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German Pages 304 Year 2004
Gisela Harras
Handlungssprache und Sprechhandlung Eine Einführung in die theoretischen Grundlagen 2., durchgesehene und erweiterte Auflage
w DE
G Walter de Gruyter Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017677-7 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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Vorwort zur Neubearbeitung Die vorliegende Einführung ist eine Neubearbeitung des gleichnamigen Bandes der Sammlung Göschen, der 1983 erschienen ist, und das ist über zwanzig Jahre her. Da sollte man meinen, dass sich eine ganze Menge getan hat. Wenn man jedoch näher hinschaut, stellt sich heraus, dass die Erwartungen die Realitäten der philosophischen und linguistischen Bemühungen übersteigen: In der allgemeinen analytischen Handlungstheorie sind nach wie vor die Arbeiten DAVIDSONS, von WRIGHTS und GOLDMANS wegweisend (vgl. STOECKER (2001).) und damit auch die Frage nach dem Unterschied zwischen intentionalistischen und kausalistischen Betrachtungsweisen von menschlichen Handlungen; in der Theorie des sprachlichen Handelns werden immer noch Probleme der Performativität (neuerdings der Performanz), des Perlokutionären und der Intentionalität des sprachlichen Handelns diskutiert. Bei der Neubearbeitung des Buches bin ich im Einzelnen folgendermaßen verfahren: Der erste Teil - Handlungssprache analytische Handlungstheorie - ist um einen Abschnitt ergänzt worden, in dem die intentionalistische und die kausalistische Sicht von Handlungen und die Möglichkeiten ihrer Beschreibung noch einmal genauer unter die Lupe genommen und damit auch die Positionen der analytischen Handlungstheorie gebündelt werden. Im zweiten Teil - Sprechhandlung - Theorien sprachlichen Handelns - habe ich das Wittgenstein-Kapitel um einen Exkurs ergänzt, in dem Kripkes skeptizistische Deutung des Wittgensteinschen Regelbegriffs vorgestellt und mit Chomskys Erwiderung konfrontiert wird, wodurch zwei fundamental entgegengesetzte Sprachauffassungen herauskristallisiert werden. Im Anschluss an die Darstellung der Sprechakttheorie Austins ist ein Kapitel über Performativität eingefügt, in dem für die eigenständige Qualität des Performativen plädiert wird; die Darstellung der intentionalistischen Theorie des Kommunizierens von Grice ist durch bedeutungstheoretische und semiotische Aspekte erweitert worden. In der Darstellung der Sprechakttheorie Searles wurde dessen Theorie der institutionellen Tatsachen im Zusammenhang mit dem Regelbegriff berücksichtigt; nicht berücksichtigt wurde allerdings die Searlesche
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Vorwort zur Neubearbeitung
Theorie der Intentionalität, weil mit ihr auch ein Paradigmenwechsel zur kognitivistischen Betrachtungsweise von Sprache verbunden ist, deren Behandlung und Diskussion den Rahmen dieses Einführungsbuchs sprengen würde. Schließlich findet sich im Anschluss an die Erörterung des Griceschen Kooperationsprinzips ein umfängliches Kapitel zur neueren Implikaturentheorie. Gisela Harras
Inhalt Einleitende Vorbemerkung
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I Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
3
1 Was ist eine Handlung? 1.1 Aller Anfang ist schwer: Wie soll man theoretisch an Handlungen herangehen? 1.2 Handlung = Tun + Absicht?
5 5 12
2 Wie werden Handlungen beschrieben? 16 2.1 Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts' auf Handlungsbeschreibungen 16 2.1.1 Gibt es die ,Normarbeschreibung einer Handlung? 18 2.1.2 Unterschiedliche Beschreibungen einer Handlung beziehen sich auf ein Objekt der Beschreibung 24 2.1.3 Unterschiedliche Beschreibungen einer Handlung beziehen sich auf mehrere Objekte der Beschreibung 32 2.1.4 Die beiden Auffassungen DAVIDSON vs. GOLDMAN - unter der Lupe . 43 2.2 Grenzen der Handlungsbeschreibung Basishandlungen 51 3 Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext 59 3.1 Sind Handlungsbeschreibungen askriptiv? . . . . 59 3.2 Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen als Ausgangsbasis für eine allgemeine Bestimmung menschlichen Handelns 63 3.2.1 AUSTINS Ansatz 67 3.2.2 Stadien der komplizierten Maschinerie des Handelns . 69
VIII
Inhalt
3.2.3 Kommunikative Aspekte eines allgemeinen Modells menschlichen Handelns 3.3 Zusammenschau einiger Handlungsbestimmungen
70 74
4 Kausalität und Handlungserklärungen Literatur
76 87
II Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
93
1 Von einer Kritik philosophischer Bedeutungstheorien zur Entwicklung einer Theorie sprachlichen Handelns: WITTGENSTEIN und AUSTIN 95 1.1 WITTGENSTEINS Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns 96 1.2 Exkurs: KRIPKES skeptizistische Auslegung WITTGENSTEINS und CHOMSKYS kognitivistische Umdeutung - zwei fundamentale Sprachbegriffe 103 1.3 AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte . 114 1.3.1 Der Ausgang: Kritik am Wahr/Falschheitskriterium der semantischen Bestimmung von Äußerungen 114 1.3.2 Die Beurteilung performativer Äußerungen nach dem, was alles schiefgehen kann oder:
die Lehre von den Unglücksfällen 1.3.3 Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung: performativ - konstativ 1.3.4 Die ,neue' Theorie der Sprechakte
115 121 126
2 Performativität als fundamentale Eigenschaft von Äußerungen in der ersten Person 143 2.1 Ursprüngliche Performativa und Illokutionen . . 143 2.2 Die Unmöglichkeit der Ableitung des Performativen aus dem Assertiven 145 2.3 Gibt es Beschränkungen für den performativen Gebrauch? 152
Inhalt
IX
3 Intentionalität sprachlichen Handelns 3.1 Komplexe Intentionen oder: wie man dunkle Machenschaften eines Sprechers verhindern will . 3.1.1 GRICE und das Grundmodell 3.1.2 STRAWSONS zusätzliche Intention 3.1.3 SCHIFFERS ,Long Way to Tipperary' und BENNETTS Offenheitsklausel 3.1.4 Ein Vermittlungsverschlag: das GRiCEsche Grundmodell muss nur um die STRAWSONBedingung erweitert werden 3.1.5 Exkurs: Eine semiotische Reformulierung des Kommunikationsbegriffs 3.2 Verstehen des illokutionären Akts als wesentliche S-Intention 3.2.1 SEARLES Kritik an GRICE 3.2.2 Das Verstehen illokutionärer Akte als konventionale Verhaltensdisposition: SAVIGNYS zuhörerbezogene Analyse des Bedeutungsbegriffs 3.3 Kommunizieren - ein Balanceakt zwischen Intention und Konvention oder: der Sprecher als riskantes Subjekt
155
4 Regeln und Regelformulierungen 4.1 SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte . 4.1.1 Was wird durch die Regeln thematisiert? . . 4.1.2 Sind die Regeln vollständig? 4.1.3 Sind die Regeln adäquat formuliert? . . . . 4.1.4 Gibt es eine Reihenfolge beim Erfüllen der Bedingungen/Regeln 4.1.5 Wie werden Regeln befolgt? 4.2 Sprechaktkonzepte als Mittel zur Herstellung von Interaktionsbeziehungen
209 210 217 218 219
5 Indirekte Sprechakte 5.1 Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte 5.2 Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution 5.2.1 Generalisierte versus partikulare Implikaturen
228
155 158 167 169 177 182 188 188
191 196
221 223 225
228 236 236
X
Inhalt
5.2.2 Die ganz normale Unterspezifiziertheit sprachlicher Äußerungen: generalisierte Implikaturen 5.2.3 Partikulare Implikaturen 5.2.3.1 Das Tantologisieren 5.2.3.2 Das Ironisieren 5.2.3.3 Das Metaphorisieren 5.2.3.4 GRiCEsches Reden 5.2.4 Schwierigkeiten bei der Bestimmung dessen, was wörtlich gesagt ist 5.3 Formulierungsmöglichkeiten indirekter Sprechakte und Sprechaktbedingungen 5.3.1 Was sind indirekte Sprechakte? 5.3.2 Formulierungen indirekter Sprechakte am Beispiel von ,auffordern'
242 246 246 250 252 253 256 262 262 265
6 Probleme der Klassifikation von Sprechakten . . . . 270 6.1 SEARLES Klassifikation von Sprechakten 270 6.1.1 Der erste Einwand: die Willkürlichkeit der Formulierung illokutionärer Zwecke . 274 6.1.2 Der zweite Einwand: das Kriterium der Anpassungsrichtung ist nicht ausreichend differenziert 276 6.1.3 Der dritte Einwand: zu welchem Typ ein jeweiliger Sprechakt gehört, hängt von seinem propositionalen Gehalt ab 277 6.1.4 Der vierte Einwand: mit der SEARLEschen Klassifikation werden nicht Sprechakte, sondern Sprechaktaspekte klassifiziert . . . 278 6.2 HABERMAS' universale Geltungsansprüche und Sprechhandlungstypen 279 Literatur
285
Sachregister
292
Einleitende Vorbemerkung In diesem einführenden Buch werden wesentliche theoretische Grundlagen für die Bestimmung und Untersuchung von Handlungen und sprachlichen Äußerungen (in ihrer Eigenschaft als Handlungen) dargestellt und kritisch erörtert. Damit ist auch gesagt, dass sich der Adressatenkreis dieser Einführung nicht nur auf Linguisten beschränkt, sondern Literaturwissenschaftler, Soziologen und Sprachphilosophen mit einschließt, insofern nämlich, als der engere Rahmen einer linguistischen Pragmatik, deren Hauptziel in der Beschreibung einzelsprachlicher Äußerungen besteht, überschritten wird. Im ersten Teil, den ich „Handlungssprache: analytische Handlungstheorie" genannt habe, wird zunächst eine Darstellung analytischer anglo-amerikanischer Handlungsphilosophien gegeben. Diese Schwerpunktsetzung - und damit auch der Ausschluss soziologischer Handlungsmodelle wie die von MAX WEBER oder ALFRED SCHÜTZ - ist folgendermaßen motiviert: - Erstens: Die Konzeption einer sprachlichen Handlungstheorie, die der linguistischen Pragmatik zugrunde liegt, ist in erster Linie von der anglo-amerikanischen analytischen Handlungsphilosophie beeinflusst worden; - Zweitens: Analytische Handlungsphilosophien sind sprachbezogen. Die Frage: Was ist eine Handlung? wird in die Frage: Was ist eine Handlungsbeschreibung? umformuliert. Die Bestimmungsmerkmale für Handlungen werden aus der Untersuchung von möglichen Handlungsproblematisierungen gewonnen, ein Verfahren, das AUSTIN auf sprachliche Handlungen überträgt; - Drittens: Ende der siebziger Jahre ist eine Reihe von Sammelbänden zu den wesentlichen Problemen der analytischen Handlungstheorie erschienen (vgl. das Literaturverzeichnis am Ende des ersten Teils). Die dort abgedruckten Aufsätze sind - trotz der einführenden Bemerkungen der Herausgeber dieser Sammelbände - schwierig zu lesen. Hier eine Hilfe zu geben, schien mir auch eine sinnvolle Aufgabe für dieses Einführungsbändchen.
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Einleitende Vorbemerkung
Im zweiten Teil: „Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns" habe ich die wichtigsten handlungstheoretischen Gesichtspunkte aus einer detaillierten Darstellung der AUSTINschen Konzeption herausgearbeitet und im Folgenden aufgezeigt, in welche Richtungen sie weiterentwickelt wurden. Dabei nimmt das Kapitel „Intentionalität sprachlichen Handelns" einen verhältnismäßig breiten Raum ein, was damit zusammenhängt, dass mit diesem Aspekt auch die Bestimmung sprachlicher Handlungen als kommunikative Handlungen verbunden ist. Überlegungen zu sinnvollen Kommunikationsbegriffen halte ich aber gerade im Zeitalter drohender multimedialer Verkabelung für besonders wichtig.
Handlungssprache: Analytische Handlungstheorie
Was ist eine Handlung? 1.1
Aller Anfang ist schwer: Wie soll man theoretisch an Handlungen herangehen?
Wenn man fragt, was eine Handlung ist, dann tut man dies mit dem Ziel, eine Definition von „Handlung" zu finden, die es ermöglichen soll, Handlungen von anderen Tätigkeits- oder Verhaltensformen abzugrenzen, indem man charakteristische Merkmale für das zu Definierende angibt. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht nun darin, die Bedeutung des Ausdrucks Handlung zu untersuchen. Wenn wir das Wort Handlung verwenden, beziehen wir uns auf menschliche Tätigkeiten, auf die verschiedensten Formen unserer Praxis. In den alltäglichen Bereichen dieser Praxis kommt aber der Ausdruck Handlung so gut wie nie vor. Wenn wir über unsere eigenen und anderer Leute Handlungen reden, dann reden wir gewöhnlich darüber, was wir „getan" haben, was wir „tun" wollen oder werden, aber nicht, welche „Handlung vollzogen" worden ist oder werden soll. Wenn ich einen Nachmittagsspaziergang gemacht habe, dann berichte ich davon nicht als einer „Handlung" von mir, sondern einfach von einem „Tun", oder spezieller einem „Zeitvertreib", einer „Freizeitbeschäftigung". Wenn jemand zu mir sagt: (i)
du bist ein hinterhältiges Biest
und ich mich dadurch beleidigt fühle, dann werde ich die Gemeinheit des Beleidigers sicher nicht mit der folgenden Formulierung anprangern: (ii)
diese Handlung ist eine Gemeinheit von dir gewesen
sondern eher mit (iii)
das, was du gesagt hast, ist (eine) Gemein(heit)
oder (iv)
das ist eine gemeine Beleidigung von dir
Die Ausdrücke Handlung und handeln kommen am häufigsten in philosophischen, psychologischen und juristischen Kontex-
6
Was ist eine Handlung?
ten vor; als solche sind sie in erster Linie Termini Technici. AUSTIN betont dies im Hinblick auf den philosophischen Sprachgebrauch : Ein vernünftiger, um nicht zu sagen kluger Anfang besteht nun darin, daß man sich klarmacht, daß der Ausdruck „eine Handlung vollziehen", so wie er in der Philosophie (Anm.: Dieser Gebrauch hat mit den eher nüchternen Vorkommnissen von „Handlung" in der Umgangssprache wenig zu tun) gebraucht wird, äußerst abstrakt ist - er dient als Substitut für (fast?) alle Verben mit einem persönlichen Subjekt, genauso wie „Ding" als Substitut für alle (oder, wenn wir uns erinnern, fast alle) Substantive oder genauso wie „Eigenschaft" als Substitut für das Adjektiv dient. (AUSTIN (dt. 1977), 12.)
Wenn wir unsere Ausgangsfrage „Was ist eine Handlung?" uneingeschänkt weiter stellen und beantworten wollen, erscheint eine Untersuchung der Bedeutung des Ausdrucks Handlung oder handeln wenig sinnvoll, da wir dann lediglich charakteristische Merkmale eines speziellen Sprachgebrauchs erhielten, die nur für einige ausgezeichnete Praxisbereiche Gültigkeit hätten. Kehren wir also zur nicht-fachspezifischen Umgangssprache zurück. Wenn, wie bereits gesagt, dort das Wort Handlung keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, und stattdessen menschliche Tätigkeiten allgemein mit dem Ausdruck tun bezeichnet werden, sollte man sich dann nicht sinnvollerweise eher mit dem Ausdruck tun beschäftigen und sich fragen, welche Tätigkeiten wir in der Umgangssprache jeweils mit tun bezeichnen? Ein viel versprechender Ausgang für eine solche Beschäftigung könnte es sein, mögliche Antworten auf die Frage „was tust du/hast du getan" bzw. „was tut er/hat er getan?" zusammenzustellen und diese zu untersuchen. Solche Antworten, d.h. Sätze, in denen von einer Person ein bestimmtes Tun ausgesagt wird, spielen - wie wir noch sehen werden - in allen handlungstheoretischen Überlegungen analytischer Prägung eine wichtige Rolle. Ob die Untersuchung solcher Sätze dazu taugt, eine Antwort auf die Frage „Was ist eine Handlung?" zu finden, wird ausführlich von RAYFIELD diskutiert. Er geht von der Hypothese aus, dass „Antworten auf die Fragen „Was tut er (tust du)?" und „Was tat er (tatest du)?" dazu dienen können - wenn auch vielleicht nicht nur sie allein -, Handlungen zu kennzeichnen, zu identifizieren oder zu benennen." (RAYFIELD (dt. 1977), 70.).
Aller Anfang ist schwer
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Seine Beispiele für solche Antworten sind: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)
(10) (11) (12)
Er rasiert sich Ich porträtiere meine Frau Ich warte auf meine Tante Eva, die mit dem Bus kommt Er schläft Seine ganze Familie wurde von Krankheit hinweggerafft er allein blieb übrig Seine Kameraden stiegen auf den Berg - er aber blieb im Lager zurück, um auf die Geräte aufzupassen Er öffnete das Fenster Er gähnte Er gähnte, ohne die Hand vor den Mund zu halten und ohne sich zu entschuldigen, und erreichte damit, dass sich seine Tante Emma, eine sehr korrekte Dame, über ihn ärgerte Er quantifiziert über Prädikatvariable Ich versuche aufzustehen Ich niese
Den Wert dieser Sätze als Ausgangsmaterial für eine Handlungsbestimmung kommentiert RAYFIELD so (wobei er natürlich ein intuitives semantisches Verständnis seiner Leser voraussetzt): Hier ist sicher etwas falsch. Wollen wir wirklich behaupten, daß Schlafen, Gähnen oder Niesen Handlungen sind? [...] Es scheint, daß Tun nicht immer gleichzusetzen ist mit Handeln, obwohl Handeln immer etwas tun heißt. Wenn aber die Antwort auf eine der obigen Fragen eine Handlung spezifizieren oder benennen soll, muß sie dann nicht ein Handlungsverb enthalten? Man könnte z.B. sagen, daß .schlafen' und .gähnen' keine Handlungsverben sind. Daher geben diese Beispiele überhaupt kein Problem auf- (4) ist tatsächlich eine völlig verständliche Antwort auf die Fage: „Was tut er?"; da jedoch .schlafen' kein Handlungsverb ist, wird auch nicht impliziert, daß „er schläft" eine Handlung benennt, die jemand vollzieht. Was unterscheidet ein Handlungsverb von anderen Verben? Die naheliegende Antwort wäre, daß z.B. .schlafen' kein Handlungsverb ist, weil Schlafen keine Körperbewegung involviert, während etwa .rasieren' ein Handlungsverb ist, weil Rasieren Körperbewegungen involviert. Diese Charakterisierung ist aber unzureichend. Sie ist einerseits zu umfassend, weil sie (8) und (12) als Handlungsbezeichnungen zuläßt, da Gähnen und Niesen Körperbewegungen involvieren, wir aber dennoch nicht sagen würden, daß Gähnen und Niesen Handlungen sind. Andererseits ist sie zu restriktiv. .Zurückbleiben' ist kein Handlungsverb. Zurückbleiben involviert nämlich keine Körperbewegungen. Folglich kann es auch keine
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Was ist eine Handlung? Handlung sein. Diese Analyse ist in Ordnung, insofern sie das Zurückbleiben in (5) z.B. als Handlung ausschließt. Hingegen steht nicht von vornherein fest, daß der Ausdruck „er blieb zurück" so wie er in (6) vorkommt, keine Handlung bezeichnet. Ebenso haben wir es auch im Fall (9) - er unterläßt es, sich die Hand vor den Mund zu halten bzw. sich zu entschuldigen - gewiß mit einer Handlung zu tun; und doch ist bei keiner dieser beiden Tätigkeiten eine Körperbewegung involviert. Die Schwierigkeit ist hier einfach folgende: Die Umgangssprache allein ermöglicht keine adäquate Begründung dafür, weshalb Niesen und Schlafen keine Handlungen sind, Rasieren und Abstimmen dagegen schon. Dies läßt sich zum Teil dadurch erklären, daß gewöhnlich gar keine Notwendigkeit besteht, die fragliche Unterscheidung zu treffen. Solche Fragen, wie wir sie hier stellen, tauchen in der Umgangssprache normalerweise eben gar nicht auf. (RAYFIELD (dt. 1977), 70/1.)
Zugegeben: Wenn wir auf die Frage „was tut A?" eine der Antworten (1) bis (12) ehalten, sind wir normalerweise damit zufrieden (wir wissen jetzt eben, was A getan hat), und wir stellen auch keine weiteren semantischen Fragen mehr derart, wie sie uns der Philosoph RAYFIELD vorexerziert. Wir würden dies auch ziemlich erfolglos tun; man kann sich das klar machen, indem man einmal die Bedeutungen der in den Sätzen vorkommenden Verben in einem einsprachigen deutschen Wörterbuch nachschlägt. Ein paar Beispiele aus einem der meistbenutzten deutschen Wörterbücher, WAHRIGS deutschem Wörterbuch: rasieren porträtieren warten schlafen zurückbleiben gähnen
,sich mit dem Rasiermesser die Barthaare abschneiden' jemandes Bildnis malen' ,verweilen, bis jem. kommt oder etwas eintritt' ,im Schlaf liegen' ,nicht mitkommen, verweilen (an einem Ort)' ,langsam und tief durch den weit offenen Mund einatmen'
Die zitierten Bedeutungserläuterungen liefern keinerlei Kriterium zur Unterscheidung von Handlungsverben und anderen Verben. Offensichtlich setzt der Lexikograf bei seinen Wörterbuchbenutzern bereits voraus, dass sie imstande sind, diese Unterscheidung von selbst zu machen. Die Unterscheidung, ob in einem Satz von einer Handlung die Rede ist oder nicht, kann also nicht von einem bestimmten Verbausdruck abhängig gemacht werden: „Die Suche nach einem verlässlichen grammatischen Test dürfte aussichtslos sein." (KEIL (2000), 137.)
Aller Anfang ist schwer
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Aus dem Fazit, dass Sprachanalyse für eine Handlungsbestimmung unzureichend ist, muss man nun nicht notwendig folgern, dass man sie restlos über Bord werfen müsste; man muss bloß ihre Grenzen kennen. In unserem Fall ist man dann an die Grenzen gelangt, wenn man als Antwort auf die Frage „was tust du/tut A?" eine Reihe von Sätzen erhalten hat, von denen man sagen kann, dass einige ein Handlungsverb enthalten, andere nicht. Dies lässt zunächst einen Schluss zu, den RAYFIELD so formuliert: Aus einer Antwort von der Fom „Er tut X" können wir ersehen, [...] daß nämlich X ein Tun ist und folglich eine Handlung sein könnte. Ich möchte X in solchen Fällen einen Kandidaten für eine Handlung nennen. (RAYFIELD (dt. 1977), 75; vgl. dazu auch RUNGGALDIER (1996).)
Darüber, ob ein Kandidat tatsächlich eine Handlung darstellt, kann nicht mehr mit spachanalytischen Kategorien entschieden werden. Die nächste Frage, die RAYFIELD stellt, um zu einer Bestimmung von Handlung zu kommen, bezieht sich dann auch gar nicht mehr auf die Sätze, in denen Kandidaten von Handlungen beschrieben sein können, sondern auf das Subjekt dieser Sätze, den Handelnden selbst. Seine Frage lautet: „Ist X-tun etwas, wozu man (= der Handelnde, G. H.) sich in irgendeiner Situation entscheiden könnte?" (RAYFIELD (dt. 1977), 75/6.) Anhand dieser Frage kann man z.B. gähnen, niesen und schlafen von porträtieren, warten, auf den Berg steigen unterscheiden, sowie zwischen zurückbleiben in (5) und zurückbleiben in (6). Doch bleibt auch dieser Fragetest unbefriedigend, da er nicht immer erfolgreich ist: Es gibt Situationen, von denen ich nicht sagen würde, ich könnte mich zu X-tun entscheiden, ohne dass deshalb mein X-tun ein bloßes Passieren wie Gähnen oder Niesen zu sein braucht. Wenn mich jemand mit vorgehaltener Pistole dazu zwingt, ihm mein ganzes Geld zu geben und ich dies auch tue, dann ist mein Tun, dem-Dieb-mein-Geld-Geben, doch zu unterscheiden von solchen rein physischen Aktivitäten wie Niesen oder Gähnen. „Ich habe dem Dieb mein Geld gegeben, weil er mich dazu gezwungen hat", so ungefähr würde ich jemandem antworten, der mich fragt, warum ich dies getan habe. Auf die Frage, warum ich geniest habe, würde ich antworten: „Weil ich Schnupfen habe" - in beiden Erklärungen des jeweiligen X-tuns wird auf etwas hingewiesen, was als Grund für X-tun gelten soll:
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Was ist eine Handlung?
- für Geld-Geben : gezwungen werden - für Niesen : Schnupfen haben In beiden Fällen wird durch die jeweilige Erklärung von X-tun ein Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen bzw. einem Zustand und einem Ereignis hergestellt, wobei das eine jeweils das andere erklären soll: das Gezwungenwerden das Geld-Geben, das Schnupfen-haben das Niesen, Die beiden Antworten auf die warum-Frage sind also offensichtlich gleichartig in ihrer Erklärungsstruktur. Insofern könnte man sagen, dass uns unsere Überlegungen keinen Schritt weitergebracht haben, wir können immer noch nicht zwischen Niesen und dem-Dieb-dasGeld-Geben unterscheiden. Überlegen wir uns also, ob es weitere Fragemöglichkeiten gibt, durch die wir jeweils ungleiche Antworten erhalten und so eine Differenzierung zwischen Niesen und dem-Dieb-dasGeld-Geben herausarbeiten können. Die Antwort (i)
ich habe dem Dieb das Geld gegeben, weil er mich dazu gezwungen hat
muss nicht unbedingt das Letzte sein, was man zu dem infrage stehenden Tun sagen kann. Z.B. ist es durchaus denkbar, dass sich jemand mit der Antwort (i) nicht zufrieden gibt und weiter fragt, etwa so: (ii)
warum hast du denn dem Zwang nachgegeben?
oder (iii)
war dir klar/warst du dir dessen bewusst, was du getan hast?
Und es ist ebenso denkbar, dass der Befragte etwa antwortet: (iv)
ich habe dem Zwang nachgegeben, weil ich von dem Dieb nicht erschossen werden wollte
öder
(v)
o.dgl.
ja, ich war mir bewusst, was ich tat, aber ich wollte vermeiden, dass der Dieb noch etwas Schlimmeres anstellt, etwa einen Mord begeht
Aller Anfang ist schwer
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Wenn wir jetzt die Antwort betrachten (vi)
ich habe geniest, weil ich Schnupfen habe
so scheint die Möglichkeit, hier noch weiter zu fragen, ziemlich absurd. Analog zu den oben zitierten Fragemöglichkeiten zu (i) erhielten wir für (vi): (vii)
warum hast du dem (Zwang des) Schnupfen(s) nachgegeben?
bzw.: (iii)
*war dir klar/warst du dir dessen bewusst, was du getan hast?
Solche Fragen würden wir als unsinnig zurückweisen, allenfalls würden wir vielleicht noch mit sowas antworten wie: (viii)
ich konnte gar nicht anders als niesen - es passierte ganz einfach
Wir können jetzt den Unterschied zwischen Niesen und demDieb-das-Geld-Geben so erklären: Niesen geschieht ohne Bewusstheit der Person; sie will damit nichts, es passiert ihr einfach, sie tut es unabsichtlich. Dagegen ist dem-Dieb-das-GeldGeben ein Tun, das der ausführenden Person durchaus bewusst ist, sie verbindet es mit einem Wollen - nicht erschossen zu werden, das Schlimmste zu verhindern -; dem-Dieb-das-GeldGeben ist ein absichtliches Tun, auch dann, wenn es unter Zwang geschieht. Damit haben wir ein Kriterium gefunden, um zwischen Niesen und dem-Dieb-das-Geld-Geben unterscheiden zu können: die vorhandene oder nicht vorhandene Absicht einer Person, die etwas getan hat. Dieses Kriterium ist, sicher in Übereinstimmung mit unseren alltäglichen Erfahrungen, auch das ausschlaggebende Kriterium für alle analytischen Handlungstheoretiker, um ein Tun als Handlung zu charakterisieren. Statt von »Absicht' wird häufig auch von Jntention' oder ,Intentionalität' gesprochen.
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1.2
Was ist eine Handlung?
Handlung = Tun + Absicht?
Nach unseren Überlegungen, die wir bisher angestellt haben, könnte man zu dem Schluss kommen, dass eine Handlung aus zwei Komponenten besteht, so dass man die Gleichung aufstellen kann: Handlung = Tun + Absicht wobei man ,Tun' näher bestimmen könnte als Ausführung von bestimmten Körperbewegungen'. Stehen die beiden Glieder auf der rechten Seite der Gleichung für zwei verschiedene Ereignisse, einem inneren (Absicht) und einem äußeren (Körperbewegung)? Betrachten wir einmal den folgenden Satz, in dem eine Handlung beschrieben wird und in dem ein Verb vorkommt, das sich auf eine Körperbewegung bezieht, und ein Ausdruck, der sich auf die Absicht der Person bezieht, die die Körperbewegung ausführt: (i)
er hob absichtlich den Arm
Berichtet dieser Satz von zwei verschiedenen Ereignissen, einem äußeren, wahrnehmbaren - er hob den Arm - und einem inneren, vielleicht ,geistigen' Ereignis - absichtlich -? Diese Frage scheint uns - zu Recht - merkwürdig, denn das Ereignis, von dem hier berichtet wird, ist ja offensichtlich ganz einfach das, dass jemand den Arm gehoben hat. Der Zusatz absichtlich in (i) fügt diesem Bericht keinerlei neue Informationen hinzu. GILBERT RYLE, der in seinem Buch ,Concept of Mind (dt.: Der Begriff des Geistes)' energisch gegen die Auswüchse des philosophischen Doppellebens von Körper und Geist zu Felde zieht, vertritt die Auffassung, dass absichtliches Tun als eine einzige „Episode" und nicht als zwei Ereignisse aufzufassen ist: Wenn jemand etwas freiwillig, im Sinne von absichtlich, tut oder zu tun versucht, dann spiegelt seine Handlung tatsächlich eine gewisse Geistesqualität oder gewisse Geistesqualitäten wider, da er - und diese Behauptung ist mehr als ein Wortspiel - bis zu einem gewissen Grad und in der einen oder anderen Weise mit seinem Geist bei der Sache ist. Es folgt daraus auch, daß er bei entsprechender sprachlicher Schulung ohne Untersuchung oder Mutmaßung sagen kann, was er zu erreichen versuchte. Diese logischen Folgen der Freiwilligkeit (im Sinn von Absicht, G. H.) ziehen aber nicht [...] die oft angenommene Hypothese des Doppellebens nach sich. Absichtlich die Stirne runzeln heißt nicht etwa: eine
Handlung = Tun + Absicht?
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Angelegenheit auf der Stirn und eine andere auf einem zweiten metaphorischen Ort zu erledigen; noch heißt es: die eine Sache mit den Stirnmuskeln und die andere mit irgendeinem unkörperlichen Organ bewerkstelligen. Ganz besonders aber heißt es nicht, die Runzeln auf der Stirn dadurch hervorbringen, daß man zuerst eine runzelverursachende Anstrengung mit irgendeinem okkulten Unmuskel macht. „Er runzelte absichtlich die Stirn" berichtet nicht den Vorfall von zwei Episoden. Es berichtet den Vorfall einer einzigen Episode, aber einen von ganz anderem Charakter als der, der mit „Er runzelte unfreiwillig die Stirn" berichtet wird, wie sehr die Runzeln einander auch photographisch ähnlich sein mögen. (RYLE (dt. 1969), 95/6.)
Die hier zitierte Auffassung RYLES ist wegweisend geworden für die gesamte analytische Handlungstheorie: Die Absicht oder Intention eines Handelnden ist nicht als ein geistiges Ereignis zu verstehen, das neben dem Tun, den Körperbewegungen, eine zweite Handlungskomponente darstellt, sondern die Absicht oder Intention besteht im Tun selbst. Diese Auffassung - die Intention liegt im Tun/Verhalten - präzisiert VON WRIGHT so: Wer sagt, daß die Intentionalität in dem Verhalten liegt, der sagt damit etwas sehr wichtiges und etwas recht irreführendes zugleich. Die Wahrheit in dieser Formulierung besteht darin, daß Intentionalität nicht etwas .außerhalb' des Verhaltens ist. Intentionalität ist kein geistiger Akt und auch keine sie begleitende charakteristische Erfahrung. Irreführend an der Formulierung ist, daß sie eine Lokalisierung der Intention nahelegt, eine Begrenzung auf ein genau bestimmtes konkretes Verhalten, so als ob man die Intentionalität durch eine Untersuchung der Bewegungen entdecken könnte. Man könnte sagen - aber dies ist vielleicht irreführend -, daß die Intentionalität des Verhaltens sein Platz in einer Geschichte für den Handelnden ist. Ein Verhalten bekommt seinen intentionalen Charakter dadurch, daß es vom Handelnden selbst oder von einem Beobachter in einer weiteren Perspektive gesehen wird, dadurch, daß es in einen Kontext von Zielen und kognitiven Elementen gestellt wird. (VON WRIGHT (dt. 1974), 108.)1
Absicht oder Intention wird demzufolge nicht als eine Eigenschaft eines Tuns oder Verhaltens aufgefasst, sondern als ein
Vgl. auch DAVIDSON (dt. 1977a), 286: „Jemand vollzieht dann eine Handlung, wenn das, was er tut, so beschrieben werden kann, daß er es absichtlich tut." oder DAVIDSON (dt. 1977b), 330: „Wer sagt, daß jemand etwas absichtlich getan hat, beschreibt damit die Handlung so, daß sie zu den Annahmen und Einstellungen des Handelnden in einer speziellen Beziehung steht."
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Was ist eine Handlung?
Aspekt, eine Kategorie der Beurteilung oder Interpretation des Verhaltens. ANSCOMBE hat in ihrem 1957 erschienenen Buch ,Intentione die Formulierung gebraucht: Ein Verhalten ist „intentional unter einer Beschreibung (under a description)" (ANSCOMBE (1957), 23.), eine mittlerweile geläufige Wendung. Ein Verhalten wird als intentionales Verhalten interpretiert; erst durch diese Interpretation erhält es für uns den Charakter einer Handlung: Ob jemand eine Handlung ausfuhrt und welche er ausführt, läßt sich nicht allein durch Beobachtung dessen, was er tut, der Aktivität, die er vollzieht, erkennen. Wir müssen einem Tun Intentionalität unterstellen, um es als Handlung auffassen zu können. Eine Handlung ist eine als Handlung interpretierte Aktivität. Ein und dieselbe Aktivität kann auf verschiedene Weise - als verschiedene Handlungen - interpretiert werden. (KELLER (1977), 8/9.)
Z.B. können die folgenden Interpretationen/Beschreibungen (ii) (iii) (iv)
er öffnete das Fenster er betätigte den Fenstergriff er lüftete das Fenster
als drei verschiedene Interpretationen/Beschreibungen ein und derselben Aktivität angesehen werden. Was soll jetzt aber die Aktivität sein, die in den drei Beschreibungen jeweils als Handlung interpretiert wird? Ist es „den Fenstergriff betätigen", „das Fenster öffnen", „das Zimmer lüften" oder etwas davon ganz verschiedenes, z.B. das Ausführen bestimmter Körperbewegungen? KELLER diskutiert diese Frage als ein „logisches Problem", das die Redeweise von Aktivitäten, die als Handlungen interpretiert werden sollen, mit sich bringt. (Vgl. KELLER (1977), 9/10.) Ursache des Problems ist seiner Meinung nach die Grammatik des Ausdrucks interpretieren: „A interpretiert als y". Wofür ist „ " eine Variable? Betrachten wir eine fiktive Äußerung: „Also ich interpretiere das als eine Art von Zuwendung". Worauf bezieht sich das „das"? Das logische Problem besteht darin, daß, wenn ich etwas benannt habe, ich es auch schon interpretiert habe, nämlich mindestens als das, als was ich es benannt habe. (KELLER (1977), 9.)
Das heißt: Aktivitäten lassen sich nicht uninterpretiert benennen; man muss sie, um sie überhaupt benennen zu können, schon als das Benannte interpretiert haben.
Handlung = Tun + Absicht?
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Wer an dem Ausdruck „immer schon" Gefallen findet, kann sagen „unsere Wahrnehmung ist immer schon interpretierte Wahrnehmung" oder „die Identifikation einer Aktivität als Aktivität ist immer schon das Resultat eines Interpretationsprozesses" (KELLER (1977), 9.)
Das Fazit, das wir aus diesen Überlegungen ziehen können, ist das folgende: Wenn wir fragen, was diese zu interpretierende Aktivität denn sein soll, dann fordern wir bereits eine Interpretation dieser Aktivität heraus; schließlich besteht der Sinn von Fragen darin, Antworten zu erhalten, und Antworten bestehen - unter anderem - aus Benennungen! Die Redeweise von einer Aktivität, die als Handlung interpretiert werden soll, kann also nicht besagen, dass „Aktivität" irgendein Ereignis (? auch hier muss ich ja wieder etwas benennen!) außerhalb unserer Interpretation benennt, sondern lediglich, dass mit dieser Redeweise keine Festlegung auf eine ganz bestimmte Interpretation oder auf eine Menge ganz bestimmter Interpretationen erfolgen soll. Entsprechend definiert auch KELLER den Sprachgebrauch: Ich möchte „Aktivität" einfach verstanden wissen als „Gegenstand der Interpretation als Handlung", als eine Art Dummy-Wort fur das „ " in der Satzform: „A interpretiert als y", wobei zulässig sein muß, daß eine Aktivität selbst schon eine Handlung sein kann, aber nicht muß. (KELLER (1977), 10.)
Fassen wir zusammen: (1) Eine Handlung ist eine als Handlung interpretierte Aktivität; (2) mit der Interpretation wird auf die Intention des Handelnden verwiesen; (3) für solche Interpretationen kann es mehrere Möglichkeiten der Beschreibung geben.
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Wie werden Handlungen beschrieben?
2.1
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts' auf Handlungsbeschreibungen
Der Grund dafür, dass es für eine Handlung mehrere Handlungsbeschreibungen geben kann, ist darin zu sehen, dass das Objekt der Intention eines Handelnden, das, worauf er seine Absicht richtet, sehr häufig nicht nur ein einziges Ereignis oder ein einziger Zustand ist. Wenn ich - um beim viel zitierten handlungstheoretischen Beispiel zu bleiben ein Fenster öffne, dann tue ich dies mit der Intention, dass das Fenster auf ist. Dies ist aber nicht das Einzige, was ich will; mit dem Fensteröffnen will ich normalerweise bewirken, dass frische Luft in mein Zimmer kommt, durch die frische Luft will ich mein physisches Wohlbefinden steigern. Die Intentionskette kann ich weiter verlängern: Die Steigerung meines Wohlbefindens soll ihrerseits meine Arbeitslust und -fähigkeit steigern, diese Steigerung soll bewirken, dass ich morgen mein Buch zu Ende geschrieben habe, dies wiederum, dass ich meinen Ehrgeiz befriedige, dies wiederum, dass ... Wenn es auch so gut wie nie vorkommen dürfte, dass jemand die hier diskutierte Handlung „ein Fenster öffnen" tatsächlich nur mit der einen Beschreibung wiedergibt: (i)
A befriedigt seinen Ehrgeiz
so ist dies doch prinzipiell nicht auszuschließen; wir handeln normalerweise nicht um des Handelns willen, sondern immer um etwas anderen willen. Dieses „um etwas anderen willen" wird üblicherweise mit zwei Ausdrücken bezeichnet, die unterschiedliche Aspekte einer Handlung betreffen (vgl. AUSTIN (dt. 1977); VON WRIGHT (dt. 1974); KELLER (1977); DAVIDSON (1977); MOYA (1990), STOECKER (1993); KEIL (2000)): - einmal das Ergebnis einer Handlung, d.h. der Zustand oder das Ereignis, den/das der Handelnde unmittelbar durch sein Tun herbeiführt; in unserem Beispiel: das Geöffnetsein des Fensters;
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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- zum ändern die Folge(n), die der Handelnde mittelbar herbeiführt, d.h. das, was er herbeiführt, indem er das unmittelbare Ergebnis herbeiführt; in unserem Beispiel: frische Luft im Zimmer, gesteigertes physisches Wohlbefinden. Eine Handlung ist gelungen, wenn ihr beabsichtigtes Ergebnis erreicht ist, und sie ist erfolgreich, wenn ihre beabsichtigte/n Folge/n eingetreten ist/sind. Für eine Handlung gibt es normalerweise immer genau ein Ergebnis. Dies lässt sich jedoch für die Folgen nicht allgemein behaupten: Wie viele Folgen eine Handlung hat, kann man nur im konkreten Einzelfall beurteilen. Jedoch kann jeder Zustand oder jedes Ereignis, der/das als Folge einer bestimmten Aktivität interpretiert wird, zum Inhalt einer Handlungsbeschreibung gemacht werden. Daraufhat als einer der ersten AUSTIN hingewiesen: Man kann mit einem einzelnen Ausdruck, der beschreibt, was er tat, entweder eine kleinere oder größere Kette von Ereignissen umfassen, wobei die durch die engere Beschreibung ausgeschlossenen Ereignisse dann ,Konsequenzen',,Ergebnisse', .Wirkungen' o.a. seines Handelns genannt werden. (AUSTIN (dt. 1977), 38.)
Wahrscheinlich angeregt durch AUSTINS metaphorischen Sprachgebrauch von „enger" bzw. „größerer und kleinerer Kette", gebraucht FEINBERG die sehr plastische Metapher vom Ziehharmonikaeffekt, um damit die in der Sprache angelegten Möglichkeiten von Handlungsbeschreibungen zu charakterisieren: Dieses wohlbekannte Merkmal unserer Sprache, wonach die Beschreibung einer Handlung nahezu beliebig kleine und große Ketten von Ereignissen umfassen kann, könnte man ganz zutreffend als den Ziehharmonikaeffekt bezeichnen, da eine Handlung, genau wie das besagte Musikinstrument, bis auf ein Minimum zusammengedrängt, aber auch ganz weit auseinandergezogen werden kann. [...] Wir können, wenn wir wollen, unseren Begriff von einer Handlung so erweitern, daß sie eine ihrer Konsequenzen umfaßt, - wozu wir in den meisten Fällen aufgrund unserer Sprache sogar verpflichtet sind, da diese eben zu diesem Zweck relativ komplexe Handlungswörter bereithält. (FEINBERG (dt. 1977), 204/5.)
Die FEiNBERGsche Charakterisierung des Ziehharmonikaeffekts von Handlungsbeschreibungen gibt zwei Probleme auf: Die Redeweise von „enger" und „weiter" oder „größeren und kleineren Ketten" suggeriert durch ihren Gebrauch von relationalen Adjektiven wie groß, klein, eng usw., dass es einen Normal-
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Wie werden Handlungen beschrieben?
wert oder einen Standard einer Beschreibung geben müsse, so dass man die Abweichungswerte relativ zu ihrem jeweiligen Normalwert bestimmen könnte. In Analogie etwa zum Zahlenstrahl könnte man der Normalbeschreibung BN den Wert 0 zuordnen, den „engeren" Beschreibungen Werte von -l bis -n und den „weiteren" Beschreibungen Werte von +1 bis +n:
B_-3
B-2
D
B-\
D
B "N
B+l
D
B +2
D
B +3
D
B +n
D
Was soll aber nun eine solche ,Normalbeschreibung' BN sein? 2.1.1
Gibt es die ,Normarbeschreibung einer Handlung?
Bevor wir eine Antwort auf diese Frage zu geben versuchen, müssen wir erst sagen, was wir hier unter .Beschreibung' verstehen wollen, denn bisher sind wir ja nur auf den Inhalt der Beschreibung, die Handlung, eingegangen. Jede Handlungsbeschreibung unterliegt bestimmten kommunikativen Zwecken, steht in einem speziellen Kontext, den es zu präzisieren gilt, d.h. wir müssen festlegen, aufweichen Zweck und Kontext wir uns beziehen wollen. Da wir in erster Linie an der Möglichkeit des Vergleichs von verschiedenen Handlungsbeschreibungen unter dem Gesichtspunkt ihrer .Normalität' interessiert sind und nicht an einer Bestimmung von Kommunikationssituationen, in denen Handlungsbeschreibungen vorkommen (können), scheint es sinnvoll, den Zweck der Beschreibung auf die Information, die ein Sprecher (S) einem Hörer (H) geben will, einzuschränken. Zusätzlich soll die Bedingung gelten, dass der beschreibende S davon ausgeht, dass sein Gesprächspartner H die als Handlung beschriebene Aktivität nicht schon selbst interpretiert hat, dass er also nicht etwa gemeinsam mit S Zeuge der besprochenen Aktivität war. Solche Situationen, in denen unter anderem - Handlungsbeschreibungen vorkommen, sind z.B.: Erzählungen vom Urlaub, Schilderungen eines Umzugs, Berichte von Sportereignissen im Radio sowie alle Arten von erzählenden Texten im weiteren Sinn.
Die Wirkung des jZiehharmonikaeffekts*
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Die Bedingungen für unseren speziellen Fall von ,Beschreiben einer Handlung' sind schematisch zusammengefasst die folgenden:2 (i) (ii) (iii) (iv) (v)
A tut h (dies ist die Voraussetzung für die Handlungsbeschreibung) S (der mit A identisch sein kann) interpretiert (i) als eine bestimmte Handlung h; S will, dass H von hj Kenntnis erhält (das heißt auch, dass H weiß, was A getan hat) S geht davon aus, dass H nicht weiß, dass A h getan hat S gibt seine Interpretation h; nur durch eine Handlungsbeschreibung wieder (diese Beschränkung des Kommunikationsbeitrags von S wird notwendig, weil wir ja einzelne Beschreibungen miteinander vergleichen wollen und keine Beschreibungssequenzen)
Darüber hinaus gilt ganz allgemein, dass, wenn S dem H eine Information geben will, er - ganz unabhängig vom jeweiligen Inhalt der Information - unterstellt, dass es einen Maßstab für die jeweils mitgeteilte Informationsmenge gibt. „Dadurch daß der Sprecher seinerseits ein Wissen (oder mindestens Annahmen) über das bei H vorhandene Vorwissen [...] macht, wird er eine Selektion hinsichtlich seiner tatsächlich geäußerten Information machen. An diesem Punkt wird er zwei wichtige, durch GRICE (dt. 1979) formulierte Konversationsmaximen anwenden: (1) Mache deinen Beitrag so informativ wie möglich (für die gegenwärtigen Zwecke der Kommunikation)!; (2) Mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich (für die gegenwärtigen Zwecke der Kommunikation)!"3 Wenden wir uns jetzt wieder unseren Handlungsbeschreibungen und der Frage nach ihrer ,Normal'beschreibung zu und betrachten zunächst die zwei folgenden Fälle, in denen ein und 2 Ein ähnliches, aber sehr viel mehr formal ausdifferenziertes Schema für ,Beschreiben einer Handlung' findet sich in REHBEIN (1977), 65. 3 REHBEIN (1977), 65/6. Zu den GmcEschen Konversationsmaximen vgl. Teil II, Kap. 5.1.
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Wie werden Handlungen beschrieben?
dieselbe Aktivität jeweils durch unterschiedliche Handlungsbeschreibungen als Handlung interpretiert wird : (i) (ii) (iii)
A betätigte den Fenstergriff A öffnete das Fenster A lüftete den Raum
(i) (ii) (iii)
A schrieb seinen Namen A unterschrieb einen Vertrag A schloss einen Vertrag ab
Vergleichen wir die einzelnen Beschreibungen miteinander, zunächst den ersten Fall: Wenn mir jemand sagt, eine Person A habe einen Fenstergriff betätigt, dann weiß ich zwar, dass A bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat - das ist aber auch alles: A kann dies getan haben, um etwas zu reparieren oder um das Fenster zu putzen oder um auszuprobieren, ob er mit seinem Arm den Fenstergriff erreichen kann, oder um jemandem etwas zu demonstrieren (z.B. wie man dieses Fenster öffnet!), um eine dort sitzende Spinne zu verjagen, um . . ., um . . . Fazit: Die Beschreibung (l i) ist nicht sonderlich informativ; sie wird dem Zweck (H soll wissen, was A getan hat) nicht gerecht - insofern könnte man sagen, dass in ihr die erste der beiden zitierten Konversationsmaximen verletzt ist. (Iii)
A öffnete das Fenster
Mit dieser Beschreibung wird impliziert, dass der Handelnde bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat, u.a. einen Fenstergriff betätigt, und aus ihr kann man folgern, dass das Ergebnis: das Fenster ist auf, erreicht ist. Von diesem Zustand kann man aufgrund seines Wissens über Ursachen und Wirkungen darauf schließen, dass Luft ins Zimmer kommt. (l iii)
A lüftete den Raum
impliziert zwar, dass die handelnde Person Luft ins Zimmer gelassen hat; es bleibt jedoch offen, ob sie dies getan hat durch das Öffnen eines Fensters oder einer Tür (oder beidem) oder ob sie die Lüftung durch das Einstellen eines Ventilators bewirkt oder einem dienstbaren Geist ständiges Fächeln geheißen hat oder . . . (l iii) weist also das gleiche Informationsdefizit auf wie (l i).
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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Von den drei Handlungsbeschreibungen des ersten Falls ist die Beschreibung (lii) relativ zu dem kommunikativen Zweck: H darüber zu informieren, was A getan hat, die ,normalste': Mit ihr wird der Informationsgehalt - was A getan hat - am adäquatesten ausgedrückt. Die Adäquatheit des Ausdrucks lässt sich durch die folgenden semantischen Eigenschaften des Satzes präzisieren: - die Handlungsbeschreibung (HB) impliziert, dass das Handlungssubjekt etwas Bestimmtes getan, bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat; - aus HB folgt, dass ein bestimmter Zustand, ein bestimmtes Ergebnis erreicht ist; - aus dem aus HB gefolgerten Handlungsergebnis kann H aufgrund seines Wissens über Ursachen und Wirkungen auf eine bestimmte Folge schließen. Wenn wir jetzt unseren zweiten Fall von Handlungsbeschreibungen ansehen, dann könnten wir, ohne sie alle drei im Einzelnen zu betrachten, gleich sagen, dass Beschreibung (2ii) die drei semantischen Eigenschaften besitzt: - HB (2ii) impliziert, dass das Handlungssubjekt bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat, die mit dem Ausdruck seinen Namen schreiben zusammengefasst werden können; - aus HB folgt, dass das Ergebnis: Unterschrift unter einen Vertrag erreicht ist; - aus dem Ergebnis - Unterschrift unter einem Vertrag - kann ich aufgrund meines Wissens über Ursachen und Wirkungen auf die Folge schließen: Abschluss eines Vertrages. Allerdings bezieht sich dieses Wissen nicht, wie im Fall (lii) auf physikalische Ursachen und Wirkungen, sondern auf konventionale: Die Unterschrift unter einen Vertrag bewirkt qua Konvention, dass der Vertrag abgeschlossen ist. Unter den hier aufgestellten kommunikativen Bedingungen lässt sich also die Normalbeschreibung einer Handlung definieren als diejenige Beschreibung - durch die impliziert wird, dass der Handelnde bestimmte Körperbewegungen ausgeführt hat; - aus der folgt, dass ein bestimmtes Ergebnis erreicht ist;
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Wie werden Handlungen beschrieben?
- und aus deren Ergebnis auf eine Folge der Handlung geschlossen werden kann. Wenn man diese Definition akzeptiert, dann kann man auch sagen, was eine „engere" und was eine „weitere" Handlungsbeschreibung ist: - eine „engere Handlungsbeschreibung thematisiert das Ausführen von Körperbewegungen, ohne dass diese Information irgendeinen Schluss auf das Ergebnis oder auf eine Folge der Handlung zuließe; - eine „weitere" Handlungsbeschreibung thematisiert eine Folge einer Handlung, ohne dass diese Information irgendeinen Schluss auf das Ergebnis der Handlung oder das Ausführen von Körperbewegungen zuließe. Wenn wir jetzt nochmals unsere Zahlenstrahl-Analogie zur Verdeutlichung heranziehen, dann erhalten wir für unsere beiden Fälle von Handlungsbeschreibungen die folgenden Bilder: Für (1):
A bewegte seine Hand auf eine bestimmte Weise * A betätigte den Fenstergriff A öffnete das Fenster A lüftete den Raum A verschaffte sich Kühlung
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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Für (2):
„enger
-HB_2
„weiter -HB +r
HB_j-
-H B +2'
A bewegte seine Hand auf eine bestimmte Weise ?* A schrieb seinen Namen A unterschrieb einen Vertrag A schloss einen Vertrag ab A legte sein Geld gewinnbringend an Anmerkung: Auf der Linksseite der Handlungsbeschreibungen scheinen den sprachlichen Formulierungsmöglichkeiten Grenzen gesetzt zu sein: Das Ausfuhren bestimmter Körperbewegungen lässt sich nicht mehr genauer beschreiben. Auf dieses Problem werde ich im Abschnitt 2.2 Grenzen der Handlungsbeschreibung - Basishandlungen noch zurückkommen.
Die Bestimmung dessen, was als ,normale' Handlungsbeschreibung gelten kann, ist an einem neutralen oder unmarkierten Kontext orientiert, und genau dies ist ihre Schwachstelle. Selbst, wenn man darauf hinweist, dass die hier als ,normar charakterisierten Handlungsbeschreibungen eine Mittelstelle zwischen konkreten oder speziellen Beschreibungen (von Körperbewegungen) und allgemeinen oder abstrakten Beschreibungen (von (intendierten) Folgen) einnehmen, erhebt sich die
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Wie werden Handlungen beschrieben?
Frage nach der Berechtigung einer solchen Einschränkung: Nehmen wir an, dass die Person A des ersten Beispiels die unmittelbare Absicht hatte, den Raum zu lüften, dann können wir auf die Frage, was A getan hat, antworten: (i)
A hat den Raum gelüftet
Eine Folge des Lüftens könnte sein, dass die Raumtemperatur sinkt, was A auch unmittelbar intendiert haben könnte. Eine entsprechende, an diesem beabsichtigten Ergebnis orientierte, Handlungsbeschreibung könnte sein: (ii)
A hat die Raumtemperatur gesenkt
Eine Folge dieses Ereignisses könnte sein, dass das Essen, das auf dem Tisch steht, kalt wird. Wenn sich jetzt die Freundin von A an den Tisch setzt und anfängt zu essen, könnte sie mit der Äußerung reagieren: (iii)
Du hast das Essen kalt werden lassen
Auch diese Handlungsbeschreibung, die sich auf eine nicht intendierte Folge der Handlung von A bezieht, wäre nicht falsch. Die Frage nach einer adäquaten Handlungsbeschreibung ist also immer noch offen. Klar dürfte hingegen sein, dass es die (einzige) Handlungsbeschreibung nicht gibt: Es gibt immer mehrere Möglichkeiten der Beschreibung. Wie dies zu beurteilen ist, wird in den folgenden beiden Abschnitten erörtert werden. 2.1.2
Unterschiedliche Beschreibungen von Handlungen beziehen sich auf ein Objekt der Beschreibung
Ich sprach von zwei Problemen, die die FEiNBERGSche Auffassung aufwirft. Hier das zweite: Der Ziehharmonikaeffekt soll sich auch auf Fälle beziehen wie dem folgenden: So können wir etwa sagen, daß Peter die Tür aufgemacht und dadurch Paul (der drinnen war) erschreckt hat - womit wir Peters Handlung als die Ursache einer darauf folgenden Wirkung betrachten. Wir können aber auch (einfach) sagen „Peter hat Paul erschreckt" (dadurch, daß er die Tür aufmachte) und somit die Konsequenz der Handlung in die komplexe Handlung selbst einbauen. Wenn Paul dabei so erschrak, daß ihn der
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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Schlag traf, können wir sagen, daß Peters Öffnen der Tür seinen Tod verursachte bzw. daß sein Tod dadurch verursacht wurde, daß er von Peter derart erschreckt worden war, oder einfach, daß Peter dadurch, daß er diese Dinge tat, Paul getötet hat. (FEINBERG (dt. 1977), 204.)
Dieser Fall unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von allen bisher betrachteten. Die möglichen Handlungsbeschreibungen (i) (ii)
Peter hat Paul erschreckt Peter hat Paul getötet
beziehen sich auf Folgen, - oder wie FEINBERG sagt: Konsequenzen - der Handlung, die, zumindest in einer zulässigen Interpretation des Beispiels, vom Handelnden nicht absichtlich herbeigeführt worden sind. Dies steht im Widerspruch zu unserem bisherigen Verständnis, wonach Handlungsbeschreibungen sich auf Interpretationen von Aktivitäten als Handlungen beziehen und damit immer auf eine Intention des Handelnden verweisen müssen. Diese Bedingung scheint jedoch in den Handlungsbeschreibungen (i) und (ii) nicht erfüllt zu sein. Trotzdem würden wir das, was Peter in dem Beispielfall getan hat, sicher nicht ohne weiteres als nicht-intentionales Verhalten charakterisieren wollen, denn etwas hat er ja absichtlich getan, nämlich die Tür geöffnet, d.h. es gibt eine mögliche Handlungsbeschreibung, in der auf eine Intention verwiesen wird. Wir müssen also unsere Bedingung dafür, dass ein sprachlicher Ausdruck als eine Handlungsbeschreibung gelten kann, dahin erweitern, dass die Handlungsbeschreibung den Verweis auf die Intention nicht explizit - etwa durch das Vorkommen bestimmter Verben - zu enthalten braucht; es reicht, wenn die Intention impliziert ist in der Weise, dass es mindestens eine zweite Handlungsbeschreibung geben muss, in der explizit auf eine Intention Bezug genommen werden kann. Diese Beschreibung muss natürlich mit der ersten verträglich sein. DAVIDSON beantwortet die Frage, wie man Handlungen beurteilen soll, bei denen etwas absichtlich und etwas anderes unabsichtlich getan worden ist, ganz ähnlich: Jemand vollzieht dann eine Handlung, wenn das, was er tut, so beschrieben werden kann, daß er es absichtlich tut. [...] Angenommen, ein Offizier schießt einen Torpedo auf ein Schiff ab, das er für die „Tirpitz" hält, und versenkt tatsächlich die „Bismarck", dann ist das Versenken der „Bis-
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Wie werden Handlungen beschrieben? marck" seine Handlung, denn diese Handlung ist mit seinem Versuch identisch, das Schiff zu versenken, das er für die „Tirpitz" hält, und der ist absichtlich. (DAVIDSON (dt. 1977a), 286/7.)
Von jemandem zu sagen, er habe durch ein bestimmtes Tun z.B. zur-Tür-Hereinkommen - etwas anderes - z.B. jemandenErschrecken - herbeigeführt, heißt dem Handelnden eine Wirkung zuschreiben, die er durch sein Handeln verursacht hat. In einer etwas gestelzten Formulierung könnte man dies auch mit der Beschreibung ausdrücken: (iii)
Peters zur-Tür-Hereinkommen war die Ursache für Pauls Erschrecken
Mit (iii) wird gesagt, dass Peters zur-Tür-Hereinkommen die Ursache war für (die Wirkung) Pauls Erschrecken. In gleicher Weise kann man auch einen kausalen Zusammenhang herstellen zwischen dem Ausführen bestimmter Körperbewegungen und dem Ergebnis einer Handlung, z.B.: (iv)
Peters Betätigung des Fenstergriffs war die Ursache für das Öffnen des Fensters
Wenn man von zwei Ereignissen behauptet, das eine sei die Ursache des anderen und dieses umgekehrt die Wirkung des ersten, dann behauptet man zugleich, dass die beiden Ereignisse - voneinander verschieden sind und - dass sie zeitlich nacheinander erfolgen. Diese Behauptung ist jedoch unverträglich mit der FEINBERGschen Auffassung, dass die Zuschreibung von Ursachen und Wirkungen sich auf ein und dieselbe Handlung bezieht: FEINBERG sagt, dass jemandes Handlung durch den Ziehharmonikaeffekt „auf ein Minimum zusammengedrängt, aber auch ganz weit auseinandergezogen werden kann" und: Wir können, wenn wir wollen, unseren Begriff von einer Handlung so erweitern, daß er eine ihrer Konsequenzen umfaßt. (FEINBERG (dt. 1977), 204.)
Die verwendeten Ausdrücke „zusammendrängen", „auseinanderziehen" und „erweitern" klingen, wie DAVIDSON zu Recht feststellt, so, „als würde es sich um Operationen an ein und demselben Ereignis handeln." (DAVIDSON (dt. 1977a), 299.) Da
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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aber diese Operationen ganz offensichtlich die Dauer des Ereignisses verändern, kann es sich nicht um ein und dasselbe Ereignis handeln. Auch die AusTiNsche Redeweise von „kleineren und größeren Ketten von Ereignissen" ist nicht sonderlich geeignet, diese auf ein und dasselbe Ereignis zu beziehen, denn „Ereignisse, die verschiedene Ketten von Ereignissen umfassen, können nicht identisch sein." (DAVIDSON (dt. 1977a), 301.) Die Frage: zwingt uns die Redeweise von Ursachen und Wirkungen nicht dazu, von zwei oder mehreren numerisch verschiedenen Ereignissen auszugehen? drängt sich auf- entgegen der ursprünglichen Bestimmung des FfiiNBERGschen Ziehharmonikaeffekts. DAVIDSON versucht zu zeigen, dass die (kausale) Redeweise von Ursachen und Wirkungen, die wir in Handlungsbeschreibungen verwenden, zu unangemessenen Verdinglichungen verleiten kann. Ich zitiere die zentrale Stelle seiner Argumentation: Es ist offensichtlich, daß die Beziehung zwischen der Handlung, daß die Königin ihre Hand so bewegt, daß sie damit Gift in das Ohr des Königs schüttet, und der Handlung, daß sie ihn tötet, nicht die Beziehung einer Ereignis-Kausalität sein kann. Wenn sie das wäre, müßten wir sagen, daß die Königin verursachte, daß sie den König tötete. Das ist nicht dasselbe, wie wenn man sagt, die Königin führte herbei oder machte es geschehen, daß sie den König tötete; diese Ausdrücke klingen zwar gespreizt, scheinen aber nicht völlig falsch zu sein; denn es ist nicht klar, ob sie etwas anderes bedeuten, als daß die Königin sich selbst dazu gebracht hat, den König zu töten. Aber dann können diese Ausdrücke nicht im erforderlichen Sinn kausal sein. Denn nehmen wir an, daß die Königin, indem sie ihre Hand bewegte, verursachte, daß sie den König tötete, dann könnten wir fragen, wie sie dieses Verursachen ausführte. Die einzige Antwort, die ich mir vorstellen kann, ist die, daß sie es tat, indem sie ihre Hand in der betreffenden Weise bewegte. Aber diese Bewegung war an sich schon ausreichend, den Tod des Königs zu verursachen - es bedurfte keiner anderen Handlung durch die Königin. Und es gibt auch keinen Grund (es sei denn, wir fugten dieser Geschichte auf unwichtige Weise etwas hinzu), warum die Königin den Wunsch gehabt haben sollte zu verursachen, daß sie den König tötete. Was sie tun wollte, war nur, den König zu töten - das heißt etwas tun, das seinen Tod verursacht. Ist die Annahme nicht absurd, daß es für die Königin noch irgend etwas zu tun oder zu erledigen gibt, nachdem sie ihre Hand so bewegt hat, daß sie damit den Tod des Königs verursachte? Sie hat das Ihre getan - jetzt muß nur noch das Gift das Seine tun. Es hilft gar nichts, sich das Töten als eine Handlung vorzustellen, die mit einer Handbewegung beginnt, aber erst später endet. Denn um es noch einmal hervorzuheben: Wenn wir die Beziehung zwischen diesen Ereignissen untersuchen, dann muß die Antwort lauten; daß das Töten
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Wie werden Handlungen beschrieben? aus der Handbewegung und einer ihrer Folgen besteht. Wir können sie auf diese Weise zusammenfügen, weil die Handbewegung den Tod verursacht. Aber dann hat die Königin, indem sie ihre Hand bewegte, etwas getan, was den Tod des Königs verursachte. Die folgenden Beschreibungen sind zwei Beschreibungen desselben Ereignisses: die Königin bewegte ihre Hand auf diese Weise; sie tat etwas, was den Tod des Königs verursachte. (Oder, um es, was mir lieber ist, mit Hilfe von Kennzeichnungen zu formulieren: Das Bewegen der Hand durch die Königin bei der und der Gelegenheit war mit einem Tun von ihr identisch, das den Tod des Königs verursachte). Etwas tun, was jemandes Tod verursacht, ist mit dem Verursachen des Todes identisch. Nun kann man aber wohl kaum einen Unterschied zwischen dem jemandes-Tod-Verursachen und dem jemanden-Töten machen. Daraus folgt aber, daß das Ereignis, das angeblich länger dauern sollte (nämlich das Töten) eben nicht mehr Zeit in Anspruch nahm und sich von der Handbewegung gar nicht unterschied. (DAVIDSON (dt. 1977a), 302/3.)
Das Fazit dieser Überlegungen ist also, dass das Ergebnis oder die Folge eines Ereignisses, das im Tun oder in der Ausführung bestimmter Körperbewegungen durch einen Handelnden besteht, nichts ist, was zu diesem Tun zusätzlich noch hinzukommt: Die Handbewegung der Königin, die sich mit dem Ausdruck Gift ins Ohr des Königs schütten zusammenfassen lässt, ist alles, was getan wurde. Die einzelnen Beschreibungen haben kein anderes Objekt als eben dieses Tun: [...] diesem Durcheinander von verwandten Beschreibungen entspricht nur ein einziges Objekt der Beschreibung - das ist die Schlußfolgerung, auf die all unsere Überlegungen zustreben. [...] Wir können in der Tat die Verantwortlichkeit für eine Handlung auf die Verantwortlichkeit für ihre Folgen ausdehnen, aber wenn wir das tun, dann nicht dadurch, daß wir den Handelnden mit einer neuen Hoffnung belasten, sondern dadurch, daß wir darauf hinweisen, daß seine ursprüngliche Handlung diese Folgen hatte. (DAVIDSON (dt. 1977a), 304.)
Die unangemessene Verdinglichung, zu der die Redeweise von Ursachen und Wirkungen verleitet, kommt dadurch zustande, dass wir irrtümlicherweise diejenigen Eigenschaften, die von einer Handlung in einer Beschreibung ausgesagt werden, auf die Handlung selbst übertragen: Die Annahme, daß unter den gegebenen Umständen das Töten eines Menschen etwas anderes ist als das Ausführen einer bestimmten Handbewegung, beruht auf einer Verwechslung einer Eigenschaft der Beschreibung eines Ereignisses mit einer Eigenschaft des Ereignisses selbst. Der Fehler besteht darin zu glauben, daß dann, wenn in der Beschreibung eines Ereignisses die Bezugnahme auf eine Folge enthalten ist, die Folge
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ihrerseits in dem beschriebenen Ereignis enthalten ist. Die Ziehharmonika, die beim Auseinanderziehen und Zusammenziehen dieselbe bleibt, ist nichts anderes als die Handlung selbst. Was sich verändert, sind die beschriebenen Aspekte oder die Beschreibungen des Ereignisses. (DAVIDSON (dt. 1977a), 303; vgl. auch THALBERG (1972), 193.)
Dieser Auffassung zufolge müssen Handlungsbeschreibungen dann auch nicht zugleich Handlungssätze sein, d.h. sie müssen kein Verb enthalten, das eine Handlung bezeichnet. Die Auffassung, dass die Eigenschaften, die in einer Beschreibung von einer Handlung ausgesagt werden, nicht auf die Handlung selbst übertragbar sind, lässt sich auch durch Verweis auf unser intuitives Sprachverstehen stützen. Lesen wir den folgenden Textabschnitt: Schmidt schrieb das ganze Jahr über an seinem Buch über die Vermeidung von Insektenschäden an unseren Laubbäumen. Als er im Spätherbst dieses Jahres durch den Stadtwald spazierte, entdeckte er, dass Laubbäume, die in unmittelbarer Nähe von Nadelbäumen standen, weniger von Insekten befallen waren als die anderen Laubbäume ... Dieser Text scheint uns nicht sonderlich auffallend oder merkwürdig zu sein, obwohl von Schmidt einmal gesagt wird, dass er das ganze Jahr über an seinem Buch geschrieben hat und dass er während dieses Zeitraums u. a. im Wald spazieren gegangen ist. Würden wir die Handlungsbeschreibung (v)
Schmidt schrieb das ganze Jahr über an seinem Buch ...
als Abbildung der Eigenschaften der beschriebenen Handlung verstehen, dann müsste uns die zweite Handlungsbeschreibung (vi)
Schmidt ging im Spätherbst dieses Jahres im Wald spazieren
widersprüchlich erscheinen: Jemand kann nicht zugleich ein Buch schreiben und im Wald spazieren gehen. Dass aber trotzdem beide Beschreibungen von uns als miteinander verträglich interpretiert werden, hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass wir kein Abbild des so und so Beschriebenen in der außersprachlichen Realität suchen. Die Behauptung (vii)
Anton pflanzt Rosen
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Wie werden Handlungen beschrieben?
wird nicht dadurch falsifiziert, dass Anton zum Zeitpunkt der Äußerung (vii) gerade mit dem Spaten durch den Garten geht, eine Zigarette raucht oder den Hut zieht, um seiner Nachbarin einen guten Morgen zu wünschen.4 Die Tatsache, dass es für ein und dieselbe Handlung mehrere miteinander verträgliche Handlungsbeschreibungen geben kann, bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass diese auch alle gleichermaßen akzeptabel sein müssen. Ödipus in der gleichnamigen antiken Tragödie tötet einen Mann namens Laios, der bekanntlich sein Vater ist („ist" heißt hier: „ist identisch mit"), und er heiratet eine Frau namens Jokaste, die seine Mutter ist. Die beiden Handlungen können wir jeweils beschreiben als W (viii) (ix)
.. Ödipus tötete Laios Ödipus tötete seinen Vater
(2) (x) (xi)
.· . Ödipus heiratete Jokaste Ödipus heiratete seine Mutter
Nehmen wir jetzt einmal an, einer, der das Theaterstück gesehen oder gelesen hat, will dessen Inhalt jemandem, der es nicht kennt, nacherzählen, was er so anfängt: Ödipus, der als Kind von seinen wirklichen Eltern ausgesetzt worden war, wird von Pflegeeltern aufgezogen, die er als Jüngling verlässt. Auf seinem Weg begegnet er seinem Vater, den er tötet. Dann geht er nach Theben, wo er seine Mutter heiratet ... Von einem solchen Bericht würden wir sicher sagen, dass er unzutreffend, unrichtig oder sogar falsch sei, obwohl wir wissen, dass Laios und Ödipus' Vater sowie Jokaste und Ödipus' Mutter jeweils ein und dieselbe Person sind. Was ist der Grund für die Anfechtbarkeit des zitierten Berichts? Zunächst würden wir wahrscheinlich sagen, dass Ödipus, also der Handelnde selbst, von der Identität der Personen gar nichts wusste: Wen er wirklich tötete, war ein alter Mann namens Laios, wen er wirklich heira4 Zur Diskussion dieses Beispiels vgl. DANTO (dt. 1980), 259ff. DANTO nennt Ausdrücke wie ein Buch schreiben, Rosen pflanzen .Projektverben'.
