der erläuternden Vorstellung von einem „vorläufig" Gesetzten in mehreren Varianten darlegt. Im Aufsatz Was heißt philosophiren? was war es, und was soll es sein? aus dem ersten Heft der Beiträge

^ Hegel exemplifiziert das Ideal eines solchen Überganges oder Zusammenhaltes am Beispiel von Kreis und Mittelpunkt (vgl. GW 4. 82. Z 3 ff). Das Vorausgesetzte muß ein für das Absolute einheiiiüsches sein, es muß, bildlich gesprochen, sich zum Absoluten verhalten wie die Kreispunkte zum Mittelpunkt des Kreises. Vgl. /. G. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre. In: Fichte: Sämtliche Werke. Hrsg. V. I. H. Fichte. Berlin 1845/46. 1. 74—78. Vgl. C. L. Reinhold: Beiträge zur leichteren Übersicht. Heft 1. 74 f; siehe auch Heft 3. 130.

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zur leichtern Übersicht spricht REINHOLD von einer „Vorläufigkeit" in drei bemerkenswerten Zusammenhängen: 1. Im Anschluß an die Behauptung, er „werde es zu seiner Zeit beweisen", daß das Philosophieren den Glauben an die Wahrheit „voraussetze", hält REINHOLD fest: „So viel läßt sich jetzt schon vorläufig darthun, daß nicht der Mangel, sondern nur die Fülle des Glaubens an die Wahrheit die Triebfeder des Philosophierens seyn müsse, wenn Philosophieren das Bestreben seyn soll, die Realität der Erkenntnis ergründend zu bewähren. 2. REINHOLD leitet in die Darlegung, wie das wahre Philosophieren vorzugehen habe, wie folgt ein: „Das Philosophiren setzt vorläufig, um auch nur als bloßer Versuch denkbar zu seyn, voraus: Erstens, daß es ein An sich selbst Wahres und Gewisses gebe . . . Zweitens aber auch, daß es im Menschen . . . eine nur scheinbare und an sich unwahre Erkenntniß geben könne . . . 3. Im Rahmen der Forderung, zum Zwecke der Bewährung solle das an sich Wahre „vorhinein" in das „zu bewährende Wahre" und das „bewährende Wahre" eingeteilt werden, wird von dem „zu bewährenden Wahren" behauptet, darunter müsse „vorläufig ein Wahres" verstanden werden, das „zwar an sich, aber nicht durch sich selbst" wahr, also nicht das Urwahre sei.®^ In dem im selben Heft erschienenen Aufsatz Vorläufige Zurückführung . der Philosophie auf eigentliche Vernunftlehre ist noch in zwei weiteren signifikanten Bedeutungen von Vorläufigkeit die Rede: 4. Es wird festgehalten, die unter dem Aspekt des Zurückführens der Bedingung auf den Grund betrachtete, durch die Philosophie zu ergründende reale Erkenntnis werde „vorläufig" als die Anwendung des Denkens verstanden. Es werde „angenommen", daß die Anwendung des Denkens sowohl das durch die Philosophie zu untersuchende „Thema" als auch das „Princip", d. h. dasjenige, wovon die Philosophie auszugehen habe, sei.®^ 5. REINHOLD spricht im Zusammenhang der Frage, ob die Anwendung des Denkens subjektiv oder objektiv sei, von dem „vorläufigen, d. h. demjenigen Begriffe von der Anwendung des Denkens, als Denkens,

82 83 84 85

Ebd. Heft 1. 68. Ebd. 70. Ebd. 71. Vgl. ebd. 90.

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durch den dieselbe vor der Untersuchung, als das zu Untersuchende gedacht werden muß . . Problematisch, ja, nachgerade rätselhaft sind die Bedeutungen von „vorläufig" in 1., 2. und 4. In diesen Fällen ist in der Tat nicht einsichtig, wie sinnvoll von etwas gesprochen werden kann, was vorläufig gesetzt oder angenommen wird. Wie soll vorläufig, als zu bewährend, angenommen werden, die Triebkraft der Philosophie bestehe in der Fülle des Glaubens. Ebensowenig macht es Sinn, vorläufig vorauszusetzen, es gebe ein Wahres und ein Scheinhaftes, denn damit im Philosophieren das von REINHOLD gewünschte „Suchen" in Gang kommt, muß das Verhältnis von Wahrem und Scheinhaftem schon vorausgesetzt sein. Und welchen Grund sollte es ferner geben, die Ergründung der realen Erkenntnis als etwas anderes denn als Anwendung des Denkens zu betrachten? In bezug auf diese Punkte ist Hegels Kritik, die REiNHOLDsche Vorstellung von einem vorläufigen Setzen verrate ihren Widersinn dadurch, daß sie in ein unreflektiertes, auf dem Arkanum des Glaubens beruhendes Setzen umschlage, berechtigt. Anders verhält es sich jedoch mit der Rede von „vorläufig" in den Punkten 3. und 5. Da es sich in diesen beiden Fällen um ein vorläufiges Setzen im Rahmen der Bedingungen des Philosophierens handelt, ist die Vorstellung von einem vorläufigen Setzen durchaus angebracht. Interessanterweise wird Hegel selbst in späterer Zeit die Bedeutung von Vorläufigkeit, wie sie sich bei REINHOLD aus 5. ergibt, in seine eigene Anfangs-Konzeption aufnehmen. Was schließlich (Ilb), den Vorwurf des „Anlaufens zum Anlaufen", anlangt, entsteht umgehend die Frage, an welche Alternative zu REINHOLDs Vorgehen Hegel mit seiner eigenen Auffassung von einem Beginnen im Endlichen denkt. Welches Argument hält er bereit, um seinerseits einen Regreß des Beginnens zu vermeiden? Mit dem bloßen Versichern, das Beginnen mit dem Endlichen dürfe nur so verstanden werden, daß man sich je schon im Absoluten aufhält, ist die Sache keineswegs erledigt. Auch REINHOLD behauptet ja, das erste Wahre müsse ein „einheimischer" Begriff des Urwahren sein.^® Vielmehr muß ein Kriterium dafür angegeben werden, wie dieser Forderung eines Endlichen im 8« Ebd. 95. 8^ In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften wird Hegel mit dem „Vorbegriff" der Logik operieren, in dem das Vorausgesetzte auch mit dem Terminus „vorläufig" angezeigt wird. Siehe G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 19: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen im Grundrisse. Hrsg, von Wolfgang Bonsiepen und H.-C. Lucas. Hamburg 1989. § 5. (Im folgenden GW 19). 88 Vgl. C. L. Reinhold: Rezension von Schellings System des transzendentalen Idealismus (vgl. Anm. 27). Col. 374.

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Absoluten Genüge getan wird. Unter welcher Bedingung, so muß gefragt werden, darf man voraussetzen, daß die Gefahr eines Regresses möglichst gering gehalten wird. Anders gefragt: Wodurch ist mit dem hypothetisch Vorausgesetzten von vorneherein eine hohe Gewähr gegeben, daß es rrüt dem Absoluten übereinstimmen wird? Weder Hegel in der Differenz-Schrift noch REINHOLD in den ersten Heften der Beiträge zur leichtern Übersicht sind in der Lage, darauf eine einigermaßen befriedigende Antwort zu geben. Wie man den späteren Heften der Beiträge entnehmen kann, ist REINHOLD aber gerade darauf aus, ein Kriterium dafür zu liefern, daß das erste Wahre tatsächlich auch als ein wahres Erstes, also ein Erstes, das sich im Hinblick auf dessen Zurückführen auf das Urwahre oder Absolute als erfolgversprechend erweist, angesehen werden darf. REINHOLDS Ergebnis dieses Bemühens, das sich im letzten Heft der Beiträge findet, lautet kurz: Das hypothetisch Vorausgesetzte muß ein „Bekanntes" sein, etwas, das im natürlichen Bewußtsein als ein Bewährtes verankert ist. Dabei muß es aber zugleich ein Bekanntes derart sein, daß es in einem Verhältnis zu einem „Unbekannten" steht und sich somit im Hinblick auf ein deutliches Erkennen als fortsetzbar herausstellt.®® Das Bekannte muß sich mit anderen Worten zugleich als „ein Erkennbares anerkennen lassen . . ."®® Dabei bestimmt REINHOLD als Kandidaten für ein solches Bekanntes das ursprüngliche Verhältnis von „Identität als solcher" und „Nichtidentität als solcher". Identität und Nichtidentität dürfen, wiewohl sie anfänglich „bloße Begriffe", das „Leerste und Unfruchtbarste“ sind, doch als das „Bekannteste" in der Philosophie angesehen werden.®^ Wir wollen hier nicht der Frage nachgehen, inwieweit REINHOLD mit diesem Ergebnis das Regreßproblem in befriedigender Weise löst und inwieweit er in seiner Auswahl des genannten Kandidaten für das Bekannte eine glückliche Hand hat. Aufschlußreich für unsere Fragestellung ist hier vielmehr, daß Hegel, der wie erwähnt zunächst über kein starkes Argument für den Regreßvorwurf gegen REINHOLD verfügt, sich offenkundig im nachhinein von REINHOLDS Vorschlag inspirieren läßt. Dafür sprechen nicht nur jene Hegelschen Räsonnements in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes zum „Aufheben" des „Bekanntseins", die um den Topos „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist.

^ Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 6. 10 f, 14 ff. 90 Ebd. 11. 9t Vgl. ebd. 16.

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nicht erkannt" kreisen.^^ Dafür spricht auch das spätere Bemühen in der Wissenschaft der Logik, die Richtigkeit des Anfangs mit dem „Sein" gegen den FiCHTEschen Anfang mit dem „Ich" unter anderem dadurch zu rechtfertigen, daß es sich bei jenem im Gegensatz zu diesem um ein „Abstraktes" oder „Leeres" handle, welches zugleich ein Bekanntes, nämlich das „Bekannte schlechthin" sei.^^ Dabei spricht vieles dafür, daß Hegel sich an dieser Stelle der Wissenschafl der Logik nicht nur auf das Ergebnis zum Anfangsproblem in REINHOLDS letztem Band der Beiträge zurückbesinnt, sondern daß er sich zugleich auch davon zu distanzieren versucht. Hegel geht nämlich explizit auch auf den Vorschlag ein, der Anfang könnte mit der reflektierten Form der Einheit von Sein und Nichtsein, konkret: mit der „Einheit des Unterschieden- und Nichtunterschiedenseins — oder der Identität der Identität und der Nicht-Identität", versucht werden.^'* Die Möglichkeit dieses Vorgehens wird dabei mit dem schon in der Differenz-Schrift angeführten Argument zurückgewiesen, daß dann der Anfang wiederum den Makel jedes Anfangs mit einer Definition an sich haben würde. Was Hegel sich mit dieser Distanzierung genau verspricht, bleibt, nebenbei bemerkt, dunkel. Denn sobald die ursprüngliche Einheit von Sein und Nichts in die Reflexion eintritt, wird man ja gezwungen sein, mit der reflektierten Eorm dieser Einheit zu beginnen. Vermutlich stellt Hegels sich vor, die vorreflexive Einheit von Sein und Nichts müsse nicht nur zu Beginn, sondern auf jeder Stufe den Gang der Begriffsbewegung in schöpferischer Funktion begleiten.

*2 Vgl. G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9: Phänomenologie des Geistes. Hrsg, von W. Bonsiepen und R. Heede. Hamburg 1980. 26. (Im folgenden GW9). — Mit dieser Hinwendung zu einem zu kritisierenden anfänglichen Bekannten verändert sich auch Hegels Verhältnis zum „gesunden Menschenverstand". Die Radikalkritik an demselben zu Beginn der Jenaer Zeit weicht der Aufgabe, mittels der „Arbeit des Begriffs" das durch den Verstand Bekannte und Gemeinsinnige zur Vernunft und zum wissenschaftlichen Bewußtsein zu erheben. Vgl. GW9. 15 f, 48. *3 Vgl. GW 21. 61, 62, 65. — In der Enzyklopädie spricht Hegel dann auch positiv von einem Beginnen mit dem Bekannten im Sinne der „Bekanntschaft", was er in der Phänomenologie des Geistes noch abgelehnt hatte. Die Philosophie, so heißt es jetzt, könne zwar nicht gleichermaßen wie die Einzelwissenschaften ein Bekanntes voraussetzen; dennoch müsse auch sie in ihrem Sinne „Bekanntschaft mit ihren Gegenständen voraussetzen" (GW19. § 1. 27). ^ Siehe GW21. 60. — Detaillierteres zum Vergleich zwischen Reinholds Darstellung des Anfangsproblems im letzten Heft der Beiträge und Hegels Erörterung des Anfangsproblems im Kapitel der Wissenschafl der Logik „Wonüt muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?" siehe in meiner Schrift Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Frankfurt/M. 1995. 391-401.

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3. Auswirkungen von Reinholds Behandlung des Anfangsproblems auf Hegels spätere Werke Obschon Hegel sich in späterer Zeit kaum mehr mit REINHOLD auseinandergesetzt haben dürfte und es auch persönlich und sachlich zu keiner eigentlichen Annäherung zwischen beiden kommt^^^ bleibt REINHOLD für Hegel weiterhin präsent. So beeinflussen REINHOLDS Darstellungen zum Verhältnis von Wissen und Wahrem, Wahrem und Urwahrem Hegels Ausführungen zur Wahrheitsfrage in der Phänomenologie des Geistes, und REINHOLDS Resultate zum Anfangs- und Einleitungsproblem wirken bei Hegel bis in die Spätzeit.

a) Das Wissen des Wahren und die Wahrheit des Wissens ln der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes stößt man auf wahrheitstheoretische Einlassungen, die der Terminologie nach umgehend an REINHOLD erinnern. Hegel fragt nach dem Maßstab, welcher anzulegen ist, um überhaupt von einer Übereinstimmung zwischen wissenschaftlichem und erscheinendem Wissen sprechen zu können. Dabei wird die Darstellung des Verhaltens beider Wissensformen in Anlehnung an einen REiNHOLDschen Topos auch als die „Untersuchung und Prüfung der Realität des Erkennens" gekennzeichnet.^^ Anschließend exponiert Hegel das Problem, daß ein Maßstab nur mit der fertigen Wissenschaft als dem an sich Vorliegenden gegeben sein kann, welchen man aber gerade im Zustand des sich zur Wissenschaft erhebenden Wissens noch nicht hat, und erinnert für eine Lösung dieses Problems an die abstrakten Bestimmungen des „Wissens" und der „Wahrheit", wie sie an dem „Bewußtsein" Vorkommen. Interessanterweise leitet Hegel auch die nähere Erörterung dieser Bestimmungen mit einem an REINHOLD erinnernden Theorem, dem Satz des Bewußtseins, ein, wird doch vom Bewußtsein, in welchem Wahrheit und Wissen Vorkommen sollen, sogleich gesagt: „Dieses unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich

95 wig jjie Briefe Dubocs, eines Schülers von Reinhold und Briefpartners von Hegel, offenbaren, ist das Verhältnis zwischen den beiden philosophischen Größen spätestens seit dem Beginn von Hegels Berliner Zeit doch immerhin ziemlich entspannt. Siehe dazu; Alfred Klemmt: Die philosophische Entwicklung Karl Leonhard Reinholds nach 1800. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 15 (1961), 263 f. 96 Vgl. GW9. 58. Z14f.

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bezieht. . . Im weiteren fixiert Hegel Wissen und Wahrheit als die beiden Momente des gemäß dieses Satzes definierten Bewußtseins und geht mit der Bemerkung im folgenden Abschnitt „Untersuchen wir nun die Wahrheit des Wissens"^® dazu über, das Verhältnis von Wissen und Wahrheit als Bewegung eines den gesuchten Maßstab herausbildenden wechselseitigen Vergleichens von Wissen des Wahren und wahrem Wissen darzustellen. Ganz grob skizziert, geht diese Bewegung in fünf relevanten Schritten vor sich: A) Gehen wir in der Untersuchung vom Wahren oder an sich Gegebenen aus, so ist dieses nur ein Gegenstand „für uns". Das An sich ist ein Sein für uns, und der Maßstab der Vergleichung fällt dadurch ebenso in uns, in das Wissen.^ B) Die Natur des Gegenstandes, den wir untersuchen, nämlich das Bewußtsein, „überhebt" aber dieser gemachten Trennung zwischen an sich und für uns, indem diese Trennung sich als Unterscheidung erweist, die in das Bewußtsein selbst fäUt; das Bewußtsein gibt den Maßstab an ihm selbst, die Untersuchung ist in Wahrheit eine Selbstvergleichung des Bewußtseins, C) Die Selbstvergleichung ist, indem einmal das Wissen als Begriff und dann das Wahre als Begriff genommen wird, eine wechselseitige Vergleichung, ob Begriff und Gegenstand sich entsprechen. Da diese Vergleichung als Bewegung im Bewußtsein geschieht, ist es nicht nötig, von uns aus einen Maßstab mitzubringen. D) Die Selbstprüfung des Bewußtseins bringt bei Nichtentsprechung von Begriff und Gegenstand eine Veränderung des Bewußtseins hervor, die sowohl das Wissen wie den Gegenstand betrifft. Es entsteht ein neues Bewußtsein. Dabei erfährt das Bewußtsein, daß dasjenige, was ihm vorher als „an sich" galt, tatsächlich nur ein „FÜR ES an sich" war.i*’^ E) Die Bewegung, die das Bewußtsein durchlaufen hat, sofern ihm ein neuer Gegenstand entsprungen ist, kann „Erfahrung" genannt werden. ^ Ebd. 58. Z 25 f — Zum Problem einer urteilstheoretischen Klassifizierung dieses Satzes siehe Konrad Cramer: Bemerkungen zu Hegels Begriff vom Bewußtsein in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes. In; Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg, und eingeleitet von R.-P. Horstmann. Frankfurt a. M. 1978. 360 ff. — Cramer sieht in diesem Satz allerdings einen Bezug Hegels auf BCants Begriff der Apperzeption und nicht auf Reinholds Satz des Bewußtseins. Dagegen: Andreas Graeser: Kommentar. In: G. W. F. Hegel: Einleitung zur Phänomenologie des Geistes. Stuttgart 1988. 101. 98 Vgl. GW 9. 58. Z36ff. 99 Vgl. ebd. 58. Z 36-59. Z 1. 1“ Vgl. ebd. 59. Z4ff. Vgl. ebd. 59. Z 15 ff. 102 Vgl. ebd. 60. Z 3 ff.

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Der neue Gegenstand zeigt sich als „geworden", durch eine „Umkehrung des Bewußtseins" entstanden, Es ist sehr wahrscheinlich, daß Hegel gerade auch in dieser Darstellung der „dicilektischen Bewegung", welche das Bewußtsein an sich selbst vollziehti04, von einer REiNHOLDschen Überlegung, einem Einwand REINHOLDs gegen SCHELLING, angeregt worden ist. SCHELLING spricht im System des transzendentalen Idealismus einleitend von dem „Wissen" als einer „Übereinstimmung" oder „Identität" eines „Objektiven" mit einem „Subjektiven", wobei er dieses Wissen unmittelbar mit dem Wissen des Wahren gleichsetzt („Denn man weiß nur das Wahre").Dagegen hält REINHOLD in seiner Rezension dieser ScHELLiNGschen Schrift fest, sofern die Übereinstimmung von Subjektivem und Objektivem als Wissen definiert werde, setze dies eine Reflexion darüber voraus, ob man „wahrhaftig weiss", bzw. worin das „wahre Wissen" bestehe, was bei SCHELLING in keiner Weise geleistet sei.^^^ Für die Herausbildung der Übereinstimmung von Subjektivem und Objektivem, welches das Wissen des Wahren zugleich an die Klärung, was wahres Wissen sei, binde, müsse ein Primat des Objektiven dergestalt angenommen werden, daß es zur „Abscheidung" des Objektiven vom Subjektiven komme. Diesen Vorgang beschreibt REINHOLD gleich im Anschluß daran folgendermaßen; „Soll ich mir aber des Wissens selber, und zwar des Wissens überhaupt, als Wissens bewusst werden: so muss ich dasjenige Bewusstseyn, welches ein Wissen ist, von den anderen Arten des Bewusstseyns, die keines sind, unterscheiden und damit vergleichen. Ich finde dann, dass das Wissen, zwar, wie jedes andere Bewusstse)m, Veränderung in mir und daher etwas Subjectives sey, aber von jeder anderen Veränderung in mir dadurch verschieden sey, dass es ein Object als Object und als Dieses Object mit sich bringt; dass es nur diejenige Veränderung in mir ist, welche mit dem Objecte als solchen und Diesem in einem nothwendigen Verhältnisse steht, und daher auch selbst als Veränderung, etwas Unveränderliches; — als Subjectives etwas dem Objectiven Entsprechendes — enthalte. Indem ich mich im wirklichen Zustande eines Wissens befinde, nehme ich in demselben nicht diesen meinen Zustand, — nicht die Veränderung in 103 Vgl. ebd. 60. Z 15 ff; 61. Z 4. 104 Ebd. 60. Z 15. 105 Siehe F. W.}. Schelling: System des transzendentalen Idealismus. In: Sämtliche Werke. 1/3. 339. 105 Siehe C. L. Reinhold: Rezension von Schellings System des transzendentalen Idealismus (vgl. Anm. 27). Col. 362. — Hegel nimmt in der Differenz-Schrift auf diese bedeutsame Rezension keinen Bezug. Vermutlich hat er sie aber spätestens bei der Ausarbeitung der HabUitationsthesen im Sommer 1801 zur Kenntnis genommen. Vgl. Anm. 108.

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mir als solche, — nicht das Subjective, — sondern lediglich das Object als Object und als Dieses, — nur ein Unveränderliches, — nur das Objective allein wahr. Nur in der Erinnerung an diesen Zustand kann ich von dem Objecte, welches vermittelst einer Veränderung in mir ßr mich, Object geworden, und in sofeme Subjectivität angenommen hat, ohne darum seine Objektivität zu verlieren, auf das Subjective im Wissen zurücksehen, und über das Verhältniss zwischen demselben und dem Objectiven nachdenken. Dann finde ich aber, dass ich dem Objectiven die Priorität einräumen und das Unveränderliche an demselben als Grund, die Veränderung aber, am Subjectiven, als blosse Bedingung (conditio sine qua non), des Wissens denken muss-''^^^ Was REINHOLD an dieser Stelle entwirft, ist ein Zurückführen der Bedingung auf den Grund in Form einer objektivierenden Vergleichung von Subjektivem und Objektivem, die geradezu eine Art Rohfassung von Hegels Beschreibung der Erfahrung des Bewußtseins darstellt. Näher betrachtet lassen sich die folgenden REiNHOLDschen Denkschritte hervorheben: a) Das Herauspräparieren des wahren Wissens erfordert prinzipiell ein Unterscheiden bzw. Vergleichen des wissenden Bewußtseins von bzw. mit jenen Arten des Bewußtseins, die kein wahrhaftes Wissen enthalten. b) Zunächst mache ich die Erfahrung, daß mein Wissen wie jedes andere Bewußtsein niu das Wissen von etwas ist, daß mithin auf meiner Seite bzw. auf der Seite des Wissenden nur ein veränderliches, subjektives Wissen vorliegt. c) Diese Veränderung auf der Seite des Wissenden ist jedoch eine Veränderung, die auch auf der Seite des Etwas oder Objektiven vor sich geht. Da diese Veränderung in einem Verhältnis mit einem Objektiven steht, ergibt sich für mich zumindest etwas Entsprechendes, Unveränderliches. d) Wenn ich nicht von der Seite des Wissenden, d. h. nicht von meinem Zustand ausgehe, sondern mich im wirklichen Zustande eines Wissens befinde, nehme ich nur das Unveränderliche, Objektive wahr. e) Mit der Erinnerung an diesen Zustand, mit welcher das Objektive mittels einer Veränderung in mir das Objektive ßr mich geworden ist, kann ich nun aus dem Standpunkt des Objektiven für mich auf das vorangehende subjektive Wissen zurücksehen.

10^ Ebd. Col. 364.

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f) Ich muß also ein Verhältnis von Subjektivem (Bedingung) und Objektivem (Grund) annehmen, in welchem letzteres den Vorrang hat. REINHOLD skizziert mit diesem Räsonnement über das wahre Wissen ein sich verdichtendes multiperspektivisches Betrachten ein und desselben Vorganges der Vergleichung, Veränderung und Objektivierung des Bewußtseins — ein Betrachten, das nicht nur dem allgemeinen Grundzug nach, sondern auch in Details mit dem Hegelschen übereinstimmt. So ergibt sich zwischen c) und d) bei REINHOLD ein grundlegender Einschnitt, da nicht mehr der Weg vom Subjektiven zum Objektiven, sondern umgekehrt vom Objektiven zum Subjektiven verfolgt wird und die Perspektive vom Subjektiven ins Objektive übergeht. Und zwischen b) und c) stellen wir bereits einen vom Subjektiven ausgehenden Blickwechsel vom Subjektiven auf das Objektive fest, indem die veränderliche Beziehung des Subjekts auf das Objekt objektiviert, d. h. in das von außen betrachtete Bewußtsein gesetzt wird. Dieser doppelschrittige Übergang entspricht genau der Hegelschen Überlegung in B), derzufolge ein Wechsel von der Perspektive des ßr uns zum ßr es stattfindet, derzufolge unsere Unterscheidung von Wissen und Gegenstand eigentlich in es, in das Bewußtsein selber fällt. Weiter ergibt sich bei REINHOLD zwischen d) und e) ein Blickwechsel, indem das unmittelbare, an sich seiende Objektive als solches subjektiviert, d. h. ins Bewußtsein gehoben wird. Das Objektive wird unter diesem Gesichtspunkt aber nicht ein Objektives in mir, d. h. wiederum in Beziehung auf mich als veränderliches Subjekt, sondern nun ein Objektives ßr mich. Das Für mich bezeichnet die Reflektiertheit des vorangehenden unmittelbaren Objekts, d. h. dessen Fähigkeit der Erinnerung an das Vorangehende und dessen Fähigkeit des Zurücksehens und sich Distanzierens vom nicht objekthaltigen Subjektiven. Bei Hegel finden wir diesen Übergang in D). Aus der Perspektive des Gegenstandes wird der Weg vom An sich, vom naiven, reflexionslosen Aufnehmen des Gegenstandes, zum ßr es dieses An sich zurückgelegt. Dieser Weg soll im Resultat zunächst — und hier legt Hegel im Unterschied zu REINHOLD noch einen Zwischenschritt ein — zur reflexiven Erkenntnis führen, daß das An sich nur ein „FÜR ES an sich" war, d. h. ein An sich nur für ein bestimmtes Bewußtsein. Sodann soll diese Subjektivierung zur Einsicht führen, daß dieses „FÜR ES an sich", weil es als Reflexion nicht in uns, sondern auf der Seite des Gegenstandes liegt, als Veränderung bzw. als Entstehen oder Gewordensein eines „neuen Gegenstandes" gesehen werden muß, was Hegel letztlich mit einem „für es seyn dieses an sich" kennzeichnet. Schließlich ist an dieser ganzen Bewegung des Bewußtseins bemerkenswert, daß, wie REINHOLD

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in e), auch Hegel das Entstehen des neuen Gegenstandes als eine Art eines sich erinnernden, insichgehenden Zurücksehens thematisch macht, nämlich als die in E) erwähnte „Umkehrung des Bewußtseyns". Wie bei REINHOLD das Erinnern befähigt bei Hegel eine Umkehrung das Bewußtsein, auf das Entstehen des Resultates zurückzusehen und die Gestalten im Hinblick auf das wahre Wissen zu ordnen. Zweifelsohne ist die REiNHOLDsche Beschreibung der Erfahrung des Bewußtseins insgesamt betrachtet weniger ausführlich und auch weniger perspektivenreich als die Hegelsche. Doch spricht dies keineswegs dagegen, daß sie für die Hegelsche von eminenter Bedeutung gewesen sein muß.

b) Wahre Philosophie, Wahres, wahres Wissen In der Rezension von SCHELLINGS System des transzendentalen Idealismus beharrt REINHOLD, als Alternative zur ScHELLiNGschen, auf einer „wahren Philosophie", welcher allein es gelingen könne, „ein Wahres nicht bloss materialiter, und per Regulam falsi, zu finden — sondern die Wahrheit formaliter in ihrer Quelle der Regula veri zu entdecken. Um dieses Ziel zu erreichen, kann die wahre Philosophie nicht umhin, eine Differenz anzusetzen. Sie hat einerseits das „schlechthin ursprünglich Wahre und Gewisse" anzunehmen und andererseits einen „ersten Begriff" oder ein vorausgesetztes Wahres. Diese Differenz erörtert REINHOLD in der Folge vor allem im ersten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht als ein Verhältnis von „Wahrem" und „Urwahrem", welches einerseits als Verhältnis eines „begreiflichen" Wahren zu einem gegebenen „unbegreiflichen" Wahren, andererseits als ein — sich im Begreiflichen befindendes — Verhältnis von einem „wahren ersten Begreiflichen" zu einem „begreiflichen Wahren", welches durch die erfolgte Vermittlung zwischen Wahrem und Urwahrem zustande kommen soll, expliziert wird.io^ Da REINHOLD damit nicht mu meint, das Urwahre müsse sich mittels des Wahren manifestieren, sondern auch, das Wahre könne nur mittels des gelungenen Bezugs auf das Urwahre ein wahrhaft oder bewährtes Wahres werden, sieht er sich ferner mit der Vorstellung von einem irrtümlich Wahren oder scheinbar Wahren konfrontiert. REINHOLD will deshalb den Irr108 Ebd. Col. 373 f. — Hegels erste Habilitationsthese „Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi" ist wohl eine Entgegnung auf diesen Reinholdschen Passus (dazu bereits: Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 106, 127). 100 Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 1. 73 —75.

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tum oder Schein^i^ ebenso wie die Differenz zwischen Wahrem und Urwahrem als ein Bedingungsmoment der wahren Philosophie in Anschlag gebracht wissen, ln welchen Bedeutungen Irrtum oder Schein dabei auftreten können, erörtert REINHOLD vor allem im Zusammenhang des ab dem vierten Heft der Beiträge zur leichtern Übersicht aufgestellten Programms einer „Phänomenologie" des Rationalen Realismus. Diesem zufolge gilt es, im Zurückführen der Bedingung auf den Grund speziell von der „Erscheinung" auszugehen, diese auf das „Wesen" zurückzuführen und in dieser Weise vom „Schein" abzusondem.m Schein kann dabei in einem schwachen Sinne bedeuten, daß eine Erscheinung vorliegt, die noch nicht oder noch nicht hinreichend auf das Wesen zurückgeführt worden und deshalb noch mit dem Schein des Anfänglichen behaftet ist. Schein kann aber auch in einem starken Sinne heißen: die Erscheinung steht isoliert, in keinem Verhältnis zum Wesen; die Erscheinung wird mit dem Wesen vermengt, verwechselt, ln der letzteren Variante spricht REINHOLD von einem „Urschein".112 Mit diesen Ausführungen werden mindestens drei zentrale Aspekte des Verhältnisses von Wahrem und Urwahrem herausgehoben, denen auch drei verschiedene Auffassungen von Wahrheit entsprechen: 1) Es gibt eine wahre Philosophie (bzw. ein wahres Philosophieren). Diese(s) zeichnet sich durch ein Verfahren des Ergründens aus, das in der Beziehung und Unterscheidung der Momente Wahres, Urwahres und Irrtum (bzw. Schein) besteht. Hier steht die Auffassung von Wahrheit im Vordergrund, derzufolge mit dieser Konfiguration der wahren Philosophie eine Scheinphilosophie von vomeherein ausgeschieden wird. 2) Die Beziehung von Wahrem und Urwahrem sowie die Beziehung von Irrtum und Wahrem ist als eine sich innerhalb des Begreiflichen spiegelnde Beziehung eines begreiflichen Wahren zu einem unbegreiflichen Wahren zu verstehen. Hier steht die Auffassung von Wahrheit im Sinne des Erfassens oder Ausgerichtetseins auf ein an sich Wahres im Vordergrund. 3) Innerhalb des Begreiflichen ist von einem ersten Wahren auszugehen, welches sich in Beziehung auf das Urwahre zu bewähren hat. Das bewährte Wahre erscheint dabei in zweifacher Bedeutung. Einmal ist gemeint, daß das erste Wahre sich als ein wahres Erstes auszuweisen hat. Vgl. ebd. 70. 111 Vgl. ebd. Heft 4. 109 f. 112 Vgl. ebd. Heft 5. 6. 110

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was der erwähnten Forderung entspricht, mit einem „Bekannten" zu beginnen. Zum anderen ist gemeint, daß das erste Wahre erfolgreich den Weg des Zurückführens von der Bedingung auf den Grund durchlaufen haben muß. Hier tritt Wahrheit oder Falschheit in der Auffassung eines Verhältnisses von Wahrem und Urwahrem auf. Wahr ist etwas dann, wenn ein Wahres auf das Urwahre erfolgreich zurückgeführt worden ist bzw. wenn das Wahre sich mit dem Urwahren in Übereinstimmung zeigt. Es fällt auf, daß diese drei Auffassungen von Wahrheit einen wichtigen Hintergrund für Hegels Ausarbeitung der Wahrheitskonzeption in der Phänomenologie des Geistes bilden. Alle drei lassen sich dort an einschlägiger Stelle auf finden, wobei die zweite auch in Form einer impliziten Kritik an REINHOLD vorliegt. Die erste Auffassung zeigt sich in Hegels These vom Resultatcharakter der Wahrheit. Das Absolute oder Wahre ist wesentlich als „Resultat" zu begreifen, zumal jeder Anfang als solcher nur „unmittelbar ausgesprochen wird" und „nur das Allgemeine" ist.ii^ Selbst wenn er wahr ist, ist der Anfang seiner Natur nach deshalb auch falsch oder mangelhaft. Daß der Anfang seiner Natur nach mit dem Falschsein und mit dem Schein rechnen muß, da er sich erst im Resultat als bewährt und vom Scheine befreit wissen kann, und daß deshalb aus dem Anfang heraus, mit seinem Auftreten, zugleich gegen dessen Falschsein und Schein vorzugehen isti^4, diese Einsicht teilt Hegel mit REINHOLDS Konfiguration des wahren Philosophierens. Und es kommt wohl nicht von ungefähr, daß sie bei beiden gegen einen Anfang der Philosophie mit einer intellektuellen Anschauung gerichtet ist, die das Absolute schon anfangs erkannt hat und nur noch zu prädizieren braucht. Die zweite Auffassung findet sich bei Hegel in der grundsätzlichen Sicht von einem auf den wahren Gegenstand oder auf das „An sich" gerichteten Wissen. Hegel placiert in der Wissensrelation auf der einen Seite das „Wissen" oder den „Begriff", auf der anderen das „Seiende" oder den „Gegenstand", die auch synonym mit dem „Wesen" oder dem „Wahren" gebraucht werden, Allerdings kritisiert Hegel dabei zugleich jene Positionen, die das wahre im Sinne eines fertigen, isolierten Gegenstandes supponieren. Zu diesen Positionen zählt Hegel, wie gesehen, schon in der Differenz-Schrift paradigmatisch die REiNHOLDsche. In “3 Vgl. GW 9. 19. iw Vgl. ebd. 55. 115 Vgl. ebd. 59.

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der Phänomenologie des Geistes setzt er diese Kritik fort, wenn er behauptet, das Erkennen des Absoluten, welches nach dem Modell eines sich auf das Absolute richtenden „Werkzeugs" oder „Mediums" aufgefaßt werde, führe nur zu einem „trüben Unterschied zwischen einem absolut Wahren, und einem sonstigen Wahren . . Desgleichen steht hier die Kritik an der Vorstellung des Wahren als eines fertigen Gegenstandes, stellt sich Hegel doch gegen die Meinung, das „Wahre" und das „Falsche" seien als „bewegungslose" und „isolierte" „Wesen" oder als „besondere Subjekte" zu begreifen, Dennoch wird am Ende offensichtlich, daß Hegel sich mit dieser Kritik nur von bestimmten Auffassungen eines gegenständlichen Wahren bzw. Falschen löst und nicht von dieser Auffassung überhaupt. Denn Hegel distanziert sich mit den folgenden Gedankenschritten von dem gegenständlichen Wahren bzw. Falschen: Zunächst wird betont, das Wahre bzw. Falsche sei als eine Wissensform zu verstehen. Sodann wird hervorgehoben, eine Einheit und Unterschiedenheit von Wahrem und Falschem dürfe nicht bildlich vorgestellt werden, so beispielsweise als Mischung und Entmischung oder als Teilhabe und Nichtteilhabe. Schließlich läuft dieser Distanzierungsversuch auf den Vorschlag hinaus, die Termini „Wahres" und „Falsches" seien wohl besser aufzugeben, zumal sie unweigerlich bildliche Vorstellungen assoziierten. Es wird jedoch nicht begreiflich, wie Hegel mit der Vorstellung eines gegenständlichen Wahren wirklich brechen kann. Eine Gegenvorstellung wird jetzt lediglich in impliziter Weise durch die konträren Kriterien gegeben: Der wahre Gegenstand soll beweglich sein und Schritt für Schritt konstruiert werden; er soll nicht als isoliertes Ding oder Subjekt, sondern als Gemeinschaft von Substanz und Subjekt aufgefaßt werden usw. Hegel teilt somit bei aller Kritik an REINHOLDS Urwahrem immer noch eine wesentliche Voraussetzung mit demselben, nämlich die Annahme von einem — wie auch immer zu konstruierenden — gegebenen Wahren überhaupt. Dies wird er in der Wissenschaß der Logik auch indirekt eingestehen, wenn er das „logische Fortschreiten" an die Voraussetzung eines Anfanges bindet, der „teüs das Wahre, teils das erste Wahre" ist.^^® Die dritte Auffassung zeigt sich in Hegels Anknüpfung an den klassischen Wahrheitsbegriff der adaequatio rei et intellectus. Wahrheit ist

Vgl. ebd. 54. Vgl. ebd. 30. 118 GW21. 57. 116

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wahres Wissen und entsteht erst mit der Frage, ob ein Wissen mit einem Gewußten übereinstimmt. Auf die Affinität zwischen REINHOLDS und Hegels Ansicht über die Herausbildung des wahren Wissens durch Vergleichung im Bewußtsein und über die damit verbundene Vorstellung einer Abscheidung des subjektiven Wissens haben wir hingewiesen. Es bleibt zugunsten Hegels anzumerken, daß er im Rahmen dieser Wahrheitsauffassung in bezug auf die Problematisierung des Begriffs der Übereinstimmung über REINHOLD hinausgeht. Die Frage der Übereinstimmung, die Hegel anhand des Maßstabbeispiels aufwirft, wird nicht nur im Hinblick auf den Übergang zu einem neuen Gegenstand, sondern auch in bezug auf den Begriff und die Darstellungsbedingungen von Übereinstimmung erörtert. So wird beispielsweise bei Hegel die Prüfung in Form des wechselseitigen Entsprechens von Begriff und Gegenstand derart gedacht, daß sich ein komplexer werdender Begriff und ein komplexer werdender Gegenstand wechselseitig fordern und daß sich dadurch auch der Maßstab des Prüfens und die Bedeutung von Übereinstimmung verändern. So bindet Hegel das wahre Wissen an die Bedingung, daß es sich in durchgeführter Systemgestalt manifestieren muß oder daß es als solches nur in einer bestimmten organischen Gestalt, dem „Ganzen", seinen Namen verdient. Obschon auch REINHOLD die Manifestation des Urwahren im Wahren als ein fortschreitendes System des Wissens versteht, wird bei ihm das Wahrheitsproblem nicht in diese Richtung verfolgt.

c) Das Einleitungsproblem hat weder in den Beiträgen zur leichtern Übersicht noch in späteren Publikationen ein durchgeführtes System des Rationalen Realismus vorgelegt. Die diversen Darstellungen zum Rationalen Realismus enthalten hauptsächlich Grundzüge und definitorische Vorarbeiten zu einem solchen System. Ebensowenig spiegelt sich in ihrer Abfolge ein innerer Zusammenhang eines strukturierten Systemganzen. Die verschiedenen Darstellungen präsentieren vielmehr eine Reihe sich revidierender, mit neuen Problemstellungen durchsetzter Fassungen ein und derselben Systemskizze. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz Elemente der Phänomenologie oder Erläuterung des rationalen Realismus durch seine Anwendung auf die Erscheinungen im vierten Heft der Beiträge. In ihm wird ein Teilsystem relativ detailliert ausgestaltet und explizit als Segment der „reinen Naturphilosophie" des Rationalen Realismus gekennzeichnet. REINHOLD

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Dennoch läßt sich aus verstreuten programmatischen Hinweisen ersehen, daß REINHOLD seinen Darstellungen einen architektonischen Systemgedanken zugrundelegt. Es zeigt sich, daß REINHOLD, ähnlich wie Hegel am Anfang der Jenaer Zeit und wie viele andere Denker in der Zeit nach ISOO^i^, zwischen der Logik und einer eigentlichen Philosophie, der Metaphysik, unterscheideti^o und daß er die Metaphysik in eine „Naturphilosophie" und eine „Anthropologie" zu unterteilen gedenkt^^i. Interessant für den Vergleich mit Hegel ist dabei aber, daß REINHOLD die Logik dadurch, daß es sie in eine „Verstandes- und Vernunftlehre" aufteilt, wie Hegel als eine Einleitung in die Metaphysik versteht. Lind nachgerade reizvoll wird der Vergleich mit Hegel aufgrund der Tatsache, daß bei REINHOLD 1802 die Idee einer Phänomenologie des Rationalen Realismus auftritt, die wie bei Hegel zum Problem einer doppelten Einleitung führt. Aus einem Brief an BARDILI vom 17. Mai 1800 geht hervor, daß REINHOLD zunächst zwischen einer Logik als „Verstandeslehre" und einer Logik als „Vemunftlehre" unterscheidet und beide neu aufeinander zu beziehen gedeivkt.122 wie aus dem Kontext ersichtlich, versteht REINHOLD unter der Logik als Verstandeslehre die allgemeine oder traditionelle Logik, die er im Rahmen seiner Lehrtätigkeit behandelt, unter der Logik als Vernunftlehre die neue ontologische und entwicklungslogische Logik, die BARDILI mit dem Grundriß aufgestellt hat. Das Beziehen beider Logiken aufeinander soll zur Folge haben, daß die traditionelle Logik ebenfalls im Sinne der Vemunftlehre zu rekonstruieren ist, was REINHOLD im Grundriß zum Teil bereits geleistet sieht. Mit der Auffassung der Logik als einer Vernunftlehre stimmt überein, daß REINHOLD im dritten Heft der Beiträge davon spricht, die „Logik" könne „nichts anderes seyn, als die Philosophie in ihrer ersten Aufgabe, die reine Philosophie, die Philosophia prima, oder die Elementarlehre der eigentlichen Philosophie ..." Zugleich wird kenntlich, daß er von einer Systemkonzeption ausgeht, die eine Logik und eine Metaphysik umfaßt. REMHOLD spricht erstmals von der eigentlichen Philosophie oder Vernunftlehre, welche „zugleich reine Logik, und Metaphysik" sein soll, wobei letztere näher als „Wesenslehre" zu qualifizieren ist.^23 p)a die Logik n® Siehe dazu Klaus Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Anm. 10. 120 Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 3. 160 f. 121 Vgl. ebd. Heft 4. Vorrede. V. 122 Siehe Bardilis und Reinholds Briefwechsel. 10. Brief. 172 ff. 123 Siehe C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 3. 161.

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dieser Zuordnung zufolge nun sowohl auf der Stufe der Vernunftlehre steht als auch lediglich die erste Aufgabe der Philosophie darstellt und im Unterschied zur Metaphysik als Wesenslehre nur eine Elementarlehre ist, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Logik jetzt auch als Einleitung in die Metaphysik fungiert. Daß es sich bei dieser Einleitung zudem auch um eine echte Einleitung, d. h. um eine Hinführung zur Metaphysik handeln soll, wird schließlich dadurch unterstrichen, daß Logik und Metaphysik entsprechend der begründungstheoretischen Idee des Zurückführens elementarer Bedingungen auf das YJesen ins Verhältnis gesetzt werden. Der 1802 hinzutretende Entwurf einer Phänomenologie des Rationalen Realismus kompliziert mit der Konkretisierung der Vernunftlehre auch das Einleitungsproblem. Denn die Phänomenologie des Rationalen Realismus ist sowohl „reine Naturphilosophie"i24 und insofern ein Teilbereich der Metaphysik als auch — ihrer begründungstheoretischen Aufgabe nach — eine parallel zur Logik stehende Einleitung. geht zum einen aus der von REINHOLD vorgenommenen Aufgabenteilung hervor. Habe die Logik es sich zur Aufgabe gemacht, die „Entwirrung der menschlichen Erkenntniß" im Bereich des „Vernünftigen" zu leisten, so gehe es der Phänomenologie nun darum, dieselbe Aufgabe „durch die deutliche Erkenntniß des Sinnlichen, als solchen, zu vollenden". 126 Daß REINHOLD der Phänomenologie eine einleitende Punktion zuschreibt, erhellt zudem aus seiner Verortung der Phänomenologie innerhalb der Aufgabe des Zurückführens der Bedingung auf den Grund. Die Phänomenologie als die „Philosophie des Empirischen" und insofern rangmäßig sekundäre Philosophie habe die „Erscheinung" oder „Erfahrung" auf ihren „Grund", auf das „Wesen", zurückzuführen. Sodann habe die rangmäßig primäre Philosophie, die Philosophie des „Vernünftigen", das Wahre auf das Urwahre zurückzuführen. EreUich entsteht mit der Phänomenologie als zusätzlicher Einleitung nun die Frage, wie Logik und Phänomenologie nebeneinander bestehen können, ob sich nicht ein überdeterminiertes Einleiten ergibt. Dies scheint vermieden werden zu können, wenn man eine Arbeitsteilung 124 Vgl. ebd. Heft 4. 110. 125 Im Unterschied zu Wolfgang Bonskpen (siehe: Einleitung. In: G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Neu hrsg. von H.-F. Wessels und H. Clairmont. Hamburg 1988. XV) bin ich der Auffassung, daß sich Reinholds Phänomenologie-Konzept nicht ausschließlich auf eine der Prinzipienlehre neben- bzw. untergeordnete Erscheinungslehre festlegen läßt. 125 C. L. Reinhold: Beiträge zur leichtern Übersicht. Heft 4. Vorrede. IV. 127 Ebd. 109 f.

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zwischen Logik und Phänomenologie derart annimmt, daß beide als Einleitung in ihrem angestammten Bereich fungieren. Die Logik leitet von der traditionellen Logik mittels Vernunftlehre zur Metaphysik, die Phänomenologie von der sinnlichen Erfahrung zum Bereich der Vernunft. Doch entsteht dadurch eine neue Schwierigkeit. Da die Logik der erste Teil der Philosophie des Vernünftigen ist, kann man nicht umhin, sich die Phänomenologie zusätzlich als eine Einleitung in die Logik vorzustellen. Wie aber soll dies gedacht werden? Es bleibt nur übrig, ein stufenförmiges System zu entwerfen, in dem die Phänomenologie als Einleitung in die Logik, die Logik als Einleitung in die Metaphysik auftritt; in dem zugleich aber auch das Prinzip einer koordinierten Entwicklung möglich ist. Der Weg von der Phänomenologie zur Logik muß im Sinne sowohl einer Fortsetzung als auch einer Zusammensetzung gedacht werden. Wieweit REINHOLD dieses Problem der doppelten Einleitung eigens durchgedacht hat, läßt sich kaum mehr rekonstruieren. Leider finden sich in seinen letzten beiden Heften der Beiträge keine weiteren relevanten Hinweise über die Weiterführung der Systempläne, was zweifelsohne mit seiner beginnenden Resignation in Sachen Systemphilosophie und der stärkeren Zuwendung zu einzelnen Sachproblemen des Rationalen Realismus zusammenhängt. Bei Hegels Behandlung des Einleitungsproblems erkennen wir unterhalb der Schwelle der Polemik eine erstaunliche Affinität zu REINHOLD. Allerdings ist bei Hegel nichts von Resignation in Sachen Systemphilosophie zu spüren. Im Gegenteil: Hegel hebt REINHOLDS Problemlage sozusagen in sich auf und treibt sie auf eine neue Stufe. Unmittelbar nach der Differenz-Schrift setzt Hegel sich auch hinsichtlich der Einleitungsfrage mit REINHOLD auseinander und karikiert ihn erneut als den typischen Vorhof-Philosophen. In der ersten der ab Herbst 1801 niedergeschriebenen Vorlesungen (Introductio in philosophiam) macht Hegel gegen REINHOLD, BOUTERWEK und KRUG geltend, daß die Philosophie „weder einer Einleitung bedarf, noch eine Einleitung verträgt"i28. Es ist von diversen Interpreten zur Jenaer Philosophie Hegels bereits erwähnt worden, daß diese Absage an eine Einleitung in die Philosophie zu relativieren ist.^29 Hegel wendet sich mit seinem Hinweis auf REINHOLD, BOUTERWEK und KRUG lediglich gegen Einleitungen bestimmten T5^S, SO gegen ein Einleiten durch eine „andere Wissenschaft" oder ge*2* Zitiert nach: Manfred Baum/Kurt R. Meist: Durch Philosophie leben lernen. 44. 129 Dazu: Hans Friedrich Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft Frankfurt/M. 1965. 85.

der Logik.

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gen ein Einleiten im Sinne des Bereitstellens von „Werkzeugen" des Philosophierens.130 Demgegenüber erachtet er eine propädeutische Einleitung, eine Einleitung in der Funktion des Abstreifens des subjektiven, scheinhaften Standpunktes durchaus als tolerierbar. In der folgenden Vorlesung Logica et Metaphysica fordert er geradezu eine solche propädeutische Einleitung in die Wissenschaft und überantwortet diese Aufgabe der Logik. Aus dieser Hegelschen Behandlung des Einleitungsproblems heraus ist nun zu ersehen, daß seine Kritik an REINHOLD unzutreffend ist. Denn es gibt keinen einsichtigen Grund, REINHOLDS Einleitung mittels der Logik als ein bloßes Bereitstellen oder äußerliches Voranstellen der logischen Werkzeuge zu sehen, vielmehr ist die Logik bei REINHOLD, wie erwähnt, eine Einleitung innerhalb der Vemunftlehre. Hegel kaschiert mit seiner Kritik, daß er wesentliche Voraussetzungen mit REINHOLD teilt. Es ist unübersehbar, daß Hegel in der Vorlesung Logica et Metaphysica, deren Niederschrift zeitlich mit dem Erscheinen des dritten Heftes der Beiträge^^'^ zusammenfallen dürfte, mit REINHOLDS Konzept einer „eigentlichen Philosophie" weitgehend übereinstimmt. Auch Hegel legt sich auf das — der LEiBNizschen Tradition folgende — Verhältnis von Logik und Metaphysik fest, und auch bei ihm ist die Logik eine Einleitung in die Metaphysik in der Weise, daß sie den Schein der bloßen Verstandesformen zu destruieren und zur Vernunft htnzuführen hat. Die zweite aufschlußreiche Parallele ergibt sich natürlich durch die Tatsache, daß auch bei Hegel das Projekt einer Phänomenologie als Einleitung in die Wissenschaft hinzutritt. Die Anregungen, die Hegel hierfür von REINHOLD empfangen kann, betreffen nicht nur, wie erwähnt worden ist^^^^ die Titelwahl für sein 1807 erschienenes Werk, sondern auch konzeptionelle Gesichtspunkte. Hegel, der erstmals 1806 vom Plan einer der spekulativen Philosophie vorangehenden Phänomenologie sprichti34^ verfolgt wie REINHOLD das Ziel einer Einleitung in die wissenschaftliche Philosophie aus dem Standpunkt der Welt der sinnlichen Erscheinung. Was Hegel gegenüber REINHOLD positiv auszeichnet, ist die Tatsache, daß er diesem Ziel konsequent folgt und dasjenige, was REINHOLD nur programmatisch 1* Siehe Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 143. 131 Dazu näher; Manfred Baum: Zur Methode der Logik und Metaphysik beim fermer Hegel. In: Hegel in Jena. Hrsg, von D. Henrich und K. Düsing. Bonn 1980. 120 ff. 132 Die Vorrede von Heft 3 ist auf den 16. September 1801 datiert. 133 So bei; Rüdiger Bubner: Problemgeschichte und systematischer Sinn der „Phänomenologie" Hegels. 13. 134 Näheres dazu: Wolfgang Bonsiepen: Einleitung. XVIII.

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ZU formulieren vermocht hat, auch wirklich und bis in aUe Details durchführt. Im Unterschied zu REINHOLD hat Hegel sich dabei auch dem mit dem Phänomenologie-Projekt virulent werdenden Problem der doppelten Einleitung gestellt und mit einer Konzeptionsänderung im Verhältnis von Logik und Metaphysik reagiert. Mit dem Entscheid, die Phänomenologie des Geistes als Einleitung in die wissenschaftliche Philosophie zu verstehen, wird die Trennung zwischen Logik und Metaphysik aufgehoben. Daß diese Lösung Hegel allerdings nicht restlos zufriedengestellt hat und daß sie für ihn deshalb noch in der Spätzeit umstritten bleibt, zeigen seine Bemühungen, dem System der „Logik" innerhalb der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaßen einen „Vorbegriff" voranzuschicken, welcher erneut den Status einer Einleitung haben soll.i^® Das Problem der doppelten Einleitung in die Philosophie, wie es von REINHOLD ab 1802 aufgeworfen worden ist, zeigt somit noch beim späten Hegel seine Wirkung.

135 Zur Interpretation dieser späten Einleitung siehe: Hans Friedrich Fulda: Vorbegriff und Begriff der Philosophie bei Hegel. In: Hegels Logik der Philosophie. Hrsg, von D. Henrich und R.-P. Horstmann. Stuttgart 1984. 19 ff; Hans-Christian Lucas: Der „Vorbegriff" der enzyklopädischen „Logik" — doch als Einleitung im emphatischen Sinne? In: Hegel-Studien. 26 (1991),

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DANIEL BRAUER (BUENOS AIRES)

DIE DIALEKTISCHE NATUR DER VERNUNET Über Hegels Auffassung von Negation und Widerspruch

„Negation" und „Widerspruch" bezeichnen in Hegels Philosophie nicht nur bestimmte Begriffe, die eine spezifische Stelle innerhalb des enzyklopädischen Systems oder der Logik einnehmen. Sie dienen hauptsächlich dazu, methodische Schritte zu kennzeichnen. Das Problem ist, daß Hegels Gebrauch dieser Ausdrücke sowohl von der Bedeutung, die sie in der natürlichen Sprache haben, als auch von der technischen Sprache der Logik und Semantik abweicht — das Letzte dürfte mindestens seit der scharfen Kritik ADOLF TRENDELENBURGS in seinen Logischen Untersuchungen^ klar sein. Ob es „Widersprüche" in der Wirklichkeit oder nur in unserem Denken über sie geben, ob man der „Negation" eine gewisse „Kraft" oder „Macht" zuschreiben kann, ob das Negative eine Eigenschaft der Dinge darstellt, usw. — dies alles hängt davon ab, was man unter diesen Termini versteht. Ein Charakteristikum einer Methode besteht darin, daß sie ein Verfahren beschreibt, das eine Reihe von Schritten enthält. Hat man sie richtig verstanden, dann kann jeder sie anwenden. Tatsache aber ist, daß die „spekulative" oder „dialektische" Methode Hegels bisher nur von Hegel selbst benutzt wurde. Man kann auch nicht einmal mit Sicherheit wissen, ob er dabei konsequent operiert hat, solange man nicht das allgemeine Verfahren, unabhängig von den bestimmten Ergebnissen, die es produziert, nachvollziehen kann. Im folgenden versuche ich einige Aspekte der Begriffe der „Negation", des „Negativen", der „Negation der Negation" und des „Widerspruchs"^ zu präzisieren — Begriffe, die zum Kern von Hegels Auffas' Vgl. Adolf Trendelenburg: Logische Untersuchungen. Bd 2. Berlin 1840. 89 ff. Bei Trendelenburg wird nur die negative Aussage als logische Operation betrachtet; was ich unten „prädikative Negation" nenne, ist für Trendelenburg ein empirisches Prädikat. Siehe hierzu Joseph Schmidt: Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg. München 1977. 2 Eine allgemeine Theorie der Negation entwerfe ich in dem Aufsatz: El secreto de la negaciön. Invetigaciones epistemolögica acera de las formas negativas del discurso y de la acciön [Das Geheimnis der Negation. Epistemologische Untersuchung über negative Sprach- und

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sung der philosophischen Aufgabe gehören, sofern diese in einer besonderen Art von Begriffsanalyse besteht. Betrachtet man nämlich die Reihe der Kategorien, die Hegel in der Wissenschaft der Logik vorbeidefilieren läßt, so stellt man fest, daß die meisten Begriffe entweder aus der philosophischen Tradition, den empirischen Wissenschaften seiner Zeit oder der Umgangssprache stammen. Das Eigentümliche der philosophischen Theorie Hegels besteht mehr in der Behandlungsart von Begriffen, die zum allgemeinen Inventar des „Geistes" gehören, als in der Einführung neuer kognitiver Strukturen. Hegels Methode ist vor allem ein Verfahren zur Durchforschung bestimmter Eigenschaften und innerer Zusammenhänge von Begriffen sowie zur Kritik falscher Vorstellungen von ihnen; dabei spielt der formal-dialektische Gedanke einer „bestimmten Negation" und des „inneren Widerspruchs" eine zentrale Rolle.

1. Negation und Negativität Der Begriff der Negation bereitet eine Reihe von Interpretationsschwierigkeiten. Auf der einen Seite exponiert Hegel sein Denken durch Affirmationen und Negationen, und er rechnet dabei mit dem stillschweigenden Verständnis seiner Leser hinsichtlich gemeinsamer Regeln des kommunikativen Diskurses. Auf der anderen Seite verbindet er mit dem Wort „Negation" den Gedanken an einen ontologischen Wesenszug und gleichzeitig an eine Phase der Methode. Was das erste betrifft, stellt sich natürlich die Frage: worin kann eine negative Realität bestehen? Falls man sie annimmt, scheint die Negation nicht eine Operation zu sein, sondern bloß die Anwesenheit eines bestimmten Aspekts der Sache. Handelt es sich dagegen um ein formales Verfahren, wie wird dies genau genonunen ausgeführt? Wenn aber „jede Bestimmung Negation ist" — wie Hegel SPINOZAS Satz übersetzt —, hat es überhaupt einen Sinn zwischen Affirmationen und Negationen zu unterscheiden? Mit anderen Worten: Gibt es bei Hegel eine vollständige Symmetrie zwischen Positivem und Negativem? Handlungsformen]. In: Revista de Filosofia y Teoria. 30 (1993). Mit Hegels Widerspruchskonzeption befasse ich mich in: Contradicciön apofäntica y contradicciön reflexim. Acerca del principio de no-contradicciön en Aristoteles y el concepto de contradicciön en Hegel [Apophantischer und reflexiver Widerspruch. Über das Widerspruchsprinzip bei Aristoteles und den Begriff des Widerspruchs bei Hegel]. In: Revista Latinoamericana de Filosofia. 14 (1988).

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Die Theorien über das ontologische Korrelat von negativen Aussagen können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Diejenigen, welche die Existenz von — wie man sie auch immer definiert — „negativen Tatsachen" annehmen; und diejenigen, welche die Negationen als eine indirekte Art betrachten, sich auf eine positive Realität zu beziehen. Ein anderes Kriterium der Klassifizierung wäre es, Negationen entweder als logisch-linguistische Operationen oder als Hinweis auf die Anwesenheit von bestimmten ontologischen Zügen zu interpretieren. Aber Hegels Gebrauch des Begriffs der Negation paßt in beide Schemata nicht. Ins erste nicht, weil für sein Denken „positive Tatsachen" „an sich" schon „negativ" sind. Ins zweite nicht, weil bei ihm „Negation" sowohl eine Verstandeshandlung als auch eine ontologische Eigenschaft impliziert. Der Kontrast zwischen dem Hegelschen und dem üblichen Gebrauch des Wortes „Negation" wird noch schärfer, wenn man berücksichtigt, daß die dialektischen Negationen dasjenige, was sie negieren, nicht nur ausschließen, sondern irgendwie mit enthalten. Dazu kommt, daß Hegel die Negation und das Negative mit einer gewissen „Macht", mit der Fähigkeit zur Veränderung seitens eines Subjekts assoziiert und das Phänomen in Verbindung mit Autonomie und Freiheit bringt — ein Aspekt, der schwer mit einer bloß sprachlichen oder logischen Funktion in Einklang zu bringen ist. Wenn man an die semantische Zusammenstellung von Assoziationen denkt, die das Wort „Negation" erweckt, dann ist das erste, was einem in den Sinn kommt, wohl der Gegensatz von Affirmation und Negation, sowie das Vorkommen von negativen Prädikaten und negativen Morphemen oder Prädikatsmodifikatoren, so daß die Sprache der Ursprungsort des Phänomens der Negation zu sein scheint. Wir können etwas über etwas behaupten oder etwas von etwas verneinen und wir erheben damit den Anspruch, einem Gesprächspartner mitzuteilen, wie die Welt aussieht. Von diesem Standpunkt aus bezeichnen Affirmationen oder Negationen bestimmte linguistische Strukturen und logische Operationen, die unser kognitives Bild der Wirklichkeit komponieren und modifizieren; diese Funktionen kennzeichnen nicht Eigenschaften der Dinge, sondern unsere Sprache über sie. Die philosophische Tradition hat sich mit dem Problem der Negation unter einem doppelten Gesichtspunkt beschäftigt. Wenn negative Terme im Zentrum der Diskussion stehen, wird die Negation hauptsächlich als ein ontologisches Problem betrachtet, wie es implizit im Nichtsein des PARMENIDES der Fall ist, oder explizit im Anderssein bei PLATON. Wenn man von der negativen Aussage für eine Analyse der Negation ausgeht.

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wie bei ARISTOTELES und der an ihn anknüpfenden Tradition, entsteht die Frage nach ihren logischen Eigenschaften in bezug auf Falschheit und Widerspruch. Hegel scheint beide Perspektiven zu kombinieren, indem er unter Negation sowohl eine Operation als auch eine metaphysische Seinsweise versteht. Betrachtet man eine Reihe von Bedeutungen, die Hegel mit dem Wort „Negation" verbindet, wie zum Beispiel: „Nichts", „Anderes", „Endlichkeit", „Tod", „das Unwesentliche", „Unterschied", „Entzweiung", „Urteil", usw., stellt man fest, daß er sich nicht an der negativen Aussage (-p = A ist nicht B) orientiert. Was hier vorkommt, sind negative Prädikate und — da Hegel oft die Negation substantiviert in der Wendung „x ist die Negation von y" — genauer die Behauptung eines Terminus, der innerhalb eines bipolaren Gegensatzes als „negativ" betrachtet wird. Man fragt sich zurecht, inwiefern man hier einer echten Negation begegnet. Bekanntlich bilden für ARISTOTELES die positive Aussage (A ist B) und die Verneinung (A ist nicht B) die elementaren Formen eines Diskurses, von dem man sinnvoll sagen kann, er sei wahr oder falsch . Aussagen mit einem negativen Prädikat (A ist Nicht-B), werden von Aristoteles als eine vage, unpräzise Form von Aussagen den Affirmationen assimiliert (De Interpretatione, cap. 4—5).3 In Gegensatz dazu versteht die moderne Logik diese Art von Propositionen — die ich im folgenden prädikative Negation nenne — vor allem seit FREGE als äquivalent mit Negationen (A ist Nicht-B = A ist nicht B). Mehr noch, G. H. VON WRIGHT faßt diese als „starke" Form der Negation in dem Sinne, daß man aus ihnen propositionale Negationen ableiten kann (wenn A Nicht-B ist, dann ist A nicht B) aber nicht umgekehrt.^ Doch ARISTOTELES hatte gute Gründe für seine Unterscheidung, denn in der natürlichen Sprache stellt die negative Aussage das Ursprungsphänomen der Negation dar. In ihr wird eine Operation vollzogen, die jeder versteht, insofern er eine Sprache versteht. Bei der prädikativen Negation dagegen, die im allgemeinen zu einer mehr künstlichen Sprache gehört, muß man den negativen Term erst einmal interpretieren, da er sowohl eine Funktion als auch ihr Ergebnis, eine Abwesenheit wie auch ein Gegenteil anzeigen kann. In Urteilen des Typs „A ist Nicht-B" muß man genau präzisieren, was das Morphem „nicht" bedeutet. 3 Aristoteles: De interpretatione. 16 b 26 ff. * G. H. von Wright: On the Logic of Negation. Helsinki-Helsingfors 1959. 3 ff.

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Daß Hegel als Prototyp der Negation nicht die negative Aussage, sondern eine Art prädikativer Negation nimmt, und daß für ihn „Negation" nicht eine Eigenschaft oder ein Verhältnis von Propositionen, sondern von Begriffen charakterisiert, sieht man deutlich an seiner Behandlung des „negativen Urteils". Während bei KANT das „nicht" noch die „Kopula" affiziert, betrifft es bei Hegel das Prädikat,^ wobei die negative Aussage in eine prädikative Negation verwandelt wird (A ist nicht B = A ist Nicht-B). Was Hegel ein negatives Urteil nennt, steht KANTS Rehabilitierung des von ARISTOTELES als besondere Klasse von Aussagen abgelehnten „unendlichen Urteils" näher als dem negativen Satz; und was Hegel übrigens als „unendliches Urteil" anführt, hat mit KANTS Auffassung desselben nur den Namen gemeinsam.

2. Der Kantianische Hintergrund von Hegels Negationsauffassung Auffassung der negativen Aussage — und nicht, wie oft unterstellt wird, SPINOZAS absoluter Substantialismus — bildet die Grundlage für das Verständnis von Hegels Umwandlung des Negationsbegriffes. Vor allem, weil auch bei KANT im Unterschied zu ARISTOTELES Begriffe etwas Ursprünglicheres als Sätze darstellen, denn dasjenige, was den verschiedenen Aussageformen zugrunde liegt, sind für ihn reine kategoriale Funktionen a priori und nicht umgekehrt. Somit bestehen Urteile entweder in der Exposition desjenigen, was im Subjektbegriff schon enthalten ist wie im analytischen Urteil, oder in der Kombination von Begriffen nach bestimmten Regeln wie im synthetischen Urteil. Aber welche Eigenschaft eines Subjekts expliziert eine analytische negative Aussage? Oder wie werden im synthetischen Urteilen durch Negationen Begriffe doch zusammengesetzt? In der Urteilstafel der Kritik der reinen Vernunft (A 70/B 95)^ wird unter dem Titel „Qualität" das „verneinende" Urteil an zweiter Stelle nach dem positiven behandelt. Während KANT dieser Urteilsart in der Kategorientafel den Begriff der „Realität" entsprechen läßt, begegnen wir in bezug auf die Verneinung mit der lateinischen Version desselben Begriffes KANTS

5 G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. In; Werke. Auf der Grundlage der Werke von 1832—1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt/M. 1969. Bd 6. 320. * Über Kants Negationsbegriff sowie für die Sekundärliteratur siehe den zweiten Teil des Artikels Negation von W. Bonsiepen in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd 6. Darmstadt 1984. Sp. 675 f.

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„Negation" (A 80/B 106)^, wobei hier an eine vorprädikative Form des Negativen in Feststellung des Fehlens von „etwas", gedacht wird. „Realität ist Etwas, Negation ist Nichts, nämlich ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes wie der Schatten, die Kälte (nihil privativum)" (A 291/B 347).^ Man findet eine ähnliche Unterscheidung in der Ontologie der deutschen Scholastik eines A. G. BAUMGARTEN oder G. F. MEIER, in der realitas und negatio als Eigenschaften eines Seienden^ betrachtet werden, allerdings mit dem Unterschied, daß bei KANT der „Mangel" erst in der Beziehung zwischen einer Vorstellung und der Abwesenheit ihres Gegenstandes einen Sinn gewinnt. In seiner wichtigen vorkritischen Schrift über die „negativen Größen"io unterscheidet KANT die logische Verneinung, die er „Mangel" („defectus, absentia") nennt, von einer Art Negation, die er als „Beraubung" („privatio")^'^ charakterisiert. Die erste bezeichnet eine negative Aussage, die die Abwesenheit von etwas signalisiert. Die zweite hat mit bestimmten Tätigkeiten oder Handlungen zu tun, die gegenseitig kollidieren, oder, wie KANT sich ausdrückt, sie „ . . . findet nur statt, in so Feme zwei Dinge als positive Gründe eins die Folge des andere aufhebt". Aber dieser Gedanke einer „realen Oposition", in der Negation ontologisch als eine Art „Aufhebung" aufgefaßt wird, die also Resultat einer Wechselwirkung ist, spielt in der Kritik der reinen Vernunft (A T7B—T7\ B 329—330)12 nur eine sekundäre Rolle, um Eigenschaften der Erscheinungswelt im Unterschied zum Ding an sich zu beschreiben. Daß KANT die negative Aussage als einen Hinweis auf die Abwesenheit von etwas interpretiert, wird durch die Tatsache bestätigt, daß in der Kategorientafel den assertorischen Urteilen der Gegensatz „Dasein/Nicht-sein" (A 80/B 106, A 145/B 184) zugrundeliegt und man keinen Unterschied in der Erklärung des letzteren Begriffes von dem Begriff der „Negation" feststellen kann. Nun ist Mangel zweifellos eine Art Negati7 I. Kant: KrV. A 80/B 106. 8 Ebd. A 291/B 347. t Vgl. A. G. Baumgarten: Metaphysica. Halle 1739—57. §§ 135, 356; G. F. Meyer: Metaphysik. Halle 1755—59. §§ 48—130. Auf beide Autoren macht H. F. Fuldas Artikel Negation aufmerksam in: Historisches Wörterbuch (s. Anm. 6). Sp. 673 f. 18 l. Kant: Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzufiihren (1763). In: Werkausgabe. Hrsg, von W. Weischedel. Frankfurt/M. 1977. Bd 2. 788 ff. 11 Der Leser soll sich nicht durch die Tatsache verwirren lassen, daß Kant in dieser Schrift das Wort ,privatio' in einem anderen Sinn gebraucht als in der oben zitierten Stelle der KrV. 12 Für den Begriff der Negation und der negativen Größen bei Kant vgl. M. Wolff: Der Begriff des Widerspruchs. Königstein/Ts. 1981. 62 ff.

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on, aber nicht jede Verneinung bezieht sich auf einen Mangel (so zum Beispiel in dem Satz: „2+5 ist nicht gleich 6"). KANTS Erläuterung der „qualitativen" Aussageformen hängt mit seiner Hypothese des subjektiven Charakters der Zeit als einer reinen „Anschauung" a priori zusammen. So bedeutet für ihn „Realität" das Bewußtsein einer Empfindung, ein „Sein in der Zeit" desjenigen, das einer Vorstellung entspricht, „Negation" dagegen die Wahrnehmung einer leeren Zeit (A 134/B 182). Hier denkt KANT offensichtlich an empirische Urteile im Kontext eines Erfahrungsprozesses. Auch für diese Fälle sind seine semantischen Überlegungen fraglich. Wenn man zum Beispiel behauptet „das Buch ist nicht blau", so ist das Verhältnis des „nicht" sowohl zum Bewußtsein eines Mangels als auch zur Vorstellung der Zeit zumindest dunkel. Anstatt von „qualitativen" Urteilen, wie in der Tradition, könnte man heute eher von identifizierenden oder erkennenden Urteilen sprechen und mit Bezug darauf nicht von „Realität" oder „Mangel", sondern von zutreffenden oder falschen Aussagen. Bedeutsam für unser Thema ist vor allem KANTS Rehabilitierung des von ARISTOTELES als besondere Aussageform abgelehnten „unendlichen" Urteils („unendlich", weil die inneren (nicht die relationalen) Eigenschaften von etwas begrenzt sind, wohingegen dasjenige, was etwas nicht ist, unzählbar bleibt): Während das positive Urteil das Enthaltensein eines Subjekts in einer Klasse darstellt oder, wie sich auch noch KANT ausdrückt, in einer „Sphäre", wird es im negativen Urteil aus derselben „ausgeschlossen". Die Originalität der epistemologischen Legitimation des „unendlichen Urteils", das schon bei KANT von einem logischen Standpunkt aus der Verneinung assimiliert wird, besteht darin, daß in ihm die Zugehörigkeit eines Subjekts zur „unendlichen" komplementären Klasse eines negierten Prädikats behauptet wird.^3 So signalisiert in dem Satz „die Seele ist nicht-sterblich" der Ausdruck „nichtsterblich", den KANT mit dem Prädikat „unsterblich" gleichsetzt, auf der einen Seite die Ausschließung des Subjekt-Begriffs aus der Klasse der sterblichen Wesen, auf der anderen Seite seine Einschließung in irgendeine der unendlichen Klassen, die sinnvoll von der Seele prädiziert werden können. Das unendliche Urteil ist bei KANT eine komplementäre prädikative Negation, aber nicht eine komplementäre Klasse im Sinne von BOOLE, denn hier wird die „Unendlichkeit" irgendwie durch die für ein bestimmtes Subjekt in Frage kommenden Prädikate begrenzt; von einem Stein wäre es für KANT nicht sinnvoll zu sagen, er sei „un-sterblich". 13 J. Kant: Logik. In: Werkausgabe (s. Anm. 10). Bd 6. 534 f.

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Eine weitere, wichtige Unterscheidung zwischen negativem und unendlichem Urteil ist, daß beim einen die Negation die „Kopula", beim anderen hingegen das Prädikat affiziert.i** Was KANT hier anscheinend vor Augen hat, ist der Fall, daß wir beim unendlichen Urteil einer spezifischen Form der Negation begegnen, die nicht nur eine Abwesenheit feststellt. Ein Urteil dieser Form verweist auf einen durch den Ausschluß des negierten Prädikats begrenzten Spielraum von Möglichkeiten, von denen das erkennende Subjekt nicht imstande ist, die in Frage kommende Eigenschaft direkt zu identifizieren und somit zum positiven Urteil überzugehen — es sei denn, man interpretiert das negative Prädikat (Nicht-B) nicht als Kennzeichnung einer Sammlung von möglichen „Bestimmungen", sondern positiv als die konträre Alternative. KANTS Ausführungen bleiben jedoch zweideutig. Auf alle Fälle ist es in Hinsicht auf Hegels Auffassung der Negation bedeutsam, daß KANT dem unendlichen Urteil in der Kategorientafel den Begriff der „Limitation“ entsprechen läßt und diese als Verbindung von „Realität mit Negation" (B 111) definiert. Im Kapitel über das „transzendentale Ideal" (A 571/583, B 599/611) schließlich operiert KANT mit einem metaphysischen Negationsbegriff, in dem noch die Spuren der LEiBNiz-WoLFFschen Ontologie zu erkennen sind. Hier wird eine Negation als Einschränkung der unendlichen Totalität möglicher „Bestimmungen" eines Gegenstandes charakterisiert. pg handelt sich um eine nicht allererst vom erkennenden Subjekt konstatierte, sondern dem Objekt immanente „Negation", eine Unvollkommenheit der Sache selbst, die der Endlichkeit des Existierenden konstitutiv ist. Bei FICHTF gewinnt diese Anschauung der Negation einen aktiven Charakter; die „Limitation" wird als das Resultat von konträren Handlungen eines Bewußtseins aufgefaßt, das sich erst dadurch konstituiert, — in der Sprache FICHTFS: eines „Setzens" und „Entgegensetzens" des „Ich".i^ Dasjenige, was Hegel als eine einseitige Operation, als „abstrakte Negation" kritisiert, ist nichts Anderes als die negative Aussage. Was er dagegen zu begründen versucht ist eine Art prädikativer Negation, die eine Modifikation von KANTS „unendlichem Urteil" darstellt. Für die Geschichte der Polemik um die Kopula als Gegenstand der Verneinung siehe den Artikel Negation von A. Menne in: Historisches Wörterbuch (s. Anm. 6). Sp 667 ff. 15 Vgl. I. Kant: KrV. A 572/B 600 und M. Wolff: Der Begriff des Widerspruchs (s. Anm. 12). 74 ff. /. G. Fichte: Grundlage der Gesamten Wissenschaftslehre (1794). Hrsg, von W. G. Jacobs. Hamburg 1970. 22 ff, insb. 29.

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3. „Abstrakte" und „bestimmte" Negation Eine systematische Behandlung seines Begriffs der Negation gibt uns Hegel nicht. „Negation" bezeichnet in seiner Philosophie nicht nur eine logisch-ontologisch besondere Kategorie; das Wort steht auch für ein Verfahren, das eine Modifizierung oder zumindest eine Verschiebung von Begriffen bewirkt. Hegel operiert mit dem Begriff der Negation und appelliert hin und wieder an ihn, aber explizit wird die Funktion, die sie ist, nur anläßlich eines spezifischen Übergangs erörtert oder im Gegensatz zu dem, was generell zu sagen wäre. Hegels Auffassung der Negation muß aus verschiedenen Textstellen erst rekonstruiert werden. Hinter dem einfachen Wort „nicht" versteckt sich ein komplexes Phänomen. In den fünf Grundformen, die Negationen in der apophantischen Rede annehmen, d. h. als (1) Antwort auf eine Frage („Nein"), (2) als negative Aussage („A ist nicht B"), als (3) prädikative Negation („A ist Nicht-B"), als (4) negative Existenzaussage („A existiert nicht") und als (5) doppelte Negation („Es ist nicht wahr, daß A nicht B ist"), besteht die Funktion der Negation darin, entweder [a] Stelle anzuzeigen, wo ein Element ersetzt werden muß (z. B.: „A ist nicht B, sondern . . .")^^, oder [ß] eine Abwesenheit zu signalisieren („A ist nicht da"). In all diesen Fällen ist die Negation ein Verfahren, das einen Raum für Alternativen voraussetzt. Da, wo keine Alternative möglich wäre, würde das Negieren sinnlos. Eine Negation ist eine Operation, die unternommen wird, um von einer Alternative zur anderen überzugehen. Die für sie vorausgesetzten Räume können verschieden konstituiert sein. Ein minimaler kategorialer Raum besteht in der Anwesenheit oder Abwesenheit einer Eigenschaft. Aber es gibt Räume einer endlichen Pluralität von Optionen (wie z. B. Farben) oder unendlicher (wie z. B. Zahlen, Orte, usw.), bekannter (wie z. B. Wochentage) wie unbekannter (wie z. B. Galaxien) Altemativmöglichkeiten. Nur durch prädikative Negationen werden bipolare Oppositionen gebildet, während die negative Aussage „unbestimmt" läßt, mit welchem Prädikat ein für falsch erklärtes Element eines Satzes ersetzt werden muß; denn über seine möglichen Alternativen besagt eine negative Aussage nichts. Im Falle der prädikativen Negation dagegen kann man von einer Negationsmetonymie sprechen, insofern bei ihr die Operation mit ihrem Resultat konfundiert wird: Nicht-B kann als eine Negation von B und zugleich als Vgl. G. Ryle: Knowledge, Experience and Realism. In: Symposium: Negation. In: Aristotelian Society. Vol. 9. 85.

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ein konträrer Gegensatz von B im Rahmen eines dichotomischen Begriffsraumes aufgefaßt werden. In einer bekannten Passage der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes wird der Begriff des „Negativen" nicht im Kontext von Überlegungen sprachlicher oder metalogischer Natur eingeführt, sondern in bezug auf gewisse transzendentale Akte des „Verstandes", insbesondere solche der Analyse von Begriffen: „Die Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten oder vielmehr der absoluten Macht".Wenige Zeilen später wird diese Operation charakterisiert als „die ungeheure Macht des Negativen; es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs".^^ Auffallend ist hier die Rede von einer „Macht" des Negativen: Worin besteht sie und woran wird sie ausgeübt? Von einem rein logischen Standpunkt aus, produzieren Negationen keine „Scheidung" oder Trennung; sie stellen einfach fest, daß zwischen einem Individuum und einer Klasse oder einer Klasse und einer anderen, in der die erste als eingeschlossen gedacht wurde, kein Zusammenhang besteht. Aber Hegels Negationsbegriff bezieht sich auf einen Raum für Alternativen, von dem jeder Begriff ein Bestandteil ist und in bezug auf den er als Oberbegriff wiederum zur Basis für eine innere Unterscheidung gemacht werden kann. Was Hegel hier vor Augen hat, ist nicht sosehr das „Negative" selbst, sondern die Gestaltung einer Dichotomie, die sein Negationsbegriff voraussetzt, bzw. dasjenige, was er in seiner sogenannten Nürnberger Propädeutik die „dialektische Natur der Vernunft"20 nennt. Als eine Operation betrachtet, impliziert jede Form von Negation zweierlei. Erstens ist sie synkategorematisch oder ergänzungsbedürftig. Jede Negation ist Negation „von". Ich nenne den Gegenstand einer Negation ihr „Thema". Jede Negation hat also ein Thema, aber das Thema, das sowohl ein Satz wie auch ein Prädikat, eine Absicht wie auch eine Handlung sein kann, setzt seine Negation nicht voraus, so daß hier eine Asymmetrie festzustellen ist. Zweitens ist jede Negation eine gewisse Tätigkeit, jede Tätigkeit etwas Positives, d. h. daß sie eine bestimmte Wirkung ausübt und eine entsprechende Modifikation mit ihrem Thema vomimmt. Die Frage ist jetzt, welche Art von Effekt durch Negationen bewirkt wird. Von der Vorstellung einer Negation ist ein gewisses Zerstören,

18 Hegel: Werke (s. Anm. 5). Bd 3. 36. 19 Ebd. 20 Hegel: Werke (s. Anm. 5). Bd4. 87, 90 und 91.

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Beseitigen oder Eliminieren unzertrennlich.'^^ Keine Negation, die nichts eliminierte; und dies gilt auch von Hegels Idee einer „Aufhebung",22 d. h. einer Operation, die beides, abschaffen und aufbewahren, verbinden würde. Aber auch im Hegelschen Sinne ist das, was ein „Aufheben" eliminiert, nicht das gleiche wie das, was es bewahrt. Eine Beseitigung oder Eliminierung kann partiell oder total sein. Wenn eine Negation ihr Thema absolut abschafft, hört sie selbst auf, denn sie existiert nur als Vorgang, solange sie an etwas ausgeübt wird. Sprachliche Negationen eliminieren konstitutive Bestandteile eines kognitiven Bildes und verweisen gleichzeitig auf ihre mögliche Ersetzung. Hegels Begriff der Negation orientiert sich m. E. nicht an gewissen Regeln der negativen Aussage, wie DIETER HENRICH in zwei scharfsinnigen, aber gleich mühsam zu lesenden Aufsätzen zu zeigen versucht hat.^3 Denn negative Aussagen sind „unbestimmt", d. h. sie können auf ungewisse oder multipolare Alternativen verweisen, sie ergeben keine Gegenbegriffe. Aber dies bedeutet nicht, daß Hegels Auffassung der Negation sich völlig unabhängig von der Funktion der Negation in der Sprache entwickelt hätte, inspiriert von der Urerfahrung einer Tätigkeit der „Scheidung" oder des „Trennens", wie die These von MICHAEL THEUNISSEN in seinem Buch Sein und Schein lautet.^^ Hegel denkt vielmehr an

21 Bei der jetzt üblichen Definition der Negation über die sogenannte Wahrheitswerttafel, d. h. als Unakehrung des Wahrheitswertes einer positiven Aussage oder, was auf das gleiche hinausläuft (wie schon bei Sigwart metasprachlich als Erklärung der Falschheit eines affirmativen Urteils), bleibt der eliminative Charakter einer negativen Sprachhandlung verborgen, aber der Begriff des Falschen setzt schon eine Vorstellung von Negation voraus. In der negativen Aussage wird ein Teil eines Syntagmas durchgestrichen oder eliminiert. 22 Siehe Hegel: Werke (s. Anm. 5). Bd 5. 113 ff. 23 Siehe D. Henrich: Hegels Grundoperation. In: Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag. Hrsg, von U. Guzzoni, B. Rang und L. Siep. Hamburg 1976. 274. Eine Auseinandersetzung mit dieser Arbeit ist für eine zeitgemäße Behandlung des Problems unausweichUch. Auch wenn Henrich einräumt, daß Hegels Logik in „einer systematischen Analyse von Begriffen" im Gegensatz zu Aussagen besteht, ist seine Hauptthese doch, daß Hegel einen eigenen Begriff der Negation entwickelt habe, den einer „autonomen Negation", die gewisse Eigenschaften oder Regeln gemeinsam mit der negativen Aussage hat, nämhch daß (1) eine Negation etwas negiert, daß (2) eine Negation auf sich selbst angewandt werden kann und daß (3) eine „autoreferentielle Negation" ein positives Resultat besitzt. Vgl. dazu auch ders.: Formen der Negation in Hegels Logik. In; Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Hrsg, von R. P. Horstmann. Frankfurt/M. 1978, 213 ff. Aber die Rede von einer Negation, die auf sich selbst angewandt wird, ist entweder eine Metapher oder eine nicht nachvollziehbare Paradoxie, derm Negationen sind synkategorematisch. Wird die Negation als eine Operation betrachtet, die nicht sukzessiv verfährt, so würde eine selbstreferentielle Negation nicht negieren können. 2'* M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt/M. 1980. 175; für die Diskussion mit Heiuich siehe 171 ff. Über Hegels Negationsbegriff

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Negationen des prädikativen Typs, mit denen er bipolare Alternativräume konstruiert. Durch ihre Substantivierung wird sogar die negative Aussage als „Negation", d. h. als ein Extrem des dichotomischen Gegensatzes von Negation/Affirmation gefaßt. In den Hegelschen Texten erscheint unter dem Wort „Negation" nicht sosehr eine substantivierte Operation, als vielmehr ihr Resultat. Hegels Formel lautet: ,,[Nicht-A =] B ist die Negation von A". Hegel definiert die „bestimmte" Negation als ein zweistelliges Prädikat. Durch dieses Modell werden eine Vielfalt von Begriffsdichotomien interpretiert, von denen viele als Antonyme der natürlichen Sprache registriert sind. Unter „Negation" versteht Hegel (1) einen einem negierten Prädikat entgegengesetzten Gegenpol innerhalb eines dichotomischen Gegensatzes (so z. B. das „Nichts" im Gegensatz zum „Sein", das „Andere" im Gegensatz zum „Etwas", das „Unwesentliche" in bezug auf das „Wesentliche", das „Urteil" als Gegenbegriff zum „Begriff", usw.); (2) die Operation, die den Übergang vom einen zum anderen möglich macht; (3) die Formen des Gegensatzes selbst, der die Inkompatibilität beider Extreme bedingt (Hegel kennzeichnet ihn als „Entzweiung", „Entäußerung", „Differenz", „Widerspruch", usw.); und (4) eine gewisse eliminative Handlung, die über das Thema ausgeübt wird. Hegels Auffassung der Negation entsteht aus Überlegungen zur Bedeutung und Implikation des negativen Prädikats (Nicht-A), das in einer prädikativen Negation enthalten ist. Die Funktion, die dieses Prädikat anzeigt, wird als Ausschließung interpretiert. Hegel nennt sie ja die „Operation des Weglassens"Das Ausschließen eines Anderen aus einem gemeinsamen Alternativraum ist eine Art, sich selbst zu begrenzen. Mit anderen Worten, das Ausschließen ist etwas Gegenseitiges, das die Form eines semantischen Feldes bestimmt. Begriffe sind nicht einsame Monaden, sondern Unterscheidungsmerkmale, die als solche einen gemeinsamen Differenzierungsraum voraussetzen. Das Verhältnis gegenseitigen sich Ausschließens und gleichzeitig sich Ergänzens der Extreme als signifikanter Bestandteil eines bipolaren semantischen Raumes ist dasjenige, was Hegel „Widerspruch" nennt. Es handelt sich um ein Verhältnis zwischen gegensätzlichen Prädikaten oder, wie sich Hegel ausdrückt, von Einheit (oder Identität) „Entgegengesetzter". Während nach ARISTOTELES ein Widerspruch in der Verbindung einer positiven und einer verneinenden Aussage besteht, setzt sich vgl. auch /. Hyppolite: Logique et existence. Paris 1961. 135 ff, wo Hyppolite auf interessante Textstellen aufmerksam macht, auch wenn er sie nur paraphrasiert. Hegel: Werke (s. Anm. 5). Bd 5. 275.

