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German Pages 128 [152] Year 1921
Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co.
Tormals G. J. Gfischen'sdie Verlagshandlung / ). Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer • Karl J. Trabner / Veit £ Comp.
BERLIN W. 10, Gcnthinersfr. 38 » LEIPZIG, Marienstr. 18
Von dem gleichen Verfasser Ist erschienen:
Die antithetische Struktur des Bewußtseins Grundlegung einer Theorie der Weltanschauungsformen 1914. 8°. XVIII, 421 S.
Preis gebunden Mk. 8 . - * *
Aus einigen Besprechungen sei erwähnt: . . . Es wird beabsichtigt, die Im Geist geheimnisvoll allgegenwärtigen Urverhältnlsse ans Licht zu bringen, die den verschiedenen geschichtlichen DenkgebSuüen als Voraussetzungen das GefQge bestimmten . . . . . . Schon die Sprache bekundet den genauen, gründlichen, nach heller Klarheit und Deutlichkeit mit gro6em Erfolg strebenden Denker . . . Wer ein paar Seiten liest, wird sogleich den Eindruck gewinnen, in sehr unterrichtender, bildender, bereichernder Gesellschaft gewellt zu haben . . . . . . In eindringenden Untersuchungen soll gezeigt werden, in welchem Sinne der Substanz- und der Kausalitätsbegriff Bedingungen für die Möglichkeit des nach Welterklärung strebenden Bewußtseins sind. . . . Man findet sich nicht nur für die MGhe der bis dahin aufgewendeten Arbeiten belohnt, sondern bedauert auch ganz ernsthaft, von diesen Dingen nicht mehr zu hören . . . " Zu den mit "
bezeichneten Grundpreisen tritt ein 7 5 % i g e r VerlegerTenerungszusdilag.
EIGENGESETZ ODER
PFLICHTGEBOT? EINE STUDIE ÜBER DIE GRUNDLAGEN ETHISCHER ÜBERZEUGUNGEN VON
PAUL HOFMANN
PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT BERLIN
BERLIN UND LEIPZIG 1920 VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER
VERLEGER
WALTER DE GRUYTER & CO. VORM. G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG / GEORG REIMER / KARL J. TRÜBNER / VEIT ® COMP.
D r u c k d e r V e r e i n i g u n g w i s s e n s c h a f t l i c h e r Verleg-er W a l t e r d e G r u y t e r & C o . Berlin W. 10
Meiner Frau
Inhalt. Seite
1. 2. 3.
4. 5.
6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
Geleitwort Das Dilemma zwischen den Forderungen eines individuellen und eines überindividuellen Wertmafistabs als Grundlage der Ethik Das ethische Werturteil entscheidet einen ethischen Konflikt Die mechanistisch-individualistische Auffassung des sittlichen Konfliktes führt zu einer Erfolgsethik. Geschichtliche Entwicklung der entsprechenden Theorien Die rationalistisch-supraindividualistische Gesinnungsethik Der Unterschied der bisher betrachteten ethischen Theorien wurzelt in einer gegensätzlichen Auffassung des Menschen: von aufien oder von innen, als eines „Du" oder eines „Ich" Unmöglichkeit einer ethischen oder psycholo-" gischen Entscheidung über die Berechtigung beider ethischen Betrachtungsweisen Ein gemeinsames Moment beider Theorien liegt darin, daß ihnen das Individuelle das Widersittliche bedeutet Die Möglichkeit eines »echten« Individualismus, der im Individuellen das Prinzip des Sittlichen fände, und. die beiden denkbaren Formen desselben Der Sinn der Persönlichkeitsethik als der haltbaren Form des „echten" ethischen Individualismus . . Der Begriff des Wesens des Individuums in mechanistischer und idealistischer Auffassung Der Sinn der beiden idealistischen Standpunkte Frage der Berechtigung beider Auffassungen: ist der Kern unseres ethischen Selbst individuell oder überindividuell?
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13. Der Unterschied der Antworten auf unsere Frage wurzelt in dem Gegensatz einer objektivistischen und einer subjektivistischen Deutung des Verhältnisses zwischen dem Ich und der objektiven Welt 64 14. Der Solipsismus als äußerste Konsequenz des Subjektivismus und derin ihm liegende Widerspruch 67 15. Die „Entindividualisierung" des als letztes Prinzip der Subjektivität gefaßten Ich 68 16. D i e absolutistische ethische Theorie ist im Recht, wenn sie im ethischen Selbst einen nicht-individuellen K e r n findet, sie mißversteht sich selbst, wenn sie aus diesem etwas Überindividuelles macht 70 17. Der soziale Charakter der ethischen Gesetze als angebliche F o l g e ihres unpersönlichen Ursprungs 78 18. Das ethische Grunderlebnis in der mehr objektivistischen Beleuchtung der Persönlichkeitsethik. 82 19. D e r Begriff des „ W e s e n s " der Persönlichkeit als Mittel zur A u f l ö s u n g der im ethischen Grunderlebnis liegenden Paradoxie 84 20. D i e mögliche und sogar „naturgesetzlich notwend i g e " ethische Übereinstimmung der verschiedenen ethischen Persönlichkeiten wird keineswegs bestritten 88 21. Die L ö s u n g der Hauptaufgaben einer ethischen Theorie durch den Rationalismus und durch die Persönlichkeitsethik 92 22. Die Begründung der sozialen Tendenzen durch die Persönlichkeitsethik und die dieser i m W e g e stehenden Vorurteile 94 23. D i e L i e b e als tiefste T e n d e n z unserer Willensanlage 102 24. Selbstbesinnung auf das eigne reale Wesen als „Prinzip" der Persönlichkeitsethik 108 25. A u c h die Beurteilung fremden Wollens setzt Bewußtsein der eigenen A n l a g e bei dem Wollenden voraus 1 1 0 26. R ü c k b l i c k und Exkurs über das Verhältnis der grundlegenden ethischen Überzeugungen zu politischen Grundanschauungen n i
Geleitwort. as innere Bewußtsein von der eigenen Person und ihrem Verhältnis zu Welt und Leben wandelt sich mit den Kulturepochen. Mit ihm ändern sich die für unsere Erkenntnisarbeit wie für die Aufsuchung leitender Lebenswerte grundlegenden Überzeugungen. Auch unser Zeitalter scheint mir hinsichtlich der Fundamente der Geltung theoretischer wie praktischer Erkenntnis in einem Übergang begriffen zu sein. „ Und zwar fordert auf dem Gebiete der Ethik das Lebensgefühl der Gegenwart, daß der freie, eigene Wille der Persönlichkeit zur Quelle der letzten Wertsetzungen gemacht werde. Die in der Leistung Kants gipfelnde neuzeitliche Geistesbewegung hat den sittlichen Menschen grundsätzlich auf seine eigene Innerlichkeit gestellt. Und unsere Tage haben nun wohl auch den bangen Schauer überwunden, der zunächst die Zurückweisung und Einschließung des Einzelnen in sein eigenes Bewußtsein als eine Verurteilung zu trostloser Einsamkeit empfand. Wir haben
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verstanden, daß durch eine neue Art, die Beziehung von Ich und Welt zu deuten, nichts verloren gehen kann, daß aller Gehalt des Wissens und alle erlebten Werte bleiben, was sie sind, mögen sie nun als objektiv oder subjektiv, als allgemeinverbindlich oder als nur der Persönlichkeit und ihrem Erlebnis gehörend aufgefaßt werden. Und doch hat man, wie mir scheint, aus einer gewissen ängstlichen Befangenheit heraus den Weg zu einer sich auf das Wesen der Persönlichkeiten gründenden Ethik noch nicht gefunden. Man wagte nicht, das Individuum als solches frei zu geben, seine ethischen Wertsetzungen, sowie den Sinn und alles Recht derselben auf nichts als der individuellen Anlage beruhen zu lassen, weil man fürchtete, damit einem schrankenlosen und oberflächlichen Egoismus verfallen zu müssen. Und diese Sorge schien sich zu bestätigen durch den Wertinhalt der zuerst eine individualistische Ethik verkündenden Lehren. Ich bin der Meinung, daß solche Bedenken grundsätzlich kein Argument gegen eine an sich notwendige Erkenntnis sein würden, glaube aber, daß sie irrig sind. Eben die hier von einer ganz unbefangenen Prüfung abschreckenden Motive sind ja selbst ethischer Art; und wenn die hergebrachte das reale Individuum von außen betrachtende Auffassung seines Wesens diese Motive
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nicht zu erklären vermag, so spricht das nicht gegen die Berechtigung dieser Motive, sondern nur gegen die jener Menschenauffassung. Ich bin überzeugt, daß der individuelle Mensch in seiner ethischen Besinnung auf seinen eigenen innersten Willen alles finden und begründen kann, was sein Urteil als echt ethische oder gute Regungen bestimmen muß, und ich sehe hier wie in den entsprechenden Problemen der Erkenntnistheorie keinen Grund, diese tiefsten Erlebnisse mit dem Glanz einer überindividuellen Würde auszustatten: sie werden hierdurch flir mich, der ich sie erlebe, erkennne oder lebendig fühle, weder brauchbarer noch wertvoller. (Allerdings brauchen sie darum keineswegs von den aus dem Wesen anderer Individuen sich ergebenden inhaltlich abzuweichen, und wenn sie es täten, so würden sie nicht etwa d a d u r c h wertvoll.) Ich halte deshalb die soviel vertretene Annahme, daß uns in solcher Selbstbesinnung absolute oder überindividuell gültige Wahrheiten oder Werte offenbart würden, für entbehrlich. Die hier folgende Skizze beschäftigt sich mit diesem Problem der letzten Begründung des Ethischen. Ich glaube aber, daß es in solchen am Anfang aller wissenschaftlichen Theorie stehenden Fragen keine zwingenden Beweise gibt. Der Versuch, einen der hier möglichen Standpunkte den H o f m a n n , Eth. Überzeug.
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andern gegenüber als den allein berechtigten 1 darzutun, führt vielmehr in den Grundfragen der Ethik wie in denen der Erkenntnistheorie in das Wirrsal unauflösbarer Widersprüche. Um also die Bahn für jene Persönlichkeitsethik frei zu machen, die ich für die unserm Zeitbewußtsein entsprechende halte, konnte ich nur versuchen, ihre Möglichkeit und grundsätzliche Durchführbarkeit zu zeigen. Dazu aber war der geeignetste W e g , die verschiedenen letzten Grundlegungen der Gültigkeit von ethischen Wertsetzungen überhaupt vor unser betrachtendes A u g e zu stellen. Die hier vorliegende Studie entbehrt freilich der zu einer völligen Durchführung dieser Aufgabe gebotenen Ausführlichkeit der Begründungen. Sie entstand aus einer von außen angeregten Gelegenheitsarbeit und es wäre nicht möglich gewesen, diese so weit auszubauen, daß sie allen berechtigten Anforderungen jener Art hätte genügen können. Eine historisch eingehendere und namentlich in den angeschnittenen psychologischen Fragen bis ans Ende geführte Untersuchung hätte ich aber in eine unbestimmte Zukunft verschieben müssen. N i k o l a s s e e b. Berlin,
n . Januar 1920.
1. Das Dilemma zwischen den Forderungen eines individuellen und eines überindividuellen Wertmaßstabs als Grundlage der Ethik.
Der Gegensatz zwischen ethischem Individualismus und einem sich selbst als antiindividualistisch empfindenden Gefühl sozialen Verpflichtetseins durchzieht in den verschiedensten Formen das Denken unserer Zeit und trägt einen eigentümlichen Zwiespalt in die Seelen unserer besten Zeitgenossen. Auf der einen Seite gehören unsere Neigungen ohne Zweifel einer individualistischen Lebensanschauung. Tief liegt uns die Erkenntnis im Sinne, daß der einzelne Mensch nur sich selbst gehört und nur sich selbst verantwortlich ist. Und als das edelste Ziel des Daseins sehen wir gern mit den Klassikern unserer Literatur, mit Goethe uncl Wilhelm von Humboldt, die Selbstbildung, die Selbsterziehung zu einer Persönlichkeit, in der alle Kräfte zu harmonischer Einheit, zu voller Humanität entfaltet sind. HofDIans,
Eth. Überzeug.