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tete, war die Königin von Theben, Jokaste. Ödipus als Person der fiktionalen Aktion, würde in seinem Selbstverständnis zum Zeitpunkt seiner beiden Handlungen die in dem Bericht enthaltenen Beschreibungen so nicht akzeptieren: Seine Intention war darauf gerichtet, einen alten Greis zu töten, der ihm im Weg stand, und eine schöne Frau zu heiraten, die die Königin von Theben war. Entsprechend wären seine Handlungsbeschreibungen, die jedoch von den Beschreibungen, die die Zuschauer der Tragödie ab einem bestimmten Zeitpunkt der dramatischen Aktion für sich machen können, verschieden sind. Der Witz dieses Theaterstücks besteht nun gerade darin, die Zuschauerbeschreibungen (ix) „Ödispus tötete seinen Vater" und (xi) „Ödispus heiratete seine Mutter" in Beschreibungen zu überführen, die vom Handelnden selbst akzeptiert werden! Aus unseren Überlegungen können wir das Fazit ziehen, dass verschiedene Handlungsbeschreibungen ein und derselben Handlung deshalb nicht gleichermaßen akzeptabel sind, weil in den einzelnen Beschreibungen das jeweilige Objekt der Intention unterschiedlich charakterisiert werden kann: Was für den Handelnden selbst als Objekt seiner Intention gilt, muss nicht mit dem übereinstimmen, was für den Beschreibenden als Objekt der Intention des Handelnden gilt, selbst wenn die beiden Objekte auf ein und dieselbe Person verweisen oder anders ausgedrückt: ihre Benennungen referenziell identisch sind. Es kommt nicht auf ihre Identität in der Welt an, sondern auf ihre Unterschiede bei der sprachlichen Benennung (vgl. dazu auch KEIL (2000).). Fassen wir zusammen: (1) Handlungsbeschreibungen, die sich auf Ergebnis und Folgen einer Handlung beziehen, schreiben dem Handelnden keine Handlung zu, die über das Ausführen bestimmter Körperbewegungen hinausgeht; (2) mehrere unterschiedliche Handlungsbeschreibungen, die sich auf verschiedene Folgen von Handlungen beziehen, haben ein und dasselbe Objekt der Beschreibung: das Ausführen bestimmter Körperbewegungen. Dies ist alles, was der Handelnde getan hat; Ergebnis und Folgen hat er nicht durch eine weitere Handlung bewirkt, sondern dadurch, dass er diese und jene Körperbewegung ausgeführt hat;
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Wie werden Handlungen beschrieben?
(3) die Eigenschaften, die in einer Beschreibung von einer Handlung ausgesagt werden, sind nicht auf die Handlung selbst übertragbar; (4) bei Handlungsbeschreibungen kommt es auf die wörtliche Formulierung dessen an, worauf sich die Intention des Handelnden richtet; (5) Handlungsbeschreibungen können unterschiedlich akzeptabel sein: Was für einen Handelnden als eine adäquate Handlungsbeschreibung gilt, muss nicht unbedingt auch für den Beschreibenden als solche gelten und umgekehrt; (6) aus der unterschiedlichen Akzeptabilität von Handlungsbeschreibungen folgt, dass diese selbst zum Gegenstand neuer Beschreibungen gemacht werden können oder besser: dass sie zum Gegenstand kommunikativer Auseinandersetzungen werden können, dass sie anfechtbar sind.5 2.1.3
Unterschiedliche Beschreibungen von Handlungen beziehen sich auf mehrere Objekte der Beschreibung
Die unter den Punkten (1) bis (6) zusammengefasste Auffassung von der Beziehung zwischen Handlungsbeschreibungen und ihrem Objekt ist nicht unwidersprochen geblieben. (Vgl. THOMSON (1971); DAVIS (1971); GOLDMAN (1970); GOLDMAN (1971; dt. 1977); vgl. dazu auch MEGGLE (1976). Am stärksten angegriffen wurde sie von GOLDMAN, der zugleich einen konstruktiven Gegenvorschlag macht. Mit diesem werden wir uns im Folgenden näher beschäftigen, auch und vor allem, um dem Leser die Gelegenheit zu geben, zwischen den Extremansichten - mehrere Handlungsbeschreibungen - ein Objekt - mehrere Handlungsbeschreibungen - mehrere Objekte einen eigenen Standpunkt zu finden.
DAVIDSON diskutiert das gleiche Problem am Beispiel des unseligen Dänenkönigs Hamlet, der den Mann hinter dem Vorhang tötete, der Polonius war, vgl. DAVIDSON (dt. 1977a), 286; zum Ödipus-Beispiel vgl. auch DAVIDSON (dt. 1977b), 330f.; HAMPSHIRE/HART (dt. 1977), 179f.; CHISHOLM (dt. 1977), 385 f.
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GOLDMAN geht bei seinen Überlegungen von der ANSCOMBEschen Fragestellung aus: Wenn jemand absichtlich seinen Arm bewegt, die Pumpe betätigt, das Wasserreservoir auffüllt, die Bewohner des Hauses vergiftet - sollen wir dann sagen, daß er damit vier oder nur eine Handlung vollzieht? (ANSCOMBE (1957), 54; GOLDMAN (dt. 1977), 332.)
ANSCOMBE selbst beantwortet diese Frage - in gleicher Weise, wie es DAVIDSON getan hat - so: Kurz, er vollzieht damit eine einzige Handlung [...] Daß er- den Griff der Pumpe fest in der Hand - seinen Arm auf und ab bewegt, ist unter diesen Umständen ein Betätigen der Pumpe; und es ist unter diesen Umständen ein Auffüllen des Wasserreservoirs; und es ist unter diesen Umständen ein Vergiften der Hausbewohner. (ANSCOMBE (1957), 46; GOLDMAN (dt. 1977), 332.)
In dieser Antwort sind die einzelnen Beschreibungen mit dem Ausdruck ist in der Bedeutung von „ist identisch mit" verbunden. Doch, so GOLDMAN, dieses ist kann hier gar nicht in dieser Bedeutung verwendet werden, da es zwischen diesen Beschreibungen eine natürliche Ordnung gibt, so dass man die einzelnen Beschreibungen nicht willkürlich durch ist miteinander verbinden kann: Zu beachten ist insbesondere die folgende interessante Asymmetrie. Es ist ganz natürlich, wenn jemand sagt, daß das Auf-und-ab-bewegen ein Auffüllen des Wasserreservoirs ,ist', nicht so natürlich ist hingegen die Behauptung, daß das Auffüllen des Wasserreservoirs (unter diesen Umständen) ein Auf-und-ab-bewegen des Armes ,ist'. (GOLDMAN (dt. 1977), 333.)
Doch nicht nur das Bestehen einer natürlichen Ordnung, sondern auch die Möglichkeit der Verwendung des Ausdrucks dadurch, dass widerlegt laut GOLDMAN die Auffassung, dass sich die vier Beschreibungen auf ein und dasselbe Objekt beziehen. Durch diesen Ausdruck lassen sich die vier Beschreibungen in der hier zitierten Reihenfolge miteinander verknüpfen. Nun gilt jedoch: es ist richtig, daß er das Reservoir dadurch auffüllt, daß er die Pumpe betätigt; es ist aber nicht richtig, daß er die Pumpe dadurch betätigt, daß er das Reservoir auffüllt. (Ebenso gilt: Es ist nicht richtig, daß er seinen Arm dadurch auf und ab bewegt, daß&r die Pumpe betätigt; und es ist nicht richtig, daß er das Reservoir dadurch auffüllt, daß er die Hausbewohner vergiftet.) Des weiteren wäre die Behauptung recht seltsam,
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Wie werden Handlungen beschrieben? daß er die Pumpe dadurch betätigt, daß er die Pumpe betätigt. Die ,dadurch-daß-Relation' ist also offensichtlich eine asymmetrische und irreflexive Relation. Eine solche Relation kann aber nicht zwischen einem gegebenen Ding und diesem Ding selbst bestehen, woraus wir den Schluß ziehen müssen, daß die Akte, von denen im ANSCOMBE-Beispiel die Rede ist, nicht identisch sind. (GOLDMAN (dt. 1977), 334.)6
Die dadurch-dass-Relation im ANSCOMBEschen Beispiel repräsentiert GOLDMAN durch ein Handlungsdiagramm der folgenden Art: sein Vergiften der Hausbewohner sein Auffüllen des Wasserreservoirs sein Betätigen der Pumpe sein auf-und-ab-Bewegen des Armes Die dadurch-dass-Relation kann aber noch sehr viel komplizierter sein als im dargestellten Fall. Um dies zu demonstrieren, gibt GOLDMAN selbst ein Beispiel, das wir allein schon deshalb ganz zitieren müssen, weil es in der weiteren Argumentation immer wieder herangezogen wird: Ein Beispiel: Boris krümmt den Zeigefinger seiner rechten Hand, zieht dadurch den Abzug seiner Pistole durch, löst dadurch einen Schuß aus, tötet dadurch Pierre, hindert Pierre dadurch, Parteigeheimnisse der Öffentlichkeit preiszugeben, bewahrt die Partei dadurch vor einem Desaster. Dadurch, daß er Pierre tötet, treibt er zudem Pierres Geliebte zum Selbstmord. Die dadurch-dass-Relationen können hier nicht durch eine einzige Spalte von Handlungen repräsentiert werden. Es stimmt zwar, daß Boris dadurch, daß er Pierre tötet, dessen Geliebte zum Selbstmord treibt, und es stimmt auch, daß er dadurch, daß er Pierre tötet, die Partei vor einem Desaster bewahrt, aber das heißt weder, daß er die Partei dadurch vor einem Desaster bewahrt, daß er Pierres Geliebte in den Selbstmord treibt, noch heißt das, daß er Pierres Geliebte dadurch zum Selbstmord treibt, daß er die Partei vor einem Desaster bewahrt. (GOLDMAN (dt. 1977), 336.)
Die hier gemeinte dadurch-dass-Relation ist nicht auf physikalische Kausalität beschränkt, sie gilt auch für konventionale Verknüpfungen wie (i) Maria zeigt dadurch, dass sie ihre Hand ausstreckt, an, dass sie abbiegen will.
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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Sein Diagramm: er bewahrt die Partei vor einem Desaster
O \
er treibt Pierres Geliebte zum Selbstmord
er verhindert, daß Pierre Parteigeheimnisse der Öffentlichkeit preisgibt er tötet Pierre er löst einen Schuß aus er zieht den Abzug durch er krümmt den Zeigefinger der rechten Hand GOLDMAN bringt nun zunächst drei Argumente, um die ANSCOMBE/DAViDSONSche Auffassung zu widerlegen, es handele sich bei den obigen Beispielen um zwei Fälle, in denen jeweils ein und dieselbe Handlung beschrieben wird, oder, wie er sagt, um zwei Fälle von Handlungsidentität. (GOLDMAN (dt. 1977), 337-343.) (I) Das erste Argument DAVIDSON vertritt, wie wir wissen, die Auffassung, dass Handlungen dann identisch sind, wenn ihre Ursachen und Wirkungen dieselben sind; einen solchen Fall hat er am Beispiel des Königsmords demonstriert: Das Verursachen des Todes ist identisch mit dem Töten des Königs. Wenn dies zutrifft, argumentiert GOLDMAN mit Bezug aufsein eigenes Handlungsbeispiel, dann muss es auch möglich sein, den folgenden Ausdruck (i)
Boris' Töten von Pierre
durch (ii)
diejenige Handlung von Boris, die Pierres Tod verursachte
zu paraphrasieren. Als Argument für eine solche Paraphrasierungsmöglichkeit kann, laut GOLDMAN, auf die Feststellung zurückgegriffen werden, dass die beiden folgenden Ausdrücke äquivalent sind:
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(iii) (iv)
Wie werden Handlungen beschrieben?
Boris tötete Pierre es gibt eine Handlung von Boris, die den Tod von Pierre verursachte
Die nächste Frage ist die, ob der Ausdruck (i) aus (iii) bzw. (ii) aus (iv) abgeleitet werden kann, und zwar durch ein und dieselbe grammatische Veränderung oder Transformation. Wenn dies der Fall wäre, könnte man davon ausgehen, dass die entsprechenden Ausdrücke jeweils dasselbe bezeichnen. Nun ist Töten in (i) eine Nominalisierung von (iii) tötete; diejenige Handlung in (ii) ist jedoch keine Nominalisierung von (iv) es gibt eine Handlung. Also entfällt die Bedingung, dass nur ein und dieselbe Transformation ausgeführt werden soll. Aber auch die Nominalisierungstransformation führt nicht zu einem äquivalenten Ausdruck: Ein Beispiel: Die beiden Sätze „Wirkung W trat ein" und „etwas verursachte das Eintreten von W" sind äquivalent; ihre Nominalisierungen „das Eintreten von W" und „das Verursachen des Eintretens von W" besitzen jedoch nicht dieselbe Referenz. (GOLDMAN (dt. 1977), 340.)
Die Paraphrasierungs- und Transformationstests bestärken also die Vermutung, dass das Verursachen von jemandes Tod und das Töten keine identischen Handlungen sind. (2) Das zweite Argument DAVIDSON würde, so GOLDMAN, die drei folgenden simultan ausgeführten Handlungen (v) (vi) (vii)
Florian singt Florian singt laut Florian singt falsch
als identisch betrachten wollen.7 Die spezifischen Eigenschaften des Singens von Florian können nun aber durch ganz verschiedene Ursachen hervorgerufen sein: Das Lautsingen kann Dies behauptet GOLDMAN, ohne es zu belegen. Aber vermutlich würde DAVIDSON so argumentieren: (vi) Florian singt laut ist nicht als eine Beschreibung aufzufassen, die sich auf zwei Handlungen bezieht - etwa einmal auf Florians Singen und zum ändern auf Florians lautSingen, denn alles, was Florian tut, ist, in einer bestimmten Weise zu singen. Die Attribute laut oder falsch sind Aspekte der Beschreibung.
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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dadurch verursacht sein, dass Florian sich ärgert, sein Falschsingen dadurch, dass er an einer Mandelentzündung leidet. Beide Ursachen sind unterschiedlich - oder können es jedenfalls sein -, nach DAVIDSON müssten sie aber notwendig dieselben sein. Also kann man auch hier nicht von ein und derselben Handlung sprechen. An dieser Stelle möchte ich etwas zur Kritik der GOLDMANschen Kritik sagen: DAVIDSON bezieht sich mit dem Ausdruck Ursache immer auf das Ausführen bestimmter Körperbewegungen und nicht auf Handlungsmotive wie Ärger oder Handlungsumstände wie dem Leiden an einer Mandelentzündung. Solche Dinge nennt er „Primärgründe" für eine Handlung (vgl. DAVIDSON (dt. 1975), 110ff.). Eine adäquate Kritik an DAVIDSON müsste deshalb m. E. zeigen, dass in den drei zitierten Fällen jeweils unterschiedliche Körperbewegungen ausgeführt werden. Und hier scheint mir in der Tat ein Problem zu liegen: Ist Lautsingen nicht doch mit anderen - vielleicht intensiveren Körperbewegungen verbunden als einfaches Singen? Andererseits wird der erkältete Florian wohl nichts anderes tun als einfach zu singen! (3) Das dritte Argument Wenn Boris auf Pierre geschossen hat und dieser 12 Stunden später stirbt, dann kann man sowohl sagen (viii)
Boris hat Pierre getötet
als auch (ix)
Boris hat Pierre dadurch getötet, dass er auf ihn geschossen hat
Aber es wäre falsch zu sagen, Pierres Tod sei zwölf Stunden nach dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem Boris ihn getötet hatte. „Wenn nun aber Pierres Tod zwölf Stunden nach dem Töten eingetreten ist, dann kann das Schießen nicht dieselbe Handlung sein wie das Töten." (GOLDMAN (dt. 1977), 243.) Den Tod von Pierre verursachen kann also auch keine Paraphrase von töten sein. Das erste Argument GOLDMANS gegen DAVIDSON zeigt nun m. E. - wie auch die beiden anderen - bereits ganz deutlich, dass er von einer grundsätzlich anderen Voraussetzung ausgeht
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Wie werden Handlungen beschrieben?
als der von ihm kritisierte DAVIDSON. Dieser war ja der Auffassung, dass diejenigen Beschreibungen, die sich auf identische Handlungen beziehen, Eigenschaften haben können, die die betreffenden Handlungen selbst nicht besitzen. Daraus folgt auch, dass die jeweiligen Beschreibungen, was ihren semantischen Gehalt anbetrifft, unterschiedlich sein können; z.B. sind (x) (xi) (xii) (xiii)
Boris zieht den Abzug durch Boris schießt auf Pierre Boris verursacht Pierres Tod Boris tötet Pierre
durchaus semantisch verschieden voneinander. Wir hatten solche Unterschiede bereits unter dem Aspekt der Normalbeschreibung von Handlungen erörtert. Das heißt nun aber nicht, dass mit den einzelnen unterschiedlichen Beschreibungen das Ausführen unterschiedlicher Handlungen behauptet würde: Boris3 Töten von Pierre und sein Schießen auf Pierre sind in Raum und Zeit identisch, ebenso wie Boris' Verursachen von Pierres Tod und Boris' Durchziehen des Abzugs. Relativ zu dem, was der Handelnde getan hat, sagen die Beschreibungen (x) bis (xiii) dasselbe aus, relativ zu bestimmten Umständen (Wirkungen, Art und Weise der Ausführung) der Handlung sagen sie verschiedenes aus. GOLDMAN geht jedoch bei seiner Kritik von der Voraussetzung aus, dass semantisch unterschiedliche Beschreibungen prinzipiell nicht auf ein und dieselbe Handlung bezogen sein können: Wenn man auf die Frage: Was tut X/hat X getan? unterschiedliche Antworten erhält, die sich alle auf das Tun von X beziehen, dann muss dieses Tun von X in mehreren unterschiedlichen Handlungen bestehen. Bezogen auf sein Beispiel lauteten mögliche Antworten auf die obige Frage: (xii) (xiii)
Boris verursachte Pierres Tod Boris tötete Pierre
Die beiden Antworten sind zwar semantisch verwandt (aus beiden folgt z.B., dass Pierre tot ist), aber auch semantisch unterschiedlich, wie GOLDMAN in seinem ersten Argument durch Paraphrasierungs- und Transformationstests gezeigt hat. Und dies ist für ihn ein Hinweis darauf, dass sich die beiden Beschreibungen auf zwei verschiedene Handlungen beziehen müssen.
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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Ohne die Leser/innen hier zur Annahme der einen oder anderen Grundauffassung verleiten zu wollen, muss ich gestehen, dass mir die erste, DAViDSONsche Auffassung weitaus plausibler erscheint, selbst wenn sie Probleme logischer Art aufwerfen sollte, die ich aber nicht sehe. Die Plausibilität der Auffassung besteht einfach in der nüchternen Feststellung, dass der Handelnde in all den diskutierten Beispielfällen immer nur jeweils eines getan hat: die Tür aufgemacht, die Pumpe betätigt, geschossen - und sonst nichts. Das Zeitargument, das GOLDMAN bringt, scheint mir auch nicht besonders geeignet, die Auffassung zu widerlegen, das Schießen bzw. Verursachen des Todes und das Töten seien ein und dieselbe Handlung. Auch wenn der Tod des Getroffenen erst Stunden nach dem Schuss eintritt, ändert das nichts an der Tatsache, dass der Handelnde nichts anderes getan hat als geschossen, und dass dies die Handlung des Tötens war. Was sich allerdings ändert, ist der Zeitpunkt, zu dem ich in meiner Beschreibung den Ausdruck töten verwende, aber wenn ich dies tue, behaupte ich nicht, der Handelnde habe zusätzlich zu seinem Schießen noch eine Handlung „Töten" ausgeführt; was ich behaupte, ist, dass das, was der Handelnde getan hat, jetzt dieses Ergebnis (Tod) hat, und dies ist ein Aspekt des Handelns selbst und keine zweite andere Handlung.8 Etwas, worauf GOLDMAN zu Beginn seiner Überlegungen hinweist, ist jedoch - ganz egal, welche Auffassung man favorisiert - immer noch unklar: die dadurch-dass-Relation, die zwischen den einzelnen Beschreibungen besteht. Bevor wir darauf näher eingehen, sollten wir zunächst GOLDMAN mit seiner eigenen Theorie der Handlungsidentität zu Wort kommen lassen. GOLDMAN führt zunächst eine Unterscheidung ein zwischen - einem Akt-Typ (act-type) - und einem Akt-Vorkommnis (act-token) Unter einem Akt-Typ versteht er „eine Akt-Eigenschaft, etwas, das, wie ich es ausdrücken werde, von einem Handelnden exemplifiziert wird." Solche Akt-Eigenschaften sind z.B.: 8 Diese Auffassung vertritt auch VON WRIGHT, vgl. (dt. 1974), 70: „Das Ergebnis ist ein .wesentlicher' Teil der Handlung selbst. Es ist daher ein schwerer Fehler, wenn man die Handlung selbst für die Ursache ihres Ergebnisses hält."
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Wie werden Handlungen beschrieben?
ein-Fenster-öffnen herumschlendern mit-den-Ohren-wackeln Pierre töten (GOLDMAN (dt. 1977), 342.)9 Ein und derselbe Akt-Typ kann von einer oder auch mehreren Personen mehrmals exemplifiziert werden, z.B. ein-Fenster-öffnen, herumschlendern (dies kann natürlich für den Akt-Type Pierre-toten nicht gelten!). Ein Akt-Vorkommnis ist ein konkreter, individueller Akt, ein „Exemplifizieren eines Akt-Typs durch eine Person zu einer bestimmten Zeit (bzw. während einer bestimmten Zeitspanne)." (GOLDMAN (dt. 1977), 347.) Mit Hilfe dieser Unterscheidung formuliert GOLDMAN das Kriterium für Handlungsidentität so: Ein Akt-Vorkommnis A, das die Exemplifizierung eines Akt-Typs durch eine Person X zum Zeitpunkt t ist, und ein Akt-Vorkommnis A', das die Exemplifizierung eines Akt-Typs durch eine Person zum Zeitpunkt t' ist, sind genau dann identisch, wenn X = , = , t = t' Grob vereinfacht heißt das: Zwei Akt-Vorkommnisse sind genau dann identisch, wenn ein und dieselbe Person zu ein und demselben Zeitpunkt ein und denselben Akt-Typ exemplifiziert. Bevor GOLDMAN nun dieses Kriterium auf sein Beispiel anwendet, führt er noch eine weitere Unterscheidung ein: Durch (xiv)
X betätigt die Pumpe
und
(xv)
X ist ein Betätigen der Pumpe
werden jeweils zwei verschiedene Eigenschaften ausgedrückt: durch (xiv) eine Eigenschaft, die der Handelnde exemplifiziert (die Variable X kann nur durch die Benennung einer Person erVermutlich gehören alle infinitivischen Ausdrücke dazu, mit denen Handlungen bezeichnet werden können - zumindest legen die aufgeführten Beispiele diese Vermutung nahe.
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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setzt werden); durch (xv) wird eine Eigenschaft genannt, die durch eine Handlung exemplifiziert wird (X kann nur durch die Benennung einer Handlung ersetzt werden). Die Formulierung (xv) besagt, dass X (eine Handlung von Peter) ein Vorkommnis des Akt-Typs ,die Pumpe betätigen' ist. Entsprechend ist „töten von Pierre durch Boris" ein Vorkommnis des Akt-Typs „Pierre töten". Boris' Handlung, auf Pierre zu schießen, exemplifiziert die Eigenschaft „Pierres Tod verursachen". Und: „es gibt genau einen Akt-Typ, von dem Boris' Handlung ein Akt-Vorkommnis ist, nämlich den AktTyp „auf Pierre schießen". Obwohl also Boris' „Schießen auf Pierre" eine Handlung von Boris ist, ist sie doch kein Töten von Pierre." (GOLDMAN (dt. 1977), 349.) Was GOLDMAN mit seinen Unterscheidungen bezweckt, ist zweierlei: - einmal: die dadurch-dass-Relation wird unterschieden als: (a) die Relation ,X ist Vorkommnis von Y' im Sinn von: X, eine bestimmte konkrete Handlung, ist ein Vorkommnis von (vielleicht umgangssprachlich: ,ein Fall von') Y, einem bestimmten Akt-Typ; (b) die Relation ,X exemplifiziert Y' im Sinn von: wenn eine bestimmte Person einen bestimmten Akt X ausführt, dann exemplifiziert sie damit zugleich einen Akt-Typ Y; - zum ändern sollen alle Akt-Vorkommnisse und Akt-Typen ermittelt werden, die eine Handlung zu einer Einheit machen; diese sollen in einem hierarchisch gegliederten Handlungsbaum repräsentiert sein. Problematisch an den GoLDMANschen Zuordnungen von AktVorkommnissen zu Akt-Typen scheint allerdings die offensichtlich selbstverständliche Bestimmung dessen, was ein AktTyp und was ein Akt-Vorkommnis sein soll. Warum ist z.B. „auf Pierre schießen" ein Akt-Typ? Es könnte doch genauso gut eine Eigenschaft, z.B. den Akt-Typ „Pierre töten" exemplifizieren, etwa im Gegensatz zu „Pierre vergiften", ein Akt, der doch sicher auch den Akt-Typ „Pierre töten" exemplifizieren könnte. Wenn man sich jedoch von einer solch strengen Auffassung davon, was ein Akt-Vorkommnis und was ein Akt-Typ ist, trennt und statt dessen von der - auch bei GOLDMAN angesprochenen Möglichkeit - ausgeht, dass das, was er Akt-Typ nennt,
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Wie werden Handlungen beschrieben?
mehrmals und vor allem auf unterschiedliche Weise ausgeführt werden kann, dann könnte man seinen Differenzierungsvorschlag so modifizieren: Für ein und dieselbe Handlung, z.B. „jemanden töten" gibt es verschiedene Ausführungsmöglichkeiten, z.B. „jmdm. Gift geben", „jmdn. erschlagen", „jmdn. erschießen" usw. Mit solchen Zuordnungen würde man zugleich auch sagen, wie eine bestimmte Handlung X ausgeführt werden kann. Da dies natürlich nicht beliebig ist - „jmdn. töten" kann man nicht dadurch ausführen, dass man jemanden nur ganz einfach sanft streichelt -, heißt das zugleich auch, dass man Regeln für eine Handlung angeben kann, indem man sagt, aufweiche Weisen man ein- und dieselbe Handlung ausführen kann. Ein solcher Ansatz findet sich bei HERINGER, der - in kritischer Distanz zu GOLDMAN - zwischen Handlungsmuster und Handlungen unterscheidet. Handlungsmuster sind Regeln und Handlungen Befolgungsmöglichkeiten dieser Regeln. (Vgl. HERINGER (1974), 40f.) Ein bestimmtes Handlungsmuster X enthält die Aufzählung der möglichen Handlungen, die ein Handelnder ausführen kann, damit seine Handlung als die ganz bestimmte Handlung X gilt, z.B.: JMDN. VERGIFTEN JMDN. ERSCHIESSEN JMDN. ERSCHLAGEN (1) JMDN. TÖTEN
Die Handlungen rechts vom Pfeil können ihrerseits verschieden ausgeführt werden, z.B.:
(2) JMDN. VERGIFTEN
JMDM. GIFT INS OHR TUN JMDM. GIFT INS ESSEN TUN JMDM. GIFT INS GESICHT SCHÜTTEN
Die Wirkung des ,Ziehharmonikaeffekts'
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Und „jmdm. Gift ins Ohr tun" kann man sicher auch noch auf verschiedene Weise ausführen. Doch dann kommt man bereits ans Ende der Beschreibungsmöglichkeit; es gibt offensichtlich Handlungen, die man nicht weiter differenzieren kann, sog. Basishandlungen (vgl. HERINGER (1974), 46.). Fassen wir zusammen: (1) Die möglichen Handlungsbeschreibungen einer Handlung stehen zueinander in einer dadurch-dass-Relation; (2) diese Relation lässt sich durch die Zuordnung von Handlungen zu ihren jeweiligen Ausführungsmöglichkeiten näher bestimmen; (3) eine solche Zuordnung kann durch Handlungsmuster erfolgen, in denen dargestellt ist, in welcher Weise man eine bestimmte Handlung X ausführen kann, damit sie als diese bestimmte Handlung X gilt; (4) mit solchen Handlungsmustern werden zugleich Regeln angegeben (a) dafür, was als eine Handlung X gilt und (b) dafür, wie man eine Handlung X machen kann. 2.1.4
Die beiden Auffassungen - DAVIDSON vs. GOLDMAN unter der Lupe
DAVIDSONS und GOLDMANS Auffassungen sind unter den Etiketten „Unifier Theory" und „Multiplier Theory" intensiv diskutiert worden (vgl. v. a. BENNETT (1988); PFEIFER (1989); MOYA (1990), STOECKER (1992); STOECKER (1993); MARTIN (1997), KEIL (2000).), wobei die folgenden drei Fragen als zentral gelten können: (1) Wodurch unterscheiden sich Handlungen von anderen Ereignissen? (2) Mit (1) zusammenhängend: Müssen Handlungsbeschreibungen notwendigerweise einen kausalen Bezugsrahmen, eine kausale Geschichte, enthalten? (3) Sind die beiden Auffassungen komplementärer oder kontradiktorischer Natur, d.h. schließen sie sich gegenseitig aus oder kann man aus unterschiedlichen Perspektiven für
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Wie werden Handlungen beschrieben?
beide Auffassungen plädieren, ohne in logische Widersprüche zu geraten? Man kann die Frage noch verschärfen: Sind Handlungen nur als Ereignisse in der Welt zu begreifen oder auch oder sogar hauptsächlich als durch die menschliche ratio begründbar intentionale Akte vernunftbegabter Wesen? So trivial diese Frage auch klingen mag, es wird sich zeigen, dass in unserem ganz alltäglichen (sprachlichen) Umgang mit Handlungen beide Sichtweisen eine Rolle spielen. Zunächst mag es als unumstritten gelten, dass Handlungen eben auch Ereignisse sind und als solche betrachtet werden können. Unter dieser Perspektive gibt es - wie wir bei GOLDMAN gesehen haben - Probleme mit der Bestimmung dessen, was ein Handelnder getan hat, denn Ereignisse sind durch Raum und Zeit festgelegt, so dass, im Fall von komplexen Handlungen wie dem Vergiften der Hausbewohner oder dem Bewahren der Partei vor einem Desaster von verschiedenen raum-zeitlich begrenzten Ereignissen ausgegangen werden muss, womit die Vertreter der Unifier-Theorie in Widersprüche geraten. Dies soll an einem Beispiel von DAVIDSON (zitiert und kommentiert von STOECKER (1993).) noch einmal verdeutlicht werden: Stellen wir uns vor, eine Person A packt eine Zeitbombe in seinen Koffer und checkt diesen für einen bestimmten Flug ein. Das Flugzeug wird daraufhin durch eine Explosion zerstört. Es ist offensichtlich, dass A das Flugzeug in die Luft gejagt hat, und dies absichtlich (so ist das Beispiel konstruiert!): Das Flugzeug-in-die-Luft-Jagen ist also eine Handlung von A. Die Zerstörung des Flugzeugs ist ein Ereignis, und da Ereignisse zeitlich und räumlich begrenzt sind, muss die Zerstörung des Flugzeugs eine raum-zeitliche Begrenzung haben. Die Frage ist also: Wann fand As Handlung statt? Das Problem stellt sich weniger für den Anfang der Handlung als für deren Ende: Wann war As Handlung beendet? In DAVIDSONS minimalistischer Sicht ist es natürlich zu sagen, dass As Platzierung der Bombe in seinen Koffer - das Einzige, was er tat - die Zerstörung des Flugzeugs war. Dies zu behaupten, hat die bizarre Konsequenz, dass A direkt, nachdem er den Flughafen verlassen hat, bevor das Flugzeug abhob und lange, bevor es in die Luft flog, das Flugzeug zerstört hat!
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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Die Alternative zu dieser Auffassung wäre zu sagen, dass A das Flugzeug nicht zerstört hat, bevor es explodiert ist: Die Handlung war erst mit der Zerstörung des Flugzeugs beendet. Aber auch diese Annahme hat ihre absurde Konsequenz: Nehmen wir an, A verlässt den Flughafen, geht in eine Kneipe und trinkt ein Bier. Ein Anhänger der alternativen Auffassung müsste nun zulassen, dass A, während er in der Kneipe sitzt und sein Bier trinkt, ein Flugzeug zerstört (engl. is destroying an aeroplane), wobei A noch nicht einmal wissen kann, ob seine Aktion erfolgreich ist! Wir stehen also vor einem echten Dilemma: Egal welchen Zeitpunkt wir als Ende von As Handlung wählen, wir sind immer gezwungen, merkwürdige Dinge zu behaupten. Bisher sind wir stillschweigend davon ausgegangen, dass Handlungen Ereignisse sind. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte nun darin bestehen, diese Annahme aufzugeben: Die raum-zeitliche Bestimmung von Handlungen muss deshalb scheitern, weil Handlungen keine Ereignisse sind. (Vgl. dazu RÜBEN (1997).) DAVIDSON sieht einen Ausweg aus dem Dilemma in der Bestimmung der logischen Form von Handlungssätzen wie z.B.: (i)
Donald fuhr nach Hause
Der Satz ist wahr, wenn es mindestens eine Person mit Namen Donald und mindestens eine Handlung gibt, die das Nachhause-Fahren von ihm ist. Auf die Frage: „Wann fuhr Donald nach Hause?" gibt es mehr als eine korrekte Antwort: Es könnte Montag, Mittwoch oder Freitag sein, d.h. wenn man einen wahren Handlungssatz in eine Wann-Frage transformiert, garantiert dies nicht, dass es nur eine korrekte Antwort gibt. Die Analyse des Satzes „Arthur destroyed the aeroplane", die DAVIDSON gibt, ist die folgende: .Arthur destroyed the aeroplane' must have a form something like .Arthur caused a destruction of the aeroplane'. But agents cause things to happen by doing something - perhaps by placing a bomb. A fuller analysis of .Arthur destroyed the aeroplane' takes us to: There exist two events such that Arthur is the agent of the first, the second is the destruction of the aeroplane, and the first caused the second. (DAVIDSON (1969), 761.)
Diese Analyse impliziert auch, dass sich die Wann-Frage auf zwei Ereignisse beziehen kann: einmal auf das Ereignis der Zer-
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Wie werden Handlungen beschrieben?
Störung des Flugzeugs, die einige Stunden, nachdem A den Flughafen verlassen hat, stattfand und zum ändern auf das Ereignis der Aktivität von A, die die Zerstörung verursachte und die bereits eingetreten war, nachdem A den Flughafen verlassen hat. (Vgl. dazu STOECKER (1993), 281 f.) Wenn aber, wie es DAVIDSONS Analyse zu suggerieren scheint, dennoch die Annahme gilt, dass Handlungen Ereignisse sind, dann muss As Handlung eine raum-zeitliche Begrenzung haben. DAVIDSON schließt seine Analyse mit der folgenden Bemerkung ab: No ambiguity attaches to the question ,When did Arthur's action of destroying the aeroplane occur?' for the description of this action is ,the action of which Arthur was agent which caused a destruction of the aeroplane' and this has a definite date. (DAVIDSON (1969), 763.)
Damit bestätigt DAVIDSON seine ursprüngliche These, dass As Handlung der Zerstörung des Flugzeugs identisch mit seiner Platzierung der Bombe ist, wobei unterstellt wird, dass As Handlung der Zerstörung des Flugzeugs (d.h. seine Platzierung der Bombe) die Zerstörung des Flugzeugs verursachte. Hier könnte man allerdings einwenden, dass die Verursachung nur durch eine Kette von weiteren Verursachungen stattgefunden hat: Der Koffer muss z.B. in den Laderaum des Flugzeugs gelangt sein. Dies würde zur Folge haben, dass wir sagen müssen: As Handlung verursachte die Verladung des Koffers, was ziemlich abwegig zu sein scheint (vgl. STOECKER (1993), 282.). Eine sehr viel plausiblere Interpretation von Handlungssätzen gibt DAVIDSON in seinem Aufsatz „The Individuation of Events" (dt. „Zur Individuation von Ereignissen"): „To describe a pouring of some poison as a killing is to describe it as a causing of a death." (DAVIDSON (1969), 23.) Das heißt: Jemanden Töten oder etwas Zerstören ist keine Ursache (cause) eines Ereignisses, sondern eine Verursachung (a causing) eines Ereignisses. Verursachungen sind - im Gegensatz zu Ursachen - keine Ereignisse, also sind auch Handlungen keine Ereignisse. Es bleibt damit die unbeantwortete Frage: Was sind sie dann? Wenn wir jetzt noch einmal einen Blick auf die erste Analyse DAVIDSONS werfen, finden wir dort die Bemerkung: „but agents cause things to happen by doing something." Das heißt auch: Wir haben es mit einer wahrnehmbaren körperlichen Aktivität eines Handelnden zu tun, wobei auch Unterlassungen
Die Wirkung des .Ziehharmonikaeffekts'
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unter dem Gesichtspunkt ihrer Wahrnehmbarkeit mit einbezogen werden können. Die zweite Analyse DAVIDSONS rekurriert auf das ANSCOMBE-Kriterium „unter einer Beschreibung", denn hier ist nicht die Rede davon, was die Handlung ist (oder wann sie stattfindet), sondern als was sie (korrekt) beschrieben werden kann. Der Gegenstand der Beschreibung ist die Körperbewegung, das, was ein Handelnder ,wirklich' getan hat, die Basishandlung (vgl. dazu Näheres im folgenden Abschnitt): Wenn wir noch einmal auf das Beispiel von ANSCOMBE zurückkommen, haben wir in der Version von GOLDMAN die folgenden Komponenten eines Handlungsbaums: X bewegt seinen Arm X betätigt die Pumpe X füllt das Wasserreservoir des Hauses auf (mit vergiftetem Wasser) X vergiftet die Bewohner des Hauses (eine Clique hochrangiger Nazis) Die erste Komponente dieser Kette ist die Basishandlung; sie ist das, was der Handelnde unmittelbar tut, d.h. nicht dadurch, dass er noch etwas anderes tut. Alle übrigen Glieder in diesem Handlungsbaum stehen nach GOLDMAN in einer dadurch-dassRelation, also: X vergiftet die Bewohner des Hauses DADURCH DASS X füllt das Wasserreservoir auf DADURCH DASS X betätigt die Pumpe DADURCH DASS X bewegt seinen Arm Wir haben bereits gesehen, dass - so wie das Beispiel konstruiert ist - jede der mit dadurch dass verbundenen Aussagen als adäquate, wenn auch unterschiedlich informative, Handlungsbeschreibungen gelten kann. Die Frage, die in der Kontroverse Unifier vs. Multifier auftaucht, ist die, ob die Basishandlung eine Reihe unterschiedlicher Handlungen impliziert (Multiplier) oder ob es ein und dieselbe Handlung ist, die unterschiedlich beschrieben wird (Unifier). Die Sicht der Multiplier
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Wie werden Handlungen beschrieben?
setzt voraus, dass es sich um verschiedene Ereignisse mit raumzeitlicher Begrenzung handelt, die kausal miteinander verknüpft sind. Die Sicht der Unifier setzt voraus, dass die Beschreibung einer Handlung unter dem Gesichtspunkt eines Handlungsplans, d.h. von Absichten und Überzeugungen des Handelnden, erfolgt. Nehmen wir die beiden unterschiedlichen Kriterien etwas näher unter die Lupe. MOYA (1990) macht auf die Unterschiede der beiden Kriterien in folgender Weise aufmerksam: Handlungsbeschreibungen sind nach DAVIDSON im Wesentlichen Rationalisierungen, d.h. mit ihnen wird deutlich gemacht, was ein Handelnder im Kontext seiner Absichten und Überzeugungen getan hat. Die Kriterien für adäquate Rationalisierungen sind zu unterscheiden von den Kriterien für adäquate Kausalaussagen: In the case of rationalizations the ,Iogical' or Conceptual' relations are supposed to be those in virtue of which the action appears as a reasonable consequence of the reason. As we saw, DAVIDSON considered this justification relations as dictinctive of rationalizations. The objection is met again by distinguishing between the level of events and the level of description of those events. A causal relation holds independently of how they are described. .Logical' or .conceptual' relations hold at the level of descriptions and statements. (MovA (1990), 110.)
Auch KEIL (2000) betont, dass Kausalitäts- und Rationalitätsbeziehungen auseinander gehalten werden müssen: Eine Verursachung findet entweder statt oder nicht, aber sie findet nicht unter einer Beschreibung statt. (KEIL (2000), 48.)
oder mit Bezug auf Handlungsbeschreibungen: Handlungen gehen mit Verursachungen einher, doch Handlungsbeschreibungen erfüllen nicht primär den Zweck einer kausaltheoretisch korrekten Darstellung eines Geschehens. (KEIL (2000), 379. Vgl. dazu auch HORNSBY (1997).)
Man könnte diese Unterscheidung noch ergänzen, indem man darauf hinweist, dass Handlungen absichtlich, vernünftig sein oder dass sie scheitern können, was man von Ereignissen nicht sagen kann. Alles läuft auf das Fazit hinaus, dass es einen Unterschied macht, ob man auf der Ebene der Ereignisse, einer eher ontologischen Ebene, oder auf der Ebene von Handlun-
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gen als rationalisierbare menschliche Aktivitäten, auf einer eher epistemischen10 Ebene Aussagen macht. Mit dieser Unterscheidung ist auch impliziert, dass die Einheit eines Ereignisses, d.h. seine Individuation, auf der ontologischen Ebene festgestellt wird, u.a. durch raum-zeitliche Bestimmungen, während die Einheit einer Handlung auf der epistemischen Ebene, durch die Hineinnahme von Absichten und Überzeugungen der handelnden Person, festgestellt wird. Mit der Unterschiedlichkeit der beiden Ebenen ist ein Perspektivenwechsel verbunden: Die Individuation von Ereignissen wird aus der Perspektive eines Beobachters festgelegt, die Einheit einer Handlung aus der Perspektive der handelnden Person. Unter dieser Perspektive treten die Zweck-Mittel-Relationen der einzelnen Glieder einer Kette von Handlungen und der intendierte Endzweck in den Vordergrund der Betrachtung. Den Handlungsbaum von ANSCOMBE/GOLDMAN kann man auf der epistemischen Ebene so rekonstruieren: X X X X
bewegt seinen Arm betätigt die Pumpe füllt das Wasserreservoir vergiftet die Hausbewohner
Mittel zu/Zweck: Mittel zu/Zweck: Mittel zu/Zweck:
Das Ende einer solchen Beschreibung bildet jeweils das als Endzweck intendierte Ereignis (oder auch ein Zustand), wobei vorausgesetzt wird, dass der Handelnde auf rationale Weise seinen Endzweck intendiert, und das heißt auch, dass er über Mittel verfügt, von denen er glaubt/überzeugt ist, dass sie unter normalen Bedingungen für seine Zwecke zureichend sind. Die einzelnen Glieder der epistemischen Rekonstruktion des Handlungsbaums sind also in den (handlungs)logischen Zusammenhang gebracht, der für den Plan des Handelnden selbst konstitutiv ist, und für diesen spielen raum-zeitliche Begrenzungen keine Rolle. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es zwei kategorial unterschiedliche Betrachtungsweisen von Handlungen und der Adäquatheit ihrer Beschreibungen gibt: Auf der ontologischen 10 Auf eine solche Unterscheidungsmöglichkeit hat mich mein Doktorand Oliver Preukschat aufmerksam gemacht: Ihm verdanke ich auch einige weiterführende Anregungen.
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Wie werden Handlungen beschrieben?
Ebene stehen kausale und damit raum-zeitliche Relationen zwischen Ereignissen, die aus der Beobachterperspektive bestimmt werden, im Vordergrund. Eine solche Betrachtungsweise hat den Nachteil, dass mit ihr die Einheit einer Handlung nicht sichtbar wird, z.B. kann man mit Bezug auf unser Ausgangsbeispiel auf der Ebene dessen, was sich an ,wirklichen' Ereignissen abgespielt hat, streng genommen nur sagen: (1) A hat zum Zeitpunkt t! eine Bombe in seinen Koffer gepackt (2) A hat zum Zeitpunkt t2 seinen Koffer für einen bestimmten Flug eingecheckt (3) Der Koffer ist zum Zeitpunkt t3 in ein bestimmtes Flugzeug verladen worden (4) Das Flugzeug ist zum Zeitpunkt t4 explodiert Und: (2) war die Ursache für (3) (1) war die Ursache für (4) Man könnte hier einwenden, dass, wenn jemand eine Bombe in seinen Koffer packt, diesen eincheckt und das entsprechende Flugzeug explodiert, ihm auch die Absicht zugeschrieben werden kann, das Flugzeug in die Luft zu jagen. Allerdings hätte der Handelnde diese Absicht auch haben können, ohne dass das Flugzeug in die Luft geflogen wäre - der Zeitzünder war defekt. Oder es hätte auch sein können, dass der Handelnde lediglich die Absicht hatte, die Bombe von A nach B zu transportieren, sich aber über ihre Gefährlichkeit nicht im Klaren war usw., usw. Aus der Beschreibung auf der Ebene der Ereignisse kann man mit Sicherheit keine eindeutigen Absichten rekonstruieren. Das heißt allerdings nicht, dass auf der Basis solcher Beschreibungen keine Zuschreibung von Verantwortlichkeit erfolgen könnte, wie uns viele Beispiele aus der Rechtsprechung belehren. Im Übrigen soll hier noch angemerkt werden, dass in der Art der Konstruktion der Beispiele, die in der Kontroverse Unifier vs. Multiplier diskutiert werden, die beiden Sichtweisen miteinander vermengt werden, indem eine bestimmte Absicht der handelnden Person bereits immer vorausgesetzt ist! Auf der epistemischen Ebene steht das Kriterium der Intention des Handelnden im Vordergrund: Die adäquate Beschrei-
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bung einer Handlung gibt die Kette der intendierten Zwecke und deren Mittel wieder. Alle Ereignisse, die nicht intendiert sind, gehören zu den Folgen einer Handlung, aber nicht zur Handlung selbst. Nachteile solcher Beschreibungen können vor allem bei sehr komplexen Handlungen darin liegen, dass unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung einer Basishandlung nicht alle intendierten und keine nicht-intendierten Ereignisse aufgezählt werden, so dass man nicht erfährt, was alles , wirklich' in der Welt passiert ist. Die aufgeführten Vor- und Nachteile der einen wie der anderen Beschreibungsart von Handlungen lassen den gerechtfertigten Schluss zu, dass man beide braucht, und dies ist ja auch tatsächlich der Fall: Z.B. werden für die gerichtliche Rekonstruktion eines Tathergangs eher Beschreibungen auf der ontologischen Ebene benötigt, während für die Bemessung der Schuld eines Angeklagten eher Beschreibungen auf der epistemischen Ebene ausschlaggebend sind. (Vgl. dazu auch HARRAS (2002).) Fassen wir zusammen: (1) Die Auffassung von Handlungen als raum-zeitlich begrenzte Ereignisse fuhrt in eine Sackgasse; man kann den Zeitpunkt der Beendigung einer Handlung nicht bestimmen. (2) Es gibt zwei Beschreibungsebenen von Handlungen, die unterschieden werden müssen: eine ontologische und eine epistemische. (3) Beide Beschreibungsebenen haben ihre Berechtigung: Aus der ontologischen Beobachterperspektive wird beschrieben, was in der Welt wirklich' passiert ist, aus der epistemischen Perspektive wird beschrieben, was der Handelnde im Kontext seiner Absichten und Überzeugungen getan hat. 2.2
Grenzen der Handlungsbeschreibung Basishandlungen
Wir hatten bereits mehrfach daraufhingewiesen, dass es Grenzen der Beschreibung von Handlungen gibt, und zwar trifft dies auf all die Fälle zu, wo man sagen kann, dass jemand et-
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Wie werden Handlungen beschrieben?
was tut, dadurch, dass er etwas anderes (anders genanntes) tut, z.B.: (i)
Dadurch, dass Hans den Fenstergriff betätigt, öffnet er das Fenster; dadurch, dass er das Fenster Öffnet, lüftet er den Raum; ...
Solche Beschreibungen haben dort ihre Grenzen, wo man nicht mehr sagen kann, dass der Handelnde etwas dadurch getan hat, dass er etwas anderes tat. Dies ist offensichtlich dann der Fall, wenn von bestimmten Körperbewegungen die Rede ist, die man - zumindest umgangssprachlich - nicht weiter sinnvoll durch eine dadurch-dass-Relation bestimmen kann. Für derartige Körperbewegungen hat DANTO die Bezeichnung Basishandlung eingeführt. Die von ihm in diesem Zusammenhang entwickelte handlungstheoretische Konzeption ist heftig kritisiert worden. (Vgl. CHISHOLM (dt. 1977); DAVIDSON (dt. 1977a); BRAND (1968); STOUTLAND (1968); MARTIN (dt. 1977); BAIER (dt. 1977); HABERMAS (1981).) Die Kontroverse bezieht sich jedoch auf zwei Aufsätze von 1963 bzw. 1965. DANTO selbst hat seither seine Auffassung mehrmals unter Berücksichtigung der einzelnen Kritikpunkte revidiert und in seinem 1973 erschienenen Buch ,Analytical Philosophy of Action' (dt. 1979) ausführlich dargestellt. Ich werde mich im Folgenden auf dieses Buch beziehen und auf eine ausführliche Erörterung des ganzen handlungstheoretischen Streits verzichten. DANTO geht davon aus, dass es vermittelte Handlungen gibt, Handlungen, bei denen jemand etwas tut, dadurch, dass er etwas anderes tut. Solche vermittelten Handlungen müssen, um nicht in einen unendlichen Regress von dadurchdass-Relationen zu geraten, letzte Handlungen enthalten, die selbst nicht vermittelt sind. „Es handelt sich hierbei um Handlungen, die wir tun, aber nicht durch irgend etwas anderes, was wir auch tun [...]. Solche Handlungen werde ich [...] Basishandlungen nennen; vermittelte Handlungen [...] NichtBasishandlungen"' (DANTO (dt. 1979), 42.) Eine Basishandlung ist nur im Zusammenhang mit Nicht-Basishandlungen eine Basishandlung, d.h. wir gelangen zu einer Basishandlung allein durch Substraktion der Merkmale einer vollständigen Handlung. (Vgl. DANTO (1979), 42f.; DONAGAN (1975); KEIL (2000).)
Grenzen der Handlungsbeschreibung
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Solche unmittelbaren Handlungen sind jedoch nicht die einzigen Nicht-Basishandlungen. DANTO unterscheidet noch zwei andere Typen (vgl. DANTO (dt. 1979), 42/43.)11: (1) Der Fall der zusammengesetzten Handlung: z.B. bei einem Tanz, wo jemand nacheinander eine Reihe von Bewegungen ausführt, die in keiner anderen Beziehung zueinander stehen als in ihrer Aufeinanderfolge. Die Menge aller Bewegungen wird durch die Regeln des Tanzes als die zusammengesetzte Handlung ,tanzen' konstituiert und nicht durch eine dadurch-daß-Relation. (2) Wenn jemand einen anderen segnet, indem er seinen Arm hebt, dann ist die Segnung etwas, was er durch das Heben seines Armes tut und wäre demnach keine Basishandlung. Andererseits gibt es aber kein vom Heben des Armes verschiedenes Ereignis, in dem die Segnung besteht. Sie wird zum Beispiel nicht durch das Heben des Armes verursacht: „Hier haben wir es mit einer Basishandlung zu tun, die in Übereinstimmung mit einer Regel vollzogen wird, die uns berechtigt, die Basishandlung auch als Segnung zu beschreiben, vorausgesetzt, die Stellung des Handelnden erlaubt ihm, die Rolle des Segnenden zu spielen. Solche Handlungen wollen wir Gesten nennen." (DANTO (dt. 1979), 43.)
Zu Basishandlungen gehört alles, was man direkt tut, z.B. den Arm heben, Laute artikulieren, ein Bein vors andere setzen, die Finger bewegen - also alle Arten von Körperbewegungen, die wir ausführen, um z.B. ein Stein aufzuheben, etwas zu sagen, zu laufen oder Klavier zu spielen. Seine Bestimmung von Basishandlung hält DANTO für voll verträglich mit der Erfahrung aller „normalen" Handelnden, dass man, wenn man z.B. einen Arm hebt, nichts tut, wodurch der Arm sich hebt: dass einen Arm zu heben, keine vermittelte Handlung ist. (Vgi. DANTO (dt. 1979), 90.) Diese Auffassung von der Direktheit solcher Körperbewegungen, die ich als „normale" Handelnde auch teilen würde, ist jedoch bei Philosophen, die zwar (hoffentlich) nicht anders handeln, aber doch anders über Handlungen (nach)denken als normale Menschen, hauptsächlich in zwei Hinsichten kritisiert worden: - zum einen: die Körperbewegungen, so wie sie äußerlich ablaufen, haben ein inneres Gegenstück: einen physiologischen Prozess, der mit Gehirnströmungen beginnt, die dann 11 Damit geht DANTO bereits auf Einwände seiner Kritiker ein, z.B. BRAND (1968); MARTIN (dt. 1977); BAIER (dt. 1977).
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Wie werden Handlungen beschrieben?
in Muskelbewegungen umgesetzt werden. In welcher Beziehung stehen diese neurophysiologischen Prozesse zu den ÜANTOschen Basishandlungen? - zum ändern: Wenn Körperbewegungen absichtlich - dies ist bei DANTO unterstellt - ausgeführt werden, dann können sie nicht direkt sein, sondern müssen durch eine Absicht oder wie es bereits DAVID HUME genannt hat - durch Willensakte verursacht worden sein. Die erste Frage nach der Beziehung zwischen neurophysiologischen Prozessen und dem Ausführen von Körperbewegungen beantwortet DANTO so (vgl. DANTO (dt. 1979), 93 ff.): Wenn ich den Arm hebe oder wenn sich mein Arm hebt, beugt sich der betreffende Muskel, gibt es bestimmte Gehirnströmungen. Wenn man jetzt die Beziehung zwischen diesen beiden Ereignissen als eine von Ursache und Wirkung ansehen wollte, müsste man zwei zeitlich voneinander verschiedene Ereignisse haben; dies ist aber bei Körperbewegungen und neurophysiologischen Prozessen nicht der Fall, also können sie auch nicht in einer kausalen Beziehung zueinander stehen. DANTOS Antwort auf die Frage lautet: Eine Basishandlung, d.h. eine Körperbewegung, ist identisch mit den entsprechenden neurophysiologischen Prozessen. Auf Anhieb mag dies verwirrend erscheinen, denn Körperbewegungen sind z.B. mit den normalen menschlichen Sinnen wahrnehmbar, neurophysiologische Prozesse nicht; allein dieser Unterschied würde ja schon ausreichen, die Behauptung, sie seien identisch, zu einer falschen Behauptung zu machen. DANTO stützt seine Auffassung von der Identität von Basishandlungen und neurophysiologischen Prozessen durch die folgende Argumentation: Der Widerstand, diese Identifikation zu akzeptieren, hat seinen Grund darin, dass die Erfahrung, meinen Arm zu heben, etwas völlig anderes zu sein scheint, als die Erfahrung, dass etwas in meinem Nervensystem passiert. Nun ist aber eine Erfahrung, die ich mache, kein Argument gegen die postulierte Identität. Denn man muss klar unterscheiden zwischen dem Inhalt einer Erfahrung und der Erfahrung oder dem Denken selbst. Der Inhalt von Erfahrungen oder Gedanken sind keine Erfahrungen oder Gedanken; die Eigenschaften, die den Inhalt von Erfahrungen oder Gedanken ausmachen,
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sind nicht zugleich auch diejenigen Eigenschaften, die die Erfahrungen, die Gedanken selbst ausmachen, ebenso wenig wie das Wort grün grün sein muss. Gedanken können vage, mehrdeutig, selbstwidersprüchlich sein, ohne dass die Annahme, Gedanken selbst hätten diese Eigenschaft, auch nur im geringsten vernünftig wäre. Einige der dunkelsten Sätze in unserer Literatur werden drucktechnisch auf eine Art dargeboten, die ein Triumph graphischer Klarheit ist. Wir können so zwischen Eigenschaften dessen, woran gedacht wird, und Eigenschaften der Art und Weise, wie das, woran man denkt, dem Denken gegeben ist, unterscheiden, ohne daß etwas davon auf den Gedanken selbst, als eine Entität, zutrifft. (DANTO (dt. 1979), 103.)
Das heißt: die Verschiedenheit unserer Erfahrung von - oder unseres Denkens über - Körperbewegungen und neurophysiologische Prozesse lässt keinen Schluss auf ihre Nicht-Identität zu. Die Gleichzeitigkeit ihres Stattfmdens spricht jedoch für die Identitätsthese. Zum zweiten Problem: Sind Körperbewegungen durch Willensakte verursacht? Wenn man diese Frage mit ,ja' beantwortet, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, dass Körperbewegungen keine Basishandlungen sein können, denn diese sind ja eben gerade dadurch definiert, dass sie durch nichts weiter verursacht sind.12 Es liegt also auf der Hand, dass DANTO die oben gestellte Frage verneinen muss; es existieren keine Willensakte, die von unseren Körperbewegungen getrennte - oder gar unabhängige - Ereignisse sind. Es gibt nicht einerseits den Menschen, der einen Willensakt ausführt, und andererseits seine Handlungen und damit das Problem, wie beide zu verbinden sind; zwischen dem Menschen und seinen Handlungen gibt es keine Kluft zu überbrücken. Wir sind unsere Handlungen und eins mit den relevanten Einflußbereichen unserer Körper. (ÜANTO (dt. 1979), 116.)
Zu den Letzteren gehört auch unser Gehirn, in dem Ereignisse stattfinden, die mit unseren Körperbewegungen identisch sind. Vielleicht sind wir die Zirbeldrüsen, von denen DESCARTES irrigerweise nur annahm, sie seien der Sitz der Seele. (DANTO (dt. 1979), 117.) 12 Zu diesem „Dilemma" vgl. auch DAVIDSON (dt. 1977a), 295 f.
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Wie werden Handlungen beschrieben?
Wenn man sagt, Körperbewegungen seien nicht durch Willensakte verursacht, dann bedeutet dies nicht zugleich auch, dass man den Menschen eine Art Automatendasein ohne Innenleben zuspricht. Dass Menschen Absichten fassen, einen Willen, Wünsche haben u.dgl. wird in keiner Weise geleugnet, sondern nur, dass solche Absichten und Wünsche Ursachen von Handlungen sein sollen. Denn, würde man dies annehmen, müsste man daraus folgern, dass es keine Absicht ohne Handlung geben kann. Das absichtliche Verhalten - so hatten wir bereits in Übereinstimmung mit den Auffassungen, die in der RvLEschen Tradition stehen, gesagt - besteht im Tun selbst, und nicht im Fassen einer Absicht plus dem Tun. Wenn wir manchmal glauben, es gäbe noch etwas ,hinter' diesem Tun, so liegt das daran, dass wir häufig unsere Handlungen mit Bezug auf bestimmte Absichten begründen: (ii)
ich habe die Tür zugemacht, weil ich wollte, dass der Hund draußen bleibt
Das Begründen von Handlungen und das Ausführen von Handlungen müssen aber nicht jeweils dieselben Eigenschaften haben, ebenso wenig wie - um nochmals den DANTOschen Vergleich zu zitieren - das Wort grün grün sein muss. Wenn es auch nach der RYLEsehen Auffassung keinen Sinn macht, von Handlungen als den Wirkungen von Willensakten zu sprechen, so ist die Redeweise von Ursachen und Wirkungen doch nicht falsch. Nur bezieht sie sich nicht auf die Ursachen von Handlungen, sondern auf deren Wirkungen. Wenn man z.B. sagt (iii)
dadurch, dass Paul zur Tür hereinkam, hat er seinen Vater erschreckt
behauptet man, dass Pauls zur-Tür-Hereinkommen die Wirkung hatte, seinen Vater zu erschrecken. Das, was ein Handelnder tut, seine Körperbewegungen, bewirken etwas - ein oder auch mehrere Zustände oder Ereignisse - in der Welt. Die Basishandlung stellt das erste Glied einer Kausalkette von Ereignissen dar, mit der wir eine Handlung beschreiben können. (Vgl. DANTO (dt. 1979) 119ff.; DAVIDSON (dt. 1977a), 294ff.) In solchen Beschreibungen sind Wirkungen eingeschlossen, die
Grenzen der Handlungsbeschreibung
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vom Handelnden beabsichtigt sind und solche, die sich, unbeabsichtigt, einfach so eingestellt haben. Der Zusammenhang zwischen den Gliedern einer solchen Kausalkette besteht im Fall, dass sie beabsichtigte Wirkungen umfasst, natürlich nicht unabhängig vom Handelnden, obwohl sich die Redeweise von Ursachen und Wirkungen auf Ereignisse bezieht. Der Handelnde weiß, welche Körperbewegungen welche Wirkungen haben können. Sein Ausführen von bestimmten Körperbewegungen ist zugleich das Befolgen bestimmter Regeln. Und Regeln befolgen heißt wissen, wie man etwas macht, und dies heißt auch zu wissen, welche Wirkungen man durch welche Körperbewegungen herbeiführen kann. Es ist deshalb sinnvoll, Basishandlungen im Zusammenhang des regelgeleiteten Vollzugs von Handlungen zu sehen.13 Zum Schluss dieses Abschnitts noch eine Bemerkung zu denjenigen Ausdrücken unserer Sprache, die Basishandlungen benennen (können): In unserer Alltagssprache kommen sie so gut wie nie vor. Wir sagen nicht, dass wir eine Tür dadurch öffnen, dass wir bestimmte Handbewegungen an einem Türgriff ausführen, wir sagen ganz einfach, dass wir die Tür öffnen. „Wir heben einen Stein auf" sagen wir und nicht, dass wir erst unseren Arm nach unten bewegen, die Finger fest um den Stein legen und dann den Arm wieder nach oben bewegen, o.dgl. Solche Operationen lernen wir nicht durch sprachliche Instruktionen, wir bekommen sie gezeigt, und wenn wir sie ausführen können, sind sie uns so selbstverständlich, dass wir nicht darüber reden. Deshalb haben uns wahrscheinlich auch Schulaufsätze so viel Mühe gemacht, in denen wir beschreiben sollten, wie man einen Schuh zubindet oder wie man eine Kartoffel schält! Und in die gleichen Schwierigkeiten gerät man als Erwachsener, wenn man eine explizite Beschreibung von Basishandlungen geben soll! Deshalb scheint es, um unnötige Künstlichkeiten der Beschreibung zu vermeiden, sinnvoll, den ersten Ausdruck der Kausalkette - oder die kürzeste Ziehharmonika - mit einem Dummy-Ausdruck wie z.B. „genau die Körperbewegungen, die 13 Dies hat DANTO selbst verschiedentlich betont, vgl. (dt. 1977), 130f.; die Kritik von HABERMAS (1981), 146 f. scheint mir zu einseitig; von DANTO wurde nie behauptet, dass Basishandlungen allein schon das Ausfuhren einer Handlung konstituieren.
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Wie werden Handlungen beschrieben?
nötig sind, um einen Schuh zuzubinden / eine Kartoffel zu schälen"14 zu repräsentieren. Fassen wir zusammen: (1) Vermittelte Handlungen sind auf eine letzte Handlung zurückzuführen, die selbst nicht vermittelt ist; (2) solche Handlungen sind Basishandlungen, die wir tun, aber nicht durch irgendetwas anderes, das wir auch tun; (3) Basishandlungen sind Körperbewegungen; diese sind identisch mit neurophysiologischen Prozessen und durch nichts, auch nicht durch Willensakte, verursacht; (4) Basishandlungen sind ihrerseits die Ursachen von beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen; (5) der Zusammenhang zwischen Basishandlungen und beabsichtigten Wirkungen wird durch Regeln hergestellt; (6) sprachliche Ausdrücke, die sich allein auf den Handlungsaspekt der Körperbewegungen beziehen, gibt es in unserer Umgangssprache so gut wie nicht.
14 Einen ähnlichen Vorschlag hat DAVIDSON gemacht (dt. 1977a), 293: „Hier ist z.B. meine Beschreibung meiner Bewegungen, wenn ich meine Schnürsenkel binde: Ich bewege meinen Körper auf genau die erforderliche Weise, um meine Schnürsenkel zu binden".
Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
3.1
Sind Handlungsbeschreibungen askriptiv?
Sätze, mit denen Handlungen beschrieben werden, unterscheiden sich von Sätzen, mit denen Eigenschaften als Relationen von Personen oder Dingen beschrieben werden. (Vgl. KENNY (dt. 1977); DAVIDSON (dt. 1977b).) Aus dem Satz (i)
Cäsar wurde von Brutus getötet
folgt der Satz (ii)
Cäsar wurde getötet
Aber aus dem Satz (iv)
Cäsar war größer als Brutus
folgt nicht (v)
Cäsar war größer
sondern (vi)
Brutus war kleiner als Cäsar (KENNY (dt. 1977), 268/9.)
Aus Sätzen, die Relationen ausdrücken, folgen immer nur Sätze, die ihrerseits Relationen ausdrücken. Dies ist bei Sätzen, die Handlungen beschreiben, nicht der Fall. Dieser Unterschied ist vor allem deswegen betont worden, da es in der Logik meistens üblich ist, alle Prädikate gleicherweise als Relationen zu repräsentieren, z.B. das Prädikat in X ist größer als als SEIN GRÖSSER ALS (X, Y) und in X tötete als: TÖTEN (X, Y). (Vgl. KENNY (dt. 1977), 270 f.) Handlungsbeschreibungen sind also eine eigene Klasse von Sätzen, die semantisch von Zustands- oder Eigenschaftsbeschreibungen zu unterscheiden sind. Welches ist ihr charakteristischstes Merkmal? Eine Antwort auf diese Frage stammt bezeichnenderweise von einem Rechtsphilosophen, H. L. A.
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
HART.IS In seinem Aufsatz ,Ascription of Responsibility and Rights' vertritt er die Auffassung, dass Sätze der Form „er tat es" gar nicht, wie traditionellerweise behauptet wird, deskriptiv seien. Mit solchen Sätzen wird nichts ^schrieben, sondern durch solche Sätze wird einem Handelnden Verantwortung für seine Handlungen zugeschrieben. Handlungsbeschreibungen sind im Gegensatz zu Zustands- oder Ereignisbeschreibungen nicht deskriptiv, sondern askriptiv, das heißt auch, sie sind nicht nach dem Kriterium wahr/falsch entscheidbar. (Vgl. HART (1951), 145 f.) Gegen diese Auffassung ist - m. E. zu Recht - eingewendet worden, dass nicht alle Fälle von Handlungsbeschreibungen im HARTschen Sinn askriptiv sind. (Vgl. z.B. FEINBERG (dt. 1977); GEACH (dt. 1977); PICHER (dt. 1977).) Vergleichen wir die folgenden Äußerungen (vii) bis (x) (vii) (viii) (ix) (x)
Hans spielte Klavier der Nationalspieler Müller verstolperte den Ball der Minister hat den Kanzler verraten der Amerikaner Armstrong hat die Tour de France gewonnen
Im Fall von (vii) wäre es sicher merkwürdig zu behaupten, dem Hans würde ,Verantwortung' für sein Klavier-Spielen zugeschrieben; (vii) ist ein rein deskriptiver Satz, eine Feststellung. Anders sieht es im Fall von (viii) aus: Das Verb verstolpern impliziert, dass der Handelnde einen Fehler gemacht hat; mit (viii) wird dem Handelnden ,Verantwortung' dafür zugeschrieben, dass er etwas nicht richtig gemacht hat - den Fehler, der ihm unterlaufen ist, hätte er vermeiden können; insofern ist er verantwortlich'. Mit (ix) wird dem Handelnden durch das Prädikat verraten eine böse Absicht unterstellt. Man könnte dies als Vorwurf interpretieren, mit dem ausgedrückt wird, dass der Handelnde für etwas Böses, Verwerfliches, Tadel oder zumindest Kritik, verdient hat. Wenn man jemanden tadelt oder kritisiert, dann unterstellt man ihm auch natürlich ,Verantwortung' für das, was er getan hat. 15 HARTS Aufsatz ist 1948/49 erschienen; ich zitiere hier nach einem Wiederabdruck in FLEW (1951).
Sind Handlungsbeschreibungen askriptiv?