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der Hegelsche Widerspruch aus zwei prädikativen Negationen zusammen [A ist Nicht-A (= B) und B ist Nicht-B (= A)]. Hegel geht vom factum der Vorhandenheit von Begriffen in der natürlichen Sprache aus, die, um es in der Sprache eines gegenwärtigen Logikers zu sagen: „come in opposed pairs".^^ Ein Widerspruch im Sinne eines Verhältnisses einer positiven und einer negativen Aussage, die sich unter dem gleichen Gesichtspunkt auf dasselbe Subjekt und Prädikat beziehen, kann für Hegel genau sowenig wie für ARISTOTELES etwas Realem entsprechen. Was Hegel „Widerspruch" nennt, ist ein bipolarer Raum von Alternativen, die konstitutive Aspekte einer Begriffsunterscheidung beschreiben. Man kann sich die Beziehung zwischen positiven und negativen Begriffen bei Hegel als das Verhältnis zwischen einem Problem und seiner Lösung vorstellen. Probleme sind nicht isolierte Tatsachen, die einfach da sind. Sie haben eine konstitutiv provisorische Existenzform, die zu ihrer eigenen „Negation" herausfordern. Genausowenig wie autonome Negationen gibt es selbständige Lösungen, d. h. Lösungen an sich, die nicht Lösungen „von" spezifischen Fragen oder Problemen wären. Problem und Lösung gehören zu einer gemeinsamen Begriffsbestimmung. Mit der Lösung verschwindet das Problem, aber mit dem Problem auch die Lösung. Hegels Grundthese ist, daß gerade die Verselbständigung einer der Extreme eines bipolaren Begriffsraumes zu Widersprüchen im ARiSTOTEiischen Sinne führt. So ist die Vorstellung eines „reinen Seins", das nichts von sich ausschließen würde, d. h. das nicht ein Unterscheidungsmerkmal wäre, inkonsistent, denn man könnte es nicht von etwas anderem, zumal vom „Nichts" unterscheiden und als solches identifizieren. Ebenso gibt es keine Ursache ohne eine Wirkung, keinen Herren ohne einen Sklaven, keinen Vater ohne einen Sohn, wie umgekehrt nur Wirkung oder Abhängigkeit „von" existiert, d. h. in bezug auf einen Gegenbegriff, mit dem sie eine Bedeutungseinheit bildet. Im Hegelschen Modell des Widerspruchs wird unter Negation sowohl eines der Extreme verstanden wie auch die Ausschließung, die das Verhältnis von beiden charakterisiert. Hegels These ist, daß man normalerweise mu: auf die isolierten Seiten eines bipolaren Gegensatzes aufmerkt, nicht auf den Begriff, der der Unterscheidung zugrunde liegt. Die Tatsache jedoch, daß eins der Extreme (und nicht beide) im Einklang mit der natürlichen Sprache als „Negation" bezeichnet wird, zeigt eine bedeutsame Asymmetrie. Für Hegel bewirkt eine Negation nicht nur eine absolute oder teilweise Ausschließung ihres Themas, sondern 26 f. Sommers: The Logic of Natural Language. Oxford 1982. 169.

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auch die Offenbarung eines wesentlichen Aspekts desselben. Denn nicht nur die Negation ist etwas Ergänzungsbedürftiges, auch dasjenige, das als positiv und selbständig erscheint, ist im Grunde eine „Abstraktion".27 Hegel hat die Existenzweise negativer Terme verallgemeinert und als Modell für seine Auffassung des Realen genommen. Jedes Existierende „ist" eine „Abstraktion", d. h. hat nur Sinn als ein Eragment aus einer Totalität, von der es nicht getrennt zu denken ist. Eine so verstandene Negation ist nicht allein eine abschaffende Operation, sondern zugleich ein Explizieren einer inneren Qualität des positiven Begriffs selbst, seiner „Negativität". Worum es sich hier handelt, ist die wesentliche Mitzugehörigkeit eines Begriffs, der scheinbar selbständig auftritt, zu einem kategorialen Raum zu zeigen, in dem der Sinn jedes Extrems durch das Verhältnis zu seinem Gegenteil konstituiert wird. Das Positive „ist" schon an sich negativ. Im negativen Extrem zeigt sich das Bedingtsein jedes Begriffs durch sein Anderes nur deutlicher, ln diesem Sinne muß man das dictum verstehen, das Hegel SPINOZA zuschreibt, nach dem „jede Bestimmung eine Negation ist" („Omnis determinativ est negatio"^^). Im Positiven ist das Negative nur „versteckt".29 Das hier Gemeinte besagt weder, daß die Unterscheidung zwischen Affirmation und Negation willkürlich ist, noch, daß jede positive Aussage per se eine Negative ist. Wenn man etwas behauptet, dann kann natürlich die Aussage als Basis für eine Negation des Gegenteils dienen, aber dies bedeutet nicht, daß der positive Satz negativ sei, denn das Einzige, was man logisch negieren kann, sind Sätze, die für falsch gehalten werden. Hegels Idee scheint mir vielmehr die zu sein, daß schon der positive Begriff eine negative Tätigkeit impliziert (eine Ausschließung des Gegenteils) und daß die Negation die Exposition eiHegel: Werke (s. Anm. 5). Bd 5. 275. 28 Ebd. Bd 5. 121, Bd 6. 195 und Bd 20 (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie). 164. Die hier zitierte Textstelle von Spinoza befindet sich im Brief L vom 2. Juni 1674 an Jarig Jelles. Es handelt sich eigentlich um eine Randbemerkung. Die Bedeutung die Hegel dem Satz beimißt, ist sicherlich nicht für Spinoza, sondern für seine eigene Philosophie zentral. Das Wort „omnis" findet sich nicht im Original. Spinoza bezieht sich in dem Text auf geometrische Gestalten (figura), die insofern Negationen sind, als sie gedankliche Konstruktionen (ens rationis) darstellen, denen im Unterschied z. B. zu Körpern nichts Objektives entspricht. Insofern sind für Spinoza sowohl Bestimmungen als auch Negationen im Unterschied zu Hegel etwas Subjektives und nichts Ontologisches. Bei Jacobi, wahrscheinlich Hegels Textquelle, wird die Briefstelle Spinozas schon im Sinne eines idealistischen Monismus interpretiert und in bezug auf „einzelne Dinge" verstanden, „die, insofern auf eine gewisse bestimmte Weise da sind, . . . die non-entia" seien, im Gegensatz zum „unbestimmten" und „unendlichen Wesen", welches das „einzig wahrhafte ens reale, hoc est, . . . omne esse" sei. Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Hrsg, von F. Koppen und F. Roth. Bd4, 1. Leipzig 1819. 122.

29 Hegel: Wissenschafl der Logik. In: Werke (s. Anm. 5). Bd 5. 122.

Die dialektische Natur der Vernunft

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nes in ihm impliziten Zuges ist. So entsteht zum Beispiel das Nichtsein oder das Nichts des Anfangs der Wissenschüß der Logik als eine erste elementare Form von „bestimmter" Negation, indem die philosophische Analyse die totale Unbestimmtheit, durch die das Sein von jeder Partikularität unberührt bleiben sollte, d. h. seinen abstraktiven Charakter als konstitutiv für seinen Begriff ableitet. Sowenig wie „das bloße Nicht"^ existiert, sowenig existiert ein „beziehungsloses" Sein, d. h. ein Sein, das nicht ein Sein von etwas wäre. So wie der positive Begriff „an sich" schon Negation ist, so ist die „Negation" an sich schon eine „Negation der Negation". Nach ARISTOTEüschem Verständnis besteht der Widerspruch in der gleichzeitigen Behauptung einer positiven und einer negativen Aussage desselben in bezug auf dasselbe in derselben Rücksicht. Das Modell der Hegelschen Dialektik basiert auf KANTS Auffassung der „Antinomie" als einer Zusammensetzung einer positiven Aussage und eines „unendlichen Urteils": „. . . die Antinomie, der sich selbst aufhebende Widerspruch, [ist] der höchste formelle Ausdruck des Wissens und der Wahrheit". Hegels „Negation der Negation" hat mit der logischen Regel der doppelten Negation nur einen Vorgang gemeinsam, den Hegel als SelbstannuUierung interpretiert hat. Denn für Hegel handelt es sich bei der „Negation der Negation" mn zwei Negationen, die sich wie KANTS „negative Größen" gegenseitig begrenzen und zerstören. Dieser Prozeß endet deshalb in einer Selbstzerstörung, weil jede Kategorie nur als komplementäres Extrem des ausschließenden Gegensatzes besteht — unabhängig von seinem Gegensatz genommen zeigt sich bei jedem Begriff der gemeinsame kategoriale Raum.32 So ist das „reine" Sein zum Beispiel zwar nicht identisch mit dem Nichts, aber so undifferenziert wie dieses; so hat zum Beispiel die Strafe mit dem Verbrechen gemeinsam, daß es ein Akt reiner Gewalt ist, wenn man sie völlig unabhängig vom Gesetz oder von einer Vorstellung von Gerechtigkeit deutet. Die „Negation der Negation" Hegels ist nur ein anderer Nameßir dessen Auffassung von „Widerspruch" und von dessen Resultat. Der Prozeß der „Negation der Negation", d. h. der Konfrontierung von gegenseitig sich negie30 Ebd. 84. 31 Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie. In: Werke (s. Anm. 5). Bd 2. 39. 32 Vgl. Kants Lehre von der „logischen Einteilung" der „Begriffe": „Die Glieder der Einteilung müssen durch kontradiktorische Entgegensetzung, nicht durch ein bloßes Widerspiel (contrarium) von einander getrennt sein". I. Kant: Logik. In: Werkausgabe (s. Anm. 10). Bd 6. 579.

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renden Begriffen, führt zu einer qualitativ neuen, dritten Art von Negation, zur Negation nändich nicht eines Begriffs durch einen Gegenbegriff, sondern des Ausschlußverhältnisses beider, zur „Entgegensetzung gegen die Entgegensetzung"^^ und Entstehung eines neuen kategorialen Alternativraums. Ausdrücke wie Negation, Negation der Negation und Widerspruch haben bei Hegel eine zweideutige Bedeutung. Auf der einen Seite werden sie im üblichen Sinne verstanden. Hegel exponiert ja seine Gedanken mit positiven und negativen Aussagen und das Widerspruchsprinzip bleibt für seine Auffassung der Kritik und der philosophischen Analyse maßgeblich. Auf der anderen Seite haben sie einen technischen Sinn. Widerspruch und Negation der Negation werden bei ihm als konstitutive Wesenszüge der Identität eines Subjekts gesehen. „Negieren" ist auch die Fähigkeit eines Subjekts, eine gewisse Änderung seiner Umgebung zu bewirken; erst mit dem „Etwas", der primitivsten Form von doppelter Negation, erscheint unter dem Seienden „der Anfang des Subjekts".^4 Die Negation einer Negation als Eigenschaft eines Subjekts kennzeichnet somit eine höhere Form von Autonomie, in dem sie das Destruktive gegen sich selbst wendet und „negiert". So kann sich z. B. eine freie Gesellschaft erhalten, indem sie intolerant gegen die Intoleranz wird, und eine Gemeinschaft von Nationen, die auf das Ideal des friedlichen Zusammenlebens gegründet ist, kann ihre Glaubwürdigkeit nur erhalten, wenn sie bereit ist, Gewalt gegen die Übertretung internationaler Normen auszuüben, sobald diese Übertretung die gebrechlichen Bedingungen der Freiheit bedroht.

^ Hegel: Über die wissenschaftlichen Bd 2. 434 ff. 34 Hegel: Wissenschaß der Logik. In:

Behandlungsarten des Naturrechts. Werke

(s. Anm. 5). Bd 5. 123.

In;

Werke

(s. Anm. 5).

ANGELICA NUZZO (FIRENZE/PISA)

ZUR LOGISCHEN BESTIMMUNG DES ONTOLOGISCHEN GOTTESBEWEISES Bemerkungen zum Begriff der Existenz im Anschluß an Hegel*

1. Parmenides und Hegel über das ontologische Problem Das Problem, das der Begriff der , Existenz' dem philosophischen Denken stellt, gehört nach einer alten Tradition demjenigen Teil der Metaphysik als philosophia prima an, die die Ontologie ist. Und das gilt für die verschiedensten Gestalten, die die Metaphysik in der Geschichte der Philosophie jeweils angenommen hat. Nun versteht sich die Hegelsche Wissenschaft der spekulativen Logik nicht nur als Metaphysik, sondern sogar als die „eigentliche Metaphysik": nämlich als die wahrhafte metaphysische Grundtheorie der Pormen der Realität, von all dem, was ist und insofern es ist. Nur in der Form der spekulativen Logik ist nach Hegels Auffassung eine neue nachkritische Metaphysik zu begründen. Erst im Rahmen einer solcher Metaphysik ist dann das traditionelle Problem der Existenz als Frage nach dem vernünftigen Sinn des Seins überhaupt noch zu stellen. Nun gründet sich die spekulative Logik als Metaphysik — und daher letztendlich als eine vollkommen neu zu verstehende , Ontologie' — auf der wesentlichen Voraussetzung der dialektische Identität oder Einheit von Denken und Sein. Diese Einheit ist für Hegel das Resultat eines dialektischen Prozesses, nach dem die Darstellung der Formen des objektiven Gedankens mit der Darstellung der vernünftigen Formen der Dinge zusammenfällt. ^ Dieser Gedanke wird von Hegel in sehr verschiedenen Weisen sowie auf ganz verschiedenen systematischen Ebenen ausgedrückt: sowohl in der logischen These des „objektiven Gedankens"^ als auch in dem von der Naturphilosophie dargestell-

* Abkürzungen: TW = G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Auf der Grundlage der Werke von 1832—1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion E, Moldenhauer u. K. M. Michel. Frankfurt/M. 1969-1971. 1 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zum Gebrauch seiner Vorlesungen. Berlin. 3. Aufl. 1830 (TW 8—11 = Enz.). §24 Anm. 2 Enz. §§ 24 Anm., 25.

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ten Vorhandensein der Vernunft in den Systemen der Natur^ und schließlich in der geistesphilosophischen These, daß die Vernunft ihre Stelle in der geschichtlichen Wirklichkeit eingenommen hat oder einfacher: daß die Vernunft (die absolute Idee) Geist ist. Darüber hinaus stellt sich die Hegelsche Logik als die Grundtheorie einer Philosophie, die weder als die Wissenschaft des Möglichen als solchen (wie bei WOLFF) noch als Wissenschaft der Bedingungen der Möglichkeit des Möglichen (wie bei KANT) definiert wird, sondern vielmehr als „denkende Betrachtung" dessen, was da ist, als begreifende Einsicht der Gegenwart, dessen also, was immer in der Modalität der Existenz vorhanden ist. Wenn für Hegel alles, was da ist, stets der Aneignungstätigkeit des Denkens unterworfen werden kann, dann gilt auch umgekehrt, daß die Existenz die Hauptmodalität ausmacht, in der die Formen des Denkens ihre notwendige ,objektive' Dimension erreichen können. Schon aus diesen allgemeinen Bedingungen der Hegelschen spekulativen Logik ließe sich die Folgerung ziehen, daß die Metaphysik bzw. die Logik (mit all ihren Sätzen) notwendig wahr sein muß. Denn nur, wenn Wahrheit als adaequatio definiert würde und folglich die philosophischen Sätze sowie die in jenen Sätzen abgeleiteten logischen Formen eine von ihnen prinzipiell unterschiedene Realität vorstellten oder beschrieben, dann würden diese Sätze mit der Realität übereinstimmen oder nicht übereinstimmen können, also wahr oder falsch sein und somit das, was existiert oder nicht existiert beschreiben. Die spekulative Logik Hegels hingegen muß mithin darum notwendig wahr sein, weil die logischen Bestimmungen die Realität selbst sind. Sie machen sogar das Wirkliche an der Wirklichkeit aus. Die Grundbestimmungen des Gedankens gelten nicht darum von Gegenständen, die von ihnen metaphysisch bzw. ontologisch zu unterscheiden sind, weil sie der Objektivität der Gegenständen irgendwie entsprechen; und auch nicht darum, weil die logischen Bestimmungen die Realität irgendwie widerspiegeln (denn in diesem FaU könnte deren Theorie wahr, aber auch falsch sein). Die logischen Formen des Gedankens sind vielmehr schon an und für sich selbst nichts anders als die existierenden Strukturen der Wirklichkeit. Wahrheit und Falschheit (von Urteilen oder Sätzen) bestehen aber nur dann, wenn ein prinzipieller Unterschied zwischen Denken und Sein gesetzt wird. Wenn hingegen der Gedanke das Seiende selbst ist, dann kann er niemals falsch sein, weil es unmöglich ist, daß der Gedanke das Seiende nicht adaequat ausdrückt, ln diesem Fall kann auch der Begriff wahr 3 Enz. § 280 Anm.

Zum ontologischen Gottesbeweis

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sein — wie es bei Hegel tatsächlich geschieht; er kann aber niemals falsch sein; seine ,Falschheit' besteht nur darin, daß er eine ,höhere' Wahrheit zuläßt und sogar fordert. Nach Hegels Auffassung hat die Philosophie das Absolute als Objekt; dies ist aber zugleich ihr einziges Objekt und das einzige Objekt überhaupt — d. h. das Einzige, das wahrhaft da ist oder existiert, sowie das Einzige, das wahr ist. Die Philosophie ihrerseits ist demzufolge eine Erscheinung des Absoluten und zugleich dessen höchste Manifestation, weil sie die wirklich gewordene Vernunft zur Darstellung bringt. Dieses Ergebnis der Hegelschen Logik-Auffassung nähert sich PARMENiDES an, wobei beide Philosophien derselben Denkfigur zu folgen scheinen. Das Problematische besteht hier darin, daß eine Begründung der Logik als notwendig wahre Theorie die Möglichkeit auszuschließen scheint, irgendeine Behauptung über das Nicht-Existierende als sinnvoll zu deuten und es dandt verbietet, die Existenz selbst — genauso wie die anderen Modalkategorien — bestimmt zu denken. Denn von Anfang an ist das Problem der Existenz nichts anderes als das Problem der Art und Weise, wie ihre Denkbarkeit zusammen mit dem Gedanken der Nicht-Existenz zu begreifen ist. Es sei also kurz an PARMENIDES' These erinnert, die Hegel selbst am Anfang seiner Logik erwähnt. Sie lautet nach Hegels Wiedergabe: „Nur das Sein ist, und das Nichts ist gar nicht. PARMENIDES' These kann auch auf folgende Weise zusammengefaßt werden: ,Sein' oder ,Realität' sei der allumfassende Name, der für alles gilt, was im Universum der FaU sein kann. Es sei außerdem unterstellt, daß das Sein ist (daß man vom Sein die Existenz aussagen darf und sogar muß). Wenn daher etwas begriffen werden könnte, das nicht existiert, würde dieses etwas nicht dem Sein angehören. Es ist aber unmöglich, etwas zu begreifen, das nicht der Fall ist, bzw. nicht dem Sein angehört, denn das hieße, nichts zu begreifen, also überhaupt nicht zu begreifen. Die notwendige Schlußfolgerung ist also, daß es unmöglich ist, etwas zu denken, das nicht existiert. Wenn ferner die Wahrheit darin besteht, das als existierend auszusagen, was existiert (und gegebenenfalls: das als nicht-existierend, was nicht-existiert), und die Falschheit dagegen darin, das als existierend zu behaupten, was nicht existiert (und umgekehrt; das als nicht-existierend, was hingegen existiert)^, dann kann man — nach PARMENIDES — nie etwas Falsches behaupten: jede beliebige Aussage muß als solche immer wahr sein. ■* Wissenschaft der Logik. TW 5. (= WdL I.) 84; Parmenides Fr. 6). 5 Vgl. z. B. Platon: Sophistes. 263 a 11-b 7.

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Die Wiederaufnahme dieses Paradoxons ist nicht unwichtig für eine Logik, die als die „eigentliche Metaphysik" gegen die „vormalige Metaphysik" die wahre Ontologie zu begründen versucht. Man kann durchaus sagen, daß das PARMENiDEische Paradoxon immer wieder auftritt, wenn die Philosophie das ontologische Problem^ stellt — und sobald sie es stellt. Dies ist gerade der Fall bei Hegels Logik. Es handelt sich nicht so sehr darum, zu entscheiden, ob — und gegebenenfalls wie — die logischen Bestimmungen reale Gegenstände bezeichnen können; denn daß es eine objektive Geltung für die logischen Formen gibt, ist freilich durch die Anfangsthese des ,objektiven Gedankens' schon gesichert. Es muß vielmehr gefragt werden, ob dem Gegenstand, der eins ist mit der ihn repräsentierenden begrifflichen Form, die Existenz oder Nicht-Existenz sowie die anderen Modalkategorien zugeschrieben werden können. Die Lösung dieses Problems sucht Hegel auf zwei Gebieten: einerseits in der Logik, andererseits in der Natur- und Geistphilosophie. Dabei bringt er verschiedene Bedeutungen von ,Existenz' ins Spiel.

2. Drei Modelle für das Verhältnis von Denken und Sein Es ist leicht zu sehen, daß die möglichen Antworten auf die PARMENiDEische Schwierigkeit nur drei sein können. Sie können in den folgenden Argumenten kurz dargestellt werden: (1) Die Gegenstände können nicht nicht-existieren. Jede beliebige logische Form, insofern sie objektiv ist, d. i. insofern sie etwas bezeichnet, bezeichnet einen bestimmten existierenden Gegenstand. Diese These beruht auf der zweifachen Voraussetzung, daß das Seiende ist (existiert) und daß das Seiende — d. h. alles, was der Fall ist — eins isF als eine durchgängig bestimmte Totalität oder als Individuum. Sie kann auch als eine Verallgemeinerung des ontologischen Arguments angesehen werden, nach welchem Gott das einzige Objekt (der Begriff eines Individuums als omnimode determinatum) ist, dem die Nicht-Existenz nicht zugesprochen werden kann. Diese These schließt ferner die Unmöglichkeit des Falschen und der Modalunterschiede ein und könnte daher von einem Verstand ausgesprochen werden, der wie der anschauende Verstand der Kritik des Urteilskraft funktioniert.® Sie impliziert aber damit zu® Mit dieser Kurzformel bezeichne ich den gerade skizzierten Gedankengang, der das Verhältnis von Denken und Sein thematisiert. ^ Vgl. Sophistes. 242 d. ® I. Kant: Kritik der Urteilskraft. § 76.

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gleich die Unmöglichkeit, einen überzeugenden Begriff der Existenz zu formulieren. (2) Die Gegenstände können sowohl existieren als auch nicht-existieren. Das Sein bezeichnet diesmal die Gesamtheit der Gegenstände der logischen Sätze, die , Existenz' und , Nicht-Existenz' als seine beiden möglichen Fälle umfaßt. Den Einzeldingen können also beide Prädikate zugesprochen werden — wobei nur eins davon ihnen jeweils zukommen wird. Die Voraussetzung von PARMENIDES: „das Sein ist", wird nun durch den Zusatz ergänzt und daher scheinbar entkräftet: „(auch) das Nichts ist (existiert)".^ Nach dieser These ist das Sein das Unbestimmte, innerhalb dessen die Existenz den Gegenständen zugesprochen wird, so daß sie erst dadurch bestimmt werden können. (3) Die Gegenstände sind weder durch Existenz noch durch Nicht-Existenz (innerlich) bestimmt. In dieser dritten Position wird der Gebrauch von Prädikaten wie ,Existenz' und ,Nicht-Existenz' (Modalität) festgelegt. Wird das Zusprechen eines Prädikats als das Aussagen einer inneren Bestimmung eines Gegenstandes verstanden, so sind Existenz und Nicht-Existenz als Prädikate für Dinge unzulässig. Diese These lehnt sowohl PARMENIDES' Grundannahme (1) als auch ihre schwächere Version (2) ab. Sie stimmt mit derjenigen Auffassung von ,Existenz' überein, die KANT in seiner Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises vorschlägt. KANT behauptet bekanntlich, daß, wenn wir ein Ding, eine res betrachten, die Existenz oder das Dasein kein Prädikat dieser res, kein reales Prädikat ist. Die Existenz ist keine innere Bestimmung eines Dinges als solches, sondern vielmehr bloß die „Position eines Dinges" an sich selbst, lo Das bedeutet aber rdcht, daß der Gegenstand, dem alle ordentlichen oder ,realen' Prädikate zugesprochen werden können, nicht derselbe Gegenstand sein kann, dem die Existenz zugesprochen werden karm. Für das Subjekt ,Gott' gilt genau dasselbe wie für alle endlichen Dinge der Welt. Wenn wir das ,reale Prädikat' oder die ,Bestimmung' eine ,Funktion' nennen, dann können wir die KANTische These über die Existenz so formulieren: Es sei ein Gegenstand ,a' und die Gesamtheit seiner Funktionen gegeben; dann ist die Existenz nicht eine von diesen Funktionen — sie ist kein reales Prädikat von ,a'. Diese bloß negative These muß aber noch durch die entsprechend positive ergänzt werden. Denn obwohl die Existenz nicht die Gegenstände selbst unmittelbar bestimmen kann, vermag sie dennoch den Wert ihrer Funktionen immer zu bezeichnen. Die 9 Vgl. WdL I. 83. 10 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 626.

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positive These lautet mithin: Die Existenz ist kein Prädikat oder keine Bestimmung der Dinge, sondern der Wert der Funktionen oder der ordentlichen Prädikate, die die Dinge bestimmen. Sie bezeichnet die Art und Weise (die Modalität) der Gegebenheit von Gegenständen für das Denken, sofern sie schon von den realen Prädikaten bestimmt sind — sie ist damit die ,Position' des Gegenstandes in bezug auf das Denken. Die Existenz ist aber nicht der einzige Wert jener bestimmenden Funktionen der Gegenstände — sonst würde der PARMENiDEische Schluß wieder auftauchen; sie ist vielmehr einer ihrer beiden möglichen Werte — der andere ist nämlich die Nicht-Existenz. Wie läßt sich nun Hegels Position innerhalb der gerade skizzierten Stellungen deuten? Die von Hegel am Anfang der Wissenschaft der Logik erwähnte Thesen von PARMENIDES (1) und KANT (3) machen die Schwerpunkte seiner Auseinandersetzung mit dem Problem der Existenz aus. Wie schon oben festgestellt wurde, scheint sich die erste These als eine direkte Folge des Einheitsgedankens von Denken und Sein bzw. von Logik und Metaphysik zu ergeben. Die Wissenschaft der Logik fängt dagegen mit einer ganz anderen Überlegung an, die vielmehr der zweiten These nahe kommt: Das Sein ist; aber ebensowohl ist (existiert) das Nichts. Vermittels der hinter ihm liegenden Gesamtentwicklung der Phänomenologie des Geistes hat der Anfang der Logik den vollkommen unbestimmten Gedanken des Seins erreicht, so daß damit zugleich das Nicht-Sein impliziert ist. Dies ist für die Logik notwendig, wenn sie nicht mit dem Absoluten als solchem anfangen soll, sondern zunächst als Logik des Endlichen in einem dialektisch durchgeführten Bestimmungsprozeß bis zum Absoluten sich entwickeln und erheben muß. Dies besagt schon, daß die spekulative Logik nicht mit dem ontologischen Gottesbeweis anfangen kann, wenngleich sie zu einen solchen letztlich führen muß. Das Endliche ist gerade das, was ist und zugleich nicht-ist (Zufälligkeit); was nämlich existiert, obwohl es seinem Begriff nicht vollkommen entspricht. Im Endlichen ist daher die Einheit von Sein und Begriff noch nicht hergestellt. Es ist vielmehr ihr Unterschied gesetzt. Das Sein des Endlichen ist nicht das Sein des Begriffs, d. i. das aus dem Begriff selbst stammende, hergeleitete Reelle^^, welches erst und allein die Begriffslogik erreichen kann. Mit diesem Gedanken ist die eigenartige Beschaffenheit der von der spekulativen Logik vertretenen Identität von Denken und Sein angedeutet und damit auch die neue Form, in welcher Hegel das ontologische Argument wieder aufnimmt: Identität und Unterschied 11 Wissenschaß der Logik. TW 6. (= WdL II.) 264.

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der Bestimmungen, ,Begriff' und ,Sein' müssen in gleicher Weise zu ihrem Recht kommen. Man kann ihre Einheit nicht dadurch hersteilen, daß man eine Seite einseitig zum Inhalt der anderen macht. Wenn der ontologische Gottesbeweis richtig verstanden — und daher verarbeitet — werden soll, so kann das Sein nicht bloß aus dem Begriff abgeleitet oder , herausgeklaubt' werden; denn der Begriff muß gleichwohl ins Sein überführt, so wie die Identität beider Momente als Einheit in einem Prinzip erkannt werden muß. Diese Überlegung erklärt daher die notwendige Verdoppelung des Prozesses, die Hegels Transformation des ontologischen Gottesbeweises erfährt; der Beweis entwickelt sich vom Begriff des Seins (das unbestimmte Unmittelbare, das das ,Sein' des Anfangs ausmacht) zum Sein des Begriffs (der Übergang des ,Begriffs' zur Objektivität).

3. Sein und Begriff in Hegels Logik Der Hegelsche Versuch, den Schwierigkeiten des ontologischen Problems zu begegnen, läßt sich nun auf folgende Punkte zurückführen: (a) Das Sein ist und ebensosehr ist das Nichts; (b) das Sein ist das ,A1T der denkbaren Realität, d. h. es ist mit dem: ,alles was ist' gleich. Es ist daher das Unbestimmte — omnitudo realitatis. (c) Das Sein ist ferner das Eines und Einzige; (d) das All bezeichnet nicht eine (die) Gesamtheit von Gegenständen oder Dingen, sondern vielmehr die Gesamtheit der logischen Bestimmungen des Begriffs — oder die Totalität der Sache selbst. 12 Die allumfassende, unbestimmte Totalität des Seins bezeichnet infolgedessen alles, was wahr oder wahrhaft und wesentlich ist. Das esse als verum esse ist damit der Begriff als Wesen der Dinge. In dieser Form macht das esse den wahren Anfang der Logik aus. Das anfangende Sein stimmt mit der Existenz des Begriffs noch nicht überein; sie wird vielmehr als das Nicht-Wahre, insofern es aber ist (d. i. ein Bestehen hat) dennoch positiv gekennzeichnet. Aufgrund dieser Argumente macht Hegel in der Logik von Anfang an geltend, daß Gegenstände sowohl existieren als auch nicht-existieren (These 2) können; von den logischen Bestimmungen hingegen kann nur gesagt werden, daß sie nicht nicht-existieren können (These 1). Hegel ist darum imstande, diese beiden Thesen zusammen und zugleich gelten 12 WdL I. 29: „Es sind nicht die Dinge, sondern die Sache, der Begriff der Dinge, welcher Gegenstand [der logischen Betrachtung] wird".

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zu lassen — und damit die streng monistische, aber auch höchst unbestimmte Ontologie PARMENIDES' ZU vermeiden, weil er das ontologische Problem von den Gegenständen auf den Begriff verschiebt. Was eine unbestreitbare notwendige Existenz (als ens necessarium) besitzt, ist nach Hegels Auffassung nicht ein Gegenstand, sondern der Begriff selbst — nicht ,Gott' in seinem Begriff aufgefaßt, sondern der „göttliche Begriff" selbst. Daher kann Hegel gegen KANT einwenden, daß es nicht gleichgültig ist, den endlichen Dingen die Existenz oder die Nicht-Existenz zuzuschreiben (These 2); aber gleichwohl kann er mit PARMENIDES das notwendige Sein des Begriffs, d. i. den Begriff im Sein festhalten (These 1). Vor der Beantwortung der Frage, ob Dasein ein reales Prädikat sei oder nicht, muß mithin nach Hegel die Entscheidung über das Subjekt solcher Prädikation schon gefällt worden sein. Die Frage: ,Was ist die Existenz?' löst sich damit in zwei anderen Fragen auf: , Wovon wird das Dasein eigentlich prädiziert?' und: ,Was für ein Prädikat ist es?'. Das Subjekt des logischen Bestimmungsprozesses ist für Hegel der Begriff; nicht aber der Begriff eines von ihm ontologisch getrennten, unabhängigen Gegenstandes, sondern der Begriff selbst als Wesen seines Gegenstandes und eins mit ihm. Diese, der spekulativen Logik eigentümliche Perspektive stellt den logischen Prozeß so dar, daß es sich nicht um die progressive Bestimmung eines Gegenstandes durch Begriffe handelt, sondern um die Bestimmung des einzigen Begriffs als Wesen des mit ihm identischen ,objektiven Gedankens'. Erst im Rahmen einer solchen Perspektive kann nun der ontologische Gottesbeweis wiederhergestellt werden. Denken und Sein sind nach dieser Auffassung in eine asymmetrische Identität gesetzt, so wie es auch bei PARMENIDES (und sogar bei ARISTOTELES) der Fall war — nur daß diesmal die Asymmetrie in die entgegengesetzte Richtung gestaltet ist. Es ist nicht der Gedanke, der mit seinem Gegenstand identifiziert wird^^, sondern der Gegenstand, der in sein Gedachtsein verwandelt wird. Nur im Begriff ist der Gegenstand in seinem wesentlichen und wahren Bestehen, und nur von ihm als begriffenen Gegenstand wird es zugleich möglich zu behaupten, daß er sowohl existieren als auch nicht-existieren kann (empirische und historische Sätze über vorhandene Gegenstände können wahr oder falsch sein). Der

WdL II. 405: vgl. die Verschiebung vom „Begriff Gottes" zum „absolute(n), göttliche(n) Begriff". Vgl. Parmenides Fr. 3; Aristoteles: De anima. 431 a 1: To ö’ aÜTÖ eoriv f| xar’ h/e^yimv Emorf|(iT| T(p jigdygaTi,; De anima 431 b 17: öXwg ge 6 voüg eoxiv ö xar’ ^vegeiav xb. ixpaYgata.

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Begriff des Gegenstandes aber ist notwendigerweise und immer (logische oder allgemein spekulative Sätze sind als solche immer wahr). Gerade an diese Überlegungen knüpft sich die besondere terminologische Verwendung von ,wahr' bzw. ,Wahrheit' und ,falsch' bzw. ,Falschheit' bei Hegel. Während für eine lange Tradition, die sich von PLATON bis KANT durchhält, diese Termini von Urteilen oder Sätzen, aber keinesfalls von Begriffen ausgesagt werden können, gilt dagegen für Hegel, daß Wahrheit die eigene ontologische und nicht nur erkenntnistheoretische Bedeutung des Begriffs selbst bezeichnet und daß sie ferner sogar die Wahrheit einer Realität sein kann — nämlich dann, wenn sie mit dem Begriff eins ist, der immer wahr ist. Dementsprechend ist das, was falsch ist, nach Hegel niemals der Begriff, sondern immer nur eine besondere — einseitige, isolierte, zufällige u. dgl. - gegenständliche Existenz. Dies erklärt also, warum Hegel These 2 für die Objekte (sie können wahr oder falsch sein) und These 1 für den Begriff (er ist immer notwendig wahr) gemeinsam und zugleich geltend macht. Aufgrund seiner Auffassung des asymmetrischen Verhältnis zwischen Denken bzw. Begriff und Sein, stellt sich Hegel das Problem der spekulativen Logik in zwei verschiedenen Aufgaben dar. Es geht zunächst darum, (a) die Existenz zu begreifen^^, und erst danach darum, (b) das Reelle aus dem Begriffe herzuleiten^^. Damit wird schon deutlich, worin Hegels Korrektur des klassischen ontologischen Arguments besteht. Der Übergang vom Begriff zum Sein, das im ontologischen Gottesbeweis enthalten ist, läßt sich nur unter der Bedingung durchführen, daß der Übergang vom Sein zum Begriff stattgefunden hat. Um das Sein aus dem Begriff „herausklauben" zu können, muß man zunächst das Sein in seiner begrifflichen Struktur herstellen. Nur dann wird es möglich, den Übergang vom Begriff zum Sein zu vollziehen. Der ontologische Gottesbeweis der traditionellen Metaphysik wird also von Hegel zu einem Teil des neu begründeten spekulativen Beweises herabgesetzt - ein Teü, der ferner allein unter die vollständige Durchführung seiner der Logik des Endlichen angehörigen Voraussetzung möglich ist. Mit dieser Transformation kann aber Hegel nicht umhin, den Charakter des Beweises selbst radikal zu verändern. Unter der Bedingung der in der Seins- und Wesenslogik stattgefundenen Entwicklung des endlichen Seins wird es sich zeigen, daß der Sinn des ontologischen Arguments nicht mehr in einem Übergang vom Begriff des Objekts (wie auch immer dieses Objekt zu verste15 WdLl. 300; TW 20. 360 f. 16 WdL II. 264.

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hen sei) zur notwendigen Existenz dieses Objekts besteht, sondern in dem Übergang des Begriffs zu seiner Existenz. Da hiermit der vom Begriff getrennte, unabhängige Gegenstand so wegfällt, daß an seiner Stelle der Begriff hervortritt, zeigt sich letztendlich der Begriff als das wahre ,Subjekt' — als causa sui und schließlich als ,Idee'. Wird das Sein als omnitudo realüatis und der Begriff als causa sui verstanden, so kann Hegel schließen: Sein ist Moment des Begriffs^^ und daher ist der Begriff selbst Seini8 — also: causa sui ist omnitudo realüatis.

4. Die logische Aufgabe, „die Existenz zu begreifen" Aus Hegels Kritikansatz gegen KANTS Auffassung der Existenz, wie er aus den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zu entnehmen ist, wird es klar, welcher Begriff der Existenz dem ganzen Selbstbestimmungsprozeß der Logik unterliegt. Hegel bestreitet gegen KANT nicht, daß sich aus dem Begriff das Sein nicht ableiten läßt. Eine solche Ableitung ist tatsächlich unmöglich, weil das Sein nicht in Begriff analytisch enthalten ist. Nur soll die Aufgabe gerade deswegen nicht darin bestehen, das Sein außer dem Begriff zu halten, sondern darin, das Sein in den Begriff zu überführen. Dies ist die spezifische Funktion einer spekulativen Logik. Weiterhin akzeptiert Hegel mit KANT, daß „der Inhalt derselbige im Existierenden und im Begriffe sei"^^ oder daß der Begriff des Daseins „dieselben Bestimmungen" als das Dasein selbst enthälüo. Das Dasein ist zwar für Hegel keine Inhaltsbestimmung; es ist aber wohl „Formbestimmung". Hegel faßt dieses zweifache Argument zusammen und sagt: „gerade jene Synthese des Begriffs und des Seins oder die Existenz zu Begreifen, d. h. sie als Begriff zu setzen, dazu kommt KANT nicht"2i. Hegels Ziel ist mithin, jenes ,Begreifen der Existenz' zu vollziehen, das KANT in seiner bloß empiristischen Auffassung der Existenz nicht leisten könnte. Dies macht gerade die Voraussetzung sowie das Gegenstück für die Erneuerung des ontologischen Beweises aus. Gegen KANT bezieht sich Hegel sowohl auf PARMENIDES als auch auf den traditionellen Gottesbeweis: denn in beiden Fällen findet er jene „Erhebung über die endli17 WdL II. 404. 1* Die Regel dieses Schlußes gibt WdL II. 273 an: jedes Moment des Begriffs ist „sosehr ganzer Begriff als bestimmter Begriff und als Bestimmung des Begriffs". » TW 20. 360. 20 WdL I. 300. 21 TW 20. 360 (Hervorhebungen von mir).

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chen Dinge"^ vollzogen, die den wahrhaften Sinn des Beweises ausmacht. Was heißt aber für Hegel ,die Existenz begreifen', und wie sind die zwei Thesen, (a) daß die Existenz zwar keine Inhaltsbestimmung, (b) daß sie aber dennoch in den Begriff gesetzt werden soll (als Begriffsinhalt oder -Bestimmung also) in Einklang zu bringen? Entsteht dann nicht die Gefahr, einer Verdoppelung der Reihen in dem Bestimmungsprozeß — im Begriff nämlich und in der Existenz oder auch in der reinen Logik und in einer ihr nachfolgenden Realphilosophie, zu begegnen? Als Antwort auf diese Fragen formuliert Hegel einen Begriff der Existenz, der die Voraussetzung sowohl der Selbstbewegung der logischen Formen als auch ihrer materiellen oder ,realen' Genese ausmacht. Das Begreifen eines empirischen Daseins besteht in einer ,Reinigung', die das Dasein in die Form seines Begriffs erhebt. Begriff und Dasein enthalten zwar quantitativ dieselben Inhaltsbestimmungen; qualitativ liegt aber auf der Seite des Begriffs mehr als auf der Seite des Daseins, denn der Begriff ist das Wesen und die Wahrheit des Gegenstandes. In der Form des Begriffs verliert der empirische Gegenstand jenes „begriffslosen Bestehen"23, das gerade seine Existenz außerhalb des Begriffs kennzeichnet. Das Dasein ist somit Formbestimmung. Wenn die Existenz begriffen, d. i. für Hegel, wenn sie mit dem Begriff ,syntetisiert' und als Begriff gesetzt wird, findet eine Formänderung statt, wodurch das, was , außer dem Begriff' liegt — nämlich die Existenz^^ — und seine Andersheit ausmacht, schließlich aufgehoben wird. Hegel übernimmt hier das mathematische Modell der Analysis des Unendlichen, um seine These über die Existenz zu formulieren: Existenz ist ein Status (ein modus), der als jenes „Verschwinden" beschrieben werden kann, das den unendlich kleinen Größen der Infinitesimalrechnung eigen ist. Sie ist mithin derjenige Status des empirisch Existierenden, in dem es gerade dann erfaßt wird, wenn es im Prozeß seiner Übersetzung in den Begriff geführt ist. Die Existenz ist eine verschwindende Größe, die, indem sie ihr positives Bestehen nur — aber auch erst — im Verschwinden gewinnt, wesentlich Verhältnis ist. Sie ist nämlich das Verhältnis der Erfahrung zu ihren logischen Strukturen. Damit kommt jedoch die implizite Voraussetzung des ganzen Prozesses des Verschwindens ans Licht: er ist immer an einer logischen Form orientiert; er ist nur unter der Bedingung durchführbar. 22 WdL I. 91; Enz. § 50 Anm. 23 WdL I. 300. 2^ WdL II. 404; vgl. auch I. Kant: Kritik der Urteilskraß. § 76, B 340.

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daß das Verschwinden kein Zerstreuen, kein Zerstören, keine bloße Bewegung zum Nichts, sondern immer das Verschwinden in eine Form meint — ein Verschwinden, das in einer Struktur, in das Sein des Begriffs selbst, aufgenommen und aufbehalten ist. Dieser Gedanke ist nun nichts anderes als eine Transformation der Hauptthese der Hegelschen Dialektik über die „bestimmte Negation".25 wie in der Infinitesimalrechnung das Verschwinden der unendlich kleinen Größe dem Kalkül der gesuchten Größen dient, so dient hier das Verschwinden der Existenz der Erfassung des Begriffs. Die endliche Einzelheit kann nur dadurch bestehen, daß ihre Selbständigkeit an die Fähigkeit gebunden ist, im Absoluten aufzugehen. Gerade als diese Fähigkeit ist die Struktur der Existenz definiert. Denn das Endliche ist nur insofern selbständig, als es aus sich selbst heraus sein Für-sich-Bestehen aufgibt und so mit dem Absoluten zusammengeht. Die Reinigung des Empirischen, die das Verschwinden der Existenz in der logischen Form charakterisiert, ist mithin formal mit derjenigen Bewegung einer Erhebung des Endlichen zum Unendlichen identisch, die dem Gottesbeweise eigentümlich ist. Diesem Gedanken zufolge wird die wesentliche Unselbständigkeit des Endlichen als das aufgefaßt, wodurch das Endliche überhaupt ist, d. i. einen Bestand hat. Dies macht gerade den Widerspruch des Endlichen aus, daß es sein Bestehen nur in seinem Verschwinden finden kann — wobei in diesem Widerspruch der Doppelcharakter der Existenz ausgedrückt wird. Als verschwindende Größe bleibt aber die Existenz nicht hinter dem Prozeß als caput mortuum außer ihrer Form zurück. Es findet deswegen keine Verdoppelung statt, weil dadurch die empirische Existenz vielmehr in ihr bestehenden formalen Wert verwandelt und von ihm ersetzt wird. Damit wird die Existenz als Begriff gesetzt, ln diesem Prozeß wird sie erst dann logisch begründet, wenn sie aufgehoben und der ,Macht' der Form untergeworfen ist. Diese Unterwerfung ist aber zugleich die Bedingung dafür, daß die Existenz aus dem Grunde als begriffene (und begriffliche) Wirklichkeit wiederauftauchen kann. Die Existenz hat sich mithin als die notwendige Bedingung für die Genese der logischen Form als solcher ergeben. Wenn sie durch die Verschiebung der ontologischen Frage vom Gegenstand auf den Begriff beseitigt zu sein schien, taucht sie jedoch am Anfang des logischen Prozesses als die notwendige Voraussetzung seiner Entwicklung wieder auf. Dies macht ferner nur die erste Stufe derjenigen Bewegung aus, die das Verhältnis vom Begriff und Sein bis zur ,ldee' vollständig realisieren muß. Die ideel25 WdL I. 49.

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le Genese des Inhalts wird daher bei Hegel von der materiellen Genese der Form (und diese letzte ist eigentlich das primum) grundlegend eingeschränkt. Diese Auffassung von Existenz wurde von MARX stark kritisiert. Was MARX nicht akzeptieren konnte, war gerade ihre Voraussetzung — nämlich die Aufhebbarkeit einer Andersheit, die sich vollkommen im Begriff integrieren läßt. Hegel beseitigt jeden möglichen Dualismus von Begriff und Sein, indem er eine Vereinigungs- und Versöhnungstheorie begründet, die die Existenz erst als verschwindende Größe aufnimmt — d. i. erst dann, wenn ihrer Negativität ein positives (weil logisches) Bestehen gesichert wird. MARX nimmt dagegen den irreduziblen Dualismus von Begriff und Existenz wieder auf. In ihrer Definition ist nicht die Aufhebbarkeit, sondern die Hartnäckigkeit des empirischen Seins gegenüber jedem Unterwerfungsversuch ausgedrückt. Denn die empirische Existenz kann nach MARX niemals verschwinden. Hierauf gründet er vor allem seine Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert.

5. Die Wiederherstellung des Seins im Begriff Den ersten Schritt in seiner Auffassung der Existenz vollendet Hegel schon mit dem Anfang der Logik. Das unbestimmte unmittelbare Sein des Anfangs zeigt sich als Inbegriff all dessen, was ist — omnitudo realitatis.'^^ Damit ist die logisch abstrakteste Form gewonnen, in der das Ganze des empirischen Daseins zum Verschwinden und somit zu seinem Begriff gebracht wurde. Der zweite Schritt betrifft hingegen das Wiederauftauchen der Existenz aus dem Begriff. Nachdem der Begriff des ,Begriffs' in der subjektiven Logik erreicht wurde, macht sein Bestimmungsprozeß die „Darstellung" aus, „wie er die Realität, welche in ihm verschwunden, in und aus sich bildet".Wichtig ist hier, daß diese Rekonstruktion der Realität aus dem Begriff in der Tat nichts anderes als die objektive Selbstproduktion des Begriffs selbst ist. Das ist genau die These, welche die subjektive Logik begründen soll. Um das zu erreichen, werden zwei Überlegungen zugrundegelegt. Zunächst muß bewiesen werden, daß dem Begriff Individualität zukommt, so daß von ihm die Existenz prädiziert werden kann. Hier setzt sich Hegel in Übereinstimmung 26 Diese Bestimmung wird in der Fortbestimmung der Dialektik von Seins und Nichts zum „Dasein" und zur „Realität" erreicht: WdL I. 119 f. 22 WdL II. 263 (Hervorhebungen von mir).

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mit einer langen Tradition, nach der die Existenz dem Individuum als omnimode determinatum zukommt. Dieser Charakter des Begriffs wird von Hegel im Gedanken des „konkreten Allgemeinen" ausgedrückt. ,Einzelheit' als Moment des Begriffs kennzeichnet nicht das empirische und zufällige Individuum, sondern den Begriff als realisierte Einheit seiner Momente — als „totalen Begriff".^8 Dies ist dann auch die Voraussetzung für die Hegelsche Version des ontologischen Arguments: von jedem Gegenstand, dessen Individualität im Begriff enthalten ist — also a priori erkannt wird — kann man die Existenz aus dem Begriff schließen, denn sein Wesen d. h. sein Begriff als omnimode determinatum impliziert notwendig die Existenz. Die zweite Überlegung, auf der Hegels Erneuerung des ontologischen Beweises beruht, besteht in einer Erklärung der Bedeutung von , Existenz', sofern sie die Existenz des Begriffs und nicht des vom Begriff getrennten Gegenstandes ist. Hegel rechtfertigt diese Verschiebung dadurch, daß er zwei ganz verschiedene Denkmodelle in seiner Theorie des Begriffs miteinander kombiniert: KANTS Idee eines anschauenden Verstandes und SPINOZAS Begriff der causa sui. Hegel spricht der logischen Form eine schöpferische Kraft — eine vis creativa — gegenüber ihrem Inhalt zu. Er kann weiterhin sagen, daß diese Form die Wahrheit der Gegenstände bewirkt, weil der Begriff nichts anderes als deren Wesen und weil er immer notwendigerweise wahr ist — während der Gegenstand (die Realität) wahr, aber auch falsch sein kann. Von diesem Gedanken geht nun Hegel zur Behauptung über, daß der Begriff nicht nur die Wahrheit seines Gegenstandes, sondern auch seine eigene Realität sowie die des Gegenstandes selbst zugleich hervorbringt. Hegel schreibt mithin offensichtlich dem Begriff alle jeden Eigenschaften zu, die KANT (Hegels Interpretation nach) dem anschauenden Verstand zuerkannt hat. Denn für diesen Verstand würde der Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit (für KANT: der Dinge; für Hegel: des Begriffs) nicht gelten, mit der Folge, daß alle von ihm gedachten bzw. erkannten Objekte sind (existieren)Andererseits übt der Begriff, insofern er seine Inhalte im Selbstbestimmungsprozeß der ,subjektiven Logik' erzeugt, eine Selbsttätigkeit aus, wodurch er sich selbst hervorbringt. Er ist daher causa sui — wobei er sich nicht mehr als Substanz sondern als Subjekt bis zur absoluten Idee entwickelt, ln der Tat definiert Hegel die Idee — als vollkommen realisierten Begriff — mit diesen Worten: die Idee ist „das. 28 WdL II. 466; Enz. § 193 Anm. 25 I. Kant: Kritik der Urteilskrafl. § 76,

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dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann"30. Und dies ist wörtlich SPINOZAS Definition der causa sui: „Per causa sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam, sive id, cuius natura non potest concipi nisi existens."^^ Der notwendige Schluß vom Begriff zur Existenz ist hier die direkte Folge der bestimmten Auffassung der Natur oder des Wesen des Begriffs selbst.

6. Die ,Existenz' im Übergang von der Logik zur Realphilosophie Die subjektive Logik versucht also durch diese Gedanken, einen Beweis für die notwendige Existenz des Begriffs zu leisten. Damit ist aber für das ontologische Problem kein großer Fortschritt erzielt worden. Denn die erreichte These mit ihrer Betonung der ontologischen Geltung des Begriffs scheint die Möglichkeit einer vom Begriff unabhängige Existenz nochmals auszuschließen und damit die PARMENiDEische Schwierigkeit zurückzubringen. Die Logik wird aber kein Mittel mehr zur Lösung dieses Problems zur Verfügung stellen. Denn dieses Problem gehört nicht mehr der Logik, sondern einer Philosophie des Realen an. Es muß daher der Übergang zur Realphilosophie begründet werden. Dieser Übergang geschieht nun dadurch, daß eine Erweiterung der reinen Logik bzw. des Logischen zur Existenz stattfindet. Ein solches Ergebnis ist dadurch erreicht, daß eine Prädikation von Existenz mit Bezug auf einem Subjekt verlangt wird, das der realisierte Begriff (die Idee) ist. M. a. W. es handelt sich nicht darum, zu beweisen, daß der Inhalt der logischen Form in der Natur und im Geist existiert, sondern zu zeigen, daß der Begriff selbst in seinen verschiedenen Formen in den Sphären der Natur und des Geistes — also als Natur und Geist existiert oder vorhanden ist. Mit dem Übergang zur Realphilosophie wird mithin der Begriff als Existenz gesetzt, so wie entsprechend am Anfang der Logik die Existenz als Begriff gesetzt wurde. In dem so hergestellten weiteren Zusammenhang gewinnt die Existenz einen neuen Sinn. Auf dem Niveau der Realphilosophie tritt sie als empirische Existenz so wieder auf, daß für die vorhandenen Gegenstände, wovon die wissenschaftHchen Sätze handeln, eine empiristische Bedeutung von ,Existenz' geltend gemacht wird. Im Unterschied zur Logik, die in dem im Element des reinen Denkens stattfindenden Anfang das » Enz. § 214. 31 B. Spinoza: Ethica. ParsI, def. 1.

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endliche Dasein nur als verschwindende Größe erlauben konnte, wird in den Sphären der Natur und des Geistes der systematische Ort erreicht, wo jene in der rein logischen Form verschwundene Existenz wieder ans Licht kommt und schließlich ihr Recht gewinnt. Der realphilosophische Existenzgedanke muß aber noch dadurch genauer präzisiert werden, daß er die Seite des Begriffs zugleich in Betracht zieht. Wie lassen sich die Aussagen Hegels erklären, in welchen er ausdrücklich von einer natürlichen oder geistigen Existenz des Begriffs spricht? Man kann diesen Hegelschen Gedanken mit Hilfe einer Deutung von ,Existenz' interpretieren, die diesmal KANTS Auffassung sehr nahe steht. In der Realphilosophie macht die Existenz das „Element" oder das Medium aus, in dem die Begriffsbestimmungen weiter entfaltet werden. Sie ist mithin eine ,reale' Funktion des Begriffs — eine Funktion, die dem formalen Gang der Realphilosophie eigen ist und erst in ihr auftaucht. Die Existenz kann nämlich als die topologische Funktion der logischen Formen beschrieben werden, insofern sie die Geltung der schon bestimmten logischen Formen innerhalb des Systems — in den Sphären der Natur und des Geistes — neu definiert. Sie bestimmt oder ,realisiert' diese Formen gar nicht: denn die Logik hat in der absoluten Idee die durchgängige Bestimmung der ersten Stufe des Systems erreicht, so daß keine weitere Bestimmung für ihre Formen erfordert werden kann. Wenn aber die ,Existenz' keine weitere Bestimmung des Begriffs in seinem Wesen leistet, zeigt sie jedoch die ,Position' des Begriffs in seiner Erscheinung sowie in seinen mannigfaltigen Gestaltungen innerhalb des Systemganzen als solchen auf; sie schreibt der logischen Begriffsbestimmungen ihre wahre systematische Stelle im Rahmen der dialektischen Theorie der Realität zu.

S. F. BAEKERS (DEN HAAG)

DIE ZEIT ALS MITTE DER PHILOSOPHIE HEGELS

1. Der Anti-Formalismus Hegels Zeitkonzeption ist mit der Zurückweisung von abstrakter Formalisierung, welche die Beweglichkeit des Begriffes vernachlässigt, aufs engste verbunden. Namentlich in der Mathematik und in der auf ihr beruhenden Naturwissenschaft geht das Streben nach Eindeutigkeit mit einem Formalismus zusammen. Zur Erhellung des Gegensatzes zwischen Fachwissenschaft und Philosophie als umfassender Wissenschaft gebraucht Hegel, wie sowohl die Phänomenologie als auch die Logik und die Enzyklopädie zeigen, die Termini ,Formalismus' und ,formell' in einem pejorativen Sinn. Die entsprechenden Texte behandeln außer der Mathematik und Mechanik PYTHAGORAS und KANT als Beispiele, die einen philosophisch inakzeptablen Formalismus illustrieren. ^ Was den Unendlichkeitsbegriff und die Beweglichkeit des Denkens anlangt, reicht der Formalismus, wie Hegel betont, nicht aus. Zwar läßt 1 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg, von W. Bonsiepen und R. Heede. Hamburg 1980. (Gesammelte Werke. Bd 9.) 15 ff, 32 ff, 46; Wissenschaft der Logik. Hrsg, von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1985. (Gesammelte Werke. Bd21.) 186; Wissenschaft der Logik. Hrsg, von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1981. (Gesammelte Werke. M 12.) 227 f, 246; Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. In: Werke. Hrsg, von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frairkfurt/M. 1970. Bd 8. 218, 222, Bd 9. 54 f. Daß Hegel mit seiner Kenntnis von Mathematik und Natiu^ssenschaft auf der Höhe seiner Zeit war, hat vor allem die neuere (namentlich von M. J. Petry angeregte) Forschung gezeigt. Hierbei stellte man mehrfach auch die Bedeutung Hegels für die Gnmdlagenforschung der modernen Wissenschaften ins rechte Licht. Trotzdem läßt sich der anti-formelle Zug im Denken Hegels nicht leugnen. Vgl. S. F. Baekers: G. W. F. Hegels Anti-Formalism. In: Explorations in Knowledge. 3 (1986), 1—5; ders.: De Zwanezang van de tijd. Hegels begrip van tijd, geschiedenis en eeuwigheid. Delft 1989. 13—24; L. Fleischhacker: Over de grenzen van de kwantiteit. Amsterdam 1982. 19; 146; P. Stekeler-Weithofer: Hegels Philosophie der Mathematik. In: Vernunftkritik nach Hegel. Hrsg, von C. Demmerling und F. Kambartel. Frankfurt/M. 1992. 215 ff; D. Wandschneider: Raum, Zeit, Relativität. Grundbestimmungen der Physik in der Perspektive der Hegelschen Naturphilosophie. Frankfurt/M. 1982. 201; M. Wolff: Hegel und Gauchy. Eine Untersuchung zur Philosophie und Geschichte der Mathematik. In: Hegels Philosophie der Natur. Hrsg, von R.-P. Horstmann und M. J. Petry. Stuttgart 1986. 197—264.

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sich der mathematischen Formalität, als Mitte zwischen Sinnlichkeit und Begriff, ein gewisser pädagogischer Wert beimessen.2 Trotzdem aber täuscht der Formalismus hinsichtlich der Deutung der Unendlichkeit als eines unendlichen, linearen Fortgangs oder einer Sukzession von leeren (abstrakten) Momenten. Die unendliche, formelle Aufeinanderfolge (wovon die Zahlenreihe ein Beispiel gibt) resultiert in dem, was von Hegel als ,schlechte Unendlichkeit' verworfen wird.^ Dieser verkehrten formellen Unendlichkeit setzt Hegel die wahre Unendlichkeit gegenüber, die durch einen Inhalt und einen Kreislauf gekennzeichnet ist, welche (anders als die lineare Sukzession) Totalität beinhalten. Die Momente dieser Totalität sind nicht durch formelle Begrenzung voneinander getrennt, sondern stehen, innerhalb des Kreislaufs, von welchem sie Teile ausmachen, in einem wechselseitigen Bezug aufeinander. Demgemäß bedeutet die Vollendung oder das Resultat der zirkulären Bewegung keineswegs ein isoliertes Moment. Für Hegel gilt ja das auf sich beruhende Resultat als leblose Einheit, welche (als bloßer ,Leichnam') die forttreibende Kraft verloren hat.^ Das wahre Resultat aber, läßt sich auf Grund des zirkulären Zusammenhangs mit dem Anfang gleichsetzen und schließt zugleich die ganze dazwischenliegende (dem Resultat vorausgehende) Entwicklung in sich ein. Die Erinnerung spielt dabei die Rolle des Vermögens zur fruchtbaren Nutzbarmachung des Früheren (des Anfangs) für die Zukunft (das Resultat) und bedeutet als solche die konstitutive Bedingung des Kreislaufs, der die Momente verbindet.^ Mittels der Bewegung des Inhalts (der Innerlichkeit des Geistes) und des (zirkulären) Zusammenhangs der Momente unterscheidet der philosophische Begriff sich bei Hegel von der Starrheit und Isoliertheit (der Äußerlichkeit), welche mit dem mathematischen Formalismus verbunden sind. Anhand der Zahlensymbolik von PYTHAGORAS illustriert Hegel die philosophische Unzureichendheit des leeren Formalismus. PYTHAGORAS wird in diesem Zusammenhang als ein Umwälzer gekennzeichnet, der ,nicht weit genug' gegangen, weil er in der Leerheit der Zahl stecken geblieben sei und den für den Begriff notwendigen Übergang zu Inhalt und Zusammenhang vernachlässigt habe. Auch KANTS Antinomien führt Hegel als illustratives Beispiel unzureichender Forma-

Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 21. 207 f; Bd 12. 227, 249. 3 Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd21. 127, 136 f. ■* Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. 10 f. 5 Ebd. 24 ff, 42 und Hegel: Werke. Bd 10. 144 ff, 256 f. 2

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lität an, welche lediglich die Aussicht auf eine schlechte Unendlichkeit bietet.^

2. Die Säkularisierung der Heilsgeschichte Seit der Renaissance und Reformation kann man eine wachsende Verweltlichung des Denkens feststellen, welche in Rationalismus und Aufklärung gipfelt. Hegels Bemühungen zielen darauf, durch Vermittlung mit der säkularisierten Moderne, die religiöse Tradition nicht verlustig gehen zu lassen. Diesbezüglich weist M. MURRAY in seiner Interpretation von Hegels Zeit- und Ewigkeitsbegriff richtig auf ein Zusammengehen moderner historischer Dynamik und , Christian metaphysics' bei Hegel hin. 7 Ein unverkennbares Kennzeichen dieses Zusammengehens ist die Übereinstimmung zwischen Heilsgeschichte in religiösem Sinn und Hegels Deutung der Weltgeschichte hinsichtlich der Zerrissenheit und Versöhnung. Auf die konkrete Geschichte, die in die Schrecken der Französischen Revolution mündet, projiziert Hegel Bedeutung und Struktur der Heilsgeschichte. (Umgekehrt kann bei Hegel ebenfalls von einer christlichen Mythologisierung der Weltgeschichte gesprochen werden.) Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß der moderne Staat, wie J. RITTER bemerkt, nicht länger einen religiösen Grund hat.* Golgotha als Stätte des Leidens und der Versöhnung symbolisiert bei Hegel die notwendige Erlösung, auf welcher auch der von Gott verlassene Staat angewiesen bleibt. Hegel entscheidet sich für die Erlösung im konkreten Heute (in der erfüllten Gegenwart). Diese säkularisierte Erfüllung des Heils geht zusammen mit dem enthüllenden Begriff des geschichtlichen Hintergrundes der Gegenwart. Ebenso wie in der Heilsgeschichte steht in der philosophisch begriffenen, konkreten Geschichte eine Verflechtung von Katastrophe und Erlösung an erster Stelle. Aber anders als die Religion projiziert Hegel das Heil nicht in die Feme der Vergangenheit und der Zukunft.9

® Vgl. Hegel: Werke. Bd 8. 218—222 und Hegel: Gesammelte Werke. Bd 21. 181 f. ^ Vgl. M. Murray: Time in Hegel's Phenomenology of Spirit. In: The Review of Metaphysics. 34 (1981), 682 f und ebenso M. Westphal: History and Truth in Hegel's Phenomenology. New Jersey 1978. 217. * Vgl. }. Ritter: Hegel und die Französische Revolution. Frankfurt/M. 1965. 14 f. ® Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. 408, 419 ff.

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Mit dem Kreuztod Christi wird in der religiösen Heilsgeschichte der Punkt erreicht, an welchem die Negativität der Katastrophe in das Heil umschlägt, das als Anfang der Schöpfung (das Paradies) und als Krönung des irdischen Lebens nach dem Tode (das Jenseits) vorgestellt wird. Für Hegel aber bedeutet die erschütternde Erfahrung vom Tode Gottes zugleich die Möglichkeit, sich vom abstrakten (nicht in der konkreten Geschichte gesetzten) Heil zu befreien, auf das die religiöse Vorstellung sich richtet. Die religiöse Gewißheit wird damit der ,Anstrengung des Begriffs', preisgegeben, welche jedoch nicht weniger durch eine ,katastrophale' Negativität gekennzeichnet ist. Wie Hegel in seiner Betrachtung der Französischen Revolution andeutet, eignet der mit der absoluten Freiheit zusammengehende Schrecken eine vernichtende Kraft, welche, wie vorher die Erfahrung vom Tode Gottes, jede vorherige Gewißheit zunichte macht. Dieses konkrete, historische Moment der Zerrissenheit bedeutet aber zugleich den Zugang zum Begriff als der säkularisierten (philosophischen) Gestalt des Heils. Auch deshalb wird am Schluß der Phänomenologie die mit der Französischen Revolution vollendete Geschichte philosophisch enthüllt als Moment des Begriffs und der Freiheit (des Heils) und als begriffene Geschichte mit Golgotha gleichgesetzt. Zahlreiche, ältere wie neuere, Interpretationen unterstützen die These, daß Hegels Deutung der Geschichte sich an der Heilsgeschichte in religiösem (christlichem) Sinn orientiert. Ähnlich wie J. RITTER, der in Hegels Denken eine säkularisierte Antwort auf das Problem des durch die Französische Revolution bestätigten Gott-verlassenen, modernen Staats sieht, betont J. HYPPOLITE das Heils- und Versöhnungsmotiv (die Rose im Kreuz) in Hegels Betrachtung der konkreten (historischen) Aktualität. In einem anderen Sinn unterstreicht W. MARX die wichtige Bedeutung der Säkularisierung mit seiner Behauptung, bei Hegel stelle die Geschichte als Veräußerlichung des Geistes den Bereich der Religion und des Denkens (des ,Logos') dar. Innerhalb dieses Bereichs gibt es Raum für die Logifizierung (Säkularisierung) der religiösen Heilsgeschichte. Die ewige Wahrheit der Religion findet damit ihre konkrete Bestätigung (oder — wie O. PöGGELER es formuliert — ihre ,apodeixis') in der Geschichte. Eine zu weit gehende, jede religiöse Dimension verdeckende Humanisierung des Heüs bietet aber A. KojfevEs marxistisch geprägte, materialistische Deutung der Geschichte der Freiheit, die bei Hegel mit der Herr-Knecht-Relation anfängt. KojfiVE verweltlicht die Idee des Heils auf eine überspannte Weise, welche Hegels Absicht vernachlässigt, den religiösen Gedanken der Versöhnung (zwischen Mensch und Gott) durch

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den Begriff zu erläutern. Schließlich deutet auch die neuere Forschung bezüglich der Nachschriften von Hegels Vorlesungen über die Weltgeschichte auf die weittragende Bedeutung hin, die der Säkularisierung bei Hegel zukommt. Das emanzipierende Moment in der Geschichte sucht Hegel, wie sich zeigt, anfänglich noch im religiösen Bereich, wenn er in der Reformation (die, seiner Meinung nach, zwar mehr als der mittelalterliche Katholizismus einen Blick für Welt und Vernunft hat) des ersten Schrittes auf dem Wege zum Begriff gewahr wird. Diese emanzipierende Rolle bleibt aber später, in der Berliner Zeit, dem säkularisierten Denken Vorbehalten, dem DESCARTES den Grundstein gelegt hat.^^

3. Eine historische Situierung Die Zeitkonzeption Hegels läßt sich in einer Geschichte situieren, die durch ARISTOTELES' Zeitdefinition in PhysicaW, 10—14 und HEIDEGGERS Analyse der existentialen Zeit in Sein und Zeit markiert wird. Mit der ARiSTOTELischen Zeitdefinition (die mit auf einer kritischen Betrachtung der vorhergehenden Interpretationen der Zeit basiert) ist das Fundament zu einer Tradition gelegt, in welcher der numerische Aspekt sosehr überwiegt, daß die Zeit auf eine Stufe mit der Chronometrie (Uhrzeit) gesetzt wird. Erst HEIDEGGER wird ausdrücklich von dieser Gleichsetzung mit seiner Unterscheidung zwischen der uneigentlichen und der eigentlichen Zeit Abstand nehmen, welche er in der Analyse des Daseins behandelt. Unleugbar läßt sich bei HEIDEGGER eine Spur von früheren Möglichkeiten entdecken, die Zeit (in Zusammenhang mit der Frage nach der Ewigkeit) nicht nur in einem numerisch-quantitativen Sinn zu deuten. Es ist aber HEIDEGGERS Verdienst, diese Möglichkeiten thematisiert und damit einen Umschlag in der traditionellen Zeitauslegung bewerkstelligt zu haben. Wichtig im Zusammenhang mit einer historischen Situierung von Hegels Zeitkonzeption ist, daß HEIDEGGER die ARiSTOTELische DefiniVgl. /. Hyppolite: Genese et Structure de la Phenomenologie de l’Esprit. Paris 1946. 49; W. Marx: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede" und „Einleitung": Frankfurt/M. 1971. 73; O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München 1973. 355; A. Kojeve: Zusammenfassender Kommentar zu den ersten sechs Kapiteln der ,Phänomenologie des Geistes'. In: Materialien zu Hegels ,Phänomenologie des Geistes'. Hrsg, von H. F. Fulda und D. Henrich. Frankfurt/M. 1976. 145, 180—184; M. Theunissen: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin 1970. 95. Vgl. F. Hespe: „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit". Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte. In: Hegel-Studien. 26 (1991), 177—192; dort 186 ff.

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tion (die auch noch in der sogenannten , natürlichen Zeit' bei Hegel ihre Spuren hinterlassen hat), als ungenügend darstellt. Zudem liegt bei HEIDEGGER der Akzent auf dem Zusammenhang von Zeit und Existenz. Hegel hat, auch wenn nicht auf eine so ausführlich explizite Weise wie HEIDEGGER, ebenso die Bedeutung dieses Zusammenhangs durch seine Zurückweisung der formellen Abstraktion angedeutet, die den Sinn der Bewegtheit und Zerrissenheit der konkreten menschlichen Existenz und Geschichte übersieht. Aus dieser existentiellen Perspektive heraus muß die abstrahierende Wirkung von Religion und Formalismus (oder wissenschaftlicher Objektivation) der Kunst, Geschichte und Philosophie untergeordnet werden, die hinsichtlich ihrer Konkretheit und Bewegtheit bei Hegel übereinstimmen. Die Zeit hat bei ARISTOTELES einen doppelten Sinn. Einerseits analysiert ARISTOTELES die Zeit ausführlich, insoweit diese dem Denken (toi logoi) gegeben ist und sich als etwas Bestimmtes oder als ,dies hier' (tode ti) zeigt. Andererseits spricht er von der Zeit als unbestimmten Substrat, worauf in Physica IV nur ein sehr kurzer Hinweis gegeben wird.i^ Als etwas Bestimmtes, für das Denken Unterschiedenes gibt es die ARiSTOTELische Zeit mittels des Jetzt, das, wie das Bewegende, eine Bestimmung der Bewegung als (unbestimmtes) Substrat darstellt. Deshalb kritisiert ARISTOTELES die Gleichsetzung von Zeit und Bewegung bei früheren Philosophen (die Vorsokratiker und PLATO). Nicht die Bewegung selbst, sondern die numerische Bestimmung der Bewegung mittels des Jetzt heißt für ARISTOTELES die Zeit, wie sich aus Physica IV (219 b 1—2) ergibt, wo die Zeit (bezüglich des Vorher und Nachher) als ,Zahl der Bewegung' definiert wird. Als numerische Bestimmung vergleicht ARISTOTELES (220 a 9—14) das Jetzt außerdem mit dem geometrischen Punkt, insoweit dieser ebenfalls eine bestimmend-begrenzende Rolle hinsichtlich der Bewegung spielt. Mit dieser geometrisch-numerischen Deutung des Jetzt hat ARISTOTELES den Horizont aufgeschlossen, innerhalb welchem die Zeit mit Hilfe der Uhr gemessen, oder auch (gemäß der Definition in Physica IV) die Bewegung (der Zeiger) numerisch (vermittels der Zahlen auf dem Zifferblatt) bestimmt (gezählt) werden kann. Bei dieser Chronometrie, die sowohl im gewöhnlichen Uhrengebrauch als in der avancierten Zeitmessung der Naturwissenschaft vorherrscht, wird die Zeit überhaupt mit einer unendlichen, linearen Aufeinanderfolge leerer (inhaltloser) Zahlen oder 12 Vgl. Aristoteles: Physik. 219 b 16-32. 13 Vgl. ebd. 219 b 11, 223 a 27-28.

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numerisch bestimmter Jetzte identifiziert. Aus praktischen Bedingungen läßt die sich wiederholende zirkuläre Bewegung (von Sonne oder Uhrzeiger) sich zur einfachen Abbildung der endlosen, linearen Sukzession von Zahlen anwenden. (Und auch bei der digitalen Version der Zeitmessung wird, jedoch ohne Anwendung von Zeigern, dieselbe Zahlenreihe immer wiederholt). Wichtig für die moderne Naturwissenschaft ist dabei, daß physische Bewegungsvorgänge sich mit Hilfe der Zeit numerisch bestimmen (quantifizieren) lassen. ARISTOTELES hat schon auf diese physische Bedeutung der Chronometrie (221 a 6—9, 222 a 7—8) bei seiner Kennzeichnung des Bereichs der Zeit als das Bewegungsganze innerhalb der kosmischen Begrenzung des sogenannten ,ersten Himmels' hingewiesen. Im Gegensatz zur bestimmten Zeit als Zahl berücksichtigt ARISTOTELES kaum die Zeit als Substrat bei seinen Ausführungen in Physica IV. Deswegen ist vor allem die Bedeutung der Zeit als Substrat ein fesselndes Problem für die Verfasser der vielen Kommentare geblieben, die im Laufe der Jahrhunderte zu der ARiSTOTELischen Zeitdefinition geschrieben worden sind. Die Lösung des Problems wurde dabei immer in dem in Physica IV gesteckten Rahmen gesucht. Kurz zusammengefaßt, bewegen die Lösungsversuche sich im Umkreis der Bewegung als unbestimmtes Substrat und der Möglichkeit ihrer zahlenmäßigen Bestimmung durch das Jetzt. Für eine zureichende Interpretation der Zeit als Substrat ist aber, wie sich aus der ARiSTOTELischen Kennzeichnung des sogenannten ,ersten Himmels' ergibt, der Rahmen von Physica, IV zu eng.^^ ARISTOTELES gilt die kosmische (durch den ersten Himmel umgrenzte) Bewegungsganzheit nicht als letzter Grund der vereinzelten Bewegungsvorgänge. Nicht aber die Physica, sondern die Metaphysica gibt den zureichenden Rahmen für die Betrachtung des letzten Grundes. Dort (1071 b 9—22) wird der letzte Grund als das sich selbst denkende, göttliche Denken oder als der ,unbewegte Beweger' gekennzeichnet, auf den sich die Bewegung innerhalb der Grenzen des ersten Himmels zurückführen läßt. Dem unbewegten Beweger wird zugleich der ,aion' zugeteilt als eine Art Unendlichkeit und Ewigkeit, die sich (wie THOMAS VON AQUIN später mit Recht in seinem Kommentar zum ARiSTOTELischen Zeitkonzept betont) von der leeren Unendlichkeit der als Zahl definierten Zeit unterscheiden läßt. Dieser unendlichen, numerischen Sukzession (die von n Vgl. P. F. Conen: Die Zeittheorie des Aristoteles. München 1964. 165 ff; /. M. Dubois: Le Temps et l'instant selon Aristote. Paris 1967. 255; J. Moreau: L'Espace et le temps selon Aristote. Padova 1965. 105 ff, 162 f.

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mit ,sempiternitas' gedeutet wird) steht die in sich selbst (als Denken des Denkens) vollendete Unendlichkeit der göttlichen Ewigkeit oder der ,aion' (die ,aeternitas' bei THOMAS) gegenüberd^ Der ARISTOTELische ,aion' besitzt zudem noch die ursprünglichen Züge der ,Lebenszeit'. Das göttliche Denken des Denkens ist ja durch eine auf sich gerichtete (zirkuläre) Zweckmäßigkeit gekennzeichnet, die ARISTOTELES dazu führt (1072 b 26—32), es in Zusammenhang mit Leben (zoe) zu deuten, Man kann daher sagen, daß bei ARISTOTELES die Ewigkeit (als aion oder aetemitas) des unbewegten Bewegers als letzter Grund der sukzessiven Ewigkeit (sempiternitas) vorausgeht. Diesbezüglich kann der aion mit der Zeit als Substrat auf eine Stufe gestellt werden. Von dieser Zeit ließe sich gerade auch postulieren, sie gehe der Zeit als numerischer Bestimmung der Bewegung voraus. Die Zeit als Substrat bezeichnet (wie der aion als die ewige Lebenszeit des göttlichen Denkens) folglich den letzten Grund, auf welchem nicht nur die Zahl (als numerische Bestimmung), sondern jede Bestimmung überhaupt innerhalb des Bereichs des ersten Himmels (der Physis) zurückgeht. Auch deshalb ließe der aion oder die Zeit als Substrat (im Sinne des bewegend-unbewegten Grundes der Bewegung innerhalb des ersten Himmels) sich nicht im Rahmen der Definition der Zeit als Zahl erläutern, so wie sie in Physica IV gegeben wird. Trotzdem wurden in der Tradition mehrmals Versuche unternommen, die Ewigkeit anhand des Jetzt zu deuten, das hn Mittelpunkt der in Physica IV gegebenen Zeitdefinition steht. Demgemäß hat THOMAS, von der Bewegung des Jetzt abstrahierend, die Ewigkeit (aetemitas) als unbewegliches Jetzt (nunc stans) interpretiert. Dieses ,Stehen' des Jetzt als Negation seiner Beweglichkeit übersieht aber die spezifische Art der Bewegung (des Lebens), welche ARISTOTELES dem aion ausdrücklich zuschreibt. Dieser ,Dynamik' der Ewigkeit wird erst Rechnung getragen, wenn nicht das Jetzt und die Verneinung der Bewegung in den VorderTHOMAS

es Thomas von Aquin: Summa Theologiae. la, qu. 10, a 2; vgl. dazu /. M. Dubois: Le Temps (s. Anm. 14). 364 f. e* Vgl. W. von Leyden: Time, Number and Eternity in Plato and Aristoile. In; The Philosophical Quarterly. 14 (1964), 45. Wichtig für die Konzeption eines unbewegten Jetzt sind darüber hinaus Plato: Timaios. 37d—39e, Plotin: Enneaden. III, 7, Augustinus: Confessiones. Lib. XI, cap. XI. Vgl. dazu S. F. Baekers: De Zwanezang van de tijd (s. Anm. 1). 9 f Für Kant aber reicht die Negativität des nunc stans für einen Begriff der Ewigkeit nicht aus; vgl. S. F. Baekers: Op het breukvlak. De gebrokenheid van het leven in filosofie en kunst. Delft 1992. 51. Siehe dazu I. Kant: Das Ende aller Dinge. In; ders.; Werke in zehn Bänden. Hrsg, von W. Weischedel. Darmstadt 1971. Bd9. 183.

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grund treten, sondern, wie in der , Augenblicksewigkeit' HEIDEGGERS (oder zuvor bei Hegel in der , absoluten Gegenwart' und der begriffenen Geschichte), das Frühere und Künftige im Augenblick und die Bewegung in der Ruhe gedacht wird. In Sein und Zeit charakterisiert HEIDEGGER die auf dem Jetzt als Zahl gegründete Uhrzeit als ,uneigentliche' Zeit. Der landläufige (vulgäre) Zeitbegriff, den HEIDEGGER kritisiert, geht mit der von ARISTOTELES analysierten (linearen) Aufeinanderfolge numerisch bestimmter Momente zusammen. Dieser lineare Fortgang des Jetzt läßt sich, wie oben schon bemerkt, als zirkuläre Wiederholung einer Zahlenreihe abbilden, die durch die Uhr angegeben wird. Aber weil die Uhrzeit formell-numerisch geartet ist, kann die eigentliche Bedeutung der Zeit bezüglich der menschlichen Existenz sich nicht in ihr zeigen. Die eigentliche, dem menschlichen Dasein zugrunde liegende Zeit hat im Gegensatz zur Uhrzeit eine zweifache Bewegungsstruktur, die vorlaufend-zurückkehrend (zirkulär) die Zeitmomente aufeinander bezieht. In dieser Beziehung vollzieht sich das In-der-Welt-Sein der Existenz. Vorlaufend auf den Tod als äußerste Möglichkeit des In-der-Welt-Seins kann das Dasein zurückkommen auf das, was es gewesen ist, und zugleich die beiden Momente im Augenblick als Zukünftigkeit des Früheren vereinigen. Deshalb sieht HEIDEGGER in der eigentlichen Zeit der Existenz (im Gegensatz zur uneigentlichen Uhrzeit) die Bedingung der Geschichte. Als Erbschaft des geschichtlichen Daseins vermag man das Frühere, wie in Sein und Zeit (§ 74) betont wird, fruchtbar für die Zukunft zu machen. Außerhalb des Einflusses der uneigentlichen Zeit versteift die Existenz sich nicht auf das vereinzelte Moment eines Jetzt (die Aktualität), sondern ist offen (entschlossen) für die, im Früheren geborgene, künftige Möglichkeit und somit der gegebenen Wirklichkeit nicht widerstandslos überliefert (verfallen). Im Licht der eigentlichen Zeit beinhaltet die Geschichte den bleibenden Ursprung einer nicht still zu legenden Bewegung (offener Zukünftigkeit). Jeder Versuch zu einer (historiographischen) Festlegung der Vergangenheit, welche die Offenheit der Geschichte für die Zukunft verkennt, muß deshalb scheitern an der beweglichen Endlichkeit der (vorlaufend-zurückkommenden) Existenz. HEIDEGGER richtet, nach Sein und Zeit, seine Aufmerksamkeit bei der Betrachtung früherer Denker und Dichter gleichfalls auf die Geschichte als offene (unobjektivierbare) Quelle der Zukunft. Ihre Offenheit macht 18 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1972. §§ 61, 65, 80, 81. 19 Vgl. ebd. §§ 73-77.

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die Geschichte widerstandsfähig gegen museale Erstarrung und somit fruchtbar für das Kommende. Die Geschichte ist in ihren ,Epochen' durch ein Zurückhalten (epechein) ausgezeichnet, demgemäß ihre zukünftige Bedeutung sich nicht vorhersehen (oder gar steuerernd objektivieren) läßt.20 Als Zusammenstoß des Erüheren und Künftigen im Augenblick ergibt sich das plötzliche (unvorhersehbare) Geschehen, das HEIDEGGER mit dem Wort, Ereignis' umrissen hat. Aber das Ereignis würde, wie O. PöGGELER richtig bemerkt, ohne die unvoraussehbare (epochale) Möglichkeit der konkreten Geschichte bedeutungslos sein.21 Beim späten HEIDEGGER bleibt mit der Deutung der Einheit und Zusammenhang des Früheren (des epochalen Denkens und Dichtens) ebensosehr die Entschließung der zukünftigen, geschichtlichen Möglichkeit unlöslich verbunden. Im Augenblick zusammentreffend ermöglichen das Frühere und das Zukünftige das Existieren des Menschen. Diese Zeit, welche die Existenz als In-der-Welt-Sein ermöglicht, kann man mit Recht als die eigentliche ,Weltzeit' deuten. Dies im Gegensatz zur Uneigentlichkeit der Uhrzeit, durch die das eigentliche Verhältnis zwischen Existenz und Welt getrübt wird. Wie der aion bei ARISTOTELES (oder auch Hegels Ewigkeit) hat die in Sein und Zeit thematisierte, eigentliche Zeit eine letztlich fundierende (fundamental-ontologische) Bedeutung.22 HEIDEGGERS Analyse der eigentlichen, weltkonstituierenden Zeit ergibt so einen Rahmen zur richtigen Interpretation der von ARISTOTELES angedeuteten Einheit von Bewegung und Ruhe im aion als der göttlichen (weltbegründenden) Lebenszeit, die mit dem Begriff des ,nunc stans' nicht ausreichend gedeutet werden kann. Der aion (oder auch die Zeit als Substrat) im Sinne von Weltursprung ließe sich (ebenso wie die weltbegründende Ewigkeit bei Hegel) anhand HEIDEGGERS eigentlicher Zeit als die ruhend-bewegte Einheit des Früheren und Künftigen im Augenblick erläutern, aus dem plötzlich und unvoraussehbar Welt hervortritt. 23 Dieser plötzlichen Vgl. Martin Heidegger: Der Satz vom Grund. PfuUingen 1971. 109, 129, 143 und ders.: Vorträge und Aufsätze. Bd 2. Pfullingen 1967. 57. Vgl. O. Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963. 64. 22 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit (s. Anm. 18). §§ 69, 71, 72— 76 und dazu ]. M. Dubais: Le Temps (s. Anm. 14). 373.

23 Auch E. Martineau hat auf die Bedeutung der ,Weltzeit' für die Auslegung des aristotelischen aion hingewiesen. Vgl. E. Martineau: Conception vulgaire et conception aristotelicienne du temps. Note sur ,Grundprobleme der Phänomenologie' de Heidegger (§ 19). In; Archives de Philosophie. 43 (1980), 115 sowie S. F. Baekers: De Tijd bij Aristoteles en Heidegger. Leiden 1980. 94—98, 188—190 und ders.: L'Equivoque du Temps chez Aristote. In: Archives de Philosophie. 53 (1990), 461, 475 ff.

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, Augenblicksewigkeit' HEIDEGGERS eignet, wie O. PöGGELER zutreffend bemerkt, die Freiheit, mit dem Augenblick zu verschwinden, um in einem anderen Augenblick verändert wiederzukehren.^4 In diesem Umschlag der Ewigkeit als zusammenstoßender Einigung von Früherem und Künftigem (die HEIDEGGER später mit dem Wort ,jähe Weile' andeutet) kann sich Welt immer wieder anders zeigen.^5 Nicht durch die Negation der Bewegung im ,nunc stans', sondern durch ein Zusammendenken der Ruhe mit der Bewegung (wofür HEIDEGGER dann das schwäbisch-alemannische Wort ,bewegung' gebraucht) läßt der aion als lebendige Ewigkeit sich angemessen interpretieren.^^ Der aion oder die durch ,jähe Weile' gekennzeichnete , Augenblicksewigkeit' (im Sinne der eigentlichen Weltzeit) bahnt als ,bewegung' den Weg, an dem entlang Welt erst epochal geschehen kann.