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Und doch: Wir leben in einer sozialen Epoche. Seitdem in den Tagen der Romantik die Abgängigkeit des Einzelnen von dem ihn umgebenden und geistig wie leiblich nährenden Volksganzen erkannt wurde und zugleich wieder die geschichtliche Bedingtheit dieses Volksganzen selbst, seitdem ist auch das Gefühl der Verpflichtung des Einzelnen diesem Ganzen gegenüber lebendiger geworden: das Gebot, nun auch f ü r dieses Ganze zu leben. Und damit entsteht eine Lebensauffassung, die nicht mehr nur in der Ausbildung des eigenen Selbst ihr Ideal findet, sondern umgekehrt in dem Ganzen Sinn und Ziel des Einzelnen verankert sieht, von dem Einzelnen verlangt, daß er sich diesem Ganzen dienend unterordne. Diesem Zwiespalt der Lebensstimmungen scheint eine verschiedenartige Grundlegung der Ethik entsprechen zu müssen. Auf der einen Seite erscheint die eigene ethische Entscheidung über letzte Ziele oder Werte des Lebens als die innerlichste und zarteste Angelegenheit, und wir glauben, daß sie auch notwendig die allerpersönlichste und privateste Angelegenheit des Individuums sei, in die von außen nicht hineingeredet werden und über die kaum überhaupt disputiert werden könne. Auf dieser Seite wird man eine individualistische Begründung der Ethik für die einzig mögliche ansehen. Auf der andern Seite
scheint sowohl der Inhalt als auch die angeblich erforderliche absolute Verbindlichkeit des ethischen Gesetzes eine individualistische Begründung auszuschließen. Der Inhalt der ethischen Imperative geht über die Wahrung des individuellen Interesses weit hinaus; der natürliche Wille des Individuums aber, in dem eine individualistische Ethik ihr Prinzip suchen müßte, kann, wie man meint, die völlige Unterordnung des eigenen Wohls unter das allgemeine nicht zum Ziele haben, er wird immer in irgendeiner Weise auf das individuelle Glück oder doch auf Selbsterhaltung, Selbstförderung oder Machterweitung des Einzelnen eingestellt sein. Und auch der Form nach erscheint eine individualistische Begründung unmöglich: die Ethik verlangt, wie man meint, gleiche Verbindlichkeit des Gesetzes für alle, sie kann die Geltung ihrer Prinzipien nicht von dem Zufall oder gar der Willkür individueller Neigungen abhängig machen, sondern muß dem Individuum an sich selbst geltende Werte oder unbedingt und überindividuell verpflichtende Gesetze gegenüberstellen. So steht die Grundfrage der Ethik vor einem eigentümlichen Dilemma: einerseits scheint für die Ethik eine individualistische Begründung die einzig mögliche zu sein. Wie kann ich von einem sittlichen Gesetz, Gebot oder Wert irgendeiner Art überhaupt nur reden, wenn ich sie nicht in
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mir selbst irgendwie erlebe, und wie kann ein solcher sittlicher Gehalt mein Gefühl, meinen Willen, mein Handeln binden oder bestimmen, wenn nicht ich selbst ihn mir zur Richtschnur setze, wenn also nicht ich selbst diesen Gehalt will? Das Ich, von welchem wir aber in dieser Frage sprechen, ist das Individuum, denn das Individuum ist das einzige w i r k l i c h e Ich; der Volksgeist, die Gattung, dia Vernunft, das Bewußtsein überhaupt oder was ich sonst an überindividuellen Begriffen an seine Stelle setzen möchte, sind an sich Fiktionen, sie bedeuten nichts anderes als Zusammenfassungen von an vielen oder vielleicht sogar an allen Individuen übereinstimmenden Eigenschaften. Auf der andern Seite scheint sich auf das Individuum und seine innere Erfahrung niemals eine wahrhafte Ethik gründen zu lassen. Die Ethik verlangt, wie man meint, Allgemeingültigkeit ihrer Gesetze, diese aber ist der beschränkten Erfahrung des Individuums niemals abzugewinnen, und sie verlangt die Unterordnung des Individualinteresses unter ein höheres Gemeinschaftswohl oder unter absolute Wertmaßstäbe, das Individuum aber scheint aus seiner eigenen Natur nur nach individuellen Zielen streben zu können. Die eigentümliche Problemlage ist also derart, daß einerseits eine individualistische Begründung der Ethik notwendig erscheint, weil alles prak-
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tische Handeln und Wollen in der realen Welt eben das Handeln und Wollen von Individuen ist, daß aber auf der andern Seite eine individualistische Begründung den spezifischen Gehalt und allgemeine Verbindlichkeit der Ethik nicht scheint sichern zu können. 2. Das ethische Werturteil entscheidet einen ethischen Konflikt.
Die von der Ethik zu betrachtenden Erscheinungen ergeben sich daraus, daß die Antriebe der Menschen zum Handeln untereinander in Widerspruch geraten können, und daß in solchen Konflikten das ethische Werturteil einen eigentümlichen Maßstab der Bevorzugung der einen Willensentscheidung oder der einen Handlungsweise vor der anderen anwendet. Bei der Würdigung einer ethischen Theorie werden wir demnach immer auf die beiden Punkte zu achten haben: erstens wie erklärt sich von dem betreffenden Standpunkt die Möglichkeit ethischer Konflikte? Und zweitens: woher kommt, und welcher Art ist der Maßstab zur ethischen Entscheidung dieser Konflikte? Werfen wir nach dieser Vorbemerkung einen Blick auf die Geschichte, so lassen sich sogleich zwei Gruppen der ethischen Theorien unterscheiden, von denen die erste realistisch, die zweite idealistisch orientiert ist.
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tische Handeln und Wollen in der realen Welt eben das Handeln und Wollen von Individuen ist, daß aber auf der andern Seite eine individualistische Begründung den spezifischen Gehalt und allgemeine Verbindlichkeit der Ethik nicht scheint sichern zu können. 2. Das ethische Werturteil entscheidet einen ethischen Konflikt.
Die von der Ethik zu betrachtenden Erscheinungen ergeben sich daraus, daß die Antriebe der Menschen zum Handeln untereinander in Widerspruch geraten können, und daß in solchen Konflikten das ethische Werturteil einen eigentümlichen Maßstab der Bevorzugung der einen Willensentscheidung oder der einen Handlungsweise vor der anderen anwendet. Bei der Würdigung einer ethischen Theorie werden wir demnach immer auf die beiden Punkte zu achten haben: erstens wie erklärt sich von dem betreffenden Standpunkt die Möglichkeit ethischer Konflikte? Und zweitens: woher kommt, und welcher Art ist der Maßstab zur ethischen Entscheidung dieser Konflikte? Werfen wir nach dieser Vorbemerkung einen Blick auf die Geschichte, so lassen sich sogleich zwei Gruppen der ethischen Theorien unterscheiden, von denen die erste realistisch, die zweite idealistisch orientiert ist.
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3. Die mechanistisch-individualistische Auffassung des sittlichen Konfliktes führt zu einer Erfolgsethik. Geschichtliche Entwicklung der entsprechenden Theorien.
Die erste dieser Gruppen orientiert sich an der Realität des handelnden Individuums. Alle Wirklichkeit ist individuell, so muß auch alles wirkliche Handeln und Wollen aus der eigentümlichen Anlage des menschlichen Individuums oder aus der Wechselwirkung der natürlichen Umgebung desselben mit dieser Anlage erklärt werden. Die historisch wirksam gewordene Form dieser Ethik legt von jenen beiden Faktoren auf die Wechselwirkung mit der Umgebung des Menschen das Hauptgewicht. Diese Betrachtungsweise pflegt ferner mit einer empiristisch - naturwissenschaftlichen Einstellung des Denkens zusammenzugehen, daher ist bei ihr die Auffassung von den den Ausgangspunkt der Ethik bildenden Konflikten des Handelns oder Wollens naturalistisch-mechanistisch. Wie ein Körper der Physik seinen Bewegungszustand lediglich unter dem Einfluß äußerer Einwirkungen ändert, so erklären sich auch die Änderungen des menschlichen Handelns und Wollens letztlich aus Rückwirkungen der Umgebung auf den Handelnden, und diese Änderungen sind es, die ihm als Konflikte zum Bewußtsein kommen. Die Rückwirkung der Umgebung auf den Handelnden ist aber des-
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halb von Einfluß, weil der Erfolg des Handelns nicht einseitig durch das handelnde Individuum und seine Anlage, sondern auch durch die Eigenart der Umgebung bestimmt wird. S o entsteht das Bild, daß das Handeln nicht immer die vom Individuum gewollte Wirkung hat, sondern zuweilen eine entgegengesetzte, und daß ungewollte Nebenwirkungen sich einstellen können. Diese Tatsachen vor allem machen Willensänderungen erklärlich. Der Maßstab, nach welchem bei Gelegenheit solcher Willensänderungen die eine Handlungsweise der andern vorgezogen wird, ist demnach die Rücksicht auf den sich einstellenden Erfolg. S o erscheint für das Handeln des Einzelnen der jedesmal zu erwartende Erfolg maßgebend, die Schwankungen des Willens werden aus einer Erwägung erklärt, welche jede gewollte Handlung als Mittel zu einem durch sie zu verwirklichenden Zwecke ansieht und j e nach ihrer größeren oder geringeren Eignung zur Erreichung dieses Zweckes zwischen ihnen entscheidet. Und wie das wirkliche Handeln aus dieser Vorausberechnung des Erfolges abgeleitet wird, so ist man zunächst auch geneigt, in den verschiedenen ethischen Wertungsgraden das Ergebnis von Urteilen zu sehen, die in der soeben dargestellten Weise alle in Frage stehenden Handlungen als Mittel zur Erreichung eines und desselben Erfolges abschätzen. Die
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von den antiken Sokratischen Schulen anhebende und besonders von den Epikuräern durchgeführte ethische Theorie, welcher das Sittliche mit dem zur Erreichung der Glückseligkeit des Handelnden zweckmäßige Verhalten gleichbedeutend ist, bildet für lange Zeit auch in der modernen Entwicklung der mechanistischen Ethik das Thema. Allmählich entstehen nun Bedenken, ob sich die Entstehung der tatsächlich vorgefundenen ethischen Werturteile wirklich auf diesem Wege erklären läßt : der Gegensatz der sozialen auf das Beste größerer Kreise gerichteten Tendenz dieser Urteile zu dem rein egoistischen Glücksverlangen der Einzelnen ist so groß, daß einfache Zweckmäßigkeitsüberlegung der handelnden Individuen ein solches Ergebnis nicht scheint herbeiführen zu können; es werden deshalb Hilfshypothesen hinzugenommen, zu deren Aufstellung ein steigendes Interesse an der Gesetzlichkeit der in dem Einzelnen sich abspielenden komplizierten seelischen Vorgänge den W e g weist. Wenn nun im Bewußtsein der gegebenen Diskrepanz der ethischen Bewertung mit der auch weiterhin vorwiegend als ursprünglich egoistisch angesehenen Tendenz des individuellen Handelns das Prinzip der erstgenannten von dem der letzten unterschieden wird, so wird dabei doch das ethische Urteil nach demselben Schema aufgefaßt