61
Im Gegensatz zu (ix) wird in (x) gesagt, dass der Handelnde etwas Positives getan bzw. erreicht hat. Doch wäre es in diesem Fall sicher auch merkwürdig zu behaupten, man schreibe ihm dafür eine ,Verantwortung' zu. Es scheint - wie unsere Beispiele gezeigt haben - so zu sein, dass man einem Handelnden nur dann Verantwortung zuschreibt, wenn man seine Handlung für anfechtbar hält. (Vgl. PITCHER (dt. 1977), 230f.; FEINBERG (dt. 1977), 199.) Dies kann sich auf zwei Fälle beziehen: - einmal: die Handlung ist fehlerhaft ausgeführt worden, - zum ändern: die Handlung ist mit einer als ,böse', ,verwerflich' bewerteten Absicht ausgeführt worden. Das Merkmal,askriptiv' im HARTschen Sinn könnte sich demzufolge nur auf Sätze beziehen, mit denen defiziente - fehlerhafte und moralisch fragwürdige - Handlungen beschrieben werden. Lässt sich das Merkmal auch auf die Beschreibung von ,normalen', d.h. erfolgreichen, Handlungen anwenden? Eine Antwort auf diese Frage versucht FEINBERG zu geben, indem er fünf Fälle von „Zuschreibung von Verantwortung" unterscheidet: (1) „Direkte Zuschreibung eines kausalen Einflusses" (FEINBERG (dt. 1977), 199.). In der gleichen Weise, wie man sagt (xi) Die niedrigen Luftdruckverhältnisse über Schottland sind für die Stürme über Neuengland verantwortlich kann man auch sagen, dass eine Handlung für einen darauffolgenden Zustand oder ein Ereignis verantwortlich ist: z.B. Peters die-Türklinke-Drücken ist für das sich-Öffnen-der-Tür verantwortlich. Die Zuschreibung von Verantwortung besteht hier darin, eine kausale Beziehung zwischen zwei Ereignissen oder Zuständen zu behaupten. (2) „Zuschreibung von kausal relevanten Handlungen" (FEINBERG (dt. 1977), 202.) Diese bezieht sich nicht auf das Ergebnis einer Handlung, wie einfache kausale Beschreibungen, sondern auf eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte Folge, z.B. (xii) Peter hat Paul erschreckt
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
(3) „Zuschreibung einer einfachen Handlung" (FEINBERG (dt. 1977) 206.) Die Zuschreibung einer Basishandlung, wie z.B. die notwendigen Bewegungen ausführen, um eine Tür zu öffnen. In ähnlich trivialer Weise, wie man sagt, dass Tiefdruck für Regen verantwortlich ist, kann man auch sagen, dass der Handelnde für seine Körperbewegungen verantwortlich ist. (4) „Anrechnung von Fehlern" (FEINBERG (dt. 1977), 207.) Mit solchen Zuschreibungen wird einem Handelnden eine fehlerhafte einfache oder kausal relevante Handlung zugeschrieben. (5) „Zuschreibung von Verantwortung im speziellen Sinn" (FEINBERG (dt. 1977), 207.) Dazu gehören alle Äußerungen, in denen auf eine böse Absicht, Fahrlässigkeit, Rücksichtslosigkeit o.a. Bezug genommen wird. An dieser Aufzählung wird auch deutlich, dass sowohl Beschreibungen auf der kausalen, ontologischen Ebene als auch Beschreibungen auf der epistemischen Ebene verwendet werden können, um einer Person Verantwortung zuzuschreiben. Die semantische Klitterung des Ausdrucks verantwortlich sein für lässt drei Bedeutungstypen erkennen: (1) „X ist verantwortlich für Y" heißt soviel wie: „X ist die Ursache von Y". Damit wird ein Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen oder Zuständen behauptet oder festgestellt, ohne dass damit irgendeine moralische oder sonstige Wertung verbunden ist. (2) „X ist verantwortlich für Y" heißt soviel wie: „X hat es getan". Dies kann eine Antwort auf die Frage: „Wer hat es getan?" sein. Mit einer solchen Frage kann man einfach nur eine Information über eine Person haben (also eine deskriptive Antwort haben wollen) oder auch wissen wollen, wer für ein bestimmtes Ereignis oder einen Zustand ,verantwortlich' im Sinn von ,haftbar zu machen' ist. (3) „X ist verantwortlich für Y" kann nur heißen: „X ist für die Folgen dessen, was er tat, verantwortlich", entweder weil er böse Absichten hatte oder weil er hätte wissen müssen, welche Folgen seine Handlung haben konnte.
Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen
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Wie die Ambiguität von „X tat Y" zeigt, ist es eine Sache des kommunikativen Kontextes, ob eine Äußerung deskriptiv oder askriptiv ist und nicht etwa - wie HART angenommen hat - eine Sache der Form des Satzes. Eine isolierte Handlungsbeschreibung wie (xiii)
Peter hat die Tür aufgemacht
gibt keinerlei Hinweise auf ihren Status. Damit stehen wir vor der grundsätzlichen Frage: In welchen Situationen und zu welchen Zwecken sprechen wir überhaupt von Handlungen? Dies wird uns im folgenden Kapitel beschäftigen. Fassen wir zusammen: (1) Handlungsbeschreibungen können deskriptiv oder askriptiv sein, je nach kommunikativem Kontext; (2) askriptive Handlungsbeschreibungen schreiben dem Handelnden Verantwortung zu; (3) Verantwortung kann man einem Handelnden dadurch zuschreiben, dass man ihm einen Fehler vorwirft, den er hätte vermeiden können; (4) Verantwortung kann man einem Handelnden auch dadurch zuschreiben, dass man ihm eine böse Absicht, Fahrlässigkeit oder Rücksichtslosigkeit vorwirft oder dass man ihn für (vorhersehbare) Folgen seiner Handlung haftbar macht. 3.2
Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen als Ausgangsbasis für eine allgemeine Bestimmung menschlichen Handelns
Bisher waren wir immer nur von der einen Kommunikationssituation des Redens über Handlungen ausgegangen, die darin besteht, dass jemand die Frage „was tut A / hat A getan?" beantwortet. Den Zweck einer solchen Antwort hatten wir auf die Information beschränkt. Solche Informationen können Bestandteile sein von - Berichten (Zeugenaussagen, Kriegsberichterstattung, Nachrichten, Referaten, Protokolle, Lebensläufe usw.) - Erzählungen - Reportagen (vgl. REHBEIN (1977), 78f.).
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
Darüber hinaus können wir noch zwei wichtige Arten des Redens über Handlungen unterscheiden: - einmal in Situationen, wo eine bereits identifizierte bzw. beschriebene Handlung zum Gegenstand von (weiterer) Kommunikation wird. Dies ist dann der Fall, wenn ein Kommunikationsteilnehmer etwas an der betreffenden Handlung auszusetzen hat, wenn er sie in irgendeiner Hinsicht anficht. Der Handelnde, der durch eine solche Anfechtung beschuldigt wird, kann darauf reagieren, indem er entweder die Beschuldigung hinnimmt oder indem er sie durch Entschuldigungen oder Rechtfertigungen zurückweist; - zum ändern in Situationen, wo jemand die Frage: „was soll ich tun?" oder „wie soll ich h tun?" beantwortet, indem er Ratschläge erteilt, Rezepte oder Gebrauchsanweisungen gibt. (Vgl. REHBEIN (1977), 79.) Für die analytische Handlungstheorie ist vor allem die Situation der Beschuldigung von Interesse. Darauf hat als erster AUSTIN in seinem Aufsatz ,A Plea for Excuses' (dt.: ,Ein Plädoyer für Entschuldigungen' (dt. 1977).) hingewiesen. Entschuldigungen werden vorgebracht, wenn von jemandem gesagt wird, er hätte etwas getan, was schlecht, verkehrt, unpassend oder unwillkommen ist. Der Beschuldigte wird dann versuchen, sein Verhalten zu verteidigen. Dies kann auf zweierlei Weisen geschehen: - der Beschuldigte akzeptiert zwar Verantwortung für das, was er getan hat, bestreitet aber, dass die Handlung schlecht war; umgangssprachlich würden wir sagen: er rechtfertigt' sich; - der Beschuldigte gibt zu, dass er etwas Schlechtes getan hat, akzeptiert jedoch nicht die volle (bzw. überhaupt keine) Verantwortung; umgangssprachlich würden wir sagen: er ,entschuldigt sich'. (AUSTIN (dt. 1977), 9.) AUSTINS Hinweis auf Entschuldigungen als besonders geeignetem Gegenstand handlungstheoretischer Überlegungen hat drei wichtige Implikationen, die sowohl die Methode der Untersuchung als auch die spezielle Eigenart unserer Rede über Handlungen betreffen: (1) „Entschuldigungen zu untersuchen, in denen irgendeine Anomalität oder irgendein Versagen vorgekommen ist; und wie
Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen
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so oft, wirft das Anomale auch hier Licht auf das Normale; es hilft uns, den täuschenden Schleier des Leichten und Offenkundigen zu lüften, der den Mechanismus der natürlichen und erfolgreichen Handlung verbirgt." (AUSTIN (dt. 1977), 13/4.) Mit der Formulierung „wie so oft" sagt AUSTIN, dass Situationen des Scheiterns oder Missglückens über den speziellen Fall von Entschuldigungen hinaus Aufschluss geben können über den normalen, reibungslosen Ablauf unserer Praxis. Der Grundsatz: Versuche das Wesen von Handlung(en) nicht dadurch herauszufinden, dass du alles um dich herum wahllos beobachtest und auflistest, sondern richte deine Aufmerksamkeit zuerst aufs Anomale, Problematische! ist ein methodisches Programm für die wissenschaftliche Untersuchung sozialer Praxis überhaupt. So besteht ein Gutteil linguistischer Arbeit darin, abweichende Sätze zu untersuchen, um Regeln für korrekte Sätze zu finden, und CHOMSKYS kurioser Satz farblose grüne Ideen schlafen wütend hat mehr Diskussionsstaub aufgewirbelt als all seine anderen ,normalen' Satzbeispiele! (2) Entschuldigungen eines Handelnden geben Aufschluss über die verschiedenen „Teile oder Stufen der Maschinerie des Handelns": Zudem wird deutlich, daß nicht jeder Lapsus in Verbindung mit allem, was eine „Handlung" genannt werden könnte, vorkommt, und daß nicht jede Entschuldigung zu jedem Verb paßt - weit entfernt davon. Das versieht uns mit einer Möglichkeit, das ganze Durcheinander von Handlungen irgendwie zu klassifizieren. Wenn wir sie nach der besonderen Auswahl von Fehlschlägen klassifizieren, denen die einzelnen Handlungen ausgesetzt sind, dann dürfte das ihnen ihren Platz in irgendeiner Familien-Gruppe bzw. Gruppe von Handlungen, oder in einem Modell von der Maschinerie des Handelns zuweisen. (AUSTIN (dt. 1977), 14.)
Die Untersuchung von Entschuldigungen soll also einmal dazu führen, ein allgemeines Modell des Handelns, oder wie AUSTIN es nennt, die „Maschinerie" zu explizieren, zum ändern, einzelne Handlungen zu klassifizieren. (3) Das Interesse, das Entschuldigungen für die Methodik der Untersuchung von Handlung(en) hat, lässt sich auf unser nichtwissenschaftliches Interesse für Handlungen übertragen: Was wir oder andere Leute tun, wird für uns erst dann interessant, wenn etwas daran problematisch ist. Über ,normar vollzogene Handlungen reden wir nicht weiter - außer dass wir
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
von ihnen in unproblematischer Weise Berichten' oder ,erzählen' -, wir tun sie einfach, ohne dass wir besonders darüber nachdenken; unser alltägliches Handeln ist weitgehend automatisiert. Wir handeln nicht und denken gleichzeitig über unser Handeln nach. Ob ein Tun eine Handlung ist und welche spezielle Handlung es ist, ist im Fall problemlos verlaufender Aktivitäten (dies steht hier als uninterpretierter Dummy-Ausdruck) völlig gleichgültig: Man tut eben etwas, ist zufrieden mit dem, was man erreicht, - eine Definition oder auch nur Benennung des Tuns ,als Handlung' ist völlig unwichtig für unsere unauffällige Praxis des Handelns. Wichtig wird diese Frage für uns erst dann, wenn Probleme auftauchen, sei es, bevor man etwas tun will und sich fragt, was genau man tun soll oder muss, sei es, nachdem man etwas getan hat und ein anderer fragt, was man oder warum man (ausgerechnet) dies oder jenes getan habe. Der sprachliche Ausdruck Handlung ist wesentlich an Kontexte gebunden, mit denen problematisches oder kontroverses Handeln zum Thema kommunikativer Auseinandersetzungen gemacht wird. In besonders ausgeprägter Form finden diese natürlich in Gerichtsverhandlungen" statt. Aber auch unsere alltäglichen Kontroversen können Aufschlüsse darüber geben, unter welchen Bedingungen wir von einem Tun als Handlung sprechen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Im Gegensatz zur Jurisdiktion können auch Handlungen, die positiv, als besonders gelungen oder erfolgreich, beurteilt werden, zum Gegenstand kommunikativer Auseinandersetzungen werden. Mit den negativ bewerteten Handlungen verbindet sie ihre Beurteilung als außerhalb der üblichen Erwartungsnorm liegend. Die „Verhandlungen" unserer Praxis in der Kommunikation sind also nicht nur von methodischer Bedeutung für die wissenschaftliche Untersuchung von Handlung. Sie sind auch von praktischer Bedeutung für unser Handeln selbst: In der Kommunikation tauschen wir unsere Bewertungen von Handlungen aus, machen Handlungspläne und koordinieren unsere Handlungen mit denen anderer. In kommunikativen Auseinandersetzungen kommt all das praktische Wissen zum Ausdruck, worüber wir in unserer Sprach- und Handlungsgesellschaft verfügen. Die soziale Geltung praktischer Tätigkeiten als Handlungen wird hier ausgehandelt.
Die Untersuchung von Handlungsproblematisierungen
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Entsprechend können wir sagen, dass die AusTiNschen Stufen oder Stadien der ganzen komplizierten Maschinerie des Handelns kommunikativ vermitteltes Wissen darüber sind, was eine Handlung sein oder besser: was als eine Handlung gelten soll. (Vgl. WUNDERLICH (1976), 30; HARRAS (1978), 10.) Die Systematik oder Klassifikation des Handelns bezieht sich auf Muster oder Konzepte unseres Wissens über Handlungen und nicht auf diese selbst. Fassen wir zusammen: (1) Handlungen, bei denen etwas schiefgelaufen ist wie z.B. bei Entschuldigungen, sind ein besonders geeigneter Gegenstand handlungstheoretischer Überlegungen; (2) die Untersuchungen von Entschuldigungen kann dazu führen: (a) ein allgemeines Modell von Handlung zu entwickeln; (b) eine Klassifikation einzelner Handlungen aufzustellen; (3) über Handlungen sprechen wir im Wesentlichen dann, wenn uns etwas zum Problem geworden ist; (4) in kommunikativen Auseinandersetzungen, in denen Handlungen problematisiert werden, kommt das praktische Wissen zum Ausdruck, worüber wir in unserer Sprach- und Handlungsgesellschaft verfügen; dazu gehört auch unser Wissen darüber, was uns als eine Handlung gilt; (5) Handlungsmodelle, die die AusriNsche Maschinerie des Handelns explizieren, beziehen sich auf unser Wissen über Handlungen und nicht auf die Handlungen selbst. Wir werden uns im Folgenden mit der Entwicklung eines allgemeinen Modells des Handelns beschäftigen. 3.2.1
AUSTINS Ansatz
Um die Stufen oder Stadien der Maschinerie des Handelns zu ermitteln, beginnt AUSTIN damit, Ausdrücke zu untersuchen, die Handlungsverben modifizieren wie z.B. zufällig - irrtümlich beabsichtigt - unbeabsichtigt bewusst - zweckhaft
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
Die Möglichkeit der Hinzufügung eines modifizierenden Ausdrucks zu einem Handlungsverb entscheidet darüber, ob eine Äußerung als Entschuldigung gelten kann oder nicht. Für die Frage nach der Anwendungsmöglichkeit von zufällig oder irrtümlich konstruiert AUSTIN zunächst das folgende Beispiel (AUSTIN (dt. 1977), 19/20; vgl. auch AUSTIN (1979); und WÖRNER (1978), 166f.): Du hast einen Esel, ich auch; und sie grasen auf derselben Weide. Eines Tages geht mir der meinige auf die Nerven. Ich geh raus, um ihn zu erschießen, nehme ihn aufs Korn und drücke ab. Das Vieh fällt auf der Stelle um. Ich besehe mir mein Opfer und sehe zu meinem Entsetzen, daß es dein Esel ist. Ich erscheine mit den armseligen Resten an deiner Tür und sage - was? Sage ich „Mein Lieber, es tut mir schrecklich leid etc., ich habe eben per Zufall deinen Esel erschossen" oder „irrtümlicherweise"? Nehmen wir dagegen an, ich geh, wie vorhin, raus, um meinen Esel zu erschießen, nehme ihn aufs Korn und drücke ab - aber in eben diesem Augenblick bewegen sich die Tiere, und zu meinem Entsetzen fällt der deinige um. Wiederum die Szene an deiner Tür - was sage ich jetzt? „Irrtümlicherweise" oder „per Zufall"?
Der Unterschied, worauf die beiden Fälle hinauslaufen und der zugleich Aufschluss über die Maschinerie des Handelns gibt, ist der folgende: Im ersten Fall hat sich der Handelnde geirrt, er hat die Situation falsch eingeschätzt; im zweiten Fall misslingt etwas bei der Ausführung der Handlung. Situationseinschätzung und Ausführung einer Handlung sind also zwei verschiedene Stadien. Für die Ausdrücke absichtlich, bewusst, mit Vorsatz konstruiert AUSTIN die folgende Geschichte (AUSTIN (1979), 285f.; vgl. auch WÖRNER (1978), 166f.): Das Warnschild sagt: futtere nicht die Pinguine! Ich füttere sie mit Erdnüssen. Jetzt sind jedoch gerade Erdnüsse fatal für diese Vögel. Habe ich sie „absichtlich" mit Erdnüssen gefüttert? Normalerweise werfe ich nicht einfach so mit Erdnüssen um mich. Also: „mit Bedacht" („deliberately"). Hier scheint nun das Problem zu liegen. Hatte ich das Warnschild gelesen? Tat ich es dann „mit Vorsatz" („on purpose")? Das scheint anzudeuten, daß ich die fatalen Folgen kannte. Füttere ich die Pinguine mit Erdnüssen, dann muß man auch sagen, daß ich sie absichtlich füttere - wenn ich nicht normalerweise einfach so mit Erdnüssen um mich werfe! Vielleicht hatte ich aber nicht genügend Information: ich wußte nicht, daß Erdnüsse auf Pinguine tödlich wirken. Es könnte auch sein, daß ich die Situation falsch einschätze, sofern ich zwar weiß, daß sie normalerweise tödlich wirken, aber glaube, daß diese, ans Füttern sonderbarster Nahrung gewöhnte Tiere, auch Erdnüsse werden vertragen können.
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Neben der Situationseinschätzung ist die tatsächlich zugängliche Information über die Situation (z.B. das Warnschild lesen) für eine Handlung wichtig. Zur Absicht kommt der Zweck - tue ich es mit Vorsatz? -, den ich mit einem Tun verbinde. Wenn ich etwas zweckhaft tue, dann muss ich mir auch über die Konsequenzen dessen, was ich tue (Fatalität der Erdnüsse) bewusst sein. (Vgl. AUSTIN (1979), 286.) Bewusstes Handeln setzt aber Überlegung voraus, bei der ich das Pro und Contra meiner Handlung erwogen habe. Pros und Contras zu erwägen heißt auch, Entscheidungen herbeizufuhren und auf der Basis bestimmter Prinzipien oder Wertungen z.B. dessen, was ich für mich, für andere, für den allgemeinen Verlauf der Dinge für das Beste halte. 3.2.2
Stadien der komplizierten Maschinerie des Handelns
Aufgrund solcher und ähnlicher Überlegungen dazu, worauf sich die in Entschuldigungen verwendeten modifizierenden Ausdrücke beziehen können, bestimmt AUSTIN die ganze komplizierte Maschinerie des Handelns vorläufig durch 6 Stadien oder Stufen:16 (1) INFORMATION ÜBER DIE SITUATION (receipt of intelligence) (2) EINSCHÄTZUNG DER SITUATION (appreciation of the situation) (3) BERUFUNG AUF PRINZIPIEN (invocation of principles) (4) PLANUNG (planning) (5) ENTSCHEIDUNG (decision) (6) DURCHFÜHRUNG UND IHRE KONTROLLE (execution; control of execution)
16 AUSTIN (dt. 1977), 29f.; FERGUSON (dt. 1977), 43ff.; WORNER (1978), 168. Mit Adverbien wie absichtlich, unabsichtlich, bewusst, unbewusst, irrtümlich arbeitet BRENNENSTUHL (1975), indem sie Sätze durch Hinzufügung solcher Ausdrücke auf ihren Status als mögliche Handlungssätze hin prüft.
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
Obwohl AUSTIN seine Überlegungen zur Maschinerie des Handelns nirgends explizit als eine systematische Theorie ausgewiesen hat, sind seine sechs Bestimmungen - wie wir noch sehen werden - grundlegend für jedes Handlungsmodell. Dies gilt übrigens auch für nicht-analytische Modelle. 3.2.3
Kommunikative Aspekte eines allgemeinen Modells menschlichen Handelns
AUSTIN hatte seine Untersuchung auf Entschuldigungssätze und die modifizierenden Ausdrücke, die in ihnen vorkommen können, beschränkt. Eine andere, mit AUSTINS Vorstellungen verträgliche Methode könnte darin bestehen, die verschiedenen möglichen Äußerungen im Kommunikationsprozess des Sich-Entschuldigens bzw. des Problematisierens von Handlungen überhaupt zu untersuchen. Dazu möchte ich im Folgenden ein Beispiel geben. Ich gehe von der Situation aus, dass meine Handlung, ein Buch über Handlungstheorie zu schreiben, jemandem anderen fragwürdig vorkommt, was er dadurch zeigt, dass er mich mit der Frage attackiert: (i)
warum schreibst du eigentlich ein Buch über Handlungstheorie?
Ich könnte nun darauf mit einer der folgenden möglichen Äußerungen antworten: (ii) (iii) (iv) (v) (vi) (vii)
weil ich die Leute über das Wesen menschlicher Handlungen aufklären will weil es bis jetzt noch kein zusammenfassendes Buch über Handlungstheorie gibt weil ich es für besser halte, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben als einen Vortrag zu halten weil ich Handlungstheorie interessant finde weil ich einen Verlagsvertrag habe, den ich erfüllen muss weil es mir einfach Spaß macht
Bleiben wir bei dieser Auswahl möglicher Antworten und betrachten sie unter der Voraussetzung, dass sie alle jeweils als
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eine Begründung für die in Frage stehende Handlung gelten können. Worauf beziehen sie sich? (ii) (iii) (iv)
(v) (vi) (vii)
gibt Auskunft über das Ziel des Handelnden gibt Auskunft über eine Situationseinschätzung des Handelnden gibt Auskunft über die Art und Weise der Ausführung der Handlung und über ihre Bewertung durch den Handelnden, der die Handlungsausführung ,ein Buch schreiben' als ein geeigneteres Mittel ansieht, sein Ziel zu erreichen, als eine andere alternativ mögliche Handlung gibt Auskunft über eine Bewertung, eine Präferenz oder wenn man will - über ein Motiv für seine Handlung gibt Auskunft über einen Sachverhalt, der nach Meinung des Handelnden besteht, und über eine für ihn verbindliche Handlungsnorm gibt wie (v) Auskunft über eine Präferenz oder ein Motiv des Handelnden.
Gemäß der AusiiNschen und unserer eigenen Vorstellungen können wir davon ausgehen, dass die Gründe, die in den Äußerungen (ii) bis (vii) thematisiert sind, als Stadien oder Stufen der Handlungsmaschinerie angesehen werden können: (1) Ziel des Handelnden (2) Situationseinschätzungen des Handelnden (3) Art und Weise der Handlungsausfuhrung als Mittel zur Erreichung des Ziels (4) Präferenzen oder Motive des Handelnden (5) Handlungsnorm Unser Ergebnis, das der AusTiNschen Bestimmung sehr ähnlich ist, kann nun angesichts unserer Untersuchung von adhoc-Antworten fragwürdig erscheinen, vor allem in zwei Weisen: - sind die Punkte (1) bis (5) vollständig?; sind dies alle Bedingungen dafür, dass man von einer Handlung sprechen oder dass etwas als Handlung gelten kann? - sind sie voneinander unabhängig oder gibt es zwischen ihnen eine - u.U. hierarchische - Ordnung?
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
Erinnern wir uns nochmals an unsere Ausgangsüberlegung zum Objekt von Handlungsbeschreibungen: Wir haben gesagt, dass wir dann etwas als eine Handlung beschreiben, wenn wir es als absichtliches oder intentionales Verhalten eines Handelnden interpretieren. Die Ausführung von Handlungen bewirkt Veränderungen in der Welt - eine Handlung hat Ergebnis und Folge^). Man könnte auch sagen: Eine Handlung ausführen heißt einen bestehenden Zustand Z in einen noch nicht bestehenden Zustand Z' zu überführen. (Vgl. VON WRIGHT (1974), 89f.; REHBEIN (1977), 12f.; HARRAS (1978), 18f.) Wenn man eine solche Veränderung herbeiführen will, muss man der Auffassung sein, dass der Zustand, den man durch seine Handlung herbeiführen will, nicht schon besteht bzw. dass er sich nicht im normalen Verlauf der Welt von selbst einstellt, ohne dass man etwas dazu tut. Das heißt: Man muss eine bestimmte Einschätzung der Situation haben, Auffassungen darüber, was in der Welt (nicht) der Fall ist und was möglicherweise (nicht) der Fall sein könnte. Nun will man normalerweise einen nicht bestehenden Zustand Z' nicht allein schon deswegen herbeiführen, weil er nicht der Fall ist, sondern weil man ihn aus irgendeinem Grund besser findet als den bestehenden Zustand. Neben den Auffassungen über die Welt und ihre Beschaffenheit, den Situationseinschätzungen, sind also Bewertungen oder Präferenzen des Handelnden eine notwendige Voraussetzung für das Ausführen einer Handlung. Bewertungen oder Präferenzen eines Handelnden sind sowohl individuell (z.B. Wünsche) als auch sozial vermittelt (konventionale Handlungsnormen, Gesetze). Situationseinschätzungen und Präferenzen sind zunächst Bedingungen dafür, dass sich der Handelnde ein bestimmtes Ziel setzt. In anderen Redeweisen werden Situationseinschätzungen und Bewertungen auch ,Motiv' genannt. Um ein bestimmtes Ziel zu realisieren, muss der Handelnde wissen, was er dazu tun kann; er muss einen Weg oder ein Mittel kennen, das/der ihn zu seinem Ziel führt. Da es bei den meisten Handlungen mehrere alternative Wege oder Mittel gibt, muss er sich für einen Weg oder ein Mittel entscheiden. Eine solche Entscheidung trifft er auf der Basis von Situationseinschätzungen und Präferenzen: Normalerweise wählt man einen Weg, von dem man annimmt, dass man am effektivsten sein Ziel erreicht, ohne
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dadurch irgendeinen Schaden - zumindest für sich selbst! - anzurichten. Den gewählten Weg oder das gewählte Mittel muss der Handelnde dann auch tatsächlich gehen bzw. anwenden - andernfalls würden wir nicht von einer ausgeführten Handlung, sondern bestenfalls von der ausgeführten Planung einer Handlung sprechen. Kurz gesagt: der Handelnde muss etwas tun, und dies setzt voraus, dass er es auch tun kann bzw. dass er zumindest dieser Auffassung ist; zugleich unterliegt sein Tun bestimmten Präferenzen, z.B. bezüglich erwünschter oder unerwünschter (Neben)Wirkungen seiner Handlung. Wir können nun unsere Handlungsbedingungen schematisch in der folgenden graphischen Anordnung darstellen: SITUATIONSEINSCHÄTZUNGEN
PRÄFERENZEN
AUSFÜHRUNG
Sowohl aus unseren Überlegungen wie aus der graphischen Darstellung wird deutlich, dass Situationseinschätzungen und Präferenzen eines Handelnden in allen Stadien der Handlungsmaschinerie eine Rolle spielen, während Ziel, Mittel/Weg und Ausführung in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Nennung einander bedingen. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte hier noch einmal nachdrücklich daraufhingewiesen werden, dass weder die angestellten Überlegungen noch deren Repräsentation durch das graphische Schema ein Abbild darstellen von bewussten Denk-
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Handlungsbeschreibungen im kommunikativen Kontext
oder Bewertungsprozessen eines Handelnden vor oder während seiner Handlungsausführung. Wir hatten bereits gesagt, dass die meisten unserer Handlungen automatisiert ablaufen. Die hier aufgestellten Bedingungen sind Bedingungen für Handlungsbeurteilungen im AusxiNschen Sinn; sie sind Teil unseres praktischen Wissens, über das wir in unserer Sprachund Handlungsgesellschaft verfügen. Das praktische Wissen bestimmt unser Handeln und unser Reden darüber: Es ist Teil unserer sozialen Regeln. Das vorgeschlagene Handlungsschema wirft allerdings ein besonderes Problem auf: Es kommt in der juristischen und in unserer Alltagspraxis häufig vor, dass wir für etwas zur Verantwortung gezogen werden, was wir nicht getan, was wir unterlassen haben. In solchen Fällen sprechen wir auch von Unterlassungs„handlungen". Für sie gilt aber die Bedingung der Ausführung einer Handlung gerade nicht. Unter welchen Voraussetzungen sind Unterlassungen dennoch zu den Handlungen zu zählen? Wenn wir uns klarmachen, dass sie nur dann anfechtbar sein können, wenn ihre entsprechende Ausführung in irgendeiner Weise erwartet worden ist, können wir sagen: Eine Unterlassung ist dann eine Handlung, wenn ihre Ausführung aufgrund einer Vorkommunikation (z.B. Versprechungen oder Zusagen) oder aufgrund einer bestehenden Norm oder Konvention (z.B. Hilfeleistung bei Unfall oder Grüßen von bekannten Personen) erwartbar gewesen wäre. (Vgl. auch HERINGER (1974), 174; WUNDERLICH (1976), 39.) 3.3
Zusammenschau einiger Handlungsbestimmungen
Dieses Kapitel möchte ich damit abschließen, dass ich vier Handlungsbestimmungen zusammenstelle, um zu demonstrieren, dass sie im Grunde alle miteinander verträglich sind, obwohl sie auf verschiedene Weise gewonnen wurden. Trotz z.T. unterschiedlicher Benennung der einzelnen Stadien sagen sie doch alle dasselbe aus, und zwar im Wesentlichen genau das, was bereits AUSTIN zu dieser ganzen komplizierten Maschinerie des Handelns gesagt hat!
Zusammenschau einiger Handlungsbestimmungen AUSTIN (dt. 1977)
RESCHER (dt. 1977) „kanonische Beschreibung einer Handlung"
INFORMATION ÜBER DIE SITUATION
GEISTIGER ZUSTAND DES HANDELNDEN
WUNDERLICH (1976)
REHBEIN (1977)
EINSCHÄTZUNG DER SITUATION
EINSCHÄTZUNG DER SITUATION
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UMSTÄNDE DER HANDLUNG EINSCHÄTZUNG DER SITUATION BERUFUNG AUF PRINZIPIEN
URSACHE DER HANDLUNG
MOTIVATIONSBILDUNG
MOTIVATION
PLANUNG
ZIEL
ZIEL
ZIELSETZUNG
ENTSCHEIDUNG
MITTEL
PLANBILDUNG
PLAN/PLANBILDUNG
DURCHFÜHRUNG UND IHRE KONTROLLE
ART UND WEISE DER DURCHFÜHRUNG
AUSFÜHRUNG
AUSFÜHRUNG
ZUSTANDEBRINGEN EINES RESULTATS
RESULTAT (Anm.: die einzelnen Stadien müssen nicht immer in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen werden.)
Kausalität und Handlungserklärungen In Situationen der Problematisierung von Handlungen wird häufig die Frage gestellt: „warum hast du/hat A h getan?"; Antworten auf solche Fragen können die Form von Kausalsätzen haben: „ich habe/A hat h getan, weil ...". Mit einem solchen Satz wird ein Zusammenhang zwischen der Handlung und dem, was nach weil folgt, behauptet. Die Handlung wird erklärt - meist über die Erklärung hinaus, um sie zu rechtfertigen -, indem ein Grund für sie bzw. ihre Ausführung gegeben wird. Gründe für eine Handlung kann man dadurch angeben, dass man Ziele oder Intentionen, Einstellungen oder Präferenzen nennt. Ich werde im Folgenden der Einfachheit halber von Intentionen und kognitiven Einstellungen sprechen. Die Frage, welcher Art der Zusammenhang zwischen Gründen für eine Handlung und dieser selbst sein soll, ist innerhalb der analytischen Handlungstheorie kontrovers beantwortet worden: Sind Handlungserklärungen kausale Erklärungen über Ursachen und Wirkungen oder sind sie Erklärungen eigener, nicht-kausaler Art? Oder, wie das Problem auch einfach formuliert worden ist: Sind Handlungserklärungen mit kausalen Erklärungen verträglich? Die Standpunkte, die zu dieser Frage jeweils vorgetragen worden sind, sind relativ zu einer Auffassung von Kausalität als dem Inhalt einer kausalen Erklärung, die in der Tradition des englischen Philosophen DAVID HUME steht: Wenn man von einem bestimmten einzelnen Ereignis X behauptet, es sei die Ursache eines anderen bestimmten einzelnen Ereignisses Y, dann muss gelten: (1) X und sind zwei verschiedene Ereignisse X = ein zwei Tonnen schwerer Meteor fallt auf Herrn A's Kopf = Herr A stirbt (2) beginnt zu einem späteren Zeitpunkt als X (3) X und sind logisch unabhängig voneinander das Herunterfallen des Meteors und das Sterben von Herrn A sind voneinander logisch unabhängig (4) wir stellen den kausalen Zusammenhang zwischen X und aufgrund unserer Erfahrung her; d.h. der Zusammenhang zwischen X und ist empirischer Natur
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(5)
wäre unter den gegebenen Umständen nicht eingetreten, wenn X nicht eingetreten wäre Herr A wäre nicht gestorben, wenn ihm nicht der Meteor auf den Kopf gefallen wäre (6) der Kausalzusammenhang zwischen X und muss durch ein allgemeines Gesetz abgedeckt sein Immer, wenn jemandem ein zwei Tonnen schwerer Meteor auf den Kopf fällt, stirbt er Gegen die Übertragung einer solchen Bestimmung von Kausalität als Inhalt einer kausalen Erklärung von Handlungen sind drei Argumente vorgebracht worden: (1) Die Gründe, die als Ursachen einer Handlung durch einen wz/-Satz angegeben werden, beziehen sich nicht auf Ereignisse; (2) die Gründe einer Handlung sind von dieser nicht logisch unabhängig; (3) es gibt kein allgemeines Gesetz, das den Erklärungen einzelner, singulärer Handlungen zugrunde liegt. Alle drei Argumente beziehen sich auf Fälle von Erklärungen, wo die Gründe einer Handlung Intentionen bzw. kognitive Einstellungen benennen, wie z.B. den folgenden: (i) Anton hat seine Frau geschlagen, weil er eifersüchtig war (ii) Ich habe ein Buch über Umweltverschmutzung gelesen, weil ich es für wichtig halte, dass wir uns über unsere Zukunft Gedanken machen (iii) Franz ist abends nochmal weggegangen, weil er Zigaretten holen wollte (iv) Der Jäger hat den Hund losgelassen, weil er glaubte, dass ein Hase in der Nähe war (1) Gründe einer Handlung sind keine Ereignisse und daher auch keine Ursachen Gegen die Auffassung, dass Gründe wie Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden Ursache seiner Handlung seien, hat besonders RYLE entschieden Stellung bezogen: Ihm zufolge sind Gründe eines Handelnden keine Ereignisse, sondern Zustände oder Dispositionen (vgl. RYLE (dt. 1969), 149f.). Und Erklärungen durch Dispositionen sind keine kausalen Erklärungen. Z.B. ist
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Kausalität und Handlungserklärungen
(v)
Das Glas zerbrach, weil es von einem Stein getroffen wurde
eine kausale Erklärung, während jedoch (vi)
Das Glas zerbrach, als es von einem Stein getroffen wurde, weil es zerbrechlich war
keine kausale Erklärung ist, denn in ihr wird kein Ereignis als Ursache angeführt, sondern eine gesetzesartige Aussage über das Verhalten des Glases gemacht. (Vgl. RYLE (dt. 1969), 114 f.) Die Aussage ist allerdings keine naturgesetzliche, sondern eine begriffliche: Zerbrechlichkeit' ist wesentlich ein Merkmal des Begriffs ,Glas' oder anders gesagt: ,Zerbrechlichsein' gehört zur Bedeutung des Wortes Glas. Ein Satz wie (vi)
Das Glas zerbrach, weil es zerbrechlich war
ist analytisch; in ihm wird etwas zur Bedeutung von Glas gesagt. Analog dazu geben auch Dispositionen wie z.B. Jähzornig', Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden, keine Auskunft über die Ursachen seiner Handlungen, sondern sie sind Thema von Voraussagen über Tendenzen, zu denen der Handelnde unter bestimmten Umständen neigt. Daß einer für eine Tat dieses Motiv hatte, heißt, daß diese Tat, unter diesen besonderen Umständen unternommen, gerade das war, wozu er aus diesem Motiv neigte. Es heißt soviel wie: ,Das sieht ihm ähnlich'. (RYLE (dt. 1969), 120.)
Gegen die RvLEsche Auffassung ist zunächst gesagt worden, dass Ursachen nicht notwendig Ereignisse zu sein brauchen; dies anzunehmen, würde eine willkürliche Normierung gegen jedes intuitive Sprachverständnis darstellen: So sagen wir z.B., dass vereiste Gleise ein Zugunglück oder ein Defekt an einer Tragfläche einen Flugzeugabsturz verursacht haben. (Vgl. URMSON (1968); GEAN (dt. 1977); BECKERMANN (1977).) Zum ändern ist gegen RYLE vorgebracht worden, dass eine Erklärung wie (i)
Anton hat seine Frau geschlagen, weil er eifersüchtig war
über die Disposition der Eifersucht hinausweist. Diese allein erklärt ebenso wenig wie die Zerbrechlichkeit des Glases dessen
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tatsächliches Zerbrechen, warum Anton seine Frau geschlagen hat. Wir verstehen eine Äußerung wie (i) ja auch gar nicht so, dass wir die dort thematisierte Eifersucht als alleinigen Grund für Antons Handlung ansehen, sondern wir rekonstruieren weitere Bedingungen dafür, dass die Disposition zum Ausbruch gekommen ist, z.B. einen Anlass wie den, dass Anton seine Frau mit einem anderen Mann gesehen hat o.dgl. Erst beides zusammen: die genannte Eifersucht als Disposition des Handelnden und einen rekonstruierten Anlass (oder Ursache) für das Ausbrechen der Eifersucht machen eine Äußerung wie (i) zu einer vollständigen Handlungserklärung. Man könnte deshalb sagen, dass die Redeweise von Dispositionen als Gründe für Handlungen immer ein Ereignis als Ursache für das Zutagetreten der Disposition impliziert. (Vgl. BECKERMANN (1977), 60f.) (2) Die Gründe einer Handlung sind von dieser nicht logisch unabhängig Zwischen den Gründen und den Handlungen, die durch sie erklärt werden, besteht kein empirischer, d.h. aus Erfahrungen ableitbarer, sondern ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang. (Vgl. MALCOLM (dt. 1977), 338f.; VON WRIGHT (dt. 1974), 91 ff.; VON WRIGHT (1977), 138; PETERS (dt. 1977), 111; MELDEN (dt. 1977), 160£; MAC INTYRE (dt. 1977), 180£; HAMLYN (dt. 1977), 89£; BECK (dt. 1975), 175/6; KIM (1993); KIM (1997); JORIO (1997); KEIL (2000).) Da, nach der Auffassung der meisten analytischen Philosophen, Intentionen und kognitive Einstellungen eines Handelnden nichts sind, was zusätzlich zu seinen Handlungen hinzukommt, können sie auch keine Ursachen sein, und Erklärungen von Handlungen durch Gründe, die Intentionen und kognitive Einstellungen sind, können keine kausale Erklärungen sein. Der Zusammenhang zwischen Gründen und Handlungen ist ein Zusammenhang zweckrationaler Begrifflichkeit; wenn wir Gründe für unser Handeln angeben, dann sagen wir, dass die Handlung unter den Umständen der angegebenen Gründe vernünftig war, dass sie ihren Zweck in angemessener Weise erfüllt. Dass wir Zweckrationalität menschlichen Handelns häufig ausdrücken, indem wir singuläre Handlungen durch Kausalsätze erklären, verleitet uns zu irrigen Annahmen. Wenn auch die grammatische Oberflächenstruktur der übli-
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Kausalität und Handlungserklärungen
chen Handlungserklärungen durch weil-Sätze. dieselbe ist wie die kausaler Erklärungen, so heißt das nicht, dass sie denselben Erklärungstyp repräsentieren; die Redeweise, in der wir über Ereignisse in der Welt sprechen, ist grundsätzlich zu unterscheiden von der Redeweise, in der wir über menschliches Handeln sprechen. Ereignisse werden kausal erklärt, Handlungen werden - mit Bezug auf Intentionen und kognitive Einstellungen rational oder - wie man auch sagt - teleologisch/intentionalistisch erklärt. Die Auffassung, dass es zwei Redeweisen gibt eine kausalistische und eine teleologisch/intentionalistische ist auch auf nicht-alltagssprachliche Bereiche ausgedehnt worden und hat die Frage aufgeworfen: Ist die Wissenschaftssprache der Historiker und Sozialwissenschaftler eine ideologisch/ intentionalistische und als solche von der kausalistischen Sprache der Naturwissenschaftler zu unterscheiden? (3) Es gibt kein allgemeines Gesetz, das den Erklärungen singulärer Handlungen zugrunde liegt Erklärungen durch Gründe, Intentionen oder kognitive Einstellungen eines Handelnden können keine kausalen Erklärungen sein, weil es universelle Gesetze, die solche Gründe mit Handlungen verknüpfen, nicht gibt. (vii) (viii)
Warum tötete er sie? - er wollte ihr Geld Warum fiel der Apfel herunter? - sein Stiel wurde durchgeschnitten
Das Herunterfallen des Apfels und das Durchschneiden des Apfelstiels sind durch die universelle Verallgemeinerung über die Schwerkraft miteinander verbunden; zwischen dem Töten und dem Geld-wollen gibt es jedoch keine solche Verallgemeinerung. (Vgl. TAYLOR, D. (1970), 41; BECKERMANN (1977), 101.) Diejenigen Philosophen, die die Auffassung vertreten, zwischen Gründen und Handlungen bestehe ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang, schließen jedoch die Möglichkeit der Verallgemeinerung nicht aus: Allerdings hat eine solche Verallgemeinerung nicht den Status eines Naturgesetzes. Der Zusammenhang zwischen Gründen und Handlungen ist, wie wir schon gesagt haben, ein zweckrationaler Begriffsrahmen. Auf einen solchen Begriffsrahmen berufen wir uns - meist implizit -, wenn wir Handlungen erklären. Dabei rekurrieren wir
Kausalität und Handlungserklärungen
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aber nicht auf empirische Gesetze, die zeigen, dass die zu erklärende Handlung unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, sondern auf Handlungsprinzipien, aus denen hervorgeht, dass diese Handlung unter den gegebenen Umständen für den Handelnden das war, was zu tun war, was rational war zu tun. Das allgemeine Prinzip, auf das wir uns berufen, lautet: „Wenn jemand in einer Situation der Art C ist, dann ist es für ihn rational, X zu tun". (DRAY (dt. 1977), 291.) Die ,Situation der Art C' ist häufig in Form eines sogenannten praktischen Schlusses formuliert worden (vgl. VON WRIGHT (dt. 1974); hier (1977), 133.): A beabsichtigt p (beispielsweise morgen ins Theater zu gehen) A glaubt, dass er p nur erreichen kann, wenn er q tut (beispielsweise eine Karte im Vorverkauf besorgt) Darum: A unternimmt q (A kauft eine Karte im Vorverkauf) Durch ein solches Schema wird nicht die Erwartbarkeit der Handlung im Sinn einer Vorhersage durch ein Gesetz postuliert. Wenn man in Handlungserklärungen implizit darauf Bezug nimmt, dann tut man dies, um den Grund und die Handlung in den Kontext der Rationalität zu stellen: Man behauptet damit, dass es für den Handelnden unter den Umständen rational war, das zu tun, was er getan hat. Die Gründe, die in den Handlungserklärungen angeführt werden, sind gute Gründe (good reasons) eines Handelnden. Jede Handlungserklärung, in der Intentionen oder kognitive Einstellungen als Gründe angeführt werden, enthält ein bewertendes Element, relativ zu den Standards oder Konventionen unserer gesellschaftlichen Praxis. Rationale Handlungserklärungen zeigen, dass es für den Handelnden im „Hinblick auf seine Wünsche und Überzeugungen rational war, so zu handeln, wie er es tat; dass seine Handlung das war, was bei den gegebenen Gründen zu tun war, und nicht bloß das, was normalerweise in solchen Situationen zu tun war." (DRAY (dt. 1977), 282.) Ein Schema von der Art eines praktischen Schlusses, wie wir es oben wiedergegeben haben, macht eine Handlung im sozialen Kontext verstehbar, es erklärt aber in keiner Weise ihre Erwartbarkeit. (Vgl. VON WRIGHT (dt. 1974); DRAY (dt. 1977); MISCHEL (1968); KENNY (1978); FOOT (1978); LOUCH (1966); HAMLYN (dt. 1977); TAYLOR, R. (1966);
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Kausalität und Handlungserklärungen
WINCH (dt. 1974).) Was ein Grund oder ein Motiv für eine Handlung ist, habe ich nicht „in erster Linie als Teil einer Technik gelernt, mittels derer ich Voraussagen mache (ungleich dem Begriff der Ursache). Lernen, was ein Motiv ist, gehört dem Erlernen der Standards an, die das Leben in der Gesellschaft beherrschen, in der man lebt; und dies wiederum gehört dem Prozeß an, als ein soziales Wesen leben zu lernen." (WINCH (dt. 1974), 107.) Gegen die Auffassung, dass Handlungserklärungen keine Erklärungen eines kausalen Typs sein können, ist eingewendet worden, es gebe Gesetze oder zumindest gesetzesartige Prinzipien, die durch unsere gewöhnlichen Handlungserklärungen vorausgesetzt sind. (Vgl. GEAN (dt. 1977); BRAND/KIM (dt. 1977); DAVIDSON (dt. 1975); CHURCHLAND (dt. 1977) und in Anlehnung an CHURCHLAND: BECKERMANN (1977).) Ein solches gesetzesartiges Prinzip, das auch Vorhersagen erlauben soll, hat CHURCHLAND aufgestellt (CHURCHLAND (dt. 1977), 313.): L t : AXA0AH(wenngilt: [X steht für den Handelnden; 0 für etwas, was X will; H für eine Handlung; steht als Alloperator für jedes X, 0 und H] (1) X will 0; und (2) X glaubt, dass der Vollzug von H unter den gegebenen Umständen für ihn ein Mittel sei, um 0 zu erreichen; und (3) es gibt keine Handlung, von der X glaubt, dass er mit ihr 0 erreichen würde, und für die er eine wenigstens gleichermaßen große Präferenz hat wie für H; und (4) X hat keinen anderen Wunsch, (bzw. keine anderen Wünsche) der ihn unter den gegebenen Umständen von seinem Wunsch 0 abbringt; und (5) X weiß, wie man H tut; und (6) X ist in der Lage, H zu tun; so gilt: (7) X tut H.) L! soll ein Schema darstellen, dem der „reflektierte Umgangssprecher" zustimmen muss; es ist ein „Grundprinzip des begrifflichen Rahmens, mit dem wir uns selbst begreifen." (CHURCHLAND (dt. 1977), 317.), zugleich ist es ein gesetzesarti-
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ges Prinzip, nach dem sich unser Handeln richtet: Wenn alle Bedingungen (1) bis (6) erfüllt sind, dann muss H notwendigerweise H tun; andernfalls ist eine der Bedingungen (1) bis (6) als nicht erfüllt anzusehen. BECKERMANN versucht, dies anhand eines Beispiels nachzuweisen: Er fragt, ob es wirklich vorstellbar sei, dass ein Handelnder H seine Telefonrechnung nicht bezahlt, obwohl die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind (BECKERMANN (1977), 110.): (A2) (A3) (A4) (A5)
H will, dass ihm das Telefon nicht abgestellt wird H weiß, dass ihm das Telefon dann nicht abgestellt wird, wenn er seine Telefonrechnung bezahlt H weiß, dass er keine andere Möglichkeit hat zu erreichen, dass ihm das Telefon nicht abgestellt wird Es gibt nichts, was H mehr will als das in (Aj) genannte Ziel und was mit dem Bezahlen der Rechnung unvereinbar ist H ist in der Lage, seine Telefonrechnung zu bezahlen (aufgrund der Tatsache, dass man nur dann sagen kann, jemand sei in der Lage, etwas zu tun, wenn er auch weiß, wie man es macht, sind die Bedingungen (5) und (6) von CHURCHLAND hier zu einer zusammengefasst)
Dafür, dass H seine Telefonrechnung tatsächlich nicht bezahlt, kann es nur drei mögliche Erklärungen geben (vgl. BECKERMANN (1977), 110/111.): (1) H hat einen Grund, seine Telefonrechnung nicht zu bezahlen; entweder er will gar nicht wirklich, dass ihm das Telefon nicht abgestellt wird (das Klingeln stört ihn sowieso schon die längste Zeit!), dann ist (Aj) nicht erfüllt; oder er will etwas anderes mehr, z.B. seiner Freundin einen Pelzmantel kaufen, was er nicht könnte, wenn er die Telefonrechnung bezahlt; dann ist Bedingung (A4) nicht erfüllt; (2) H kennt die Bedeutung einer Telefonrechnung nicht - er weiß nicht, dass das Telefon abgestellt wird, wenn man seine Telefonrechnung nicht bezahlt, - in diesem Fall wäre aber eine der Bedingungen (A2) und (A3) nicht erfüllt; (3) H ist nicht in der Lage, die Telefonrechnung zu bezahlen, weil er pleite ist oder krank im Bett liegt, - dann aber wäre die Bedingung (A5) nicht erfüllt.
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Kausalität und Handlungserklärungen Eine Erklärung der Tatsache, daß H seine Rechnung nicht bezahlt, ist also offenbar nur dann möglich, wenn tatsächlich zumindest eine der Bedingungen (A,)-(A5) nicht erfüllt ist. (BECKERMANN (1977), 111.)
Es ist aber durchaus denkbar, dass H, obwohl er alle Bedingungen (A^) bis (A5) erfüllt, dennoch und ganz ohne jeden Grund seine Telefonrechnung nicht bezahlt. BECKERMANN hält dagegen, es käme „zumindest faktisch nicht vor, daß jemand völlig ohne Grund von seiner Handlung Abstand nimmt, für deren Ausführung er zwingende Gründe hat." (BECKERMANN (1977), 112.) M.E. kommt es jedoch - dies ist jedenfalls meine Erfahrung, vor allem mit Rechnungen! - faktisch vor. Aber, wenn es vorkommt, dann kann ich meine Handlung, in dem Fall die Unterlassung, nicht mehr als eine rationale Handlung erklären: Ich habe mich ganz einfach irrational verhalten. Dies kann mir jedoch in einer Problematisierungssituation als Unterlassung (im Sinn von Handlung) vorgeworfen werden. Ein Prinzip des Handelns, wie es durch Lj repräsentiert wird, gilt also nur unter der Voraussetzung, dass rationales Handeln gemeint ist, als eine Art Gesetz (vgl. LANZ (1987); ausführlich dazu: KEIL (2000).). Als solches bezieht es sich auf alle Arten von Handlungserklärungen durch Gründe: Wenn man eine Handlung erklärt, indem man eine Warum-Frage beantwortet, dann unterstellt man auch immer, dass die Handlung rational erklärbar ist und zugleich, dass unter diesem Gesichtspunkt der tatsächlich gegebene Grund als ein guter Grund, etwas Bestimmtes getan zu haben, akzeptiert wird. Die Rationalität ist in jeder Erklärungssituation bereits fraglos vorausgesetzt; dass ein bestimmter Grund als Erklärung für mein Handeln tatsächlich akzeptiert wird, ist mit Sicherheit auf ein solches Konditionalmuster wie Lj zurückzuführen, und zwar mit der gleichen Sicherheit, wie mir nach dem Strafgesetz ein Mord vorgeworfen wird, wenn meine böswillige Absicht, jemanden zu töten, für die Be- oder in diesem Fall Verurteiler feststeht. Insofern ist man berechtigt, von einem gesetzesartigen Status des Prinzips Lj zu sprechen, aber es ist, im Gegensatz zu Naturgesetzen, ein menschengemachtes Gesetz. Diesen Unterschied sollte man betonen. Ob LI auch Vorhersagen über menschliches Handeln ermöglicht, scheint mir problematisch angesichts der Abstraktheit seiner Formulierung: Die aufgestellten Bedingungen sagen nichts darüber aus, was Menschen wirklich wollen und glauben und was
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sie demzufolge tun. Im Gegensatz zu Naturgesetzen, mit denen konkrete, singuläre Ereignisse vorausgesagt werden können z.B. dass mein Glas runterfallt, wenn ich es loslasse -, kann mit Lj keine einzige singuläre Handlung vorausgesagt werden. (Vgl. auch DAVIDSON (dt. 1981).) Fassen wir zusammen: (1) Umgangssprachlich sprechen wir von Gründen für Handlungen als Ursachen und meinen damit, dass wir etwas bestimmtes nicht getan hätten, wenn wir dafür nicht diesen oder jenen Grund - eine Intention oder eine kognitive Einstellung - gehabt hätten; (2) der Zusammenhang zwischen dem Grund und der Handlung wird in der analytischen Handlungsphilosophie entweder als (a) ein logischer oder begrifflicher Zusammenhang (b) oder als ein kausaler Zusammenhang begriffen; (3) der logische oder begriffliche Zusammenhang besteht in der Rationalität menschlichen Handelns; (4) der Auffassung (3) zufolge sind Handlungserklärungen keine kausalen Erklärungen; sie geben keine Ursachen für Handlungen an, sondern gute Gründe, die eine Handlung verstehbar machen als etwas, das rational getan worden ist. Handlungserklärungen werden aufgrund von Verallgemeinerungen in Form eines praktischen Schlusses verständlich; durch diesen wird keinerlei Vorhersagbarkeit von Handlungen postuliert; (5) Gemäß der Auffassung (2b) sind Handlungserklärungen Erklärungen eines kausalen Typs: Sie werden durch ein allgemeines Gesetz oder gesetzesartiges Prinzip abgedeckt, in dem alle Bedingungen in Form von Intentionen und kognitiven Einstellungen dafür formuliert sind, dass eine Handlung vollzogen wird. Dieses Prinzip gilt nur unter der Voraussetzung der Rationalität menschlichen Handelns;
Und: (6) Mir scheinen die Auffassungen der Rationalisten und die der Kausalisten gar nicht so unversöhnlich zu sein: Da auch von Kausalisten kaum geleugnet werden dürfte, dass ihr
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Prinzip menschlichen Handelns seine Geltung nur durch Anwendung bzw. Befolgung erhält, kann man davon ausgehen, dass es selbst ein Produkt rationaler Handlungspraxis darstellt. Als solches kann es aber nicht seinerseits wiederum einem gesetzesartigen Prinzip unterliegen. Woraus man folgern kann, dass Rationalität sowohl für Kausalisten wie für Rationalisten der grundlegende Begriff sein muss. Ob man die Verbindlichkeit der Bedingungen für rationales Handeln nun als kausal oder als intentionalistisch durch Gründe verständlich machend - ansieht, ist dabei letztlich gar nicht so ausschlaggebend, zumal wir in unserer alltäglichen (z.T. auch wissenschaftlichen) Redeweise nicht oder nur selten zwischen Gründen und Ursachen streng unterscheiden, wohl aber zwischen rationalem, verständlichem Handeln und irrationalem, unzugänglichem, unverständlichem Verhalten.
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II
Sprechhandlung: Theorien sprachlichen Handelns
l
Von einer Kritik philosophischer Bedeutungstheorien zur Entwicklung einer Theorie sprachlichen Handelns: WITTGENSTEIN und AUSTIN
Üblicherweise fangen Darstellungen angelsächsischer Sprach(handlungs)philosophien sowie deren Rezeptionen in der linguistischen Pragmatik mit WITTGENSTEIN und seiner Sprachphilosophie an. (Vgl. z.B. BRAUNROTH/SEYFERT u.a. (1975); SANGNY (1993); KRÄMER (2001).) Wenn ich mich - dem einführenden Charakter dieses Buchs zuliebe - diesem Brauch anschließe, dann unter zwei Vorbehalten. Erstens: WITTGENSTEINS Spätphilosophie, um die es hier ausschließlich geht, hat keinerlei - sachlich oder biografisch - nachweisbare Wirkungen auf die Konzeption einer Theorie sprachlichen Handelns gehabt, wie sie von AUSTIN ausging. Dieser hatte, obwohl Professor in Oxford und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem Cambridger Kollegen, WITTGENSTEIN immer sehr skeptisch, wenn nicht ablehnend, gegenübergestanden; jedenfalls hat er dessen „Philosophische Untersuchungen" wohl erst kurz vor seinem Tod, und damit lange nach seinen Vorlesungen, die unter dem Titel „How to do Things with Words" zusammengefasst sind, zur Kenntnis genommen (vgl. WARNOCK (1969), 11/15. und URMSON (1969), 32.). Dieser Hinweis soll genügen, um die Lesart einer Kontinuität der Spätphilosophie WITTGENSTEINS mit Sprechakttheorien a la AUSTIN und SEARLE als notwendig auszuschließen. Der zweite Vorbehalt, den ich hier ausdrücklich machen will, ist durch die Art und Weise bedingt, in der WITTGENSTEIN (Sprach)philosophie betrieben hat: Im Gegensatz zur abendländischen Tradition des Philosophierens wird der Anspruch, ein systematisches Gedankengebäude aufzurichten, entschieden zurückgewiesen. Entsprechend ist die Form, in der WITTGENSTEIN philosophiert, die des Aphorismus, verführerisch und durch die Brillanz seiner Formulierungen reizvoll. Die „Philosophischen Untersuchungen", ein Paradebeispiel für diese Form, sollte man lesen als eine Art philosophisches Angebot zum Selberdenken bzw. Nach- und Zuendedenken. Demgegenüber mag die Flut der WiTTGENSTEiNzitate in linguistischer Literatur zu pragmatischen und semantischen Themen überra-
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
sehen. Wenn man allerdings ihren Stellenwert im jeweiligen Zusammenhang etwas näher prüft, stellt man fest, dass sie meist nicht mehr sind als eine manchmal sehr illustrative Garnierung; jedenfalls dienen die Zitate kaum dazu, Bausteine zu einer bestimmten Theorie zu liefern. 1.1
WITTGENSTEINS Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns
Was ich zur Art des WiTTGENSTEiNschen Philosophierens und ihren Lesarten gesagt habe, gilt selbstverständlich auch für meine eigenen Überlegungen: Was ich aus den diversen aphoristischen Äußerungen der „Philosophischen Untersuchungen" (PU) und anderen, z.T. nachgelassenen Schriften wie „Über Gewißheit" (ÜG), „Philosophische Grammatik" (PG), „Philosophische Bemerkungen" (PB) und „Zettel" (Z) herausgelesen habe und als Aspekte oder Ansätze (zu) einer Theorie sprachlichen Handelns interpretiere, muss nicht unbedingt die einzig mögliche Lesart sein, obgleich sie mit der anderer verträglich ist. (Vgl. SAVIGNY (21980); FANN (dt. 1979), KENNY (dt. 1974).) WITTGENSTEIN geht in den PU von der grundsätzlichen Frage aus: Was ist die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks? Zunächst kritisiert er gängige Bedeutungstheorien, zuvörderst und vor allem die, nach der die Bedeutung eines Ausdrucks der Gegenstand des Benannten ist oder, umgekehrt formuliert, nach der sprachliche Ausdrücke Gegenstände und (als Sätze) Sachverhalte in der Welt bezeichnen/benennen. Aber, fragt WITTGENSTEIN, ist benennen alles, was Wörter tun? Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen. Als ob mit dem Akt des Benennens schon das, was wir weiter tun, gegeben wäre. Als ob es nur Eines gäbe, das heißt: ,Von Dingen reden'. Während wir doch das Verschiedenartigste mit unseren Sätzen tun. Denken wir allein an die Ausrufe mit ihren ganz verschiedenen Funktionen: Wasser! Fort! Au! Hilfe! Schön! Nicht! Bist du noch geneigt, diese Wörter Benennungen von Gegenständen zu nennen? (PU 27.)
Dass Wörter verschiedene Funktionen haben (können), wie die zitierten Beispiele leicht belegen, heißt für WITTGENSTEIN auch, dass die Bedeutung eines Wortes von seinem Platz und seinem „Gebrauch in der Sprache" abhängig ist. (PU 43.)
WITTGENSTEINS Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns
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Eine andere Bedeutungstheorie, die WITTGENSTEIN erwähnt und kurz diskutiert, ist die behavioristische, nach der die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in seiner Wirkung besteht. Aber, so WITTGENSTEIN, wenn ein Befehl die Wirkung hat, dass jemand zusammenzuckt oder schweigt, ist dies dann die Bedeutung des Befehls? Wohl kaum. Er stellt demgegenüber die prägnante Behauptung auf: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache." (PU 43.) Dies heißt zweierlei: Die Tatsache, dass sprachliche Ausdrücke Bedeutung haben, ist darin begründet, dass die Ausdrücke in einer Gemeinschaft gebraucht werden. Dahinter steht zugleich die Auffassung, dass der Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken und damit ihre Bedeutungen - abhängig ist von den Intentionen, die Sprecher jeweils haben. „Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganze Funktion zusammen." (PB 20.) Zum ändern ist für WITTGENSTEIN die Bedeutung eines Wortes etwas, das durch die Sprachbenutzer erklärt werden kann, d.h. die Bedeutung eines Wortes ist durch seinen Gebrauch in der Sprache erklärbar: Was ist die Bedeutung eines Wortes? Wir wollen die Frage angreifen, indem wir zuerst fragen, was eine Erklärung der Bedeutung eines Wortes ist. Das Studium der Grammatik des Ausdrucks „Erklärung der Bedeutung" wird dich über die Grammatik des Wortes „Bedeutung" aufklären und dich von der Versuchung heilen, dich nach einem Gegenstand umzusehen, den du Bedeutung nennen kannst. Die Erklärung der Bedeutung erklärt den Gebrauch des Wortes. Der Gebrauch des Wortes in der Sprache ist seine Bedeutung. Die Grammatik beschreibt den Gebrauch der Wörter in der Sprache. (PG 22/23.)
Dies gilt für sprachliche Ausdrücke auf der Ebene der Wörter ebenso wie auf der von Sätzen: Der Sinn eines Satzes ist das, was auf die Frage nach der Erklärung des Sinnes zur Antwort kommt. Oder: der eine Sinn unterscheidet sich vom anderen, wie die Erklärung des einen von der Erklärung des anderen. Also auch: der Sinn des einen Satzes unterscheidet sich vom ändern, wie der eine Satz vom ändern. (PG 24.)
Auf Zweierlei soll hier allerdings noch aufmerksam gemacht werden: - WITTGENSTEIN spricht von „Bedeutung" einmal als einem philosophischen Begriff, und hier geht es ihm um die Bedeu-
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
tung dieses philosophischen Begriffs; zum ändern spricht er von der Bedeutung aller möglicher sprachlichen Ausdrücke. (Vgl. WIEGAND (1999).) - Die Redeweise von „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache" sollte nicht dazu verleiten anzunehmen, dass es keine lexikalische Bedeutung von Wörtern gibt. Mit der Aussage wird nur klargestellt, dass die Gebrauchspraxis eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass sprachliche Zeichen überhaupt Bedeutung haben können. Die unterschiedlichen Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke fasst WITTGENSTEIN mit der berühmten Bezeichnung Sprachspiel zusammen. Im 23. Abschnitt der PU bestimmt er sie so: Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit oder einer Lebensform.
Beispiele für Sprachspiele sind u.a.: - Befehlen und nach Befehlen Handeln - Beschreiben eines Gegenstands - Darstellen der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme - eine Geschichte erfinden - Theater Spielen - Rätsel Raten - Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten Diese verschiedenen Tätigkeiten, von denen einige nicht einmal mit Sprache ausgeführt werden (müssen), sind Beispiele für die Vielfalt von Sprachspielen. WITTGENSTEIN interessiert sich nicht sonderlich dafür, was sie miteinander verbindet - er sagt einmal sie haben eine Art „Familienähnlichkeit", sie bilden „eine Familie" (PU 67) -, ihm kommt es wesentlich darauf an, ihre Unterschiede, ihre „Mannigfaltigkeit" hervorzuheben. Ihr Gemeinsames ist zugleich ihre Vielfalt: die Zusammenhänge in je unterschiedlichen Situationen. Es wäre jedoch abwegig anzunehmen, jedes einzelne Sprachspiel sei für sich autonom und könne infolgedessen isoliert von anderen betrachtet werden. Sprachbeispiele sind, wie WITTGENSTEIN sagt, nur auf dem Hintergrund einer Lebensform prak-
WITTGENSTEINS Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns
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tizier- und verstehbar. Damit sind sie determiniert von der Praxis einer Sprachgemeinschaft in einem historischen Kontext. Wenn man sie - wie es WITTGENSTEIN mit seinen Beispielen für primitive, einfache Sprachspiele getan hat, isoliert, dann nur als Demonstration: Sie dienen „... bei dem Vorhaben der übersichtlichen Darstellung nicht als Maßstäbe, Ideale oder Reformziele, sondern als Vergleichsgegenstände, die durch den Kontrast das wirkliche Funktionieren der normalen Sprache erkennen lassen. Was die Untersuchungen ordnen soll, ist nicht die Sprache, sondern unser Wissen über den tatsächlichen Sprachgebrauch." (SAVIGNY/SCHOLZ (1996), 865.) Die Lebensform, die Sprachspiele überhaupt erst ermöglicht, besteht in der Übereinstimmung der Sprachteilnehmer in Urteilen: Wir sagen, die Menschen, um sich miteinander zu verständigen, müßten über die Bedeutungen der Wörter miteinander übereinstimmen. Aber das Kriterium für diese Übereinstimmung ist nicht nur eine Übereinstimmung in den Definitionen. Es ist für die Verständigung wesentlich, daß wir in einer großen Anzahl von Urteilen übereinstimmen. (PU 224.)
Die Übereinstimmung in Urteilen bildet die Grundlage einer Sicherheit, die für das Spielen des Spiels unerlässlich ist: „Ich will eigentlich sagen, daß ein Sprachspiel nur möglich ist, wenn man sich auf etwas verläßt." (U G 509.) Die Sicherheit des Verlässlichen liegt für WITTGENSTEIN jenseits von wahr oder falsch, berechtigt oder unberechtigt, sie ist gleichsam etwas „Animalisches" (vgl. ÜG 6ff.). Eine Lebensform mit anderen teilen heißt, gemeinsam von Tatsachen bzw. Urteilen über Tatsachen ausgehen, die jedem Zweifel entzogen sind. Sätze, in denen solche Gewissheiten ausgedrückt werden, nennt WITTGENSTEIN grammatische Sätze. Beispiele dafür gibt er verschiedentlich: Grün und Blau können nicht gleichzeitig an derselben Stelle sein. (Z 346) Empfindungen sind privat. (PU 248.) Jeder Stab hat eine Länge. (PU 251.) Dass mich das Feuer brennen wird, wenn ich die Hand hineinstecke, das ist Sicherheit. (PU 474) Es gibt eine Unzahl allgemeiner Erfahrungssätze, die uns als gewiß gelten. Daß einem, dem man den Arm abhackt, er nicht wieder wächst, ist ein solcher. Daß einer, dem man den Kopf abgehauen hat, tot ist und nie wieder lebendig wird, ist ein anderer. (ÜG 274.)
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Die Einbettung von Sprachspielen in das Gesamt einer Lebensform illustriert Wittgenstein durch das folgende Beispiel, das ich auch gerade wegen seiner suggestiven Bildlichkeit zitiere: Wie ein Wort verstanden wird, welche Bedeutung es hat, das sagen Worte nicht allein. Es ist aufgehoben in die übrigen Handlungen, in eine Gesamtheit von Regeln, die in einem umfassenden System, in einer umfassenden Lebensform eingebettet sind. Darum darf nichts isoliert, nichts herausgeschnitten werden. Eine Königskrönung ist das Bild der Pracht und Würde. Schneide eine Minute dieses Vorgangs aus ihrer Umgebung heraus: dem König im Königsmantel wird die Krone aufs Haupt gesetzt. In einer ganz anderen Umgebung aber ist Gold das billigste Metall, sein Glanz gilt als gemein. Das Gewebe des Mantels ist dort billig herzustellen. Die Krone ist die Parodie eines anständigen Hutes. (Z 211.)
Die metaphorische Ausdrucksweise vom Sprach,spiel' verweist noch auf eine andere Abhängigkeit: Spiele werden durch Regeln bestimmt, die die jeweiligen Spieler befolgen müssen, um ein bestimmtes Spiel spielen zu können. Das Gleiche gilt für Sprachspiele. Regeln haben den Charakter der Verbindlichkeit; sie sind, wie im obigen Zitat bereits angedeutet, in eine umfassende Lebensform einer Sprachgemeinschaft eingebettet. Das heißt auch: Regeln sind nichts Privates und Einmaliges: Weil die Regel auf Übereinstimmung beruht, begründet sie Erwartung. Begründete Erwartung ist Erwartung, daß eine bis jetzt geltende Regel weitergelten wird. Dazu muß aber die Regel selbst bewahrheitet werden, und deren Bewahrheitung kann nicht ihrerseits nur erwartet werden. Dies erfordert Wiederholung. Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen, sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Und zur Wiederholung gehört das Wiedererkennen. (PU 199.)
,Einer Regel folgen' ist nach WITTGENSTEIN nicht gleichzusetzen mit ,sich regelmäßig verhalten'. Regeln beruhen auf gesellschaftlicher Übereinstimmung und nicht auf zufälliger Gleichheit beobachtbaren Verhalten. Das Wort Übereinstimmung und das Wort Regel sind miteinander verwandt, sie sind Vettern. (PU 224.)
Dies schließt die Konsequenz ein, dass Regeln nicht zwangsläufig befolgt werden müssen: Zur Regel gehört auch die Ausnahme.
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Die Möglichkeit, einen Fehler zu machen, unterscheidet das Verhalten eines Menschen, das nur eine Regelmäßigkeit aufweist, von dem Verhalten eines Menschen, das einer Regel folgt. Nur im zweiten Fall ist die Frage „Macht er es richtig?" sinnvoll. Die Frage bedeutet „Folgt er der Regel, oder verletzt er sie?". Eine Regel verletzen heißt nicht nur, etwas Ungewöhnliches oder Unregelmäßiges tun, etwas, was man gewöhnlich unter bestimmten Umständen nicht tut. Es heißt einen Fehler machen, im Unrecht sein, kritisiert zu werden. (FANN (dt. 1971), 76/77.)