4. Zwei Formen der Zeit Wie anfangs dargelegt, ist das Denken Hegels durch Anti-Formalismus und Säkularisierung gekennzeichnet, wobei der Akzent auf Konkretheit und Zusammenhang liegt. Hierauf weist auch die Überwindung der formellen Isoliertheit des Jetzt (als Hauptmoment der natürlichen Zeit) durch die begriffene Geschichte (als zweite, eigentliche Zeitform) hin, die sich auf eine Stufe mit der Ewigkeit stellen läßt. In Hegels System spielt das Verhältnis zwischen diesen zwei Formen der Zeit eine fundamentale Rolle. Dem Zusammenhang von Absolutem und Endlichem eignet der große Wert dessen, was Hegel später unter der Bezeichnung ,Metaphysik der Zeit' andeuten wird.^^ Trotzdem vermag man die Wichtigkeit des Problems der Zeit als Mitte von Hegels System nur aus den hie und da zerstreuten Betrachtungen der Zeit in Hegels Werk rekonstruieren. Bei einer der beiden Zeitformen greift Hegel auf die, in der Tradition eingebürgerte Zeitdefinition des ARISTOTELES zurück. Dieser Definition gemäß charakterisiert Hegel die sogenannte ,natürliche' Zeit als eine (lineare) Aufeinanderfolge des formell-quantitativ (numerisch) gearteten Jetzt. In diesen Zusammenhang gehört Hegels Behauptung, in der Na24 Vgl. O. Pöggeler: Philosophie und Politik bei Heidegger. München 1972. 251. 25 Vgl. M. Heidegger: Der Satz vom Grund (s. Anm. 20). 187. 25 Vgl. M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. Pfullingen 1971. 198, 213. 22 Vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels. Berlin 1992. 245.

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tur komme dem Jetzt ein ,ungeheures Recht' zu^*, weil ihr das Vermögen des Voraussehens und Erinnerns fehlt. Die Übereinstimmung zwischen Hegels Kennzeichnung der natürlichen Zeit und der ARISTOTEüschen Defirütion beinhaltet aber keineswegs die Konsequenz, daß in Hegels Augen diese Form der Zeit dem Anspruch des philosophischen Begriffs genüge. Diese philosophische Ungenügendheit der natürlichen Zeit bei Hegel wurde von Interpreten mehrfach übersehen (zum Beispiel von HEIDEGGER und von D. WANDSCHNEIDER in seiner Analyse der natürlichen Zeit im Zusammenhang mit der ,vektoriellen' Zeit der Physik).^9 Von der natürlichen Zeit muß deshalb ausdrücklich die begriffene Geschichte bei Hegel unterschieden werden als die zweite, eigentliche Form der Zeit, die der philosophischen Anforderung von Zusammenhang und inhaltlicher Konkretheit entspricht. Im Gegensatz zur natürlichen Zeit besitzt die Geschichte als die eigentliche Zeit der Entwicklung des Geistes bei Hegel Inhalt und Zusammenhang. Sie läßt dabei einen zweifachen Verweis zutage treten, der nur dem Voraus- und Rückblick des Geistes eignet. Anders als das leere Jetzt der natürlichen Zeit hat die ,erfüllte Gegenwart' der eigentlichen Zeit einen Inhalt, der sich innerhalb der Struktur der doppelten (retrospektiv-antizipierenden) Verweisung konstituiert, durch welche sich die Isoliertheit der Momente aufhebt.^o Was diese doppelte Bewegung anlangt, kann die eigentliche Zeit bei Hegel mit der Ewigkeit gleichgestellt wer den. 31 Mit der Zirkularität, vermöge deren sich sowohl die begriffene Geschichte wie die Ewigkeit von der linearen, natürlichen Zeit unterscheidet, geht eine gewisse Rhythmik einher, auf die die Kunst antizipierend einen Hinweis gibt. 32 In diesen Bereich gehört auch die wahre Unendlichkeit (als aetemitas), die durch ihre zirkuläre Einheit von der uneigentlichen, oder , schlechten' Unendlichkeit (sempiternitas), mit ihrer linearen Aufeinanderfolge von leeren (isolierten) Momenten, differiert. Je28 Vgl. Hegel: Werke. Bd 9. 50 f. 29 Vgl. D. Wandschneider: Raum, Zeit, Relativität (s. Anm. 1). 79 sowie S. Majetschak: Die Logik des Absoluten (s. Anm. 27). 111, 268. 8® Eine ausführliche Darlegung bedeutender Interpretationen hinsichtlich des Doppelsinns der Zeit bei Hegel gibt S. F. Baekers: De Zwanezang van de tijd (s. Anm. 1). 55—72 vgl. dazu ders.: Geschichte, Zeit und versöhnende Ezvigkeit bei Hegel. (Literaturbericht.) In: HegelStudien. 29 (1994), 158-169. 82 Vgl. J. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10). 51 sowie M. Murray: Time in Hegels Phenomenology of Spirit (s. Anm. 7). 702 f. 82 Vgl. O. D. Brauer: Dialektik der Zeit. Untersuchungen zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte. Stuttgart 1982. 154 f und S. Majetschak: Die Logik des Absoluten (s. Anm. 27). 304 ff.

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des vereinzelte Moment spiegelt durch die zirkuläre Bewegung des voraus- und rückblickenden Verweisens die Totalität oder zusammenhängende Einheit der Ewigkeit als begriffener Geschichte wieder. Im Augenblick findet die (von G. WOHLFAHRT als ,Komprehension' gedeutete) plötzliche Bewegung statt, die das Frühere und Künftige zu einer (progressiv-regressiven) Einheit verbindet und somit die Linearität der natürlichen Zeit (als formellen Progression) aufhebt.^^ Aus der zirkulären Einheit der begriffenen Geschichte ergibt sich, daß Zielstrebigkeit (in der landläufigen, kausal-mechanischen Bedeutung oder als lineare Progression) keine Rolle bei der Entwicklung des Geistes spielt. Wie Hegel nachdrücklich betont, fallen Anfang und Ende als die Einheit (Ganzheit) zusammen, welche sich im Augenblick wiederspiegelt. Wenn Hegel in seinem Denken der Wiederherstellung des Ursprungs (oder wie J. RITTER34 sagt, der , geschichtlichen Herkunft') nachstrebt, dann muß im Resultat des geschichtlichen Wegs, der bei Hegel durch die Französische Revolution vollendet wird, zugleich diesselbe Einheit von Anfang und Resultat (Ganzheit) ans Licht treten. Auf den zirkulären Zusammenhang von (religiöser) Ursprung und (sekulärer) Vollendung des Heils deutet am Schluß der Phänomenologie die Gleichsetzung der begriffenen Geschichte mit dem Golgotha des Geistes hin. Es handelt sich dabei um eine bleibende Gegenwart des Früheren, die als ewige Beständigkeit (im Sinne einer ,apodeixis'35 der Ewigkeit) sich in der Geschichte zeigt. Als unvorhergesehenes Resultat (oder, wie M. WESTPHAL^^ es formuliert, als ,emergent reality') ist die begriffene Geschichte nicht apriori als Ziel des vorhergehenden Entwicklungsprozesses ableitbar. Daß die begriffene Geschichte eine Einheit mit dem ewigen Ursprung bildet, aus welchem der Weg zur Vollendung (zum Begriff als säkularisiertem Heil) führt, läßt sich nur rückblickend rekonstruieren. Nicht einem vorgegebenen (apriori voraussehbaren) Pfad entlang, sondern unvoraussagbar sich einen Weg bahnend bewegt sich die Geschichte in eine Richtung, die retrospektiv sichtbar wird und in das Resultat mündet. Mit Recht deutet G. B. O'BRIEN (ebenso wie O. D. BRAUER) in diesem Zusammenhang auf die Kunst hin, die einen möglichen Interpretationsrahmen der Geschichte bei Hegel darstellt. Der Stilentwicklung der Kunst liegt ja gleichfalls 33 Vgl. G. Wohlfahrt: Über Zeit und Ewigkeit in der Philosophie Hegels. In; Wiener Jahrbuch für PhUosophie. 13 (1980), 150-154. 3* Vgl. /. Ritter: Hegel und die Französische Revolution (s. Anm. 8). 14. 33 Vgl. O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 10). 355. 33 Vgl. M. Westphal: History and Truth (s. Anm. 7). 219 f.

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eine Bewegung zugrunde, welche nicht vorher auf einer mechanisch-kausalen Weise, sondern im Rückblick vom späteren Stil heraus das Frühere als Quelle der Zukunft sichtbar macht.37 In seiner Arbeit über die Phänomenologie des Geistes hat J. HYPPOLITE auf die wachsende Bedeutung hingewiesen, die Hegel der Geschichte bei der Ausarbeitung seines Konzepts vom sich entwickelnden Geist zuschreibt. 38 Die verändernde Rolle der Geschichte während der Komposition der Phänomenologie wird ebenfalls in den Interpretationen von O. PöGGELER und W. MARX betont. Ein wichtiger Nachweis dafür ist, daß die früher geschriebene Einleitung noch nicht den fundamentalen Sinn aufzeigt, den die spätere ,Vorrede' der Geschichte beimißt. Der eher transzendentale, als historische Rahmen, der den ersten Abschnitt der Phänomenologie kennzeichnet, gibt ebenso einen Hinweis auf die wachsende Bedeutung der Geschichte, während der Ausarbeitung der Idee der Phänomenologie.^'^ Das zunehmende Bewußtsein der fundamentalen Bedeutung der Geschichte und der wenig explizite, tentative Ausdruck dieses Bewußtseins führt bei Hegel zu einem Konzept, das FiAYM nicht ohne Grund als eine Mittellage zwischen transzendentaler Analyse und konkreter, historischen Beschreibung kritisiert hat.^o Dort, wo Hegel in der Phänomenologie eine geschichtliche Illustration gibt, läßt sich die übliche historiographische Epocheneinteilung der Geschichte anwenden. Aber HYPPOLITE bemerkt diesbezüglich mit Recht, Hegel beabsichtige in der Phänomenologie keineswegs eine universale, sondern eine exemplarische Beschreibung der Geschichte.^ Mit den historischen Beispielen wird so die transzendentale Analyse der Entwicklung des Geistes veranschaulicht. In der Phänomenologie findet deshalb eine Verschmelzung zwischen transzendentaler und historischer Analyse (oder, wie W. MARX sagt, zwischen ,Bildungsgeschichte' des Geistes und konkreter Geschichte) statt.^3 HeVgl. G. B. O'Brien: Hegel on Reason and History. Chicago, London 1975. 165 ff und O. D. Brauer: Dialektik der Zeit (s. Anm. 32), 159—164. 38 Vgl. /. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10). 42. 39 Vgl. O. Pöggeler: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Materialien zu Hegels .Phänomenologie des Geistes' (s. Anm. 10). 374 und W. Marx: Hegels Phänomenologie (s.

Anm. 10). 70. ® Vgl. R. Haym: Hegel und seine Zeit. Vorlesung über Entstehung und Entwicklung, Wesen und Wert der Hegelschen Philosophie. Berlin 1857. 18, 232, 238, 243. ^3 Vgl. W. Purpus: Zur Dialektik des Bewußtseins nach Hegel. Berlin 1908. ^3 Vgl. /. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10) 42 und W. Marx: Hegels Phänomenologie (s. Anm. 10). 111. ^3 Vgl. ebd. 47, 80 f und auch E. Coreth: Die Geschichte als Vermittlung bei Hegel. In: Philosophisches Jahrbuch. 78 (1971), 98; L. von Renthe-Fink: Geschichtlichkeit. Ihr terminologischer

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gels Originalität liegt (wie HYPPOLITE betont) nun gerade in dieser Verschmelzung, die eine , geschichtliche Rechtfertigung' des philosophischen Begriffes beabsichtigt.^ Paradigmatisch neu ist dabei, daß die Zeit nicht länger nur einen Gegenstand ontologischer Betrachtung (oder eine Kategorie), sondern umgekehrt (als Geschichte) gerade die Bedingung ontologischer Wahrheit (des Begriffs) darstellt. Im Rückblick erscheinen am Ende der Geschichte bei Hegel Zusammenhang und Einheit der vorhergehenden Entwicklungsstadien des Geistes. Nachträglich läßt sich somit das anfänglich Kontingente so rekonstruieren, daß es dem Resultat entspricht. Mittels der , Darstellung' des erscheinenden Geistes, der in der Phänomenologie transzendental-historisch betrachtet wird, tritt eine Organisationsstruktur ans Licht, die erst nachher (am Ende der geschichtlichen Entwicklung) sich als der Weg zum Begriff zeigt. Der Weg der konkreten Geschichte führt im Zusammenhang mit ihrer Organisationsstruktur (d. h. mit ihrer resultierenden Einsicht in den wechselseitigen Bezug der Entwicklungsmomente) somit zur begriffenen Geschichte. ln der Gliederung der Phänomenologie zeigt sich deutlich dieselbe (auch in der Geschichte auftretende) Parallelität, nach welcher die einzelnen Momente (Phasen) des Entwicklungsprozesses den Bezug zwischen Anfang und Vollendung auf verschiedenen Ebenen wiederholen.'^ Jeder Teil der Entwicklung des Geistes spiegelt somit den Verlauf oder die Struktur der Totalität der Entwicklungsgeschichte. Und umgekehrt teilt die Totalität als verbindende Einheit sich allen einzelnen Momenten der Entwicklungsgeschichte mit, wodurch diese Momente ihre Vereinzelung und Kontingenz verlieren. Wie in der christlichen Heilsgeschichte Sündenfall und Erlösung zusammengehören und das Holz des Kreuzes dem Baum der Erkenntnis entsprießt, so läßt Hegel in der Phänomenologie die Freiheit geschichtlich aus der Unfreiheit hervorgehen.

und begrifflicher Ursprung bei Hegel, Haym, Dilthey und Yorck. Göttingen 1964. 52; M. Theunissen: Hegels Lehre vom absoluten Geist (s. Anm. 10). 52, 73. ^ Siehe /. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10). 47. •*5 Vgl. O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 10). 355 und E. Martineau: Conception vulgaire (s. Anm. 23). 78. Vgl. A. Scheier: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg, München 1980. 30 f.

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5. Die existentielle Bedeutung der Zeit Hegels Interpretation der Zeit ist, wie ausgeführt, anti-formalistisch und auf eine Säkularisierung von Ewigkeit und HeUsgeschichte gerichtet. In Zusammenhang damit steht, daß die Zeit bei Hegel eine wesentlich auf die menschliche Existenz zugespitzte Bedeutung hat. Die existentielle Bedeutung kommt mit darin zum Ausdruck, daß Zeit und Geschichte nach Hegel sich nicht vom Vermögen des Erinnerns und Voraussehens trennen lassen, mit welchem der Mensch seine Existenz gestalten kann. Jedem Versuch zur Formalisierung abgeneigt, entzieht die ,Unruhe des Lebens' sich starrer Eindeutigkeit. Ebensowenig wie die Heilsgeschichte in religiösem Sinn läßt Hegels Geschichte der Freiheit sich an formelle Ketten legen. Namentlich HYPPOLITE hat mit seiner gründlichen Interpretation der Phänomenologie den Blick für die existentielle Bedeutung der Zeit bei Hegel geschärft. Für Hegel birgt das Endliche und Individuelle als Zweck die Unendlichkeit des Absoluten in sich.'^^ Demgemäß kennzeichnet HYPPOLITE die Phänomenologie als die Darstellung der Entwicklung, welche das konkrete Individuum zur allgemeinen Humanität führt.^s Diese Entwicklung impliziert verschiedene Existenzformen, die Hegel in der Phänomenologie geschichtlich illustriert. Der Weg vom Individuellen zum Absoluten fordert ja, wie ein Wort Hegels sagt, die ,ungeheure Arbeit der Weltgeschichte'. Mit der Beziehung zwischen Herr und Knecht, die den Anfang der Geschichte (als Werdegang zur allgemeinen Freiheit) markiert, wird zugleich erst die emanzipierende Bedeutung der geschichtlichen Arbeit bei Hegel gesetzt. Von den Entwicklungsstadien des Geistes auf seinem Weg zur Freiheit gibt die Phänomenologie eine Darstellung, welche HYPPOLiTE als ,itineraire philosophique' beschreibt. Das Ende des Weges zur Freiheit wird mit der Französischen Revolution als alles umstürzender Katastrophe erreicht. Von ihr aus rückblickend kann Hegel die Geschichte erst als den Streit auf Leben und Tod um wechselseitige Anerkennung deuten, welcher mit dem Verhältnis von Herr und Knecht seinen Anfang nahm. Durch die damit einhergehende Zerrissenheit fordert die Geschichte, gemäß Hegels Ernwand gegen KANTS ,ZU große Zärtlichkeit für die Welt', nicht unberührte Abstraktion, sondern eher, wie HYP^ Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 21. 116 ff. ^ Vgl. J. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10). 40. Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. 25, 42.

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betont, durchlebte Erfahrung (experience vecu). Deshalb tritt in den geschichtlichen Phasen der Entfaltung des Individuums der existentielle Charakter in den Vordergrund. Es ist somit, wie HYPPOLITE feststellt, die lebendige Individualität in ihren verschiedenen Existenzformen (fagons de vivre), welche die Phänomenologie anhand der geschichtlichen Erscheinungsformen des Geistes veranschaulicht.^ Die Bewegtheit, die sowohl das Denken wie das Leben kennzeichnet, behütet den Begriff bei Hegel vor Erstarrung zum formellen (objektiven) Resultat. Der Begriff (in verbalem Sinn der Aktivität des Begreifens) gründet nicht in der Beständigkeit, sondern im katastrophalen Umschlag, der (wie die Französische Revolution) die Existenz in ihren Grundfesten erschüttert und alles Konsolidierte unterminiert. Wie Hegel sagt, kommt der Geist nur ,in der absoluten Zerrissenheit' zur Einsicht.^i Die Einsicht, wozu die begriffene Geschichte schließlich führt, geht deshalb mit einer extremen Zerrissenheit zusammen, welche (wie der Schluß der Phänomenologie darlegt) Golgotha gleichkommt. Dieses Zusammengehen von existentieller Gebrochenheit und Begriff gab HYPPOLiTE Anlaß, von einer Versöhnung mit dem Leiden der Gegenwart bei Hegel zu sprechen.52 Endlichkeit ist für Hegel (ähnlich wie das ,Sein zum Tode' für HEIDEGGER) unlösbar mit der Existenz verbunden. Dadurch bleibt die Bewegung bewahrt vor der formellen Erstarrung, welche das Endliche der abstrakten (objektiven) Beständigung preisgibt. Die Unterminierungskraft, welche die Existenz und Geschichte fortwährend in Gang hält, betrachtet Hegel als ein Kennzeichen sowohl der Endlichkeit (des Todes) wie des Denkens. 53 Die Endlichkeit der Existenz spiegelt sich in der Zerrissenheit der Geschichte bei Hegel wider. Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit bilden dabei die Mitte der geschichtlichen Bewegung. Deshalb sind auch ,Vergänglichkeit' und ,Leidenschaft' bestimmende Begriffe in Hegels Sicht auf die Geschichte. Es ist die ,Trauer' um die Vergänglichkeit, die Hegel ebenso wie einigen seiner Zeitgenossen (etwa der französische Historiker VoLNEY und der zur deutschen Frühromantik gehörige Schriftsteller JEAN PAUL), den Anstoß zur historischen Reflexionen gab. Dem (bei VoLNEY und JEAN PAUL breit geschilderten) Bild der Trostlosigkeit einer ruinösen Geschichte stellt Hegel aber das Symbol des Phönix gegenPOLiTE

50 51 52 55

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

J. Hyppolite: Genese et Structure Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. J. Hyppolite: Genese et Structure Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9.

(s. Anm. 10). 50 ff. 27. (s. Anm. 10). 49. 27 f.

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über, der sich für eine verjüngende Wiederaufstehung aufopfert. ^ Nur diese Antizipation auf Wiederherstellung und Versöhnung macht die historische Vemichtungskraft in Hegels Augen ertragbar. Die konkrete Geschichte läßt sich als Anhäufung von Trümmern rechtfertigen aus demselben existentiellen Grund, aus dem man die Zerrissenheit als Bedingung der Entwicklung des Individuums anzunehmen hat. Der Verlauf der Geschichte wird bei Hegel durch existentielle Endlichkeit geprägt. Nicht das Absolute (in seiner umfassenden Unendlichkeit) ist deshalb das Subjekt der konkreten geschichtlichen Entwicklung, sondern, wie W. MARX darlegt, das Individuum als endliche Veräußerlichung. Auch die Behauptung HYPPOLITES, die konkreten, geschichtlichen Beispiele in der Phänomenologie veranschaulichen nicht die universelle Weltgeschichte, sondern den Weg des (zerrissenen) Individuums zur (versöhnenden) Humanität, deutet auf den existentiellen Aspekt von Hegels Zeitkonzept.^5 Um das Heute aus seiner Bedrängnis befreien zu können, muß die Erlösung das Resultat von früheren Ereignissen sein, welche der künftigen Versöhnung vorgreifen. Im ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus wird zum ersten Mal diese Fruchtbarkeit des Früheren für die künftige Überwindung der Aussichtslosigkeit der Gegenwart ans Licht gerückt. Für den jungen Hegel sind es vor allem die Griechen, die das künftige Ideal darstellen.^^ Sie bleiben (mit dem Christentum, worauf außer HöLDERLIN auch die frühe deutsche Romantik unter Führung von NOVALIS und SCHELLING zurückgreift)^^ die geschichtlich-zukünftige Quelle, aus welcher zur Labung des modernen Dursts nach Versöhnung geschöpft wird. Und die Geschehnisse im Sog der Französischen Revolution haben dieses Verlangen der Zeitgenossen Hegels nur verstärkt.

^ Vgl. Hegel: Werke. Bd 12. 36 ff, 97 f — /. D'Hondt: Verborgene Quellen des Hegelschen Denkens. Berlin 1983. 71—96; Jean Paul (Richter): Siebenkäs. Kap. 8: Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daI3 kein Gott sei sowie ders.: Dämmerungen fiir Deutschland (Über Gott in der Geschichte und im Leben). 55 Vgl. /. Hyppolite: Genese et Structure (s. Anm. 10). 40 und W. Marx: Hegels Phänomenologie (s. Anm. 10). 48. 5* Vgl. O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 10). 337. 57 Einen Einblick in die dichterischen und denkerischen Beziehungen während der frühen deutschen Romantik gibt M. Frank: Das Problem „Zeit" in der deutschen Romantik. Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der Frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung. Paderborn 1990. 97—222; vgl. dazu auch: D. Henrich: Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789—1795). Stuttgart 1991. 49-54, 120-125, 129, 218.

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6. Die Übereinstimmung zwischen Kunst, Philosophie und Geschichte Hinsichtlich des Bezugs von Zeit und Ewigkeit (Endlichkeit und Unendlichkeit) ergibt sich bei Hegel eine strukturelle Übereinkunft zwischen Kunst, Philosophie und Geschichte. In diesen, als säkularen Bereichen, steht der konkrete Inhalt an erster Stelle, im Gegensatz zur leeren Abstraktion, welche die religiöse Vorstellung nach Hegel kennzeichnet. Hegel deutet die Kunst als das , Scheinen' der Idee in die konkrete (sinnliche) Welt. Eine (im ,apodeiktischen' Sinn) Erscheinungsweise der Ewigkeit des Geistes bildet ebenfalls die konkrete Geschichte. Und die Philosophie schließlich ermöglicht bei Hegel den konkreten (als säkulare Vollendung der begriffenen Geschichte zu deutenden) Begriff dessen, was in Kunst und Geschichte erscheint. Begriff (Philosophie) und Begriffenes (Kunst und Geschichte) spiegeln so ihre Konkretheit ineinander wider. Sowie der Begriff den (für die Religion irrelevanten) säkularen Inhalt der Kunst und Geschichte in sich aufnimmt, so geben umgekehrt Kunst und Geschichte ihre Wahrheit erst der Konkretheit des philosophischen Begriffes preis. Kunst, Geschichte und Philosophie bilden deshalb zusammen das Instrumentarium, womit die abstrakte Vorstellung des Heils der Religion sich konkretisieren und säkularisieren läßt. ln ihrer Konkretheit liegt die strukturelle Verwandtschaft von Kunst, Geschichte und Philosophie eingeschlossen, welche verschiedene, im folgenden näher zu betrachtende Aspekte aufzeigt. Alle drei kennzeichnet eine nicht objektivierbare Bewegtheit (Unruhe des Lebens). Sowohl im Denken als im Tod sieht Hegel den unterminierenden Impuls, der die Bewegung vor formeller Erstarrung bewahrt. Und auch Zeit und Geschichte eignet als Wirksamkeit dieselbe Unterminierung, welcher eine formelle Abstraktion nicht gewachsen ist. Temporelle Negation macht die solide (materielle oder natürliche) Aktualität wieder ,flüssig', so daß diese (als vergangene) ihre Äußerlichkeit in der Er-innerung verlieren kann. Bei Hegel ist die konkrete Wirklichkeit sosehr durch untergrabende Bewegtheit geprägt, daß alle Beständigkeit sich in einem ,bacchantischen TaumeT^^ verflüchtigt, der jede (abstrakte und formelle) Starrheit der vereinzelten Elemente zugunsten von Verschmelzung und Einheit (Zusammenhang) aufhebt. Hegels Interpretation der Geschichte stellt den katastrophalen Umsturz, für den die Französische Revolution beispielhaft ist, in den Brenn5® Vgl. Hegel: Werke. Bd 13. 25. 5* Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. 34.

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punkt des Interesses. Aufruhr und Katastrophe prägen die moderne Geschichte, der zudem der Trost der religiösen Heilserwartung wegen der säkularen Verfassung der Aufklärung fehlt, auf welche die politischen Revolutionen sich gerade stützen. Die fortwährende Zerstörung der aktuellen Wirklichkeit, die (wie ARISTOTELES schon mit seiner Charakterisierung der ,metabole'^ oder des Umschlags nahelegt) durch einen plötzlichen Umsturz verursacht wird, läßt sich laut Hegels Deutung nicht länger durch die Religion und ebensowenig durch eine formalistische Ratio bestreiten. Dagegen betrachtet er die geschichtliche Unruhe und Zerrissenheit selbst als die notwendige Bedingung des philosophischen Begriffs (als säkularisierten Heils). Vielmehr als in den allopathischen Mitteln der Religion und des Formalismus sucht Hegel in der Krankheit selbst ihr homeopathisches Medikament. Die Unruhe und Gebrochenheit, die in der säkularen Konkretheit von Kunst und Geschichte einen Widerhall finden, kennzeichnen somit ebenfalls die nicht ablassende ,Anstrengung' des sich selbst erlösenden Begriffs.^i Die Wirkung des ,Zahns der Zeit', das Vergehen, steht im Mittelpunkt von Hegels Deutung der Geschichte. Im Gegensatz zur Religion wehrt sowohl die Kunst als auch die Philosophie bei Hegel sich gegen die Vergänglichkeit auf eine konkrete (der Geschichte gemäßen) Weise, die nicht von der Bewegung abstrahiert. Dem Rationalismus trotzend, schreibt Hegel der Geschichte nicht einen progressiv-linearen, sondern einen transformierend-zirkulären Verlauf zu, der (wie Kunst und Philosophie) Beständigkeit und Bewegtheit vereinigt. Kunst, Geschichte und Philosophie besitzen eine gleiche Struktur, innerhalb welcher Bewegung und Beständigkeit Zusammengehen. Dabei ist die Bewegung zwar an eine Richtung gebunden, aber trotzdem durch (unvorhergesehene) Umschläge frei, das aktuell Gegebene zu transformieren. Hegels Anti-Formalismus stellt diese Freiheit an erster Stelle als Gegengewicht gegen den deterministischen Rationalismus. Deshalb ist bei Hegel die Geschichte nicht teleologisch angelegt.^^ ][)ig unberechenbare, irrationale Leidenschaft, welche Hegel als Triebfeder der Geschichte betrachtet, verhindert eine teleologische oder mechanisch-kausale Aristoteles: Physik. 192b 13—21; vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten (s. Anm. 10).

297. Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 9. 42. Vgl. A. R. Caponigri: The Pilgrimage of Truth through Time. The Conception of the History of Philosophie in G. W. F. Hegel. In; Hegel and the History of Philosophy. Ed. by J. J. O'Malley e. a. The Hague 1974. 18 f. O'Brien: Hegel on Reason and History (s. Anm. 37). 28, 152, 155; S. Majetschak: Die Logik des Absoluten (s. Anm. 27). 311, 317 f, 333 und auch S. F. Baekers: G. W. F. Hegel's Anti-Formalism (s. Anm. 1). 8 ff.

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Deutung. Eher ist dabei, ebenso wie in der Kunst, ein unbewußter Schöpfungsdrang im Spiel, der der Arbeit der Geschichte Form gibt.^^ Dieses Zusammenspiel wird auch daran deutlich, daß erst mit der Erscheinung der antiken, griechischen Kunst der Weltgeist als verborgener Architekt oder Werkmeister der Geschichte der Freiheit auftritt. Die Wirkung der für die Kunst wesentlichen , Einbildungskraft'^ ergibt bei Hegel eine Möglichkeit, Herr über die lineare Zeit zu werden, in welcher formelle Leerheit und mechanische Determiniertheit zu Hause sind. Mit der Einbildungskraft, die intuitiv (und somit unbewußt) die Schöpferkraft führt, läßt sich aber kein beabsichtigtes Ziel verbinden. Auf eine nicht voraussagbare Weise vermag die schöpferische Phantasie das Individuelle mit dem Allgemeinen (Beständigen) zu verschmelzen und somit im Kunstwerk der Vergänglichkeit die Stirn zu bieten. Von Trauer um das Vergehen nimmt die Kunst außerdem Abstand. Vor allem in der Dichtkunst wird, wie Hegel sagt, Freiheit hinsichtlich des Schmerzes erworben. Daß der Zusammenhang des Vereinzelten in Geschichte und Philosophie durch die Kunst antizipiert wird, ergibt sich aus Hegels Analyse des Metrums und Rhythmus in der Musik, woraus O. D. BRAUER und G. WOHLFAHRT ihre Perspektive auf Hegels Zeitkonzept entnehmen. Sowie O'BRIEN in seiner Arbeit über Hegels Philosophie der Geschichte weisen auch diese Autoren auf die Kunst als Modell der Einheit hin, welche (die begriffene Geschichte antizipierend) die Versplitterung der linearen Zeit aufhebt.^^ Die Übereinstimmung mit der begriffenen Geschichte liegt in der vorlaufend-zurückkehrenden Struktur des musikalischen Rhythmus, durch welche zuerst ein Zusammenhang zwischen den vereinzelten Zeitmomenten hergestellt wird. Der (auch bei HUSSERL nach dem Vorbild von AUGUSHNUS^^) als Illustration der zeitlichen Bewegung herangezogene retensiv-protensive Verlauf der Musik führt zu einem Zusammentreffen des Vorhergehenden und des Nachfolgenden im Augenblick, oder, wie G. WOHLFAHRT es formuliert, zu einer ,simultanen Komprehension', dem der Zusammenhang der begriffenen Geschichte ^ Vgl. O. D. Brauer: Dialektik der Zeit (s. Anm. 32). 159 f, 163 f. ^ Vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten (s. Anm. 27). 239 und Hegel: Werke. Bd 10. 267, 270 f. ^ Vgl. Hegel: Werke. Bd 10. 116. ^ Vgl. O. D. Brauer: Dialektik der Zeit (s. Anm. 32). 154 f; G. Wohlfahrt: Über Zeit und Ewigkeit (s. Anm. 33), 149—155 und G. B. O'Brien: Hegel on Reason and History (s. Anm. 37). 165 ff. Siehe dazu die Darlegung von Retention und Protention in: E. Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893—1917). Hrsg, von R. Boehm. Den Haag 1966. §§23—24.

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korrespondiert.^® Im rhythmischen Gefüge der Musik erscheint antizipierend derselbe zirkuläre Verlauf der geschichtlichen Bewegung, in welcher die Veräußerlichung des Geistes sich wieder (durch die Er-innerung) verinnerlicht, und somit das Frühere nicht als tote Vergangenheit zurück-, sondern als fruchtbarer Ursprung durchgehend für die Zukunft wirksam bleibt. Erfahren läßt sich der Zusammenhang, der Geschichte und Philosophie kennzeichnet, erst in der Kunst. O. D. BRAUER betont demgemäß, daß der Übergang von linearer (natürlicher) Zeit zur zirkulären (begriffenen) Geschichte (oder Ewigkeit) in der Kunst stattfindet.Zum absoluten Geist gehört ja die Kunst zusammen mit der Religion (für die aber in Hegels Sicht Abstraktheit kennzeichnend ist) und der Philosophie (welche die anfängliche Konkretheit der Kunst in der begriffenen Geschichte oder erfüllten Gegenwart aufbewahrt). Ähnlich wie die Geschichte und die Philosophie zeichnet sich die Kunst durch konkrete Unmittelbarkeit aus, welche der Religion wegen ihrer Ausrichtung auf die Ferne der Vergangenheit und Zukunft fehlt. Jede Erscheinungsweise der Kunst schließt die Totalität ein, die das Frühere und Zukünftige im Augenblick (im konkreten Hier und Jetzt) zusammenfügt. Oder, um mit G. WOHLFAHRT zu sprechen, die ewige Einheit der begriffenen Geschichte und der Philosophie wird erstmals ,hörbar' in einer ,plötzlichen Koinzidenz' der Zeitmomente, auf die das rhythmisch-melodische Muster der Musik vorgreift. Die Kunst liefert damit selbst das Modell (des vorlaufend-zurückgreifenden Verweisens) für ihren Begriff. Demgemäß behauptet G. B. O'BRIEN ZU Recht, zwischen den Stilen als geschichtlichen Erscheinungsweisen der Kunst bestehe ein Verhältnis wechselseitiger Verweisung, wobei zurückblickend der spätere Stil sich als Antizipation im früheren Stil ablesen läßt.^^ Der hier skizzierten Übereinstimmung, welche die Kunst mit der Geschichte und Philosophie verbindet, widerspricht auf den ersten Blick Hegels Behauptung, die Kunst sei für uns ,ein Vergangenes'.Aber vielleicht versperrt eine unserseits vorschnelle Herabsetzung der Vergangenheit die Einsicht, daß das Frühere bei Hegel fruchtbar für die Zukunft bleibt. Hegels Wort impliziert in diesem Licht besehen nicht sosehr eine endgültige Abrechnung mit der Kunst, sondern eher eine AuffordeVgl. ** Vgl. Vgl. Vgl. 72 Vgl.

G. O. G. G.

Wohlfahrt: Über Zeit und Ewigkeit (s. Amn. 33). 150—153. D. Brauer: Dialektik der Zeit (s. Anm. 32). 154 f. Wohlfahrt: Über Zeit und Ewigkeit (s. Anm. 33). 150—153. B. O'Brien: Hegel on Rmson and Histon/ (s. Anm. 37). 167. Hegel: Werke. Bd 13. 25.

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rung, die frühere Wirksamkeit der Kunst für die Zukunft lebendig zu halten und nicht in musealer Kraftlosigkeit versanden zu lassen. Das älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus gab zum ersten Mal dem Ideal (das Hegel mit seinen Tübinger Kommilitonen HöLDERLIN und ScHELLiNG teilte) Ausdruck, die frühere einheitstiftende Wirkung der Kunst für eine zukünftige Überwindung der gegenwärtigen Aussichtlosigkeit nutzbar zu machen.^3 Deswegen ließe sich vielleicht auch das erste philosophische Meisterwerk Hegels, die Phänomenologie des Geistes, als eine mehr ausgetragene Frucht des Ideals einer verjüngten Wirksamkeit der Kunst betrachten. Somit wäre der Verfasser dieses ,ächten Kunstwerks', um mit K. ROSENKRANZ ZU sprechen, der ,philosophische Dante', der das Verlangen seiner Zeit shllte.^^

^3 Vgl. Mythologie der Vernunft. Hegels ,ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus'. Hrsg, von Chr. Jamme und H. Schneider. Frankfurt/M. 1984. 11—14. Auch Hölderlins denkende Dichtung H)rperion läßt sich zusammen mit der Bestimmung der Kunst in Schellings System des transzendentalen Idealismus und Philosophie der Kunst als eine Ausarbeitrmg des „ältesten Systemprogramms" deuten. Vgl. K. Rosenkranz: Hegels Leben. Nachdr. Darmstadt 1977. 206 f. Die Bedeutung des dichterischen Denkens in der Jenaer Zeit wird hervorgehoben in: W. Hogrebe: Prädikation und Genesis. Metaphysik als Fundamentalheuristik im Ausgang von ScheUings „Die Weltalter". Frankfurt/M. 1989. 14-40.

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HEGEL UND HEIDEGGER ÜBER NEGATIVITÄT

Der Band 68 der HEiDEGGER-Gesamtausgabe wurde noch von MARTIN HEIDEGGER selbst zusammengestelltT Er bringt fragmentarische Entwürfe für einen Vortrag und einen Doppelvortrag oder für zwei Abhandlungen. Beim ersten Blick in das Buch fragt man sich: wird nun HEIDEGGERS Papierkorb ausgeleert? Bei genauerer Lektüre werden die Gesichtspunkte klar, denen HEIDEGGER folgte. Die erste Fragmentgruppe steht unter dem Titel „Die Negativität" und stammt aus den Jahren 1938/39. HEIDEGGER selbst sagt, er wolle durch einen Vortrag in einem Arbeitskreis, der Hegels Logik las, zu einer Aussprache über Hegel und einer Auseinandersetzung mit diesem führen. Randbemerkungen zeigen, daß HEIDEGGER diese Notizen 1941 wieder vornahm. Die zweite Fragmentengruppe aus dem Jahre 1942 erläutert die „Einleitung" aus Hegels Phänomenologie des Geistes. Als HEIDEGGER in den Holzwegen eine Kommentierung dieser „Einleitung" veröffentlichte, verwies er auf andere, mehr „didaktische" Seminarübungen über Hegels Phänomenologie und die Bücher IV und IX der ARiSTOTElischen Metaphysik von 1942/43 und zwei gleichzeitige Vorträge. Vielleicht war der Ort der Vorträge in beiden angeführten Fällen ein Kollegenkreis, das sog. Freiburger „Kränzchen". Die gut fünfzig Jahre, die uns von der Entstehung dieser Texte trennen, bringen es mit sich, daß nichts Genaueres mehr oder noch nichts Genaueres über Vorträge, Seminare und Arbeitspläne auszumachen ist.

1. Die Negativität Als Hegel im Frühjahr 1807 (statt einer Logik oder spekulativen Philosophie mit einer einleitenden „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins") eine selbständige Phänomenologie des Geistes veröffentlichte, gab er ' Martin Heidegger: Hegel. Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann 1993. 154 S. (Gesamtausgabe. Band 68.) Seitenzahlen im Text verweisen im folgenden auf dieses Buch.

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dem voluminösen Band eine Vorrede mit; diese führte den Vorblick der kleinen „Einleitung" (wie das Inhaltsverzeichnis nun sagte) weiter, leitete aber zugleich ein in das ganze geplante System der Wissenschaft. Hegel hielt fest, zum „Leben Gottes" und zum „göttlichen Erkennen" müsse „der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen" treten.^ Die Tätigkeit des Scheidens sei die „Kraft und Arbeit des Verstandes", der „absoluten Macht" und „Energie des Denkens". „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt, und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes." Der Geist gewinne seine Wahrheit nur, indem er „in der absoluten Zerrissenheit" sich selbst finde. „Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht"; vielmehr müsse der Geist dem Negativen „ins Angesicht" schauen, bei ihm „verweilen", so daß es „in das Sein" umgekehrt werde. Ein loser Zettel unter HEIDEGGERS Fragmenten verweist für die „Herausstellung der Negativität" auf diese Stellen, nämlich auf Einleitung und Vorrede zur Phänomenologie. HEIDEGGER verweist zugleich auf die Destruktion der Tradition in Sein und Zeit, die ja die Aussage als Leitfaden der Erschließung von Wahrheit zurückwies, den Tod, in den die Entschlossenheit vorlaufen sollte, als etwas nicht Objektivierbares nahm (61). Im Jahre 1942 verband HEIDEGGER die Rede von der Negativität in der Vorrede zur Phänomenologie mit dem Schluß der früheren Abhandlung Glauben und Wissen, die die christliche Rede vom Tode Gottes aufnahm und einen spekulativen Karfreitag forderte (135). HEIDEGGER zitiert die angeführten Formulierungen über Tod und Negativität und verbindet sie mit der Phänomenologie des Selbstbewußtseins, in der es angesichts des Todes als des „absoluten Herrn" zur Negativität als einer „absoluten Erzitterung" kommt (27 f). Das Scheiden als „absolute Macht" weist zurück auf die angeführte Stelle aus der Vorrede zur Phänomenologie, doch wird es durch eine Anmerkung zurückgeführt auf den Rückblick, den die Einleitung zur Begriffslogik auf die Logik der Relations- und Modalitätskategorien wirft. Dort selbst, im Kapitel Das absolute Verhältnis spricht Hegel die Substanz als „absolute Macht" über die Akzidenzien an, um die Fortbildung der Substanzialität zur Kausalität und schließlich die „sich auf sich beziehende Negativität" als absolute Macht zu begreifen. Schon die Phänomenologie des Geistes hatte das Verhältnis von Ding und Eigenschaften weitergeführt zur Kraft und zum 2 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. H.-F. Wessels und H. Clairmont. Hamburg 1988. 14 f; zum folgenden 25 f.

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Spiel der Kräfte, um dann in der tätigen Arbeit des selbsthaft gewordenen Lebens, im Absoluten selbst, ja in der Auflösung der griechischen Götter durch das komische und ironische Selbstbewußtsein die „absolute Macht" zu finden. 3 Der letzte Beleg zeigt, daß die Erfahrung von Schicksal und Macht nur eine untergeordnete Erfahrung des Absoluten bleibt und somit der Neuspinozismus philosophisch überholt wird. Wenn HEIDEGGER die Rede vom „innersten Quell aller Tätigkeit" zitiert, verweist eine Anmerkung auf Hegels Wesenslogik, wo aber nur vom „Urgrund" aller Tätigkeit und Selbstbewegung gesprochen wird. In Wirklichkeit wird der Abschluß der Logik mit der Methode zitiert, die im Bereich des Denkens Unmittelbares „monstrieren", dann aber zur Negation und zur Negation der Negation fortgehen muß. Diese Negativität ist der „innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist".^ Es bleibt leider unklar, ob die Hinweise der Anmerkungen auf Hegelstellen auf HEIDEGGER selbst zurückgehen. HEIDEGGER selber hat seine Fragmente fünf Abschnitten zugeordnet. Zum ersten Abschnitt gehört mehr als die Hälfte des ganzen Textes, da der Versuch eines „Durchblicks" Ausführungen vorwegnimmt, die in die späteren Abschnitte gehören. Was etwa über Hegels Wirkung gesagt wird (7 ff), kehrt bis auf die Details im Schlußabschnitt wieder (54 f) und gehört dorthin. Selbst der Titel des ersten Abschnitts wurde zum Doppeltitel, dessen zweite Hälfte mit leichter Variation als Titel des vierten Abschnittes wiederkehrt: „Die Negativität. Das Nichts — der Abgrund — das Seyn". Das erste Textstück „Über Hegel" wehrt zuerst einmal die Auffassung ab, daß Hegel einen Standpunkt beziehe oder nur eine Prinzipienlehre gebe. HEIDEGGER hält fest, daß Hegels Philosophie in sich alle Standpunkte umfassen will. Es gibt gegenüber Hegel nicht den höheren Standpunkt, der das Erreichte noch einmal aufhebt. Weder kann man KANTtianismus, Scholastik oder CARiESianismus in neuen Formen gegen Hegel ausspielen noch ScHELLiNGs Spätphilosophie ihrem Anspruch gemäß als Überbietung Hegels fassen. In der Tat macht der späte SCHELLING Gebrauch vom nicht aufgearbeiteten Unterschied zwischen Was und Daß, um die negative Philosophie von der positiven Philosophie zu trennen. Ihm fehlt die philosophische Logik, wie Hegel sie zu geben suchte. WALTER 3 G. W. F. Hegel: Wissenschaß der Logik. Hrsg. v. G, Lasson. Leipzig 1934. Teil 2. 214 und 187; Phänomenologie des Geistes. 134, 151, 487. * Hegel: Wissenschaß der Logik. Teil 2. 496.

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hat in den fünfziger Jahren die These von der Überbietung Hegels durch den späten SCHELLING SO vertreten, daß er auch HEIDEGGERS Seinsdenken in eine Kette von metaphysischen Überbietungen einbezog. Dabei wurde verkannt, daß schon der junge HEIDEGGER im Bruch mit Hegels Dialektik eine Hermeneutik suchte. Die Texte von 1942 beziehen Hegels Philosophieren auf einen „Augenblick" des Denkens, der nicht als Standpunkt vorgestellt werden kann (73). Keinen Bezug nimmt HEIDEGGER darauf, daß FICHTE und der junge SCHELLING das rechte Philosophieren an eine Wahl zwischen Dogmatismus und Kritizismus und damit an einen Standpunkt knüpften, Hegel die so eröffnete transzendentale Geschichte in der Phänomenologie konkretisierte. HEIDEGGER betont zweitens, daß Hegels Prinzip sich mit seinem Prinzipsein in allen Bereichen der Philosophie — so etwa in der Philosophie der Kunst — bewähren müsse. Hegels Philosophie wird also als Systemphilosophie aufgefaßt, doch läßt HEIDEGGER es hier offen, ob jedes Philosophieren Systemphilosophie sein muß. In der Zeit der Beiträge zur Philosophie hat er dargelegt, daß der mathematische Ausgriff auf eine Idee in der neuzeitlichen Steigerung zur Systemphilosophie führe, daß er selbst aber die Philosophie als ein Sichfügen und damit als eine vieldimensionale Fuge verstehe. Für dieses Sichfügen bedarf es der Gestimmtheit, die sich einer Situation fügt oder sich von ihr absetzt. Doch die Frage: „Weshalb ,Stimmung'?" klingt in unserem Text nur an (19). Hegels Prinzip lautet, das Wirkliche sei vernünftig, die Substanz sei Subjekt, das Sein sei Werden; im Werden fängt Hegel mit dem Anfang an, durch den das Prinzip sich zum Erscheinen zu bringen beginnt. Da dieses Erscheinen eine letzte Durchsichtigkeit erreichen will, ist Hegels Standpunkt der des „absoluten Idealismus", der Vollendung des vorstellenden neuzeitlichen Bewußtseins, in dem alles bewußt wird. Das ist ein Standpunkt, der des bloßen Standpunktes nicht mehr bedürftig ist. So muß das Prinzip als Negativität gefaßt werden. Dieser Zugang zu Hegel fällt nicht von außen in dessen Denken ein, sondern erschließt dieses Denken aus seiner eigenen Mitte, nämlich den Gedanken über Tod und Negativität aus der Vorrede zur Phänomenologie. Der zweite Abschnitt „Der Fragebereich der Negativität" macht Hegels fraglosen Ausgang vom Bejahen und Verneinen, damit vom Urteilen und vom Logischen wieder zur Frage. Etwas wird bejaht; das Verneinen führt das unmittelbare Bewußtsein von etwas zum anderen. Das Bewußtsein selbst wird zum Mittelbaren; es trennt sich als Subjekt vom Objekt. Der Mensch wird dabei selbstverständlich angesetzt als das Tier, das denkt. Der Unterschied, der sich auftut, wird schließlich zurückgeSCHULZ

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nommen in die wechselseitige Bedingtheit des Unterschiedenen und damit in ein Unbedingtes. Das führt zum absoluten Wissen, dem Sichvorstellen des Vorstellens von etwas (37 f). Dieses absolute Wissen war schon im einführenden ersten Abschnitt als ein „Sich-auf-sich-selbst-Beziehen" im Unterscheiden und damit als unbedingte oder absolute Negativität bestimmt worden (19). Diese Verabsolutierung der Unterscheidung als Negation der Negation will HEIDEGGER zur „Entscheidung" stellen und damit den „Sprung" in die Fragwürdigkeit dieser Problematik wagen (41). Der dritte Abschnitt bringt mit dem Titel „Die Unterscheidung von Sein und Seiendem" HEIDEGGERS eigenen Ansatz zur Überwindung der Tradition ein. Eine Anmerkung nennt diese „Unterscheidung" sofort eine „vordergründliche, in Wahrheit verderbliche Fassung des Verständnisses von Sein und Seiendem". Von den Beiträgen zur Philosophie her wird das Seyn als Entscheidung bestimmt und so als Ereignung in den Streit von Erde und Welt, in das Gegenüber der „Gottschaft" der Götter und des „Wesens" des Menschen. Schon der erste Abschnitt hatte bei Hegel einen Abbau und eine Absage gefunden: Im Abbau wird das Sein gefaßt als äußerste Entäußerung der Wirklichkeit des Wirklichen und damit als Entwerden von einem „Un-" her; das Unmittelbare und Unbestimmte wird zur leeren Gegenständlichkeit für ein Vorstellen. Der Abbau wurzelt in dem Ansatz, der für das Seiende im Sein den Grund findet, dann in einer Absage an die hier gegebene Fragwürdigkeit für das Sein wiederum den Grund (ein höchstes Seiendes) sucht. Der Standpunkt des absoluten Idealismus findet im unbedingten Denken das, was des Standpunktes unbedürftig ist; doch diese Unbedürftigkeit wurzelt in Abbau und Absage und vollendet so die Gedankenlosigkeit des metaphysischen Ansatzes (32 f). HEIDEGGER wollte diese Absage rückgängig machen, als er in der Vorlesung vom Sommersemester 1927 die Rede von der „ontologischen Differenz" einführte. Die Aufzeichnungen von 1937/38 aber sagen, daß auch in dieser Rede „trotz der Unbedingtheit des Denkens und der Gedachtheit das Sein (im weiteren Sinne) auf das Seiende zu, als Seiendheit, angesetzt" sei. Auch Hegels Logik sei noch und wolle noch sein „Metaphysik" (21). Überall herrsche von Grund aus „das Negative des Unterschiedes". Die Richtung des eigenen Denkens wird so angezeigt: „Negation — Verneinen — Vernichten — Zugrunderichten — Zugrundegehen." Damit sei nach dem „Ursprung der Negativität" gefragt (29). Der Abgrund, der sich auf tut, wird verknüpft mit der Erfahrung des Nichts im Tode. In diesem Sinne fordert der dritte Abschnitt statt des PLATONismus und der Umkehrung des PLATONismus ei-

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ne „Vernichtung" der Metaphysik. Die Erfahrung von Nichts und Verweigerung vernichtet die metaphysische Tendenz, Seiendes im Sein, das Sein selbst aber in einem verfügbaren Grund zu gründen (44). Die Überschrift des vierten Abschnittes „Lichtung — Abgrund — Nichts" führt einen neuen Begriff ein; wird die Lichtung hier von der Lichtmetaphysik her verstanden oder von der Waldlichtung her, die sich als das Offene einem undurchdringlichen Verbergen abringt? HEIDEGGER geht von der Lichtmetaphysik aus: etwas wird im Lichte des Seins verstanden; z. B. zeigt sich das Gegebene vor mir im Licht der Seiendheiten Zeug, Möbel, Tisch. Die Vorstellung von etwas im Lichte von . . . gehört in ein Gefüge; die Inständigkeit in diesem fügenden oder fugenden Gefüge ist Stimmung. Doch in der Lichtung steckt das Nichts als die Verweigerung, damit das Abgründige, das ein verfügbares Gründen verwehrt. HEIDEGGER weist die Rede von der „Endlichkeit" als mißdeutbar zurück: das Endliche verweist (dialektisch) auf die Unendlichkeit; doch hier soll das Endliche als das Abgründige den Boden für alles Gründen abgeben. Die Nichtung im Abgründigen ist jene Verweigerung, die im Tod erfahren werden kann. Hegel hat trotz seiner pathetischen Rede vom Tod diese Nichtung nicht ernst genommen. Er hat die Negativität vom positiven und negativen Urteilen über etwas her erfahren, damit metaphysisch auf die Vorgestelltheit und das Bewußt-sein des Seienden zurückgeführt. „Hegels Negativität ist keine, weil sie mit dem Nicht und Nichten nie ernst macht, — das Nicht schon in das ,Ja' aufgehoben hat." (47) HEIDEGGER hatte schon festgehalten, daß der Nihilismus, den NIETZSCHE entdeckte, im Vergessen der Erfahrung von Nichts und Verweigerung bestehe, also im Verdecken der ursprünglichen Negativität (15). Noch ist HEIDEGGER nicht so weit, das Nichtigwerden des Seienden und den Nihilismus als möglichen Hinweis auf eine nicht mehr metaphysische Negativität, als möglichen Bezug zur bergenden Verbergung in aller Unverborgenheit zu nehmen (wie am Ende des Zweiten Weltkriegs in der Abhandlung über die seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus). ^ Der fünfte Abschnitt „Hegel" weist darauf hin, daß Hegel nach der Vorrede zur ersten Auflage seiner Wissenschaft der Logik den „höheren Standpunkt" reklamiert, den „das Selbstbewußtsein des Geistes" erreicht habe. HEIDEGGER versteht diesen Standpunkt als neuzeitliche Fassung der Rede des JoHANNES-Prologs vom Logos. Hegel berge sich noch in der Christlichkeit, die eine Zielsetzung für das Seiende im ganzen ha5 Vgl. Martin Heidegger: Nietzsche. Pfullingen 1961. Band 2. 355 ff.

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be, verwandle diese Zielsetzung aber neuzeitlich durch die Ausrichtung auf Gewißheit und Selbstbewußtsein. Die allgemeine Metaphysik könne nun zur eigentlichen Metaphysik werden, weil sie nicht mehr ein „leerer Vorhof" zur speziellen Metaphysik sei, sondern als Logik das Absolute zu sich führe (53 f). HEIDEGGER skizziert (noch einmal) die Geschichte von Hegels „Wirkung". Danach kommt Hegels Denken zur Wirkung a) in der Hegelforschung als bloßer Gelehrsamkeit, b) gerade über die Gegenbewegungen: über den Positivismus, über MARX und NIETZSCHE, über den Widerspruch der dialektischen Theologie gegen die religionsgeschichtliche Schule. Hegel wirkt vor allem c) durch die philosophische Begründung der eigenen Zeit, die nicht mehr unsere Zeit zu sein braucht. Ein Rückverweis auf den PLATONismus behauptet, daß PLATON vom me on spreche, es aber als on im Lichte der idea denke und so verfehle. NIETZSCHE verbleibe einerseits in der bloßen Umkehrung der Metaphysik, nämlich in einer Gegenbewegung, die das Denken in den Dienst des Lebens stelle. Andererseits wird ihm zugestanden, daß er Hegels Sichbergen in der Christlichkeit aufgibt und über Gelehrsamkeit und Historismus hinausgeht. So wird er zum „übergänglichen Denker", mit dem „eine andere Geschichtlichkeit des Denkens" beginnt (55, 53 f). Verweist nicht auch Hegel auf diese andere Geschichtlichkeit, wenn er die Wirklichkeit als energeia faßt, freüich von der Gesichtetheit und Gedachtheit der Seiendheit her (51 f)?

2. Erfahrung Ausarbeitungen von 1942 unterscheiden bei Hegel das Phänomenologie-System und das spätere Enzyklopädie-System, das wieder stärker „in das Grundgefüge der bisherigen Metaphysik" einlenke (71). Doch nimmt HEIDEGGER zur Kenntnis, daß die Phänomenologie des Geistes zuerst eine „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins" sein sollte. Bewußtsein ist der Titel, der ausdrückt, daß die Metaphysik in dem „Augenblick", in den Hegel eintrat, das Sein im Bewußt-sein fand. Wie konnte dieses Bewußtsein erfahren werden? Auf dem Gang dieses Erfahrens erwies es sich als Selbstbewußtsein und als Geist. HEIDEGGER will sich den ursprünglichen Ansatz vergegenwärtigen, indem er die „Einleitung" interpretiert, die in die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins einführen sollte, dann aber auch in der Phänomenologie des Geistes stehenblieb. (Heidegger korrigiert Behauptungen von 1942, wenn er in den Holzwegen darauf hinweist, daß Hegel selbst im Inhaltsverzeichnis HEIDEGGERS

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der Phänomenologie den kleinen Text als „Einleitung" fixierte.) HEIDEGGER teilt die einzelnen Abschnitte dieser Einleitung in fünf Gruppen und zeigt, daß Hegel den Weg des erfahrenden Bewußtseins als „Gang" in das Absolute fasse, das immer schon beim Bewußtsein sein wolle (83). Zum letzten Abschnitt finden sich nur noch Notizen, die auf Hegels Text so gut wie gar nicht eingehen, vielmehr den Bezug zur Phänomenologie des Geistes im ganzen noch einmal zur Diskussion stellen. Entscheidend wird für HEIDEGGER Hegels Begriff der Erfahrung, der eben nicht nur Erfahrung etwa in der Physik thematisiert, sondern auf eine ontologische Erfahrung oder eine Erfahrung der Grundbegriffe des Denkens zielt. Sein und Zeit hatte die These vertreten, DESCARTES fasse das Denken vom Vorrang des Theoretischen aus und lege so den antiken Ausgang vom Sein als Idee auf die neuzeitliche Tendenz zur Gewißheit und Selbstgewißheit um. Diese These wird nun im Hinblick auf Hegel seinsgeschichtlich weitergebildet. Danach ist für DESCARTES das Denken nicht nur ein cogitare rem, ein Vorstellen von etwas als etwas; es ist zugleich ein cogito me cogitare rem, ein Vorstellen des Vorstellens. KANT arbeitet diesen Ansatz transzendentalphilosophisch aus; der spekulative Idealismus steigert dann das „Ich denke", das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, zum Unbedingten. Ontologie und Theologie werden dabei als Ontotheologie in neuer Weise verknüpft, so daß Hegel auf die ARiSTOTELische Metaphysik zurückbezogen werden kann. Offensichtlich geht HEIDEGGER davon aus, daß Hegel mit dem Bestehen auf Erfahrung und auf den in sie eingeschlossenen Schmerz der Negativität in die Zukunft weise. Auf die Frage, warum Hegel den Titel „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins" fallen ließ, weiß HEIDEGGER keine sichere Antwort. Er weist aber darauf hin, daß Hegel den Gang des Erfahrens auch für die Phänomenologie reklamiert. An den Schluß der Enzyklopädie stelle er dann einfach ein Zitat aus der Metaphysik des ARISTOTELES, welches den Geist als Leben und Wirklichkeit faßt (132). Was HEIDEGGER zur Geschichte des Erfahrens herausarbeitet, behält seine Gültigkeit. Doch trifft es zu für die Phänomenologie des Geistes? Zuerst einmal muß darauf hingewiesen werden, daß DESCARTES mit seiner Lehre von den beiden Substanzen Denken und Ausdehnung für den Jenaer Hegel ein Reflexionsphilosoph war, der mit seinem Bestehen auf Extremen das Phänomen des Lebens verfehlte. Die Deutung des Cogito des DESCARTES als Vorläufer der KANTischen Transzendentalphilosophie und des deutschen Idealismus ist von Hegel in seinen Berliner Vorlesungen durchgesetzt worden, darf aber nicht in die Phänomenologie des Geistes hineingetragen werden. Auch vom KANTianismus oder Pseudokan-

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tianismus spricht die „Einleitung" ja nur ironisch; die Phänomenologie des Gewissens unterwirft die Postulatenlehre einer schroffen Kritik. Das Selbstbewußtsein (das erst im Inhaltsverzeichnis als Titel auftaucht) ist für die Phänomenologie eine einseitige und bornierte Position (wenn es dann auch zum Leitfaden der Auslegung des absoluten Wissens wird). Wird der Zweifel von Hegel nicht auf den antiken Skeptizismus ausgerichtet, dieser aber so geltend gemacht, daß Begriffe dialektisch aufeinander bezogen und so voneinander abgegrenzt werden (in einer eher chemisch zu fassenden Scheidekunst)? Offensichtlich nimmt HEIDEGGER Hegels Phänomenologie noch zu sehr von HUSSERLS Phänomenologie her auf, welche durch die eidetische und transzendentale Reduktion gesicherte Wesenserkenntnisse sucht. HEIDEGGER achtet nicht auf den spezifischen Weg der Phänomenologie des Geistes; kann er dann überhaupt die Methode dieses Werkes in den Blick bekommen? Die sinnliche Gewißheit als erste Gestalt der Phänomenologie soll den Umgang mit dem ersten „Gegenstand" der Logik einüben: mit dem Sein, das dann dem fortgehenden Begreifen übergeben wird. HEIDEGGER denkt bei der Rede von Gegenständen dagegen etwa an den Tisch und sucht dann dessen transzendentale Bedingungen im Möbelsein, Zeugsein, Dingsein und den entsprechenden kategorialen Verflechtungen. Hegel will zeigen, daß das Sein und überhaupt die Kategorien der Qualität und Quantität über sich hinausweisen zur Relation und deren Kategorien. So gebraucht er ein einfaches Exempel: wenn wir das deiktische Wort „Dieses" gebrauchen, meinen wir das schlechthin individuelle Sein; im ausgesprochenen Wort aber haben wir schon das kumulative Allgemeine einer Diesesheit, die eine Substanz mit vielen allgemeinen Eigenschaften und damit die Relation. Diese Wahrheit, die wirklich in der ausgesprochenen Gewißheit liegt, wird in einer Umkehrung des Blickes zur neuen Wahrheit; doch bleibt sie ebenso einseitig und begrenzt wie die Wahrheit „Sein" (oder später das, was Antigone und Kreon als Wahrheit ihrer Impulse haben). Nach HEIDEGGER soll die Umkehrung aber als „transzendentale Wahrnehmung" im Sinne der HusSERLSchen Reduktion zu den Bedingungen von Gegenständlichkeit führen. Der „Gang" des Bewußtseins läßt auf die Thesis des Bewußtseins die Antithesis des Selbstbewußtseins folgen, um die Synthesis des Geistes zu erreichen und so mit dem spekulativen Idealismus auf die KANTisch-CARTEsische Problematik zu antworten (119 f). Nach HEIDEGGERS Interpretation muß Hegel deshalb auch von dem, was gewöhnlich Erfahrung genannt wird, Erfahrung als ein unbedingt transzendentales Erkennen unterscheiden (115). Hegels Gesichtspunkt

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ist jedoch ein anderer: in der gewöhnlichen Erfahrung taucht „zufällig" ein anderer Gegenstand als der erwartete auf (statt des erwarteten Gasthauses etwa eine Sparkasse, so daß wir dann empirisch eine Erfahrung über diese bestimmte Stadt gemacht haben). In der Erfahrung des Bewußtseins reiht sich der neu auftauchende Gegenstand in notwendiger Weise an den ersten (etwa die Relation an das Sein). Hegel besteht darauf, daß wir nur auf die Phänomene zu sehen brauchen, eine Zutat unsererseits also überflüssig ist; trotzdem reklamiert er schließlich eine „Zutat" von unserer Seite aus. Diese Zutat liegt nach HEIDEGGER in der Umkehrung hin zum Transzendentalen, nach Hegel in der Einsicht, die sich aus dem Blick auf das Ganze des Systems konkretisieren muß, daß die erscheinenden und erfahrenen Gegenstände der Phänomenologie die Momente der Logik sind und in deren Reihenfolge (in exemplarischer Auswahl) aufeinander folgen. So entsprechen die Gestalten des Bewußtseins den Momenten der „eigentlichen" Wissenschaft des Geistes, nämlich der Logik. Da dort Sein und Relation jeweils an ihrem bestimmten Ort eingeordnet sind, brauchen sie nicht mehr wie im erscheinenden Geist für die Erfahrung auseinanderzufallen nach den Aspekten der Wahrheit und Gewißheit. Wenn HEIDEGGER den letzten Abschnitt der „Einleitung" nicht interpretiert, entgeht ihm diese entscheidende Feststellung, die von Hegel am Schluß des ganzen Werkes und in der Vorrede noch einmal emphatisch wiederholt wird. Die Phänomenologie des Geistes ist für HEIDEGGER der Gang in die transzendentale Schau des Absoluten, das immer schon bei uns sein will. Hegel dagegen spricht von einer „Geschichte" des Erfahrens, die im Rückblick der Vorrede auf die Weltgeschichte bezogen wird. Nach dem damaligen Sprachgebrauch kann das Wort „Geschichte" Unterschiedliches meinen: den geordneten Zusammenhang eines Erkundens, die Geschichte im Sinn der Weltgeschichte. Schon der Schlußsatz der Phänomenologie unterscheidet deshalb die Phänomenologie als „begriffene Organisation" der Geschichte von der Geschichte in der Form der Zufälligkeit. Die Geschichte im ersten Sinn zeigt dann z. B., daß das Erfahren des Bewußtseins mit dem Erfahren des Seins beginnen muß; die zweite Geschichte zeigt, daß dieser Schritt kontingent in Großgriechenland getan wurde. Beides zusammen, die begriffene Organisation der Geschichte (die als Phänomenologie durch die Logik gestützt wird) und die kontingente Geschichte, machen erst die „begriffene Geschichte" aus, die „Schädelstätte des absoluten Geistes", sein Aufschäumen aus dem „Kelch" des Geisterreiches. HEIDEGGER nennt dagegen die Phänomenologie selbst die „begriffene Geschichte" oder die „Geschichtlichkeit" als „Or-

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ganisation der Arbeit des Begriffs" (137, 126). HEIDEGGER spricht der „absoluten Metaphysik des deutschen Idealismus" jenen Ernst zu, der mit dem transzendentalen Ansatz Emst macht, nämlich ihn ins Unbedingte steigert. Doch stellt HEIDEGGER diesem Ernst den anderen Emst des „seynsgeschichtlichen Denkens" gegenüber, der es vermag, „das Wesen der absoluten Metaphysik" noch aufleuchten zu lassen (141). HEIDEGGER nimmt die Kontingenz und Faktizität in den Ansatz des Seinsdenkens hinein, so daß es zur Hegelschen Unterscheidung zwischen dem Bereich des Erscheinens und des Wesens, der Phänomenologie und Logik, nicht mehr kommen kann. Deshalb muß er es auch ablehnen, daß selbst ScHELLiNG das Absolute nicht in „Mühsal und Schmerz der Erkenntnis" hineinziehen will (143). Die Frage bleibt, wie dieser Ansatz sich „logisch" ausweist. HEIDEGGER unterlegt der „Einleitung" zur Wissenschaft der Erfahmng des Bewußtseins ein transzendentales Denken, das Hegel jedenfalls nicht für diese Wissenschaft der Erfahmng oder Phänomenologie beanspmcht. In dieser Einleitung zeigt Hegel durchaus noch für den philosophischen Alltagsverstand an, was er tun will. So kann er z. B. im zwölften Abschnitt sagen, es sei hier gleichgültig, ob man begriffsrealistisch den Begriff oder nominalistisch den Gegenstand als das Wahre ausgebe; was die Wissenschaft der Erfahrung als Prüfung der Realität der Erkenntnis sein soll, kann man von dieser oder jener Seite des alten philosophischen Streites aus verständlich machen. HEIDEGGER muß die Vorläufigkeit dieses einleitenden Redens umdeuten in eine Verabsolutiemng des transzendentalen Ansatzes (91 ff). Die Wissenschaft der Erfahmng des Bewußtseins, die auf gut hundert Seiten in die Logik einleiten sollte, wurde zur Phänomenologie des Geistes und damit zu einem voluminösen selbständigen Buch. Da HEIDEGGER diesen Vorgang nicht beachtet, bleibt er letztlich auch ratlos vor der Frage, wamm Hegel den Titel „Wissenschaft der Erfahmng des Bewußtseins" aufgab. Vor allem kam er nicht zu der Frage, wie denn die geleistete Ausarbeitung der Phänomenologie auf die geplante neue Logik zurückwrrkte. Die Vorrede bringt ja den Schmerz der Negativität, der mit dem Todesbewußtsein zusammenhängt, in Bezug zu Leben, Erkennen und Arbeit. HEIDEGGER spricht in sensibler Weise an auf jene Stellen, an denen Hegel die Gmndproblematik seines Philosophierens berührt. Doch muß eine wirkliche Kritik an HEIDEGGERS Interpretationen wohl zeigen, daß diese Problematik nicht konkret aus dem Ganzen der Phänomenologie und Logik als der spekulativen Philosophie und deren Verhältnis zur Realphilosophie sichtbar gemacht wird.

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3. Zur Kritik In der Schrift Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie sagt Hegel am Schluß der einleitenden Erörterung des „Bedürfnisses der Philosophie": „Das Absolute ist die Nacht, und das Licht jünger als sie ... — das Nichts das Erste, woraus alles Sein, alle Mannigfaltigkeit des Endlichen hervorgegangen ist." In der folgenden Erörterung „Reflexion als Instrument des Philosophierens" setzt Hegel zum fixierenden Verstand das „absolute Negieren" der Vernunft; damit stellt er die Problematik von Nichts und Negieren in den Übergang von der Logik zur Metaphysik. Bleiben die zuerst zitierten Sätze nicht in bilderreichen Behauptungen stecken?^ Der Naturrechts-Auisatz spricht den bekannten Behandlungsarten des Naturrechts die Zulänglichkeit ab, weil sie zwar ein negatives Absolutes erreichen, aber nicht „absolute Negativität". Diese „Dialektik" zerstöre das Fixierte im bloßen Verhältnis, erreiche im Verhältnis aber kein Ansich, also nicht jene Substanz, um die es auch Hegel geht. Wird das Substanzielle gewonnen, dann muß das Recht auch zum positiven Recht werden, nämlich der Geschichte anheimgegeben werden, aber nicht als etwas Totes aus ihr herausfallen. Hegel bildet das Begriffsfeld der Negativität in den Jenaer Jahren so um, daß die Dialektik selbst die Substanz entfaltet, damit auch geschichtliche Entwicklungen in sich aufnehmen kann. Die Negatio ist gegenüber der Determinatio im Vorteil, weil sie sich nicht fixierend an Positives hängt, sondern zu vieldimensionalen Entwicklungen fähig ist; so spricht Hegel nicht von absoluter Positivität, sondern von absoluter Negativität, die eine reflektierte Wiederherstellung des Positiven ist. Als JACOBI FICHTE „Nihilismus" vorwarf, hielt Hegel in seiner Abhandlung Glauben und Wissen fest, daß der wahre Nihilismus als die Aufgabe, „das absolute Nichts zu erkennen", in der Philosophie liege; doch kämen weder FICHTE noch JACOBI ZU diesem Nichts, dem „Dritten" zu Gott und Ich, Subjekt und Objekt. Die Abhandlung schließt denn auch damit, in der absoluten Freiheit zugleich das absolute Leiden zu sehen und den spekulativen Karfreitag zu fordern, der über das „Ungründlichere" der griechischen Religion der Natur und der „dogmatischen" Philosophien hinausführt.7 Als Hegel im Winter 1805/06 seine Logik oder spekulative Philosophie neu konzipierte, die Realphilosophie neu ausarbeitete, las er ® Vgl. G. W. f. Hegel: Jenaer Kritische Schriften. Hrsg. v. H. Büchner und O. Pöggeler. Hamburg 1968. 16, 17; zum folgenden 446. ^ Ebd. 398 f, 414. — Zum folgenden vgl. Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegel’s Leben. Berlin 1844. 217.

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erstmals auch Geschichte der Philosophie. Dabei verband er die absolute Negativität so mit der Todeserfahrung, daß er die Negativität und Dialektik in der Geschichte finden konnte. Als er abends bei Licht eine Gestalt der Philosophie nach der anderen und schließlich selbst die SCHELLiNGsche Philosophie aus sich selbst heraus auflöste, sprang ein „ziemlich bejahrter Mecklenburger" mit Entsetzen auf und rief: „das sei ja der Tod und so müsse Alles vergehen." SUTHMEIER, der unter den Hegelschülern das große Wort führte, betonte nach einer lebhaften Erörterung, „das sei freilich der Tod und müsse der Tod sein, aber in diesem Tode sei das Leben, das sich, durch ihn gereinigt, immer herrlicher entfalten werde". Es ist diese Verbindung von Negativität, Todeserfahrung und Geschichte, die jeden aufmerksamen Leser aus Hegels Phänomenologie anspricht. Zugleich vollzieht die Phänomenologie eine entscheidende Wende: die Dialektik entfaltet die Substanz selbst zum Subjekt, die Negativität des Absoluten stellt sich zurück in eine Vollendung. So kann die Phänomenologie mit der Forderung schließen, den Geist als vollendeten vom Erleiden eines Schicksals freizusprechen, die Zeit als Zerstreuung in das Nacheinander zu „tilgen". Gibt sich die Erfahrung als eine offene damit nicht selber auf? Die schöpferischen Nachfolger Hegels, die zugleich seine Gegner waren, neigten dazu, die Phänomenologie des Geistes nicht als Wende zum späteren System zu verstehen, sondern gegen die Abgeschlossenheit und Starrheit der enzyklopädischen Systematik auszuspielen. Als der junge HEIDEGGER HUSSERLS Phänomenologie zu einer Hermeneutik des faktisch-historischen Lebens umbildete, wollte er den Gegensatz von System und Geschichte überhaupt überwinden. Seine Vorlesung vom Winter 1919/20 stellte Hegels Phänomenologie gegen die Stadienlehre KIERKEGAARDS, weil sich bei Hegel jede Gestalt wieder in die fortgehende Geschichte des Erfahrens auflöst. Die Dialektik, die den Prozeß des Erfahrens zu vollendeten Totalitäten führt, wurde zum Todfeind der Hermeneutik.® Nicht nur Hegels konkretes Philosophieren, sondern Hegels Grunderfahrungen wurden in verschärfter Form von HEIDEGGER in jenen Jahren wiederholt, in denen Hegels „Metaphysik" dem Rückgang auf die Phänomene weichen sollte. Nach der Publikation von Sein und Zeit schrieb HEIDEGGER an JASPERS, seine Schüler könnten seine Arbeit leider um so leichter nachreden, als seine „negative" Philosophie nur einen

® Vgl. Martin Heidegger: Grundprobleme der Phänomenologie (1919/20). Frankfurt a. M. 1993. 11, 148; Ontologie (Hermeneutik der Faktizität). Frankfurt a. M. 1988. 41 ff.

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schmalen „positiven" Erker habe.^ Als HEIDEGGER im Kloster Beuron jenseits der toten Konfessionen „ein Samenkorn für etwas Wesentliches" finden wollte, verwies er ELISABETH BLOCHMANN auf die Complet der Mönche: in dieser sei noch „die mythische und metaphysische Urgewalt der Nacht" da, „die wir ständig durchbrechen müssen, um wahrhaft zu existieren". Das Gute sei „nur das Gute des Bösen", nämlich diesem abgerungen. „Entscheidend ist dieses urgewaltige Negative: nichts in den Weg legen der Tiefe des Daseins." Nur so lasse sich eine „Wende des Zeitalters aus der Tiefe erzwingen". HEIDEGGERS Freiburger Antrittsrede Was ist Metaphysik? von 1929 soll mit der Frage „Warum überhaupt?" über Hegel hinaus das Nichts erfahren. In der „hellen Nacht des Nichts der Angst" entgleitet alles Seiende im „Schmerz des Versagens" und in der „Herbe des Entbehrens"; es soll eine Erfahrung des Nichts aufbrechen, die von der Verneinung und der „Logik" nicht erreicht werde. Im Sommersemester 1929 wandte HEIDEGGER sich in seiner Vorlesung neu dem spekulativen Idealismus zu; die Vorlesung Die Grundfrage der Philosophie vom Sommer 1933 war eine Hegel-Vorlesung. Doch nun wurde unterstellt, daß Hegel geprägt sei durch die aufklärerische Scholastik, die von christlichen Motiven aus das Nichts vor das Sein und die Möglichkeit vor die Wirklichkeit stelle.Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie machen den Quell der Negativität am entschiedensten bei JAKOB BöHME aus — auch als Qual. Ihm folgen HEIDEGGERS Beiträge zur Philosophie. Dabei wird SCHELLiNGS Freiheits-Schnft zum Gipfel des Deutschen Idealismus, weil sie sich dem Negativen in der Gestalt des Bösen stellt, deshalb den Grund in Gott als „Quell der Traurigkeit", die zur ewigen Freude hin überwunden werden soll, von der Existenz unterscheidet, in der Gott er selbst ist. * Vgl. Martin Heidegger/Karl Jaspers: Briefwechsel 1920—1963. Hrsg. v. W. Biemel und Hans Saner. Frankfurt a. M. und München, Zürich 1990. 83. — Zum folgenden vgl. Martin Heidegger/Elisabeth Blochmann: Briefwechsel 1918—1969. Hrsg, von J. W. Storck. Marbach am Neckar 1989. 32. 10 Die beiden Vorlesungen sind noch nicht ediert worden; vgl. aber Andreas Großmann: Augenblick des Geistes. Heideggers Vorlesung „Die Grundfrage der Philosophie" von 1933. ln: Perspektiven der Philosophie 19 (1993), 195 ff; Lögica. Lecciones de M. Heidegger (semestre verano 1934). Hrsg. v. Victor Parias. Madrid 1991. Vgl. zur Thematik Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis). Frankfurt a. M. 1989. Das vorstellende Denken war bei Descartes und Kant zum Leitfaden geworden; dieser transzendentale Ansatz wurde vom deutschen Idealismus „absolut" gedacht „in der Richtung der christlichen Dogmatik". Schellings Vorstoß in der Freiheitsabhandlung führte zu keiner Entscheidung; doch hatte Hölderlin Kierkegaard und Nietzsche durch sein Vorausdenken überholt (198 ff, 204). Hegels Negativität erfaßt nicht das ursprüngliche Nichts und den Tod (264 ff, 284, 230). Zum folgenden vgl. 31, 77, 308; 33, 69, 325, 400; 204.

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Wenigstens ansatzweise kennen die Beiträge zur Philosophie neben dem griechischen Anfang des Denkens so etwas wie ein zweites Zuspiel: den Weg von der Monadologie des LEIBNIZ über HEGEL und SCHELLING ZU NIETZSCHE.

Am 12. April 1938 schrieb HEIDEGGER an ELISABETH BLOCHMANN in der englischen Emigrarion, im kommenden Urlaubssemester möchte er, wenn es glücke, „einigen Vorarbeiten eine gültigere Gestalt geben". Was zustande kam, war nur eine neue Einleitung zu den Beiträgen zur Philosophie, nicht die Ausgestaltung dieses fragmentarischen Entwurfs. Die Zeit verlangte anderes als dieses Werk, das doch noch so etwas konzipierte wie eine „neue Mythologie" (gemäß dem heutigen großspurigen Gebrauch von Begriffen, die von HEIDEGGER selbst gemieden wurden). Im Rückblick schrieb HEIDEGGER am 8. April 1950 an JASPERS, er sei in den Jahren 1937 und 38 „auf dem Tiefpunkt" gewesen; im NiETZSCHE-Seminar vom Sommer 1937 habe sich einer der Teilnehmer als Spitzel des Sicherheitsdienstes zu erkennen gegeben und das nächste Jahr habe die Judenverfolgungen gebracht. Der Arbeitskreis Die Bedrohung der Wissenschaß vom November 1937 sah „den weltgeschichtlichen Selbstmord" der Deutschen darin, daß sie ohne Selbstbesinnung die Wissenschaft nur noch in den Dienst eines Kampfs um Weltherrschaft stellten. Sahen die Beiträge zur Philosophie in ERNST JüNGERS Proklamation der „totalen Mobilmachung" die nihilistische Verfestigung der Seinsvergessenheit, so sollte ein unterbundenes Seminar über JüNGERS Arbeiter im ersten Kriegswinter den Zusammenhang von Arbeit und Schmerz im Rückgriff auf Hegel denken. Für das, was wirklich geschah, war der Zweite Weltkrieg ein großes Lehrstück. Die Auseinandersetzung mit Hegels Logik fand ihre endgültige Ausformulierung, als HEIDEGGER im Sommer 1957 zum fünfhundertjährigen Jubiläum der Universität Freiburg den Vortrag Der Satz der Identität hielt. Die Identität der Identität und der Differenz, wie Hegel sie mit dem Neuplatonismus gesucht hatte, wurde umformuliert zum Einklang von Ereignis und Austrag. Die Offenheit von etwas als etwas wird ausgetragen, wenn der Mensch das Scheiden zur Abgeschiedenheit fortführt (wie TRAKL sie mit der mystischen Tradition forderte). Das Zusammengehören von Sein und Denken als gegenseitige Vereignung kann die Offenheit z. B. des Tischseins aus der Geschichte des Umgangs mit dem II Heideggers Notizen wurden ediert durch H. Tietjen in: Zur philosophischen Aktualität Heideggers (S)nnposium der A. v. Humboldt-Stiftung). Band 1. Frankfurt a. M. 1991. 5 ff; vgl. vor allem 27. Zum folgenden vgl. zum Verhältnis Heidegger — Jünger Otto Pöggeler: Schritte zu einer hermeneutischen Philosophie. Freiburg, München 1994. 252 ff.

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Zeug aufnehmen. Damit kann dann auch die universale Technik als Bedrohung erfahren werden. Schon im Februar 1957 hatte ein Vortrag zum Abschluß eines Seminars über Hegels Logik wiederum festgehalten, daß Hegel das Transzendentale zum Spekulativen steigere, die Geschichte als das Äußerliche der Dialektik unterwerfe. Demgegenüber suchte HEIDEGGER eine „Erörterung", die vom Ort des Anderen aus zum eigenen Ort findet. Der Ort wird auf die Jähe zurückgeführt, an welche PLATONS Spätphilosophie die Dialektik knüpfte, die von KIERKEGAARD dann als Augenblick gefaßt wurde. Vermag HEIDEGGER es, als Widersacher im Streit um die Sache in die Kraft seines Gegners einzugehen, also jener Grunderfahrung Hegels zu begegnen, die auch noch das phänomenologische „Erfahren" trägt? Der junge Hegel sagt — in seinem Frankfurter Fragment über die Liebe — mit SHAKESPEARES Julia; „Je mehr ich gebe, umso mehr habe ich." Der Mensch wird zu dem, was er ist, im Miteinander mit dem Anderen. Dieses Miteinander ist auch Auseinandersetzung. Die Geschichte der Menschheit bildet sich fort als Gegeneinander leitender Mächte in einem tragischen Prozeß. Als Hegel in Jena HOBBES aufgenommen hatte, konnte er das Absolute des Geistes als Anerkennung fassen. Die Phänomenologie des Selbstbewußtseins sieht im Anerkennen den höchsten logischen Begriff: Dinglichkeit und Leben als das, was ist, müssen anerkennen, daß sie in der Selbsthaftigkeit des Geistes ihr Ziel haben; umgekehrt muß die Selbsthaftigkeit des Geistes anerkennen, daß sie im Leben gründet. Gott erkennt an, daß er Mensch geworden ist; der Mensch versteht sich — zuerst als „unglückliches" Bewußtsein — aus Gott. So entfaltet sich auch noch das Metaphysische im absoluten Wissen als wechselseitige Anerkennung zwischen dem weltlichen Erfahren und dem religiösen Durchgriff auf einen letzten Sinn. Hegels Wissenschaft der Erfahrung bekam ihre Strukturierung, als sie bezogen wurde auf jene neue Logik-Konzeption, die erstmals das Leben im dritten Abschnitt über Leben und Erkennen in sich aufgenommen hatte. Nachdem Hegel die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst als Anerkennung von Leben und Selbsthaftigkeit entfaltet hatte, konnte er in der Vorrede zur Phänomenologie betonen, das „Leben Gottes" und das „göttliche Erkennen" müsse auch als Schmerz und Arbeit des Negativen gedacht werden. Es wird deutlich, daß von Charakteren des Absoluten (des „Gottes") die Rede ist oder von dem. 12 Vgl. Martin Heidegger: Identität und Differenz. Pfullingen 1957, 38, 40, 65, 28 f; zum folgenden vgl. 43. Über „Jähe und Eignis" vgl. Otto Pöggeler: Neue Wege mit Heidegger. Freiburg, München 1992. 47 ff.

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was in der Wissenschaß der Logik als Ideenlehre ausgestaltet wird. Hegels Formulierung zeigt aber auch an, daß das Kapitel „Leben und Erkennen" anders als geplant ausgestaltet worden ist. Hegel legt die Selbsthaftigkeit, zu der das Leben kommt, auf das Selbstbewußtsein fest. So gelangt er zum Geist, doch schaltet er zwischen Selbstbewußtsein und Geist das wissende Wissen der Vernunft ein. Dort kommt das Leben als beobachtetes und damit als bestimmter Bereich des Wirklichen ein zweites Mal vor. Auf dem Weg von der Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins zur Phänomenologie des Geistes geschieht eine Explosion; die sinnliche Gewißheit hat sechzehn Seiten, die gleichgeordnete Vernunft zweihundertvierzehn! In umgekehrter Weise geschieht bei der Logik eine Art von Implosion; die ersten beiden Teile über das Sein und das Verhältnis oder Wesen bekommen umfangreiche Bücher; alles Weitere wird in neuer Ordnung in das eine Buch der subjektiven Logik eingebracht. Dort folgt auf eine Lehre vom Begriff eine Lehre von der Objektivität und eine Ideenlehre. Innerhalb der Ideenlehre gibt es eine umfangreiche Darstellung des Lebens und des Erkennens und nur eine knappe Anzeige des Guten; die absolute Idee muß sich mit wenigen Worten begnügen. Diese kurze Darstellung des Guten und der absoluten Idee steht in keinem Verhältnis mehr zu den umfangreichen Kapiteln über den sittlichen Geist sowie über Religion und absolutes Wissen innerhalb der Phänomenologie. Was im Logik-Plan von 1805/06 und in der Phänomenologie noch „Geist" hieß, wird gut ARiSTOTEüsch als Idee des Guten ausgearbeitet. Doch bleibt dieses Gute, dem Erkennen zugeordnet, ein Reflexionsbegriff; die Darstellung der Institutionen der Sittlichkeit in der Rechtsphilosophie beansprucht aber das lebendige Gute und beschreibt es mit Begriffen der ARiSTOTELischen Theologie. Die Berliner Enzyklopädie ersetzt dann den Titel „Die Idee des Guten" durch den Titel „Das Wollen". Unterliegt Hegel nicht der neuzeitlichen Tendenz, im Erkennen als einem Vorstellen die Absicht zu sehen und so zum Wollen überzugehen? Kann man vom Wollen und seinen Zwecksetzungen aber einem Bereich gerecht werden, der drirch Pluralität und Offenheit gekennzeichnet ist? Diese Offenheit, die zur Ausrichtung auf ein gutes Leben gehört und zur Geschichte führt, wird verdeckt, wenn das Gute zu sehr der Teleologie des organischen Lebens angenähert wird. Hegel, angeblich ein strenger Systematiker, hat der Ideenlehre keine überzeugende Gestalt zu geben vermocht. So hat KARL ROSENKRANZ diese Ideenlehre aus seiner Wissenschaß der logischen Idee von 1858/59 verwiesen, sich mit den Kategorien, der formalen Logik und angehängten Denkformen wie Aitiologie und Teleolo-

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gie begnügt. Die Ideenlehre wird (wie bei Hegel schon die Idee des Schönen) in die entsprechenden Disziplinen der Realphilosophie gezogen. Läßt sich aber im Anschluß an KANT Z. B. ein Begriff von Kausalität überhaupt gewinnen, der dann realphilosophisch in Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit oder Motivation differenziert wird?^^ Oder verweist Hegels Versagen gegenüber der Ideenlehre auf die Aufgabe, durch eine philosophische Logik auch z. B. eine eigenständige geisteswissenschaftliche oder hermeneutische Logik zu rechtfertigen? In jedem Fall läßt sich Hegels Logik erst von dieser Ideenlehre her ganz erschließen, nicht schon von Sein und Nichts oder Identität und Differenz her. Legt man Hegels Weg auf den Wandel vom Phänomenologie-System zum Enzyklopädie-System fest, dann kommt Hegels Versagen in der Ausgestaltung der Ideenlehre nicht zur Geltung. Doch geht es HEIDEGGER um das Versagen der Logik Hegels überhaupt. Die Vorlesung vom Sommer 1933 will Hegels Logik von der vorkantischen Schulmetaphysik herleiten; die Texte von 1942 finden im Enzyklopädie-System „ein entschiedenes Zurückschwenken in das Grundgefüge der bisherigen Metaphysik" (71). Als dieses Grundgefüge wird die Ontotheologie ausgemacht, die als metaphysische zugleich christlich und neuzeitlich ausgestaltet wurde. So kann der Hegel-Aufsatz der Holzwege die Brücke von der Schulmetaphysik zum Nürnberger Schulunterricht schlagen und diese Verschulung für die Ausbildung des „Schulsystems" der Enzyklopädie verantwortlich machen, Vielleicht war auch der Mangel an Zeit für die unbefriedigende Ausgestaltung der subjektiven Logik verantwortlich (um so mehr verblüfft dann, daß Hegel später keine Korrekturen vornahm). Hegels Versagen gegenüber seiner eigentlichen Aufgabe kann man jedoch nicht auf den üblichen Unterricht zurückführen. Vielmehr scheiterte Hegel an dem Versuch, seine Erfahrungen und die neugewonnene Sensibilität für Geschichte logisch aufzuarbeiten; von den großen Gipfeln her konnte eine unzulänglich gewordene Tradition wieder mächtig werden. Die neue Lehrtätigkeit an der Universität brachte auch die großen geistesgeschichtlichen Vorlesungen, deren unterschiedliche Experimente sich keineswegs den Systematisierungen der Enzyklopädie fügten. Von den hundertdreißig bekanntgewordenen Nachschriften zu diesen Vorlesungen konnten neunzig gesammelt werden; wenn diese einmal aufge13 Zur Problematik vgl. Otto Pöggeler: Die Ausbildung der spekulativen Dialektik in Hegels Begegnung mit der Antike. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg. v. M. Riedel. Frankfurt a. M. 1990, 42 ff; Hölderlin, Schelling und Hegel bei Heidegger. In: Hegel-Studien. 28 (1993), 327 ff. 1^ Vgl. Martin Heidegger: Holzwege. Frankfurt a. M. 1950. 183, 186.

