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German Pages 228 Year 1983
Handlungssprache und Sprechhandlung Eine Einführung in die handlungstheoretischen Grundlagen von
Gisela Harras
w DE
G 1983 Walter de Gruyter • Berlin • New York
S A M M L U N G G Ö S C H E N 2222 Gisela Harras Professorin für germanistische Linguistik an der Universität Mannheim
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Harras, Gisela: Handlungssprache und Sprechhandlung : e. Einf. in d. handlungstheoret. Grundlagen / von Gisela Harras. - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1983. (Sammlung Göschen ; 2222) I S B N 3-11-008000-1 NE: GT
© Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . G ö schen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden - Printed in Germany - Satz und Druck: Georg Wagner, Nördlingen - Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe, G m b H , 1 Berlin 61
Inhalt Einleitende Vorbemerkung I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie 1. Was ist eine Handlung? 1.1 Aller Anfang ist schwer: wie soll man theoretisch an Handlungen herangehen? 1.2 Handlung = Tun + Absicht? 2. Wie werden Handlungen beschrieben? 2.1 Die Wirkung des >Ziehharmonikaeffekts< auf Handlungsbeschreibungen 2.1.1 Gibt es die >Normalneue< Theorie der Sprechakte 2. Intentionalität sprachlichen Handelns 2.1 Komplexe Intentionen oder: wie man dunkle Machenschaften eines Sprechers verhindern will 2 . 1 . 1 Grice und das Grundmodell 2 . 1 . 2 Strawsons zusätzliche Intention 2.1.3 Schiffers >Long Way to Tipperary< und Bennetts Offenheitsklausel 2.1.4 Ein Vermittlungsvorschlag: das Gncesche Grundmodell muß nur um die Strvzipson-Bedingung erweitert werden 2.2 Verstehen des illokutionären Akts als wesentliche S-Intention 2.2.1 Searles Kritik an Grtce 2.2.2 Das Verstehen illokutionärer Akte als konventionale Verhaltensdisposition: Savignys zuhörerbezogene Analyse des Bedeutungsbegriffs 2.3 Kommunizieren - ein Balanceakt zwischen Intention und Konvention oder: der Sprecher als riskantes Subjekt 3. Regeln und Regelformulierungen 3.1 Searles Regeltypen und Regeln für Sprechakte 3 . 1 . 1 Was wird durch die Regeln thematisiert? 3.1.2 Sind die Regeln vollständig? 3.1.3 Sind die Regeln adäquat formuliert? 3.1.4 Gibt es eine Reihenfolge beim Erfüllen der Bedingungen/Regeln 3.2 Sprechaktkonzepte als Mittel zur Herstellung von Interaktionsbeziehungen 4. Indirekte Sprechakte 4.1 Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte . 4.2 Formulierungsmöglichkeiten indirekter Sprechakte und Sprechaktbedingungen 4.2.1 Was sind indirekte Sprechakte? 4.2.2 Formulierungen.indirekter Sprechakte am Beispiel von >auffordern
Absicht< wird häufig auch von >Intention< oder >Intentionalität< gesprochen. 1.2 Handlung
= Tun
+
Absicht?
Nach unseren Überlegungen, die wir bisher angestellt haben, könnte man zu dem Schluß kommen, daß eine Handlung sozusagen aus zwei Komponenten besteht, so daß man die Gleichung aufstellen kann: Handlung = Tun + Absicht wobei man >Tun< näher bestimmen könnte als >Ausführung von bestimmten Körperbewegungen^ Stehen die beiden Glieder auf der rechten Seite der Gleichung für zwei verschiedene Ereignisse, einem inneren (Absicht) und einem äußeren (Körperbewegung)? Betrachten wir einmal den folgenden Satz, in dem eine Handlung beschrieben wird und in dem ein Verb vorkommt, das sich auf eine Körperbewegung bezieht, und ein Ausdruck, der sich auf die Absicht der Person bezieht, die die Körperbewegung ausführt: (i) er hob absichtlich den Arm Berichtet dieser Satz von zwei verschiedenen Ereignissen, einem äußeren, wahrnehmbaren - er hob den Arm - und einem inneren, vielleicht >geistigen< Ereignis - absichtlich - ? Diese Frage scheint uns - zurecht - merkwürdig, denn das Ereignis, von dem hier be-
i. Was ist eine Handlung?
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richtet wird, ist ja offensichtlich ganz einfach das, daß jemand den Arm gehoben hat. Der Zusatz absichtlich in (i) fügt diesem Bericht keinerlei neue Information hinzu. Gilbert Ryle, der in seinem Buch ,Concept of Mind (dt.: Der Begriff des Geistes)' energisch gegen die Auswüchse des philosophischen Doppellebens von Körper und Geist zufelde zieht, vertritt die Auffassung, daß absichtliches Tun als eine einzige „Episode" und nicht als zwei Ereignisse aufzufassen ist: „Wenn jemand etwas freiwillig, im Sinn von absichtlich, tut oder zu tun versucht, dann spiegelt seine Handlung tatsächlich eine gewisse Geistesqualität oder gewisse Geistesqualitäten wider, da er - und diese Behauptung ist mehr als ein Wortspiel — bis zu einem gewissen Grad und in der einen oder anderen Weise mit seinem Geist bei der Sache ist. Es folgt daraus auch, daß er bei entsprechender sprachlicher Schulung ohne Untersuchung oder Mutmaßung sagen kann, was er zu erreichen versuchte. Diese logischen Folgen der Freiwilligkeit (im Sinn von Absicht, G. H.) ziehen aber nicht [ . . . ] die oft angenommene Hypothese des Doppellebens nach sich. Absichtlich die Stirne runzeln heißt nicht etwa: eine Angelegenheit auf der Stirn und eine andere auf einem zweiten metaphorischen Ort zu erledigen; noch heißt es: die eine Sache mit den Stirnmuskeln und die andere mit irgendeinem unkörperlichen Organ bewerkstelligen. Ganz besonders aber heißt es nicht, die Runzeln auf der Stirn dadurch hervorbringen, daß man zuerst eine runzelverursachende Anstrengung mit irgendeinem okkulten Unmuskel macht. »Er runzelte absichtlich die Stirn« berichtet nicht den Vorfall von zwei Episoden. Es berichtet den Vorfall einer einzigen Episode, aber einen von ganz anderem Charakter als der, die mit »Er runzelte unfreiwillig die Stirn« berichtet wird, wie sehr die Runzeln einander auch photographisch ähnlich sein mögen." (Ryle (dt. 1969), 9516.) Die hier zitierte Auffassung Ryles ist wegweisend geworden für die gesamte analytische Handlungstheorie: die Absicht oder Intention eines Handelnden ist nicht als ein geistiges Ereignis zu verstehen, das neben dem Tun, den Körperbewegungen, eine zweite Handlungskomponente darstellt, sondern die Absicht oder Intention be-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
steht im Tun selbst. Diese Auffassung - die Intention liegt im Tun/Verhalten - präzisiert von Wright so: „Wer sagt, daß die Intentionalität in dem Verhalten liegt, der sagt damit etwas sehr wichtiges und etwas recht irreführendes zugleich. Die Wahrheit in dieser Formulierung besteht darin, daß Intentionalität nicht etwas >hinter< oder >außerhalb< des Verhaltens ist. Intentionalität ist kein geistiger Akt und auch keine sie begleitende charakteristische Erfahrung. Irreführend an der Formulierung ist, daß sie eine Lokalisierung der Intention nahelegt, eine Begrenzung auf ein genau bestimmtes konkretes Verhalten, so als ob man die Intentionalität durch eine Untersuchung der Bewegungen entdekken könnte. Man könnte sagen - aber auch dies ist vielleicht irreführend - , daß die Intentionalität des Verhaltens sein Platz in einer Geschichte für den Handelnden ist. Ein Verhalten bekommt seinen intentionalen Charakter dadurch, daß es vom Handelnden selbst oder von einem Beobachter in einer weiteren Perspektive gesehen wird, dadurch, daß es in einen Kontext von Zielen und kognitiven Elementen gestellt wird." (von Wright (dt. 1974), 108.) 1 Absicht oder Intention wird demzufolge nicht als eine Eigenschaft eines Tuns oder Verhaltens aufgefaßt, sondern als ein Aspekt, eine Kategorie der Beurteilung oder Interpretation eines Verhaltens. Anscombe hat in ihrem 1957 erschienenen Buch ,Intention' die Formulierung gebraucht: ein Verhalten ist „intentional unter einer Beschreibung (under a description)" (Anscombe (1957), 23), eine mittlerweile geläufige Wendung. Ein Verhalten wird als intentionales Verhalten interpretiert; erst durch diese Interpretation erhält es für uns den Charakter einer Handlung: „ O b jemand eine Handlung ausführt und welche er ausführt, läßt sich nicht allein durch Beobachtung dessen, was er tut, der Aktivität, die er vollzieht, erkennen. Wir müssen einem Tun Intentionalität unterstellen, um es als Handlung auffassen zu können. Eine Handlung ist eine als Handlung interpretierte Aktivität. Ein und diesselbe Aktivität kann auf verschiedene Weise - als verschiedene Handlungen - interpretiert werden." (Keller (1977), 8/9.) Z. B. können die folgenden Interpretationen/Beschreibungen
i. Was ist eine Handlung?
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(ii) er öffnete das Fenster (iii) er betätigte den Fenstergriff (iv) er lüftete das Zimmer als drei verschiedene Interpretationen/Beschreibungen ein und derselben Aktivität angesehen werden. Was soll jetzt aber die Aktivität sein, die in den drei Beschreibungen jeweils als Handlung interpretiert wird? Ist es »den Fenstergriff betätigen«, »das Fenster öffnen«, »das Zimmer lüften« oder etwas davon ganz verschiedenes, z. B. das Ausführen bestimmter Körperbewegungen? Keller diskutiert diese Frage als ein „logisches Problem", das die Redeweise von Aktivitäten, die als Handlungen interpretiert werden sollen, mit sich bringt. (Vgl. Keller (1977), 9/10.) Ursache des Problems ist seiner Meinung nach die Grammatik des Ausdrucks interpretieren: ,,»A interpretiert x als y«. Wofür ist »x« eine Variable? Betrachten wir eine fiktive Äußerung: »Also ich interpretiere das als eine Art von Zuwendung«. Worauf bezieht sich das »das«? Das logische Problem besteht darin, daß, wenn ich etwas benannt habe, ich es auch schon interpretiert habe, nämlich mindestens als das, als was ich es benannt habe." (Keller (1977), 9.) Das heißt: Aktivitäten lassen sich nicht uninterpretiert benennen; man muß sie, um sie überhaupt benennen zu können, schon als das Benannte interpretiert haben. „Wer an dem Ausdruck »immer schon« Gefallen findet, kann sagen »unsere Wahrnehmung ist immer schon interpretierte Wahrnehmung« oder »die Identifikation einer Aktivität als Aktivität ist immer schon das Resultat eines Interpretationsprozesses«" (Keller (1977), 9.) Das Fazit, das wir aus diesen Überlegungen ziehen können, ist das folgende: wenn wir fragen, was diese zu interpretierende Aktivität denn sein soll, dann fordern wir bereits eine Interpretation dieser Aktivität heraus; schließlich besteht der Sinn von Fragen darin, Antworten zu erhalten, und Antworten bestehen - unter anderem aus Benennungen! Die Redeweise von einer Aktivität, die als Handlung interpretiert werden soll, kann also nicht besagen, daß »Aktivität« irgendein Ereignis (? - auch hier muß ich ja wieder was benennen!) außerhalb unserer Interpretation benennt, sondern lediglich, daß mit dieser Redeweise keine Festlegung auf eine ganz be-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
stimmte Interpretation oder auf eine Menge ganz bestimmter Interpretationen erfolgen soll. Entsprechend definiert auch Keller den Sprachgebrauch: „Ich möchte »Aktivität« einfach verstanden wissen als »Gegenstand der Interpretation als Handlung« als eine Art Dummy-Wort für das »x« in der Satzform: »A interpretiert x als y«, wobei zulässig sein muß, daß eine Aktivität selbst schon eine Handlung sein kann, aber nicht muß.« (Keller (1977), 10.) Fassen wir zusammen: (1) Eine Handlung ist eine als Handlung interpretierte Aktivität; (2) mit der Interpretation wird auf die Intention des Handelnden verwiesen; (3) für solche Interpretationen kann es mehrere Möglichkeiten der Beschreibung geben.
2. Wie werden Handlungen beschrieben? 2.1 Die Wirkung des >Ziehharmonikaeffekts< auf Handlungsbeschreibungen Der Grund dafür, daß es für eine Handlung mehrere Handlungsbeschreibungen geben kann, ist darin zu sehen, daß das Objekt der Intention eines Handelnden, das, worauf er seine Absicht richtet, sehr häufig nicht nur ein einziges Ereignis oder ein einziger Zustand ist. Wenn ich - um beim vielzitierten handlungstheoretischen Beispiel zu bleiben - ein Fenster öffne, dann tue ich dies mit der Intention, daß das Fenster auf ist. Dies ist aber nicht das einzige, was ich will; mit dem Fensteröffnen will ich normalerweise bewirken, daß frische Luft in mein Zimmer kommt, durch die frische Luft will ich mein physisches Wohlbefinden steigern. Die Intentionskette kann ich weiter verlängern: die Steigerung meines Wohlbefindens soll ihrerseits meine Arbeitslust und -fähigkeit steigern, diese Steigerung soll bewirken, daß ich morgen mein Buch zuende geschrieben habe, dies wiederum, daß ich meinen Ehrgeiz befriedige, dies Wenn es auch so gut wie nie vorkommen dürfte, daß jemand die hier diskutierte Handlung »ein Fenster öffnen« tatsächlich nur mit der einen Beschreibung wiedergibt: (i) A befriedigt seinen Ehrgeiz so ist dies doch prinzipiell nicht auszuschließen; wir handeln normalerweise nicht um des Handelns selbst, sondern immer um etwas anderen willen. Dieses »um etwas anderen willen« wird üblicherweise mit zwei Ausdrücken bezeichnet, die unterschiedliche Aspekte einer Handlung betreffen (vgl. Austin (dt. 1977); von Wright (dt. 1974); Keller (1977)): - einmal das Ergebnis einer Handlung, d. h. der Zustand oder das Ereignis, den/das der Handelnde unmittelbar durch sein Tun
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
herbeiführt; in unserem Beispiel: das Geöffnetsein des Fensters; - zum andern die Folge(n), die der Handelnde mittelbar herbeiführt, d. h. das, was er herbeiführt, indem er das unmittelbare Ergebnis herbeiführt; in unserem Beispiel: frische Luft im Zimmer, gesteigertes physisches Wohlbefinden. Eine Handlung ist gelungert, wenn ihr Ergebnis erreicht ist, und sie ist erfolgreich, wenn ihre Folge/n eingetreten ist/sind. Für eine Handlung gibt es normalerweise immer genau ein Ergebnis. Dies läßt sich jedoch für die Folgen nicht allgemein behaupten: wieviele Folgen eine Handlung hat, kann man nur im konkreten Einzelfall beurteilen. Jedoch kann jeder Zustand oder jedes Ereignis, der/das als Folge einer bestimmten Aktivität interpretiert wird, zum Inhalt einer Handlungsbeschreibung gemacht werden. Darauf hat als einer der ersten Austin hingewiesen: „Man kann mit einem einzelnen Ausdruck, der beschreibt, was er tat, entweder eine kleinere oder größere Kette von Ereignissen umfassen, wobei die durch die engere Beschreibung ausgeschlossenen Ereignisse dann >KonsequenzenErgebnisseWirkungen< o. ä. seines Handelns genannt werden." (Austin (dt. 1977), 38.) Wahrscheinlich angeregt durch Austins metaphorischen Sprachgebrauch von »enger« bzw. »größerer und kleinerer Kette« gebraucht Feinberg die sehr plastische Metapher vom Ziehharmonikaeffekt, um damit die in der Sprache angelegten Möglichkeiten von Handlungsbeschreibungen zu charakterisieren: „Dieses wohlbekannte Merkmal unserer Sprache, wonach die Beschreibung einer Handlung nahezu beliebig kleine und große Ketten von Ereignissen umfassen kann, könnte man ganz zutreffend als den Ziehharmonikaeffekt bezeichnen, da eine Handlung, genau wie das besagte Musikinstrument, bis auf ein Minimum zusammengedrängt, aber auch ganz weit auseinandergezogen werden kann. [ . . . ] Wir können, wenn wir wollen, unseren Begriff von einer Handlung so erweitern, daß sie eine ihrer Konsequenzen umfaßt, - wozu wir in den meisten Fällen aufgrund unserer Sprache sogar verpflichtet sind, da diese eben zu diesem Zweck relativ komplexe Handlungswörter bereithält." (Feinberg (dt. 1977), 204/5.)
i. Wie werden Handlungen beschrieben? Die Feinbergsche Charakterisierung des Ziehharmonikaeffekts von Handlungsbeschreibungen gibt zwei Probleme auf: Die Redeweise von »enger« und »weiter« oder »größeren und kleineren Ketten« suggeriert durch ihren Gebrauch von relationalen Adjektiven wie groß, klein, eng usw., daß es einen Normalwert oder einen Standard einer Beschreibung geben müsse, so daß man die Abweichungswerte relativ zu ihrem jeweiligen Normalwert bestimmen könnte. In Analogie etwa zum Zahlenstrahl könnte man der Normalbeschreibung BN den Wert o zuordnen, den »engeren« Beschreibungen Werte von — i bis —n und den »weiteren« Beschreibungen Werte von + i bis + n :
*
B-„
B-,
B-j —-B-,
Bn
I
B+I
B+2
B+,
B+n
»
Was soll aber nun eine solche >Normalbeschreibung< BN sein? 2.1.1
Gibt es die ,Normal'beschreibung
einer Handlung?
Bevor wir eine Antwort auf diese Frage zu geben versuchen, müssen wir erst sagen, was wir hier unter .Beschreibung' verstehen wollen, denn bisher sind wir ja nur auf den Inhalt der Beschreibung, die Handlung, eingegangen. Jede Handlungsbeschreibung unterliegt bestimmten kommunikativen Zwecken, steht in einem speziellen Kontext, den es zu präzisieren gilt, d. h. wir müssen festlegen, auf welchen Zweck und Kontext wir uns beziehen wollen. Da wir in erster Linie an der Möglichkeit des Vergleichs von verschiedenen Handlungsbeschreibungen unter dem Gesichtspunkt ihrer F o r malität' interessiert sind, und nicht an einer Bestimmung von Kommunikationssituationen, in denen Handlungsbeschreibungen vorkommen (können), scheint es sinnvoll, den Zweck der Beschreibung auf die Information, die ein Sprecher (S) einem Hörer (H) geben will, einzuschränken. Zusätzlich soll die Bedingung gelten, daß der beschreibende S davon ausgeht, daß sein Gesprächspartner H die als Handlung beschriebene Aktivität nicht schon selbst interpretiert hat, daß er also nicht etwa gemeinsam mit S Zeuge der besprochenen Aktivität war. Solche Situationen, in denen - unter
l6
I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
anderem - Handlungsbeschreibungen vorkommen, sind z. B.: Erzählungen vom Urlaub, Schilderungen eines Umzugs, Berichte von Sportereignissen im Radio sowie alle Arten von erzählenden Texten im weiteren Sinn. Die Bedingungen für unseren speziellen Fall von beschreiben einer Handlung> sind schematisch zusammengefaßt die folgenden:2 (i) A tut h (dies ist die Voraussetzung für die Handlungsbeschreibung) (ii) S (der mit A identisch sein kann) interpretiert (i) als eine bestimmte Handlung hi (iii) S will, daß H von hi Kenntnis erhält (das heißt auch, daß H weiß, was A getan hat) (iv) S geht davon aus, daß H nicht weiß, daß A H getan hat (v) S gibt seine Interpretation h, nur durch eine Handlungsbeschreibung wieder (diese Beschränkung des Kommunikationsbeitrags von S wird notwendig, weil wir ja einzelne Beschreibungen miteinander vergleichen wollen und keine Beschreibungssequenzen) Darüber hinaus gilt ganz allgemein, daß, wenn S dem H eine Information geben will, er - ganz unabhängig vom jeweiligen Inhalt der Information - unterstellt, daß es einen Maßstab für die jeweils mitgeteilte Informationsmenge gibt. „Dadurch daß der Sprecher seinerseits ein Wissen (oder mindestens Annahmen) über das bei H vorhandene Vorwissen [ . . . ] macht, wird er eine Selektion hinsichtlich seiner tatsächlich geäußerten Information machen. An diesem Punkt wird er zwei wichtige, durch Grice (i 969 II, 7) formulierte Konversationsmaximen anwenden: (1) Mache deinen Beitrag so informativ wie möglich (für die gegenwärtigen Zwecke der Kommunikation)!; (2) Mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich (für die gegenwärtigen Zwecke der Kommunikation)!" 3 Wenden wir uns jetzt wieder unseren Handlungsbeschreibungen und der Frage nach ihrer ,Normal'beschreibung zu und betrachten zunächst die zwei folgenden Fälle, in denen ein und dieselbe Aktivität jeweils durch unterschiedliche Handlungsbeschreibungen als Handlung interpretiert wird:
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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(i) A betätigte den Fenstergriff (ii) A öffnete das Fenster (iii) A lüftete den Raum W (i) A schrieb seinen Namen (ii) A unterschrieb einen Vertrag (iii) A schloß einen Vertrag ab Vergleichen wir die einzelnen Beschreibungen miteinander, zunächst den ersten Fall: wenn mir jemand sagt, eine Person A habe einen Fenstergriff betätigt, dann weiß ich zwar, daß A bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat - das ist aber auch alles: A kann dies getan haben, um etwas zu reparieren oder um das Fenster zu putzen oder um auszuprobieren, ob er mit seinem Arm den Fenstergriff erreichen kann, oder um jemandem etwas zu demonstrieren (z. B. wie man dieses Fenster öffnet!), um eine dort sitzende Spinne zu verjagen, um . . . , um . . . Fazit: die Beschreibung ( i i ) ist nicht sonderlich informativ; sie wird dem Zweck (H soll wissen, was A getan hat) nicht gerecht - insofern könnte man sagen, daß in ihr die erste der beiden zitierten Konversationsmaximen verletzt ist. (iii) A öffnete das Fenster Mit dieser Beschreibung wird impliziert, daß der Handelnde bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat, u. a. einen Fenstergriff betätigt, und aus ihr kann man folgern, daß das Ergebnis: das Fenster ist auf, erreicht ist. Von diesem Zustand kann man aufgrund seines Wissens über Ursachen und Wirkungen darauf schließen, daß Luft ins Zimmer kommt. (iiii) A lüftete den Raum impliziert zwar, daß die handelnde Person Luft ins Zimmer gelassen hat; es bleibt jedoch offen, ob sie dies getan hat durch das Offnen eines Fensters oder einer Tür (oder beidem) oder ob sie die Lüftung durch das Einstellen eines Ventilators bewirkt oder einem dienstbaren Geist ständiges Fächeln geheißen hat oder . . . (iiii) weist also das gleiche Informationsdefizit auf wie (ii).