„Einer Regel folgen" wird nicht dadurch gelernt, dass man erst die Regel lernt und dann die Fälle ihrer Anwendung. Regeln zu folgen lernen wir durch ihre Anwendung, dadurch, dass wir bestimmte Tätigkeiten ausführen. Das heißt zugleich: „einer Regel folgen lernen" ist nicht zu verwechseln mit dem Lernen der Regel selbst: Ich muss nicht, um einer Regel folgen zu können, erst die Formulierung dieser Regel auswendig lernen. Einer Regel folgen zu können heißt, eine Fertigkeit haben, heißt wissen, wie man etwas Bestimmtes tut. (Vgl. FAN N (dt. 1971), 77 f.) Und man kann einer Regel folgen, ohne die entsprechende Regel aufsagen zu können. Dies gilt vor allem für sprachliche Handlungen, für Sprachspiele, die wir ganz selbstverständlich spielen, ohne dass wir die entsprechenden Regeln formulieren könnten. Die WiTTGENSTEiNsche Auffassung, wonach das Lernen von Regeln im Ausführenlernen bestimmter Tätigkeiten - Sprachspiele und anderer Handlungen - besteht, schließt die Auffassung mit ein, dass Regeln ,unhintergehbarc sind, dass sie nicht ihrerseits durch andere Superregeln bestimmt sind, die das Befolgen der Regeln festlegen. Nach WITTGENSTEIN zeigt sich also der Sinn von Regeln in der Praxis des Spiels, die durch Gepflogenheiten oder Institutionen bestimmt ist. Die Gepflogenheiten oder Institutionen kommen ihrerseits dadurch zustande, dass die Spieler an einem gesellschaftlich eingespielten Gebrauch zu partizipieren lernen, dass sie lernen, Regeln zu befolgen. Da das Kriterium dafür, ob jemand einer Regel folgt oder von ihr abweicht, einen Fehler macht, die Übereinstimmung der Sprachteilnehmer ist, kann man nicht privat einer Regel folgen. Sprachspiele sind nur auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Lebensformen spiel- und verstehbar. WITTGENSTEIN weist darauf hin, dass ein Mensch für einen anderen ein völliges Rätsel sein kann. Dies erfährt man besonders, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich
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fremden Traditionen kommt: Man versteht die Menschen nicht, häufig sogar dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Diese Auffassung hat Konsequenzen für die Beantwortung der Frage wie man denn als Wissenschaftler, als jemand, der Sprachspiele untersuchen will, deren Regeln herausfinden kann. WINCH hat in seiner Auseinandersetzung mit den Überlegungen WITTGENSTEINS die Frage so formuliert: Woran erkennt man denn, daß ein Mensch die Regeln, mit deren Hilfe man sein Verhalten beschreibt, tatsächlich von sich aus befolgt, daß es sich nicht etwa letztlich um Regeln handelt, die wir von außen an sein Verhalten herangetragen haben? (WiNCH (dt. 1974), 111.)
Seine Antwort lautet WiTTGENSTEiNgemäß: Nur dann kann ich feststellen, daß ein Mensch einer Regel folgt, z.B. spricht oder sinnvoll handelt, wenn sich sein Verhalten aus dem Zusammenhang eines Sprachspiels als öffentlich kontrollierbares Regelbefolgen verständlich machen lässt; dies aber kann ich nur auf dem Hintergrund der Teilnahme an diesem Sprachspiel feststellen. (WiNCH (dt. 1974), 111.)
Wenn wir jetzt die Überlegungen, die WITTGENSTEIN ausgehend von der Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke angestellt hat, als Ansätze zu einer Theorie sprachlichen Handelns interpretieren, so können wir als Fazit die folgenden Gesichtspunkte zusammenstellen: (1) Sprachliche Ausdrücke haben Bedeutungen auf Grund der Tatsache, dass sie gebraucht werden; (2) der jeweilige Gebrauch eines sprachlichen Ausdrucks ist einmal bestimmt durch die Intentionen von Sprechern, und zum ändern: (3) der Gebrauch sprachlicher Ausdrücke ist bestimmt durch die Lebensform einer Sprachgemeinschaft; (5) die verschiedenen Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke sind Tätigkeiten, Sprachspiele; diese sind nichts privates, sondern in der Gesellschaft und ihrer Lebensform begründetes und begründbares; (6) Sprachspiele sind bestimmte sinnvolle Handlungen unterschiedlicher Komplexität, bei deren Ausführung die Spieler bestimmten Regeln folgen. Das Befolgen von Regeln ist nichts, was zum Spiel von außen hinzukommt, sondern das Spielen des Spiels selbst;
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(7) Sprachspiele sind nur im Zusammenhang mit anderen sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungen spielund verstehbar; (8) Sprachspielregeln, die die Spieler tatsächlich befolgen, sind nur auf dem Hintergrund der Teilnahme an diesen Sprachspielen beobachtbar. Wie wir noch sehen werden, haben außer der grundsätzlichen Gleichsetzung der Gebrauchsweisen von Sprache mit Tätigkeiten oder Handlungen (WITTGENSTEIN macht hier keinen Unterschied) in der weiteren Entwicklung einer Theorie des sprachlichen Handelns vor allem zwei Aspekte eine Rolle gespielt: - die Intentionalität des Sprechens - die Regelhaftigkeit des Sprechens und die Formulierung von Regeln für einzelne Sprachspiele. 1.2
Exkurs: KRIPKES skeptizistische Auslegung WITTGENSTEINS und CHOMSKYS kognitivistische Umdeutung - zwei fundamentale Sprachbegriffe
Bevor wir die zuletzt genannten Aspekte einer Theorie des sprachlichen Handelns erörtern, möchte ich noch einen Exkurs einschieben, in dem die radikale Interpretation KRIPKES von WITTGENSTEINS Regelbegriff und die Entgegnung CHOMSKYS vorgestellt werden sollen. Der Grund für diesen Einschub ist der folgende: In dieser Auseinandersetzung werden zwei fundamental unterschiedliche Sprachauffassungen herauskristallisiert, von denen ich denke, dass sie die einzigen philosophisch ernst zu nehmenden Sprachbegriffe darstellen. Nicht zuletzt deshalb sollten sie in diesem Buch vorgestellt und diskutiert werden. KRIPKE geht in seinem Buch „Wittgenstein on Rules and Private Language" (1982; dt. 1986: „Wittgenstein über Regeln und Privatsprache") von WITTGENSTEINS Paradox über Regeln und Regelbefolgungen aus, das in § 201 der PU so formuliert ist: Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen ist.
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KRIPKE verdeutlicht den Vorgang des Regelbefolgens am Beispiel der Addition (vgl. Kap. III von KRIPKE (1982: dt. 1986).), dessen Argumentation ich im Folgenden nachzeichne; vgl. zu dieser Argumentation auch Stegmüller (1986)l. Innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft haben die Mitglieder derselben gelernt, das Wort plus bzw. das Symbol + als Bezeichnung für eine mathematische Funktion zu verwenden und die entsprechende Operation auf Paare von ganzen positiven Zahlen anzuwenden. Eine Person, die vor die Aufgabe gestellt wird, 5 und 7 zusammenzuzählen, antwortet spontan mit „12", und zwar ohne jegliche Begründung; sie folgt der Regel blind. Sie weiß, dass 5 und 7 = 12 ist, aber sie kann ihr Wissen nicht begründen, und sie kann auch keine Bedingung dafür anführen, dass sie einer bestimmten Regel „plus" gefolgt ist, und nicht etwa einer Regel „quus". Es gibt keine Antwort auf die Frage, wie ich wissen kann, ob ein bestimmter gegenwärtiger Gebrauch, den ich von einem Wort wie z.B. plus mache, mit dem übereinstimmt, was ich in der Vergangenheit mit plus gemeint habe. Wenn ich z.B. bisher nur mit Zahlen bis 50 operiert habe und jetzt vor die Aufgabe gestellt werde, 57 und 68 zusammenzuzählen, so kann ich mich nicht auf meine Beherrschung der Regel der Addition in der Vergangenheit berufen, denn mit Zahlen der Größenordnung über 50 habe ich ja bisher überhaupt noch nicht operiert. Um die gestellte Frage nach dem Wissen über die Verwendung des Ausdrucks beantworten zu können, müsste ich eine Interpretation dessen geben können, was ich in der Vergangenheit mit plus gemeint habe. Doch jede Interpretation, die ich gebe, z.B. dass ich mit plus die Addition von 3 und 8 gemeint habe, könnte durch eine andere Interpretation z.B. „plus ist die Addition von 5 und 17" widerlegt werden. Hier könnte man Folgendes einwenden: Wir gehen doch gewöhnlich davon aus, dass wir bei Berechnungen wie der Addition von 57 und 68 keinen ungerechtfertigten Sprung ins Ungewisse machen. Wir folgen Anweisungen, die wir uns selbst einmal erteilt haben und die eindeutig festlegen, was wir in diesem neuen Fall zu sagen haben, nämlich: 125. l Das Folgende entspricht meiner dialogischen Rekonstruktion des KRIPKETextes in HARRAS (2001).
Exkurs: KRIPKES skeptizistische Auslegung
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Der Skeptiker WITTGENSTEIN bezweifelt nun gerade, dass irgendwelche Vorschriften, die wir uns in der Vergangenheit gegeben haben, die Antwort 125 statt 5 oder 12 erzwingen oder rechtfertigen. Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht um einen Skeptizismus gegenüber der Beherrschung der Arithmetik, sondern der Skeptiker stellt eine Hypothese auf über eine Veränderung im Sprachgebrauch. Er bezweifelt: - dass es überhaupt eine Tatsache des nicht-quus, sondern plus-Gemeinthabens gibt, auf die man verweisen kann und - dass es einen Rechtfertigungsgrund gibt, weshalb ich jetzt mit 125 und nicht mit 5 oder 12 antworten soll. Die beiden Zweifel hängen zusammen: In der Rechtfertigung meines gegenwärtigen Sprachgebrauchs muss auf einen Grund, auf eine Tatsache des plus-Meinens verwiesen werden. Ein Gegner des Skeptikers könnte jetzt vorbringen, dass dies ein ziemlich lächerliches Modell von selbst gegebenen Anweisungen für Beispiele sei. Er wird sagen: Ich habe eine Regel gelernt, mit der festgelegt ist, wie ich mit der Addition fortfahren soll. Der Skeptiker wird fragen: Was ist das für eine Regel? Der Gegner wird antworten: Ich gehe nach einem bereits gelernten Algorithmus vor und zähle die Elemente der Vereinigungsmenge. Der Skeptiker erwidert: Woher weißt du, dass du die Operation des Zählens und nicht etwa die des Quälens ausführst? Es ist völlig unmöglich, sich für eine Regel auf eine andere, grundlegendere Regel zu berufen. Die Rechtfertigung hätte kein Ende. Nichts in der geistigen Biografie einer Person oder in ihrem bisherigen Verhalten könnte entscheiden, was sie mit plus wirklich gemeint hat. Es gibt keine Tatsache, die konstitutiv für ihr plus-Meinen ist. Mit der Aussage: X meint mit dem Ausdruck
das und das
wird auf keine Tatsache Bezug genommen. Der Versuch der Begründung des Befolgens einer bestimmten Regel R und nicht etwa einer Regel R' kann nicht einfach dadurch unternommen werden, dass man auf frühere Verwendungen verweist. Wenn es aber keine Fakten gibt, die erhärten, was ich damals meinte, als ich mir die Bedeutung von plus einprägte und endlich viele Aufgaben der Summenbildung löste, dann gibt es auch keine
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Fakten, die erklären könnten, was ich jetzt damit meine, die also zu differenzieren gestatten zwischen plus-Meinen und quus-Meinen. Nach dieser Argumentation muss man zulassen, dass ein isoliert betrachtetes Individuum berechtigt ist, einer Regel zu folgen „wie es ihm als richtig erscheint". Damit wird und das muss gesagt werden, um Missverständnissen vorzubeugen - nur geleugnet, dass eine innere Einstellung des Meinens in der Vergangenheit nicht als Begründung für ein Meinen in der Gegenwart gelten kann; es wird hingegen damit nicht in Abrede gestellt, dass es innere Tatsachen, also Einstellungen, Wünsche oder Gefühle gibt. KRIPKE weist darauf hin, dass DAVID HUME bei seiner Behandlung des Problems der Determination der Zukunft durch die Vergangenheit bezüglich Kausalität vor einem ganz ähnlichen Dilemma stand (vgl. KRIPKE (dt. 1986), 140f.): Wenn man zwei singuläre Ereignisse a und b isoliert für sich betrachtet, kann man keine Beziehung zwischen ihnen erkennen, außer dass das eine auf das andere folgt. Dass a die Ursache von b ist, kann man nur dann sagen, wenn man sich die Einzelereignisse a und b als unter zwei Ereignistypen A und B subsumiert denkt, die durch eine Verallgemeinerung miteinander verbunden sind, wonach auf alle Ereignisse des Typs A Ereignisse des Typs B folgen. Wenn zwei Ereignisse a und b für sich betrachtet werden, sind keine Kausalbegriffe auf sie anwendbar: Es gibt keine private Verursachung. Eine solche Art der Lösung des Problems ist ihrerseits skeptisch: Es wird auf keine irgendwo verborgene Tatsache hingewiesen. Für das Regelproblem bedeutet dies KRIPKE zufolge: Solange man eine Person in Isolation betrachtet, verliert der Begriff der Regel jede Bedeutung, und auch der Begriff der Bedeutung scheint sich in Luft aufzulösen (vgl. STEGMÜLLER (1986).). Die Situation ändert sich erst, wenn wir unsere Betrachtung erweitern und eine Person in Interaktion mit einer Gemeinschaft ins Auge fassen. Dann haben die anderen Mitglieder Bedingungen der Rechtfertigung dafür, ob der Person richtiges oder mangelhaftes Regelbefolgen zuzuschreiben ist, und diese Bedingungen werden nicht bloß darin bestehen, dass die Ansprüche der Person vorbehaltlos akzeptiert werden müssen. Die Bedingung dafür, zu behaupten, eine Person befolge eine bestimmte Regel, sie meine etwas Bestimmtes, stellen Zu-
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Stimmungspraktiken der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft dar, die differenzieren können zwischen Fällen, in denen das Subjekt einen korrekten Gebrauch macht und Fällen, in denen der Gebrauch inkorrekt ist. Die Art der Reaktionen, in denen die Mitglieder übereinstimmen, und die Art ihrer Verflechtung mit ihren anderen Handlungen bilden die Lebensform einer Gemeinschaft. Die Übereinstimmung ist konstitutiv dafür, dass man sagen kann, jemand folge einer bestimmten Regel oder meine mit einem Ausdruck etwas Bestimmtes. KRIPKE weist daraufhin, dass der Begriff der Übereinstimmung bei WITTGENSTEIN eine andere Rolle spielt als in unserem herkömmlichen Denken: Normalerweise würden wir sagen, dass die Annahme einer kollektiven Übereinstimmung unsere Praxis bestimmt, wir würden sagen: „Weil wir alle unter plus dasselbe verstehen, stimmen wir auch in den Resultaten der Addition überein." Für WITTGENSTEIN gilt aber: Weil wir in unserem selbstverständlichen Verhalten, in unseren spontanen Urteilen, zu denselben Ergebnissen kommen, können wir sagen, dass wir dasselbe meinen. Die Übereinstimmung der Mitglieder einer Gemeinschaft, und das ist ihre Lebensform, ist konstitutiv dafür, dass von den Mitgliedern behauptet werden kann, sie meinten etwas mit den von ihnen verwendeten Ausdrücken und weiter auch, sie verfügten über eine Sprache. Dies ist - hier etwas holzschnittartig vereinfacht - der argumentative Hintergrund für WITTGENSTEINS Behauptung: Sprache ist eine Lebensform. Mit ihr wird ein Privatmodell von Sprache strikt zurückgewiesen. Aussagen über Regelbefolgungen, Aussagen darüber, was jemand mit einem bestimmten Ausdruck meint, sind Aussagen über soziale Praktiken einer Gemeinschaft; auf keinen Fall sind sie Aussagen über mentale Zustände einzelner Sprachteilnehmer. Sprache ist ein kollektives Phänomen: Von einem einzelnen Individuum zu sagen, es verfüge über Sprache, hat nur dann Sinn, wenn man es als Mitglied eines Kollektivs betrachtet. Dies gilt auch für Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel: Wenn wir von ihm sagen, dass er über Sprache verfügt, nehmen wir ihn in unsere Lebensform mit hinein. In seinem Buch „Knowledge of Language" (1986) geht CHOMSKY näher auf die KmpKEsche Deutung von WITTGENSTEINS Regelbegriff ein, was eigentlich erstaunlich ist, weil
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CHOMSKYS eigener Regelbegriff ausschließlich auf die Syntax von Sprache(n) bezogen ist, während KRIPKE - wie wir gesehen haben - den Regelbezug (der Verwendung) sprachlicher Zeichen im Auge hat. Dass sich CHOMSKY so intensiv mit KRIPKE beschäftigt hat, lässt den Schluss zu, dass es ihm wesentlich um die Bestimmung eines adäquaten Sprachbegriffs geht, wie wir gleich sehen werden. Auf die Auseinandersetzung CHOMSKYS mit KRIPKE hat dieser m. W. nicht in einer öffentlich zugänglichen Weise reagiert. Die Debatte wird aber intensiv im Internet weitergeführt, wie man unter der Adresse: http:csmaclabwww.uchicago.edu/philosophyProiect/Chomsky/Kripkel.html nachlesen kann. (Dies ist zumindest die Adresse, die zur Zeit der Abfassung dieses Textes (September 2003) zugänglich war!) CHOMSKY äußert in Kap. V von „Knowledge of Language" die folgenden drei Haupteinwände: (1) Der kollektive Sprachbegriff ist deskriptiv inadäquat. (2) Wenn KRIPKE Robinson Crusoe in unsere Lebensform mit hineinnimmt, dann unterstellt er ihm den Status eines menschlichen Wesens. Dies erweckt aber das Privatmodell zu neuem Leben! (3) Der Ort der Regelkonstitution ist die Kompetenz von Sprechern einer Sprache, und diese ist nicht normativ, sondern deskriptiv. Ich werde im Folgenden die einzelnen Einwände CHOMSKYS der Reihe nach diskutieren und dabei auch mögliche Reaktionen ä la KRIPKE zumindest andeuten. Zum ersten Einwand, dem der deskriptiven Inadäquatheit: Wenn man das Beispiel des Spracherwerbs nimmt, dann kann man beobachten, dass es häufig vorkommt, dass Kinder ganz systematische Fehler machen, z.B. das Präteritum von bringen oder schlafen nach der Regel der schwachen Konjugation bilden, also bringte bzw. schlafte. Wir sagen, diese Art des sprachlichen Verhaltens sei abweichend, und zwar von der etablierten sozialen Norm. Nun weist ein solch abweichendes Verhalten jedoch bestimmte Muster auf und verweist auf eine Regel. Es handelt sich also um eine Art von regulärer Irregularität, die man nicht eliminieren sollte. Normen einer Sprachgemeinschaft sind außerordentlich vielfältig und komplex. Im Englischen, wie im Deutschen, gibt
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es eine Reihe von Substandards und Dialekten. Unsere Praktiken des Zuschreibens von Regelbefolgungen sind nicht restlos durch eine universale Übereinstimmung begründet: Im täglichen Leben wird der Unterschied zwischen unserer Norm und der anderer ständig anerkannt und bestätigt. Es ist falsch, dass sich eine Regel im Verhalten des Sprachbenutzers zeigt. Eine Person kann sich entschließen, bewusst und permanent eine Regel zu verletzen. Ihre Handlungen scheinen mit dem normalen Muster überein zu stimmen, sind aber zeitweilig im Widerspruch zur je eigenen Regel. Umgekehrt kann eine Person gemäß der sozialen Norm handeln, die ihrer eigenen widerspricht. Aus dem Verhalten einer Person kann man also nicht erkennen, ob sie wirklich einer Regel folgt oder nicht. KRIPKE würde sicher zugeben, dass Übergeneralisierungen im Spracherwerb als natürliche Tatsachen gelten können, die ihre Regularitäten haben. Aber warum soll man sagen, dass die Regel, die in der Vergangenheit irregulär war, jetzt zur regulären geworden ist? Dafür müsste es einen neuen Standard geben, und dieser setzt eine neue Lebensform voraus. Man könnte sich sogar vorstellen, dass so eine radikale Veränderung des Lebens unendlich viele mögliche Regeln zulässt, die im Widerspruch zueinander stehen. In diesem Fall hätte überhaupt niemand das Recht, über die Korrektheit von Regeln zu entscheiden, da es kein Kriterium gibt, auf das man sich stützen könnte. Das Ziel der skeptischen Argumentation KRIPKES war es ja zu zeigen, dass unbegrenzte Regelinterpretationen die Regeln zum Verschwinden bringen. Unsere Regelbefolgungen sind Muster unseres Verhaltens, weil sie in der Übereinstimmung in unseren Urteilen begründet sind. Und die Norm ist die Lebensform. KRIPKE würde sicher auch zugeben, dass Normen einer Sprachgemeinschaft vielfältig sind, dass es innerhalb einer Gemeinschaft mehrere Gruppensprachen und Dialekte gibt und dass es innerhalb dieser Subgruppen immer eine von all ihren Mitgliedern geteilte Norm gibt. Wenn nun die einzelnen Subgruppen miteinander kommunizieren, dann muss es eine übergreifende Norm für alle Sprachteilnehmer geben, damit sie einem Sprecher, der einen von den übrigen verschiedenen Dialekt spricht, Regelbefolgung zuschreiben können auf der Basis
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der Übereinstimmung darüber, dass es in ihrer Sprachgemeinschaft verschiedene Dialekte gibt. Der erste Einwand CHOMSKYS gegen den kollektiven Sprachbegriff KRIPKES bildet also keine wirkliche argumentative Gefahr für seine Adäquatheit. Anders sieht es mit dem zweiten Einwand aus: Die Hinneinnahme von Robinson Crusoe in unsere Lebensform setzt - so CHOMSKY - voraus, dass wir ihn als menschliches Wesen, als Person, betrachten. Weshalb tun wir dies? Da Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel lebt, gibt es keine Interaktion zwischen ihm und unserer zivilisierten Gesellschaft, was bedeutet, dass die Übereinstimmung, in der unsere Zuschreibung von Regelbefolgung begründet sein soll, keine Bedeutung für unsere gemeinsame Praxis hat. Vielmehr stimmen wir mit Robinson Crusoe darin überein, dass wir mit ihm dieselben speziesspezifischen Beschränkungen teilen, und das heißt, dass WITTGENSTEINS Begriff der Lebensform nicht als Argument gegen eine Privatsprache dienen kann. Der Begriff der Lebensform bei WITTGENSTEIN als Übereinstimmung von Urteilen taugt nicht für den Fall des Robinson Crusoe. Wir brauchen einen weiteren Begriff von Lebensform, der die speziesspezifischen Bedingungen des Menschen mit einschließt. Wenn wir nun auch nicht-insularische Wesen mit berücksichtigen, erhalten wir zwei Bereiche von Lebensform: - einmal den Bereich der aktuellen Sprachbeherrschung eines Individuums, d.h. das Stadium der Verinnerlichung einer ganz bestimmten Sprache; - und zum ändern den Bereich der allgemeinen Sprachfähigkeit, des initialen Stadiums eines Menschen, der Universalgrammatik. Wenn wir Robinson Crusoe betrachten, dann können wir sagen, dass er als menschliches Wesen mit uns den Anfangszustand der Sprachfähigkeit teilt, dass er aber, was seine erreichte Sprachbeherrschung angeht, Regeln folgt, die nicht die unsrigen sind. Er hat folglich eine Privatsprache. Auf diese Einwände könnte KRIPKE wie folgt reagieren: Zunächst sollte es ein Kriterium geben, was eine Regelbefolgung, ein Sprachbenutzer bzw. eine Person ist. Ein solches Kriterium ist eines der Gemeinschaft: Es sind wir, die Mitglieder, die entscheiden, ob dieses isolierte Individuum ein Regelbefolger ist
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oder nicht. In diesem Sinn verleihen wir ihm den Status einer Person. Die Zuschreibung der Regelbefolgung ist keine Feststellung einer Tatsache unabhängig von unserer Praxis. Zu behaupten, Robinson Crusoe teile mit uns dieselben Bedingungen, ist ein Teil unserer Theorie darüber, was es heißt, ein menschliches Wesen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zu sein. Für solche Zuschreibungspraktiken ist es nicht unbedingt nötig, dass jedes Mitglied der Gemeinschaft mit jedem anderen Mitglied interagiert. Wir schreiben auch Fremden, die wir nie gesehen haben, Regelbefolgung zu, und es ist durchaus denkbar, dass wir eines Tages die Bewohner eines fremden Planeten ,Menschen' nennen. Wenn es irgendeine Verständigung zwischen terrestrischen und extraterrestrischen Wesen oder zwischen einem modernen Menschen und Robinson Crusoe überhaupt gibt, dann müssen sie zumindest einige Fähigkeiten gemeinsam haben, nennen wir sie ruhig speziesspezifische Eigenschaften. Aber wenn WITTGENSTEINS skeptisches Argument Bestand haben soll, dann ergibt der Begriff der spezifisch menschlichen Eigenschaft nur im Zusammenhang mit einer sozialen Praxis Sinn. Die Annahme des Menschseins als eine bloße Tatsache unabhängig von einer Perspektive auf eine soziale Praxis ist genauso problematisch wie die Annahme einer bedeutungskonstitutiven Tatsache. Der dritte Einwand CHOMSKYS betrifft die Normativität der sprachlichen Kompetenz: Man sollte eine sprachliche Regel nicht mit einer ethischen oder moralischen Regel verwechseln. Wir sagen nicht, dass eine Person verpflichtet sei, in einem moralischen Sinn, einen Satz in einer bestimmten Weise zu produzieren oder zu verstehen. Dem Argument würde KRIPKE sicher zustimmen, er würde aber betonen, dass, wenn eine Person als Mitglied einer bestimmten (Sprach-)Gemeinschaft gelten will, sie in einem sozialen Sinn zu einer bestimmten Produktion und Rezeption sprachlicher Ausdrücke verpflichtet ist. Wenn wir jetzt ein Fazit aus der Auseinandersetzung CHOMSziehen, können wir die beiden Sprachbegriffe in folgender Weise prägnant (und damit auch etwas holzschnittartig) charakterisieren:
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(1) Sprache ist - KRIPKE zufolge - in einem Kollektiv begründet. Über Sprache zu verfügen heißt Mitglied einer Gemeinschaft zu sein oder noch zugespitzter formuliert: Weil wir Mitglieder einer Gemeinschaft sind, haben wir Sprache. (2) Sprache ist - CHOMSKY zufolge - in der je individuellen biologisch angelegten Sprachfähigkeit (die Universalgrammatik) des Menschen begründet. Über Sprache zu verfügen heißt zur Spezies Mensch zu gehören. Weil wir Sprache haben, sind wir Mitglieder einer Gemeinschaft. Die beiden Auffassungen sind letztlich unversöhnlich. Dennoch können sie, worauf GREWENDORF (1995) aufmerksam macht, als zwei gleichberechtigte Perspektiven der Beschäftigung mit Sprache genützt werden: Nach CHOMSKY gehört die Universalgrammatik zur biologischen Ausstattung des Menschen, ist also ein Teil der Humangenetik. In diesem Verständnis ist die Untersuchung von Sprache letztlich eine Disziplin der Humanbiologie. Als solche ist sie der galileischen Methode verpflichtet: Zu ihren Hauptaufgaben gehört es, abstrakte mathematische Modelle zu konstruieren, deren Realitätsgrad höher ist als die durch unsere Sinnesorgane erschlossene Alltagswelt. Auf der Basis solcher Modelle werden in der Sprachwissenschaft Hypothesen darüber aufgestellt, was eine mögliche phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Struktur eines sprachlichen Ausdrucks ist und wie diese durch abstrakte Prinzipien erklärt werden kann, die ihrerseits auf neurophysiologische oder biochemische Kategorien projizierbar sind. Der eigentliche Untersuchungsgegenstand der modernen Linguistik ist die Struktur der Universalgrammatik; der Untersuchung der Einzelsprachen kommt dabei ein heuristischer Wert zu. WITTGENSTEINS Sprachauffassung verhindert nun geradezu ein naturwissenschaftliches Vorgehen. Er selbst hat mit seiner analytischen Methode die Ausdrücke der Sprache untersucht, um die Philosophie von ihren Irrtümern zu befreien. Mit der analytischen Methode werden inhaltliche Feststellungen über die Sprache getroffen. Solche Feststellungen spielen aber für eine Reihe von Fragen der Sprachwissenschaft eine wichtige Rolle, z.B. Fragen nach dem Status von Aussagen, Fragen nach
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dem Zusammenhang zwischen der Bedeutung wissenschaftlicher und alltagssprachlicher Ausdrücke, Fragen nach dem Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und schließlich die Frage, wie verschiedene (Teil-)Theorien und die damit verbundenen Redeweisen ineinander übersetzbar sind, nicht zuletzt auch die biologisch-naturwissenschaftlichen und die soziologisch-humanwissenschaftlichen Redeweisen. Fassen wir zusammen: (1) Nach KRIPKE ist es unmöglich, eine Rechtfertigung dafür zu finden, dass eine für sich betrachtete Person einer bestimmten Regel R und nicht etwa einer Regel R' folgt, bzw. mit einem sprachlichen Ausdruck etwas Bestimmtes meint. (2) Die Unmöglichkeit der Rechtfertigung des Befolgens einer Regel hat ihren Grund darin, dass wir von einer isoliert betrachteten Person keine Aussagen über ihr Sprachverhalten machen können. Mit der Aussage X meint mit dem Ausdruck das und das wird auf keine Tatsache Bezug genommen. (3) Erst, wenn wir eine Person als Mitglied einer Gemeinschaft betrachten, können wir aufgrund der Übereinstimmung in den Urteilen der Mitglieder dieser Gemeinschaft sagen, dass sie einer bestimmten Regel folgt bzw. mit einem sprachlichen Ausdruck etwas Bestimmtes meint. Die Übereinstimmung in den Urteilen im Zusammenhang mit sozialen Praktiken bildet die Lebensform einer Gemeinschaft. (4) Das Verfügen über Sprache ist ein kollektives Phänomen: Von einem einzelnen Individuum zu sagen, es verfüge über Sprache, ist nur dann sinnvoll, wenn man es als Mitglied eines Kollektivs betrachtet. Dies gilt auch für den einsamen Robinson Crusoe: Wenn wir von ihm sagen, dass er über Sprache verfügt, nehmen wir ihn in unsere Lebensform hinein. (5) CHOMSKYS wesentlicher Einwand bezieht sich auf die Gründe, weshalb wir Robinson Crusoe in unsere Lebensform hinein nehmen: Wir tun dies, weil wir ihm als Menschen speziesspezifische Eigenschaften zuschreiben, deren wesentlichste die in ihm genetisch fixierte Sprachfähigkeit
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darstellt. Die Sprachfähigkeit als angeborene Universalgrammatik ist die speziesspezifische Lebensform des Menschen. (6) Daraus folgt, dass Sprache - in dieser Sichtweise - eine biologisch angelegte Fähigkeit ist und jedem Individuum zugesprochen werden kann. Die Eigenschaft, Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, spielt keine determinierende Rolle. (7) Die beiden Sprachbegriffe sind letztlich unversöhnlich; sie können jedoch als zwei gleichberechtigte Perspektiven der Beschäftigung mit Sprache genützt werden. 1.3
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
1.3.1
Der Ausgang: Kritik am Wahr-/Falschheitskriterium der semantischen Bestimmung von Äußerungen
Ganz ähnlich wie WITTGENSTEIN geht AUSTIN von einer vorherrschenden Bedeutungstheorie und deren Kritik aus. Sein Anknüpfungspunkt ist Gegenstand und Methode einer Semantik, die sprachliche Äußerungen nach ihrem Wahrheitsgehalt bestimmt. Gegenstand einer solchen Semantik sind Sätze, in denen etwas beschrieben oder behauptet wird (,to describe', ,to constate'), z.B.: (i) (ii) (iii)
In Mannheim halten mehr 1C-Züge als in Frankfurt Die letzte Bundestagswahl fand am 22. September 2002 statt AEG und Zanker haben fünfzig Prozent ihrer Angestellten entlassen
usw. Solche Sätze, so AUSTIN, sind aber nur ein Bruchteil aller möglichen Sätze einer Sprache. Was ist aber mit den folgenden? (iv) (v)
Ich nehme die hier anwesende XY zur Frau als Äußerung im Lauf einer standesamtlichen Trauung Ich taufe dieses Schiff auf den Namen „Queen Elizabeth" als Äußerung beim Wurf der Flasche gegen den Schiffsrumpf
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
(vi) (vii)
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Ich vermache meine Uhr meinem Bruder als Teil eines Testaments Ich wette einen Fünfziger, dass es morgen regnet
Diese Äußerungen sind, obwohl sie alle Bedingungen für beschreibende oder behauptete Sätze erfüllen, in zweifacher Weise von diesen zu unterscheiden (vgl. AUSTIN (dt. 1972), 26.)2: (1) sie beschreiben, berichten, behaupten überhaupt nichts; Sie sind weder wahr noch falsch; (2) das Äußern des Satzes ist, jedenfalls teilweise, das Vollziehen einer Handlung (,is, or is a part of, the doing of an action'), die man ihrerseits gewöhnlich nicht als ,etwas sagen' kennzeichnen würde. Das heißt: Es gibt Äußerungen, die weder wahr noch falsch sind, in gleicher Weise wie Handlungen weder wahr noch falsch sein können. Solche Äußerungen nennt AUSTIN performativ und unterscheidet sie zunächst von beschreibenden oder behauptenden Äußerungen, die er konstativ nennt. 1.3.2
Die Beurteilung von performativen Äußerungen nach dem, was alles schiefgehen kann oder: die Lehre von den Unglücksfällen
Wir hatten bereits im Kapitel über die Methode einer allgemeinen Bestimmung eines Tuns als Handlung gesehen, dass AUSTIN dem vom normalen abweichenden Fall besonderes Interesse zeigt (vgl. I, Kap. 3.2). Dies gilt aber auch für seine Bestimmung performativer Äußerungen; sie können, wie alle anderen Handlungen auch, schieflaufen, verunglücken. Mit Blick auf mögliche Unglücksfälle von Äußerungen stellt AUSTIN zunächst eine Liste von notwendigen Bedingungen zusammen, „ohne die keine performative Äußerung glatt und 2 Ich werde, wenn es m. E. keine Übersetzungsprobleme gibt, nach der deutschen Ausgabe zitieren. Da, wo ich es für angebracht halte, werde ich das Englische (in der 2. Auflage von 1978) neben der entsprechenden deutschen Stelle in Klammern zitieren.
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
glücklich Chappy') läuft." (AUSTIN (dt. 1972), 35.) Anschließend in den folgenden zwei Vorlesungen (3 und 4) gibt er Beispiele für entsprechende Negativfälle. Ich werde die Bedingungen mit ihren jeweiligen Beispielen zusammen wiedergeben (vgl. AUSTIN (dt. 1972), 35ff.): (A. 1) Es muss ein bestimmtes konventionales Verfahren mit einem bestimmten konventionalen Ergebnis geben; zu dem konventionalen Verfahren gehört, dass bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter äußern. Verstöße gegen diese Bedingung nennt AUSTIN Fehlberufungen·. Jemand beruft sich bei seiner Äußerung auf ein Verfahren, das nicht konventional, nicht üblich, nicht allgemein akzeptiert ist. Ein Beispiel für eine solche Fehlberufung ist der Fall, wo in einem christlichen Land ein christlicher Ehemann zu seiner ebenfalls christlichen Ehefrau sagt: (i)
ich entlasse dich
Ein anderer Fall ist der, wo im Europa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jemand einen Gegner zum Duell fordern will, indem er sagt: (ii)
ich erwarte Ihre Sekundanten
Beide Male kann der Sprecher das beabsichtigte Ergebnis nicht erreichen, da das Verfahren - Verstoßung der Ehefrau bzw. Forderung zum Duell - in dem Sinn nicht existiert, als es (hier und jetzt) nicht (mehr) allgemein akzeptiert ist. Die Handlung kommt nach AUSTIN nicht zustande. Dies heißt jedoch nicht, dass überhaupt nichts getan wurde, sondern nur, dass die beabsichtigte Handlung nicht zustande gekommen ist; was dennoch bleibt, ist ein Versuch und manchmal sogar ein Vergehen. (Vgl. AUSTIN (dt. 1972), 37.) (A. 2) Die betroffenen Personen und Umstände müssen im gegebenen Fall für die Berufung auf das besondere Verfahren passen, auf welches man sich beruft. Verstöße gegen diese Bedingung sind nach AUSTIN Fehlanwendungen: Zwar gibt es ein konventionales Verfahren, aber es ist in der betreffenden Situation nicht anwendbar: Auf einer einsa-
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men Insel, wo zwei Schiffbrüchige gelandet sind, sagt der eine zum anderen: (iii)
Ich befehle dir, Holz zu holen
Dieser kontert: (iv)
Du hast mir nichts zu befehlen - auf einer einsamen Insel nehme ich von dir keine Befehle an
Hier kommt die spezielle Handlung des Befehls nicht zustande, weil der Befehl, der zwar als ein konventionales Verfahren in unserer Sprachgemeinschaft gilt, in dieser besonderen Situation als nicht anwendbar zurückgewiesen wird. (B. 1) Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt (B. 2) und vollständig durchführen Verstöße gegen diese Bedingungen sind Fehlausführungen·, „die unternommene Handlung wird dadurch verdorben, daß die Zeremonie durch einen Fehler getrübt wird (B. 1) oder eine Lücke (B. 2) bleibt." (AUSTIN (dt. 1972), 37.) Trübungen liegen vor, wenn falsche Formeln benutzt werden, z.B.: (v) (vi)
Ich vermache dir mein Haus wenn der Sprecher mehrere Häuser hat Ich wette, dass das Rennen heute nicht läuft wenn mehr als ein Rennen auf dem Plan steht
Lücken (B. 2) liegen vor, wenn das Verfahren unvollständig bleibt, z.B.: Jemand versucht zu wetten, indem er sagt: (vii)
Ich wette einen Euro
aber der Versuch bleibt erfolglos, weil niemand „top!" sagt oder „angenommen" oder dergleichen. Für die Bedingungen gilt ebenso wie für die -Bedingungen -, dass die Handlung (als die jeweils beabsichtigte Handlung) nicht zustande kommt. Diese Einteilung, die AUSTIN für die Bedingungen des Zustandekommens performativer Äußerungen vornimmt, gilt allerdings nur mit zwei Einschränkungen: (1) Sie bezieht sich nur auf Äußerungen in einer bestimmten Formulierung, nämlich der explizitperformativen (vgl. SAVIGNY (1993), 140f.; BREMERICH-VOS (1981), 31 f.; KRÄMER (2001).), wie z.B.:
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(viii) (ix) (x) (xi)
WITTGENSTEIN und AUSTIN
ich wette, dass ... ich befehle dir, dies und jenes zu tun ich verspreche, dass ... ich warne Sie vor ...
usw. Explizit performative Äußerungen zeichnen sich vor anderen Formulierungen dadurch aus, dass sie ein Verb enthalten, das die Funktion oder die Rolle, die die Äußerung in einer gegebenen Situation haben sollen, klarmacht. Die Beschränkung auf solche Äußerungen hat auch zur Konsequenz, dass zu den AusTiNschen Unglücksfallen keine Missverständnisse zählen, also Fälle, in denen der Adressat einer Äußerung nicht versteht, was der Sprecher damit sagen will oder meint - dies ist durch die explizit performative Formulierung ausgeschlossen; Missverständnisse dieser Art kann es bei ihnen nicht geben. (2) Die zweite Beschränkung, unter der die AusiiNsche Einteilung zu verstehen ist, bezieht sich auf ihre Eindeutigkeit bzw. Ausschließlichkeit: Erstens ist es nicht für jeden Fehler klar, in welche der Abteilungen er gehört; z.B. kann das Beispiel des Ehefrau-Verstoßes auch als ein Fall von Fehlanwendung eingestuft werden: In einem christlichen Land kann man das mohammedanische Verfahren nicht anwenden. Zweitens kann eine Äußerung mehrere Fehler haben; z.B. kann jemand, der nicht dazu befugt ist, ein Kind auf einen Namen taufen, der nicht für es bestimmt ist und dazu die falsche Formel sagen. Den A- und B-Bedingungen, die das Zustandekommen einer Äußerung als eine ganz bestimmte garantieren, stellt AUSTIN eine andere Bedingungsgruppe gegenüber: ( . 1) Wenn, wie oft, das Verfahren für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Gefühle haben, oder wenn es der Festlegung eines der Teilnehmer auf ein bestimmtes, späteres Verhalten dient, dann muss, wer am Verfahren teilnimmt, und sich so darauf beruft, diese Meinungen und Gefühle wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten, ( . 2) und sie müssen sich dann auch so verhalten.
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Verstöße gegen diese Bedingungen verhindern im Gegensatz zu den A- und B-Bedingungen nicht, dass die Handlung (als die beabsichtigte Handlung) zustande kommt; sie sind Unredlichkeiten oder Missbräuche; die Handlung ist unehrlich. Die Unehrlichkeit bezieht sich auf Gefühle, Meinungen und Absichten eines Sprechers. (Vgl. AUSTIN (dt. 1972), 56f.) Ein Beispiel für Gefuhlsmissbrauch: Ich sage: (xi)
ich beglückwünsche Sie
obgleich ich das, was der Adressat getan hat, überhaupt nicht gut finde, mich sogar insgeheim darüber ärgere. Ein Beispiel für Meinungsmissbrauch: Ich sage: (xiii)
ich rate Ihnen, dies und jenes zu tun
obgleich ich nicht der Meinung bin, dass das, was ich dem Adressaten rate, für ihn nützlich ist. Ein Beispiel für Absichtsmissbrauch: Ich sage: (xiv)
ich verspreche, dies und jenes zu tun
obwohl ich nicht vorhabe, das Versprechen zu halten. Bedingung . 2 liegt außerhalb einer Äußerung selbst und bezieht sich auf ein Folgeverhalten des Sprechers. Sie soll garantieren, dass man durch sprachliche Äußerungen auf bestimmte Konsequenzen festgelegt ist, die vom Adressaten erwartet werden können. Das Erfülltsein der genannten A-, B- und -Bedingungen allein sichert allerdings immer noch nicht das restlose ,Glattlaufen' einer Äußerung. (Vgl. AUSTIN (dt. 1972), 58 f.) Es kann noch andere Unglücksfalle geben: Ich verschenke etwas, wovon ich irrigerweise annehme, es sei mein. Ich sage (xv)
ich rate dir, X zu tun
Von X nehme ich, völlig irrigerweise an, dass es im Interesse des Angesprochenen liegt. Solche Fälle, in denen sich der Sprecher zwar auf ein übliches Verfahren beruft, sich aber in seiner Meinung über die Begleitumstände der Handlung im Irrtum befindet, betrachtet AUSTIN als gesonderte Unglücksfälle, die in keine der A-, Boder -Abteilungen gehören. Er betont, dass solche Äußerun-
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gen nicht nichtig, sondern anfechtbar seien. (Vgl. AUSTIN (dt. 1972), 58.)3 Die Unterscheidung, die AUSTIN zwischen den Unglücksfallen der Fehlberufung und Fehlanwendung einerseits und den Unglücksfällen des Irrtums andererseits macht, bringt ein besonderes Problem mit sich: Damit eine Äußerung X als eine ganz bestimmte beabsichtigte Äußerung X zustande kommt, müssen, wie wir gesehen haben, die folgenden Bedingungen als gegeben angesehen werden: (1) es gibt ein übliches Verfahren für X (2) die Personen und Umstände passen für die Berufung auf das Verfahren (3) das Verfahren ist korrekt (4) und vollständig ausgeführt Diese Bedingungen haben ihrer Formulierung nach den Charakter von Feststellungen oder Behauptungen, nach der AusN sehen Terminologie von Konstativen, die wahr oder falsch sein können. Wer aber entscheidet über ihre Wahr/Falschheit? Wer entscheidet darüber, ob die Bedingungen zutreffen oder nicht? Ist es ein jeweiliger Sprecher, sein(e) Adressat(en), ein nicht beteiligter Beobachter oder der über allem stehende Philosoph? Wenn, um beim AusTiNschen Beispiel zu bleiben, jemand auf einer einsamen Insel jemandem anderen den Befehl gibt, Holz zu holen, und dabei durchaus der Meinung ist, alle Bedingungen (1) bis (4) seien erfüllt, es sich aber durch die Reaktionen des Angesprochenen herausstellt, dass er sich zumindest in der Annahme, dieser sei eine Person, die zum Verfahren passe, geirrt hat, ist dann die Äußerung nicht zustande gekommen oder ist sie zustande gekommen, aber anfechtbar? AUSTIN ist wohl der Meinung, es sei ein Fall von Fehlberufung, und infolgedessen sei auch gar kein Befehl zustande gekommen. Dieser Auffassung könnte man fragend entgegenhalten, worauf
An dieser Stelle ist die Übersetzung Savignys besonders frei (dt. 1972), 58: „Man beachte, daß ein Versehen ein Rechtsgeschäft im allgemeinen nicht nichtig, sondern anfechtbar macht." gegenüber dem englischen Original (1978), 42: „It should be noted that mistake will not in general make an act void, though it may make it excusable.".
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sich die Reaktion des Adressaten „du hast mir hier auf dieser einsamen Insel gar nichts zu befehlen!" denn beziehen soll: auf den Versuch eines Befehls? auf eine ausgesprochene Sprecherabsicht? oder auf was sonst? Aus unseren Überlegungen geht hervor, dass die AUSTINschen Bedingungen für das Glücken einer Äußerung unzureichend bestimmt sind; es wird nicht klar, wer über die Gültigkeit der Bedingungen in einem konkreten Einzelfall entscheidet: der Sprecher, sein(e) Adressat(en) oder andere Beobachter oder allwissende Personen. 1.3.3
Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung: performativ - konstativ
AUSTIN hatte in einem ersten Ansatz streng unterschieden zwischen performativen Äußerungen, die glücken oder missglücken, und konstativen Äußerungen, die wahr oder falsch sind. Aber - so fragt er weiter - lässt sich diese strikte Unterscheidung wirklich aufrecht erhalten? Zunächst könnte man bereits daran zweifeln, wenn man bedenkt, dass das Glücken einer Äußerung notwendig mit dem Zutreffen bestimmter Fragestellungen verbunden ist; z.B. sind mit dem Glücken der Äußerung (i)
ich entschuldige mich
die folgenden wahren Feststellungen verbunden (vgl. AUSTIN (dt. 1972), 62): (1) es ist wahr und nicht falsch, dass ich gerade etwas tue oder getan habe - natürlich zahlreiche Dinge, insbesondere aber, dass ich mich entschuldigt habe; (2) es ist wahr und nicht falsch, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sind, insbesondere von der Art, wie die Regeln A. l und A. 2 es erfordern; (3) es ist wahr und nicht falsch, dass bestimmte andere Bedingungen der Art erfüllt sind, insbesondere, dass ich etwas Bestimmtes meine; (4) es ist wahr und nicht falsch, dass ich auf ein bestimmtes Folgeverhalten festgelegt bin.
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Die Äußerung (i) setzt die Wahrheit der Feststellungen (1) bis (4) voraus (,implies the truth of...'). Eine solche Implikationsoder Voraussetzungsbeziehung gibt es aber auch für konstative Äußerungen. Bevor AUSTIN darauf ausführlich eingeht, rettet er zunächst noch die alte Unterscheidung mit dem folgenden Argument: Die Wahrheit der konstativen Äußerung „Er läuft" hängt davon ab, ob er läuft (d.h. von dem Bestehen der Tatsache, daß er läuft. G.H.). In unserem Fall ist es dagegen dem Glücken der performativen Äußerung „Ich entschuldige mich" zu verdanken, daß die Tatsache (,the fact'), daß er sich entschuldigt, zustande kommt; ob ich mich erfolgreich entschuldige, hängt davon ab, ob meine performative Äußerung „Ich entschuldige mich" glückt. Auf diese Art können wir die Unterscheidung performativ - konstativ rechtfertigen - die Unterscheidung zwischen Tun und Sagen. (AUSTIN (dt. 1972), 63.)
Unabhängig von dieser Unterscheidung und ungeachtet des oben erwähnten Problems, wer über die Wahrheit der entsprechenden Feststellungen zu entscheiden hat, können wir jetzt schon eine wichtige Bemerkung zum Vollzug performativer Äußerungen machen: Wenn ein Sprecher befiehlt, warnt, verspricht, sich entschuldigt u.dgl., dann gibt er damit (mit dem Äußern des Befehls, der Warnung usw.) zugleich auch immer seinem Adressaten zu verstehen, dass er von bestimmten bestehenden Tatsachen ausgeht - vorausgesetzt natürlich, seine Äußerung ist aufrichtig und ernsthaft gemeint. Solche Tatsachen beziehen sich in erster Linie auf die AusxiNschen Bedingungen der A-Abteilungen. Im Fall eines Befehls könnte man sie z.B. so formulieren: (a) ,ich bin eine Autorität, der du in bestimmten Situationen gehorchst* (b) ,wir befinden uns in einer solchen Situation' (c) ,das, was ich dir befehle, tust du nicht von selbst' (d) ,du bist (wenn vielleicht auch mit Anstrengung) in der Lage und willens, das zu tun, was ich dir befehle' Solche und ähnliche Feststellungen oder Behauptungen, die der Sprecher für wahr hält, werden immer dann mit zu verstehen gegeben, wenn jemand einen Befehl erteilt. Mit der Redeweise „zu verstehen geben" möchte ich, ohne sie zu einem theoretischen Terminus zu erheben, lediglich verdeutlichend
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darauf hinweisen, dass - wie AUSTIN es formuliert hat - zum Vollziehen performativer Äußerungen ,immer mehr gehört, als ein paar Wörter zu sagen'. Das ,mehr' besteht gerade darin, dass ein Sprecher über das hinaus, was er ausdrücklich sagt (und dessen Bedeutung), etwas zu verstehen gibt, was er nicht verbalisiert, was aber mit zur Äußerung gehört. Auch konstative Äußerungen setzen die Wahrheit von Feststellungen voraus - dies ist der zweite Anlass zum Zweifel an der strikten Unterscheidung zwischen performativen und konstativen Äußerungen. AUSTIN definiert drei verschiedene Arten solcher Voraussetzungen (AUSTIN (21978), 47ff.; (dt. 1972), 63 ff.)4: (1) ENTAILS (dt.: .beinhalten', .enthalten') (ii)
Alle Menschen erröten
beinhaltet, enthält (,entails'): (iii)
einige Menschen erröten
Man kann nicht sagen: (iv)
*Alle Menschen erröten, aber nicht einige Menschen erröten
(2) IMPLIES (dt.: ,zu verstehen geben', ,nahe legen') Wenn ich sage (v)
die Katze ist auf der Matte
so gebe ich damit zu verstehen (,my saying (v) implies'): (vi)
ich glaube, dass die Katze auf der Matte ist
(vii)
*die Katze ist auf der Matte, aber ich glaube nicht, dass es so ist
ist eine abweichende Äußerung.
4 Zur Kritik der AusriNschen Definition vgl. WORKER (1978), 43 ff. Ich halte mich hier an das englische Original, da mir die deutsche Übersetzung zu frei erscheint.
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(3) PRESUPPOSES (dt.: ,voraussetzen', ,präsupponieren')5: (viii)
Hansens Kinder haben Glatzen
präsupponiert/setzt voraus: (ix)
Hans hat Kinder
Wir können nicht sagen: (x)
*Hansens Kinder haben Glatzen, aber Hans hat keine Kinder
Die drei Arten, wie eine konstative Äußerung mit zutreffenden Feststellungen verbunden ist, präzisiert AUSTIN so (AUSTIN (21978), 49 f.): (1) ENTAILMENT/ENTHALTENSEIN (v)
Die Katze ist auf der Matte
,entails', enthält: (xi)
die Matte ist unter der Katze
Das heißt: Der Inhalt einer Feststellung, das was mit ihr ausgedrückt wird, ihre Proposition, beinhaltet, ,entails' die Wahrheit einer anderen Proposition. (2) IMPLIES/ZU VERSTEHEN GEBEN Im Unterschied zu (1) bezieht sich ,implies' nicht auf die Proposition, also den Inhalt einer Feststellung, sondern auf die Feststellung (,assertion4) selbst, auf den Akt des Feststellens, mit dem ein Sprecher, der sagt (v)
die Katze ist auf der Matte
zu verstehen gibt (,impliese): (vi)
ich glaube, dass die Katze auf der Matte ist
(vgl. auch WÖRNER (1978), 52ff.)
5 Ich führe hier gleich den Ausdruck „Präsupposition" ein, der sich in der Sprachphilosophie und Linguistik durchgesetzt hat.
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
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(3) PRESUPPOSITION/PRÄSUPPOSITION Die Präsupposition (ix)
Hans hat Kinder
die wahr sein muss, damit (viii)
Hansens Kinder haben Glatzen
wahr ist, bleibt auch für die negierte Äußerung erhalten: Die Äußerung: (xii)
Hansens Kinder haben keine Glatzen
präsupponiert (ix) ebenso wie die positive Äußerung (viii) - dies unterscheidet Präsupposition von Entailments wie (1), die sich je nach den negierten oder positiven Äußerungen jeweils ändern. Wenn man nun diese Bedingungen für die Geltung/Wahrheit konstativer Äußerungen mit den Bedingungen für das Glücken performativer Äußerungen vergleicht, kann man zwei interessante Parallelen feststellen: (1) Wenn jemand sagt: (v)
die Katze ist auf der Matte
und zugleich nicht glaubt, dass die Katze auf der Matte ist, dann ist dies ganz klar ein Fall von Unaufrichtigkeit und genau dasselbe wie der Missbrauch eines Versprechens, das man abgibt, ohne das Versprochene auch tun zu wollen. (2) Wenn jemand sagt: (viii)
Hansens Kinder haben Glatzen
und Hans nun aber keine Kinder hat, dann wird man normalerweise gar nicht sagen, die Feststellung oder Behauptung (viii) sei falsch; da in der Äußerung über Personen gesprochen wird, die es nicht gibt, stellt sich die Frage nach der Wahrheit von (viii) auch gar nicht.6 AUSTIN sagt, die Äußerung ist nichtig, im gleichen Sinn wie: (xiii)
ich taufe dich auf den Namen Franz-Josef
6 Den Fall, dass Präsuppositionen auch irrtümlicherweise wegen mangelnder oder falscher Weltkenntnis zustande kommen, diskutiert AUSTIN nicht, vgl. dazu BREMERICH-VOS (1981), 38/39.
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von jemandem geäußert, der weder Pfarrer noch sonstwie zur Taufe befugt ist. In gleicher Weise, wie performative Äußerungen nicht als solche zustande kommen, wenn die A-Bedingungen nicht erfüllt sind, kommt eine Äußerung wie (viii) erst gar nicht als Feststellung oder Behauptung., die wahr oder falsch sein kann, zustande, wenn ihre Präsupposition nicht wahr ist. Das heißt: Die Geltung/Wahrheit von Präsuppositionen ist mit der Geltung der -Bedingungen vergleichbar. Wenn nun aber konstative Äußerungen in gleicher Weise verunglücken können wie performative Äußerungen, dann gibt es auch keinen plausiblen Grund mehr, sie streng voneinander zu trennen. 1.3.4
Die ,neue' Theorie der Sprechakte
Nachdem sich eine strenge Unterscheidung zwischen performativen und konstativen Äußerungen als nicht sehr überzeugend begründbar erwiesen hat, versucht AUSTIN zunächst in den folgenden Vorlesungen 6. und 7., ein Formkriterium für performative Äußerungen zu finden. Ich fasse diese Überlegungen auch deswegen hier kurz zusammen, weil dort einige grundsätzliche Gesichtspunkte zur Konzeption einer Sprechakttheorie zur Sprache kommen, die im weiteren Verlauf der theoretischen Entwicklung eine Rolle spielen. Bisher hatte AUSTIN, wie wir gesehen haben, hauptsächlich Äußerungen betrachtet, die eine ganz bestimmte Form haben: Sie enthalten ein Verb in der ersten Person Singular Präsens Aktiv Indikativ, z.B. (i) (ii) (iii)
ich taufe ... ich verspreche ... ich befehle ...
usw. Mit solchen Verben wird nichts beschrieben, sondern sie dienen dem Sprecher einer jeweiligen Äußerung dazu, eine Handlung auszuführen. Solche Formulierungen nennt AUSTIN explizit performativ. In unserer normalen Alltagsrede kommen sie allerdings selten vor - ihr Gebrauch ist im Wesentlichen an Institutionen wie Jurisdiktion, kirchliche und öffentliche Zere-
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monien gebunden. 7 Versprechen, Aufforderungen, Warnungen werden alltagssprachlich häufig in der folgenden Weise formuliert: (iv) (v) (vi)
Ich komme dich morgen bestimmt besuchen Geh (bitte) zur Post und gib das Päckchen auf (Vorsicht!) Der Hund da vorne ist bissig
Die Äußerungen (iv) bis (vi) können, je nach Situation, dazu verwendet werden zu versprechen, aufzufordern oder zu warnen. AUSTIN nennt sie implizit oder primärperformativ; man hat sie auch mit dem Ausdruck indirekte Sprechakte bezeichnet.8 Solche indirekten Sprechakte haben häufig die Form von Feststellungen oder Behauptungen: Z.B. kann man sagen (vi)
Der Hund da vorne ist bissig
und damit jemanden warnen. Um festzustellen, ob es sich bei der Formulierung um eine (implizit) performative Äußerung handelt oder nicht, muss - so AUSTIN - ein Test durchführbar sein, der darin besteht, die Äußerung in eine explizit performative zu transformieren, indem man ein Verb in der ersten Person Singular/Plural Präsens Aktiv Indikativ verwendet, und wenn möglich prüft, ob dieser Gebrauch noch durch den Zusatz „hiermit" ergänzt werden kann. Die Formel lautet verallgemeinert: „ich x-e hiermit". Die Äußerungen (iv) bis (vi) kann man nach dieser Formel transformieren in: (iv') (v') (vi')
Ich verspreche dir (hiermit), dich morgen zu besuchen Ich fordere dich (hiermit) auf, zur Post zu gehen und das Päckchen aufzugeben Ich warne dich (hiermit): Der Hund da vorne ist bissig
7 Nach AUSTIN (dt. 1972), 90 sind performative Ausdrücke „... im Laufe der Sprachentwicklung [...] später entstanden als gewisse ihnen gegenüber primäre Äußerungen." Mir scheint diese Vermutung plausibel: Je mehr Institutionen bzw. institutionelle Rituale oder Zeremonien eine Gesellschaft im Laufe ihrer Geschichte ausgebildet oder geprägt hat, desto mehr explizit performative Formeln werden geprägt und konventional festgelegt. 8 Vgl. bereits MAAS/WUNDERLICH (1972); WUNDERLICH (1976); auf die unterschiedlichen Formulierungsmöglichkeiten indirekter Sprechakte gehe ich später noch ausführlich ein, vgl. dazu weiter unten Kap. 5.
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Dieser Transformationstest als Kriterium für die Bestimmung performativer Äußerungen stößt auf zwei Hindernisse: (1) Auch für konstative Äußerungen kann er anwendbar sein, z.B.: (vii)
Zigarettenrauchen ist gesundheitsschädlich
kann nach der obigen Formel transformiert werden in: (vii')
Ich stelle (hiermit) fest, dass Zigarettenrauchen gesundheitsschädlich ist
oder, wenn man will: (vii") Ich behaupte (hiermit), dass Zigarettenrauchen gesundheitsschädlich ist Damit ist zugleich auch ein neues Argument gefunden, die alte Unterscheidung performativ-konstativ aufzugeben. (2) Andererseits gibt es viele Äußerungen, die in das explizitperformativ-Schema passen, deren performativer Charakter jedoch fragwürdig ist, z.B.: (viii) (ix) (x)
Ich bereue hiermit meine Tat Ich übersehe, dass du dein Zimmer immer noch nicht aufgeräumt hast Ich zitiere hiermit die wesentliche Stelle aus Hinterhubers Buch
Verben wie bereuen, übersehen oder zitieren unterscheiden sich von Verben wie versprechen, auffordern oder warnen dadurch, dass sie auch etwas beschreiben: bereuen eine emotionale Einstellung, übersehen eine moralische Haltung, zitieren eine Handlung; ich kann nicht sagen: (x)
Ich zitiere hiermit die wesentliche Stelle aus Hinterhubers Buch
und dann gar nichts mehr sagen. Mit dem Ausdruck zitieren kann ich mich in dieser Formulierung nur auf etwas beziehen, was ich später tun werde, d.h. zitieren beschreibt auch eine zukünftige Handlung des Sprechers. Dies widerspricht jedoch der Definition performativer Äußerungen, wonach diese sich auf
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keine spätere Handlung beschreibend beziehen, sondern den Vollzug einer bestimmten Handlung X in der Weise ausmachen, dass keine weiteren Handlungen danach vollzogen werden müssen, damit die Handlung X als solche zustande kommt. Alle Versuche AUSTINS, performative von konstativen Äußerungen exakt zu unterscheiden, sind mehr oder weniger gescheitert: „Es ist also an der Zeit, die Frage ganz neu anzugehen." (AUSTIN (dt. 1972), 108.) AUSTIN knüpft an seine These an, dass etwas sagen etwas tun bedeuten kann und wendet sich der Frage zu, was alles dazu gehört, dass jemand mit einer Äußerung etwas tut. Zunächst, sagt er, gehören drei verschiedene Akte dazu (vgl. AUSTIN (21978), 92f.; (dt. 1972), 108f.): (A. a) ein Akt, der darin besteht, bestimmte Laute zu äußern, der phonetische Akt; (A. b) ein Akt, der darin besteht, gewisse Vokabeln oder Wörter in einer bestimmten grammatischen Konstruktion mit einer bestimmten Intonation zu äußern: derphatische Akt; (A. c) ein Akt, der darin besteht, die Wörter so zu äußern, dass festliegt, wovon die Rede ist ^reference') und was darüber gesagt wird (,sense') - beides zusammen bestimmt die Bedeutung (,meaning'); der Akt heißt rhetischer Akt. Die drei genannten Akte fasst AUSTIN mit der Bezeichnung lokutionärer Akt zusammen: Es ist der Akt, etwas Bestimmtes (in der angegebenen Weise) zu sagen. Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich hier ausdrücklich betonen, dass die drei verschiedenen Akte immer als simultan ausgeführt zu verstehen sind, dass sie, um es anders zu formulieren, verschiedene Aspekte ein und derselben Handlung, oder in der Redeweise analytischer Handlungsphilosophen, verschiedene Beschreibungsaspekte ein und derselben Handlung darstellen. Einen lokutionären Akt ausführen heißt auch immer einen illokutionären Akt ausführen: Ein lokutionärer Akt hat in einer bestimmten Situation eine Rolle oder Funktion, eine Illokution wie z.B.:
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Fragen, Antworten Informieren, Warnen ein Urteil fällen Berufen, Appellieren Identifizieren oder beschreiben
An diesen Beispielen, die AUSTIN für illokutionäre Akte gibt, wird vollends deutlich, dass die alte Unterscheidung performativ-konstativ aufgegeben ist: ,Informieren', Jdentifizieren', ,Beschreiben' beziehen sich auf Äußerungen, die zutreffen oder nicht, die wahr oder falsch sein können. Drittens heißt etwas sagen (im Sinn von: eine Handlung ausführen) auch oft oder sogar normalerweise (,often, or even normally'), gewisse Wirkungen ^consequential effects') ausüben auf die Gefühle, Gedanken oder Handlungen der Zuhörerschaft oder auf den Sprecher selbst oder andere Personen. Das Vollziehen eines solchen Akts nennt AUSTIN das Vollziehen eines Perlokutionären Akts. Beispiele dafür sind: -
Beleidigen, Erschrecken Überzeugen, Überreden jmdn. von etwas Abbringen, jmdn. zu etwas Bringen jmdn. Stören, jmdn. Trösten
usw. Eine sprachliche Äußerung lässt sich unter dem Gesichtspunkt ihres lokutionären, ihres illokutionären und ihres perlokutionären Akts beschreiben (AUSTIN (21978), 101 f.; (dt. 1972), 117.): Akt A: Lokution (AI) Er hat zu mir gesagt: „schieß sie nieder" und meinte mit „schieß" wirklich schießen und mit „sie" wirklich sie oder einfacher (ohne explizite Beschreibung des rhetischen Akts): (A2) Er hat zu mir gesagt: „das kannst du nicht tun" Akt B: Illokution (Bl) Er hat mich gedrängt (hat mir geraten, hat mir befohlen) (B2) Er hat dagegen protestiert, dass ich das täte
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Akt C: Perlokution (Cl) Er hat mich überredet, sie zu erschießen oder: Er hat mich dazu gebracht, sie zu erschießen oder: Er hat mich sie erschießen lassen (C2) Er hat mich davon abgehalten, mich zur Besinnung gebracht, mich gestört Sprachliche Äußerungen lassen sich also in gleicher Weise beschreiben wie alle anderen Handlungen auch: Der ,Ziehharmonikaeffekt', wonach die Beschreibung einer Handlung nahezu beliebig kleine und große Ketten von Ereignissen umfassen kann, trifft auch auf sprachliche (Äußerungen in ihrer Eigenschaft als) Handlungen zu. (Vgl. AUSTIN (21978), 107; (dt. 1972), 121;vgl. auch Teil I, Kap. 2.) Wenn wir die Parallelisierung noch einen Moment lang weiter verfolgen, können wir analog zu unseren Überlegungen zu anderen Handlungsbeschreibungen wie folgt präzisieren: (1) Die Beschreibung der Handlung unter dem Gesichtspunkt der Lokution ist diejenige, die die kleinste Kette der Ereignisse beschreibt; die Beschreibung der Äußerung als phonetischer Akt könnte man also Basisbeschreibung verstehen.9 Hinsichtlich ihres Informationsgehalts ist die Beschreibung unbefriedigend: Durch sie wird die Intention des Handelnden oft nicht eindeutig;10 (2) die Beschreibung der Handlung unter dem Gesichtspunkt der Illokution fasst die Äußerung als größere Kette von Ereignissen zusammen: Aus der Beschreibung geht hervor, dass der Handelnde etwas Bestimmtes getan (gesagt) hat und dass er damit etwas Bestimmtes intendiert hat - inso-
9 Man müsste diese dann durch ein phonetisches Transkriptionsverfahren kennzeichnen. 10 Dass dies hier nicht so klar wird, liegt an der Formulierung der AUSTINschen Beispiele; wenn man einen indirekten Sprechakt wie z.B. (i) Der Hund ist bissig unter dem Aspekt des lokutionären Akts beschreibt, wird die Intention des Sprechers nicht deutlich: Es könnte eine Warnung oder eine Feststellung oder auch eine Empfehlung sein.
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fern ist sie informativer als die Beschreibung unter dem Gesichtspunkt des lokutionären Akts; (3) die Beschreibung unter dem Gesichtspunkt der Perlokution thematisiert eine Folge dessen, was der Handelnde getan hat; sie weist einen ähnlichen Informationsmangel auf wie die lokutionäre Beschreibung; es wird nicht klar, was der Handelnde getan (gesagt) hat und auch nicht seine Intention. Die Unterscheidung zwischen Illokution und Perlokution wird bei vielen Autoren an dem Kriterium der Sprecherintention festgemacht (vgl. DAVIS (1984); TU (1993); KURZAN (1998); HABERMAS (1999); MARCU (2000); DÖRGE (2001); CRODDY (2002); PETRUS (2002).): Der illokutionäre Akt ist der Gegenstand der Beschreibung der Sprecherintention, der perlokutionäre Akt ist der Gegenstand der Beschreibung kausaler Ereignisse. Wir können also mit Rückgriff auf unsere Unterscheidung zwischen epistemischen und kausalen Handlungsbeschreibungen sagen: Illokutionen werden auf der epistemischen Ebene, Perlokutionen auf der kausalen Ebene beschrieben. Die Parallelisierung von Äußerungsbeschreibungen mit Handlungsbeschreibungen allgemein lässt sich für - abgekürzt gesprochen - lokutionäre und perlokutionäre Beschreibungen relativ leicht durchführen; eine besondere Schwierigkeit gibt es allerdings bei den illokutionären Beschreibungen; sie betrifft das Ergebnis der Handlung. Vergleichen wir die beiden Handlungsbeschreibungen : (xi) (xii)
Anton hat die Tür geöffnet Anton hat ihm befohlen, sie zu erschießen
Aus der Beschreibung (xi) folgt: (xiii)
Die Tür ist auf
Damit ist das beabsichtigte Ergebnis benannt. Was aber folgt aus (xii)? Offensichtlich lässt sich hier kein Ereignis oder Zustand angeben, das/der mit (xiii) vergleichbar wäre. Das Einzige, was man über die Beschreibung (xii) aufgrund der Bedeutung des Ausdrucks befehlen sagen kann, ist, dass der Handelnde die Intention gehabt hat, jemanden dazu zu bringen, eine Frau zu erschießen, und dass er, um diese Intention zu realisieren,
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etwas Bestimmtes gesagt (getan) hat; ob dadurch ein Ergebnis erzielt wurde, folgt nicht aus (xii). Ein solches Ergebnis in Analogie zu (xi) könnte beispielsweise sein, bzw. ausgedrückt werden mit: „er hat ihm gehorcht", aber das geht aus (xii) eben nicht hervor. Verben, die sprachliche Handlungen als Illokutionen wie befehlen, fragen, warnen, behaupten usw. bezeichnen, lassen keinen Schluss auf das tatsächlich erreichte Ergebnis des Handelnden zu. Dies gilt übrigens auch für das Ankommen beim Hörer; ich kann z.B. sagen: (xiv)
Ich habe ihn gewarnt, aber er hat mich nicht gehört/verstanden
Ich kann aber nicht sagen: (xv)
Ich habe die Tür geöffnet, aber sie ist nicht aufgegangen
Sprachliche Äußerungen sollen nun aber nach AUSTIN Handlungen sein und wie diese beurteilt werden können. Handlungen haben ein Ergebnis und eine oder mehrere Folgen. Dies muss - soll die Gleichsetzung gelten - auch für sprachliche Äußerungen zutreffen. Perlokutionäre Akte beziehen sich nach AUSTIN auf die Folgen einer Handlung, lokutionäre auf das Tun, bleiben also noch die illokutionären Akte. In welcher Weise sind sie am Zustandekommen von Handlungsergebnissen beteiligt? AUSTIN sagt, in dreierlei Weisen: (1) Illokutionäre Akte haben - als zustande gekommene performative Äußerungen - immer das Ergebnis (,effect',,consequence' - AUSTIN unterscheidet in seiner Redeweise nicht zwischen Ergebnis und Folge einer Handlung), dass die Illokution der Äußerung vom Hörer so verstanden wird, wie sie der Sprecher gemeint hat; (vgl. AUSTIN (21978), 117: „So the performance of an illocutionary act involves the securing of uptake." (dt. 1972), 130.) (2) Illokutionäre Akte haben Ergebnisse oder Wirkungen (,take effects'), indem sie qua Konvention institutionelle Tatsachen schaffen, z.B. hat die Äußerung „ich taufe dieses Schiff auf den Namen Queen Elizabeth" das Ergebnis der Taufe und die Wirkung, dass vom Zeitpunkt der Taufe an das Schiff „Queen Elizabeth" heißt und nicht etwa „Generalissimus Stalin"; (vgl. AUSTIN (21978), 117; (dt. 1972), 130.).