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arbeitet sind, wird man sehen, daß die Auseinandersetzung mit Hegels Erfahrungen auf dem Feld der Geschichte in den alten Ausgaben nicht zureichend sichtbar wirdd^ Innerhalb dieser Vorlesungen stellte sich z. B. die Aufgabe, die Malerei als die Kunst des christlichen Zeitalters zu verstehen und etwa mit den Kreuzesdarstellungen auf die „Empfindung unendlicher Negativität" zu beziehen. Als die großen Nachfolger und Gegner Hegels sein Versagen rückgängig zu machen suchten, gingen sie zurück auf die noch nicht systematisierten Erfahrungen der frühen Schriften und Entwürfe. In dieser Auseinandersetzung mit Hegel und um Hegel kann man z. B. die Phänomenologie und ihre Jenaer Vorstufen für aktuelle Bemühungen nutzen. Doch darf dabei die neue Aufarbeitung der Arbeit der späteren Vorlesungen nicht ausgeschlossen werden. HEIDEGGER notiert sich 1937/38 oder 1941 die Rede vom „Bankrott" und bezieht sie auf jene Krise im eigenen Leben, in der er das Studium der katholischen Theologie und dessen Hegel-Aneignung abbrach. Wenn HEIDEGGER ZU diesem Bankrott die „dialektische Theologie" stellt, dann wohl als eine Antwort auf den Bankrott, die auch in KIERKEGAARDS Steigerung der Dialektik zum Paradox im Schatten Hegels blieb (8). Im späteren Rückblick hat HEIDEGGER festgehalten, daß mit DOSTOJEWSKI, NIETZSCHE, KIERKEGAARD und TRAKL Warner hörbar wurden, die den Bankrott Europas vor dessen Offenkundigwerden im Ersten Weltkrieg offenlegten. Den Zweiten Weltkrieg erfuhr HEIDEGGER wohl als Steigerung dieses Bankrotts; der Aufdeckung dieser Steigerung dienten die Aufzeichnungen zu Hegel. Der Bezug der Phänomenologie zur „begriffenen Organisation" der Geschichte regt dazu an, vom Organisieren im Zweiten Weltkrieg her den Zusammenhang „Absolute Metaphysik und Technik" zu fassen (137, 146). In dieser Hegel-Kritik ist man HEIDEGGER gefolgt. Doch hat man in Freiburg auch schon in den dreißiger Jahren Hegels Phänomenologie des Geistes als einen Weg über die Phänomenologie HusSERLs und HEIDEGGERS hinaus gelesen. So hat EUGEN FINK bis zum Tode HUSSERLS bei seinem verfemten Lehrer ausgeharrt, sich aber zugleich HEIDEGGER, der für HUSSERL zum entscheidenden Gegner geworden war, zuH Vgl. dazu Hegel-Studien 26 (1991), 11 ff. — Zum folgenden vgl. G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Ästhetik. Hrsg. v. H. G. Hotho. Berlin 1835-38. Dritter Band. 43. Vgl. Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg, München 1979; Otto Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. 2. Aufl. Freiburg, München 1993. Vgl. Gustav Siewerth: Das Schicksal der Metaphysik von Thomas zu Heidegger. Einsiedeln 1959. — Zum folgenden vgl.Eugen Fink: Philosophie des Geistes. Würzburg 1994.

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gewandt. Wenn FINK dann in der Emigration in Leuven Lehrveranstaltungen über HUSSERLS phänomenologische Reduktion, HEIDEGGERS Aletheia-Begriff, Hegels Phänomenologie und RILKES Elegien ankündigte, dann wollte er die Intentionalität HUSSERLS nicht durch das Leben oder die Existenz unterlaufen, sondern mit Hegel im Geist verwurzeln. So wurde er dazu frei, gegenüber dem immer noch transzendentalen Weg HEIDEGGERS die Einbettung des Transzendentalen in das Ganze der Welt zu fordern, diese Einbettung von Phänomenen wie Kampf und Tod, dem Verhältnis der Geschlechter und den Bezug zu den Toten her zu artikulieren. Parallele Strömungen konnten in Frankreich in Hegels Phänomenologie des Geistes die entscheidende Vorgabe für MARX wie für KIERKEGAARD, für den späten HUSSERL wie für HEIDEGGER sehen. Sucht man über neue logische Untersuchungen die Auseinandersetzung mit Hegel, dann stellt sich die Frage, ob Hegels Prinzip in der absoluten Negativität gefunden werden darf. Blickt man auf den Weg Hegels, dann gehört dort immer das Positive als Anfang und Ende zum Negativen. Weil der Frankfurter Hegel mit dem JoHANNES-Evangelium das „ewige Leben" sucht, kann er sich das Negative an der Reflexion des JoHANNES-Prologs klarmachen; weil er mit HöLDERLIN vom „unendlich" einigen Leben ausgeht, kann er die Trennungen fixieren. Zur Logik, die Getrenntes und Fixiertes „vernichtet", gehört dann die Metaphysik, bis schließlich Logik und Metaphysik zusammengefaßt werden zur einen spekulativen Philosophie aus Phänomenologie und Logik. Hegel kehrt zurück zum Positiven des Anfangs, und so kann er auch die Tradition neu aufschließen. Es ist dann HEIDEGGER, der das Denken als ein Fragen faßt, das sich zur letzten Fraglichkeit eines „Warum überhaupt" steigert. HEIDEGGER unterläuft auf dem eigenen Weg jeden erreichten Ansatz spätestens nach fünf Jahren, und so unterstellt er von den eigenen Bemühungen aus dem Denken Hegels die Negativität als Prinzip. Freilich muß er schließlich zugestehen, daß das Fragen immer schon aus einem Zuspruch lebt. Der Einklang von Ereignis und Austrag bringt als eine Stimme des Seins das Denken in seine Gestimmtheit; der Einblick in das, was ist, ruht im Einblitzen des Seins selbst. Alles Scheiden im Abschied und in der Abgeschiedenheit bleibt dem Sein selbst vereignet, und so wird das Ereignis zum Er-äugnis, das den Augen-blick auf die jeweilige Situation und Konstellation zu sich heranruft. Der Ort, den das Denken in der Erörterung gewinnt, ist wie die Spitze des Speers das Äußerste der Ausgesetztheit, das jede Vermittlung von sich abweist. Die Vorträge von 1957 konnten noch einmal gehört und aufgenommen werden, weil sie in der Auseinandersetzung mit Hegel ruhen und damit einer vorgegebe-

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nen Sprache folgen. Doch verliert HEIDEGGERS spätes Denken sich immer mehr ins Nicht-mehr-Mitteilbare. Die Vorrede zur Phänomenologie, die ja eine Vorrede zum ganzen „System der Wissenschaft" ist, legt den entscheidenden Akzent auf den Gewinn der „Methode": das historische Erkennen richtet sich auf Zufälliges, das mathematische Erkennen bleibt der Sache äußerlich; demgegenüber geht es der Wissenschaft als einer Spekulation um das „Leben des Begriffs". Die Negativität sei nicht nur das Unterscheiden und Setzen, sondern das Werden der „bestimmten Einfachheit", also des Positiven in höherer Form.i® Im Begriff findet Hegel den Tod, nämlich das Hinausgerissenwerden über das Natürliche und Unmittelbare; doch dieser Tod wird in das Leben des Geistes verflochten. Hier aber protestiert HEIDEGGER und besteht auf der Endlichkeit und Abgründigkeit, die bei Hegel überspielt werde. Doch hält HEIDEGGER den spekulativen Zug in Hegels Denken insofern fest, als auch er ein ursprüngliches Denken sucht, das in unverwechselbarer und nichtreduzierbarer Weise „vor Ort" kommt und so zur Erörterung wird. Muß man die Erörterung aber nicht anders fassen? Gegenüber Hegel wie gegenüber HEIDEGGER läßt sich zeigen, daß das mathematische Erkennen innerhalb begrenzter Bereiche durchaus die Sache mit einem Gefüge aus Zahlen zu erklären oder zu deuten vermag. Grenzt sich dieses mathematische Erkennen so vom historischen Verstehen ab, daß die Möglichkeiten des Erkennens erschöpft sind, ein spekulatives oder ursprüngliches Denken diese Differenz und auch sich selbst vermittelt? Könnte es nicht sein, daß Erklären und Verstehen Extreme sind, zwischen denen der Bezug zum Lebendigen steht, aber so, daß die Weisen des Bezugs zu dem, was ist, nicht in abschließbarer Form angegeben werden können (vielmehr Revolutionen wie die moderne Physik offenbleiben müssen)? Zu den logischen Untersuchungen träte dann eine Metaphysik, die den Menschen in Bezug bringt zum Seienden im Ganzen, das im Menschen die Offenheit eines „Bewußtseins" findet. Da das Auftreten des Menschen durch kontingente Momente mitbestimmt ist, kommt diese Metaphysik über Vermutungen nicht hinaus. Führt man das Denken in diese metaphysische Dimension, dann muß die Rückkehr der Negativität zur „bestimmten Einfachheit" schließlich in Vermutungen auslaufen. Das Denken erreicht die wechselnde metaphy18 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes (s. Anm. 2). 31, 39; zum folgenden 62 f, 26. 19 Unter Schelers Anstoß hat Heidegger wenigstens zeitweise die Metaphysik im Sinne einer metaphysischen Ontik oder Metontologie entfaltet; vgl. O. Pöggeler: Schritte zu einer hermeneutischen Philosophie (s. Anm. 11). 203 ff.

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sische „Mitte" nur von einem bestimmten Ort der Peripherie aus (etwa mehr von den Naturwissenschaften oder mehr von den Geisteswissenschaften her); so muß es sich seine eigene Begrenztheit eingestehen und sich offenhalten für andere Ansätze. Der Pluralismus des Philosophierens ist dann kein Einwand mehr. Die Geschichte kann als offene das Denken prägen; doch muß geklärt werden, was eher geschichtlich und was eher nichtgeschichtlich ist. Entscheidungen, die zum Leben im sittlichen oder religiösen Bereich gehören, können vom Denken nicht gefällt und nicht einmal völlig durchsichtig gemacht werden; doch kann das Denken vorweg Dimensionen möglicher Entscheidungen eröffnen und Spielräume ausloten. Wird die Hermeneutik dieses Philosophierens gemäß ihrem Ansatz zurückbezogen auf die Konkretionen und der Dialektik der Zugriff auf abschließende Totalitäten genommen, dann stehen Dialektik und Hermeneutik sich nicht mehr als Todfeinde gegenüber.20

Vgl. Otto Pöggeler: Erklären — Verstehen - Erörtern. In: Transzendentalpragmatik. Ein Symposion für Karl-Otto Apel. Hrsg, von A. Dorschei u. a. Frankfurt a. M. 1993. 410 ff.

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Thomas Collmer: Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik. Nega-

tive Totalisierung als Prinzip offener Dialektik. Gießen: Focus 1992. 437 S. Es stellt eine grundsätzliche Schwierigkeit für einen Rezensenten dar, einem Buch wie dem vorliegenden, in dem auf — unter drucktechnischen Aspekt übrigens geradezu leserfeindlich vollgestopften — über 400 Seiten Kernfragen betreffende Kommentare u. a. zu WITTGENSTEIN, KANT, HERAKLIT, NIETZSCHE, HUSSERL, MERLEAU-PONTY, HEIDEGGER,

GADAMER, APEL, LUHMANN,

MARX, LACAN, SARTRE,

und nicht zuletzt Hegel abgegeben werden, gerecht werden zu können. Auch die Konzentration auf Passagen direkter Hegelinterpretation erweist sich als nur begrenzt durchführbar, da COLLMER bewertende Aussagen zu Hegel aus der jeweils betrachteten Theorie heraus und unter Verwendung ihrer eigentümlichen Terminologie macht. Auf den Umstand, daß die Zulässigkeit einer solchen Übertragung von Termini (etwa „Sprachspiel", u. a. 116, 151, 154, 160, 162, 333) auf Hegels Philosophie von COLLMER in der Regel nicht untersucht und begründet wird, kann nur kritisch hingewiesen werden. Eine weitere, dazu parallel laufende Schwierigkeit stellt eine bisweilen auftretende Unklarheit in der Terminologie CoLLMERs selbst dar. Als ein Beispiel kann der für seine Hegel-Interpretation „zentrale" (153) Begriff der „Selbstabstraktivität" genannt werden (vgl. 163, 166, 174, 185). Als letzter Punkt der formalen Kritik sei in diesem Zusammenhang auch auf die im allgemeinen zu bemerkende Tendenz zur anhäufenden Zusammenstellung von Ausdrücken, die in ihrer Bedeutung verschieden oder ungeklärt sind, hingewiesen. Dies gilt auch für Aussagen über Hegel, wenn COLLMER etwa schreibt, für Hegel sei es „immer dabei geblieben, daß ,Negation' zunächst einmal Grenze, Schranke, Mangel, Defizienz, Index des Nichtabsolutseins und der Nichtsuisuffizienz bedeutet" (30), wobei er als Beleg eine Stelle heranzieht, in der Hegel lediglich von Grenze und Schranke, und zwar im dialektischen Sinne, spricht. Diese formale Kritik sei der inhaltlichen Betrachtung vorausgeschickt, weil die sprachliche und begriffliche Darstellung den Zugang zum zweifellos vor-

ADORNO

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

handenen Gehalt der Arbeit eher verstellt. Das Buch gehört, wenn es auch auf den ersten Blick den Verdacht nährt, nicht zu den Werken, bei denen sich in einem Wust von Fachausdrücken Ideenlosigkeit und Aussageunfähigkeit verbergen. Im Umschlagtext erhebt die Arbeit den Anspruch, „Dialektik auf eine operationsfähige Grundlage zu stellen", wobei „interne Inkonsequenzen" Hegels aufgedeckt und die „sachliche Relevanz" der Dialektik „für aktuelle Diskussionszusammenhänge" nachgewiesen werden sollen. Was von dem Vorwurf der Inkonsequenz Hegels zu halten ist, wird im einzelnen zu überprüfen sein; hinsichtlich der Einschätzung des gegenwärtigen Stands der Hegelforschung und der Rede von „Explikationsdefiziten, die gerade die Grundoperationen der Hegelschen Konzeption und Methode betreffen" (Umschlagtext, 9), ist anzumerken, daß CoLLMER nur einen kleinen Ausschnitt der neueren HegeUiteratur berücksichtigt und seine Thesen bewußt weniger aus einer Auseinandersetzung mit der aktuellen Hegelforschung als vielmehr aus der Einbeziehung verschiedener aktueller Strömungen entwickeln will; „Der Versuch, Dialektik auf einer tragfähigen Grundlage neu zu explizieren und zugleich zu aktualisieren, darf nicht vor dem Projekt zurückschrecken, durchaus unterschiedliche Traditionen und Diskussionszusammenhänge zu verarbeiten und zu fokussieren" (12 f). Diese Vorgehensweise erklärt auch, warum Hegel selbst in einem für ein Hegel-Buch relativ geringem Maße zu Wort kommt. Die Gliederung ist in Ausrichtung auf dieses Ziel erfreulich klar und systematisch: Einer einführenden Problematisierung der Thematik von Verstehen und Begreifen folgt die Vorstellung des Grundgedankens „Negative Totalisierung als dialektische Grundfigur". Im dritten Kapitel wird dann anhand einer Auseinandersetzung mit KANTS Dialektikkonzeption der Begriff der Totalität näher beleuchtet. Bevor COLLMER ZU einem dadurch vorbereiteten Kapitel über das Absolute kommt, schiebt er einen kurzen Abschnitt über die Verwendung des Dialektikbegriffs bei Hegel ein. Dem Kapitel über das Absolute folgen zwei Abschnitte, die sich mit Hegels Logik und ihrem Verhältnis zur Formalen Logik beschäftigen. Damit ist die eigentliche Erörterung Hegels abgeschlossen, die folgenden Kapitel VIII—X bringen die von COLLMER im Vorangegangenen entwickelte Konzeption einer „offenen Dialektik" in Auseinandersetzung mit verschiedenen „Modellen und Theorien", wobei die meisten der vorhin genannten Autoren zur Sprache kommen; SARTRE erfährt dabei eine besonders ausführliche Behandlung, die ein eigenes Kapitel bildet. Im Schlußkapitel wird die „offene Dialektik" in den Rahmen einer Diskurstheorie gestellt, die sich vom Transzendentalismus abgrenzt und stattdessen einen „modifizierten Rückgriff auf ADORNOS Negative Dialektik" empfiehlt. So klar und einleuchtend die Planung und Gliederung erscheint, so fällt doch die Durchführung im Detail hinsichtlich der Eindeutigkeit zurück, und zwar nicht nur aus den genannten formalen Gründen. Wie die Überschrift „Negative Totalisierung als dialektische Grundfigur" schon andeutet, ist das zweite Kapitel von grundlegender Bedeutung für die weiteren Untersuchungen und in ihm wiederum der Abschnitt über „Hegels Begriff der

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Negativität“ (27 ff). COLLMER geht dabei von einer Stelle aus dem Abschnitt „Negation" der ersten Auflage der Wissenschaft der Logik aus. Herausgearbeitet werden die Unterschiede zwischen „erster Negation" (Schranke) und „zweiter Negation" (Sollen), die als Negation der Negation auch absolute Negation oder Negativität genannt wird (27 f). Eine solche Unterscheidung ist sinnvoll, wenn sie nicht zu einer Trennung der beiden Begriffe führt, sondern festgehalten wird, daß die Negativität schon im Begriff der Negation enthalten ist. In diesem Sinne äußert sich COLLMER auch bisweilen (z. B. 142), doch bleibt die Interpretation, daß gegenüber der Negativität die „,absolute Negativität'.. . durchaus noch eine Steigerung darstellen müßte" (28), bestimmend, mit Konsequenzen für die Bewertung der Begriffslogik und für die von COLLMER vorgebrachte Hegelkritik. Denn die Isolierung der so verstandenen absoluten Negativität ist die Voraussetzung dafür, daß COLLMER von „,legitimer' Selbstanwendung" des Prinzips negativer TotaUsierung und „,illegitimer' Selbstanwendung" bei Hegel sprechen kann, welche eine „Verselbständigung zum ,Absoluten Idealismus' und jene Vermengung des Logischen mit dem Mystischen generiert" (66 f). Die Isolierung einer absoluten Negativität im Sinne einer Selbstanwendung der Negativität läßt sich indessen mit Hegel nicht begründen, in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik verwendet Hegel diesen Begriff genau im Sinne der bloßen Negativität in der von COLLMER zitierten Stelle. Es ist daher durch die ganze Arbeit hindurch nicht klar, inwieweit COLLMER Hegel zu referieren meint oder ihn kritisieren wiU, wenn er heraushebt, daß es „keine logisch-ontologische Kategorie bzw. Reflexionsbestimmung namens ,Negativität'" geben kann (28), daß Negativität ein „Anti-Struktur-Moment" (29) und ihre Geschlossenheit „ein radikales Offen-sein-zu-sich als Sich-offen-halten-für-anderes" (30, 117) impliziert. Das Bezeichnen dieser Besonderheit der Negativität als „Konstitutivität der Lücke", die an die Stelle eines Punktes „der fixierten Identität" trete (35, 30), deutet auf eine am Schematischen orientierte Denkweise hin, die sich auch in den sieben Skizzen niederschlägt, welche COLLMER zur Erläuterung des Begriffs der Negativität vorlegt; gerade diese Schematisierung verstellt m. E. eher den Zugang zur Erfassung des dynamischen Charakters des Negativen. Dagegen erweist sie sich als sehr vorteilhaft für das Unterfangen, in WITTGENSTEINS Wahrheitsfunktionen und dem logischen Antinomienproblem die „Struktur" (z. B. 39) von Negativität aufzuweisen. In Auseinandersetzung mit WITTGENSTEIN entwickelt COLLMER dann auch sein Verständnis vom „logischen Zeigen" (45 ff), das wesentlich wird für seine von Hegel abgesetzte Konzeption „offener Dialektik". Bezugnehmend auf den Schluß des Tractatus unterscheidet er zwischen logischem Zeigen im Sagen und mystischem Zeigen im Nichtsagen; „Diese klare Bereichstrennung ist das bestmögliche Mittel einer Kritik an Hegels Redeweise vom , Absoluten', die auf einer fundamentalen Konfusion zweier Verwendungsweisen beruht: einer methodisch-strukturellen, die sich völlig rational und sinnvoll rekonstruieren läßt, und einer mystischen, die nicht in einen logischen Diskurs gehört" (47). Sieht man einmal von dem noch zu behandelnden Vorwurf des Mystizismus bei Hegel ab, so ist diese Bereichstrennung durchaus nicht so klar wie

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vorgibt, denn das Sagen als Zeigen impliziert auch ein Nichtgesagtes; in diesem Sinne legt er kurz darauf auch das ,Schweigen' WITTGENSTEINS aus (48; vgl. 142). Die „Selbstanwendung negativer Totahsierung" im Sinne der Offenheit der Dialektik, die sich in der „Anerkennung der wesentlichen Relevanz des Unverfügbaren als einer Anwesenheit von Abwesenheit" (65) ausdrückt, führt auf das Problem des Begriffs des Absoluten als Totalität, mit dem sich COLLMER in drei Kapiteln beschäftigt. Zunächst werden „hegelsche und nachhegelsche Orientierungspunkte" bei KANT herausgestellt, wobei die Kategorie der Allheit, die Antinomien, die transzendentale Apperzeption und das Problem des anschauenden Verstandes als Anknüpfungspunkte dienen. Entgegen dem Wortlaut des Titels handelt es sich jedoch um eine durchaus subtile Aufweisung von Ansätzen dialektischen Denkens im Sinne der HegeHnterpretation COLLMERS; lediglich bei der der Auflösung der Antinomien durch „sinnkritische Bereichsabgrenzung" sieht COLLMER im Primat der dabei bestimmenden „regulativen Praxis" einen Gesichtspunkt, unter dem „man KANT wohl Vorbildcharakter auch gegen Hegel einräumen" muß (81). Das diese Betrachtungen nur „ergänzende" (101) Kapitel über die Verwendung des Dialektikbegriffs durch Hegel stützt sich hauptsächlich auf die Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie und bleibt damit weitgehend äußerlich. Aufschlußreicher ist dann das nächste Kapitel, in dem die Darlegung des „methodischen Sinns einer diskursiven Konstruktion des Absoluten" weiter vertieft, und in dessen Verlauf der Begriff der Dialektik auch seinem Gehalt nach näher bestimmt wird. In diesem Kapitel tritt die bei der Besprechung des zweiten Kapitels in ihrem Ursprung aufgezeigte Zwiespältigkeit deutlicher hervor. So wird im Ausgangspunkt, der Erörterung von Hegels Kritik an der schlechten Unendlichkeit des Skeptizismus, die COLLMER sinnvollerweise anhand des sogenannten Münchhausen-Trilemmas erläutert, mehrmals die „hermeneutische Zirkelhaftigkeit der ,spekulativen Idee'" (117; vgl. 201 ff) als dogmatisch „geschlossene Figur" Hegels kritisiert, die die schlechte Unendlichkeit abstrakt aus sich ausschließt und damit der Offenheit entgegengesetzt wird, sogleich anschließend aber auch wieder betont, daß die Alternative „offen oder geschlossen" bei Hegel gar nicht in diesem Sinne gegeben ist (117 f, vgl. 139 f). Bei der in den folgenden Abschnitten dargelegten „immanenten Kritik" an Hegels „Absolutem Idealismus" gewinnt man vollends den Eindruck, als habe Hegel in einer Art Schizophrenie einerseits das Denken der Negativität gegen das dogmatisch-positive zur Vollendung gebracht, andererseits aber dieses Denken in plumper Weise auf der Setzung des absoluten Geistes als eines mystischen „denkenden Wesens" namens Gott (144 f, 151) gegründet. In der Tat aber offenbart die „Hegel-Kritik" COLLMERS zweierlei; zum einen eine gewisse Anhänglichkeit an die im Kapitel IX, 2 (243 ff) gepriesene Hegelkritik MARX', zum anderen das Fehlen einer Explikation des Hegelschen Systembegriffs. Dies zeigt sich darin, daß die Begriffslogik und die Phänomenologie des Geistes, in denen der Systembegriff dargelegt ist, weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die angebliche KonfuCoLLMER

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sion von Logischem und Mystischem sieht COLLMER als einen „Mißgriff der Phänomenologie des Geistes" (152) an, ohne dies an der Schrift nachzuweisen; statt dessen verweist er auf Ausdrücke wie „Geist", „Religion", „Göttliches" und „Erhabenheit" (144, Anm. 268), erwägt aber nicht ihre spekulative Bedeutung. Die Hegelsche Rede von der Substanz, die als Subjekt aufzufassen ist, mit welcher dieser den Systembegriff erläutert, wird zwar zunächst im Anschluß an DIETER HENRICH als Kennzeichen „negativer Selbstkonstitutivität" eingeführt (129 f), dann aber aus unersichtiichen Gründen dahingehend ausgelegt, daß Hegel ,„das Absolute' mystifizierend versubjektiviert und versubstantialisiert" (143), und schließlich mit MARX als „zur ,Substanz-als-Subjekt' verselbständigten Abstraktion (= illegitime Selbstanwendung negativer Totalisierung)" (243) kritisiert. Hier liegen die gravierenden inhaltlichen Schwächen der Arbeit, gravierend deshalb, weil auf ihnen der kritische Ansatz, ein „offen" dialektisches und ein „versöhnungsdialektisches (und das heißt vulgärdialektisches!) Konzept" (38) bei Hegel zu unterscheiden, aufbaut. COLLMER selbst wiederum bleibt bei dieser Kritik die Antwort schuldig, wie „bei einer möglichen Verbindung von Dialektik mit modernen Systemtheorien von relativ geschlossenen und relativ offenen Systemen zu sprechen" (143) sein wird, denn die Andeutungen im Schlußkapitel und der Ausblick auf „die längst überfällige diskurstheoretische Explikation von Dialektik" (334) bleiben allzu vage, um erkennbar werden zu lassen, wie der „Diskurs aller Diskurse" (ebd.) eine wissenschaftliche Fundierung der „konsteUativen Retotahsierung des Konkreten" (335) leisten könnte. Sehr verschwommen ist schließlich auch die von COLLMER eröffnete Aussicht auf eine „Fusion von Negativitätsprinzip, dialektischer Hermeneutik, diskurstheoretischem Explikationsmedium, Systemtheorie und Indizienparadigma" (351). In auffälligem Gegensatz zur „Hegel-Kritik" stehen die Erörterungen über den Abschnitt ,Das Absolute' in der Wissenschaß der Logik, den Collmer als „vielleicht aufschlußreichste Charakterisierung des Spekulativen" (151) im Sinne logischen Zeigens ansieht; es liegt daher auf der Hand, daß er entgegen Hegels eigenen Äußerungen jeglichen Zusammenhang von Phänomenologie und Wissenschaß der Logik bestreitet (104, Anm. 268). Die Kapitel VI und VII, die sich mit Hegels Logik und ihrem Verhältnis zur formalen Logik beschäftigen, bauen auf dieser Erörterung, in der COLLMER bei Hegel „geradezu die Idee einer absoluten Hermeneutik formuliert" (146) sieht, auf. Dementsprechend besteht das erste der beiden Kapitel in einer gründlichen Interpretation des Abschnitts über die Reflexion in der Wesenslogik. Zwar schickt COLLMER dieser Interpretation eine kurze Betrachtung der Urteilstheorie Hegels voraus, doch zeigt schon seine Fassung der Selbstbewegung des Begriffs als „begriffliche Selbstexplikation" (159), die dann auch das Interpretament für die Reflexion ist (161 ff), daß die Darstellung den Rahmen der Wesenslogik nicht überschreitet und der erst systembildende Begriff der absoluten Idee außerhalb der Betrachtung bleibt (vgl. 168 f). Das „Programm" COLLMERS, die Selbstexplikation als Explikation „interner Strukturrelationen" (160, vgl. 171) zu fassen, ist nicht nur deshalb unzureichend, weil die Einführung des Terminus ,Struktur' (19) ihn gerade als das vorstellt, dem er zugrundeliegen soll, sondern

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auch weil unerörtert bleibt, wie das „Anti-Struktur-Moment" systematisch in ihm enthalten ist. Des weiteren hat dieses Programm zur Folge, daß der für so wichtig erachtete Bezug des logischen Zeigens zur Praxis ganz äußerlich wird, wie sich in der merkwürdigen Auffassung COLLMERS widerspiegelt, die Themen der Phänomenologie seien durch eine Anwendung der in der Reflexionslogik „,nachgelieferten Methodologie" neu zu interpretieren (175). Die Konzentration auf die Wesenslogik ist andererseits geeignet, das Verhältnis zur formalen Logik darzulegen, und das siebte Kapitel zeigt somit auch die Stärken COLLMERS. Die darin vorgenommene Erörterung des Widerspruchs, in der die Auswirkungen der Hegelschen Lehre von der bestimmten Negation auf eine „geordnete Relativierung des Unterschiedes von konträrem und kontradiktorischem Gegensatz" (188) enthält profunde Ausführungen. Das gilt auch für die Darlegungen zur Stellung der Dialektik im Rahmen der Problematik von zweiund dreiwertiger Logik (207 ff). Bei der kurzen Betrachtung der absoluten Idee in diesem Zusammenhang tauchen jedoch wieder die genannten Unzulänglichkeiten auf. Damit, daß Offenheit anstelle vorgeblich „identitätsphilosophisch" (199) begründeter Geschlossenheit der absoluten Idee tritt, bzw. daß „absolute Negativität .. . selbst zur Lücke wird" (200), ist weder zur Hegelkritik noch zur Frage nach einer wissenschaftlich-systematischen Form des logischen Prinzips der Negativität Hinreichendes gesagt, sondern lediglich ein Schema appliziert. Auf die drei Kapitel, in denen Collmer sein Modell der „offenen Dialektik" in Vergleich mit Theorien der eingangs angeführten Autoren bringt, kann nicht im Einzelnen eingegangen werden. Es ist nur allgemein zu bemerken, daß sie interessante und intelligente Darlegungen enthalten und durchaus dem erklärten Ziel COLLMERS, Dialektik in moderne Diskussionszusammenhänge einzuführen, angemessen sind. Zur Arbeit insgesamt ist zu sagen, daß ihre eigentlichen und geeigneten Adressaten weniger in der Hegelforschung als bei den von COLLMER angesprochenen modernen Theorien zu suchen sein dürften. Die bisweilen gründlichen und interessanten Einzelanalysen tragen einiges zur Frage nach der aktuellen Bedeutung der Hegelschen Dialektik bei. Zu begrüßen ist auch das gesellschaftspolitische Engagement, das sich in gelegentlichen Anwendungen des Erarbeiteten auf aktuelle Ereignisse niederschlägt. Dagegen dürfte die beabsichtigte Kritik „mit Hegel gegen Hegel" (343) bei weitem nicht in dem vom Verfasser angekündigten Maße von Belang sein. Matthias Koßler (Mainz)

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Menahem Rosen: Problems of the Hegelian Dialectic. Dialectic Reconstructed as a Logic of Human Reality. Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers 1992. XIX, 260 S. (Synthese Library: Studies in Logic, Methodology, and Philosophy of Science. Bd 225.)

In dieser gewagten Rekonstruktion der Hegelschen Dialektik, die er als eine Logik der Ambiguität verstehen will, behandelt MENAHEM ROSEN sechs Gruppen von Themen: Identität, Differenz und Widerspruch; den Anfang der Philosophie; deren Ende; die Materie und die Natur; die Sprache; und die dialektische Erklärungsweise selbst. Die Wissenschaß der Logik (WdL) versucht ROSEN SO ZU „beschneiden", daß er sie für die aktuelle Analyse der unter diesen Themen betrachteten „sozialen, kulturellen und geschichtlichen Wirklichkeit" gewinnen, gleichwohl aber ihren von Hegel proklamierten programmatischen Monismus überwinden kann (XVI f). Spekulative Logik dürfe zwar die Grundlagen einer Theorie der Subjektivität liefern, sie könne aber keine Metaphysik des Absoluten etablieren, weder im Sinne der reinen Einheit von Denken und Sein noch als derjenigen vom Denken selbst. Der vorauszusetzende „Mangel an Kohärenz" in der objektiven Wirklichkeit habe immer Vorrang vor konzeptuellen Prinzipien, deren Ansprüche auf Totalität durch ein unausrottbares empirisches Element und eine intersubjektive Relativität zerstört werden (101). Nach der Wesenslogik definiert ROSEN die Identität als „Identität der differenzierten Termini (verschiedener Arten)", die Differenz als „Differenz der identifizierten Termini (derselben Gattung)" und den Widerspruch als das Verhältnis von Identität und Differenz, das „zwischen verbundenen, dennoch getrennten Termini" gelte (21). Diese Reflexionsbestimmungen sollen die Dualität des auf Einheit zielenden Denkens einerseits und der inhärent zerstreuten Wahrnehmung andererseits bestätigen. Die Undurchsichtigkeit der Empirie, die „das Andere der Dialektik selber" sei, stelle das Denken ständig vor eine letzte Grenze, fordere es aber kreativ immer neu heraus (27). Hier gesteht ROSEN ZU, er habe nicht versucht, „die verschiedenen Phasen" der logischen Entwicklungen dieser Reflexionsbestimmungen „detailliert auszulegen und aufzuhellen," da „eine solche Aufgabe mühsam und ziemlich uninteressant" scheine, während die „fundamentale Struktur" ihrer paradoxen Einheit sowieso auf der Hand liege (27). Durch Verzicht auf nähere Untersuchung von Hegels Argumentation kann man leicht Identität und Differenz als eine solche Einheit des Widerspruches charakterisieren, nicht einzusehen ist aber die Anwendung dieser Interpretation auf die Wesenslogik. ROSEN übergeht Hegels Präzisierung einer konzeptuellen Bewegung, worin „die selbständige Reflexionsbestimmung in derselben Rücksicht, als sie die andere enthält und dadurch selbständig ist, die andere ausschließt" und so „in ihrer Selbständigkeit ihre eigene Selbständigkeit aus sich" ausschließt (GW 11, 279). Nur eine sehr lose Rekonstruktion der Dynamik dieser Denkgesetze kann sich auf sie berufen, um die offenbar unhinterfragbaren Momente „des a

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priori und der Sinneswahrnehmung" auseinanderzuhalten und damit die Einsicht in „einen aktiven Widerspruch" ün Menschen zu rechtfertigen (27). Während die Phänomenologie des Geistes demonstriere, daß kein Anfang der Philosophie natürlich, sozial und kulturell unreflektiert und somit daß Hegels Rede in der WdL vom absoluten Anfang einfach „nicht wörtlich" zu verstehen sei (49), stellt ROSEN als Beweis der „Eitelkeit" eines „univokalen Anspruches auf das Ende der Philosophie" fest, daß ihre Geschichte, ja sogar diejenige der Welt seit Hegel noch weiter fortgeschritten sei (61). Die Idee eines absoluten Endes sei einfach ohne jegliche VerständUchkeif, denn es gebe einfach keinen Standpunkf, von dem aus man das Ganze der Wrrklichkeif begreifen könne. Der erst nach Hegel ans Licht tretende Pluralismus — wir wissen jetzt, daß „Eurozentrismus nicht die ganze Wahrheit" sei (162) — habe seinen Monismus völlig relativiert. Abgesehen vom Ausbleiben einer sonst nötigen Unterscheidung zwischen einem spontanen Beginn oder stumpfen Schluß und einem absoluten Anfang oder Ende im selbst denkenden Denken ist aber ROSENS Beobachtung, daß die Geschichte am 14. November 1831 nicht aufgehört habe, banal — und philosophisch betrachtet vielleicht nicht einmal wahr. HEIDEGGER Z. B. hat die Lage völlig anders eingeschätzt: „Das Einzigartige der Philosophie Hegels besteht zuerst darin, daß es über sie hinaus einen höheren Standpunkt des Selbstbewußtseins des Geistes nicht mehr gibt" (Hegel, Hrsg. v. I. Schüßler, Erankfurt/M. 1993, 3 f). Das Denken des Denkens markiert die reflexive Vollendung der Philosophie; infellektueller und technologischer Nihilismus bergen in sich nur die Ausdehnung dieser unbedingten Subjektivität. Allerdings sind nach RORTY phänomenologische und analytische Philosophie mit ihrem dekonstruktiven Ausgang nur die neueren Umgestaltungen des Idealismus mit seinem spekulativen Höhepunkt. Seinerseits versucht HEIDEGGER den ungedachten Horizont der absoluten Metaphysik zu entdecken, indem er über die Seinsgeschichte nachdenkt, die das Subjekt-Objekt Verhältnis und damit allen Selbstbezug überhaupt erst ermöglicht. Den Erfolg dieses Unternehmens darf man wohl bezweifeln, seine Auseinandersetzung mit der systematischen Priorität des Ichs aber deutet die Krise jeder Philosophie an, die sich nach Hegel in einem nicht-chronologischen Sinne entwickeln wird. In seiner Charakterisierung des zwiespältigen Verhältnisses der Dialektik zur normalen Sprache orientiert sich ROSEN an Hegels Unzufriedenheit mit der Form des Urteils, die nicht geschickt sei, spekulative Wahrheiten auszudrücken (GW21, 78). Über Hegels eigene sprachanalytische Position hinaus, die die Unmöglichkeit einer Vereinigung von entgegengesetzten Sätzen bemängelt, behandelt ROSEN dieses Problem unüberzeugend im Rahmen eines Gegensatzes zwischen „dem intelligibilen Wesen des spekulativen Satzes" und „der sinnlichen Erscheinung des unmittelbaren Satzes" (119) und somit als Zeichen der empirischen Bedingtheit der Kategorien. Dennoch schildert er sachlich die formale Unzulänglichkeit des Urteils angesichts der anfänglichen Relation von Sein und Nichts und zeigt, daß in der WdL „das adäquate Verständnis einer einzigen Aussage — streng genommen — durch das ganze System, Schritt für Schritt" führe (139). Hier ist seine Abweichung von Hegels eigener Position aber nicht immer

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deutlich. Unbestreitbar ist es, daß man „die verschiedenen Manöver, durch die der Philosoph den richtigen Ausdruck sucht, denjenigen, der das Dialektische in einer nicht-dialektischen Sprache ausdrückt", beachten müsse; dementsprechend bietet ROSEN eigene Einsichten in die linguistischen Strategien, die „den Kampf des Denkers gegen das sinnliche und raum-zeitliche ,Andere'" animieren (144). ln seiner abschließenden Behandlung der dialektischen Erklärungsweise beschreibt ROSEN die seinslogische Beziehung von ,Etwas' und , Anderes', die ihm die ganze WdL, wie es scheint, aufschließt. Global unterscheidet er aber zwischen einer „a priori Bewegung" der kategorischen Definition und einer „a posteriori Bewegung der systematischen Rekonstruktion" der Geschichte der Philosophie (173). Dieser Unterschied mündet in der Kritik, daß obwohl die a posteriori systematische Rekonstruktion akzeptabel und nachvollziehbar sei, die a priori Bewegung „unausweichbare Sprünge" brauche, von denen der berüchügste der Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik sei (172). Die logische Wissenschaft sei also nicht die reine Selbstbewegung des Denkens: dieses wird immer noch von seiner Geschichte, d. h. durch ihre Kultur und die Natur bedingt. Infolgedessen nennt ROSEN die WdL nur „eine Sammlung von Kategorien, die nach allgemeinen und externen Leitprinzipien aufgestellt sind" (173). Diese schroffe Abweisung der Wissenschaftlichkeit der spekulativen Logik wird aber suspekt im Hinblick auf die Tatsache, daß ROSEN, der sich in der Sekundärliteratur über die WdL bzw. ihr enzyklopädisches Gegenstück hauptsächlich an MURE und BECKER orientiert, mit einem Wink zu FLEISCHMANN, auf keine einzige Arbeit aus den zahlreichen Interpretationen der letzten zwanzig Jahren (außer jeweils zwei ,Vgl. auch' Hinweise auf JARCZYK und PUNTEL) verweist, geschweige denn sich damit auseinandersetzt. Im Gegensatz zu ROSEN rekurrieren neuere Arbeiten über die WdL nicht ohne weiteres auf die Behauptung von unbegründeten , Sprüngen' in ihrer Argumentation. Worauf es aber für ROSEN schließlich ankommt, ist die Feststellung, „die Auffassung der Einheit der Gegensätze", die Hegel als Dialektik oder Spekulation definiert (GW21, 40), sei einfach „nicht möglich, insofern die folgende Frage direkt gestellt wird: was denken wir, wenn wir Sein und Nichts, Endliches und Unendliches ,zusammen' begreifen? Die Antwort auf diese Frage," wie die Antwort auf alle anderen Fragen nach kategorischer Einheit, sagt er, sei „nicht offenkundig, und mit KANT darf gesagt werden, wenn wir die zwei Gegensätze — 5 plus 7 bei KANT, Sein/Nichts bei Hegel — denken, denken wir nicht ihre positive Vereinigung als eine neue Kategorie — die Zahl 12 bei KANT, Werden und Für-Sich bei Hegel" (191). Spekulatives Denken träge seine eigene Möglichkeit nicht in sich. Statt dessen glaubt ROSEN, daß solche gespannten Einheiten wie , Werden' oder ,Für-Sich' nicht in einem „abstrakten Verfahren — allein a priori" begriffen werden können, sondern nur wenn „a posteriori der rote Faden der Geschichte der Philosophie" verwendet wird, um den erwarteten „dritten Terminus" aufzuspüren (191). Die dialektische Methode der WdL selbst dokumentiere also ihre soziale, kulturelle und historische Relativität. Die Dialektik sei daher nicht nur immer „auf den roten Faden der menschlichen Erfahrung" verwiesen, sie komme über

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ihn einfach nicht hinaus; da „das Wirkliche nicht nur Gedanke und Denken" sein könne, müsse sie sich „der Arbeit, dem Kampf und den sozioökonomischen Verhältnissen" widmen (192 f). Während HERAKLIT, den Hegel erst in der 1. Anmerkung zum , Werden' erwähnt, als der philosophisch-historische — nicht rein logische — Ursprung dieses Begriffes gemeint wird, bleibt es unsicher, wer als der Ursprung des Begriffes des ,Für-Sich' gelten sollte, wenn nicht Hegel selbst — was problematisch genug für ROSENS Schilderung wäre. Abgesehen aber von der Tatsache, daß ,5 plus 7 = 12' für Kant ein synthetisches Urteil a priori darstellt, ist die Behauptung, die WdL basiere auf der Einführung historischer Materialien, die den Kategorien extern sind, nicht prima fade haltbar. Auf jeden Fall gibt ROSEN sich keine Mühe, diese zu beweisen. Die logische Wissenschaft entfaltet sich viel eher durch eine Negativität, die dem Denken selbst — in seiner Reinheit — ganz immanent ist. Laut Hegel begreift sich das Denken durch die „bestimmte Negation" eines jeden Inhaltes seiner Selbstdefinition, insofern dieser einen Widerspruch beinhaltet, woraus der „höhere, reichere Begriff" eines neuen Inhaltes resultiert: „die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten", bis hin zur Ableitung der „einfachen Beziehung auf sich" (d. h. des Anfanges mit dem reinen Sein) in dem metatheoretischen Begriff der absoluten Idee (GW 21, 38; 12, 248). Hegels Verfahren in der WdL mag diesen Ansprüchen nicht immer gerecht zu werden; die Aufgabe des Kritikers aber — sei sein Ziel textimmanente Auslegung oder systematische Rekonstruktion — ist zu zeigen, wie dies der Fall ist, und nicht wegen einer fehlenden Offenkundigkeit einfach zu behaupten, daß dies so ist, um eine mutwillige Interpretation zu rechtfertigen. Wie nennt man sonst die Bewegung, deren Momente als ,Entstehen' und , Vergehen' bezeichnet werden können, wenn nicht , Werden', oder diejenige, die über das Anderssein der Endlichkeit als sein eigenes Moment hinausgegangen ist, wenn nicht ,Für-sich'? Auf diese Fragen liefert ROSEN keine Antworten; er will es auch nicht. Aber bevor man sich — oder Hegel — für das empirisch bzw. kulturell Andere aufopfert, ist ein gründlicheres Durchdenken der vorausgesetzten Kategorien dieses Einsatzes angebracht, als es hier geschieht. Orrin F. Summereil (Bochum)

Errol E. Harris: The Spirit of Hegel. New Jersey: Humanities Press 1993.

272 S. Mit diesem Buch stellt HARRIS die Sammlung seiner zum großen Teil schon veröffentlichten Hegel-Aufsätze in der Absicht vor, einerseits den ganzen Umfang von Hegels systematischer Philosophie durch eine sorgfältige Interpretation abzustecken (die Ästhetik allerdings ausgenommen), andererseits die Geltung sowie die Bedeutung dieser Philosophie für die gegenwärtige Reflexion aufzuzeigen.

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Was den letzten Punkt betrifft, soll nun die besondere Perspektive hervorgehoben, aus welcher HARRIS der Hegelschen Philosophie eine solche Wichtigkeit beimißt. HARRIS' Arbeit an Hegel ist nicht so sehr die eines treuen Hegel-Exegeten, der sich bloß an den Buchstaben der von ihm als Gegenstand genommenen Philosophie sowie an deren präziser Wiedergabe ausrichtet, sondern vielmehr die eines , freien, selbständigen Denkers', der seine eigene Philosophie entwickeln will und dafür Hegel (zusammen mit SPINOZA) als eine der reichsten Inspirationsquellen nutzt (vgl. Kap. 1. Introduction: The Contemporary Importance of Philosophy). Der Anspruch von HARRIS' Hegel-Lektüre kann mithin erst aus seiner Auffassung der Aufgabe und Funktion einer philosophischen Reflexion verstanden werden, die sich in der gegenwärtigen — politisch und kulturell höchst chaotischen — Welt bewähren soll. Diesbezüglich handelt es sich nicht so sehr darum, Hegel zu ,aktualisieren' oder zu ,modernisieren' oder noch einen anderen Kommentar seiner Philosophie zu schreiben; es muß demgegenüber gezeigt werden, daß Hegel uns noch ein entscheidendes Wort sagen kann, um einen eigenen Weg in der philosophischen Tätigkeit zu finden. Hieraus erklärt sich die starke Betonung der Auseinandersetzung Hegels mit den empirischen Wissenschaften seiner Zeit — eine Auseinandersetzung, die als konstitutiv für seine philosophische Entwicklung angesehen wird (vgl. Kap. 9. Hegel and the Natural Sciences). Wenn HARRIS diesen Aspekt in der immanenten Hegel-Lektüre hervorhebt, entspricht dies seiner Überzeugung, daß die gesamte Hegelsche Philosophie in einem sehr fruchtbaren Zusammenhang mit den Resultaten der gegenwärtigen Naturwissenschaft gebracht werden kann. Das soll genau an dem Punkt geschehen, wo die heutige Wissenschaft eine ,Weltanschauung' formuliert: in diesem Punkt steht keine andere Philosophie der Wissenschaft so nahe wie die Hegels (vgl. Kap. 1. Introduction, cit.; 10. Hegel's Naturphilosophie Updated). Worin gründet aber die glückliche Eigentümlichkeit der Hegelschen Philosophie, die ihr eine solche , Aktualität' verleiht? In der Antwort auf diese Frage tritt der Schlüssel zutage, der alle von HARRIS in diesem Band versammelten Beiträge zur Hegel-Forschung erschließt, die allesamt den Anspruch erheben, das Ganze von Hegels Philosophie in den Blick zu bekommen. Bei diesem Schlüsselgedanken, der die Aufsätze trotz ihrer oftmals weit auseinanderliegenden Entstehungszeit in eine ungebrochene Kontinuität stellt, handelt es sich um die Hegelsche These, Philosophie sei als Wissenschaft aufzufassen; sie kann aber für Hegel nur dadurch als Wissenschaft gelten, indem sie als System entwickelt wird. Dieser These, die Hegels Philosophieverständnis und die dazu gehörige Erkenntnisform ausspricht, korrespondiert eine genauso wichtige These bezüglich der Realitätskonzeption: „Das Wahre ist das Ganze", das sich seinerseits wiederum nur als System verwirklichen läßt (vgl. für das erste Auftreten dieser These die Kapitel 3. Hegel's Voyage of Discovery und 2. Seminal Ideas in the Thought of the Young Hegel). Von beiden Seiten erreicht man also die Form des Systems. Das ist genau der Gedanke, den Hegel mit der gegenwärtigen Wissenschaft teUt: was bei Hegel das System der Vernunft in ihrer wissenschaftlichen Manifestationen ebenso wie in

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ihrer objektiven Erscheinungen ist, meint für die heutige Wissenschaft eine ,holistische' Weltauffassung. Das ist aber der Punkt, den die Gegner Hegels immer bekämpft haben — als eine direkte Antithese zu Hegels Totalitätsanspruch stellen sich laut HARRIS der Existentialismus und die moderne analytische Philosophie dar (vgl. Kap. 1. Introduction, dt.). Die Hauptthese von HARRIS, die für jede Lösung eines Hegelschen Problems immer eine Gesamtperspektive auf das System eröffnet, kann mithin als eine Reformulierung oder als eine interpretatorische Variation des Totalitätsgedankens Hegels gelten: Man kann kein einziges Moment der Philosophie Hegels verstehen, wenn man es abgetrennt vom Ganzen und seiner Idee liest — das trifft nicht nur für eine allgemeine Interpretation zu, sondern auch für eine detaillierte Exegese einer spezifischen Problematik. WiU man mithin die Phänomenologie des Geistes verstehen, so muß man sich zuerst fragen, was für eine Stellung sie im Gesamtprogramm der Hegelschen Philosophie besitzt (3. Hegel's Voyage of Discovery). Erst im Ausgang von der Antwort auf diese Frage läßt sich ein detailliertes Verständnis dieses Werkes gewinnen. Wenn man ein grundlegendes logisches Problem wie dasjenige der Bedeutung der Termini ,abstrakt' und ,konkret' bei Hegel erörtern will, muß man immer beachten, daß die Logik als eine Totalität aufgefaßt ist, die mit der Dialektik das Ordnungsprinzip ihrer Teile besitzt. Darüber hinaus kann man also fragen, was für einen ,Status' man jenen Termini innerhalb der Entwicklung dieses Programms zusprechen muß, d. h.: was für eine Rolle spielen sie in der Verwirklichung der systematischen Ordnung der Logik? (Vgl. Kap. 5. Abstract and Concrete in Hegel's Logic). Der Systemgedanke wird dann von HARRIS dort fruchtbar gemacht, wo es sich um die Probleme der Natur oder Geistesphilosophie handelt. Das Resultat seiner Analysen ist immer eine umfangreiche Perspektive, die zunächst (a) die Gründe der spezifischen Stellung eines bestimmten systematischen Moments in der Totalität aufsucht, um dann (b) auf die systematischen Übergänge hinzu weisen, die gerade jene Stellung im Ganzen als die Stellung der Natur und des Geistes genau bezeichnen läßt (vgl. die Kapitel 7. The Philosophy of Nature in Hegel's System; 8. Hegel's Realism and the Philosophy of Nature; 11. From Nature to Spirit; vgl. auch die sorgfältige Analyse der durch das ganze System verfolgten Entwicklung der Geistestätigkeit in Kap. 12. Objective Concept and Objective Spirit: The Theory of Action). Für HARRIS hängt der Systemgedanke in Hegels Philosophie direkt von der Idee der Dialektik ab. Denn die Dialektik ist nichts anderes als die innere Bewegungsform sowie das immanente Ordnungsprinzip des Ganzen in der Entwicklung und Verwirklichung seiner Teile. Der Aufweis der systematischen Zusammenhänge und Übergänge geschieht also bei HARRIS immer zusammen mit dem Hinweis auf die Dialektik, die die ,innere Seele' des jeweiligen Moments ausmacht. Angelica Nuzzo (Firenze/Pisa)

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Hegel und Kant: ein offenes Problem für die philosophische Sache der Gegenwart Andre Stanguennec: Hegel critique de Kant. Paris: Presses Universitaires de

France 1985. 356 S. (Philosophie d'aujourd'hui.) Stephen Priest (Ed.): Hegel's Critique of Kant. Oxford: Clarendon Press 1987. xii, 229 S. Bernd Burkhardt: Hegels Kritik an Kants theoretischer Philosophie, dargestellt und beurteilt an den Themen der metaphysica specialis. München: Profil 1989.

X, 293 S. In regelmäßigen Intervallen wird das Problem der Beziehung zwischen Hegel und KANT immer wieder von der Forschung aufgenommen. Diese Tatsache bezeugt, daß jeder Höhepunkt der Philosophiegeschichte zu einer stets neuen und wiederholten Auseinandersetzung zwingt; darüber hinaus beweist die zeitgenössische Diskussion des Verhältnisses von Hegel zu KANT, daß es dabei eigentlich um das eigene philosophische Selbstverständnis geht. So kann man z. B. hermeneutisch Stellung nehmen und uneingestandenermaßen zu einer Dekonstruktion gelangen, sich andererseits an dem analytischen ,way of thinking' orientieren oder schließlich das zeitlose, ehemals unzeitgemäße Problem der Metaphysik in Hinblick auf die Existenz Gottes behandeln. Diese drei Wege schlagen die hier zu besprechenden Untersuchungen ein, die zugleich repräsentativ für unterschiedliche Sprachräume und deren philosophischen Tendenzen sind. I. Das Buch von ANDRS STANGUENNEC über Hegel critique de Kant stellt sich bewußt und ausdrücklich in die Tradition der französischen Auseinandersetzung mit Hegel und KANT. Nicht zufällig werden gleich im ersten Teil („Les structures generales des refutations", 5—41) die Studien von VUILLEMIN, GU6ROULT, HYPPOLHE und PHILONENKO in ihrer paradigmatischen Bedeutung gewürdigt. Allerdings betont STANGUENNEC eingangs, daß seine Interpretation nicht bloß philosophiegeschichtlich zu verstehen ist, da die Auseinandersetzung zwischen Hegel und KANT immer noch in der zeitgenössischen französischen Diskussion nachwirkt, etwa wenn man bei Marxisten sozusagen die neuen Hegelianer und bei den Phänomenologen neue Kantianer ausfindig macht. Auf die Frage, ob noch eine Synthese zwischen Hegelscher Dialektik und kritischem Reflexionsdenken zu erwarten sei, gibt ein Zitat aus RICCEURS Le conflit des interpretations eine erste Antwort, auf deren weiterer Entfaltung die ganze Abhandlung STANGUENNECS im Wesentlichen beruht: „En nous quelque chose de Hegel a vaincu quelque chose de KANT; mais quelque chose de KANT a vaincu Hegel... C'est cet behänge et cette permutation qui structurent encore le discours philosophique aujourd'hui." (10) Trotz der hie

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und da anerkannten Brüche gehen sowohl die marxistische als auch die HEIDEGGERianische Deutung von einer unbefragten Kontinuität aus, die progressiv oder verfallend von KANT ZU Hegel treibt. Gegenüber einer solchen, im Grunde der Selbstdeutung Hegels entsprechenden Annahme eines idealistischen bzw. metaphysischen Kontinuums stellt STANGUENNEC die Frage, welche Begriffsverschiebungen und -Versetzungen die Bedingungen darstellen, die gleichzeitig eine Würdigung Hegels und Bloßstellung KANTS ermöglichen. In einer den Platon-Studien GOLDSCHMIDTS methodologisch verpflichteten Annäherung an die Texte gewirmen für STANGUENNEC hauptsächlich Verstellungen und Dezentrierungen in ihrer Problemhaltigkeit an Bedeutung, da Dissimulationen und Auslassungen oft viel mehr zu verstehen geben, als sie zu vertuschen trachten (17—19). Sofern die zu diskutierenden Themen der , systematischen' Ordnung von KANTS Gesamtwerk entnommen werden, setzt sich der zweite Teil am Anfang mit „La philosophie theorique" auseinander (43—184). Die Kritik der reinen Vernunft und die Phänomenologie werden zunächst parallelisiert, insofern sie beide das Erkennen als Problem nehmen (45—48). Was die transzendentale Ästhetik betrifft (58—71), ergibt sich folgende resümierende These: „Chez KANT la conscience a, en quelque Sorte, le temps, . .. chez Hegel Tesprit est temps" (70), denn: „A une Philosophie de la ,conscience' qui, comme le terme l'indique, synthetise une diversite sensible exterieure ä eile, Hegel a substitue une philosophie du ,concept' dont Tespace et le temps sont l'etre-lä" (71). Die transzendentale Analytik erweist sich daher als das wahrhafte Zentrum von Hegels KANT-Deutung (72—138), wobei Hegels Wissenschaft der Logik als das Äquivalent zu KANTS metaphysischer Deduktion der Kategorien gilt und die Phänomenologie (hauptsächlich in den Kapiteln über sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und Verstand) eher auf die Schwierigkeiten der transzendentalen Deduktion eine Antwort zu geben versucht, indem sie Schritt für Schritt die KANTischen Stufen der Erkenntnis rekonstruiert. In den Begriffen der Phänomenologie formuliert, enthalte dann die Kritik der reinen Vernunft „une phenomenologie de la perception oü la chose noumenale dispose d'un etre-pour-soi exclusif de son etre-pour-Tautre phenomenal" (129), während schon bei dem phänomenologischen Übergang von der Wahrnehmung zum Verstand, d. h. von dem ,Ding' der Ästhetik zum Phänomen der Analytik Hegel „definitivement le ,spectre' de la chose en soi" austreibt (133). In der darauffolgenden Erörterung der transzendentalen Dialektik und ihrer Kritik in Hegels Gesamtwerk (139—184) bleibt die Diskussion meistens auf einem eher darstellenden und kommentierenden Niveau, wobei die Probleme zwar oft von selbst auftauchen, aber vielleicht allzuschnell wieder beseitigt werden. Beispielsweise stellt STANGUENNEC das Fehlen einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der vierten Antinomie in Hegels Werk fest, kann jedoch mit seinem vagem Interpretationsvorschlag das erweckte Interesse nicht befriedigen: „Si la quatriöme antinomie, ä la difference des trois autres, ne fait pas l'objet, dans l'oeuvre de Hegel, d'une refutation particuliere, sans doute est-ce parce qu'elle repose sur la dialectique de la contingence et de la necessite absolue mise en oeuvre par la preuve cosmologique, et donnant lieu dans ce cadre ä une refutation de KANT.

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Resten! alors les deux antinomies mathematiques et la premiere antinomie dynamique." (154) Im dritten Teil über „La philosophie pratique" (185—261) treten die ,deplacements' am eindeutigsten hervor, da ständig das Substitutionsverfahren Hegels gegenüber KANT durch die thematische Dezentrierung von der Moralitäts- zur Rechtsproblematik;, von der Nomologie der Regeln zur Teleologie der Zwecke betont wird (vgl. 192). Bedeutungsverschiebungen bieten auch die Modifizierungen, die Hegel an der Semantik der Postulatenlehre vornimmt (220), was schließlich den Hintergrund der Rechtslehre mit ihrem Hervortreten der Sittlichkeit bietet (vgl. 237 ff). In einem vierten Teil über „La critique de la faculte de juger et la philosophie de l'histoire" (263—321) wird wiederum unter Beachtung der theoretischen Unterschiede der Vergleich zwischen „la ruse hegelienne de la raison et le plan Cache de la nature chez KANT" vorgeführt (316). Von diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich dann eine merkwürdige Übereinstimmung bei einer allerdings bloß geschichtsphilosophisch intendierten Rechtfertigung des Krieges, denn „la guerre evite ä la raison un ,eternel sommeil' (KANT) OU reveille TEsprit des peuples de son ,assoupissement' (Hegel)" (ebd.). Die „Conclusions" (323—345) versuchen in dreifacher Hinsicht eine Bilanz zu ziehen, indem Hegels Kritikpunkte anhand ihrer methodologischen Struktur, ihres systematischen Inhalts und ihrer geschichtlichen Bedeutung klassifiziert werden (323). Was den ersten Standpunkt betrifft, erwähnt STANGUENNEC dabei nochmals alle die begrifflichen Inkonsequenzen, dialektischen Widersprüche und synthetischen UnvoUständigkeiten, die Hegel auf den verschiedensten Ebenen der Argumentation KANT vorwirft (323—325); so kommt es zu einer enumeratio, die formal vierundzwanzig logische Eehler und siebzehn dialektische Widerlegungen aufzählt (326—327). Fragt man sich am Ende, was bei einer so gearteten Kontroverse noch zu retten bleibe und was als Gefahr weiterhin zu vermeiden sei, so meint STANGUENNEC, die Aufgabe einer Wiederaufnahme des Hegelschen Denkens könne nicht zu einem Hegelianismus im Sinne einer Absorbierung des kritischen Denkens führen: „quelque chose en KANT resiste ä Hegel" (345) und muß demzufolge gerettet werden, so z. B. die Transzendenz der regulativen Idee. Aber umgekehrt kann ein neuer Kritizismus (z. B. als Phänomenologie) auch nicht einfach auf jede metaphysische „inquiötude" verzichten. Daher ist man nach STANGUENNEC ZU einem philosophischen Ausgleich zwischen Hegel und KANT aufgefordert, der gleichzeitig „aux fadlites de la Separation transcendantale comme de Tembrassement speculatif" (ebd.) verzichtet.

II. Der von STEPHEN PRIEST herausgegebene Sammelband über Hegels Critique of Kant bietet ein Mosaik von Deutungen, die einen Einblick in die angelsächsische Auseinandersetzung mit Hegel und KANT ermöglichen. Wiederum handelt es sich

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nicht bloß um eine philosophiegeschichtliche Angelegenheit, sondern auch um eine theoretische Auseinandersetzung, die oft und gerne aus dem Inventarium der ,Haustradition' — auch im Argumentationsstil — schöpft. Die vom Herausgeber besorgte „Introduction" (1—48) stellt sich die Aufgabe, Hegels Auseinandersetzung mit KANT resümierend zusammenzufassen. Oft scheinen die Positionen einfach auf einer Umkehrung der Perspektive zu beruhen, was mit anscheinend weiterzuführenden palindromen Sprachspielen wiedergegeben wird, wie etwa; „It is fair to say, 1 think, that for KANT we only find art beautiful because we find nature beautiful, but for Hegel we only find nature beautiful because we find art beautiful." (47) Auch wenn die Kernpunkte der Diskussion und Auseinandersetzung angegeben werden, so z. B. wiederum die Antinomienlehre (11 — 12, 37—38), dann geht die einleitende Darstellung nicht darüber hinaus, die entsprechenden Probleme oft bloß zu erwähnen. Die Anordnung der darauffolgenden Beiträge ist dann ,KANTisch', indem man sich des Leitfadens der drei Kritiken als Aggregationsperspektive der verschiedenen interpretatorischen Arbeiten bedient. So eröffnet MICHAEL INWOOD mit seinem Aufsatz über „KANT and Hegel on Space and Time" (49—64) die Folge der nach dem Inhaltsverzeichnis der Kritik der reinen Vernunft angereihten Abhandlungen. Es werden besonders die radikalen perspektivischen Änderungen betont, die Hegel vornimmt, indem er das Problem nicht mehr auf dem Niveau einer transzendentalen Ästhetik diskutiert, sondern den Schwerpunkt in die Naturphilosophie verlegt, wobei er sich stärker auf die antike Philosophie und die zeitgenössischen Wissenschaften als auf KANT bezieht. Nach INWOODS Deutung sei es jedenfalls vorschnell, in Hegels problematischer Darstellung, die analytisch wiedergegeben wird, gleich eine Antizipation der zeitgenössischen Physik und sogar der Relativitätstheorie EINSTEINS ZU erkennen, wie einige der neuesten Auseinandersetzungen mit Hegels Naturphilosophie gerne behaupten würden (vgl. 59). Schonungslos gegenüber Hegels fehlerhafter Deutung KANTS ist der Beitrag von GRAHAM BIRD über „Hegel's Account of KANT'S Epistemology in the Lectures on the History of Philosophy" (65—76). Der zentrale Punkt der Auseinandersetzung wird in dem Problem der Objektivität und besonders in KANTS Widerlegung des Idealismus erkannt, die Hegel einer scharfen Kritik unterzogen hat. Wiederholt wird gezeigt, „that at many points Hegel's account is inaccurate and distorted" (65), wenn nicht gar „sünply and evidently false" (75). KANTS zentrale Unterscheidung zwischen empirischen und transzendentalen Außenobjekten sei z. B. von Hegel gar nicht berücksichtigt worden, was ihn die KANTische Strategie der Widerlegung des Idealismus hat verfehlen lassen und zur idealistischen Annahme im vorkritischen Sinne zwang. „With such a background it is unremarkable that Hegel should have thought KANT'S argument a faüure. But with such a background view Hegel has really disquaUfied himself from offering a serious evaluation of the argument." (76) Zwei Fragen leiten die kritische Auseinandersetzung von JUSTUS HARTNACK über „Categories and Things-in-Themselves" (77—86), und zwar: Ist es dasselbe, das Erkenntnisvermögen zu untersuchen und es zu erkennen? Kann man die Er-

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kenntnis als ein bloßes Instrument betrachten? Das alte Problem der Zirkelhaftigkeit wird aufgrund von WITTGENSTEINS Verweisen auf die Tiefengrammatik der linguistischen Kategorien und ihrer Widersprüche, samt „the fly in the fly bottle" (79), problematisiert, woraus erhellt, daß „Hegel himself is the victim of a depth-grammar faUacy in accusing KANT of presupposing knowledge in his critique of knowledge. Criticism is therapy not knowledge; it contains rules not propositions." (80) Aber bezüglich Hegels Kritik der Erkenntnis als Instrument rechtfertigt HARTNACK die Position Hegels, da ihre Kritik KANTS in diesem Punkt die allgemeine epistemologische Schwierigkeit hinsichtlich der Natur und der Erkennbarkeit der ,äußerlichen' Welt aufdeckt. Hierbei werden noch die theoretischen Stellungnahmen HUMES, KANTS und Hegels miteinander verglichen, die letztere stellt allerdings „the most satisfactory theory" dar, insofern sie nicht „an irreducible gap between knower and known" voraussetzt (86). Der dcirauffolgende Beitrag von JOHN LLEWELYN ist der „KANrian Antinomy and Hegelian Dialectic" gewidmet (87—101). Nach einem Hinweis auf den berühmten Brief an MARCUS HERZ, in dem KANT es fast bereut, die Kritik der reinen Vernunft nicht gleich mit der Antinomienlehre begonnen zu haben, fragt der Autor zu Beginn, ob nicht Hegel auch besser seine Wissenschaft der Logik mit einer Diskussion der KANTischen Antithetik angefangen hätte, die schließlich schon in eine mit Hegel vergleichbare Richtung weise (87). Auch bei Heranziehung von SCHELLINGS und FICHTES Problematisierung des Absoluten und der Einbildungskraft entwickelt sich die Analyse LLEWELYNS vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit der bekannten Deutung GufiROULTs, besonders hinsichtlich der Thematisierung des transzendentalen Scheins und der Notwendigkeit des Widerspruches. Viele offene Fragen werden allerdings nicht einmal gestellt, etwa das Fehlen einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der vierten Antinomie. Auch daher scheinen die beiden abschließenden Unterstellungen, nicht nur Hegel hätte KANT schließlich besser gedeutet, indem er dessen Antithetik zur Dialektik hätte werden lassen, sondern auch wir Interpreten könnten Hegels eigene Widersprüche doch besser auffassen, auf Kosten von SimpUfizierungen vielleicht zu schnell erreicht worden zu sein. Mit „Subjectivity and Objectivity in KANT and Hegel" (103—118) stellt STEPHEN PRIEST die einander entgegengesetzen Lösungen von KANT und Hegel vor, die auf dasselbe epistemologische Fragen antworten. Wenn bei KANT ein neutraler Monismus der Phänomene dem Problem ausweicht, einen Geist oder eine Einheit von Denken und Sein postulieren zu müssen, sei Hegels Begriff des Geistes eine Art Verdinglichung von KANTS transzendentaler Einheit der Apperzeption, was schließlich zur Redundanz des Subjektiven und Objektiven im absoluten Wissen und im System selbst führe, womit die frühere Anerkennung KANTS ganz und gar verschwinde. Die Reihe von Abhandlungen über Hegels Auseinandersetzung mit der theoretischen Transzendentalphilosophie wird von W. H. WALSHS „The Idea of a Critique of Pure Reason: KANT and Hegel" (119—133) abgeschlossen — einem Aufsatz, der schon in den Akten des 5. Internationalen KANT-Kongresses (Mainz 1981) er-

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schienen war und hier aufgrund seiner für die angelsächsische Hegel-Interpretation ,klassischen' Bedeutung wiederauferlegt wird. Unter besonderer Berücksichtigung der Phänomenologie und der Enzyklopädie versucht WALSH unter anderem zu beweisen, daß KANTS philosophische Position gar nicht so inkonsistent gewesen sei, wie Hegel es ihr vorwirft, obwohl man bei KANT selbst keine große Stütze zum Beleg von dessen Behauptungen fände (vgl. 127). Sicherlich, „the KANTian Claim that we know only appearances, true reality being unknown, is impossible to defend as it Stands" (131); andererseits aber gilt: „KANT would no doubt have found the idea that the experienced world is the self-expression of Spirit extravagant and unconvincing" (133). So ist ein erster Korrekturvorschlag derjenige, demzufolge Dinge an sich so etwas wie interne Objekte eines möglichen anschauenden Verstandes wären. „The Suggestion that there is a reaUty beyond the veü of sense whose nature we cannot spell out, though we know it is different from that of things in space and time, is a fraud; if we know nothing of thing-in-themselves, we know nothing of them" (ebd.). Nur ein Aufsatz von TIMOTHY O'HAGAN „On HegeTs Critique of KANTS Moral and Political Philosophy" (135—159) nimmt sich eher Themen aus der Kritik der praktischen Vernunft an. Die Wiederaufnahme von AmsTOTELischen Motiven (etwa von Tugenden wie der phronesis und der sophrosyne) wird hervorgehoben, aber trotz aller Kontinuitäten bleibe Hegels Kritik eines Jenseits „a decisive shift in the Gestalt of practical philosophy, a rearrangement of the foreground and background of that discipline" (147). Die erste und vielleicht folgenschwerste daraus resultierende Änderung besteht daran, die Moralität vom Zentrum zum Moment des Ganzen zu verlagern. Als Fazit der Auseinandersetzung stellt jedenfalls der Verfasser am Ende fest, Hegel habe schließlich die zentrale Frage der Moderne als erster formuliert: „is it possible to integrate society and produce a ,people' with shared values, when the dominant values are themselves individualistic, pluralistic, and centrifugal?" (158). Gegenüber einer solchen immer noch ganz aktuellen Aufforderung schlägt der Autor vor, das junghegelianische Modell einer pluralistischen Gemeinschaft mit KANTS Ideal einer kosmopolitischen Existenz zu verbinden: „More specifically, it must be possible to speak both a language of a particular Gemeinschaß, one of solidarity, loyalty, and comradeship, as weU as a language of a more or less universal Gesellschaß, one of rights, duties, and constitutionality" (159). Problembereiche aus dem Themenkreis der dritten Kritik analysiert der Beitrag von PATRICK GARDINER „KANT and Hegel on Aesthetics" (161—171). Obwohl seiner Ansicht nach KANTS und Hegels ästhetische Positionen nicht aufeinander reduzierbar und in mancherlei Hinsicht sogar einander entgegengesetzt sind, bleibe unzweifelhaft Hegel unverständlich „without reference to some of the Claims KANT had made and the questions they raised" (161). Manche seiner wichtigen Thesen sind direkt auf KANT zurückzuführen, etwa die Annahme des ästhetischen Bewußtseins als Versöhnung zwischen dem Verstandsmäßigen und dem Sinnlichen (169) oder die Betrachtung der schöpferischen Macht der Einbildungskraft, welche eine zweite Natur ermöglicht (170—171).

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DAVID LAMB behandelt dann Hegels Auseinandersetzung mit dem zweiten Teil der Kritik der Urteilskraß in seinem Beitrag „Teleology: KANT und Hegel" (173—184). Besonders das Kapitel über die Teleologie in der Wissenschaß der Logik wird in seinem Bezug zu KANT sowie in dem Verhältnis zur Problematisierung der Arbeit im nachhegelschen Denken diskutiert, z. B. im Marxismus oder im Existentialismus, in der Soziologie oder in der Verhaltensforschung und selbst in der Psychiatrie. Dabei kommt auch die „List der Vernunft" zur Sprache, die für LAMB immer noch von Aktualität sein kann, gerade hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das man nicht in der romantischen Vision einer verlorenen Harmonie beschreiben dürfte (vgl. 184). In der Auseinandersetzung nicht bloß mit der ,Kritik der teleologischen Urteilskraft', sondern auch mit KANTS geschichtsphilosophischen Schriften untersucht LEON POMPA die „PhUosophical History in KANT and Hegel" (185—194), wobei erhellt, daß in makrokosmischer Hinsicht die Geschichte sowohl bei KANT als auch bei Hegel als teleologisch strukturiert angenommen wird. Besonders das Problem des Nexus zwischen der Hegelschen Dialektik in ihrem eher logischen und daher unzeitlichen Charakter und der Annahme einer geschichtlichen Teleologie wird untersucht, jedenfalls rechtfertige ein philosophisch aufgefundenes ,ZieT der Geschichte selbst in Hegels Augen nicht die Grausamkeiten der Vergangenheit. HOWARD WILLIAMS in seinem Aufsatz über „PoUtics and PhUosophy in KANT and Hegel" (195—203) geht von der alten, aber weiterhin aktuellen Forderung PLATOS aus, daß der Philosoph regieren soll: Eine mögliche Lösung sei zwischen dem kategorischen Imperativ und einer weltbürgerlichen Perspektive einerseits, dem Zeitgeist und der Eule der Minerva andererseits zu suchen. Der Aufsatz von W. H. WALSH über „KANT as Seen by Hegel" (205—220), auch schon in einem Sammelband erschienen, wül abschließend quasi eine Bilanz ziehen. Laut WALSH war es hauptsächlich Hegels Problem, über KANTS Dichotomie zwischen Begriff und Anschauung hinauszugehen, der die eigene Auffassung des Begriffes als Selbstproduktion entgegengehalten wurde. Hegels kategorialer Apparat sowie seine Kenntnisse der empirischen Welt seien „altogether richer than KANT'S" (219); auch seine BrUlanz, besonders in der ,angewandten' Philosophie, sei KANT sicherlich überlegen, obwohl „he sometimes, no doubt, talked nonsense, as KANT rarely did" (ebd.). Zum Schluß bleibt nichts anderes übrig als anzuerkennen, daß Hegels Beziehung zu KANT im Grunde eine Liebe/Haß-Beziehung ist, wobei natürlich zu fragen bleibt, ob dieselben Vorwürfe, die Hegel KANT entgegenhielt, nicht in irgendeiner Weise wiederum von uns gegen Hegel gewendet werden können, zumindest in dem Sinne, daß vielleicht auch unsere Beziehung zu Hegel „an endless love/hate relationship" darstellt (220).

III. Die Untersuchung von BERND BURKHARDT über Hegels Kritik an Kants theoretischer Philosophie ist eine Dissertation, die bei der Philosophischen Fakultät der Jesuiti-

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sehen Hochschule München verteidigt wurde. Auch in diesem Fall erkennt der Verfasser gleich zu Anfang an, daß seine Auseinandersetzung nicht bloß von philosophiegeschichtlichem Interesse ist, sondern auch eine theoretische Tragweite innerhalb der zeitgenössischen Diskussion besitzt, da sich — nach den wiederholten Auseinandersetzungen zwischen Hegel und KANT in allerlei Wendungen der schuldhaften hegelianischen Orthodoxie, des ,Zurück zu KANT' oder der Hegel-Renaissance unseres Jahrhunderts — die heutige Stellungnahme zu dem Problem als ein „Schwebezustand" definieren läßt (3). Wenn einerseits die KANTische Selbstbeschränkung der Vernunft gegenüber den Herausforderungen der Postmoderne oder der analytischen Philosophie als angemessener erscheint, meint man andererseits, KANTS Position könne nicht unverändert übernommen werden; und auch aus diesem Grund billigt man einigen Einwänden Hegels eine partielle Berechtigung zu. Diese doppelte Geste wäre aber nicht genügend problematisiert, weil meistens das Verhältnis KANT-Hegel „im BUck auf Grundlegungsfragen philosophischer Theoriebildung und Begründung nur am Rande angenommen" wird, indem man sich vornehmlich mit Einzelaspekten beschäftigt und eine systematische und angemessenere Darstellung und Textbehandlung möglichst vermeidet, mit dem einzigen Ergebnis, „daß die meisten Interpretenmeinungen sich in einer dem genannten Schwebezustand gemäßen undurchsichtigen Grauzone ,irgendwo zwischen KANT und Hegel' bewegen", wie etwa die Akten des schon im Titel unentschiedenen Hegel-Kongresses von 1981 beweisen würden (,KANT oder Hegel?', ebd.). Als Thema der Abhandlung wird gerade das sachliche Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Hegel und KANT gewählt, das in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft gesehen wird, d. h. in der Kritik der Metaphysik und in einer Neudefinition ihrer Aufgaben. In einem ersten Kapitel über „KANTS theoretische Philosophie als Rekonstruktion und Kritik der metaphysica specialis" (7—102) wird zunächst gezeigt, „wie KANTS Programm einer transzendentalphUosophischen Selbstverständigung der Vernunft in metaphysikbegründender Absicht über den Gedanken einer Disziplin der reinen Vernunft zur Notwendigkeit einer radikalen Kritik aller metaphysischen Wissensansprüche führte" (33); darüber hinaus wird ein Argumentationsfaden von der allgemeinen Schlußlehre als logischem Prinzip der reinen Vernunft bis zur Theorie der Vernunftschlüsse und zum System der transzendentalen Ideen gezogen. Bei der Darstellung der Paralogismenlehre (34—58), der Antinomienlehre (59—81) und des transzendentalen Ideales (82—102) erweist sich die theoretische Position KANTS als eine wahrhafte Destruktion der Wissensansprüche der speziellen Metaphysik, welche über eine neue Auffassung der Vernunft als Vermögen des Unbedingten gewonnen wird. Das zweite Kapitel über „Hegels Kritik an KANTS theoretischer Philosophie" (103—211) untersucht Hegels Auseinandersetzung mit KANT im Rahmen der Auffassung der Geschichte der Philosophie und deren KategoriaUtät, aber auch unter Berücksichtigung der Wissenschüß der Logik in ihren modaltheoretischen Ausführungen zur Problematik Zufälligkeit-Notwendigkeit sowie gemäß der in der Geistesphilosophie entwickelten Metaphysik der Geschichte und der Zeit, da nach

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Hegels KANT-Kritik trotz der entwicklungsgeschichtlichen Veränderungen in der Systemkonzeption als relativ selbständig und beständig anzunehmen ist (vgl. 123). Die Reihenfolge der metaphysischen Themen wird in der Darstellung umgekehrt, indem BURKHARDT mit der Problematisierung von Hegels Kritik an KANTS Antinomienlehre beginnt (150—180). Der Antinomienbegriff wird zunächst hauptsächlich „als abstraktes Moment einer spekulativen Theorie der ,Vereinigung' bzw. Identität" (153), d. h. im Anschluß an HöLDERLIN behandelt. Auf diese Weise lassen sich zwei Schwerpunkte der Auseinandersetzung definieren: einerseits die „Ablösung des Antinomiengedankens von der kosmologischen Thematik", andererseits die „Ersetzung seiner kritizistischen Begründung durch eine spekulativ-metaphysische" (ebd.). Wenn in Frankfurt die Antinomienlehre als Kennzeichen der Entzweiung und der Endlichkeit aufgenommen wurde, also auch im Anschluß an FICHTE und seine Problematik der schlechten Unendlichkeit mit ihrer Perpetuierung des Widerspruches, erweitert sich in Jena die Perspektive auf den ganzen Bereich endlicher Bestimmungen, was Antinomiengedanken und Reflexionsbegriff miteinander verbindet und so zum negativen Moment der spekulativen Erkenntnis des Absoluten werden läßt: war bei KANT das Problem dasjenige der Beziehbarkeit der Kategorien auf den Bereich möglicher Erfahrung, wobei im Zusammenhang der kosmologischen Thematik sich die Spannungen zwischen diskursivem Verstand- und totalitätsorientiertem Vernunftbegriff des Weltganzes profilierten, so wird bei Hegel die ganze Problematik ständig unter Bezugnahme auf das eigene Programm gelesen, wobei die Selbstaufhebung der Reflexionsbestimmungen und ihr Bezogensein auf das Absolute zutage tritt, was dann den Vorwurf eines unreflektierten Dualismus gegenüber KANT bedingt. Auch die Nürnberger Logikkollegien von 1808/9 und 1810/11 werden berücksichtigt, in denen die Antinomienlehre wieder ihre konkrete kosmologische Gestalt in der Diskussion der Dialektik von Grenze, von Teil und Ganzem, von Ursache und Wirkung annimmt. BURKHARDT merkt an, daß im Logikkolleg von 1810/11 zum ersten (und letzten) Mal alle vier Antinomien behandelt werden, vermindert aber die Bedeutung dieser Tatsache, wenn ihm zufolge die Problematik „(im buchstäblichen Sinne) nur noch anhangsweise in Betracht zu kommen" scheint (163). „Dienten im früheren Kolleg KANTS Antinomien zur direkten Illustration der negativen Seite der Vernunftdialektik im Zusammenhang der Seins- und Wesenskategorien sowie der Dialektik der unbedingten Verhältnisse, so legt das spätere Kolleg eher die Deutung nahe, KANTS Antinomien fungierten nur als anhangsweise Zusammenfassung der Mängel und Einseitigkeiten der in der objektiven Logik entwickelten Bestimmungen, deren Berechtigung allein darin hege, in die subjektive Logik des Begriffs aufgehoben zu werden." (165) Mit der Wissenschaft der Logik ist für BURKHARDT ein gewisser Abschluß in der Entwicklung erreicht, was er dadurch untermauert, daß bei der Überarbeitung der Seinslogik im Jahre 1831 an den betreffenden Textpassagen keine sachlich relevanten Eingriffe mehr vorgenommen wurden (vgl. ebd.). Zwar stellt er auch fest, daß nur die ersten drei Antinomien in den Gang der Argumentation einbezogen werden, aber er problematisiert dann nicht, warum die vierte, die eine so zentrale kosmologiBURKHARDT

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sehe und metaphysische Frage stellt wie das Problem von Zufälligkeit und Notwendigkeit, ganz und gar ausfällt. Jedenfalls zeigt sich aus der Darstellung der KANT-Kritik Hegels und besonders an der Antinomienproblematik, die BURKHARDT als „einen Höhepunkt" der Auseinandersetzung ansieht (175), daß „eine Metakritik an Hegels KANT-Kritik, die von der Basis des KANTischen Denkens aus unternommen wird, zum Scheitern verurteilt ist, einfach deshalb, weil sie ihren Gegenstand nie erreicht" (180). Hegel sei also „,von außen' nicht kritisierbar" (ebd.). Auch im Falle der Paralogismenlehre (181 — 192) ist Hegels Kritik für BURKHARDT hauptsächlich „an systematischen Fragenstellungen orientiert.. ., die nicht KANTS eigene waren, und die daher aus der Perspektive KANTS nicht unmittelbar auf die Intentionen und Thesen der Vernunftkritik beziehbar sind" (182). Schließlich wird Hegels Kritik des transzendentalen Ideals behandelt (193—211). Das von KANT intendierte Begründungsverhältnis zwischen transzendentalem Ideal und der Kritik der Gottesbeweise wird nach BURKHARDT in Hegels Deutung geradezu umgekehrt: „Nicht mehr die Lehre vom Ideal der reinen Vernunft begründet die Thematik und die Kritik der Gottesbeweise, sondern diese sind maßgeblich für die Bestimmung jener." (197) Eine solche Fehldeutung charakterisiere dann auch die weitere Interpretation Hegels, welche unter dem Verdacht steht, er habe es sich in diesem Punkt seiner Auseinandersetzung mit KANT „etwas einfach gemacht" (202), so z. B. hinsichtlich des ontologischen und teleologischen Gottesbeweises sowie der von Hegel als unbegründet angenommenen Abhängigkeit des letzteren von ersterem. „Von KANT her wäre darauf zu erwidern, daß der Eindruck eines willkürlichen Fortgangs nur dann entsteht, wenn man den Kontext nicht berücksichtigt, in dem der Begriff des Absolutnotwendigen seinen primären systematischen Ort hat. Dieser liegt bekanntlich in der Antinomienlehre (genauer: in der Thesis der vierten Antinomie), welche somit den eigentlichen Ursprung des Problems des Absolutnotwendigen verständlich macht. ... Der ontologische Gottesbeweis kann dann verstanden werden als Explikation des schon im Zusammenhang der Kosmologie auftretenden und in der Kosmotheologie weiterentwickelten Problems eines absolut notwendigen Wesens. Weil Hegel aber dieser systematische Zusammenhang zwischen KANTS Antinomienlehre und seiner Kritik der rationalen Theologie offenbar entgangen ist, hält er den Versuch KANTS einer Rückführung des kosmologischen auf den ontologischen Gottesbeweis für unbegründet und polemisiert gegen KANTS Frage nach den Eigenschaften eines absolut notwendigen Wesens" (202—203). Leider fragt sich hier BURKHARDT selbst nicht, wie denn ein so hervorgehobenes Mißverständnis mit dem wohl gesehenen, aber nicht problematisierten Fehlen einer gründlicheren Erörterung gerade der vierten Antinomie zusammenhängt. Ebensowenig wird danach gefragt, ob die eine Fehldeutung (der Gottesbeweise) nicht doch in irgendeiner Weise mit dem anderen Fehlen einer Deutung (der vierten Antinomie) zusammenhängt. In einem dritten und abschließenden Kapitel zur „Beurteilung der KANT-Kritik Hegels" (212—275) beabsichtigt BURKHARDT, „die Kritik Hegels (insonderheit die grundsätzliche) auf das Kritisierte hin transparent zu machen und die Sachge-

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mäßheit der Einwände so zu prüfen, daß weder vom Kritisierten her die Einwände als unverständlich abgetan, noch auch von der Kritik aus das Profil und die Eigentümlichkeiten des Kritisierten zum Verschwinden gebracht werden" (214). So werden nochmals Stringenz und Mängel der Einwände Hegels zur Antinomienlehre, zur rationalen Psychologie und zur theologischen Problematik erörtert. Zusammenfassend bemerkt der Autor, daß Hegels KANT-Kritik durchgängig eine Deutung unterstellt, die mit KANTS Selbstverständnis schwer in Einklang zu bringen ist. Allerdings ist für BURKHARDT der springende Punkt der Auseinandersetzung in der theologischen Problematik zu finden, und das nicht bloß aufgrund des theologischen Rahmens, in dem seine Arbeit entstanden ist. In der Tat habe in diesem Punkt Hegels Kritik „zielsicher den entscheidenden Punkt in KANTS Widerlegung der traditionellen Ontotheologie getroffen . .. Dieser betrifft die Frage der vernünftigen Bestimmbarkeit des Gedankens des Absolutnotwendigen." (240) Hier seien Hegel und KANT sogar „grundsätzlich einig", hier bestünde also die Möglichkeit einer positiven Verständigung „zwischen KANTS Widerlegung der theologia rationalis und Hegels spekulativer Theorie des Absoluten" (ebd.). Ob ,hermeneutisch-dekonstruktivisch',,analytisch' oder ,metaphysisch-theologisch' reinterpretiert, es scheint jedenfalls die querelle zwischen KANT und Hegel nichts an ihrer Dringlichkeit verloren zu haben, insbesonders was das Problem der Begrifflichkeit des Absoluten und die anscheinend unvermeidbare Gefahr eines Dualismus betrifft. Auch nach der Orientierung an der zeitgenössischen französischen Philosophie, an der analytischen Tradition oder an den Fragen der Theologie scheinen die von KANT und Hegel gestellten Fragen immer noch dazu geeignet zu sein, den brennenden Diskussionen der Gegenwart weitere Anstöße zu geben. Wie es wiederholt aus der Darstellung der besprochenen Bücher zutage trat, bietet die Antinomienproblematik hierfür einen hervorragenden Schauplatz, wobei sich Kontinuitäten und Brüche zwischen der kritischen Durchsicht transzendentaler Trennungen und der dialektischen Unruhe spekulativer Umarmungen in ihren erkenntnistheoretischen, logischen und metaphysischen Implikationen zeigen, sowie Ähnlichkeiten und Abstände im Hinblick auf die zeitgenössische Diskussion. Die englische Studie wies, wenn auch in unbefriedigender Weise, auf die Stringenz der Antinomienproblematik bei KANT und Hegel, aber schließlich auch in unserem Verhältnis zu den beiden hin. STANGUENNECS Abhandlung sah zwar zu Recht das Fehlen einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der vierten Antinomie mit der Problematik des Absolutnotwendigen verbunden, ließ aber das Problem zum Weiterdenken offen. Schließlich suchte man vergeblich in der allerdings wertvollen Untersuchung von BURKHARDT nach einem befriedigenden Lösungsvorschlag, obwohl gerade die Gottesproblematik auch in ihren modaltheoretischen Implikationen das Zentrum der Auseinandersetzung bildete. Zumindest für diesen Punkt, bei dem weiterhin das Kontingente und das Notwendige, das Wirkliche und das Mögliche in Frage stehen, muß man also die Kontroverse zwischen KANT und Hegel sowie zwischen den verschiedenen Strömungen des zeitgenössischen Denkens auf die nächste Abhandlung ver-

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tragen, die das Verhältnis der beiden Mentoren moderner Philosophie erneut zu klären versuchen wird. Gabriella Baptist (Roma)

Frank-Peter Hansen: Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Rezeptionsgeschichte und Interpretation. Berlin, New York: de

Gruyter 1989. XI, 490 S. (Quellen und Studien zur Philosophie. Bd 23). Im Jahre 1913 ersteigerte die damalige Königliche Bibliothek Berlins ein zweiseitiges Folioblatt von Hegels Hand. Diesen handschriftlichen Fund gab FRANZ ROSENZWEIG — mit einiger Verzögerung durch den Anfang des Krieges — im Jahre 1917 zusammen mit einer Interpretation unter dem Titel „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" heraus. ROSENZWEIGS Publikation sollte nicht nur in philosophischen Kreisen eine ungemein große Resonanz haben. Zu kaum einem fragmentarisch überlieferten Text der neuen Philosophie sind inzwischen so viele Beiträge entstanden wie zum Systemprogramm. FRANK-PETER HANSEN hat sich im ersten Teil der zur Rede stehenden Arbeit das anspruchsvolle Ziel gesteckt, die Systemprogrammdiskussion seit 1917 nachzuzeichnen und thematisch zu ordnen. Daß er sich dafür ausdrücklich auf die deutschsprachige Rezeptionsgeschichte beschränkt, scheint insofern gerechtfertigt, als der Anspruch auf Vollständigkeit heute wohl kaum mehr einlösbar ist. Andererseits will allerdings HANSENS „Geschichte der Systemprogrammdiskussion kein Forschungsbericht im herkömmlichen Sinne sein" (3), sondern seine Darstellung der Rezeptionsgeschichte beansprucht „em Stück deutscher Geistesgeschichte zu schreiben" (4). Seines Erachtens liegt nämlich bei „fast allen Exegeten des Systemprogramms ein mehr oder weniger intensives Aktualisierungsanliegen" vor (ebd.), weshalb das Manuskript auch immer wieder dafür herhalten mußte, „die diversen Probleme, die die jeweilige Gegenwart mit sich oder auch mit ,ihrer' Vergangenheit zu haben glaubte, zu kommentieren" (ebd.). Nach HANSENS Ansicht haben den Auslegungen des Systemprogramms bislang unsachgerechte Interpretamente zugrunde gelegen, was eine historisch genaue und der Sache angemessene Analyse des Fragments bisher gründlich verstellt hat. Infolgedessen ist auch sein Urteil über die bisherige Systemprogrammdiskussion vernichtend: „Das Wissen, das die diversen Meinungen über das Manuskript vermitteln, tendiert gegen Null" (ebd.; vgl. auch 184). Diesem , erschreckenden' Sachverhalt beansprucht der zweite, interpretierende Teil der Arbeit Abhilfe zu schaffen, indem hier der eigenen Forderung gemäß versucht wird, „die theoretische Position des Verfassers aus dem Text selbst heraus zu begreifen" (143). HANSEN legt seiner Interpretation ausdrücklich OTTO PöGGELERs Forschungsergebnisse zugrunde. Folglich übernimmt er auch dessen Auffassung, daß der Autor des Manuskripts Hegel ist. Da aber HANSEN anders als

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die Entstehungszeit des Fragments in Hegels Berner Zeit ansetzt — genaugenommen soll das Systemprogramm im Frühjahr 1795 „spätestens aber im Juli/August desselben Jahres" (376) entstanden sein —, muß es auch aus dem Kontext seiner damaligen philosophischen Bildung verstanden werden, und die war in der Hauptsache auf KANT beschränkt. Die neue Datierung des Fragments hängt grundsätzlich mit den vielen Kongruenzen zusammen, die HANSEN zwischen dem Programm und SCHILLERS in der ersten Hälfte des Jahres 1795 erschienenen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen ausweist. Durch die innige Verflechtung KANiischen und ScHiLLERschen Gedankenguts mit dem Anliegen des Berner Hegel schafft HANSEN eine bisher völlig neue Interpretationsgrundlage, die den Einfluß HöLDERLINS an dem Programm durchgehend ausschließt. Die „Idee der Schönheit", die im zweiten, ästhetischen Teil des Programms einen zentralen Stellenwert bekommt, kann durchweg auch durch ähnliche Konzepte ScHiLLERscher und KANTischer Provenienz ersetzt werden. ^ Und das darf ein mehr als bemerkenswertes Ergebnis heißen. Denn damit setzt HANSEN der ganzen Tradition der Systemprogrammauslegung einen empfindlichen Schlag zu, denn HöLDERLINS Einfluß war bisher der kleinste gemeinsame Nenner, „auf den sich .. . die HöLDERLIN-, die SCHELLINGund die Hegelforschung verständigte" (161). ln der Tat weckt es mehr als Verwunderung, wenn man einerseits sieht, wie elegant HANSEN KANT und SCHILLER mit den Konzepten des Systemprogramms in Beziehung setzt, andererseits aber bedenkt, daß der Stellenwert dieser beiden Denker für die Konzephon des Systemprogramms bislang kaum richtig gewürdigt worden ist. Dieses Defizit arbeitet HANSEN gründlich auf. HANSENS Datierung des Fragments stört allerdings die Details seiner Interpretation. Und das wirft zweifelsohne auch einen Schatten auf die Beweiskraft seiner Argumentation im allgemeinen. Jedenfalls kann seine Interpretation unter gegebenen Umständen nicht ohne weiteres für sich beanspruchen, Hegels Verfasserschaft des Manuskripts ein für allemal bewiesen zu haben. Problematisch an der Interpretation ist m. E. erstens, daß der große Einfluß, den HANSEN den Briefen SCHILLERS beimißt, für die mit Sicherheit vom frühen Hegel stammenden Arbeiten kaum eine Parallele hat. Zweitens, und das dürfte schwerwiegender sein, ist der Angelpunkt für HANSENS Deutung Hegels Brief vom 16. April 1795 an SCHELLING. Dieser Brief ist eine der wenigen Belegstellen, woraus Hegels Hochachtung für SCHILLERS Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen unverkennbar hervorgeht. Hegel nennt hier den „Aufsatz über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts" ein „Meisterstück". Einerseits soll nun nach HANSEN dieser Brief die außergewöhnlich große Bedeutung dokumentieren, die Hegel den BriePöGGELER

' In dem kürzlich erschienenen Aufsatz von Frank-Peter Hansen: Über einen vermeintlichen Bruch im ,Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus'. Ein Nachtrag. In; Zeitschrift für philosophische Forschung, 47 (1993), 103—112, wird übrigens geleugnet, daß es im Systemprogramm einen , Bruch' in einen ethischen ersten und einen ästhetischen zweiten Teil gebe, den u. a. Pöggeler behauptet. — Anzumerken wäre noch, daß Hansen diesen Beitrag ausdrücklich als „Nachtrag" zu seinem in Rede stehenden Buch versteht.