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wie die Handlung: es gilt als selbstverständlich, daß auch für dieses Urteil der Erfolg der beurteilten Handlung entscheidend ist, wenn auch anstatt der individuellen Lust die Wohlfahrt aller hier zum Maßstabe dient. So bleibt die mechanistische Ethik auch in ihrer weiteren Entwicklung grundsätzlich eine Erfolgsethik. Es entspricht der realistischen und auf das Praktische gerichteten Denkweise Englands, daß diese an der Realität der Individuen orientierte mechanistische Erfolgsethik vornehmlich in diesem Lande durchgeführt wurde. Die theoretische Entwicklung dieser Ethik schloß sich, wie schon erwähnt, zunächst an die intellektualistische Menschenauffassung des Altertums an. Es wurde vorausgesetzt, daß das reale Individuum in seinem Handeln und Wollen durch Ziele geleitet würde, und daß das natürliche Ziel dieses Handelns die eigene Lust oder Glückseligkeit oder, mit einem Anklang an die physikalische Mechanik formuliert, die Selbsterhaltung sei. Das eigentlich Ethische, das zum Maßstab der Konfliktsentscheidung dienen sollte, konnte aber in diesem individuellen Ziel nicht gefunden werden, es mußte den Bedürfnissen des Gemeinschaftslebens in Staat und Gesellschaft entnommen werden. So mußte die ethische Theorie ihr vor-
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nehmstes Problem in der Frage finden: wie kofnmt das reale Individuum dazu, dieses ethische Ziel, auf das seine eigene Natur zunächst nicht hinweist, sich zu eigen zu machen? Es entsprach dem überkommenen Intellektualismus am besten, die Antwort in einer Zweckmäßigkeitserwägung zu finden. Das Individuum erfährt die Unerträglichkeit des ungebunden-gesetzlosen Zustandes und schließt sich mit anderen zu Staatsgemeinschaften zusammen, deren mit Zwangsgewalt ausgestatteter Wille das für den Frieden des Gemeinschaftslebens Notwendige durchsetzt. Das Ethische ist so eine von der Gemeinschaft der Individuen als Mittel zur Verwirklichung der Lebensziele aller Einzelnen eingeführte Einrichtung. Eine zweite, dem Zeitbewußtsein vielleicht noch näherliegende Lösung rief den Willen Gottes zu Hilfe. Gott hat für die der Verwirklichung des ethischen Gesellschaftszustandes dienlichen Handlungen Belohnungen, für die ihr schädlichen Strafen in Aussicht gestellt und dadurch dem richtig verstandenen individuellen Interesse eine andere Richtung gegeben. Das steigende Verständnis für das menschliche Seelenleben konnte sich mit der diesen Theorien zugrunde liegenden Menschenauffassung nicht zufrieden geben. Cumberland und Shaftesbury be-
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merkten, daß altruistische Handlungen durchaus nicht immer aus einem durch Zweckmäßigkeitsüberlegungen geleiteten Egoismus entspringen, und traten für die Annahme ursprünglicher sozialer Triebe neben den selbstischen ein. Ohne Zweifel ein bedeutender Fortschritt. Eine grundlegende Änderung des ethischen Standpunktes wird aber durch die Annahme sozialer Triebe allein noch nicht erreicht, weil kein neuer Maßstab zur Entscheidung der ethischen Konflikte gegeben wird. Nehmen wir an, ein Konflikt entstehe dadurch,, daß der Durchführung eines sozialen Impulses das egoistische Interesse entgegenstehe. Hier ist durch die gleiche Ursprünglichkeit des sozialen Triebes mit dem egoistischen kein Anhalt für die Entscheidung gegeben. Es muß deshalb entweder im Sinne der Erfolgsethik die Rücksicht auf das Gemeinschaftsleben herangezogen werden und gegebenenfalls gegen die egoistische Neigung entscheiden, oder es muß eine eigentümliche Einsicht in den an sich und im absoluten Sinne höheren Wert des Altruismus angenommen werden, welche seine Bevorzugung möglich macht. Letzterer Art scheint mir auch Shaftesburys Prinzip der Harmonie der Triebe zu sein, denn diese Harmonie im Individuum soll ja ein Spiegelbild der metaphysischen Weltharmonie sein: der Mikrokosmos erkennt die Verfassung des Makrokosmos als ein
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von ihm selbst nachbildend zu befolgendes absolut verbindliches Gesetz an. Ohne einen solchen aus dem Erfolg oder aus einem außerindividuellen,
metaphysischen
bezie-
hungsweise überindividuellen, idealen Prinzip abzuleitenden Entscheidungsmaßstab kann
die An-
nahme sozialer Triebe vielleicht erklären, wie unegoistisches Handeln überhaupt
möglich
ist, sie
vermag aber nicht darzulegen, warum es vorzuziehen sei. Anlage
Denn einerseits setzt sich das in der
jedes
Menschen
einmal
gegebene
Ver-
hältnis beider Triebe von selbst durch; und sollte anderseits die ethische Forderung nur darin bestehen, daß eben diesem entsprechend
gegebenen
Verhältnis
gehandelt werde, so müßte
folge-
richtig die T a t des Kaltherzigen, der sich ein Gefühl des Wohlwollens abgewinnt, ethisch ebenso zu verurteilen sein wie die des seiner Natur nach Gutherzigen der sich im Zorn vergißt. Die
psychologisch-analytische
Betrachtungs-
weise, welche schon in den soeben angedeuteten Theorien wirksam gewesen war, erlangt dann in der weiteren Entwicklung eine steigende Bedeutung. Zu der Mechanik der Wechselwirkung von Individuum und Umgebung
tritt ergänzend und als
der eigentliche Gegenstand des erklärenden Interesses die Mechanik der Elemente des Seelenlebens. Hume beobachtet, daß die Handlungen nicht un-
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mittelbar durch Zwecküberlegungen verursacht werden, und führt aus, wie zuerst gewisse Vorstellungen von Handlungserfolgen Gefühle wecken, wie dann aus diesen Gemütsbewegungen hervorgehen und zuletzt erst die Handlung sich anschließt. Auch nach ihm sollen die mittelbar Handlungen auslösenden Lust- und Unlustgefühle ursprünglich wenigstens vorwiegend an Vorstellungen erwünschter oder unerwünschter Zustände der e i g e n e n Person geknüpft sein. Die Beobachtung lehrt aber, daß auch die Vorstellung des Vorteils oder der Freude a n d e r e r solche Billigungsgefühle erweckt. Und zwar, daß sie sie unmittelbar weckt und nicht etwa der Vermittlung einer Überlegung bedarf, die diese Erfolge als Mittel zum Zwecke eigenen Vorteils erkennen würde. Diese eigentümliche Tatsache wird erklärt aus dem psychomechanischen Gesetz der Ideenassoziation, welches bewirkt, daß sich an die Zustände fremden Nutzens oder fremder Annehmlichkeit dieselben Lustgefühle anschließen wie an die Vorstellungen der entsprechenden eigenen Zustände. So tritt die „Sympathie" oder „Einfühlung" an die Stelle der von Shaftesbury angenommenen sozialen Triebe. Wir dürfen diese ethische Psychologie ansehen als die folgerichtige Fortentwicklung der naturalistisch - mechanischen Menschenauffassung:
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das menschliche Handeln wird verstanden als notwendige Folge der Anlage des realen Individuums in seiner Wechselwirkung mit seiner realen Umgebung. Der Umstand, daß jetzt zur Erklärung dieser Handlungen mehr als zuvor die Vorgänge im Innern dieser realen Individuen herangezogen werden, zeigt wohl, daß diese seelischen Ereignisse mehr Interesse finden, und daß sich ein Bewußtsein ihrer feingefügten Gesetzlichkeit ausgebildet hat, er bedeutet aber nicht ein Verlassen der grundsätzlich mechanischen Betrachtungsweise oder eine Ableitung der Erscheinungen rein aus der Persönlichkeit selbst ohne Berücksichtigung ihrer Wechselwirkung mit der Umgebung. Haben wir so gesehen, wie Hume die eigentümliche Tatsache altruistischer Motive in ihrer Möglichkeit erklärt, so müssen wir nun fragen, wie das eigentlich ethische Phänomen von seiner psychologischen Ethik aufgefaßt wird. Dieses Phänomen war die Entscheidung ethischer Konflikte. Solche Konflikte entstehen zwischen den egoistischen und altruistischen Impulsen. W o liegt nun der Maßstab zu ihrer Entscheidung? — Es entspricht, wie bereits oben angedeutet wurde, der Konsequenz der jetzt von uns betrachteten Theorie, den Maßstab der ethischen Entscheidungen in der Rücksicht auf den Erfolg der Handlungen zu suchen. Und zwar scheint es, daß man den Er-
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folg, der hier als ausschlaggebend gilt, in der allgemeinen Billigung meines Handelns durch die Gesellschaft finden soll. Bei Hume, dessen feinsinnigem Empirismus man allerdings höchste systematische Konsequenz nicht unterschieben darf, tritt die Tendenz zu dieser Lösung darin hervor, daß er das Sittliche mit dem allgemein Gebilligten gleichsetzt. Man könnte zweifeln, ob er hiermit meint, das Sittliche werde erst kraft dieser allgemeinen Billigung sittlich, oder ob er umgekehrt die allgemeine Billigung als Folgeerscheinung der sittlichen Eigenschaft der betreffenden Handlungen ansieht, jene also nur als Erkennungszeichen des Sittlichkeits-Charakters wertet. Gleichviel aber, ob man das eine oder das andere annimmt, in jedem Falle ist es der Erfolg, der in Humes Sinne den sittlichen Wert begründet, mag nun die allgemeine Billigung selbst als der unmittelbar sichtbare Erfolg diese Funktion ausüben, oder mag die allgemeine Billigung auf die überall gemachte Erfahrung zurückzuführen sein, daß aus Handlungen der gebilligten Art die der ethischen Beurteilung als Richtlinien dienenden Erfolge hervorgehen. Wir kommen so zu folgender Auffassung. Die Sympathie ermöglicht altruistisches Handeln; wird nun ein Konflikt altruistischer und egoistischer Impulse in einem Geiste entschieden, der mit dem uninteressierten Urteil des normalen Unbeteiligten
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übereinstimmt, so ist diese Entscheidung sittlich. Hier ist noch nicht ausgesprochen, daß diese Rücksicht auf das gemeingültige Urteil des normalen Unbeteiligten selbst das Motiv der sittlichen Entscheidung sei, diese Lücke wird aber alsbald von Adam Smith ausgefüllt. Nach diesem entwickelt sich der „unparteiische Zuschauer" in der Brust des sittlichen Individuums eben aus der Gewohnheit, bei eigenen Handlungen zu fragen, mit welchen Gefühlen die anderen Menschen sie betrachten würden. Bedenken wir nun weiter, daß jenes uninteressierte Urteil des Dritten (außer mir oder seines Nachbildes in mir) geleitet wird von einer gleichmäßigen Berücksichtigung des Wohles aller Einzelnen, so finden wir hier den Übergang zu der utilistischen Erfolgsmoral Benthams und seiner Nachfolger, der das „möglichst große Glück einer möglichst großen Zahl u zum Leitstern wird. 4. Die rationalistisch-supraindividüalistische Gesinnungsethik.
Wir waren davon ausgegangen, daß die Erfolgsmoral auf einer naturalistisch-mechanistischen Menschenauffassung beruhte. Das reale Individuum, bei dem ihre Betrachtung einsetzte, ist der Mensch, wie er sich uns zeigt, als ein äußerer Gegenstand neben anderen Gegenständen, er wird angesehen nicht wie der beobachtende Mensch sich seiner selbst bewußt ist, sondern so, wie ein
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übereinstimmt, so ist diese Entscheidung sittlich. Hier ist noch nicht ausgesprochen, daß diese Rücksicht auf das gemeingültige Urteil des normalen Unbeteiligten selbst das Motiv der sittlichen Entscheidung sei, diese Lücke wird aber alsbald von Adam Smith ausgefüllt. Nach diesem entwickelt sich der „unparteiische Zuschauer" in der Brust des sittlichen Individuums eben aus der Gewohnheit, bei eigenen Handlungen zu fragen, mit welchen Gefühlen die anderen Menschen sie betrachten würden. Bedenken wir nun weiter, daß jenes uninteressierte Urteil des Dritten (außer mir oder seines Nachbildes in mir) geleitet wird von einer gleichmäßigen Berücksichtigung des Wohles aller Einzelnen, so finden wir hier den Übergang zu der utilistischen Erfolgsmoral Benthams und seiner Nachfolger, der das „möglichst große Glück einer möglichst großen Zahl u zum Leitstern wird. 4. Die rationalistisch-supraindividüalistische Gesinnungsethik.