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
(3) Viele illokutionäre Akte fordern kraft Konvention zu einer Antwort oder Reaktion auf (,invite by convention a response or sequel' - (AUSTIN (21978), 117; (dt. 1972), 130.); solche illokutionären Akte sind .Versprechen', .Vorschlagen', .Bitten', ,Befehlen', ,Anbieten' oder .Fragen'. Die drei Wirkungen, die laut AUSTIN an illokutionäre Akte geknüpft sind, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: (1) das Verstehen des Hörers als konstitutives Merkmal jeder sprachlichen Verständigung, unabhängig davon, welcher spezielle illokutionäre Akt geäußert wird. Ich möchte dies als das Ergebnis einer sprachlichen Äußerung als Handlung verstehen. (Vgl. WUNDERLICH (1976); KELLER (1977); DAVIS (1984); HABERMAS (1999); MARCU (2000); CRODDY (2002).) (2) die Folgen, die eine sprachliche Äußerung qua Konvention hat: Die Konvention kann einmal in eine besondere gesellschaftliche Institution eingebettet sein, wie z.B. bei .Taufen' und .Heiraten', zum ändern kann sie Teil allgemeiner Sprachkonventionen sein, wie z.B. bei .Befehlen' und ,Fragen'. Dem Ergebnis und den konventionalen Folgen stehen perlokutionäre Akte gegenüber, die AUSTIN so definiert, dass sie nicht durch Konventionen abgesichert sind. Sein Kriterium für die Konventionalität sprachlicher Äußerungen ist allerdings etwas merkwürdig: Eine Äußerung ist dann konventionell, wenn sie in einer explizit performativen Formulierung vorgebracht werden kann. Wenn nicht, handelt es sich um einen perlokutionären Akt: Zum Beispiel können wir sagen: „ich begründe das damit, daß ..." oder: „ich warne Sie"; wir können aber nicht sagen: „ich überrede Sie dazu, daß ...", „ich erschrecke Sie damit, daß ...", „ich beunruhige Sie damit, daß ...". (AUSTIN (dt. 1972), 118.)
Der Test, ob die explizit performative Formel „ich x-e (hiermit)" angewendet werden kann oder nicht, bezieht sich auf zwei Fälle: - einmal auf die Fälle, wo die Äußerung indirekt formuliert ist, wie z.B. „ich komme morgen", was durch „ich verspreche, dass ich morgen komme" explizit gemacht werden kann;
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
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- zweitens auf Fälle, wo die Handlung durch andere als sprachliche Mittel ausgeführt wird, wo also gar kein ,Sprech'akt im eigentlichen Sinn vorliegt. Z.B. kann man jemanden durch eine Handbewegung dazu auffordern, den Raum zu verlassen, oder jemanden warnen, indem man einen Stock schwingt. Solche Handlungen sind dann als Sprechakte zu betrachten, wenn ihre Illokutionen durch eine explizit performative Formel sprachlich ausgedrückt werden können. (Vgl. AUSTIN (21978), 119f.; (dt. 1972), 132f.; vgl. auch WÖRNER (1978), 212 ff.) Perlokutionäre Akte beziehen sich also auf nicht-konventionale Wirkungen, die sprachliche Handlungen haben (können). Diese sind nach AUSTIN dreifach zu unterscheiden (vgl. AUSTIN (21978), 107f.; (dt. 1972), 120 und 131 f.; vgl. auch SAVIGNY (1993), 130ff; STEGMÜLLER (1975), 70; WÖRNER (1978), 203ff.; DAVIS (1980), 41 ff): (1) Mit einigen sprachlichen Äußerungen sind perlokutionäre Ziele verbunden; z.B. dadurch, dass der Handelnde einen bestimmten illokutionären Akt äußert, versucht er bei seinem Adressaten eine ganz bestimmte Wirkung (ein Glauben, ein Gefühl, eine Handlung) herbeizuführen. Z.B. dadurch, dass er argumentiert, überzeugt er; dadurch, dass er jemanden tröstet, verschafft er ihm ein Gefühl der Erleichterung; dadurch, dass er befiehlt, bringt er seinen Adressaten dazu, eine bestimmte Handlung auszuführen. Die Äußerung kann unter dem Gesichtspunkt der vom Sprecher beabsichtigten Folge als perlokutionärer Akt beschrieben werden, sowohl für den Fall, dass der Handelnde tatsächlich die beabsichtigte Folge herbeigeführt hat, als auch für den Fall, wo dies offen bleibt. Ein Beispiel für den ersten Fall wäre: (xvi)
Anton hat ihn überzeugt Ein Beispiel für den zweiten Fall:
(xvii) Anton hat versucht, ihn zu überzeugen (vgl. dazu auch KURZON (1998). Bei dieser Formulierung bleibt der Handlungserfolg offen; man kann Beschreibung (xvii) so fortsetzen:
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
(xviii) (Anton hat versucht, ihn zu überzeugen), was ihm voll gelungen ist Man kann sie aber auch so fortsetzen: (xix)
(Anton hat versucht, ihn zu überzeugen) - leider ohne Erfolg
(2) Sprachliche Äußerungen können Folgen haben, die der Handelnde nicht beabsichtigt hat, z.B. kann ich jemanden durch eine Warnung erschreckt, durch eine Feststellung verunsichert oder durch eine Ankündigung in Panik versetzt haben. (3) Sprachliche Äußerungen können weitere Folgen haben, die AUSTIN perlokutionäres Nachspiel (,perlocutionary sequel') nennt; z.B. kann ich dadurch, dass ich jemanden warne, diesen erschrecken und damit bewirken, dass der so Erschreckte blindlings in sein Unglück rennt. Die Möglichkeit einer Kausalkette von Ursachen und (unbeabsichtigten) Wirkungen ist also bei sprachlichen Äußerungen genauso gegeben wie bei allen anderen Handlungen auch. Abschließend zu AUSTINS Teilakt-Klassifizierung noch zwei Bemerkungen: - Das Verhältnis lokutionärer-illokutionärer Akt ist nicht durch eine kausale Wirkung bestimmt, sondern durch eine konventionale Verknüpfung: Der illokutionäre Akt ist keine Folge oder Wirkung des lokutionären Akts, sondern kommt dadurch zustande, dass „die Konventionen für die illokutionäre Rolle (jillocutionar force') auf die Äußerung in ihren speziellen Umständen zutreffen." (AUSTIN (dt. 1972), 129.) - Die zweite Bemerkung betrifft die Gewichtung, die AUSTIN vornimmt: Sein Interesse gilt vor allem den illokutionären Akten. Dies allein als bloße Autoren-Vorliebe wäre kaum der Rede wert, wenn sich hinter diesem Interesse nicht auch eine bestimmte Auffassung verbergen würde: Dem illokutionären Akt wird - in den letzten Vorlesungen - eine so zentrale Stellung eingeräumt, dass er schließlich mit dem Sprechakt als solchem gleichgesetzt wird. Dies wiederum hat, wie wir sehen werden, theoretische Konsequenzen für das Verständnis von Sprechakten als (sprachliche) Handlungen.
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
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Versuchen wir jetzt, die Vielfalt der AusTiNschen Überlegungen etwas zu ordnen: Zunächst mag an der AusTiNschen Redeweise verwirrend sein, dass auch die Folgen, die der Handelnde selbst nicht beabsichtigt hat, ,Akte' genannt werden, denn diese sind ja sicher nichts, was im Handlungsspielraum des Sprechers liegt, sondern Ereignisse oder Zustände, die sich auf seine Äußerung hin eingestellt haben. AUSTIN verweist in diesem Zusammenhang zwar auf die allgemeine Theorie unserer Sprache über Handlungen (AUSTIN (21978), 107; (dt. 1972), 121.), es wird bei ihm aber nicht klar, ob er den Ausdruck ,Akt' als eine Vokabel der Beschreibungssprache von Handlungen ansieht, oder aber als einen Terminus, mit dem auf eine/n bestimmte/n Akt (Tätigkeit) eines Sprechers Bezug genommen werden soll. Trifft letzteres zu, ist der Ausdruck ,Akt' im Sinn von ,etwas, was der Handelnde tut' fehl am Platz; trifft ersteres zu, ist der Ausdruck im Sinn von ,etwas, was man dem Handelnden in einer Beschreibung zuschreiben kann' als ein Ausdruck der Handlungssprache durchaus gerechtfertigt. Ein kritischer Punkt der AusTiNschen Einteilung ist seine Bestimmung illokutionärer im Unterschied zu perlokutionären Akten. (Vgl. WÖRNER (1978), 189ff; DAVIS (1980) 46ff; SAVIGNY (1993), 133 f.; CRODDY (2002), 46; PETRUS (2002), 141.) AUSTIN unterscheidet zunächst zwischen illokutionären Akten wie Jaufen' und ,Heiraten', durch die institutionelle Tatsachen kraft einer (institutionellen) Konvention geschaffen werden, und illokutionären Akten, durch die bestimmte Verpflichtungen für die beteiligten Gesprächspartner kraft nicht-institutioneller, sprachlicher Konventionen entstehen, z.B. beim Versprechen die sprecherseitige Verpflichtung, etwas zu tun oder beim Auffordern die hörerseitige Verpflichtung, etwas zu tun. Darüber hinaus gibt es sprachliche Äußerungen, aus deren Formulierungen allein nicht hervorgeht, welche Wirkung der Sprecher mit ihnen erzielen will. Dies gilt vor allem für thematisch nicht-handlungsbezogenen Äußerungen wie Behauptungen', Feststellungen', ,Mitteilungen' und andere konstative Äußerungen. Mit ihnen kann man jemanden überzeugen, trösten, hinhalten oder zu etwas anspornen wollen. Welche Intention ein Sprecher mit solchen Äußerungen jeweils verbindet, ist außer von den Sprachkonventionen für die Lokution - weitge-
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
hend von der konkreten Situation abhängig, in der sie vorgebracht werden. AUSTIN sagt selbst, dass der,Gebrauch der Sprache' unendlich vielfältig sei. Die Einschränkungen, die er in diesem Zusammenhang macht, geben Anlass zur Kritik. AUSTIN sortiert sprachliche Äußerungen nach dem Kriterium ihrer Konventionalität. Das Ergebnis dieser Sortierung lässt den Eindruck entstehen, als gebe es sprachliche Äußerungen, mit denen (perlokutionäre) Ziele verfolgt werden, und andere, mit denen nur das illokutionäre Ergebnis des Verstandenwerdens durch den Angesprochenen erreicht werden soll. Wenn aber die Gleichsetzung sprachliche Äußerung = Handlung sinnvoll sein soll, dann kann man sie nicht für einige Exemplare sprachlicher Äußerungen wieder rückgängig machen, indem man auf sie nur einige der Kriterien für Handlungen anwendet. Das heißt: wenn sprachliche Äußerungen Handlungen sind, dann haben sie ein beabsichtigtes Ergebnis und eine oder mehrere beabsichtigte Folge/n, und sie können auch noch Folgen haben, die der Sprecher nicht beabsichtigt hat. Ich habe bereits gesagt, dass ich das Verstandenwerden durch den Adressaten als das Ergebnis einer sprachlichen Äußerung verstehen will; die beabsichtigte Folge ist eine Wirkung auf den Adressaten, im AUSTIN sehen Sinn ein Glaube, ein Gefühl oder auch eine Handlung. Man kann, wenn man will, unterscheiden zwischen dem Sprechakt, mit dem das Ergebnis des Verstandenwerdens intendiert wird, und der gesamten Sprechhandlung, mit der eine Wirkung beim Adressaten intendiert ist (vgl. Gu (1993); DÖRGE (2001); CRODDY (2002); PETRUS (2002).). Mit dieser Unterscheidung würde man die AusTiNsche Einschränkung berücksichtigen, dass das Äußern von Sätzen (nur) teilweise das Vollziehen einer Handlung darstellt (,is a part of the doing of an action'). Gleichgültig, ob man diese Unterscheidung so treffen will oder nicht, muss man - wenn die Gleichsetzung Sprechen = Handeln ihre volle Gültigkeit haben soll immer zwei Sprecherintentionen zur Charakterisierung einer sprachlichen Äußerung als intentional annehmen: - der Sprecher will, dass der Adressat die Äußerung versteht; - der Sprecher will, dass der Adressat etwas Bestimmtes glaubt, fühlt oder tut.
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
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Wie wir gesehen haben, geht AUSTIN nicht davon aus, dass beide Intentionen immer zum Vollzug einer sprachlichen Äußerung gehören müssen; seine Betonung des illokutionären Akts als dem Kernstück sprachlicher Äußerungen legt die Vermutung nahe, dass er die sprecherseitige Intention auf das hörerseitige Verstehen einer Äußerung als eine ganz bestimmte IIlokution beschränkt. Sprachliches Handeln, das im Äußern illokutionärer Akte besteht, ist dieser Auffassung gemäß im Gegensatz zu anderen physischen Handlungen - auf das Erreichen eines Ergebnisses, des Verstandenwerdens, reduziert. Wenn man beide Intentionen als notwendig für den Vollzug sprachlicher Äußerungen ansieht, werden, dieser Auffassung gemäß, sprachliche Handlungen unter den allgemeinen Begriff des Handelns subsumiert Beide Auffassungen sind vertreten worden. Mit ihnen werden wir uns in Kapitel 3 ausführlich beschäftigen, doch zunächst noch einmal zurück zu AUSTIN. Eine Einteilung von sprachlichen Äußerungen nach dem Kriterium wahr/falsch einerseits und glücken/missglücken andererseits ist nicht durchführbar: Alle Äußerungen haben eine illokutionäre Rolle, alle können auf ihre Weise verunglücken. Es ist deshalb - so AUSTIN - sinnvoller, Äußerungen als Illokutionen näher zu bestimmen und zu versuchen, sie in Gruppen einzuteilen. In der letzten Vorlesung von „How to do Things with Words" gibt er eine Klassifikation, deren Wert er selbst als vorläufig einschätzt. Seinen Vorschlag möchte ich dennoch aus zwei Gründen kurz skizzieren: - einmal weil die Klassifizierung von Sprechakten und ihre Kriterien in der weiteren Theoriediskussion eine Rolle gespielt haben; - und zweitens, weil speziell in diesem Zusammenhang die konstativen Äußerungen wieder ins engere Blickfeld gerückt sind, obwohl sie, wie wir gleich sehen werden, in der AUSTINschen Klassifikation keinen eigenen Platz gefunden haben, was umso verwunderlicher ist, als er sich ja zu zwei Drittel seiner Vorlesungen kritisch mit ihnen und ihrer Beurteilung auseinandergesetzt hat. AUSTIN teilt Äußerungen in Bezug auf ihre illokutionäre Rollen in die folgenden fünf Gruppen ein (vgl. AUSTIN (21978), 151 ff.; (dt. 1972), 166ff.):
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
(1) VERDIKTIVE ÄUSSERUNGEN Hierzu gehören alle Äußerungen, mit denen ein Sprecher ein Urteil fällt; die Urteile können sich auf Tatsachen und auf Wertungen beziehen, z.B. Urteile einer Jury oder eines Schiedsrichters, aber auch nicht-institutionelle Akte wie Schätzungen, Bewertungen, Taxierungen oder Veranschlagungen. (2) EXERZITIVE ÄUSSERUNGEN Mit ihnen übt ein Sprecher Macht, Rechte oder Einfluss aus; z.B. durch Ernennungen, Stimmabgabe, Anweisungen, Ratschlägen oder Warnungen. (3) KOMMISSIVE ÄUSSERUNGEN Mit ihnen geht ein Sprecher Verpflichtungen ein; er legt sich auf bestimmte zukünftige Handlungen fest, z.B. durch Versprechen, Willens- oder Absichtserklärungen, Erwägungen oder Einwilligungen. (4) KONDUKTIVE ÄUSSERUNGEN (engl.: ,behabitives') Mit ihnen drückt ein Sprecher eine Einstellung aus oder folgt einem sozialen Verhaltensmuster, z.B. durch Entschuldigungen, Beileidbekundungen, Glückwünschen, Grüßen oder Belobigungen. (5) EXPOSITIVE ÄUSSERUNGEN Mit ihnen macht ein Sprecher klar, wie er eine Äußerung in einem Gespräch oder einer Diskussion aufgefasst haben will, welche Rolle eine Äußerung im Gesprächszusammenhang jeweils spielen soll, z.B. „ich antworte", „ich behaupte", „ich räume ein", „ich gebe ein Beispiel" oder „ich pflichte ihm bei". Fassen wir abschließend die wichtigsten Punkte der AusTiNschen Überlegungen zur Frage, was wir mit Wörtern tun, zusammen: (1) Alle sprachlichen Äußerungen sind als Handlungen und damit nach dem Kriterium glücken/missglücken zu beurteilen; (2) dafür, dass eine Äußerung glückt, können Bedingungen angegeben werden; diese beziehen sich auf Konventionen oder Regeln (,übliches, konventionales Verfahren') für soziale Handlungen; (3) Äußerungen können explizit performativ oder indirekt (,implizit performativ') formuliert werden;
AUSTINS Entwurf einer Theorie der Sprechakte
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(4) jede Äußerung besteht aus einem lokutionären und einem illokutionären Akt; mit einigen Äußerungen werden perlokutionäre Ziele verfolgt; Äußerungen können - wie andere Handlungen auch - (perlokutionäre) Wirkungen haben, die der Sprecher nicht beabsichtigt hat; (5) Die ,neue Theorie' der Sprechakte, die AUSTIN aufstellt, hat nicht zur Folge, dass das Kriterium der Performativität, d.h. des Handlungscharakters von sprachlichen Äußerungen in performativer Formulierung in Frage gestellt wird; (6) Äußerungen lassen sich hinsichtlich ihrer illokutionären Rollen klassifizieren. Die genannten Punkte des AusiiNschen Theorieentwurfs sind in hohem Maß präzisionsbedürftig. Zunächst ist die Charakterisierung des Performativen als ganz spezielle Eigenschaft von Äußerungen in der ersten Person daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich eine eigene kommunikative C^ialität darstellt, die nicht aus etwas anderem ableitbar ist. Einen besonders breiten Raum nimmt das Problem der allgemeinen Charakterisierung sprachlicher (Äußerungen als) Handlungen und damit die Frage nach ihrer Beschreibung als intentional ein. Die Kernfrage lautet: Ist die Intentionalität eines Sprechers (nur) aufs Verstehen durch den Adressaten gerichtet oder geht sie darüber hinaus, zielt sie auf eine Wirkung beim Adressaten und wenn ja, wie sind dann die Verstehens- und die Wirkungsintention aufeinander zu beziehen? Mit der Beantwortung solcher Fragen ist aber nur der allgemeine handlungstheoretische Status sprachlicher Äußerungen geklärt. Es bleibt die Frage, wie die Intentionen jeweils durch sprachliche Äußerungen realisiert werden können. Nach AUSTIN müssen sie bestimmten Konventionen gehorchen. Wie die Konventionalität oder Regelhaftigkeit sprachlicher Äußerung näher bestimmt werden kann, bleibt bei ihm offen. Ein zweiter Schwerpunkt der Weiterentwicklung des AusTiNschen Theorieansatzes besteht deshalb darin zu präzisieren, wie sprachliche Äußerungen durch Regeln geleitet sind und wie diese im Einzelfall formuliert werden können. Dies gilt sowohl für Äußerungen, die - wie die Mehrzahl der AusTiNschen Beispiele - explizit performativ formuliert sind als auch für die alltagssprachlich überwiegenden Fälle indirekter Formulierung. Es wird also - dies der dritte Schwer-
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WITTGENSTEIN und AUSTIN
punkt - die Frage gestellt und beantwortet werden müssen, wie indirekte Sprechakte zu illokutionären Rollen in Bezug gesetzt werden können; ist diese Zuordnung im Wesentlichen situationsabhängig und damit theoretisch uninteressant (da unsystematisierbar) oder gibt es Zuordnungsregeln? Der vierte und letzte Schwerpunkt bezieht sich auf die mögliche Klassifikation von Sprechakten als illokutionäre Äußerungen. Ist eine eindeutige Funktionsbestimmung überhaupt möglich? Wird nicht mit jeder - wie auch immer illokutionären - Äußerungen z.B. eine Sprechereinstellung ausgedrückt? Wir haben so aus der Darstellung und Erörterung der AusNschen Grundlegungen zu einer Theorie des sprachlichen Handelns auch unser weiteres Programm herausdestilliert, das in den folgenden fünf Kapiteln behandelt werden soll: - Performativität als fundamentale Eigenschaft von Äußerungen in der ersten Person - Intentionalität sprachlichen Handelns - Regeln und Regelformulierungen - indirekte Sprechakte - Probleme der Klassifikation von Sprechakten
2
Performativität als fundamentale Eigenschaft von Äußerungen in der ersten Person
2.1
Ursprüngliche Performativa und Illokutionen
Wie wir gesehen haben, gibt AUSTIN seinen ursprünglichen Begriff des Performativen zu Gunsten des umfassenderen Begriffs der Illokution auf. Ursprüngliche Performativa sind bei AUSTIN Akte, die einen institutionellen oder zeremoniellen Rahmen verlangen wie z.B. Schiffstaufen, Verheiratungen, schiedsrichterliche Sprüche oder richterliche Urteile. AUSTIN sagt über die relationalen Eigenschaften von Illokutionen, ihrem Verhältnis zu Lokution und vor allem zu Perlokution, viel, zu ihren nichtrelationalen Eigenschaften sagt er kaum etwas. Wir können also nur aus seinen Beispielen unsere Rückschlüsse ziehen: Zu den Illokutionen zählen neben den ursprünglichen Performativa Akte wie Versprechen, Auffordern, Warnen oder Behaupten. Ihnen ist gemeinsam, dass man sie durch Äußerungen in der ersten Person vollziehen kann wie z.B.: (i) (ii) (iii) (iv) usw.
Ich verspreche (hiermit), dass p Ich fordere Sie (hiermit) auf, p zu tun Ich warne Sie (hiermit), p zu tun Ich behaupte hiermit, dass p
Solche Äußerungen sind - und daran hält AUSTIN auch in der ,neuen Theorie' der Sprechakte fest - nach der Dimension des Glückens oder Missglückens zu beurteilen. Wenn wir jetzt (i) betrachten, können wir die folgenden notwendigen Glückensbedingungen aufstellen: (1) Der Sprecher S will p tun (2) S geht davon aus, dass p im Interesse des Hörers H ist (3) S geht davon aus, dass p nicht von selbst passiert Dass (1) bis (3) notwendige Glückensbedingungen darstellen, können wir - in gut AusTiNscher Manier - durch Fälle des Scheiterns, d. h. durch mögliche Äußerungen des Angesprochenen als Reaktionen auf die Äußerung von (i) nachweisen, vgl.:
144
Performativität als fundamentale Eigenschaft
(4) Du willst doch gar nicht p tun (5) Ich will aber p gar nicht (6) Aber Anton hat doch schon p getan Die Bedingungen, die wir zu Recht für das Versprechen formuliert haben, rekurrieren auf Absichten und Überzeugungen von S, letztere sind auf Einstellungen von H (p ist im Interesse von H) und bestimmte Sachlagen in der Welt (p passiert nicht von selbst) gerichtet. Wir können also sagen, dass Glückensbedingungen für illokutionäre Akte das Bestehen intersubjektiver Überzeugungen von Sprechern voraussetzen. Wenn wir jetzt die ursprünglichen Performativa AUSTINS betrachten, können wir uns fragen, ob diese Voraussetzung auch für sie gilt. Unsere Antwort wird eher negativ ausfallen: Die Glückensbedingungen für Akte wie Schiffstaufen, Verurteilungen oder Schiedsrichtersprüche bestehen wesentlich aus: - Bedingungen des institutionellen/zeremoniellen Rahmens - Bedingungen für das Äußern ganz bestimmter Formeln Wie KRÄMER (2001, 143) betont, sind „... die ursprünglichen Performativa weniger an der Urszene dialogischer Wechselrede orientiert als an einer Aufführung mit Aktanden und Zuschauern. In ursprünglichen Performativa wird nicht einfach gesprochen, sondern wird im Sprechen etwas inszeniert." (Vgl. dazu auch CAVELL (2002).) Man könnte zugespitzt sagen: Der Vollzug solcher Performativa ist ein monologischer Akt, dessen Wirkung in der Welt auf einer „quasi-magischen" Kraft (vgl. SEARLE (1989); 149.) der performativen Formel beruht. Diese Formel ist strikt festgelegt; sie darf nicht durch einen gleichbedeutenden, aber formal verschiedenen Ausdruck ersetzt werden: „Was eine solche Rede besagt und stiftet, gründet nicht mehr in ihrer Bedeutung, hängt nicht mehr ab vom wechselseitigen Verstehen, es kommt dann auch nicht mehr an aufgeteilte Vorstellungen, auf übereinstimmende Wünsche und Überzeugungen der Beteiligten. Die Kraft des Performativ steht im Zusammenhang mit der Repetition eines Sprechstereotyps - im Grunde unabhängig davon, was jeder bei sich denkt." (KRÄMER (2001), 144.) Es kommt also auch nicht auf Absichten und Überzeugungen eines Sprechers selbst an, es reicht, dass er im Rahmen der Institution oder des Zeremoniells eine autorisierte Person ist, die richtig zitiert.
Die Unmöglichkeit der Ableitung
145
Wir können also mit Fug und Recht behaupten, dass solche performativen Akte keine intersubjektiven, d.h. am Adressaten orientierten, Sprechhandlungen darstellen (vgl. KEMMERLING (1997).). Wir werden uns im Folgenden nur noch am Rande mit ihnen beschäftigen. Die Sichtweise, dass sprachliche Akte eine Art von Ritual mit Wiederholungscharakter sind (bzw. sein können), hat im Anschluss an DERRIDAS Auseinandersetzung mit SEARLE (die wir hier nicht nachvollziehen können) eine große Faszination auf einige Philosophen und Literaturwissenschaftler/innen ausgeübt (vgl. stellvertretend CAVELL (2002); WIRTH (2002).). 2.2
Die Unmöglichkeit der Ableitung des Performativen aus dem Assertiven
AUSTIN charakterisiert den explizit performativen Gebrauch von Sprache als das Ausführen eines Aktes, mit dem gleichzeitig gezeigt oder deutlich gemacht wird, welcher Akt ausgeführt wird: By means of these explicit performative verbs and some other devices (z.B. hereby, G. H.) then, we make explicit what precise act it is that we are performing when we issue our utterance. But there I would like to put in a word of warning. We must distinguish between the function of making explicit what act it is we are performing. In issuing an explicit performative utterance we are not stating what act it is, we are showing or making explicit what act it is. To say ,1 warn you that' is not to state you are doing something, but makes it plain that you are - it does constitute your verbal performance, a performance of a particular kind. (AUSTIN (1979), 245.)
Die AusTiNsche Auffassung, dass performative Äußerungen nicht aus Behauptungen abgeleitet werden können, ist von vielen Sprachphilosophen und Linguisten kritisiert und zurückgewiesen worden (vgl. CRESSWELL (1972); LEWIS (1972); WARNOCK (1973); BACH (1975); GINET (1979); HARNISH (1997).). Das entscheidende Merkmal performativer Äußerungen - so wird gesagt - ist nicht die performative Verwendungsart des Verbs, sondern dessen indikativischer Modus, mit dem qua Konvention die Illokution der Behauptung ausgedrückt wird. Eine erfolgreiche Äußerung eines performativen Satzes (performative sentence) stellt eine wörtliche (literal) Behauptung eines Spre-
146
Performativität als fundamentale Eigenschaft
chers dar, dass er denjenigen Akt ausführt, dessen Illokution durch das verwendete Verb bezeichnet ist. Wenn die Behauptung wahr ist, dann ist die Äußerung performativ. Das heißt, eine Äußerung wie: (v)
ich frage dich, ob es regnet
wird analysiert als: (v')
ich behaupte/stelle fest, dass (i)
mit (i) als dem Gehalt der Äußerung, ihrem propositionalen Gehalt. Selbst SEARLE, einer der führenden Sprechakttheoretiker in der Nachfolge AUSTINS (vgl. Kap. 4.) war lange der Versuchung unterlegen, performative Äußerungen als Behauptungen aufzufassen. In seinem Aufsatz „How Performatives Work" (1989) unterzieht er die These von dem behaupteten Charakter von Performativen einer Revision, wobei er zunächst davon ausgeht, dass performative Äußerungen selbstreferenziell sind. Mit einer Äußerung wie: (vi)
Ich fordere Sie (hiermit) auf, mein Büro zu verlassen
sagt der Sprecher in gewisser Weise („in some sense"), dass die Äußerung eine Aufforderung ist. Wenn jetzt solche selbstreferenziellen Äußerungen wie (vi) Behauptungen sind, dann müssen auf sie die folgenden charakteristischen Merkmale zutreffen (vgl. SEARLE (1989), 433.): (1) Eine Behauptung ist eine absichtliche Kundgabe des Anspruchs auf die Wahrheit des ausgedrückten propositionalen Gehalts. (2) Performative Behauptungen sind selbstreferenziell. (3) Ein wesentliches Merkmal von Illokutionen bzw. illokutionären Akten ist die Intention, diesen Akt zu vollziehen, z.B. ist es ein konstitutives Merkmal einer Aufforderung, dass die Äußerung als Aufforderung intendiert ist. Die Frage ist nun, ob man, wenn Bedingungen (1) und (2) erfüllt sind, auch (3) als gegeben ansehen kann. SEARLE gibt die Antwort in fünf Schritten und rekonstruiert damit die ProArgumente für den assertiven Charakter von Performativen:
Die Unmöglichkeit der Ableitung
147
- Der erste Schritt: Das Aufstellen einer Behauptung garantiert nicht, dass sie auch wahr ist; der Sprecher kann sich irren oder auch lügen. Man kann also aus einer Behauptung, dass aufgefordert wird, nicht ableiten, dass sie eine Aufforderung ist. - Der zweite Schritt: Die Äußerung ist selbstreferenziell, aber das Vorliegen von Selbstreferenzialität allein garantiert weder, dass die Äußerung eine Aufforderung ist noch dass sie als solche intendiert ist. - Der dritte Schritt: Mit der Äußerung eines Satzes wie (vi) erhebt der Sprecher einen Wahrheitsanspruch darauf, dass die Äußerung eine Aufforderung ist. „But in what does its being a request (im Original a promise, G. H.) consist?" fragt SEARLE weiter und antwortet: darin, dass die Aufforderung als Aufforderung intendiert ist. Wie aber kann das Zutreffen der angegebenen Merkmale das Vorhandensein der Intention, eine Aufforderung zu machen, garantieren? - Der vierte Schritt: Das wesentliche Merkmal einer Aufforderung besteht darin, dass sie als Aufforderung intendiert ist. Wenn die Äußerung nun selbstreferenziell ist und wenn die Wahrheitsbedingungen die sind, dass sie eine Aufforderung ist und wenn die wesentliche Komponente der erfüllten Wahrheitsbedingungen die Intention ist, dass die Äußerung eine Aufforderung ist, dann ist die Intention, eine selbstreferenzielle Behauptung zu machen des Inhalts, dass die Äußerung eine Aufforderung ist, hinreichend, um zu garantieren, dass die Intention, eine Aufforderung zu machen vorliegt und auch hinreichend zu garantieren, dass die Äußerung eine Aufforderung ist. - Der fünfte Schritt ist die Begründung für die obige Schlussfolgerung: Mit Behauptungen wird der Anspruch erhoben, dass das, was behauptet wird, die Proposition, wahr ist. Nun enthält der Wahrheitsanspruch einer Behauptung wie (vi) bereits den Wahrheitsanspruch auf das Vorliegen der Intention, dass die Äußerung eine Aufforderung ist, und diese Intention ist hinreichend dafür, dass die Äußerung eine Aufforderung ist. Soweit zur SfiARLEschen Rekonstruktion des assertiven Charakters von Performativen. Auffällig und zugleich kritikanfällig ist
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Performativität als fundamentale Eigenschaft
der Übergang von der Intention, eine selbstreferenzielle Behauptung aufzustellen, zur Intention, das Behauptete, nämlich einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen. Anders formuliert: Wieso kann das Vorliegen der Intention, einen illokutionären Akt A (Behaupten) zu vollziehen, das Vorliegen der Intention, einen anderen illokutionären Akt B (Auffordern) zu vollziehen, garantieren? Ist die Selbstreferenzialität allein dafür tatsächlich ausreichend? SEARLE verneint diese Frage: „Just self-referentially describing one of my own utterances as a promise is not enough to guarantee that it is made with the intention that it be a promise, even though it is enough to commit me to having made it with that intention." (SEARLE (1989), 546.) Wenn man performative Äußerungen als intentional vollzogene selbstreferenzielle Behauptungen eines illokutionären Aktes auffasst, kommt man zu keinem Schluss auf eine tatsächlich vorliegende Intention des Sprechers, diesen Akt zu vollziehen; dies war aber eine wesentliche Voraussetzung. Wenn nun performative Äußerungen nicht aus Behauptungen ableitbar sind, erhebt sich die Frage, ob sie aus etwas anderem abgeleitet werden können oder ob die Performativität sprachlicher Äußerungen eine Qualität eigener Art ist, wozu wie wir gesehen haben - AUSTIN neigt. Um diese Frage zu beantworten, bestimmt SEARLE zunächst das Performative von Äußerungen so: Mit performativen Äußerungen werden Tatsachen (facts) geschaffen, und zwar einmal außersprachliche institutionelle Tatsachen wie Krieg, Ehen oder Verhandlungstermine und zum ändern sprachliche institutionelle Tatsachen wie Aufforderungen, Warnungen oder Versprechen. Die erste Gruppe, die den ursprünglichen Performativen Austins entspricht, gründet in den Konventionen sozialer Institutionen, die zweite Gruppe in den Konventionen der Institution Sprache. Beiden ist gemeinsam, dass mit ihnen neue Tatsachen geschaffen werden, und insofern sind sie Deklarative: A declaration is a speech act whose point is to create a new fact corresponding to the propositional content. (SEARLE (1989); 549.)
Von Deklarationen können wahre Behauptungen abgeleitet werden, wie Searle aus der Perspektive eines Hörers zeigt (vgl. SEARLE (1989); 553.):
Die Unmöglichkeit der Ableitung
149
- S äußerte den Satz: „Ich fordere dich auf, den Raum zu verlassen". - Die wörtliche Bedeutung der Äußerung besteht darin, das S mit seiner Äußerung intendiert, dass es der Fall ist, dass er mich auffordert. - Infolgedessen manifestierte S eine Intention, durch seine Äußerung die Tatsache herbeizuführen, dass er mich aufforderte. - Infolgedessen manifestierte S dadurch, dass er die Äußerung machte, eine Intention, mich durch seine Äußerung aufzufordern. - Aufforderungen sind eine Klasse von Handlungen, bei denen die Manifestation der Intention, die Handlung auszuführen, für ihren Vollzug ausreicht. - S forderte mich durch diese Aufforderung auf. - S tat zweierlei: Er sagte, dass er mich aufforderte und er führte die Tatsache herbei, dass er mich aufforderte. Also stellte er eine wahre Behauptung auf. Mit Deklarationen werden qua Definition ihre propositionalen Gehalte wahr gemacht; also ist die Äußerung eine wahre Behauptung. Der assertorische Charakter performativer Äußerungen ist von ihrem deklarativen Status abhängig und nicht umgekehrt. SEARLES Fazit ist, dass alle performativen Äußerungen deklarativ sind. Das führt allerdings zur absurden Konsequenz „... dass fast alle illokutionären Akte, wenn sie explizit vollzogen werden, identisch sind." (GREWENDORF (2004), 14.) Aber auch die Einführung der Qualität des Deklarativen führt dazu, dass auf der Hintertreppe das Assertive wieder erscheint, so dass wir uns fragen müssen, ob und wie man die Qualtität des Performativen ohne Rückgriff auf etwas anderes rechtfertigen kann. Die Position der Gegner AUSTINS war - wie wir uns erinnern die folgende: Performative Äußerungen stellen den expliziten Vollzug der entsprechenden Handlung oder Illokution und zugleich den impliziten Vollzug einer Behauptung dar, d.h. mit einer Äußerung wie: (vii)
Ich fordere Sie auf, unverzüglich den Raum zu verlassen
wird explizit aufgefordert und zugleich implizit behauptet, dass dies der Fall ist. Mit dieser Position müssen allerdings auch die
150
Performativität als fundamentale Eigenschaft
folgenden drei Ansprüche verknüpft sein (vgl. GREWENDORF (2002); GREWENDORF (2004).): - Performative Äußerungen können nur dann glücken, wenn sie die Bedingungen der explizit gemachten Illokution (im Fall von (vii): der Aufforderung) und der Behauptung, dass aufgefordert wird, zugleich erfüllen. - Reaktionen auf performative Äußerungen können sich sowohl auf die explizit gemachte Illokution als auch auf die Behauptung beziehen. - Implizite Äußerungen können explizit gemacht werden. Es lässt sich nun leicht zeigen, dass keiner der genannten Ansprüche aufrecht erhalten werden kann, ohne dass man in große Argumentationsnöte gerät. Der erste Anspruch lautet, dass Äußerungen wie (vii) sowohl die Bedingungen der explizit gemachten Illokution (Aufforderung) als auch die Bedingungen der entsprechenden Behauptung erfüllen müssen. Zu den Glückensbedingungen des Behauptens gehört es nun, dass der Sprecher über Gründe für die Wahrheit der ausgedrückten Proposition verfugt bzw. diese auf Nachfrage liefern kann. Er müsste also zumindest eine Antwort auf eine Frage wie „Inwiefern ist es wahr, dass du mich aufgefordert hast?" geben können. Jeder normale Mensch würde in einem solchen, einigermaßen unwahrscheinlichen, Fall mit „weil ich dich aufgefordert habe" kontern und damit auf die Performativität und gerade nicht auf die Assertivität seiner Äußerung verweisen. Das heißt aber auch: Der explizite Akt des Aufforderns kann zustande kommen, ohne dass die Bedingungen für den Behauptensakt erfüllt sind. Der zweite Anspruch lautet, dass sich Reaktionen auf performative Äußerungen sowohl auf die explizit gemachte Illokution als auch auf die entsprechende Behauptung beziehen können. Aber wie sollte man die folgenden Reaktionen einschätzen? (viii) (ix) (x)
Das ist falsch Ich stimme Ihnen nicht zu Das glaube ich nicht
(viii) ist überhaupt nicht interpretierbar, während (ix) und (x) allenfalls als Reaktionen auf die Berechtigung des Sprechers,
Die Unmöglichkeit der Ableitung
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eine Aufforderung auszusprechen (ix) oder auf die Ernsthaftigkeit der Ausführung (x) aufgefasst werden könnten. In dieser einzig möglichen sinnvollen Interpretation beziehen sich die Reaktionsäußerungen aber auf die Glückensbedingungen des Aufforderns und nicht auf die des Behauptens! Der dritte Anspruch lautet, dass implizite Äußerungen explizit gemacht werden können. Wie GREWENDORF (2002), (2004) gezeigt hat, führt die Aufrechterhaltung dieses Anspruchs in einen infiniten Regress: Wenn man (vii) durch (xi) explizit macht: (xi)
Ich behaupte, dass ich dich auffordere, unverzüglich den Raum zu verlassen
dann müsste man (xi) selbst wieder explizit machen: (xii)
Ich behaupte, dass ich behaupte, dass ich dich auffordere, unverzüglich den Raum zu verlassen
Der Anspruch der Explizitheit müsste nun wiederum auf (xii) angewendet werden, und somit befände man sich in einem infiniten Regress. Die Paradoxie der Explizitheitsbemühungen besteht darin, dass der Ausdruck ich behaupte einmal als deskriptive Aussage des Sprechers über sich selbst und zum ändern als performativer Ausdruck, als Formel gedeutet wird. Eine andere Version der Aufrechterhaltung alter sprachphilosophischer Positionen ist - wie wir bei Searle gesehen haben - die, dass performative Äußerungen implizite Deklarationen darstellen, d.h. (vii) müsste dann explizit gemacht werden durch: (xiii)
Ich erkläre, dass ich dich auffordere, unverzüglich den Raum zu verlassen
Da (xiii) selbst eine performative Äußerung darstellt, die implizit deklarativ ist, hätte auch hier die Aufrechterhaltung des Explizitheitsanspruchs die Konsequenz eines infiniten Regresses. Deklarationen stellen nach SEARLES einen besonderen Typus von Sprechakten dar, die explizit oder implizit vollzogen werden können, vgl.: (xiv) (xv)
Ich stelle fest, dass die Versammlung vollzählig ist Die Versammlung ist vollzählig
152
Performativität als fundamentale Eigenschaft
In beiden Fällen ist die Illokution der Deklaration vollzogen. Im ersten Fall ist sie explizit vollzogen, und genau diese Art und Weise des Vollzugs nennt Searle deklarativ. Die Verwirrung besteht nun darin, dass mit deklarativ/Deklaration ein bestimmter Typ von Illokutionen und zugleich eine bestimmte Art und Weise des Vollzugs illokutionärer Akte bezeichnet wird (vgl. GREWENDORF (2002); (2004).). Performative Äußerungen sind aber ein Mittel des expliziten Vollzugs illokutionärer Akte, und dieser spezielle Vollzug konstituiert nicht einen besonderen Typ von Handlungen. 2.3
Gibt es Beschränkungen für den performativen Gebrauch?
Wie wir gesehen haben, hat AUSTIN die Möglichkeit des performativen Gebrauchs bestimmter Verben als Kriterium für die Unterscheidung Illokution-Perlokution angesehen. Verben wie beleidigen, überzeugen oder trösten können nicht in der ersten Person Singular/Plural, Präsens, Indikativ, Aktiv verwendet werden. Man könnte dafür eine semantische Erklärung anführen: Die genannten Verben sind resultativ, d.h. sie bezeichnen einen erfolgreich vollzogenen Akt, und dieser kann nicht schon dadurch bewerkstelligt werden, dass man ihn performativ äußert. Dies könnte nun dazu verlocken, nach semantischen Kriterien zu suchen, um Beschränkungen des performativen Gebrauchs zu finden. Austin hält eine solche Suche für aussichtslos; Performativität ist in gesellschaftlichen, besonders auch institutionellen Konventionen begründet: Now since apparently society approves of censuring and reprimanding, we have here evolved a formula ,1 reprimand* or ,1 censure you' which enables us expeditiuosly to get this desirable business over. But on the other hand, since apparently we don't approve of insulting, we have not evolved a simple formula ,1 insult you', which might have done just as well. (AUSTIN (1979), 245.)
AUSTIN weist im Zusammenhang mit seiner Betonung der Abhängigkeit performativer Formeln von Institutionen darauf hin, dass es im Deutschland des 19. Jahrhunderts bei schlagenden Studentenverbindungen durchaus üblich war zu sagen ,Ich beleidige Sie', um den Angesprochenen damit zum Duell auf-
Gibt es Beschränkungen für den performativen Gebrauch?
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zufordern. Diese Institution hat im 20. Jahrhundert nicht überlebt, und infolgedessen ist auch die Formel obsolet geworden. SEARLE (1989) greift die Frage nach möglichen Beschränkungen performativer Gebräuche wieder auf und verweist zunächst auf Verben wie bint, insinuate (andeuten) oder boast (angeben), die nicht performativ verwendet werden können, „... because they imply that the act was performed in a way that was not explicit and overt, and performative utterances are completely explicit and overt." (SEARLE (1989); 554.) Es ist klar, dass das Charakteristikum der Nicht-Offenheit auf Handlungen zutrifft, die mit Verben wie hint und insinuate bezeichnet werden. Aber trifft dies auch auf boast oder angeben (prahlen, protzen, sich brüsten) zu? Sind die Handlungen, die mit solchen Verben bezeichnet werden, in gleicher Weise durch das Merkmal der Nicht-Offenheit oder des strategischen Vorgehens charakterisiert? Jemand, der angibt, lobt sich selbst, d.h. er äußert sich positiv wertend über seine eigenen Verdienste, Besitztümer oder Erlebnisse. Nun wird mit dem Ausdruck angeben (boast) nicht nur auf eine Handlung des Selbstlobs eines Sprechers Bezug genommen, sondern der Verwender des Ausdrucks gibt damit auch zu verstehen, dass er das Selbstlob des Sprechers der Situation, auf die er sich bezieht, für übertrieben oder unangemessen hält. In die Verwendung aller Sprechaktverben (aller Sprachen) sind zwei Typen von Situationen involviert: Zum einen der Situationstyp, in dem ein Ausdruck verwendet wird, der Typ der Diskurssituation, und zum ändern der Situationstyp, auf den mit einem Ausdruck Bezug genommen wird, der Typ der Rekurssituation. Im Fall des explizit performativen Gebrauchs fallen beide Situationen zusammen; sie sind identisch. Es ist nun klar, dass in Fällen, in denen die Bedeutung eines Ausdrucks durch Elemente der Bezugs- und der Verwendungssituation bestimmt ist, die beiden Situationen nicht identisch sein können, also ist auch kein performativer Gebrauch möglich. (Vgl. dazu VERSCHUEREN (1999); HARRAS et al. (2004).) Wir haben somit zwei Fälle von semantischen Beschränkungen für den performativen Gebrauch. Für alle übrigen Verben gilt AUSTINS Bemerkung bzw. die SEARLESche Version: Unless there is some special feature of the verb which implies nonperformarivity (as with ,hint' or ,boast') any verb at all which names an intentional action could be uttered performatively. The limitation on the
154
Performativität als fundamentale Eigenschaft
class that determine which will succeed and which will fail derive from facts about how the world works, not from the meanings of the verb. (SEARLE (1989), 557.)
SEARLE spricht von allen Verben, die eine intentionale Handlung bezeichnen, nicht nur von Sprechaktverben. So ist z.B. eine Äußerung wie: (xvi)
Hiermit brate ich ein Ei
nicht semantisch defekt; es ist einfach eine Tatsache in unserer Welt, dass wir das Eierbraten nicht dadurch zustande bringen, dass wir (xvi) äußern! Fassen wir die wesentlichen Aspekte der Performativität zusammen: (1) Die klassischen AusxiNschen Urperformativa stellen keine wirklichen Sprechhandlungen dar, da zu ihrem Vollzug keine Sprechereinstellungen - Absichten und Überzeugungen - notwendig sind; sie sind eine Art Ritual. (2) AUSTINS Auffassung, die Performativität sprachlicher Äußerungen sei nicht aus Behauptungen ableitbar, kontert SEARLE durch die Auffassung, performative Äußerungen seien Deklarationen, durch die Tatsachen in der Welt geschaffen werden und als solche auch selbstreferenzielle wahre Behauptungen. Die Bestimmung performativer Äußerungen als deklarativ führt in eine Sackgasse: Sie lässt keine Unterschiede zwischen Akten wie Warnen, Auffordern, Versprechen oder Behaupten zu. (3) Die Ableitung des Performativen aus dem Assertiven führt in einen infiniten Regress der Erklärung des Expliziten. (4) Performativität ist eine eigene Qualität sprachlicher Äußerungen. (5) Es gibt zwei semantische Beschränkungen für den explizit performativen Gebrauch sprachlicher Äußerungen. In allen übrigen Fällen ist die Unmöglichkeit des Performativen auf die Art, wie unsere Welt mit ihren Institutionen beschaffen ist, zurückzuführen.
Intentionalität sprachlichen Handelns 3.1
Komplexe Intentionen oder: wie man dunkle Machenschaften eines Sprechers verhindern will
Unabhängig von AUSTINS Theorie der illokutionären Akte hat GRICE in seinem 1957 publizierten Aufsatz „Meaning" erstmals den Versuch unternommen, vermittels intentionaler Bestimmungen zu erklären, was es heißt, dass eine Person S einem Adressaten H gegenüber etwas Bestimmtes ,meint' (engl. ,to mean'), oder allgemeiner formuliert: was es heißt, dass S mit H über etwas zu einem bestimmten Zweck zu kommunizieren versucht. Dieser Aufsatz ist zugleich Anlass zur Kritik wie auch zur weiteren Differenzierung intentionalistischer Vorstellungen geworden. Wenn wir uns im Folgenden zuerst mit dem GRICEschen Entwurf und damit der Konzeption komplexer Intentionen befassen, hat das vor allem chronologische Gründe: GRICE hat mit seinen Vorstellungen die explizite Gegenauffassung von der einfachen Verstehensintention überhaupt erst ermöglicht. Es gibt aber noch einen anderen Grund, sich mit dem Thema der Intentionalität des sprachlichen Handelns näher zu befassen. Die GRiCEschen Überlegungen gehen über den Begriff des illokutionären Akts hinaus; sie zielen auf kommunikatives Handeln, das nicht unbedingt sprachlich realisiert sein muss (es aber meistens ist!). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Intentionalität so: Ist Kommunikation mit Sprache (nur) ein Mittel zur Verständigung, d.h. sage ich etwas, damit mich der Angesprochene versteht und gehören die Reaktionen von ihm zum sozialen Umfeld von Kommunikation oder ist das Erzielen von Reaktionen ein konstitutiver Bestandteil kommunikativen Handelns? Wenn man den zweiten Standpunkt vertritt, muss man kommunikative Handlungen als intentional verstehen bezüglich eines Weltzustands, der vom Handelnden herbeigeführt werden soll. Dieser wird im Allgemeinen durch die Reaktion des jeweiligen Kommunikationspartners (H) interpretiert, derart: (1) H zeigt eine bestimmte Reaktion r
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Intentionalität sprachlichen Handelns
Die Reaktion r von H kann entweder eine bestimmte Einstellung (glauben, wissen, für wahr halten, für gut/schlecht halten usw.) oder eine Handlung sein. Mit diesem Ziel ist ein vom Handelnden S gezeigtes Verhalten verbunden, so dass mit (1) auch gilt: (0) S tut f Die beiden Bestimmungen S tut fin der Absicht, dass H r zeigt, die für physische Handlungen hinreichend wären, sind dies im Fall kommunikativer Handlungen gerade nicht; wären sie es, würde dies zugleich auch heißen, dass wir in einer Welt lebten, in der wir uns bloß jemanden als H auszusuchen brauchten, um ihm dann durch ein f-tun unseren Willen quasi-mechanisch aufzuzwingen, eine Vorstellung, die wir wohl eher ins Reich der Science-fiction verweisen würden, wo Automaten zueinander in einer rein kausalen Verhaltensrelation stehen. Das heißt zunächst: (0) S t u t f (1) S will, dass H eine bestimmte Reaktion r zeigt sind zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingungen für kommunikative Handlungen. Es müssen zusätzliche Bedingungen intentionaler Art geltend gemacht werden, damit ein f-tun von S mit der Absicht, dass H r zeigt, als kommunikative Handlung interpretiert werden kann: Die Intentionalität solcher Handlungen ist nicht durch eine einfache Absicht im Hinblick auf einen veränderten Weltzustand allein erfassbar; sie muss durch weitere Intentionen ergänzt werden, die die Beziehung zwischen S tut f und H zeigt r erklären - aus der Perspektive des Handelnden gefragt: Wie komme ich mit f-tun in der Absicht, dass H r zeigt, dazu, dass H tatsächlich r zeigt? Die Antwort auf diese Frage wird meist, wie wir noch sehen werden, mit Formulierungen wie den folgenden gegeben: (2) S intendiert, dass H seine Intention (1) erkennt (3) S intendiert, dass H aufgrund der Erkenntnis seiner Intention (1) r zeigt (4) S intendiert, dass H zur Erkenntnis von (1)aufgrund dessen gelangt, dass S f tut Mit solchen Formulierungen wird ein Bezug zwischen f-tun von S und r-zeigen von H, dem Handlungsziel von S, herge-
Komplexe Intentionen
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stellt, indem S bestimmte Intentionen unterstellt werden. In den jeweiligen dass-Sätzen werden für das tatsächliche Eintreffen von r notwendige Erkenntnisse von H aus der Sicht von S thematisiert. Insgesamt wird also eine Art Abhängigkeitsgeflecht zwischen Intentionen von S und Erkenntnissen von H konstruiert. Mit den Formulierungen (2) bis (4) sind Bedingungen für kommunikative Handlungen angegeben, die jeder intuitiv für plausibel halten wird: Wenn ich jemanden zu etwas Bestimmtem bringen will, dann ist es notwendig, dass der andere dies erkennen und dass diese Erkenntnis einen Grund für seine Reaktion darstellen soll, sowie dass mein Tun seinerseits den Grund für die Erkenntnis des anderen liefern soll - ohne dies hätte ich keinerlei Veranlassung, überhaupt etwas zu tun; ich könnte es den ohnehin in dieser Welt passierenden Ereignissen überlassen, den anderen zu einer von mir gewünschten Reaktion zu bringen. Die Bedingungen (2) bis (4) sind offensichtlich notwendig für ein Defmiens kommunikativer Handlungen, aber sind sie auch hinreichend? Zu jeder der hier aufgeführten lässt sich wiederum eine intentionale Bedingung formulieren, die die vorhergehende enthält, etwa derart: (i) (ii) (iii) (iv)
I (S, H, r) - S will, dass H r zeigt I (S, G (H, I (S, H, r))) S will, dass H erkennt, dass S will, dass H r zeigt I (S, G (H, I (S, G (H, I (S, H, r))))) S will, dass H erkennt, dass S will, dass H erkennt, dass S will, dass H r zeigt I (S, G (H, I (S, G (H, I (S, G (H, I (S, H, r))))))) S will, dass H erkennt, dass S will, dass H erkennt, dass S will, dass H erkennt, dass S will, dass H r zeigt
usw. Und es lassen sich auch - zumindest mit einiger Fantasie, wie wir noch sehen werden - Vorkommensfälle konstruieren, in denen so komplexe Intentionen wie (iii) und (iv) zur Beschreibung notwendig zu sein scheinen. Damit ergibt sich das folgende Problem: Wenn man, wie es sinnvoll scheint, davon ausgeht, dass Bedingung (ii) ein wesentliches Merkmal kommunikativer Handlungen - im Gegensatz zu anderen physischen Handlungen - darstellt, ist man dann theoretisch verpflich-
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Intentionalität sprachlichen Handelns
tet, einen infiniten Regress von Absichten und Erkenntnissen anzunehmen und demzufolge eine Kommunikationstheorie der folgenden komplexen Art zwangsläufig konstruieren zu müssen?: T l : (i) (ü) (iii) (iv) (v)
T (S, f) (S tut f) I (S, H, r) I (S, G (H, (ii))) I (S, G (H, (iii))) I (S, G (H, (iv)))
Andererseits: Wenn man diese Konsequenz nicht akzeptieren will, muss man dann notwendigerweise bei einer Kommunikationstheorie (es fragt sich, ob man dann überhaupt noch von ,Theorie' sprechen kann) der folgenden simplen Form landen? T 2: (i) (ü)
T(S,f) I (S, H, r)
Mit anderen Worten: Gibt es nur die beiden Alternativen der Automatenkonzeption auf der einen Seite und der Unendlichkeitskonstruktion auf der anderen Seite? Platter Kausalmechanismus oder absoluter Tiefgang wechselseitiger Erkenntnisse als Wurmfortsatz idealistischer Bewusstseinsphilosophie? Diese Überlegungen geben Grund genug, sich mit der Frage nach der Intentionalität kommunikativen Handelns näher zu befassen. Ich gebe im Folgenden zunächst einen Abriss der Entwicklung einer Konzeption komplexer Intention und gehe dann auf sprechakttheoretisch orientierte Vorstellungen ein. 3.1.1
GRICE und das Grundmodell
Der umfänglichste und wohl auch folgenreichste Bestimmungsversuch dessen, was es heißt, dass Menschen mit Zeichen kommunikativ umgehen, stammt von dem englischen Sprachphilosophen HERBERT PAUL GRICE, der mit seinem Bestimmungsversuch zwei Ziele verfolgt (vgl. GRICE (1989).):
Komplexe Intentionen
159
- Erstens: Er möchte eine Begriffsbestimmung dessen liefern, was ,etwas Meinen' heißt und damit auch erklären, wie symbolische Zeichen überhaupt erst konstituiert werden. GRICE vertritt den WiTTGENSTEiNschen Standpunkt, dass es ohne den Begriff der kommunikativen Praxis auch keinen Begriff der sprachlichen Bedeutung geben kann: Die Menschen könnten keine Zeichen als bedeutungsvoll verwenden, wenn sie nicht über einen intentionalen Begriff des Kommunizierens verfügten. ,Bedeutung haben' bzw. ,die Bedeutung haben' ist keine Eigenschaft der Zeichen selbst, sondern eine Eigenschaft von kommunikativen Akten und damit auch eine Eigenschaft oder Disposition von kommunikativ handelnden Subjekten. Wenn man will, kann man die GRICEsche Frage: „wieso können wir etwas meinen?" auch als Frage nach den semiotischen Grundlagen des rationalen kommunikativen Handelns verstehen. - Zweitens: Die Beantwortung der Frage „Wieso können wir mit Zeichen etwas meinen?" besteht in der Explikation dessen, was wir tun, wenn wir miteinander kommunizieren, d. h. es wird ein Modell dessen entwickelt, was als ein kommunikativer Akt einer handelnden Person zu verstehen ist. Dieses Modell ist sowohl als Rekonstruktion dessen, was als notwendige und hinreichende Bedingungen dafür gelten können, dass Zeichen etwas bedeuten, aufzufassen als auch als Analyse menschlicher Kommunikationsakte. Besonders in der Linguistik wird häufig der Aspekt der Analyse kommunikativer Akte in den Vordergrund der Rezeption von Grice gestellt; wir sollten und werden aber beide Aspekte - den der Bedeutungskonstitution und den der Analyse von kommunikativen Akten - berücksichtigen. GRICE unterscheidet in seinem Aufsatz „Meaning" (1957); (dt. 1979a) aus der Sicht eines Interpreten zwei Arten von ,meaning': (1) ,natural meaning', natürliche Bedeutung, die dann vorliegt, wenn man von einem Zustand oder Ereignis auf einen anderen Zustand oder ein anderes Ereignis mit Hilfe der Beziehung der Kausalität schließt; klassische Beispiele dafür sind: Rauch bedeutet Feuer, schwarze Wolken Regen, Stöhnen Schmerzen, rote Flecken Masern usw.
160
Intentionalität sprachlichen Handelns
(2) , -natural meaning', nicht natürliche Bedeutung, die dann vorliegt, wenn wir menschliches Verhalten als einen Versuch interpretieren, uns etwas zu verstehen zu geben; klassische Beispiele hierfür sind: Das Winken des Schwimmers bedeutet, dass er Hilfe benötigt; dreimaliges Läuten des Busschaffners bedeutet, dass der Bus voll ist; As Kqpfschütteln bedeutet, dass er anderer Meinung ist als B; As Äußerung „jetzt aber raus hier" bedeutet, dass B den Raum verlassen soll usw. Die GRiCEschen Beispiele machen deutlich, dass es sich bei der Bestimmung nicht-natürlicher Bedeutung um menschliches Verhalten handelt, wobei Sprache im Spiel sein kann, aber nicht notwendigerweise sein muss. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Fällen von ,meaning' besteht darin, dass Fälle natürlicher Bedeutung die Bedingung der Faktizität erfüllen müssen, Fälle nicht natürlicher Bedeutung hingegen nicht (vgl. ROLF (1994).). Wenn ich sagte „Diese Flecken bedeuten Masern", dann lege ich mich darauf fest, dass die fleckenbehaftete Person Masern hat. Ich kann nicht ernsthaft sagen: „seine Flecken bedeuten Masern, aber er hat gar keine Masern". Im Unterschied dazu kann man in Fällen nicht natürlicher Bedeutung das Zutreffen des zweiten Sachverhalts sehr wohl in Frage stellen, vgl.: „dieses dreimalige Läuten bedeutet, dass der Bus voll ist, aber der Bus ist noch gar nicht voll, der Fahrer hat sich geirrt." Darüber hinaus gilt das Unterscheidungskriterium, dass man die Angabe der nicht natürlichen Bedeutung zitieren kann, die der natürlichen Bedeutung nicht, vgl. „das Winken des Schwimmers bedeutet: ,Ich brauche Hilfe'" vs. „Miese Wolken bedeuten: ,Es wird regnen'". Die Unterscheidung der beiden Typen von Bedeutung läuft letztlich auf die Unterscheidung zwischen kausaler Verursachung und intentionalem Verhalten hinaus. Wie wir bereits im ersten Teil dieser Einführung gesehen haben, spielen für die Zuschreibung intentionalen Verhaltens epistemische Prädikate eine Rolle. GRICE macht dies an folgendem Gedankenexperiment klar (vgl. GRICE (1989.): Angenommen, wir lesen einen Comic, der unter anderem aus den beiden Bildern I und II besteht: Was muss man rekonstruieren, um die beiden Bilder als zusammenhängende Geschichte zu interpretieren?
Komplexe Intentionen
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B
BildI
Bild II
Zunächst würden wir ihnen die folgenden Informationen/Daten entnehmen: - A denkt, dass eine Banane (B) auf dem Tisch liegt - A denkt, dass B essbar und für ihn verfügbar ist - A will etwas essen/ist hungrig Diese Daten würden wir vermittels einer Art von idealisiertem Verhaltensmodell in einen Zusammenhang der folgenden Art bringen: Wenn A glaubt, dass B die Eigenschaften F (essbar und verfügbar sein) hat und dass Dinge mit der Eigenschaft F zu einer Aktivität H passen, dann will A bezüglich B H tun. Wenn man dies auf die Prämissen anwendet, erhält man das nächste Stadium, nämlich, dass A B essen will. Dieses Stadium verknüpfen wir vermittels eines weiteren allgemeinen Verhaltensmodells mit dem, was wir auf Bild II sehen. Das Verhaltensmodell kann folgendermaßen formuliert werden: Wenn eine Person A bezüglich eines Objekts B H tun will und daran nicht in irgendeiner Weise gehindert wird, dann führt A bezüglich B die Aktivität H aus. Dies führt zu dem in Bild II dargestellten Sachverhalt: A isst B. Dies ist die GRiCESche Rekonstruktion des rationalen Handelns einer Person, das darin besteht, eine Korrespondenz zwischen ihren internen psychischen Zuständen mit den externen Zuständen in der Welt herzustellen. Dies gilt auch für kommu-
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Intentionalität sprachlichen Handelns
nikatives, bedeutungsvolles Handeln mit der spezifischen Bedingung, dass die externen Zustände, die der Handelnde mit seinen internen Zuständen in Einklang zu bringen versucht, auch interne, psychische Zustände eines jeweiligen Adressaten mit umfassen. GRICE macht dies an einem Gedankenexperiment klar, in dem er auch den Übergang von natürlichem Bedeuten zu nicht natürlichem Bedeuten, d.h. der Konstitution von symbolischen Zeichen, rekonstruiert. Um keiner Interpretation Vorschub zu leisten, wird die Ausgangslage wieder in einem Bild dargestellt:
:ic.H.M^HV^n
^JS'C'HM'ERZ]
B
Angesichts der dargestellten Situation würden wir wie Person B zur Überzeugung gelangen, dass A Schmerzen hat: Wir wissen, dass Stöhnen Schmerzen bedeutet. Dies ist ganz klar ein Fall von natürlicher Bedeutung. Was muss nun hinzukommen, damit die Äußerung der schmerzgeplagten Person A als ein Fall des nicht natürlichen Meinens gelten kann? Zunächst müsste man das Verhalten als beabsichtigt erkennen. Dies führt allerdings zu der einigermaßen grotesken Situation, dass die absichtliche Äußerung behandelt werden soll, als sei sie unwillkürlich, unabsichtlich. Die Absicht von A ist derart, dass der Rest der Welt glauben soll, er sei in einem Zustand, den das unwillkürliche Zeigen des Verhaltens, das Stöhnen, anzeigen würde. Um sicher zu sein, dass für B das gezeigte Verhalten in der beabsichtigten Weise erkenntlich wird, müsste man außerdem davon ausgehen können, dass B erkennt, dass A absichtlich eine Form von Verhalten an den Tag legt, dessen unwillkürliches Auftreten Schmerz anzeigt. Diese Erkenntnis würde nun Bs Bereitschaft zu glauben, A habe Schmerzen, enorm ein-
Komplexe Intentionen
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schränken: Vermutlich wird B denken, dass A eine witzige Pantomime oder eine absurde Komödie aufführt; B würde also an der Ernsthaftigkeit von A zweifeln. Was muss also (der Beschreibung) der Situation hinzugefugt werden, damit B zu dem Schluss kommt, A hat mit seiner Äußerung gemeint, dass er Schmerzen hat? Eine erste Annahme ist sicher die, dass B nicht nur erkennt, dass As Verhalten absichtlich ist, sondern A intendiert auch, dass B dies erkennt. Nun sind wir aber schon wieder in einer vertrackten Lage: Da haben wir A mit seiner Simulierung der Schmerzäußerung, zugleich gibt er zu verstehen, dass er genau dies tut, nämlich Schmerz simulieren. B kann eigentlich bloß zu dem Schluss kommen, dass A eine besondere Art von Verwirrspiel mit ihm veranstalten will. Nun ist aber A gar nicht zum Spielen zumute, sondern er versucht, B ernsthaft glauben zu machen, dass er Schmerzen hat und das heißt: B soll an die Gegenwart des Zustands bei A glauben, den das gezeigte Verhalten, wenn es unwillkürlich aufträte, natürlicherweise anzeigt. B soll also erkennen, dass A beabsichtigt, dass B erkennt, dass A will, dass B glaubt, A habe Schmerzen, und diese Erkenntnis soll B dann auch dazu bringen, dass er tatsächlich glaubt, A habe Schmerzen. Das Gedankenexperiment lässt die folgenden Tendenzen der GRiCEschen Explikation erkennen (vgl. auch HARRAS (1996).): - Nicht natürliche Bedeutung, etwas Meinen, wird durch die Zuschreibung einer Menge von miteinander zusammenhängenden Sprecherabsichten expliziert. - Entscheidend für den Begriff des Meinens ist neben dem Handlungsziel des Sprechers die Art und Weise, wie dieser sein Ziel zu erreichen sucht: Wenn die Überzeugung, zu der ein Adressat gelangen soll, unabhängig von der Erkenntnis der Sprecherabsicht zustande kommen kann, dann würde man GRICE zufolge nicht sagen können, S habe mit f-Tun etwas gemeint; man würde in die kausale Erklärung von Bedeutung zurückfallen, das heißt in eine Erklärung, die besagt, dass f bereits das-und-das bedeutet insofern, als es die Tendenz hat, eine bestimmte Überzeugung hervorzurufen. - Die zugeschriebenen Sprecherabsichten sind offen; Fälle von Täuschungen oder Simulationen sind ausgeschlossen.
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Intentionalität sprachlichen Handelns
Es werden nur diejenigen Sprecherabsichten als konstitutiv für das Meinen angesehen, die offen zu verstehen gegeben werden bzw. als solche rekonstruiert werden können. Die Explikation des nicht natürlichen Meinens, die GRICE erstmals in seinem Aufsatz „Meaning" (1957); (dt. 1979); vornimmt, geht von den beiden folgenden Voraussetzungen aus: - erstens: Alle Bestimmungen beziehen sich auf Kommunikationsversuche derart: Ein S kommuniziert mit einem H durch ein f-Tun in Bezug auf ein r-Zeigen von H: KV (S, H, f, r).11 Es soll also nicht die allgemeine Frage beantwortet werden: wie/unter welchen Bedingungen kommuniziert ein S mit einem H: KV (S, H)?, sondern die Frage bezieht sich auf einen Kommunikationsversuch unter Einbeziehung seines jeweiligen Kommunikationsinhalts; - zweitens: Alle Bestimmungen werden im Kontext des Sprechers formuliert, d.h. es gibt keine Formulierung: ,H erkennt, dass S intendiert, dass H erkennt ...', die nicht in einen Intentionskontext des Sprechers eingebettet wäre, also: ,S intendiert, dass H erkennt ...'. Zugleich heißt dies, dass es keine Urteile aus der Perspektive des Theoretiker/ Beobachters gibt: Es gibt also auch keine Formulierung: ,S (oder H) weiß, dass ...'. Unter diesen Voraussetzungen und in der oben eingeführten Redeweise lautet die GRiCEsche Explikation wie folgt: Ein Kommunikationsversuch KV (S, H, f, r) liegt genau dann vor, wenn gilt: (1) S t u t f (2) S tut f mit der Absicht, dass H eine bestimmte Reaktion r zeigt (3) S tut f mit der Absicht, dass H glaubt (erkennt), dass S (2) beabsichtigt (4) S tut f mit der Absicht, dass H aufgrund der Erkenntnis von (2) r zeigt
11 Ich bediene mich in diesem Kapitel der Einfachheit halber der Schreibkonvention, die MEGGLE (1981) eingeführt hat.
Komplexe Intentionen
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(2) ist die primäre Handlungsabsicht des Sprechers, (3) und (4) sind die kommunikativen Absichten, mit denen S f tut, d.h. eine entsprechende Äußerung macht (vgl. SPERBER/WILSON (1987).). Die Reaktion r als primäres Handlungsziel kann in zwei Hinsichten präzisiert werden: (a) H tut etwas (b) H glaubt etwas (b) kann bezüglich dessen, was H glauben soll, unterschieden werden als: (b 1) H glaubt, dass ein bestimmter Sachverhalt in der Welt besteht; (b 2) H glaubt, dass sich S in einem bestimmten mentalen Zustand befindet. Diese Bestimmungen hat GRICE in späteren Aufsätzen verschiedentlich erweitert, ist aber im Großen und Ganzen bei ihnen als den notwendigen und im Allgemeinen auch hinreichenden Bedingungen für KV (S, H, f, r) geblieben (vgl. GRICE (dt. 1979b), 22-24; (dt. 1979c).). Er selbst hat sie als Grundmodell der intentionalistischen Bestimmung kommunikativen Handelns charakterisiert - anderweitig sind sie auch als GRiCEscber Mechanismus bekannt geworden. Die darin enthaltenen Bestimmungen des Zusammenhangs zwischen dem f-Tun von S und der S-Absicht, bei H eine bestimmte Reaktion r herbeizuführen, könnten den Eindruck nahelegen, jeder S könnte mit jedem beliebigen f-Tun jede beliebige Reaktion r bei H hervorzurufen beabsichtigen, - Hauptsache, er hat auch noch die Absichten (3) und (4). Eine solche Auffassung wird von GRICE selbst dadurch ausgeschlossen, dass er f-Tun nur im Kontext einer „allgemein üblichen Praxis" betrachtet: Man geht davon aus, daß der Betreffende (der Sprecher, G. H.) mit einer Äußerung das zu übermitteln beabsichtigt, was man mit einer Äußerung normalerweise übermittelt (bzw. normalerweise zu übermitteln beabsichtigt). (GRICE (1957); (dt. 1979a), 147.)