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fen SCHILLERS als Ganzem beigemessen habe. Andererseits ist er für HANSENS Datierung des Systemprogramms - spätestens Sommer 1795 - das eigentlich grundlegende Zeugnis. Zum Zeitpunkt des 16. April waren allerdings nur die ersten 16 Briefe SCHILLERS in den Horen erschienen. Erst Ende Juni erscheinen dort auch die letzten 11 Briefe. Folglich konnte Hegel sie erst Anfang Juli in Besitz haben. Wenn allerdings geradezu diese 11 Briefe für die Konzeption des Ästhetikteils vorausgesetzt sind — nach HANSEN sind die ScHiLLERschen Briefe 20 ff in der Tat „die für den Ästhetikteil des Systemprogramms entscheidenden Briefe" (376) —, dann kommt seine Datierung offensichtlich in erhebliche Schwierigkeiten. In diesem Falle käme nämlich ein Abfassungsdatum des Fragments, das vor Juli/August hegt, nicht mehr in Frage. Mithin kann das Programm auch nicht „spätestens“, sondern erst frühestens im Sommer 1795 abgefaßt worden sein. Weshalb HANSEN nun aufgrund dieser doch auch von ihm selbst erkannten Sachverhalte seine Datierung nicht modifiziert, bleibt ein Rätsel. Das einzige Argument, das HANSEN zur Festigung seiner Datierung gibt, ist die absurde Umdatierung des besagten Hegel-Briefs auf den 16. Juli. Hierzu scheint er sich tatsächlich durch eine Glosse SCHELLINGS verleiten zu lassen. Unter der Grußformel und dem Datum des Briefes vom 16. April steht nämlich in SCHELLINGS Hand: „resp. den 16. Jul." Das ominöse „resp." liest HANSEN als „respektive" (377). Das dürfte eine unerlaubt moderne Auslegung sein. Hinter dieser Abkürzung ist vielmehr lat. ,respondeo' zu vermuten. (Es gibt übrigens mehrere Briefe, die SCHELLiNG unter Angabe von resp. mit dem Datum seines Antwortschreibens versehen hat. Diesen Hinweis verdanke ich mündlich Herrn Prof. Dr. WALTER E. EHRHARDT.) Auch sonst gibt es einige klare Indizien dafür, daß dies Datum nichts mit dem Zeitpunkt der Niederschrift dieses Briefs zu tun haben kann. Erstens entschuldigt sich ScHELLiNG in seinem Antwortbrief vom 21. Juli ausdrücklich für sein längeres Schweigen; und eine solche Entschuldigung hat keinen Sinn, wenn er tatsächlich einen Brief beantwortete, den er erst von 5 Tagen empfangen hätte. Zweitens macht Hegel in dem Brief vom 16. April die Festlichkeiten zu den Wahlen des Berner „conseü souverain" verantwortlich für seine verspätete Antwort auf SCHELLINGS Brief vom 4. Februar 1795. Diese Wahlen finden nun aber bekanntlich kurz vor Ostern, also im Frühjahr statt. Nun wäre es freilich unsinnig, wenn Hegel diese Festlichkeiten noch im Juh für sein verspätetes Schreiben verantwortlich machte. Infolgedessen kann auch HANSEN selbst der eigene Vorwurf nicht erspart bleiben, „die Tradition der von ROSENZWEIG praktizierten Falschdatierung der Korrespondenz SCHELLINGS mit Hegel fortjzusetzen]" (49). Genaugenommen ist damit nicht nur HANSENS Datierung des Systemprogramms hinfällig geworden, sondern es gibt auch keinen expliziten Beleg mehr dafür, daß Hegel im Sommer 1795 auch tatsächlich noch die letzten 11 Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen gelesen hat, bevor er sich an die Niederschrift des Systemprogramms gemacht hätte. Nach diesen Bemerkungen zum zweiten Teil des Buches möchte ich nun auf den ersten, rezeptionsgeschichtlichen Teil eingehen. Das Buch fällt, wie bereits

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angedeutet, thematisch in zwei Hauptteile auseinander: Der erste und weitaus umfangreichste Teil betrifft die Darstellung der Rezeptionsgeschichte des Systemprogramms (17—343); der zweite HauptteU ist seine Interpretation der Handschrift (344—474). Die Kohärenz beider Teilstücke ist nur sehr gering. Beide Teile können somit problemlos auch unabhängig voneinander gelesen werden. Komplettiert wird das Buch mit dem bisher umfangreichsten Literaturverzeichnis zum Systemprogramm sowie einem Personenregister. Der erste HauptteU, in dem HANSEN die einzelnen Positionen und Ergebnisse der bisherigen Interpretationen des Systemprogramms im allgemeinen recht minuziös zusammenfaßt, ist selbst wieder in drei Zeitperioden untergliedert. Die Periodisierung der Diskussion geht von den folgenden Eckdaten aus: 1917 — ROSENZWEIGS Veröffenthchung des Systemprogramms —, 1931 — nach diesem Datum soll eine , Konsolidierung' in der Systemprogrammfrage eintreten — und 1965, das Jahr, in dem PöGGELER durch seinen Vortrag in Urbino die bisherige Systemprogrammforschung durch seine Forderung der Umkehrung der Beweislast auf den Kopf stellte. D. h., wer aufgrund des eindeutig in Hegels Handschrift überlieferten Fragments für einen anderen Verfasser als Hegel plädiert, der hätte zunächst einmal zu zeigen, daß das Systemprogramm unmöglich von Hegel selbst stammen könne. Qua Umfang ist dieses letzte Kapitel etwas größer als die beiden ersten zusammengenommen. Diese Tatsache deutet bereits an, daß für HANSEN der Schwerpunkt der Systemprogrammdiskussion in dieser letzten Periode liegt. Ziemlich suggestiv ist auch seine Periodisierung der Diskussion. So bezeichnet das Datum 1931 sicherlich keinen wirklichen Einschnitt in die Diskussionsgeschichte. Auch motiviert HANSEN nicht, weshalb 1931 überhaupt eine Zäsur anzeigt. Auch das Datum 1965 scheint eine Verlegenheitslösung. Denn ein B-TeU muß diesem Kapitel quasi angehängt werden, um der ScHELLiNG-Forschung nach 1965 gerecht zu werden, die unter Einfluß der Ergebnisse PöGGELERS nach HANSEN in puncto Systemprogramm übrigens keine substantielle Erneuerung erfahren hat. Zweitens muß man fragen, was es mit der in der „Einleitung" kritisierten „Aktualisierung" des Systemprogramms genau auf sich hat. Denn im Grunde genommen erbringt HANSEN in den ersten zwei Hauptkapiteln nirgends einen Nachweis dafür, daß jene frühen Interpreten des Systemprogramms auch tatsächlich durch ein Aktualisierungsbedürfnis motiviert waren. Was dies Aktualisierungsbedürfnis allerdings z. B. mit der Feststellung zu tun hätte, daß ROSENZWEIG in dem Systemprogramm ein „Schelhngianum" erblickt, nur weil er eben ein erklärter Antihegelianer und Antifichtianer sei und daß er „hauptsächlich seiner Schellinganhängerschaft wegen dasjenige [habe] finden sollen, was er gefunden hat" (84), ist mir schleierhaft. Dasselbe gilt für die Diskussion zwischen WILHELM BöHM und LUDWIG STRAUR bzw. FRIEDRICH STRACK und MICHAEL FRANZ - welche „womöglich noch vorurteüsbeladener" (255) ist, als die ihrer Vorgänger —, die nach HANSENS Ansicht im Grunde genommen immer nur um ein richtiges HöLDERLIN-Verständnis ging.

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Was HANSEN „geistesgeschichtliche Rekonstruktion" nennt, ist in den meisten Fällen nicht viel mehr als eine Darstellung der psycho-sozialen Konstellationen der frühen Interpreten des Systemprogramms. Außerdem liegen seinen diesbezüglichen Schlußfolgerungen oft Indizien zugrunde, deren Beweiskraft gering oder gar zweifelhaft ist. Mit „Geistesgeschichte" hat das alles gewiß wenig zu tun. Diese Kritik bedeutet freilich nicht, daß HANSENS Untersuchung mißraten sei. Im Gegenteil. Doch ist sein Anspruch, eine geistesgeschichtliche Rekonstruktion der Systemprogrammfrage geben zu wollen, gewiß gescheitert. Dafür wäre freilich auch sehr viel mehr Quellenmaterial vonnöten, das allerdings in den meisten Fällen entweder schwer zugänglich sein dürfte oder, nicht zuletzt wegen der Aktualität der Diskussion, überhaupt fehlt. Nebenbei bemerkt, dürfte der philosophische Wert einer solchen Untersuchung gering sein. Nimmt man HANSENS Anspruch, im ersten Teil des Buches „Geistesgeschichte" zu schreiben, wirklich ernst, dann tut das seiner tatsächlichen Leistung Abbruch, nämlich eine sehr genaue und ausführliche Rekonstruktion der verwickelten Systemprogrammdiskussion seit ihren Anfängen gegeben zu haben. Die Fülle des von HANSEN zusammengetragenen Materials erlaubt es, die Diskussion über weite Strecken hinweg in durchaus sachlicher Hinsicht nachzuverfolgen. Und es wäre wünschenswert gewesen, wenn auch HANSEN die Diskussion von diesem Standpunkt aus interpretiert hätte. In den einleitenden Worten zur dritten Hauptperiode (ab 1965) wiederholt HANSEN seine kritischen Bemerkungen zur bisherigen Systemprogrammforschung. „Mit wenigen Ausnahmen", so HANSEN, „laborierte die Forschung insgesamt daran, das Fragment einem spezifisch modernen Erkenntnisinteresse dienstbar machen zu wollen" (183). Vielleicht darf man ihm hier Recht geben. Denn in der Tat indizieren PöGGELER und CHRISTOPH JAMME dem Systemprogramm ausdrücklich ein auch heute noch aktuelles Anliegen: eine aufklärerische Kritik am Staat. (Vgl. 281) Und von hier aus ist es dann nicht mehr weit zu MANFRED FRANKS Behauptung: „der Systemprogrammautor und der um gewaltlose Verständigung bemühte Demokrat und Theoretiker der Interaktion JüRGEN HABERMAS hätten letztendlich ein und dasselbe Ziel verfolgt: Das , System zweckrationalen Handelns (Arbeit)' dem ,herrschaftsfreien Diskurs zu unterstellen'" (231 f; für eine ähnliche Kritik vgl. auch 334). Obschon besonders FRANK in seiner Interpretation des Systemprogramms vielleicht eine recht extreme Position einnimmt, muß man HANSEN auch Vorhalten, daß er im Interpretationsteil seiner Arbeit inhaltlich ungenügend eingeht auf eben jene Zeilen des Manuskripts, die besagte moderne Interpreten überhaupt dazu gebracht haben, hier ein Modell , herrschaftsfreier Verständigung' vorformuliert zu glauben: nämlich auf den Schlußabsatz des Systemprogramms. Deshalb drängt sich zuweilen auch der Verdacht auf, daß HANSEN hier nur bloße Polemik betreibt. Obwohl HANSEN darin Recht zu geben ist, daß die Arbeit an dem Fragment in mancherlei Hinsicht in einer Sackgasse steckt — „desaströs" (285) ist sicherlich ein zu großes Wort — und leider auch hier und dort, zum Glück aber noch nicht überall, „zu einer an der Hegel-These orientierten Gesinnungsfrage geworden"

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(ebd.) ist, so hat HANSEN mit seiner an KANT und SCHILLER orientierten Interpretation des Systemprogramms der Forschung gewiß einen neuen und hoffentlich fruchtbaren Impuls gegeben. Wünschenswert für die Zukunft und m. E. auch mindestens genauso fruchtbar wäre der Versuch, das Systemprogramm auch einmal im Lichte der jüngsten Forschungsergebnisse zum Ursprung des Deutschen Idealismus zu betrachten, die bei HANSEN weitestgehend unberücksichtigt bleiben. So gesehen verwundert es auch nicht, wenn er z. B. ohne jeden Kommentar die heute absurde Behauptung passieren läßt, daß „BöHMS Kardinalfehler" in einer Überspitzung HöLDERLINS „als Systematiker der Philosophie" läge (59). Obwohl erstens HANSENS Methode der Kritik an die bisherige Systemprogrammforschung nicht selten in genau solche Positionen umschlägt, die er gerade meint kritisieren zu müssen, und obwohl zweitens die Bedeutung, die HANSEN im Gegensatz zur bisherigen Auffassung nicht HöLDERLIN sondern SCHILLERS Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen für die Interpretation des Systemprogramms beimißt, nicht vollends zu rechtfertigen ist, bleibt HANSENS Buch dennoch eine verdienstvolle Arbeit, die für die Systemprogrammforschung von Bedeutung sein kann. Ernst-Otto Onnasch (Nijmegen)

Giuseppe Varnier: Ragione, negativitä, autocoscienza. La genesi della dialettica hegeliam a Jena tra teoria della conoscenza e razionalitä assoluta [Vernunft,

Negativität, Selbstbewußtsein. Die Genese der Hegelschen Dialektik in Jena zwischen Erkenntnistheorie und absoluter Rationalität]. Napoli: Guida 1990. 300 S. (Filosofia e sapere storico.) Wie bereits das Vorwort von REMO BODEI betont („Königliche Wege", 8—12), hat die Forschung über den Jenaer Hegel allmählich eine so fortgeschrittene Erosion an vermeintlichen Simplifizierungen des Systems und dessen Genese bewirkt, daß sich niemand mehr mit einer geradlinigen , Entwicklung' zufrieden geben würde, in welcher nicht auch alle Unebenheiten und der Reichtum an Schichten des Hegelschen Weges zu betrachten wären. Gerade diese Aufgabe stellf sich das Buch von VARNIER, dessen Versuch noch dadurch verkompliziert wird, daß es die philologische Aufmerksamkeit gegenüber den neuesten Funden ständig um das theoretische Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Denken, hauptsächlich analytischer Herkunft, bereichert. Die Einleitung (23—40) zeichnet die Hauptlinien der Interpretation. Nach VARNIER ist der Grundcharakter der endgültigen Theorie Hegels ab Jena nicht sosehr die spekulative ,Konstruktion', sondern vielmehr „die empirische ,Rekonstruktion' der Negativität"; in diesem Rahmen bildet „die Phänomenologie, und mit ihr der gesamte kognitive Sinn der reiferen ,Dialektik' eine Radikalisierung des Skeptizismus“, so daß das moderne Prinzip des Subjektes innerhalb einer systemati-

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sehen Konstruktion aufgenommen (25) und die Theorie einer endlichen Subjektivität gleichzeitig Theorie der rationalen Erkenntnis des Absoluten werden konnte (vgl. 37). Von den Jugendschriften hin zum Berliner System entfaltet sich für VARNiER der mühselige Prozeß der Verbindung „einer realistischen, d. h. ,nicht epistemischen' Ontologie der absoluten Vernunft" mit derjenigen heterogenen Struktur, „die rekonstruktiv die Rolle und Wirkhehkeit in Betracht zieht, welche die Moderne und der KANTianismus der konstituierenden und selbstbewußten Subjektivität zuschrieb, und welche den geschichtlichen Rückschritt in einer naiven Ontologie vermeidet" (30). Obwohl Hegel weiterhin entgegengehalten werden müßte, daß die Kategorizität seines Systems nicht mehr zu verteidigen sei — „es gibt mehr als bloß einen Weg, und alle sind königlich" (32) —, will VARNIER die Offenheit des Hegelschen Systems beweisen, indem die Logik schließlich im Verhältnis zur Phänomenologie als relativiert erscheint. Liefert die letztere die Sinnbedingungen des Projektes der ersteren, dann ist die Beziehung der beiden zueinander für VARNIER SO ZU deuten, daß jenes , Voraus' der Wissenschaft die Wissenschaft selbst „nicht begründet, sondern plausibel macht, indem es ihre Erkenntnisansprüche relativiert, konkretisiert und ihnen dadurch einen Sinn gibt" (39). Das erste Kapitel: „,Skeptizismus' und ,Idee'. ,Logik und Metaphysik' im ersten intuitionistisch-substanzialistischen System (1801—1802)" (41—132) analysiert die theoretischen Grundlagen der systematischen Vierteilung besonders hinsichtlich der Funktion der Logik und Metaphysik unter Berücksichtigung der neu aufgefundenen Manuskripte, die im Bd 5 der historisch-kritischen Ausgabe erscheinen werden. Schon auf dieser Stufe der Entwicklung fällt für VARNIER die epistemologische Frage nach dem , Wissen' genetisch und theoretisch mit derjenigen der Dialektik und des Systems zusammen (vgl. 54—55); In der methodologischen Annahme eines Sich-Setzens der Subjektivität qua Negativität und qua destruktive Funktion der Endlichkeit, wobei eigentlich die Zirkelhaftigkeit des Systems schon hervortritt, entfaltet sich das erkenntnistheoretische Interesse zu einer Theorie der Vernunft. Die Logik drückt hier die Skepsis gegenüber transzendentalen Strukturen mit sowohl negativer als auch spekulativer Funktion aus. Die Unzulänglichkeit der Subjektivität muß aber in der im Grunde noch aufklärerisch gefärbten Forderung nach Vernunft überwunden werden, und gerade dieser Anspruch verursacht dann — auch aufgrund der substanzialistischen und vorausgesetzten philosophischen Form dieser Rationalität — einen noch aporetisch charakterisierten systematischen Zusammenhang (vgl. 132). Das zweite Kapitel über „Die Revolution im System: ,Logik' und ,Geist' (1803—1805)" (133—222) analysiert den Prozeß der Integration der kritisch-destruktiven Funktion der Logik (d. h. des negativ-ontologischen Teils des Systems) mit der von der Metaphysik geleisteten positiven Funktion einer Erkenntnis des Absoluten, wobei SCHELLINGS Prinzip der Substanz durch dasjenige des Geistes ersetzt wird. Um den Begriff ,Geist' als Mitte-Sein des Subjektes zwischen zeitlicher Besonderheit der Endlichkeit und überzeitlicher Allgemeinheit der Einheit (vgl. 155) kreisen für VARNIER die Innovationen des theoretischen Entwurfs He-

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gels. Hierdurch wird ein neues Konzept von Subjektivität möglich, das eine Identifizierung der Erfahrung des Sich-Selbst-Zerstörens der Endlichkeit mit der Wissenschaft selbst ermöglicht (Entwicklungslinie der Phänomenologie), und gleichzeitig eine Kontrolle der kategorialen Widersprüche im Rahmen einer kritisch-skeptisch-relativierenden, aber dennoch konstruktiven Wissenschaft des Absoluten erlaubt (Entwicklungslinie der späteren Logik) (vgl. 165—166). Das dritte Kapitel über Dialektik' und ,Negativität' des Selbstbewußtseins: Auf dem Wege zu ,Phänomenologie' und ,Logik'" (223—293) zeigt, wie eine intern skeptische Konstruktion zu einer Reform und Neubegründung der Ontologie führen konnte. Die Bedingungen der Entwicklung einer Philosophie des absoluten Geistes aus den Jenaer Arbeiten Hegels sind für VARNIER als deren Resultat schematisierbar, indem 1) das skeptische Einleitungsmodell im kognitiven Modell einer geschichtlichen und logischen Entwicklung des endlichen Bewußtseins (vom Anfang an dem absoluten Wissen identisch) beibehalten und verwandelt wird; indem 2) die Aufgabe des Verständnisses und der geschichtlichen Überwindung der gegebenen Negativität als entgegengesetzt und unvernünftig, d. h. die erste ,Verinnerlichung' und , Rekonstruktion' des Selbstbewußtseins des Geistes aus der Alterität von der Metaphysik auf die Phänomenologie verlagert wird; indem schließlich 3) das skeptische Modell, unter Beibehaltung seiner destruktiven Tragweite, sich zur Methode und begrifflichen Form der Darstellung einer selbsterkennenden und selbstkritischen Funktion von Prinzip und Idee transformiert, was das Ineinanderfallen von Metaphysik und Logik bedeutet (232). Die Kritik und skeptische Destruktion der Metaphysik sowie der intellektualistischen Denkweisen fallen daher schließlich mit der Konstruktion einer objektivistischen Ontologie des reinen Denkens und der wahrhaften Erkenntnis zusammen (239), die Logik selbst als skeptische Kritik der alten Metaphysik wird gleichzeitig zur Konstruktion/Darstellung der Wahrheit des höchsten metaphysischen Prinzips der Zeit Hegels, der Subjektivität (271). Als Ergebnis seiner Auseinandersetzung betont VARNIER abschließend die Aktualität einer derart verstandenen Dialektik als skeptisch-systematischer Wissenschaft, welche, auch aufgrund der noch tragfähigen Hinweise, für das zeitgenössische Denken — zum Beispiel hinsichtlich der Ithischen Problematik — weiterhin als Aufforderung gelten kann (276—277). Gabriella Baptist (Roma)

Das Problem der sinnlichen Gewißheit Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie des Geistes

„Am Eingang der ,Phänomenologie des Geistes' steht gleichsam eine Zumutung deren Größe noch dadurch wächst, daß sie gar nicht eigens und weitläufig verhandelt wird." So beschreibt MARTIN HEIDEGGER in seiner Vorlesung vom Winterseme-

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Ster 1930/31 (104) das Anfangskapitel der Phänomenologie des Geistes und drückt damit seine Kritik an Hegels Beginn aus. Sicherlich ist der Anfang eines philosophischen Werkes eine schwierige Aufgabe. Dementsprechend hat Hegel auch häufig über dieses Problem nachgedacht. So etwa im Abschnitt „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?" in der Wissenschaft der Logik von 1812 und 1832. Hier liest man von Hegels Schwierigkeiten eines reinen Anfangs, d. h. eines Anfangs mit dem reinen Sein. Die Phänomenologie des Geistes (= PhG) von 1807 soll nun aber erst den Umgang mit den logischen Bestimmungen einüben. Im Kapitel über die sinnliche Gewißheit wird das Bewußtsein in die Kategorien des Seins eingeführt. Die sinnliche Gewißheit eignet sich für diesen Anfang, denn sie sagt von dem, was sie weiß, nur, daß „es ist", und sowohl Gegenstand als auch Ich sind in ihr als reines Dieses bzw. reiner Dieser. HEIDEGGER kann aber mit Recht von einer „Zumutung" sprechen, der hier das Thema und der Leser ausgeliefert werden. Denn auf nur wenigen Seiten zeigt Hegel die Kritik an der sinnlichen Gewißheit. So bietet dieser implikationsreiche Text (scheinbar) viele Interpretationsmöglichkeiten, daß die Anzahl der Sekundärliteratur zur sinnlichen Gewißheit recht groß ist und sich aus völlig unterschiedlichen Perspektiven dem Thema nähert. An dieser Stelle sollen drei Arbeiten betrachtet werden, die innerhalb eines Jahres (1990) erschienen sind. Matthias Kettner: Hegels „sinnliche Gewißheit“. Diskursanalytischer Kom-

mentar. Frankfurt am Main, New York: Campus-Verlag 1990. 279 S. Jens Brockmeier: Am philosophischen Rand der Sprache. Die Natur der sinnlichen Gewißheit in Hegels „Phänomenologie des Geistes". In: HegelJahrbuch 1990. 157-170. Rudolf W. Meyer: Die Dialektik der sinnlichen Gewißheit und der Anfang der Seinslogik. In: Hegel und die antike Dialektik. Hrsg, von Manfred Riedel. Frankfurt am Main 1990. 244-267.1 widmet der sinnlichen Gewißheit ein ganzes Buch, welches sie diskursanalytisch zu erfassen sucht. Indem er den Text auslegt, „rekonstruiert" er ihn, und zwar an einem Wahrheitsanspruch orientiert. (8/136) So sind KETTNERs Prämissen für die Interpretation auch schon festgelegt. Dabei bezieht er sich auf die Sprachanalytik der angelsächsischen Philosophie sowie auf die transzendentalpragmatische Philosophie KARL-OTTO APELS. Der überschaubare Text und die „rationale" Diskutierbarkeit unterstützen dabei den Erkenntnisgewinn. KETTNER trägt eine weitere Prämisse im vorhinein an den Text heran, und zwar stellt dieser einen argumentativ strukturierten Diskurs dar. Indem KETTNER die Argumentationsstruktur, welche durch illokutionäre Handlungen gebildet wird, freilegen will, sollen vollständig und detailliert „wahrheitsfähige Sinnzusammenhän-

MATTHIAS KETTNER

1 Auf die nacheinander behandelten Arbeiten wird jeweils mit bloßer Seitenangabe Bezug genommen.

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ge" (13) aufgedeckt werden. Ein solches Verfahren ermöglicht es auch, daß die Argumente des Autors verbessert und logische Brüche, Voraussetzungen und Implikationen aufgewiesen werden. (14) Diese Anforderungen an Methodik bzw. Hermeneutik müssen akzeptiert werden, um dem Gedankengang von KETTNERS eigenem Text „adäquat" folgen zu können. Er teilt sich in drei Schritte: 1. weist er die formale Argumentationsstruktur des Kapitels über die sinnliche Gewißheit auf; 2. gibt er eine Diskursanalyse und den Kommentar zu den 36 Textsegmenten, in welche das Kapitel eingeteilt wurde, und 3. vollzieht KETTNER die Rekonstruktion von Hegels Theorie der indexikalischen Gegenstandsbeziehung, die schließlich zu einer Kritik an Hegels Text führt. Im Abschnitt 1 unterteilt KETTNER das Kapitel in 14 Aussagen, die er als These (bzw. Variation einer vorangegangenen These) und Antithese bezeichnet. Nun bedeutet eine solche Gliederung für KETTNER nicht, daß durch diese Aussagen die Vollständigkeit des Textes erschlossen ist; vielmehr bieten sie sich „als Markierungspunkte für die Ereilegung der Argumentationssfruktur an". (18 f) Es zeigt sich eine antithetische Struktur, wobei einmal die sinnliche Gewißheit etwas über sich selbst, das andere Mal Hegel etwas über die sinnliche Gewißheit sagt. (Skizze, 25) Die Argumentation unterliegt drei Modifikationen, die das Verhältnis von Ich und Gegenstand zueinander, dann miteinander ausdrücken. (Skizze 21) Nun gibt es aber neben den Aussagen eine weitere Argumentationsform in diesem Kapitel. KETTNER nennt sie Gedankenexperimente. Diese vier Experimente (Exp) sind Beispiele, die sich mit dem decken, was Hegel selbst über die sinnliche Gewißheit sagt. KETTNER stellt also zwei Textsorten vor, die er als Aussage und als Experiment bezeichnet. Dabei ist es sicherlich richtig (auch im Hinblick auf die weiferen Kapitel der PhG) von zwei Textsorten zu sprechen. KETTNER nennt auch die Einleitungsfunktion der PhG, und so wird anhand von Beispielen diese Einleitung in die spekulativen Bestimmungen vorgenommen. Für ihn sind die Passagen über das Jetzt, das Hier und das Jetzt, das gezeigt wird, Beispiele bzw. Gedankenexperimente. Gehört nicht aber auch schon das Diese mit zum Beispiel? Die Textsorte „Beispiel" beginnt mit der Frage „Was ist das Diese?" und endet im vorletzten Abschnitt, so daß die andere Textsorte mit dem Satz „In dieser Rücksicht kann denjenigen, ..." weitergeführt wird. Es wird geprüft, ob unmittelbares Wissen bzw. unmittelbare Gegenstandserkenntnis möglich ist, und die sinnliche Gewißheit wird daraufhin selbst befragt mit Hilfe der Beispielwörfer und -säfze. Die andere Texfsorte, die die Beispiele umschließt, läßt sich als Metatext bezeichnen. Hier wird die sinnliche Gewißheit nicht eigens geprüft, sondern vom Standpunkt des schon Wissenden aus die logische Bestimmung, also das Sein, vorgestellt. Sicherlich ist hier von Sein in doppelter Weise zu sprechen, einmal „für uns", dann für die sinnliche Gewißheit. Aber ob das Sein „für uns" mit Hegel selbst identifiziert werden muß, bleibt fraglich. KETTNERS Unterteilung in die 14 Aussagen, die das Wechselspiel von These und Antithese beschreiben, geht nicht von dem eben genannten Unterschied von Metatext und Beispiel aus. Die Dialogsituation durchzieht bei ihm den gesamten Text. Dabei ist Hegels These schließlich, das Allgemeine als das Wahre der sinnlichen Gewißheit zu setzen. Ei-

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ne derartige Argumentation macht aber mit der eigentlichen Prüfung, die sich als eigene Textsorte zeigt, nicht ernst, sondern setzt das Prüfungsergebnis (Das einzelne kann nur gemeint werden./Das Diese ist ein Allgemeines) lediglich als Teil eines Dialoges. Der zweite umfangreichste Teil von KETTNERS Arbeit zeigt die Feinanalyse der 36 Segmente. Hier nimmt er die formale Argumentationssfruktur des ersten Teils auf, differenziert sie nun durch akribische Textauslegung, Kommentare zu weiterer Sekundärliteratur sowie schematische Darstellungen der logischen Form. Im letzten Teil faßt er seine Arbeitsergebnisse zusammen und läßt eine Kritik an Hegel folgen. Hegels Text bewegt sich zwar auf einer kategorialen Ebene, er argumentiert jedoch vor dem Hintergrund des kommunikativen Handelns und nimmt die volle indexikalische Kompetenz in Anspruch. So wird sein Ansatz „kryptopragmatisch", da die ,,pragmatische[n] Bedingungen der Möglichkeit von Intersubjektivität, die für endliche Wesen wie uns ein Letzfes darstellen, nicht mehr als solche thematisiert werden müssen und gleichsam in den Hintergrund abgeschoben werden können." (9) Hegel benutzt Beispiele (Gedankenexperimente) mit indexikalischen Aussagen, ohne z. B. die Kontextsensitivität zu berücksichtigen. KETTNER untersucht daraufhin u. a. das Beispiel (Exp 1) „Das Jetzt ist die Nacht" und bestätigt daran den oben genannten Vorwurf. (HO ff und 210 ff) Hegels Sprachanalyse ist demnach falsch. Er berücksichtigt nur die deskriptiven Gehalte von sprachlichen Äußerungen; so verfälscht er sprachliche Zeichen, die keinen deskriptiven, sondern z. B. einen demonstrativen Gehalt haben. Diese Form der Sprachverfehlung nennt KETTNER „semantizistisch". Der Begriff des Allgemeinen, der schließlich das Wahre der sinnlichen Gewißheit ausmacht, kann nicht mehr auf der Basis der kommunikativen Praxis erklärt werden, obwohl Hegel diese „zugleich kritisch-normativ beansprucht." (264) „So bleibt Hegels Darstellung sinnlicher Gewißheit eine kryptopragmatische Theorie, die sich selbst semantizistisch mißversteht." (265) Sicherlich ist die Thematisierung der Sprache in Hegels Text sinnvoll und notwendig. Wenn man ihn jedoch ausschließlich auf der Basis der Sprechakttheorie als diskursive Rede liest und daraufhin die Kritik an ihm formuliert, verliert man leicht aus dem Auge, was Hegels Anliegen in der PhG im Ganzen ist. Die Analyse des Kapitels als „hermeneutisches Modell", das „eingeführt" und „erprobt" wird, (9) zu betrachten, läßt den Systemgedanken der PhG zurücktreten. Der Gebrauch einer Methode zur Textaneignung ist unumgänglich, aber ist die Diskursanalyse dazu geeignet, um diesen Gesamtzusammenhang, in dem die sinnliche Gewißheit steht, zu verdeutlichen? Hegel beginnt die PhG mit dem Sein, das er in einem Metatext vorstellt. Von einer Sache wird gesagt, daß sie ist, d. h. daß sie existiert. Dieser Anfang entsprichf den Kafegorien der Quantität und Qualität sowie der Modalität, da das Sein schon in Bezug auf uns, d. h. das Subjekt steht. Daß diese Kategorien aber immer schon die Relation, d. h. das Verhältnis einschließen, zeigt Hegel mit Hilfe eines Beispiels, dem Diesen, das sich in Hier und Jetzt aufteüt. Das Ergebnis der Prüfung zeigt, daß das Diese ein komplexes Dieses ist. HEIDEGGER spricht in seiner Vorlesung vom Wintersemester 1930/31 vom

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Gegenstand der sinnlichen Gewißheit, dei jeweils als „diesiger" gegeben ist — dieser Baum, dieses Haus, diese Nacht. Durch das Adjektiv diesig (und hiesig) auf der einen Seite und die Frage nach der „Diesheit" des Diesen auf der anderen, zeigt er die Beziehung von Einzelheit, die die sinnliche Gewißheit selbst als ihre Wahrheit glaubte, und Allgemeinheit, die dann nach der Prüfung ihre Wahrheit ausmacht. Das Einzelne („diesige") kann nur gemeint werden unter der Voraussetzung, daß das Allgemeine („Diesheit") schon gesprochen ist. Sage ich „Dieses", so ist immer schon ein Verhältnis impliziert. Das einzelne Diese kann ich hingegen nur meinen. Nun ist zu fragen, ob Hegels Text, besonders die Beispiele, vor dem Hintergrund einer kommunikativen Praxis zu lesen und zu beurteilen sind. Muß ein Beispiel die Anforderungen, die KETTNER an es stellt, überhaupt erfüllen? Es ist nicht verwunderlich, daß auch der zweite hier zu besprechende Text die Sprache in Hegels Kapitel thematisiert. Ein Großteil der Äußerungen zur sinnlichen Gewißheit stellt die Sprache in den Mittelpunkt. JENS BROCKMEIER bezeichnet die sinnliche Gewißheit als „Phänomen am Rande der Sprache". Damit stellt er das Problem dar, wie man mit der Sinnlichkeit in logische Bestimmungen einführen kann. Das Anfangskapitel der PhG hat den „Status eines Vorkapitels", wobei das Bewußtsein in ihm „spezifischer bzw. enger" (168) ist als dasjenige der folgenden Kapitel. Hier geht es darum, die erste Gestalt erst in die Sprache zu bringen. Dabei handelt es sich in der sinnlichen Gewißheit aber nicht um ein real-konkretes Verhältnis von einem Subjekt zu einem Objekt. Das Bewußtsein soll ja geprüft werden und zu einem wahren Wissen kommen. Sein Weg ist also immer schon „rein innermental" (158). Diesen Bildungsweg des Bewußtseins beschreibt BROCKMEIER als „Anamnesis" (158 f), und das Prinzip der PhG ist die „Enttäuschung" (158). Letztgenannte muß das Bewußtsein erleiden, da es sich auf dem Weg der Verzweiflung befindet und sich von einer Gestalt (die es zuvor als an sich glaubte) enttäuscht der nächsten (die wirklich für es war) zuwenden muß, bis es das absolute Wissen erreicht. Dabei vollzieht sich eben diese Entwicklung als Anamnesis. Um diesen philosophie-historisch bedeutsamen Begriff einzugrenzen, erklärt BROCKMEIER, wie er die Anamnesis auf Hegel überträgt: „Diese ist nicht nur dadurch charakterisiert, daß in ihr die Erinnerung und die Arbeit des Geistes auf eine eigenartige Weise zusammengedacht werden. Sie weist auch eine andere nicht weniger konstitutive Eigenart auf: Sie ist sprachlich." (159) Die Sprache wird so zur conditio sine qua non. Die Teilung in der Einleitung der PhG von Begriff (Maßstab) und Gegenstand (das zu Prüfende), die sich schließlich entsprechen sollen, übersetzt BROCKMEIER in Sprache (Mittel) und Gedanke (Inhalt). Nun muß das natürliche Bewußtsein, „das, in welcher philosophischen und kulturgeschichtlichen Eorm auch immer, der Illusion eines sprachlosen Bewußtseins am offensichtlichsten aufsitzt" (159), kritisiert werden. Die Gestalt der sinnlichen Gewißheit dient Hegel dazu, dieses natürliche Bewußtsein „einer verbalen Natur zu überführen". (159) Erst als sprachliches ist es für die spekulative Philosophie Gegenstand. BROCKMEIERS Argumentation geht noch weiter. Das Bewußtsein ist nur

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existent, wenn es den Anspruch auf ein Jenseits der Sprache aufgibt. (161) Die sinnliche Gewißheit brachte das Bewußtsein zwar in die Sprache, dabei war es aber schon von Anfang an sprachlich. Das sinnlich unmittelbare Bewußtsein ist also schon durch die Sprache in diese aufgehoben. So kommt es, daß sich Hegel gegen das Schweigen kehrt. „Wo das Schweigen herrscht, hat die Philosophie ihr Recht und ihre Kraft verloren. Schweigend, jenseits der Materiatur verbaler Formen, sind die Bedeutungen für Hegel offensichtlich wie jene Feinde, die Macbeth am meisten verflucht, weil er sie am meisten fürchtet, da sie nicht von derselben Welt sind, die die unbesiegbare Macht seiner Waffen in Bann hält." (161 f) Für BROCKMEIER hat die sinnliche Gewißheit die Aufgabe, das (zwar immer schon sprachhche) Bewußtsein in die Sprache zu bringen. Sieht man aber auch auf das Ende der PhG, so zeigt sich, daß Hegel im Kapitel über das absolute Wissen die sinnliche Gewißheit wieder aufnimmt. Nun sind alle Gestalten durchlaufen; Gegenstand und Begriff können sich entsprechen, und das absolute Wissen ist erreicht. Dieses ist aber auch wieder sinnliche Gewißheit. Auf der Basis der ganzen Bewußtseinsgeschichte, die in der PhG durchlaufen worden ist, kehrt das absolute Wissen zum unmittelbaren Sein der sinnhchen Gewißheit zurück, die nun um ihre Fähigkeiten weiß. So müßte die Aufgabe, die BROCKMEIER dieser ersten Gestalt zuschreibt, ergänzt werden. In einem weiteren Punkt seiner Argumentation beschäftigt sich BROCKMEIER mit dem Abschnitt im Kapitel über die sinnliche Gewißheit, die das nichtverbale Zeigen thematisiert. Nachdem sich das Diese, das Hier und das Jetzt als Allgemeine erwiesen haben, setzt Hegel das Ganze der sinnlichen Gewißheit als ihr Wesen. Sie kann so an ihrer Unmittelbarkeit festhalten, und wir lassen uns das Jetzt zeigen. Nun fragt Hegel, wie das Unmittelbare beschaffen ist, das gezeigt wird. Dieses Beispiel läßt schließlich auch erkennen, daß das aufgezeigte Jetzt kein unmittelbares, sondern eine Bewegung ist, die sich aus einer Vielheit von Jetzt zusammensetzt und somit ein Allgemeines ist. Also auch wenn nicht die Sprache bemüht wird, um die Allgemeinheit als das Wahre der sinnlichen Gewißheit zu erhalten, zeigt sich uns, die wir zur sinnlichen Gewißheit hinzugetreten sind (zuvor wurde sie ja selbst befragt), daß das Jetzt ein Allgemeines ist. Es kann weder sprachlich noch als bloß Gezeigtes einzeln sein. An diesem Punkt des Hegelschen Textes setzt BROCKMEIER seine Kritik an. „Ist doch die aufzuzeigende Bedeutung, um die es hier geht, selbst schon durch äußere, nichtmentale Repräsentation gestützt." (163) Diese Momente verschwinden aber alle bei Hegel. Es löst sich alles auf, sofern es nicht ausgesprochen wird, und übrig bleibt nur noch die symbolische Repräsentation der Sprache. Da Hegel aber alle Erfahrungsformen des Bewußtseins, also auch die Wahrnehmung erfassen wiU, isf ihm die Ignoranz gegenüber dem „multidimensionalen Zusammenhang der Sprache" (165) anzulasten. BROCKMEIER beschreibt (u. a. unter Berufung auf PIAGET und VYGOTSKIJ), was unter diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Nicht nur die Wortsprachhchkeit zeigt das Verhalten des Subjekts zur Welt. Ein kognitiver Raum besteht aus Symbolen und Zeichen. „Diese Symbole und Zeichen werden jedoch keineswegs innermental konstruiert, psychologisch gründen sie

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vielmehr im realen Weltverhalten des Menschen." (164) So ist auch nicht die Sprache der Anfang des Denkens, sondern außersprachliche Gegebenheiten (wie etwa praktisches, soziales Handeln und psychische Prozesse). Was so positiv bei Hegel mit der unmittelbaren Gegenstandserkenntnis, die sehr aufschlußreich für bewußtseinstheoretische Fragen ist, begann, wird in eine Sprache aufgehoben, die aber die „Eigenkonsistenz der Sprache" (166) auflöst. Es geht Hegel also nur um das Denken des Geistes, das gar nichts Sprachliches ist. Denn Hegel beachtet nicht die Materialität der Zeichen. „So entsteht der teleologische Schein einer Bewußtseins- und Geistgenese, der die Annahme irgendeiner gegenständlich-materiellen Vermitteltheit des Denkens ebenso weit aus dem Reich der wahrhaften philosophischen Reflexion verweist wie das nicht-sprachliche — weil nicht geisffähige — Wissen." (166) Hegels Argumentation wird widersprüchlich, da sie zugleich auf der Materialität der Zeichen aufbaut und „auf die zeiträumliche Beständigkeit sprachlich-symbolischer Verallgemeinerungen verweist" (167), um die unmittelbare Gegenstandserkenntnis zu kritisieren. BROCKMEIERS Kritik richtet sich gegen Hegels Beispiele, die das Bewußtsein prüfen sollen. Wie KETTNER (auf der Grundlage der Sprechakttheorie) wirft BROCKMEIER Hegel vor, er habe die Sprache als Sprache nicht vollständig erfaßt. Es wurde schon von der Einleitungsfunktion der PhG in logische Bestimmungen gesprochen. Der letzte hier zu besprechende Autor zeigt anhand des Anfangs der 'Wissenschaft der Logik ( = WdL) diesen Zusammenhang von Phänomenologie und Logik. Dabei geht es RUDOLF W. MEYER nicht so sehr um die Nachzeichnung der historischen Entwicklung des Hegelschen Systems. Daß sich der systematische Stellenwert der PhG später veränderte, deutet MEYER nur an. (245) Sein Ziel ist ein theoretischer Vergleich der Anfänge beider Werke, und er faßt zuvor in einer Einleitung wichtige Forschungsergebnisse zur PhG zusammen. In einem zweiten Schritt spricht er über die Dialektik in der PhG. Der dritte Teü umfaßt den Anfang mit der sinnlichen Gewißheit und der letzte (umfangreichste) den Anfang mit dem reinen Sein. MEYER beschreibt die Einleitungsfunktion der PhG folgendermaßen. „Wenn also der Zusammenhang der verschiedenen Gestalten des Bewußtseins durch den Zusammenhang von logischen Kategorien konstituiert wird, dann besteht die in der ,Einleitung' thematisierte Selbstprüfung des Bewußtseins in einer Prüfung der Kategorien, mit denen es umgeht." (252) Die Aufgabe, die der sinnlichen Gewißheit dabei zukommt, besteht einmal in der Einführung des Seinsbegriffs. Zum zweiten soll die sinnliche Gewißheit zur Wahrnehmung führen, die dann das Denken des Widerspruchs ermöglicht. (255) Das reine Sein, mit dem die PhG beginnt, ist das unmittelbare Gegebensein des Diesen, zugleich ist es ein Beispiel der reinen Unmittelbarkeit. Es ist als Unmittelbarkeit ein Negatives gegenüber der Vermittlung, die unwesentlich ist. Das reine Sein wird als Wesen der sinnlichen Gewißheit bestimmt, da ja noch vieles andere, also auch Unwesentliches, beiherspielt und ebenfalls jeder Vermittlungszusammenhang für unwesentlich erklärt wird. Durch die Bestimmung des reinen Seins

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als Wesen der sinnlichen Gewißheit sieht MEYER das Mißverständnis ausgeräumt, es könne sich um die Unmittelbarkeit des Diesen handeln. „Der Gegenstand kann gar nicht als ,Dieses' gemeint sein, weil ein ,Dieses' nur ist, wo Allgemeines ist. Wäre kein Allgemeines, so könnte auch das reine Sein nicht als Sein eines je besonderen Gegenstandes ausgesagt werden. Es könnte nur noch zwischen dem reinen Sein als Wesen und dem ,beyherspielenden' Unwesentlichen unterschieden werden." (257) Somit ist der Übergang zur WdL von 1812 gegeben. Hegel bezieht sich dort explizit auf die PhG, wenn das reine Wissen, das Ergebnis der PhG, als Grund für das Sein bestimmt wird, das dann den absoluten Anfang der WdL ausmacht. (Vgl. WdL. GW 11. 33) Parallelen sieht MEYER zwischen dem subjektiven Ausruf ,Seyn' der Logik und dem Ist-sagen der sinnlichen Gewißheit, ebenso läßt sich anhand des ,Meinens' und des ,Aufzeigens' der Bezug beider Werke aufeinander hersteilen. Der Anfang ist also das reine Sein. Um alle Bestimmungen von ihm abzuhalten, sagt Hegel nur ,Sein' — ohne Prädikat und Objekt. So ist das Sein nur noch ein Ausruf und findet seine Bedeutung im Subjekt. Ebenso macht die sinnliche Gewißheit den Anfang mit dem reinen Sein und sagt von einer Sache nur, daß sie ist. Wenn Hegel über den gesunden Menschenverstand in der WdL sagt, daß er sich gegen die Einheit von Sein und Nichts zu widersetzen versucht, der Unterschied von Sein und Nichts also ein gemeinter ist, so ist der Bezug zur PhG gegeben. Hier will das Bewußtsein reines Dieses aussprechen, sagt aber schon Allgemeines und kann Einzelnes nur meinen. Der gesunde Menschenverstand will in der WdL am unmittelbar Vorhandenen festhalten, und so zeigt er die empirische Existenz auf. Das Aufzeigen dieser reflexionslosen Unmittelbarkeit bzw. der empirischen Existenz läßt sich mit dem Aufzeigen der sinnlichen Gewißheit vergleichen, das sich dann als Bewegung bzw. als Vermittlung erweist. Trotz dieser Parallelen ist festzuhalten, daß die PhG in anderer Weise vom Sein spricht als die Logik von 1812. MEYER stellt hierzu zusammenfassend fest; „Der Unterschied zwischen jenen Seinsaussagen und der sinnlichen Gewißheit besteht nun darin, daß die sinnliche Gewißheit immer das Sein von einem sinnlich gegebenen Gegenstand aussagt, so daß der Schein entsteht, die sinnliche Gewißheit würde nur ein Element der Wahrnehmung sein. Es zeigt sich aber, daß bei der sinnlichen Gewißheit der ,Gegenstand' gar nicht als ein je besonderer in Frage kommen kann. Das Meinen der sinnlichen Gewißheit ist demnach mit dem Meinen am Anfang der Seinslogik zu vergleichen, für das das Nichts das schlechthin Andere des Seins ist und aufgrund dieser Trennung ein bloß subjektives Sagen des reinen Seins darstellt." (260 f) In der zweiten Auflage der WdL von 1832 entfernt sich Hegel von der Idee der PhG und der Logik von 1812. Bezüge zu seinem frühen Hauptwerk treten nur noch im geringen Maße auf. Um zu einer genauen Beurteilung der Seinskonzeption und deren Änderung im Laufe von Hegels Denken zu kommen, wäre eine detaillierte entwicklungsgeschichtliche Analyse des Begriffes notwendig. MEYERS Text gab einen kurzen Überblick über den Systemgedanken Hegels, stellte beide Anfänge dar und zeigte dabei Hegels Rezeption der PLAXONischen Dialektik im Parmenides.

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In diesem Zusammenhang wird hier noch einmal das Sein der sinnlichen Gewißheit und das Sein am Anfang der WdL herangezogen, um den Unterschied beider (bzw. der drei) Anfänge textimmanent zu verdeutlichen. In der PhG ist auf zwei Weisen von Sein zu sprechen. Das Sein für uns, d. h. für den Philosophen, der das ganze Werk schon überschaut, wurde als Kategorie eingeführt. Das Sein ßr es ist das Sein für das Bewußtsein der sinnlichen Gewißheit, das in den Beispielen geprüft werden soll. Die sinnliche Gewißheit sagt von dem, was sie weiß, daß es ist, d. h. daß es existiert. Es handelt sich um das Sein einer Sache. Der Anfang soll die unmittelbare Beziehung von Bewußtsein und Gegenstand sein, der in einer Vielfalt steht. Schließlich wird durch die Prüfung deutlich, daß das einzelne Diese, als welches Ich und Gegenstand in der sinnlichen Gewißheit sind, nicht ausgesprochen, sondern nur gemeint werden kann. Es besteht also immer schon ein Vermittlungszusammenhang, und das Bewußtsein, das zuvor das Einzelne, Unmittelbare als seine Wahrheit glaubte, muß sich zu einer neuen Wahrheit, dem Allgemeinen umkehren. So durchläuft das Bewußtsein verschiedene Gestalten, bis es im absoluten Wissen sich wissendes Bewußtsein ist und sich Gegenstand und Begriff entsprechen. Die WdL soll ebenfalls unmittelbar anfangen. Hier stellt Hegel jedoch den Anspruch eines absoluten Anfangs. Dieser Anspruch ist in der PhG nicht gestellt. Das Bewußtsein sollte erst zu dem Punkt geführt werden, an welchem es mit logischen Bestimmungen umgehen kann. Das reine Wissen der PhG wird in der WdL also vorausgesetzt. (Dabei ist auf den Unterschied zwischen beiden „Logiken" bezüglich der Rolle der PhG sowie der Anfangsproblematik hinzu weisen). Das Sein ist in der „Logik" nicht etwas Vorgefundenes, das in den Begriff gehoben werden muß, sondern es ist bereits der Begriff, und so ist der Anfang ein Anfang des Denkens. Erst wenn Hegel von diesem reinen, abstrakten Anfang zum Dasein gekommen ist und die Begriffe „Etwas" und „Anderes" entwickelt, spricht er vom Diesen. Jetzt dient das Dieses dazu, „das als affirmativ zu nehmende Etwas zu fixieren". „Aber Dieses spricht eben es aus, daß dies Unterscheiden und Herausheben des einen Etwas ein subjektives, außerhalb des Etwas selbst fallendes Bezeichnen ist. In dieses äußerliche Monstrieren fällt die ganze Bestimmtheit; selbst der Ausdruck: Dieses enthält keinen Unterschied; alle und jede Etwas sind gerade so gut Diese, als sie auch Andere sind." (GW21. 105; in der frühen „Logik" tritt das Dieses hier nicht auf.) Auch an dieser Stelle zeigt Hegel, daß das Dieses etwas Bestimmtes nur meinen, aber nicht sagen kann, da Sprache nur Allgemeines aussprechen kann. Später nimmt Hegel in der Begriffslogik noch einmal das Monstrieren im Zusammenhang mit dem Diesen, das nur ist, sofern es monstriert wird, auf. „Das Monstrieren ist die reflektierende Bewegung, welche sich in sich zusammennimmt und die Unmittelbarkeit setzt, aber als ein sich Äußerliches." (GW 12. 52) Weil also das Monstrieren die Unmittelbarkeit als ein sich Äußerliches setzt, kann das Sein der Logik nicht monstriert werden, das widerspräche dem Änspruch des absoluten Änfangs. Äm Ende der Logik im Kapitel über die absolute Idee spricht Hegel wieder vom Änfang mit dem Sein, das die „abstrakte Beziehung auf sich selbst" ist und „keiner andern Ablei-

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tung" bedarf. Das Monstrieren ist aber schon eine Vermittlung, also mehr als ein bloßer Anfang. Außerdem ist diese eine „Erhebung der Vorstellung, des empirischen und räsonierenden Bewußtseins zu dem Standpunkte des Denkens". (Etwas später sagt Hegel aber, daß das Sein unabhängig vom Anfang aufgezeigt werden müsse um der „Realisierung des Begriffs" willen und daß „der Inhalt des Anfangs durch das Monstrieren in der innern oder äußern Wahrnehmung gerechtfertigt und als etwas Wahres oder Richtiges beglaubigt werden soll, . .." Hier ist jedoch nicht die Form, sondern der bestimmte Inhalt, d. h. die Bestimmtheit gemeint, die Hegel im folgenden näher ausführt. GW 12. 239 f) Abschließend bleibt festzuhalten, daß die WdL abstrakt und unmittelbar mit dem reinen, leeren Sein anfängt, das ein Sein des Denkens und nicht der sinnlichen Anschauung ist. Auf die Problematik der Einheit von Sein und Nichts kann hier nicht eingegangen werden. Der kurze Überblick über das Sein am Anfang der WdL diente zur Gegenüberstellung des Seins in der sinnlichen Gewißheit, wobei doch die Frage bleibt, ob sich der Metatext des Kapitels nicht auch schon auf der Ebene des Denkens bzw. des Absoluten bewegt oder bewegen muß. Die vorliegenden Arbeiten zur sinnlichen Gewißheit zeigen bereits, wie schwer Hegels Anfangskapitel der PhG auszulegen ist, da es einerseits die Anforderungen an einen Text, aus sich heraus verständlich zu sein, erfüllen muß, andererseits als Teil eines Systemganzen nicht aus seinem philosophischen (und philosophie-historischen) Zusammenhang isoliert betrachtet werden kann. Besondere Schwierigkeiten machen hierbei die Beispiele, die als Beispiele selbst überzeugen sollen, aber doch ihrer Aufgabe gerecht werden müssen, den Umgang mit den logischen Bestimmungen einzuüben. Dieser Unterschied von Metatext, der das Ganze immer schon überschaut, und phänomenologischer Prüfung des Bewußtseins in den Beispielen hält die PhG in einer schwer zu fassenden Spannung. Annette SeU (Bochum)

John O'Donohue: Person als Vermittlung. Die Dialektik von Individualität und Allgemeinheit in Hegels „Phänomenologie des Geistes". Mainz: Grünewald-Verlag 1993. 491 S. (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie. Band 4.) Mit dem Buch von O'DONOHUE erhält die Hegelforschung eine recht eigenwillige Interpretation der Phänomenologie des Geistes (= PhG), die das Werk mit einem Begriff verbindet, der von Hegel selbst nur selten und in ganz spezifischen Kontexten in der PhG verwendet wird. Bevor diese Arbeit in ihrer Argumentationsstruktur aufgezeigt wird, soll kurz skizziert werden, unter welchen Voraussetzungen sie rezipiert werden muß. O'DONOHUE versucht in seinem Ansatz zu zeigen, daß in der PhG der Begriff der Person, der in zwei traditionellen „Strömungen" (14, Anm. 8) unvermittelt

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bleibt, vermittelt wird. Einmal gilt die Person als Individualität, d. h. als etwas Festes, in-sich-Stehendes; in der Tradition findet sich diese Richtung zuerst bei BOETHIUS (unter dem Einfluß von ARISTOTELES stehend) und dann bei THOMAS VON AQUIN. Auf der anderen Seite wird die Person als Beziehung, Relation und Erscheinung gesehen. Für diese Auffassung stehen LEONTIUS VON BYZANTIUM, AUGUSTINUS (im Anschluß an die KAPPADOKIER), RICHARD VON ST. VIKTOR und DUNS SCOTus. O'DONOHUES These lautet nun, „daß in Hegels PhG ein Personbegriff als Vermittlung der Individualität und der Allgemeinheit in- und durcheinander vorliegt". (16) Unter dieser Perspektive sind demnach die folgenden Ausführungen zu lesen. Im Teil I gibt O'DONOHUE 1. einen Überblick über den Personbegriff in der heutigen Philosophie der Subjektivität. Er wählt hierzu M. THEUNISSEN, E. HUSSERL, M. BUBER, D. HENRICH und J. HEINRICHS aus. Dabei zeigt sich, daß weder THEUNISSEN, HENRICH noch HEINRICHS die Aporien des Subjektbegriffs überwunden haben und die Trennung von Individualität und Relationalität bestehen bleibt. (50) HUSSERL gelingt es nicht, Gegenständlichkeit und Subjektivität in eine vermittelnde Beziehung zueinander zu bringen. Der Andere wird nicht in seiner ursprünglichen Einheit erfahren, die Möglichkeit zur Intersubjektivität ist nicht gegeben. „Das Bewußtsein wird transzendental zur Abstraktion gereinigt." (25) Auch BUBER (mit den Augen von THEUNISSEN gelesen) hat in seiner Ich-Du-Beziehung nicht die positive Bedeutung des Du herausgestellt, somit gerät auch er in den „Konflikt zwischen Gegenständlichkeit und Subjektivität" (28) 2. stellt O'DONOHUE Hegelforscher vor, die sich um den Personbegriff bei Hegel zwar implizit bemühen, ihn so aber nicht gebührend behandeln. Das gilt sowohl für die theologischen als auch die philosophischen Wissenschaftler (L. OEING-HANHOFF, W. KERN, F. WAGNER, W. PANNENBERG, Q. LAUER, A. K. MIN, M. THEUNISSEN, E. L. FACKENHEIM, J. YERKES). Teil II stellt sich zur Aufgabe, die „implizite Begriffsfamilie" (16, 18) der Person in „Vorrede" und „Einleitung" der PhG zu zeigen, so daß ein „vor-interpretativer Umriß des Personenbegriffs in der PhG" (17, 87) gegeben ist. Dadurch daß das Personwerden dargestellt wird, erhält man nicht etwa eine weitere Lesart der PhG, sondern den „Schlüssel zu der Einzigartigkeit in Form und StU der PhG" sowie deren „Einheit" (87). Diesen „neuen Denkweg" (98) beschreitet O'DONOHUE, indem er Zitate jeweils der „Vorrede" und der „Einleitung" entlehnt, um sie mit seinem Personbegriff zu verbinden. Im einzelnen verfolgt er dieses Ziel in fünf Schritten. Zunächst werden im 3. Kapitel die Einheit der PhG und ihre Erzähltechnik herausgestellt. Hegel (der „Schriftsteller" (103)) hat mit seiner PhG einen „spannenden Erfahrungsweg" (101) beschrieben, dessen „Grundkonzept" (93) die Person ist. Kapitel 4 spricht von der „intimen Verbundenheit zwischen Personsein und Bewußtsein" (104). Schaut man auf Hegels „Einleitung" selbst, so zeigt sich die Art und Weise sowie Notwendigkeit und Ziel der Bewußtseinsgeschichte. Der Personbegriff sagt aber nichts über dieses Ziel, in die logischen Bestimmungen einzuführen, aus. Die Verbindung von Person und Bewußtsein erscheint hier willkürlich. Auch wenn O'DONOHUE im 5. Kapitel der Person die Ver-

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schiedenheit gegenüberstellt, ist über Logik und Dialektik in der PhG noch nichts gesagt. Das Anderssein, das Negative und die Innerlichkeit führen O'DONOHUE zum Geist, und die Phänomenologie in der PhG will der „Erfüllung als Selbstpräsenz der Person in der wachsenden Anwesenheit des Geistes gerecht werden." (131) Kapitel 6 zeigt die „phänomenologischen Konsequenzen dieses Geistbegriffs". (135) Die Affinität von Bewußtsein und Verschiedenheit wird in der „Rekognition" erschlossen. Der Vollzug der Rekognition ist ein Wissensvollzug und führt von einer Gestalt zur nächsten. Es bleibt fraglich, warum O'DONOHUE nicht die Begriffe „Zweifel" und „Skeptizismus" nennt, die Hegel in der „Einleitung" verwendet und in diesem Zusammenhang nicht fehlen dürfen. Im Kapitel 7 fragt O'DONOHUE nach der persönlichen Identität, da es sich um einen Werdeprozeß der Person handelt. Es bleibt dabei aber eine „personale, differenzierte Kontinuität" erhalten, die als „Memoria" (bes. 150, Anm. 15) bezeichnet wird. (145) Damit stellt sich ebenfalls die Erage nach der Zeit in der PhG (154—157). Teil III umfaßt die eigentliche, „buchstabierende" (18, 165) Interpretation der PhG. Dabei analysiert O'DONOHUE die jeweiligen Kapitel in chronologischer Reihenfolge. Daß er sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung, Kraft und Verstand unter dem Abschnitt „Bewußtsein" zusammenfaßt, zeigt bereits seine Unterbewertung dieses (logischen) Teils der PhG. Bei der Betrachtung der sinnlichen Gewißheit wird der Personbegriff von O'DONOHUE noch nichf genannt. Erst wenn in der Wahrnehmung das Bewußtsein „echte Erfahrungen" machf, tritt seine Selbsthaftigkeit hervor, und der Personbegriff wird relevanf. (179) Im Verstand kann die Vielheit erst zu einer Einheit gelangen (184), hinzu tritt die Kraft, die aus dem Verstand hervorgegangen ist (190). Sie kann aber noch nicht das Selbst des Bewußtseins thematisieren. „Hegels Personbegriff als Vermittlung zeigt an dieser negativen Erfahrung, wie die Enffaltung und Thematisierung der negativen Erfahrung, wie die Entfaltung und Thematisierung der Affinität zwischen echter Selbstheit und selbständiger Andersheit diesen Totalitätszwang verwandeln kann." (191) Dem Selbstbewußtseinskapitel widmet O'DONOHUE einen eigenen Abschnitt. Da nun der Geist auftritt, ist diese Gestalt besonders wichtig. (201) Hier wird beim Abschnitt „Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst" jedoch nicht deutlich herausgearbeitet, wie sich das Selbstbewußtsein aus dem Leben entwickelt und dann das Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußfsein ist. So gelangt O'DONOHUE ZU der Frage: „Wie konnte der Gegenstand des Selbstbewußtseins, der noch vor kurzem Leben hieß, sich dem Selbstbewußtsein nun als ein anderes Selbstbewußtsein darbieten?" Für das Personsein zeigte dieser Abschnitt, daß „die Selbstpräsenz des Selbstbewußtseins und die Anwesenheit des Geistes aufeinander verwiesene Dimensionen der einen Bewegung" sind. (208) Im Selbstbewußtseinskapitel tritt in der PhG (abgesehen von der Vorrede, GW 9, 11) das erste Mal der Personbegriff explizit auf. (GW 9, 111). Daß sich O'DONOHUE dieser Stelle nicht zuwendet, zeigt, daß er Hegels Gebrauch des Begriffes nicht zur Kenntnis nimmt. „Weil die eigene Andersheit, die des Anderen und die der Wirklichkeit nun entsprechend korrelativ fortentwickelt sind, ist die Zeit reif für den Eintritt in die Vernunft." (237) Die Gestalt der Vernunft ermöglicht, „daß die

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Anderen und die Wirklichkeit selbst nun ihrerseits als vermittlungsfähig klarer hervortreten können." (236) Die nächste Gestalt ist der Geist. „Unsere These ist, daß die vorigen Gestalten in einer inneren Kontinuität mit der Geistgestalt selbst stehen. Es wäre eigentlich zu erwarten, daß das Personsein bei seinem Sichentfalten und Sichthematisieren früher oder später eine ganz entscheidende Grundgestalt an die Oberfläche bringen würde. Als Grundgestalt ist der Geist der Grund der bisherigen Gestalten; ..." (285) Damit zeigt O'DONOHUE den Sonderstatus dieses Kapitels, in dem in der PhG die „Gestalten einer Welt" (GW 9, 240) thematisch werden. Neben der sittlichen Welt und der sittlichen Handlung behandelt Hegel im Abschnitt A. Der wahre Geist, die Sittlichkeit den „Rechtszustand". Hier findet seine eigentliche Thematisierung des Personbegriffs statt. Nach O'DONOHUE enthält er „nicht das, was unter dem Personbegriff als Vermittlung zu bezeichnen ist. Vielmehr steht er für das Gegenteil, nämlich für eine Art vereinzelter Individualität, in der die Verbindung mit der Allgemeinheit abgebrochen ist." (304 f) Hegels eigener Gebrauch dieses Begriffes steht demnach dem Personbegriff der vorliegenden Arbeit entgegengesetzt gegenüber, und deshalb wird auch nicht auf die Rechtsphilosophie (bes. § 35) verwiesen, wo die Person als „Einzelheit der Freiheit im reinen Fürsichsein" (Zusatz zu § 35) bestimmt wird. Da auch in dem Kapitel der PhG die Person in ihrer Einzelheit genannt wird, verfolgt O'DONOHUE das Personwerden als Vermittlung in den weiteren Abschnitten. Mag der sich entfremdete Geist zunächst einen Widerspruch zur Allgemeinheit vermuten lassen, so räumt O'DONOHUE diese Vorbehalte aus. Die Person hält der Negativität stand. „Deswegen kann sich das Personwerden als Vermittlung auf die tieftste, bis zum Kern der Selbstheit greifende Entfremdung einlassen, ohne befürchten zu müssen, daß es entleert oder aufgelöst wird. Diese Erfahrungsphase der Bildung als Entfremdung bringt das Personwerden in das konkrete Reich der Negativität, wo es ihm neue Herausforderungen und Verwandlungsmöglichkeiten bereitstellt." (312 f) Erst im sich selbst gewissen Geist hat das Bewußtsein den Gegensatz zwischen der Gewißheit seiner selbst und des Gegenstandes überwunden. (348 f) „Nun kann aber die Fülle der Einheit der Individualität und der Allgemeinheit ans Licht kommen." (350) Das Personsein ist somit die Vermittlung. Mit der Religion ist die letzte Gestalt in der Bewußtseinsgeschichte erreicht. „Der Geist, der jetzt zuschaut, wird sich selbst erkennen und sehen können. Er muß sich nicht mehr im Labyrinth der Erfahrung suchen." (377) Zur vollendeten Versöhnung gelangt der Geist hier aber noch nicht. Jedoch sind alle bisherigen Gestalten in der Religion enthalten und erkannt. (381) In der offenbaren Religion wird dann „die spekulative Gleichzeitigkeit des Personwerdens und der Inkarnation" (384) dargestellt. Was oben für die Rechtsphilosophie galt, zeigt sich auch im Hinblick auf die Religionsphilosophie, in welcher Hegels Personbegriff eine neue Bedeutung erhält, die von O'DONOHUE nicht einbezogen wird. Auch in der offenbaren Religion der PhG nennt Hegel die Person (GW 9, 489, 490, 492), wobei sie hier aber auf den Rechtszustand bezogen wird und von ihrer Bedeutung in der Religionsphilosophie zu unterscheiden ist. „Im absoluten Wissen hebt sich der Schleier, der über dem ganzen bisherigen Weg lag, auf. Es

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gibt keine Einzelperspektive mehr, sondern nur noch eine vermittelte Ganzheitsperspektive." (412) Somit ist das Ziel der Bewußtseinsgeschichte erreicht, und O'DONOHUE fragt am Ende seiner Interpretation, ob das „absolute Wissen der Erzfeind des Glaubens" (425) sei. Seine Antwort lautet: „Wir möchten klarstellen, daß christologisch gesehen die Inkarnation im absoluten Wissen nicht reduziert wird. Die Einmaligkeit und Allgemeinheit der Inkarnation wird nicht Ln eine abstrakte Wissensform aufgelöst. Eher im Gegenteil: Die Inkarnation als Personsein und das Personsein überhaupt ermöglichen in ihrer spekulativ entfaltenden und sich thematisierenden Gleichzeitigkeit eine ganz neue Gesamtgestalt als Vollendung des Personwerdens." (426) Der abschließende Teil IV zeigt den Nutzen der vorliegenden Interpretation für die Theologie auf und zwar im Hinblick auf die theologische Hermeneutik, die Inkarnation und die Trinität. Betrachtet man nun O'DONOHUES Argumentation im ganzen, so ist der von ihm selbst gesteckte Rahmen sicherlich konsistent. Doch ist zu fragen, ob dieser Rahmen das trifft, was Hegel intendierte. LetztUch bleibt es ein hermeneutisches Problem, wie mit einem philosophischen Werk, hier mit der PhG, umzugehen sei. Da aber gerade Hegels Werke nicht vom Systemgedanken losgelöst betrachtet werden können, muß der entwicklungsgeschichtliche Kontext in eine Interpretation mit einfließen. Das gilt im besonderen Maße für die PhG, die sich zunächst als erster Teil des Systems verstand. Vor dem Hintergrund dieses Kontextes läßt sich dann die Aktualität des Hegelschen Werkes für das gegenwärtige Denken bestimmen, anderenfalls wird die PhG der Auslegungswillkür anheimgestellt, eine Interpretation verliert somit jegliche Verbindlichkeit. Doch auch bei der textimmanenten Betrachtung weist die vorliegende Arbeit zum Teil Defizite auf. Es wird weder die Frage nach der logischen Struktur noch nach der Einheit zureichend beantwortet, so daß das Buch als sehr interessanter, der PhG aber häufig nicht gerecht werdender Versuch einer Interpretation bezeichnet werden kann. Annette SeU (Bochum)

Die Naturphilosophie im Deutschen Idealismus. Hrsg, von Karen Gloy und Peter Burger. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1993. XIV, 399 S. (Spekulation und Erfahrung. Abt. II, Bd 33.) For only a short period, around the turn of the nineteenth Century, was the philosophy of nature a Uving academic discipHne. As natural Science advanced and became ever more intricate and detailed, this effort at a speculative comprehension of nature was left behind. Indeed, even the historians of philosophy found it an embarrassment.

Over the last twenty-five years, however, it has become once again the focus of

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critical attention. This is motivated, on the one hand, by a concern to reconstitute in its full the thought of SCHELLING and Hegel, together with that of their scientific contemporaries such as JOHANN WILHELM RITTER, HENRIK STEFFENS and LORENZ OKEN. On the other hand, the recent environmental and ecological crises have raised once again the need to consider nature, not from the isolating perspectives of particular Sciences, but as a whole. Since this was the overarching concern of the philosophers of nature, a renewed encounter with their reflections may weil provide clues for a modern world faced with natural catastrophe. The second path, however, is strewn with obstacles. For the philosophy of nature cannot ignore the achievements of the natural Sciences; indeed it must incorporate them if it is to be truly comprehensive. Yet, the natural Sciences have expanded along a geometric progression since 1800. Is it, then, possible to separate out the genuinely phUosophical insights of a KANT, a SCHELLING or a Hegel in such a way that they can be transferred with profit to a quite different scientific mUieu? This question lies behind many of the papers to be found in Die Naturphilosophie im Deutschen Idealismus. Originally presented at a colloquium in 1992 designed to bring together German-speaking scholars from what had previously been East and West, these ränge from a discussion of KANT'S Critique of Judgement to HEINRICH HEINE'S Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. As might be expected, there is no uniformity of focus in this collection. Some are strictly historical; others are exegetical; stül others use the classical philosophy of nature as a basis for articulating a Contemporary perspective. Nonetheless, together they provide a useful discussion of the nature and impHcations of this Stage of German inteUectual history; and aU of them work from a fundamentally organic sense of nature as a whole. would appear to stand outside of this organic perspective, for he Privileges the constitutive role of linear causality (in that it allows measurement) over the regulative Status of organic explanation. Yet RENATE WAHSNER shows, with her discussion of the Critique of fudgement, that the mechanical world view of causal sequence is as theory-laden as the organic one. FICHTE'S focus on the transcendental subject is even less interested in nature as such. So PETER RüBEN argues that the necessity in nature is not ultimate for FICHTE, but something to be overcome through free activity. WOLFGANG JANKE develops this point further through FICHTE'S critique of ROUSSEAU, whose idealization of nature as a primitive state of innocence is inconsistent with his chaUenge to overcome the necessities of the past and achieve genuine freedom. WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK points out that, in contrast to FICHTE, SCHELLING from the beginning was concerned with the transcendental foundation of reality, not of knowledge; and how this primacy of being provides a thread that unites the various versions of SCHELLING's philosophy of nature. As a footnote to that Claim ENNO RUDOLPH suggests that LsiBNizian themes led SCHELLING to distance himself from KANT. Then CAMILLA WARNKE and REINHARD SCHULZ explore the key role that the organic plays in SCHELLING'S philosophy as a clue to Contemporary KANT

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issues. It is SCHELLING'S conception of the organic as a mediator between totality and identity, Claims WARNKE, that establishes him as the theoretician of modern scientific biology, where Classification has been replaced by a concern for System. For SCHULZ it is SCHELLING'S refusal to accept as ultimate the dichotomy into subject and object that marks him as a herald of Contemporary concerns. STEFFEN DIETZSCH, HANS-UWE LAMMEL and PETRA LENNING turn to the influence the philosophy of nature had on the culture of the day. DIETZSCH, with references to RITTER, VON BAADER and OERSTED, traces how the themes of time, seif, galvanism and Intuition intertwine in the Science of the romantic era. LAMMEL concentrates on the role the philosophy of nature played in the introductions of texts in physiology; and LENNING shows that G. T. RECHNER's effort to reconcUe exact Science with an awareness of the whole inspired by OKEN led him to introduce the Science of psycho-physics, in which subject and object are considered as one — a move which has been called the methodological breakthrough to modern experimental psychology. MANFRED BAUM and WOLFGANG NEUSER are both interested in the development of Hegel's early attempts at a philosophy of nature. BAUM concentrates on the nature of Ufe, a concept which served to integrate the Christian conception of a divine trinity with the dynamic interdependence of the parts of (for example) a tree. By focusing on the pre-1799 SCHELLING and the HEGEL of TROXLER'S notes from the lectures of 1801 (published by K. DüSING), NEUSER demonstrates how Hegel distanced himself from SCHELLING'S appeal to Intuition, by developing a recursive logic in which the identity of identity and non-identity is derived not simply apprehended. DIETER WANDSCHNEIDER'S thesis is that not only Hegel's logical concepts can be derived a priori, but also the fundamental characteristics and laws of nature. Contingency stiU remains in the need to determine particular conditions and circumstances, but in WANDSCHNEIDER'S rehabilitation of dialectical logic, it should be possible, despite Hegel's own Claims, to derive the principles of evolution. RAINER LAMBRECHT reconstructs time's meaning as the temporahty of universal interrelationships, to show not only that Hegel's own analysis of time, by abstracting from universal interrelationships, falsifies time's real nature, but also that the Science of Logic, a disdpline that is supposed to be atemporal, is nonetheless conditioned by the temporal phases that thinking must pass through. KAREN GLOY completes the quintet of essays on Hegel by using Hegel's adoption of GOETHE'S theory of colours as a test case for the relation between natural Science and the philosophy of nature. The latter is concerned with nature as it is experienced and observed, not nature as pushed and pulled into the procrustean bed of controUed experiments; it does not explain by reducing a phenomenon to its abstract components; and it does not simply reflect on a diversity and assemble it into a general framework, but conceives the way parts are to be distinguished and interrelated. Ultimately, however, the philosophy of nature cannot advance without reference to Science, for its task involves nothing

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more than using its sense of conceptual structure to take the results of scientific investigation and scientific laws and determine their implicit rational structure. The volume concludes with an essay by MANFRED ZAHN about HEINRICH HEINE'S dialectical reading of German intellectual history, in which he identifies the philosophy of nature as the key, not only to a new pantheistic religion, but also to a potential pohtical revolution. Insights into the roots of the philosophy of nature in LEIBNIZ, ROUSSEAU, KANT and FICHTE, detailed analyses of SCHELLING'S and Hegels development, perspectives on the way the philosophy of nature left its mark on galvanism, physiology, experimental psychology and even HEINE'S revolutionary theory, all contribute to a more nuanced understanding of this period of phüosophical history. More intriguing, however, are the suggestions for what it might say to our own day: the need for Sciences to be aware of the theoretical framework that governs their continuous elaboration; the chaUenge to think about nature, not as an object to be analyzed, but as a co-partner in a comprehensive, living, developmental history; the demands of a phüosophical sense of theory construction that can take the results of scientific investigation and fit them into a coherent, conceptual understanding of nature. Both to intellectual history and to Contemporary concerns, then, this volume has significant contributions to make. John W. Burbidge (Peterborough, Ontario)

Christoph Friedrich von Pfleiderer: Physik. Naturlehre nach Klügel. Nachschrift einer Tübinger Vorlesung von 1804. Hrsg. u. mit einer Einleitung versehen von Paul Ziehe. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1994. 525 S. (Spekulation und Erfahrung. Abt. I, Bd 6.) Es handelt sich bei der vorliegenden Ausgabe um die Nachschrift einer Vorlesung CHRISTOPH FRIEDRICH VON PFLEIDERERS aus dem Jahre 1804, die dieser — wie damals üblich — nach dem Lehrbuch eines anderen Autors hielt. Wie der Herausgeber PAUL ZICHE in seiner informierenden Einleitung deutlich macht, ist die Nachschrift nicht nur deshalb von Interesse, weU sie Einblick in den Stand der Lehrbuch-Physik Ende des 18. Jahrhunderts gibt, sondern vor allem aufgrund der Person PFLEIDERERS, der als Professor der Physik und Mathematik an der Universität Tübingen Lehrer der ,Stiftler' Hegel, HöLDERUN und SCHELLING war. Obwohl diese für ihr Magisterexamen in PhUosophie weder eine Dissertation PFLEIDERERS zur Verteidigung noch sogenannte Specimina aus dem Gebiet der Mathematik und Physik zur eigenen Ausarbeitung wählten, waren sie verpflichtet, bei PFLEIDERER Vorlesungen in Mathematik und Physik zu hören, sich in diesen Fächern prüfen zu lassen und für das Magisterexamen Inauguralthesen PFLEIDERERS zu verteidigen. Die Nachschrift spiegelt durchaus noch den Stoff wider, den Hegel und HöLDERLIN 1790, SCHELLING 1792 für ihre Prüfungen präparieren mußten.