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Von den drei Handlungsbeschreibungen des ersten Falls ist die Beschreibung (iii) relativ zu dem kommunikativen Zweck: H darüber zu informieren, was A getan hat, die ,normalste': mit ihr wird der Informationsgehalt - was A getan hat - am adäquatesten ausgedrückt. Die Adäquatheit des Ausdrucks läßt sich durch die folgenden semantischen Eigenschaften des Satzes präzisieren: - die Handlungsbeschreibung (HB) impliziert, daß das Handlungssubjekt etwas bestimmtes getan, bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat; - aus HB folgt, daß ein bestimmter Zustand, ein bestimmtes Ergebnis erreicht ist; - aus dem aus HB gefolgerten Handlungsergebnis kann H aufgrund seines Wissens über Ursachen und Wirkungen auf eine bestimmte Folge schließen. Wenn wir jetzt unseren zweiten Fall von Handlungsbeschreibungen ansehen, dann könnten wir, ohne sie alle drei im einzelnen zu betrachten, gleich sagen, daß Beschreibung (2Ü) die drei semantischen Eigenschaften besitzt: - HB (2Ü) impliziert, daß das Handlungssubjekt bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat, die mit dem Ausdruck seinen Namen schreiben zusammengefaßt werden können; - aus H B folgt, daß das Ergebnis: Unterschrift unter einen Vertrag erreicht ist; - aus dem Ergebnis - Unterschrift unter einem Vertrag - kann ich aufgrund meines Wissens über Ursachen und Wirkungen auf die Folge schließen: Abschluß eines Vertrages. Allerdings bezieht sich dieses Wissen nicht, wie im Fall (iii) auf physikalische Ursachen und Wirkungen, sondern auf konventionale: die Unterschrift unter einen Vertrag bewirkt qua Konvention, daß der Vertrag abgeschlossen ist. Unter den hier aufgestellten kommunikativen Bedingungen läßt sich also die Normalbeschreibung einer Handlung definieren als diejenige Beschreibung - durch die impliziert wird, daß der Handelnde bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat;
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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- aus der folgt, daß ein bestimmtes Ergebnis erreicht ist; - und aus deren Ergebnis auf eine Folge der Handlung geschlossen werden kann. Wenn man diese Definition akzeptiert, dann kann man auch sagen, was eine »engere« und was eine »weitere« Handlungsbeschreibung ist: - eine »engere« Handlungsbeschreibung thematisiert das Ausführen von Körperbewegungen, ohne daß diese Information irgendeinen Schluß auf das Ergebnis oder auf eine Folge der Handlung zuließe; - eine »weitere« Handlungsbeschreibung thematisiert eine Folge einer Handlung, ohne daß diese Information irgendeinen Schluß auf das Ergebnis der Handlung oder das Ausführen von Körperbewegungen zuließe. Wenn wir jetzt nochmal unsere Zahlenstrahl-Analogie zur Verdeutlichung heranziehen, dann erhalten wir für unsere beiden Fälle von Handlungsbeschreibungen die folgenden Bilder: Für (1): »enger« HB"
"HB-
I I
HBN
-HB;
- H B -
A bewegte seine Hand auf eine bestimmte Weise A betätigte den Fenstergriff A öffnete das Fenster A lüftete den Raum A verschaffte sich Kühlung
I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
3° Für (2)
»enger« -•-HB-
-HB—
HBn
"HB —
"HB —
I I A bewegte seine Hand auf eine bestimmte Weise > A schrieb seinen Namen A unterschrieb einen Vertrag A schloß einen Vertrag ab A legte sein Geld gewinnbringend an "Anmerkung: Auf der Linksseite der Handlungsbeschreibungen scheint der sprachlichen Formulierungsmöglichkeit Grenzen gesetzt zu sein: das Ausführen bestimmter Körperbewegungen läßt sich nicht mehr genauer beschreiben. Auf dieses Problem werde ich im Abschnitt 2.2 Grenzen der Handlungsbeschreibung - Basishandlungen noch zurückkommen.
2.1.2
Unterschiedliche Beschreibungen von Handlungen sich auf ein Objekt der Beschreibung
beziehen
Ich sprach von zwei Problemen, die die Feinbergsche Auffassung aufwirft. Hier das zweite: der Ziehharmonikaeffekt soll sich auch auf Fälle beziehen wie dem folgenden: „ S o können wir etwa sagen, daß Peter die T ü r aufgemacht und dadurch Paul (der drinnen war) erschreckt hat - womit wir Peters Handlung als die Ursache einer darauf folgenden Wirkung betrachten. Wir können aber auch (einfach) sagen »Peter hat Paul erschreckt« (dadurch, daß er die T ü r aufmachte) und somit die Konsequenz der Handlung in die kom-
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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plexe Handlung selbst einbauen. Wenn Paul dabei so erschrak, daß ihn der Schlag traf, können wir sagen, daß Peters Offnen der Tür seinen Tod verursachte bzw. daß sein Tod dadurch verursacht wurde, daß er von Peter derart erschreckt worden war, oder einfach, daß Peter dadurch, daß er diese Dinge tat, Paul getötet hat." (.Feinberg (dt. 1977), 204.) Dieser Fall unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von allen bisher betrachteten. Die möglichen Handlungsbeschreibungen (i) Peter hat Paul erschreckt (ii) Peter hat Paul getötet beziehen sich auf Folgen, - oder wie Feinberg sagt: Konsequenzen - der Handlung, die, zumindest in einer zulässigen Interpretation des Beispiels, vom Handelnden nicht absichtlich herbeigeführt worden sind. Dies steht im Widerspruch zu unserem bisherigen Verständnis, wonach Handlungsbeschreibungen sich auf Interpretationen von Aktivitäten als Handlungen beziehen und damit immer auf eine Intention des Handelnden verweisen müssen. Diese Bedingung scheint jedoch in den Handlungsbeschreibungen (i) und (ii) nicht erfüllt zu sein. Trotzdem würden wir das, was Peter in dem Beispielfall getan hat, sicher nicht ohne weiteres als nichtintentionales Verhalten charakterisieren wollen, denn etwas hat er ja absichtlich getan, nämlich die Tür geöffnet, d. h. es gibt eine mögliche Handlungsbeschreibung, in der auf eine Intention verwiesen wird. Wir müssen also unsere Bedingung dafür, daß ein sprachlicher Ausdruck als eine Handlungsbeschreibung gelten kann, dahin erweitern, daß die Handlungsbeschreibung den Verweis auf die Intention nicht explizit - etwa durch das Vorkommen bestimmter Verben - zu enthalten braucht; es reicht, wenn die Intention impliziert ist in der Weise, daß es mindestens eine zweite Handlungsbeschreibung geben muß, in der explizit auf eine Intention Bezug genommen werden kann. Diese Beschreibung muß natürlich mit der ersten verträglich sein. Davidson beantwortet die Frage, wie man Handlungen beurteilen soll, bei denen etwas absichtlich und etwas anderes unabsichtlich getan worden ist, ganz ähnlich: „Jemand vollzieht dann eine Hand-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
lung, wenn das, was er tut, so beschrieben werden kann, daß er es absichtlich tut. [ . . . ] Angenommen, ein Offizier schießt einen Torpedo auf ein Schiff ab, das er für die »Tirpitz« hält, und versenkt tatsächlich die »Bismarck«, dann ist das Versenken der »Bismarck« seine Handlung, denn diese Handlung ist mit seinem Versuch identisch, das Schiff zu versenken, das er für die »Tirpitz« hält, und der ist absichtlich." (Davidson (dt. 1977a), 286/7.) Von jemandem zu sagen, er habe durch ein bestimmtes Tun - z. B. zur-Tür-Hereinkommen - etwas anderes - z. B. jemanden-Erschrecken - herbeigeführt, heißt dem Handelnden eine Wirkung zuschreiben, die er durch sein Handeln verursacht hat. In einer etwas gestelzten Formulierung könnte man dies auch mit der Beschreibung ausdrücken: (iii) Peters zur-Tür-Hereinkommen war die Ursache für Pauls Erschrecken Mit (iii) wird gesagt, daß Peters zur-Tür-Hereinkommen die Ursache war für (die Wirkung) Pauls Erschrecken. In gleicher Weise kann man auch einen kausalen Zusammenhang herstellen zwischen dem Ausführen bestimmter Körperbewegungen und dem Ergebnis einer Handlung, z. B.: (iv) Peters Betätigung des Fenstergriffs war die Ursache für das Offnen des Fensters Wenn man von zwei Ereignissen behauptet, das eine sei die Ursache des anderen und dieses umgekehrt die Wirkung des ersten, dann behauptet man zugleich, daß die beiden Ereignisse - voneinander verschieden sind und - daß sie zeitlich nacheinander erfolgen. Diese Behauptung ist jedoch unverträglich mit der Feinbergscheri Auffassung, daß die Zuschreibung von Ursachen und Wirkungen sich auf ein und dieselbe Handlung bezieht: Feinberg sagt, daß jemandes Handlung durch den Ziehharmonikaeffekt „auf ein Minimum zusammengedrängt, aber auch ganz weit auseinandergezogen werden kann" und: „Wir können, wenn wir wollen, unseren Begriff von einer Handlung so erweitern, daß er eine ihrer Konse-
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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quenzen umfaßt." (Feinberg (dt. 1977), 204.) Die verwendeten Ausdrücke »zusammendrängen«, »auseinanderziehen« und »erweitern« klingen, wie Davidson zurecht feststellt, so, „als würde es sich um Operationen an ein und demselben Ereignis handeln." (Davidson (dt. 1977a), 299.) Da aber diese Operationen ganz offensichtlich die Dauer des Ereignisses verändern, kann es sich nicht um ein und dasselbe Ereignis handeln. Auch die Austinsc\ie Redeweise von »kleineren und größeren Ketten von Ereignissen« ist nicht sonderlich geeignet, diese auf ein und dasselbe Ereignis zu beziehen, denn „Ereignisse, die verschiedene Ketten von Ereignissen umfassen, können nicht identisch sein." (Davidson (dt. 1977a), 301.) Die Frage: zwingt uns die Redeweise von Ursachen und Wirkungen nicht dazu, von zwei oder mehreren numerisch verschiedenen Ereignissen auszugehen? drängt sich auf - entgegen der ursprünglichen Bestimmung des Feinbergschen Ziehharmonikaeffekts. Davidson versucht zu zeigen, daß die (kausale) Redeweise von Ursachen und Wirkungen, die wir in Handlungsbeschreibungen verwenden, zu unangemessenen Verdinglichungen verleiten kann. Ich zitiere die zentrale Stelle seiner Argumentation: „Es ist offensichtlich, daß die Beziehung zwischen der Handlung, daß die Königin ihre Hand so bewegt, daß sie damit Gift in das Ohr des Königs schüttet, und der Handlung, daß sie ihn tötet, nicht die Beziehung einer Ereignis-Kausalität sein kann. Wenn sie das wäre, müßten wir sagen, daß die Königin verursachte, daß sie den König tötete. Das ist nicht dasselbe, wie wenn man sagt, die Königin führte herbei oder machte es geschehen, daß sie den König tötete; diese Ausdrücke klingen zwar gespreizt, scheinen aber nicht völlig falsch zu sein; denn es ist nicht klar, ob sie etwas anderes bedeuten, als daß die Königin sich selbst dazu gebracht hat, den König zu töten. Aber dann können diese Ausdrücke nicht im erforderlichen Sinn kausal sein. Denn nehmen wir an, daß die Königin, indem sie ihre Hand bewegte, verursachte, daß sie den König tötete, dann könnten wir fragen, wie sie dieses Verursachen ausführte. Die einzige Antwort, die ich mir vorstellen kann, ist die, daß sie es tat, indem sie ihre Hand in der betreffenden Weise bewegte. Aber diese Bewegung war an sich schon ausreichend, den Tod des Königs zu
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I- Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
verursachen - es bedurfte keiner anderen Handlung durch die Königin. Und es gibt auch keinen Grund (es sei denn, wir fügten dieser Geschichte auf unwichtige Weise etwas hinzu), warum die Königin den Wunsch gehabt haben sollte zu verursachen, daß sie den König tötete. Was sie tun wollte, war nur, den König zu töten - das heißt etwas tun, das seinen Tod verursacht. Ist die Annahme nicht absurd, daß es für die Königin noch irgend etwas zu tun oder zu erledigen gibt, nachdem sie ihre Hand so bewegt hat, daß sie damit den Tod des Königs verursachte? Sie hat das Ihre getan - jetzt muß nur noch das Gift das Seine tun. Es hilft gar nichts, sich das Töten als eine Handlung vorzustellen, die mit einer Handbewegung beginnt, aber erst später endet. Denn um es noch einmal hervorzuheben: Wenn wir die Beziehung zwischen diesen Ereignissen untersuchen, dann muß die Antwort lauten; daß das Töten aus der Handbewegung und einer ihrer Folgen besteht. Wir können sie auf diese Weise zusammenfügen, weil die Handbewegung den Tod verursacht. Aber dann hat die Königin, indem sie ihre Hand bewegte, etwas getan, was den Tod des Königs verursachte. Die folgenden Beschreibungen sind zwei Beschreibungen desselben Ereignisses: die Königin bewegte ihre Hand auf diese Weise; sie tat etwas, was den Tod des Königs verursachte. (Oder, um es, was mir lieber ist, mit Hilfe von Kennzeichnungen zu formulieren: Das Bewegen der Hand durch die Königin bei der und der Gelegenheit war mit einem Tun von ihr identisch, das den Tod des Königs verursachte). Etwas tun, was jemandes Tod verursacht, ist mit dem Verursachen des Todes identisch. Nun kann man aber wohl kaum einen Unterschied zwischen dem jemandes-Tod-Verursachen und dem jemanden-Töten machen. Daraus folgt aber, daß das Ereignis, das angeblich länger dauern sollte (nämlich das Töten) eben nicht mehr Zeit in Anspruch nahm und sich von der Handbewegung gar nicht unterschied." (Davidson (dt. 1977a), 302/3.) Das Fazit dieser Überlegungen ist also, daß das Ergebnis oder die Folge eines Ereignisses, das im Tun oder in der Ausführung bestimmter Körperbewegungen durch einen Handelnden besteht, nichts ist, was zu diesem Tun zusätzlich noch hinzukommt: die Handbewegung der Königin, die sich mit dem Ausdruck Gift ins Ohr des Königs schütten zusammenfassen läßt, ist alles, was getan
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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wurde. Die einzelnen Beschreibungen haben kein anderes Objekt als eben dieses Tun: „ [ . . . ] diesem Durcheinander von verwandtem Beschreibungen entspricht nur ein einziges Objekt der Beschreibung - das ist die Schlußfolgerung, auf die all unsere Überlegungen zustreben. [ . . . ] Wir können in der Tat die Verantwortlichkeit für eine Handlung auf die Verantwortlichkeit für ihre Folgen ausdehnen, aber wenn wir das tun, dann nicht dadurch, daß wir den Handelnden mit einer neuen Handlung belasten, sondern dadurch, daß wir darauf hinweisen, daß seine ursprüngliche Handlung diese Folgen hatte." (Davidson (dt. 1977a), 304.) Die unangemessene Verdinglichung, zu der die Redeweise von Ursachen und Wirkungen verleitet, kommt dadurch zustande, daß wir irrtümlicherweise diejenigen Eigenschaften, die von einer Handlung in einer Beschreibung ausgesagt werden, auf die Handlung selbst übertragen: „Die Annahme, daß unter den gegebenen Umständen das Töten eines Menschen etwas anderes ist als das Ausführen einer bestimmten Handbewegung, beruht auf einer Verwechselung einer Eigenschaft der Beschreibung eines Ereignisses mit einer Eigenschaft des Ereignisses selbst. Der Fehler besteht darin zu glauben, daß dann, wenn in der Beschreibung eines Ereignisses die Bezugnahme auf eine Folge enthalten ist, die Folge ihrerseits in dem beschriebenen Ereignis enthalten ist. Die Ziehharmonika, die beim Auseinanderziehen und Zusammenziehen dieselbe bleibt, ist nichts anderes als die Handlung selbst. Was sich verändert, sind die beschriebenen Aspekte oder die Beschreibungen des Ereignisses." (Davidson (dt. 1977a), 303; vgl. auch Thalberg (1972), 193) Dieser Auffassung zufolge müssen Handlungsbeschreibungen dann auch nicht zugleich Handlungssätze sein, d. h. sie müssen kein Verb enthalten, das eine Handlung bezeichnet. Die Auffassung, daß die Eigenschaften, die in einer Beschreibung von einer Handlung ausgesagt werden, nicht auf die Handlung selbst übertragbar sind, läßt sich auch durch Verweis auf unser intuitives Sprachverstehen stützen. Lesen wir den folgenden Textabschnitt:
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie Schmidt schrieb das ganze J a h r über an seinem B u c h über die Vermeidung von Insektenschäden an unseren L a u b b ä u men. Als er im Spätherbst dieses Jahres durch den Stadtwald spazierte, entdeckte er, daß L a u b b ä u m e , die in unmittelbarer N ä h e von N a d e l b ä u m e n standen, weniger von Insekten befallen waren als die anderen L a u b b ä u m e . . .
D i e s e r T e x t scheint uns nicht sonderlich auffallend oder m e r k w ü r dig zu sein, o b w o h l von Schmidt einmal gesagt wird, daß er das ganze J a h r über an seinem B u c h geschrieben hat und daß er w ä h rend dieses Zeitraums u. a. im W a l d spazieren gegangen ist. W ü r den wir die Handlungsbeschreibung (v)
Schmidt schrieb das ganze J a h r über an seinem B u c h . . .
als Abbildung der Eigenschaften der beschriebenen H a n d l u n g verstehen, dann m ü ß t e uns die zweite Handlungsbeschreibung (vi)
Schmidt ging im Spätherbst dieses J a h r e s im W a l d spazieren
widersprüchlich erscheinen: jemand kann nicht zugleich ein B u c h schreiben und im W a l d spazieren gehen. D a ß aber t r o t z d e m beide Beschreibungen von uns als miteinander verträglich interpretiert werden, hängt im wesentlichen damit zusammen, daß wir kein A b bild des so und so Beschriebenen in der außersprachlichen Realität suchen. D i e Behauptung (vii) A n t o n pflanzt R o s e n wird nicht dadurch falsifiziert, daß A n t o n z u m Z e i t p u n k t der Ä u ßerung (vii) gerade mit dem Spaten durch den G a r t e n geht, eine Zigarette raucht oder den H u t zieht, u m seiner N a c h b a r i n einen guten M o r g e n zu wünschen. 4 D i e Tatsache, daß es für ein und dieselbe Handlung mehrere miteinander verträgliche Handlungsbeschreibungen geben kann, bedeutet j e d o c h nicht unbedingt, daß diese auch alle gleichermaßen akzeptabel sein müssen. O d i p u s in der gleichnamigen antiken T r a gödie tötet einen Mann namens Laios, der bekanntlich sein Vater ist (»ist« heißt hier: »ist identisch mit«), und er heiratet eine Frau namens J o k a s t e , die seine M u t t e r ist. D i e beiden Handlungen k ö n n e n wir jeweils beschreiben als
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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(viii) Ödipus tötete Laios (ix) Odipus tötete seinen Vater (x) Ödipus heiratete Jokaste (xi) Odipus heiratete seine Mutter Nehmen wir jetzt einmal an, einer, der das Theaterstück gesehen oder gelesen hat, will dessen Inhalt jemandem, der es nicht kennt, nacherzählen, was er so anfängt: Odipus, der als Kind von seinen wirklichen Eltern ausgesetzt worden war, wird von Pflegeeltern aufgezogen, die er als Jüngling verläßt. Auf seinem Weg begegnet er seinem Vater, den er tötet. Dann geht er nach Theben, wo er seine Mutter heiratet . . . Von einem solchen Bericht würden wir sicher sagen, daß er unzutreffend, unrichtig oder sogar falsch sei, obwohl wir wissen, daß Laios und Odipus' Vater sowie Jokaste und Odipus' Mutter jeweils ein und dieselbe Person sind. Was ist der Grund für die Anfechtbarkeit des zitierten Berichts? Zunächst würden wir wahrscheinlich sagen, daß Odipus, also der Handelnde selbst, von der Identität der Personen gar nichts wußte: wen er wirklich tötete, war ein alter Mann namens Laios, wen er wirklich heiratete, war die Königin von Theben, Jokaste. Odipus als Person der fiktionalen Aktion, würde in seinem Selbstverständnis zum Zeitpunkt seiner beiden Handlungen die in dem Bericht enthaltenen Beschreibungen so nicht akzeptieren: seine Intention war darauf gerichtet, einen alten Greis zu töten, der ihm im Weg stand, und eine schöne Frau zu heiraten, die die Königin von Theben war. Entsprechend wären seine Handlungsbeschreibungen, die jedoch von den Beschreibungen, die die Zuschauer der Tragödie ab einem bestimmten Zeitpunkt der dramatischen Aktion für sich machen können, verschieden sind. Der Witz dieses Theaterstücks besteht nun gerade darin, die Zuschauerbeschreibungen (ix) »Ödipus tötete seinen Vater« und (xi) »Ödipus heiratete seine Mutter« in Beschreibungen zu überführen, die vom Handelnden selbst akzeptiert werden!
3«
I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Aus unseren Überlegungen können wir das Fazit ziehen, daß verschiedenen Handlungsbeschreibungen ein und derselben Handlung deshalb nicht gleichermaßen akzeptabel sind, weil in den einzelnen Beschreibungen das jeweilige Objekt der Intention unterschiedlich charakterisiert werden kann: was für den Handelnden selbst als Objekt seiner Intention gilt, muß nicht mit dem übereinstimmen, was für den Beschreibenden als Objekt der Intention des Handelnden gilt, selbst wenn die beiden Objekte auf ein und dieselbe Person verweisen oder anders ausgedrückt: ihre Benennungen referenziell identisch sind. Es kommt nicht auf ihre Identität in der Welt an, sondern auf ihre Unterschiede bei der sprachlichen Benennung. Fassen wir zusammen: (1) Handlungsbeschreibungen, die sich auf Ergebnis und Folgen einer Handlung beziehen, schreiben dem Handelnden keine Handlung zu, die über das Ausführen bestimmter Körperbewegungen hinausgeht; (2) mehrere unterschiedliche Handlungsbeschreibungen, die sich auf verschiedene Folgen von Handlungen beziehen, haben ein und dasselbe Objekt der Beschreibung: das Ausführen bestimmter Körperbewegungen. Dies ist alles, was der Handelnde getan hat; Ergebnis und Folgen hat er nicht durch eine weitere Handlung bewirkt, sondern dadurch, daß er diese und jene Körperbewegungen ausgeführt hat; (3) die Eigenschaften, die in einer Beschreibung von einer Handlung ausgesagt werden, sind nicht auf die Handlung selbst übertragbar; (4) bei Handlungsbeschreibungen kommt es auf die wörtliche Formulierung dessen an, worauf sich die Intention des Handelnden richtet; (5) Handlungsbeschreibungen können unterschiedlich akzeptabel sein: was für einen Handelnden als eine adäquate Handlungsbeschreibung gilt, muß nicht unbedingt auch für den Beschreibenden als solche gelten und umgekehrt; (6) aus der unterschiedlichen Akzeptabilität von Handlungsbeschreibungen folgt, daß diese selbst zum Gegenstand neuer Beschreibungen gemacht werden können oder besser: daß sie zum Gegenstand kommunikativer Auseinandersetzungen werden können, daß sie anfechtbar sind.