Wir waren davon ausgegangen, daß die Erfolgsmoral auf einer naturalistisch-mechanistischen Menschenauffassung beruhte. Das reale Individuum, bei dem ihre Betrachtung einsetzte, ist der Mensch, wie er sich uns zeigt, als ein äußerer Gegenstand neben anderen Gegenständen, er wird angesehen nicht wie der beobachtende Mensch sich seiner selbst bewußt ist, sondern so, wie ein
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änderet von ihm beobachtet w i r d , also nicht als ein „Ich", sondern als ein „ D u " . Eine andere Menschenauffassung ergibt sich, wenn uns das innere Bewußtsein unser selbst als eines Ich im Vordergrund steht. So angesehen wird die Erklärung der ethischen Tatsachen nicht so sehr zu einer Ableitung menschlichen Handelns oder menschlicher Handlungsimpulse aus der Wechselwirkung des Individuums mit seiner Umgebung werden; vielmehr richtet sich das Augenmerk auf die im Innenleben des Menschen sich abspielenden Vorgänge, auf die Erlebnisse der Motivation des Wollens 1 ). Die ethischen Konflikte machen die Annahme einer doppelten Quelle solcher Willensmotive notwendig. Und wenn auch hier von der historisch wirksam gewordenen Schule die gewöhnlichen Motive des Wollens aus der natürlichen individuellen Veranlagung abgeleitet und, ebenfalls in Übereinstimmung mit der in der Schule der *) V g l . zu dem hier ausgeführten Gegensatz zweier Formen der Ethik Wilhelm Dilthey, Einleitung in die G e i steswissenschaften (Leipzig 1 8 8 3 ) S. 7 7 . „ D a s Sittliche ist in einer doppelten Form vorhanden, und die beiden G e stalten . . . werden Ausgangspunkte für zwei verschiedene einseitige Schulen der Moral. E s ist da als Urteil des Zuschauers über Handlungen und als ein Bestandteil von Motiven, welcher ihnen einen vom E r f o l g der Handlungen in der Außenwelt (somit der Zweckmäßigkeit derselben) unabhängigen Gehalt gibt." V g l . auch die dort folgenden Ausführungen dieses Grundgedankens. H o f m a n n , Eth. Überzeug.
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Erfolgsmoral vorherrschenden Menschenauffassung, als lediglich egoistisch angesehen werden, so besteht im Gegensatz zu der letztgenannten doch nicht die Neigung, die spezifisch ethischen Motive aus der Wechselwirkung des Individuums mit der realen Umgebung abzuleiten. Um den Ursprung dieser Motive zu verstehen, bedient man sich vielmehr derselben Gedanken, welche der erkenntnistheoretische Rationalismus vertritt: man nimmt den Besitz oder das Innewerden überindividuellallgemeingültiger Wahrheiten im individuellen Innern an. Die ethischen Wahrheiten, um die es sich dabei handeln kann, sind Normen oder Werte. So entsteht die Ansicht, daß die spezifisch ethischen Motive, welche mit dem natürlichen Egoismus des realen Menschen in Konflikte geraten können und bei einer im ethischen Sinne erfolgenden Entscheidung dieser Konflikte die Oberhand gewinnen, daß diese Motive im Innern des Menschen aber aus überindividuellen Quellen entspringen. Sie bedürfen daher keiner Rücksichtnahme auf die Umgebung und auf den Erfolg des Handelns: das Bewußtsein des Gesetzes oder die Erkenntnis der überindividuellen Werte, durch welche die ethischen Konflikte entschieden werden, wirkt im Individuum als eine Gesinnung, die zum Motiv des Handelns werden kann. Die rationalistisch-supraindividualistische Ethik ist also eine Gesinnungsethik.
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Diese rationalistische Gesinnungsethik geht von der Überzeugung aus, daß in den ethischen Konflikten auf der einen Seite die dem Individuum eigenen Neigungen und Triebe stehen, während auf der andern überindividuelle absolute Werte, allgemein verbindliche Pflichten oder sogar überindividuelle metaphysische Realitäten die ethische Gesinnung beeinflussen. Die ethische Lösung der Konflikte besteht dann in der Unterordnung dieses Individuellen unter jenes absolut gültige Überindividuelle. So ist Kants Ethik eine reine Gesinnungsethik: nichts ist gut als allein der gute Wille; der Erfolg des Wollens oder Handelns ist für die ethische Beurteilung gleichgültig. Den Ausgangspunkt zur Bestimmung dieses Begriffs des ethisch Guten nimmt Kant dabei eben von der Tatsache des ethischen Konfliktes. Die Vernunft erklärt im Sinne des sittlichen Sollens Handlungen für notwendig, die nicht geschehen sind und in dem kausalen Ablauf des Naturgeschehens vielleicht sogar gar nicht geschehen konnten. Die Möglichkeit dieses auffallenden Widerstreits zwischen ethischer Forderung und realer Notwendigkeit ergibt sich ihm folgendermaßen. Das handelnde Individuum ist als Glied der Erscheinungen dem Kausalzusammenhange eingeordnet, in welchem jedes Geschehen notwendig
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ist. Das Sittengesetz aber nimmt auf diese empirisch kausale Bedingtheit keine Rücksicht, es stellt seine Forderung, ohne zu fragen, ob sie in dem einmal gegebenen Zusammenhange erfüllbar sei oder nicht. Deutlich weist dieser Gedanke auf das Erlebnis des Gewissens hin, in dem eine geschehene Handlung, obwohl sie im deterministischen Sinne kausal notwendig war, doch von der nachträglichen Selbstbesinnung verurteilt wird. Kant löst 'das Problem dieses Konfliktes zuletzt dadurch, daß er in dem Sittengesetz, welches ihm das Prinzip der intelligiblen Freiheit darstellt, die noumenale Natur des Menschen als eines Vernunftwesens zum Ausdruck kommend denkt, während das dem empirischen Kausalzusammenhang eingegliederte Individuum nur eine Erscheinung ist. Das absolute Sollen ist hier demnach das wahre Wesen, das wirkliche Reale der Welt, und es ist identisch dasselbe bei allen vernünftigen Subjekten, das Individuum ist diesem Wesen gegenüber von geringerer metaphysischer Realität, es ist nur Erscheinung und diese seine metaphysische Minderwertigkeit ist der Grund seiner notwendigen ethischen Unterordnung unter das allgemeine absolut gültige Gesetz. Dieselbe Konzeption beherrscht in weniger verklausulierter darum aber um so großartigerer Form den ganzen
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deutschen Idealismus nach Kant. So in pessimistischer Wendung auch Schopenhauer. Aber es erscheint doch sehr bedenklich, das wahre Wesen, mag es nun Vernunft, Gott, das Absolute, die Idee oder sonstwie heißen, und seine Erscheinung als die einander entgegenarbeitenden Kräfte eines realen Konfliktes auftreten zu lassen. Wie kann die Erscheinung dem Wesen entgegengesetzt sein? Ist sie doch eben das erscheinende Wesen selbst. Und wo fänden beide den gemeinsamen Boden, auf dem sie miteinander in Konflikt geraten könnten? Ist doch nur das Wesen im metaphysischen Sinne etwas Reales und kann es demnach doch nur anderem Wesen, niemals aber einer wie immer beschaffenen und erklärbaren Spiegelung seiner selbst in einem realen Widerstreit begegnen. Diese offenbaren Unzulänglichkeiten haben schon in der Endepoche der Romantik Schelling und andere dazu getrieben, den sittlichen Antagonismus nicht zwischen Wesen und Erscheinung zu setzen, sondern das Wesen in sich selbst so zu entzweien, daß neben dem vernünftigen und guten auch 'ein widervernünftiges böses Prinzip in ihm Raum fand. Uns wird eine solche auf uralte religös-metaphysische Motive zurückgreifende Auffassung kaum mehr befriedigen als die, welche sie ersetzen sollte.
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Eine andere Lösung wird deshalb gesucht, indem man metaphysische Motive überhaupt zu entfernen strebt. Dem vergänglichen und zeitgebundenen Wollen des Individuums steht nicht ein höheres Sein, sondern ein von jedem Sein völlig zu sonderndes absolutes Sollen gegenüber. Die absolut verbindlichen Sittengesetze oder die absoluten ethischen Werte dürfen nicht zu metaphysischen Entitäten verdinglicht werden. Trotzdem gelten sie und gelten absolut, d. h. sie sind in dieser ihrer Geltung unabhängig davon, ob sie von irgendwelchen wirklichen denkenden Subjekten erkannt und anerkannt werden. Ich will dieser Auffassung gegenüber nicht auf die Schwierigkeit Wert legen, daß nicht existierende und doch geltende Normen und Werte eine harte Zumutung für die Vorstellungskraft des Durchschnitts-Menschen sind. Man versichert uns, daß die Grundprobleme der Erkenntnistheorie, der Logik, vielleicht auch die der Mathematik und der Ästhethik zu ganz ähnlichen Annahmen nötigen. Wichtiger erscheint mir ein anderes Bedenken. Das reale individuelle Bewußtsein des Theoretikers der Ethik erkennt diese Werte oder Gesetze, und das Wollen r e a l e r Individuen soll durch sie normiert werden. So müssen sie auch in wirklichen Erlebnissen diesen realen Individuen
zum Bewußtsein gelangen. Wie finden aber jene rein idealen Gebilde den W e g in die Realität eines solchen Bewußtseins, oder anders angesehen, wie kann das reale individuelle Bewußtsein diese idealen Normen erfassen? Die einzige befriedigende Erklärung wäre, daß diese Erlebnisse sich auf dem gesetzlichen Wege des psychischen Lebens aus dem Individuum selbst oder daß sie sich aus der Wechselwirkung desselben mit andern realen Dingen entwickelten. Dann büßten sie aber ihre absolute und überindividuelle Bedeutung ein: die ethischen Normen müßten als Lebenserscheinungen des Individuums aus diesem erklärt werden, sie besäßen keinen grundsätzlich anderen Ursprung als die individuellen Neigungen, denen sie im sittlichen Konflikte gegenübertreten, und es bliebe unerklärlich, warum sie vor ihren Konfliktsgegnern den sittlichen Vorrang sollten beanspruchen dürfen. Will man also die ethische Überlegenheit und den überindividuellen Charakter der Normen aufrecht erhalten, so bleibt nichts übrig, als ein besonderes intuitives Vermögen, eine Offenbarung irgendwelcher Art zu ihren Gunsten anzunehmen. Wir haben hiermit die eigentümliche Schwierigkeit in der Begründung der rationalistischen Ethik von der theoretischen Seite beleuchtet. Sie beruht letztlich auf der unvermeidlichen Fremd-
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heit, welche zwischen einem absolut und überindividuell gültigen Gesetze oder Werte und dem realen erkennenden und handelnden Individuum besteht. Dieselbe Schwierigkeit besteht auch für unser Gefühl, das, erwachsen in der Persönlichkeitskultur unserer Klassiker, sich dagegen sträubt, die Eigenart der individuellen Anlage für ethisch wertlos halten zu sollen. Aus dieser Stimmung hat denn der ethische Rationalismus versucht, dem Wert des Persönlichen auch in der ethischen Theorie gerecht zu werden. So lehrt vor allen Schleiermacher, daß sich die „Menschheit" (mit welchem Namen er die Idee des absolut Wertvollen bezeichnet) nur in „eigener Mischung ihrer Elemente" in Raum und Zeit darstellen könne. Das-Sittengesetz muß also eine eigenartige individuelle Gestalt annehmen, wenn es sich konkretisieren soll. Und eben darin besteht der Wert des Individuellen, daß die Besonderheit seines Handelns, also der ihm angemessenen Verwirklichung der allgemeinen ethischen Aufgabe auf kein anderes übertragbar ist. Dieser Auffassung hat Schleiermacher in dem Imperativ, in den er die ethische Forderung faßt, ebenfalls Ausdruck verliehen „tue jedesmal, was sich d u r c h dich am meisten fördern läßt". Verwandt mit dieser Betrachtungsweise ist auch die Hegels, der den „Volksgeistern" als besonderen Gesamt-Indi-
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viduen ein wenn auch beschränktes ethisches Recht zuerkennt. So sympathisch besonders die Schleiermachersche Auffassung unser Gefühl berührt, so müssen wir doch bemerken, daß eine eigentliche Versöhnung des absoluten und des individualistischen Standpunktes von ihr nicht erreicht wird. Das grundsätzlich ethisch Wertvolle bleibt nach wie vor das Überindividuelle, Allgemeine. Auch die eigenartige Persönlichkeit entlehnt allen ihren Wert diesem hinter ihr stehenden ethischen Prinzip. Und nur deshalb, weil in der realen Welt alles Wirkende individuelle Form besitzen muß, wird auch die besondere Bildung des Einzelnen als notwendig und berechtigt anerkannt. Zu diesem Gedanken gesellt sich die ästhetische Freude über den Reichtum verschiedener Gestaltung, den das eine Vernunftprinzip in der Wirklichkeit anzunehmen vermag; diese Freude darf aber nicht mit einer ethischen Werthaltung des Individuellen als solchen verwechselt werden und darüber täuschen, daß dieses jedesmal nur als eine Verwirklichung jenes allgemeinen Prinzips, und daß nur das Prinzip selbst, wenn ich so sagen darf, aus eigener Kraft ethische Geltung hat. Und wollte man selbst den Gedanken jener Mannigfaltigkeit auch ethisch zu würdigen suchen, so würde dadurch doch immer wieder nur die „Mannigfaltigkeit überhaupt",
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nicht die einzelne Besonderung, in der sie sich jeweilig verwirklicht zeigt, in das Gebiet der ethischen Werte aufgenommen. Kann so der Standpunkt Schleiermachers einem individualistischen Lebensgefühl nur scheinbar gerecht werden, so vermag er in keiner Weise die vorhin angegebene theoretische Schwierigkeit des ethischen Rationalismus zu überwinden. Es bleibt dunkel, aufweiche Weise das allein an sich selbst wertvolle allgemeine Prinzip, auf welche Weise die „Gottheit" oder die „Vernunft" dem beschränkten Individuum im Bewußtsein erfaßbar werden. Mag immerhin die individuelle Bildung eine Konkretisierung dieses Allgemeinen sein: wenn ethische Konflikte möglich sein sollen, so muß zu dem realen handelnden oder wollenden Individuum daneben noch etwas anderes gehören: es muß möglich sein, auch das Widersittiiche in ihm irgendwie verständlich zu machen. Und wenn es eine Entscheidung solcher Konflikte durch ein ethisches Bewußtsein soll geben können, so muß das Individuum einen W e g haben, um in sich selbst diejenigen Momente, die eine Verwirklichung des Sittengesetzes bedeuten, von denen zu unterscheiden, die als widersittlich aufzufassen sind. Nun gibt Schleiermacher wohl einen Begriff von der Möglichkeit ethischer Konflikte. Sie entspringen als kritische Momente in dem unend-
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liehen sittlichen Prozeß der Hineinbildung der Vernunft in die Natur. Soweit dieser Prozeß sich vollendet hat, ist das Ethische verwirklicht, die noch nicht von dem Geist durchdrungene Natur ist dagegen das sittlich Unzulängliche. Das Individuelle als solches gehört nun offenbar nicht auf die Seite der Vernunft, welche den Quell der allgemein menschlichen Einheit des Sittlichen bildet, sondern auf die Seite der Natur. Man fühlt sich deshalb versucht, es als etwas Widersittliches anzusehen, als ein „notwendiges Übel". Und wir würden nur die andere Seite derselben Tatsache in einem freundlichen Bilde beschreiben, wenn wir sagen wollten, es sei der fruchtbare Boden, der die Saat des Sittlichen aufnimmt und wachsen läßt. Die Frage nach der Möglichkeit der ethischen Konflikte zeigt uns also, daß trotz des Raumes, den Schleiermacher dem individuellen Gedanken gibt, das rationalistische Schema auch von ihm festgehalten wird: das absolute Sittliche bleibt getrennt von der individuellen Wirklichkeit, und wenn eine Verwirklichung des Sittlichen nur in und durch die Eigenart des Individuums als möglich gilt, so wird doch auch hier nicht erklärt, wie die Aneignung des Allgemeinen dem Individuum gelingen kann, mit Hilfe • welches Organes es in die Region der überindividuellen und über-
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natürlichen Vernunft hineinzugreifen vermag. Wie jede rationalistische Ethik bleibt auch die Schleiermachers stumm gegenüber der Frage, auf welche Weise die überindividuellen Normen im sittlich handelnden oder auch nur im sittlich erkennenden Individuum bewußt werden können. 5. Der Unterschied der bisher betrachteten ethischen Theorien wurzelt in einer gegensätzlichen Auflassung des Menschen: von außen oder von innen, als eines „Du" oder eines „Ich".