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legte seit 1792/93 seinen Vorlesungen G. S. Klügel: Anfangsgründe der Naturlehre (1792) zugrunde, zuvor las er nach IV. /. G. Karsten: Anfangsgründe der Naturlehre (1780). PFLEIDERERS Umgruppierung des durch KLüGEL vorgegebenen Lehrstoffs zeigt, daß er sich weiterhin an dem Lehrbuch von KARSTEN orientierte. PFLEIDERER studierte bei G.-L. LESAGE in Genf, der eine atomistische Physik vertrat. LESAGE veröffentlichte wenig, seine Arbeiten wurden mehr durch seine Schüler J. A. DELUC (Erforschung der Elektrizität und meteorologischer Erscheinungen) und P. PREVOST (Erforschung des Magnetismus) bekannt. PFLEIDERER führte einen umfangreichen Briefwechsel mit LESAGE, in dem dieser von PFLEIDERER u. a. über KANTS dynamische Naturphilosophie unterrichtet wurde, mit der sich LESAGE und PFLEIDERER nicht anfreunden konnten. Es liegt nahe anzunehmen, daß PFLEIDERER seine Studenten über LESAGES Physik informierte. Sowohl für ScHELLiNG als auch für Hegel war LESAGES Atomismus eine wichtige Gegenposition zu KANTS dynamischer Naturphilosophie, die sie in modifizierter Form übernahmen. PFLEIDERERS eigene Veröffentlichungen betrafen ausschließlich mathematische Themen, besonders der EuKLiDischen Geometrie. PFLEIDERER galt als einer der führenden EuKLiD-Kommentatoren seiner Zeit. Sein Hang zum Historisch-Philologischen dokumentiert seine umfangreiche Bibliothek, in der sich 38 EUKLID-Ausgaben befanden. Sein Interesse richtete sich jedoch nicht nur auf die Mathematik-, sondern auch auf die Physikgeschichte, wie die in seiner Bibliothek befindlichen ca. 1 500 Werke aus den verschiedensten naturwissenschaftlichen Disziplinen beweisen. i PFLEIDERERS Interesse für die griechische Mathematik hinderte ihn nicht daran, sich auch mit der modernen Infinitesimalrechnung auseinanderzusetzen (TAYLOR, EULER, LAGRANGE). Er kritisierte sie jedoch, weil sie mit einem ungenauen Begriff des Unendlichkleinen operiere. Die vorliegende Nachschrift reflektiert die genannten Optionen PFLEIDERERS. Unter Physik versteht er eine Wissenschaft, die „mit der möglichst genauen Kenntniß der natürlichen Erscheinungen" (59) beschäftigt ist. Gegenüber abstrakter Theoriebildung bevorzugt er die Strenge der Mathematik und Orientierung am Experiment. Er sichert die physikalischen Zusammenhänge über identische mathematische Strukturen, nicht durch apriorische Überlegungen. Dieser stärkere Rekurs auf mathematische Strukturzusammenhänge unterscheidet seine Darstellung von den Naturlehren KARSTENS und KLüGELS. Allerdings handelt es sich größtenteils um die von ihm bevorzugte EuKLiDische Mathematik, mit deren Hüfe er die physikalischen Gebiete in axiomatischer Weise zu erfassen sucht. In seinen axiomatischen Bemühungen stellt er die Hebelgesetze vor die Anwendung der Bewegungsgesetze, wodurch deutlich werden soU, daß die Hebelgesetze strukturgleich mit den Gesetzen der Kräftezerlegung und den Stoßgesetzen sind; auch PFLEIDERER

1 Vgl. M. Durner: Die Naturphilosophie im 18. Jahrhundert und der naturwissenschaftliche Unterricht in Tübingen. Zu den Quellen von ScheUings Naturphilosophie. In: Archiv für Geschichte der Philosophie. 73 (1991), 90.

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die Pendelbewegung wird formal dem Hebel angeglichen (vgl. 92 ff, 184, 29). Übrigens zeigt diese Umstellung, daß PFLEIDERER nach wie vor, auch 1804, sich an der Naturlehre von KARSTEN orientiert. Es ist nicht verwunderlich, daß er als Schüler von LESAGE sich gegen die dynamische Naturphilosophie (KANT) richtet (vgl. 90). In der thematischen Auswahl des Lehrstoffs steht PFLEIDERERS Vorlesung im ganzen KARSTENS Lehrbuch näher als KLüGELS. Das Schwergewicht der Vorlesung liegt auf Mechanik, Hydromechanik, Aerodynamik. In seinen Ausführungen zur Chemie beschränkt sich PFLEIDERER auf eine Illustration des KLüGELschen Lehrstoffs durch historische Daten. Die spekulativen Fragen nach der Existenz eines Wärmestoffs und Lichtäthers werden nicht diskutiert, ebenso vermeidet PFLEIDERER eine Stellungnahme zu der zeitgenössischen Auseinandersetzung zwischen phlogistischer und antiphlogistischer Chemie. Die Nachschrift trägt den Titel: Physik v. Pfleiderer. nebst einem Anhang v. 72 Seiten. Pfleiderers eigne Aufsätze enthaltend. Nachschrift von Gottlieb Friedr. Hartmann, c. 1804 und befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Tübingen. Die Nachschrift besteht aus heterogenen Quellen, sie enthält eine Einleitung, 307 Seiten Text, unzusammenhängende Textteile sowie einen Anhang, der eine vertiefte mathematische Behandlung einiger Fragen des Haupttextes gibt. Die unzusammenhängenden Textteile enthalten u. a. bloße Exzerpte und Nebenrechnungen und werden in der vorliegenden Ausgabe nur auswahlweise wiedergegeben. Es ist nicht klar ersichtlich, ob die Nachschrift einen vollständigen zweisemestrigen Vorlesungszyklus wiedergibt. Der Nachschreiber benutzte auch Manuskripte, die PFLEIDERER dem Nachschreiber zur Verfügung stellte. Im Text wird einmal ein Manuskript mit Zusätzen aus PFLEIDERERS mündlichem Vortrag angeführt (vgl. 103-108, 24). Die sorgfältige Edition der Nachschrift durch P. ZICHE wird von erklärenden Anmerkungen und Nachweisen der literarischen Bezugnahmen des Vorlesungstextes begleitet. Im Anhang des Herausgebers werden die zitierten EuKLiD-Paragraphen nachgewiesen, mathematische und chemische Symbole sowie damals gebräuchliche Maßeinheiten auf gelistet, ferner wird die für die Vorlesung relevante Literatur aufgeführt. Ein Sach- und Personenregister tragen zur Benutzerfreundlichkeit der Ausgabe bei. Seiner ausführlichen Einleitung fügt der Herausgeber ein Verzeichnis der unter PFLEIDERER angefertigten Dissertationen und Specimina bei, ferner ein Verzeichnis der Schriften PFLEIDERERS und eine Bibliographie der in der Einleitung des Herausgebers zitierten Literatur. Die Nachschrift dürfte sowohl für die SCHELLING- als auch für die Hegel-Forschung von Interesse sein. Es wird deutlich, daß beide Naturphilosophen im Tübinger Stift einen durchaus gediegenen Unterricht in Mathematik und den Naturwissenschaften genossen haben, den sie aber u. a. unter dem Einfluß der dynamischen Naturphilosophie KANTS nicht immer genügend zu würdigen wußten. Beide lehnen LESAGES Atomistik ab, die sie sehr wahrscheinlich im Unterricht PFLEIDERERS kennengelernt haben. Hegel ist dem mathematischen Ansatz PFLEIDERERS mehr verpflichtet als SCHELLESIG. PFLEIDERERS Einfluß scheint in Hegels Kritik

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an dem Umgang mit dem unscharfen Begriff des Unendlichkleinen in der zeitgenössischen Mathematik nachzuwirken.2 Manche Mathematiker und manche mathematische Theorie könnten Hegel durch PFLEIDERER zur Kenntnis gebracht worden sein (vgl. 12 f). Auch auf Hegels Mechanik wäre ein Einfluß PFLEIDERERS denkbar. In Hegels Habilitationsschrift De orbitis planetarum (1801) spielen die Hebelgesetze eine entscheidende Rolle. Hier wird allerdings auch deutlich, daß Hegel mehr unter dem Einfluß der durch KANT initiierten und dann von SCHELLING spekulativ ausgearbeiteten Naturphilosophie steht. Hegel hätte seine fehlerhafte Darstellung der Pendelbewegung am Äquator vermeiden können, wenn er die korrekten Ausführungen PFLEIDERERS ZU diesem Thema erinnert hätte.^ Hegels unkorrekte Bezeichnung der tangentialen Trägheitsbewegung eines rotierenden Körpers als Zentrifugalkraft findet sich allerdings auch bei PFLEIDERER (vgl. 196). Daß dessen Unterricht für Hegel nicht ganz bedeutungslos war, legt auch die Tatsache nahe, daß sich in Hegels Bibliothek Dissertationen PFLEIDERERS befanden (vgl. 33). Wolfgang Bonsiepen (Bochum)

Thomas Petersen: Subjektivität und Politik. Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts" als Reformuliemng des „Contrat Social" Rousseaus. Frankfurt/M.: Hain 1992. 226 S. Die vorliegende Untersuchung interpretiert Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts als „Reformuliemng" der gmndlegenden Thesen des Contrat Social ROUSSEAUS. Auf den ersten Blick scheinen diese beiden Konzeptionen zur politischen Philosophie unvereinbar zu sein: ROUSSEAUS Begriff der Volkssouveränität, die aus der volonte generale resultiert, widerstrebt jeder institutioneilen Verfestigung. Für Hegel dagegen hat der allgemeine Wüle seine Wirklichkeit in der Person des Monarchen, der an der Spitze eines auf Gewaltenteilung begründeten Staates steht. Tatsächlich, so die These des Autors, überwiegten jedoch die Gemeinsamkeiten zwischen den Grundlinien und dem Contrat Social, da in beiden Subjektivität und Politik so aufeinander bezogen seien, daß nichf nur die Subjektivität konstitutives Moment der Politik ist, sondern auch darin erst ihre Verwirklichung findet. Für beide, Hegel und ROUSSEAU, ist der Staat als allgemeiner Wille oder volonte generale die Gestalt und Wirklichkeit des einzelnen Willens und mit diesem identisch. 2 Vgl. G. W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832). Hrsg, von F. Hogemann u. W. Jaeschke. Hamburg 1985. (Gesammelte Werke. Bd 21.) 236 ff. 3 Vgl. G. W. F. Hegel: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen. Übersetzt, eingeleitet u. kommentiert von W. Neuser. Weinheim 1986. 107 f, 154.

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Contrat Social vermag die Identität von einzelnem und allgemeinem Willen nur dadurch zu erreichen, daß er die volonte particuhere des bourgeois und mit ihr den Interessenantagonismus der modernen bürgerlichen Gesellschaft diskredihert. Denn die bürgerliche Gesellschaft bringe, indem der bourgeois seinen Interessen nachgeht, nur scheinbar die Freiheit des besonderen Willens hervor. Tatsächlich führt der Prozeß von Produktion, Distribution und Konsumtion zu einer wechselseitigen Abhängigkeit. Dem korrumpierten Bewußtsein des bourgeois setzt ROUSSEAU die Tugend eines dem allgemeinen Willen lebenden citoyen gegenüber, denn nur im öffentlichen Leben sei wirkliche Freiheit möglich. Der citoyen beginnt nun jedoch seinerseits über die tugendhafte Gesinnung der Bürger zu wachen und das Aufkommen eines nicht mit der volonte generale übereinstimmenden Sonderwillens zu unterbinden. (37) Die volonte generale behauptet ihr Recht (denn sie kann nicht irren) gegen das Recht des besonderen Willens. Durch die Bestimmungslosigkeit der differenten Momente wird so gerade jener Freiheitsbegriff unterminiert, auf dem nach ROUSSEAU ein modernes politisches Gemeinwesen beruhen soll. (37) Die Subjektivität bleibe „formal", weil sie die volonte particuhere aus sich „ausschließt und ächtet". (51) Hegel anerkennt die Wichtigkeit der Identität des einzelnen mit dem allgemeinen Willen, wendet jedoch gegen ROUSSEAU ein, daß diese Identität keine unmittelbare, auf Tugend und Gesinnung beruhende, sein kann, sondern aus der bestimmten Differenz vermittelt hervorgehen muß. Diese Vermittlung geschieht in „einem von den staatlichen Institutionen getragenen Prozeß". (15) Den Aporien der ROUSSEAUschen Konzeption, daß das aus der Tugend der einzelnen hervorgehende Allgemeine schließlich in den Wächter der Tugend und damit in den Terror der Tugend umschlägt und somit das Gute gerade in sein Gegenteil verkehrt, entgeht Hegel dadurch, daß er den besonderen und den aUgemeinen Willen zunächst bestimmt. Für Hegel ist der Wüle ein sowohl praktisches als auch theoretisches Vermögen. Als theoretisches Vermögen beurteilt der Wüle eine Handlung, bevor er sie in die Tat umsetzt. Im Kapitel „Moralität" der Grundlinien sind die Formen der Beurteilung Vorsatz, Absicht und Gewissen, denen als objektives Allgemeines die Schuld, das Wohl und das Gute gegenüberstehen. Der Wüle wird praktisch dadurch, daß er den bestimmten Inhalt seines WoUens in der Handlung in die Tat umsetzt. In der Handlung vermittelt sich der besondere Wüle auf einer je bestimmten Stufe mit dem allgemeinen Wülen. Der besondere Wille bringt den allgemeinen Wülen durch sich und sich durch das Allgemeine hervor. Bereits diese abbrevüerte DarsteUung des Kapitels „Moralität" läßt erkennen, daß Hegel mit einem gänzlich anderen und neuen Theorietypus, und zwar der dialektischen Methode, arbeitet, über die ROUSSEAU nicht verfügt. In methodischer Hinsicht haben ROUSSEAUS und Hegels Konzeption daher nichts gemeinsam. Inhaltlich scheinen sich die Grundlinien und der Contrat Social jedoch ebenso konträr gegenüberzustehen. Während für ROUSSEAU der Gesellschaftsvertrag zwar zunächst aus den Willen der einzelnen hervorgeht, dann jedoch, im Gegensatz zu HOBBES und LOCKES Konzeption, keine institutionelle Festigkeit annimmt. ROUSSEAUS

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verwirft Hegel die Vorstellung, daß der Staat auf einem Vertrag beruhen soUe. Für Hegel ist der Vertrag die Form der Übereinkunft der einzelnen Willen in der bürgerlichen Gesellschaft. Der Staat geht jedoch für Hegel nicht aus einer volonte des tous hervor. Er ist weder ein natürlich gewachsenes, noch ein artifiziell hervorgebrachtes, sondern ein historisch gewordenes Gebilde. Es steht dem einzelnen bei der Geburt nicht frei, Bürger dieses oder jenes Staates zu sein. Er wächst in einer bestimmten Kultur zum Bürger eben dieses Staates heran. Daher umfaßt der Staat für Hegel auch nicht nur die politischen Institutionen im engeren Sinne, wie die Gewaltenteilung, sondern dirimiert sich unter dem Begriff der Sittlichkeit in das vereinzelte Allgemeine, die Familie, das besondere Allgemeine, die bürgerliche Gesellschaft, und das wahrhaft Allgemeine, den Staat. Der Autor faßt, Hegels Begriffslogik folgend, den Staat als ein „System von Schlüssen" auf. (98 ff) Ein derart differenziertes Allgemeines der Grundlinien zeigt wenig Ähnhchkeit mit Rousseaus Gesellschaftsvertrag. ROUSSEAUS Begriff der politischen Gemeinschaft scheitert nicht zuletzt an einer begrifflichen Konfusion. Für ROUSSEAU wie für Hegel ist der Staat „Selbstzweck". (22) ROUSSEAU will die Interessengegensätze der bürgerlichen Gesellschaft aus dem wahrhaft allgemeinen Willen, der sich als Volkssouveränität manifestiert, ausschließen, begründet aber diese volonte generale auf einem Begriff aus eben dieser bürgerlichen Gesellschaft, nämlich dem Vertragsverhältnis. Und im Vertragsverhältnis ist das Allgemeine eben nur Mittel zum Zweck. So oblag es der politischen Philosophie Hegels, eine Differenzierung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat vorzunehmen, ohne jene aus diesem auszuschließen. In der Differenzierung des Staates in die einzelnen Gewalten sieht der Autor der vorliegenden Arbeit eine „angemessene Theorie des modernen gewaltenteilenden Verfassungsstaates" (12, 13) und unterzieht Hegels Theorie der Gewaltenteilung auch einer eingehenden Analyse. Andererseits ist Hegels politische Philosophie gerade ob ihres „InstitutionaUsmus" mit der Theorie der freien „Selbstbestimmung praktischer Vernunft und politischer Freiheit" als unvereinbar angesehen worden. (24) Ihre Inaktualität und Unvereinbarkeit mit der modernen demokratischen Gesellschaft wird vor allem in Hegels Konzeption der Erbmonarchie gesehen. Während sich eine konstitutionelle Monarchie durchaus mit einer demokratischen Gesellschaft vereinbaren läßt, zeigt Hegels Konzept der Erbmonarchie gerade jenen Mangel seines gesamten Systems, in dem der Geist auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung in Natur regrediert. Und so regredieren die einzelnen Staaten, statt sich, wie bereits KANT es vorgeschlagen hatte und wie auch die tatsächliche politische Entwicklung verlaufen ist, in einem Staatenbund, einer Union, zusammenzuschließen, in den Kriegszustand. Statt diesen grundlegenden Mangel der Hegelschen Dialektik aufzuzeigen, folgt der Autor Hegels Argument für die Erbmonarchie (151) und sieht in der Monarchie die Volkssouveränität besser verwirklicht als in der Repräsentativverfassung, da das Volk als Wähler eventuell seine Souveränität aufgebe. (155)

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Die große Differenz zwischen Hegel und ROUSSEAU, die gerade die Aktualität der politischen Philosophie Hegels als einer Theorie der Moderne ausmacht, sieht der Autor darin, daß für Hegel die Kraft des modernen Staates darin liegt, worin ROUSSEAU nur seine „tödliche Schwäche" sah: „das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten". (Rph §260) Diese Dialektik vollzieht sich im Übergang von der bürgerlichen Gesellschaft in den Staat. Der Autor zeigt überzeugend, wie die bloß formale Subjektivität des Contrat Social in den Grundlinien ihre Wirklichkeit gewinnt und das politische Leben bestimmt, ohne den Staat zum Mittel ihrer Privatinteressen zu degradieren, ln diesem Sinne ist die Interpretation der Grundlinien als einer Reformuüerung des Contrat Social als ein gelungenes Unterfangen anzusehen. Angela Requate (Bergen)

Michael Quante: Hegels Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1993. 262 S. (Spekulation und Erfahrung. Abt. II, Bd32.) Die Arbeit von MICHAEL QUANTE versucht, Hegels Handlungsbegriff im Moralitätskapitel der Grundlinien der Philosophie des Rechts unter Rückgriff auf Begrifflichkeit und Problemstellungen der analytische Handlungstheorie zu interpretieren. Aufbau und Argumentation dieses Kapitels ließen sich konsistent als Elemente einer Handlungstheorie interpretieren. Der Einleitungsabschnitt des Moralitätskapitels liefere Hegels Analyse der für die Handlungstheorie wichtigen Begriffe Absichtlichkeit, Entscheidungsfreiheit und Zweckrealisierung. Absichtliches Handeln könne nach Hegel als ein Ereignis interpretiert werden, für das eine Beschreibung möglich sei, die wesentlich auf eine Überzeugung des Handelnden rekurriere, der sein Tun zum Zeitpunkt des Tuns als Realisierung eines frei gewählten Zwecks verstehe. Im zweiten Teil der Arbeit analysiert QUANTE Hegels Unterscheidung von Tat und Handlung einerseits, Vorsatz und Absicht andererseits. Mit der Unterscheidung von Tat und Handlung versuche Hegel zugleich den Unterschied zwischen einem Ereignis und seiner Beschreibung wie den zweier Beschreibungsarten einzufangen. Wenn auch nicht explizit, so zeige Hegel doch der Sache nach, daß Handlungsereignisse qua Ereignisse in Kausalrelationen stünden und nur in bestimmten Beschreibungen als Handlungen erfaßt und den Handelnden zugerechnet werden könnten. Diese spezifische Beschreibung sei diejenige, unter der das Tun des Handelnden absichtlich sei. Da diese Beschreibung auf eine bestimmte Handlungsüberzeugung des Handelnden rekurrieren müsse, bestimme Hegel die Absichtlichkeit des Handelns als kognitive Größe. Für die Analyse der Zurechenbarkeit

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sei der von Hegel gemachte Unterschied zwischen Vorsatz und Absicht nicht weiter relevant, da ihnen gemeinsam sei, vom Handelnden zum Zeitpuntk der Handlung gewußt zu werden. Zugerechnet würden nicht nur die gewollten Handlungsfolgen, um deren willen der Handelnde sein Tun ausgeführt habe, sondern auch die gewußten und in Kauf genommenen. Der Unterschied von Vorsatz und Absicht betreffe vielmehr die voluntative Komponente des Handelns. Absichten seien solche Zwecke, in denen der Handelnde sein Tun im Kontext einer Zweck-Mittel-Rationalität sehe und beträfen die Fähigkeit des Handelnden, sein Tun mittels der Relationen um zu, dadurch daß oder indem zu beschreiben. Es ist sicher ein Verdienst dieser Arbeit, auf Hegels Handlungsbegriff und seine Differenziertheit als ein Desiderat der Hegelforschung hinzuweisen. Zu bezweifeln ist jedoch, daß Begriffe und Konzepte der analytischen Handlungstheorie geeignete Mittel zur Interpretation des Hegelschen Handlungsbegriffs bereitstellen. Da nach Hegels Metaphysik die eigentlichen Sachverhalte nicht die empirischen Phänomene, sondern die ihnen zugrunde liegenden Begriffe sind, ist sicherlich keine Interpretation seines Handlungsbegriffes möglich, nach der Handlungen nicht per se, sondern erst aufgrund einer bestimmten Beschreibung als Handlungen konstituiert werden, m. a. W. Interpretationskonstrukte sind. Ebensowenig wird die von QUANTE im Schlußteil skizzierte Interpretation des Leib-Seele-Problems — Hegel verwende in der Natur- und Geistesphilosophie zwei verschiedene Beschreibungssprachen, zwischen denen keine nomologische Korrelation bestehe — Hegels teleologisch konzipierten Begriff der Seele als substantielle Form, die sich den Leib als Stoff zu ihrer Zwecksetzung dienstbar macht, gerecht. Obwohl vom Verfasser selbst häufiger betont, wird in der Interpretation nicht berücksichtigt, daß Hegels Handlungsbegriff innerhalb seiner Rechts- und Moralphilosophie entwickelt wird. Hegel will keine Handlungstheorie im modernen Sinne liefern, sondern ihm geht es primär um rechtliche und moralische Ansprüche und Verpflichtungen, für die dann selbstverständlich auch Fragen der Zurechenbarkeit von Handlungen wichtig werden. Aus diesen Kontext ergeben sich einige Problemstellungen, die dem Autor nicht nur entgehen, sondern gewaltsam in das Paradigma der analytischen Handlungstheorie gepreßt werden. Nach Hegels Ausführungen ist als Handlung nur solches Tun relevant, daß eine Beziehung auf moralische Ansprüche und Verpflichtungen (in Hegels Terminologie auf ein Sollen oder eine Forderung (vgl. §§ 108, 111, 113) und auf den Willen anderer hat (vgl. §§ 112 f). Diese Ausführungen haben nicht das Geringste damit zu tun, daß es für gelungene Handlungen eine Beschreibung aus der Perspektive des Handelnden geben müsse, deren explizite Einlösung das Verstehen und die Akzeptanz anderer Subjekte erfordere (wie QUANTE die §§ 112 f interpretiert). Beliebte Beispiele der modernen Handlungstheorie, wie etwa das Öffnen eines Fensters oder das Heben der Hand sind für Hegels Handlungsbegriff deshalb irrelevant. Im Rahmen einer Moralphilosophie muß selbstverständlich auch nach der Berechtigung der Verfolgung des eigenen Nutzens (in Hegels Terminologie des Wohls) und nach der Beziehung auf das Wohl aller oder das Allgemeinwohl ge-

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fragt werden. Für Hegels Handlungsbegriff ist daher — wie oben ausgeführt — die Beziehung auf moralische Ansprüche und Forderungen konstitutiv. Die die Interpretation diesen Teils von Hegels Moralitätskapitel leitende These QUANTES Hegels Handlungsbegriff sei so konzipiert, daß er neutral gegenüber der Frage sei, ob der Handelnde eine moralische Einstellung habe (vgl. dazu Kap. 5 der Arbeit), geht daher an Hegels Problemstellung völlig vorbei. Franz Hespe (Marburg)

Lino Rizzi: Eticitä e stato in Hegel [Sittlichkeit und Staat bei Hegel]. Milano: Mursia 1993. 362 S. Rizzis Arbeit verfolgt die Absicht, drei Erfordernisse aufzuzeigen, von denen Hegel bei der Erarbeitung seiner Vorstellung von Sittlichkeit ausgeht. Das erste findet sich in den Jugendschriften, bei der Liebes- und der Anerkennungslehre; das zweite in der Kritik zur Straf- und zur modernen Vertragstheorie; das dritte in der Realisation der Gesellschaftsformen und des Staates in den Grundlinien. Der Interpretationsansatz, auf dem die Arbeit Rizzis basiert, scheint höchste Ansprüche zu verwirklichen: Rizzi bezeichnet als „kategoriale Rekonstruktion" (9) diejenige Auffassung der praktischen Philosophie und der Rechtsphilosophie Hegels, die sich nicht auf die Reproduktion einzelner bestimmte Perioden der intellektuellen Entwicklung des Philosophen betreffender Doktrinen beschränkt, sondern versucht, diesen die Form eines Gesamtvorschlages zu verleihen. — Eine umfassende Interpretation kann sich nur derartige Ziele setzen; und man muß daher RIZZI in seiner Behauptung Recht geben, daß sich paradoxerweise „die meisten erläuternden Werke über die Veröffentlichungen Hegels auf die Interpretation autographischer Schriften beziehen, die aber nicht publiziert wurden" (10), sofern man sich nur auf die Texte zur Rechtsphilosophie beschränkt. Die Arbeit von RIZZI ist reich an exzellenten Dokumentationen und interpretativer Stärke. Statt den Inhalt zusammenzufassen, ziehe ich es vor, einige Aspekte anzuführen, in denen sich die Interpretationsweise des Autors widerspiegelt und die meiner Ansicht nach eher mit dem Geist der Hegelschen Philosophie übereinstimmen als mit den Texten und den besonderen Lehren. Was die Hegelsche Arbeitslehre betrifft, so gelingt es RIZZI, deren Besonderheit geschickt in Verbindung zu bringen mit den bedeutendsten vorausgegangenen Theorien. Insgesamt gesehen betont er zu Recht, daß man entwicklungsgeschichtlich zwei Phasen in der Ausformung der Hegelschen Arbeitslehre unterscheiden muß: In den Jenaer Schriften scheint Hegel die Arbeits- und Aneignungshandlung einander gleichzusetzen, während in den Grundlinien die Arbeit als „formgebend" gesehen wird und Folge der Aneignung ist (246); darüber hinaus legitimiert die Arbeit zwar die Aneignung, nicht aber das Eigentum (249). Infolgedessen stellt RIZZI das Aufkommen der ethischen Dimension der Arbeit dar.

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Diese unterscheidet sich einerseits von der LuTHERischen Asketik, andererseits vom SMiTHschen Utilitarismus (238): Der Autor nähert die Hegelsche Theorie derjenigen LOCKES „vom Wert des Subjekts und nicht von dessen Marktwert" (247) an. Es ist notwendig, eine „ethische Gratifikation" hervorzuheben, die die unmittelbare „wirtschaftliche Zweckmäßigkeit" überwindet, um die Gefahr zu vermeiden, daß in der modernen Gesellschaft diejenigen Bedingungen wieder auf treten können, die in der antiken Gesellschaft dem Individuum keine Möglichkeit boten, seine Persönlichkeit zu entfalten (256). Die Arbeit als zum Wesen der Person gehörig ist laut Rizzi die Verpflichtung des Subjekts gegenüber dem Kollektiv. Dies beinhaltet in höchstem Grad nicht nur die ethische Komponente, sondern auch den Pflichtgedanken, der das Individuum an das Kollektiv bindet, und den Ursprung der MoraUtätsform: „Hegel nimmt die Idee der Pflicht eines jeden gegenüber dem anderen, insofern er Mitglied des ethischen Körpers ist, als integratives Prinzip an, sei es aus Mangel an Anerkennung, dem Vertrag innewohnend, sei es aus einem Übermaß an Anerkennung durch die brufliche Stellung als „Privileg" eines besonderen Mitglieds der Gesellschaft". „Daß der Ursprung der Verpflichtung im Bewußtsein der Pflicht zwischen Individuum und Gemeinschaft liege, wird in ethischer Hinsicht durch die organische Verteilung der Arbeit gerechtfertigt, wobei man sich selbst nicht zum , Opfer' veranlaßt fühlt, auf die ökonomische Rechtfertigung zu verzichten" (257). An dieser Stelle scheint der Autor sowohl in der Überbewertung der Arbeitsethik, die selbstverständlich auch bei Hegel erwähnt ist, als auch in der Individualisierung des ürsprungs der Verpflichtung, die sich aus dem Band ergibt, das die Arbeit zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv der Stände oder der beruflichen Sparten zieht mit WEBERSchen Einflüssen (WEBER wird auf Seite 260 explizit zitiert) zu übertreiben. Nach der Interpretation Rizzis müßte man annehmen, daß die Verpflichtungslehre tout court aus der ,Ethiklehre der Verpflichtung' (Grundlinien. § 148 A) ableitbar sei; dies trifft unter der Bedingung zu, daß das Element des Seins der ethischen Verpflichtung nicht das Element der Tätigkeit der moralischen Verpflichtung verliert — die moralische Dimension der Verpflichtung ist in den Grundlinien § 133 ff formuliert —, die die Handlung erklärbar macht. Im Kontext der Wertschätzung des ethischen Elements der Arbeit im Zusammenhalt der Stände verleiht Rizzi den Korporationen eine Bedeutung als Vermittlungsinstanz zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat, obwohl Hegel den Korporationen selbst wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Man kann RIZZI hier nur beipflichten sowohl in bezug auf die historische Rolle, die die Stände in der deutschen Verfassung spielten, als auch in bezug auf den Einfluß, den diese in den Hegelschen Schriften auf die Verfassung Deutschlands hatten: Die Korporationen im Zusammenhang mit dem Problem der Stände spielten eine bedeutende Rolle für die Anfänge der ersten rechtlichen und politischen Interessen Hegels. Nach Hegel (Grundlinien § 255) ist die Korporation die „zweite ethische Wurzel des Staates"; in der Interpretation Rizzis ist sie „die Wiederherstellung der freiheitlichen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft" (261), der es gelingt, das natürliche Ergebnis des ökonomischen Individualismus der bürgerlichen Ge-

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Seilschaft — Utilitarismus und Verarmung — durch die politische Integration der Mitglieder der Arbeitsgesellschaft zu unterbinden. Mit anderen Worten: Die Korporation ermöglicht es, in den Prozeß der ökonomischen Vereinigung ein institutionelles Prinzip einzusetzen. Fehlte der bürgerlichen Gesellschaft ein solcher Ausgleich, so würde die institutioneile und rechtliche Sphäre beständig von der ökonomischen divergieren — nicht anders als in den Abhandlungen zur politischen Ökonomie, die Hegel gelesen hatte. Laut Rizzi besteht der Unterschied zwischen Hegel und SMITH bezüglich der Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft in der Tatsache, daß diese bei Hegel auf den Ständestaat hinausläuft: Das Ende stellt die Rückkehr des Ethos in die bürgerliche Gesellschaft dar, wie es sich aus § 249 der Grundlinien ergibt. Die Konvergenz der natürlichen, ökonomischen und generell praktischen Aspekte in der sittlichen Sphäre ist eine der Hauptthesen des Buches. Am Rande möchte ich bemerken, daß Hegel vermutlich über die Korporation die Doktrin der mittelständischen Körperschaften von MONTESQUIEU eher aufgegriffen hat als ARISTOTELES, wie Rizzi meint (270). Sowohl für Hegel als auch MONTESQUIEU haben die mittelständischen Körperschaften einen epochalen Wert und stellen die Besonderheit der modernen Gesellschaft dar. Der ethische Akzent aber, den Hegel dieser Lehre gibt, rechtfertigt die Interpretation Rizzis. Ein weiterer, jedoch wenig überzeugender Aspekt, ist die Ausweitung der Liebeslehre aus den Erankfurter Schriften zum Fundament der gesamten ausgereiften Staatslehre (66; 306 ff). In diesem Zusammenhang versucht RIZZI, eine Interpretation der Familie als „vorpolitische" Gesellschaft vorzustellen. Genaugenommen wird die Liebe einerseits in den Grundlinien dem Bereich der Familie zugerechnet (und in dieser Sphäre ist jedoch die Liebe auch für Hegel unzureichend), andererseits bleibt die Familie eine Vereinigung, die auf einem natürlichen Band basiert, dem ,verborgenen Gesetz des Blutes'. Um seiner ethischen Interpretation des FamiUenbandes Nachdruck zu geben, beruft sich RIZZI auf eine Stelle der Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte, indem er ihnen den gleichen Rang eines veröffentlichten Werkes verlieh, trotz einer Vielzahl an gegensätzlichen Zitaten aus der Phänomenologie des Geistes und den Grundlinien, die man leicht anführen könnte. Neben inhaltlichen Problemen muß ein methodischer Aspekt auf gezeigt und diskutiert werden. Häufig erweckt die Arbeit Rizzis den Eindruck, als wolle sie die gesamte Philosophie Hegels auf ethische Anliegen reduzieren oder den logisch-methaphysischen Ansatz, der ihr zugrundeliegt, unterschätzen. Es ist erstaunlich, daß RIZ2T noch nicht einmal in der Bibliographie die Wissenschaft der Logik erwähnt. Er meint, indem er sich auf die von MARX herkommende Tradition beruft, daß es nicht angebracht sei, Zusammenhänge und Parallelen zwischen der Logik und der Rechtsphilosophie Hegels aufzuzeigen: „Der praktische Gebrauch der Grundlinien kann somit nur durch Vorsichtsmaßregeln reicht werden, damit der grundlegende Gebrauch der Logik verhindert wird" (11). Ohne in einen Disput eintreten zu wollen, der schon mehrmals unter den Hegelforschem eröffnet wurde, beschränke ich mich darauf, eine methodische Anwendung der logischen Kategorien auf die Rechtsphilosophie festzustellen. Man könnte behaup-

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ten, daß in genau dieser Anwendung die Eigentümlichkeit der Hegelschen Rechtslehre besteht (vgl. die Vorrede der Grundlinien). Es trifft zu, daß man bei Hegel von einer systematischen Einheit ausgehen muß, aber man muß annehmen, daß sich diese Einheit zumindest ab den Jenaer Jahren nicht auf einen ethisch-rechtHchen Ansatz stützt. Die abschließenden kritischen Bemerkungen schmälern aber den Wert dieses nicht im geringsten, die ausgezeichnete Studie, die würdig ist, zu den besten italienischen Untersuchungen über Hegels ,praktische Philosophie' gehört. Pasqualino MasciareUi (Pisa)

Wirtschaß und moderne Gesellschaß

Erzsebet Rözsa: Hegel gazdasäßlosöfiaja [Hegels Wirtschaftsphilosophie].

Budapest: Akademiai Kiadö 1994. 269 S. Unter dem Titel Hegels Wirtschaßsphilosophie erschien beim Akademie-Verlag in Budapest ein Band, dessen ,GrundmateriaT von ERZSSBET RöZSA noch als Habilitationsschrift vorgelegt wurde. Obwohl sie auf die Veröffentlichung ihrer Arbeit ein ganzes Jahrzehnt warten mußte, hat diese Untersuchung an Aktualität nichts eingebüßt; vielmehr scheint sie aufgrund ihres zentralen Themas gerade heute noch interessanter zu sein. RöZSA macht bei Hegel die Frage nach sozialen Modernisierungsprozessen dergestalt zum Thema ihrer Arbeit, daß sie die wirtschaftsphUosophischen Überlegungen Hegels immanent im Rahmen seines Denkens untersucht, das sie durchaus akzeptiert. Auf dieses Verfahren ist es wahrscheinlich auch zurückzuführen, daß sich RöZSA die Möglichkeit eröffnete, die Wirtschaftsphilosophie Hegels vor allem aus seiner Rechtsphilosophie herauszuarbeiten. Nach RöZSA ist Wirtschaftsphüosophie als Bestimmtheit des „Zeitgeistes" unserer wie Hegels Epoche in der Geschichtsphilosophie fundiert, die bei Hegel — weit von einer bloßen Spekulation entfernt — historische Tatsachen und ökonomische Elemente in sich aufgenommen hat. Daher spielt zwar die Geschichtsphilosophie in dieser Arbeit eine gewichtige Rolle, aber RöZSA führt ebenso zutreffend aus, daß durch die Einbeziehung des wirtschaftsphilosophischen Gesichtspunktes es die Geschichtsphilosophie selbst ist, die zu einer „zeitgemäßen" Basis gelangt, indem Hegel die traditionelle Wirtschaftslehre vermöge geschichtsphilosophischer und anthropologischer Voraussetzungen zu einer Wirtschaftsphilosophie transformiert. Untermauert wird diese Interpretation durch das abschließende Kapitel, wo RöZSA die Notwendigkeit des Überganges in die politische Philosophie und die konkrete Politik aufzeigt. Hier argumentiert sie mit Ge-

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dankengängen und Begriffen aus Hegels Jenaer Zeit, die sowohl einer Wirtschaftslehre wie einer Wirtschaftsphilosophie angehören (z. B. Arbeit, Maschine, Werkzeug, Vermittlung, List, Not, Pöbel usw.) und ihre theoretische Effizienz aus dem geschichtsphilosophischen Kontext einer politischen Philosophie erhalten. Wie allgemein bekannt ist, hatte Hegel die zeitgenössischen Wirtschaftslehren studiert. Doch gilt es als weniger bekannt und noch weniger wird es auch akzeptiert, daß Hegels Denken schon in der Zeit vor seiner Phänomenologie auf einer geschichtsphilosophischen Basis beruhte. Der organische Einbau des wirtschaftsphüosophischen Inhaltes in die Konzeption Hegels geschah allmählich und zu einem Zeitpunkt als sich nach den NAPOLEONischen Kriegen die neuen weltgeschichtlichen Möglichkeiten als realisierbar zeigten. Nach den Beschlüssen von Karlsbad wurde die politische Aktualität — nicht aber die geschichtsphilosophische Relevanz — der gesellschaftlichen Veränderungen in den Hintergrund gedrängt, doch verzichtete Hegel auch diesmal nicht auf die Veröffentlichung einer Rechtsphilosophie. Hegel war aufgrund seiner Geschichtsphilosophie von der politischen Relevanz des eigenen Standpunktes überzeugt, selbst wenn durch eine Überarbeitung seine Konzeption für die breitere Öffentlichkeit im direkten politischen Diskurs an Verständlichkeit einbüßen mußte. Diese Überzeugung von der politischen Relevanz seines Denkens fordert gleichsam dazu heraus, auf Hegels Schriften in ihrer Ganzheit einzugehen. ERZSBET RöZSA kermt die „Irrwege" dieser Problematik und meidet falsche Fragestellungen. Sie führt ihr wirtschaftsphilosophisches Verständnis der Hegelschen Rechtsphilosophie und ihre diesbezügliche Argumentation anhand konkreter Texte und Zusammenhänge der Hegelschen Schriften durch. Mag dieses Verständnis und diese Interpretation Hegels auch nicht ohne Vorgänger zu sein, — denken wir nur an MARX, LUKäCS, ILTING, RIEDEL USW. — so gehört doch der von RöZSA geleistete Nachweis einer systematischen Wirtschaftsphilosophie Hegels allerdings zu den bemerkenswerten Leistungen im engeren Fachbereich. Die weitreichenden Folgen einer Wirtschaftsphilosophie sind ja in vieler Hinsicht sehr bedeutsam, z. B. in jenem Zusammenhang, der in den letzten Jahren mit FUKUYAMAS Frage nach einem „Ende der Geschichte?" seinen Ausdruck fand: daß nämlich die Welt auf längere Sicht durch die Idee, durch die Einstellung der Menschen bestimmt wird. Mit dem Gang ihrer Argumentation erleichtert RöZSA dem Leser keinesfalls die Arbeit, zumal sie sich im wesentlichen um Erklärungen und Lösungen bemüht, ohne voreilig oder leichtfertig Schlüsse zu ziehen. Auf diese Weise verdeutlicht sie das Bestreben Hegels, seinen philosophischen Standpunkt in jeder Sphäre des Lebens zur Geltung zu bringen. So geht es Hegel vor allen Dingen darum, Einblicke in die Widersprüche und Entzweiungen des Lebens zu sichern, die er stets in bezug auf eine Totalität auffaßt. Dieser Hegelschen Inbücknahme der Totalität entspricht RöZSA dadurch, daß die ökonomischen Aspekte immer im Zusammenhang mit anderen Momenten der gesellschaftlichen Wirklichkeit dargestellt werden, wie dies schon das Inhaltsverzeichnis des Buches ankündigt.

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In der Arbeit von RöZSA ist m. E. nicht die Handhabung der Detailfragen oder die gründliche Argumentation das Bemerkenswerte, sondern vor allem die Deutungsart Hegels. Die Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft als die Gesamtund Selbstbewegung des Modernisationsprozesses sowie der darin entstehenden Probleme ist es, was zu einer gewichtigen Deutung der Hegelschen Philosophie führt. RöZSA hält die Bearbeitung der Problematik der Hegelschen Wirtschaftsphilosophie gerade deshalb für erforderlich, weil „die marxistische Leseart der Rechtsphilosophie .. . den MARxschen Intentionen nicht nachkam." (9) Dies scheint den Tatsachen zu entsprechen, und eben deshalb möchten wir hier jene Wirkung Hegels betonen, die schon beim frühen MARX trotz seiner Kritik zum Ausdruck kommt, beim reifen MARX dann aber in den Vordergrund trat. Die begriffliche Bearbeitung Hegels war es, die sich bei der Darstellung auch für MARX als effektiv erwies. Im MARxismus dagegen waren die MARX-Büder durch Gegenüberstellung und durch Hegel-Überwindungsstrategien motiviert. So wurde hier die begriffliche Darstellung, die wahrlich nicht problemlose Auffassung des Verhältnisses vom Geschichtlichen und Logischen zu einem unübersichtlich Mystischen, während MARX ein Phänomen durch eine Ableitung seines Entstehens erklärt. Mit einem derartigen Fragekomplex beschäftigt sich RöZSA im 3. Kapitel ihres Buches, wo sie die Hegelsche Logik als das Modell der wissenschaftlichen Erkenntnis und zugleich als eine Gestalt des Fetischismus behandelt. Diesem Kapitel, das sicherlich eines der anspruchsvollsten der gesamten Arbeit ist, kommt sowohl in geschichtlicher wie in theoretischer Hinsicht eine Schlüsselstellung zu, weil es bei der Erläuterung der zentralen Funktionsweisen innerhalb von Hegels Wirtschaftsphilosophie auf das ausgereifte, organische System zurückgreift. Nimmt man noch die basale Rolle der Geschichtsphilosophie hinzu, dann ist die von RöZSA am Ende des 2. Kapitels geäußerte Hegel-Kritik m. E. wenig zutreffend, wonach Hegel im Vorwort zur Rechtsphilosophie mit sich selbst in Widerspruch geraten wäre. Dieser Widerspruch scheint nämlich der Wirklichkeit zu entsprechen, und die Versöhnung, die durch das Wissen eintritt, führt dadurch zur Auflösung der Kollision, daß sie erkennt, daß die bürgerliche Umgestaltung und der durch die kapitalistische Entwicklung ausgelöste Gang der weltweiten Änderung zusammengehören, worauf RöZSA in ihrem Buch ja selbst hinwies. Der Inhalt des Vorwortes und der ganze Inhalt der Rechtsphilosophie bilden eben eine organische Einheit, die Teile bekommen vom Ganzen her ihre Bedeutung, denn die einzelnen Sphären sind die ausgearbeiteten, speziellen Gestalten der bürgerlichen Gesellschaft. Die Verselbständigung dieser führt zu einer Bewegung mit Kollisionen, die aber zugleich über sich hinausweist und die philosophische Arbeit nach sich zieht, den sich verbergenden Weltgeist aufzudecken, der sich in der Moderne mit ihren Ausgestaltungen die Form der subjektiven Freiheit gibt. RöZSA behandelt ausführlich, wie Hegel diese Bewegung auffaßt. Die hierbei auftretenden begrifflichen Schwierigkeiten bewogen sie dazu, ein ganzes Kapitel ihres Buches zu , opfern', um die Problematik überhaupt ans Licht treten zu las-

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sen. Auf dieser Basis versteht man dann auch wie eine Beschreibung des Systems einer WirtschaftsphUosophie bei Hegel möglich ist, obwohl „der Ausdruck bei Hegel gar nicht vorkommt". (28) Bekanntlich entfaltete sich die Wissenschaft einer Wirtschaftslehre zu dieser Zeit nur im Rahmen einer Nationalökonomie, während Hegel sich demgegenüber auf den Standpunkt des ,Weltgeistes' stellt. Natürlich spricht Hegel der konkreten Sphäre der Wirtschaft ihre eigene Bedeutung zu, aber zum Maßstab ist die Bewegung des Weltgeistes geworden, dem man auch im Politischen zu entsprechen hat, was sich bei Hegel dann in einer nicht minder schwierigen Zeit in der Reformbill-SchTift ausdrückt. Hegel hielt die Entzweiung und die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft nicht für unlösbar. Dies bekundet sich darin, daß er nicht in Gegensätzen, sondern in Widersprüchen denkt, die als zusammengehörend im Begriff aufgehoben/aufgelöst werden; andererseits tritt die Idee in der Wirklichkeit in unendlichen Gestalten auf und ist mit keiner ihrer Manifestationen zu identifizieren. Die wirkliche Existenz ist also das begriffliche Existieren, und dadurch wird das Erkennen aufgewertet und bekommt m. E. im Zusammenhang der Deutung des Ganzen eine methodologische Funktion. Ehe methodologische Funktion der Idee (des Vernünftigen, der Freiheit usw.) soll bei Hegel m. E. zugleich jene Schwierigkeit überwinden, die sich bei der traditionellen Interpretation der Substanz ergibt, daß nämlich die Substanz, ihr Entstehen, ihr Zu-etwas-Werden ein Widerspruch in sich selbst sei. Aber bei Hegel ist eben dieser Entstehungsprozeß geschichtlich. Wenn das Geschichtliche vom Begrifflichen getrennt wäre und so eine ontologische Bedeutung annehmen würde — also keine methodologische —, dann würde tatsächlich eine Fetischisierung geschehen. Zu Recht bemerkt daher RöZSA, daß „Hegel das Begriffliche und das Historische auch in keiner Indifferenz einander gegenüber stehen läßt." (52) Trotzdem kritisiert ihr Buch einen Fetischismus Hegels in der betonten Weise, die auf MARX zurückgeht, obwohl MARX es selbst nie bezweifelte, daß der Warenfetischismus z. B. auf einem gegebenen geschichtlichen Niveau notwendig ist. So gesehen würde aber nur die endgültige „Verewigung" eine Fetischisierung bedeuten. Ein wirkungsvolles Gegenmittel bildet daher immer die Geschichte der Enstehung einer Sache, was aber in den Bereich des Erkennens gehört. Bei Hegel würde das Begriffliche erst dann eine selbstständige Gestalt annehmen, wenn wir den Prozeß der Gesamtbewegung, der im Begrifflichen adäquat zusammengefaßt ist, seinen Momenten gegenübergestellten, verselbständigen, also ontologisieren würden, wenn also das Begriffliche bei Hegel von uns zu dem endgültigen Ausgangspunkt gemacht würde. Auch wenn RöZSA mit Recht diese Frage als Voraussetzung des Hegel-Verständnisses in den Mittelpunkt stellt, sind ihre Ausführungen oftmals nicht eindeutig genug. Weiterhin bedarf zudem die Frage einer Erklärung, warum Hegel keine Wirtschaftsphilosophie schrieb, zumal er ihre Bedeutung erkannte. Einerseits ist für Hegel eine selbständige Wirtschaftsphilosophie überflüssig und unnötig, weil er in der Rechtsphilosophie gleichzeitig Gesellschaft und Geschichte behandelte, was zur Folge hatte, daß Hegel die Momente (wie z. B. Ethik), die in der Gesamt-

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bewegung teilnehmen, von dieser gar nicht trennte. Andererseits v^iird das Fehlen einer expliziteren Wirtschaftsphüosophie auch dadurch erklärt, daß in der Hegelschen Bewertung einer Gesellschaft neben der Erkenntnis der Zusammengehörigkeit von Wirtschaft und menschlichem Reichtum auch die unmenschlichen Auswirkungen der Wirtschaft eine wichtige Rolle spielten. Die Deutung der Totalität bildet bei Hegel zugleich einen Paradigmenwechsel, auf den RöZSA eindeutig hinweist. Deshalb können wir bei Hegel keine selbständige, d. h. gesonderte, den einzelnen Momenten der Totaütät folgende Philosophien finden. Jede Auffassung, die das Leben der Gesellschaft nicht vom Ganzen her beschreibt, wie z. B. die englische Wirtschaftslehre (nicht Wirtschaftsphilosophie), ist für den Hegelschen Standpunkt unannehmbar. Hegel hat den Wert solcher Auffassungen erkannt und auch anerkannt, aber er hat ihre Selbsteinschätzung nicht angenommen, sondern machte ihre Ergebnisse zu untergeordneten Momenten seiner eigenen Theorie. Das Wesen seiner Methode bedeutet nach RöZSA jenes Bestreben, daß „jedwelche Bestimmtheit des Menschen, jedwelche Aneignungsweise der Wirklichkeit nur in dem System ihre Bestimmtheiten und der Formen der Aneignung zu verstehen ist." (69) RöZSA kommt nach den drei einleitenden Kapiteln ihres Buches auf die Darstellung der Bestimmtheiten des Wirtschaftslebens zu sprechen, was sie unter Berücksichtigung der umfangreichen Forschungsliteratur tut. Die Wirkungsgeschichte der Rechtsphilosophie und das System der Wirtschaftsphilosophie behandeln die ersten zwei Kapitel des Buches, an die sich ein Kapitel über die Methode anschließt, wodurch die eigene Hegel-Deutung von RöZSA vorbereitet wird. Die eigentliche Darstellung Hegels bildet also den zweiten Teil des Buches. In den Kapiteln 4—13 werden die Hegelschen Bestimmungen der bürgerlichen Gesellschaft detailliert analysiert: Wüle, abstraktes Recht, Moralität, Sittlichkeit, die Familie usw. Zum Schluß wird der Übergang der Wirtschaftsphilosophie in die politische Philosophie vorgeführt, was zu RöZSAS eigenständiger Interpretation von Hegels Denken und besonders zu seiner Rechtsphilosophie zurückführt. Betrachtet man das Buch im ganzen, so zeichnet RöZSA den Argumentationsgang Hegels zu einer politischen Philosophie nach, in der die Merkmale möglicher Verhaltensweisen beschrieben werden, die man zwar an der Idee zu messen hat, die aber schon in der Gegenwart realisiert sein sollten. Ein konkretes politisches Programm konnte Hegel natürlich nicht geben; er hielt es auch nicht für die Aufgabe der Philosophie, denn dieses Programm müßte eine Überwindung des Systems der schlechten Unendhchkeit (Vermeidung der Atomisierung, Korporationen neuer Art bei Hegel usw.) anstreben, während Hegel allein die Geltung der bürgerlichen Gesellschaft zum politischen Tagesprogramm erhob. Eine wichtige Differenzierung RöZSAS verdient es, unbedingt hervorgehoben zu werden, wonach die Ökonomie, die Wirtschaftslehre einen integralen Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft bildet, wozu die Wirtschaftsphilosophie einen Gegenpol bildet, und zwar um die Freiheit des Subjektes aufrecht erhalten zu können. Verständücherweise mußte ein solcher Standpunkt im damaligen Deutschland, wo es die bürgerliche Gesellschaft noch nicht gab, zumindest als

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sonderbar erscheinen. Deshalb brachte diese Haltung Hegel auch bald den Vorwurf einer Akkomodation und des Reaktionären ein. Eine solche Kritik verkennt jedoch, was die bürgerliche Gesellschaft für Hegel meint und von welcher Bedeutung sie für die Menschen ist. Denn die Hegelsche Wirtschaftsphilosophie setzt den Menschen auch als ökonomisches Wesen in dem System seiner Bestimmtheiten und interpretiert ihn auf diese Weise. Das Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft ist aber von der Gestalt des bourgeois, des „Bewußtseins-Menschen" geprägt. (175) So stehen sich bei Hegel der Mensch, der citoyen und der bourgeois einander gegenüber, aber Hegel ist sich auch darüber im klaren, daß die beiden sich in der Geschichte gegenseitig voraussetzen. So ist die bürgerliche Gesellschaft bei Hegel eine bourgeoise Gesellschaft, die allerdings den Weg zur universellen Entwicklung eröffnen kann. All diese Zusammenhänge treten von der wirtschaftsphilosophischen Sicht her, die RöZSA entwickelt, in den Vordergrund und werden folgendermaßen resümiert: „Hegels Standpunkt ist klar: die Welt des Verkehrs in der modernen Welt kann von vornherein keine Möglichkeit zur Herausbildung des menschlichen Reichtums und der Freiheit, der wirklichen Unendlichkeit bieten. Das ist keineswegs ein reaktionärer Standpunkt, denn er bezweifelt ja die Notwendigkeit der modernen Wirtschaft keinesfalls, er erfüllt bloß die Aufgabe des Philosophen: er gibt Einblick in die Begebenheiten seiner Zeit, mißt diese am weltgeschichtlichen Maßstab und kritisiert sie." (236) Diese Hegelsche Anschauungsweise — und nicht nur in Gestalt einer Wirtschaftsphilosophie — ist es, die m. E. überall lebensfähig bleibt, wo man es sich auf der Suche nach Lösungen nicht erlaubt, den Menschen zu vergessen. Hegel kann, wie es die Arbeit von RöZSA verdeutlicht, auch heute noch gute Ansätze dazu liefern. Jözsef Czirjäk (Debrecen)

G. W. f. Hegel: Oikeusfilosoßan pääpiirteet eli luonnonoikeuden ja valtiotieteen perusteet. Mit einer Einleitung versehen von Juha Manninen und Markus Wahlberg. Übersetzung ins Finnische und Anmerkungen von Markus Wahlberg. Oulu: Kustannus Pohjoinen 1994. 326 S. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts aus dem Jahr 1820 zogen schon bald nach ihrem Erscheinen die Aufmerksamkeit der finnischen Wissenschaft auf sich. Hierbei war es vor allem der Staatsgelehrte und spätere Staatsmann J. V. SNELLMAN, der sich vieles von den rechtsphüosophischen Ansichten Hegels zu eigen gemacht hat und auf dieser Grundlage eine Politik konzipierte, die zu einem finnischen Nationalstaat führen konnte. SNELLMANS Werk Läran om steten (Die Lehre vom Staat), das 1842 in Stockholm auf Schwedisch veröffentlicht wurde, ist eine der ersten skandinavischen Weiterentwicklungen von Hegels Staatslehre, die

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mutig und kritisch adaptierte, daß einige seiner Formulierungen von der preußischen Zensur nicht zugelassen worden wären. Die finnischen Hegelianer waren eine Vortruppe des nationalen Erwachens in Finnland. Dieser politische Hintergrund hat sicherlich auch die Art und Weise beeinflußt, wie man sich zu Hegels Rechtsphilosophie stellte. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn man jene Seite der Rechtsphilosophie vernachlässigte, die ein Gesamtbild des bürgerlichen Staates entwirft. Eine sachgemäße Kenntnis des ursprünglichen Werkes wurde noch dadurch erschwert, daß es — leider trifft dies auch für Hegels andere Hauptwerke zu — bislang nicht ins Finnische übersetzt wurde. Weitere Hindernisse einer adäquaten Rezeption schuf die Tatsache, daß sich Rechtswissenschaftler und Philosophen nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt der angloamerikanischen Denkweise zu wandten. Eine Rückbesinnung auf Hegel ermöglicht der Rechtsphilosoph und Rechtshistoriker MARKUS WAHLBERG, der nach jahrelanger Arbeit seine finnische Übersetzung der Grundlinien vorlegt, die auf der ersten Auflage von 1820 beruht und mit äußerster Sorgfalt durchgeführt wurde. Ohne die Wortwahl dieser Übersetzung en detail zu kommentieren, läßt sich sagen, daß WAHLBERG einen gut lesbaren Text erstellt hat, der Hegel dem finnischen Publikum auf eine ganz neue Weise zugänglich macht. Wahlberg löste dabei die sprachlich schwere Satzstruktur des deutschen Originaltextes in dem Maße auf, daß sich die Sache, um die es Hegel geht, in einem modernen Finnischen wiederfindet. Auch wenn die Rechtsphilosophie Hegels in einer solchen sprachlichen Form noch vieles vom Leser abfordert, erleichtert WAHLBERG das Verständnis mit einer 47-seitigen Einleitung, die er zusammen mit JUHA MANNINEN (Universität Oulu) verfaßt hat. Die Einleitung informiert nicht nur ausführlich über das Leben Hegels, sondern sie skizziert auch die Entwicklungsgeschichte seines Denkens. Zusätzlich erhält der Leser Informationen über die allgemeinen staatsphilosophischen Tendenzen der damaligen Zeit; neben Anhängern und Gegnern Hegels im 19. Jahrhundert werden moderne Interpretationen der Rechtsphilosophie aus Sicht der heutigen Forschung vorgestellt, die sich auf die jüngst gefundenen Vorlesungsnachschriften stützt. Zusätzlich bietet die Ausgabe von WAHLBERG einen 21 Seiten umfassenden Anmerkungsteil, der durch den Detailreichtum seiner 326 Erläuterungen besticht. Abgerundet wird diese Ausgabe durch eine Bibliographie, die neben Arbeiten zu Hegels Idealismus im allgemeinen auch die wichtigste Literatur zu seiner Rechtsphilosophie; hier sind die bedeutendsten Monographien aufgeführt, während man aus der Unmenge von Artikeln nur die wichtigsten ausgewählt hat. Eine besondere Hilfe für den finnischen Leser bietet das Sach- und vor allem das Namensverzeichnis, das kurz die biographischen Daten der entsprechenden Person angibt. Das Erscheinen einer Übersetzung von Hegels Rechtsphilosophie geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem man sich in Finnland darum bemüht, das Verhältnis zur philosophischen Tradition neu zu bedenken. Mit der ARiSTOTEÜschen Politik, der Ethik SPINOZAS und den Hauptwerken DüRKHEIMS, die allesamt in den letzten Jahren auf Finnisch erstmalig zugänglich wurden, stellt Hegels RechtsphüosoSNELLMAN SO

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phie vor die Frage nach der kulturellen und politischen Einheit Europas, die man in Finnland gerade heute heftiger diskutiert, als es in der Vergangenheit der Fall war. So kann man jetzt nur die Hoffnung äußern, daß im Anschluß an Hegels Rechtsphilosophie, die viele Probleme des modernen Sozialstaates behandelt und neue Perspektiven eröffnet, auch Werke anderer Autoren der klassischen politischen Philosophie ins Finnische übersetzt werden. In diesem Sinn besteht die Leistung WAHLBERGS nicht bloß darin, Hegel den finnischen Lesern nahezubtingen; darüber hinaus ermutigt seine Übersetzung die Bestrebungen, daß sich Finnland über die Aneignung der philosophischen Tradition der Einheit Europas annähert. Jümmo Nuotio (Helsinki)

Thomas Steinherr: Der Begriff ,Absoluter Geist' in der Philosophie G. W. Hegels. Erzabtei St. Ottilien: EOS Verlag 1992. 220 S. In this dissertation accepted in 1991/92 by the „Hochschule für Philosophie München. Philosophische Fakultät SJ" (4), STEINHERR traces the development of HegeTs concept of „absolute spirit" in three chronological parts: (I) its origins in HegeTs Jena years up to 1805; (II) its modifications in 1805—1807; and (III) its mature systematic portrayal in the Enzyklopädie. A brief introduction and conclusion frame these three divisions. Beginning with the Differenz-Schrift of 1801, STEINHERR shows Hegel rejecting FICHTE's view of the absolute as a transcendent cause (29 —30) and preferring SCHELLING'S view of the absolute as the substance (40) which includes everything, so that empirical reality is its appearance (30). HegeTs first use of „absolute spirit" occurs in the Naturrecht-Aufsatz of 1803 (9), which appües it to the „Weltgeist" (56) of history. Since the absolute appears in empirical reality (according to the Differenz-Schrift), world-spirit must be the absolute's own spirit, or absolute spirit. HegeTs Naturrecht-Aufsatz also shows that the absolute unity of the absolute (48) grounds its appearance as world-spirit. Nature's multipMcity is overcome in spirit (53) or inteUigence; multiple minds then form an ethical people, in whose unity the one substance finds itself as one (55). But the many peoples that comprise world-spirit are not themselves unified as a single spirit (56). Therefore absolute spirit does not appear completely in the peoples of the world. Its highest shape is rather the knowledge that multiple peoples are the necessary components (57) of the one world-spirit. Absolute spirit thus appears in a theoretical knowing (61) of history as the appearance of absolute substance. In such knowing the one substance views itself (57) as one, and therefore completes itself (58) as unity. The 1803/04 „Systementwurf" identifies this knowing with art, religion, and philosophy (68).

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Hegel's „Systementwurf" of 1804/05 extends it to logic, which „has the absolute for [its] Content" (75 n. 69), because „knowing is ,the universal as totality'" (74). But the logical concept (of knowing as the absolute) must point beyond itself to real knowing, since „our [logical] concept of the absolute is not yet the absolute in its reality" (74). And since real knowing supposes an objective world (78), a philosophy of nature is also required. Here the plan of the later Enzyklopädie is clear. A third „Systementwurf", dated 1805/06, Sketches a philosophy of existing spirit. Religion acknowledges God as human (106) but places the full reconcUiation between God and humanity beyond the present world (107). Philosophy however discovers in the individual seif the absolute (108), which therefore knows itself not in the spirit of a people but in philosophy (111) — a Position that recalls the Naturrecht-Auisatz with its conception of world-history (56—57) as greater than the ethos of any particular people. Hegel's Phänomenologie confirms this concept of absolute spirit. Christianity shows God as human, absolute spirit as individual spirit (121). Absolute spirit is the pure concept which knows itself in historical existence (124). This occurs completely when real consciousness comprehends its history as the concept (125), through philosophy (127). The next task for philosophy is to describe the concept itself and its appearance as real existence and human history. This Hegel does in the Enzyklopädie (130—43). Nature and history (the history of spirit) are contained in the absolute, but not as idea; as purely logical the absolute idea is not yet absolute spirit, which is real subjectivity or the idea as concrete spirit (145). STEINHERR then examines Hegel's three-fold division of spirit into subjective, objective, and absolute spirit (146—60). Since thinking is unlimited and universal, its object must include all the peoples of history to be truly comprehensive and absolute (152); it thus becomes world history thinking itself as the one universal idea appearing in specific particular (153) nations. Knowing itself as the historical existence of the universal absolute idea, spirit overcomes history (154); it is the eternal absolute knowing itself through philosophy (157), which — unlike religion with its temporal Images — portrays God's etemity (162). When „real human spirit . . . knows itself as a realization of this absolute idea" (158), it is really the idea knowing itself (158); deity becomes conscious of itself in human thinking (159 n. 33). Thus in philosophy the eternal concept comprehends itself (163 —74); it determines everything (182) and knows itself (183) as absolute spirit (185). Consequently spirit knows itself as both historical and as eternal (185—94); its temporal existence is an „eternal moment of . . . the eternal absolute idea which .. . produces itself eternaUy as absolute spirit" (193) and so knows itself (193) through history. STEINHERR concludes his work with a brief „Ausblick" presenting two problems. One is the relation between logic and real existence (196—200). The other is the system's completeness (200—213), described in three subordinate topics: the end

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of history (201—4); absolute spirit as a process resembüng WHITEHEAD'S metaphysics (206—8); and the absolute system's inability to admit revisions (209-13). By explaining absolute spirit as the eternal idea comprehending itself as history, STEINHERR undoubtedly has the correct interpretation. He portrays Hegel's metaphysical outlook in an orderly and accurate way, presenting texts with a minimum o£ interpretation and saving for the end a full understanding of the topic (10). This method brings one closer to Hegel's original texts, but it often obliges the reader to guess at the author's understanding of them. For example, does „the absolute etemity of the absolute spirit that knows itself" (112) refer to a divine mind that knows itself prior to history? Or to an idea that first knows itself through human thinking in history? STEINHERR does refer to this question (158—59, n. 34) but does not discuss it at any length. Nor does he explain how the absolute can be a subjectivity as a concept prior to its being an „I" or spirit (136). The scarcity of interpretation also leaves many details unrelated to the main topic. For example, the term „substance" from the Differenz-Schnit (40, 45) is not explicitly related to „absolute spirit"; the reader must supply the missing Connection. Despite its difficulties, the book's careful presentation of texts makes it a rewarding work. I learned much from it, especiaUy about Hegel's writings before the Phänomenologie. STEINHERR'S exposition shows that Hegel had his concept of absolute spirit by 1805; the Phänomenologie and Enzyklopädie develop and clarify it without substantial change. Daniel P. Jamros, S. J. (Buffalo, NY)

Comoth, Katharina: Quasi Perfectum. Subjektivität im Umkreis der Trinität. Heidelberg: Carl Winter 1992. 47 S. In drei Studien zeichnet die Verf. die Grundlinien der Entwicklung der Idee der Einheit von Identität und Differenz nach, ausgehend von THALES und PLATON über ORIGENES hin zu THOMAS VON AQUIN und Hegel. Letzterer ist der Fluchtpunkt in der Entwicklung dieser Idee, die das Wesen der Metaphysik ausmacht. Verbunden damit ist einerseits die Darstellung dieser Idee in der Geometrie des Dreiecks, andererseits seit dem Auftreten des Christentums die Christologie und Trinitätslehre, die in der griechischen Antike bereits vorgeprägt war. Schon THALES von Milet hatte am gleichschenkligen Dreieck die Verbindung des Gleichen (Identität) und des Ähnlichen (Differenz) erkannt (Bericht von PROKLUS). FYATON verband die Idee des gleichschenkligen als des schönsten Dreiecks mit dem „eingeborenen Himmel", dem späteren eingeborenen Sohn Gottes im Christentum. Die wesentlichen Ausführungen zu dieser Thematik finden sich im FYATONischen Timaios, der auch die klassische Definition der Analogie als das „schönste aller

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Bänder" enthält. Das lateinische Abendland wurde durch CICEROS Übersetzung des Timaios zuerst mit der Analogieformel bekannt; „quae Graece analogia, latine ... comparatio pro portione dici potest". MARSILIO FICINO spricht in seiner Timfliosübersetzung am Beispiel des Dreiecks von identitas und alteritas. Ein neuer Ansatz der Problemgeschichte findet sich im Johannesevangelium (Kap. 10,30), das von der Einheit von Gott Vater und Sohn Gottes spricht, von Identität und Differenz. Hier stellt die Verf. die Auslegung des Johannesevangeliums durch ORIGENES in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. „Über PROKLOS (,Platonische Theologie') und (Pseudo-) DIONYSIUS AREOPAGITA (,Mystische Theologie') sind die untrennbaren Systemteile des PuATONischen Entwurfs auf THOMAS und Hegel gekommen." (38) Hegel versteht die Dreieinigkeit als Identität von Identität und Nichtidentität. Im Anschluß an PLATON (TZmaios 31c3) bezeichnet Hegel in seiner „Differenzschrift" die Analogie als das „schönste aller Bänder". Angewandt auf die Trinität sind in Gott der Vater und der Sohn zugleich identisch und verschieden, also nach dem Gesetz der Analogie verbunden. Manche weitere Einzelhinweise auf Hegel, die sich durch die ganze Schrift hindurchziehen, verdienen Beachtung. So z. B. der Hinweis auf die dritte Habiütationsthese Hegels: „quadratum est lex naturae, triangulum mentis", die mit PLATONS kybikon eidos, dem auf die Spitze gestellten Kubus, der aus Dreiecken besteht, in Verbindung gebracht wird. (30) Die Nachschrift der Jenaer Vorlesung Hegels von 1801/02 über Logik und Metaphysik bestätigt diesen Zusammenhang durch die Zeichnung eines auf die Spitze gestellten Quadrats, worin der Geist als „Reflexionssubstanz" auftritt, als „Identität der Identität und Nichtidentität". {Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801—1802) .. . hrsg. v. K. DüSING. Köln 1988. 71, 72, 74.) Die Abhängigkeit des von ROSENKRANZ überlieferten Dreieckstextes Hegels vom Timaios PLATONS ist der Verf. allerdings entgangen (vgl. dazu den Nachweis bei H. SCHNEIDER; Anfänge der Systementwicklung Hegels in Jena. In: Hegel-Studien. 10 (1975), 133—171.) Neuerdings wäre auch auf die Bedeutung des Timaios für den jungen SCHELLING hinzuweisen, wie ein neu edierter Text belegt; SCHELLING: Timaeus (1794). Hrsg. v. H. BüCHNER. Stuttgart—Bad Cannstatt 1994. Die Verf. hat hier in überzeugender Weise die Grundzüge eines wesentlichen metaphysischen Problems von Platonismus und Christentum entfaltet. Die zahlreichen griechischen und lateinischen Zitate belegen die Textnähe und Gelehrsamkeit der Verf. Ein Problem dürfte allerdings für den, der mit der Problematik nicht vertraut ist, die dichte und verkürzte Darstellung sein. So möchte man wünschen, daß die Grundgedanken dieser Skizze in Zukunft noch ausführlicher dargestellt werden. (Helmut Schneider, Bochum)

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The Essence of Believe

The Place of Religion in Hegel's System Philip Merklinger: Philosophy, Theology and Hegel's Berlin Philosophy of Religion, 1821—1827. Albany: State University of New York Press 1993.

193 S. Merold Westphal: Hegel, Freedom and Modernity. Albany: State University

of New York Press 1992. XVI, 237 S. Alan Olson: Hegel and the Spirit. Princeton: Princeton University Press 1992. 162 S. New Perspektives on Hegels Philosophy of Religion. Ed. by David Kolb. Albany: State University of New York Press 1992. XI, 216 S. Thought and Faith in the Philosophy of Hegel. Ed. by John Walker. Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers 1991. XI, 178 S. According to Hegel, religion refers to a state of consciousness that holds certain beliefs, representations, or ideas about ultimate reality. No one has ever doubted that religious consciousness was important to Hegel's understanding of his System, for like the concept of „essence" in the Science of Logic, religion mediates the development of spirit from the untruth of immediate being to the freedom and self-determination of conceptual thought. Religion is vital for this development of human spirit because of its power to negate the restraints of finite nature and to disclose to consciousness the essence of its freedom as self-determination. This general description of religious consciousness is certainly not controversial, but questions do arise in assessing the Status of such States from the point of view of speculative philosophy, by which I mean Hegel's sySternatic Claim to think the absolute in a marmer identical to the absolute's self-thinking form. For instance, (1) is absolute consciousness itself religious? Hegel States, after all, that his philosophy is „Service to God," but it is certainly not clear what kind of „god" Hegel means to serve. And, (2) do religious States of consciousness maintain value for philosophy once speculative thought has been achieved? One of the most fundamental challenges of Hegel's thought is to determine precisely how he conceived the mediating role of religious consciousness in the context of a philosophy that deliberately posited absolute subjectivity as the focus of its reflection. Hegel, more than any other philosopher before or after him, understood and took seriously the implications of the fact that religion has no direct access to, or knowledge of, God apart from its determinate States of consciousness. Yet Hegel also recognized the complex synthesis of immanent and trandcendent elements that religious consciousness is: „I am the relation of the two sides . . . the holding together, the connecting, is itself this conflict. In other words, I am the conflict" (Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1,

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Einleitung. Der Begriff der Religion. Hrsg. W. Jaeschke. Hamburg 1983. 121). The central task of HegeTs treatment of religion was to credit the undeniable subjectivity of the religious relation without reducing it, either ironically or skeptically, to mere subjectivism. Thus, HegeTs phüosophy of religion sought to present the development of the two sides of the religious relation in such a way as to demonstrate the necessity of a transition within finite subjectivity to a higher point of view: constituted by a higher form of knowing and of being. From this Standpoint, it would then be possible for speculative reason to comprehend both the Content and the form of the relation as derivative from a self-relation of absolute Spirit in and for itself. Unfortunately for HegeTs readers, the project of a phüosophy of religion within the Umits of speculative reason is fraught with tension between the constitutive poles of the religious relation, as well as with the temptation to collapse one extreme into the other. Both tension and temptation, Hke an intellectual virus, inevitably transcribe themselves into most interpretations of HegeTs phüosophy of religion. The books and essays under consideration in this review contend with such perüs, as we shaU see, with various degrees of success.

1.

In his book PHILIP MERKLINGER examines the development of HegeTs conception of a phüosophy of religion in relation to speculative phüosophy in Ught of the traditional distinction between revealed and rational truth. The author contends that during the Berlin period, Hegel continually refined his conception of the relation between phüosophy of religion and phüosophical theology in order to respond to the increasing antagonism between faith and reason, evident in the theology of SCHLEIERMACHER and the pietism of THOLUCK. HegeTs aim was to effect in thought a reconcüiation between faith and reason that was ahready taking place in the life and practice of the Christian community, understood as the concrete expression of the Holy Spirit's self-witnessing activity. Phüosophy of religion, then, should faithfuUy reflect such spiritual activity, whüe phüosophical theology should not only conceptuaüze these developments, but should also, from the Standpoint of reason, confront and refute erroneous theological assertion. MERKLINGER organizes his thesis around the three sets of lectures that Hegel deUvered in Berlin from 1821—1827, and repeatedly makes the somewhat trivial point that the lectures reflect theological disputes and debates outside the classroom. Beginning in the 1821 lecture series with the idea that „phüosophy in theology", the two discipÜnes differing only in conceptual precision and abstractness, Hegel progressed to a more nuanced conception of their complimentary tasks, due to his critical confrontation with SCHLEIERMACHER's The Christum Faith. This critique first appears in the Forward to HINRICH'S book on religion (1822), where Hegel defined the failure of SCHLEIERMACHER's theology as the unreflective divorce of pure feeling (piety) from the objective content of

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religious belief. Simply stated, feeling cannot be the foundation of religious belief, for it is only the initial appearance of Spirit's self-manifestation, the essence of which is the thinking comprehension of religious truth. Yet, how does the immediate content of feeling achieve the mediated form of truth? It is at this point that the author's argument takes, in my opinion, a decisively bad turn, for he contends that the rational determination of religious content can only enter consciousness externally by means of the „institutionalized pedagogy of the Church" (84). Only on the basis of what the community hands down can the individual gain insight into the divine aspect of reason impücit in the objective doctrines of church teaching. But who or what is to guarantee that the traditions of the Church are themselves true? If church doctrine is to awaken reason and elevate the mind to God, then the believer must presuppose that the Holy Spirit is aheady at work and truly present in the community. Finally, MEitKUNGER extends his thesis to the 1824 lectures, where Hegel corrected the mistakes of SCHLEIERMACHER, and then to the 1827 lectures, where Hegel entered into debate with THOLUCK'S pietism. I have several objections to the book's thesis and style of argumentation. Firsf, if fhe divine Spirit's self-witnessing in Church doctrine provides human thinking with both the form and confent of its rational development, then it follows that all subsequent speculative philosophy will develop out of a positive content of belief. Hegel's systematic writings on the nature of phUosophical thought, however, would seem to call into question this aUeged dependence on belief. It is one thing to state that reason and belief are reconcilable (and reconcHable, I might add, only from the standpoint of reason), quite another to assert that speculative truth is itself grounded in belief. Second, there is an assumption running fhroughout the book that reason is a formal, abstracting activity of mind, and not the essence of fhe absolute, as Hegel Claims. If this is the case, it will not satisfy the phUosophical skeptic to assert that the ideas thought by speculative reason are true simply because they conceptuaUze and systematically Order Spirit's self-manifestation, since it is precisely the epistemic Status of such witnessing about which the phüosopher is skeptical. Although the author cites several texts in which Hegel refers to the absolute Idea of philosophy as the primary source of speculative truth, they do not seem to have influenced his Interpretation. Finally, MERKLINGER'S unwitting reversal of Hegel's actual position on the relation between reason and belief is due, I beüeve, to the methodological premise of his interpretation: the author takes Hegel's phenomenological Interpretation of religion from the point of view of finite consciousness as the definitive viewpoint for interpreting the entire System. In so doing, he misses the distinction that Hegel maintains between relative and absolute standpoints. Christianity, to be sure, represents the consummation of religion, not because it has attained the absolute truth, but because it provides consciousness with the possibUity of transforming itself into a genuinely phUosophical comprehension of spirit's presence in finite subjectivity.

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2.

in this collection of essays on Hegel's ethics, political theory, and religion, argues that Hegel was able to justify his epistemic claim to absolute knowledge only by postulating that his own cultural and political world had attained identity with the absolute, a „realized eschatology", in which absolute spirit was fully present and self-determining in social, political and religious Ufe. WESTPHAL is certainly on solid ground when he argues against Hegel that such an ideal state has never existed, but remains a task to be accomplished. For the modern state, to which Hegel assigned the mediating role of embodying the kingdom of God in history, is itself rent by inner contradiction: it espouses a concept of freedom as autonomy, which is fundamentally at odds with the notion of a Community of universally free and mutually acknowiedging members. Consequently, WESTPHAL accuses Hegel's entire philosophy of a „faüure of nerve" for not admitting the gap between idea and reality into his System. Although this accusation is somewhat threadbare, the author's account is novel in so far as he Claims that Hegel's lack of critical nerve stems directly from an epistemological requirement to posit within actuality the conditions of absolute knowledge. WESTPHAL bases this interpretation on what he takes to be Hegel's Identification of knowledge and historical experience; „For [Hegel's] philosophy is essentially historical, the attempt to comprehend his own time in thought" (149). Here the author has, I believe, adopted a Contemporary assumption about philosophy as the premise for his own interpretation of Hegel's thought: knowledge is always the expression, according to this view, of the knower's concrete world, for knowing is always sodally situated, bound up with the traditions and social praxis of a community of knowers. Even logic (Hegel might be surprised to learn) is subject to rules of social encounter and context (99). WESTPHAL explains this interpretation in his crucial introductory essay, Hegel's Theory of the Concept, by using the intersubjective relationship of love and friendship as a paradigm for conceptual knowledge. Since the concept is a self-knowing process, developing by means of mutual recognition and encounter, the concrete Situation of the knower plays a vital role. He proposes to defend the thesis that „the theory of loving intersubjectivity which is the direct meaning of the Concept as a theory of the practical seif is the guiding metaphor for the theory of knowledge . . ." (15). Moreover, phüosophical knowledge is not simply the passive reflection of social praxis, but is also possessed of a dialectical drive towards totality, which leads Hegel's claim of absolute knowledge into a dilemma: (1) if knowledge is always sodally determined, and (2) if it must press beyond its limits to attain absolute knowledge of the whole of reality, then (3) Hegel's philosophy can be absolute only if his own historical epoch had already achieved the eschatological fulness of divine actuality. My disagreement with this argument is with its premise, namely, the author's understanding of the concept as a theory of MEROLD WESTPHAL,

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intersubjective freedom or love. Although WESTPHAL correctly States that the other in a love relation is actually „non-other/' bis paradigm assumes the existence of at least two subjects, each finite and mutuaUy detemüning. But when Hegel sought to explain the meaning of conceptual thought in the Science of Logic (as the author acknowledges), he rejected the intersubjective model of love in favor of a singulär, metaphysical ego that determines its „object" solely out of its own categorial activity. Hegel's Logic, accordingly, can be understood neither as a theory of reahty abstracted from social praxis, nor as a theory of the Christian Trinity, because the relations constituted by conceptual thought are always self-relations of an eternal, monistic Idea. And this is also why a truly speculative theory of absolute reality both transcends historical context and can be critically applied to social and political developments, which are indeed objectifications of the absolute concept, but in a spatial and temporal element that is always less than the ideal.

3. Like MERKINGER'S book, OLSON'S Hegel and the Spirit places Hegel's speculative phüosophy in the context of a theological pneumatology, and Uke WESTPHAL'S approach, OLSON is also sensitive to the concrete historical and personal conditions that mediate divine Spirit to human subjectivity. This is a genuinely philosophical interpretation of Hegel's System, although it rests on a religious insight into the power of the Holy Spirit to overcome the fatal oppositions in consciousness between finite subject and eternal being. OLSON argues that Hegel's concept of spirit cannot be understood apart from the theology of Holy Spirit developed in 18th Century Württenburg pietism and LUTHER'S doctrine of faith and sanctification as propounded in his Small Catechism. Underlying this thesis is a subtle, but persuasive counter-argument against Contemporary analytic interpretations of Hegel's phüosophy of spirit as a phüosophy of mind, i. e. as a theory of finite categories of thought. On the contrary, OLSON argues that spirit is primarüy a religious notion that expresses the ontological power of the divine to become present to the existing individual. What distinguishes this thesis from other religious interpretations of Hegel, however, is the author's contention that spirit is not an entity that merely deüvers a certain positive content to the cognitive subject, but a dynamic, self-actualizing and sanctifying relation that invites a conceptual analysis of a specific logical and speculative type, not heretofore found in classical Trinitaiian doctrine of the Holy Spirit. Spirit means the power to encompass and to unify divisions, not just to reconcüe opposites, but to transform the elements of the relation into a new spiritual reality, through which divine reason can know itself in its other. The logic of this mediating activity of spirit Hegel calls dialectic, and it is the piincipal achievement of this book to explicate clearly and convincingly the intellectual and biographical context of this fundamental Hegelian concept.

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OLSON introduces his treatment of spirit by examining the development of pietism as a deepening of the believer's own subjectivity. As a movement in the Church, pietism arose from the modern desire for direct, spirit-filled experience of the objective content of belief, to which it then appealed as the sole basis of authority. Hegel's critique of pietism brought to light the ambiguity of such an appeal: the experience of unmediated, divine presence in the subject can degenerate into an abyss of pure, self-presence and the subsequent loss of real theological content and truth. Yet, pietism also held, and this was a lesson not lost on Hegel, that belief must serve the objective weU-being of the community (45). Ultimately, Hegel rejected pietism's tendency to subjectivism because it left deeper aspects of the seif undeveloped and tensions in its relation to God unresolved. OLSON contends that this critique grew out of Hegel's friendship with the poet, HöLDERLIN, with whom he had shared romantic yearnings for a lost unity with the divine Absolute. Hegel reaUzed, however, that any truly satisfactory reconciliation between the finite and the etemal could only come about in the form of noetic mediation, in which reason — the divine form of consciousness — could constitute the union of the two sides (68). Thus, Hegel moved in the Jena period beyond both a poetic intensification and a reügious puiification of consciousness towards a purely rational Identification of being and idea. This early commitment to absolute idealism constituted a fundamental Option in Hegel's thought, one which is still evident in his Berlin lectures. In the book's best chapters, OLSON argues that Hegel's idealism was a response to HöLDERLIN'S descent into madness. Hegel believed that spirit, left unchecked by objective norms of reaüty, would remain at the level of self-feeüng and indeterminacy and inevitably fall victim to its own subjective phantasies and dreams of lost gods (96—105). The author has located, I beUeve, in Hegel's intellectual reaction to his friend's tragedy, the crucial question at the root of Hegel's mature conception of philosophy of rehgion: how does finite spirit's mediation of its experience of divine presence transform both the religious content and the subjective form of thought into a genuine self-relation of the absolute Idea? This HegeUan crux is also significant for much of Contemporary metaphysical and anti-metaphysical thought from HEIDEGGER to DERRIDA; for the key point tums, as Hegel saw, on whether and how self-reflection identifies Being with its own rational activity, or whether it regards Being as a permanently unmediated other. Obviously, Hegel chose the identity of reason with the all-encompassing power of absolute Spirit, understood as the presence of Being. But why? OLSON'S conclusion is instructive: „Hegel's ultimate point of theological reference, then, is the Holy Spirit and the work of ,sanctification,' the process become articulate in a philosophically grounded rational pneumatology" (100). In other words, Hegel's method was speculative idealism, but his source and inspiration was pietism. Two questions emerge from this Claim; (1) Does Hegel argue for the identity of psychological processes with the work of the Holy Spirit? (2) How is such a claim

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to be „philosophically grounded"? OLSON'S initial stab at a response to (1) is less than convincing. He reasons that the development of the soul from its natural state of self-enclosed feebng to a üfe of rational activity and self-expression in the real world follows the dialectical form of the concept. He then concludes: „Thus the work of the concept turns out to be the work of the Holy Spirit understood as absolute Spirit" (105). It is not good enough simply to claim that our rehgious experience of spitit contains undeniable metaphysical impücations, rather, what we want to know is exactly why our own personal religious or psychological development is the manifestation of the irreducible reality of absolute Spirit. To do this, OLSON needs an account of the freedom of finite spirit that will necessarily imply a transcendent relation to absolute Spirit. The philosophical question, however, is how such an account is to be made plausible without faUing back upon a special appeal to revelation or religious faith. OLSON relies heavily upon an „awareness of the deep ground of consciousness in Spirit" (122), which distinguishes Hegel from the Enlightenment critics of religion. But this seems to be a highly vulnerable reüance upon Intuition, instead of the promised „philosophical grounding." There is not a large gap separating an awareness of human subjectivity grounded in the Spirit from the pEUERBACHian claim that the Holy Spirit has its ground in human subjectivity. OLSON süps into the latter when he describes Hegel's Trinitätslehre as „true because it is the supreme historical revelation of what is universaUy true as a structural feature of consciousness" (133). Although OLSON insists that the metaphysical view cannot result from immediate intuition, but only from careful philosophical reflection on the course of Spüit's development and manifestation to consciousness, the objection remains that unless philosophical reflection provides reasoned response to deconstruction of speculative Claims, phUosophy's appeal to an „awareness of Spirit" will always appear to rest on the special pleading of religious faith (155).