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
2.1.3
Unterschiedliche Beschreibungen von Handlungen sich auf mehrere Objekte der Beschreibung
39 beziehen
Die unter den Punkten (1) bis (6) zusammengefaßte Auffassung von der Beziehung zwischen Handlungsbeschreibungen und ihrem Objekt ist nicht unwidersprochen geblieben. (Vgl. Thomson (1971); Davis (1971); Goldman (1970); Goldman ( 1 9 7 1 ; dt. 1977); vgl. dazu auch Meggle (1976).) A m stärksten angegriffen wurde sie von Goldman, der zugleich einen konstruktiven Gegenvorschlag macht. Mit diesem werden wir uns im folgenden näher beschäftigen, auch und vor allem, um dem Leser die Gelegenheit zu geben, zwischen den Extremansichten - mehrere Handlungsbeschreibungen - ein Objekt - mehrere Handlungsbeschreibungen - mehrere Objekte einen eigenen Standpunkt zu finden. Goldman geht bei seinen Überlegungen von der Anscombesch.cn Fragestellung aus: „Wenn jemand absichtlich seinen A r m bewegt, die Pumpe betätigt, das Wasserreservoir auffüllt, die Bewohner des Hauses vergiftet - sollen wir dann sagen, daß er damit vier oder nur eine Handlung vollzieht?" (Anscombe (1957), 54; Goldman (dt. 1977), 332.) Anscombe selbst beantwortet diese Frage - in gleicher Weise, wie es Davidson getan hat - so: „ K u r z , er vollzieht damit nur eine einzige Handlung / . . . / Daß er - den Griff der Pumpe fest in der Hand - seinen Arm auf und ab bewegt, ist unter diesen Umständen ein Betätigen der Pumpe; und es ist unter diesen Umständen ein Auffüllen des Wasserreservoirs; und es ist unter diesen Umständen ein Vergiften der Hausbewohner." (Anscombe (1957), 46; Goldman (dt. 1977), 332.) In dieser Antwort sind die einzelnen Beschreibungen mit dem Ausdruck ist in der Bedeutung von »ist identisch mit« verbunden. Doch, so Goldman, dieses ist kann hier gar nicht in dieser Bedeutung verwendet werden, da es zwischen diesen Beschreibungen eine natürliche Ordnung gibt, so daß man die einzelnen Beschreibungen nicht willkürlich durch ist miteinander verbinden kann: „ Z u beachten ist insbesondere die folgende interessante Asymmetrie. Es ist ganz natürlich, wenn jemand sagt, daß das Auf-und-ab-bewegen
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
ein Auffüllen des Wasserreservoirs >ististdie Pumpe betätigen< ist. Entsprechend ist »töten von Pierre durch Boris« ein Vorkommnis des Akt-Typs »Pierre töten«. Boris' Handlung, auf Pierre zu schießen, exemplifiziert die Eigenschaft »Pierres Tod verursachen«. Und: „es gibt genau einen Akt-Typ, von dem Boris' Handlung ein Akt-Vorkommnis ist, nämlich den Akt-Typ »auf Pierre schießen«. Obwohl also Boris' »Schießen auf Pierre« eine Handlung von Boris ist, ist sie doch kein Töten von Pierre." (Goldman (dt. 1977), 349-)
Was Goldman mit seinen Unterscheidungen bezweckt, ist zweierlei: - einmal: die dadurch-daß-Relation wird unterschieden als: (a) die Relation ,X ist Vorkommnis von Y ' im Sinn von: X, eine bestimmte konkrete Handlung, ist ein Vorkommnis von (vielleicht umgangssprachlich: ,ein Fall von') Y , einem bestimmten Akt-Typ; (b) die Relation ,X exemplifiziert Y ' im Sinn von: wenn eine bestimmte Person einen bestimmten Akt X ausführt, dann exemplifiziert sie damit zugleich einen Akt-Typ Y.
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
- zum andern sollen alle Akt-Vorkommnisse und Akt-Typen ermittelt werden, die eine Handlung zu einer Einheit machen; diese sollen in einem hierarchisch gegliederten Handlungsbaum repräsentiert werden. Problematisch an den Goldman sehen Zuordnungen von Akt-Vorkommnissen zu Akt-Typen scheint allerdings die offensichtlich selbstverständliche Bestimmung dessen, was ein Akt-Typ und was ein Akt-Vorkommnis sein soll. Warum ist z. B. »auf Pierre schießen« ein Akt-Typ? Es könnte doch genauso gut eine Eigenschaft, z. B. den Akt-Typ »Pierre töten« exemplifizieren, etwa im Gegensatz zu »Pierre vergiften«, ein Akt, der doch sicher auch den AktTyp »Pierre töten« exemplifizieren könnte. Wenn man sich jedoch von einer solch strengen Auffassung davon, was ein Akt-Vorkommnis und was ein Akt-Typ ist, trennt und statt dessen von der - auch bei Goldman angesprochenen-Möglichkeit ausgeht, daß das, was er Akt-Typ nennt, mehrmals und vor allem auf unterschiedliche Weise ausgeführt werden kann, dann könnte man seinen Differenzierungsvorschlag so modifizieren: für ein und dieselbe Handlung, z. B. »jemanden töten« gibt es verschiedene Ausführungsmöglichkeiten, z. B. »jem. Gift geben«, »jem. erschlagen«, »jem. erschießen« usw. Mit solchen Zuordnungen würde man zugleich auch sagen, wie eine bestimmte Handlung X ausgeführt werden kann. Da dies natürlich nicht beliebig ist - »jem. töten« kann man nicht dadurch ausführen, daß man jemanden nur ganz einfach sanft streichelt - , heißt das zugleich auch, daß man Regeln für eine Handlung angeben kann, indem man sagt, auf welche Weisen man ein- und dieselbe Handlung ausführen kann. Ein solcher Ansatz findet sich bei Heringer, der - in kritischer Distanz zu Goldman - zwischen Handlungsmuster und Handlungen unterscheidet. Handlungsmuster sind Regeln und Handlungen Befolgungsmöglichkeiten dieser Regeln. (Vgl. Heringer {1974), 40 f.) Ein bestimmtes Handlungsmuster X enthält die Aufzählung der möglichen Handlungen, die ein Handelnder ausführen kann, damit seine Handlung als die ganz bestimmte Handlung X gilt, z. B.:
2. Wie werden Handlungen beschrieben? /
49 \
JEM. VERGIFTEN JEM. ERSCHIESSEN JEM. E R S C H L A G E N
(i) JEM. T Ö T E N
Die Handlungen rechts vom Pfeil können ihrerseits verschieden ausgeführt werden, z. B.: f
JEM. GIFT INS OHR T U N JEM. GIFT INS ESSEN T U N JEM. GIFT INS GESICHT S C H Ü T T E N
(2) JEM. V E R G I F T E N •
Und »jem. Gift ins Ohr tun« kann man sicher auch noch auf verschiedene Weise ausführen. Doch dann kommt man bereits ans Ende der Beschreibungsmöglichkeit; es gibt offensichtlich Handlungen, die man nicht weiter differenzieren kann, sog. Basishandlungen (Vgl. Heringer (1974), 46.) Von ihnen wird im nächsten Abschnitt die Rede sein. Fassen wir zusammen: (1) Die möglichen Handlungsbeschreibungen einer Handlung stehen zueinander in einer dadurch-daß-Relation; (2) diese Relation läßt sich durch die Zuordnung von Handlungen zu ihren jeweiligen Ausführungsmöglichkeiten näher bestimmen; (3) eine solche Zuordnung kann durch Handlungsmuster erfolgen, in denen dargestellt ist, in welcher Weise man eine bestimmte Handlung X ausführen kann, damit sie als diese bestimmte Handlung X gilt; (4) mit solchen Handlungsmustern werden zugleich Regeln angegeben
jo
I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
(a) dafür, was als eine Handlung X gilt und (b) dafür, wie man eine Handlung X machen kann.
2.2 Grenzen der Handlungsbeschreibung — Basishandlungen Wir hatten bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß es Grenzen der Beschreibung von Handlungen gibt, und zwar trifft dies auf all die Fälle zu, wo man sagen kann, daß jemand etwas tut, dadurch, daß er etwas anderes (anders genanntes) tut, z. B.: (i) Dadurch, daß Hans den Fenstergriff betätigt, öffnet er das Fenster; dadurch, daß er das Fenster öffnet, lüftet er den Raum; Solche Beschreibungen haben dort ihre Grenzen, wo man nicht mehr sagen kann, daß der Handelnde etwas dadurch getan hat, daß er etwas anderes tat. Dies ist offensichtlich dann der Fall, wenn von bestimmten Körperbewegungen die Rede ist, die man - zumindest umgangssprachlich - nicht weiter sinnvoll durch eine dadurch-daßRelation bestimmen kann. Für derartige Körperbewegungen hat Danto die Bezeichnung Basishandlung eingeführt. Die von ihm in diesem Zusammenhang entwickelte handlungstheoretische Konzeption ist heftig kritisiert worden. (Vgl. Chisholm (dt. 1977); Davidson (dt. 1977a); Brand (1968); Stoutland (1968); Martin (dt. 1977); Baier (dt. 1977); Habermas (1981).) Die Kontroverse bezieht sich jedoch auf zwei Aufsätze von 1963 bzw. 1965. Danto selbst hat seither seine Auffassung mehrmals unter Berücksichtigung der einzelnen Kritikpunkte revidiert und in seinem 1973 erschienenen Buch ,Analytical Philosophy of Action' (dt. 1979) ausführlich dargestellt. Ich werde mich im folgenden auf dieses Buch beziehen und auf eine ausführliche Erörterung des ganzen handlungstheoretischen Streits verzichten. Danto geht davon aus, daß es vermittelte Handlungen gibt, Handlungen, bei denen jemand etwas tut, dadurch, daß er etwas anderes tut. Solche vermittelten Handlungen müssen, um nicht in einen unendlichen Regreß von dadurch-daß-Relationen zu geraten, letzte Handlungen enthalten, die selbst nicht vermittelt sind. „Es handelt
2. Wie werden Handlungen beschrieben?
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sich hierbei um Handlungen, die wir tun, aber nicht durch irgend etwas anderes, was wir auch tun [...]. Solche Handlungen werde ich [. ..] Basishandlungen nennen; vermittelte Handlungen [ . . . ] entsprechend Nicht-Basishandlungen (Danto (dt. 1979), 42.) Solche unvermittelten Handlungen sind jedoch nicht die einzigen Nicht-Basishandlungen. Danto unterscheidet noch zwei andere Typen (vgl. Danto (dt. 1979), 42/43)'°: (1) Der Fall der zusammengesetzten Handlung: z. B. bei einem Tanz, wo jemand nacheinander eine Reihe von Bewegungen ausführt, die in keiner anderen Beziehung zueinander stehen als in ihrer Aufeinanderfolge. Die Menge aller Bewegungen wird durch die Regeln des Tanzes als die zusammengesetzte Handlung >tanzen< konstituiert und nicht durch eine dadurch-daßRelation. (2) Wenn jemand einen anderen segnet, indem er seinen Arm hebt, dann ist die Segnung etwas, was er durch das Heben seines Armes tut und wäre demnach keine Basishandlung. Andererseits gibt es aber kein vom Heben des Armes verschiedenes Ereignis, in dem die Segnung besteht. Sie wird zum Beispiel nicht durch das Heben des Armes verursacht: „Hier haben wir es mit einer Basishandlung zu tun, die in Ubereinstimmung mit einer Regel vollzogen wird, die uns berechtigt, die Basishandlung auch als Segnung zu beschreiben, vorausgesetzt, die Stellung des Handelnden erlaubt ihm, die Rolle des Segnenden zu spielen. Solche Handlungen wollen wir Gesten nennen." {Danto (dt. 1979), 43.) Zu Basishandlungen gehört alles, was man direkt tut, z. B. den Arm heben, Laute artikulieren, ein Bein vors andere setzen, die Finger bewegen - also alle Arten von Körperbewegungen, die wir ausführen, um z. B. einen Stein aufzuheben, etwas zu sagen, zu laufen oder Klavier zu spielen. Seine Bestimmung von Basishandlung hält Danto für voll verträglich mit der Erfahrung aller „normalen" Handelnden, daß man, wenn man z. B. einen Arm hebt, nichts tut, wodurch der Arm sich hebt: daß einen Arm zu heben, keine vermittelte Handlung ist. (Vgl. Danto (dt. 1979), 90.)
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Diese Auffassung von der Direktheit solcher Körperbewegungen, die ich als „normale" Handelnde auch teilen würde, ist jedoch bei Philosophen, die zwar (hoffentlich) nicht anders handeln, aber doch anders über Handlungen (nach)denken als normale Menschen, hauptsächlich in zwei Hinsichten kritisiert worden: - zum einen: die Körperbewegungen, so wie sie äußerlich ablaufen, haben ein inneres Gegenstück: einen physiologischen Prozeß, der mit Gehirnströmungen beginnt, die dann in Muskelbewegungen umgesetzt werden. In welcher Beziehung stehen diese neurophysiologischen Prozesse zu den Dantoschcn Basishandlungen? - zum andern: wenn Körperbewegungen absichtlich - dies ist bei Danto unterstellt - ausgeführt werden, dann können sie nicht direkt sein, sondern müssen durch eine Absicht oder - wie es bereits David Hume genannt hat - durch Willensakte verursacht worden sein. Die erste Frage nach der Beziehung zwischen neurophysiologischen Prozessen und dem Ausführen von Körperbewegungen beantwortet Danto so (vgl. Danto (dt. 1979), 93 ff.): Wenn ich den Arm hebe oder wenn sich mein Arm hebt, beugt sich der betreffende Muskel, gibt es bestimmte Gehirnströmungen. Wenn man jetzt die Beziehung zwischen diesen beiden Ereignissen als eine von Ursache und Wirkung ansehen wollte, müßte man zwei zeitlich voneinander verschiedene Ereignisse haben; dies ist aber bei Körperbewegungen und neurophysiologischen Prozessen nicht der Fall, also können sie auch nicht in einer kausalen Beziehung zueinander stehen. Dantos Antwort auf die Frage lautet: eine Basishandlung, d. h. eine Körperbewegung, ist identisch mit den entsprechenden neurophysiologischen Prozessen. Auf Anhieb mag dies verwirrend erscheinen, denn Körperbewegungen sind z. B. mit den normalen menschlichen Sinnen wahrnehmbar, neurophysiologische Prozesse nicht; allein dieser Unterschied würde ja schon ausreichen, die Behauptung, sie seien identisch, zu einer falschen Behauptung zu machen. Danto stützt seine Auffassung von der Identität von Basishandlungen und neurophysiologischen Prozessen durch die folgende Argu-
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mentation: der Widerstand, diese Identifikation zu akzeptieren, hat seinen Grund darin, daß die Erfahrung, meinen Arm zu heben, etwas völlig anderes zu sein scheint, als die Erfahrung, daß etwas in meinem Nervensystem passiert. Nun ist aber eine Erfahrung, die ich mache, kein Argument gegen die postulierte Identität. Denn man muß klar unterscheiden zwischen dem Inhalt einer Erfahrung und der Erfahrung oder dem Denken selbst. Der Inhalt von Erfahrungen oder Gedanken sind keine Erfahrungen oder Gedanken; die Eigenschaften, die den Inhalt von Erfahrungen oder Gedanken ausmachen, sind nicht zugleich auch diejenigen Eigenschaften, die die Erfahrungen, die Gedanken selbst ausmachen, ebenso wenig wie das Wort grün grün sein muß. „Gedanken können vage, mehrdeutig, selbstwidersprüchlich sein, ohne daß die Annahme, Gedanken selbst hätten diese Eigenschaft, auch nur im geringsten vernünftig wäre. Einige der dunkelsten Sätze in unserer Literatur werden drucktechnisch auf eine Art dargeboten, die ein Triumph graphischer Klarheit ist. Wir können so zwischen Eigenschaften dessen, woran gedacht wird, und Eigenschaften der Art und Weise, wie das, woran man denkt, dem Denken gegeben ist, unterscheiden, ohne daß etwas davon auf den Gedanken selbst, als eine Entität, zutrifft." {Danto (dt. 1979), 103.)" Das heißt: die Verschiedenheit unserer Erfahrung von - oder unseres Denkens über - Körperbewegungen und neurophysiologische Prozesse läßt keinen Schluß auf ihre Nicht-Identität zu. Die Gleichzeitigkeit ihres Stattfindens spricht jedoch für die Identitätsthese. Zum zweiten Problem: sind Körperbewegungen durch Willensakte verursacht? Wenn man diese Frage mit ,ja' beantwortet, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, daß Körperbewegungen keine Basishandlungen sein können, denn diese sind ja eben gerade dadurch definiert, daß sie durch nichts weiter verursacht sind.12 Es liegt also auf der Hand, daß Danto die oben gestellte Frage verneinen muß; es existieren keine Willensakte, die von unseren Körperbewegungen getrennte - oder gar unabhängige - Ereignisse sind. Es gibt nicht einerseits den Menschen, der einen Willensakt ausführt, und andererseits seine Handlungen und damit das Problem, wie beide zu verbinden sind; zwischen dem Menschen und seinen Handlungen
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gibt es keine Kluft zu überbrücken. „Wir sind unsere Handlungen und eins mit den relevanten Einflußbereichen unserer Körper." (Danto (dt. 1979), 116) Zu den letzteren gehört auch unser Gehirn, in dem Ereignisse stattfinden, die mit unseren Körperbewegungen identisch sind. „Vielleicht sind wir die Zirbeldrüsen, von denen Descartes irrigerweise nur annahm, sie seien der Sitz der Seele." (Danto (dt. 1979), 117.) Wenn man sagt, Körperbewegungen seien nicht durch Willensakte verursacht, dann bedeutet dies nicht zugleich auch, daß man den Menschen eine Art Automatendasein ohne Innenleben zuspricht. Daß Menschen Absichten fassen, einen Willen, Wünsche haben u. dgl. wird in keiner Weise geleugnet, sondern nur, daß solche Absichten und Wünsche Ursachen von Handlungen sein sollen. Denn, würde man dies annehmen, müßte man daraus folgern, daß es keine Absicht ohne Handlung geben kann. Das absichtliche Verhalten - so hatten wir bereits in Ubereinstimmung mit den Auffassungen, die in der Äy/eschen Tradition stehen, gesagt - besteht im Tun selbst, und nicht im Fassen einer Absicht plus dem Tun. Wenn wir manchmal glauben, es gäbe noch etwas ,hinter' diesem Tun, so liegt das daran, daß wir häufig unsere Handlungen mit Bezug auf bestimmte Absichten begründen: (ii) ich habe die Tür zugemacht, weil ich wollte, daß der Hund draußenbleibt Das Begründen von Handlungen und das Ausführen von Handlungen müssen aber nicht jeweils dieselben Eigenschaften haben, ebenso wenig wie - um nochmals den Dantoschen Vergleich zu zitieren - das Wort grün grün sein muß. Wenn es auch nach der Ry/eschen Auffassung keinen Sinn macht, von Handlungen als den Wirkungen von Willensakten zu sprechen, so ist die Redeweise von Ursachen und Wirkungen doch nicht falsch. Nur bezieht sie sich nicht auf die Ursachen von Handlungen, sondern auf deren Wirkungen. Wenn man z. B. sagt (iii) dadurch, daß Paul zur Tür hereinkam, hat er seinen Vater erschreckt
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behauptet man, daß Pauls zur-Tür-Hereinkommen die Wirkung hatte, seinen Vater zu erschrecken. Das, was ein Handelnder tut, seine Körperbewegungen, bewirken etwas - ein oder auch mehrere Zustände oder Ereignisse - in der Welt. Die Basishandlung stellt das erste Glied einer Kausalkette von Ereignissen dar, mit der wir eine Handlung beschreiben können. (Vgl. Danto (dt. 1979) 119 ff.; Davidson (dt. 1977a), 294 ff.) In solchen Beschreibungen sind Wirkungen eingeschlossen, die vom Handelnden beabsichtigt sind und solche, die sich, unbeabsichtigt, einfach so eingestellt haben. Der Zusammenhang zwischen den Gliedern einer solchen Kausalkette besteht im Fall, daß sie beabsichtigte Wirkungen umfaßt, natürlich nicht unabhängig vom Handelnden, obwohl sich die Redeweise von Ursachen und Wirkungen auf Ereignisse bezieht. Der Handelnde weiß, welche Körperbewegungen welche Wirkungen haben können. Sein Ausführen von bestimmten Körperbewegungen ist zugleich das Befolgen bestimmter Regeln. Und Regeln befolgen heißt wissen, wie man etwas macht, und dies heißt auch zu wissen, welche Wirkungen man durch welche Körperbewegungen herbeiführen kann. Es ist deshalb sinnvoll, Basishandlungen im Zusammenhang des regelgeleiteten Vollzugs von Handlungen zu sehen.15 Zum Schluß dieses Abschnitts noch eine Bemerkung zu denjenigen Ausdrücken unserer Sprache, die Basishandlung benennen (können): In unserer Alltagssprache kommen sie so gut wie nie vor. Wir sagen nicht, daß wir eine Tür dadurch öffnen, daß wir bestimmte Handbewegungen an einem Türgriff ausführen, wir sagen ganz einfach, daß wir die Tür öffnen. »Wir heben einen Stein auf« sagen wir und nicht, daß wir erst unseren Arm nach unten bewegen, die Finger fest um den Stein legen und dann den Arm wieder nach oben heben, o. dgl. Solche Operationen lernen wir nicht durch sprachliche Instruktionen, wir bekommen sie gezeigt, und wenn wir sie ausführen können, sind sie uns so selbstverständlich, daß wir nicht darüber reden. Deshalb haben uns wahrscheinlich auch Schulaufsätze so viel Mühe gemacht, in denen wir beschreiben sollten, wie man einen Schuh zubindet oder wie man eine Kartoffel schält! Und in die gleichen Schwierigkeiten gerät man als Erwachsener, wenn man eine explizite Beschreibung von Basishandlungen geben soll!
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Deshalb scheint es, um unnötige Künstlichkeiten der Beschreibung zu vermeiden, sinnvoll, den ersten Ausdruck der Kausalkette - oder die kürzeste Ziehharmonika - mit einem Dummy-Ausdruck wie z. B. »genau die Körperbewegungen, die nötig sind, um einen Schuh zuzubinden / eine Kartoffel zu schälen«' 4 zu repräsentieren. Fassen wir zusammen: (1) Vermittelte Handlungen sind auf eine letzte Handlung zurückzuführen, die selbst nicht vermittelt ist; (2) solche Handlungen sind Basishandlungen, die wir tun, aber nicht durch irgend etwas anderes, das wir auch tun; (3) Basishandlungen sind Körperbewegungen; diese sind identisch mit neurophysiologischen Prozessen und durch nichts, auch nicht durch Willensakte, verursacht; (4) Basishandlungen sind ihrerseits die Ursachen von beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen; (j) der Zusammenhang zwischen Basishandlungen und beabsichtigten Wirkungen wird durch Regeln hergestellt; (6) sprachliche Ausdrücke, die sich allein auf den Handlungsaspekt der Körperbewegungen beziehen, gibt es in unserer Umgangssprache so gut wie nicht.
3- Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext J.I
Sind Handlungsbeschreibungen
askriptiv?