Wir wollen nun auf die von uns erörterten gegensätzlichen Standpunkte zurückblickend unsere Hauptergebnisse zusammenfassen und klären. Die Erfolgsethik, das heißt diejenige Ansicht vom Ethischen, nach welcher der Maßstab zur Bewertung von Handlungen oder Willensentscheidungen letztlich von dem Wert der aus ihnen sich ergebenden Folgen abgeleitet werden muß, diese Erfolgsethik ergibt sich als notwendige Konsequenz, wenn das ethische Subjekt als ein dem Beobachter äußerlich gegenüberstehendes „Du" betrachtet wird. Unter dieser Einstellung nämlich beobachten wir nur Handlungen, die wir dann auf hypothetisch angenommene innere Zustände und zuletzt auf die natürliche Anlage des Handelnden zurückfuhren. Eine Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Handlungen oder deren Ursachen unter dem Gesichtspunkte des sittlichen Wertes
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natürlichen Vernunft hineinzugreifen vermag. Wie jede rationalistische Ethik bleibt auch die Schleiermachers stumm gegenüber der Frage, auf welche Weise die überindividuellen Normen im sittlich handelnden oder auch nur im sittlich erkennenden Individuum bewußt werden können. 5. Der Unterschied der bisher betrachteten ethischen Theorien wurzelt in einer gegensätzlichen Auflassung des Menschen: von außen oder von innen, als eines „Du" oder eines „Ich".
Wir wollen nun auf die von uns erörterten gegensätzlichen Standpunkte zurückblickend unsere Hauptergebnisse zusammenfassen und klären. Die Erfolgsethik, das heißt diejenige Ansicht vom Ethischen, nach welcher der Maßstab zur Bewertung von Handlungen oder Willensentscheidungen letztlich von dem Wert der aus ihnen sich ergebenden Folgen abgeleitet werden muß, diese Erfolgsethik ergibt sich als notwendige Konsequenz, wenn das ethische Subjekt als ein dem Beobachter äußerlich gegenüberstehendes „Du" betrachtet wird. Unter dieser Einstellung nämlich beobachten wir nur Handlungen, die wir dann auf hypothetisch angenommene innere Zustände und zuletzt auf die natürliche Anlage des Handelnden zurückfuhren. Eine Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Handlungen oder deren Ursachen unter dem Gesichtspunkte des sittlichen Wertes
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Unterschiede zu setzen, liegt dabei zunächst nicht vor. Tatsächlich werden diese Unterschiede allerdings gemacht, die Veranlassung hierfür ist aber nicht darin zu suchen, daß eine entsprechende Verschiedenheit des Erlebens in dem Bewußtsein des Handelnden festgestellt würde; ist doch dieses Bewußtsein des Handelnden dem Beobachter unmittelbar garnicht bekannt. Die Veranlassung zu unserer Unterscheidung liegt vielmehr darin, daß d e m B e o b a c h t e r gewisse Handlungserfolge erwünscht und andere unerwünscht erscheinen, daß er es ist, der sie innerlich in besonderer Weise teils willkommen heißt, teils ihnen widerstrebt. Das Bewußtsein des ethischen Konfliktes entsteht also für diese Menschenauflassung zunächst gar nicht in dem ethisch handelnden, sondern in dem zuschauenden Subjekt, und der Konflikt besteht zwischen dem Handeln des einen und dem Urteil des anderen: die zur Erklärung der Handlung hinzuzudenkenden Motive des Handelnden haben daher mit dem Konflikt selbst eigentlich nichts zu tun. Was nun den Maßstab zur Entscheidung über sittlich oder unsittlich abgibt, ist das Urteil; dieses aber kann sich natürlich nur auf das beziehen, was der Urteilende weiß, was er beobachten kann, das ist auf den Erfolg der Handlung. Zu dieser grundlegenden Auffassung des Ethischen tritt dann erst die Aufgabe der speziellen
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Erklärung dieses wirklichen, beobachteten Handelns einerseits und anderseits die Frage: wie ist es überhaupt möglich, daß Menschen im Sinne jener ethischen Beurteilung sittlich wollen oder handeln; wie können sie dazu kommen, den von dem ethischen B e o b a c h t e r als gut bewerteten Erfolg zu erstreben, s e i n e Vorstellung zu einem Motiv i h r e s Willens werden zu lassen. Zur Beantwortung dieser Fragen ist der W e g ebenfalls bereits vorgezeichnet. Der Beobachter erklärt die Eigenart der Handlung letztlich aus der Natur des Handelnden, er nimmt an, daß der Handelnde durch seine Anlage bestimmt nach dem Erfolge strebte, den er ihn tatsächlich erreichen sieht. So entsteht das Bild, daß der Handelnde von seinem eigenen individuellen Interesse geleitet wird; wie dieses Interesse näher beschaffen sei, besonders ob es rein selbstisch oder bis zu einem gewissen Grade auch altruistisch sei, darüber muß eine verurteilslose Betrachtung die Erfahrung entscheiden lassen. Dem ethisch urteilenden Beobachter ist nun aber nicht das individuelle Interesse des Handelnden für sein Urteil maßgebend, ihm wird es vielmehr nahe liegen, denjenigen Erfolg wertzuschätzen, der das Interesse aller von ihm beobachtbaren, das ist also aller zu seinem engeren oder weiteren Gesichtskreis gehörigen ethischen Sub-
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jekte (zuletzt also aller Menschen oder gar aller bewußten Wesen überhaupt) gleichmäßig berücksichtigt. So stellt er dem individuellen Interesse des Handelnden das allgemeine Interesse der Gesamtheit der Einzelnen oder auch das Gemeinschaftsinteresse derselben gegenüber. Um nun die Möglichkeit von ethischen Handlungen zu verstehen, muß also die Erfolgsethik annehmen, daß neben der ursprünglichen Zielsetzung, in der der handelnde Mensch sein individuelles Interesse verfolgt, eine zweite mit dem Sinne des ethischen Urteils des Beobachters übereinkommende Zielsetzung entstehen kann. Die Antriebskraft zu dieser zweiten Zielsetzung kann aber offenbar keine andere sein als die zu der ersten, auch sie muß letztlich aus der menschlichen Anlage zum Handeln, aus seiner Trieborganisation hervorgehen. Es kann also nur angenommen werden, daß durch den Einfluß, den die Umgebung auf die psychischen Bedingungen solcher Zielsetzungen in dem handelnden Einzelnen ausübt, oder infolge der durch das Handeln selbst ausgelösten Rückwirkung der Umgebung auf den Handelnden die Richtung der ursprünglichen Zielsetzung eine Abänderung erfahren und so eine neue Zielsetzung entstehen könne. Die Erfolgsethik nimmt demnach nicht eine zweite Quelle der Motivation des Handelns an,
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sondern sie läßt den Gedanken sozusagen einer Brechung der ursprünglichen Zielrichtung an die Stelle treten, an der für die Gesinnungsethik der innere ethische Konflikt steht. Diese Brechung der ursprünglichen Zielrichtung kann sie in verschiedener Weise zustande kommen lassen. Die neue Zielsetzung kann wie von Hobbes und Locke aus einem Suchen der geeignetsten Mittel zu dem ursprünglich gesetzten Zweck abgeleitet werden. In diesem Falle wird man zur Erklärung des psychologischen Befundes, das ist zur Erklärung der Aussagen, die die handelnden Personen über ihre eigene Bewußtseinslage machen, gern die Erfahrung heranziehen, daß ein gewohnheitsmäßig als Mittel zu irgendeinem Zwecke erstrebtes Ziel von dem Bewußtsein selbst mit der Zeit nicht mehr im Lichte des Mittels erlebt wird, sondern den Anschein eines Selbstzweckes gewinnt 1 ). Man kann weiter mit Hume und Smith die Abänderung der Zielsetzung dadurch erklären, daß sich infolge der Mechanik unserer Ideenassoziation anstelle der ursprünglich im Zielpunkt des Triebes stehenden eigenen Person und deren Gefühlen die ähnlichen Gefühle anderer *) V g l . hierzu die feinsinnigen Ausführungen von Georg Simmel : Einleitung in die Moralwissenschaft, 3. Aufl. (zweiter anastatischer Nachdruck) Stuttgart u. Berlin bei I. G. Cotta, S. 1 6 - 3 5 .