4. The thirteen essays in New Perspectives on Hegel's Philosoph^ of Religion vary widely in quaUty and in approach to the topic. Since the focus of this review is the relation between the form of religious consciousness and speculative knowledge of the absolute, I will comment on those essays which make an original contribution to this issue. Hegel and Creuzer: or, Did Hegel Believe in Myth?, by M. DONOUGHO, promises more than it delivers, yet it does pose a significant question: does the transition from religious experience to conceptual categories of reason exhaust the meaning expressed by myth and symbol, or is something essential left out/over in the rationalization process? In examining the theory of symboüc meaning in the thought of Hegel's friend and colleague at the University of Heidelberg, FRIEDRICH CREUZER, this paper argues that the religious symbol bridges a gap between the

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mystery of divine presence and the necessity for expression and form. Although the author suggests that Hegel rejected the notion that myth could simply be reduced to conceptual formulation, he is not able to supply an argument or textual evidence to Support this view. In the end, the questions, which this paper raises, will be of interest to those who wish to ponder how reason is to confront that which in its essence refuses reason's hegemony. DONOUGHO'S thesis adumbrates the important topic of Hegel's relation to Christian mysticism as a tradition which clearly understood the divine mystery not only as the most intimate and personal presence in the soul, but also as an unknowable Other. C. O'REGAN'S essay, Hegelian Philosophy of Religion and Eckhartian Mysticism, notes the profound similarities between Hegel and MEISTER ECKHART. Especially in ECKHART'S notion of „Gottesgeburt", in which the eternal logos constitutes the deeper selfhood of the person, O'REGAN sees a parallel to Hegel's concept of absolute knowledge. According to the author, what Hegel meant by absolute knowledge was not merely the human cognition of a divine object, but the activity of God's own self-knowing in human subjectivity. Moreover, it is clear that the „mystical" for Hegel signified not the hidden, but the self-disclosing aspect of the absolute. Yet, it seems to me that ECKHART was more ambiguous on the question of divine transparency than was Hegel. For although the divine is always fully self-revealing. ECKHART prefers to express the unity of being and knowing in negative terms: absolute, divine Presence demands a self-negating movement into „Nichts", beyond cognitive determinations and cognitive grounds. For Hegel, on the other hand, and this is crucial, reason can be absolute only if it appropriates into itself the very movement of self-negation as the method of its own positive self-determination: „The negative of the concept is itself immanent to the concept," as the author writes (124). The paper by JOHN BURBRIDGE, IS Hegel a Christian?, is less successful in arguing for a specifically Christian mystical content in Hegel's philosophy. Similar to MERKLINGER'S book, BURBRIDGE'S interpretation makes it necessary to base Hegel's speculative Claims on his beliefs in Christian doctrine. Philosophy becomes a conceptual formulation of Christian experience, instead of a qualitatively different kind of approach to reality. The paper by S. ROCKER, The Integral Relation of Religion and Philosophy in Hegel's Philosophy deserves mention because it takes the opposite view of the relation. I find its thesis that philosophy purifies religion and elevates it into a higher form of knowledge and union with God to be rendered more compellingly, however, in the paper by W. JAESCHKE, Philosophical Theology and Philosophy of Religion, by far the most radical and stimulating essay in the volume. JAESCHKE's premise is that only speculative philosophy, which alone has systematic knowledge of the whole, is in the position to evaluate reügious Claims and then to Order them to its own philosophical ends. He argues that once spirit has indeed attained full self-consciousness in and through the relations of thinking and knowing, religion as a mode of human awareness of God has been definitively superseded: „... philosophical thought is the sole basis and

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legitimating authority of discourse about God" (6). Such a Claim contains serious implications for a speculative theory about the function of a philosophy of religion from the point of view of absolute knowledge, and JAESCHKE'S lucid and important exposition draws them out. PhUosophical theology, which is speculative knowledge of God as Idea, realizes that its standpoint is unable to comprehend adequately the idea of God as spirit, i. e. as a living self-relation of absolute subjectivity. Since religion deals precisely with God as spiritual self-manifestation to human spirit, speculative thought turns to philosophy of religion to complete its knowledge. JAESCHKE clarifies his position by propounding several theses about what philosophy of religion is not: (1) it is neither an account of the historical development of religions leading up to Christianity, (2) nor is it a second Order ratiocinative discipline that treats an object outside of itself. It defines itself, rather, in terms of its task to expound the concept of spirit as it is disclosed by the absolute self-relation of spirit to spirit in religious consciousness. Moreover, since the spiritual relations that constitute religious consciousness are manifestations of absolute Spirit's self-consciousness, the subject matter of Hegel's new kind of philosophy of religion is no longer a finite relation between human beings and God, but self-relations in the Absolute itself. What Interests Hegel, as a phüosopher of religion, is God's self-disclosure to speculative thought as absolute spirit and eternal subjectivity. Yet, because of the ever present skeptical threat to reduce all spiritual relations in consciousness to finite relations, philosophy of religion must itself return to philosophical theology for a metaphysical account of the absolute, hronically, JAESCHKE'S claim that religious spirit is a mode of the Absolute's self-relation, Sounds the kneU for reUgion's (even the consummate religion's) self-understanding as the privileged access of the human subject to its divine Other, for the triumph of the religious essence means the overcoming of the finite's independent being. Yet, the author is careful to point out that the end of religion as a human activity does not imply the death of God. On the contrary, philosophical theology's insight into the nature of divine subjectivity defends the existence of a divine, monistic Being. In fact, traditional critiques of religious proofs of the existence of God, which attacked the leap from finite thinking to infinite being, are now powerless within the framework of Hegel's concept of an absolute subjectivity. JAESCHKE'S paper clarifies the confusing Situation among commentators on the function of Hegel's philosophy of religion within his entire System. Nonetheless, a question remains: does this view of the priority of philosophical knowledge over religion necessetrUy mean that all forms of religious consciousness have nothing more to offer philosophical reflection? Even from the standpoint of speculative knowledge, does not the phüosopher still need faith to accept his cognitive activity as God's own self-relation?

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5. The five papers and critical responses that make up Thought and Faith in the Philosophy of Hegel consider the relation between Hegel's concept of reügion and his System as a whole. The contribution by W. JAESCHKE develops his thesis on absolute religion discussed above and applies it to the vexed question of the historical progression of reügions. ln brief, he argues that the absolute self-relation of spirit is only exempüfied by Christianity, in principle, at least, there could be many consummate reügions, each fulfUüng the conditions of SpiriTs absolute subjectivity. An important dissenting voice is raised by H. HARRIS' paper, Hegels Phenomenology of Religion. The author argues that the idea of a systematic conception of reÜgion, as we see it take shape in the Berlin lectures, has its foundation in HegeTs phenomenology of spirit, conceived as a „Science of experience." A retum to this Science, especiaUy to the chapter on reügion in the Phenomenology of Spirit, wül aUow the reader to discern what is „eternal" from what is historically conditioned in Hegel's phüosophy of absolute spirit. HARRIS' presupposition is that phüosophical Statements about the absolute are legitimate to the extent that they derive meaning from concrete experience, and do not attempt to construct an ideal System out of pure ideas. HegeTs early investigation into the history and development of reügions demonstrates a feücitous coming together of method and subject matter in Order to expücate the inner Constitution of human subjectivity in the concrete form and shape of reügion.

Yet, HARRIS is quick to reaüze that this Claim might suggest to the untutored ear the debunking of reügion as a capricious product of human consciousness, for he adds that the scientific Status of HegeTs Science „depends on the identity of the appearing of the spirit in the history of the race with the evolution of self-consdousness in the phUosophicaUy reflective individual" (94). HARRIS chooses his words carefuUy, for it soon emerges that what comes to appearance historicaUy in Christianity, and what makes it „absolute", is human absolution, the release from our own historical guUt and division: „that we can absolve ourselves by absolving others." The „spirit," then, that appears in the Community of mutual forgiveness is the spirit of the race, a stage in the development of humanity's wholeness and unity. The danger, according to HARRIS, of taking the Berün lectures at face value is that one can be easUy deceived by HegeTs transition from the logic of historical spirit to the logic of pure thought. Such a category transformation, with its corresponding theological tendencies, distorts HegeTs genuine phenomenological insight into reügion as humanity's self-consdous reaüzation of freedom and community. Nonetheless, the emergence of „absolute" reügion is vital because only there can spirit break with the „natural" consciousness of a transcendent being and begin to work towards actual human community.

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Progress is not unilateral. For instance, while Christianity has reified (my term) its „absolute" relation to a divine being, GANDHI'S reinterpretation of Hindu reügious experience is an example of the potential of many religions to develop and to express the spirit of human reconcüiation across national and cultural barriers. Thus, a religion can become „absolute" only if it admits its own cultural preconditions and Umits, and recognizes a plurality of „absolute" religions, each corresponding to a people's gradual awakening to universal human community (106). Although 1 disagree with HARRIS' contention that reügious spirit is a purely immanent phenomenon, 1 am ümited by space to several general observations. (1) It seems to me that in HARRIS' exposition of reügion a great deal depends on the movement, or „rupture," from materially determined nature to the freedom of universal human spirit. I do not doubt that for Hegel reügion is this transition, but how exactly is reügion able to bring about such a radical transformation, if spirit is nothing more than the race's historical consciousness? Hegel's treatment of reügion and ethical freedom evinces, in my opinion, a deep concern for teleology, not as extra-historical causaüty, but as constitutive of human spirit as absolute reaüty. In other words, without a deeper metaphysical account of reügious spirit (what JAESCHKE caUs „philosophical theology"), I don't see how the movement from nature to spirit is conceivable, unless one simply posits spiritual development as part of the very determinateness of nature. But this seems to beg the question of spirit altogether. (2) But if HARRIS is indeed correct, then terms such as „reügion," „spirit," „divine," „eternal," and „God" in Hegel's System strike me as deceptively metaphorical. I would argue that Hegel's transition from phenomenology to logic (where such terms abound) is not just a formal, category transition, as HARRIS contends, but one with real significance for the entire System — the acknowledgement on Hegel's part of the ontologically irreducible reaüty of a divine totaüty, quite in the spirit of SPINOZA's monism. Of course, one could argue that SPINOZA's System is itself a-theistic, but that is a point of an entirely different Order from the one being made here by HARRIS. (See, in this same volume, KURT RAINER MEIST'S paper, ,Absolute' and ,Consummate‘ Religion, 39—71, in which he treats SPINOZA'S influence on Hegel). Simüar questions are raised, though indirectly, by J. WALKER'S paper. Absolute Knowledge and the Experience of Faith. The author's concern is the legitimacy of Hegel's speculative Claim to have attained systematic knowledge of absolute Spirit. In what sense, he asks, is Hegel's doctrine of absolute knowledge not just a theory about reaüty, but a form of knowledge that is itself relevant to existence, i. e. borne out by the whole of human experience? WALKER means that any theory that Claims to be systematic knowledge of the whole of reaüty cannot prove such a Claim either by producing a specific bit of evidence from without the System, since what is outside the System can have no vaüdity for the System, or by adducing a proposition from within, since this would inevitably involve a circular proof. Hegel's System, which he himself describes as a „circle of circles," seems to aUow for no objective verification, and, thus affords no way in.

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In formulating a solution, however, it gradually becomes dear that for WALKER the question of legitimacy is not one of systematic coherence or justification, but a question of the relation between theory and practice, thinking and being, idea and reality. Consequently, the way to bridge the alleged gap between distinct realms of reality is to experience „the connection of phUosophy to reUgion as modes of absolute Spirit" (156). WALKER assumes that phüosophical theories occur in the mind of a particular thinker and thus posses prima fade mental existence that should not be confused with extra-mental or objective reality; an idea in my mind is real as my idea of something, nothing more. If this sounds CARXEsian, it is and it has all the immediate common sense appeal of Descartes' phUosophy. The author proposes, accordingly, a non-phüosophical (i. e. a non-theoretical) way out of the dUemma by means of the reügious experience of absolute Spirit as a reality other than thought. The goal is to arrive at some point in experience that wUl „connect" what is inside the mind to what is outside, thereby aUowing one to „see" the correspondence between idea and reality. WALKER'S analysis, both his interpretation of the problem and its solution, seems to me to be defective on several counts. Fürst, he ascribes a common sense view of the relation between thinking and reality to Hegel's own understanding of his theory. I do not mean to imply that the difficulty that WALKER describes is not a real and interesting one, only that it is not Hegel's. Second, even on its own terms, WALKER'S soluHon does not work. For even if Hegel's theory of absolute Spirit does indeed invoke doubt about the relation between the idea of Spirit and mind-independent reality of Spirit, the appeal to religious experience (curiously left undefined by the author), as the connection between the two realms, must itself become the subject of a phüosophical theory about how such a connection occurs and why it shows what WALKER needs it to show, namely, the objective reality of Spirit. Consequently, every attempt to counter the dichotomy between inner and outer reality wUl fall victim to an ever-expanding „inner" realm of reflection and skeptical doubt. I risk belaboring this point because I do think that it marks a serious weakness in Hegel's System and that upon further reflection a solution might have something to do with Hegel's theory of religion, but not in the form of an appeal to direct religious experience, as WALKER proposes.

Hegel thought that it is the work of the finite understanding to posit a fundamental difference between thinking and being, and that once such a difference is in place no amount of rational reflection could ever shake the mind free of its grip. Thus, the problem with WALKER'S analysis is that it seeks to confront the understanding on its own grounds and, then, introduces the notion of absolute Spirit as a kind of third being in order to unite the extremes. Hegel was resolute throughout his systematic writings never to be drawn into a dispute on terms previously defined by the understanding. His point of departure was that difference was possible only on the basis of unity, which he identified with

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the Absolute itself. Even in the early Jena essays, this fundamental insight directed him to begin systematic thought v^^ith reason as the metaphysical principle of such unity. The question of systematic legitimacy, then, was never a matter of overcoming an Opposition between inner and outer reality, but a matter of a self-relation within the one, all-encompassing Spirit. Thus, the question of legitimacy is a question of how Spirit can remain self-related as mediated by the being of the finite world. But this question was for Hegel a reUgious question, in fact, it was the most important of aU rehgious questions. A complete analysis and explication of Hegel's theory of reügion, then, would have to demonstrate (1) how the rehgious hfe of human spirit provides the means for the self-relation of absolute Spirit, and (2) how this rehgious relation elevates finite spirit into identity with the Absolute as the cornerstone of the entire System. How does the rehgious hfe of human subjectivity imply an absolute self-relation of Spirit? But this is the one remaining unexamined question in Hegel's phüosophy of rehgion. Terrance G. Walsh (Berhn)

Elio Matassi: Ereditä hegeliane. Da Cieszkowski e Gans a Ritter. Napoli: Morano Editore 1991, 312 S. In der großzügig angelegten Rekonstruktion des Hegelschen Systems wird die bislang nur partiell oder indirekt untersuchte Korrelation zwischen Transzendentahsmus und Anerkennung der historisch-hermeneutischen Unverzichtbarkeit der Französischen Revolution für entscheidend gehalten. Es handelt sich um eine Forschungsperspektive, deren Ursprung in den Vorlesungen der Philosophie des Rechts von E. GANS, Naturrecht und Naturrecht und Universalrechtsgeschichte und in den Vorlesungen über Geschichte der letzten fünfzig fahre festgesteUt wird und die eine erste Vertiefung sowie Entwicklung in den Arbeiten von J. RITTER und O. MARQUARD erfährt. Die Übereinstimmung zwischen der historisch-hermeneutischen Ebene der Unverzichtbarkeit der Bedeutung der Französischen Revolution und jener der theoretisch-methodologischen, bezogen auf die Unverzichtbarkeit der Polemik gegen die Sollensphilosophie, genial geahnt von GANS und zentral in den Schriften von J. RTTTER und O. MARQUARD, wird in der Arbeit von MATASSI ZU Ende gedacht, so daß eine neue relevante Interpretation ermöglicht wird, die in der Formel „Umschwung des Zielzusammenhanges" zusammengefaßt werden kann. In dieser Perspektive wird das Hegelsche Primat der absoluten Idee einen völlig anderen Stellenwert annehmen, weil es nicht mehr als eine grobe spekulative Perversion angesehen werden kann, die den üblichen Zusammenhang zwischen abstrakt und konkret nach dem kritischen Modell von A. TRENDELENBURG umkehrt, sondern es wird seine theoretische vollkommene Legitimation in dem Bedürfnis wiederfinden, die äußeren Bindungen der Natur und der Realität

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zu kontrollieren. Es geht also um Bindungen, Grenzen, die noch faktisch die fundamentale Fremdheit, die unmittelbare Trennung zwischen Subjekt und Welt bescheinigen. „Die fortschreitende Reduktion derartiger Distanz kommt der Anforderung entgegen, Grenzen und Bindungen zu überwinden, um sie nach einer eigenen formalen Ordnung zu modellieren, die jene anfängliche fundamentale Fremdheit wiederzubewegen vermag. Der objektive Geist und die Kunst wie die anderen Formen des absoluten Geistes haben die Fähigkeit, diese Grenzen zu transzendieren und als Reflex den einzig realen Agenten eines ähnlichen formalen und gestaltenden Prozesses zu erheben, der das menschliche Subjekt in seiner autonomen Reichweite ist". (22) In diesem Vorschlag kann das Adjektiv „absolut", das den Hegelschen Idealismus bezeichnet, durch das genauso zwingende Adjektiv „poietisch" ersetzt werden. Auf diese Weise kann man nach MATASSI die Umkehrung des Zielzusammenhanges und die innere Neigung des Hegelschen Idealismus, die prejudizierte, fundamentale Fremdheit der äußerlichen Welt zu überwinden, vollständig ausdrücken. „,Geist als absoluter' ist also nicht eine metaphysisch-hieratische Dimension, die das Menschliche transzendiert, sondern die spezifische menschliche Dimension, die nicht mehr erschöpfbar in der Wechselbeziehung mit der Natur, nicht mehr „relativ", gebunden und der Natur untergeordnet ist" (193). Diese neue methodische Perspektive erweist sich genauso nützlich in der Verwertung spezifischer Momente des Hegelschen Systems wie jene des Rechts und der Kunst. Ausgehend von der oben erwähnten Vorentscheidung der Korrelation zwischen Transzendentalismuskritik und historisch-hermeneutischer Unverzichtbarkeit der Französischen Revolution, leistet MATASSI eine neue Interpretation des ersten Paragraphen der philosophischen Einleitung der Grundlinien und der typisch Hegelschen Instanz, nach der das Programm der (historischen) Verwirklichung mit der (philosophischen) Idee des Rechts in Korrelation gesetzt werden muß. Diese Korrelation wird wirklich stringent nur nach der Französischen Revolution und besonders nach der Kodifizierung durch Napoleon, in der das Prinzip der Freiheit erstmalig vom Postulat zur juristischen Organisation wird, die historisch vorhanden ist. Die komplexe Hypothese MATASSIS findet eine unmittelbare stringente Nachprüfung in der Interpretation des berühmten Doppelsatzes von der Vernünftigkeit des Wirklichen aus der Vorrede zu den Grundlinien. Nur wenn man die Komplementarität zwischen der Polemik gegen das Sollen und der Übernahme der historischen Unverzichtbarkeit der Französischen Revolution in seiner vollen Radikalität akzeptiert, wird der Doppelsatz sich als vollkommen transparent in seinen Implikationen erweisen. Die radikale Dimension — gemessen an dem Zusammenhang der Französischen Revolution — wird auf die privilegierte Ebene der Idee des Rechts verweisen, die nicht nur den Begriff, sondern auch seine Verwirklichung denkt. Die Unterscheidung zwischen der ideellen und der tatsächlichen Ebene wird erst nach der Französischen Revolution deutlich. Und die reale Dimension dessen, was

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sich historisch verwirklicht, ist nichts als die Ebene des Rationalen, die durch die Französische Revolution verwirklicht ist. Dasselbe gilt für die Kunst. Nach MATASSI hat Hegel in diesem Fall die extreme Konsequenz des Subjektivierungsprozesses des ästhetischen Bereiches genial geahnt, die mit KANTS Kritik der Urteilskraß einsetzte. Mithin handelt es sich um jene Ästhetisierung der Kunst, die die moderne Entzauberung der Welt ausgleichen muß. Während es im Altertum eine unmittelbare Übereinstimmung zwischen Schönheit und dem Bereich der Existenz gab und die Philosophie des Schönen und der Kunst Individualisierungsebenen vollkommen andersartig darstellten, geschieht in der modernen Welt das Gegenteil: wohingegen die unmittelbare Gleichstellung zwischen der Schönheit und dem Bereich des Bestehens nachgelassen hat, wurde diejenige zwischen einer Philosophie der Schönheit und der Philosophie der Kunst selbstverständlich. Je mehr der Platz des Schönen im Bereich des Seins sich verkleinert, um so mehr dehnt sich der Platz der Kunst in der Kunstphilosophie aus. Die Ästhetisierung der Kunst ist auch das Endergebnis der Hegelschen Vorlesungen; jenes Endergebnis, das genauer bekannt ist unter dem Namen der Auflösung der romantischen Kunst, die oft willkürlich interpretiert worden ist. Aber die Untersuchung MATASSIS entwickelt nicht nur Zielvorschläge; der größte Teil seiner Arbeit ist der Analyse der vulgata gewidmet, die die Rezeption des Hegelschen Denkens kennzeichnet und die zuerst einmal in einer atypischen Figur des Hegeliasmus festgestellt wird, beim polnischen Aristokraten AUGUST VON CiESZKOWSKi. In den Prolegomena zur Historiosophie, einem Projekt zur Reform der Hegelschen Geschichtsphilosophie, das in der Substanz gescheitert ist, tauchen deutlich die theoretischen Koordinaten auf, die die Aufnahme des HegeUasmus negativ belasten. CIESZKOWSKI beharrt vor allem auf dem Hegelschen Primat der logischen Struktur, der nicht immer eine angemessene Deduktion der spezifischen Teile des Systems entsprechen würde. Auf diese Weise werden die Momente der Philosophie des Geistes wie reine „Anwendungen" betrachtet. Im Ansatz MATASSIS dagegen gewinnen Rechtsphilosophie und Geschichtsphilosophie in ihrer untrennbaren Verflechtung eine zentrale Stelle, weil sie Nachweise der geschehenen epochalen Anerkennung der Französischen Revolution sind: „Diese epochale Anerkennung bringt eine Umkehrung der üblichen theoretischen Koordinaten mit sich, die verwendet wurden, um das Hegelsche System zu interpretieren: konnte bislang eine Sequenz ... von der Idee zur Realität sich als plausibel erweisen, ist sie in diesem Fall nicht mehr zu rechtfertigen ..." (234). MATASSI analysiert in einer dichten Reihe von Hinweisen genetisch eine methodische Vorentscheidung, die in den Schulen des deutschen Neukantianismus in Marburg (COHEN, CASSIRER), in Heidelberg (LASK), im westlichen Marxismus (LuKÄcs, BLOCH), in der Frankfurter Schule (HORKHEIMER, ADORNO), in Autoren wie F. ROSENZWEIG und W. BENJAMIN auf einen breiten Konsensus trifft. In diesem Teil seiner Arbeit erweisen sich die Beweisführungen MATASSIS als besonders wirksam, was die Thematisierung des HegeUasmus oder was jenen beachtenswerten Teil anbelangt, von dem vermutet wird, daß er die essentielle

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theoretische Ausstattung von Autoren wie LUKäCS, BLOCH und ADORNO ausmacht. Michele Borrelli (Universitä della Calabria)

Goncal Mayos: Marxa i sentit especulatius de la historia. Comentari a Hegel. Barcelona: P. P. U. 1993. geht in seiner Arbeit von Hegels berühmter These aus, wonach das, was vernünftig ist, wirklich ist (oder wird), und das, was wirklich ist, vernünftig ist (oder wird). Seiner Meinung nach wurde diese These zwar häufig analysiert, aber nicht in der Weise auf ihre Konsequenzen hin untersucht, daß man den Grad ihrer Verwirklichung durch die Realität und den Verlauf der Geschichte überprüfte. Diesen Mangel, der vielleicht auf POPPERS Kritik am Historismus zurückgeht, versucht MAYOS dadurch zu beheben, indem er sich erneut der Geschichtsphilosophie Hegels zuwendet. Er konzentriert sich dabei auf die Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte, die es zu analysieren, strukturieren und zu synthetisieren gUt. Zu diesem Zweck lenkt MAYOS das Augenmerk sowohl auf die spekulativen als auch auf die empirischen Momente bei Hegel, deren innere Verbundenheit er betont. Mit aller gebotenen Deutlichkeit legt MAYOS dar, daß die Manifestationen historischer Ereignisse einer logischen Ordnung folgen, die sich ihrerseits im empirischen Geschehen offenbart. Hierbei streicht er die Wichtigkeit der ideologischen, künstlerischen und religiösen Aspekte bei der Entwicklung der Gesellschaft heraus: „Die verschiedenen Religionen sowie die Arten der Künste und der Philosophie stellen die tiefere Bewußtseinsformung der Gesellschaft hinsichtlich ihrer Entwicklungsebene dar." Des weiteren schlüsselt MAYOS die dialektisch-spekulativen Hauptgedanken Hegels über die Geschichte auf, die z. B. das Diktum von der List der Vernunft ausdrückt, bei dem es sich um eine Metapher handelt, die die scheinbare Unsinnigkeit historischer Ereignisse zu erklären versucht. Gerade die Betonung derjenigen Momente und Übergänge, die unter dem Anschein des Sinnwidrigen den logos der historischen Entwicklung als Fortschritt zur Freiheit kennzeichnen, machen das Interessante dieser Arbeit aus. MAYOS legt seiner Arbeit die Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte in der von GEORG LASSON besorgten Ausgabe zugrunde und verweist in den Anmerkungen auf die Numerierung von JöSE GAOS (Madrid 1980), da es sich hier um die zur Zeit beste spanische Übersetzung handelt. Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel werden Hegels Grundgedanken zur Geschichte mit der Pointe dargestellt, daß man Geschichtsphilosophie als eine spezielle Ontologie aufzufassen hat. Hieraus erklärt sich auch, daß „Weltgeschichte" mit „üniversalgeschichte" übersetzt wurde, wodurch man den spekulativen Charakter betonte. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich MAYOS mit dem Orient unter dem Aspekt, daß MAYOS

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die Geschichte mit dem komplexen Moment der Entstehung des Staates beginnt. Das dritte Kapitel behandelt die griechische Welt, in der das glückliche Moment der Subjektivität zutage tritt, die aber aufgehoben werden muß. Nachdem das vierte Kapitel die römische Welt als Moment der Spaltung zwischen Allgemeinheit und Singularität thematisierte, wendet sich das fünfte Kapitel dem Moment der Versöhnung zu, wie es sich in der christlich-germanischen Sphäre entwickelte. Hier trat mit dem Christentum ein wesentlich logisches Element in der Universalgeschichte auf, die den empirischen Verlauf der Geschichte aufgrund seines spekulativen Gehaltes veränderte und letztgültig bestimmte. An diesem Punkt müßte man allerdings kritisch beachten, daß es sich zwar einerseits um Universalgeschichte, andererseits aber um die Geschichtsschreibung germanischer Völker handelt. Obwohl MAYOS selbst auf diese Inkongruenz hinweist, hätte er dies verstärkt tun sollen. Abschließend kann man festhalten, daß das Buch von MAYOS eine gelungene Bestandsaufnahme der Hegelschen Interpretation von Geschichte ist. Auch wenn es nicht in der expliziten Absicht MAYOS lag, kann man darüber hinaus seine Arbeit als eine Antwort auf die m. E. wenig fundierte Kritik POPPERS am Historismus lesen, der vergessen zu haben scheint, daß Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte ein spekulativ-interpretatorisches Werk über historische Fakten sind. Lluis Alegret i Biosca (Barcelona)

Michael Gans: Das Subjekt der Geschichte. Studien zu Vico, Hegel und Foucault. Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1993. 287 S. Der Verfasser stellt sich der Frage, inwiefern heute, nach dem allseits proklamierten Ende der Geschichtsphilosophie (FOUCAULT/MARQUARDT), überhaupt noch eine Theorie der Geschichte möglich sein kann, in der Subjektivität zugrundegelegt wird. Hierzu untersucht er drei spezifisch neuzeitliche Erscheinungsformen von Geschichtsphilosophie beziehungsweise der Abkehr von ihr. Die Untersuchung hebt an mit GIAMBATTISTA VICO, dem Begründer der profanen Geschichtsphilosophie auf der Basis der menschlichen Subjektivität. Ein zweiter Teil widmet sich dem Höhepunkt des abendländischen geschichtsphilosophischen Denkens, nämlich Hegel. Schließlich wendet sich GANS einer weiteren einflußreichen Position zu, die gerade ein auf der menschlichen Subjektivität begründetes Geschichtsdenken infragestellt: der von FOUCAULT geleisteten diskurstheoretischen beziehungsweise machtanalytischen Destruktion des Subjekts und somit auch dessen Geschichte. Im ersten Teil rekonstruiert GANS aus dem Frühwerk Vicos heraus die Genese der geschichtsphilosophischen Konzeption seines Hauptwerks, der Neuen Wissenschaft aus dem Jahre 1744. Hier — in den beiden Büchern Wesen und Weg der geisti-

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gen Bildung und Liber metaphysicus — entwickelt Vico die noch am mathematischen Ideal orientierte Fassung seines Prinzips „verum et factum convertuntur“ (19—44). Es zeigt sich aber, daß bereits die mathematische Konvertibilität des Wahren und Gemachten den sozialen Strukturen, also einem menschlichen Allgemeinsinn entsprungen sind. Hieran schließt sich ein Exkurs an über DESCARTES' Konzeption der Wahrscheinlichkeit, und GANS widerlegt im Zusammenhang damit die Auffassung, Vicos Kritik an DESCARTES sei eine vollständige Ablehnung seiner Philosophie. Zwar kritisiere VICO die dogmatischen und ontologischen Aporien, doch verwandele er das ego cogito in das cogitamus einer sozialstrukturierten Subjektivität. Der Exkurs zeigt auch, wie sich diese Umwandlung in Vicos Hauptwerk entfaltet, und daß man nicht mit LOWITH im Hinblick auf die Geschichtsphilosophie Vicos von einer eschatologischen oder ontologisch strukturierten sprechen kann (99). Den thematischen Schwerpunkt seiner Arbeit hat GANS auf die vollständig geschichtlich konzipierte Philosophie Hegels gelegt. Daß Hegel — wie der Verfasser auch am Kapitel über das absolute Wissen in der Phänomenologie des Geistes belegt — von Anfang an den sprachlich-sozialen Charakter der Subjektivität des Geistes ins Zentrum seiner Geschichtsphilosophie stellt, darauf beruht die tragende These der hier vorliegenden nicht metaphysischen Hegel-Interpretation. GANS liest die Phänomenologie des Geistes als eine direkte Fortsetzung der KANrischen Transzendentalphilosophie (154—170). Somit sei auch die absolute Idee aus der großen Logik keinesfalls zu verstehen als Hegels anachronistischer Versuch einer ontologischen Begründung des Geistes und der Natur. Es handele sich hierbei nämlich um die über sich selbst aufgeklärte transzendentale Grundlage des menschlichen Wissens (195—210). Dieses beziehe sich nicht mehr auf äußerliche Weise auf seine Gegenstände, sondern, völlig transparent, entlasse es sich frei — wie GANS mit Hegel sagt — an die realphilosophischen Sphären der Natur und des Geistes (206 f). Hieraus zieht der Verfasser Konsequenzen für die Geschichtsphilosophie Hegels. Es geht um die „absolute Methode", die — in der Wissenschaß der Logik entwickelt — der Geschichte nicht als ontologisches Telos zugrundeliege, wo sie sich nur „klappernd" (219) entfalten könnte. GANS sieht in ihr die „Voraussetzung der Voraussetzungslosigkeit" (217). Dies bezieht er auch auf den Kern der Hegelschen GeschichtsphUosophie: die vermeintlich ungeschichtliche Forderung, daß man die Geschichte vernünßig betrachten müsse, um die in ihr waltende Vernunft zur Geltung zu bringen. Weil Vernunft in der Geschichte und Subjektivität des menschlichen Geistes nur gleichzeitig geschichtliche Praxis bedingen können, so die Konklusion des Autors aus der Analyse des Hegelschen Systems, wird jede Rede von Geschichte als Produkt menschlicher Praxis sinnlos, die nicht beiden Momenten Rechnung trägt. (210—228) Es ist konsequent, wenn GANS in seiner Untersuchung hier eine Position anschließt, die mit der Destruktion der menschlichen Subjektivität zugleich den Begriff der Geschichte fallen lassen muß. Dies zeigt er paradigmatisch am Beispiel FOUCAULTS auf. Unter dessen veränderter Perspektive löst sich Geschichte auf in separate Geschichten begrenzter Diskursformationen, die keine transzendentale

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Subjektivität zur Einheit der Geschichte zusammenzudenken vermag. Es ergibt sich daraus ein weiterer Hiatus zwischen der Sphäre diskursiven Wissens und der Sphäre geschichtlicher Praktiken. Sowohl die diskursiven historischen Blöcke untereinander als auch die Sphäre diskursiven Wissens im Verhältnis zu sozialen Praktiken werden radikal getrennt von der menschlich-geschichtlichen Praxis. Jene erscheinen nicht mehr als deren Produkt. Wissenschaftlicher und menschlicher Fortschritt werden zur Farce. Mag auch die von GANS vorgelegte nichtmetaphysische Lesart der Hegelschen Geschichtsphilosophie angreifbar sein, so zeigt sie doch, wie vom Standpunkt Hegels aus die Aporien einer radikal subjektlosen Geschichtsauffassung überwunden werden können. Klaus-Jürgen Grün (Frankfurt/M.)

/. F. Kervegan: Hegel, Carl Schmitt. Le politique entre speculation et positivite, Paris: PUF 1992. 343 S. Der theoretische Hintergrund dieses Buches bildet eine Auffassung von Hegels Philosophie als eines Systems, das wesentlich als derjenige Prozeß zu verstehen ist, der die Positivität, die sowohl den verschiedenen Geistes- und Naturwissenschaften als auch der Verstandestätigkeit als solcher eigentümlich ist, ständig in die Vernünftigkeit der Spekulation integriert. Das notwendige Pendant dieses Integrationsprozesses ist aber die (auch historisch zu verstehende) Bewegung, die die Positivität gegenüber dem Spekulativen verselbständigt. Die Hegelsche Dialektik ist gerade diejenige philosophische Methodologie, die allein erklären kann, wie das Positive sich verselbständigen muß, um schließlich in das Spekulative vollständig aufgenommen werden zu können. Aufgrund dieser Auffassung der allgemeinen Aufgabe der Hegelschen Philosophie entwickelt KERVEGAN eine Auseinandersetzung zwischen Hegel und CARL SCHMITT, die ein doppeltes interpretatorisches Ziel verfolgt. Es handelt sich einerseits darum, gegen die Interpretationen, die SCHMITT immanent kritisieren bzw. rechtfertigen wollen, sein Denken auf eine indirekte Weise in sein rechtes Licht zu stellen — nämlich vemüttels der bestimmten Art und Weise der Hegel-Rezeption CARL SCHMITTS. Wenn LEO STRAUSS seine Kritik an SCHMITT SO entwickelt hat, daß er SCHMITT und HOBBES in eine enge Verbindung setzte und wenn dagegen KARL LöWITH die Nähe SCHMITTS und HEIDEGGERS privUigierte, dann versucht KERVEGAN hier die Auseinandersetzung SCHMITTS mit HEGEL so darzusteUen, daß sie eine paradigmatische Erklärungsfunktion gegenüber den wichtigsten Gehalten der Philosophie SCHMITTS erweisen kann (129). Die interpretatorische These ist dabei folgende: Die bestimmte Art der von Hegel unternommenen dialektischen bzw. spekulativen Auffassung sowohl des Rechts als auch der politischen Wirklichkeit hätte SCHMITT dazu geführt, seine eigene poUti-

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sehe Position als einen Dezisionismus zu entwickeln, der im Grunde nichts anderes als eine Metaphysik der Entschluß (327) und weiter noch eine Metaphysik der Positivität ist (328), die das wahre Gegenstück zur Dialektik darstellt. Auf der anderen Seite ist aber die hier durchgeführte Konfrontation zwischen Hegel und SCHMITT imstande, das politische Denken Hegels in einem neuen, indirekten Licht so darzustellen, daß dadurch für diejenige „Zweideutigkeit" (Restauration oder Revolution?), welche die Sekundärliteratur immer schon an Hegels Philosophie (und insbesondere an seiner politischen Philosophie) hervorgehoben und wiederholt hat, eine Auflösung vorgeschlagen wird (145 f, 152, 190). Im ersten Teil des Buches findet man eine klare und ausgewogene Darstellung der wichtigsten Themen der politischen Philosophie CARL SCHMITTS. Der Dezisionismus SCHMITTS wird zunächst im Streit gegen den Normativismus von KELSEN, dann in seiner späteren Vervollständigung durch den InstitutionaUsmus analysiert (Kap. I); der berühmten These vom „Totalstaat" geht KERVEGAN in seiner Funktion zur Bekämpfung der Theorien des Rechtsstaats, des Liberalismus und des Parlamentarisus nach (Kap. IV), so daß aufgrund dessen der Begriff des „Politischen' entwickelt wird. Einige wichtige Schlußfolgerungen aus dieser Gesamtdarstellung werden aber erst dann erreicht, wenn man die Analyse des Hegelschen Gedankens ins Spiel bringt. Denn gerade im Zusammenhang mit den Thesen Hegels, wird klar, worin der theoretische Gehalt der ScHMirrschen politischen Philosophie wirklich besteht. In der „Entstellung" des Hegelschen Gedankens, die SCHMITT mehr oder weniger bewußt begeht (259), spiegelt sich letztendlich nichts anderes als jene tiefere Entstellung, die die ScHMnrschen Philosophie in ihrer ganzen Entwicklung kennzeichnet. In dieser „deformation" hat man eines der deutlichsten Beispiele von einer Hegel-Aneignung, die zugleich ein Versuch ist, Hegels politische Philosophie ohne die Dialektik zu lesen (diese Aneignung ist nicht nur da abzulesen, wo SCHMITT ausdrücklich Hegel zitiert oder auf ihn hinweist, sondern auch und insbesondere an den Stellen, wo SCHMITT Hegel nicht namhaft macht, seine Gedanken aber im wesentlichen wiedergibt — solche Stellen sind darüber hinaus nur unter der Voraussetzung eines Bezugs auf Hegel verständheh). Das Prinzip dieser „deformation" — die viel mehr besagt als eine bloße falsche Lektüre einer anderen Philosophie — besteht nach KERVEGAN darin, daß diejenige Rationalität, die für Hegels Denken immanent und konstitutiv ist, einfach weggestrichen und daher vollkommen weggelassen wird. Die These, die das Buch vertritt, ist, daß SCHMITT die Dialektik darum keineswegs akzeptieren konnte, weil sie denjenigen Dualismus in Frage gestellt hätte, der den Kern des ScHMiirschen Dezisionismus ausmacht (225, 328). Die spekulative Rationalität, die die Dialektik als ihre wahre Methode aufnimmt, begründet eine Philosophie der Immanenz — eine Philosophie nämlich, die von der Vernunft entwickelt wird und zugleich zur Selbstdarstellung derselben Vernunft führt. Die Dialektik ist damit die positive Antwort zu folgender Alternative: Entweder gibt es Vernunft in der Wirklichkeit bzw. in der Geschichte oder es gibt keine Wirklichkeit des Vernünftigen, d. i. es gibt überhaupt keine Vernunft (334). Die Hegelsche Behauptung der Gegenwärtigkeit der Vernunft ist

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nun zugleich die Behauptung ihrer Immanenz sowohl in der Wirklichkeit als auch im Gedanken dieser Wirklichkeit. Das Denken SCHMITTS stellt nun die entgegengesetzte methodologische Position dar. Es vertritt eine Denkform, die sich stets in der Dimension der Transzendenz bewegt (vgl. die Analyse der Problematik der Repräsentation. Kap. V. II. Teil) und von da her die Immanenz der Dialektik ablehnt. Diese Transzendenz findet sich jeweils in den verschiedenen Formen der Entscheidung des Grenzfalls, des Notzustandes, der Diktatur, des Krieges ausgedrückt (314, 331). In der Dimension der Transzendenz ist die anti-dialektische These enthalten, daß die Gegensätze niemals so beschaffen sein können, daß ihre Negativität in der Positivität einer höheren Synthese aufgehoben werden kann. Gegenüber der positiven Resolution des Negativen — gegenüber der „bestimmten Negation" Hegels — gilt für SCHMITT immer nur die „abstrakte Negation" (327—328), die entweder beim Dualismus der Entgegensetzung stehenbleibt oder zur Transzendenz eines irrationalen Entschlusses hinüberführt. Die These KERVEGANS suggeriert sogar, daß gerade die prinzipielle Unmöglichkeit, die Dialektik zu akzeptieren, d. i. die Gegensätze in der Form eines Prozesses zu denken, dafür zuständig ist, daß SCHMITT sich zum Nationalsozialismus bekannt hat. Denn dies würde nichts anderes als die notwendige Konsequenz sein, wenn man die Gegensätze hypostasiert (322), statt sie dialektisch in ihrer Negativität aufzulösen. Der Dezisionismus SCHMITTS ist daher zugleich das „Absolut-Setzen der Positivität" und das „Absolut-Setzen des Negativen selbst" in seiner Einseitigkeit und Abstraktion (327—328). Damit ist aber nur die Ferne zwischen SCHMITT und Hegel angedeutet. Die These des Verf. wird aber dadurch vervollständigt, daß sie neben der prinzipiellen sowie methodologischen Verschiedenheit ihrer Philosophieauffassungen im Ganzen eine — mehr oder weniger scheinbare — Gleichartigkeit in der Lösung von Einzelfragen feststellt. Hiermit sind die zwei Pole bestimmt, zwischen denen die Analyse des zweiten Teils des Buches sich bewegt. Es handelt sich immer darum, zu zeigen, (a) wie SCHMITT eine bestimmte These Hegels so interpretiert, daß seine Lektüre nicht weit von Hegels eigener Intention entfernt zu sein scheint; (b) wie SCHMITT jede Hegelsche These dennoch nur unter der Bedingung akzeptieren kann, daß sie in einer nicht-diakeltischen Weise gelesen wird; (c) und schließlich wird klar, daß, wenn SCHMITT dem Hegelschen Gedanken die Diakeltik wegnimmt, er nichts anderes macht, als Hegel zu , entstellen' (deformation), um zugleich seine eigenen Gedanken zu formulieren. Dafür bringt Verf. mehrere sehr einleuchtende Beispiele. Es scheint, daß SCHMITT und Hegel ähnliche Positionen zum Krieg (168, 177) vertreten. Der Unterschied ist aber in der von Hegel formulierten, von SCHMITT dagegen abgeschaffenen spekulativen Voraussetzungen zu sehen — denn nach Hegel ist im Krieg keineswegs das Wesen des Politischen ausgedrückt (180). Nicht weit von Schmitt scheint Hegel auch da zu sein, wo der Unterschied von bourgeois und citoyen ins Spiel kommt (182—183). Gegen SCHMITT, für den der bourgeois nur der zu eliminierende „Feind" sein kann, behauptet Hegel die Notwendigkeit, das Allgemeine des sittlichen Ganzen immanent zu differenzieren, so daß nicht nur dem citoyen,

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sondern auch dem bourgeois eine notwendige und legitime Stellung zukommen kann (184, 186). Das wichtige Thema des Verhältnisses zwischen Staat und bürgerlichen Gesellschaft zeigt einen ähnlichen Charakter. Die Hegelsche Unterordnung der bürgerlichen Gesellschaft unter den Staat wird von SCHMITT in Richtung seiner eigenen Theorie des „Pflicht zum Staat" oder der „Staatsethik" gelesen (189). Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, daß Hegel neben der Unterordnung der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber dem Staat die Notwendigkeit der ersten innerhalb des letzten gelten macht (199). Während für SCHMITT bürgerliche Gesellschaft und Staat zwei heterogene Realitäten ausmachen, die nur als dualistisch Entgegengesetzte angenommen werden können, bilden sie für Hegel zwei Formen derselben sittlichen Rationalität, die miteinander vermittelt werden müssen. Diese Vermittlung ist ferner nach Hegel immer eine wechselseitige (Justiz und Polizei sind die Formen der politischen Vermittlung der gesellschaftlichen Sphäre, während Stände und Korporationen die gesellschaftliche Vermittlung der politischen Sphäre ausmachen (231 f, 234, 237). Ein weiteres Beispiel betrifft die von SCHMITT hergestellte und von ihm in Hegels Denken wiedergefundene Analogie zwischen Naturzustand und bürgerlicher Gesellschaß. Wenn auch bei Hegel diese Analogie ein gewisses Fundament finden kann, muß man dennoch den Unterschied hervorheben: Er hegt gerade in der spekulativen Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft, nach der sie für Hegel der Wesens- aber zugleich der Begriffslogik entspricht. Die bürgerliche Gesellschaft macht mithin — im Unterschied zur bloßen Negativität des Naturzustandes — die „dialektische Vermittlung der wahren Positivität" (218), d. i. der sittlichen Totalität aus. Gegen SCHMITTS Interpretation ersetzt Hegel die Entgegensetzung von Naturzustand und sittlicher politischer Ordnung durch das Programm einer spekulativen Entwicklung der sittlichen Rationalität, die in der Form des Staats ihren höchsten Punkt erreicht (225). Angelica Nuzzo (Pisa)

Elisabeth Weisser: Georg Lukäcs' Heidelberger Kunstphilosophie. Bonn: Bou-

vier 1992. 202 S. (Neuzeit und Gegenwart. Philosophische Studien. Bd 7.) Über

— nicht nur den späten, sondern gerade auch den jungen — wurde vieles und mit den verschiedensten Wertschätzungen geschrieben; an einer systematischen Untersuchung seiner frühen Kunstphilosophie fehlte es indessen seit längerem. Die Bedeutung dieser frühen Kunstphilosophie liegt immerhin darin, in ihren Bemühungen um eine systematische Neubegründung der Ästhetik bzw. der Kunstphilosophie mit und gegen Hegel an wesentlichen Punkten eine intensive Auseinandersetzung nicht nur mit dessen Ästhetik, sondern gerade auch mit seinem ganzen philosophischen System zu unternehmen. GEORG LUKäCS

LUKäCS

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Daß Hegels Ästhetik nach seinem Tode vielfach rezipiert bzw. weiterentwickelt wurde, daß sie auf die Versuche unseres Jahrhunderts, so vor allem auf die ADORNOS und GADAMERS, aber auch des späten LUKäCS, die Ästhetik philosophisch zu begründen bzw. Probleme der philosophischen Begründung der Ästhetik weiterzudenken, wesentliche Wirkungen ausgeübt hat, darf als weitgehend bekannt vorausgesetzt werden;^ der Tatsache hingegen, daß des jungen LUKäCS ästhetisch-kunstphilosophische Versuche sich in diese Entwicklungslinie, die Ästhetik im Anschluß an und in Auseinandersetzung mit Hegel zu begründen, nicht nur ungezwungen einfügen, sondern daß sie auf wesentliche spätere Entwicklungen Einfluß ausübten, wurde bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist insofern auch nicht auffallend, als wesentliche Stücke dieser früheren Kunstphilosophie für lange Zeit ungedruckt und so auch unzugänglich blieben; auffallend ist es jedoch insofern, als das, was hiervon immerhin veröffentlicht wurde — so z. B. LUKäCS' im Band 7 des Logos im Jahre 1917/18 erschienener Aufsatz Die Subjekt-Objekt-Beziehung in der Ästhetik —, als in der Folgezeit wirkend nachgewiesen werden kann. So fehlt der Hinweis auf diesen Aufsatz LUKäCS' in GADAMERS Hauptwerk nicht, der ihn auf diese Weise in sein Weiterdenken der Kunsterfahrung sehr wohl einbezieht und sich mit ihm prinzipiell auseinandersetzt; GADAMER erinnert aber zugleich auch daran, wie OSKAR BECKERS Beitrag in der HusSERL-Festschrift im Jahre 1928 von LUKäCS' im nämlichen Aufsatz enthaltenen Ansatz geprägt worden sei.^ Die im Wintersemester 1989/90 in Bochum vorgelegte und nunmehr gedruckte Dissertation ELISABETH WEISSERS unternimmt u. a. den Versuch, gerade diese bisher wenig erforschten, wohl aber wichtigen Aspekte von LUKäCS' Frühwerk, vornehmlich den systematischen Aufbau der postum veröffentlichten Heidelberger Entwürfe zur Kunstphilosophie, aufzuarbeiten. Im Hinblick auf die editorische Lage von LUKäCS' Schriften wurde es erst in der jüngsten Vergangenheit allmählich möglich, den Plan einer solchen Arbeit konkret durchzuführen: die Edition zahlreicher Materialien, sowohl in Deutschland als auch in Ungarn, hat hierzu eine Reihe wesentlicher Texte zugänglich gemacht. — Leitend und recht erfreulich ist die zurückhaltende, streng wissenschaftliche Absicht (dies besonders inmitten der vorwiegend ideologischen Annäherungen, die dem LuKÄcsschen Werk zwar mit verschiedenen Vorzeichen, aber in reichem Maße zuteil geworden sind), die „in den Jahren 1907 bis 1918 entstandenen Arbeiten .. . aus den Voraussetzungen, die in ihnen zum Ausdruck kommen", zu begreifen, welche „Zugangsweise .. . desweiteren eine immanente Kritik des LuKÄcsschen Anspruchs" gestattet; „der Erkenntnisanspruch der Texte wird an den von ihnen gesetzten Maßstäben gemessen" (2).

1 Siehe hierzu zusammenfassend Annemarie Gethmann-Siefert: Zur Begründung einer Ästhetik nach Hegel. In: Hegel-Studien. 13 (1978), 237-289. 2 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1990. (Gesammelte Werke. Bd 1) 100 f.

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Die nähere Absicht geht dahin, zu prüfen, „inwieweit es LUKäCS gelingt, eine kohärente Position der Ästhetik zu entwickeln". Es ist naheliegend, daß, um dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden, sowohl auf „die vorschnelle Einordnung" des Frühwerks „in das von LUKäCS selbst für die eigene Entwicklung vorgegebene Interpretationsschema ,von KANT über Hegel zu MARX'" als auch (darüber hinaus und im allgemeinen) „auf eine einlinige Darstellung der Entwicklung" LUKäCS' verzichtet werden muß (4). Den Endpunkt der Untersuchung bildet sonach das Jahr 1918, d. h. der „Zeitpunkt des Abbruchs der Heidelberger Projekte" — eine Beschränkung, die sich durch zwei Gründe rechtfertigen läßt: die Themenstellungen des späteren Werks „sprengt z. e. den Rahmen der frühen Arbeiten, die ästhetische, ethische .. . Fragen umkreisen, z. a. zeichnet sich bereits in den vor 1923 entstandenen Texten ein Positionswechsel ab" (8). Die Untersuchung ist derart aufgebaut, daß die der Einleitung folgenden fünf Kapitel nach einer allgemeinen Darstellung der Rezeption der Lebensphilosophie in LUKäCS' frühen Schriften bestimmten Grundaspekten und Leitbegriffen von LUKäCS' Kunstphilosophie (wie den Begriffen „Leben", „Erlebnis", „Werk", „Kunstwerk", „Erlebniswirklichkeit", „Form", „Phänomenologie", usw.), d. h. deren komplexer Strukturierung und spannungsvoller späterer Umakzentuierung, gewidmet sind. Dieselben Themen werden dabei wiederholt und in immer tiefer greifenden Analysen erneut aufgenommen und zur Diskussion gestellt. Angesichts der Rezeption des Lebens- bzw. Erlebnisbegriffes wird ausführlich dargestellt, in welchem Maße die zeitgenössische Lebensphilosophie (nicht so sehr NiETZSCHEscher, sondern eher DiLXHEYscher, vor allem aber SiMMELscher Prägung) auf LUKäCS eine große Wirkung ausgeübt hat (vgl. 14). In seiner ersten, preisgekrönten Schrift, der Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas, folge LUKäCS insofern DILTHEY, als er den Erlebnisbegriff historisch auffaßt (charakteristisch ist hierzu der Begriff „historisches Erlebnis" [16, 20 f, 27]), wogegen dieser Begriff im Essayband Die Seele und die Formen eine entscheidende „Neubestimmung und Differenzierung" erfährt, indem er aus dem historischen Kontext herausgelöst und vor dem Hintergrund des an SIMMEL orientierten, stark dualistischen Gegensatzes von „Leben" und „Form" vernachlässigt bzw. umstrukturiert wird (16, 19, 22 f, 27, 49). Diese Umakzentuierung, die von der vorwiegend geschichtlichen Annäherungsweise der Entwicklungsgeschichte zu dem eher aus existenziellen Blickwinkel konzipierten Essayband erfolgt, zeichnet schon an wesentlichen Punkten diejenige Spannung vor, die als dem Perspektivenwandel der Heidelberger Kunstphilosophie zugrundeliegende herausgestellt wird. Mit Recht wird betont, daß die „Auffassung des Tragischen . . . mit einer geschichtsphilosophischen Deutung unvereinbar" sei (19; ähnlich 20 f, 34), wozu dann auch eine Passage aus LUKäCS' Briefwechsel als Beleg vorgelegt wird (30). Die den ersten Arbeiten folgende und dadurch veranlaßte systematische Grundlegung seiner Kunstphilosophie nimmt LUKäCS in zwei Anläufen in Angriff, wobei die zweite allerdings nicht so sehr als eine Fortsetzung des ersten als vielmehr als ein Neuansatz angesehen werden muß. Immerhin bleibt beiden gemeinsam sowie kontinuierlich stark die Absicht, die Ästhetik ausschließlich als

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Kunstphilosophie zu konzipieren (76), bzw. die volle Autonomie der Kunst in Abwendung von jeglicher Art von Psychologismus und Metaphysik, in Orientierung an der Sichtweise und Begrifflichkeit der maßgeblichen zeitgenössischen transzendentalphilosophischen Strömungen aufzuzeigen. Die grundlegende Spannung in der Begründung der Ästhetik, was zugleich (so möchte uns scheinen) das den LuKÄcsschen Versuch einzigartig Auszeichnende bildet, ergibt sich aus der Bestrebung, „die Werthaftigkeit des Werkes in Unabhängigkeit vom Leben zu sichern, ohne es allerdings vom Erleben des Menschen zu isolieren" (156). Die Einsicht, daß diesen beiden Forderungen kaum widerspruchsfrei entsprochen werden kann, ist nun ebenso naheliegend wie die Anerkennung, daß es schwer fiele, auf irgendeine der beiden Forderungen zu verzichten. Um einzusehen, daß eine Kunstphilosophie, die sich selbst nicht mißverstehen, ihr Eigenes nicht leugnen wiU, beiden Forderungen gerecht werden muß, soll die einfache Überlegung genügen, gemäß der es einerseits erforderlich ist, die (wie auch immer näher interpretierte) „Werthaftigkeit des Werks" anzunehmen, um der Kunstphilosophie ein eigenes Gebiet bzw. ihren spezifischen Gegenstand oder ihre eigene Gegenständlichkeit zu sichern, welche Abgrenzung ihrerseits offensichtlich nur durch die Annahme einer „Unabhängigkeit von" (so etwas wie „Leben") geschehen kann. Durch die Preisgabe dieser Voraussetzung („die Werthaftigkeit des Werkes in Unabhängigkeit vom Leben zu sichern") würde die Philosophie der Kunst ihres eigenen Sachfeldes schlechthin beraubt — während auf der anderen Seite — durch die Trennung des Werks vom Erleben des Menschen — wohl mit einer Verfälschung ihrer Gegenständlichkeit zu rechnen wäre, gehört doch unabdingbar zu dieser die Erlebnishaftigkeit als spezifischer Charakter, die sie erst von der Gegenständlichkeit anderer Sachgebiete zu unterscheiden vermag, und auf die schon deswegen bestanden werden muß, weil man es sonst mit Philosophie von etwas anderem, wohl aber nicht mit Philosophie der Kunst zu tun hätte. Zwar steht nichts im Wege, ein Kunstwerk unter Absehen von seiner Kunstmäßigkeit zu betrachten, etwa auf seinen physisch-physikahschen Charakter hin, aber ebenso bestimmt würde es gleich aufhören, in dieser Betrachtungsweise weiterhin Kunstwerk zu sein. — Angesichts Hegels „dialektisch-systematische[r] Ableitung der Kunst" hat LUKäCS von seiner neukantianisch-geltungsphilosophischen Sichtweise her einen ähnlichen Zweifel geäußert, ob nämlich „dadurch nicht zugleich jede ihre Selbständigkeit aufgehoben" wird. In Hegels Falle gehe es freilich nicht um die Verfälschung oder das Verkennen der ästhetischen Gegenständlichkeit, wohl aber umgekehrt um ihre illegitime Erstreckung auf andere Sachgebiete, mithin — wie es auch bei WEISSER in einem anderen Zusammenhang erwähnt wird (118) — um die „Ästhetisierung" des ganzen philosophischen Systems: „Denn nicht nur die ,Religion der Schönheit' entspricht genau dem klassischen Kunstideal, sondern auch die Darstellung des Griechentums in der ,Philosophie der Geschichte' baut sich als das ,subjektive, objektive und politische Kunstwerk' auf die Kategorien der Ästhetik auf". LUKäCS' aus der Sichtweise des KANTianismus formulierter Einwand läuft auf das zusammenfassende Urteil hinaus, „daß Unterscheidungen wie Kunst oder Religion als apriorische, sich

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voneinander ausschließend abhebende Bestimmungen eigenartiger Gegenständlichkeiten für das Hegelsche System garnicht existieren".^ Ein Versuch, die genannte Spannung aufzulösen, kann nun dadurch erfolgen — wie es auch bei LUKäCS vornehmlich der Fall ist —, daß der Begriff „Erlebnis" weiter differenziert wird, wobei es letztlich zu einer Entzweiung desselben kommt: Es wird ein „reines Erlebnis" angenommen, dem die Aufgabe zugewiesen wird, der ästhetischen Sphäre ihre spezifische Gegenständlichkeit bzw. Eigenständigkeit zu sichern, und das andererseits, um diese ihre Funktion erfüllen zu können, gerade dem der Erlebnis Wirklichkeit eigenen, in ihr heimischen „Erlebnis" schroff entgegengesetzt wird. Es wird „das ästhetische Erlebnis vom Erlebnis der Erlebiuswirküchkeit abgegrenzt" (93). Das „reine Erlebnis" wird zu einer „Geltungsform, die sich vom Erleben als Sein . . . streng unterscheidet" (160; vgl. 166, 66 f, 96 f), wodurch letzteres zugleich auch eine vielfache „Depravierung" erfährt (vgl. 54 f): weit davon entfernt, als Erlebnis die ihm eigenen Charakteristika (z. B. die Unmittelbarkeit) beizubehalten, wird es ihrer gerade beraubt und rückt als „rein konstruiertes Chaos", gekennzeichnet durch die Transzendenz sowohl seines Objekts als auch seines Subjekts, in eine jenseitige Ferne (55). Es ist unschwer einzusehen, daß durch diesen Lösungsversuch — durch die „strenge Unterscheidung zwischen bloßem Erleben und reinem Erleben" (59) — die ursprüngliche Spannung zwischen den beiden Relata nun in die innere Struktur eines der beiden, in den Begriff Erlebnis hineintransponiert bzw. umgelagert wird. Die oben angedeutete Umstrukturierung, die angesichts des Begriffes „Erlebnis" in LUKäCS' Denken erfolgte, stellt schon eine der Begriffsanalysen dar, mittels derer WEISSER die veränderte Auffassung bzw. die Umlagerung der zwei Entwürfe von LUKäCS' Heidelberger Kunstphilosophie verdeutlicht. Die im Titel der Dissertation verwendete Bezeichnung Heidelberger Kunstphilosophie umfaßt dabei die insgesamt sieben überlieferten Manuskripte, die in der Werkausgabe zweigeteilt als Band 16 mit dem Titel Heidelberger Philosophie der Kunst (1912—14) bzw. als Band 17 mit dem Titel Heidelberger Ästhetik (1916—1918) ediert wurden. Die Zweiteilung der Edition spiegelt eine von den Herausgebern festgestellte, nicht unerhebhche Wandlung in der ästhetischen Konzeption wider, die in LUKäCS' Denken während des Krieges erfolgt sei; der Untersuchung dieser Wandlung gilt auch das Hauptanliegen von WEISSERS Arbeit. Grenzt jedoch LUKäCS in beiden Ansätzen „sowohl das Schöne als auch die Natur aus der Ästhetik aus" (75) und konzipiert diese „ausschließlich als Philosophie der Kunst" (76), versetzt er m. a. W. die ästhetische Fragestellung vollends in die kunstphilosophische — während traditionsgemäß doch „von der ästhetischen Fragestellung .. . die kunstphilosophische streng zu unterscheiden" (76) ist —, so wird mit guten Gründen bestritten, ob angesichts der Bezeichnung dieses Wandels die von den Editoren gewählten

3 Georg Lukäcs: Heidelberger Ästhetik (1916—1918). Hrsg. v. Gy. Markus und F. Benseler. Darmstadt, Neuwied 1974. (Werke. Bd 17) 219 ff.

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Titel geeignet seien, die zwischen den beiden Entwürfen zweifelsohne bestehenden Differenzen von der Sache her angemessen zum Ausdruck zu bringen (76, 165 f). Ebenso begründet scheinen die Argumente zu sein, die die Eingliederung des Kapitels Phänomenologische Skizze in die Heidelberger Ästhetik als „problematisch" erscheinen lassen (163, vgl. 123, 9). Hierzu mag man allerdings bemerken, daß die Editoren sich der diesbezüglichen Schwierigkeiten wohl rucht unbewußt waren und diese durch die Eingliederung des nämlichen Kapitels in beide Ausarbeitungen auf eine bestimmte Weise auch zum Ausdruck gebracht haben. Der Ein wand trifft an diesem Punkt eher LUKäCS selbst, der „sich dazu entschloß, im Rahmen seiner Habilitationsarbeit die Phänomenologische Skizze dem Kapitel über das Wesen der ästhetischen Setzung folgen zu lassen" (163). Hierzu könnten nun „inhaltliche Argumente .. . keine Rolle gespielt haben" (163 f). In bezug auf die Editionsarbeit fragt es sich jedoch, inwieweit sich die Editoren anhand inhaltlicher Argumente dazu veranlaßt sehen dürfen, in ihrer Edition der Manuskripte eines Autors in dessen Absichten editorisch revidierend hineinzugreifen. Der in den beiden Entwürfen zur Kunstphüosophie vor sich gehenden Wandlung wird vor allem im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Phänomenologie-Konzeptionen eingehend nachgegangen. Während in der Heidelberger Philosophie der Kunst „die Phänomenologie durch die Verhaltensanalyse" bzw. durch die „Analyse der Erwartungen, die Schöpfer und Rezipient an das Werk stellen", gekennzeichnet ist, geht es der Heidelberger Ästhetik darum, „mit den Stufen ein Niveau zu erreichen, auf dem die Setzung des ästhetischen Gegenstandes vollziehbar ist" (157). Der These, daß unter den beiden Entwürfen sich „die Heidelberger Ästhetik als der in systematischer Hinsicht weitaus ambitioniertere Entwurf" (9) zeigt, ist voll zuzustimmen (am Ende wird jedoch wegen der Klarheit in der Formulierung der Probleme die Philosophie der Kunst bevorzugt [194]); der Grund hierfür — wie auch für die Veränderung der Gesamtkonzeption — läßt sich zusammenfassend als die „Abwendung vom ,Leben' und die Hinwendung zu ,idealen Gebilden'" (126) charakterisieren. Letztere erklärt auch LUKACS' zunehmende Orientierung an geltungsphilosophischen Positionen in der Heidelberger Ästhetik. Mit Recht wird wiederholt der differenzierte Einfluß LASKS, besonders dessen Begriff von „schlichtem Miteinander", auf LUKäCS' ästhetische Konzeption hervorgehoben (86 ff, 90, 96, 129 ff, 134). Zur Diskussion der Geschichtlichkeit der als ewig gesetzten Formen bzw. — mit Hegel gesagt — des absoluten Geistes (102 f, vgl. 126 f) und in diesem Zusammenhang besonders zu LUKäCS' in seiner Croce-Rezension aufgeworfener Frage, „wie es möglich ist, daß Kunst, Religion und Philosophie überhaupt eine Geschichte haben" (102 f), mag man hinzufügen, daß auch an diesem Punkt der Einfluß LASKS ins Spiel gekommen sein dürfte. In der Tat hatte LASK eine ganz ähnliche Fragestellung vorweggenommen; in Anbetracht seiner Kontakte mit LUKäCS ist die Annahme nicht unplausibel, daß LUKäCS zur genannten Frage durch LASKS Vermittlung gelangt sein mochte; LASK hatte sich nämlich gegen Ende seiner eben über Hegel abgehaltenen Antrittsvor-

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lesung 1905 die charakteristische Frage gestellt: „Wie kommt das Ewige, Veränderungslose, die zeitlose Gedankenwelt dazu, eine Geschichte zu haben?"'* Den nuancierten immanenten Analysen der beiden Systementwürfe angesichts der in ihnen vor sich gehenden Umstrukturierung zentraler Begriffe folgt im abschließenden Teil der Arbeit ein Erklärungsversuch in bezug auf die Motivation des im vorher herausgestellten Perspektivenwandels. Interessant und anregend ist hier der Versuch, zur Beantwortung dieser Frage die in der Zwischenzeit zwischen den beiden Ausarbeitungen entstandene Theorie des Romans einzubeziehen und sie in dem Sinne für den genannten Wandel mitverantwortlich zu machen, daß die in ihr zum Ausdruck kommende „eschatologische Geschichtskonzeption" die im ersten Entwurf angenommene „Möglichkeit der Vollendung des Werkes unter den historischen Bedingungen" relati'viert (168). Im zweiten Entwurf glaubt LUKäCS, „daß die Vollendung des Kunstwerks in der Moderne nur dann gelingen kann, wenn die Welt radikal als nichtseiend gesetzt wird" — eine Konzeption, die bald von einem „ethischen Idealismus, der in einem revolutionären Messianismus die Erlösung der [als nichtseiend gesetzte — I. M. F.] Welt erhofft", abgelöst wird (169). Es ist das Verdienst von WEISSERS gründlicher Arbeit, die Entfaltung von LUKäCS' früher Kunstphilosophie von verschiedenen Seiten her in ihren verschiedenen Phasen sowie im Verhältnis zu den zeitgenössischen philosophischen Strömungen von Grund aus rekonstruiert, dabei auch Aspekte in den Vordergrund gestellt und ausführlich analysiert zu haben, die bisher wegen der mangelnden Quellenlage notgedrungen im Schatten geblieben sind. Selbst wenn es mit den auf Kohärenz hin eingestellten Untersuchungen so bestellt ist, daß damit zunächst die Zurückstellung der Auseinandersetzung mit der „Sache selbst" einhergeht (dies folgt im übrigen auch aus der oben schon genannten Zurückhaltung der Studie), in unserem Fall also vornehmlich die Zurückstellung der Frage, ob und inwieweit an den in den LuKÄcsschen Begründungsversuchen der Kunstphilosophie herausgestellten Spannungen nicht zuletzt eine gerade auch in der „Sache selbst" (im Gegenstand „Kunstwerk" und in dessen Verhältnis zur „Wirklichkeit") liegende Schwierigkeit schuld sei, stellt die solide und eingehende Untersuchung einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur LuKÄcs-Forschung dar, sondern darüber hinaus auch zu einem besseren Verständnis der europäischen Philosophie der Vor- und Nachkriegsjahre, unter besonderer Berücksichtigung von deren KANT- und Hegelinterpretation, sowie der Auswirkungen von Hegels Ästhetik in unserem Jahrhundert. Istvän M. Feher (Budapest)

* Vgl. Emil Lask: Hegel in seinem Verhältnis zur Weltanschauung der Aufklärung. In: Lask: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. E. Herrigel. Bd 1. Tübingen 1923. 344 f.

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Wolfgang von Löhneysen: Raffael unter den Philosophen — Philosophen über Raffael. Denkbild und Sprache der Interpretation. Berlin: Duncker &

Humblot 1992. 415 S. Kunstfreunde und Kunstschöpfer reagieren nach MAX J. FRIEDLäNDER beide mit „anormal sensibler Aufnahmefähigkeit" auf „optische Signale". Dem Kunstfreund fehlt nur die Geschicklichkeit der Hände: ist er ein „RAFFAEL ohne Hände"? Der Autor verfolgt die Geschichte dieser Rede vom RAFFAEL ohne Hände, die in LESSINGS Emilia Galotti gebraucht wird (10 f). RAFFAELS briefliche Äußerung, daß er einer „Idee" folge, führt zurück zu PLOTIN, weiter vorwärts zu BELLORI und zu WINCKELMANN, schließlich auch zu Hegel. Die Verflechtung des Genies mit dem Werk und damit mit der Geschichte wird betont, die Entfaltung des Geniebegriffs skizziert. Unsere Zeit möchte die Möglichkeiten des Genies in jedem alltäglichen Menschen wiederfinden; der Gegensatz zwischen Geschmack und Genie wird wieder rückgängig gemacht. Andererseits werden seit FREUDS Hinweis auf das Unbewußte die überlieferten Auffassungen unterlaufen. Wenn der göttliche RAFFAEL ein Genie war, so sind ihm längst Gegengestalten wie EL GRECO und REMBRANDT zur Seite gestellt worden. Ein neues Leitwort tauchte auf: „Kreativität". War RAFFAEL auch nur ein „kreativer" Mensch? Es sind vier Bilder, die interpretiert werden und deren Wirkungsgeschichte dargestellt wird; die Schule von Athen, die Sixtinische Madonna, die Heilige Cacilia, die Transfiguration. ADOLPH MENZEL hat in einer Gouache dargestellt, wie der sächsische Kurfürst und König AUGUST III. von seinem Thronsitz auf springt, als man ihm die Sixtinische Madonna bringt. Der „große RAFFAEL" bleibt ohne Vergleich! Trotzdem schließt der Autor sein Buch mit einem vierten und letzten Teü: „RAFFAEL im Vergleich". Verglichen wird die Weise, wie RAFFAEL aufgenommen wurde. Von den Urteilen, die gleich nach seinem Tode gefällt wurden, geht es über WINCKELMANN und Hegel und über den Vergleich von RAFFAEL und MOZART bis zur Moderne. Steht nicht Philosophisches, jedenfalls ein Denkbild, hinter der Schule von Athen? Von welchem Denkbild aus wird dieses Bild dann seinerseits verstanden — etwa in DILTHEYS berühmten „Traum"? Eine verwirrende Fülle von Interpretationsansätzen wird gesammelt, doch können an dieser Stelle nur Hegel und Hegels Umfeld interessieren. Der Autor macht darauf aufmerksam, daß anders als zu Hegels Zeiten der schöne Knabe in Paris, der in „weicher Seligkeit" und „kummerloser Befriedigung" den Kopf auf den Arm legt, nicht RAFFAEL zugeschrieben wird (340). Doch nimmt er Hegels Vorlesungen aus dem Block auf, in den HOTHO sie bei seiner Edition von Hegels Ästhetik gefügt hat. Hegels Ansichten über Malerei hatten aber schon eine lange Entwicklung durchlaufen, ehe er in seiner letzten Ästhetik-Vorlesung VON RUMOHRS Italienische Forschungen verwenden und seine Darstellung noch einmal umgestalten konnte. Wenn wir heute in die SEMPER-Galerie in Dresden kommen, dann ist das auch ein Weg zurück in die Kindheit: das sind die Bilder, die wir etwa auf dem Gymnasium zu sehen bekamen. Zu Hegels Lebzeiten gab es die heutigen Reprodukti-

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onsmöglichkeiten noch nicht; doch wenigstens beim Abschied vom Rektoramt am Nürnberger Gymnasium bekam Hegel von seinen Schülern einen Kupferstich der Sixtinischen Madonna geschenkt. Das BUd war damals schon „Kultbild" im neuen Sinne der vielfältigen Reproduktion zu Bildungszwecken. Hegel war nicht unter den Romantikern gewesen, die Dresden um 1800 besuchten; erst von Berlin aus eilte er sofort in die Stadt. So konnte er wiederfinden, was er durch Reproduktionen und Literatur kannte: die einmalige Gegenüberstellung der italienischen und der holländischen Malerei mit ihren bedeutenden Bildern. In zeittypischer Weise war auch Hegel für CORREGIOS Heilige Nacht begeistert; die Antiken mochten diesem BUd nicht so fern stehen, da Hegel sie wie üblich abends im Fackelschein sah. Doch hatte er in Heidelberg die Sammlung der Brüder BoissERfiE gesehen, und so gab es für ihn einen neuen großen Namen: JOHANN VAN EYCK. Dieser Name verwies damals noch auf den Columba-Alfar, der später dem Werk von ROGIER VAN DER WEYDEN zugeordnet wurde. Als die Seitenflügel des Genfer Altars nach Berhn gekommen waren, konnte WAAGEN 1822 sich durch sein Buch über die Brüder VAN EYCK für den Aufbau und das Direktorenamt der Gemäldegalerie qualifizieren: die neue Aufarbeitung der altniederländischen Malerei ging von Berhn aus. Auf der Rückreise von Paris machte Hegel 1827 einen Abstecher nach Gent, um den Genfer Altar zu sehen. Als er in den letzten Wintermonaten 1829 diesen Altar mit dem olympischen Jupiter verghch, konnte er kurz darauf die Matthäus-Passion hören: das Opfer des Lamms als Selbstopfer Christi verwies auf einen Gott, der ein Wir ist, den Menschen in seiner Geschichte (auch durch das Genfer AllerheihgenbUd) in sich aufnimmt. Beim Aufbau der Berliner Gemälde-Galerie bildete WAAGEN im Nordteil des damals neuen, heute Alten Museums mit den Brüdern VAN EYCK und ANTONELLO DA MESSINA einen Knotenpunkt, von dem aus die Linie der niederländisch-deutschen und der itahenischen Malerei abzweigte. So stellt Hegel denn auch in seiner Ästhetik die niederländisch-deutsche Malerei als Pendant zur italienischen. WAAGEN selbst entdeckte dann z. B. in Madrid VELAZQUEZ. Als Hegels Schüler HOTHO, selbst ganz auf die niederländische Malerei konzentriert, nach WAAGENS Tod interimistisch die Leitung der Gemälde-Galerie übernahm, mußte er diese Konzeption liquidieren; eine vollständige Dokumentation der Geschichte der Malerei nach diesen beiden Linien war nicht zu geben; technische und konzeptionelle Probleme führten zu einem neuen Streit um das Museum. HOTHO baute noch den jungen BODE auf, der dann 1904 das Kaiser Friedrich-Museum eröffnen konnfe: eine historische Würdigung vor allem der Renaissance! Wenn in Zukunft einmal die neue Gemälde-Galerie am Tiergarten besucht werden kann, wird man von der Eingangsrotunde wieder nach der einen Seite zur italienischen und nach der anderen Seite zur niederländischen Malerei gehen können. Damit wird nicht der Anspruch von 1830 wiederholt, aber doch Berlins Rolle in der neuen Aufarbeitung der Geschichte der Malerei gewürdigt. Bei REMBRANDT gilt die Konzentration nicht mehr dem einmaligen Genie, sondern (nachdem so viele Bilder REMBRANDT abgesprochen wurden) eher der Einbettung des Malers in seine Zeit und deren Schulgepflogenheiten. In einmaliger Weise können RAFFAELS Madonnen

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den Weg von der Muttergottes zur galanten Dame zeigen, in dem schon FRIEDein Problem fand. Hegel steht im Kontext seiner Zeit. In ihm hatte FRIEDRICH SCHLEGEL die frühen Bilder RAFFAELS von den späteren getrennt, in denen die Würde der christlichen Themen und der kultische Bezug nicht mehr gewahrt seien. RAFFAELS Madonna könne auch eine Diana oder Juno sein, während sich in VAN EYCKS Madonnen die Demut mit der Heiligkeit verbinde. MICHELANGELO wird ebenso zurückgewiesen wie die Verwilderung der Phantasie bei RUBENS. An die altniederländische Malerei und an die Maler vor RAFFAEL soll also die Kunst der Gegenwart wieder anknüpfen (321 f). Das war ein Programm, das von den Malern auf genommen, aber von Hegel abgelehnt wurde. Hegel fand bei RAFFAEL die „reinste Vollendung", nämlich die Vereinigung der „höchsten kirchlichen Empfindung für religiöse Kunstaufgaben" mit dem „Sinn für die Schönheit der Antike" (340). KARL SCHNAASE machte dagegen darauf aufmerksam, daß RAFFAEL sich an einer bestimmten Antike bildete, nämlich an der späten und sinkenden Kunst der Kaiserzeit, „in welcher der ernste Geist in weiche Sinnlichkeit aufgelöst war". Selbst das kurze Leben RAFFAELS sei zu lang gewesen, um die widerstreitenden Elemente des Schönen und des Religiösen verbunden zu halten. Schon bei RAFFAEL selbst beginne die Trennung; RAFFAEL offenbare sein zwiespältiges Wesen, das Christentum mit Hilfe der Schönheit zu überwinden. Nach CHRISTIAN HERMANN WEISSE verdanken auch die kirchlichen Werke RAFFAELS und LEONARDOS „mehr einer philosophischen als einer spezifisch kirchlichen Erhebung" (341). FRANZ KUGLER achtete auf den geschichtlichen Prozeß: nach PHIDIAS und RAFFAEL sei durch die Hast des handwerksmäßigen Kunstbetriebes eine Verflachung in idealistischer Manier eingetreten. Es überrascht, daß VON LöHNEYSEN den folgenden Satz KUGLERS über RAFFAEL und seine Zeit als allzu eigenwillig charakterisiert: „Besonders waren es aber zwei seiner Zeitgenossen, die auf die Ausbildung des manierierten Wesens Einfluß gewannen: CORREGGIO und MICHELANGELO kamen darin überein, daß sie durch ungewöhnliche Mittel den Reiz ihrer Werke unmäßig zu steigern suchten." (344 f). Nach WILHELM DILTHEY hat die Kunst bei MICHELANGELO und RAFFAEL wie bei BACH und HäNDEL die bestimmte christliche Seelenverfassung in eine überzeitliche Religion gehoben. Als DILTHEY im Hause seines Freundes YORK VON WARTENBURG VOLPATOS Kupferstich nach RAFFAELS Schule von Athen gesehen hatte, gab er in seinem „Traum" so etwas wie sein philosophisches Testament (374, 100). Hegel folge eher PLOTIN als PLATON, wenn er in RAFFAELS Weisen des Altertums eine gesteigerte Innigkeit erkannte, die in die Welt wirke. „Es sind nicht Götterideale, sondern ganz individuelle menschliche Ideale ..." (128). So ging RAFFAEL ZU den Philosophen, aber umgekehrt gingen auch die Philosophen zu ihm. Das überragende BUd blieb die Sixtinische Madonna. Hegel fand im PAPST SIXTUS und in der HEILIGEN BARBARA eine Bitte um Seligkeit, die als Gefühl der ewigen Liebe selber selig ist. In der jungen Hülle der Unschuld des Christuskindes sah er schon die Erhabenheit des Lehrers und Weltenrichters, eine Offenbarung, die aber noch zu vollenden ist. Die Gruppierung der beiden anbetenden Figuren und der Madonna folge der vorklassischen, nämlich symbolischen Form der Pyramide (202, 212, RICH SCHLEGEL

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221). Nach NIETZSCHE lag RAFFAEL viel an der Kirche, sofern sie zahlungsfähig war; in der Sixtinischen Madonna wollte er eine Vision malen: „aber eine solche, wie sie edle junge Männer ohne ,Glauben' auch haben dürfen und haben werden, die Vision der zukünftigen Gattin, eines klugen, seelisch vornehmen, schweigsamen und sehr schönen Weibes, das ihren Erstgeborenen im Arme trägt..." (194). NIETZSCHE ist hier wenig unzeitgemäß. Nach GEORG SIMMELS Essay Das Christentum und die Kunst hat die Madonna im Kind ihr Nicht-Ich, das dennoch ihr Ich ist, und zeigt so das „eigentliche Mysterium der Mütterlichkeit". RICHARD RIEMERSCHMIED schlug 1906 in Dresden auf der Werkbund-Ausstellung eine Arbeiter-Musterwohnung mit der Sixtinischen Madonna über dem Ehebett vor. LUNATSCHARSKI, LENINS Schirmherr der Kunst, setzte die Madonna der Aphrodite gleich, die den Tod ihres Sohnes Adonis zu beweinen hat. So kam die Sixtinische Madonna 1955 auf eine Briefmarke der DDR, als sie nach Dresden zurückkehrte. MARTIN HEIDEGGER hat anders geurteilt, als er nach der Sixtinischen Madonna gefragt wurde (VON LöHNEYSEN geht ziemlich achtlos an diesem Widerspruch vorbei: 198). HEIDEGGER ist bestürzt über die Meinung THEODOR HETZERS, mit dem er auf dem Freiburger Gymnasium in derselben Schulbank gesessen hatte: daß die Sixtinische Madonna „nicht an eine Kirche gebunden sei". Nach HEIDEGGER gehört das Bild in die Kirche von Piacenza und zum Meßopfer; im Museum verliert es seinen Wesensort. „Das Büd irrt, verwandelt in seinem Wesen als Kunstwerk, in der Fremde." HANS BELTING zeigt dagegen in seinem Buch Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst (München 1990), daß sich in diesem Bilde selbst ein Wandel vollzieht. In der Spätantike wurde der christliche Glaube, vor allem durch den kultischen Einsatz der Malerei, wieder zu einer antiken Religion, die sich auf die Bilder heiliger Gestalten bezog. Doch hing vor den Kultbildern der Vorhang: wurde er am Feiertage fortgezogen, dann hatte das Bild Wunder zu wirken. Man küßte das GnadenbUd, da die Kraft übergehen sollte (in den neuen Museen der kleineren griechischen Städte wird noch jetzt der Museumswärter ganz nervös, wenn die Bauern auch einmal zur Besichtigung kommen und dann die Ikonen der Reihe nach küssen). Die Macht des Bildes weckte die Eifersucht der Theologen und führte zu den Schrecken des Bilderstreits und zu den Bilderstürmen. Wenn RAFFAEL den kultischen Vorhang selber malt, löst er zugleich die kultische Eigenständigkeit in Kunst und Schönheit auf. In dieser Auflösung sah Hegel eine geschichtliche Notwendigkeit, die er philosophisch durch eine universalgeschichtliche Ikonologie aufzuarbeiten suchte. Als er in Dresden nicht allein die Sixtinische Madonna und die Holländer, sondern auch Bilder CASPAR DAVID FRIEDRICHS gesehen hatte, sagte er in der Ästhetik-Vorlesung vom Winter 1920/21: „Oft gibt es aber auch so einen gemachten strengen Stil, und der Künstler setzt darin zuweilen eine Affektation, z. B. bei den Werken FRIEDRICHS aus Dresden." Nach Hegel will FRIEDRICH in affektierter Weise zum Archaischen zurück. Hegel kann nicht akzeptieren, wie FRIEDRICH Elementares in seiner Gewalt neu sieht und dann mit Allegorischem verbindet (etwa im Tetschener Altar das Drängen der Natur im Felsen und in den Tannen nicht mit den Gekreuzigten, sondern dem Kultgegenstand des Kruzifixes, dazu mit den Allegori-

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en des Rahmens). So aber kann es für Hegel eine andere große Zukunft der Malerei nach ihrer Vollendung bei RAFFAEL und VAN EYCK nicht geben. Otto Pöggeler (Bochum)

Hegels Nachlaß Der handschrißliche Nachlaß Georg Wilhelm Friedrich Hegels und die HegelBestände der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Teil 1: Katalog, beschrieben von Eva Ziesche. Teil 2: Die Papiere und Wasserzeichen der Hegel-Manuskripte. Analytische Untersuchungen von Eva Ziesche und Dierk Schnitger. Wiesbaden: Harrassowitz 1995. (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung. Hrsg. v. Tilo Brandis. Reihe 2: Nachlässe. Bd 4.) Dieses schon äußerlich gewichtige Werk, das sich durch die Reihe, in der es erscheint, und durch die herausgebende Institution als ein bibliothekswissenschaftliches zu erkennen gibt, ist von seinem Gegenstand her zugleich als ein direkter Beitrag zur Hegelforschung anzusprechen. Die Autorin ist schon einmal vor zwanzig Jahren aus ihrer bibliothekarischen Arbeit heraus mit einer Mitteilung hervorgetreten, die aUe an Hegel Interessierten aufmerken ließ: Sie berichtete über die Wiederentdeckung der Diktathefte Hegels aus dem Philosophieunterricht am Nürnberger Gymnasium. Diese Manuskripte waren in der Kgl. Bibliothek kurz nach der Jahrhundertwende, bevor der Hegelsche Nachlaß 1904 fest in Bände eingebunden wurde, versehentlich in eine Kapsel aus dem Nachlaß des Germanisten MORIZ HAUPT gelegt worden und blieben seither siebzig Jahre lang verschollen und vergessen; vgl. EVA ZIESCHE; Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 29 (1975), 430-444. Die beiden oben angezeigten Teile sind in einem Band vereinigt. Der erste umfaßt 355 Seiten, der zweite 100 Seiten Text und mehr als 120 nicht gezählte Seiten mit fotografischen Abbildungen der Wasserzeichen. Das große Seitenformat (ca. 20 X 28 cm) bietet Raum für eine deutliche Wiedergabe der Fotos. Die Einleitung bringt die Geschichte des Hegel-Nachlasses in Erinnerung. Gleich nach dem Tod des Philosophen wurde sein wissenschaftlicher Nachlaß von der Familie dem „Verein der Freunde des Verewigten" zur Verfügung gestellt, der sich für die Herausgabe der Werke konstituiert hatte. Verwalter war damals wohl, wie man ergänzen sollte, FRIEDRICH FöRSTER (S. die von mir mitgeteilte briefliche Äußerung KARL HEGELS an KUNO FISCHER, in: Hegel-Studien. Bd 6. 1971. 59), aus dessen Erbe noch im 20. Jahrhundert Hegel-Autographen verkauft

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wurden. 1839/40 erhielt KARL ROSENKRANZ in Königsberg die Papiere — zunächst nur eine Auswahl für die Edition der „Philosophischen Propädeutik", dann den ganzen Bestand für die Abfassung der Biographie. Später — dies bleibt hier unerwähnt — überließen Hegels Söhne auch dem kritischen Interpreten RUDOLF HAYM „den ganzen umfangreichen Schatz" der Handschriften zur Einsicht (vgl. HAYMS Vorwort zu Hegel und seine Zeit. Berlin 1857). Bedeutsamer ist im vorliegenden Zusammenhang die Übergabe des Nachlasses an die Berliner Bibliothek, die KARL und IMMANUEL HEGEL 1889 Vornahmen. Die damalige Erwerbungskorrespondenz der Kgl. Bibliothek ist, so erfahren wir, verloren; doch bÜeb das Briefjournal von 1889 erhalten, aus dem der Vorgang sich formell rekonstruieren läßt. (Näheres über die Vorbereitung der Aktion, aber auch über die bedauerliche Vernichtung eines TeUs des Nachlasses durch die Söhne Hegels konnte man bereits aus dem 1981 von W. F. BECKER publizierten Briefwechsel von IMIVIANUEL HEGEL entnehmen, worauf die Verfasserin auch Bezug nimmt.) 1895 und 1900 schenkte KARL HEGEL nochmals über 200 Manuskriptblätter, darunter die „Theologica" aus Hegels Frankfurter Jahren. Fortan hat die Bibliothek „regelmäßig weitere Hegeliana gesammelt", vornehmlich durch Ankäufe im Autographenhandel. Die umfangreichste Ergänzung erfolgte 1935 durch Erwerb von Manuskripten, Exzerpten und Dokumenten aus dem Besitz von Frau FRIEDA SDCT VON ARNIM, einer Enkelin IMMANUEL HEGELS. Im 2. Weltkrieg ausgelagert, kam der Hegel-Nachlaß nach 1945 zuerst mit dem Depot der ehern. Preußischen Staatsbibliothek in die UB Tübingen, 1967 kehrte er nach Berlin zurück. Die Autographen-Sammlung, in die nach der früher üblichen Verfahrensweise der dem Nachlaß entnommene Hegelsche Briefwechsel eingegliedert wurde, wird heute in der Biblioteka Jagiellonska in Krakow aufbewahrt. Wenige Jahre, nachdem 1904 der Nachlaß in thematisch bestimmte Einzelbände gefaßt wurde, erreichte H. NOHL, daß die Bände 7, 8 und 11 mit den völlig durcheinandergeratenen Jugendschriften nochmals aufgelöst und in neuer Anordnung und Blattzählung wieder zusammengebunden wurden. 1958 konnten für die gegenwärtig erscheinende Akademie-Ausgabe der Gesammelten Werke die Manuskripte insgesamt aus den Einbänden gelöst werden. Ehe Nachlaß-Manuskripte liegen heute in 16 Kästen (von denen der letzte die 1975 wiedergefundenen Manuskripte und Diktatmitschriften aus Jena bzw. Nürnberg enthält, s. o.). Teil 1 des Werkes präsentiert den eigentlichen Handschriftenkatalog. Er verzeichnet die nachgelassenen Manuskripte in der Reihenfolge der Kästen 1—16 und gemäß der von der Bibliothek angebrachten fortlaufenden Folüerung, legt aber dabei die von Hegel geschaffenen Texteinheiten zugrunde. Die Beschreibung der Manuskripte erfaßt den Umfang der Texte, die Blattgröße, die Art des Papiers; eine beigegebene WZ-Nr verweist auf die in Teil 2 dargebotenen Wasserzeichen. Die inhaltliche Charakteristik erfolgt durch genaue Wiedergabe der Textanfänge und durch Zitierung all jener Passagen aus dem Verlauf, zu denen irgendwelche Besonderheiten zu vermerken sind (Wechsel des Schriftduktus, freigelassene Stellen, Anfang eines neuen Bogens, usw.). Was sich zur Datierung