Sätze, mit denen Handlungen beschrieben werden, unterscheiden sich von Sätzen, mit denen Eigenschaften als Relationen von Personen oder Dingen beschrieben werden. (Vgl. Kenny (dt. 1977); Davidson (dt. 1977b).) Aus dem Satz (i)
Cäsar wurde von Brutus getötet
folgt der Satz (ii) Cäsar wurde getötet Aber aus dem Satz (iv) Cäsar war größer als Brutus folgt nicht (v) Cäsar war größer sondern (vi) Brutus war kleiner als Cäsar (Kenny (dt. 1977), 268/9.) Aus Sätzen, die Relationen ausdrücken, folgen immer nur Sätze, die ihrerseits Relationen ausdrücken. Dies ist bei Sätzen, die Handlungen beschreiben, nicht der Fall. Dieser Unterschied ist vor allem deswegen betont worden, da es in der Logik meistens üblich ist, alle Prädikate gleicherweise als Relationen zu repräsentieren, z. B. das Prädikat in X ist größer als Y als SEIN GRÖSSER ALS (X,Y) und in X tötete Y als: T Ö T E N (X,Y). (Vgl. Kenny (dt. 1977), 270 f.) Handlungsbeschreibungen sind also eine eigene Klasse von Sätzen, die semantisch von Zustands- oder Eigenschaftsbeschreibungen zu unterscheiden sind. Welches ist ihr charakteristischstes Merkmal? Eine Antwort auf diese Frage stammt bezeichnenderweise von ei-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
nem Rechtsphilosophen, H. L. A. Hart.1'' In seinem Aufsatz ,The Ascription of Responsibility and Rights' vertritt er die Auffassung, daß Sätze der Form »er tat es« gar nicht, wie traditionellerweise behauptet wird, deskriptiv seien. Mit solchen Sätzen wird nichts ¿»eschrieben, sondern durch solche Sätze wird einem Handelnden Verantwortung für seine Handlungen zugeschrieben. Handlungsbeschreibungen sind im Gegensatz zu Zustands- oder Ereignisbeschreibungen nicht deskriptiv, sondern askriptiv, das heißt auch, sie sind nicht nach dem Kriterium wahr/falsch entscheidbar. (Vgl. Hart (1951), 145 f.) Gegen diese Auffassung ist - m. E. zurecht - eingewendet worden, daß nicht alle Fälle von Handlungsbeschreibungen im Hartschen Sinn askriptiv sind. (Vgl. z . B . Feinberg (dt. 1977); Geach (dt. 1977); Picher (dt. 1977) Vergleichen wir die folgenden Äußerungen (vii) bis (x) (vii) (viii) (ix) (x)
Hans spielte Klavier der Nationalspieler Müller verstolperte den Ball der Minister hat den Kanzler verraten der Franzose Bernard hat die Tour de France gewonnen
Im Fall von (vii) wäre es sicher merkwürdig zu behaupten, dem Hans würde ,Verantwortung' für sein Klavier-Spielen zugeschrieben; (vii) ist ein rein deskriptiver Satz, eine Feststellung. Anders sieht es im Fall von (viii) aus: das Verb verstolpern impliziert, daß der Handelnde einen Fehler gemacht hat; mit (viii) wird dem Handelnden ,Verantwortung' dafür zugeschrieben, daß er etwas nicht richtig gemacht hat - den Fehler, der ihm unterlaufen ist, hätte er vermeiden können; insofern ist er .verantwortlich'. Mit (ix) wird dem Handelnden durch das Prädikat verraten eine böse Absicht unterstellt. Man könnte dies als Vorwurf interpretieren, mit dem ausgedrückt wird, daß der Handelnde für etwas böses, verwerfliches Tadel oder zumindest Kritik verdient hat. Wenn man jemanden tadelt oder kritisiert, dann unterstellt man ihm auch natürlich ,Verantwortung' für das, was er getan hat. Im Gegensatz zu (ix) wird in (x) gesagt, daß der Handelnde etwas positives getan bzw. erreicht hat. Doch wäre es in diesem Fall sicher
3. Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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auch merkwürdig zu behaupten, man schreibe ihm dafür eine V e r antwortung' zu. Es scheint - wie unsere Beispiele gezeigt haben - so zu sein, daß man einem Handelnden nur dann Verantwortung zuschreibt, wenn man seine Handlung für anfechtbar hält. (Vgl. Pitcher (dt. 1977), 230 f.; Feinberg (dt. 1977), 199-) Dies kann sich auf zwei Fälle beziehen: - einmal: die Handlung ist fehlerhaft ausgeführt worden, - zum andern: die Handlung ist mit einer als ,böse', ,verwerflich' bewerteten Absicht ausgeführt worden. Das Merkmal ,askriptiv' im //arischen Sinn könnte sich demzufolge nur auf Sätze beziehen, mit denen defiziente - fehlerhafte und moralisch fragwürdige - Handlungen beschrieben werden. Läßt sich das Merkmal auch auf die Beschreibung von ,normalen', d. h. erfolgreichen, Handlungen anwenden? Eine Antwort auf diese Frage versucht Feinberg zu geben, indem er fünf Fälle von »Zuschreibung von Verantwortung« unterscheidet: (1) „Direkte Zuschreibung eines kausalen Einflusses" (Feinberg (dt. 1977), 199.) In der gleichen Weise, wie man sagt (xi) Die niedrigen Luftdruckverhältnisse über Schottland sind für die Stürme über Neuengland verantwortlich kann man auch sagen, daß eine Handlung für einen darauffolgenden Zustand oder ein Ereignis verantwortlich ist: z. B. Peters die-Türklinke-Drücken ist für das sich-Offnen-der-Tür verantwortlich. Die Zuschreibung von Verantwortung besteht hier darin, eine kausale Beziehung zwischen zwei Ereignissen oder Zuständen zu behaupten. (2) „Zuschreibung von kausal relevanten Handlungen" (Feinberg (dt. 1977), 202.) Diese bezieht sich nicht auf das Ergebnis einer Handlung, wie einfache kausale Beschreibungen, sondern auf eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte Folge, z. B. (xii) Peter hat Paul erschreckt (3) „Zuschreibung einer einfachen Handlung" (Feinberg (dt. 1977) 20 6.)
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Die Zuschreibung einer Basishandlung, wie z. B. die notwendigen Bewegungen ausführen, um eine Tür zu öffnen. In ähnlich trivialer Weise, wie man sagt, daß Tiefdruck für Regen verantwortlich ist, kann man auch sagen, der der Handelnde für seine Körperbewegungen verantwortlich ist. (4) „Anrechnung von Fehlern" (Feinberg (dt. 1977), 207.) Mit solchen Zuschreibungen wird einem Handelnden eine fehlerhafte einfache oder kausal relevante Handlung zugeschrieben. (5) „Zuschreibung von Verantwortung im speziellen Sinn" (Feinberg (dt. 1977), 207.) Dazu gehören alle Äußerungen, in denen auf eine böse Absicht, Fahrlässigkeit, Rücksichtslosigkeit o. ä. Bezug genommen wird. Die semantische Klitterung des Ausdruck verantwortlich läßt drei Bedeutungstypen erkennen:
sein für
(1) »X ist verantwortlich für Y « heißt soviel wie: »X ist die Ursache von Y«. Damit wird ein Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen oder Zuständen behauptet oder festgestellt, ohne daß damit irgendeine moralische oder sonstige Wertung verbunden ist. (2) »X ist verantwortlich für Y « heißt soviel wie: »X hat es getan«. Dies kann eine Antwort auf die Frage: »Wer hat es getan?« sein. Mit einer solchen Frage kann man einfach nur eine Information über eine Person haben (also eine deskriptive Antwort haben wollen) oder auch wissen wollen, wer für ein bestimmtes Ereignis oder einen Zustand verantwortlich' im Sinn von ,haftbar zu machen' ist. (3) »X ist verantwortlich für Y« kann nur heißen: »X ist für die Folgen dessen, was er tat, verantwortlich«, entweder weil er eh böse Absichten hatte oder weil er hätte wissen müssen, welche Folgen seine Handlung haben konnte. Wie die Ambiguität von »X tat Y « zeigt, ist es eine Sache des kommunikativen Kontextes, ob eine Äußerung deskriptiv oder askriptiv ist und nicht etwa - wie Hart angenommen hat - eine Sache der Form des Satzes. Eine isolierte Handlungsbeschreibung wie
3- Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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(xii) Peter hat die Tür aufgemacht gibt keinerlei Hinweis auf ihren Status. Damit stehen wir vor der grundsätzlichen Frage: in welchen Situationen und zu welchen Zwecken sprechen wir überhaupt von Handlungen? Dies wird uns im folgenden Kapitel beschäftigen. Fassen wir zusammen: (1) Handlungsbeschreibungen können deskriptiv oder askriptiv sein, je nach kommunikativem Kontext; (2) askriptive Handlungsbeschreibungen schreiben dem Handelnden Verantwortung zu; (3) Verantwortung kann man einem Handelnden dadurch zuschreiben, daß man ihm einen Fehler vorwirft, den er hätte vermeiden können; (4) Verantwortung kann man einem Handelnden auch dadurch zuschreiben, daß man ihm eine böse Absicht, Fahrlässigkeit oder Rücksichtslosigkeit vorwirft oder daß man ihn für (vorhersehbare) Folgen seiner Handlung haftbar macht. j.2
Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen als Ausgangsbasis für eine allgemeine Bestimmung menschlichen Handelns
Bisher waren wir immer nur von der einen Kommunikationssituation des Redens über Handlungen ausgegangen, die darin besteht, daß jemand die Frage »was tut A / hat A getan?« beantwortet. Den Zweck einer solchen Antwort hatten wir auf die Information beschränkt. Solche Informationen können Bestandteile sein von - Berichten (Zeugenaussagen, Kriegsberichterstattung, Nachrichten, Referaten, Protokolle, Lebensläufe usw.) - Erzählungen - Reportagen (vgl. Rehbein (1977), 78 f.). Darüber hinaus können wir noch zwei wichtige Arten des Redens über Handlungen unterscheiden: - einmal in Situationen, wo eine bereits identifizierte bzw. beschriebene Handlung zum Gegenstand von (weiterer) Kommu-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
nikation wird. Dies ist dann der Fall, wenn ein Kommunikationsteilnehmer etwas an der betreffenden Handlung auszusetzen hat, wenn er sie in irgendeiner Hinsicht anficht. Der Handelnde, der durch eine solche Anfechtung beschuldigt wird, kann darauf reagieren, indem er entweder die Beschuldigung hinnimmt oder indem er sie durch Entschuldigungen oder Rechtfertigungen zurückweist; - zum andern in Situationen, wo jemand die Frage: »was soll ich tun?« oder »wie soll ich h tun?« beantwortet, indem er Ratschläge erteilt, Rezepte oder Gebrauchsanweisungen gibt. (Vgl. Rehbein (1977), 79.) Für die analytische Handlungstheorie ist vor allem die Situation der Beschuldigung von Interesse. Darauf hat als erster Austin in seinem Aufsatz ,A Plea for Excuses' (dt.: ,Ein Plädoyer für Entschuldigungen' (dt. 1977).) hingewiesen. Entschuldigungen werden vorgebracht, wenn von jemandem gesagt wird, er hätte etwas getan, was schlecht, verkehrt, unpassend oder unwillkommen ist. Der Beschuldigte wird dann versuchen, sein Verhalten zu verteidigen. Dies kann auf zweierlei Weisen geschehen: - der Beschuldigte akzeptiert zwar Verantwortung für das, was er getan hat, bestreitet aber, daß die Handlung schlecht war; umgangssprachlich würden wir sagen: er >rechtfertigt< sich; - der Beschuldigte gibt zu, daß er etwas schlechtes getan hat, akzeptiert jedoch nicht die volle (bzw. überhaupt keine) Verantwortung; umgangssprachlich würden wir sagen: er >entschuldigt< sich. (Austin (dt. 1977), 9.) Austins Hinweis auf Entschuldigung als besonders geeignetem Gegenstand handlungstheoretischer Überlegungen hat drei wichtige Implikationen, die sowohl die Methode der Untersuchung als auch die spezielle Eigenart unserer Rede über Handlungen betreffen: (1) „Entschuldigungen zu untersuchen, heißt solche Fälle zu untersuchen, in denen irgendeine Anomalität oder irgendein Versagen vorgekommen ist; und wie so oft, wirft das Anomale auch hier Licht auf das Normale; es hilft uns, den täuschenden Schleier des Leichten und Offenkundigen zu lüften, der den Mechanismus der natürlichen und erfolgreichen Handlung verbirgt." (Austin (dt.
3. Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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1977), 13/4.) Mit der Formulierung »wie so oft« sagt Austin, daß Situationen des Scheiterns oder Mißglückens über den speziellen Fall von Entschuldigungen hinaus Aufschluß geben können über den normalen, reibungslosen Ablauf unserer Praxis. Der Grundsatz: versuche das Wesen von Handlung(en) nicht dadurch herauszufinden, daß du alles um dich herum wahllos beobachtest und auflistest, sondern richte deine Aufmerksamkeit zuerst aufs anomale, problematische! ist ein methodisches Programm für die wissenschaftliche Untersuchung sozialer Praxis überhaupt. So besteht ein Gutteil linguistischer Arbeit darin, abweichende Sätze zu untersuchen, um Regeln für korrekte Sätze zu finden, und Chomskys nicht-akzeptabler, abweichender Satz farblose grüne Ideen schlafen wütend hat mehr Diskussionsstaub aufgewirbelt als all seine anderen ,normalen' Satzbeispiele! (2) Entschuldigungen eines Handelnden geben Aufschluß über die verschiedenen „Teile oder Stufen der Maschinerie des Handelns": „Zudem wird deutlich, daß nicht jeder Lapsus in Verbindung mit allem, was eine »Handlung« genannt werden könnte, vorkommt, und daß nicht jede Entschuldigung zu jedem Verb paßt - weit entfernt davon. Das versieht uns mit einer Möglichkeit, das ganze Durcheinander von Handlungen irgendwie zu klassifizieren. Wenn wir sie nach der besonderen Auswahl von Fehlschlägen klassifizieren, denen die einzelnen Handlungen ausgesetzt sind, dann dürfte das ihnen ihren Platz in irgendeiner Familien-Gruppe bzw. Gruppe von Handlungen, oder in einem Modell von der Maschinerie des Handelns zuweisen." (Austin (dt. 1977), 14.) Die Untersuchung von Entschuldigungen soll also einmal dazu führen, ein allgemeines Modell des Handelns, oder wie Austin es nennt, die „Maschinerie" zu explizieren, zum andern, einzelne Handlungen zu klassifizieren. (j) Das Interesse, das Entschuldigungen für die Methodik der Untersuchung von Handlung(en) hat, läßt sich auf unser nichtwissenschaftliches Interesse für Handlungen übertragen: was wir oder andere Leute tun, wird für uns erst dann interessant, wenn etwas daran problematisch, d. h. nicht mehr selbstverständlich ist. Uber ,normal' vollzogene Handlungen reden wir nicht weiter - außer daß wir von ihnen in unproblematischer Weise ,berichten' oder ,erzäh-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
len' - , wir tun sie einfach, ohne daß wir besonders darüber nachdenken; unser alltägliches Handeln ist weitgehend automatisiert. Wir handeln nicht und denken gleichzeitig über unser Handeln nach. Ob ein Tun eine Handlung ist und welche spezielle Handlung es ist, ist im Fall problemlos verlaufender Aktivitäten (dies steht hier als uninterpretierter Dummy-Ausdruck) völlig gleichgültig: man tut eben etwas, ist zufrieden mit dem, was man erreicht, - eine Definition oder auch nur Benennung des Tuns ,als Handlung' ist völlig unwichtig für unsere unauffällige Praxis des Handelns. Wichtig wird diese Frage für uns erst dann, wenn Probleme auftauchen, sei es, bevor man etwas tun will und sich fragt, was genau man tun soll oder muß, sei es, nachdem man etwas getan hat und einen ein anderer fragt, was oder warum man (ausgerechnet) dies oder jenes getan habe. Der sprachliche Ausdruck Handlung ist wesentlich an Kontexte gebunden, mit denen problematisches oder kontroverses Handeln zum Thema kommunikativer Auseinandersetzungen gemacht wird. In besonders ausgeprägter Form finden diese natürlich in Gerichts»verhandlungen« statt. Aber auch unsere alltäglichen Kontroversen können Aufschlüsse darüber geben, unter welchen Bedingungen wir von einem Tun als Handlung sprechen. Um Mißverständnisse zu vermeiden: im Gegensatz zur Jurisdiktion können auch Handlungen, die positiv, als besonders gelungen oder erfolgreich, beurteilt werden, zum Gegenstand kommunikativer Auseinandersetzungen werden. Mit den negativ bewerteten Handlungen verbindet sie ihre Beurteilung als außerhalb der üblichen Erwartungsnorm liegend. Die »Verhandlungen« unserer Praxis in der Kommunikation sind also nicht nur von methodischer Bedeutung für die wissenschaftliche Untersuchung von Handlung. Sie sind auch von praktischer Bedeutung für unser Handeln selbst: in der Kommunikation tauschen wir unsere Bewertungen von Handlungen aus, machen Handlungspläne und koordinieren unsere Handlungen mit denen anderer. In kommunikativen Auseinandersetzungen kommt all das praktische Wissen zum Ausdruck, worüber wir in unserer Sprachund Handlungsgesellschaft verfügen. Die soziale Geltung praktischer Tätigkeiten als Handlungen wird hier ausgehandelt.
3. Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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Entsprechend können wir sagen, daß die Austinschcn Stufen oder Stadien der ganzen komplizierten Maschinerie des Handelns kommunikativ vermitteltes Wissen darüber sind, was eine Handlung sein oder besser: was als eine Handlung gelten soll. (Vgl. Wunderlich (1976), 30; Harras (1978), 10.) Die Systematik oder Klassifikation des Handelns bezieht sich auf Muster oder Konzepte unseres Wissens über Handlungen und nicht auf diese selbst. Fassen wir zusammen: (1) Handlungen, bei denen etwas schiefgelaufen ist wie z. B. bei Entschuldigungen, sind ein besonders geeigneter Gegenstand handlungstheoretischer Überlegungen; (2) die Untersuchung von Entschuldigungen kann dazu führen: (a) ein allgemeines Modell von Handlung zu entwickeln; (b) eine Klassifikation einzelner Handlungen aufzustellen; (3) über Handlungen sprechen wir im wesentlichen dann, wenn uns etwas zum Problem geworden ist; (4) in kommunikativen Auseinandersetzungen, in denen Handlungen problematisiert werden, kommt das praktische Wissen zum Ausdruck, worüber wir in unserer Sprach- und Handlungsgesellschaft verfügen; dazu gehört auch unser Wissen darüber, was uns als eine Handlung gilt; (5) Handlungsmodelle, die die Austin sehe Maschinerie des Handelns explizieren, beziehen sich auf unser Wissen über Handlungen und nicht auf die Handlungen selbst. Wir werden uns im folgenden mit der Entwicklung eines allgemeinen Modells des Handelns beschäftigen. 3.2.1
Austins Ansatz
Um die Stufen oder Stadien der Maschinerie des Handelns zu ermitteln, beginnt Austin damit, Ausdrücke zu untersuchen, die Handlungsverben modifizieren wie z. B. zufällig - irrtümlich beabsichtigt - unbeabsichtigt bewußt - zweckhaft Die Möglichkeit der Hinzufügung eines modifizierenden Aus-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
drucks zu einem Handlungsverb entscheidet darüber, ob eine Äußerung als Entschuldigung gelten kann oder nicht. Für die Frage nach der Anwendungsmöglichkeit von zufällig oder irrtümlich konstruiert Amtin zunächst das folgende Beispiel (Austin (dt. 1977), 19/20; vgl. auch. Austin (1979); und Wörner (1978), 166 f.): „Du hast einen Esel, ich auch; und sie grasen auf derselben Weide. Eines Tages geht mir der meinige auf die Nerven. Ich geh raus, um ihn zu erschießen, nehme ihn aufs Korn und drücke ab. Das Vieh fällt auf der Stelle um. Ich besehe mir mein Opfer und sehe zu meinem Entsetzen, daß es dein Esel ist. Ich erscheine mit den armseligen Resten an deiner Tür und sage - was? Sage ich »Mein Lieber, es tut mir schrecklich leid etc., ich habe eben per Zufall deinen Esel erschossen« oder »irrtümlicherweise« ? Nehmen wir dagegen an, ich geh, wie vorhin, raus, um meinen Esel zu erschießen, nehme ihn aufs Korn und drücke ab - aber in eben diesem Augenblick bewegen sich die Tiere, und zu meinem Entsetzen fällt der deinige um. Wiederum die Szene an deiner Tür - was sage ich jetzt? »Irrtümlicherweise« oder »per Zufall« ?" Der Unterschied, worauf die beiden Fälle hinauslaufen und der zugleich Aufschluß über die Maschinerie des Handelns gibt, ist der folgende: im ersten Fall hat sich der Handelnde geirrt, er hat die Situation falsch eingeschätzt; im zweiten Fall mißlingt etwas bei der Ausführung der Handlung. Situationseinschätzung und Ausführung einer Handlung sind also zwei verschiedene Stadien. Für die Ausdrücke absichtlich, bewußt, mit Vorsatz konstruiert Austin die folgende Geschichte (Austin (1979), 285 f.; vgl. auch Wörner (1978), 166 f.): Das Warnschild sagt: füttere nicht die Pinguine! Ich füttere sie mit Erdnüssen. Jetzt sind jedoch gerade Erdnüsse fatal für diese Vögel. Habe ich sie »absichtlich« mit Erdnüssen gefüttert? Normalerweise werfe ich nicht einfach so mit Erdnüssen um mich. Also: »mit Bedacht« (»deliberately«). Hier scheint nun das Problem zu liegen. Hatte ich das Warn-
3. Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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schild gelesen? Tat ich es dann »mit Vorsatz« (»on purpose«)? Das scheint anzudeuten, daß ich die fatalen Folgen kannte. Füttere ich die Pinguine mit Erdnüssen, dann muß man auch sagen, daß ich sie absichtlich füttere - wenn ich nicht normalerweise einfach so mit Erdnüssen um mich werfe! Vielleicht hatte ich aber nicht genügend Information: ich wußte nicht, daß Erdnüsse auf Pinguine tödlich wirken. „Es könnte aber auch sein, daß ich die Situation falsch einschätze, sofern ich zwar weiß, daß sie normalerweise tödlich wirken, aber glaube, daß diese, ans Füttern sonderbarster Nahrung gewöhnte Tiere, auch Erdnüsse werden vertragen können." (Wörner (1978), 167.) Neben der Situationseinschätzung ist die tatsächlich zugängliche Information über die Situation (z. B. das Warnschild lesen) für eine Handlung wichtig. Zur Absicht kommt der Zweck - tue ich es mit Vorsatz? den ich mit einem Tun verbinde. Wenn ich etwas zweckhaft tue, dann muß ich mir auch über die Konsequenzen dessen, was ich tue (Fatalität der Erdnüsse) bewußt sein. (Vgl. Austin (1979), 286.) Bewußtes Handeln setzt aber Überlegung voraus, bei der ich das Pro und Contra meiner Handlung erwogen habe. Pros und Contras zu erwägen heißt auch, Entscheidungen herbeizuführen auf der Basis bestimmter Prinzipien oder Wertungen z. B. dessen, was ich für mich, für andere, für den allgemeinen Verlauf der Dinge für das beste halte.
3.2.2 Stadien der komplizierten Maschinerie des Handelns Aufgrund solcher und ähnlicher Überlegungen darüber, worauf sich die in Entschuldigungen verwendeten modifizierenden Ausdrücke beziehen können, bestimmt Austin die ganze komplizierte Maschinerie des Handelns vorläufig durch 6 Stadien oder Stufen:" (1) I N F O R M A T I O N Ü B E R DIE S I T U A T I O N (receipt of intelligence) (2) E I N S C H Ä T Z U N G D E R S I T U A T I O N (appreciation of the Situation)
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
(3) B E R U F U N G A U F P R I N Z I P I E N (invocation of principles) (4) P L A N U N G (planning) (5) E N T S C H E I D U N G (decision) (6) D U R C H F Ü H R U N G U N D I H R E K O N T R O L L E (execution; control of execution) Obwohl Austin seine Überlegungen zur Maschinerie des Handelns nirgends explizit als eine systematische Theorie ausgewiesen hat, sind seine sechs Bestimmungen - wie wir noch sehen werden grundlegend für jedes Handlungsmodell. Dies gilt übrigens auch für nicht-analytische Modelle. J.2.J
Kommunikative Aspekte eines allgemeinen Modells menschlichen Handelns
Austin hatte seine Untersuchung auf Entschuldigungssätze und die modifizierenden Ausdrücke, die in ihnen vorkommen können, beschränkt. Eine andere, mit Austins Vorstellungen verträgliche Methode könnte darin bestehen, die verschiedenen möglichen Äußerungen im Kommunikationsprozeß des Sich-Entschuldigens bzw. des Problematisierens von Handlungen überhaupt zu untersuchen. Dazu möchte ich im folgenden ein Beispiel geben. Ich gehe von der Situation aus, daß meine Handlung, ein Buch über Handlungstheorie zu schreiben, jemandem anderen fragwürdig vorkommt, was er dadurch zeigt, daß er mich mit der Frage attackiert: (i)
warum schreibst du eigentlich ein Buch über Handlungstheorie?