Menschen einschieben. Bemerkenswert bleibt jedenfalls, daß die bloße Annahme sozialer neben den rein egoistischen Trieben der hier vorliegenden Aufgabe noch nicht genügen kann. Die ursprüngliche Doppelheit der Triebe bedingt keine Veränderungen der Zielsetzung und kann demnach auch Wandlungen in der Art des Handelns nicht erklären. Hierzu müßte vielmehr noch die weitere Hypothese gebildet werden, daß das ursprüngliche Einflußverhältnis der Triebe sich mit der Zeit aus irgendwelchen Gründen verschieben könne. Und zwar wird man wohl meistens glauben, daß im Laufe der Entwicklung die sozialen Triebe mächtiger werden. Will man nun diese Erstarkung der sozialen Triebe nicht dadurch verständlich machen, daß man wie Shaftesbury und Hutcheson im Sinne eines Kompromisses mit der Gesinnungsethik die Leistung eines besonderen intuitiven Vermögens in ihr sieht, so wird man sie ebenfalls auf jene Reibung des Individuums mit seiner Umgebung zurückführen. Dann besteht die Möglichkeit, sie aus dem Einfluß der Erziehung des Individuums durch die Gesellschaft zu erklären, die durch Beispiel, Autorität und Gewöhnung die sympathischen Gefühle des Einzelnen wachsen läßt; man kann auch unter vorsichtiger Benutzung deszendenztheoretischer Gedanken eine durch Auslese sich vollziehende beständige Steigerung dieser H o f m a n n , Eth. Überzeug.
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Antriebe in dem Artcharakter des Menschen vermuten und annehmen, daß diese Entwicklung sich spiegle in dem Widerstreit der jedesmal jungen Generation gegen historisch überkommene Gewöhnung, so daß auf diese Weise auch in dem einzelnen Menschen Wandlungen der Tendenzen verursacht werden können. Wir gehen nun zur Betrachtung der Gesinnungsethik über. Wie die Erfolgsethik sich ergab als die natürliche Konsequenz der den ethisch handelnden Menschen von außen als ein Du auffassenden Betrachtungsweise, so folgt die Gesinnungsethik aus der das Ich der Selbstbesinnung zum Ausgangspunkt nehmenden Einstellung. Der Selbstbesinnung auf das eigene Bewußtsein sind ethische Konflikte unmittelbar gegeben. Dem alltäglichen Wollen, das zumeist gedeutet wird als aus der realen individuellen Anlage hervorgehend und von rein selbstischen Interessen geleitet, diesem alltäglichen Wollen tritt das spezifisch ethische als mit dem Charakter besonderer Heiligkeit und unverbrüchlicher Geltung ausgestattet gegenüber. Dieses heilige Wollen wird zu einem Sollen eben durch seinen Widerstreit gegen das alltägliche, und sein Inhalt stellt sich ganz unmittelbar als das Gute dar. In dem Unterschiede einer Gesinnung also, die dieses Gute
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zu ihrer Richtschnur macht, von einer anderen, die an dem Wegweiser des Sollens gleichsam vorübergehend im unheiligen Wollen beharrt, in diesem Unterschiede ist uns der [Gegensatz des Sittlichen und Unsittlichen gegeben. Ist nun eine sittliche Gesinnung vorhanden, so wird aus ihr normalerweise ein andersartiges Handeln folgen als aus einer unsittlichen. Jedoch nicht die Art solcher Erfolge entscheidet über die Sittlichkeit, sondern für diese kommt nur der Charakter des Willens selbst, die Motivation der Handlung, die Gesinnung in Betracht. Wohl aber ist die äußere Handlung mithin der Erfolg des Wollens als ein Zeichen anzusehen, aus welchem der andere auf die sittliche oder unsittliche Gesinnung des Handelnden schließen kann: ,,an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Einen völlig sicheren Schluß ermöglicht jedoch dieses Zeichen niemals: es ist unmöglich, von ^irgendeiner Handlung zu sagen, sie könne nur aus einer ganz bestimmten Art der Gesinnungheraus erfolgt sein. Um also auf die beobachtete Handlungsweise eines anderen ein sittliches Urteil zu gründen, muß die Gesinnungsethik einen Akt der Einfühlung zu Hilfe nehmen: das urteilende Ich muß die Motive des handelnden Du nacherleben, um den Ansatzpunkt für die ethische Bewertung zu gewinnen. Wie also die Erfolgsethik die Einfühlung heranzog, um das Zustandekommen der Sympathie 3*
in dem Handelnden zu erklären, so bedarf die Gesinnungsethik derselben Annahme, um ethische Urteile über fremde Personen und deren Verhalten als möglich zu erweisen. 6. Unmöglichkeit einer ethischen oder psychologischen Entscheidung über die Berechtigung beider ethischen Betrachtungsweisen.
Wir sehen, wie Erfolgsethik und Gesinnungsethik in von Grund aus verschiedenen Betrachtungsweisen des Menschen wurzeln. Eine wissenschaftliche Entscheidung für die eine und gegen die andere erscheint mir deshalb unmöglich. Man kann und darf ohne Zweifel den Menschen von außen als ein Du ansehen, und dann kommt man folgerichtig dazu, das ethische Urteil als ein Urteil über die Handlung des anderen zu verstehen, das erst rückwärts wieder auf die eigene Handlung übertragen wird; man kann und darf aber auch den im eigenen Ich erlebten Konflikt als das ethische Urphänomen betrachten und jede Beurteilung fremden Handelns auf einen Akt des Verstehens der Motive des Handelnden gründen oder doch wenigstens auf den Versuch, sich in diese Motive hineinzuversetzen. Wenn so über die eigentlich ethische Richtigkeit oder Falschheit beider Auffassungen nicht gestritten werden kann, so scheint doch über ihre psychologische Zulänglichkeit eine Auseinander-
in dem Handelnden zu erklären, so bedarf die Gesinnungsethik derselben Annahme, um ethische Urteile über fremde Personen und deren Verhalten als möglich zu erweisen. 6. Unmöglichkeit einer ethischen oder psychologischen Entscheidung über die Berechtigung beider ethischen Betrachtungsweisen.
Wir sehen, wie Erfolgsethik und Gesinnungsethik in von Grund aus verschiedenen Betrachtungsweisen des Menschen wurzeln. Eine wissenschaftliche Entscheidung für die eine und gegen die andere erscheint mir deshalb unmöglich. Man kann und darf ohne Zweifel den Menschen von außen als ein Du ansehen, und dann kommt man folgerichtig dazu, das ethische Urteil als ein Urteil über die Handlung des anderen zu verstehen, das erst rückwärts wieder auf die eigene Handlung übertragen wird; man kann und darf aber auch den im eigenen Ich erlebten Konflikt als das ethische Urphänomen betrachten und jede Beurteilung fremden Handelns auf einen Akt des Verstehens der Motive des Handelnden gründen oder doch wenigstens auf den Versuch, sich in diese Motive hineinzuversetzen. Wenn so über die eigentlich ethische Richtigkeit oder Falschheit beider Auffassungen nicht gestritten werden kann, so scheint doch über ihre psychologische Zulänglichkeit eine Auseinander-
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setzung möglich zu sein; diese würde sich um die Frage drehen, ob die tatsächlich stattfindenden ethischen Urteile, das heißt also die psychischen Erlebnisse, in denen ethische Urteile uns bewußt werden, letztlich die Gesinnung oder den Erfolg als den für den sittlichen Wert ausschlaggebenden Faktor ansehen. Hier steht die Gesinnungsethik vor der Aufgabe, zu erklären, warum in unsern ethischen Urteilen der Erfolg des Handelns überhaupt eine Berücksichtigung erfährt. Und wie wir schon sahen, wird es hier nicht schwer, eine Antwort zu geben. Sie weist darauf hin, daß uns die Gesinnung anderer Menschen unmittelbar nicht bekannt wird, daß wir uns deshalb an die aus dieser Gesinnung hervorgehenden Handlungen, also an die Erfolge des Wollens halten müssen, um aus ihnen in den zugrunde liegenden Motiven den eigentlichen Gegenstand unserer ethischen Bewertung zu erschließ en. Und aus der Gewohnheit, unser Urteil auf diesem W e g e mittelbar an die Betrachtung des Erfolges anzuschließen, mag wohl gemäß einem oft feststellbaren psychischen Gesetz eine Assoziation der Erfolgsvorstellung mit dem Werterlebnis entstehen, die den Anschein unmittelbarer Zusammengehörigkeit beider Elemente mit sich bringt. Die Erfolgsethik würde umgekehrt das Faktum zu erläutern haben, daß wir doch auch Ge-
sinnungen und Motive tatsächlich ethisch bewerten. Denn daß wir im gewöhnlichen Leben wirklich die schöne Seele, den wohlwollenden Charakter, den Gerechtigkeitssinn als sittlich gute Eigenschaften ansehen, das kann ja nicht bezweifelt werden. Auch hier ist die Antwort leicht. Die Gesinnungseigenschaften sind ja, wie allgemein angenommen wird, die Ursachen der Handlungen, die die ethisch gewerteten Erfolge zeitigen, und wenn eine dauernde Charaktereigenschaft der handelnden Person eine solche Ursache bildet, erwarten wir nicht nur gerade hier und jetzt den betreffenden Erfolg, sondern sie scheint uns eine Bürgschaft zu geben, daß ihr Träger sich stets der wertvollen Handlungsweise zuneigen wird. In der Gesinnung schätzen wir so nicht nur die Ursache e i n e s wertvollen Ereignisses, sondern die Wahrscheinlichkeit einer größeren Anzahl von solchen; es ist demnach nicht nur verständlich, daß die Gesinnung überhaupt ethisch bewertet wird, sondern sogar, daß sie besonders hoch bewertet wird, daß sie uns ethisch wichtiger erscheint als die einzelne, zu einem wertvollen Erfolge führende Handlung. Auch dieser Kontroverse gegenüber werden wir Zurückhaltung üben. Jede der gegebenen Erklärungen ist einwandfrei: es erscheint sehr wohl möglich, daß die realen psychischen Ereignisse
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sich so abspielen. Vielleicht haben also beide Teile recht, vielleicht wird in jeder der beiden Erklärungsweisen je eine typische Form tatsächlicher psychologischer Vorgänge richtig beschrieben. Wenn nämlich die erkenntnistheoretische Stellungnahme zu dem Problem der ethischen Wertung durch den Ich- und den Du-Standpunkt der Betrachtung in zweierlei gleichberechtigten Weisen möglich ist, so könnte sich ja dieselbe Doppelheit auch im realen psychischen Leben geltend machen. Je nach der Veranlagung und Erziehung würde dann das einzelne Subjekt, welches ethische Wertungen erlebt, der Erfolgsethik oder der Gesinnungsethik näher stehen; und wie bei einem solchen Erfolgsethiker auf dem zuletzt beschriebenen Wege mit der Zeit eine Schätzung der Gesinnungen eintreten wird, so wird sich bei dem Gesinnungsethiker auf dem zuerst beschriebenen eine scheinbar unmittelbare Bewertung der Handlungen ergeben. 7. Ein gemeinsames Moment beider Theorien liegt darin, daß ihnen das Individuelle das Widersittliche bedeutet.
Nachdem wir erörtert haben, in welcher Weise Erfolgs- und Gesinnungsethik einander entgegengesetzt sind, möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf ein Moment lenken, in dem die beiden bis-
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sich so abspielen. Vielleicht haben also beide Teile recht, vielleicht wird in jeder der beiden Erklärungsweisen je eine typische Form tatsächlicher psychologischer Vorgänge richtig beschrieben. Wenn nämlich die erkenntnistheoretische Stellungnahme zu dem Problem der ethischen Wertung durch den Ich- und den Du-Standpunkt der Betrachtung in zweierlei gleichberechtigten Weisen möglich ist, so könnte sich ja dieselbe Doppelheit auch im realen psychischen Leben geltend machen. Je nach der Veranlagung und Erziehung würde dann das einzelne Subjekt, welches ethische Wertungen erlebt, der Erfolgsethik oder der Gesinnungsethik näher stehen; und wie bei einem solchen Erfolgsethiker auf dem zuletzt beschriebenen Wege mit der Zeit eine Schätzung der Gesinnungen eintreten wird, so wird sich bei dem Gesinnungsethiker auf dem zuerst beschriebenen eine scheinbar unmittelbare Bewertung der Handlungen ergeben. 7. Ein gemeinsames Moment beider Theorien liegt darin, daß ihnen das Individuelle das Widersittliche bedeutet.