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der benutzten Papiere und/oder der Niederschriften Hegels sagen läßt, wird angeführt und begründet. Den Abschluß bilden Drucknachweise, d. h. Angaben über Editionen, denen die Originalmanuskripte zugrundelagen; außerdem werden gegebenenfalls die Nummern aus den bekannten chronologischen Verzeichnissen von G. SCHüLER und H. KIMMERLE angegeben. Der geschlossenen Beschreibung des Nachlasses folgen als Anhang 1—44 die weiteren Hegehana aus dem Besitz der Staatsbibliothek, darunter Hegels Handexemplare von einigen seiner Bücher („libri cum notis manuscriptis"), zahlreiche handschriftliche Einzelstücke, über 20 Vorlesungsnachschriften, die sehr detailliert vergegenwärtigt werden, sowie ein für etwaige Benutzer hilfreiches, 120 Nummern umfassendes Verzeichnis der heute in Krakow befindlichen Autographen. Als letztes Stück (= Anhang 44) ist ein Autograph Hegels registriert, das erst 1994 in einem bis dahin nicht katalogisierten Bestand der Bibliothek zu Tage gefördert wurde. Es handelt sich um einen Anschlagszettel, auf dem Hegel am schwarzen Brett vor Beginn seines ersten Heidelberger Semesters (Winter 1816/17) seine Vorlesungen angezeigt hat. Diese Ankündigung unterscheidet sich von derjenigen im gedruckten Vorlesungsverzeichnis (vgl. Briefe von und an Hegel. 3. Aufl. Bd 4, Teil 1.110), zu der sie für uns als Quelle neu hinzutritt. Insbesondere heißt es zu dem Kolleg über Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften jetzt präzisierend: „mit ausführlicher Behandlung der Naturphilosophie". Dieses inhaltliche Vorhaben, von dem man bisher nur aus einer privaten brieflichen Bemerkung Hegels gegenüber PAULUS (vgl. Briefe. Bd 2.125) wußte, wird damit manifest, ln der Entwicklungsgeschichte der Enzyklopädie ist dies in Verbindung zu bringen mit der „Philosophischen Enzyklopädie", die Hegel im Philosophieunterricht der Oberklasse am Gymnasium in Nürnberg diktierte und die eine unmittelbare Vorstufe der in Heidelberg zum Druck gegebenen Enzyklopädie (1817) bildete; bereits in diesem Rahmen hat Hegel, didaktischen Überlegungen folgend, eine Zeitlang die Ausformulierung des Systemteils „Naturwissenschaft" in den Vordergrund gerückt. (Vgl. dazu die aufschlußreichen Ausführungen und Textmitteilungen von UDO RAMEIL in diesem Band der Hegel-Studien, 9—38.) Teil 2 des Katalogwerks von ZIESCHE führt auch den, der mit dem Hegel-Nachlaß aus eignem Umgang vertraut ist, auf ein ihm weithin unbekanntes Terrain: das der Wasserzeichenforschung. Für alle von Hegel benutzten Papiere wurden die Wasserzeichen ermittelt und bildhaft verfügbar gemacht, und zwar in der technisch hochmodernen Form von Elektronenradiographien, die mit Hilfe von Röntgenstrahlen und Röntgenfilm hergestellt werden. (Die Aufnahmen entstanden in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin.) Der Katalog bringt in einem Verzeichnis von 133 Nummern eine jeweils auf 10 Kriterien bezogene genaue Beschreibung der vorkommenden Wasserzeichen und der zugehörigen Papiere. 210 Abbildungen unterstützen die deskriptive Erfassung. Eine sehr instruktive Einleitung (7—40) informiert über die Herstellung und die Eigenarten handgeschöpfter Papiere und gibt einen Überblick über die Papiere der Hegel-Manuskripte, ihre Lokalisierung, ihre Formate und Farben, auch über Schreibmittel und das Schreibgerät, die Gänsefeder. Von besonderem Interesse ist das Kapitel: „Die

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Papiere der einzelnen Lebensabschnitte [Hegels] und die Chronologie der Manuskripte" (22 ff); hier werden die Feststellungen, die im einzelnen bei der Beschreibung der ca. 2100 Blätter des Berliner Hegel-Bestands gemacht wurden, zusammengefaßt und in einen biographischen Kontext gerückt. Am Schluß konstatiert die Verfasserin u. a.: „Die Untersuchung der aus unterschiedlichen Papiersorten zusammengesetzten Manuskripte und die genaue Bestimmung der darin enthaltenen Wasserzeichen zeigte als Ergebnis, daß den einzelnen Lebensabschnitten jeweils bestimmte, deutlich unterscheidbare Papiersorten zugewiesen werden konnten." An anderer Stelle heißt es pointiert: „Leere Papiere hat er [Hegel] bei seinen Umzügen [d. i. Ortswechseln] nicht mitgenommen, dagegen hat er eigene schon beschriebene Blätter auch später nochmals benutzt." Von der Stabilität dieser Aussage hängt viel ab. Ein positiver Beleg findet sich z. B. für den jungen Hegel bei seinem Übergang von Tübingen (Stuttgart) nach Bern. Die ersten Entwürfe, in denen Hegels Handschrift neue Buchstabenformen aufweist und deren Entstehung daher schon von H. NOHL und dann differenzierter von G. SCHüLER der Schweizer Periode zugewiesen wurde, sind nach Ausweis der ermittelten Wasserzeichen tatsächlich auf Berner Papieren geschrieben, — womit zugleich die Basisannahme, daß die Formveränderungen in Hegels Schrift mit seinen Ortswechseln Zusammenhängen, bestätigt wurde. (Vgl. Hegel: Gesammelte Werke. Band 1. 475 ff: Editorischer Bericht zu den Texten 17—22. Es konnten hierzu bereits 1988 die noch unveröffentlichten Untersuchungen von ZIESCHE eingesehen werden. Die entsprechenden Wasserzeichennachweise jetzt im Katalog, Teil 1, S. 63—66.) Ein anderer Aspekt: Die Gruppierung unterschiedlicher Papiersorten innerhalb eines umfangreicheren Manuskripts gewinnt an analytischer Bedeutung, wenn es sich um einen Text Hegels handelt, der stark überarbeitet bzw. neugefaßt wurde und Umstellungen und größere Einschübe enthält. Das trifft bekanntermaßen auf Hegels Niederschriften aus den Frankfurter Jahren zu. Da die historisch-kritische Edition der Frankfurter Texte noch in Arbeit ist, können die hier niedergelegten Papierbefunde im Ganzen und im Detail als editorisches Hilfsmittel herangezogen werden. Möglicherweise ergibt sich dabei aus der Tatsache, daß ZIESCHE die Verwendung einer dieser Papiersorten zu Anfang des Jahres 1800 in den Frankfurter „Rath's Supplikationen" nachgewiesen hat, eine partielle Präzisierung in der Datierung. Mehrere Register ergänzen und erschließen den Inhalt der beiden Teilbände. Erwähnt sei hier nur das Initienregister. Da es in der krihschen Edition üblich geworden ist, die aus dem Nachlaß veröffentlichten Stücke statt durch hinzugefügte Überschriften durch die vorgegebenen Textanfänge zu bezeichnen, bietet dieses Register eine wichtige Orientierungshilfe. Der in langjähriger Arbeit von EVA ZIESCHE erstellte Katalog ist, unbeschadet seiner Aufgaben im engeren bibliothekarischen Bereich, geradezu ein Supplement zur historisch-kritischen Hegel-Gesamtausgabe. Wo diese steht, sollte auch er zu finden sein. Friedhelm Nicolin (Düsseldorf)

KURZREFERATE UND SELBSTANZEIGEN

Yoichi Kuba: Studien über die Philosophie des frühen Hegel — Entstehung und Entwicklung der Vereinigungsphilosophie. [Japanisch.] Tokyo: The Uni-

versity of Tokyo Press 1993. 496 S. Verf. analysiert in dieser Arbeit die Entwicklung der Philosophie des frühen Hegel bis zu seinem ersten Philosophie-Konzept in der frühen Jenaer Zeit, um den Horizont aufzuzeigen, vor dem der Sinn des auf Metaphysik basierenden späten Systems erfaßt werden kann. „Wissenschaft der Logik" als der fundamentale Teü von Hegels späten Systems ist eine Art der Metaphysik, die den Charakter der Wissenschaft der „Idee als solcher" vom „absoluten Wesen" (Vorlesungen 1801/ 02) besitzt im Sinn einer „Onto-Theo-Logie" sowie eines „absoluten Idealismus". Um zu überprüfen, ob diese Metaphysik heute noch Sinn hat, muß man vor allem sehen, aus welchem Grund Hegel den Versuch einer neuen Metaphysik seit der Jenaer Zeit unternahm. Zwar rechtfertigte Hegel seine eigene Metaphysik gegen die KANiische BCritik an der traditionellen Metaphysik durch den Gedanken der „spekulativen Idee" und die „intellektuelle Anschauung", aber seine Argumentation klingt nicht unbedingt überzeugend. Wenn wir uns jedoch nicht nur auf die Selbstrechtfertigung Hegels berufen, sondern seinen Gedanken aus dem Prozeß der Entstehung der Metaphysik deuten, dürfte es möglich sein, quasi aus dem Verborgenen, die Begründung für eine neue Metaphysik zu finden. Bisher sind die Bemühungen des frühen Hegel nach verschiedenen Aspekten wie Religionslehre, Staatslehre, der Beziehungen zwischen Religion und Staat oder Philosophie untersucht worden. In diesem Band sieht Verf. die Entwicklung der Vereinigungsphilosophie aus den Überlegungen des jungen Hegel zu Religion und Staat hervorgehen; er stützt sich dabei auf die von ihm selbst transkribierten Manuskripte {Schüler Nr 71, 80, 81, 83 — diese Transkriptionen und deren Übersetzung ins Japanische finden sich am Ende des Buchs). Dabei betrachtet der Verf. hauptsächlich, (1) mit welchem Problem Hegel sich vor der Vereinigungsphilosophie in der Tübinger sowie Berner Zeit beschäftigte und in welchem Sinn er „KANTianisch" dachte, (2) wie sich Hegels Wendung vom „KANiianismus" zur Vereinigungsphilosophie in der frühen Frankfurter Zeit ergab; (3) wie er dann die Vereinigungsphilosophie entwickelte und schließlich zur Konzeption der Metaphysik und des Systems der Philosophie in der Jenaer Zeit gelangte. In diesen Forschungsansätzen sind die Texte einerseits aus dem Gesamtbild des Hegelschen Denkens, andererseits im Zusammenhang mit anderen Denkern zu deuten. I. Bisher ist oft über die Wendung von der „Volksreligion in der Tübinger Zeit" zum „KANTiaiüsmus in der Berner Zeit" gesprochen worden, aber beide sind vielmehr als Kontinua derselben Konzeption anzusehen, obwohl sich die Art der

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Verbindung der Elemente dieser Konzeption bzw. ihr Schwerpunkt änderte. Die Konzeption der „Volksreligion und Kritik am Christentum" entstand Ende der Tübinger Zeit/Anfang der Berner Zeit aus der Synthesis von Hegels bisheriger kulturhistorischer Kritik an der Religion und der Deutung der Moraltheologie KANTS durch die Tübinger Theologen. In dieser Konzeption wurden die christliche Lehre, Zeremonie und das Verhältnis zum Staat vom Gesichtspunkt der Bedingungen einer „Volksreligion" her kritisiert, die sowohl „subjektiv" wie „öffentlich" sein sollte. Diese Elemente gingen in der Mitte der Berner Zeit auseinander, um sich an deren Ende wieder zu verbinden. Zuvor, Ende der Tübinger Zeit/Anfang der Berner Zeit, machte der Ansatz der praktischen Vernunft KANTS nur eine Bedingung der „subjektiven Religion" aus, wurde dann aber allmählich herrschend. In der Mitte der Berner Zeit nahm Hegel die KANTische Postulatenlehre der praktischen Vernunft durch den Dialog mit SCHELLING auf, jedoch anders als bei SCHELLING, STORR und HöLDERLIN. Hegel vertrat eine sozusagen stoische „KANTianische" Moraltheologie, die, streng genommen, von der KANTS verschieden war. Daneben entwickelte er auch den nicht KANTianischen Ansatz. In der späten Berner Zeit näherte er sich noch SCHELLING an und übte zum erstenmal Kritik an der Postulatenlehre der praktischen Vernunft, und zwar als dem Standpunkt der Tübinger Theologen. Dennoch machte dies den Keim seiner Wendung zur Kritik an KANT selbst aus. II. Was die Wendung zur Vereinigungsphilosophie in der Frankfurter Zeit betrifft, gab es bisher zum einen den Widerspruch zwischen der die Diskontinuität mit der Berner Zeit betonenden Deutung und der die Kontinuität betonenden Interpretation. Zum anderen herrschte Uneinigkeit darüber, ob Hegels „Wende" auf sachinterne Gründe oder äußere Einflüsse zurückzuführen sei, wobei beide Seiten jeweils anzuerkennen sind. Einerseits verfolgte Hegel das Thema der Wiederherstellung des Christentums als einer Volksreligion weiter sowie den es behandelnden geschichtsphilosophischen Gesichtspunkt und das Element der Religion der Einbildungskraft, andererseits wandte er sich von der KANTischen „Vernunft" der Liebeskonzeption HöLDERLINS ZU. Was ihn dazu veranlaßte, waren nicht nur äußere Ursachen wie die Krisis der Zeit und HöLDERLINS Kritik an FICHTE, sondern auch eigene Motive aus der späten Berner Zeit. Vom ersten zum vierten Entwurf des „Geist des Judentums" {Schüler Nr 63—66) bestanden und widersprachen sich beide Ansätze, d. h. die Autonomie und die Vereinigung. In „Moralität, Liebe und Religion" (Nr 67) ist das Motiv der ersten Hälfte des Fragments, ,das göttliche sei die als Ideal seiende Einheit des Subjekts und des Objekts' zu ,das göttliche sei die als Ideal seiende Liebe' in der zweiten Hälfte umgestaltet. Diese Vereinigung als Liebe wurde in der ersten Fassung der „Liebe" (Nr 69) vertieft, wo Hegel „Leben" andeutet und dann im fünften und sechsten Entwurf des „Geist des Judentums" (Nr 70, 71) auf die Geschichte des jüdischen Geistes anwendet. In „Glauben und Sein" (Nr 72) wird die Vereinigung als solche reflektiert. Hier wird der mit „Vereinigung" identische Seinsbegriff als „das einzige mögliche Sein" der dichotomischen Ontologie KANTS gegen-

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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übergesetzt. Aber diejenige echte Weise des Glaubens wird noch nicht gefunden, die über das Sein (die Vereinigung) reflektieren kann. An diesem Gegensatz des Seins (der Vereinigung) und der Reflexion könnte als an einem Dogmatismus oder einer einseitigen Auffassung der Reflexion etwa von dem Standpunkt FICHTEs aus Kritik geübt werden. Aber diese Kritik trifft nicht zu. Sein (Vereinigung) kann nach der Deutung des Verf. als ,die ästhetische Weltordnung' erfahren werden, die den Gegensatz des Subjekts und des Objekts in Theorie sowie Praxis überwindet. Vielmehr stellt der Gegensatz des Seins (der Vereinigung) und der Reflexion die Problematik dar, daß die Vereinigung noch nur vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet wird und nicht vom den Menschen Einschließenden und Transzendierenden aus. III. In der späten Frankfurter Zeit entwickelte Hegel zweierlei Weisen der „Vereinigung"; einerseits verbindet sie den menschlichen Standpunkt mit der den Menschen einschließenden und transzendierenden Natur, andererseits schreitet sie von der Ausschließung der Trennung (der Reflexion) zu deren Anerkennung fort. In den bisherigen Forschungen ist die erste Weise kaum berücksichhgt worden, aber nach Ansicht des Verf. geht Hegel vom „Menschen" zur „Natur" im siebenten Entwurf des „Geist des Judentums" (Nr 77) über. Die zweite Weise der Vereinigung ist zwar seit HAERING zum Teil bekannt, aber wie sich die Anerkennung der Trennung in den Fassungen des „Geist des Christentums" entwickelt hat, ist kaum, außer von HARRIS und JAMME, erklärt, geschweige denn im Zusammenhang mit der ersten Weise erfaßt worden. Auch sollte der Zeitpunkt der Abfassung des Fragments „B. Moral" (Nr 81) aus inhaltlichem Grund zwischen der ersten (Nr 83) und der zweiten Fassung (Nr 89) angesetzt werden. Die „Trennung" („Reflexion") wird zum erstenmal im „Grundkonzept" zum „Geist des Christentums" (Nr 80) u. a. unter dem Einfluß von HöLDERLIN anerkannt, und zwar im , Zusammenhang des Komplements in den menschlichen Verhältnissen', besonders in „Moralität", der Grenze der „Liebe" und „Religion", sowie im ,Zusammenhang des Schicksals in der Natur', aber diese Anerkennung ist hier noch bloß statisch und anthropologisch. Die erste Fassung (Nr 83) wird nach dem Schema des ,Zusammenhangs des Komplements in den menschlichen Verhältnissen' im „Grundkonzept" konstruiert. Hier wird „Trennung" („Reflexion"), vor allem hinsichtlich der Grenze der Liebe und des Standpunkts der Religion zwar im dynamischen Zusammenhang sowie in der Dimension der Rückkehr des Lebens zu sich selbst anerkannt. Aber Hegel beharrt anfangs auf der der Trennung entgegengesetzten Vereinigung. In der Zweideutigkeit Jesu (dem Sohn Gottes und des Menschen) wird dann die Vereinigung und die Trennung des Menschen und der Natur erkannt, aber damit ergibt sich „das Gebiet der Beschränkungen" aus der „Reflexion". In der zweiten Fassung (Nr 89) wird das Kapitel „Geschichte" hinzugefügt, und in dieser neuen Konstruktion macht Hegel den Versuch, die in der ersten Fassung auftauchenden Aporien bezüglich der Reflexion in der Religion zu lösen. Einerseits wird der ,Zusammenhang des Komplements in den menschlichen Verhältnissen' noch mehr unter dem ,Zusammenhang des Schicksals in der Natur'

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

subsumiert. Andererseits wird der Widersinn der „Ausdrücke der Reflexion" betont, während das Element der Trennung (Reflexion) als das notwendige Moment im theologischen wie geschichtlichen Sinn zugelassen wird. Diese beiden sich auf den ersten Blick widersprechenden Tendenzen werden jedoch in der dreistufigen Entwicklung des Lebens (die unentwickelte Einheit des Lebens, die Trennung und deren Selbstnegation, die vollkommene Einheit) als widerspruchslos dargestellt. Mit anderen Worten: die Entwicklung des Lebens bedeutet ihrem Wesen nach eine Art des ,dialogischen Zusammenhangs zwischen Natur und Mensch'. Da dieser Zusammenhang theologisch als „Zusammenhang des Lfnendlichen mit dem Endlichen" ausgedrückt wird und im „Bewußtsein des Lebens" (= „Selbstbewußtsein"), d. h. im „Geist" erschlossen werden kann, zeigte sich hier die Möglichkeit der neuen Metaphysik, die von der religiösen Erfahrung des Menschen bestätigt wird. Diese Einsicht gewann Hegel möglicherweise von der Vereinigungsphilosophie HöLDERLINS her in seiner Homburger Zeit, und zwar durch das ihm eigentümliche Interesse für die Reflexion in der Religion. Aber hier büeb das Problem des „Schicksals der Gemeinde", und der sprachlichen Ausdrucksform der Selbstbeziehung Gottes ungeklärt. Am Ende der Frankfurter Zeit versucht Hegel, das Problem der Positivität zu lösen, indem er die Einsicht in den dialogischen Zusammenhang zwischen Natur und Mensch nicht nur auf Religion, sondern auch auf Geschichte und Metaphysik anwendet. Die Metaphysik, die den Zusammenhang des Menschen mit der Natur zum „Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen" erhebt und betrachtet, sei einerseits nötig für die staatliche Einheit Deutschlands, andererseits für die Überwindung der Positivität des Christentums. Im „Systemfragment von 1800" gedeiht sie jedoch noch nicht zum „System". In der frühen Jenaer Zeit versuchte Hegel durch Aufnahme des Ansatzes der „Selbsterkenntnis der Vernunft" von SCHELLING die oben erwähnte Möglichkeit der Metaphysik zu verwirklichen. Aber damit ergab sich, daß Hegel das Prinzip ScHELLiNGs in der ihm eigentümlichen Weise modifizierte. Erstens ergänzte er ScHELLiNGs Begründung der Erkenntnis des Absoluten durch „systema reflexionis", d. h. die Logik. Dabei entwickelte er, FICHTE folgend, die KANiischen Kategorien systematisch. Durch die in der Frankfurter Zeit gewonnene Einsicht in den Zusammenhang zwischen Natur und Mensch verschob er die Bedeutung des Kreislaufs zwischen der „ursprünglichen Handlung des Ichs" und der „Reflexion" bei FICHTE ZU der des Zirkels zwischen „Vernunft" und „Reflexion". Zweitens wurde die „intellektuelle Anschauung" selbst „reflektiert", womit die sich auf die Metaphysik gründende „eigentliche Philosophie" in der Form des Systems entwickelt wurde. Drittens wurde die Philosophie dem „Leben der Menschen" zurückgegeben. Faßte man wie bisher die Entwicklung von der Frankfurter zur Jenaer Zeit nur als die Wendung von Religion zu Philosophie auf, wäre das eine einseitige Deutung. Diese Periode stellt vielmehr die Entwicklung der Vereinigungsphilosophie dar, in der sich das „Leben" zur Doppelstruktur von „Leben und Idee" erweiterte. Hier ergibt sich ein zweifacher Kreislauf, der Kreislauf der Reflexion und der

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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Vernunft sowie derjenige der Vernunft und des Lebens. Das aber macht das theoretische Potenzial aus, das auch den Aufbau und die Entwicklung des späten Systems bestimmt. Außerdem kann man darin die gegenwärtige Bedeutung der Metaphysik Hegels als einer kritischen und praktischen Ontologie erkennen. Y. K.

Wolfgang Kaltenbacher: Freiheitsdialektik und Intersubjektivität in Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt/Main [usw.]: Lang 1994. 241 S. (Europäische

Hochschulschriften. Reihe 20: Philosophie; Bd431.) Der in Wien als Dissertation vorgelegte Kommentar zu Hegels Grundlinien bildet den mittleren Teil einer größeren Arbeit zur „Rechtsphilosophie", die 1989—91 entstanden ist und deren erster und letzter Teil — Rezeptions- bzw. Entstehungsgeschichte — jeweils als selbständige Abhandlungen versprochen sind (10). Gegenüber der meist von politischen Motiven bestimmten Rezeption akzentuiert der Autor die gegenwärtig unter dem Titel „Intersubjektivität" verstärkt diskutierten sozialphilosophischen Aspekte des Werks und versucht den Nachweis zu führen, „daß und weshalb die bisherigen Versuche, den Prozeß der Verdrängung von Intersubjektivität zu erklären, gescheitert sind" (16). Bevor der letzte Abschnitt sich dem „Hauptanliegen" zuwendet, entwickelt die Einleitung (13—33) den für den „analytischen Kommentar" (35—168) maßgebenden Bezugsrahmen. Vor dem Hintergrund der InkompatibUität von „Logik" und Realphilosophie verschiebt sich die für die Begründung von Intersubjektivität relevante Frage nach der logischen Tiefenstruktur der Grundlinien auf „die dem gesamten System zugrunde liegende . .. Freiheitsdialektik" (18), die näher spezifiziert wird als Dialektik, „deren Basis in der Totalität der persönlichen Erfahrungen des Autors zu suchen ist" (25). Der Kommentar orientiert sich an der von Hegel zugrunde gelegten Dreiteilung und stellt im wesentlichen eine Analyse der themenrelevanten Theorieelemente dar. Erst der abschließende Teil (169—205) wendet sich der leitenden Frage nach dem Grund für das sozialtheoretische Gefälle zwischen „Logik" und Grundlinien zu. Im Anschluß an eine Diskussion der Ansätze von SIEP (173—176) und ILTING (176—190) wird THEUNISSENS These gegen die Einwände von HöSLE, HORSTMANN und FULDA verteidigt (190—202). Die Verdrängung von Intersubjektivität sei schon in der Unterbestimmtheit des individuellen Willens angelegt und ziehe „den Mangel in die Gesamtbewegung hinein" (200), der sich schließlich in der Übertragung des Selbstbewußtseins vom absoluten auf den objektiven Geist manifestiere und damit den Unterschied zwischen beiden Gestalten einebne. Mit der Undurchsichtigkeit dieser Übertragung bleibt auch der Grund für die Verdrängung von Intersubjektivität im Dunkeln. Ob das negative Ergebnis der Arbeit durch die noch ausstehende Entstehungsgeschichte und der dafür vorgesehenen „Aufhellung der geheimen Freiheitsdia-

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

lektik" (204 f) positiv gewendet werden kann, bleibt abzuwarten. Die aus dem Gesamtprojekt übernommene und weit mehr als 500 Titel umfassende Bibliographie dokumentiert „ohne Anspruch auf Vollständigkeit doch umfassender als bisherige Verzeichnisse die Literatur zu Hegels ,Rechtsphilosophie'" (10). Christian Kluwe (Bochum)

Chun-Ik Jang: Selbstreflexiv-selbstbestimmende Subjektivität und durchsichtig-vernünftige Gesellschaft. Theorie und Praxis bei Hegel, Marx und Habermas. Frankfurt/Main [usw.]: Lang 1994. IV, 247 S. (Europäische Hoch-

schulschriften. Reihe 20: Philosophie; Bd 430.) Die 1992 in Freiburg als Dissertation angenommene Studie versteht sich als Beitrag zur Neubegründung der Idee selbstreflexiv-selbstbestimmender Subjektivität als normativer Grundlage einer kritischen Gesellschaftstheorie. Am Leitfaden einer Rekonstruktion der Konzeptionen von Hegel, MARX und HABERMAS versucht der Autor, „die in das . .. Subjekts- und Gesellschaftskonzept eingegangenen theoretischen Fundamente freizulegen und einer kritisch-konstruktiven Überprüfung zu unterziehen" (5). Den Bezugsrahmen der Interpretationen bildet das jeweilige Verhältnis von Theorie und Praxis. Mit Hegels ontologischer Begründung der Subjektivität (18—120), die zunächst als Lösungsversuch der von FICHTE und SCHELLING formulierten Ausgangslage diskutiert und anschließend auf das Theorie-Praxis-Konzept der Phänomenologie bezogen wird, ist die zentrale Problematik seiner Gesellschaftstheorie markiert. Bleibt die Begründung der Subjektivität weitgehend unabhängig von der „ontologischen Voraussetzung der hegelschen Philosophie", so verhindert nach Verf. gerade diese, „eine tragfähige Gesellschaftstheorie zu entwickeln" (112). Vor diesem Hintergrund bildet MARX, dem sich ein zweiter Teil (121—178) zuwendet, insofern eine „sinnvolle Weiterführung" Hegels (113), als die problematische Ontologisierung der Dialektik in „empirisch-kritischer Wendung" (121—151) rückgängig gemacht und die kategoriale Identifikation subjektiver und gesellschaftlicher Entwicklung unterbrochen wird. Der diesen Teil abschließende Abschnitt verteidigt MARX gegen vereinseitigende Interpretationen der Theorie-Praxis-GeWichtung. Ihm folgt ein Exkurs zu strittigen Fragen der Rezeptionsgeschichte (179—192). Der angesichts der historischen Entwicklung notwendige Revisionsbedarf der MARXschen Theorie verschärft sich nach ADORNO/HORKHEIMER in bezug auf die noch als Verbindungsglied zwischen Hegel und MARX explizierte Dialektik. Auf die so bezeichnete nachmetaphysische Problemkonstellation reagiert HABERMAS' Entwurf einer „Theorie des kommunikativen Handelns", die eJs positive Rückbindung der Intentionen „negativer Dialektik" an die MARXsche Gesellschaftstheorie interpretiert wird (193—231). Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Nach-

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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weis, daß „der gesellschaftstheoretisch bedeutsame Teil seiner [sc. HABERMAS'] These der kulturellen Moderne, das universalistische Moralbewußtsein, . .. nichts anderes [ist], als die .. . Idee der selbstreflexiv-selbstbestimmenden Subjektivität" (199). Repräsentiert HABERMAS den gegenwärtigen Stand kritischer Gesellschaftstheorie, so macht der resümierende Ausblick (232—237) die „Chance der sich auf die selbstreflexiv-selbstbestimmende Subjektivität berufenden kritischen Gesellschaftstheorie" von der bis dato versäumten Frage abhängig, „ob und inwieweit sich konkrete Bedürfnisse der Individuen im gesellschaftlichen Leben um den Anspruch auf Autonomie zentrieren" (233). Die handwerklich solide Studie setzt sich detailliert mit der interpretatorischen Problemlage auseinander. Der größere Zusammenhang, der die Frage nach der Subjektivität in die Postmoderne-Diskussion rückt, wird nur en passant (3—5) auf den Streit zwischen Konservatismus und Kritik bezogen. Christian Kluwe (Bochum)

Peter Wild: Die Selbstkritik der Philosophie in der Epoche von Hegel zu Nietzsche. Frankfurt/Main [usw.j: Lang 1994. 296 S. (Europäische Hochschul-

schriften, Reihe 20: Philosophie; Bd 428.) In seiner 1992 an der Urüversität Passau vorgelegten Dissertation versucht WILD, „die Destruktion der Rationalität in der Epoche von Hegel zu NIETZSCHE als einen Irrweg der menschlichen Vernunft.. . auszuweisen" (7). Die Argumentation vollzieht sich in folgenden Schritten. Nachdem die Einleitung (19—30) LöWITHS Epochenbestimmung als in NIETZSCHE kulminierender „Verfallsgeschichte" (28) gegen die Auffassungen von R. HAYM (1857), K. C. KöHNKE (1986) und H. SCHNäDELBACH (1983) verteidigt hat, kontrapunktiert der erste Teil (33—173) zunächst die von LöWITH gezogene Konsequenz der „entschiedenen Resignation" durch Rückgriff auf KANT (§1). Der systematische Kern der Arbeit besteht darin, KANT statt Hegel an den Ausgangspunkt der Beurteilung zu stellen, mit dessen kritischer Trennung von Ich und Welt, Denken und Sein in eigenständige Bereiche, die Aufgabe gestellt sei, auf die — im § 2 als „Philosophisches Grundgeschehen im 19. Jahrhundert" apostrophiert — Hegel, SCHOPENHAUER und SCHELLING antworten. Diesen drei paradigmatischen „Grundentscheidungen .. ., die Vermittlung von Ich und Welt kritisch zu leisten", folgt im zweiten Teil (177—267) eine Auseinandersetzung mit der Hegel-Kritik von FEUERBACH, BAUER, MARX, KIERKEGAARD und STIRNER, die sich vor dem Hintergrund der KANTischen Kritik als Verfall des kritischen Problembewußtseins darstellt. Der abschließende dritte Teil (271—291) gibt „Prolegomena" zur Auseinandersetzung mit NIETZSCHE als „absoluter Kontraposition zu Hegel" (271). Ihnen zufolge sind NIETZSCHES „Destruktion des kritischen Vemunftgedankens" (271 ff) und Hegels „universelle Vernünftig-

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

keit... als Extrempositionen ... für kritische Philosophie absolut irrelevant" (285). Der hochgesteckte philosophiehistorische Anspruch wird auf einer sehr schmalen Literaturbasis mit dementsprechend generalisierenden Textinterpretationen und ohne Einbeziehung des sogenannten „Unguistic turn" in das vom Autor anvisierte Problemfeld der Vermittlung von „Denken und Sein" angegangen. Christian Kluwe (Bochum)

Karl Jaspers. Philosoph unter Philosophen. Hrsg. v. Richard Wisser u. Leonard St. Ehrlich. Würzburg; Königshausen & Neumann 1993. 370 S. Die in dem vorliegenden Bande vereinigten Beiträge sind großenteils auf der „Second international Jaspers Conference" 1988 im britischen Brighton gehalten oder eingereicht worden. Wie der Titel anzeigt, ist eine Situierung des Philosophen „unter Philosophen" angestrebt: das Denken JASPERS' wird diskutiert im Bück auf gegenwärtige Problemfelder von Ethik und Politik, bezüglich zentraler Aspekte von JASPERS' Philosophie und vornehmlich im Kontext u. a. jener „großen Philosophen", denen JASPERS' eigene intensive Auseinandersetzung gegolten hat. ALAN M. OLSON kann dabei in seinem Beitrag Hegel and Jaspers on the Comparative Philosophy of Religion (41 ff) am Beispiel eines für JASPERS bedeutsamen Themas — der Frage des „philosophischen Glaubens" — überzeugend die durchaus ambivalente Stellung des Philosophen zu Hegel herausarbeiten: der von JASPERS (mit KIERKEGAARD) erhobene Widerspruch gegen ein alle Individualität absorbierendes Systemdenken kann den Umstand nicht verdecken, daß JASPERS in der Vorstellung vom „Geist" als dem (geschichtlich sich entfaltenden) Wesen der Religion, im Verständnis des „protestantischen Prinzips" als des Wesens biblischer Religion, in seiner Rede auch vom „Umgreifenden" sich in der Tradition der Hegelschen Religionsphilosophie bewegt. „It turns out that most, if not all, of HegeTs notions are taken up and included in JASPER'S notion of the place of philosophical faith in the comparative philosophy of religion. Indeed, it is the Hegelian project he continues in spite of his frequent criticisms of Hegel" (48). Der Band verdient darüber hinaus Beachtung, weil er unter den abgedruckten Dokumenten auch JASPER'S Thesen zur Frage der Hochschulerneuerung aus dem Jahre 1933 bringt (293 ff) und diese so erstmals einem größeren Kreis zugänglich macht, Thesen, die — vwe im Falle HEIDEGGERS — mindestens von einiger Blindheit gegenüber den politischen Realitäten zeugen, wenn sie die Universität von einem „aristokratischen" Prinzip geleitet wissen wollen (vgl. 296), die Wissenschaft „unter der Bedingung von Volk und Staat" (299) stehen sehen. Immerhin aber ehrt es JASPERS, daß er solche Abwege seines Denkens — anders als HEIDEGGER — nicht zu vertuschen gesucht hat. Andreas Großmann (Bochum)

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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Jozef Tischner: Beichte des Revolutionärs. Beim Lesen von Hegels „Phäno-

menologie des Geistes". Krakow 1993. 235 S. liest Hegels Phänomenologie des Geistes als Abrechnung mit der Französischen Revolution: Hegel habe versucht, Revolution als Revolution von oben zu denken — von Ideen zu Tatsachen. Die Hegelsche Fassung der Geschichte begreift TISCHNER als das Suchen nach dem Gott in der Geschichte; dies bestimme auch die grundlegende Dimension des Christentums, und diese Dimension wiederum bedürfe des philosophischen Nachdenkens. Konkret bedeutet das in der Sicht des Verfassers heute, besonders in Polen und Mitteleuropa, eine Abrechnung mit dem Kommunismus. Das Buch besteht aus Texten, die in den vergangenen drei Jahren in der Zeitschrift Respublica erschienen sind. Hinzugefügt ist aber ein Nachwort, das den Bogen noch einmal zur gegenwärtigen politischen Situation schlägt: Als einzig möglicher Weg zu Vereinigung und Verständigung zeigt sich der Weg des Verzeihens. Barbara Markiewicz (Warszawa) TISCHNER

BIBLIOGRAPHIE

ABHANDLUNGEN ZUR HEGEL-FORSCHUNG 1993 Zusammenstellung und Redaktion: Andreas Großmann (Bochum)

In dieser laufend fortgesetzten Berichterstattung wird versucht, das nicht selbständig erschienene Schrifttum über Hegel, also Abhandlungen aus Zeitschriften, Sammelbänden usw. möglichst breit zu erfassen und im einzelnen durch kurze Inhaltsreferate bekanntzumachen. Die Anordnung geschieht alphabetisch nach den Namen der Autoren. Nachträge aus früheren Berichtszeiträumen sind in einem Anhang gesondert zusairunengesteUt. Nicht alle vorgesehenen Inhaltsreferate konnten bis zum Redaktionsschluß fertiggestellt werden. Sie werden im nächsten Band nachgeholt. Für diesen Band haben Berichte verfaßt: Edgardo Albizu (Lima), Georgia Apostolopoulou (loannina), GabrieUa Baptist (Roma), Jorge Luis Gömez (Quito), Christoph Jamme Qeria), Jeong-Im Kwon (Seoul), Barbara Markiewicz (Warszawa), Mariano de la Maza (Santiago de Chüe), Claudia MeUca (Roma), Vlada Müller (Berlin), Friedhelm Nicolin (Bonn), Angelica Nuzzo (Firenze), Breno Onetto (Santiago de Chile), Nikolaj Plotnikov (Moskau), Allen Speight (Boston), Pierluigi Valenza (Roma), Frank Völkel (Bochum, Jena), Lu de Vos (Leuven), Norbert Waszek (Erlangen, Paris), Elisabeth Weisser-Lohmann (Hagen) sowie Wolfgang Bonsiepen, Hans-Jürgen Gawoll, Andreas Großmann, Friedrich Hogemann, Dietmar Köhler, Hans-Christian Lucas, Helmut Schneider und Annette Seil vom Hegel-Archiv (Bochum). Die über Hegel arbeitenden Autoren sind freundlich eingeladen, durch Einsendung von Sonderdrucken die Berichterstattung zu erleichtern. Allen, die solche Hilfe bisher schon leisteten, sei besonders gedankt.

On Hegel and the Rise of Social Theory: A Critical Appreciation of Herbert Marcuse's Reason and Revolution, Fifty Years Later. — In: Sociological Theory. Washington, DC. 11 (1993), 243—267. ANDERSON, KEVIN;

Verf. behandelt ausführlich den H.-Marxismus von Herbert Marcuse, der in Vernunft und Revolution die Begriffe der Entfremdung, der Subjektivität imd der Negativität in den Mittelpimkt stellt. Während Marcuse vor allem das gegen einen konservativen Positivismus gerichtete Potential H.s hervorhebt, kritisiert man sein Buch in einer ersten Rezeptionsphase scharf vom Standpunkt eines empirisch-wissenschaftlichen Denken. Seit den 60er Jahren wurden dann innerhalb des Marxismus weitere Kritikpunkte von Coletti, Kellner, Kosik und

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BIBLIOGRAPHIE

Dunayevskaya entwickelt, die neben der Vernachlässigung der positiven Wissenschaften Marcuse ein restriktives H.-Verständnis vorwarfen. Innerhalb der Postmoderne schließlich behandelt Derrida ähnliche Themen wie Marcuse, jedoch bietet seine Diskussion der Begriffe von Negativität und Differenz keine wirkliche Alternative zu den existierenden, gesellschaftlichen Strukturen.

Probleme der neugriechischen Hegel-Übersetzung. — In: A. P. Frank, K. J. Maaß, F. Paul und H. Turk (Hrsg.): Übersetzen, verstehen, Brücken bauen. Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch. Teil 1. Berlin 1993. (Göttinger Beiträge zur Internationalen Übersetzungsforschung. Band 8, 1.), 239—247. APOSTOLOPOULOU, GEORGIA:

Da H. aus der Polysemie der griechischen philosophischen Termini zur Polymorphie derer Wiedergabe in der deutschen Sprache gelangt ist, sind dabei semantische Verschiebungen entstanden, die dann durch die Übersetzung ins Neugriechische (das die ursprüngliche Terminologie aufbewahrt hat) nicht immer behoben werden können.

L. V.: Problemy gosudarstva, svobody, sobstvennosti v istoriko-pravovoj koncepcü Gegelja i dialektika vseobsego-osobennogo-edinicnogo [Probleme des Staates, der Freiheit, des Eigentums in Hegels geschichtlich-rechtlicher Konzeption und die Dialektik des Allgemeinen, Besonderen, Einzelnen]. — In: Ucenye zapiski. Materialy dokladov itogovoj naucnoj konferencii (10—11 aprelja 1991 g.) [Wissenschaftliche Annalen. Materialien der wissenschaftlichen Abschlußkonferenz am lO.-ll. April 1991)]. Astrachan' 1993. 116-122. BAEVA,

Verf. versucht H.s Rechtstheorie gegen marxistische Vorwürfe zu verteidigen. Dabei wird die Grundstruktur der Rechtsphilosophie herausgestellt und mit dem logischen Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen und Einzelnen gleichgesetzt.

Metaphysischer Monismus bei Hölderlin und Hegel. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 81-102. BAUM, MANFRED:

On Marx's ,Hegelian' Practice of Abstraction. — In: International Studies in Philosophy. 25 (1993), Nr 3, 87—91. BIENENSTOCK, MYRIAM:

Für Marx ist die Abstraktion der Arbeit vom Kapital ein Definitionsverfahren, mit dessen Hilfe der Wissenschaftler denjenigen Aspekt eines Begriffes vereinzeln kann, den er als sein Spezifikum betrachtet. Dieser Aspekt — hier: die Arbeit — hat keine Referenz, sondern lediglich eine Bedeutung, die er aus dem begrifflichen Kontext gewinnt, aus dem er herausgelöst wurde. Gerade dieser Kontext wurde aber sowohl von den „klassischen" als auch von den „vulgären" politischen Ökonomen übersehen. Die Anlehnung an H., die Marx in der Dialektik des Kapitals vollzieht, ist für ihn eine Weise, das unzulängliche Abstraktionsverfahren dieser Ökonomen zu kritisieren.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993

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Bedeutung und Grenzen der hermeneutischen Hegel-Interpretation. Bemerkungen zu Kaehler/Marx: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 143-163. BONSIEPEN, WOLFGANG:

Deux theories de l'esprit: Hegel et Schleiermacher. — In: Revue philosophique de Louvain. Louvain-la-Neuve. 91 (1993), 31—65. BRITO, EMILIO:

Verf. vergleicht H.s Philosophie des subjektiven und des objektiven Geistes mit der Psychologie und der Ethik Schleiermachers, sowie die H.sche Philosophie des absoluten Geistes mit der Konzeption der Kunst, der Religion und der Dialektik bei Schleiermacher. Beide Denker suchen die Totalität menschlichen Lebens als vollendete Selbstmanifestation des Geistes zu begreifen. Aber statt wie H. die unterschiedlichen geistigen Bereiche als die Momente eines teleologischen Prozesses zu hierarchisieren, der ihre Grenzen überschreitet, um schließlich zu einer höchsten negativen Einheit zu gelangen, erfaßt sie das System Schleiermachers, das ohne Basis und ohne Spitze ist, als eine Konstellation von Sphären gleicher Größe, wobei dieses System die Bildung der Subjektivität in ihrer Besonderheit wie die autonome Konsistenz der verschiedenen ethischen Institutionen gleichermaßen beachtet.

Zentralperspektive. Rückblick auf eine optische Täuschung. — In: Merkur. München. 47 (1993), 279—289.

BURGER, RUDOLF:

Die Geistesgeschichte der Neuzeit, charakterisiert durch den Verlust von Sinn, Humanität, Subjekt, Geschichte, endet im Nihilismus Nietzsches. H. und Marx mit ihren säkularisierten Heilslehren sind der Versuch, den Menschen nach dem Verlust seiner zentralen Stellung als historisches Subjekt wieder zum Ziel und Mittelpunkt des Geschehens zu machen. Die Geschichtsphilosophie H.s kann nach dem Ende der Geschichte den verlorenen Sinn nicht wieder hersteUen. H. sah die Vorzeichen des Prozesses der Moderne bereits in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, in der sich das Ende der Kunst ankündigt.

Doz, ANDRE: La couleur. Bruxelles 1993. 155—164: La couleur dans la peinture selon Hegel. Verf. fragt, ob H. „un ennemi de la couleur" gewesen sei. Dazu prüft er zunächst den systematischen Ort der Malerei in H.s Ästhetik-Vorlesungen (etwa im Verhältnis zur Skulptur), wobei er besonders den Term „das Scheinen der Realität" in den Mittelpunkt seiner Auseinandersetzung rückt. Im Anschluß daran charakterisiert er die H.sche Konzeption der Farbe, konzentriert auf die „Magie des Kolorits".

Hegels „Phänomenologie" und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 103-126.

DüSING,

KLAUS:

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Hegels Dialektik. Der dreifache Bruch mit dem traditionellen Denken. — In: Philosophia perennis. Erich Heintel zum 80. Geburtstag. Hrsg, von Hans-Dieter Klein und Johann Reikerstorfer. Frankfurt a. M. [usw.] 1993. 126-138. DüSING, KLAUS:

Verf. zeigt drei Entwicklungsphasen von H.s spekulativer Dialektik auf, die zugleich einen Bruch mit dem traditionellen logischen Denken bedeuten und aus unterschiedlichen Beweggründen entstanden sind. 1) H. sucht in der Frankfurter Zeit (1797—1800) nach einer metaphysischen Begründung für seine religionsphilosophischen und -geschichtlichen Untersuchungen. Gott, das unendliche Sein und Leben, das Absolute sind für das menschliche Selbstbewußtsein unerkennbar. Der Verstand gerät in Widersprüche, wenn er das Unendliche denkt, nicht aber beim Denken der endlichen Bestimmungen. Den ersten Bruch vollzieht H., wenn er den Satz vom Widerspruch für die Erkenntnis des Göttlichen und Unendlichen nicht geltend macht. 2) ln der Jenaer Zeit (1801/02) entwickelt H. eine negative Dialektik, die die negative Präsenz des Unendlichen im Endlichen denkt. Das Erkennen des Absoluten ist nun möglich, wobei die Logik hier zwar eine dialektische, aber noch nicht eine spekulative ist. 3) Letztgenannte gilt erst für H.s spätere Zeit. Ab dem Jenaer Systementwurf von 1804/05 wird ein positives Resultat durch die Negation der Negation spekulativ erreicht. Der Satz vom Widerspruch verliert seine Geltung, die Lehre vom spekulativen Satz wird ausgearbeitet. H.s Dialektik versteht sich nun als spekulativ-syllogistische. Der Inhalt dieser Dialektik ist das Absolute, Unendliche „als reines, seine Bestimmungen hervorbringendes Denken und Wissen seiner selbst, als Subjektivität, die unbegrenzt in allem ihrer selbst gewiß ist, die also absolute Subjektivität ist".

P.: Filosofie, religie, kunst. Adorno en de brokstukken van Hegels absolute geest [Philosophie, Religion und Kunst. Adorno und die Bruchstücke von Hegels absolutem Geist]. — In: Aktueel filosoferen. Delft 1993. 135-139. EGMOND,

Die klassische Auffassung Adornos zeichnet eine Umkehrung von H.s absolutem Geist. Dagegen werden Philosophie, Religion und Kunst bei Adorno als eigenständige Elemente eines komplexen Verhältnisses gedeutet, dessen Beziehung zum Absoluten wesentlich unklar bleibt.

J. M.: Escaping Hegel. — In: International Philosophical Quarterly. Bronx N. Y. 33 (1993), 57-68.

FRITZMANN,

Die rhetorische Lektüre H.s wendet sich gegen die Grundannahme der Dialektik H.s, daß am Ende einer Kommunikation immer der Konsens steht. Übereinstimmung im Diskurs und in der Philosophie ist nach Meinung des Autors der Tod der Kommunikation, Dissens ihr Motor. Im Hintergrund dieser Position stehen Lyotard und Foucault, an den auch der Titel anknüpft.

Hegel über Kunst und Alltäglichkeit. Zur Rehabilitierung der schönen Kunst und des ästhetischen Genusses. — Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 215—265. GETHMANN-SIEFERT, ANNEMARIE:

Abhandlungen zvx Hegel-Forschung 1993

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Orte Hegels und Hegels Ort. Bemerkungen zur „Topographie" des Idealismus. — In; Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 57- 79. GROSSMANN, ANDREAS:

Über einen vermeintlichen Bruch im „Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus". Ein Nachtrag. — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Frankfurt a. M. 47 (1993), 103-112. HANSEN, FRANK-PETER:

ln einem kurzen Überbhck stellt Verf. die Forschungssituation zu dem genannten Fragment dar. F. Rosenzweig gibt (1917) einen Hinweis auf den „Bruch" des Textes und legt ihn auf seinen moralphilosophischen Inhalt aus. W. Böhm stellt (1926) Hölderlin als Verfasser dar und hebt den ästhetischen Abschnitt heraus. L. Strauß spricht (1927) von Hölderlins Einfluß auf den ästhetischen und Schellings Einfluß auf den moralphilosophischen Teil, so daß sich ein „doppelter Anfang" ergibt. O. Pöggeler teilt (1965) das Fragment in einen moralphilosophischen und einen ästhetischen Teil und zeigt H.s Verfasserschaft sowie Hölderlins Anteil daran, so daß es auf den Beginn des Jahres 1797 datiert wird. Die Rede vom „Bruch" sieht Verf. aber lediglich biographisch begründet und spricht sich gegen einen widersprüchlichen Aufbau aus. Er macht Kants und Schillers (nicht Hölderlins) Einfluß auf das „Systemprogramm" geltend und datiert es auf das erste Halbjahr 1795.

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JURIST, ELLIOTL.:

Die griechische Tragödie spielte bereits in den Schriften des jungen H. eine bedeutsame RoUe. In der Phänomenologie des Geistes dient die griechische Tragödie als wichtiges Moment und Muster für die Entwicklung des Geistes zur Selbsterkenntnis. Der Leser der Phän. kann mit dem Zuschauer der Tragödie verglichen werden. „Erzählung" und „Aufführung" entsprechen sich. Trotz dieser literarischen Bezüge und Strukturen ist die Phän. kein literarisches, sondern ein philosophisches Werk, das die Beziehungen zwischen Philosophie und Literatur neu definiert hat.

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Wo Schelling und H. „Nur einer sei Herrscher" zitieren, deuten sie dies unterschiedlich: Dieser Herrscher ist für Schelling der Gott, der sich im Gegensatz zu H.s Auffassung als Sich entzieht und so der Vernunft abgewandt ist und diese beschränkt.

Hegel und Afrika: Das Glas zerspringt. — ln: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 303—325.

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KRICEVSKIJ,

Der Aufsatz versucht, die Bedeutung der Hegelschen Lehre vom absoluten Geist von der Einseitigkeit der atheistischen und dogmatisch-theologischen Interpretation zu befreien. Der absolute Geist ist der auf sich selbst bezogene Akt des absoluten Selbstbewußtseins und als solcher Akt ist er die ursprüngliche metaphysische Realität (Makroniveau des absoluten Geistes). Der absolute Geist, der sich im endlichen Bewußtsein des Menschen zum Erscheinen bringt, macht das Mikroniveau des absoluten Geistes aus. In der Verbindung zwischen diesen beiden Ebenen: dem an-und-für-sich-seienden absoluten Selbstbewußtsein und dem absoluten Bewußtsein, das im Endlichen verwirklicht ist, besteht der Kern der H. sehen Theologie. Am Beispiel von Göscheis Aphorismen über Nichtwissen wird die Hauptintention der theologischen Spekulation H.s erörtert. Aufgrund dieser Lehre erweist sich die H.sche Philosophie als spekulative Theologie, und zwar von verschiedenen Standpunkten aus: 1. als mystischer Symbolismus; 2. als Theorie des Selbstbewußtseins des Absoluten; 3. als Ontologie des sich selbst denkenden Seins; 4. als Erhebung vom Pantheismus durch Panentheismus zum Theismus, d. h. zur Persönlichkeit Gottes; 5. als Synthese der Philosophie und der Religion. Spekulative Theologie ist deshalb Philosophie, die sich mit ihren eigenen Mitteln zur Gotteserkenntnis und zum Leben in Gott erhoben hat.

Storia e Bildung nella prospettiva di Wilhelm von Humboldt e di Hegel [Geschichte und Bildung in der Darstellung W. v. Humboldts und Hegels]. — In: W. von Humboldt e il dissolvimento della filosofia dei „saperi positiv!". Napoli 1993. (CoUana di filosofia. Nuova Serie. 20.) 221-269. MENZE, CLEMENS:

Der Unterschied zwischen H.s und Humboldts Auffassung von Geschichte und Bildung liegt vor allem im Thema des Individuums. Für Humboldt ist Ziel der Welt die Bildung der

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993

287

Individualität, die in der Tat Selbstbildung ist: Jedes Individuum, das Selbstbildung ist, kann einen Einfluß auf die Welt haben. Dagegen gibt es für H. in der Geschichte keine einzelnen Individuen. Sie sind nur Mittel des allgemeinen Geistes, der sie benutzt, um in sich selbst zurückzukehren.

Hegels Korrespondenz und amtlicher Schriftwechsel. Vorüberlegungen zur historisch-kritischen Edition. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 41-56. NICOLIN, FRIEDHELM:

OjSERMAN, T. I.: Filosofija Gegelja kak ucenie o pervicnosti svobody [He-

gels Philosophie als Lehre über die Ursprünglichkeit der Freiheit]. — In: Voprosy filosofii. Moskau. 46 (1993), Nr 11, 57— 70. Der Aufsatz erörtert Grundzüge der H.schen Freiheitslehre. In der Sicht des Verf. sind deren Beschränktheiten in der materiaUstischen Geschichtsauffassung überwunden worden.

Molodoj Gegel' v zerkale issledovanij [Der junge Hegel im Spiegel der Forschung]. — In: Voprosy filosofii. Moskau. 46 (1993), Nr 11, 71-100. PLOTNIKOV, NIKOLAJ:

Die unterschiedlichen Ansätze der Interpretation von Hegels früher philosophischer Entwicklung sind das Thema dieser Übersicht. Es werden die Ansätze der Lebens- und Existenzphilosophie, der philosophischen Anthropologie, des Marxismus bis hin zur Postmodeme erörtert, die die Grundzüge der Erforschung des jungen Hegel geprägt hatten. Im Zentrum stehen die maßgeblichen Interpretationen der deutschen und französischen Philosophie. Als Überwindung der einseitigen Ausrichtung der früheren Forschungen wird die Konstellationstheorie (O. Pöggeler, D. Henrich) angeführt, die eine hermeneutische Erörterung der faktischen Geschichte der Philosophie ermöghcht. Abschheßend wird über die diesen Themenkomplex betreffenden Forschungsergebnisse des Hegel-Archivs (Bochum) berichtet.

Hölderlin, Schelling und Hegel bei Heidegger. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 327—372. PöGGELER, OTTO:

Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entstehung des Kapitels „Objektivität" in Hegels propädeutischer Logik. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 165—191. RAMEIL, UDO:

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Verf. untersucht das Problem des Dualismus von rationalem Selbstbewußtsein und dessen Verkörperung am Beispiel der Argumentationsstruktur des Kapitels „Gewißheit und Wahrheit der Vernunft" in H.s Phänomenologie des Geistes. Die Vernunft scheitert in ihrem Vorhaben, den Cartesischen ontologischen Dualismus zu überwinden, da weder der Natur, noch den Institutionen oder dem Ausdruck die erforderlichen konstitutiven Funktionen im Hinblick auf die rationale Selbsterfassung des Bewußtseins eingeräumt werden.

Das unglückliche und das tragische Bewußtsein bei Hegel. [Griechisch.] — In: Phüologos. Thessalonike. 17 (1993), 112-129. SAMARAS, ATHANASIOS:

Beide Formen entspringen aus der Schwierigkeit der Existenz, Freiheit und Welt zu versöhnen. Das unglückliche Bewußtsein, das H. als Stoizismus und Skeptizismus bezeichnet, zieht sich aus Ohnmacht vor der Welt auf sich zurück. Das tragische Bewußtsein findet in der Sittlichkeit die ideale Harmonie von innerer und äußerer Welt. Es kommt nicht zum Selbstwiderspruch wie das erste, da seine Vernichtung das Ergebnis seiner Kollision zu einem äußeren Prinzip ist, das sich als stärker erweist. Während das erste alles sinnlos findet, kann das zweite zur Handlung (vor allem zur pohtischen Handlung) deswegen kommen, weil es die Welt für sinnvoll hält.

Hegel en de Ironie van het stoffelijke [Hegel und die Ironie des Materiellen]. — In: Gehelen en Fragmenten. De vele gezichten van de filosofie. Leuven 1993. 186—190. DE SCHüTTER, DIRK;

H. möchte nie die Selbstdarstellung des unaufhebbar Materiellen anerkennen, die sich als nicht-darstellbar im Dargestellten vollzieht, und die H. immer als krankhaften Emst des künstlerischen Ich fehldeutet.

Wechselseitige Anerkennung und Unrecht. Strafe als Postulat der Gerechtigkeit? — In: Archiv für Rechts- und Sozialphüosophie. Stuttgart. 79 (1993), 228-236. SEELMANN, KURT:

H.s zwei Legitimationswege des Strafrechts sind unterschiedlich zu beurteüen. Nicht haltbar dürfte die Auffassung sein, der Verbrecher müsse unter eine von ihm selbst durch die Tat aufgestellte Norm subsumiert werden. Differenziertere Betrachtung verdient dagegen die These, die Straftat als Entziehung von Anerkennung könne nur über eine Restitution der Anerkennungsbeziehung aufgearbeitet werden. Das Verständnis von Rechtsverhältnissen als Verhältnissen wechselseitiger Anerkennung trägt auch aus heutiger Sicht zu deren Verständnis bei. Der Schluß von einer Anerkennungsverletzung des einzelnen auf eine Verletzung des Prinzips der Anerkennung und damit eine Verletzung aller Rechtssubjekte erfordert dagegen erhebliche Einschränkungen. Die deutlichsten Legitimationsprobleme ergeben sich im Fall der weiteren Folgemng, zur Wiederherstellung der Anerkennungsbeziehung sei eine rechtliche Statusiründerung des Verletzers unabdingbar. Nahrung für diesbezügliche Skepsis findet sich freilich auch schon bei H.

Visione del mondo e dispiegamento delP Assoluto. Humboldt e Hegel [Weltanschauung und Entfaltung des Absoluten. Humboldt und Hegel]. — In: W. von Humboldt e il dissolvimento della filosoSIMON, JOSEF:

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993

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fia nei „saperi positivi". Napoli 1993. (Collana di filosofia. Nuova Serie. 20.) 273-287. Verf. stellt H.s Deutung der Sprache innerhalb der Definition des Absoluten dar und vergleicht sie mit Humboldts Interpretation. Es zeigt sich, daß beide, H. und Humboldt, das Absolute nicht wie ein „ens" gedacht haben, sondern wie ein „Zeigen". SzYMURA, JERZY: Hegel, boska logika i rewolucja [Hegel, göttliche Logik

und Revolution]. — In: Kwartalnik Filozoficzny. Krakow. 21 (1993), 67-99. In bezug auf den H. sehen Rationalismus erweist sich der bedeutendste Teil der Logik als Theo-logik, die H.sche Philosophie im Ganzen als „kritische Logik". In diesem Lichte interpretiert Verf. das für das dialektische Procedere grundlegende Prinzip des Widerspruchs als Grund der Toleranz und nicht des Terrors. Unsinnig ist es von daher, H., etwa in der Weise Poppers, als geistigen Vater des Totalitarismus auszugeben. Die Deformation der H. sehen Philosophie zur Ideologie war vielmehr ermöglicht durch die Identifikation von Wissen und Macht.

WASZEK,

Eduard Gans (1797—1839): de Hegel au repuIn: Chroniques Allemandes. Grenoble. 2 (1993),

NORBERT:

blicanisme". — 161-169.

Arnold Rüge und andere Zeitgenossen kolportierten einen Vorwurf, den der preußische Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., gegen H. erhoben haben soll: Seine Schüler, insbesondere Eduard Gans, zögen aus H.s Rechtsphilosophie liberale, werm nicht gar republikanische Konsequenzen. In diesem Artikel geht es um den sachlichen Gehalt der genannten Anklage: stehen die Positionen des H.-Schülers Gans noch in der Nachfolge des Philosophen oder gehen sie über den Meister hinaus?

„Divide et impera". Zu Hegels Heidelberger Stände- und Verfassungslehre. — In: Hegel-Studien. Bonn. 28 (1993), 193-214.

WEISSER-LOHMANN, ELISABETH:

Dificultades en la concepeiön hegeliana de la historia de la filosofia [Schwierigkeiten in der Hegelschen Konzeption der Geschichte der Philosophie]. — In: Diälogos. Puerto Rico. 62 (1993), 73 —86. ZUBIRIA, MARTIN:

Gegenstand der Untersuchung ist H.s Auffassung der hellenistischen Philosophie. Dazu wird in einem ersten Schritt die H.sche Aufteilung der Philosophiegeschichte im allgemeinen skizziert, um die Schwäche besonders ihres Mittelalter-Bildes aufzuzeigen. H., so Verf., ist nicht imstande, die Notwendigkeit der inneren Gliederung der hellenistischen Philosophie darzutun, was letztlich das Verständnis auch der Vernünftigkeit der neuzeitlichen Philosophie verhindert. Gegen H. verteidigt Verf. die u. a. von Heribert Boeder vertretene These eines Neuanfangs des Denkens in der mittelalterlichen Philosophie.

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BIBLIOGRAPHIE

Nachträge aus den Berichtszeiträumen 1990—1992 The Notion of Beauty in Plotinus and Hegel. — In: Phüosophia. Athen. 21-22 (1991-1992), 341-348. ALEXANDRAKIS, APHRODITE:

Obwohl H. und Plotin eine mystische Dialektik des Schönen entwickeln, folgen sie der Religion ihrer Zeit bei der Bestimmung des Begriffs des Schönen. Während für den Griechen Plotin das Eine, das Absolute und das Schöne zusammenfallen, ist für den Christen H. das Absolute zwar schön, aber es fällt nicht mit dem Schönen zusammen.

Fiat vita, pereat veritas. Nietzsche's untimely Reflections on Hegel's Dialectic of History. — In: Bulletin of the Hegel-Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 61-78.

AXIOTIS, ARES:

Verf. stellt H.s Geschichtsphilosophie und Nietzsches zweite Unzeitgemäße Betrachtung in dem Sinn gegenüber, daß sie die moderne Erscheinungsform der traditionellen Gigentomachia zwischen Rhetorik und Dialektik darstellen. Während H. auf einen absoluten Historismus geführt wird, der die Metaphysik zu Ende bringt, erweist Nietzsche das historische Wissen als agonalen Diskurs, bei dem sich Fakten und Fiktion lediglich durch den Grad ihrer erzählerischen Perfektion unterscheiden. Zieht man zudem Nietzsches antiaristotelisches Rhetorikverständnis heran, dann basiert H.s diachrone und synchrone Totalisierung der Geschichte auf der performativen Kraft der Tropen von Synekdoche, Meton5onie und Metapher. Hierbei gibt Nietzsches Dekonstruktion von H.s dialektischer Geschichte die Typen einer monumentalen, antiquarischen und kritischen Geschichtsschreibung frei, die den drei Formen des rhetorischen Diskurses entsprechen. Auf diese Weise wird durch eine rhetorische Geschichtsauffassung nicht eine Vergangenheit vergegenwärtigt, sondern man aktiviert Metaphern, deren Kraft man vergessen hat.

Hegel y las Imagenes de la Revolucion Francesa [Hegel und die Bilder der Französischen Revolution]. — In: Revista de Estudios Politicos. Madrid. Nueva Epoca. No 73 0ulio-Septiembre 1991), 165-181. BECCHI, PAOLO:

Verf. versucht, angeregt vom Ritterschen Ansatz, daß Hegel ein Philosoph der Französischen Revolution gewesen sei, die inneren und äußeren Widersprüche dieser These auszulöschen, indem er die Äußerungen aus den unterschiedlichen Vorlesungen und die unüberhörbare Kritik an der Revolution in der Rechtsphilosophie einbezieht. H. hat den Terror als konkrete Frage der Revolution nicht kritisiert, sondern die innere Notwendigkeit des Terrors in revolutionären Prozessen gerechtfertigt. Verf. relativiert Ritters These, indem er den richtigen Standpunkt der Texte und Vorlesungen herausstellt. Daß die Vorlesungen der Rechtsphilosophie gegenüber dem publizierten Text eine positive Bewertung der Französischen Revolution geben, versteht Verf. vielmehr von den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte her, wo die Revolution in der Geschichte als Verkörperung der Vernunft in der Wirklichkeit auftritt. So zeigt sich H. als Philosoph der Revolution eigentlich nur vom Standpunkt der Geschichte aus betrachtet.

Hegel und ein Problem der Dinge an sich. — In: Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum BERGMANN, ULRICH:

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993 / Nachträge 1990—1992

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60. Geburtstag. Hrsg. v. M. Hattstein [u. a.]. Hildesheim, Zürich, New York 1992. 155-175. Verf. geht von der Darstellung von G. Prauss und dessen These aus, daß Kants Gedanke des „Dinges an sich" bei H. und den Interpreten Kants falsch verstanden worden sei. Der Frage nach der Gegensätzlichkeit Kants und H.s bzgl. des „Dinges an sich" wird anhand einer Deutung des Abschnittes „Etwas und ein Anderes" aus der Wissenschafl der Logik nachgegangen, worin Verf. Kants „obersten Grundsatz" als Interpretament des „Anderen seiner selbst" akzentuiert.

Rosenzweig's Hegel. - ln: The Owl of Minerva. Vülanova, Pa. 23 (1991/1992), N. 2, 177-182. BIENENSTOCK, MYRIAM:

Franz Rosenzweigs frühe Studie Hegel und der Staat wirkt nicht nur bis heute in der H.-Forschung weiter, sie dokumentiert auch die intensive Auseinandersetzung, die Rosenzweig mit H.s Denken führte. Das spätere, religionsphilosophische Hauptwerk Rosenzweigs Der Stern der Erlösung schien manchen Interpreten eine bloße Abkehr von H. zu sein. Demgegenüber wird gezeigt, daß uns bestimmte Auffassungen, die Rosenzweig in seinem ersten Werk H. zuschreibt, in der späteren Schrift wörtlich wiederbegegnen. Der Fall Rosenzweig illustriert so ein H.sches Lehrstück, daß sich eine philosophische Lehre nämlich nur dann angemessen zurückweisen läßt, wenn sie vorher verinnerlicht worden ist. Da Rosenzweig in diesem Sinne nicht mit H. fertig war, begegnet uns dieser notwendig auch im Stern der Erlösung wieder.

The Actuality of Schelling's Hegel-Critique. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Colchester. 21/22 (1990), 19-29.

BOWIE, ANDREW:

Verf. untersucht Schellings H.-Kritik in dessen Spätphilosophie und stellt insbesondere zwei zentrale Argumente Schellings gegen die H.sche Position heraus: 1. Sein kann nicht auf das Sich-selbst-Erfassen des Bewußtseins, die dialektische Selbstreflexion reduziert werden; vielmehr verweist jede Reflexion auf einen Grund, der außerhalb ihrer selbst hegt. 2. Kein Selbstbewußtsein kann durch die Reflexion in einem anderen restlos erfaßt werden. SchelUngs Kritik bietet trotz einiger Schwächen Anknüpfungspunkte für die Philosophie im 20. Jcihrhundert, so etwa für Heidegger, den Poststrukturahsmus und eiiuge psychoanalytische Konzeptionen.

Language, Thought and Writing: Hegel after Deconstruction and the Linguistic Turn. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Colchester. 21/22 (1990), 30—54.

BROCKMEIER,

JENS:

Anhand einer Interpretation des Kapitels über die sinnhche Gewißheit in der Phänomenologie des Geistes zeigt Verf., daß H. durch die Reflexion deiktischer Ausdrücke die sprachlichen Bedingungen des Denkens behandelt, wie es die analytische Philosophie seit Wittgenstein fordert. Obwohl H. die siimUche Gewißheit in Sprache transformiert, besteht das letzte Ziel dieser Versprachhchung darin, sich vermittels hnguistischer GeneraUsierungen einem davon unabhängigen Logos anzunähem. In bezug auf die sinnhche Gewißheit weist Verf. die paradoxe Situation auf, daß H. ganz im Sinne Derridas auf der Grundlage von „Schrift" argumentiert, jedoch dadurch andererseits sich den Weg zum Phonozentrismus seiner Philosophie des Geistes eröffnet.

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BIBLIOGRAPHIE

Transitions to and from Natirre in Hegel and Plato. — In; Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 26 (autumn 1992), 1—12.

BROWNING, GARYK.;

H. macht in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie selber auf die Nähe seiner Naturphilosophie zu Platon aufmerksam. Beide Denker stimmen darin überein, daß die Wirklichkeit vernünftig sei. H.s Stellung zu Platon wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Verf. strebt eine differenzierte Beurteilung an. J. N. Findlay nähert seiner Meinung nach Platon zu sehr H. an, M. B. Poster H. zu sehr Platon an. Weil für Poster H. im Grunde Platoniker ist, scheitert er in seiner politischen Philosophie, in der die Preiheit des Individuums nicht genügend anerkannt werde. Gott ist für H. nicht der christliche Schöpfergott, sondern der Demiurg des Platonischen Timaios. Dieser Interpretation ist entgegenzuhalten, daß H. durchaus auf dem Boden der christlichen Religion argumentiert, wenn er auch diese philosophisch zu begreifen sucht. Gegen Pindlays konträre Interpretation verweist Verf. darauf, daß Platons Trennung zwischen sinnlicher Welt und Ideenwelt sowie die Abwertung jener gegenüber dieser ihn von H. trenne. Wie Platon im Timaios erklärt, ist die Natur nur ein Abbild der idealen Vemunftwelt. Gegen Poster und Pindlay wird man die grundlegenden Differenzen zwischen H.s und Platons Philosophie festhalten müssen. H. hat allerdings durch seine Äußerungen einer falschen Gleichstellung seiner Philosophie mit der Platons Vorschub geleistet.

Hegel and the End of History. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 15—23.

BUBNER, RüDIGER:

Indem H. die Geschichte als Portsetzung der Rechtsphilosophie behandelt, ist er offenkundig von einer Kantischen Idee inspiriert: Kant stellt die Errichtung einer allumfassenden bürgerlichen Gesellschaft in einen universalgeschichtlichen Zusammenhang, H. seine geschichtsphilosophischen Betrachtungen in den Zusammenhang des „internationalen Rechts", was bedeutet, daß Geschichte immer politische Geschichte ist. Seine Antwort auf die Präge, wie Philosophie mit der Zeit verbunden ist, basiert auf der Strategie, Zeit nicht als etwas der Philosophie Äußerliches zu betrachten, sondern so, daß sie die Porm ist, in der sich Philosophie selbst ausdrückt. Das Ende der Geschichte zeigt sich in dem Augenblick, in dem der geschichtliche Prozeß als ein Ganzes hervortritt.

Evolution and Emanation of Spirit in HegeTs Phüosophy of Nature. — In; Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 26 (autumn 1992), 52—61. DREES, MARTEM:

Verf. will nicht entscheiden, ob H.s Begriff der Evolution auch heute noch von Bedeutung ist, sondern lediglich klären, ob H.s Kritik an der philosophischen und wissenschaftlichen Evolutionstheorie ihn zu seinem eigenen positiven Begriff der Evolution führte und in welchem Sinn H.s spezifischer Evolutionsbegriff für ein Verständnis der begrifflichen Entwicklung zwischen H.s Logik und Philosophie des subjektiven Geistes relevant ist. Obwohl H. eine evolutionäre Gesamtentwicklung der Natur ablehnt, anerkennt er eine partielle Entwicklung der Lebewesen und eine Evolution in der Erdformation. H. unterscheidet also zwischen einem legitimen Begriff von Evolution im empirischen Sinn und Evolution als wissenschaftlicher Kategorie, die er ablehnt. H. nennt als Alternative zur Evolution die Emanationsvorstellung, die das Unvollkommnere vom VoUkommneren aus begreift. Wie seine Philosophie der Natur zeigt, folgt er in der begrifflichen Entwicklung aber nicht der Emanations-, sondern der Evolutionsvorstellung. Allerdings handelt es sich um einen spezifischen Evolutionsbegriff, um die Evolution des Geistes. Die Naturphilosophie hat das Werden des

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Geistes zum Gegenstand und ermöglicht so den Übergang von der Logik zur Philosophie des subjektiven Geistes.

Kein Ende der Kunst - nach ihrem Ende. — In: V. Gerhardt (Hrsg.): Sehen und Denken. Philosophische Betrachtungen zur modernen Skulptur. Münster 1990. 45—67. GNIFFKE, FRANZ:

Verf. gibt H.s These vom Ende der Kunst darin recht, daß Kunst nicht mehr zu leisten vermag, was sie nach H. in ihrer vollendeten Form — in der griechischen Polis — auszeichnete; dem Leben eine orientierende Mitte, dem Handeln Richtung und Sinn zu geben. Die Zustimmung zu H. geht jedoch mit einem Widerspruch einher, sofern moderne Kunst das von H. für die Philosophie reklamierte höhere „Bedürfius" selbst in sich aufnehme, also gleichsam philosophisch werde. Diese Überlegungen führen zu Ansätzen einer Theorie moderner Kunst, die Verf. von Kant her skizziert. Die theoretischen Reflexionen werden schließlich anhand dreier Werke verdeutlicht, die in einer Münsteraner Ausstellung von 1987 gezeigt wurden.

Nach dem Ende der Kunst: Der Ursprung des Kunstwerks? Hegel und Heidegger. - In: Zur Geschichtlichkeit der Beziehungen von Glaube, Kunst und Umweltgestaltung. Hrsg, von C. Bussmann und F. A. Uehlein. Würzburg 1992. 64—131. GNIFFKE, FRANZ:

Heidegger teilt H.s Diagnose eines Endes der Kunst; er teilt aber nicht H.s positive Einschätzung dieses Endes. Die je verschiedenen Antworten Heideggers und H.s ergeben sich aus der „Verschiedenheit, mit der sie den ürsprung der Kunst bestimmen und von ihm her das Ende der Kunst deuten". „Hegel und Heidegger sind sich darin verwandt, daß beide vom Reflexionswesen der Moderne ausgehen. Während aber Hegel es auf ein Absolutes zurückführt, welches selbst Reflexion ist, versucht Heidegger im Gegenzug auf etwas zurückzugehen, was darin gerade verdeckt und vergessen ist: den ursprünglichen Sinn von Sein."

H.S.: The End of History in Hegel. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 1—14. HARRIS:

Wenn wir die These akzeptieren, daß für H. der Glaube an die Vorsehung sich in die Anerkennung der objektiven Gegenwart der Vernunft in unserer gegenwärtigen Welt der Erfahrung gewandelt hat, kann unser Weg zum Verständnis der H. sehen Philosophie nur noch darin bestehen, ihre Beziehung zu der Formulierung des Problems zu erfassen, die Kant H. hinterlassen hat. Was Kant die „ungesellige Geselligkeit" des Menschen nennt, ist genau das, was H. als die dialektische Phase der Vernunft identifiziert, die in der geschichtlichen Ordnung des menschlichen Lebens gegenwärtig ist.

Die Unaussprechlichkeit des Absoluten. Eine Grundfigur der Fichteschen Spätphilosophie im Lichte ihrer Hegelschen Kritik. — In: Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag. Hrsg, von M. Hattstein [u. a.]. Hildesheim, Zürich, New York 1992. 177-204. HüHN, LORE:

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BIBLIOGRAPHIE

Fichte ändert ab 1800 sein frühes Programm in dem Sirme, daß das Frühere radikalisiert wird. Die Frage nach der Präsenz des Absoluten ist beim späten Fichte eine sprachliche und spekulative Gedankenfigur. Das Absolute ist transzendent, durch Bewußtsein, Gefühl oder Glauben rucht erfahrbar, und der Sprache nicht zugänglich (negative Theologie). Gleichzeitig bedarf das Absolute der Sprache, so daß der Frage nach der Erkennbarkeit des Absoluten eine paradoxe Struktur innewohnt. Um das Problem auszutragen, daß die Sache nicht ausgedrückt werden kann und gleichwohl bildlich ausgesprochen wird, rehabilitiert Fichte daher eine metaphorische Redeweise. Fl.s Differenzschrift faßt den Versuch der reflexiven Selbsterkenntiüs als selbstzerstörerischen Akt. Das Absolute ist notwendigerweise antinomisch darzustellen. Die Enzyklopädie formuliert eine Kritik an Fichte und der Annahme der Unaussprechlichkeit.

Perpehial War/Perpetual Peace: Kant, Hegel and the End of History. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 39-50.

HUTCHINGS, KIMBERLY:

Jüngere Arbeiten haben das Ende der Geschichte charakterisiert als nachkommunistisches, liberales System von Staaten, das durch eine weltweite Ökonomie verbunden ist. Diese Form des Endes der Geschichte würde alle Philosophie der Weltgeschichte überflüssig machen. Verf. optiert dagegen für eine Auffassung des Endes der Geschichte, die die Deutung der Weltgeschichte durch die Philosophie unverzichtbar macht. Die Prüfung der Differenzen zwischen Kants und Ff.s Verständnis der Geschichte und des Krieges zeigt, daß bei H. das Ende der Geschichte die Dimension öffnet für ein Verstehen der Geschichte durch das Wissen um die Identität irut der Zeit. Das Referat gliedert sich in drei Abschnitte, nach Kant und H. kommentiert Verf. die Arbeit von Hajo Krombach: Hegelian Reflections on the Idea of Nuclear War.

Das theologische Element des Hegelschen Freiheitsgedankens. — In: Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. M. Hattstein [u. a.]. Hildesheim, Zürich, New York 1992. 115—130.

JENSEN, PEDER HALD:

Verf. versucht, eine Skizze der Deutung der H.sehen Religionsphilosophie von M. Theunissen zu geben, an der er sich auch orientiert. In Abgrenzung zu einem subjektivitätstheoretischen Verständnis (Henrich) einerseits und einer neomarxistischen Auslegung (Adorno, Habermas) andererseits, gibt Theunissen eine neue Deutung H.s, wobei in Teilen an beide Stränge angeknüpft wird. Beide H.-Auslegungen scheiden die Aufnahme theologischer Begriffe aus. Das System des ,reifen' H. (Enzyklopädie, Vorlesungen über die Religionsphüosophie) deutet Theunissen v. a. theologisch. Auch gilt ihm die Lehre des Geistes als kritische Gesellschaftstheorie. Adornos Deutung wird als ein reduziertes H.-Bild zurückgewiesen. Die Lehre des Geistes umfaßt Differenz und Identität zugleich. Theunissens Rezeption der Religionsphilosophie H.s bietet eine umfassende theologisch-politische Auslegung, die darauf abzielt, daß der Mensch von den Zwängen der Natur und der Gesellschaft befreit werde.

Le Parmenide de Platon dans la critique des partisans de la logique et dans la mystique plotmienne. — In: Philosophia. Athen. 21-22 (1991-1992), 294-303. KELESSIDOU, ANNA:

H.s Interpretation des Parmenides wird von derjenigen Plotins abgehoben. H. hat diesen Dialog als Beispiel unvollendeter Dialektik betrachtet und für die Zwecke seiner eigenen Phi-

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1993 / Nachträge 1990—1992

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losophie ausgenutzt, aber er hat die neuplatonische Interpretation mit Recht als einseitig kritisiert.

Hegels Esthetica. De lust van het raadsel [Hegels Ästhetik. Die Lust des Rätsels]. — ln: Filosofie en Kunst. Bd 1. Rotterdam 1992. 53-65.

KIMMERLE, HEINZ:

Verf. betont, daß die Kunst den Höhepunkt des H.schen Denkens darstellt. Dann geht die Idee darin auf, das Sinnliche zum Scheinen zu bringen; aber diese Aktivität ist als die ihrige zugleich auch ihre einzige.

Hegel and the English Reform Bill: ,Prussian Propaganda' or Sociological Analysis? — ln: History of European Ideas. Oxford. 15 (1992), 163-170.

MACGREGOR, DAVID:

Verf. gibt eine Darstellung des historischen Kontextes von H.s Reformbill-Schrift. Die Bewertung dieser Schrift ist äußerst kontrovers — für Verf. ist H. hier kein preußischer Propagandist; mit seiner profunden Kritik am politischen System Englands und dem Klassensystem wird H. vielmehr zum Vorläufer von K. Marx.

Herbart, Hegel, Wilhelm von Humboldt. Zwei Briefe Herbarts an Wilhelm von Humboldt. — ln: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik. Bochum. 68 (1992), 181—202. MENZE, CLEMENS:

Im Juli 1828 erschien der erste, historisch-kritische, und zu Beginn des Jahres 1829 der zweite, systematische Teil von Herbarts Allgemeiner Metaphysik. Herbarts Erwartung, mit H. in ein Gespräch über sein Werk eintreten zu können, erfüllten sich nicht. Stattdessen erschien in den Jahrbüchern eine Rezension aus der Feder von Hinrichs, mit der der Anspruch Herbarts, als Gegenspieler H.s auftreten zu körmen, ein für allemal zuiüchte gemacht werden sollte, ln dieser Situation richtete Herbart an Wilhelm von Humboldt zwei Briefe (vom 3. 3. und 24. 3. 1830) mit der Bitte um Vermittlung. Dieses Ansinnen lehnte Humboldt ab. — ln einer Rezension der zweiten Auflage der Enzyklopädie stellte sich Herbart positiver zu H. als in früheren Arbeiten. Aus dem Kreis der H. nahestehenden Denker verfaßte Weiße eine Rezension, die von den Anhängern Herbarts akzeptiert wurde. PoMPA, LEON: Philosophical History and the End of History. — In: Bulle-

tin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 24—38. ln den Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte unterscheidet H. verschiedene Arten der Geschichtsschreibung, je nach dem Standort des Betrachters: den zeitgenössischen Chronisten, von den vier Formen der reflektierten Geschichtsschreibung. Nur die wertende Geschichtsbetrachtung vermag die Mängel dieser Formen zu beseitigen. Der Philosoph muß zeigen, daß die entscheidenden geschichtlichen Entwicklungen dem Geschehen selbst immanent sind, die Erkenntnis der Natur des Geistes ist hierfür unabdingbar. Geschichte kann somit für H. nur verstanden werden, wenn die Idee des Geistes sich vollständig verwirklicht hat und damit ein Ende der Geschichte erreicht ist, d. i. der Hintergrund von H.s Lehre vom Ende der Geschichte. Die zentreden Probleme dieser Koitzeption werden im folgenden erläutert und diskutiert: „H. can maintain his account of philosophical history only in virtue of a conception within which there must be a future for spirit, and therefore there cannot be an end of history. But this must be a future which is foreclosed in the sense

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BIBLIOGRAPHIE

of being ontologically determined by the, as yet unknown but necessary, future determinations of spirit through the necessary working of dialectic." Es ist zu fordern, daß die Wahrheit dieses Standpunkts aufgewiesen wird — H. leistet dies allein durch Definitionen; „Fortunately, we are under no Obligation to accept the definition, from which it foUows that we are under no Obligation to accept this particular form of determinism."

Aristotle and Hegel on nature: some similarities. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 26 (autumn 1992), 13-29. SANTORO-BRIENZA, LIBERATO:

Nachdem Aristoteles' Physik und H.s Naturphilosophie lange Zeit wenig beachtet worden waren, hat man sich in den letzten fahren um so mehr mit dieser scheinbar vergangenen Form von Naturphilosophie beschäftigt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Fragestellungen der modernen Naturwissenschaft (Genetik, Quantenphysik) diese in eine größere Nähe zu H. und Aristoteles bringen als zu Newton und Galilei. Verf. skizziert Aristoteles' Physik (die beiden ersten Bücher) und zeigt Aristoteles' Einfluß auf H. auf, um schließlich Aristoteles' und H.s naturphilosophisches Konzept mit dem der modernen Evolutionstheorie zu vergleichen. H. und Aristoteles stimmen darin überein, daß sie im Gegensatz zu einem atomistischen, mecharustischen Naturverständnis für eine teleologische Naturerklärung eintreten. Aristoteles nimmt eine eigene Teleologie der Natur an, die nicht mit dem handlungstheoretischen Teleologiebegriff zu verwechseln ist. Aristoteles' und H.s Teleologiedenken ist dem Entwicklungsmodell der modernen Evolutionstheorie überlegen.

Hegel and the New Historicism. — In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Colchester. 21/22 (1990), 55 - 70. STERN, ROBERT:

Entgegen den äußerlichen Affinitäten des ,New Historicism' zur philosophischen Konzeption H.s bewegt sich diese gerade auf dem Gebiet der Ethik im schroffen Gegensatz zu jeder historischen Relativierung, insofern H. eine ,ontologische' und damit objektiv gültige Fundierung der Ethik anstrebte.

Zeden, het hoofdprobleem van Hegels Rechtsfilosofie? [Sitte, das Hauptproblem der Hegelschen Rechtsphilosophie?]. — In: Acta Filosofiedag 1990 Rijksuniversiteit Gent. Delft 1992. 5—10. DE VOS, LU:

Problematisch scheint bei H., daß die unreflektierten Sitten zur Lösung einer sittlichen Schwierigkeit herangezogen werden, wo gerade die Sittlichkeit selbst als einzige vernünftige Verfassung den Sitten gegenüber dargestellt worden ist.

Nature and the dialectic of nature in Hegel's objective idealism. - In: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 26 (autumn 1992), 30—51. WANDSCHNEIDER, DIETER:

H. erkennt im Unterschied zu Fichte und Schelling, daß nur das Logisch-Ideelle als absolutes Prinzip der Philosophie in Frage kommt. Er begründet damit einen objektiven Idealismus, der von einer nicht-formalen, ontologischen Logik ausgeht. Das Wesen der Natur sieht H. im Gegensatz zum Logisch-Ideellen in der Isoliertheit ihrer Gegenstände. Auf der mathematisch-formalen Ebene kommt diese Isoliertheit in der eigentümlichen Bestimmung zur Geltung, die H. dem Raumpunkt zukommen läßt. Die Äußerlichkeit des Raumes geht in den Raumpunkt zurück, wie dieser nur in Beziehung auf den Raum Existenz hat. Es liegt hier ei-

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ne antinomische Struktur vor, die H. aber nicht genügend erklärt hat. H. hat auch das Zustandekommen von Naturgesetzen unzureichend begründet. Es läßt sich jedoch auf der Grundlage seines Verständnisses der Natur als isoliertes, getrenntes Sein eine Erklärung nachliefem. H.s objektiver Idealismus ermöglicht eine weitgehend apriorische Ableihmg der Naturgesetze, der allerdings dadurch eine Grenze gesetzt ist, daß die Naturgesetze jeweils aposteriorisch vorgegebene Anfangsbedingungen voraussetzen. Ein Mangel der H.sehen Dialektik der Natur ist es, daß sie die moderne, neodarwinistische Konzeption einer realen Naturevolution ausschließt. Dennoch bietet H.s dialektisches Verständnis der Natur den am gründlichsten ausgearbeiteten Naturbegriff der philosophischen Tradition.

Political Philosophy and World History: The Examples of Hegel and Kant. — ln: Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Sheffield. 23/24 (1991), 51-60. WILLIAMS, HOWARD:

Verf. problematisiert die Verbindung von politischer Philosophie und Philosophie der Geschichte, wie sie bei Kant und H. gedacht wird. Die Vor- und Nachteile einer solchen Verbindung werden gegeneinander abgewogen, mit dem Ergebnis: „it would be mistaken, if not foolish, to present a political philosophy without taking into account problems raised by the philosophy of history."