Die Intentionalität kommunikativen Handelns ist also GRICE zufolge nur vor dem Hintergrund der Üblichkeit einer kommunikativen Handlung, f-Tun von S, innerhalb einer Sprach-
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Intentionalität sprachlichen Handelns
gemeinschaft zu verstehen. Dieser Zusammenhang ist für die Geltung des Grundmodells vorausgesetzt, ohne dass er in diesem selbst ausdrücklich erwähnt wird, z.B. als ein konstitutives Merkmal für das ,Meinen' eines Sprechers eigens formuliert wird. Aus den Bedingungen (1) bis (4) ergeben sich handlungslogisch bereits weitere differenzierende Bedingungen (vgl. MEGGLE (1981), 27ff): Zunächst ist dies die folgende: (5') S beabsichtigt, dass H aufgrund von f-Tun von S zur Erkenntnis von (2) gelangt Dies folgt aus den GRiCEschen Bedingungen (2) und (3) aufgrund des handlungslogischen Prinzips:
I (S, A) n G (S, A) Wenn S will, dass A, dann glaubt S auch, dass A Das heißt: wenn Bedingung (2) erfüllt ist, dann nach dem obigen Prinzip auch: (2') S glaubt, dass H nur dann r zeigt, wenn S f tut Zusammen mit Bedingung (3) folgt dann (5') S beabsichtigt, dass H aufgrund von f-Tun von S zur Erkenntnis von (2) gelangt Für eine weitere differenzierende Bedingung: (6') S beabsichtigt, dass H aufgrund von f-Tun von S r zeigt gilt, dass sie aus (2) und (4) handlungslogisch folgt. Soviel zu den Implikationen des GRiCEschen Mechanismus. Insgesamt enthält er also die folgenden Bedingungen: (i) (ii) (iii)
S hat das Handlungsziel: H zeigt r S beabsichtigt, dass H dies (i) erkennt S beabsichtigt, dass H aufgrund der Erkenntnis von (i) r zeigt
und implizit: (iv) (v)
S beabsichtigt, dass H aufgrund von f-Tun von S zur Erkenntnis von (i) gelangt S beabsichtigt, dass H aufgrund von f-Tun von S r zeigt
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Mit den Formulierungen (i) bis (iii) wird eine Beziehung hergestellt zwischen dem f-Tun von S und dem r-Zeigen von H, eine Beziehung, die besteht in (a) der primären Absicht, dem Handlungsziel von S, dass H r zeigt, und in den daraus abgeleiteten sekundären Absichten: (b) der Absicht, dass (a) von H erkannt wird und in (c) der Absicht, dass die Erkenntnis von (a) zusammen mit dem f-tun von S zum r-Zeigen von H führt. 3.1.2
STRAWSONS zusätzliche Intention
STRAWSON (STRAWSON (1971); (dt. 1974), 65 f.) hält die im GRICEschen Grundmodell formulierten Bedingungen zwar für notwendig, nicht aber für hinreichend. Um dies zu demonstrieren, konstruiert er einen reichlich abstrusen Fall von versuchter Kommunikation, in dem alle GRICEschen Bedingungen erfüllt bzw. als solche zu interpretieren sind, man aber trotzdem nicht sagen kann, dass S im GRiCEschen Sinn etwas gemeint hat. Das Beispiel, das zeigen soll, dass die GRiCEschen Intentionsbedingungen nicht hinreichend sind, gibt dieser in einer Version wieder, die von STAMPE stammt (vgl. GRICE (1969); (dt. 1979b), 24f.):12 Ein Angestellter spielt gegen seinen Chef Bridge. Er will sich bei seinem Chef Lieb-Kind machen und will daher, daß sein Chef weiß, daß er will, daß er gewinnt (sein Chef sieht eine derartige Kriecherei gar nicht ungern). Er will jedoch nichts tun, was allzu penetrant wäre, wie wenn er's dem Chef direkt sagte oder ihm letztlich durch eine auf ein Signal hinauslaufenden Handlung zu verstehen geben würde, - furchtet er doch, daß dem Chef eine derart krude Kriecherei nun auch wieder nicht so ganz paßte. So machte er sich also an die Verwirklichung des folgenden Plans: wenn er gute Karten bekommt, lächelt er - und zwar so, daß sein Lächeln einem spontanen Lächeln zwar sehr ähnlich sieht, aber eben doch nicht so ganz. Dieser Unterschied soll von seinem Chef bemerkt werden, woraufhin dieser dann die folgende Überlegung anstellen soll: „Das war kein spontanes Lächeln - er tut nur so, als sei es spontan. Das könnte nun einfach ein Versuch sein, mich reinzulegen (vielleicht hat er in Wirklichkeit schlechte Karten). Wir spielen nun aber nicht Poker, sondern Bridge. Und er würde mich, seinen Chef, wohl nicht durch eine derartige Ungehörigkeit aufs Kreuz legen wollen. Also hat er vermutlich gute 12 Das Beispiel, das STRAWSON selbst (1971; dt. 1974) gibt, ist m. E. noch abstruser; deshalb habe ich hier das von GRICE zitierte verwendet.
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Karten; und da er mich gewinnen lassen will, wird er gehofft haben, daß ich dadurch daraufkomme, daß er gute Karten hat, daß ich sein Lächeln für spontan halte: Nun, da dem so ist, werde ich also nicht höher reizen".
In diesem Beispiel sind die GuiCEschen Bedingungen wie folgt erfüllt: (1) Der Angestellte beabsichtigt mit seinem Lächeln, dass der Chef denken soll, der Angestellte habe gute Karten; (2) der Angestellte beabsichtigt, dass der Chef - zumindest zum Teil aufgrund des Lächelns - denken soll, dass der Angestellte beabsichtigt, dass der Chef denken soll, der Angestellte habe gute Karten; (3) der Angestellte beabsichtigt, dass der Sachverhalt, dass der Angestellte wollte, dass sein Chef denkt, er habe gute Karten, für den Chef zumindest zum Teil Grund dafür ist, tatsächlich zu glauben, dass der Angestellte gute Karten hat. Trotzdem fehlt - so wie das Beispiel konstruiert ist - hier ganz offensichtlich ein Bindeglied in dem Abhängigkeitsgeflecht von S-Absichten und -Erkenntnissen, das den kommunikativen Bezug zwischen f-Tun von S und r-zeigen von H herstellt: Das Lächeln von S soll trotz der dahinterstehenden Absichten (1) bis (3) gar nickt erst als Kommunikationsversucb für H erkenntlich werden. Oder anders ausgedrückt: S hält sich die Möglichkeit offen, (und so wie das Beispiel aussieht, wird er sicher Gebrauch davon machen!) auf eine Reaktion von H etwa derart: (a) ich danke für den Hinweis zu antworten: (b) aber ich hab doch gar nichts gemacht! H könnte darauf seinerseits wieder sagen: (c) ja, aber Ihr Lächeln sprach Bände! worauf S sagen könnte: (d) so, das glauben Siel Ich lächle immer so, wenn ich Bridge spiele H hätte jetzt kaum noch eine Möglichkeit, (d) zu widerlegen. Es fehlt ihm an Indizien (Gründen) dafür, dass f-Tun von S, das
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Lächeln, für beide als Kommunikationsversuch des bestimmten Inhalts gelten sollte. S verbaut H sozusagen die Möglichkeit, sich auf f-Tun von S als Kommunikationsversuch zu beziehen. Dies ist eine Konsequenz daraus, dass S zwar die Absichten (1) bis (3) mit f-Tun verbindet, andererseits aber verhindern will, dass H seinerseits diese Absichten erkennt. Deshalb hat STRAWSON, um solche Fälle auszuschließen, zu den GRiCEschen Bedingungen noch eine weitere hinzugefügt (vgl. STRAWSON (dt. 1974), 66.): (5) S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S beabsichtigt, dass H r zeigt oder mit Bezug auf das GRiCEsche Grundmodell: (5) S beabsichtigt, dass H erkennt, dass (3) 3.1.3
SCHIFFERS ,Long Way to Tiperrary' und BENNETTS Offenheitsklausel
SCHIFFER hält die zusätzliche STRAWSONsche Bedingung immer noch nicht für hinreichend dafür, dass f-Tun von S als Kommunikationsversuch des Inhalts, dass H r zeigt, zu gelten hat. Er demonstriert dies an dem folgenden Beispiel (vgl. SCHIFFER (1972), 22.), hier zitiert nach GRICE (dt. 1979b), 28.): S singt mit rauher Stimme den Song ,Tipperary', um so H dazu zu bringen, wegzugehen. H soll erkennen (und auch wissen), daß er erkennen soll, daß S ihn loswerden will. Des weiteren beabsichtigt S, daß H letztlich deshalb weggeht, weil er S' Absicht, daß er gehen soll, erkennt. S' Plan ist, daß H fälschlicherweise denken soll, daß S beabsichtigt, H mittels dessen loszuwerden, daß H erkennt, daß S die Absicht hat, ihn loszuwerden. M.a.W.: H soll die folgenden Überlegungen anstellen: „S beabsichtigt, daß ich denke, er beabsichtige, mich durch sein rauhes Singen loszuwerden; in Wirklichkeit will er mich aber dadurch loswerden, daß er mir seine Absicht, mich loszuwerden, zu erkennen gibt. Ich soll in Wirklichkeit deshalb gehen, weil (ich merke, daß) er will, daß ich gehe, nicht, weil ich sein Singen nicht ertragen kann".
Wie GRICE zu Recht feststellt, hat dieses Beispiel „etwas Rätselhaftes" an sich: „Wie soll H auf die Idee kommen, dass S will, dass er glaubt, dass S beabsichtigt, ihn durch sein Singen loszuwerden?" (GRICE (dt. 1979b), 28.)
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Wie komplex ist die S-Intention in diesem Beispiel? Im Unterschied zum STRAWsoN/SiAMPEschen Beispiel will S (wie auch immer), dass sein Singen als Kommunikationsversuch erkannt wird, aber er will nicht, dass H diesen Kommunikationsversuch als einen ganz bestimmten erkennt. Man könnte sich deshalb schon fragen, ob in diesem Beispiel überhaupt noch von dem Definiendum KV (S, H, f, r) ausgegangen wird. S will hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Auf der einen Seite will er, dass die Interpretation des Grunds der Erkenntnis für H zwiespältig (offen?) bleibt und zugleich, dass H dies seinerseits erkennt. Dies kann aber nur dann funktionieren - wenn überhaupt! -, wenn S verhindert, dass H diese letzte Absicht auch noch erkennt. Täte er dies nicht, würde sein Täuschungsmanöver für H offensichtlich. Deshalb - so SCHIFFERS Argumentation - muss man, um solche Täuschungsabsichten auszuschalten, auch noch die folgende, über STRAWSON hinausgehende, Absicht als notwendig annehmen (SCHIFFER (1972), 23.): (6) S beabsichtigt, dass H erkennt, dass (4) also: S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S beabsichtigt, dass H erkennt, dass S beabsichtigt, dass H aufgrund seiner Erkenntnis von (2) r zeigt Jeder normale Leser, der mir bis hierher gefolgt ist, wird spätestens jetzt ausrufen: ,Nun ist aber endgültig Schluss! Das versteht ja kein Mensch mehr!'. So ähnlich hat wohl auch SCHIFFER gedacht, denn er hat auf weitere Beispiele verzichtet, die zu noch komplexeren Intentionshierarchien führen könnten. Stattdessen postuliert er die grundsätzliche Offenheit kommunikativer Intentionen bis zur -ten Stufe, analog zu einer grundsätzlichen Offenheit des Wissens, das zwei Personen in einer gemeinsamen Situation voneinander haben: ,ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß ...'. (SCHIFFER (1972), 30-42.) Wie komplex dieses gegenseitige Wissen - ,mutual knowledge' - sein soll, lässt SCHIFFER offen, was für ihn allerdings nicht einen faktisch infiniten Regress bedeutet, sondern nur, dass es theoretisch unmöglich ist, die Grenze der Wissenskomplexität exakt zu bestimmen. Solch ein unbegrenztes bzw. unbegrenzbares Wissen formuliert er so: S und H wissen ^gegenseitig (,mutually know*'), dass p
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Diese Formel baut er in das GmcEsche Grundmodell ein, um so die Transparenz zwischen dem f-Tun von S und der primären S-Absicht, bei H r zu bewirken, zu gewährleisten. Die primäre S-Absicht und die sekundären S-Absichten werden eingebettet in das gegenseitige Wissen von S und H, so dass für KV (S, H, f, r) gilt:13 (1) (2) (3) (4)
Stutf S beabsichtigt mit f, dass H r zeigt S beabsichtigt mit f, dass H (2) erkennt S beabsichtigt mit f, dass H aufgrund der Erkenntnis von (2) r zeigt (5) S erwartet, dass S und H gegenseitig wissen*, dass (2) bis (4)
Im Grund ist dieser Zusatz nichts anderes als eine Art Antigeheimhaltungsklausel, mit der Unehrlichkeit bzw. Täuschungsabsichten (deren Witz ja gerade darin besteht, das gegenseitige' Wissen auf das allein sprecherseitige Wissen zu beschränken) ausgeschlossen werden sollen. Wie GRICE geht auch SCHIFFER davon aus, dass f-Tun von S nur auf dem Hintergrund der üblichen Praxis einer Sprachgemeinschaft aufzufassen ist, ohne dies in seiner Bestimmung eines Kommunikationsversuchs ausdrücklich als ein konstituti13 Ich habe unter den Bedingungen (1) bis (5) den GmcEschen Mechanismus mit erfasst; bei SCHIFFER ist es nicht immer klar, ob er den gesamten GRICEschen Mechanismus in das gemeinsame Wissen von S und H einbettet oder nur die S-Intention, dass H r zeigt (vgl. SCHIFFER (1972), 37ff.). Da aber SCHIFFER ganz grundsätzlich zwischen (a) der primären S-Intention, bei H r zu bewirken und (b) der sekundären S-Intention, dass H (a) erkennen soll unterscheidet, halte ich meine Zusammenfassung der intentionalistischen Bestimmung für gerechtfertigt. (Vgl. SCHIFFER (1972), 62.) Zu den beiden ScniFFER-Intentionen sei noch angemerkt, dass ihnen ein unterschiedlicher Status zukommt: Die primäre Intention ist diejenige, mit der ein Sprecher eine Äußerung hervorbringt; die sekundäre Intention ist diejenige, die S hat, indem oder wenn er f tut/äußert. Dieser Unterschied spielt auch bei der Begründbarkeit einer Äußerung eine Rolle: Auf eine warum-Frage kann ein Sprecher antworten, indem er die primäre Intention als Grund für eine Äußerung angibt, nicht jedoch die sekundäre Intention, vgl.: (ii) Warum sagst du mir das nun schon zum x-ten Mal? als Begründung: (iii) Weil ich will, dass du mir endlich glaubst aber nicht: (iv) Weil ich will, dass du erkennst, dass ich will, dass du mir glaubst.
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ves Merkmal zu formulieren. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen f-Tun und der Üblichkeit dieses Tuns stärker und expliziter formuliert als bei GRICE. (Vgl. SCHIFFER (1972), 118 ff; SCHIFFER (1987); vgl. auch SAVIGNY (1993), 281 ff; SAVIGNY (1983).). Was bei GRICE nur Üblichkeit war, wird bei SCHIFFER zur Verhaltensregularität in einer Gruppe, zur Konvention. LEWIS hat in seinem Buch „Convention" ((1969); (dt. 1975).) eine allgemeine Bestimmung von Konvention entwickelt, auf die sich auch SCHIFFER bezieht. Danach ist eine Verhaltensregularität R in einer Gruppe G dann als Konvention aufzufassen, wenn in einer Situation des Typs S: (i) (ii)
alle (oder nahezu alle) Mitglieder von G R folgen; alle [...] Mitglieder von G von allen (oder nahezu allen) anderen Mitgliedern von G erwarten, dass sie R folgen; (iii) alle Mitglieder [...] von G es vorziehen, R zu folgen, sofern es auch die anderen tun, weil S ein Koordinationsproblem ist und die allseitige Befolgung von R in S ein koordinatives Gleichgewicht ergibt. (vgl. LEWIS (dt. 1975), 59.)14 Normalerweise stehen uns zur Realisierung von Handlungszwecken mehrere Möglichkeiten zur Verfügung; wir können aus verschiedenen Alternativen auswählen. Welche der Alternativen wir tatsächlich wählen, hängt davon ab, welche wir jeweils als die für unsere Zwecke effektivsten einschätzen. Wenn unser Handlungszweck darin besteht, unser Verhalten mit dem anderer zu koordinieren, hängt unsere Beurteilung der Effektivität im Wesentlichen von den Erwartungen ab, die wir bei den anderen unterstellen. Ein Beispiel: A ruft B an; sie telefonieren eine Weile miteinander, bis sie plötzlich unterbrochen werden. A und B wollen aber weiter telefonieren. A denkt sich: ,ich war derjenige, der zuerst angerufen hat; also werde ich es auch ein zweites Mal versuchen. B wird von mir erwarten, dass ich als Erstanrufer die Initiative ergreife und ihn nochmals anrufe.' Dieser Anruf hat aller14 LEWIS hat mehrere einander ähnliche Versionen für die Formulierung von Konventionen gegeben; ich habe die Formulierung wiedergegeben, die am schwächsten ist; für Konventionen ist es sicher nicht notwendig, dass alle Mitglieder (ohne Ausnahme) die entsprechende Erwartung haben.
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dings nur dann Erfolg, wenn B tatsächlich diese Erwartung hat. Würde B aber denken, dass A seinen Rückruf erwartet und sich dementsprechend verhalten, könnten die beiden, da sie gleichzeitig die Telefonleitungen blockierten, ihr gemeinsames Vorhaben überhaupt nicht verwirklichen. Die Effektivität des Verhaltens von A und B ist also von deren gegenseitigen Erwartungen abhängig: Nur wenn beide Telefonierer wechselseitig erwarten, dass der Erstanrufer bei einer Störung das Gespräch wieder aufnimmt, kann die Koordination zwischen A und B klappen. Dies kann natürlich auch dann der Fall sein, wenn sie beide wechselseitig erwarten, dass der Angerufene das Gespräch wieder aufnimmt: Wichtig ist nicht, welche von mehreren gleichtauglichen Verhaltensweisen erwartet wird, sondern nur, dass eine von ihnen wechselseitig erwartbar ist und dass genau dieses Verhalten gezeigt wird, obwohl es auch andere Möglichkeiten gäbe, die - wären sie genauso erwartbar - in gleicher Weise effektiv sein könnten, um den jeweiligen Zweck zu erreichen. Das heißt auch: Die Konventionalisierung einer bestimmten Verhaltensweise als gesellschaftliche Erwartbarkeit ist willkürlich (vgl. LEWIS (dt. 1975), 71); z.B. ist es willkürlich, dass wir durch Kopfnicken, Lächeln oder ,grüß Gott'-Sagen grüßen, wir könnten dies auch dadurch tun, dass wir die Hände auf den Kopf legen, dreimal husten oder dem zu Grüßenden eine lange Nase zeigen, usw. Eine Konvention ist also das Ergebnis der Festlegung einer bestimmten Verhaltensweise (unter mehreren gleichwertigen Alternativen) als wechselseitig erwartbar in Situationen, wo das Verhalten mehrerer Personen koordiniert werden soll. Die Festlegung kann explizit durch Verhaltensvorschriften, Kodices oder Gesetze getroffen werden oder implizit durch die selbstverständliche Praxis einer Gesellschaft zustande kommen, ohne dass dies den Mitgliedern dieser Gesellschaft besonders bewusst zu sein braucht. Konventionen werden aus (zweck)rationalen Gründen befolgt, - dies besagt auch die dritte der LEWisschen Bestimmungen. Nehmen wir an, es gebe die folgende Konvention: K: Wenn A und B beim Telefonieren aus irgendeinem Grund unterbrochen werden, dann nimmt derjenige das Gespräch wieder auf, der zuerst angerufen hat.
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Sich an K zu halten, ist nicht allein ein Gebot der Effektivität, sondern auch der Vernünftigkeit: Es ist einfach vernünftig, sich an K zu halten. (Vgl. LEWIS (dt. 1975), 56 ff; vgl. auch SAVIGNY (1983).) Jemand, der K kennt, sich aber trotzdem nicht daran hält, verhält sich - unter den Bedingungen unseres Beispiels irrational. SCHIFFER - und das ist der wesentliche Unterschied seiner Konzeption zur GRiCEschen - unterstellt nicht nur Üblichkeit einer kommunikativen Handlung im Sinn einer Lfiwisschen Konvention, er verknüpft darüber hinaus auch die Intentionalität mit gegenseitiger Erwartbarkeit: Primäre und sekundäre S-Absichten werden - wie wir gesehen haben - eingebettet in die S-abhängige Erwartung gegenseitigen Wissens von S und H. Das heißt auch: Die grundsätzliche Offenheit, die Transparenz der S-Intentionen wird ihrerseits konventionalisiert und der Rationalität menschlichen Handelns unterstellt. SCHIFFERS Zusatz zum GRiCEschen Mechanismus ist daher auch keineswegs als moralisches Postulat zu verstehen - etwa als eine Art Imperativ: „sei ehrlich!", „täusche nicht!" -, sondern als rationales Gebot vernünftigen Handelns (vgl. auch SCHIFFER (1987).) In Übereinstimmung mit SCHIFFER schreibt BENNETT in seinem Buch „Linguistic Behaviour": „... in real communication everything is open and above-board and so meaning cannot exploit contrived cross-purposes." (BENNETT (1976), 126.) Auch er ergänzt den GRiCEschen Mechanismus um einen Zusatz, aber im Gegensatz zu SCHIFFER formuliert er ihn explizit als eine Art Offenheits- oder Antitäuschungsklausel, wobei auch für seine Konzeption die Gültigkeit LEWIS scher Konventionen unterstellt ist. Für KV (S, H, f, r) gilt (BENNETT (1976), 127): (1) S beabsichtigt, dass H r zeigt, (2) S verlässt sich dabei auf den GRiCEschen Mechanismus (3) S erwartet nicht, dass H ihn bei dieser Verlässlichkeit in irgendeiner Weise hereinlegt. Die Absicht aller hier referierten Autoren zielt darauf, einen Kommunikationsversuch zu charakterisieren, der für S und H aus der Perspektive von S - das Merkmal der Transparenz enthält. (Vgl. SCHWAB (1980), lOff.) Durch den GRiCEschen Mechanismus sollte die S-Intention, beim Kommunikationspartner H eine bestimmte Reaktion r zu bewirken, durch weitere
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Intentionen von S in Bezug auf H transparent gemacht werden. Dieses Unternehmen stieß auf die Fantasie seiner Leser: Es lassen sich immer neue Kommunikationsgeschichten ausdenken, in denen die Sprecher so erfinderisch und hinterlistig sind, dass die Transparenz der S-Intention, bei H r zu bewirken, nur dann garantiert werden kann, wenn man immer höherstufige Intentionen annimmt, die darin bestehen, dass S intendiert, dass H die jeweils zuletzt genannte Intention nun ihrerseits auch noch erkennen soll. Die Konsequenz dieser Überlegungen geht in zwei Richtungen: (1) Die Stufe der Intentionen ist, je nach Erfindungsgabe der Kommunikationspartner, offen zu halten (SCHIFFER (1972).). Intentionen sind grundsätzlich als reflexiv anzusehen; theoretisch ist es unmöglich, diese Reflektivität irgendwo zu begrenzen, wenn dies auch faktisch sicher immer der Fall ist. (Vgl. MEGGLE (1981).) (2) Konterbeispiele ä la STRAWSON und SCHIFFER werden durch eine Zusatzbedingung zum GRiCEschen Mechanismus explizit ausgeschlossen. Dies hatten wir bei BENNETT gesehen, der eine Art Offenheitsklausel formuliert, die die Gültigkeit des GRiCEschen Mechanismus konsolidieren soll. Dieser Zusatz ist ebenso wenig wie SCHIFFERS Konventionalisierung als normativ oder gar moralisch zu verstehen, sondern als ein rationales Prinzip, das gewährleisten soll, dass S sein Ziel bei H nur dann erreichen kann, wenn er alle dunkle Machenschaften kontrafaktisch als irrational unterstellt.15 (Vgl. auch HOLDCROFT (1978).) In ähnlicher Weise verfährt KEMMERLING, der das GRiCEsche Grundmodell um den Zusatz erweitert: S ist mit (f-Tun), G. H.) in keiner Weise irreführend und verheimlichend gegenüber A in bezug darauf, daß er die Bedingungen (1) bis (3) erfüllt (diese entsprechen dem GRiCEschen Grundmodell, G. H). (KEMMERLING (1979), 84.)
Diese Konzeption gerät allerdings schon an die Grenze des Normativen: Mit ihr werden in der Konsequenz komplexe Täu-
15 Man könnte das auch so formulieren: Selbst wenn ein Sprecher hinterlistig ist, muss er bei seinem Adressaten zumindest voraussetzen, dass dieser von seiner Ehrlichkeit oder Aufrichtigkeit ausgeht. Nur so ist nämlich erfolgreiches Lügen möglich!
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schungsfälle aus dem Bereich des kommunikativen Handelns ausgeschlossen. (Vgl. SCHWAB (1980), 18.) Vollends normativ stellt DITTEL die Forderung auf, nach der sich S an Regeln zu halten hat, die die Möglichkeit von Täuschung, Lüge, komplizierten Schleifenintentionen und ähnlichem „abschneiden". (Vgl. DITTEL (1979), 146/7.; SCHWAB (1980), 18 f.) GRICE selbst hat in einer interessanten Weise auf die Debatte über die Unendlichkeit von Sprecherabsichten und Hörererkenntnissen reagiert (vgl. GRICE (1989).). Er interpretiert die aus den Gegenbeispielen resultierende Konsequenz der unendlichen Verschachtelung von Sprecherintentionen und Hörererkenntnissen als eine unvermeidliche Tendenz zu einem infiniten Regress: S-Intentionen sind darauf gerichtet, dass sie jeweils die Erkenntnis einer niedrigeren Intention enthalten. Das Grundschema ist das folgende: S intendiert^, dass H erkennt, dass S intendiert^,, dass H erkennt, dass ... Das heißt: Der kognitive Zustand von S, seine Intention, ist, aus seiner eigenen Perspektive betrachtet, immer eine Stufe höher als die S-Intention aus der Perspektive von H. Die Logik der Gegenbeispiele lief nun darauf hinaus, die jeweils höchste S-Intention auch als kognitiven -Zustand auf dem gleichen Rang zu etablieren. Dies ist aber - wie GRICE feststellt - ein logisch unmögliches Unterfangen: Der kognitive Zustand von H, d.h. das, was für H als intendierten Grund oder Motiv für die Erfüllung der primären S-Intention dienen soll, ist immer eine Stufe hinter dem zurück, was den kognitiven S-Zustand ausmacht, damit auch hinter dem, was S selbst als Grund dafür ansieht, warum er will, dass H eine bestimmte Reaktion r zeigt. Es ist wie mit dem Hasen und dem Igel: Wir fügen immer noch eine Intention hinzu, um den Sprecher einzuholen, aber der ist nun gerade dadurch, dass wir dies tun, bereits einen Schritt weiter, das heißt bei der nächst höheren Intention! Trotz dieser logischen Unmöglichkeit hält GRICE an dem Ideal eines infiniten Regresses fest, obwohl ein solcher psychischer Zustand - wie er selbst sagt - bestenfalls von einem „Rilkeschen Engel" erfüllt werden könnte. Er begründet seine Annahme damit, dass es für die Stabilität unserer Kommunikation wünschenswert sei, solche unendliche Verschachtelung
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von psychischen Zuständen zumindest zu unterstellen. Das Fazit, das GRICE zieht, ist zusammengefasst das folgende: - Ein Sprecher, der mit dem, was er bei einer bestimmten Gelegenheit sagt, meint, dass p, ist in einem optimalen Zustand bezüglich der Tatsache, dass er kommuniziert, dass p. - Der optimale Zustand, in dem der Sprecher eine nicht abzählbare Menge von Intentionen hat, ist nicht realisierbar, so dass er - streng genommen - nicht meint, dass p. Doch befindet er sich in einer Situation, in der es notwendig und im Einzelfall sogar gerechtfertigt ist, dass wir ihn als jemanden ansehen, der diese unerfüllbare Bedingung erfüllt. Die Bedingung des optimalen Zustands garantiert die absolute Offenheit von Kommunikationsversuchen. (Vgl. dazu MEGGLE (1990a); (1990b).) Die Konsequenzen, die sich aus der kritischen Beschäftigung mit dem GRiCEschen Grundmodell ergeben, sind ziemlich unbefriedigend: Auf der einen Seite wird kommunikatives Handeln in einer so undurchschaubaren Weise durch Intentionenhierarchien verkomplizierend erklärt, dass sich die Objekte dieser Theorie, die normalen Sprecher, nie und nimmer wiedererkennen können; auf der anderen Seite wird der Begriff des kommunikativen Handelns auf ganz bestimmte Exemplare reduziert. Gibt es hier einen Ausweg? Gibt es eine Möglichkeit, zwischen beiden Extremen einen plausiblen (Mittel)weg zu finden? Ich werde im Folgenden einen solchen Vermittlungsvorschlag entwickeln. (Vgl. HARRAS (1982).) 3.1.4
Ein Vermittlungsvorschlag: das GRiCEsche Grundmodell muss nur um die STRAWSONBedingungen erweitert werden
In einem Punkt waren sich alle Diskutanten seit GRICE (1969; dt. 1979b) einig: das Grundmodell enthält die handlungslogisch notwendigen Bedingungen dafür, dass ein bestimmtes Tun einer Person S in Bezug auf einen Adressaten H als ein Kommunikationsversuch derart KV (S, H, f, r) aufgefasst werden kann. Die Kriterien, aufgrund derer man zu diesem Konsens gelangt, sind eindeutig und unproblematisch; meist han-
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delt es sich um Ausschlussverfahren von Fällen, in denen sich die jeweils gewünschte Adressatenreaktion sozusagen automatisch einstellt aufgrund einer quasi-natürlichen Bedeutung des von S benutzten Zeichens oder eingesetzten Mittels. Ein solcher Fall ist z.B. (vgl. GRICE (dt. 1979a), 7.): Herodes will, dass Salome vom Tod Johannes des Täufers erfährt. Zu diesem Zweck marschiert er mit dem abgeschlagenen Haupt des Johannes vor Salome auf und ab. Es ist klar, dass für diese das abgeschlagene Haupt allein als Indiz dafür ausreicht, dass Johannes tot ist (gewöhnlich ist der Kopf zum Leben unerlässlich!). Für diese Erkenntnis ist die Tatsache, dass Herodes das Haupt vorzeigt, völlig unerheblich - nicht seine Tätigkeit des Vorzeigens ist der Grund für Salomes Erkenntnis, sondern das, was er vorzeigt; das Vorgezeigte ,spricht' im wahrsten Sinn des Wortes ,für sich selbst'. Ein solch zufälliges Zusammenspiel zwischen einem Tun und seiner Wirkung ist jedoch bei Handlungen, die einen Partner mit einbeziehen, handlungslogisch auszuschließen. Damit soll dem makabren Treiben des Herodes keineswegs der Handlungscharakter abgesprochen werden, sondern nur der Charakter einer kommunikativen Handlung man könnte es als eine Interaktionshandlung des Vorführens oder der Demonstration eines unumstößlichen Sachverhalts auffassen. Das Herodesbeispiel und ähnliche (z.B. das Zeigen eines Bilds oder einer Fotografie mit der Absicht, dass der Adressat aufgrund des jeweils Abgebildeten in einer bestimmten Weise reagieren möge) lassen sich leicht ausschließen, ohne dass man - über die Kriterien zweckrationalen Handelns hinaus von den jeweiligen Sprechern bestimmte moralische Prinzipien und deren Einhaltung fordern müsste. Das GmcEsche Grundmodell ist der unumstritten deskriptive Bestandteil des Defmiens kommunikativer Handlungen. Alle darüber hinausgehenden theoretischen Forderungen enthalten dagegen ein normatives Element, und sei es nur als Inhalt einer rationalen Unterstellung: Klauseln, die Geheimhaltungs- und Täuschungsabsichten eines Sprechers ausschließen sollen. Ich halte dies nun weder für anrüchig noch für a priori unwissenschaftlich, nur sollte sich jeder Theoretiker dessen klar bewusst sein, d.h. er sollte abschätzen können, in welchem Umfang und mit welchem Maß er über unsere moralisch brüchige Alltagspraxis
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kommunikativen Handelns und Be-handelns zu Gericht sitzen will. Unter welchen - normativen - Voraussetzungen ist es nun sinnvoll und theoretisch vertretbar, das GRiCEsche Grundmodell um weitere Absichten zu ergänzen? Oder mit Verweis auf die skizzierte Diskussion gefragt: Soll man einen Fall wie den STRAwsoN/SiAMPEschen als einen Kommunikationsversuch derart: KV (S, H, f, r) gelten lassen? Dazu nochmal das Beispiel in einer sprachlichen Version: S hat eine rauschende Party gegeben. Es geht auf vier Uhr morgens. Alle Gäste bis auf H, der sich an der letzten Flasche Whisky gütlich tut, sind gegangen. S will nun auch H so langsam zum Aufbruch bewegen und dementsprechend aktiv werden. (Es gilt: (i) S will, dass H geht (ii) S will, dass H erkennt, dass (i) (iii) S will, dass Hs Erkenntnis von (i) zusammen mit seiner Aktion dazu führt, dass H geht) S gähnt nun geräuschvoll, seufzt abgrundtief und sagt zu seiner auch schon halb eingeschlafenen Frau: „Mein Gott, es ist ja schon gleich halb vier!" (Anmerkung: Es geht auch ohne die Ehefrau; S könnte auch gegen die Wand oder zu seinem Hund reden.) Obwohl hier, wie im STRAWSON/SiAMPE-Beispiel, alle GRICEschen Bedingungen erfüllt sind, würden wir selbst dann nicht von einem Kommunikationsversuch KV (S, H, f, r) reden wollen, wenn nur S und H im Raum sind (wenn also S eine Art Selbstgespräch vorgibt). Den Grund habe ich bereits bei der Besprechung des STRAwsoN/SxAMPE-Beispiels genannt: S verhindert sozusagen durch die Art und Weise seines Tuns Hs Erkenntnis, dass er mit ihm in der Absicht kommuniziert, um seinen Aufbruch herbeizuführen. Zugleich nimmt er H die Möglichkeit, sich auf seine Aktion als einen an ihn, H, gerichteten Kommunikationsversuch zu beziehen. Noch krasser formuliert: S handelt nicht vermittels einer Äußerung mit H, sondern er behandelt H mit einer Äußerung, ohne dass dieser die Möglichkeit hätte, gegen die Behandlung zu protestieren, ahn-
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lieh wie ein narkotisierter Patient hilflos dem Messer des Chirurgen ausgeliefert ist! Der normative Grund, die GuiCEschen Bestimmungen zu erweitern, dürfte jetzt hinreichend bekannt sein; man kann ihn akzeptieren oder auch nicht. Jedenfalls dürfte eine Argumentation über das Pro und Kontra nicht ohne weitere Prinzipien und Normen - und damit auch nicht ohne persönliche Werturteile - geführt werden können. Ich glaube jedoch kaum, dass ein Kommunikationstheoretiker, der sich nur halbwegs verantwortungsbewusst wissenschaftlich betätigt, verbale Übergriffsaktionen wie die oben skizzierte ernsthaft als einen Versuch ansehen wollte, mit dem ein S einen H durch ein f-Tun zu einer bestimmten Reaktion r bringen will, unter der Bedingung (das entspricht den GRiCEschen Bedingungen der Transparenz), dass - metaphorisch gesprochen - S den Weg von f zu r sozusagen gemeinsam mit H geht, d.h. ihm bei seinem f-Tun Einsicht gewährt in die Wegstrecke, die für ihn von f zu r führt, Genug der Moral und zurück zur Frage nach einem möglichen Ende von Intentionen. Wenn man sich die erörterten Überlegungen zur Intentionalität kommunikativen Handelns näher anschaut, fällt einem auf, dass in ihnen ausnahmslos eine ganz kurze Zeitspanne beleuchtet wird; nämlich die Zeitspanne zwischen einem unmittelbar vor f liegenden Zeitpunkt über den Zeitpunkt von f-Tun zum Zeitpunkt von r-Zeigen. Alles, was davor und danach sein könnte, bleibt im Dunkeln. Das bedeutet zugleich: Jeder Kommunikationsversuch wird isoliert von seiner möglichen Kommunikationsgeschichte betrachtet. Zugegeben, handlungslogisch sind in den verschiedenen Intentionen bereits epistemische (Glaubens-)Einstellungen von S und von S in Bezug auf H impliziert, und diese verweisen natürlich auf eine Art, von S zumindest unterstellter, Vorkommunikation zwischen S und H - und sei es nur auf der Basis gesellschaftlicher Konventionen oder Institutionen. Insofern könnte man sagen, dass jeder Kommunikationsversuch implizit eine Vorgeschichte enthält. Diese Auffassung halte ich für vertretbar: Der kommunikativ Handelnde tritt erst dann ins Rampenlicht der Theorie, wenn er sich anschickt, f zu tun. Problematischer scheint mir die Ausblendung nach dem r-Zeigen-Zeitpunkt zu sein. Wenn man fordert, dass der Weg von f zu r für S und H transparent sein muss, dann sollte dies auch
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rückblickend für den umgekehrten Weg von r zu f gelten. Rückblickend' soll hier heißen, dass nicht nur S sein primäres Handlungsziel r mit dem handlungslogisch nachgeordneten f verbindet, dass also S ohnedies zunächst die Wegstrecke r zu f zurücklegen muss, sondern dies soll auch heißen, dass H (und natürlich auch S) jederzeit, d.h. zu jedem nach dem Kommunikationsversuch liegenden Zeitpunkt, den Weg von r (oder Hs Erkenntnis von r) zu f zurückgehen kann. Und dies heißt im Grund nichts anderes, als dass S und H jederzeit über S' Kommunikationsversuch wiederum in Kommunikation treten können. Dies setzt auch voraus, dass f-Tun von S für beide Kommunikationspartner als ein ganz bestimmter Kommunikationsversuch KV (S, H, f, r) gilt. Erst dann ist die Möglichkeit einer Nachgeschichte garantiert; das Lächeln des Angestellten und die Zeitbemerkung des Partygebers sollen eben keine Nachgeschichte haben. Für S bedeutet diese Bedingung ganz einfach, dass ihm die Verantwortung für seinen Kommunikationsversuch zugeschrieben werden können muss (eine ganz prinzipielle Bedingung für jede Art von Handlung). Mit dieser Forderung bzw. Bedingung sehe ich auch das Ende des Defmiens der Intentionalität kommunikativen Handelns: Wenn die Möglichkeit der Kommunikation über KV (S, H, f, r) garantiert ist, dann auch für H die Möglichkeit, Verheimlichungs- und Täuschungsabsichten von S aufzudecken, wenn das vielleicht auch im Einzelfall nicht immer gelingt. Mehr kann ich als Kommunikationstheoretiker nicht tun: Ich kann qua Theorie nicht alle Täuschungsabsichten, die ein S möglicherweise haben könnte, ausschließen; ich kann aber meine Theorie so machen, dass sie die Möglichkeit zur Aufdeckung aller denkbaren Täuschungsmanöver garantiert. Diese Garantie ist durch die Bedingung gegeben, dass jeder Kommunikationsversuch KV (S, H, f, r) die Möglichkeit einer Nachgeschichte derart haben muss, dass S als verantwortlich Handelnder jederzeit zur Rechenschaft gezogen werden kann. Diese Bedingung entspricht inhaltlich der STRAWSONBedingung.
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3.1.5
Intentionalität sprachlichen Handelns
Exkurs: Eine semiotische Reformulierung des Kommunikationsbegriffs
In der Debatte über die GRiCEsche Explikation des Kommunikations- und damit auch des Zeichenbegriffs sind wir immer wieder auf das Problem gestoßen, intentionale kommunikative Handlungen so zu bestimmen, dass sie nicht auch als Anzeichen, als Symptom für eine Hörerreaktion gedeutet werden können. Die Schwierigkeit bestand darin, die gesamte Handlung intentional zu verrechnen. POSNER (1993) hat einen interessanten Versuch unternommen, den Begriff des kommunikativen Handelns als eine Kombination aus kausalen und intentionalen Prozessen zu charakterisieren. Zunächst werden fünf Typen von Prozesszeichen aus der Perspektive eines Empfängers formuliert: (1) E(f)->E(e) Das Auftreten eines Ereignisses f hat kausal das Auftreten eines Ereignisses e zur Folge: Kausalprozess (2) E(f)-T(a,r) Das Auftreten eines Ereignisses f löst bei einem reagierenden System, einem Adressaten a ein bestimmtes Verhalten r aus: Signalprozess (3) E(f)-G(a,p) Das Auftreten eines Ereignisses f löst bei einem Adressaten a den Glauben, dass p, aus: Anzeichenprozess (4) E(f) - G(a,Z(b)) Das Auftreten eines Ereignisses f löst bei einem Adressaten a den Glauben aus, dass sich ein bestimmtes reagierendes System b in einem bestimmten Zustand Z befindet: Ausdrucksprozess (5) E(f) -> (G(a,I(b(T,b(r))) Das Auftreten eines Ereignisses f löst bei einem Adressaten a den Glauben aus, dass ein bestimmter Sprecher b die Absicht hat, r zu tun: Gestenprozess Die fünf elementaren Typen von Prozesszeichen sind Empfängerzeichen. Zur Bestimmung von Senderzeichen muss die Zeichendefinition erweitert werden (vgl. CEBULLA (1995).). Empfängerzeichen sind als Spezialfälle von Kausalprozessen
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dargestellt; Senderzeichen werden als Spezialfälle von absichtsvoll herbeigeführten Kausalprozessen dargestellt, d.h. als Handlungen, die so notiert werden: (6) T(b,f) & I[b,E(f) - E(c)] f-Tun von b geschieht in der Absicht, mit f-Tun eine Wirkung e herbeizuführen Je nachdem, worauf sich die Intention des Handelnden richtet, werden vier Typen von Handlungen unterschieden: (7) T(b,f) & I[b,E(f) - T(a,r)] f-Tun von b geschieht in der Absicht, mit f-Tun zu bewirken, dass der Adressat a r tut: Signalisierungshandlung (8) T(b,f)&I[b,E(f)->G(a,p)] f-Tun von b geschieht in der Absicht, mit f-Tun zu bewirken, dass der Adressat a glaubt, dass p: Anzeigehandlung (9) T(b,f) & I[b,E(f) - G(a,Z(b))] f-Tun von b geschieht in der Absicht, mit f-Tun zu bewirken, dass der Adressat a glaubt, dass sich b in einem bestimmten Zustand Z befindet: Ausdruckshandlung (10) T(b,f)&I[b,E(f)-G(a,I(b,T(b,r)))] f-Tun von b geschieht in der Absicht, mit f-Tun zu bewirken, dass der Adressat a glaubt, dass b beabsichtigt, r zu tun: Gestikulierhandlung Senderzeichen enthalten in dieser Darstellung Empfängerzeichen als konstitutive Bestandteile. Wenden wir jetzt dieses Inventar auf ein typisches GRiCEsches Gegenbeispiel an, STRAWSONS kriecherischen Angestellten. Der besseren Verständlichkeit willen ist es im Folgenden noch einmal wiedergegeben: Ein Angestellter spielt mit seinem Chef Bridge. Er will sich bei seinem Chef lieb Kind machen und will daher, dass sein Chef denkt, er will, dass dieser gewinnt. Er will jedoch nichts tun, was allzu penetrant wäre, wie ihm seine Absicht durch ein direktes Signal zu verstehen zu geben; eine solche Kriecherei würde seinem Chef nicht passen. Also macht er sich an die Verwirklichung des folgenden Plans: Wenn er gute Karten hat, lächelte er - und zwar so, dass sein Lächeln einem ganz spontanen Lächeln zwar sehr ähnlich sieht, aber eben doch nicht so ganz. Dieser Unterschied soll von seinem Chef bemerkt werden, woraufhin dieser die folgende Überlegung anstellen soll: ,Das war kein spontanes Lächeln - er tut nur so, als sei er spontan. Das könnte nun einfach ein Versuch sein,
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Intentionalität sprachlichen Handelns
mich reinzulegen (vielleicht hat er in Wirklichkeit schlechte Karten). Wir spielen nun aber nicht Poker, sondern Bridge. Und er würde seinen Chef nicht durch eine derartige Ungehörigkeit aufs Kreuz legen wollen. Also hat er vermutlich gute Karten; und da er mich gewinnen lassen will, wird er gehofft haben, dass ich dadurch darauf komme, dass er gute Karten hat, dass ich sein Lächeln für spontan halte. Nun, da dem so ist, werde ich nicht weiter reizen.'
Aus der Perspektive des Adressaten a kann man mit dem obigen Inventar den Fall so interpretieren: - den erfreuten Gesichtsausdruck deutet a als Anzeichen dafür, dass er gute Karten hat. Dies stellt einen Anzeichenprozess dar und ist klar ein Fall von GRiCEScher natürlicher Bedeutung. - a betrachtet den Angestellten als jemanden, der beabsichtigt, ihn mit einem scheinbar spontanen Lächeln zu dem Glauben zu bringen, er habe gute Karten. Der Angestellte b führt also eine Anzeigehandlung aus, wie in (8) notiert: (8) T(b,f) & I[b,E(f) - G(a,p)] - Wenn nun - wie in dem Beispiel angenommen - die Möglichkeit besteht, dass der Adressat an den schauspielerischen Fähigkeiten des Sprechers zweifelt, dann löst dessen Verhalten keinen Anzeichenprozess mehr aus, sondern wird von ihm als Anzeichen einer Anzeigehandlung gedeutet werden. Aufgrund dieser Erkenntnis wird der Chef zu dem Glauben kommen, dass sein Angestellter beabsichtigt, eine Anzeigehandlung auszulösen: (11)
E(f) - G[a,T(b,f) & I(b,E(f) - G(a,p))] Das Lächeln des Angestellten bewirkt, dass a glaubt, dass b absichtlich lächelt und damit bewirken will, dass a glaubt, dass b gute Karten hat.
Die Formel (11) ist aus zwei Zeichenprozessen zusammengesetzt: In einen Anzeichenprozess ist eine Anzeigehandlung eingebettet, vgl.: E(f) ->· G(a
T(b,f) & I(b,f) -+ G(a,p)) Anzeigehandlung
Anzeichenprozess
Komplexe Intentionen
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In dieser Darstellung wird intentionales Handeln als Ausbeutung primärer Zeichenprozesse gedeutet. In der Geschichte des Angestellten hat der Chef nun noch eine weitere Deutungsmöglichkeit, die auch die von STRAWSON präferierte war: Der Chef kann den in (11) notierten komplexen Anzeichenprozess als einen intendierten interpretieren, d.h. er kann das folgende Räsonnement anstellen: Indem mein Spielpartner ein spontanes Lächeln zeigt, das doch nicht ganz so spontan erscheinen soll, beabsichtigt er, in mir den Glauben zu erwecken, dass er beabsichtigt, mir die Qualität seiner Karten anzuzeigen. In diesem Fall ist das Verhalten des Angestellten als das Anzeigen einer Anzeigehandlung aufzufassen: (12)
T(b,f) & I[b,E(f) - G(a,T(b,f) & I(b,E(f) - G(a,p)))] b zeigt durch sein Lächeln an, dass er beabsichtigt, dass a glaubt, dass er durch sein Lächeln beabsichtigt, dass a glauben soll, dass er gute Karten hat.
Komplexe Zeichenhandlungen unterscheiden sich von elementaren durch unterschiedliche Erfolgsbedingungen (vgl. POSNER (1993); CEBULLA (1995).). Eine elementare Anzeigehandlung wie (8) ist dann erfolgreich, wenn der beabsichtigte Anzeichenprozess stattfindet, d.h. wenn der Adressat zu einer bestimmten Überzeugung kommt. Die komplexe Anzeigehandlung ist dann erfolgreich, wenn der Adressat die Absicht, eine Anzeigehandlung auszuführen, erkennt. Mit komplexen Zeichenhandlungen wie (12) werden zwei Intentionen miteinander verknüpft: die Intention, eine bestimmte Überzeugung hervorzurufen - dies entspricht der GRiCEschen primären Intention und eine Intention, die Art und Weise des Zustandebringens der Adressatenüberzeugung anzuzeigen - dies entspricht der ersten kommunikativen Intention bei GRICE. Die zweite Intention hat in der semiotischen Konzeption eine indexikalische Funktion: „Die Anzeige einer Anzeigehandlung hat (...) die gleichen Konsequenzen wie die tatsächlich vollzogene Anzeigehandlung gehabt hätte." (CEBULLA (1995), 213.) Der Erfolg der komplexen Zeichenhandlung bewirkt den Erfolg der elementaren; auf diesen Zusammenhang muss sich der Handelnde verlassen. In der semiotischen Reformulierung wird dies dadurch repräsentiert, dass dem Handelnden diese Überzeugung zugeschrieben wird. Inhaltlich stimmt sie mit der zweiten
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Intentionalität sprachlichen Handelns
GniCEschen kommunikativen Intention überein, ist allerdings im Einstellungsmodus des Glaubens und nicht des Wollens formuliert, vgl.: (13) T(b,f) & I[b,E(f) - G(a,T(b,f) & I(b,E(f) - G(a,p)))] & G(b,E(f) - G(a,T(b,f) & I(b,f) - G(a,p))) & (E(f) G(a,p))] B zeigt durch f-Tun an, dass er die Absicht hat, bei a den Glauben hervorzurufen, dass p und b glaubt, dass f aufgrund dessen, dass a glaubt, dass b mit f-Tun die Absicht hat, bei a den Glauben von p herbeizuführen, auch tatsächlich bewirkt, dass a p glaubt. Man kann es auch etwas einfacher so ausdrücken: (13) enthält die drei Bedingungen: Bedingung A: Der Handelnde beabsichtigt, dass der Adressat seine Mitteilungsabsicht versteht. Bedingung B: Der Handelnde beabsichtigt, dass der Adressat seine Mitteilung, die Botschaft, versteht. Bedingung C: Der Handelnde ist der Überzeugung, dass das Verstehen der Mitteilungsabsicht das Verstehen der Mitteilung bewirkt. Ist Bedingung A erfüllt, ist der kommunikative Akt zustande gekommen; ist Bedingung B aufgrund der Erfüllung von A erfüllt, ist die Handlung erfolgreich (vgl. CEBULLA (1995).). Mit dieser Konzeption wird auch deutlich, dass in kommunikativen Handlungen auch elementare Zeichenprozesse kausaler Natur involviert sind bzw. sein können, vgl.: Der Sender verzichtet darauf, den Adressaten mittels eines der elementaren Zeichenprozesse direkt zu einer bestimmten Reaktion zu bringen; statt dessen verläßt er sich darauf, daß der Adressat so handelt, als ob der elementare Zeichenprozeß stattgefunden hätte, weil er per Anzeigeprozeß von der Intention des Sprechers unterrichtet wurde, einen solchen elementaren Zeichentyp zu produzieren. Kommunikationsakte zeichnen sich dadurch aus, daß die Wirkungen elmentarer Zeichenprozesse durch den Vollzug komplexerer verursacht werden sollen. (CEBULLA (1995), 214.)
Die semiotische Reformulierung des Handlungsbegriffs ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Im GRiCEschen Grundmodell war die zweite kommunikative Absicht im intentionalen Modus repräsentiert, in der semiotischen Konzeption ist sie
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im Glaubens-, im epistemischen, Modus repräsentiert. Intentionen bedürfen nun keiner Rechtfertigung, Überzeugungen sehr wohl. Die Frage ist: Welche Rechtfertigung könnte die Überzeugung des Handelnden bezüglich des Verstehens des Adressaten haben? POSNER (1993) und CEBULLA (1995) führen sie auf eine Lswissche Konvention zurück. In Bezug auf das Ziel der Verständigung haben die Handelnden prinzipiell zwei Möglichkeiten: Sie können sich nicht-kommunikativ verhalten, mit primären Zeichen handeln, oder sie können sich kommunikativ verhalten, mit komplexen Zeichen handeln. Sie befinden sich also in einer Situation, in der ein koordinatives Gleichgewicht ihrer Handlungen hergestellt werden muss. Wenn sich die Handelnden kooperativ verhalten, werden sie ihr Verhalten mit den Erwartungen, die die übrigen Mitglieder ihrer Gruppe hegen, koordinieren. Sie werden sich also auf eine Verhaltensweise festlegen, und da die Verständigung erheblich erleichtert wird, wenn sie sich kommunikativ verhalten, werden sie eine entsprechende Konvention ausbilden, die die Erwartungen der Handelnden reguliert und im Einzelfall die Rechtfertigung für die Überzeugung der Art des Zustandekommens von beabsichtigten Wirkungen beim Adressaten liefert. Es erhebt sich allerdings angesichts dieser konventionalistischen Überformung der Bestimmung des Handlungsbegriffs die Frage, ob damit nicht der intentionalistische Ansatz überhaupt obsolet geworden ist! Mit dieser Frage werden wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. Fassen wir zusammen: (1) Kommunikative Handlungen können als komplexe Zeichenhandlungen aufgefasst werden, die elementare Zeichentypen, kausale Prozesse, enthalten. (2) Komplexe Zeichenhandlungen unterscheiden sich von elementaren durch unterschiedliche Erfolgsbedingungen. (3) Komplexe Zeichenhandlungen sind durch zwei Intentionen - die primäre und die erste kommunikative Intention bei GRICE - und eine Sprecherüberzeugung charakterisiert. Die Berechtigung zu dieser Überzeugung ist in einer LEWisschen Konvention begründet, so dass sich die Frage erhebt, ob man dann nicht auf den intentionalistischen Ansatz verzichten kann.
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Intentionalität sprachlichen Handelns
3.2
Verstehen des illokutionären Akts als wesentliche S-Intention
3.2.1
SEARLES Kritik an GRICE
In seinem Buch „Speech Acts" (1969; dt. 1971) geht SEARLE ausführlich auf den GRiCEschen Mechanismus ein, den er im Wesentlichen versteht als einen Bestimmungsversuch der Bedeutung einer Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Absicht, einen perlokutionären Akt zu vollziehen. Dagegen erhebt SEARLE zunächst zwei prinzipielle Einwände (SEARLE (dt. 1971), 68 ff): (1) etwas zu sagen und es im GRiCEschen Sinn zu meinen, ist nicht notwendig mit der Absicht verknüpft, einen perlokutionären Akt zu vollziehen; dagegen ist es immer notwendig mit der Absicht verknüpft, einen illokutionären Akt zu vollziehen; (2) einen illokutionären Akt vollziehen heißt immer, Wörter in einer bestimmten Bedeutung zu sagen (AUSTIN: einen rhetischen Akt zu vollziehen); in dem GRiCEschen Mechanismus wird aber der Zusammenhang zwischen der Bedeutung einer Äußerung und dem, was der Sprecher mit ihr meint, überhaupt nicht beachtet. Besonders um die Wichtigkeit des letzten Einwands zu demonstrieren, gibt SEARLE ein weiteres Konterbeispiel zu GRICE (vgl. SEARLE (dt. 1971), 70.): Nehmen wir einmal an, ich sei ein deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg und von italienischen Truppen gefangengenommen worden! Und nehmen wir außerdem an, daß ich diese Truppen glauben machen möchte, ich sei ein deutscher Soldat, damit sie mich freilassen. Ich würde ihnen also gern auf deutsch oder italienisch sagen, daß ich ein deutscher Soldat bin. Aber nehmen wir einmal an, daß ich dafür nicht genügend Deutsch oder Italienisch kann. Also versuche ich ihnen vorzuspielen, ich würde ihnen sagen, daß ich ein deutscher Soldat sei, und zwar dadurch, daß ich das bißchen Deutsch vortrage, das ich kenne, in der Hoffnung, daß sie nicht genügend Deutsch können, um meinen Plan zu durchschauen. Nehmen wir an, ich erinnere mich nur an eine Zeile eines deutschen Gedichts, das ich im Deutschunterricht auf der Höheren Schule auswendig lernen mußte. Also rede ich, ein gefangener Amerikaner, die Italiener, die mich gefangengenommen haben, mit den folgenden Worten an: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?".
Verstehen des illokutionären Akts
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In diesem Beispiel sind die GmcEschen Bedingungen wie folgt erfüllt: (1) S (der gefangene Amerikaner) tut f (äußert: „kennst du ...") (2) S beabsichtigt mit f-Tun, dass H (die Italiener) glaubt, dass S ein deutscher Soldat ist (3) S beabsichtigt mit f-Tun, dass H (2) erkennt (4) S beabsichtigt mit f-Tun, dass H aufgrund der Erkenntnis von (2) glaubt, dass S ein deutscher Soldat ist Aber - so SEARLE - kann man für dieses Beispiel behaupten, dass S mit „kennst du das Land ..." ,meint': „ich bin ein deutscher Soldat"? Ist die Verknüpfung dieser Äußerung mit der Intention, H soll glauben, S sei ein deutscher Soldat, nicht völlig an die Umstände gebunden, unter denen sie getan wird? Wird unter solchen Voraussetzungen die Bedeutung einer Äußerung nicht „in eine Ebene mit den Umständen gestellt"? (SEARLE (dt. 1971), 71.) Eine solche unsystematische Beliebigkeit der Bedeutung einer Äußerung muss eine Analyse des Bedeutungsbegriffs ausschließen: Deshalb müssen wir die GmcEsche Bestimmung des Begriffs der Bedeutung so formulieren, daß daraus hervorgeht, daß das, was jemand meint, wenn er einen Satz äußert, mehr als bloß zufällig auf das bezogen ist, was der Satz in der jeweils gesprochenen Sprache bedeutet. (SEARLE (dt. 1971), 72.)
Mit dieser Umformulierung der Bedeutung ist bei SEARLE allerdings auch eine Uminterpretation des Ausdrucks „meinen" verbunden: In der Grätschen Konzeption meinen Sprecher etwas, in der SEARLEschen Umformulierung wird „to mean" auf die sprachlichen Ausdrücke bezogen. Nun bedeutet der Ausdruck „kennst du das Land ..." nicht „ich bin ein deutscher Soldat". GRICE hat in einer Replik auf SEARLE (1989c) erwidert, das Beispiel des gefangenen Amerikaners falle überhaupt nicht unter seinen Begriff des nicht natürlichen Meinens: Die Italiener könnten das Sprechen des Gefangenen als ein Anzeichen dafür auffassen, dass er sich als jemand Bestimmtes zu erkennen geben will, oder sie könnten aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen deutschen Satz handelt - soviel erkennen sie - schließen, dass der Sprecher ein deutscher Soldat ist. In all solchen Fällen handelt es sich aber um Fälle von natürlicher Bedeutung (vgl. ROLF (1994).).
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Intentionalität sprachlichen Handelns
Der zweite von SEARLE vorgebrachte Einwand gegen GRICE bezieht sich auf die Art und Weise von Sprecherabsichten: Diese werden auf die S-Absicht, dass H den illokutionären Akt versteht, reduziert. Eine Analyse des Verstehens muss - SEARLE zufolge - immer auf das Verstehen der Bedeutung des geäußerten Satzes zurückgreifen und damit auch auf die Regelkenntnis, die die Sprecher dazu befähigt, diese Bedeutung zu erkennen. Seine revidierte Analyse des GRiCEschen Mechanismus enthält dann die folgenden Bestimmungen (vgl. SEARLE (dt. 1971), 78 f.): S äußert einen bestimmten Satz T und meint aufrichtig, was er sagt, wenn gilt: (a) S beabsichtigt mit dem Äußern von T, dass H erkennt, dass bestimmte Sachlagen bestehen, die durch bestimmte für T geltende Regeln spezifiziert sind; (Die S-Absicht zielt auf einen Effekt, den SEARLE den illokutionären Effekt nennt. „Sachlagen" (,states of affairs') sind Tatsachen, die durch eine Äußerung zustande kommen, wie z.B. ,gegrüßt werden' durch den illokutionären Akt des Grüßens (SEARLE (dt. 1971), 77.); ,Pflicht zur Ausführung einer Handlung' durch den illokutionären Akt des Versprechens (SEARLE (dt. 1971), 93.); ,Versuch, jemanden zum Handeln zu veranlassen' durch den illokutionären Akt der Aufforderung (SEARLE (dt. 1971), 100.)) (b) S beabsichtigt, dass die Äußerung den illokutionären Effekt vermittels der Erkenntnis der Intention (a) bewirkt; (c) S beabsichtigt, dass die Intention (a) aufgrund von Hs Kenntnis der Regeln für den geäußerten Satz T erkannt wird. Diese Analyse ist in zwei Hinsichten fragwürdig (vgl. SCHWAB (1980), 12f): (1) Bei seiner Bestimmung illokutionärer Akte formuliert SEARLE für die Gruppe der Äußerungen, die sich auf Handlungen des Adressaten beziehen - also für Aufforderungen - die Sprecherintention im AusTiNschen Sinn perlokutionär: die S-Absicht ist darauf gerichtet, dass H etwas Bestimmtes tun soll. (SEARLE (dt. 1971), 100.: die Aufforderung „gilt als ein Versuch, H dazu zu bringen, A zu tun.") SEARLE vertritt die gleiche Auffassung wie AUSTIN: Einige illokutionäre Akte haben perlo-
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kutionäre Ziele, andere nicht. (Vgl. SEARLE (dt. 1971), 113.) Also reduziert er die Intentionalität auf die Intention, die für alle Äußerungen gleichermaßen gilt: die S-Absicht, dass H die Äußerung (als eine ganz bestimmte illukutionäre) versteht. Damit bleibt seine Analyse allerdings - zumindest für die Gruppe der Aufforderungsäußerungen - unvollständig. (2) Der Witz des GRiCEschen Mechanismus besteht - wie wir gesehen haben - gerade darin, dass die primäre S-Absicht, bei H eine bestimmte Reaktion r zu bewirken, vermittelt ist durch die sekundäre S-Absicht, bei H die Erkenntnis seiner primären Absicht zu bewirken. Für das Verstehen eines illokutionären Akts im SEARLESchen Sinn ist jedoch gar keine solche sekundäre Intention erforderlich (vgl. SCHWAB (1980), 13.): H benötigt nur die Kenntnis der Regeln für das Vollziehen illokutionärer Akte. Die Intention ergibt sich für ihn aus seiner Regelkenntnis sowie seiner Unterstellung von S' Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit des Äußerns. Wenn aber durch die Regelhaftigkeit einer Äußerung die entsprechende Sprecherabsicht bereits notwendig festgelegt ist, dann ist Bedingung (b) der SEARLEschen Analyse überflüssig. Wir können also die intentionale Bestimmung illokutionärer Akte, wie sie SEARLE vornimmt, einmal als unvollständig und zum ändern als zu reichhaltig kritisieren: Unvollständig ist sie deshalb, weil, wie SEARLE zugibt, mit einigen illokutionären Akten wie Aufforderungen perlokutionäre Ziele verfolgt werden, diese aber bei ihm unberücksichtigt bleiben; zu reichhaltig ist die Bestimmung deshalb, weil die Regelkenntnis von H sowie seine Unterstellung der Ernsthaftigkeit des S-Äußerns allein ausreichen, um H's Erkennen der S-Absicht zu gewährleisten. 3.2.2
Das Verstehen illokutionärer Akte als konventionale Verhaltensdisposition: SAVIGNYS zuhörerbezogene Analyse des Bedeutungsbegriffs
SEARLES Analyse hat sich trotz Berufung auf das GRiCEsche Grundmodell von dessen Zweck sehr weit entfernt: Während GRICE erklären wollte, was es heißt, dass ein Sprecher mit einer Äußerung etwas Bestimmtes meint, beschränkt sich SEARLE im Wesentlichen auf die Frage, in welcher Weise eine Äußerung
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aufgrund der Regelhaftigkeit des geäußerten Satzes eine Bedeutung für den Sprecher und seinen Adressaten hat. Der Schwerpunkt der Analyse liegt also auf der Bedeutung, die ,eine Äußerung hat' und nicht auf der adressatenbezogenen Intentionalität, die ein Sprecher mit seiner Äußerung verbindet. Das Problem der Intentionalität ist damit zu einem Problem der Regelhaftigkeit oder Konventionalität sprachlicher Äußerungen geworden. SAVIGNY widmet sich ausschließlich dem Problem der konventionalen Bedeutung von Äußerungen, allerdings unter einer anderen Perspektive, als es bei den bisher erörterten Meinenskonzepten der Fall war. Dessen Bestimmungen waren immer im Kontext eines jeweiligen Sprechers formuliert: ,S beabsichtigt, dass H ...'. Grundsätzlich kann man sprachliche Äußerungen unter drei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten (vgl. SAVIGNY (21980), 262f.; SAVIGNY (1983), 22f.): - unter dem Gesichtspunkt eines jeweiligen Sprechers; die Bedeutung einer Äußerung ist davon abhängig, was der Sprecher mit ihr meint; - unter dem Gesichtspunkt eines jeweiligen Adressaten; die Bedeutung einer Äußerung ist davon abhängig, wie sie der Adressat versteht; - unter dem Gesichtspunkt eines (nicht angesprochenen) Zuhörers; die Bedeutung einer Äußerung ist davon abhängig, wie man sie zu verstehen hat. Unter diesem Gesichtspunkt wird also der Sprecher-Adressat-Dualismus aufgehoben; es wird von der Rolle, die ein Sprachteilnehmer in einem aktuellen Kommunikationsgeschehen jeweils einnimmt, abstrahiert. Der Zuhörer kann als Sprecher und als Adressat und als nicht angesprochener Zuhörer gedacht werden. ,Wie man eine Äußerung zu verstehen hat' heißt dann sowohl wie man eine Äußerung in einer bestimmten Situation verwendet als auch wie man sie versteht, sei es als Adressat, sei es als nicht angesprochener Zuhörer. SAVIGNY analysiert den Bedeutungsbegriff unter dem dritten Gesichtspunkt. Seine Fragestellung ist zunächst die folgende: Was heißt: versteht so-und-so?, wobei für einen Zuhörer im oben erläuterten Sinn und für eine Äußerung steht. Eine
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erste Antwort auf die Frage lautet: „Y hat bezüglich diejenige Verhaltensdisposition, welche das so-und-so-verstehen von ausmacht." (SAVIGNY (21980), 263.) SAVIGNY gibt dazu ein nichtsprachliches Beispiel, das aber auch auffalle sprachlicher Äußerungen übertragbar sein soll. (Vgl. auch SAVIGNY (1980), 100.). „Y versteht das Anblinken des im Gegenverkehr abwartenden Linksabbiegers als Aufforderung zum Abbiegen." Diese Behauptung trifft auf Y nur dann zu, wenn für ihn eine Reihe von Sätzen gelten wie (SAVIGNY (21980), 263.): Für Y als S: ,Wenn er jemanden so anblinkt und stehen bleibt, wird er warten, bis der Angeblinkte abgebogen ist.' ,Wenn er jemanden so anblinkt und noch ziemlich weit von ihm entfernt ist, wird er nötigenfalls seine Geschwindigkeit herabsetzen.' Für Y als H: ,Wenn er so angeblinkt wird und die Straße in beiden Richtungen einspurig ist, wird er abbiegen.' ,Wenn er so angeblinkt worden ist und abbiegt und dabei mit dem weiterfahrenden Anblinkenden zusammenstößt, wird er sich beklagen.'
Für Y als nicht-angesprochenen Zuhörer: ,Wenn er als Fußgänger im Begriff ist, die Seitenstraße zu überqueren, in welche der Angeblinkte einbiegen möchte, wird er warten.' Mit solchen und ähnlichen Sätzen wird die Verhaltensdisposition beschrieben, die Y hat, wenn er so-und-so versteht. Sie sind „Manifestationsgesetze", die durch wenn-dann-Formulierungen ausgedrückt werden. (SAVIGNY (21980), 264.). Der wenn-Satz beschreibt eine Situation, in der sich jemand befindet, der die Disposition hat (z.B. angeblinkt zu werden und Einspurigkeit der Straße); der dann-Satz beschreibt, wie dieser sich verhält (z.B. er biegt ab). Die Anzahl solcher Manifestationsgesetze, die zur Beschreibung einer Verhaltensdisposition jeweils notwendig sind, lässt sich nicht endgültig festlegen; sie muss offen bleiben, da es immer neue Situationen geben kann bzw. solche denkbar sind, in denen die betreffende Disposition zu einem bestimmten Verhalten führt.
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Intentionalität sprachlichen Handelns
Zum Beispiel können wir heute nicht angeben, wie in Zukunft mögliche Verkehrssituationen aussehen könnten, in denen wir ein bestimmtes Verhalten als charakteristisch dafür akzeptieren würden, daß jemand das beschriebene Anblinken als Aufforderung zum links-Abbiegen versteht. (SAVIGNY (21980), 267.)
Mit der bisherigen Analyse ist nur in einem eingeschränkten Sinn auf den Zuhörer eingegangen worden. Dieser war als ein einzelner Sprecher/Hörer verstanden. In einem nächsten Schritt weitet SAVIGNY deshalb seine Analyse auf jeden einer Sprachgemeinschaft aus, also auf die Bedeutung in einer Gruppe oder - wie er sagt - die Bedeutung in einer Konvention (SAVIGNY (21980), 268.): hat in der Konvention K die Bedeutung so-und-so heißt: Es ist in der Konvention K richtig, so-und-so zu verstehen. Wenn man die Antwort auf die Frage: „was heißt: versteht so-und-so?" in die obige Formulierung einsetzt, erhält man: Es ist in der Konvention K richtig, bezüglich diejenige Disposition zu haben, welche das so-und-so-Verstehen von ausmacht. Was soll nun aber heißen, dass es richtig ist, eine bestimmte Disposition zu haben? Im Fall von expliziten Konventionen, also solchen, die irgendwo kodifiziert sind wie Gesetze, der Knigge, Stilgrammatiken oder Spielregeln des internationalen Fußball- oder Skatbundes ist die Frage nach der Richtigkeit leicht zu beantworten: Man muss nur die entsprechenden Paragraphen vergleichend heranziehen. Für Sprachen gelten aber keine expliziten Konventionen. Man muss also - so SAVIGNY die Richtigkeit eines Verhaltens V in einer Situation S dadurch erklären, dass man sagt, wie sich die Mitglieder der Gruppe, in der K gilt, bezüglich V in S verhalten. SAVIGNY formuliert drei Bedingungen eines solchen Gruppenverhaltens (SAVIGNY (21980), 270; SAVIGNY (1983), 34.): Es gilt in einer Gruppe als richtig, in der Situation S das Verhalten V aufzuweisen heißt: (a) Mitglieder der Gruppe weichen in S selten offen von V ab; (b) wenn sie davon abweichen, sind sie Sanktionen seitens der anderen Gruppenmitglieder ausgesetzt; (c) die Sanktionen werden im Allgemeinen akzeptiert.