Nachdem wir erörtert haben, in welcher Weise Erfolgs- und Gesinnungsethik einander entgegengesetzt sind, möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf ein Moment lenken, in dem die beiden bis-
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her erörterten ethischen Grundauffassungen' miteinander übereinstimmen. Ich meine den Umstand, daß beide nach Unterscheidung einer sittlichen und einer widersittlichen Tendenz des Handelns oder Wollens die reale Anlage des Individuums auf die Seite des Widersittlichen oder doch des ethisch Unzulänglichen stellen. Die mechanistische Erfolgsethik fand das ihr für die ethische Beurteilung maßgebende Gute in einem geforderten oder gewünschten Zustand der menschlichen Gesellschaft. Die aus der ursprünglichen auf Verfolgung des Einzelinteresses abgestellten Willensanlage des Menschen hervorgehenden Handlungen befanden sich mit dieser Forderung nicht in Einklang, und nun wurde es zur Aufgabe der Ethik, den Individualwillen der Verwirklichung des ethischen Ideales dienstbar zu machen. Die rationalistische Gesinnungsethik fand das Gute in unverbrüchlich heiligen Normen oder Werten, die der Einzelne wohl in seinem eigenen Innern erfassen kann, die ihm dann aber gegenübertreten als ein seinen ursprünglichen Willenstendenzen widerstreitendes Sollen. Ethisch gut wurde die Gesinnung des Individuums dann dadurch, daß die realen individuellen Neigungen sich vor der Einsicht in dies absolut Gebotene oder absolut Wertvolle beugten und die Einsicht selbst
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zu dem entscheidenden Motiv gemacht wurde. Beide ethischen Theorien suchen somit das sittliche Prinzip jenseits des Individuums, wenn auch sozusagen nach verschiedenen Richtungen. Die eine sacht es in dem durch das Handeln zu erzielenden Erfolg, das ist einem objektiven Zustande der realen Welt außerhalb des ethischen Subjektes; sie geht also gleichsam aus diesem Subjekte heraus in die Welt der Objekte hinein. Die andere Theorie schreitet innerhalb des Gegensatzes Objekt-Subjekt in der Richtung nach dem Subjekte vor, geht aber in dieser Richtung gleichsam noch über das reale individuelle Subjekt hinaus, um ihren Maßstab in einem hinter diesem Subjekt liegenden Außerwirklichen von absoluter Gültigkeit zu finden, das den letzten Grund der Motivation des Willens hergibt. Beide Theorien stellen also den Maßstab des Sittlichen dem individuellen Subjekt als etwas außerhalb seiner Befindliches gegenüber, machen somit das Individuum selbst zu dem Gegenspieler der ethischen Konflikte. 8. Die Möglichkeit eines »echten« Individualismus, der im Individuellen das Prinzip des Sittlichen fände, und die beiden denkbaren Formen desselben.
Dieser Sachlage gegenüber entsteht die Frage: ist es notwendig, das Individuum in dieser Weise zum widersittlichen Prinzip zu machen, oder sind
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zu dem entscheidenden Motiv gemacht wurde. Beide ethischen Theorien suchen somit das sittliche Prinzip jenseits des Individuums, wenn auch sozusagen nach verschiedenen Richtungen. Die eine sacht es in dem durch das Handeln zu erzielenden Erfolg, das ist einem objektiven Zustande der realen Welt außerhalb des ethischen Subjektes; sie geht also gleichsam aus diesem Subjekte heraus in die Welt der Objekte hinein. Die andere Theorie schreitet innerhalb des Gegensatzes Objekt-Subjekt in der Richtung nach dem Subjekte vor, geht aber in dieser Richtung gleichsam noch über das reale individuelle Subjekt hinaus, um ihren Maßstab in einem hinter diesem Subjekt liegenden Außerwirklichen von absoluter Gültigkeit zu finden, das den letzten Grund der Motivation des Willens hergibt. Beide Theorien stellen also den Maßstab des Sittlichen dem individuellen Subjekt als etwas außerhalb seiner Befindliches gegenüber, machen somit das Individuum selbst zu dem Gegenspieler der ethischen Konflikte. 8. Die Möglichkeit eines »echten« Individualismus, der im Individuellen das Prinzip des Sittlichen fände, und die beiden denkbaren Formen desselben.
Dieser Sachlage gegenüber entsteht die Frage: ist es notwendig, das Individuum in dieser Weise zum widersittlichen Prinzip zu machen, oder sind
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auch Auffassungen denkbar, welche, das hier gesetzte Verhältnis in irgendeinem Sinne umkehrend, gerade den realen Einzelnen zum Prinzip der Sittlichkeit erheben und das Widerspiel derselben von außen her kommen lassen? Daß eine solche Anschauung rein theoretisch denkbar ist, kann wohl nicht bezweifelt werden, aber auch in der Geschichte wird man namentlich in der Renaissancezeit und dann grundsätzlich klarer seit dem achtzehnten Jahrhundert gewisse Neigungen dieser Art feststellen können. Eine bewußte und folgerichtige Durchführung eines solchen Systems der Ethik liegt aber bisher nicht vor r ). Eine Ethik von diesem Typus würde man als echten ethischen Individualismus bezeichnen können, während auf die mechanistische Erfolgsethik, obwohl sie ebenfalls von dem Begriff der alleinigen Realität des Individuellen ausgeht, diese Bezeichnung deshalb nicht zutrifft, weil sie eben den Maßstab der sittlichen Bewertung außerhalb des Individuums sucht. Man könnte sich nun auch diese individualistische Ethik in zweierlei Formen durchgeführt denken, deren Unterschied in der Art läge, in der *) Es sei denn, daß man etwa in dem Werke Max Stirners ein derartiges System finden wollte.
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jede von ihnen das widerethische Prinzip ableiten würde. Zunächst könnte man sich eine individualistische Ethik denken, die das Weltbild und die Menschenauffassung der mechanistischen Erfolgsethik unverändert übernähme und nur den Bewertungsmodus derselben gleichsam umdrehend als sittlich anspräche, was dieser widersittlich war, und umgekehrt. Es würde dann etwa folgendes Bild entstehen. Der ursprüngliche ungebrochene Wille des Einzelnen, der sein Individualinteresse verfolgt, ist als das sittlich Wertvolle anzusehen. Ihm erwachsen innere Widerstände aus der Wechselwirkung des Einzelnen .mit seiner gesellschaftlichen Umgebung: der Einfluß der „Viel zu vielen" verdirbt die Tendenz, sich unbekümmert und rücksichtslos auszuleben. So schaffen Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Lohn in einem erdichteten Jenseits hemmende Motive; der assoziative Mechanismus fuhrt zur Sympathie und läßt eine weinerliche „Mitleidsmoral" entstehen; die Autorität der die Gesellschaft erhaltenden Einrichtungen wirkt einerseits unmittelbar auf den sich entwikkelnden Einzelnen und beeinflußt ihn anderseits mittelbar in Form von religiösen Überlieferungen und gesellschaftlichen Bräuchen; sie erzeugt so das „böse Gewissen", durch welches das individuelle Wollen aus der ihm seiner Natur nach ur-
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sprünglich eigenen Richtung abgelenkt wird'1)Ich möchte diesen Typus einer ethischen Theorie als mechanistischen Individualismus bezeichnen. Die andere Form der individualistischen Ethik müßte an die grundsätzliche Auffassung anknüpfen, die sich der ethische Rationalismus von dem Menschen und seiner Erkenntnisfähigkeit bildet. Wollte man auch hier versuchen, diese Betrachtungsweise unverändert zu übernehmen und nur den Bewertungsmodus umzukehren, so würde man jedoch zu einer schwer durchführbaren Ansicht gelangen. Wir hätten in dem individuellen irdischen Wollen, das dem Rationalismus das ethisch Unzulängliche war, jetzt das gute Prinzip zu sehen, das Widersittliche müßten wir dagegen aus einem intuitiven Erfassen einer überindividuellen als gültig sich aufdrängenden Erkenntnis ableiten, die nun aber tatsächlich nicht das Wahre oder absolut Verbind') Ich bediene mich zur Veranschavrlichung dieser möglichen Theorie gewisser Gedanken Paul Rees und des ihm zum Teil folgenden Friedrich Nietzsche. Ich glaube aber durchaus nicht, daß ich Nietzsches Ethik hinlänglich charakterisieren würde, wenn ich sie nur diesem Typus einordnen wollte. Sie enthält, wie wir noch sehen werden, zugleich entscheidende Züge des weiterhin zu besprechenden zweiten individualistischen Standpunktes: der eigentlichen Persönlichkeitsethik. Daß es Nietzsche gelungen sei, diese beiden verschiedenartigen Tendenzen ohne grundsätzlichen Widerspruch miteinander zu verbinden, behaupte ich nicht.
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liehe, sondern gerade das Gegenteil davon in die Erkenntnis und den Willen hineintrüge. Wir würden zu der seltsamen Meinung kommen, daß es in dem Menschen wohl eine aus dem Reich der individualisierten Wirklichkeit hinausgreifende, den Intellekt und den sittlichen Willen lenkende Kraft gebe, daß uns diese aber nicht aufkläre und zu dem sittlich Wertvollen führe, sondern vielmehr gerade täusche und sittlich schädige. Der Gedanke, mit dem Descartes einmal spielt, daß ein boshafter Geist uns vielleicht gerade da irreleiten könne, wo wir am sichersten die Wahrheit zu erlangen glauben, dieser Gedanke des unter der Maske des Gottes sich verbergenden Teufels würde zu einer dogmatisch angenommenen Voraussetzung gemacht werden. Mag man nun vielleicht sagen, ein solches grundsätzliches Mißtrauen gegen die Offenbarungskraft der Intuition sei ebenso berechtigt wie ein kritikloses Zutrauen, es wird sich doch wohl kaum jemand finden, der diesen negativen dogmatischen Rationalismus ernstlich vertreten wollte. Würden wir nun an der Umkehrung des Bewertungsmaßstabes des ethischen Rationalismus zwar festhalten und nur den überindivicluell-intuitiven Charakter der rationalen sittlichen Erkenntnis oder vielmehr Fehlerkenntnis aufgeben, so kämen wir zu einer Wiederholung des soeben
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besprochenen mechanistischen Individualismus. Denn wir würden die Herkunft jener ethisch irreführenden Meinungen irgendwie erklären müssen, und da hierzu die Annahme eines aus außerrealer Quelle stammenden Einflusses nicht mehr offensteht, würden wir wohl wieder die Wechselwirkung des Individuums mit seiner Umgebung heranziehen müssen. Um also eine weitere brauchbare Form des Individualismus zu gewinnen, werden wir den Bewertungsmodus des ethischen Rationalismus grundsätzlich festhalten, nun aber in den von diesem als überindividuell angesprochenen Motiven eben den Ausdruck des eigentlichen Individuellen, der realen Persönlichkeit sehen und das Widersittliche,~ welches der Rationalismus aus der Beschränktheit des individuellen Wollens hervorgehen ließ, aus außerpersönlichen Einflüssen abzuleiten suchen; oder doch aus der Tatsache, daß die Form, in der das Wollen des einzelnen Menschen sich im Handeln verwirklicht, nicht allein von seiner eigenen, ursprünglichen und innersten Beschaffenheit abhängt, sondern einerseits von der jeweiligen Umgebung, anderseits von durch Gewöhnung entstandenen ursprünglich äußerlich bedingten, also sozusagen „erworbenen" Eigenheiten des Handelnden selbst mitbestimmt wird. Wir würden so zu einer ethischen Grund-
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auffassung kommen, die das innerste reale Wesen des Individuums als das sittlich Gute ansieht, aber zugleich glaubt, daß dieses Innerste des Menschen nicht notwendig in den zeitlich früheren Stufen der Entwicklung deutlicher und unverstellter zur Auswirkung gelangen müssen als in den späteren. Diese Ethik würde also wie die mechanistische Erfolgsethik und der ethische Rationalismus eine in der Zeit fortschreitende Entfaltung des Guten für möglich halten, aber glauben, daß dieser Fortschritt immer tiefer in das Wesentliche der e i g e n e n Natur des Individuums hineinführe. Und während die mechanistische Erfolgsethik das Gute aus der Aufnahme von Einflüssen der äußeren Wirklichkeit ableitet und die rationalistische Ethik eine Veredlung durch Unterordnung des Individuums unter außerreale Geltungen stattfinden läßt, würde sie an eine schrittweise. Befreiung des realen Kernes der Persönlichkeit von irgendwelchen von außen gekommenen oder letztlich durch Äußeres bestimmten Schlacken und ein immer reineres Hervortreten des eigenen individuellen Wesens in dieser Entwicklung denken. 9. Der Sinn der Persönlichkeitsethik als der haltbaren F o r m des »echten« ethischen Individualismus.