Ich könnte nun darauf mit einer der folgenden möglichen Äußerungen antworten: (ii)
weil ich die Leute über das Wesen menschlicher Handlungen aufklären will (iii) weil es bis jetzt noch kein zusammenfassendes Buch über Handlungstheorie gibt (iv) weil ich es für besser halte, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben als einen Vortrag zu halten
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(v) weil ich Handlungstheorie interessant finde (vi) weil ich einen Verlagsvertrag habe, den ich erfüllen muß (vii) weil es mir einfach Spaß macht Bleiben wir bei dieser Auswahl möglicher Antworten und betrachten sie unter der Voraussetzung, daß sie alle jeweils als eine Begründung für die infragestehende Handlung gelten können. Worauf beziehen sie sich? (ii) gibt Auskunft über das Ziel des Handelnden (iii) gibt Auskunft über eine Situationseinschätzung des Handelnden (iv) gibt Auskunft über die Art und Weise der Ausführung der Handlung und über ihre Bewertung durch den Handelnden, der die Handlungsausführung ,ein Buch schreiben' als ein geeigneteres Mittel ansieht, sein Ziel zu erreichen, als eine andere alternativ mögliche Handlung (v) gibt Auskunft über eine Bewertung, eine Präferenz oder wenn man will — über ein Motiv für seine Handlung (vi) gibt Auskunft über einen Sachverhalt, der nach Meinung des Handelnden besteht, und über eine für ihn verbindliche Handlungsnorm (vii) gibt wie (v) Auskunft über eine Präferenz oder ein Motiv des Handelnden. Gemäß der^4«j£i«schen und unserer eigenen Vorstellungen können wir davon ausgehen, daß die Gründe, die in den Äußerungen (ii) bis (vii) thematisiert sind, als Stadien oder Stufen der Handlungsmaschinerie angesehen werden können: (1)Ziel des Handelnden (2) Situationseinschätzungen des Handelnden (3) Art und Weise der Handlungsausführung als Mittel zur Erreichung des Ziels (4) Präferenzen oder Motive des Handelnden (5) Handlungsnorm Unser Ergebnis, das der Austinschcn Bestimmung sehr ähnlich ist, kann nun angesichts unserer Untersuchung von ad-hoc-Antworten fragwürdig erscheinen, vor allem in zwei Weisen:
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
- sind die Punkte (i) bis (6) vollständig; sind dies alle Bedingungen dafür, daß man von einer Handlung sprechen oder daß etwas als Handlung gelten kann? - sind sie voneinander unabhängig oder gibt es zwischen ihnen eine - u. U. hierarchische - Ordnung? Erinnern wir uns nochmal an unsere Ausgangsüberlegung zum Objekt von Handlungsbeschreibungen: wir haben gesagt, daß wir dann etwas als eine Handlung beschreiben, wenn wir es als absichtliches oder intentionales Verhalten eines Handelnden interpretieren. Die Ausführung von Handlungen bewirkt Veränderungen in der Welt - eine Handlung hat Ergebnis und Folge(n). Man könnte auch sagen: eine Handlung ausführen heißt einen bestehenden Zustand Z in einen noch nicht bestehenden Zustand Z ' zu überführen. (Vgl. von Wright( 1974), 89 f.; Rehbein (1977), 12 f.; Harras (1978), 18 f.) Wenn man eine solche Veränderung herbeiführen will, muß man der Auffassung sein, daß der Zustand, den man durch seine Handlung herbeiführen will, nicht schon besteht bzw. daß er sich nicht im normalen Verlauf der Welt von selbst einstellt, ohne daß man etwas dazu tut. Das heißt: man muß eine bestimmte Einschätzung der Situation haben, Auffassungen darüber, was in der Welt (nicht) der Fall ist und was möglicherweise (nicht) der Fall sein könnte. Nun will man normalerweise einen nichtbestehenden Zustand Z' nicht allein schon deswegen herbeiführen, weil er nicht der Fall ist, sondern weil man ihn aus irgendeinem Grund besser findet als den bestehenden Zustand. Neben den Auffassungen über die Welt und ihre Beschaffenheit, den Situationseinschätzungen, sind also Bewertungen oder Präferenzen des Handelnden eine notwendige Voraussetzung für das Ausführen einer Handlung. Bewertungen oder Präferenzen eines Handelnden sind sowohl individuell (z. B. Wünsche) als auch sozial vermittelt (konventionale Handlungsnormen, Gesetze). Situationseinschätzungen und Präferenzen sind zunächst Bedingungen dafür, daß sich der Handelnde ein bestimmtes Ziel setzt. In anderen Redeweisen werden Situationseinschätzungen und Bewertungen auch >Motiv< genannt. Um ein bestimmtes Ziel zu realisieren, muß der Handelnde wissen, was er dazu tun kann; er muß einen Weg oder ein Mittel kennen, das/der ihn zu seinem Ziel führt.
3. Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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Da es bei den meisten Handlungen mehrere alternative Wege oder Mittel gibt, muß er sich für einen Weg oder ein Mittel entscheiden. Eine solche Entscheidung trifft er auf der Basis von Situationseinschätzungen und Präferenzen: normalerweise wählt man einen Weg, von dem man annimmt, daß man am effektivsten sein Ziel erreicht, ohne dadurch irgendeinen Schaden - zumindest für sich selbst! - anzurichten. Den gewählten Weg oder das gewählte Mittel muß der Handelnde dann auch tatsächlich gehen bzw. anwenden - andernfalls würden wir nicht von einer ausgeführten Handlung, sondern bestenfalls von der ausgeführten Planung einer Handlung sprechen. Kurz gesagt: der Handelnde muß etwas tun, und dies setzt voraus, daß er es auch tun kann bzw. daß er zumindest dieser Auffassung ist; zugleich unterliegt sein Tun bestimmten Präferenzen, z. B. bezüglich erwünschter oder unerwünschter (Neben)Wirkungen seiner Handlung. Wir können nun unsere Handlungsbedingungen schematisch in der folgenden graphischen Anordnung darstellen:
SITUATIONSEINSCHÄTZUNGEN
PRÄFERENZEN
ZIEL
WEG/ MITTEL
AUSFÜHRUNG
T
Sowohl aus unseren Überlegungen wie aus der graphischen Darstellung wird deutlich, daß Situationseinschätzungen und Präferenzen eines Handelnden in allen Stadien der Handlungsmaschinerie
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
eine Rolle spielen, während Ziel, Mittel/Weg und Ausführung in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Nennung einander bedingen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte hier noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß weder die angestellten Überlegungen noch deren Repräsentation durch das graphische Schema ein Abbild darstellen von bewußten Denk- oder Bewertungsprozessen eines Handelnden vor oder während seiner Handlungsausführung. Wir hatten bereits gesagt, daß die meisten unserer Handlungen automatisiert ablaufen. Die hier aufgestellten Bedingungen sind Bedingungen für Handlungsbeurteilungen im Austinschen Sinn; sie sind Teil unseres praktischen Wissens, über das wir in unserer Sprach- und Handlungsgesellschaft verfügen. Das praktische Wissen bestimmt unser Handeln und unser Reden darüber: es ist Teil unserer sozialen Regeln. Das vorgeschlagene Handlungsschema wirft allerdings ein besonderes Problem auf: es kommt in der juristischen und in unserer Alltagspraxis häufig vor, daß wir für etwas zur Verantwortung gezogen werden, was wir nicht getan, was wir unterlassen haben. In solchen Fällen sprechen wir auch von Unterlassungs»handlungen«. Für sie gilt aber die Bedingung der Ausführung einer Handlung gerade nicht. Unter welchen Voraussetzungen sind Unterlassungen dennoch zu den Handlungen zu zählen? Wenn wir uns klarmachen, daß sie nur dann anfechtbar sein können, wenn ihre entsprechende Ausführung in irgendeiner Weise erwartet worden ist, können wir sagen: eine Unterlassung ist dann eine Handlung, wenn ihre Ausführung aufgrund einer Vorkommunikation (z. B. Versprechungen oder Zusagen) oder aufgrund einer bestehenden Norm oder Konvention (z. B. Hilfeleistung bei Unfall oder Grüßen von bekannten Personen) erwartbar gewesen wäre. (Vgl. auch Heringer (1974), 174; Wunderlich (1976), 39.)
J.J Zusammenschau einiger
Handlungsbestimmungen
Dieses Kapitel möchte ich damit abschließen, daß ich vier Handlungsbestimmungen zusammenstelle, um zu demonstrieren, daß sie im Grunde alle miteinander verträglich sind, obwohl sie auf verschiedene Weise gewonnen wurden. Trotz z. T. unterschiedlicher
3- Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
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Benennung der einzelnen Stadien sagen sie doch alle dasselbe aus, und zwar im wesentlichen genau das, was bereits Austin zu dieser ganzen komplizierten Maschinerie des Handelns gesagt hat! AUSTIN (dt. 1977)
RESCHER (dt. 1977) „kanonische Beschreibung einer Handlung"
INFORMATION ÜBER DIE SITUATION
GEISTIGER ZUSTAND DES HANDELNDEN UMSTÄNDE DER HANDLUNG
EINSCHÄTZUNG DER SITUATION
WUNDERLICH (1976)
REHBEIN (i977)
EINSCHÄTZUNG DER SITUATION
EINSCHÄTZUNG DER SITUATION
BERUFUNG AUF PRINZIPIEN
URSACHE DER HANDLUNG
MOTIVATIONSBILDUNG
MOTIVATION
PLANUNG
ZIEL
ZIEL
ZIELSETZUNG
ENTSCHEIDUNG
MITTEL
PLANBILDUNG
PLAN/PLANBILDUNG
DURCHFÜHRUNG U N D IHRE KONTROLLE
ART UND WEISE DER DURCHFÜHRUNG
AUSFÜHRUNG
AUSFÜHRUNG
ZUSTANDEBRINGEN EINES RESULTATS
RESULTAT (Anm.: die einzelnen Stadien müssen nicht immer in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen werden.)
4. Kausalität und Handlungserklärungen In Situationen der Problematisierung von Handlungen wird häufig die Frage gestellt: »warum hast du/hat A h getan?«; Antworten auf solche Fragen können die Form von Kausalsätzen haben: »ich habe/A hat h getan, weil . ..«. Mit einem solchen Satz wird ein Zusammenhang zwischen der Handlung und dem, was nach weil folgt, behauptet. Die Handlung wird erklärt - meist über die Erklärung hinaus, um sie zu rechtfertigen - , indem ein Grund für sie bzw. ihre Ausführung gegeben wird. Gründe für eine Handlung kann man dadurch angeben, daß man Ziele oder Intentionen, Einstellungen oder Präferenzen nennt. Ich werde im folgenden der Einfachheit halber von Intentionen und kognitiven Einstellungen sprechen. Die Frage, welcher Art der Zusammenhang zwischen Gründen für eine Handlung und dieser selbst sein soll, ist innerhalb der analytischen Handlungstheorie kontrovers beantwortet worden: sind Handlungserklärungen kausale Erklärungen über Ursachen und Wirkungen oder sind sie Erklärungen eigener, nichtkausaler Art? Oder, wie das Problem auch einfach formuliert worden ist: sind Handlungserklärungen mit kausalen Erklärungen verträglich? Die Standpunkte, die zu dieser Frage jeweils vorgetragen worden sind, sind relativ zu einer Auffassung von Kausalität als dem Inhalt einer kausalen Erklärung, die in der Tradition des englischen Philosophen David Hume steht: Wenn man von einem bestimmten einzelnen Ereignis X behauptet, es sei die Ursache eines anderen bestimmten einzelnen Ereignisses Y , dann muß gelten: (1) X und Y sind zwei verschiedene Ereignisse X = ein zwei Tonnen schwerer Meteor fällt auf Herrn A's Kopf Y = Herr A stirbt (2) X und Y sind logisch unabhängig voneinander das Herunterfallen des Meteors und das Sterben von Herrn A sind voneinander logisch unabhängig (3) wir stellen den kausalen Zusammenhang zwischen X und Y auf-
4- Kausalität und Handlungserklärungen
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grund unserer Erfahrung her; d. h. der Zusammenhang zwischen X und Y ist empirischer Natur (4) Y wäre unter den gegebenen Umständen nicht eingetreten, wenn X nicht eingetreten wäre Herr A wäre nicht gestorben, wenn ihm nicht der Meteor auf den Kopf gefallen wäre (5) der Kausalzusammenhang zwischen X und Y muß durch ein allgemeines Gesetz abgedeckt sein Immer, wenn jemandem ein zwei Tonnen schwerer Meteor auf den Kopf fällt, stirbt er Gegen die Übertragung einer solchen Bestimmung von Kausalität als Inhalt einer kausalen Erklärung von Handlungen sind drei Argumente vorgebracht worden: (1) Die Gründe, die als Ursachen einer Handlung durch einen weilSatz angegeben werden, beziehen sich nicht auf Ereignisse; (2) die Gründe einer Handlung sind von dieser nicht logisch unabhängig; (3) es gibt kein allgemeines Gesetz, das den Erklärungen einzelner, singulärer Handlungen zugrunde liegt. Alle drei Argumente beziehen sich auf Fälle von Erklärungen, wo die Gründe einer Handlung Intentionen bzw. kognitive Einstellungen benennen, wie z. B. den folgenden: (i) Anton hat seine Frau geschlagen, weil er eifersüchtig war (ii) Ich habe ein Buch über Umweltverschmutzung gelesen, weil ich es für wichtig halte, daß wir uns über unsere Zukunft Gedanken machen (iii) Franz ist abends nochmal weggegangen, weil er Zigaretten holen wollte (iv) Der Jäger hat den Hund losgelassen, weil er glaubte, daß ein Hase in der Nähe war (1) Gründe einer Handlung sind keine Ereignisse und daher auch keine Ursachen Gegen die Auffassung, daß Gründe wie Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden Ursachen seiner Handlung seien, hat besonders Ryle entschieden Stellung bezogen: ihm zufolge sind
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Gründe eines Handelnden keine Ereignisse, sondern Zustände oder Dispositionen (vgl. Ryle (dt. 1969), 149 f.). Und Erklärungen durch Dispositionen sind keine kausalen Erklärungen. Z. B. ist (v) Das Glas zerbrach, weil es von einem Stein getroffen wurde eine kausale Erklärung, während jedoch (vi) Das Glas zerbrach, als es von einem Stein getroffen wurde, weil es zerbrechlich war keine kausale Erklärung ist, denn in ihr wird kein Ereignis als Ursache angeführt, sondern eine gesetzesartige Aussage über das Verhalten des Glases gemacht. (Vgl. Ryle (dt. 1969), 114 f.) Die Aussage ist allerdings keine naturgesetzliche, sondern eine begriffliche: Zerbrechlichkeit' ist wesentlich ein Teil des Begriffs ,Glas' oder anders gesagt:,Zerbrechlichsein' gehört zur Bedeutung des Wortes Glas. Ein Satz wie (vi') Das Glas zerbrach, weil es zerbrechlich war ist analytisch; in ihm wird etwas zur Bedeutung von Glas gesagt. Analog dazu geben auch Dispositionen wie z. B. jähzornig', Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden, keine Auskunft über die Ursachen seiner Handlungen, sondern sie sind Thema von Voraussagen über Tendenzen, zu denen der Handelnde unter bestimmten Umständen neigt. „Daß einer für eine Tat dieses Motiv hatte, heißt, daß diese Tat, unter diesen besonderen Umständen unternommen, gerade das war, wozu er aus diesem Motiv neigte. Es heißt soviel wie: >Das sieht ihm ähnliche" (Ryle (dt. 1969), 120.) Gegen die Ryle sehe Auffassung ist zunächst gesagt worden, daß Ursachen nicht notwendig Ereignisse zu sein brauchen; dies anzunehmen, würde eine willkürliche Normierung gegen jedes intuitive Sprachverständnis darstellen: so sagen wir z. B., daß vereiste Gleise ein Zugunglück oder ein Defekt an einer Tragfläche einen Flugzeugabsturz verursacht haben. (Vgl. Urmson (1968); Gean (dt. 1977); Beckermann (1977).) Zum andern ist gegen Ryle vorgebracht worden, daß eine Erklärung wie
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(1) Anton hat seine Frau geschlagen, weil er eifersüchtig war über die Disposition der Eifersucht hinausweist. Diese allein erklärt ebenso wenig wie die Zerbrechlichkeit des Glases dessen tatsächliches Zerbrechen, warum Anton seine Frau geschlagen hat. Wir verstehen eine Äußerung wie (i) ja auch gar nicht so, daß wir die dort thematisierte Eifersucht als alleinigen Grund für Antons Handlung ansehen, sondern wir rekonstruieren weitere Bedingungen dafür, daß die Disposition zum Ausbruch gekommen ist, z. B. einen Anlaß wie den, daß Anton seine Frau mit einem anderen Mann gesehen hat o. dgl.. Erst beides zusammen: die genannte Eifersucht als Disposition des Handelnden und einen rekonstruierten Anlaß (oder Ursache) für das Ausbrechen der Eifersucht machen eine Äußerung wie (i) zu einer vollständigen Handlungserklärung. Man könnte deshalb sagen, daß die Redeweise von Dispositionen als Gründe für Handlungen immer ein Ereignis als Ursache für das Zutagetreten der Disposition impliziert. (Vgl. Beckermann (1977), 60 f.) (2) Die Gründe einer Handlung sind von dieser nicht logisch unabhängig Zwischen den Gründen und den Handlungen, die durch sie erklärt werden, besteht kein empirischer, d. h. aus Erfahrungen ableitbarer, sondern ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang. (Vgl. Malcolm (dt. 1977), 338 f.; von Wright (dt. 1974), 91 ff.; von Wright (1977), 138; Peters (dt. 1977), m ; Melden (dt. 1977), 160 f.; Mac Intyre (dt. 1977), 180 f.; Hamlyn (dt. 1977), 89 f.; Beck (dt. 1975), 175/6.) Da, nach der Auffassung der meisten analytischen Philosophen, Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden nichts ist, was zusätzlich zu seinen Handlungen hinzukommt, können sie auch keine Ursachen sein, und Erklärungen von Handlungen durch Gründe, die Intentionen und kognitive Einstellungen sind, können keine kausale Erklärungen sein. Der Zusammenhang zwischen Gründen und Handlungen ist ein Zusammenhang zweckrationaler Begrifflichkeit; wenn wir Gründe für unser Handeln angeben, dann sagen wir, daß die Handlung unter den Umständen der angegebenen Gründe vernünftig war, daß sie ihren Zweck in angemessener
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Weise erfüllt. Daß wir Zweckrationalität menschlichen Handelns häufig ausdrücken, indem wir singulare Handlungen durch Kausalsätze erklären, verleitet uns zu irrigen Annahmen. Wenn auch die grammatische Oberflächenstruktur der üblichen Handlungserklärungen durch wei/-Sätze dieselbe ist wie die kausaler Erklärungen, so heißt das nicht, daß sie denselben Erklärungstyp repräsentieren; die Redeweise, in der wir über Ereignisse in der Welt sprechen, ist grundsätzlich zu unterscheiden von der Redeweise, in der wir über menschliches Handeln sprechen. Ereignisse werden kausal erklärt, Handlungen werden - mit Bezug auf Intentionen und kognitive Einstellungen - rational oder - wie man auch sagt - teleologisch/intentionalistisch erklärt. Die Auffassung, daß es zwei Redeweisen gibt - eine kausalistische und eine teleologisch/intentionalistische ist auch auf nicht-alltagssprachliche Bereiche ausgedehnt worden und hat die Frage aufgeworfen: ist die Wissenschaftssprache der Historiker und Sozialwissenschaftler eine teleologisch/intentionalistische und als solche von der kausalistischen Sprache der Naturwissenschaftler zu unterscheiden? (3) Es gibt kein allgemeines Gesetz, das den Erklärungen singulärer Handlungen zugrunde liegt Erklärungen durch Gründe, Intentionen oder kognitive Einstellungen eines Handelnden, können keine kausalen Erklärungen sein, weil es universelle Gesetze, die solche Gründe mit Handlungen verknüpfen, nicht gibt. (vii) Warum tötete er sie? - er wollte ihr Geld (viii) Warum fiel der Apfel herunter? - sein Stiel wurde durchgeschnitten Das Herunterfallen des Apfels und das Durchschneiden des Apfelstiels sind durch die universelle Verallgemeinerung über die Schwerkraft miteinander verbunden; zwischen dem Töten und dem Geld-wollen gibt es jedoch keine solche Verallgemeinerung. (Vgl. Taylor, D. (1970), 41; Beckermann (1977), 101.) Diejenigen Philosophen, die die Auffassung vertreten, zwischen Gründen und Handlungen bestehe ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang, schließen jedoch die Möglichkeit der Verallgemei-
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nerung nicht aus: allerdings hat eine solche Verallgemeinerung nicht den Status eines Naturgesetzes. Der Zusammenhang zwischen Gründen und Handlungen ist, wie wir schon gesagt haben, ein zweckrationaler Begriffsrahmen. Auf einen solchen Begriffsrahmen berufen wir uns - meist implizit wenn wir Handlungen erklären. Dabei rekurrieren wir aber nicht auf empirische Gesetze, die zeigen, daß die zu erklärende Handlung unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, sondern auf Handlungsprinzipien, aus denen hervorgeht, daß diese Handlung unter den gegebenen Umständen für den Handelnden das war, was zu tun war, was rational war zu tun. Das allgemeine Prinzip, auf das wir uns berufen, lautet: „Wenn jemand in einer Situation der Art C ist, dann ist es für ihn rational, X zu tun". (Dray (dt. 1977), 291) Die >Situation der Art C< ist häufig in Form eines sogenannten praktischen Schlusses formuliert worden (vgl. von Wright (dt. 1974); hier (1977), 133): A beabsichtigt p (beispielsweise morgen ins Theater zu gehen) A glaubt, daß er p nur erreichen kann, wenn er q tut (beispielsweise eine Karte im Vorverkauf besorgt) Darum: A unternimmt q (A kauft eine Karte im Vorverkauf) Durch ein solches Schema wird nicht die Erwartbarkeit der Handlung im Sinn einer Vorhersage durch ein Gesetz postuliert. Wenn man in Handlungserklärungen implizit darauf Bezug nimmt, dann tut man dies, um den Grund und die Handlung in den Kontext der Rationalität zu stellen: man behauptet damit, daß es für den Handelnden unter den Umständen rational war, das zu tun, was er getan hat. Die Gründe, die in den Handlungserklärungen angeführt werden, sind gute Gründe (good reasons) eines Handelnden. Jede Handlungserklärung, in der Intentionen oder kognitive Einstellungen als Gründe angeführt werden, enthält ein bewertendes Element, relativ zu den Standards oder Konventionen unserer gesellschaftlichen Praxis. Rationale Handlungserklärungen zeigen, daß es für den Handelnden im „Hinblick auf seine Wünsche und Uberzeugungen rational war, so zu handeln, wie er es tat; daß seine Handlung das war, was bei den gegebenen Gründen zu tun war, und nicht bloß das, was normalerweise in solchen Situationen zu
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tun w a r . " ( D r a y (dt. 1977), 282.) Ein Schema v o n der A r t eines praktischen Schlusses, w i e w i r es o b e n w i e d e r g e g e b e n haben, macht eine H a n d l u n g im sozialen K o n t e x t verstehbar, es erklärt aber in keiner W e i s e ihre Erwartbarkeit. ( V g l . von Wright 1977); Mischel
(dt.
(1966); Hamlyn
(1968); Kenny
(dt. 1977); Taylor,
(1978); Foot
(dt. 1974); Dray (1978);
R . (1966); Winch
Louch
(dt. 1974).)
W a s ein G r u n d oder ein M o t i v f ü r eine H a n d l u n g ist, habe ich nicht „ i n erster L i n i e als T e i l einer T e c h n i k gelernt, mittels derer ich Voraussagen mache (ungleich d e m B e g r i f f der Ursache). L e r n e n , was ein M o t i v ist, gehört d e m Erlernen der Standards an, die das L e b e n in der Gesellschaft beherrschen, in der man lebt; und dies w i e d e r u m gehört dem P r o z e ß an, als ein soziales W e s e n leben zu l e r n e n . " (Winch
(dt. 1974), 107.)
G e g e n die A u f f a s s u n g , daß Handlungserklärungen keine Erklärungen eines kausalen T y p s sein können, ist eingewendet w o r d e n , es gebe G e s e t z e oder zumindest gesetzesartige Prinzipien, die durch unsere g e w ö h n l i c h e n Handlungserklärungen vorausgesetzt ( V g l . Gean (dt. 1977); Brandt/Kim Churchland mann
(dt. 1977); Davidson
sind.
(dt. 1975);
(dt. 1977) und in A n l e h n u n g an Churchland:
Becker-
(1977).)