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Mit (a) bis (c) wird das implizite Gelten einer Regel erläutert; (a) bis (c) sind Bedingungen dafür, dass eine Regel in Bezug auf V in S gilt. (Vgl. SAVIGNY (21980), 270; SAVIGNY (1983), 34.) Zusammengefasst beruht die SAviGNYsche Analyse auf den folgenden beiden Überlegungen: (1) das Verstehen einer Äußerung (im Sinn von: wie man zu verstehen hat) besteht in einer Verhaltensdisposition der Sprecher, die die Äußerung produktiv oder rezeptiv gebrauchen. Die Verhaltensdisposition lässt sich durch eine unabgeschlossene Menge von wenn-dann-Sätzen beschreiben; (2) die Menge der situationsabhängigen Verhaltensweisen, die eine bestimmte Verhaltensdisposition ausmachen, ist in der betreffenden Sprachgemeinschaft die erwartete; weichen die Mitglieder von ihr ab, sind sie allgemein akzeptierten Sanktionen ausgesetzt. Die Konvention legt also die Verhaltensdisposition fest, die das Verstehen der Äußerung ausmacht. Im Gegensatz zu GRICE, STRAWSON, SCHIFFER, BENNETT und - zumindest seiner Formulierung zufolge - auch SEARLE erklärt SAVIGNY das Verstehen einer Äußerung als so-und-so nicht durch adressatenbezogene Intentionen eines Sprechers, sondern durch Konventionen, die in einer Sprachgemeinschaft gelten, allein. Damit werden Äußerungen im Wesentlichen als Instrumente einer sozialen Normierung von Folgeverhalten aufgefasst. (Vgl. SCHWAB (1980), 16.) Der Verstehensbegriff, den SAVIGNY seiner Analyse zugrunde legt, ist allerdings sehr viel weiter gefasst als bei AUSTIN und SEARLE, denen zufolge ein Adressat eine Äußerung dann verstanden hat, wenn er die illokutionäre Rolle der Äußerung kennt. Eine Äußerung als so-und-so verstehen heißt bei SAVIGNY darüber hinaus, dass sich der Sprecher aufgrund einer geltenden Konvention auf ein bestimmtes situationsabhängiges Folgeverhalten festlegt. Ob jemand eine Äußerung tatsächlich verstanden hat, lässt sich durch seine Handlungen feststellen, die auf die betreffende Äußerung folgen.
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3.3
Intentionalität sprachlichen Handelns
Kommunizieren - ein Balanceakt zwischen Intention und Konvention oder: der Sprecher als riskantes Subjekt
Die hier erörterten Konzepte von Meinen und Verstehen lassen sich - um es noch einmal zusammenzufassen - in zwei Großgruppen einteilen: (1) die Gruppe der intentionalistischen Konzepte wie die von GRICE, STRAWSON, SCHIFFER, BENNETT, KEMMERLING und MEGGLE. Allen Konzepten gemeinsam ist die Annahme, dass ein Sprecher eine primäre Intention hat, beim Adressaten eine bestimmte Wirkung hervorzubringen und dass ein Sprecher sekundäre Intentionen unterschiedlicher Komplexität hat, die sich auf das Erkennen der primären und sekundären Intentionen durch den Adressaten beziehen; (2) die Gruppe der konventionalistischen Konzepte wie die von SEARLE und SAVIGNY, in denen die Intention auf das Verstehen des Adressaten beschränkt und auf dem Hintergrund von Regelkenntnis oder geltenden Konventionen bestimmt wird. Für die erste Gruppe gilt zusätzlich, dass mehr oder weniger implizit ein konventionaler Rahmen (oder Üblichkeit) unterstellt wird. Alle Konzepte erwecken - so wie sie formuliert sind - den Eindruck, als wollten sie eine vollständige Analyse ihres Gegenstands liefern, ob dieser nun als ,Meinen', als ,Kommunikationsversuch', als ,illokutionärer Akt' oder als ,Verstehen als sound-so' bezeichnet wird. Man gewinnt bei der Lektüre den Eindruck, als gingen alle Autoren von der Möglichkeit aus, durch intentionalistische oder konventionalistische Bestimmungen allein das, was ein Sprecher mit einer Äußerung will, ein für allemal als erreichbar zu garantieren, so dass Missverständnisse aller Art ausgeschlossen sind. Ein solches Unterfangen stößt zwangsläufig auf Probleme: Wir haben bereits gesehen, dass es bei den intentionalistischen Konzepten Schwierigkeiten gab, mit Geheimhaltungs- und Täuschungsversuchen von Sprechern zurecht zu kommen. Solche Taktiken werden aber in unserer alltäglichen Kommunikationspraxis laufend angewendet, und für viele von ihnen gibt es sprachliche Bezeichnungen wie
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angeben, zu verstehen geben, andeuten, jmdm. etwas stecken, einflüstern, heucheln, lobhudeln, einschmeicheln usw. Kommunikationsversuche, die mit diesen Vokabeln beschrieben werden können, werden nun gerade nicht mit der Absicht unternommen, dass der Adressat erkennen soll, dass der Sprecher die primäre Intention hat, eine bestimmte Wirkung hervorzurufen, ganz zu schweigen von weiteren komplexen Intentionen. Wenn man angeben will, versucht man gewiß, bei der Hörerschaft einen Effekt hervorzurufen - tatsächlich redet man um des Effekts willen. Man versucht zu imponieren, die Reaktion der Bewunderung hervorzurufen. Doch es gehört nicht zur Intention, den Effekt mit Hilfe der Erkenntnis der Absicht, den Effekt zu erzielen, zu garantieren. Es gehört überhaupt nicht zu unserer Gesamtintention, die Absicht, diesen Effekt hervorzubringen, erkennen zu lassen. Im Gegenteil, die Erkenntnis der Absicht könnte dem Effekt entgegen wirken und die entgegengesetzte Wirkung fördern, beispielsweise Verärgerung hervorrufen. (STRAWSON (dt. 1974), 72. Vgl. auch BRAUNROTH/SEYFERT u.a. (1975), 160f.)
Das Beispiel zeigt noch einmal, wie schwer es ist, taktisch-verschleiernde Kommunikationsversuche in einem intentionalistischen Konzept unterzubringen, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, sie in konventionalistischen Konzepten auch nur irgendwie zu berücksichtigen. Für solche Versuche, das hatte bereits AUSTIN gesagt, gibt es keine Möglichkeit, sie explizit performativ zur Sprache zu bringen: „ich gebe an", „ich schmeichle dir", „ich gebe dir (stillschweigend!) zu verstehen" sind Formulierungen, die in unserer Sprache nicht vorkommen. AUSTIN hatte sie aus diesem Grund als perlokutionär aus den illokutionären Akten ausgesondert und von diesen als nicht-konventional unterschieden. Im Abschnitt 3.1.4 habe ich selbst einen Vermittlungsversuch zur Konzeption komplexer Intentionen gemacht. Dieser Vorschlag scheint durch das Angeberbeispiel gegenstandslos zu sein oder zumindest genauso restriktiv wie einige der Antigeheimhaltungs- oder Antitäuschungsklauseln: Wenn für dieses Beispiel die Bedingung der vermittelnden Erkenntnisabsicht nicht zutrifft, dann schon gar nicht die von mir als notwendig angenommene STRAWsoN-Bedingung. Trotzdem glaube ich, dass sich meine Behauptung, deren Kern darin besteht, dass der Sprecher für seinen Kommunikationsversuch Verantwortung übernehmen muss, im Wesentlichen aufrecht erhalten lässt.
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Um dies plausibel zu machen, möchte ich zunächst nochmals auf eine allgemeine handlungstheoretische Grundlage zurückgreifen: Jede Handlung hat ein beabsichtigtes Ergebnis und eine oder mehrere beabsichtigte Folge/n. Häufig handeln wir nicht, um eine einzige, sondern um mehrere Folgen herbeizufuhren, die in einer dadurch-dass-Relation oder einer Zweck-Mittel-Hierarchie zueinander stehen. Das Tür-Offnen ist z.B. ein Mittel zum Zweck des Raumlüftens, dieses wiederum ein Mittel zum Zweck der Erlangung körperlichen Wohlbefindens usw. Jede dieser Handlungsfolgen kann in einer Handlungsbeschreibung thematisiert werden; ebenso kann man bestimmte kommunikative Handlungen als ,Angeberei', Heuchelei' oder ,Schmeichelei£ beschreiben. Damit nimmt man auf Folgen der Handlung Bezug, die aber nicht unbedingt die einzigen Folgen der beschriebenen Handlung zu sein brauchen. „A hat bei B angegeben" kann heißen „A hat bei B Bewunderung hervorgerufen". Nun ist ,Bewunderung hervorrufen" weder die einzige noch die unmittelbare Folge von kommunikativen Handlungen, die mit dem Ausdruck angeben bezeichnet werden können, sondern allenfalls eine mittelbare. Wenn ich bei jemandem Bewunderung vermittels sprachlicher Äußerungen hervorrufen will, muss ich ihm einen Anlass (eine Ursache) dafür geben; ich muss ihn etwas glauben machen, z.B. dass ich bestimmte Dinge getan habe, dass ich bestimmte Einstellungen habe usw. Und das Ziel, H soll etwas Bestimmtes glauben, muss ich zunächst verfolgen, um das Endziel ,Bewunderung bei H' überhaupt anstreben zu können. Wir haben es also bei unserem Angeberbeispiel mit einer komplexen Handlung zu tun, und zwar in einem doppelten Sinn: - einmal dürfte die Handlung kaum durch eine einzige sprachliche Äußerung vollzogen werden können - normalerweise besteht Angeben aus ganzen Äußerungssequenzen; - zum ändern ist die primäre Intentionalität bezüglich der Adressatenreaktion nicht durch eine einzige Intention beschreibbar, wie dies in den intentionalistischen Konzepten üblich ist, sondern durch (mindestens) drei Intentionen: (a) S will, dass H etwas Bestimmtes glaubt/für wahr hält (b) S will, dass H aufgrund dieses Glaubens/für-wahr-Haltens eine positive Einstellung zum Gesagten gewinnt (c) S will, dass H ihn bewundert
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Von den drei Intentionen, die für den Sprecher in einer Zweckmittel-Hierarchie zueinander stehen, soll der Adressat aber nur (a) erkennen. Damit S sein Ziel: Bewunderung bei H erreicht, ist es notwendig, dass er die Intention hat, dass H etwas Bestimmtes glaubt/für wahr hält. Um dies zu erreichen, muss S alle Bedingungen des GRiCEschen Mechanismus erfüllen, und er muss aus Gründen, die ich im Abschnitt 2.1.4 entwickelt habe, auch die darüber hinausgehende STRAWSON-Bedingung erfüllen, was gleichbedeutend ist mit der Übernahme von Verantwortlichkeit für seinen Kommunikationsversuch. Durch diese Überlegungen wird m. E. auch einsichtig, warum AUSTIN Äußerungen, die mit perlokutionären Verben wie angeben, einflüstern, schmeicheln usw. beschreibbar sind, nicht zu den illokutionären Akten zählt: Was der Handelnde tut, wenn er schmeichelt, angibt oder jmdm. etwas einflüstern will, ist das Vollziehen bestimmter illokutionärer Akte, deren Bezeichnungen gänzlich andere sind als die Bezeichnung für die jeweilige komplexe Gesamthandlung; z.B. vollzieht der Angeber Akte des Behauptens oder des Feststeilens, die zusammengenommen als ,Angeberei' beschrieben werden können. Jeder einzelne Akt unterliegt aber notwendig den Bedingungen des GRiCEschen Mechanismus sowie der SiRAWSONschen Zusatzbedingung. Verdeckte Kommunikationsversuche wie Angebereien, Schmeicheleien und sonstige windigen Suggestivunternehmungen sind notwendig an das Mittel eines intentional transparenten Kommunikationsversuchs gebunden, da ohne diesen der Sprecher sein Ziel nicht erreichen könnte. Um eine adäquate intentionalistische Bestimmung eines Kommunikationsversuchs liefern zu können, ist es also - wie wir gesehen haben - häufig notwendig zu analysieren, wie komplex ein durch eine bestimmte Beschreibung charakterisierter Kommunikationsversuch sein kann. Wir können dann auch eine Präzisierung des Geltungsbereichs solcher Bestimmungen formulieren: Der GiucEsche Mechanismus und die STRAWSONsche Zusatzbedingung gelten nur für illokutionäre Akte, die in komplexen Handlungen als Mittel zu einem weiteren u.U. manipulativen Zweck dienen. Selbst wenn man die hier angestellten Überlegungen für plausibel hält, bleibt die Frage, wie man das Konzept komplexer Intentionen vor dem Vorwurf der Willkür einer Außerungsverwendung retten kann, denn schließlich kann man nicht jede
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x-beliebige Äußerung dazu verwenden, um eine bestimmte Reaktion bei seinem Adressaten hervorrufen zu wollen. „Mach diesen Versuch: Sag ,Hier ist es kalt' und meine: ,Hier ist es warm'. Kannst du das?", fragt WITTGENSTEIN in seiner suggestiven Art (PU 510.). Um dem Willkürvorwurf zu entgehen, hatte GRICE sein intentionalistisches Konzept mit Üblichkeit, SCHIFFER und BENNETT mit dem Lfiwisschen Konventionsbegriff verknüpft. AUSTIN hatte illokutionäre Akte auf eine Stufe mit Konventionalität gestellt, SEARLE und SAVIGNY hatten diese durch Regelkenntnis bzw. durch in einer Sprachgemeinschaft allgemein akzeptierte Sanktionen erklärt. Es dürfte offensichtlich sein, dass ein Sprecher, ganz gleich, welchen illokutionären Akt er in welcher Formulierung vollzieht, nicht x-beliebige Wörter gebraucht, um seine Intentionen - ob offen oder verdeckt - zum Ausdruck zu bringen: Er wird sich immer an die Bedeutungsregeln oder, wenn man so will, Konventionen seiner Sprachgemeinschaft halten. (Vgl. WUNDERLICH (1972) 14.; STRAWSON (dt. 1974), 62.) AusTiNsch ausgedrückt: Die Konventionen für die Lokution einer Äußerung sind immer gültig. Problematischer wird es mit der Funktion, die eine Äußerung in einer bestimmten Situation haben soll, mit ihrer illokutionären Rolle. Durch explizit performative Formulierungen wird sie immer eindeutig zum Ausdruck gebracht, und die mit ihr verbundenen Sprecherintentionen sind qua Konvention des performativen Verbs offenkundig (vgl. STRAWSON (dt. 1974), 62ff.). Aber wie wir bereits mehrfach betont haben, kommen solche expliziten Äußerungen in unserer alltäglichen Praxis des Kommunizierens kaum vor. Aufweiche Konvention für die illokutionäre Rolle soll man sich berufen, wenn man z.B. sagt: „das Eis dort drüben ist sehr dünn" und damit den Adressaten warnen will? STRAWSON sagt, dass es hier keine „nennbare" Konvention gibt, außer der für den lokutionären Akt (vgl. STRAWSON (dt. 1974), 62.). Wenn die Äußerung aber, wie jeder zugeben wird, unter geeigneten Umständen als Formulierung für den illokutionären Akt des Warnens gebraucht werden kann oder, was auf das selbe herauskommt, durch das performative Verb warnen in ihrer illokutionären Rolle deutlich gemacht werden kann, dann müssen für sie auch dieselben S-Intentionen angenommen werden wie für die entsprechende explizite Formulierung. Aber heißt das jetzt nicht
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doch wieder, dass das Verknüpfen von S-Absichten mit Äußerungen - bis auf deren lokutionären Aspekt - ziemlich willkürlich ist? Wenn man den in der Frage verwendeten Ausdruck willkürlich im Sinn von ,nicht konventional' versteht, muss man diese Frage wohl bejahen müssen. Allerdings heißt das nicht, dass Äußerungen völlig beliebig mit Intentionen verknüpft werden: Ein Sprecher will ja auch immer die Intentionen, die er mit seinen Äußerungen verbindet, bei seinem Adressaten durchsetzen. Er wird also diejenige Formulierung wählen, von der er sich für die Durchsetzung seiner Intentionen den größtmöglichen Erfolg verspricht. Eigentlich müsste man meinen, dass dies auf alle Äußerungen zutreffen sollte, die durch Konventionen völlig abgesichert sind, also auf alle explizit performativen Äußerungen. Diese Annahme wird durch unseren alltäglichen Sprachgebrauch nicht-direkten Formulierens ganz offensichtlich widerlegt: Die Offenkundigkeit unserer Intentionen durch die Konventionalität einer Äußerung garantiert noch lange nicht den tatsächlichen Erfolg beim Adressaten: Im Gegenteil, meist reagieren wir verärgert auf direkte Formulierungen eines Sprechers. Das offene Aussprechen von Intentionen gilt - zumindest in unserer Sprachgemeinschaft - häufig als ,anstößig', jUnfein' oder bestenfalls als ,unhöflich'. Aufgrund solcher Bewertungsnormen wird ein Sprecher gerade nicht die Formulierung wählen, die qua Konvention seine Intentionen deutlich macht, da er dann Sanktionen seitens des Adressaten ausgesetzt wäre, die seinem Äußerungserfolg hinderlich sein könnten. Damit haben wir einen plausiblen Grund dafür, dass - abgesehen vom lokutionären Aspekt - Konventionalität einer Äußerung für einen Sprecher häufig nur eine untergeordnete Rolle spielt. Woran orientiert er sich aber, wenn nicht hauptsächlich an der Konventionalität seiner Äußerung? Wieso kann er sagen: „das Eis dort drüben ist sehr dünn" und damit seinen Adressaten warnen wollen? Wenn man davon ausgeht, dass jeder Sprecher von seinem Adressaten verstanden werden und dadurch bei ihm eine bestimmte Reaktion hervorrufen will und dass er dies wirklich (ernsthaft) will, dann kann man jedem Sprecher unterstellen, dass er (ernsthaft) glaubt, dies mit seiner Äußerung bei seinem Adressaten auch tatsächlich erreichen zu können. Er muss sich also, wenn schon nicht an Konventionen für alle Mitglieder seiner Sprachgemeinschaft, wenigstens an
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seinem Adressaten orientieren: Er wählt seine Formulierung aus dessen Sicht, indem er eine beiden gemeinsame Interpretation der jeweiligen Situation unterstellt und gemäß des Konditionals: ,wenn du (in der von uns gemeinsam so-und-so interpretierten Situation) ich wärst, würdest du A äußern' selbst A äußert. Die Annahme ,in der Situation S würdest du an meiner Stelle A äußern' ist für den Sprecher allerdings nur dann ein Erfolgsgarant, wenn er bei seinem Adressaten unterstellt, dass dieser seinerseits davon ausgeht, dass der Sprecher mit seinem Kommunikationsversuch eine Reihe komplexer Intentionen verbindet. Statt auf Konventionalität baut der Sprecher auf die Kooperation seines Adressaten. (Vgl. dazu weiter unten, Kap. 5.) Damit geht er natürlich ein Risiko ein: Er kann sich in seiner Einschätzung der gemeinsamen Situationsinterpretation irren, und selbst, wenn dies nicht der Fall ist, was sich im Verlauf der weiteren Kommunikation herausstellen würde, kann sich seine Beurteilung der Situationsangemessenheit der Äußerung aus der Sicht des Adressaten - ebenfalls im weiteren Kommunikationsverlauf - als falsch herausstellen. Andererseits: Wenn der Sprecher statt auf Kooperation auf Konventionalität baut, kann er vom Adressaten ausdrücklich für seine offenkundigen Intentionen zur Verantwortung gezogen werden. (Vgl. STRAWSON (dt. 1974), 80.) Der Sprecher ist und bleibt ein riskantes Subjekt, und es gibt keine theoretischen Bestimmungen, durch die sich das tatsächliche Durchsetzen von Sprecherintentionen ein für allemal garantieren ließe. Wir können jetzt zusammenfassend folgendes festhalten: (1) Ein Sprecher verbindet mit einem Kommunikationsversuch immer die folgenden komplexen Intentionen: Die primäre Intention: (1) S will, dass H eine bestimmte Reaktion r zeigt Die sekundären Intentionen: (ii) (iii)
S will, dass H erkennt, dass (i) S will, dass H aufgrund der Erkenntnis von (i) die Reaktion r zeigt (iv) S will, dass H erkennt, dass (ii) (2) Ein Sprecher kann die Intentionen (i) bis (iv) durchzusetzen versuchen:
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(a) indem er eine Formulierung wählt, durch die (i) bis (v) qua Konvention ausgedrückt sind; dies gilt vor allem für explizit performative Formulierungen, aber auch für andere konventionalisierte Ausdrücke wie Imperative und Fragesätze sowie für Äußerungen, in denen Partikel wie bitte, danke, nicht? oder doch als Indikatoren für illokutionäre Rollen verwendet werden; (b) ein Sprecher kann die Intentionen (i) bis (iv) durchzusetzen versuchen, indem er, statt eine konventionalisierte Formulierung zu verwenden, auf die Kooperation seines Adressaten baut; er wählt eine bestimmte Formulierung A unter den folgenden beiden Kooperationsbedingungen (KB): (KB 1): S geht davon aus, dass H davon ausgeht, dass S die komplexen Intentionen (i) bis (iv) hat (KB 2): S geht davon aus, dass H an seiner Stelle in der Situation S die Formulierung A wählen würde (KB 1) entspricht in gewisser Weise dem ScniFFERschen Zusatz zum GRiCEschen Mechanismus. Allerdings ist sie - im Unterschied zu SCHIFFER - nicht für jeden Fall eines Kommunikationsversuchs als notwendig anzusehen, sondern nur für die Fälle indirekter Formulierung, die allerdings die alltagssprachlich überwiegenden darstellen. Die Tatsache, dass ein Sprecher die komplexen Intentionen (i) bis (iv) hat, wenn er zu kommunizieren versucht, gehört zum wechselseitigen Wissen innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Mit (KB 1) ist also auch eine LEWissche Konvention ausgedrückt. Dies heißt aber nicht, dass deshalb die Fälle indirekter Formulierungen selbst als konventionalisiert anzusehen sind. Die geltende Konvention der gegenseitigen Erwartbarkeit komplexer Sprecherintentionen legt ja nicht fest, welche illokutionäre Rolle eine Äußerung jeweils hat, sondern sie soll dem Adressaten als eine Art Leitfaden dienen zum Verständnis der Äußerung als einer ganz bestimmten. Ob er sich an diesem Leitfaden auch tatsächlich orientiert, kann der Sprecher durch seine indirekte Formulierung nicht festlegen; er muss daraufbauen, dass sein Adressat insofern mit ihm kooperiert, als er die geltende Konvention auf die gemachte Äußerung auch wirklich bezieht. (3) Bisher haben wir Kommunikationsversuche lediglich unter dem Gesichtspunkt ihres Zustandekommens betrachtet,
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d.h. wir haben aus der Perspektive eines jeweiligen Sprechers bestimmt, welche Bedingungen dieser erfüllen muss, damit ein Kommunikationsversuch überhaupt zustande kommt. In Analogie zum allgemeinen Handlungsbegriff haben wir zwischen Ergebnis und Folge einer kommunikativen Handlung unterschieden: Das Ergebnis bezieht sich auf die sekundäre Intention eines Sprechers, bei seinem Adressaten die Erkenntnis seiner primären Intention herbeizuführen; die Folge bezieht sich auf die primäre Intention eines Sprechers, bei seinem Adressaten eine bestimmte Reaktion r hervorzurufen. Eine Handlung ist gelungen, wenn ihr Ergebnis erreicht ist, und sie ist erfolgreich, wenn ihre intendierte Folge eingetreten ist. Entsprechend können wir von einer kommunikativen Handlung sagen, dass sie gelungen ist, wenn der Adressat die primäre Intention rekonstruiert, d.h. verstanden hat, und dass sie erfolgreich ist, wenn der Adressat die primäre Intention erfüllt, d.h. die intendierte Reaktion r zeigt. (Vgl. KELLER (1977), 10.) Um Verwirrungen der Begrifflichkeit von Gelingen und Erfolgreichsein vorzubeugen, sei hier angemerkt, dass die Ausdrücke Gelingen und Erfolgreich sein in der sprechakttheoretischen Literatur auch anders verwendet werden: SEARLE und mit ihm WUNDERLICH beziehen Gelingen auf das Zustandekommen eines Sprechakts und Erfolgreichsein auf das Verstehen (SEARLE, WUNDERLICH) und r-Zeigen durch den Adressaten (WUNDERLICH), d.h. Gelingen wird nur durch sprecherseitige Bedingungen bestimmt, Erfolgreichsein durch hörerseitige. (Vgl. WUNDERLICH (1976), 110ff.) Aus Gründen der Einheitlichkeit des Handlungsbegriffs bleibe ich bei einer hörerbezogenen Differenzierung von Gelingen und Erfolgreichsein und stelle diese den sprecherseitigen (intentionalen) Bedingungen für das Zustandekommen einer Äußerung gegenüber. Die hörerseitige Bestimmung durch Gelingen und Erfolgreichsein allein ist jedoch problematisch, da jemand zwar verstanden haben kann, was ein Sprecher intendiert, aber aus irgendeinem Grund die angestrebte Reaktion r nicht zeigen will. Um nochmals das alte AusTiNsche Beispiel zu zitieren: Wenn jemand auf einer einsamen Insel zu einem anderen sagt: (i)
Hol Holz zum Feuermachen!
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und dieser darauf so reagiert: (ii)
du hast mir hier auf dieser einsamen Insel gar nichts zu befehlen
dann hat er zwar verstanden, weigert sich aber, der primären Intention des Sprechers tatsächlich nachzukommen. Verstanden haben, was ein Sprecher will, führt nicht automatisch zum Erfolg. Der Adressat muss das, was der Sprecher von ihm will, seine primäre Intention, auch akzeptieren. (Vgl. WUNDERLICH (1976), 115 ff.) Wir haben es also bei kommunikativen im Unterschied zu anderen Handlungen mit einer Dreiteilung zu tun: Verstanden-haben als Handlungsergebnis - akzeptieren - Reaktion-r-zeigen als Handlungsfolge. Akzeptieren stellt das verbindende Glied in der Ergebnis-Folge-Kette dar. (4) Zum Abschluss dieses Kapitels scheinen mir noch Präzisierungen notwendig: Die erste betrifft die zeitliche Aufeinanderfolge von verstanden haben - akzeptieren - r-zeigen. Die zweite betrifft die Reaktion r und was man darunter verstehen soll. Und die dritte betrifft den Gegenstandsbereich der hier diskutierten Konzeptionen von Kommunikationsversuch bzw. kommunikativer Handlung. Die Sprecher- und hörerseitigen Bestimmungen kommunikativer Handlungen insgesamt sind im folgenden Schema nochmal zusammengefasst. H
Bedingungen (i)-(iv) +
konventionale Formulierung Kooperationsbedingungen
KOMMUNIKATIONSVERSUCH KOMMT ZUSTANDE
v v
„ v
verstanden haben
akzeptieren
IST GELUNGEN
r-zeigen
IST ERFOLGREICH
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Zur ersten Präzisierung der zeitlichen Aufeinanderfolge von verstehen - akzeptieren - r-zeigen: Es ist zunächst klar, dass alle drei hörerseitigen Bedingungen erst nach dem Kommunikationsversuch von S erfüllt werden können. Und es ist auch klar, dass Akzeptieren und r-Zeigen von H erst stattfinden können, wenn H verstanden hat. Ob er tatsächlich richtig, d.h. die primäre S-Intention, verstanden hat, stellt sich häufig erst im Verlauf der Kommunikation heraus, die auf den betreffenden Kommunikationsversuch von S folgt. Das Gleiche gilt für das Akzeptieren des Adressaten. Der Sprecher kann das Eintreten von Ergebnis und Folge seiner kommunikativen Handlungen oft nicht schon unmittelbar nach deren Ausführung überprüfen, sondern erst im Verlauf der weiteren Kommunikation zwischen S und H. Wenn er auf seinen Beitrag hin keine besonderen Nicht-Verstehens- oder Weigerungssignale des Adressaten erkennen kann, wird er zunächst davon ausgehen, dass dieser verstanden und akzeptiert hat. Im anderen Fall wird Verstehen und Akzeptieren selbst zum Thema der Kommunikation zwischen S und H: S wird erklären, wie er seine Äußerung gemeint hat und - um diese für seinen Adressaten akzeptabel zu machen - zusätzliche Begründungen für seinen so-und-so gemeinten Kommunikationsversuch liefern. Das r-Zeigen von H kann, je nach Art eines Kommunikationsversuchs, zur Nachgeschichte einer zwischen S und H stattgefundenen Kommunikation gehören und als solches für S gar nicht mehr überprüfbar sein. Außerdem kann H durch irgendwelche, von ihm selbst unbeeinflussbaren Umstände daran gehindert werden, r zu zeigen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn jemand heute dazu aufgefordert wird, morgen etwas zu tun, was er auch akzeptiert, dann ihm aber in der Zwischenzeit ein physisches Malheur zustößt, das seine Fähigkeit zur Ausführung der geforderten Handlung beeinträchtigt. Verstehen und Akzeptieren eines Adressaten unterliegen also immer prinzipiell der direkten Kontrolliermöglichkeit durch den Sprecher, r-Zeigen von S dagegen nicht. (Vgl. WUNDERLICH (1976) Zur zweiten Präzisierung, die das r-Zeigen von H und was man darunter verstehen soll, betrifft: Wir haben bereits gesagt, dass die Adressatenreaktion in einer kognitiven oder emotiven Einstellung (Glauben/für wahr Halten - für gut/schlecht Hai-
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ten) oder in einer Handlungsausführung bestehen kann. Und wir haben gesehen, dass in der Nachfolge von AUSTIN die Meinung vertreten wurde, das r-Zeigen von H im obigen Sinn beziehe sich nur auf eine beschränkte Auswahl von kommunikativen Handlungen, aber nicht auf alle. Damit stellte sich auch die Frage, ob die Reaktion r als Inhalt einer primären Sprecherintention immer als notwendig angenommen werden soll oder ob es nicht sinnvoller sei, die primäre Sprecherintention auf das Verstehen durch den Adressaten zu beschränken. In der Zusammenfassung unter Punkt (1) bin ich stillschweigend von der Konzeption ausgegangen, dass die notwendigen Bedingungen für das Zustandekommen eines Kommunikationsversuchs die primäre Intention der r-Reaktion enthalten. Um es noch deutlicher zu formulieren: Ich gehe davon aus, dass jeder Kommunikationsversuch wesentlich dadurch bestimmt ist, dass mit ihm auf den Adressaten Einfluss ausgeübt werden soll, sei es in seinen Gedanken, Gefühlen oder Handlungen.16 Dies lässt sich für einen Teil kommunikativer Handlungen wie Aufforderungen, Drohungen, Warnungen, Ratschläge u.a. sowie für viele institutionsgebundene Äußerungen leicht aufrecht erhalten. Welchen Einfluss will ich aber auf meinen Adressaten ausüben, wenn ich z.B. meine letzten Urlaubserlebnisse erzähle, Bemerkungen über das unwirtliche Klima Mitteleuropas mache oder über die Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen Bundesregierung schimpfe? Eine eindeutige Bestimmung der beabsichtigten Reaktion r scheint hier schwierig; man könnte meinen, dass mit solchen Kommunikationsbeiträgen nichts weiter beabsichtigt wird, als dass der Adressat zuhört und versteht. In solchen Fällen würde auch eine direkte Sprecherbefragung nicht viel weiterhelfen: Oft können wir unsere Absichten einem Adressaten gegenüber nicht direkt formulieren. Dies muss nun aber nicht bedeuten, dass es Kommunikationsversuche gibt, die nicht
16 Eine Ausnahme scheinen lediglich offizielle Erklärungen, Ernennungen, Sitzungseröffnungen u.a., also institutionsgebundene Äußerungen, AUSTINS ursprüngliche Performativa zu sein. Mit einer Äußerung wie (v) Ich erkläre die Sitzung für eröffnet wird der Sachverhalt, der in der Proposition ausgedrückt ist, hergestellt. Dazu sind aber keine adressatenbezogenen S-Intentionen notwendig, wie wir in Kap. 2 bereits gesehen haben.
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durch Einflussnahme auf den Adressaten bestimmt werden können. Im allgemeinen handlungstheoretischen Teil dieser Einführung habe ich im Anschluss an AUSTIN gezeigt, dass uns unser Wissen von Handlungen und deren Ausführungsbedingungen erst dann bewusst wird, wenn es Probleme gibt. Dies können wir auf kommunikative Handlungen übertragen: Was wir mit einem Kommunikationsversuch beim Adressaten wirklich wollen, stellt sich für uns häufig erst dann heraus, wenn der Adressat in einer Weise reagiert, die - und das wird uns genau in diesem Augenblick klar - nicht beabsichtigt war. So merken wir zum Beispiel beim Erzählen vom Urlaub, dass der Adressat gleichgültig und unbeteiligt bleibt, während wir ihn doch belustigen wollten. Oder wir vermissen Zustimmung, wenn wir über irgendwelche bestehenden Zustände schimpfen usw. Solche Negativerfahrungen, die wir als Sprecher laufend machen, liefern uns den Grund für die Annahme einer entsprechenden positiv bestimmten Sprecherintention. Diese muss natürlich nicht auf jeweils eine Äußerung beschränkt sein; in den obigen Beispielen versucht der Sprecher durch mehrere Kommunikationsbeiträge jeweils ein und dieselbe Reaktion r - Belustigung und Zustimmung - herbeizuführen. Die dritte und letzte Präszisierung betrifft den Gegenstandsbereich der hier erörterten Kommunikationskonzepte. Sie beziehen sich auf einen Ausschnitt der Menge aller Vorkommen, die gemeinhin mit dem Ausdruck Kommunikation bezeichnet werden: in erster Linie auf mündliche Kommunikationsvorkommen. Ich halte diese Einschränkung für äußerst nützlich angesichts der inflationären Verwendung des Ausdrucks Kommunikation in unserer Sprache. Erst wenn man eine präzise Bestimmung eines Kommunikationsbegriffs hat, kann man prüfen, ob und wie man diesen erweitern kann oder soll.
Regeln und Regelformulierungen Im vorausgegangenen Kapitel haben wir uns mit der Frage beschäftigt, unter welchen sprecherseitigen Bedingungen ein Kommunikationsversuch zustande kommt und unter welchen hörerseitigen Bedingungen ein solcher Kommunikationsversuch als gelungen und erfolgreich zu betrachten ist. Damit haben wir zunächst nur einen allgemeinen begrifflichen Rahmen für sprachliche Handlungen, der in einem nächsten Schritt ausgefüllt werden muss. AUSTIN hatte gesagt, dass es für illokutionäre Akte ein konyentionales Verfahren geben müsse, das festlegt, als was eine Äußerung in einer bestimmten Situation gelten soll. Wir haben gesehen, dass sich die Behauptung in dieser allgemeinen Form nur für explizit performative Äußerungen aufrecht erhalten lässt; für indirekte Formulierungen lässt sich meist kein konventionales Verfahren ausmachen, nach dem die illokutionäre Geltung einer Äußerung festgelegt werden kann. Dies heißt zunächst nur, dass es keine Konventionen gibt, die eine bestimmte indirekte Formulierung mit einer bestimmten illokutionären Rolle verknüpfen. Dies wiederum heißt allerdings nicht, dass es für illokutionäre Akte selbst kein konventionales Verfahren gibt; wenn eine Äußerung als ein ganz bestimmter illokutionärer Akt gemeint und als solcher verstanden ist, dann hat dieser illokutionäre Akt für den Sprecher und seinen Adressaten eine Bedeutung, die konventional oder durch Regeln festgelegt ist. Und die verschiedenen illokutionären Akte, die wir in unserer Sprache vollziehen können, unterscheiden sich durch verschiedene konventionale Verfahren oder Regeln voneinander. J. R. SEARLE hat sich in seinem Buch „Speech Acts" näher mit der Frage nach der Regelhaftigkeit illokutionärer Akte beschäftigt. Auf diesen Aspekt gehe ich im Folgenden näher ein. Trotz des Bekanntheitsgrads der SfiARLEschen Überlegungen scheint mir dies Eingehen vor allem aus drei Gründen wichtig: - die SEARLEschen Vorschläge für Regelformulierungen haben eine enorme Wirkung auf Untersuchungen von Sprechakten im Bereich der linguistischen Pragmatik gehabt;
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Regeln und Regelformulierungen
- an den SEARLEschen Regelformulierungen lassen sich besonders gut Schwierigkeiten aufzeigen, in die man gerät, wenn man Regeln für jeweilige Sprecher und Adressaten formulieren will; - die SEARLEschen Regeln eignen sich besonders gut als Illustration der AusriNschen These, dass Sprechen immer mehr ist als nur ein paar Wörter sagen. 4.1
SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte
Sprachliche Äußerungen werden von SEARLE terminologisch etwas anders benannt als bei AUSTIN. Unterschiedslos - ohne den leisesten Hauch einer performativ-konstativ-Unterscheidung - werden sie unter den Oberbegriff Sprechakte subsumiert, zu deren Vollzug immer drei Akte notwendig sind (vgl. SEARLE (dt. 1971), 40.): - ein Äußerungsakt; das Äußern von Wörtern (Morphemen und Sätzen) - ein propositionaler Akt', Referenz und Prädikation, d.h. ein Ausdruck, der festlegt, über welchen Gegenstand (Person, Ding, Sachverhalt) geredet werden soll, und ein Ausdruck, der über diesen etwas aussagt; - ein illokutionärer Akt. Dies entspricht in etwa der AusTiNschen Einteilung in lokutionären (bei SEARLE: Äußerungs- und propositionaler Akt) und illokutionären Akt. Propositionale Akte und damit auch die jeweiligen Äußerungsakte können nicht selbständig vorkommen; sie sind notwendig an illokutiqnäre Akte gebunden, während das Umgekehrte nicht gilt: Äußerungen wie „Hilfe!", „Achtung!", „Feuer!" usw. können durchaus als illokutionäre Akte des Flehens oder Warnens gelten, ohne dass propositionale Akte vollzogen werden, oder, wie SEARLE auch sagt: ohne dass sie einen propositionalen Gehalt haben. Die universale Struktur von Sprechakten ist F(p) mit F für ,illocutionary force' und p für Proposition (vgl. SEARLE/VANDERVEKEN (1985); VANDERVEKEN (1990).). Sprechakte sind also illokutionäre Akte, die propositionalen Gehalt haben. Damit ist Äußerungs- und propositionaler Akt impliziert. Ein Sprechakt wie
SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte
(i)
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ich bitte dich (= Paul) zu kommen
enthält die explizit performative Formel („ich bitte dich") und den propositionalen Gehalt ,Pauls Kommen'. Alle Ausdrücke, die sich auf die illokutionäre Rolle eines Sprechakts beziehen, nennt SEARLE illokutionäre Indikatoren, wozu - wie im obigen Beispiel - explizit performative Formeln, aber auch Partikel wie bitte oder nicht? und Satzmodi wie Imperative und Fragesatz gehören; alle Ausdrücke, die sich auf den propositionalen Gehalt eines Sprechakts beziehen, sind propositionale Indikatoren. (Vgl. SEARLE (dt. 1971), 57.) Zusätzlich zu diesen drei Teilakten, die einen Sprechakt ausmachen, führt SEARLE noch die PERLOKUTIONÄREN AKTE an, die jedoch - wie wir bereits gesehen haben - seiner Meinung nach nicht immer notwendig zum Vollzug eines Sprechakts gehören. Die im Folgenden diskutierten SEARLEschen Überlegungen zur Regelhaftigkeit und Regelformulierung beziehen sich auf Sprechakte im obigen Sinn, also auf illokutionäre Akte mit jeweils einem propositionalen Gehalt. Illokutionäre Akte sind regelgeleitet, und zwar durch konstitutive Regeln, die SEARLE von einem anderen Regeltyp, den regulativen, unterscheidet: Konstitutive Regeln begründen eine Tätigkeit bzw. Handlung erst als eine ganz bestimmte, regulative regeln eine bereits existierende Tätigkeit oder Handlung. Regulative Regeln lassen sich durch Imperative formulieren: „wenn du Futter schneidest, halte das Messer in der rechten Hand" oder: „Offiziere haben beim Essen eine Krawatte zu tragen", konstitutive Regeln lassen sich dagegen so formulieren: „ein König ist dann Schachmatt gesetzt, wenn er so angegriffen wird, dass er keinen Zug machen kann, ohne angegriffen zu sein" oder: „ein Tor ist dann erzielt, wenn ein Spieler den Ball während des Spiels hinter die Mallinie oder über das Mal des Gegners gebracht hat". Konstitutive Regeln können durch die Formel X gilt als
bzw. X gilt als
im Kontext C
212
Regeln und Regelformulierungen
repräsentiert werden. (Vgl. SEARLE (dt. 1971), 55 f.) Nun scheinen aber solche Formulierungen ziemlich willkürlich zu sein, zumal man das Befolgen von regulativen Regeln auch mit dem Schema ,X gilt als Y* beschreiben kann, z.B.: (ii) (iii)
Ein Handkuss beim Begrüßen einer Dame gilt als galantes Benehmen Das Tragen von Blue-Jeans bei Beerdigungen gilt als unschickliches Benehmen
Diese Beschreibungen sind denen konstitutiver Regeln ziemlich ähnlich, vgl. z.B. für den amerikanischen Fußball: (iv)
die Beförderung des Balls durch einen Spieler hinter die Mallinie gilt als Tor
Der Unterschied zwischen (ii) bzw. (iii) und (iv) besteht nach SEARLE darin, dass die Ausdrücke, die jeweils ersetzen, ganz verschiedener Natur sind. Während „Tor" die Handlung, als die X gelten soll, benennend spezifiziert, werden durch die Ausdrücke „galantes" bzw. „unschickliches Benehmen" keine Handlungen als solche spezifiziert, sondern die Handlung oder das Verhalten, das für X eingesetzt ist, wird bewertet. (Vgl. SEARLE (dt. 1971), 58; SEARLE (1995), 44.) Sprechakte werden in Übereinstimmung mit Gruppen konstitutiver Regeln vollzogen auf der Basis geltender Konventionen einer jeweiligen Sprache. Diese beziehen sich nach SEARLE auf die Sprachregeln im engeren Sinn, also auf phonologische, syntaktische und semantische Regeln, die je nach Sprache unterschiedlich sind. Konstitutive Regeln können jedoch in verschiedenen Sprachen gleichermaßen gelten: Daß man im Französischen ein Versprechen geben kann, indem man „je promets" sagt und im Englischen, indem man „I promise" sagt, ist eine Sache der Konvention. Aber daß die Äußerung eines zum Vollzug des Versprechens dienenden Mittels (unter geeigneten Bedingungen) als Übernahme einer Verpflichtung gilt, hängt von Regeln und nicht von Konventionen des Französischen ab. (SEARLE (dt. 1971), 64.)
Damit dürfte die Unterscheidung zwischen Konventionen und konstitutiven Regeln bei SEARLE klar, wenn auch sicher nicht unproblematisch sein: Offenbar wird hier die Meinung vertreten, dass Sprechakte wie ,Versprechen', , Warnen', ,Auffordern', Behaupten' usw. Realisierungen ein und desselben außer-
SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte
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einzelsprachlichen, zugrunde liegenden Regelsystems darstellen (vgl. SEARLE (dt. 1971), 64f.; BREMERICH-VOS (1981), 64.)Was bei AUSTIN konventionales Verhalten genannt wurde, wird bei SEARLE zum System konstitutiver Regeln, die für illokutionäre Akte gelten sollen. Deren Struktur wird exemplarisch untersucht, indem die konstitutiven Regeln als Bedingungen formuliert werden. Es ist wichtig, sich nochmal die Voraussetzung vor Augen zu führen, die SEARLE für die Gültigkeit seiner Bedingungen macht. Diese Voraussetzung ist in der folgenden Ausgangsfrage enthalten „Welche Bedingungen sind notwendig und hinreichend, damit der Akt des Versprechens (das Beispiel für illokutionäre Akte, G. H.) mittels der Äußerung eines gegebenen Satzes erfolgreich und vollständig vollzogen wird?". (SEARLE (dt. 1971), 84.) Eine Handlung, und ein Sprechakt ist für SEARLE (auch) eine Handlung, ist erfolgreich, wenn ihr Ergebnis erreicht und ihre Folge/n eingetreten ist/sind; im Fall sprachlicher Handlungen, wenn der Adressat die S-Intentionen erfüllt. Diese waren bei SEARLE auf die Intention des Verstandenwerdens reduziert. Hier nochmal die einschlägige Stelle: Indem ich spreche, versuche ich, meinem Zuhörer bestimmte Dinge dadurch zu übermitteln, daß ich ihn dazu bringe, zu erkennen, daß ich ihm jene Dinge zu übermitteln beabsichtige. Ich erreiche die beabsichtigte Wirkung auf den Zuhörer dadurch, daß ich ihn dazu bringe zu erkennen, daß ich jene Wirkung zu erreichen beabsichtige, und sobald der Zuhörer erkannt hat, was ich zu erreichen beabsichtige, habe ich im allgemeinen erreicht, was ich wollte. Er hat verstanden, was ich sagen will, sobald er erkannt hat, daß die Absicht meiner Äußerung die war, das und das zu sagen. (SEARLE (dt. 1971), 69.)
Welche sind nun die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für illokutionäre Akte unter dem Gesichtspunkt des Verstandenwerdens? SEARLE gibt zunächst eine ausführliche Analyse des Sprechakts .Versprechen', wobei er - wie bei all seinen anderen Beispielen auch - von einer expliziten Formulierung ausgeht, und fasst dann die Regeln, die für den Indikator der illokutionären Rolle (also die explizit performative Formel) gelten sollen, in vier Typen zusammen. Ich gebe im Folgenden zunächst die Zusammenfassung wieder und verdeutliche sie anschließend am Beispiel des ,Aufforderns'. Nach SEARLE gelten (vgl. SEARLE (1969), 67ff.); (dt. 1971), 67.):
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Regeln und Regelformulierungen
(1) die Regeln des propositionalen Gehalts (,propositional content conditions') (2) Einleitungsregeln (,prepatory conditions') (3) Aufrichtigkeitsregel (,sincerity condition') (4) wesentliche Regel (,essential condition') Zusätzlich gelten die Bedingungen für normale Kommunikation sowie die Intentionsbedingungen, die aber im Weiteren unberücksichtigt bleiben, da sie zu einer Differenzierung einzelner Sprechakte nichts beitragen. In einer späteren Version der Sprechakttheorie werden die aufgeführten Regeltypen als Bedingungen für den erfolgreichen und fehlerfreien Vollzug („successful and nondefective performance") von illokutionären Akten reformuliert (vgl. SEARLE/ VANDERVEKEN (1985), 13ff.; VANDERVEKEN (1990), 20ff.). Ein Sprechakt F(p) enthält demnach die folgenden sieben Komponenten in ihrer Eigenschaft als Bedingungen für den erfolgreichen und fehlerfreien Vollzug des entsprechenden illokutionären Aktes: (1) „Illocutionary point": Jeder Illokutionstyp hat einen bestimmten Zweck („point or purpose"): Der Zweck von Behauptungen oder Beschreibungen liegt darin, zu sagen, wie die Dinge sind, der Zweck des Versprechens liegt darin, sich zu etwas zu verpflichten, der Zweck von Aufforderungen oder Befehlen liegt darin, den Adressaten dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun usw. VANDERVEKEN (1990) fuhrt zur Unterscheidung illokutionärer Zwecke das Kriterium der „direction of fit" ein, welche die jeweilige Ausrichtung von der Sprache zur Welt bzw. von der Welt zur Sprache festlegt: Behauptungen haben die Ausrichtung von der Sprache zur Welt (die Sprache wird der Welt angepasst), Versprechen und Aufforderungen haben die Ausrichtung von der Welt zur Sprache (die Welt wird der Sprache angepasst), expressive Äußerungen, mit denen ein Sprecher Einstellungen oder Gefühle zum Ausdruck bringt, haben eine leere Ausrichtung, und deklarative Äußerungen, AUSTINS Urperformativa, haben beide Ausrichtungen. (2) „Degree of Strength of the illocutionary point": Akte wie Auffordern, Bitten oder Flehen haben denselben illokutionären Zweck, der Adressat soll etwas tun. Sie unterschei-
SEARLES Regeltypen und Regeln fur Sprechakte
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
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den sich jedoch in der Art, wie sie vollzogen werden: Bitten ist ein höfliches Auffordern, Flehen oder Betteln ein dringliches Auffordern. „Mode of achievment": Manche Akte, die einen bestimmten illokutionären Zweck zuzuordnen sind, verlangen zusätzliche Vollzugsbedingungen; z.B. ist Befehlen den Aufforderungsakten, den Direktiven, zuzuordnen, verlangt aber die zusätzliche Bedingung der autoritären Position des Sprechers. „Prepositional content conditions", Bedingungen des propositionalen Gehalts: Zum Vollzug eines Versprechens gehört es, dass das, was versprochen wird, d.h. der propositionale Gehalt der Äußerung, eine zukünftige Handlung des Sprechers ist; beim Vollzug einer Aufforderung ist der propositionale Gehalt auf eine zukünftige Handlung des Adressaten, und beim Vollzug einer Entschuldigung ist er auf eine vergangene Handlung des Sprechers festgelegt. „Preparatory conditions", Vorbereitungsbedingungen: Z.B. muss ein Sprecher, der etwas verspricht, voraussetzen, dass er die versprochene Handlung tun kann und dass diese im Interesse des Hörers liegt; ein Sprecher, der sich entschuldigt, setzt voraus, dass das, wofür er sich entschuldigt, nicht im Interesse des Hörers (oder anderer Personen) liegt. „Sincerity conditions", Aufrichtigkeitsbedingungen: Wenn ein Sprecher einen illokutionären Akt vollzieht, dann bringt er auch bestimmte Einstellung zu der Sachlage, die durch den propositionalen Gehalt, repräsentiert ist, zum Ausdruck. Jemand, der jemanden auffordert, etwas zu tun, muss dies auch wollen; jemand, der jemanden lobt, muss auch die Einstellung haben, dass er das, was der Adressat getan hat, gut findet usw. „Degree of strength of the sincerity conditions": Der Sprecher kann seine Einstellung zum propositionalen Gehalt mehr oder weniger stark zum Ausdruck bringen. Diese Bedingung ist - wie VANDERVEKEN (1990, 23) selbst zugibt nicht strikt von den Bedingungen (2) und (3) zu trennen.
Da wir uns im Folgenden mit der Regelhaftigkeit von Sprechakten näher beschäftigen wollen, bleiben wir bei der ursprünglichen und expliziten Regelformulierung SEARLES.
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Regeln und Regelformulierungen
Für den Fall des ,Aufforderns' verteilen sich die Regeltypen so (vgl. SEARLE (dt. 1971), 98.):
(1) Regeln des propositionalen Gehalts; Beim Auffordern wird normalerweise auf eine zukünftige Handlung A des Hörers (H) Bezug genommen; SEARLES Formulierung: Zukünftige Handlung A von H (2) Einleitungsregeln; Wenn man jemanden auffordert, dann tut man dies normalerweise nur dann ernsthaft, wenn man bestimmte Zustandsannahmen hat, z. B. dass der Adressat in der Lage ist, das Verlangte zu tun sowie dass er es nicht von selbst - also ohne dass er dazu aufgefordert wird - tut. SEARLES Regelformulierungen: 1. H ist in der Lage, A zu tun. S glaubt, dass H in der Lage ist, A zu tun 2. Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, dass H bei normalem Verlauf der Ereignisse A aus eigenem Antrieb tun wird (3) Regel der Aufrichtigkeit; SEARLES Formulierung: S wünscht, dass H A tut (5) Wesentliche Regel; SEARLES FORMULIERUNG: ,Auffordern' gilt als ein Versuch, H dazu zu bringen, A zu tun Diesen SEARLEschen Regelkatalog werde ich unter den folgenden fünf zusammenhängenden Gesichtspunkten kritisch erörtern: (1) (2) (3) (4)
Was wird durch die Regeln thematisiert? Sind die Regeln vollständig? Sind die Regeln adäquat formuliert? Gibt es eine Reihenfolge beim Erfüllen der Bedingungen/ Regeln? (5) Wie werden die Regeln befolgt?
SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte 4.1.1
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Was wird durch die Regeln thematisiert?
Wenn man sich die SEARLEschen Regeln näher ansieht, wird deutlich, dass sie sehr Unterschiedliches thematisieren: Mit der Regel des propositionalen Gehalts wird auf die sprachliche Äußerung selbst und das, was sie ausdrücken soll, Bezug genommen. Mit den Einleitungsregeln wird auf die Zustandsannahmen eines Sprechers sowie dessen Adressaten Bezug genommen. Die formulierten Bedingungen haben Ähnlichkeit mit allgemeinen Bedingungen, unter denen wir unser Tun überhaupt als rationales Handeln bewerten: Wenn eine Handlung ernsthaft vollzogen werden soll, geht der Handelnde immer davon aus, dass seine Handlung in der Situation, in der er sich befindet, sinnvoll ist. Im Fall einer Aufforderung ist diese Handlung nur dann sinnvoll für den Handelnden, wenn er nicht der Meinung ist, dass sich das, was er in der Welt verändern will (= H tut A) notwendig, ohne seinen eigenen Beitrag einstellen wird. Und, da die Veränderung, die der Handelnde herbeiführen will, beim Adressaten liegt, wird er nicht davon ausgehen, dass dieser - aus welchem Grund auch immer - die verlangte Handlung gar nicht erst auszuführen in der Lage ist. Jemanden, der im Rollstuhl sitzt, zum Fußballspiel veranlassen zu wollen, ist überhaupt keine Aufforderung, sondern blanker Zynismus! Die Aufrichtigkeitsregel ,S wünscht, dass H A tut' kann man in zwei Hinsichten interpretieren: Entweder sie bezieht sich auf eine intentionale Bedingung des Aufforderns oder sie bezieht sich auf eine Präferenz oder ein Motiv des Handelnden, das die Intention des ganz speziellen Aufforderungsakts erst bestimmt. Da SEARLE aber von explizit performativen Äußerungen als gegeben ausgeht, ist die erste Interpretation sicher die ihm adäquate. Die wesentliche Regel ,gilt als ein Versuch, dass H A tut' ist eine semantische. Sie unterscheidet sich von der Regel des propositionalen Gehalts, die ja auch eine semantische Regel im weitesten Sinn ist, in einem entscheidenden Punkt: Die Formulierung der wesentlichen Regel ist die Repräsentation einer konstitutiven Regel par excellence: ,X gilt als '. Für X kann ,Auffordern' eingesetzt werden, was bei der Formulierung der Regel des propositionalen Gehalts sowie aller übrigen Regeln nicht möglich ist. Das Produkt einer solchen Einsetzung könnte man
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Regeln und Regelformulierungen
auch als Formulierung einer lexikalischen Regel verstehen: mit ihr wird die Bedeutung des Ausdrucks auffordern erläutert. Ein solches Verständnis würde allerdings die SfiARLEsche Unterscheidung zwischen Konventionen und konstitutiven Regeln erheblich erschüttern. Ohne auf dieses bereits angedeutete Problem näher einzugehen, können wir beim SEARLEschen Regelkatalog unterscheiden zwischen - allgemeinen Handlungsregeln, mit denen Zustandsannahmen eines Handelnden thematisiert werden, den Einleitungsregeln; - der intentionalen Bedingung für die Aufforderung, die Aufrichtigkeitsregel; - den semantischen Regeln (a) die Regel, die festlegt, wovon in einer Äußerung die Rede ist, die Regel des propositionalen Gehalts; (b) die Regel, die festlegt, als was ein illokutionärer Akt gilt, die wesentliche Regel. 4.1.2
Sind die Regeln vollständig?
Die von SEARLE angeführten Bedingungen sollen solche sein, unter denen ein Sprechakt vollständig, d.h. fehlerfrei, und erfolgreich vollzogen wird. Der Erfolg eines Sprechakts ist sein Verstandenwerden durch den Adressaten. Die Prüfung der aufgestellten Regeln unter diesem Gesichtspunkt weckt Widerspruch: Wieso sind für das Verstehen die beiden Einleitungsbedingungen notwendig? 1. 2.
H ist in der Lage, A zu tun Es ist für (S und) H nicht offensichtlich, dass H bei normalem Verlauf der Ereignisse A aus eigenem Antrieb tut.
Verstehen kann der Adressat die Äußerung, mit der eine Aufforderung vollzogen werden soll, auch, ohne die beiden oben genannten Bedingungen zu erfüllen. (Vgl. auch WUNDERLICH (1976), Ulf.) Dafür reicht sogar seine Kenntnis der wesentlichen Regel. Die beiden von SEARLE formulierten Einleitungsregeln sind also nur notwendig, wenn damit garantiert werden soll, dass
SEARLES Regeltypen und Regeln für Sprechakte
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der Adressat die Äußerung als Aufforderung an ihn akzeptiert. Davon ist jedoch bei SEARLE nicht die Rede. Insofern könnte man sagen, dass die angeführten Regeln zu vollständig sind. Aber andererseits: Sind die beiden Zustandsannahmen, von denen ein Sprecher, der eine Aufforderung äußert, ausgeht, auch hinreichend für die Bestimmung des Sprechakts ,Auffordern'? Müsste man z.B. nicht noch eine sprecherseitige Annahme berücksichtigen, die den Willen des Adressaten zur Ausführung der geforderten Handlung betrifft? Wenn ich jemanden zu etwas auffordern will, dann gehe ich sicher nicht davon aus, dass der Angesprochene unter keinen Umständen auch nicht dann, wenn ich ihn auffordere - willens ist, etwas für mich zu tun. Ich will es mit diesen beiden Überlegungen zur Vollständigkeit der SEARLEschen Regeln bewenden lassen. Sie zeigen bereits, dass die Regeln einerseits zu vollständig, andererseits offenbar unvollständig sind. 4.1.3
Sind die Regeln adäquat formuliert?
Alle Regeln sind aus der Perspektive eines Beobachters formuliert. Am deutlichsten wird dies durch die Verwendung des Ausdrucks wissen. Wenn jemand dieses Prädikat gebraucht, dann gilt, dass der Sachverhalt, der das Objekt des Wissens ausmacht, wahr sein soll. SEARLES Regelformulierungen implizieren also die Wahrheit der Tatsachen, dass H A tun kann sowie dass es für S und H offensichtlich ist, dass H im normalen Verlauf der Ereignisse nicht ohne S' Äußerung A tun wird. Wir haben bereits im Zusammenhang mit AUSTINS performativ-konstativ-Unterscheidung das folgende Problem gehabt: AUSTIN hatte gesagt, dass mit dem Glücken von performativen Äußerungen das Zutreffen bestimmter Feststellungen verbunden sei. Zu solchen Feststellungen gehört der Inhalt von Bedingungen für das konventionale Verfahren, also auch die SEARLEschen Einleitungsregeln. (Vgl. BAUMGÄRTNER (1977), 264ff.) Wer bestimmt aber über die Wahrheit dessen, was mit ihnen behauptet wird? Der Sprecher, sein Adressat oder ein allwissender Beobachter? MUSS das, was ein Sprecher über sich, die Welt
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Regeln und Regelformulierungen
und seinen Adressaten zu wissen glaubt, auch wirklich wahr sein? Und, dies wäre dann die Konsequenz, darf er sich nie irren? Die SfiARLEschen Formulierungen scheinen eine positive Beantwortung dieser Frage nahe zu legen. Eine solche Auffassung ist aber aus zwei Gründen problematisch: - für das Zustandekommen eines Sprechakts ist es zwar notwendig, dass der Sprecher bestimmte Annahmen über die bestehende Situation hat; es ist aber nicht notwendig, dass diese Annahmen auch wirklich zutreffen. AUSTIN hat darauf hingewiesen, dass Äußerungen, bei denen sich der Sprecher über bestimmte Zustände im Irrtum befindet, zustande gekommen sind, aber anfechtbar sein können; - für das Verstehen und Akzeptieren einer Äußerung durch den Adressaten ist es notwendig, dass dieser der Zustandsbeurteilung, die ihm der Sprecher mit seiner Äußerung zu verstehen gibt, zustimmt, unabhängig davon, was ein Dritter dazu sagen würde. Darüber hinaus ist es fragwürdig, ob das Zutreffen eines positiven Zustands eine Bedingung für das Zustandekommen von Sprechakten darstellt. Ist es nicht eher so, dass der Sprecher alle Umstände ausschließt, die seinen Äußerungserfolg von vornherein unmöglich machen würde? Für unser Aufforderungsbeispiel würde dies heißen: S geht nicht davon aus, dass H unfähig (nicht willens) ist, A zu tun; S geht nicht davon aus, dass H im normalen Verlauf der Ereignisse ohne seine Äußerung A tun wird; Untersuchungen, die im Bereich der linguistischen Pragmatik zu Sprechakten und Sprechaktverben gemacht worden sind, enthalten die unterschiedlichsten Prädikate zur Formulierung Sprecher- und hörerseitiger Bedingungen: viele (nach SEARLE) wissen, häufig aber auch glauben, davon ausgehen, für wahr halten, zu wissen glauben. Durch die Verwendung solcher Ausdrücke, die von den Autoren ziemlich ad hoc verwendet werden, geben die Beschreibenden auch immer eine Bewertung der Wissens/ Glaubensinhalte aus ihrer Sicht, sei es, dass sie wie bei wissen ihre Zustimmung zeigen, sei es, dass sie Unbestimmtheit zeigen, wie bei davon ausgehen, glauben usw.
SEARLES Regeltypen und Regeln fur Sprechakte
221
Dass ein Beschreibender immer notwendig Stellung zum Wissen eines Beschriebenen beziehen muss, ist ein methodologisches Problem, das unmittelbar aus den Beschränkungen der umgangssprachlichen Ausdrucksmittel resultiert: Es gibt in unserer Sprache kein Prädikat, das geeignet wäre, das , Wissen' im Selbstverständnis eines Sprechers oder eines Besprochenen zu bezeichnen, ohne dass derjenige, der dies bezeichnet, nicht in irgendeiner Weise zu diesem Wissen bzw. zu seinem Inhalt Stellung beziehen müsste. Im Fall der Verwendung des Ausdrucks wissen gilt die Regel der Transitivität: „Wenn ,A weiß (oder sagt), dass B weiß, dass p'", dann gilt: ,„A weiß, dass p'". Anderen Prädikaten wie glauben, für wahr halten, davon ausgehen usw. kommt zwar diese Transitivität nicht zu, dafür wird bei ihrer Verwendung aus der Perspektive des Beschreibenden immer das Selbstverständnis des beschriebenen Sprechers distanzierend erschüttert: Es gibt in unserer Umgangssprache kein Prädikat, das alle semantischen Eigenschaften von Wissen besitzt, nicht aber die mit Wissen gegebene Transitivität. (BAUMGÄRTNER (1982), 8; vgl. dazu auch MUDERSBACH (1984).)
Die Problematik, die sich aus den SEARLEschen Regelformulierungen ergibt, dürfte hiermit deutlich geworden sein. Abgesehen von der generellen Beschränkung sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist darauf zu achten, dass man die Bedingungen so formuliert, dass dem Sprecher und seinem Adressaten die Möglichkeit des Irrtums zugestanden wird. Der gegenteilige Fall würde eine völlig idealisierende Normierung von Sprechakten bedeuten. 4.1.4
Gibt es eine Reihenfolge beim Erfüllen der Bedingungen/Regeln?
SEARLE gibt für seine Regeln die folgende Ordnung an: 1. Regeln des propositionalen Gehalts 2. Einleitungsregeln 3. Aufrichtigkeitsregel 4. wesentliche Regel
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Regeln und Regelformulierungen
WUNDERLICH interpretiert diese Ordnung so, dass die Regeln in der genannten Reihenfolge erfüllt sein müssen und fährt kritisch fort: Mir scheint es problematisch, hier von irgendeiner systematischen Reihenfolge der entsprechenden Regeln sprechen zu wollen. Man könnte [...] eher annehmen, daß propositionaler Gehalt und Einstellung/Intention nach Maßgabe möglicher illokutionärer Effekte ausgewählt bzw. gebildet werden; aber es sind bestimmte Interessen und Motivationen, die zur Wahl bestimmter Kräfte der Äußerungen fuhren. (WUNDERLICH (1976), 114.)
Die Kritik WUNDERLICHS, die ich für begründet halte, zielt in erster Linie auf die Priorität, die SEARLE der sprachlichen Ausprägung von Sprechakten einräumt. Wenn man überhaupt von einer Ordnung der Regelerfüllung sprechen will, dann sind sicher die Interessen und Motivationen der Sprecher der sprachlichen Formulierung vorgeordnet. Sprechakte zu produzieren ist eine Form zweckrationalen Handelns. Als solches ist das Vollziehen sprachlicher Äußerungen auch immer als Mittel zu einem Zweck anzusehen, wobei der Zweck beim Angesprochenen selbst liegen, aber auch darüber hinausgehen kann. Wenn ich z.B. meinen Adressaten dahingehend beeinflussen will, dass er eine bestimmte Überzeugung oder emotionale Einstellung gewinnen soll, dann liegt mein Zweck beim Angesprochenen selbst; wenn ich dadurch, dass ich jemanden auffordere, etwas zu tun, für mich einen besonders angenehmen Zustand herbeiführen will, dann ist die Handlung des Angesprochenen ein Mittel zu meinem Zweck. Jeder Sprechakt ist also eingebettet in komplexe situationsabhängige Interessen und Motivationen eines Sprechers. Die SfiARLEsche Anordnung der Erfüllung von Sprechaktregeln trifft sicher auch nicht auf den Adressaten zu, denn - um nur einen Gesichtspunkt zu nennen - wie sollte dieser die Einleitungsbedingungen erfüllen, wenn er die illokutionäre Rolle der Äußerung noch gar nicht kennt? Aus der konkreten Interaktionssituation werden die primären Anhaltspunkte für die Interpretation der Äußerungen gewonnen, und erst dann wird die Aufmerksamkeit auf die formalen Aspekte der Äußerung gelenkt. (WUNDERLICH (1976), 114.)
SEARLES Regeltypen und Regeln fur Sprechakte 4.1.5
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Wie werden die Regeln befolgt?
Sprecher folgen den Regeln „weder bewußt noch unbewußt" (SEARLE (1995); (dt. 1997), 147.), d.h. die Regeln natürlicher Sprachen gelten implizit: Die Sprecher müssen sie nicht kennen oder gar formulieren können. KRÄMER (2001) fragt im Anschluss an diese Regelbestimmung: Wenn es die zu Regeln kondensierbaren, notwendigen und hinreichenden Bedingungen sind, welche Sprechakte definieren, und wenn wirkliche Äußerungen ihren Status, ein Sprechakt zu sein, nur im Rahmen dieses Regelwerks gewinnen, dann drängt sich eine Frage auf: Wie ist dieser Status der Regeln, einen Sprechakt zu konstituieren, vereinbar damit, daß diese Regeln den Sprechern nicht bewußt sind, daß über ein Wissen dieser Regeln allenfalls die Sprachphilosophen und Sprachwissenschaftler verfugen? Wie kann die Existenz solcher Regeln so gewährleistet sein, daß sie als eine Voraussetzung des Sprechens fungieren können, ohne daß die Sprecher sie tatsächlich kennen müssen? (KRÄMER (2001), 70.)