Ein solches gesetzesartiges P r i n z i p , das auch Vorhersagen erlauben soll, hat Churchland
aufgestellt ( C h u r c h l a n d (dt. 1977), 313):
L , : A X A 0 A H ( w e n n gilt: [ X steht f ü r den H a n d e l n d e n ; 0 f ü r etwas, was X w i l l ; H f ü r eine H a n d l u n g ; A steht als A l l o p e r a t o r f ü r jedes X , 0 und H] ( 1 ) X w i l l 0 ; und (2) X glaubt, daß der V o l l z u g v o n H unter den gegebenen U m ständen f ü r ihn ein M i t t e l sei, um 0 zu erreichen; und (3) es gibt keine H a n d l u n g , v o n der X glaubt, daß er mit ihr 0 erreichen w ü r d e , und f ü r die er eine wenigstens gleichermaßen große P r ä f e r e n z hat w i e für H ; und (4) X hat keinen anderen W u n s c h , ( b z w . keine anderen W ü n sche) der ihn unter den gegebenen U m s t ä n d e n v o n seinem W u n s c h 0 abbringt; und
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(5) X weiß, wie man H tut; und (6) X ist in der Lage, H zu tun; so gilt: (7) X tut H.) L, soll ein Schema darstellen, dem der „reflektierte Umgangssprecher" zustimmen muß; es ist ein „Grundprinzip des begrifflichen Rahmens, mit dem wir uns selbst begreifen." (Churchland (dt. 1977), 317), zugleich ist es ein gesetzesartiges Prinzip, nach dem sich unser Handeln richtet: wenn alle Bedingungen (1) bis (6) erfüllt sind, dann muß H notwendigerweise X tun; andernfalls ist eine der Bedingungen (1) bis (6) als nichterfüllt anzusehen. Beckermann versucht, dies anhand eines Beispiels nachzuweisen: er fragt, ob es wirklich vorstellbar sei, daß ein Handelnder H seine Telefonrechnung nicht bezahlt, obwohl die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind (Beckermann (1977), 110): (A,) H will, daß ihm das Telefon nicht abgestellt wird (AO H weiß, daß ihm das Telefon dann nicht abgestellt wird, wenn er seine Telefonrechnung bezahlt (A 3 ) H weiß, daß er keine andere Möglichkeit hat zu erreichen, daß ihm das Telefon nicht abgestellt wird (A4) ES gibt nichts, was H mehr will als das in (A,) genannte Ziel und was mit dem Bezahlen der Rechnung unvereinbar ist (A s ) H ist in der Lage, seine Telefonrechnung zu bezahlen (aufgrund der Tatsache, daß man nur dann sagen kann, jemand sei in der Lage, etwas zu tun, wenn er auch weiß, wie man es macht, sind die Bedingungen (5) und (6) von Churchland hier zu einer zusammengefaßt) Dafür, daß H seine Telefonrechnung tatsächlich nicht bezahlt, kann es nur drei mögliche Erklärungen geben (vgl. Beckermann (1977), IIO/III):
(1) H hat einen Grund, seine Telefonrechnung nicht zu bezahlen; entweder er will gar nicht wirklich, daß ihm das Telefon nicht abgestellt wird (das Klingeln stört ihn eh schon die längste Zeit!), dann ist (A,) nicht erfüllt; oder er will etwas anderes mehr, z. B. seiner Freundin einen Pelzmantel kaufen, was er nicht könnte, wenn er die Telefonrechnung bezahlt; dann ist Bedingung (A4) nicht erfüllt;
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(2) H kennt die Bedeutung einer Telefonrechnung nicht - er weiß nicht, daß einem das Telefon abgestellt wird, wenn man seine Telefonrechnung nicht bezahlt, - in diesem Fall wäre aber eine der Bedingungen (A2) und (Aj) nicht erfüllt; (3) H ist nicht in der Lage, die Telefonrechnung zu bezahlen, weil er pleite ist oder krank im Bett liegt, - dann aber wäre die Bedingung (A s ) nicht erfüllt. „Eine Erklärung der Tatsache, daß H seine Rechnung nicht bezahlt, ist also offenbar nur dann möglich, wenn tatsächlich zumindest eine der Bedingungen (A,)-(A 5 ) nicht erfüllt ist". (Beckermann (1977), in.) Es ist aber durchaus denkbar, daß H, obwohl er alle Bedingungen (A,) bis (A,) erfüllt, dennoch und ganz ohne jeden Grund seine Telefonrechnung nicht bezahlt. Beckermann hält dagegen, es käme „zumindest faktisch nicht vor, daß jemand völlig ohne Grund von seiner Handlung Abstand nimmt, für deren Ausführung, er zwingende Gründe hat." (Beckermann (1977), 112.) M. E. kommt es jedoch - dies ist jedenfalls meine Erfahrung, vor allem mit Rechnungen! - faktisch vor. Aber, wenn es vorkommt, dann kann ich meine Handlung, in dem Fall die Unterlassung, nicht mehr als eine rationale Handlung erklären: ich habe mich ganz einfach irrational verhalten. Dies kann mir jedoch in einer Problematisierungssituation als Unterlassung (im Sinn von Handlung) vorgeworfen werden. Ein Prinzip des Handelns, wie es durch L, repräsentiert wird, gilt also nur unter der Voraussetzung, daß rationales Handeln gemeint ist, als eine Art Gesetz. Als solches bezieht es sich auf alle Arten von Handlungserklärungen durch Gründe: wenn man eine Handlung erklärt, indem man eine Warum-Frage beantwortet, dann unterstellt man auch immer, daß die Handlung rational erklärbar ist und zugleich, daß unter diesem Gesichtspunkt der tatsächlich gegebene Grund als ein guter Grund, etwas Bestimmtes getan zu haben, akzeptiert wird. Die Rationalität ist in jeder Erklärungssituation bereits fraglos vorausgesetzt; daß ein bestimmter Grund als Erklärung für mein Handeln tatsächlich akzeptiert wird, ist mit Sicherheit auf ein solches Konditionalmuster wie L, zurückzuführen, und zwar mit der gleichen Sicherheit, wie mir nach dem Strafgesetz ein Mord vorgeworfen wird, wenn meine böswillige Ab-
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sieht, jemanden zu töten, für die Be- oder in diesem Fall Verurteiler feststeht. Insofern ist man berechtigt, von einem gesetzesartigen Status des Prinzips L, zu sprechen, aber es ist, im Gegensatz zu Naturgesetzen, ein menschengemachtes Gesetz. Diesen Unterschied sollte man betonen. Ob L r auch Vorhersagen über menschliches Handeln ermöglicht, scheint mir problematisch angesichts der Abstraktheit seiner Formulierung: die aufgestellten Bedingungen sagen nichts darüber aus, was Menschen wirklich wollen und glauben und was sie demzufolge tun. Im Gegensatz zu Naturgesetzen, mit denen konkrete, singulare Ereignisse vorausgesagt werden können - z. B. daß mein Glas runterfällt, wenn ich es loslasse - , kann mit L, keine einzige singuläre Handlung vorausgesagt werden. (Vgl. auch Davidson (dt. 1981).) Fassen wir zusammen: (1) Umgangssprachlich sprechen wir von Gründen für Handlungen als Ursachen und meinen damit, daß wir etwas bestimmtes nicht getan hätten, wenn wir dafür nicht diesen oder jenen Grund eine Intention oder eine kognitive Einstellung - gehabt hätten; (2) der Zusammenhang zwischen dem Grund und der Handlung wird in der analytischen Handlungsphilosophie entweder als (a) ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang (b) oder als ein kausaler Zusammenhang begriffen; (3) der logische oder begriffliche Zusammenhang besteht in der Rationalität menschlichen Handelns; (4) der Auffassung (3) zufolge sind Handlungserklärungen keine kausalen Erklärungen; sie geben keine Ursachen für Handlungen an, sondern gute Gründe, die eine Handlung verstehbar machen als etwas, das rational getan worden ist. Handlungserklärungen werden aufgrund von Verallgemeinerungen in Form eines praktischen Schlusses verständlich; durch diesen wird keinerlei Vorhersagbarkeit von Handlungen postuliert; (5) Gemäß der Auffassung (2b) sind Handlungserklärungen Erklärungen eines kausalen Typs: sie werden durch ein allgemeines Gesetz oder gesetzesartiges Prinzip abgedeckt, in dem alle Bedingungen in Form von Intentionen und kognitiven Einstellun-
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gen dafür formuliert sind, daß eine Handlung vollzogen wird. Dieses Prinzip gilt nur unter der Voraussetzung der Rationalität menschlichen Handelns; Und: (6) Mir scheinen die Auffassungen der Rationalisten und die der Kausalisten gar nicht so unversöhnlich zu sein: da auch von Kausalisten kaum geleugnet werden dürfte, daß ihr Prinzip menschlichen Handelns seine Geltung nur durch Anwendung bzw. Befolgung erhält, kann man davon ausgehen, daß es selbst ein Produkt rationaler Handlungspraxis darstellt. Als solches kann es aber nicht seinerseits wiederum einem gesetzesartigen Prinzip unterliegen. Woraus man folgern kann, daß Rationalität sowohl für Kausalisten wie für Rationalisten der grundlegende Begriff sein muß. O b man die Verbindlichkeit der Bedingungen für rationales Handeln nun als kausal oder als intentionalistisch - durch Gründe verständlich machend - ansieht, ist dabei letztlich gar nicht so ausschlaggebend, zumal wir in unserer alltäglichen (z. T auch wissenschaftlichen) Redeweise nicht oder nur selten zwischen Gründen und Ursachen streng unterscheiden, wohl aber zwischen rationalem, verständlichem Handeln und irrationalem, unzugänglichem, unverständlichem Verhalten.
Anmerkungen 1 vgl. auch Davidson (dt. 1977a), 286: „Jemand vollzieht dann eine Handlung, wenn das, was er tut, so beschrieben werden kann, daß er es absichtlich tut" oder Davidson (dt. 1977b), 330: „Wer sagt, daß jemand etwas absichtlich getan hat, beschreibt damit die Handlung so, daß sie zu den Annahmen und Einstellungen des Handelnden in einer speziellen Beziehung steht." 2 Ein ähnliches, aber sehr viel mehr formal ausdifferenziertes Schema für .Beschreiben einer Handlung' findet sich in Rehbein (1977), 65. 3 Rehbein (1977), 65/6. Zu den Gnceschen Konversationsmaximen vgl. Teil II, Kap. 4.1. 4 Zur Diskussion dieses Beispiels vgl. Danto (dt. 1980), 259 ff. Danto nennt Ausdrücke wie ein Buch schreiben, Rosen pflanzen >Projektverbenwesentlicher< Teil der Handlung selbst. Es ist daher ein schwerer Fehler, wenn man die Handlung selbst für die Ursache ihres Ergebnisses hält." Vermutlich gehören alle infinitivischen Ausdrücke dazu, mit denen Handlungen bezeichnet werden können — zumindest legen die aufgeführten Beispiele diese Vermutung nahe. Damit geht Danto bereits auf Einwände seiner Kritiker ein, z. B. Brand (1968); Martin (dt. 1977); Baier (dt. 1977). Übrigens: was Danto hier über das Verhältnis von Dunkelheit der Aussage und graphischer Klarheit sagt, läßt sich im umgekehrten Sinn von der deutschen Ausgabe seines Buchs sagen (das immerhin D M 53,- kostet!). Zu diesem „Dilemma" vgl. auch Davidson (dt. 1977a), 295 f.). Dies hat Danto selbst verschiedentlich betont, vgl. (dt. 1977), 130 f.; die Kritik von Habermas (1981), 146 f. scheint mir zu einseitig; von Danto wurde nie behauptet, daß Basishandlungen allein schon das Ausführen einer Handlung konstituieren. Einen ähnlichen Vorschlag hat Davidson gemacht (dt. 1977a), 293: „Hier ist z. B. meine Beschreibung meiner Bewegungen, wenn ich meine Schnürsenkel binde: Ich bewege meinen Körper auf genau die erforderliche Weise, um meine Schnürsenkel zu binden". Harts Aufsatz ist 1948/49 erschienen; ich zitiere hier nach einem Wiederabdruck in Flew (1951). Austin (dt. 1977), 29 t.; Ferguson (dt. 1977), 43 ff.; Wörner (1978), 168. Mit Adverbien wie absichtlich, unabsichtlich, bewußt, unbewußt, irr-
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I. Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie tümlich arbeitet Brennenstuhl (1975), indem sie Sätze durch Hinzufügung solcher Ausdrücke auf ihren Status als mögliche Handlungssätze hin prüft. Sie kommt dann zu einem Handlungsbegriffsgraphen wie dem folgenden: (Brennstuhl (1975), 98) Agentereignisverursachung
Nichthandlung; z. B. stolpern
\oV s ¿^ß^ erfolglose Handlung erfolgreiche Handlung
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
i. Von einer Kritik philosophischer Bedeutungstheorien zur Entwicklung einer Theorie sprachlichen Handelns: Wittgenstein und Austin Üblicherweise fangen Darstellungen angelsächsischer Sprach(handlungs)philosophien sowie deren Rezeptionen in der linguistischen Pragmatik mit Wittgenstein und seiner Sprachphilosophie an. (vgl. z. B. Savigny (2iVon Dingen redenVersprechenVorschlagenBittenBefehlenAnbieten< oder >FragenTaufen< und >HeiratenBefehlen< und >Frageneisp'ic\, alle Gnceschen Bedingungen erfüllt sind, würden wir selbst dann nicht von einem Kommunikationsversuch K V (S, H , f, r) reden wollen, wenn nur S und H im Raum sind (wenn also S eine Art Selbstgespräch vorgibt). Den Grund habe ich bereits bei der Besprechung des Strawson/Stampe-Beispiels genannt: S verhindert sozusagen durch die Art und Weise seines Tuns Hs Erkenntnis, daß er mit ihm in der Absicht kommuniziert, um seinen Aufbruch herbeizuführen. Zugleich nimmt er H die Möglichkeit, sich auf seine Aktion als einen an ihn, H , gerichteten Kommunikationsversuch zu beziehen. N o c h krasser formuliert: S handelt nicht vermittels einer Äußerung mit H , sondern er behandelt H mit einer Äußerung, ohne daß dieser die Möglichkeit hätte, gegen die Behandlung zu protestieren, ähnlich wie ein narkotisierter Patient hilflos dem Messer des Chirurgen ausgeliefert ist! D e r normative Grund, die Gnceschen Bestimmungen zu erweitern, dürfte jetzt hinreichend bekannt sein; man kann ihn akzeptieren oder auch nicht. Jedenfalls dürfte eine Argumentation über das Pro und Kontra nicht ohne weitere Prinzipien und Normen - und damit auch nicht ohne persönliche Werturteile - geführt werden können. Ich glaube jedoch kaum, daß ein Kommunikationstheoretiker, der sich nur halbwegs verantwortungsbewußt wissenschaftlich betätigt, verbale Ubergriffsaktionen wie die oben skizzierte ernsthaft als einen Versuch ansehen wollte, mit dem ein S einen H durch ein f-Tun zu einer bestimmten Reaktion r bringen will, unter der Bedingung (das entspricht den Gnceschen Bedingungen der Transparenz), daß - metaphorisch gesprochen - S den Weg von f zu r sozusagen gemeinsam mit H geht, d. h. ihm bei seinem f-Tun Einsicht gewährt in die Wegstrecke, die für ihn von f zu r führt. Genug der Moral und zurück zur Frage nach einem möglichen Ende von Intentionen. Wenn man sich die erörterten Überlegungen zur Intentionalität kommunikativen Handelns näher anschaut, fällt einem auf, daß in ihnen ausnahmslos eine ganz kurze Zeitspanne beleuchtet wird; nämlich die Zeitspanne zwischen einem unmittelbar vor f liegenden Zeitpunkt über den Zeitpunkt von f-Tun zum Zeitpunkt von r-Zeigen. Alles, was davor und danach sein könnte, bleibt im Dunkeln. Das bedeutet zugleich: jeder Kommunikations-
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
versuch wird isoliert von seiner möglichen K o m m u n i k a t i o n s g e schichte betrachtet. Zugegeben, handlungslogisch sind in den verschiedenen Intentionen bereits epistemische (Glaubens-)Einstellungen von S und von S in B e z u g auf H impliziert, und diese verweisen natürlich auf eine Art, von S zumindest unterstellter, V o r kommunikation zwischen S und H - und sei es nur auf der Basis gesellschaftlicher Konventionen oder Institutionen. Insofern könnte man sagen, daß jeder Kommunikationsversuch implizit eine Vorgeschichte enthält. Diese A u f f a s s u n g halte ich für vertretbar: der kommunikativ Handelnde tritt erst dann ins Rampenlicht der Theorie, wenn er sich anschickt, f zu tun. Problematischer scheint mir die Ausblendung nach dem r-Zeigen-Zeitpunkt zu sein. Wenn man fordert, daß der Weg von f zu r für S und H transparent sein muß, dann sollte dies auch rückblickend für den umgekehrten Weg von r zu f gelten. ,Rückblickend' soll hier heißen, daß nicht nur S sein primäres Handlungsziel r mit dem handlungslogisch nachgeordneten f verbindet, daß also S ohnedies zunächst die Wegstrecke r zu f zurücklegen muß, sondern dies soll auch heißen, daß H (und natürlich auch S) jederzeit, d. h. zu jedem nach dem K o m m u n i k a tionsversuch liegenden Zeitpunkt, den Weg von r (oder H s Erkenntnis von r) zu f zurückgehen kann. U n d dies heißt im G r u n d nichts anderes, als daß S und H jederzeit über S' K o m m u n i k a t i o n s versuch wiederum in K o m m u n i k a t i o n treten können. D i e s setzt auch voraus, daß f - T u n v o n S für beide Kommunikationspartner als ein ganz bestimmter Kommunikationsversuch K V (S, H , f, r) gilt. Erst dann ist die Möglichkeit einer Nachgeschichte garantiert; das Lächeln des Angestellten und die Zeitbemerkung des Partygebers sollen eben keine Nachgeschichte haben. F ü r S bedeutet diese Bedingung ganz einfach, daß ihm die Verantwortung für seinen Kommunikationsversuch zugeschrieben werden können muß (eine ganz prinzipielle Bedingung für jede Art von Handlung). Mit dieser Forderung b z w . Bedingung sehe ich auch das E n d e des Definiens der Intentionalität kommunikativen H a n delns: wenn die Möglichkeit der K o m m u n i k a t i o n über K V (S, H , f, r) garantiert ist, dann auch für H die Möglichkeit, Verheimlichungs- und Täuschungsabsichten von S aufzudecken, wenn das vielleicht auch im Einzelfall nicht immer gelingt. Mehr kann ich als
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Kommunikationstheoretiker nicht tun: ich kann qua Theorie nicht alle Täuschungsabsichten, die ein S möglicherweise haben könnte, ausschließen; ich kann aber meine Theorie so machen, daß sie die Möglichkeit zur Aufdeckung aller denkbaren Täuschungsmanöver garantiert. Diese Garantie ist durch die Bedingung gegeben, daß jeder Kommunikationsversuch K V (S, H, f, r) die Möglichkeit einer Nachgeschichte derart haben muß, daß S als verantwortlich Handelnder jederzeit zur Rechenschaft gezogen werden kann. Diese Bedingung entspricht inhaltlich der Strawion-Bedingung.
2.2 Verstehen des illokutionären Akts als wesentliche S-Intention 2.2.1
Searles Kritik an Grice
In seinem Buch „Speech Acts" (1969; dt. 1971) geht Searle ausführlich auf den Gnceschen Mechanismus ein, den er im wesentlichen versteht als einen Bestimmungsversuch der Bedeutung einer Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Absicht, einen perlokutionären Akt zu vollziehen. Dagegen erhebt Searle zunächst zwei prinzipielle Einwände (Searle (dt. 1971), 68 ff.): (1) etwas zu sagen und es im Gnceschen Sinn zu meinen, ist nicht notwendig mit der Absicht verknüpft, einen perlokutionären Akt zu vollziehen; dagegen ist es immer notwendig mit der Absicht verknüpft, einen illokutionären Akt zu vollziehen; (2) einen illokutionären Akt vollziehen heißt immer, Wörter in einer bestimmten Bedeutung zu sagen (Austin: einen rhetischen Akt zu vollziehen); in dem Gnceschen Mechanismus wird aber der Zusammenhang zwischen der Bedeutung einer Äußerung und dem, was der Sprecher mit ihr meint, überhaupt nicht beachtet. Besonders um die Wichtigkeit des letzten Einwands zu demonstrieren, gibt Searle ein weiteres Konterbeispiel zu Grice (vgl. Searle (dt. I97I)> 7°) : „Nehmen wir einmal an, ich sei ein deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg und von italienischen Truppen gefangengenommen worden! Und nehmen wir außerdem an, daß ich
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diese Truppen glauben machen möchte, ich sei ein deutscher Soldat, damit sie mich freilassen. Ich würde ihnen also gern auf deutsch oder italienisch sagen, daß ich ein deutscher Soldat bin. Aber nehmen wir einmal an, daß ich dafür nicht genügend Deutsch oder Italienisch kann. Also versuche ich ihnen vorzuspielen, ich würde ihnen sagen, daß ich ein deutscher Soldat sei, und zwar dadurch, daß ich das bißchen Deutsch vortrage, das ich kenne, in der Hoffnung, daß sie nicht genügend Deutsch können, um meinen Plan zu durchschauen. Nehmen wir an, ich erinnere mich nur an eine Zeile eines deutschen Gedichts, das ich im Deutschunterricht auf der Höheren Schule auswendig lernen mußte. Also rede ich, ein gefangener Amerikaner, die Italiener, die mich gefangen genommen haben, mit den folgenden Worten an: »Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?«." In diesem Beispiel sind die Gnceschen Bedingungen wie folgt erfüllt: (1) S (der gefangene Amerikaner) tut f (äußert: »kennst du...«) (2) S beabsichtigt mit f-Tun, daß H (die Italiener) glaubt, daß S ein deutscher Soldat ist (3) S beabsichtigt mit f-Tun, daß H (2) erkennt (4) S beabsichtigt mit f-Tun, daß H aufgrund der Erkenntnis von (2) glaubt, daß S ein deutscher Soldat ist Aber - so Searle - kann man für dieses Beispiel behaupten, daß S mit »kennst du das Land. ..« ,meint': »ich bin ein deutscher Soldat«? Ist die Verknüpfung dieser Äußerung mit der Intention, H soll glauben, S sei ein deutscher Soldat, nicht völlig an die Umstände gebunden, unter denen sie getan wird? Wird unter solchen Voraussetzungen die Bedeutung einer Äußerung nicht „in eine Ebene mit den Umständen gestellt"? (Searle (dt. 1971), 71.) Eine solche unsystematische Beliebigkeit der Bedeutung einer Äußerung muß eine Analyse des Bedeutungsbegriffs ausschließen: „Deshalb müssen wir die Gricesehe Bestimmung des Begriffs der Bedeutung so formulieren, daß daraus hervorgeht, daß das, was jemand meint, wenn er einen Satz äußert, mehr als bloß zufällig auf das bezogen ist, was der Satz in der jeweils gesprochenen Sprache bedeutet." (Searle (dt. 1971), 72.)
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Der zweite von Searle vorgebrachte Einwand gegen Grice bezieht sich auf die Art und Weise von Sprecherabsichten: diese werden auf die S-Absicht, daß H den illokutionären Akt versteht, reduziert. Eine Analyse des Verstehens muß - Searle zufolge - immer auf das Verstehen der Bedeutung des geäußerten Satzes zurückgreifen und damit auch auf die Regelkenntnis, die die Sprecher dazu befähigt, diese Bedeutung zu erkennen. Seine revidierte Analyse des Griceschen Mechanismus enthält dann die folgenden Bestimmungen (vgl. Searle (dt. 1971), 78 f.): S äußert einen bestimmten Satz T und meint aufrichtig, was er sagt, wenn gilt: (a) S beabsichtigt mit dem Äußern von T, daß H erkennt, daß bestimmte Sachlagen bestehen, die durch bestimmte für T geltende Regeln spezifiziert sind; (Die S-Absicht zielt auf einen Effekt, den Searle den illokutionären Effekt nennt. „Sachlagen" (,states of affairs') sind Tatsachen, die durch eine Äußerung zustande kommen, wie z. B. >gegrüßt werden< durch den illokutionären Akt des Grüßens {Searle (dt. 1971), 77.); >Pflicht zur Ausführung einer Handlung< durch den illokutionären Akt des Versprechens {Searle (dt. 1971), 93.); »Versuch, jemanden zum Handeln zu veranlassen* durch den illokutionären Akt der Aufforderung {Searle (dt. 1971), 100.)) (b) S beabsichtigt, daß die Äußerung den illokutionären Effekt vermittels der Erkenntnis der Intention (a) bewirkt; (c) S beabsichtigt, daß die Intention (a) aufgrund von Hs Kenntnis der Regeln für den geäußerten Satz T erkannt wird. Diese Analyse ist in zwei Hinsichten fragwürdig (vgl. Schwab (1980), 12 f.): (1) Bei seiner Bestimmung illokutionärer Akte formuliert Searle für die Gruppe der Äußerungen, die sich auf Handlungen des Adressaten beziehen - also für Aufforderungen - die Sprecherintention im Austinsc\ien Sinn perlokutionär: die S-Absicht ist darauf gerichtet, daß H etwas bestimmtes tun soll. {Searle (dt. 1971), 100.: die Aufforderung „gilt als ein Versuch, H dazu zu bringen, A zu tun.") Searle vertritt die gleiche Auffassung wie Austin: einige illokutio-
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näre Akte haben perlokutionäre Ziele, andere nicht. (Vgl. Searle (dt. 1971), 113.) Also reduziert er die Intentionalität auf die Intention, die für alle Äußerungen gleichermaßen gilt: die S-Absicht, daß H die Äußerung (als eine ganz bestimmte illuktionäre) versteht. Damit bleibt seine Analyse allerdings - zumindest für die Gruppe der Aufforderungsäußerungen - unvollständig. (2) Der Witz des Grcceschen Mechanismus besteht - wie wir gesehen haben - gerade darin, daß die primäre S-Absicht, bei H eine bestimmte Reaktion r zu bewirken, vermittelt ist durch die sekundäre S-Absicht, bei H die Erkenntnis seiner primären Absicht zu bewirken. Für das Verstehen eines illokutionären Akts im Searleschen Sinn ist jedoch gar keine solche sekundäre Intention erforderlich (vgl. Schwab (1980), 13.): H benötigt nur die Kenntnis der Regeln für das Vollziehen illokutionärer Akte. Die Intention ergibt sich für ihn aus seiner Regelkenntnis sowie seiner Unterstellung von S' Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit des Äußerns. Wenn aber durch die Regelhaftigkeit einer Äußerung die entsprechende Sprecherabsicht bereits notwendig festgelegt ist, dann ist Bedingung (b) der Searle sehen Analyse überflüssig. Wir können also die intentionale Bestimmung illokutionärer Akte, wie sie Searle vornimmt, einmal als unvollständig und zum andern als zu reichhaltig kritisieren: unvollständig ist sie deshalb, weil, wie Searle zugibt, mit einigen illokutionären Akten wie Aufforderungen perlokutionäre Ziele verfolgt werden, diese aber bei ihm unberücksichtigt bleiben; zu reichhaltig ist die Bestimmung deshalb, weil die Regelkenntnis von H sowie seine Unterstellung der Ernsthaftigkeit des S-Äußerns allein ausreichen, um H's Erkennen der S-Absicht zu gewährleisten. 2.2.2 Das Verstehen illokutionärer Akte als konventionale Verhaltensdisposition: Savignys zuhörerbezogene Analyse des Bedeutungsbegriffs Searles Analyse hat sich trotz Berufung auf das Griceschc Grundmodell von dessen Zweck sehr weit entfernt: während Grice erklären wollte, was es heißt, daß ein Sprecher mit einer Äußerung etwas bestimmtes meint, beschränkt sich Searle im wesentlichen auf die
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Frage, in welcher Weise eine Äußerung aufgrund der Regelhaftigkeit des geäußerten Satzes eine Bedeutung für den Sprecher und seinen Adressaten hat. Der Schwerpunkt der Analyse liegt also auf der Bedeutung, die ,eine Äußerung hat' und nicht auf der adressatenbezogenen Intentionalität, die ein Sprecher mit seiner Äußerung verbindet. Das Problem der Intentionalität ist damit zu einem Problem der Regelhaftigkeit oder Konventionalität sprachlicher Äußerungen geworden. Savigny widmet sich in seinem Aufsatz „Schritte einer zuhörerbezogenen Analyse eines Bedeutungsbegriffs" (in: Savigny ( 2 i98o)) ausschließlich dem Problem der konventionalen Bedeutung von Äußerungen, allerdings unter einer anderen Perspektive, als es bei den bisher erörterten Meinenskonzepten der Fall war. Dessen Bestimmungen waren immer im Kontext eines jeweiligen Sprechers formuliert: ,S beabsichtigt, daß H . . . ' . Grundsätzlich kann man sprachliche Äußerungen unter drei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten (vgl. Savigny (2iAngebereiHeuchelei< oder >Schmeichelei< beschreiben. Damit nimmt man auf Folgen der Handlung Bezug, die aber nicht unbedingt die einzigen Folgen der beschriebenen Handlung zu sein brauchen. »A hat bei B angegeben« kann heißen »A hat bei B Bewunderung hervorgerufen«. Nun ist >Bewunderung hervorrufen< weder die einzige noch die unmittelbare Folge von kommunikativen Handlungen, die mit dem Ausdruck angeben bezeichnet werden können, sondern allenfalls eine mittelbare. Wenn ich bei jemandem Bewunderung vermittels sprachlicher Äußerungen hervorrufen will, muß ich ihm einen Anlaß (eine Ursache) dafür geben; ich muß ihn etwas glauben machen, z. B. daß ich bestimmte Dinge getan habe, daß ich bestimmte Einstellungen habe usw. Und das Ziel, H soll etwas bestimmtes glauben, muß ich zunächst verfolgen, um das Endziel >Bewundeiung bei H< überhaupt anstreben zu können. Wir haben es also bei unserem Angeberbeispiel mit einer komplexen Handlung zu tun, und zwar in einem doppelten Sinn: - einmal dürfte die Handlung kaum durch eine einzige sprachliche
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Äußerung vollzogen werden können - normalerweise besteht Angeben aus ganzen Außerungssequenzen; — zum andern ist die primäre Intentionalität bezüglich der Adressatenreaktion nicht durch eine einzige Intention beschreibbar, wie dies in den intentionalistischen Konzepten üblich ist, sondern durch (mindestens) drei Intentionen: (a) S will, daß H etwas bestimmtes glaubt/für wahr hält (b) S will, daß H aufgrund dieses Glaubens/für-wahr-Haltens eine positive Einstellung zum Gesagten gewinnt (c) S will, daß H ihn bewundert Von den drei Intentionen, die für den Sprecher in einer Zweckmittel-Hierarchie zueinander stehen, soll der Adressat aber nur (a) erkennen. Damit S sein Ziel: Bewunderung bei H erreicht, ist es notwendig, daß er die Intention hat, daß H etwas bestimmtes glaubt/für wahr hält. U m dies zu erreichen, muß S alle Bedingungen des Gnceschen Mechanismus erfüllen, und er muß aus Gründen, die ich im Abschnitt 2.1.4 entwickelt habe, auch die darüber hinausgehende Sirawsow-Bedingung erfüllen, was gleichbedeutend ist mit der Übernahme von Verantwortlichkeit für seinen Kommunikationsversuch. Durch diese Überlegungen wird m. E. auch einsichtig, warum Austin Äußerungen, die mit perlokutionären Verben wie angeben, einflüstern, schmeicheln usw. beschreibbar sind, nicht zu den illokutionären Akten zählt: was der Handelnde tut, wenn er schmeichelt, angibt oder jem. etwas einflüstern will, ist das Vollziehen bestimmter illokutionärer Akte, deren Bezeichnungen gänzlich andere sind als die Bezeichnung für die jeweilige komplexe Gesamthandlung; z. B. vollzieht der Angeber Akte des Behauptens oder des Feststellens, die zusammengenommen als >Angeberei< beschrieben werden können. Jeder einzelne Akt unterliegt aber notwendig den Bedingungen des Gnceschen Mechanismus sowie der Strawsonschen Zusatzbedingung. Verdeckte Kommuhikationsversuche wie Angebereien, Schmeicheleien und sonstige windigen Suggestivunternehmungen sind notwendig an das Mittel eines intentional transparenten Kommunikationsversuchs gebunden, da ohne diesen der Sprecher sein Ziel nicht erreichen könnte. U m eine adäquate intentionalistische Bestimmung eines Kommunikationsversuch liefern zu
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können, ist es also - wie wir gesehen haben - häufig notwendig zu analysieren, wie komplex ein durch eine bestimmte Beschreibung charakterisierter Kommunikationsversuch sein kann. Wir können dann auch eine Präzisierung des Geltungsbereich solcher Bestimmungen formulieren: der Gncesche Mechanismus und die Strawsowsche Zusatzbedingung gelten nur für illokutionäre Akte, die in komplexen Handlungen als Mittel zu einem weiteren u. U. manipulativen Zweck dienen. Selbst wenn man die hier angestellten Überlegungen für plausibel hält, bleibt die Frage, wie man das Konzept komplexer Intentionen vor dem Vorwurf der Willkür einer Außerungsverwendung retten kann, denn schließlich kann man nicht jede x-beliebige Äußerung dazu verwenden, um eine bestimmte Reaktion bei seinem Adressaten hervorrufen zu wollen. „Mach diesen Versuch: Sag ,Hier ist es kalt' und meine: ,Hier ist es warm'. Kannst du das?", fragt Wittgenstein in seiner suggestiven Art (PU 510). Um dem Willkürvorwurf zu entgehen, hatte Grice sein intentionalistisches Konzept mit Üblichkeit, Schiffer und Bennett mit dem Lezw'jschen Konventionsbegriff verknüpft. Austin hatte illokutionäre Akte auf eine Stufe mit Konventionalität gestellt, Searle und Savigny hatten diese durch Regelkenntnis bzw. durch in einer Sprachgemeinschaft allgemein akzeptierte Sanktionen erklärt. Es dürfte offensichtlich sein, daß ein Sprecher, ganz gleich, welchen illokutionären Akt er in welcher Formulierung vollzieht, nicht xbeliebige Wörter gebraucht, um seine Intentionen - ob offen oder verdeckt - zum Ausdruck zu bringen: er wird sich immer an die Bedeutungsregeln oder, wenn man so will, Konventionen seiner Sprachgemeinschaft halten. (Vgl. Wunderlich (1972) 14.; Strawson (dt. 1974), 62.) Austinsch ausgedrückt: die Konventionen für die Lokution einer Äußerung sind immer gültig. Problematischer wird es mit der Funktion, die eine Äußerung in einer bestimmten Situation haben soll, mit ihrer illokutionären Rolle. Durch explizit performative Formulierungen wird sie immer eindeutig zum Ausdruck gebracht, und die mit ihr verbundenen Sprecherintentionen sind qua Konvention des performativen Verbs offenkundig (vgl. Strawson (dt. 1974), 62 ff.). Aber wie wir bereits mehrfach betont haben,
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kommen solche expliziten Äußerungen in unserer alltäglichen Praxis des Kommunizierens kaum vor. Auf welche Konvention für die illokutionäre Rolle soll man sich berufen, wenn man z. B. sagt: »das Eis dort drüben ist sehr dünn« und damit den Adressaten warnen will? Strawson sagt, daß es hier keine „nennbare" Konvention gibt, außer der für den lokutionären Akt (vgl. Strawson (dt. 1974), 62). Wenn die Äußerung aber, wie jeder zugeben wird, unter geeigneten Umständen als Formulierung für den illokutionären Akt des Warnens gebraucht werden kann oder, was aufs selbe rauskommt, durch das performative Verb warnen in ihrer illokutionären Rolle deutlich gemacht werden kann, dann müssen für sie auch dieselben S-Intentionen angenommen werden wie für die entsprechende explizite Formulierung. Aber heißt das jetzt nicht doch wieder, daß das Verknüpfen von S-Absichten mit Äußerungen - bis auf deren lokutionären Aspekt - ziemlich willkürlich ist? Wenn man den in der Frage verwendeten Ausdruck willkürlich im Sinn von >nicht konventional< versteht, muß man diese Frage wohl bejahen müssen. Allerdings heißt das nicht, daß Äußerungen völlig beliebig mit Intentionen verknüpft werden: ein Sprecher will ja auch immer die Intentionen, die er mit seinen Äußerungen verbindet, bei seinem Adressaten durchsetzen. Er wird also diejenige Formulierung wählen, von der er sich für die Durchsetzung seiner Intentionen den größtmöglichen Erfolg verspricht. Eigentlich müßte man meinen, daß dies auf alle Äußerungen zutreffen sollte, die durch Konventionen völlig abgesichert sind, also auf alle explizit performativen Äußerungen. Diese Annahme wird durch unseren alltäglichen Sprachgebrauch nicht-direkten Formulierens ganz offensichtlich widerlegt: die Offenkundigkeit unserer Intentionen durch die Konventionalität einer Äußerung garantiert noch lange nicht den tatsächlichen Erfolg beim Adressaten: Im Gegenteil, meist reagieren wir verärgert auf direkte Formulierungen eines Sprechers. Das offene Aussprechen von Intentionen gilt - zumindest in unserer Sprachgemeinschaft - häufig als ,anstößig',,unfein' oder bestenfalls als ,unhöflich'. Aufgrund solcher Bewertungsnormen wird ein Sprecher gerade nicht die Formulierung wählen, die qua Konvention seine Intentionen deutlich macht, da er dann Sanktionen seitens des Adressaten ausgesetzt wäre, die seinem Äußerungserfolg hinderlich sein könnten.
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Damit haben wir einen plausiblen Grund dafür, daß - abgesehen vom lokutionären Aspekt - Konventionalität einer Äußerung für einen Sprecher häufig nur eine untergeordnete Rolle spielt. Woran orientiert er sich aber, wenn nicht hauptsächlich an der Konventionalität seiner Äußerung? Wieso kann er sagen: »das Eis dort drüben ist sehr dünn« und damit seinen Adressaten warnen wollen? Wenn man davon ausgeht, daß jeder Sprecher von seinem Adressaten verstanden werden und dadurch bei ihm eine bestimmte Reaktion hervorrufen will und daß er dies wirklich (ernsthaft) will, dann kann man jedem Sprecher unterstellen, daß er (ernsthaft) glaubt, dies mit seiner Äußerung bei seinem Adressaten auch tatsächlich erreichen zu können. Er muß sich also, wenn schon nicht an Konventionen für alle Mitglieder seiner Sprachgemeinschaft, wenigstens an seinem Adressaten orientieren: er wählt seine Formulierung aus dessen Sicht, indem er eine beiden gemeinsame Interpretation der jeweiligen Situation unterstellt und gemäß des Konditionals: >wenn du (in der von uns gemeinsam so-und-so interpretierten Situation) ich wärst, würdest du A äußern< selbst A äußert. Die Annahme >in der Situation S würdest du an meiner Stelle A äußern< ist für den Sprecher allerdings nur dann ein Erfolgsgarant, wenn er bei seinem Adressaten unterstellt, daß dieser seinerseits davon ausgeht, daß der Sprecher mit seinem Kommunikationsversuch eine Reihe komplexer Intentionen verbindet. Statt auf Konventionalität baut der Sprecher auf die Kooperation seines Adressaten. (Vgl. dazu weiter unten, Kap. 4.) Damit geht er natürlich ein Risiko ein: er kann sich in seiner Einschätzung der gemeinsamen Situationsinterpretation irren, und selbst, wenn dies nicht der Fall ist, was sich im Verlauf der weiteren Kommunikation herausstellen würde, kann sich seine Beurteilung der Situationsangemessenheit der Äußerung aus der Sicht des Adressaten - ebenfalls im weiteren Kommunikationsverlauf als falsch herausstellen. Andererseits: wenn der Sprecher statt auf Kooperation auf Konventionalität baut, kann er vom Adressaten ausdrücklich für seine offenkundigen Intentionen zur Verantwortung gezogen werden. (Vgl. Strawson (dt. 1974), 80.) Der Sprecher ist und bleibt ein riskantes Subjekt, und es gibt keine theoretischen Bestimmungen, durch die sich das tatsächliche Durchsetzen von Sprecherintentionen ein für allemal garantieren ließe.
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Wir können jetzt zusammenfassend folgendes festhalten: (i) Ein Sprecher verbindet mit einem Kommunikationsversuch immer die folgenden komplexen Intentionen: Die primäre Intention: (1) S will, daß H eine bestimmte Reaktion r zeigt Die sekundären Intentionen: (ii) S will, daß H erkennt, daß (i) (iii) S will, daß H aufgrund der Erkenntnis von (i) die Reaktion r zeigt (iv) S will, daß H erkennt, daß (ii) (2) Ein Sprecher kann die Intentionen (i) bis (iv) durchzusetzen versuchen: (a) indem er eine Formulierung wählt, durch die (i) bis (v) qua Konvention ausgedrückt sind; dies gilt vor allem für explizit performative Formulierungen, aber auch für andere konventionalisierte Ausdrücke wie Imperative und Fragesätze sowie für Äußerungen, in denen Partikel wie bitte, danke, nicht? oder doch als Indikatoren für illokutionäre Rollen verwendet werden; (b) ein Sprecher kann die Intentionen (i) bis (iv) durchzusetzen versuchen, indem er, statt eine konventionalisierte Formulierung zu verwenden, auf die Kooperation seines Adressaten baut; er wählt eine bestimmte Formulierung A unter den folgenden beiden Kooperationsbedingungen (KB): (KB 1): S geht davon aus, daß H davon ausgeht, daß S die komplexen Intentionen (i) bis (iv) hat (KB 2): S geht davon aus, daß H an seiner Stelle in der Situation S die Formulierung A wählen würde (KB 1) entspricht in gewisser Weise dem Schifferschen Zusatz zum Gnceschen Mechanismus. Allerdings ist sie - im Unterschied zu Schiffer - nicht für jeden Fall eines Kommunikationsversuchs als notwendig anzusehen, sondern nur für die Fälle indirekter Formulierung, die allerdings die alltagssprachlich überwiegenden darstellen. Die Tatsache, daß ein Sprecher die komplexen Intentionen (i)
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bis (iv) hat, wenn er zu kommunizieren versucht, gehört zum wechselseitigen Wissen innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Mit (KB i) ist also auch eine Lewisschen Konvention ausgedrückt. Dies heißt aber nicht, daß deshalb die Fälle indirekter Formulierungen selbst als konventionalisiert anzusehen sind. Die geltende Konvention der gegenseitigen Erwartbarkeit komplexer Sprecherintentionen legt ja nicht fest, welche illokutionäre Rolle eine Äußerung jeweils hat, sondern sie soll dem Adressaten als eine Art Leitfaden dienen zum Verständnis der Äußerung als einer ganz bestimmten. Ob er sich an diesem Leitfaden auch tatsächlich orientiert, kann der Sprecher durch seine indirekte Formulierung nicht festlegen; er muß darauf bauen, daß sein Adressat insofern mit ihm kooperiert, als er die geltende Konvention auf die gemachte Äußerung auch wirklich bezieht. (3) Bisher haben wir Kommunikationsversuche lediglich unter dem Gesichtspunkt ihres Zustandekommens betrachtet, d. h. wir haben aus der Perspektive eines jeweiligen Sprechers bestimmt, welche Bedingungen dieser erfüllen muß, damit ein Kommunikationsversuch überhaupt zustande kommt. In Analogie zum allgemeinen Handlungsbegriff haben wir zwischen Ergebnis und Folge einer kommunikativen Handlung unterschieden: das Ergebnis bezieht sich auf die sekundäre Intention eines Sprechers, bei seinem Adressaten die Erkenntnis seiner primären Intention herbeizuführen; die Folge bezieht sich auf die primäre Intention eines Sprechers, bei seinem Adressaten eine bestimmte Reaktion r hervorzurufen. Eine Handlung ist gelungen, wenn ihr Ergebnis erreicht ist, und sie ist erfolgreich, wenn ihre intendierte Folge eingetreten ist. Entsprechend können wir von einer kommunikativen Handlung sagen, daß sie gelungen ist, wenn der Adressat die primäre Intention rekonstruiert, d. h. verstanden hat, und daß sie erfolgreich ist, wenn der Adressat die primäre Intention erfüllt, d. h. die intendierte Reaktion r zeigt. (Vgl. Keller (1977), 10.) Um Verwirrungen der Begrifflichkeit von Gelingen und Erfolgreichsein vorzubeugen, sei hier angemerkt, daß die Ausdrücke Gelingen und Erfolgreichsein in der sprechakttheoretischen Literatur auch anders verwendet werden: Searle und mit ihm Wunderlich
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
beziehen Gelingen auf das Zustandekommen eines Sprechakts und Erfolgreichsein auf das Verstehen (Searle, 'Wunderlich) und r-Zeigen durch den Adressaten (Wunderlich), d. h. Gelingen wird nur durch sprecherseitige Bedingungen bestimmt, Erfolgreichsein durch hörerseitige. (Vgl. Wunderlich (i976), 110 ff.) Aus Gründen der Einheitlichkeit des Handlungsbegriffs bleibe ich bei einer hörerbezogenen Differenzierung von Gelingen und Erfolgreichsein und stelle diese den sprecherseitigen (intentionalen) Bedingungen für das Zustandekommen einer Äußerung gegenüber. Die hörerseitige Bestimmung durch Gelingen und Erfolgreichsein allein ist jedoch problematisch, da jemand zwar verstanden haben kann, was ein Sprecher intendiert, aber aus irgendeinem Grund die angestrebte Reaktion r nicht zeigen will. Um nochmals das alte Austinscht Beispiel zu zitieren: wenn jemand auf einer einsamen Insel zu einem anderen sagt: (i) Hol Holz zum Feuermachen! und dieser darauf so reagiert: (ii) du hast mir hier auf dieser einsamen Insel gar nichts zu befehlen dann hat er zwar verstanden, weigert sich aber, der primären Intention des Sprechers tatsächlich nachzukommen. Verstanden haben, was ein Sprecher will, führt nicht automatisch zum Erfolg. Der Adressat muß das, was der Sprecher von ihm will, seine primäre Intention, auch akzeptieren. (Vgl. Wunderlich (1976), 115 ff.) Wir haben es also bei kommunikativen im Unterschied zu anderen Handlungen mit einer Dreiteilung zu tun: Verstanden-haben als Handlungsergebnis - akzeptieren - Reaktion-r-zeigen als Handlungsfolge. Akzeptieren stellt das verbindende Glied in der Ergebnis-Folge-Kette dar. (4) Zum Abschluß dieses Kapitels scheinen mir noch Präzisierungen notwendig: die erste betrifft die zeitliche Aufeinanderfolge von verstanden haben - akzeptieren - r-zeigen. Die zweite betrifft die Reaktion r und was man darunter verstehen soll. Und die dritte betrifft den Gegenstandsbereich der hier diskutierten Konzeptionen von Kommunikationsversuch bzw. kommunikativer Handlung.
2. Intentionalität sprachlichen Handelns
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Die Sprecher- und hörerseitigen Bestimmungen kommunikativer Handlungen insgesamt sind im folgenden Schema nochmal zusammengefaßt: H I konventionale Bedingungen / Formulierung
I
(¡Miv)
( haben 1 J
Kooperations^ bedingungen
verstancjen
KOMMUNIKATIONSVERSUCH KOMMT ZUSTANDE IST GELUNGEN
akzeptieren
r
zeigen
IST ERFOLGREICH
Zur ersten Präzisierung der zeitlichen Aufeinanderfolge von verstehen - akzeptieren - r-zeigen. Es ist zunächst klar, daß alle drei hörerseitigen Bedingungen erst nach dem Kommunikationsversuch von S erfüllt werden können. Und es ist auch klar, daß Akzeptieren und r-Zeigen von H erst stattfinden können, wenn H verstanden hat. O b er tatsächlich richtig, d. h. die primäre S-Intention, verstanden hat, stellt sich häufig erst im Verlauf der Kommunikation heraus, die auf den betreffenden Kommunikationsversuch von S folgt. Das gleiche gilt für das Akzeptieren des Adressaten. Der Sprecher kann das Eintreten von Ergebnis und Folge seiner kommunikativen Handlungen oft nicht schon unmittelbar nach deren Ausführung überprüfen, sondern erst im Verlauf der weiteren Kommunikation zwischen S und H . Wenn er auf seinen Beitrag hin keine besonderen Nicht-Verstehens- oder Weigerungssignale des Adressaten erkennen kann, wird er zunächst davon ausgehen, daß dieser verstanden und akzeptiert hat. Im anderen Fall wird Verstehen und Akzeptieren selbst zum Thema der Kommunikation zwischen S und H : S wird erklären, wie er seine Äußerung gemeint hat und - um diese für seinen Adressaten akzeptabel zu machen - zusätzliche Begründungen für seinen so-und-so gemeinten Kommunikationsversuch liefern.