Wie wir bereits in Kapitel 2. gesehen haben, ist Sprache für SEARLE eine gesellschaftliche Institution. Institutionen schaffen institutionelle Tatsachen im Unterschied zu „brute facts", „rohen Tatsachen", die unabhängig von menschlichen Institutionen bestehen (vgl. SEARLE (1995), 27; (dt. 1997), 37.). Die Institution des Geldes macht aus einem Stück Papier einen Zehneuroschein, die Institution Sprache macht aus „ich verspreche, dir morgen beim Umzug zu helfen" die Übernahme einer Verpflichtung. Der Übergang des einen zum ändern ist in einem System konstitutiver Regeln begründet. Die allgemeine Regel ,X gilt als im Kontext C' kann man spezieller formulieren als: X gilt als institutionelle Tatsache in der Institution C „ich verspreche ..." („Je promets", „I promise") gilt als institutionelle Tatsache der Übernahme einer Verpflichtung in der Institution Sprache Konstitutive Regeln wie die des Versprechens haben - wie wir bereits gesehen haben - universale Geltung. Die Einzelsprachen sind jeweils Realisierungen dieses Systems konstitutiver Regeln, wobei unterschiedliche sprachspezifische Konventionen ausgeprägt werden. Konventionen sind - nach LEWIS willkürlich, das System konstitutiver Regeln ist determiniert
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Regeln und Regelformulierungen
und darin der Universalgrammatik CHOMSKYS nicht unähnlich. (Vgl. KRÄMER (2001).) Angesichts dieser Bestimmung könnte man weiter fragen, wie Systeme konstitutiver Regeln „... im Verhalten von Individuen, die diese Regeln nicht kennen, wirksam werden." (KRÄMER (2001), 71.) SEARLE hat im Anschluss an seine Sprechakttheorie eine Theorie der Intentionalität und der institutionellen Tatsachen ausgearbeitet (vgl. Searle (1983); (dt. 1986); (1995); (dt. 1997); (2002).). In diesen Arbeiten wird ein Konzept des Hintergrunds, .background', entwickelt, das das Bindeglied zwischen dem System konstitutiver Regeln und dem sprachlichen Handeln von Individuen abgeben soll. Unter ,Hintergrundc versteht SEARLE eine Menge von Kenntnissen, Fähigkeiten und Dispositionen, die es den Individuen ermöglicht, die Welt in einer bestimmten Weise zu repräsentieren und sich intentional in ihr zu verhalten, ohne selbst repräsentational und intentional zu sein (vgl. SEARLE (1995), 130ff; (dt. 1997), 138ff.). SEARLE illustriert dies an folgendem Beispiel (SEARLE (1995), 131; (dt. 1997), 143.): (i)
Sie gab ihm den Schlüssel und er öffnete die Tür
Unser normales Verständnis dieses Satzes ist - grob gesagt - das folgende: - das Ereignis des Schlüsselgebens geht dem Ereignis des Türöffnens voraus - das Türöffnen geschieht vermittels des gegebenen Schlüssels Nichts von all dem ist wörtlich gesagt. Der Satz könnte auch wahr sein, wenn die Reihenfolge der wiedergegebenen Ereignisse die umgekehrte wäre, wenn die Tür mit einem anderen Schlüssel geöffnet würde oder wenn - SEARLES Imagination! der Schlüssel hundert Pfund wöge und die Form einer Axt hätte. Der Witz dabei ist, dass solche Interpretationen nicht durch den semantischen Gehalt des Satzes blockiert werden, sondern durch unser Weltverständnis. Die Individuen haben bestimmte Fähigkeiten, mit der Welt zurecht zu kommen, und diese Fähigkeiten können nicht als Teil der wörtlichen Bedeutung des Satzes angesehen werden. Die These des Hintergrunds von semantischen Gehalten (Repräsentationen) kann auf inten-
Sprechaktkonzepte
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tionale Gehalte ausgeweitet werden: Jeder intentionale Zustand erhält seine Erfüllungsbedingungen auf dem Hintergrund von Fähigkeiten und Dispositionen, die nicht als Teil intentionaler Gehalte aufgefasst werden können. Auf dem Hintergrund des SEARLEschen Hintergrunds lässt sich auch das Prinzip der Ausdrückbarkeit, das zuerst in „Speech Acts" (1969) aufgestellt wurde, neu deuten. Das Prinzip lautet, dass wir alles, was wir meinen, auch sagen können oder: Jede menschliche Intention ist „... in einem sprachlichen Ausdruck zu kodieren." (KRÄMER (2001); 60.). Intentionale Gehalte sind durch unsere Fähigkeiten und Dispositionen determiniert. Wenn, wie SEARLE betont, diese Fähigkeiten uns als Gruppenwesen gleichermaßen zukommen, dann sind Intentionen und ihre Gehalte auch immer an den Fähigkeiten und Intentionen der anderen Mitglieder der Gruppe orientiert; das heißt: Die Gruppe entwickelt als ganze eine kollektive Intentionalität und damit auch eine kollektive Vorstellung von intentionalen Gehalten (vgl. SEARLE (2002), 90ff.). Die Orientierung am Anderen ist eine unserer fundamentalen Hintergrundfähigkeiten, insofern gehört die Ausdrückbarkeit von Intentionen zu unseren grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten. In der neuesten Version der SEARLEschen Theorie gehört sie zu einer Art biologischen Grundausstattung: The biologically primitive sense of the other person as a candidate for shared intentionality is a necessary condition of all collective behavior and hence of all conversation. (SEARLE (2002), 105.)
4.2
Sprechaktkonzepte als Mittel zur Herstellung von Interaktionsbeziehungen
Die Leser/innen dieses Kapitels haben sich vielleicht schon lange gefragt, warum ich mich so ausführlich mit den SEARLEschen Regeln befasst habe, wenn sie doch so leicht zu kritisieren sind. Unabhängig von dem Problem, ob die Bedingungen vollständig sind oder in welcher Reihenfolge sie erfüllt sein müssen, illustriert der SEARLEsche Regelkatalog m.E. sehr gut die AusTiNsche These, dass Sprechen immer mehr ist als nur ein paar Wörter sagen. Um es nochmals zu verdeutlichen: gegeben seien die folgenden Äußerungen:
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(i) (ii) (iii)
Regeln und Regelformulierungen
Geh da bloß nicht hin als Warnung Ich schicke dir morgen ein Päckchen als Versprechen Leih mir mal dein Fahrrad! als Aufforderung
Mit (i) bis (iii) in ihrer jeweiligen Funktion als Warnung, Versprechen und Aufforderung wird über das ausdrücklich Gesagte hinaus etwas zu verstehen gegeben, was SEARLE mit den Einleitungs- und Aufrichtigkeitsregeln - wie vollständig auch immer - formuliert hat, also: zu (i):
,das, was du tun willst, ist schlecht für dich' ,wenn ich nichts sagen würde, würdest du etwas für dich Schlechtes tun' ,ich will nicht, dass du etwas für dich Schlechtes tust' zu (ii): ,du willst gern von mir ein Päckchen haben' ,ich würde dir kein Päckchen schicken, wenn ich es dir nicht versprechen würde' ,ich will dir ein Päckchen schicken' zu (iii): ,du bist in der Lage und willens, mir dein Fahrrad zu leihen' ,du würdest es nicht von selbst tun, wenn ich es nicht sagen würde' ,ich will, dass du mir dein Fahrrad leihst' Was ich zu (i) bis (iii) jeweils formuliert habe, ist an die Äußerungen mit ihren bestimmten illokutionären Rollen gebunden: Der Inhalt der Formulierungen bezieht sich auf Einstellungen, die Sprecher zueinander herstellen und Intentionen, die sie bei ihren Adressaten durchsetzen wollen. Beide Komponenten jeweiliger Sprechakte legen eine bestimmte situationsgebundene Beziehung zwischen Sprecher und Adressat hinsichtlich einer bestimmten illokutionären Rolle fest. Und es gehört zur Ökonomie unserer sprachlichen Mittel, dass solche Beziehungselemente nicht ausdrücklich thematisiert werden müssen, sondern in Sprechakten, besser: Sprechaktkonzepten, gebündelt sind. Man stelle sich einmal eine Sprache vor, in der es keine solchen Sprechaktkonzepte gibt und male sich aus, was Sprecher einer solchen Sprache alles sagen müssten, um ihre Einstellungen und Intentionen ihren jeweiligen Adressaten deutlich zu machen!
Sprechaktkonzepte
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Fassen wir abschließend zusammen: (1) Sprechakte als illokutionäre Akte mit einem propositionalen Gehalt werden nach SEARLE von Systemen konstitutiver Regeln geleitet; damit wird das, was AUSTIN ,konventionales Verfahren' genannt hat, präzisiert; (2) die Regeln sind als Bedingungen formuliert, die sich auf den Inhalt einer Äußerung, die Zustandsannahmen sowie die Intention des Sprechers und die Geltung der Illokution beziehen; (3) die Formulierung solcher Bedingungen, vor allem der sprecherseitigen Zustandsannahmen, ist problematisch; einmal ist es für das Verstehen einer Äußerung nicht nötig, dass der Adressat die sprecherseitigen Annahmen auch tatsächlich übernimmt; zum ändern wird durch die SEARLEschen Formulierungen eine idealisierende Normierung von Sprechakten vorgenommen, durch die Sprecher- (und hörer-)seitige Irrtümer ausgeschlossen werden; man sollte demgegenüber die Bedingungen so formulieren, dass dem Sprecher und seinem Adressaten die Möglichkeit des Irrtums zugestanden wird; (4) Die Geltung konstitutiver Regeln ist in einem Hintergrund von menschlichen Fähigkeiten und Dispositionen begründet, die für ein Kollektiv den Umgang mit der Welt festlegen; (5) die SfiARLEschen Bedingungen illustrieren die AusiiNsche These, dass Sprechen mehr ist als ein paar Wörter sagen.
Indirekte Sprechakte Die SEARLEschen Regeln waren am Beispiel explizit performativer Äußerungen entwickelt worden. Wir haben aber bereits mehrfach betont, dass solche Äußerungen in unserer alltäglichen Kommunikation verhältnismäßig selten vorkommen. Stattdessen verwenden wir meist indirekte Formulierungen, für die die SEARLEsche wesentliche Regel (X gilt als Y) meist nicht zutrifft; die Geltung indirekter Formulierungen als ganz bestimmte illokutionäre Rollen kommt häufig nicht durch Regelhaftigkeit oder Konvention zustande. Im Abschnitt 2.4 habe ich gesagt, dass sie oft durch Kooperation zwischen Sprecher und Hörer zustande kommt, bzw. als solche erklärt werden kann. In einem vielbeachteten Aufsatz hat GRICE ein Kooperationsprinzip menschlicher Kommunikation aufgestellt. Dieses wird mittlerweile in fast allen Büchern und Aufsätzen, die sich nur irgendwie mit Kommunikation oder auch Sprechakten beschäftigen, zitiert. Und es wird auch häufig missverstanden Grund genug, näher darauf einzugehen. 5.1
Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte
GRICE bezieht sich bei seinen Überlegungen nicht auf einzelne isolierte Sprechakte, sondern auf Kommunikationsabläufe (,talk exchange') unterschiedlicher Länge. (Vgl. GRICE (dt. 1979c), 248.) Ausgehend von der Tatsache, dass wir häufig nicht wörtlich das sagen, was wir meinen, entwickelt er einen Begriff der konversationalen Implikatur, der mit gewissen allgemeinen Diskursmerkmalen wesentlich verknüpft ist. Sein Hauptanliegen ist zu erklären: Wieso kann ich p sagen und q meinen? Kommunikation ist nach GRICE durch bestimmte kooperative Bemühungen gekennzeichnet: jede Konversation (damit meint er einen x-beliebigen Kommunikationsverlauf ohne die negative Konnotation, die dieser Ausdruck im Deutschen oft hat) ist durch einen Zweck oder eine Richtung bestimmt, der/ die von den Konversationsteilnehmern wechselseitig akzeptiert ist; entsprechend verhalten sie sich. Ein solches Verhalten ist
Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte
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kooperativ und wird von GRICE durch das folgende Prinzip bestimmt (GRICE (dt. 1979c), 247): Kooperationsprinzip (KP): „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird." Mit diesem Prinzip ist zunächst nichts anderes formuliert als dies: ,verhalte dich angemessen!'. Und weiter, da es sich um einen Kommunikationsgrundsatz handelt, auch dies: ,alle Sprecher einer Sprache unterstellen - sobald sie miteinander zu kommunizieren beginnen - wechselseitig, dass sie sich angemessen verhalten'. Nicht ausgedrückt ist mit diesem Prinzip, was jeweils im Einzelnen für die Gesprächspartner als ,angemessen' gilt. Und ebenso wenig wird durch dieses Prinzip ausgeschlossen oder in Frage gestellt, dass in jeweiligen Einzelfällen die Gesprächspartner durchaus verschiedener Meinung darüber sein können, was jeweils ein angemessenes Verhalten ist. GRICE präzisiert sein oberstes Prinzip, indem er vier Kategorien angibt, die er auch nicht inhaltlich füllt, sondern als formale Kriterien zur Beurteilung von Angemessenheit aufgefasst haben will (GRICE (dt. 1979c), 249.): (1)
QUANTITÄT - betrifft die Menge der abgegebenen Information (2) QUALITÄT - betrifft den Wahrheitsgehalt einer Äußerung (3) RELATION - betrifft die thematische Kohärenz von Äußerungen (4) MODALITÄT - betrifft die Art und Weise der Formulierung von Äußerungen Fasst man das Kooperationsprinzip und seine konstitutiven Kriterien als Kommunikationsgrundsatz zusammen, so kommt man zur folgenden möglichen Formulierung: ,Alle Sprecher einer Sprache unterstellen sich wechselseitig, dass sie informativ, wahr (plausibel), kohärent und ordentlich formuliert miteinander kommunizieren.' Was informativ, wahr (plausibel), kohärent und ordentlich formuliert ist, kann nur im Einzelfall konkret und von den beteiligten Kommunikationspartnern, keinesfalls aber theoretisch von vornherein entschieden werden.
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Indirekte Sprechakte
GRICE formuliert zusätzlich zum Kooperationsprinzip vier Maximen, die eine Art Ausführungsbestimmungen darstellen, nach denen die in den vier Kategorien genannten Kriterien gehandhabt werden sollen (GRICE (dt. 1979c), 250.): KONVERSATIONSMAXIMEN: (1) Die Maxime der Quantität: (a) mache deinen Beitrag so informativ wie für die gegebenen Zwecke nötig (b) mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig (2) Die Maxime der Qualität: (a) versuche, deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist (b) sage nichts, was du für falsch hältst (c) sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen (3) Die Maxime der Relation: (a) sei relevant (4) Die Maxime der Modalität (sei klar) (a) vermeide Dunkelheit des Ausdrucks (b) vermeide Mehrdeutigkeiten (c) sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit) (d) der Reihe nach (sei folgerichtig) Mit diesen Maximen wird Imperativisch formuliert, was die Gesprächsteilnehmer im Einzelnen tun können, damit ihr Verhalten als angemessen gelten kann. Keineswegs müssen sie sich jedoch immer so und nicht anders verhalten. GRICE sagt selbst, dass seine Maximen nur einen Ausschnitt aller möglichen darstellen.17 Und umgekehrt muss man auch nicht sämtliche Maximen gleichermaßen befolgen, was allerdings nicht heißt, dass man sich dann nicht angemessen verhält oder dass man das durch die jeweilige Kategorie benannte Kriterium vernachlässigt. Sondern es heißt nur, dass die Kategorien als Kriterien für angemessenes Verhalten unterschiedlich gewichtet werden können, und dies ist etwas anderes als zu sagen, sie fielen ganz weg. GRICE gibt u.a. folgende Beispiele für unterschiedliche Gewichtungen der einzelnen Maximen (GRICE (dt. 1979c), 255 ff):
17 GRICE fuhrt in seinen Beispielen noch zusätzlich die Maxime der Höflichkeit ein.
Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte
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Erstes Beispiel: Zwei Freunde, A und B, machen Pläne für eine Ferienreise nach Südfrankreich, während der sie C, einen Freund B's besuchen wollen. A fragt B: „Wo wohnt C?", und B sagt: „Irgendwo in Südfrankreich". Diese Antwort ist vom Gesichtspunkt ihrer Informativität, oder der Kategorie der Quantität, her gesehen defekt. Andererseits entspricht sie dem Wissensstand des Sprechers insofern, als dieser gar nicht mehr hätte sagen können, ohne lügen zu müssen, d.h. die Maxime der Qualität zu verletzen. Und implizit gibt der Sprecher mit seiner Äußerung dem Adressaten zu verstehen, dass er auf Kosten der Maxime der Quantität der Maxime der Qualität den Vorzug gibt. Dies kann der Adressat aber nur dann verstehen, wenn er die beiden Maximen der Qualität und der Quantität als Maßstab präsent hat. Zweites Beispiel: A hat entdeckt, dass B, bislang von ihm als eng vertrauter Freund angesehen, ihn als Geschäftsrivale hintergangen hat. A ist mit einer Zuhörerschaft zusammen, die dies ebenfalls weiß. A sagt zu dieser: „A ist ein guter Freund". Es ist sowohl für A als auch für seine Zuhörer offensichtlich, dass das, was A gesagt hat, wörtlich genommen, nicht wahr sein kann, von A selbst nicht für wahr gehalten wird, und die Zuhörer wissen, dass A weiß, dass sie es wissen. Also muss A etwas anderes meinen, als er sagt, d.h. er hat die Maxime der Qualität zu Gunsten der Maxime der Relevanz hintangestellt. Drittes Beispiel: Während einer höflichen Teeparty sagt A: „Frau X ist ein altes Weibstück". Danach Stille, die B mit freundlicher Stimme unterbricht, indem er sagt: „In diesem Sommer hatten wir aber doch ein Prachtwetter, nicht?". Hier wird Relevanz hintangesetzt zu Gunsten einer angemessenen Höflichkeit, eine Maxime, die GRICE zusätzlich zu den vier angeführten für sehr wichtig hält. (Vgl. dazu LEECH (1983).) Viertes Beispiel: Dieses stammt aus dem Bericht der Literatursprache; in ihm wird die Maxime, Mehrdeutigkeit zu vermeiden, hintangestellt. Ich zitiere das Beispiel auf Englisch (GRICE (1975), 54), es bezieht sich auf eine Verszeile des englischen Lyrikers W. Blake:
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Indirekte Sprechakte
„Never seek to tell thy love love that never told can be" LOVE kann entweder das entsprechende Gefühl oder auch den Gegenstand, die Person dieses Gefühls bezeichnen. Und es gibt noch eine zweite Möglichkeit: love that never told can be kann heißen: - entweder: ,Liebe, die nicht erzählt werden kann' - oder: ,Liebe, die, wenn sie erzählt wird, aufhören muss'. Die GRiCEschen Beispiele machen deutlich, dass sein Begriff der ,Kooperation' nur entfernt etwas mit dem umgangssprachlichen Begriff ,Kooperation' zu tun hat. Letzterer hat auch immer einen moralischen Aspekt wie ,dem anderen nützlich sein, ihm nicht schaden' u.dgl. Würde man diesen Begriff auf den GRiCEschen übertragen, hieße das, alle Gesprächsbeiträge auszuschließen, mit denen einem Adressaten etwas Negatives angetan werden soll, Gesprächsbeiträge, die im umgangssprachlichen Sinn als .unkooperativ' gelten. In ihrem Einführungsbuch „Ansätze und Aufgaben einer linguistischen Pragmatik" kritisieren die Autoren BRAUNROTH, SEYFERT u.a. das GRiCEsche Kooperationsprinzip auf der Basis einer solchen Gleichsetzung und kommen dabei zur merkwürdigen Behauptung, das Kooperationsprinzip könne nur für ein idealisiertes Bürgertum, „nur innerhalb der Klassen sinnvoll angenommen werden." (BRAUNROTH/SEYFERT u.a. (1975), 185.). Da, wo es Interessengegensätze zwischen gesellschaftlichen Klassen bzw. Institutionen und Individuen gebe, könne man nicht mehr von der Geltung des Kooperationsprinzips ausgehen. Ein Beispiel, das dies belegen soll: Angenommen mein Chef sagt zu mir: „Hören Sie mal zu, Seyfert, was ist eigentlich mit Ihnen los? Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich Klagen über Sie gehört habe ..." usw. dann weiß ich, was die Glocke geschlagen hat. Er impliziert hiermit: Entweder Sie spuren jetzt, oder Sie fliegen raus! (BRAUNROTH/SEYFERT u.a. (1975), 185.)
Die hier zitierte Chefäußerung ist insofern unkooperativ, als mit ihr dem Adressaten Sanktionen angedroht werden, die der
Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte
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Sprecher aufgrund seiner Machtposition ausüben kann. Doch dieses im umgangssprachlichen Sinn als ,unkooperativ' bewertbare Verhalten schließt Kooperation im GRiCESchen Sinn nicht aus, und genau dies macht kurioserweise das zitierte Beispiel deutlich: Wenn SEYFERT versteht, „was die Glocke geschlagen hat", dann nur aufgrund kooperativen Kommunikationsverhaltens: Er hat nämlich seinem Chef unterstellt, dass dieser das Kooperationsprinzip und die Maximen, besonders die der Relevanz, beachtet hat, um zu verstehen, dass er mehr als die Frage, was denn eigentlich mit ihm los sei, gemeint hat. Damit dürfte klar geworden sein, dass mit dem GRiCEschen Begriff von ,Kooperation' keine moralischen Postulate wie z.B.: ,sei menschenfreundlich!' oder: ,komme deinem Gesprächspartner entgegen!' verbunden sind. Das Kooperationsprinzip (KP) und seine ihm untergeordneten Maximen formulieren einen allgemeinen Kommunikationsgrundsatz, der die Basis liefern soll zur Erklärung der Tatsache, dass wir, indem wir p sagen, q meinen können, unabhängig davon, ob das als q Gemeinte nützlich oder schädlich für den Adressaten ist. GRICE selbst stellt das KP und die Maximen in den Zusammenhang rationalen Handelns: Ich würde die normale Kommunikationspraxis gerne nicht nur als etwas auffassen können, woran sich die meisten oder alle de facto halten, sondern als etwas, woran wir uns vernünftigerweise halten, was wir nicht aufgeben sollten. (GRICE (dt. 1979c), 252.)
Vernünftiges, rationales Handeln besteht zu einem Großteil darin, von der prinzipiellen Erreichbarkeit der angestrebten Ziele auszugehen, bzw. - um es weniger strikt zu formulieren - jedenfalls nicht von vornherein das Gegenteil anzunehmen. Nach GRICE würde die Missachtung des KP und seiner Maximen in erster Linie dem Sprecher bzw. seinem Äußerungserfolg schaden. (Vgl. GRICE (dt. 1979), 253; vgl. auch GRICE (1978).) Da er aber als rational Handelnder nicht von vornherein seinen Erfolg ausschließt, wird er das KP und die Maximen im Allgemeinen beachten: Wenn es um die für Konversation/Kommunikation zentralen Ziele geht (beispielsweise Information geben und empfangen, beeinflussen und von anderen beeinflußt werden), dann muß - passende Umstände vorausge-
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Indirekte Sprechakte
setzt - ein Interesse daran unterstellt werden, an einem Gespräch teilzunehmen, das nur von Gewinn sein wird, falls es in allgemeiner Übereinstimmung mit dem KP und seinen Maximen verläuft. (GRICE (dt. 1979c), 253.)
Das GRiCESche KP und die Maximen nehmen also den Status eines allgemeinen Prinzips menschlicher Kommunikation ein: Wenn überhaupt kommuniziert wird, dann diesem Prinzip gemäß; es stellt eine anthropologische Konstante dar, die Variablen wie /vernünftig', ,deutlich', ,wahr', ,relevant' usw. enthält. Diese Variablen werden in jeder Sprach- und Kulturgemeinschaft anders gedeutet: Was für uns als vernünftiges Handeln gilt, muss bei so genannten primitiven Gesellschaften noch lange nicht als vernünftig gelten; das Gleiche trifft auf die anderen Variablen ,deutlich', ,wahr', .relevant' usw. zu. Als allgemeine Kategorien, wie sie im KP und in den Maximen enthalten sind, werden sie in jeglicher Kommunikation ganz gleich, in welcher Sprache - angewendet; wie sie jeweils inhaltlich ausgefüllt sind, ist Sache einer Sprach- und Kulturgemeinschaft. Wie ein Adressat aus einer Äußerung p schließt, daß q gemeint ist, und damit auch wie ein Sprecher mit p meinen kann, dass q, erklärt GRICE auf der Basis des KP und der Maximen durch die so genannte konversationale Implikatur. Diese unterscheidet er von der konventionalen Implikatur, die lediglich aufgrund der Regelkenntnis einer Sprache zustande kommt, z.B. bei Folgerungen oder Präsuppositionen, wie sie AUSTIN für konstative Äußerungen untersucht hat. Für konversationale Implikaturen müssen die Kommunikationspartner auf mehr zurückgreifen als auf die Regeln ihrer Sprache. GRICE nennt die folgenden Daten (GRICE (dt. 1979c), 255.): (1) die konventionale Bedeutung der verwendeten Worte samt ihrem jeweiligen Bezug; (2) das KP und seine Maximen; (3) den sprachlichen und sonstigen Kontext der Äußerung; (4) anderes Hintergrundwissen; (5) die Tatsache (oder vermeintliche Tatsache), dass alles, was vom bisher Aufgeführten relevant ist, bei den Beteiligten verfügbar ist und dass beide Beteiligte wissen oder annehmen, dass dem so ist.
Kooperation als Basis für die Geltung indirekter Sprechakte
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Das allgemeine Schema für eine konversationale Implikatur, in dem (1) bis (5) zusammengefasst und hörerbezogen formuliert sind, lautet so (GRICE (dt. 1979c), 255.): Er hat gesagt, daß p; es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er die Maximen oder zumindest das KP nicht beachtet; er könnte sie nicht beachten, falls er nicht dächte, daß q; er weiß (und weiß, daß ich weiß, daß er weiß), daß ich feststellen kann, daß die Annahme, daß er glaubt, daß q, nötig ist; er hat nichts getan, um mich von der Annahme, daß p, abzuhalten; er will - oder hat zumindest nichts dagegen -, daß ich denke, daß q; und somit hat er impliziert, daß q.
Ein Beispiel für eine solche konversationale Implikatur wäre das folgende: A steht vor seinem Auto, das sich offensichtlich nicht mehr von der Stelle rührt; B kommt dazu, und es kommt zum folgenden Dialog: A: Ich habe kein Benzin mehr B: Um die Ecke ist eine Werkstatt Die konversationale Implikatur für den Adressaten A wäre in etwa die folgende: (i) (ii)
(iii) (iv) (v)
B hält sich an das KP und die Maximen; wenn ich die Äußerung „um die Ecke ist eine Werkstatt" wörtlich nehme, dann würde B gegen die Maxime der Relevanz verstoßen, denn welchen Sinn kann diese Feststellung als solche für mich in meiner Situation haben? B muss also etwas anderes meinen als er sagt: seine Feststellung soll mir als Ratschlag dienen; diesen Ratschlag kann B nur ernsthaft geben, wenn er mit seiner Äußerung auch impliziert, dass die Werkstatt aufhat und Benzin verkauft; B tut nichts, was mich von dieser Auffassung seiner Äußerung abhält - also werde ich seinen Rat befolgen.
Die Erklärung der konversationalen Implikatur durch (i) bis (v) enthält eine Reihe hörerseitiger Annahmen, die zusammengenommen dazu führen, dass der Adressat erkennt, dass der Sprecher mit p („um die Ecke ist eine Werkstatt") q („geh doch zu dieser Werkstatt und kaufe dort Benzin") meint. Der Spre-
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Indirekte Sprechakte
eher muss bei seinem Adressaten die kooperative Bereitschaft voraussetzen, die konversationale Implikatur zu erschließen. (Vgl. auch WUNDERLICH (1976), 49f.; (1976b), 479ff.) 5.2
Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution
5.2.1
Generalisierte versus partikulare Implikaturen
Das Kooperationsprinzip und die Maximen sind - wie wir gesehen haben - aus der Perspektive eines jeweiligen Sprechers formuliert, d.h. sie regeln die Produktion von Äußerungen im Rahmen von (rationaler) Kommunikation. Ihre Befolgung erhöht, ihre Verletzung senkt das Maß an konversationaler Rationalität. Wie SCHOLZ (1999) im Anschluss an ULLMANN-MARGALIT (1983) feststellt, können die GRiCESchen Prinzipien auch als Prinzipien des Verstehens, als „hermeneutische Präsumptionsregeln" (vgl. Scholz (1999), 166.) rekonstruiert werden; z.B. kann das allgemeine Kooperationsprinzip als Präsumptionsregel folgendermaßen formuliert werden (mit PrR als Präsumptionsregel und KOOP als konversationale Kooperatiyität): (PrR-KOOP) Wenn dein Gesprächspartner eine Äußerung in einem gemeinsamen Gespräch getan hat, dann interpretiere sie als einen im Hinblick auf den wechselseitig akzeptierten Zweck oder die wechselseitig akzeptierte Richtung des Gesprächs angemessenen Beitrag zu diesem Gespräch, solange bis du zureichende Gründe für die gegenteilige Annahme hast. (Vgl. SCHOLZ (1999, 166.) Diese Regel berücksichtigt den Status der Widerlegbarkeit von Präsumptionen im Sinn der Leibnizschen Definition: „Praesumptio est, quod pro vero habetur donec contrarium probetur." (Eine Präsumption ist, was für wahr gehalten wird, bis das Gegenteil erwiesen ist) Auch für die Maximen lassen sich Präsumptionsregeln formulieren, stellvertretend sei hier die Relevanzpräsumption aufgeführt: (PrR-REL) Wenn dein Gesprächspartner eine Äußerung a in einem gemeinsamen Gespräch getan hat, dann interpretiere a als eine (für den Gesprächsverlauf) relevante Äußerung, solange bis du zureichende Gründe für die gegenteilige Annahme hast.
Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution
237
Sowohl die GRiCEschen sprecherbezogenen Prinzipien als auch die daraus rekonstruierbaren Präsumptionsregeln spielen eine zentrale Rolle für die Theorie der Implikaturen, mit der erklärt werden soll, wieso wir p sagen und q meinen können. In dieser Formulierung klingt das so, als handele es sich um einen besonders außergewöhnlichen Fall des Meinens oder Kommunizierens; es ist jedoch - dies mag zunächst überraschen - der Normalfall. CLAVELL (2002) erzählt die folgende Geschichte aus Harvard: In den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Harvard im Speisesaal einiger Colleges das Hinweisschild: „Mitglieder des Lehrkörpers werden gebeten, während des Essens Jackett und Krawatte zu tragen". Eines Abends erschienen ein paar junge Männer mit Jackett und Krawatte, aber ohne Hemd, zum Abendessen. Sie beriefen sich darauf, dass das Hinweisschild nichts über das Tragen von Hemden sage, gaben aber zu, dass ihr Auftreten als provozierender Scherz gemeint war (vgl. CAVELL (2002), 166.). Wir haben es hier also mit einer Situation zu tun, auf die die folgende - etwas inkonsistente Beschreibung zutrifft: (1) Das Schild enthält keinen expliziten Hinweis darauf, dass Hemden getragen werden müssen. (2) Das Erscheinen der jungen Männer ohne Hemd entspricht keinem normalen Verhaltensmuster. Kann man nun daraus schließen, dass mit dem Schild irgendwie ,implizit' oder ,indirekt' gemeint ist, dass die Herren Hemden zu tragen haben? Bevor wir uns einer Antwort auf diese Frage zuwenden, betrachten wir noch das folgende Beispiel: Die Interpretation der Äußerung (i)
Der blaue Zylinder ist auf dem roten Würfel
ist wohl am angemessensten durch Bild l wiedergegeben, während Bild 2 oder 3 eher außergewöhnliche oder marginale Fälle der Interpretation darstellen:
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Indirekte Sprechakte
J l
2
3
Das heißt: Die erste Interpretation ist die allgemein bevorzugte. Allerdings bedeutet dies nicht, dass sie die einzig mögliche ist. Auch wenn Interpretation 2 oder 3 zuträfe, könnte der geäußerte Satz (i) wahr sein. Solche Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, zeigen, dass die Ausdrücke natürlicher Sprachen in einem beträchtlichen Maß unterspezifiziert sind, und das heißt auch, dass wir in den meisten Fällen nicht wortwörtlich sagen, was wir meinen. Hinsichtlich der Gesamtbedeutung einer natürlichsprachlichen Äußerung unterscheidet GRICE zwischen dem, was gesagt ist („what is said"), und dem, was gemeint ist („what is meant"). Das Gesagte umfasst neben dem, was ,wirklich' („really") gesagt ist, alle Arten von semantischen Inferenzen („entailments"): Wenn ich etwas über eine Rose sage, dann sage ich auch etwas über eine Pflanze und eine Blume; wenn ich etwas über ein Versprechen sage, dann sage ich auch etwas über eine sprachliche Handlung usw. Das Gemeinte (und nicht Gesagte) besteht aus dem, was konventional implikatiert ist, im Wesentlichen den Präsuppositionen, und dem, was konversational implikatiert ist. Präsuppositionen tragen zum Wahrheitswert von Äußerungen bei, Implikaturen tun dies nicht. Es gibt zwei Arten von Präsuppositionen, existenzielle und lexikalische. In dem bekannten Beispiel von Russell: (ii)
Der König von Frankreich ist kahlköpfig
ist die Nominalphrase der König von Frankreich die Existenzpräsupposition, grob repräsentiert durch die Proposition ,es gibt einen König von Frankreich', die wahr sein muss, damit der gesamten Äußerung ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Ein Beispiel für eine lexikalische Präsupposition ist:
Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution
(iii)
239
Hans hat aufgehört, Bier zu trinken
Die Proposition ,Hans hat bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Produktion der Äußerung (iii) (gewohnheitsmäßig) Bier getrunken' muss wahr sein, damit für die Gesamtäußerung ein Wahrheitswert bestimmt werden kann. Implikaturen können generalisiert („generalized") oder partikular sein. Der Unterschied kann durch das folgende Beispiel verdeutlicht werden (vgl. LEVINSON (2000), 10f.): Angenommen, Anton kommt zu spät zu einer Party, auf der er seinen Freund Heinrich treffen wollte. Er fragt einen der anwesenden Gäste: (iv)
Ist Heinrich noch hier?
Der Adressat antwortet: (v)
Einige Gäste sind bereits gegangen
Äußerung (v) implikatiert unabhängig von der Situation, in der sie gemacht wird: (vi)
Nicht alle Gäste sind gegangen
Darüber hinaus kann (v) situationsabhängig eine Interpretation implikatieren, die als direkte Antwort auf Antons konkrete Frage aufgefasst werden kann, in etwa: (vii) (viii)
(Vielleicht) ist Heinrich schon gegangen (Vielleicht) ist Heinrich noch da
Welche dieser möglichen Alternativen zutreffend ist, hängt von weiteren Umständen der Situation sowie von Antons Kenntnissen der Partygewohnheiten Heinrichs ab. Das heißt: Die Implikatur „Nicht alle Gäste sind gegangen" ist eine generalisierte Implikatur, die auf einen Äußerungstyp bezogen ist: Immer wenn jemand eine Äußerung des Typs „Einige X sind Y" macht, ist er auf die Implikatur „Nicht alle X sind Y" festgelegt. Die Implikaturen „Heinrich ist schon gegangen", „Heinrich ist noch da" sind partikulare Implikaturen, bezogen auf ein ganz bestimmtes Äußerungsexemplar: Aus einer Äußerung wie (v) kann man situationsunabhängig wohl kaum zur Interpretation ,Heinrich ist noch da' kommen! Man könnte jetzt einwenden, dass die generalisierte Implikatur ,nicht alle' aus einige eine lexikalische Inferenz (entailment)
240
Indirekte Sprechakte
darstellt, d.h. ein Teil der Bedeutung von einige ist. Im Unterschied zu lexikalischen Inferenzen können Implikationen jedoch getilgt oder verstärkt werden, vgl.: (ix) Einige, aber nicht alle Gäste sind schon gegangen (x) Einige, wenn nicht alle Gäste sind schon gegangen Und schließlich gibt es Kontextbeschränkungen für den Gebrauch von nicht alle anstelle von einige. In einer Ankündigung wie der folgenden: (xi) Der Kindergarten bleibt heute geschlossen, weil einige Kinder an Masern erkrankt sind kann einige nicht durch nicht alle ersetzt werden, vgl.: (xii) *Der Kindergarten bleibt heute geschlossen, weil nicht alle Kinder an Masern erkrankt sind Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nicht eine Situation oder einen Kontext gäbe, in dem (xii) korrekt sein könnte. Insgesamt ergibt sich für die Unterscheidung Gesagtes-Gemeintes das folgende Bild (vgl. LEVINSON (2000), S. 13.): GESAMTBEDEUTUNG der Äußerung
was GESAGT ist
was GEMEINT ist
was KONVENTIONAL implikatiert ist/ Präsuppositionen
was KONVERSATIONAL implikariert ist/ Implikaturen
GENERALISIERT
PARTIKULAR
Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution
241
Die Eigenschaften der einzelnen Komponenten sind zusammengefasst die folgenden: - Die Gesamtbedeutung einer Äußerung ist zusammengesetzt aus dem, was gesagt und inferiert ist und aus dem, was gemeint ist. Die Unterschiede zwischen den drei Komponenten des Gemeinten sind die folgenden: - Präsuppositionen tragen zum Wahrheitswert der Äußerung bei, sie sind auf Äußerungstypen bezogen, und sie können nicht getilgt werden. - Generalisierte Implikaturen tragen nicht zum Wahrheitswert der Äußerung bei, sie sind auf Äußerungstypen bezogen, und sie können getilgt werden. - Partikulare Implikaturen tragen nicht zum Wahrheitswert der Äußerung bei, sie sind auf Äußerungsexemplare bezogen, und sie können getilgt werden. Für die Erzeugung von generalisierten Implikaturen sind, wie wir gesehen haben, die Quantitäts- und Modalitätsmaximen konstitutiv, für die Erzeugung von partikularen besonders die Relevanzmaxime (vgl. SPERBER/WILSON (1986).) und die Qualitätsmaxime. Wenn unsere bisherigen Überlegungen zutreffend sind, wofür einiges spricht, dann müssen wir die Frage, ob der Fall, dass wir p sagen und q meinen, einen sprachlichen Sonderfall darstellt, verneinen. Aus der fundamentalen Tatsache, dass die Bedeutung natürlichsprachlicher Ausdrücke in einem beträchtlichen Maß unterspezifiziert ist, folgt, dass wir das, was wir meinen, in den meisten Fällen nicht ,direkt' sagen (können). Man könnte nun gegen diese Begründung einwenden, dass der Begriff der Bedeutung sprachlicher Zeichen zu eng gefasst sei, oder mit anderen Worten, dass die verschiedenen möglichen Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke mit zu ihrer Bedeutung gehören. Meines Erachtens wäre dieser Standpunkt einem heillosen Missverständnis einer Gebrauchstheorie der Bedeutung zu verdanken. Stellen wir uns einmal Folgendes vor: Bei einem spontan veranstalteten Picknick im Hinterhof einer Getränkefirma sitzen zwei Leute auf Sprudelkisten und lassen es sich schmecken. Ein Kollege kommt und bemerkt: (xiii)
Ihr sitzt aber auf unbequemen Stühlen
242
Indirekte Sprechakte
Die Äußerung kann mühelos so verstanden werden, dass sich der Sprecher mit der Nominalphrase unbequeme Stühle auf die Sprudelkisten bezieht. Aber in keinem Wörterbuch der Welt würden wir unter dem Stichwort „Stuhl" - und den entsprechenden Äquivalenten in anderen Sprachen - eine Paraphrase ,umgekippte Sprudelkiste' oder ähnliches finden, ebenso wenig wie ein kompetenter Sprecher des Deutschen, mit der Frage konfrontiert, was das Wort Stuhl bedeutet, auf die Idee käme zu sagen, Stuhl bezeichnet Sprudelkiste, sondern er würde antworten, dass das Wort so was wie ,Sitzmöbel auf vier Beinen mit Rückenlehne' bedeutet, das heißt, er würde sich auf bestimmte Kontexte beziehen, die als normal oder usuell gelten (vgl. auch WIEGAND (1999).)· WITTGENSTEIN bemerkt in seinen gesammelten Papieren „Über Gewissheit": „Sich in der Muttersprache über die Bezeichnung gewisser Dinge nicht irren können, ist einfach der gewöhnliche Fall." Soviel zum grundsätzlichen bedeutungstheoretischen Problem, das sich aus der Annahme der Unterspezifiziertheit sprachlicher Ausdrücke zu ergeben scheint. Mehr muss dazu für unsere Zwecke auch nicht gesagt werden. Mehr muss allerdings dazu gesagt werden, wie es dazu kommt, dass wir uns in den meisten Fällen mit einer derart unterspezifizierten Sprache mühelos verständigen können. 5.2.2
Die ganz normale Unterspezifiziertheit sprachlicher Äußerungen: generalisierte Implikaturen
Für generalisierte Implikaturen spielen - neben dem allgemeinen Kooperationsprinzip - die Quantitäts- und Modalitätsmaxime eine wesentliche Rolle. Die Quantitätsmaxime enthält die beiden Untermaximen: Ql: Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig Die Einhaltung dieser Maxime minimiert die Kosten des Hörers. Q2: Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig Die Einhaltung dieser Maxime minimiert die Kosten des Sprechers. (Zu Kosten-Nutzenrechnungen vgl. auch BRANDOM (2000).)
Implikaturen als Basis der Bedeutungskonstitution
243
Die Maxime der Modalität enthält die Untermaximen: Ml: M2: M3: M4:
Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks Vermeide Mehrdeutigkeiten Sei kurz Sei folgerichtig
Wie HÖRN, ATLAS und LEVINSON gezeigt haben, können die Maximen als heuristische Prinzipien zur Erzeugung von generalisierten Implikaturen rekonstruiert werden (vgl. LEVINSON (2000), 30ff.): Prinzip 1: Was nicht gesagt ist, ist nicht Das Prinzip bezieht sich auf die erste Quantitätsmaxime Ql. Im Fall unseres Satzes (i)
Der blaue Zylinder ist auf dem roten Würfel
lizensiert das Prinzip Implikaturen wie die folgenden: - Auf dem roten Würfel ist keine Pyramide - Auf dem roten Würfel ist kein roter Zylinder Für die Äußerung von: (ii)
Die Fahne ist rot
lizensiert das Prinzip die Implikatur: - Die Fahne ist nicht blau (hat keine blauen Tupfen, Sterne oder dergleichen) Alle genannten Implikaturen sind präsumptive Interpretationen, d.h. sie gelten als wahr, solange bis das Gegenteil erwiesen ist. Das Prinzip schaltet die Annahme einer Reihe von möglichen Weltzuständen aus, es erhöht also das informative Gewicht dessen, was gesagt ist, in einem beträchtlichen Maß. Im Fall von skalaren Implikaturen wie einige Wort
S will, dass H A tut
Kommissive z.B. .Versprechen'
S verpflichtet sich zu einer zukünftigen Handlung A
Welt - Wort
S will A tun
Expressive z.B. .Danken', .Gratulieren'
S drückt einen mentalen Zustand aus, der in der Aufrichtigkeitsbedingung festgelegt ist
keine
verschiedene Zustände
Deklarative z.B. .jrndn. Ernennen', .den Krieg Erklären'
S versucht eine Übereinstimmung zwischen propositionalem Gehalt und Wirklichkeit herzustellen
Wort « Welt beide Anpassungsrichtungen; Wort und Welt korrespondieren einander
keine besonderen Zustände
Dass es diese fünf und nur diese fünf Klassen von Sprechakten gibt, die als universal und grundlegend für jede menschliche Sprache angesehen werden, wird dadurch gerechtfertigt, dass es nur vier Anpassungsrichtungen von Welt und Sprache geben kann (vgl. SEARLE/VANDERVEKEN (1985); VANDERVEKEN (1990).):
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Probleme der Klassifikation von Sprechakten
- von der Sprache zur Welt (repräsentative Sprechakte); - von der Welt zur Sprache (direktive und kommissive Sprechakte); - sowohl von der Sprache zur Welt als auch von der Welt zur Sprache (deklarative Sprechakte) - die leere Anpassungsrichtung (deklarative Sprechakte). Sprachgebräuche, für die das Kriterium der Anpassungsrichtung nicht anwendbar ist, wie literarische oder religiöse Diskurse, fallen demnach nicht unter den Begriff des Sprechakts (vgl. dazu KRÄMER (2001).). Gegen die SEARLEsche Klassifikation sind die m.E. schärfsten Einwände von BALLMER (1979) erhoben worden. Sie sind die folgenden (vgl. BALLMER (1979), 249ff): (1) die Formulierung der illokutionären Zwecke enthält willkürliche Vorentscheidungen; (2) das Kriterium der Anpassungsrichtung (,direction of fit') von Welt und Sprache ist nicht ausreichend differenziert; (3) zu welchem Typ ein jeweiliger Sprechakt gehört, hängt von seinem propositionalen Gehalt ab; (4) mit der SfiARLESchen Klassifikation werden nicht Sprechakte, sondern Sprechaktaspekte klassifiziert. 6.1.1
Der erste Einwand: die Willkürlichkeit der Formulierung illokutionärer Zwecke
Dieser Einwand bezieht sich auf die Uneinheitlichkeit, mit der SEARLE Wirkungen eines Sprechers auf den Adressaten - oder AusTiNsch gesprochen: perlokutionäre Wirkungen - bei seiner Klassifikation berücksichtigt: Der illokutionäre Zweck von Direktiven wird durch die Absicht, H dazu zu bringen, A zu tun, charakterisiert; der illokutionäre Zweck von Repräsentativen ist lediglich auf die sprecherseitige Verpflichtung, für die Wahrheit der geäußerten Proposition einzustehen, festgelegt. Auf diesen kritischen Punkt der SfiARLEschen Sprechakttheorie habe ich schon mehrfach hingewiesen und demgegenüber die Auffassung vertreten, dass mit jedem Sprechakt eine Wirkung auf die Adressaten und (damit auch) auf die Welt ausgeübt werden soll. Das heißt: Auch repräsentative Sprechakte
SEARLES Klassifikation von Sprechakten
275
haben eine Wirkung, die über das bloße Aufstellen eines Wahrheitsanspruchs von Seiten des Sprechers hinausgeht; zumindest soll der Adressat dahingehend beeinflusst werden, dass er das, was der Sprecher für wahr hält, ebenfalls glaubt/für wahr hält. Und auch kommissive Sprechakte haben eine beeinflussende Wirkung auf den Adressaten: Dieser soll glauben, dass der Sprecher eine bestimmte Handlung A ausführen will. Darüber hinaus sollen expressive Sprechakte, die emotive Einstellungen (Bewertungen, Gefühle) ausdrücken, auf den Adressaten die Wirkung haben, dass dieser zumindest über die Einstellungen des Sprechers informiert ist (vgl. dazu ULKAN (1992).). Einzig bei den deklarativen Sprechakten ist es problematisch, eine solche Sprecherintention anzunehmen, die in einer Wirkung auf den Adressaten besteht. Deklarative Sprechakte wie: (i) (ii) (iii)
Ich ernenne Sie hiermit zum neuen Abteilungsleiter Ich erkläre die Sitzung für geschlossen Ich eröffne hiermit die Tagesordnung
machen es wahr, dass bestimmte Sachverhalte vom Zeitpunkt der Äußerung an bestehen, und diese Wirkung, die sie haben, ist meist durch Institutionen abgesichert. Allerdings haben solche Sprechakte natürlich auch Wirkungen auf Adressaten: Diese müssen die hergestellten Sachverhalte akzeptieren und sich danach verhalten, andernfalls sind sie Sanktionen ausgesetzt. Insofern wird durch deklarative Sprechakte auch immer mittelbar das Verhalten der Adressaten beeinflusst. Aber die Sprecherintention ist in erster Linie auf eine Weltveränderung gerichtet. Wir können jetzt die SEARLEsche Formulierung illokutionärer Zwecke folgendermaßen modifizieren (vgl. BALLMER (1979), 249.): Repräsentative: Direktive: Kommissive: Expressive: Deklarative:
S will, dass H glaubt, dass p S will, dass H A tut S will, dass H glaubt, dass S A tun will S will, dass H über die Ansichten (Einstellungen, Gefühle) von S informiert ist S will, dass es wahr ist, dass p
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6.1.2
Probleme der Klassifikation von Sprechakten
Der zweite Einwand: Das Kriterium der Anpassungsrichtung ist nicht ausreichend differenziert
BALLMERS zweiter Einwand betrifft das zweite wesentliche Kriterium der Anpassungsrichtung von Sprechakten. Außer auf die Tatsache, dass es für Expressive keine solche Anpassungsrichtung gibt und dass für Deklarative sowohl die Wort-WeltRichtung als auch die Welt-Wort-Richtung geltend gemacht werden, was bereits auf eine gewisse Inadäquatheit dieses Kriteriums hinweisen könnte, zielt sein Einwand auf das Fehlen einer dritten Anpassungsrichtung bei SEARLE. Um dies zu demonstrieren, erzählt er die SEARLEsche Geschichte so weiter (BALLMER (1979), 267.): Nachdem der Ehemann die eingekauften Gegenstände nach Hause gebracht hat, überprüft seine Frau, ob die Gegenstände mit der Liste übereinstimmen. Die Antwort ist ein Ja oder ein Nein. Was die Frau damit tut, ist, dass sie Wort und Welt jeweils einen Wert zuordnet. Gleichermaßen könnte ein Polizist das Ergebnis des Detektivs überprüfen und ein Ja oder ein Nein als Antwort erhalten. „Dies zeigt, dass es mindestens drei grundlegende Richtungen der Anpassung gibt: die Welt kann (wahr oder falsch) mit dem Wort (Mann) in Übereinstimmung gebracht werden; das Wort kann (wahr oder falsch) mit der Welt (Detektiv) in Übereinstimmung gebracht werden, und der WahrheitsWert (oder ein anderer Wert) kann mit einer gegebenen Welt und einem gegebenen Wort (Frau oder Polizist) in Übereinstimmung gebracht werden." (BALLMER (1979), 267.) Die drei grundlegenden möglichen Anpassungsrichtungen unterscheiden sich jeweils durch das, was gegeben ist, und was bestimmt werden muss: Für den Mann:
Für den Detektiv: Für die Frau: den Polizisten:
gegeben ist das Wort (Liste) und der Wahrheitswert (wahr), dass er das Wort ausführen sollte; der Einfluss geht vom Wort auf die Welt; gegeben ist die Welt (die Einkaufsgegenstände) und ein Wahrheitswert; der Einfluss geht von der Welt auf das Wort; gegeben ist das Wort und die Welt; bestimmt werden soll ein Wahrheitswert.
SEARLES Klassifikation von Sprechakten
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Direktive entsprechen - SEARLE zufolge - dem, was der Mann tut; die Welt wird mit dem Wort in Übereinstimmung gebracht. Repräsentative entsprechen dem, was der Detektiv tut; das Wort wird mit der Welt in Übereinstimmung gebracht. Dies trifft aber nicht für alle Sprechakte zu, die SEARLE zu den Repräsentativen zählt, sondern nur auf solche Fälle wie Deskriptionen, Berichte oder Mitteilungen, wo Äußerungen hervorgebracht werden, um die Welt wahrheitsgemäß darzustellen. Für klassische Assertionen, also Behauptungen oder Feststellungen, gilt, dass sie „die Wahrheit der ausgedrückten Proposition festsetzen, indem sie Welt und Wort vergleichen." (BALLMER (1979), 269.) Dies entspricht dem, was die Frau oder der Polizist tun: einen Wahrheitswert mit einer gegebenen Welt und einem gegebenen Wort in Übereinstimmung bringen. Diese Überlegungen zeigen, dass das Kriterium der Anpassungsrichtung unzureichend differenziert ist, so dass unter die Klasse der repräsentativen Sprechakte zwei verschiedene Unterklassen fallen mit jeweils unterschiedlichen Anpassungsrichtungen. 6.1.3
Der dritte Einwand: Zu welchem Typ ein jeweiliger Sprechakt gehört, hängt von seinem propositionalen Gehalt ab
Ausgehend von der leicht zu belegenden Tatsache, dass der Typ, zu dem ein Sprechakt jeweils gehören soll, von dessen propositionalen Gehalt abhängig ist, kann die Sprechaktklassifikation SEARLES in ihrer allgemeinen Geltung erschüttert werden: Nicht jeder Sprechakt, der die Form (i)
Ich sage dir, dass p
hat und nach SEARLE ein repräsentativer Sprechakt ist, muss auch tatsächlich ein solcher sein: Es hängt davon ab, was der jeweilige propositionale Gehalt ist; ist er z.B. „es regnet", ist es ein repräsentativer Sprechakt; ist er dagegen z.B. „du sollst deine Hausaufgaben machen", ist es ein direktiver Sprechakt. (Vgl. BALLMER (1979), 263.) Ersetzt man schließlich p durch „ich werde kommen", ist der Sprechakt als ein kommissiver zu betrachten.
278
6.1.4
Probleme der Klassifikation von Sprechakten
Der vierte Einwand: Mit der Searleschen Klassifikation werden nicht Sprechakte, sondern Sprechaktaspekte klassifiziert
Der vierte Einwand, den BALLMER erhebt, ist der schwerwiegendste, da er die prinzipielle Möglichkeit einer Sprechaktklassifikation infrage stellt. Er bezieht sich auf die Komplexität, die Sprechakte im Allgemeinen haben: „In jedem Sprechakt gibt es einige (im SEARLEschen Sinn) repräsentative, direktive, kommissive und deklarative Komponenten." (BALLMER (1979), 263.) BALLMER erörtert die Komplexität von Sprechakten am Beispiel der folgenden Äußerung (vgl. BALLMER (1979), 263 f.): (i)
[S sagt zu H:] das Telefon läutet
Die Oberflächenform der Äußerung deutet auf ein Repräsentativ: Der Sprecher will, dass der Hörer etwas tut, nämlich die Ansicht akzeptiert, dass das Telefon läutet. Man kann die Äußerung außerdem auch noch so verstehen, dass mit ihr ein Kommissiv ausgedrückt ist: Der Sprecher will, dass der Hörer glaubt, dass der Sprecher für die Wahrheit des Satzes garantiert, den er geäußert hat. Darüber hinaus kann die Äußerung auch als Ausdruck eines mentalen Zustands, als Expressiv gelten, nämlich, dass der Sprecher glaubt, dass das Telefon läutet. Schließlich kann die Äußerung auch als DEKLARATIV angesehen werden: Der Sprecher macht dadurch, dass er (i) äußert, wahr, dass er festgestellt hat, dass das Telefon läutet. Dies zeigt, dass das, was SEARLE als Sprechakttypen klassifiziert, auch - oder sogar überwiegend - (Beschreibungs)aspekte von Sprechakten darstellt: Jeder Sprechakt kann unter jeder der von SEARLE genannten Kategorien (oder Typen) beurteilt werden. Unter diesem Gesichtspunkt sind die einzelnen Sprechakttypen analytische Aspekte zur Beurteilung von Sprechakten überhaupt. (Vgl. dazu ULKAN (1992).) Diese prinzipielle Problematik, wonach die Komplexität oder Eindeutigkeit von Sprechakten eine Sache der Beurteilung unter bestimmten Aspekten ist, wird zusätzlich noch dadurch verschärft, dass auch faktisch viele Sprechakte komplex sind; abschließend dazu noch drei Beispiele (vgl. BALLMER (1979), 265/66; WUNDERLICH (1979), 284f.):
HABERMAS' universale Geltungsanprüche
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(1) wenn der Sprecher etwas verspricht, was dem Adressaten bis zum Zeitpunkt der Äußerung unbekannt war, dann ist die Äußerung sowohl überwiegend kommissiv als auch repräsentativ; (2) wenn ein Sprecher eine Drohung äußert, dann will er damit häufig eine Verhaltensänderung bei seinem Adressaten bewirken; dies gilt vor allem für konditionale Formulierungen wie: (ii) Wenn du jetzt nicht ruhig bist, kriegst du eine hinter die Ohren! (3) wenn ein Professor nach der Prüfung zum draußen auf das Ergebnis wartenden Studenten sagt: (iii) Ich beglückwünsche Sie zum bestandenen Examen dann ist die Äußerung sowohl überwiegend expressiv als auch repräsentativ. 6.2
HABERMAS' universale Geltungsansprüche und Sprechhandlungstypen
Abschließend gehe ich noch auf die Konzeption ein, die HABERMAS in mehreren Publikationen (vgl. (1971); (1976); (1981)) entwickelt hat. Nach HABERMAS ist mit dem Äußern von Sprechakten oder dem Vollzug kommunikativer Handlungen immer der Anspruch eines Sprechers verbunden, seiner Äußerung in vier Hinsichten Geltung zu verschaffen. Diese vier Geltungsansprüche, die zugleich die Kategorien für eine Klassifikation von Sprechhandlungen darstellen, sind (HABERMAS (1976), 176.): - sich verständlich machen, - etwas zu verstehen geben, - sich dabei verständlich zu machen, - sich miteinander zu verständigen. Diese vier Aspekte beziehen sich: - auf die Art und Weise der Formulierung einer Äußerung, - auf den Zusammenhang zwischen Sprache und Welt, - darauf, wie ein Sprecher sich in einer Äußerung selbst darstellt, - darauf, wie ein Sprecher durch eine Äußerung eine Interaktionsbeziehung zu seinem Adressaten herstellt.
280
Probleme der Klassifikation von Sprechakten
Die Komplexität einer Äußerung hinsichtlich Weltrepräsentation, Selbstrepräsentation und Adressatenbezug hatte bereits BÜHLER in seinem ,Organonmodeh" der Sprache dargestellt, auf das sich HABERMAS explizit beruft. Er zitiert die Kernstelle aus BÜHLERS „Sprachtheorie": Jedes sprachliche Zeichen „ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen." (HABERMAS (1981), 372.) Jede sprachliche Äußerung enthält also nach BÜHLER und mit ihm HABERMAS einen Weltbezug, einen Sprecherbezug und einen Adressatenbezug. Innerhalb sprachphilosophischer und linguistischer Theorien ist vor allem der Sprecherbezug lange ziemlich unbeachtet geblieben und stiefmütterlich behandelt worden. (Vgl. BECK (1980).) KELLER hat diesen Gesichtspunkt kommunikativen Handelns besonders hervorgehoben: Neben lokutionären, illokutionären und perlokutionären Akten vollziehen wir auch immer einen Akt, der darin besteht, eine Haltung zum Ausdruck zu bringen; einen solchen Akt nennt er kottokutionären Akt: Alles, was ich sage, sage ich irgendwie: nämlich bewundernd, neidisch, erwartungsvoll, ängstlich, unbeteiligt, zärtlich, skeptisch, arrogant, demütig, liebevoll, aggressiv, ablehnend, billigend etc. Zum vollen Verständnis einer kommunikativen Handlung eines Sprechers gehört es auch, daß der Gesprächspartner die Haltung, die der Sprecher mit dem Vollzug seiner kommunikativen Handlung zum Ausdruck gebracht hat, dessen kollokutionären Akt also, richtig einschätzt. (KELLER (1977b), 7.)
Doch zurück zur HABERMASschen Konzeption. Die drei Bezüge, die an jede Äußerung geknüpft sind, haben jeweils unterschiedliche Geltungsansprüche (HABERMAS (1976), 176ff; (1981), 413 ff): - der Weltbezug den Geltungsanspruch der Wahrheit; - der Sprecherbezug den Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit; - der Adressatenbezug den Geltungsanspruch der Richtigkeit. Der Anspruch der Wahrheit bezieht sich darauf, dass die Proposition einer Äußerung mit Sachverhalten in der Welt übereinstimmt; der Anspruch der Wahrhaftigkeit bezieht sich auf
HABERMAS' universale Geltungsanprüche
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die Aufrichtigkeit der Absichten, Einstellungen und Gefühle, resp. deren Ausdruck durch den Sprecher; und der Anspruch der Richtigkeit bezieht sich auf die Angemessenheit einer Äußerung, darauf, dass sie mit gesellschaftlich akzeptierten Normen oder Konventionen in Einklang steht. Die drei Geltungsansprüche werden mit jeder x-beliebigen Äußerung verbunden; d.h.: Auch mit Behauptungen wird der Anspruch der Richtigkeit und Wahrhaftigkeit erhoben, mit Aufforderungen wird der Anspruch der Wahrheit erhoben. Im letzten Fall bezieht sich dieser Anspruch allerdings nicht - wie im Fall von Behauptungen - auf die ausgedrückte Proposition, sondern auf Sachverhalte, die ein Sprecher für wahr halten muss, um seine Äußerung sinnvoll vorbringen zu können, also auf Zustandsannahmen, wie sie beispielsweise in den SEARLEschen Einleitungsregeln formuliert sind: Indem der Sprecher mit einer nicht-konstativen Sprechhandlung sagt, daß er etwas begehrt oder verabscheut, etwas herbeifuhren oder herbeigeführt sehen möchte, setzt er jedoch die Existenz anderer nicht erwähnter Sachverhalte voraus. (HABERMAS (1981), 417.).
Insgesamt können die drei Geltungsansprüche, die ein Sprecher immer mit einer Äußerung verbindet, auch als Gründe angesehen werden, die ein Sprecher angeben kann, wenn er eine Äußerung entschuldigt oder rechtfertigt, d.h. eine oder mehrere Antworten auf eine warum-Frage gibt. Äußerungen können grundsätzlich durch Typen von Aussagen wie den folgenden begründet werden, z.B. eine Aufforderung wie (i)
Leih mir morgen mal dein Fahrrad
durch: (ii) (iii) (iv)
Du fährst doch immer mit dem Auto zur Arbeit und brauchst deshalb dein Fahrrad nicht (Anspruch der Wahrheit von bestehenden Sachverhalten) Ich möchte wirklich gerne mal wieder Fahrrad fahren (Anspruch der Wahrhaftigkeit) Fahrräder sind doch dazu da, dass sie gefahren werden; deins steht aber immer nur im Keller rum; außerdem sind Fahrräder doch nicht so leicht kaputt zu kriegen .., usw. (Anspruch der Richtigkeit/Angemessenheit)
282
Probleme der Klassifikation von Sprechakten
Die von HABERMAS als universal bezeichneten Geltungsansprüche liefern zugleich die Kriterien für eine Klassifikation von Sprechhandlungen. Zwar ist jede Sprechhandlung - in der SEARLESchen Redeweise - zugleich Repräsentativ, Expressiv und Direktiv, aber durch je einzelne Sprechakte werden diese Bezüge und die mit ihnen verbundenen Geltungsansprüche verschieden gewicktet: Bei Behauptungen oder Feststellungen liegt das Gewicht der Äußerung vorwiegend auf dem Weltbezug und dem Anspruch der Wahrheit, bei Aufforderungen vorwiegend auf dem Adressatenbezug und dem Anspruch der Richtigkeit/ Angemessenheit, bei Beileidsbekundungen vorwiegend auf dem Sprecherbezug und dem Anspruch der Wahrhaftigkeit. Analog zu diesen drei Geltungsansprüchen unterscheidet HABERMAS drei universale Klassen von Sprechhandlungen: Konstativa Regulativa Repräsentativa Die Konstativa entsprechen den Repräsentativen bei SEARLE, sie haben primär Weltbezug und den Geltungsanspmch der Wahrheit; die Regulative, zu denen SEARLES Direktive und Kommissive gehören, haben primär Adressatenbezug (sie koordinieren Handlungen) und den Geltungsanspruch der Richtigkeit/Angemessenheit; die Repräsentativa, zu denen SEARLES Expressive gehören, haben primär Sprecherbezug und den Anspruch der Wahrhaftigkeit. Schematisch zusammengefasst (HABERMAS (1976), 246.): Kommunikationsmodus
Sprechhandlungstypus
Thema
themenbestimmender Geltungsanspruch
kognitiv
Konstativ
propositionaler Gehalt
Wahrheit
interaktiv
Regulativ
interpersonale Beziehung
Richtigkeit Angemessenheit
expressiv
Repräsentativ
Sprecherintention
Wahrhaftigkeit
HABERMAS' universale Geltungsanprüche
283
In früheren Publikationen hat HABERMAS noch eine dritte Klasse von Sprechakten unterschieden (HABERMAS (1971), 111.): die Kommunikativa, die dazu dienen, den pragmatischen Sinn der Rede festzulegen, z.B. ,sagen',,erwidern', .entgegnen', ,zugeben', »widersprechen'. Man könnte sie mit dem Geltungsanspruch der Verständlichkeit - der ja in der endgültigen Klassifikation nicht mehr auftaucht - parallelisieren, aber einige sind sicher auch durch die Priorität des Wahrheitsanspruchs wie ,widersprechen', ,zugeben' gekennzeichnet; für die Klasse der Kommunikative lässt sich offenbar keine Priorität eines universalen Geltungsanspruchs eindeutig angeben, was vermutlich für HABERMAS den Grund lieferte, sie in späteren Versionen nicht mehr anzuführen. Zusätzlich zu den genannten Sprechakttypen gibt es noch die institutionsgebundenen, zu denen die SEARLEschen Deklarativen, d.h. die AusTiNschen Urperformativa gehören, die aber - nach HABERMAS - mit keinen universalen Geltungsansprüchen verbunden sind und deshalb in universalpragmatisch orientierten Überlegungen keinen Platz haben. Die HABERMASsche Klassifikation ist sicher sehr viel weniger angreifbar als die SEARLEsche, zumal sie dem Umstand der Komplexität von Sprechhandlungen dadurch Rechnung trägt, dass die unterschiedenen Klassen nur durch die Priorität eines Geltungsanspruchs unter anderen und nicht ausschließlich durch einen einzigen definiert sind. Andererseits fallen unter die drei Klassen jeweils soviel verschiedenartige Sprechhandlungen wie z.B. unter die Regulativen Auffordern', ,versprechen', .drohen' -, dass der Wert einer solchen Klassifikation im Wesentlichen darin besteht, zu demonstrieren, wie die universalen Kategorien unseres kommunikativen Handelns sich in verschiedenen allgemeinen Sprechhandlungskonzepten niederschlagen. Die Feinstrukturierung bleibt eine Aufgabe der einzelsprachlich orientierten Pragmatik und Semantik. Fassen wir abschließend zusammen: (1) die SEARLEsche Klassifikation von Sprechakten auf der Basis der Kriterien: illokutionärer Zweck, Anpassungsrichtung, mentaler Zustand des Sprechers
284
(2)
(3) (4)
(5) (6)
Probleme der Klassifikation von Sprechakten
enthält fünf Klassen von Sprechakten: Repräsentative Direktive Kommissive Expressive Deklarative Die HABERMASsche Klassifikation geht von drei Geltungsansprüchen aus, die ein Sprecher immer mit einer Äußerung verbindet: Wahrheit Wahrhaftigkeit Richtigkeit Jede Äußerung hat zugleich einen Weltbezug, einen Sprecherbezug und einen Adressatenbezug; Entsprechend ist die Dreiteilung von Sprechhandlungstypen in: Konstativa Repräsentativa Regulativa Mit je einzelnen Sprechhandlungen werden die drei Geltungsansprüche jeweils unterschiedlich gewichtet; In der Klassifikation kommt zum Ausdruck, wie sich die universalen Kategorien kommunikativen Handelns in allgemeinen Sprechhandlungskonzepten niederschlagen. Eine Feinstrukturierung innerhalb der einzelnen Klassen ist Aufgabe einer einzelsprachlich orientierten Pragmatik und Semantik.
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Sachregister
Absicht 12 f. -, primäre 167 -, sekundäre 167 absichtlich 12, 25 f. Akt 130 -, geistiger 19 -, illokutionärer 130 -, kollokutionärer 280 -, perlokutionärer 130 -, phatischer 129 -, phonetischer 129 -, propositionaler 210 -, rhetischer 129 Akttyp 39f. Aktvorkommnis 3 9 f. akzeptieren 205 analytische Methode 112 Anpassungsrichtung 271, 273 Antitäuschungsklausel 147 f. Anzeichen 183 f. Anzeichenprozess 183 f. Anzeigehandlung 183 £ Austins Urperformativa 143 f. Äußerungsakt 210 Bedeutung eines Wortes 97 f. Bedeutungsbegriff 191 Bedeutungskonstitution 159 f. bewusst 67 f. Bewusstheit 12 f. dadurch-dass-Relation 34, 37, 47 Deklaration 149 Disambiguierung 258 f. Disposition 77 f. Empfängerzeichen 183 f. Einflussrichtung 271, 273 Entschuldigung 63 f. epistemische (Beschreibungs)Ebene 49 f. Ereignis 12 f. -, inneres 12 f. -, äußeres 12 f.
Ergebnis einer Handlung 22, 44f., 132 f. Erwartbarkeit 173 f. -, wechselseitige 173 f. explizit performative Äußerung 115 f. Fehlanwendung 116 Fehlberufung 115 Folge einer Handlung 25 f. freiwillig 30 Galileische Methode 112 Gemeintes 23 6 f. generalisierte Implikaturen 23 6 f. Gesagtes 236f. grammatischer Satz 99 Gricesches Reden 253 f. Handlungsausfuhrung 73 Handlungsbeschreibung 16 f. -, engere 18 f. -, illokutionäre 130f. -, lokutionäre 130f. -, perlokutionäre 130f. -, weitere 18 f. Handlungserklärung 76 -, intentionalistische 80 -, kausale 76, 81 f. -, ideologische 80 Handlungsgründe 79 f. Handlungsidentität 39f., 50f. Handlungsmuster 42 f. Handlungsnorm 72 Handlungssatz 32 Handlungsschema 73 f. Handlungsstadien 65 f. Handlungsunterlassung 74 Handlungsverb 8 f. Handlungsziel 71 f. heuristische Prinzipien 243 f. Hintergrund ^background') 224 f. Höflichkeit 231
Sachregister illokutionärer Zweck 214 Indikator 211 -, illokutionärer 211 -, propositionaler 211 Inferenz242ff. infiniter Regress 157, 171 institutionelle Tatsache 223 Intention 12, 18, 155 ff. -, primäre 165 -, sekundäre 165 Intentionalität 12 f. Interpretation von Aktivitäten 15 f. Ironisieren 250 Kausalität 76 ff. Kausalkette 55 f. Kausalzusammenhang von Ereignissen 26 Kette von Ereignissen 21, 32 Klassifikation von illokutionären Akten 139 f. kollektiver Sprachbegriff 110 f. Kommunikationsversuch 159 kommunikative Handlung 159 Konsequenzen von Handlungen 17 konstativ 115 Konvention 172 Konventionalität 134, 190 Konversation 232 ff. konversationale Implikatur 235 Konversationsmaximen 230f. Kooperation 232 f. Kooperationsprinzip 229 f. Körperbewegung 7, 55 f. Lebensform 99f., HOf. Manifestationsgesetz 195 Metaphorisieren 252 f. Missbrauch 119 natürliches Meinen 159 f. neurophysiologische Prozesse 54 f. nicht natürliches Meinen 159 f. Offenheitsklausel 174 f. Offenkundigkeit von Intentionen 174 f.
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ontologische (Beschreibungs)Ebene 49 f. partikulare Implikaturen 249 ff. performativ 115 performativer Gebrauch 114 Performativität 143 ff. Präferenz 72 f. Präsupposition 124f, 240f. Präsumptionsregeln 236 Prinzip der Ausdrückbarkeit 225 propositionaler Akt 210 propositionaler Gehalt 210 Rationalität 84, 173 f. Rechtfertigung 64 Referenzfixierung 258f. Reflexivität von Intentionen 175 f. Regel 211 ff. -, Aufrichtigkeits- 216 -, Einleitungs- 216 -, konstitutive 211 -, regulative 211 -, wesentliche 216 Regel des propositionalen Gehalts 216 Regelformulierung 219 f. Regelkenntnis 223 Robinson Crusoe 110 Sanktion 194 f. Selbstreferenzialität 146 f. Senderzeichen 181 Signal 183 Situationseinschätzung 73 f. Sprachfähigkeit 110 f. Sprachspiel 99f., 110f. Sprechakt 210 ff. Sprechaktaspekt 278 f. Sprechaktbedingung 214 f. Sprechaktkonzept 227 Symbol 280 Symptom 280 Tautologisieren 246 ff. Tun 9 f. Übereinstimmung 107 f. Üblichkeit einer Handlung 165
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Sachregister
Unglücksfälle 115 f. Universalgrammatik 112 f. Universalität von Geltungsansprächen 280f. Unredlichkeit 118 f. Verantwortlichkeit 60 f. Verantwortung 58 -, Zuschreibung von 60 f. Verhalten 5 -, intentionales 12 Verhaltensdisposition 191 f. Vernünftigkeit 193 f., 201 Verstehen 126f, 168 f., 181
Wahrhaftigkeit 281 Wahrheit 281 Wahrnehmung 15 -, interpretierte 15 f., 21 f. Willensakt 54 f. Wirkung von Handlungen 16 f., 32 f. Wissen 170 -, gegenseitiges 170 f. Zweckrationalität 79 f.