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
Das r-Zeigen von H kann, je nach Art eines Kommunikationsversuchs, zur Nachgeschichte einer zwischen S und H stattgefundenen Kommunikation gehören und als solches für S gar nicht mehr überprüfbar sein. Außerdem kann H durch irgendwelche, von ihm selbst unbeeinflußbaren Umstände daran gehindert werden, r zu zeigen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn jemand heute dazu aufgefordert wird, morgen etwas zu tun, was er auch akzeptiert, dann ihm aber in der Zwischenzeit ein physisches Malheur zustößt, das seine Fähigkeit zur Ausführung der geforderten Handlung beeinträchtigt. Verstehen und Akzeptieren eines Adressaten unterliegen also immer prinzipiell der direkten Kontrolliermöglichkeit durch den Sprecher, r-Zeigen von S dagegen nicht. (Vgl. Wunderlich (19 76) 117.) Zur zweiten Präzisierung, die das r-Zeigen von H und was man darunter verstehen soll, betrifft: Wir haben bereits gesagt, daß die Adressatenreaktion in einer kognitiven oder emotiven Einstellung (Glauben/für wahr Halten - für gut/schlecht Halten) oder in einer Handlungsausführung bestehen kann. Und wir haben gesehen, daß in der Nachfolge von Austin die Meinung vertreten wurde, das r-Zeigen von H im obigen Sinn beziehe sich nur auf eine beschränkte Auswahl von kommunikativen Handlungen, aber nicht auf alle. Damit stellte sich auch die Frage, ob die Reaktion r als Inhalt einer primären Sprecherintention immer als notwendig angenommen werden soll oder ob es nicht sinnvoller sei, die primäre Sprecherintention auf das Verstehen durch den Adressaten zu beschränken. In der Zusammenfassung unter Punkt (1) bin ich stillschweigend von der Konzeption ausgegangen, daß die notwendigen Bedingungen für das Zustandekommen eines Kommunikationsversuchs die primäre Intention der r-Reaktion enthalten. Um es noch deutlicher zu formulieren: ich gehe davon aus, daß jeder Kommunikationsversuch wesentlich dadurch bestimmt ist, daß mit ihm auf den Adressaten Einfluß ausgeübt werden soll, sei es in seinen Gedanken, Gefühlen oder Handlungen.Dies läßt sich für einen Teil kommunikativer Handlungen wie Aufforderungen, Drohungen, Warnungen, Ratschläge u. a. sowie für viele institutionsgebundene Äußerungen leicht aufrecht erhalten. Welchen Einfluß will ich aber auf meinen Adressaten ausüben, wenn ich z. B. meine letzten Ur-
2. Intentionalität sprachlichen Handelns laubserlebnisse erzähle, Bemerkungen über das unwirtliche Klima Mitteleuropas mache oder über die Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung schimpfe? Eine eindeutige Bestimmung der beabsichtigten Reaktion r scheint hier schwierig; man könnte meinen, daß mit solchen Kommunikationsbeiträgen nichts weiter beabsichtigt wird, als daß der Adressat zuhört und versteht. In solchen Fällen würde auch eine direkte Sprecherbefragung nicht viel weiterhelfen: oft können wir unsere Absichten einem Adressaten gegenüber nicht direkt formulieren. Dies muß nun aber nicht bedeuten, daß es Kommunikationsversuche gibt, die nicht durch Einflußnahme auf den Adressaten bestimmt werden können. Im allgemeinen handlungstheoretischen Teil dieser Einführung habe ich im Anschluß an Austin gezeigt, daß uns unser Wissen von Handlungen und deren Ausführungsbedingungen erst dann bewußt wird, wenn es Probleme gibt. Dies können wir auf kommunikative Handlungen übertragen: was wir mit einem Kommunikationsversuch beim Adressaten wirklich wollen, stellt sich für uns häufig erst dann heraus, wenn der Adressat in einer Weise reagiert, die - und das wird uns genau in diesem Augenblick klar - nicht beabsichtigt war. So merken wir zum Beispiel beim Erzählen vom Urlaub, daß der Adressat gleichgültig und unbeteiligt bleibt, während wir ihn doch belustigen wollten. Oder wir vermissen Zustimmung, wenn wir über irgendwelche bestehenden Zustände schimpfen usw. Solche Negativerfahrungen, die wir als Sprecher laufend machen, liefern uns den Grund für die Annahme einer entsprechenden positiv bestimmten Sprecherintention. Diese muß natürlich nicht auf jeweils eine Äußerung beschränkt sein; in den obigen Beispielen versucht der Sprecher durch mehrere Kommunikationsbeiträge jeweils ein und dieselbe Reaktion r - Belustigung und Zustimmung - herbeizuführen. Die dritte und letzte Präzisierung betrifft den Gegenstandsbereich der hier erörterten Kommunikationskonzepte. Sie beziehen sich auf einen Ausschnitt der Menge aller Vorkommen, die gemeinhin mit dem Ausdruck Kommunikation bezeichnet werden: in erster Linie auf mündliche Kommunikationsvorkommen. Ich halte diese Einschränkung für äußerst nützlich angesichts der inflationären Verwendung des Ausdrucks Kommunikation in unserer Sprache. Erst
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
wenn man eine präzise Bestimmung eines Kommunikationsbegriffs hat, kann man prüfen, ob und wie man diese erweitern kann oder soll. Und dann kann man sich auch fragen, ob es sinnvoll ist, das Lesen eines Buchs, das Anschaun eines Fernsehkrimis oder das Spielen eines Telespiels Kommunikation zu nennen.
3- Regeln und Regelformulierungen Im vorausgegangenen Kapitel haben wir uns mit der Frage beschäftigt, unter welchen sprecherseitigen Bedingungen ein Kommunikationsversuch zustande kommt und unter welchen hörerseitigen Bedingungen ein solcher Kommunikationsversuch als gelungen und erfolgreich zu betrachten ist. Damit haben wir zunächst nur einen allgemeinen begrifflichen Rahmen für sprachliche Handlungen, der in einem nächsten Schritt ausgefüllt werden muß. Austin hatte gesagt, daß es für illokutionäre Akte ein konventionales Verfahren geben müsse, das festlegt, als was eine Äußerung in einer bestimmten Situation gelten soll. Wir haben gesehen, daß sich die Behauptung in dieser allgemeinen Form nur für explizit performative Äußerungen aufrecht erhalten läßt; für indirekte Formulierungen läßt sich meist kein konventionales Verfahren ausmachen, nach dem die illokutionäre Geltung einer Äußerung festgelegt werden kann. Dies heißt zunächst nur, daß es keine Konventionen gibt, die eine bestimmte indirekte Formulierung mit einer bestimmten illokutionäre Rolle verknüpfen. Dies wiederum heißt allerdings nicht, daß es für illokutionäre Akte selbst kein konventionales Verfahren gibt; wenn eine Äußerung als ein ganz bestimmter illokutionärer Akt gemeint und als solcher verstanden ist, dann hat dieser illokutionäre Akt für den Sprecher und seinen Adressaten eine Bedeutung, die konventional oder durch Regeln festgelegt ist. Und die verschiedenen illokutionären Akte, die wir in unserer Sprache vollziehen können, unterscheiden sich durch verschiedene konventionale Verfahren oder Regeln voneinander. J. R. Searle hat sich in seinem Buch „Speech Acts" näher mit der Frage nach der Regelhaftigkeit illokutionärer Akte beschäftigt. Auf diesen Aspekt - und nicht etwa auf die gesamte Searlesche Sprechakttheorie 16 - gehe ich im folgenden näher ein. Trotz des Bekanntheitsgrads der Searle sehen Überlegungen scheint mir dies Eingehen vor allem aus drei Gründen wichtig:
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H- Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
- die Searleschen Vorschläge für Regelformulierungen haben eine enorme Wirkung auf Untersuchungen von Sprechakten im Bereich der linguistischen Pragmatik gehabt; - an den Searleschen Regelformulierungen lassen sich besonders gut Schwierigkeiten aufzeigen, in die man gerät, wenn man Regeln für jeweilige Sprecher und Adressaten formulieren will; - die Searleschen Regeln eignen sich besonders gut als Illustration der Austinschen These, daß Sprechen immer mehr ist als nur ein paar Wörter sagen.
J.I Searles Regeltypen und Regeln für Sprechakte Sprachliche Äußerungen werden von Searle terminologisch etwas anders benannt als bei Austin. Unterschiedslos - ohne den leisesten Hauch einer performativ-konstativ-Unterscheidung - werden sie unter den Oberbegriff Sprechakte subsumiert, zu deren Vollzug immer drei Akte notwendig sind (vgl. Searle (dt. 1971), 40.): - ein Außerungsakt; das Äußern von Wörtern (Morphemen und Sätzen) - ein propositionaler Akt; Referenz und Prädikation, d. h. ein Ausdruck, der festlegt, über welchen Gegenstand (Person, Ding, Sachverhalt) geredet werden soll, und ein Ausdruck, der über diesen etwas aussagt; - ein illokutionärer Akt. Dies entspricht in etwa der Austinschen Einteilung in lokutionären (bei Searle: Äußerungs- und propositionaler Akt) und illokutionären Akt. Propositionale Akte und damit auch die jeweiligen Äußerungsakte können nicht selbstständig vorkommen; sie sind notwendig an illokutionäre Akte gebunden, während das Umgekehrte nicht gilt: Äußerungen wie »Hilfe!«, »Achtung!«, »Feuer!« usw. können durchaus als illokutionäre Akte des Flehens oder Warnens gelten, ohne daß propositionale Akte vollzogen werden, oder, wie Searle auch sagt: ohne daß sie einen propositionalen Gehalt haben. Sprechakte sind also illokutionäre Akte, die einen propositionalen Gehalt haben. Damit ist Äußerungs- und propositionaler Akt impliziert. Ein Sprechakt wie (i) ich bitte dich (= Paul) zu kommen
3. Regeln und Regelformulierungen
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enthält die explizit performative Formel (»ich bitte dich«) und den propositionalen Gehalt,Pauls Kommen'. Alle Ausdrücke, die sich auf die illokutionäre Rolle eines Sprechakts beziehen, nennt Searle illokutionäre Indikatoren, wozu - wie im obigen Beispiel - explizit performative Formeln, aber auch Partikel wie bitte oder nicht? und Satzmodi wie Imperative und Fragesatz gehören; alle Ausdrücke, die sich auf den propositionalen Gehalt eines Sprechakts beziehen, sindpropositionale Indikatoren. (Vgl.Searle (dt. 1971), 57.) Zusätzlich zu diesen drei Teilakten, die einen Sprechakt ausmachen, führt Searle noch die perlokutionären Akte an, die jedoch - wie wir bereits gesehen haben - seiner Meinung nach nicht immer notwendig zum Vollzug eines Sprechakts gehören. Die im folgenden diskutierten Searle sehen Überlegungen zur Regelhaftigkeit und Regelformulierung beziehen sich auf Sprechakte im obigen Sinn, also auf illokutionäre Akte mit jeweils einem propositionalen Gehalt. Illokutionäre Akte sind regelgeleitet, und zwar durch konstitutive Regeln, die Searle von einem anderen Regeltyp, den regulativen, unterscheidet: konsitutive Regeln begründen eine Tätigkeit bzw. Handlung erst als eine ganz bestimmte, regulative regeln eine bereits existierende Tätigkeit oder Handlung. Regulative Regeln lassen sich durch Imperative formulieren: »wenn du Futter schneidest, halte das Messer in der rechten Hand« oder: »Offiziere haben beim Essen eine Krawatte zu tragen«, konstitutive Regeln lassen sich dagegen so formulieren: »ein König ist dann Schachmatt gesetzt, wenn er so angegriffen wird, daß er keinen Zug machen kann, ohne angegriffen zu sein« oder: »ein Tor ist dann erzielt, wenn ein Spieler den Ball während des Spiels hinter die Mallinie oder über das Mal des Gegners gebracht hat«. Konstitutive Regeln können durch die Formel X gilt als Y bzw. X gilt als Y im Kontext C repräsentiert werden. (Vgl. Searle (dt. 1971), 55 f.) Nun scheinen aber solche Formulierungen ziemlich willkürlich zu sein, zumal
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
man das Befolgen von regulativen Regeln auch mit dem Schema >X gilt als Y< beschreiben kann, z. B.: (ii) Ein Handkuß beim Begrüßen einer Dame gilt als galantes Benehmen (iii) Das Tragen von Blue-Jeans bei Beerdigungen gilt als unschickliches Benehmen Diese Beschreibungen sind denen konstitutiver Regeln ziemlich ähnlich, vgl. z. B. für den amerikanischen Fußball: (iv) die Beförderung des Balls durch einen Spieler hinter die Mallinie gilt als Tor Der Unterschied zwischen (ii) bzw. (iii) und (iv) besteht nach Searle darin, daß die Ausdrücke, die jeweils Y ersetzen, ganz verschiedener Natur sind. Während »Tor« die Handlung, als die X gelten soll, benennend spezifiziert, werden durch die Ausdrücke »galantes« bzw. »unschickliches Benehmen« keine Handlungen als solche spezifiziert, sondern die Handlung oder das Verhalten, das für X eingesetzt ist, wird bewertet. (Vgl. Searle (dt. 1971), 58.) Sprechakte werden in Übereinstimmung mit Gruppen konstitutiver Regeln vollzogen auf der Basis geltender Konventionen einer jeweiligen Sprache. Diese beziehen sich nach Searle auf die Sprachregeln im engeren Sinn, also auf phonologische, syntaktische und semantische Regeln, die je nach Sprache unterschiedlich sind. Konstitutive Regeln können jedoch in verschiedenen Sprachen gleichermaßen gelten: „Daß man im Französischen ein Versprechen geben kann, indem man »je promets« sagt und im Englischen, indem man »I promise« sagt, ist eine Sache der Konvention. Aber daß die Äußerung eines zum Vollzug des Versprechens dienenden Mittels (unter geeigneten Bedingungen) als Übernahme einer Verpflichtung gilt, hängt von Regeln und nicht von Konventionen des Französischen ab." (Searle (dt. 1971), 64.) Damit dürfte die Unterscheidung zwischen Konventionen und konstitutiven Regeln bei Searle klar, wenn auch sicher nicht unproblematisch sein: offenbar wird hier die Meinung vertreten, daß Sprechakte wie >VersprechenWarnenAuffordernBehaupten< usw. Realisierungen ein und desselben außereinzelsprachlichen, zugrundeliegenden Regelsystems dar-
3. Regeln und Regelformulierungen
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stellen. (Vgl. Searle (dt. 1971), 64 f.; Bremerich-Vos (1981), 64.) Eine solche Annahme, nach der alle Sprecher dieser Welt solche Sprechakte nach denselben Regeln bzw. Regelsystemen produzieren, ist bestimmt angreifbar, was wir aber hier aus Platzgründen nicht machen können. (Vgl. aber Bremerich-Vos (1981), 63 ff.) Was bei Austin konventionales Verfahren genannt wurde, wird bei Searle zum System konstitutiver Regeln, die für illokutionäre Akte gelten sollen. Deren Struktur wird exemplarisch untersucht, indem die konstitutiven Regeln als Bedingungen formuliert werden. Es ist wichtig, sich nochmal die Voraussetzung vor Augen zu führen, die Searle für die Gültigkeit seiner Bedingungen macht. Diese Voraussetzung ist in der folgenden Ausgangsfrage enthalten „Welche Bedingungen sind notwendig und hinreichend, damit der Akt des Versprechens (das Beispiel für illokutionäre Akte, G. H.) mittels der Äußerung eines gegebenen Satzes erfolgreich und vollständig vollzogen wird." {Searle (dt. 1971), 84.) Eine Handlung, und ein Sprechakt ist für Searle (auch) eine Handlung, ist erfolgreich, wenn ihr Ergebnis erreicht und ihre Folge/n eingetreten ist/sind; im Fall sprachlicher Handlungen, wenn der Adressat die S-Intentionen erfüllt. Diese waren bei Searle auf die Intention des Verstandenwerdens reduziert. Hier nochmal die einschlägige Stelle: »Indem ich spreche, versuche ich, meinem Zuhörer bestimmte Dinge dadurch zu übermitteln, daß ich ihn dazu bringe, zu erkennen, daß ich ihm jene Dinge zu übermitteln beabsichtige. Ich erreiche die beabsichtigte Wirkung auf den Zuhörer dadurch, daß ich ihn dazu bringe zu erkennen, daß ich jene Wirkung zu erreichen beabsichtige, und sobald der Zuhörer erkannt hat, was ich zu erreichen beabsichtige, habe ich im allgemeinen erreicht, was ich wollte. Er hat verstanden, was ich sagen will, sobald er erkannt hat, daß die Absicht meiner Äußerung die war, das und das zu sagen." (Searle (dt. 1971), 69.) Welche sind nun die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für illokutionäre Akte unter dem Gesichtspunkt des Verstandenwerdens? Searle gibt zunächst eine ausführliche Analyse des Sprechakts > Versprechens wobei er - wie bei all seinen anderen Beispielen auch - von einer expliziten Formulierung ausgeht, und faßt dann die Regeln, die für den Indikator der illokutionären Rolle (also die explizit performative Formel) gelten sollen, in vier Typen
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
zusammen. Ich gebe im folgenden zunächst die Zusammenfassung wieder und verdeutliche sie anschließend am Beispiel des >AuffordernsAufforderns< verteilen sich die Regeltypen so (vgl. Searle (dt. 1971), 98.): (1) Regeln des propositionalen Gehalts; Beim Auffordern wird normalerweise auf eine zukünftige Handlung A des Hörers (H) Bezug genommen; Searles Formulierung: Zukünftige Handlung A von H (2) Einleitungsregeln; Wenn man jemanden auffordert, dann tut man dies normalerweise nur dann ernsthaft, wenn man bestimmte Zustandsannahmen hat, z. B. daß der Adressat in der Lage ist, das Verlangte zu tun sowie daß es es nicht von selbst - also ohne daß er dazu aufgefordert wird - tut. Searles Regelformulierungen: 1. H ist in der Lage, A zu tun. S glaubt, daß H in der Lage ist, A zu tun 2. Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, daß H bei normalem Verlauf der Ereignisse A aus eigenem Antrieb tun wird (3) Regel der Aufrichtigkeit; Searles Formulierung: S wünscht, daß H A tut
3. Regeln und Regelformulierungen
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(4) Wesentliche Regel; Searles Formulierung: >Auffordern< gilt als ein Versuch, H dazu zu bringen, A zu tun Diesen Searleschen Regelkatalog werde ich unter den folgenden vier zusammenhängenden Gesichtspunkten kritisch erörtern: (1) (2) (3) (4)
J.I.I
Was wird durch die Regeln thematisiert? Sind die Regeln vollständig? Sind die Regeln adäquat formuliert? Gibt es eine Reihenfolge beim Erfüllen der Bedingungen/Regeln? Was wird durch die Regeln thematisiert?
Wenn man sich die Searlesehen Regeln näher ansieht, wird deutlich, daß sie sehr Unterschiedliches thematisieren: mit der Regel des propositionalen Gehalts wird auf die sprachliche Äußerung selbst und das, was sie ausdrücken soll, Bezug genommen. Mit den Einleitungsregeln wird auf die Zustandsannahmen eines Sprechers sowie dessen Adressaten Bezug genommen. Die formulierten Bedingungen haben Ähnlichkeit mit allgemeinen Bedingungen, unter denen wir unser Tun überhaupt als rationales Handeln bewerten: wenn eine Handlung ernsthaft vollzogen werden soll, geht der Handelnde immer davon aus, daß seine Handlung in der Situation, in der er sich befindet, sinnvoll ist. Im Fall einer Aufforderung ist diese Handlung nur dann sinnvoll für den Handelnden, wenn er nicht der Meinung ist, daß sich das, was er in der Welt verändern will (= H tut A) notwendig, ohne seinen eigenen Beitrag einstellen wird. Und, da die Veränderung, die der Handelnde herbeiführen will, beim Adressaten liegt, wird er nicht davon ausgehen, daß dieser - aus welchem Grund auch immer - die verlangte Handlung gar nicht erst auszuführen in der Lage ist. Jemanden, der im Rollstuhl sitzt, zum Fußballspiel veranlassen zu wollen, ist überhaupt keine Aufforderung, sondern blanker Zynismus! Die Aufrichtigkeitsregel ,S wünscht, daß H A tut' kann man in zwei Hinsichten interpretieren: entweder sie bezieht sich auf eine intentionale Bedingung des Aufforderns oder sie bezieht sich auf eine
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II. Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
Präferenz oder ein Motiv des Handelnden, das die Intention des ganz speziellen Aufforderungsakts erst bestimmt. Da Searle aber von explizit performativen Äußerungen als gegeben ausgeht, ist die erste Interpretation sicher die ihm adäquate. Die wesentliche Regel ,gilt als ein Versuch, daß H A tut' ist eine semantische. Sie unterscheidet sich von der Regel des propositionalen Gehalts, die ja auch eine semantische Regel im weitesten Sinn ist, in einem entscheidenden Punkt: Die Formulierung der wesentlichen Regel ist die Repräsentation einer konstitutiven Regel par excellence: ,X gilt als Y'. Für X kann ,Auffordern' eingesetzt werden, was bei der Formulierung der Regel des propositionalen Gehalts sowie aller übriger Regeln nicht möglich ist. Das Produkt einer solchen Einsetzung könnte man auch als Formulierung einer lexikalischen Regel verstehen: mit ihr wird die Bedeutung des Ausdrucks auffordern erläutert. Ein solches Verständnis würde allerdings die Searle sehe Unterscheidung zwischen Konventionen und konstitutiven Regeln erheblich erschüttern. Ohne auf dieses bereits angedeutete Problem näher einzugehen, können wir beim Searleschen Regelkatalog unterscheiden zwischen - allgemeinen Handlungsregeln, mit denen Zustandsannahmen eines Handelnden thematisiert werden, den Einleitungsregeln; - der intentionalen Bedingung für die Aufforderung, die Aufrichtigkeitsregel; - den semantischen Regeln (a) die Regel, die festlegt, wovon in einer Äußerung die Rede ist, die Regel des propositionalen Gehalts; (b) die Regel, die festlegt, als was ein illokutionärer Akt gilt, die wesentliche Regel. 3.1.2
Sind die Regeln
vollständig?
Die von Searle angeführten Bedingungen sollen solche sein, unter denen ein Sprechakt vollständig und erfolgreich vollzogen wird. Der Erfolg eines Sprechakts ist sein Verstandenwerden durch den Adressaten. Die Prüfung der aufgestellten Regeln unter diesem Gesichtspunkt weckt Widerspruch: wieso sind für das Verstehen die beiden Einleitungsbedingungen notwendig?:
3. Regeln und Regelformulierungen
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1. H ist in der Lage, A zu tun 2. Es ist für (S und) H nicht offensichtlich, daß H bei normalem Verlauf der Ereignisse A aus eigenem Antrieb tun wird Verstehen kann der Adressat die Äußerung, mit der eine Aufforderung vollzogen werden soll, auch, ohne die beiden oben ganannten Bedingungen zu erfüllen. (Vgl. auch Wunderlich (1976), 1 1 1 f.) Dafür reicht sogar seine Kenntnis der wesentlichen Regel. Die beiden von Searle formulierten Einleitungsregeln sind also nur notwendig, wenn damit garantiert werden soll, daß der Adressat die Äußerung als Aufforderung an ihn akzeptiert. Davon ist jedoch bei Searle nicht die Rede. Insofern könnte man sagen, daß die angeführten Regeln zu vollständig sind. Aber andererseits: sind die beiden Zustandsannahmen, von denen ein Sprecher, der eine Aufforderung äußert, ausgeht, auch hinreichend für die Bestimmung des Sprechakts >Auffordern