Ob und in welcher Weise eine solche ethische Grundanschauung, die ich als Persönlichkeitsethik
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auffassung kommen, die das innerste reale Wesen des Individuums als das sittlich Gute ansieht, aber zugleich glaubt, daß dieses Innerste des Menschen nicht notwendig in den zeitlich früheren Stufen der Entwicklung deutlicher und unverstellter zur Auswirkung gelangen müssen als in den späteren. Diese Ethik würde also wie die mechanistische Erfolgsethik und der ethische Rationalismus eine in der Zeit fortschreitende Entfaltung des Guten für möglich halten, aber glauben, daß dieser Fortschritt immer tiefer in das Wesentliche der e i g e n e n Natur des Individuums hineinführe. Und während die mechanistische Erfolgsethik das Gute aus der Aufnahme von Einflüssen der äußeren Wirklichkeit ableitet und die rationalistische Ethik eine Veredlung durch Unterordnung des Individuums unter außerreale Geltungen stattfinden läßt, würde sie an eine schrittweise. Befreiung des realen Kernes der Persönlichkeit von irgendwelchen von außen gekommenen oder letztlich durch Äußeres bestimmten Schlacken und ein immer reineres Hervortreten des eigenen individuellen Wesens in dieser Entwicklung denken. 9. Der Sinn der Persönlichkeitsethik als der haltbaren F o r m des »echten« ethischen Individualismus.
Ob und in welcher Weise eine solche ethische Grundanschauung, die ich als Persönlichkeitsethik
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oder als idealistischen Individualismus 1 ) bezeichnen möchte, durchführbar ist, wird uns später beschäftigen, jetzt wollen wir versuchen, ihren Sinn gegenüber den früher betrachteten Standpunkten schärfer zu. bestimmen. Die Persönlichkeitsethik ist als persönliche Uberzeugung dem Rationalismus am nächsten verwandt. Sie ist wie dieser eine Gesinnungsethik und teilt mit ihm auch den Wertmaßstab, nach welchem die in dem ethischen Subjekt erlebten Willensentscheidungen als sittliche und widersittliche unterschieden werden. Sie weicht aber von dem Rationalismus ab hinsichtlich ihrer Meinung über die Herkunft beider Arten von Willensentscheidungen und in der Art der Gültigkeit, die sie den spezifisch sittlichea Erkenntnissen beimißt. Sie glaubt nämlich, in den sittlich richtigeren Entscheidungen jedesmal eine bessere Erkenntnis der realen individuellen Willensanlage am Werke sehen zu dürfen als in den entgegenstehenden sittlich irrenden. Als einem Ausdruck dieser Realität des Individuums kann sie aber solchen Erkenntnissen keine a priori gesicherte absolute, ') Ich sage »idealistisch«, weil i c h die Persönlichkeitsethik gern mit dem Rationalismus zusammen der mechanistischen Erfolgsethik als einer »materialistischen« gegenüberstelle. An sich wäre der Name »organischer« oder vielleicht »personaler« Individualismus richtiger.
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für jedermann verbindliche Geltung zuschreiben, wie sie der ethische Rationalismus für seine maßgebenden Werte oder Normen verlangt. Und wenn der Rationalismus das Widerethische aus der Enge des in die Schranken der Individualität eingeschlossenen natürlichen Wollens ableitet, so muß die Persönlichkeitsethik es aus einer andern letzten Quelle als dem inneren Wesen des Handelnden erklären, sie muß es in irgendeiner Weise von der augenblicklichen oder ehemaligen Umgebung des Handelnden bestimmt denken.In einer anderen Stellung befindet sich der idealistische Individualismus den beiden mechanistischen Theorien gegenüber. Er teilt zunächst mit beiden die Ablehnung irgendwelcher nicht auf Realitäten und damit zuletzt auf Individuelles aufgebauter Prinzipien: er glaubt es wie jene nur mit wirklichen Gegenständen, mit Dingen oder Personen und deren Zuständen zu tun zu haben. Er bekennt sich dann gemeinsam mit dem mechanistischen Individualismus zu der Auffassung, daß gerade das sittlich Gute aus der Natur des Individuums zu erklären sei; er bedarf aus diesem Grunde nicht des von außen genommenen Wertmaßstabes des Erfolges, sondern findet denselben in der Gesinnung. Er unterscheidet sich aber von beiden mechanistischen Standpunkten durch den besonderen Gehalt, den er der individuellen AnH o f m a n n , E t h . Überzeuge
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läge gibt: eben die Erlebnisinhalte, welche die mechanistischen Standpunkte für Ergebnisse der Wechselwirkung des Einzelnen mit der Umgebung ansehen, mögen sie dieselben dann als das Sittliche oder als das Widersittliche werten, eben diese Inhalte glaubt er als das zutage tretende Wesentliche der realen Willensanlage auffassen zu dürfen; und das- Widerspiel dieser Motive, in welchem jene die ursprüngliche Natur des Menschen zn erkennen glauben, muß er in irgendeiner Weise als Regungen verstehen, die das eigentliche und kernhafte Wesen der Persönlichkeit n i c h t zu dem ihm angemessenen Ausdruck bringen. 10. Der Begriff des Wesens des Individuums in mechanistischer und idealistischer Auffassung.
In der Verschiedenheit, mit der von beiden Seiten der Begriff des Wesens der individuellen Persönlichkeit aufgefaßt wird, liegt, wie mir scheint, der entscheidende Gegensatz zwischen dem idealistischen Individualismus und den mechanistischen Theorien. Und zwar geht dieser Gegensatz letztlich wieder auf den Unterschied des Ichstandpunktes und des Dustandpunktes der Betrachtung zurück. Dem Mechanismus dient der Begriff des Wesens oder der natürlichen Anlage lediglich dazu, um mit ihm die selbst nicht gegebene Ursache
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läge gibt: eben die Erlebnisinhalte, welche die mechanistischen Standpunkte für Ergebnisse der Wechselwirkung des Einzelnen mit der Umgebung ansehen, mögen sie dieselben dann als das Sittliche oder als das Widersittliche werten, eben diese Inhalte glaubt er als das zutage tretende Wesentliche der realen Willensanlage auffassen zu dürfen; und das- Widerspiel dieser Motive, in welchem jene die ursprüngliche Natur des Menschen zn erkennen glauben, muß er in irgendeiner Weise als Regungen verstehen, die das eigentliche und kernhafte Wesen der Persönlichkeit n i c h t zu dem ihm angemessenen Ausdruck bringen. 10. Der Begriff des Wesens des Individuums in mechanistischer und idealistischer Auffassung.
In der Verschiedenheit, mit der von beiden Seiten der Begriff des Wesens der individuellen Persönlichkeit aufgefaßt wird, liegt, wie mir scheint, der entscheidende Gegensatz zwischen dem idealistischen Individualismus und den mechanistischen Theorien. Und zwar geht dieser Gegensatz letztlich wieder auf den Unterschied des Ichstandpunktes und des Dustandpunktes der Betrachtung zurück. Dem Mechanismus dient der Begriff des Wesens oder der natürlichen Anlage lediglich dazu, um mit ihm die selbst nicht gegebene Ursache
beobachteter Handlungen zu bezeichnen. Er braucht die Hypothese solcher Ursachen, um gesetzliche Beziehungen zwischen den beobachteten Erscheinungen (den Handlungen) selbst formulieren zu können: so etwa um Gleichartigkeit von Handlungen aus der Identität ihrer Ursache ableiten zu können; oder um Wandlungsverläufe in der Eigenart der Handlungen als Funktion einer entsprechenden, wieder irgendwie kausal erklärlichen Veränderung der Ursache zu begreifen. Dabei ist unter dem Wesen der Persönlichkeit derjenige Teil der individuellen Anlage zu verstehen, der als der ursprüngliche, zuerst vorhandene angesehen werden muß, weil er nicht — wie andere in irgendeinem gegebenen Zeitpunkt an dem Individuum feststellbare und ebenfalls als Ursachen seines Verhaltens wirksame Momente — aus einmal erfolgten Einwirkungen der Umgebung auf das Individuum erklärt werden kann. Es ist nun von diesem Standpunkt aus selbstverständlich, daß nur solche Elemente der Willensstruktur als zum Wesen der Anlage gehörig betrachtet werden, die sich in den zeitlich am weitesten zurückliegenden beobachtbaren Stadien der Entwicklung in Handlungen kundgeben; alle zu späteren Zeitpunkten der Entwicklung als neu in Erscheinung tretende Züge wird man dagegen als solche ansehen, die auf „erworbene", das ist aus der Wechselwirkung
mit der Umgebung stammende Eigentümlichkeiten der Struktur zurückgeführt werden müssen. Denn die Vermutung, es könnten hier lange Zeit unwirksam gebliebene Faktoren der ursprünglichen Anlage, durch irgendwelche Umstände geweckt, zum ersten Male zur Wirksamkeit gelangen, wird stets ferner liegen als diese Erklärung. Diese ihm methodisch maßgebenden grundlegenden Erwägungen fuhren den Mechanismus dazu, nur diejenigen Züge der Willensanlage als ursprünglich und dem „Wesen" des betreffenden Individuums angehörig gelten zu lassen, die sich frühzeitig in Handlungen kundgeben. Da nun in den Jugendperioden des individuellen wie auch vielleicht des gattungsgeschichtlichen Lebens gerade die rein selbstisch zu erklärenden Verhaltungsweisen überwiegen, jedenfalls aber die spezifisch ethischen Motivationen und die Phänomene des sittlichen Gewissens erst in reiferen Epochen der Entwicklung Einfluß auf das Handeln gewinnen, so wird er gerade das Widerethische für das wie der Zeit seiner Wirksamkeit so auch der Natur nach Erste und Ursprüngliche der menschlichen Anlage halten. Die spezifisch ethischen Handlungen samt ihren Motiven und dem Gewissen wird er als Produkte der Entwicklung ansehen, die unter dem Einfluß der Umgebung zustande gekommen sind, und deren ethisch wesentliche Momente nun
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auch nicht durch die Eigenart der ursprünglichen Anlage, sondern durch diesen Einfluß ihr charakteristisches Gepräge erhalten haben. Er wird dabei, wie schon dargelegt wurde, vornehmlich an erzieherische Einflüsse des Gemeinschaftslebens und der in ihm sich herausbildenden Autoritäten sowie an Zwecküberlegungen denken, die durch Gewohnheit zu instinkt- oder gefuhlsartigen, sich selbst als unmittelbar erlebenden Werthaltungen geronnen sind. Im Gegensatz hierzu wird der Idealismus zunächst auf die Schwierigkeit hinweisen, welche der Begriff der Frühzeitigkeit mitbringt, sobald er auf die Betrachtung organischer Entwicklungen angewendet werden soll. W o liegt der „Ursprung" einer organischen Anlage? W o immer wir einen Organismus in seiner Entwicklung erblicken, da reicht seine Vorgeschichte in unbestimmte Ferne zurück: auch das Kind oder der Embryo ist ja kein Anfang, das gesamte Schema der durch ihre Gestaltungsenergie sich in zeitlich aufeinanderfolgenden Schritten verwirklichenden Struktur ist nicht mit ihnen „entstanden", sondern das Eigentum langer Ahnenreihen, die es durch Vererbung an sie weitergaben. Und wenn wir nun in solchen Entwicklungen beständig Züge hervortreten sehen, deren Vorhandensein noch unmittelbar vorher auf keine Weise festzustellen gewesen wäre, die aber
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demungeachtet als der Anlage nach längst vorhanden angesehen werden müssen, wie dürfen wir da noch aus dem Zeitpunkt solchen Manifestwerdens auf den der Entstehung zurückschließen? Das Früher oder Später des wirkenden Offenbarwerdens ist durchaus zu unterscheiden von demtieferen oder äußerlicheren Verwurzeltsein in der Struktur, von der größeren oder geringeren „Ursprünglichkeit" der Anlage. Es ist also durchaus denkbar, daß Eigentümlichkeiten des Wesens eines Organismus, die tatsächlich gar nicht von ihm trennbar und ihm dementsprechend „von jeher" eigen sind, daß solche Eigentümlichkeiten erst später als andere, ihrer Zugehörigkeit zu dem Organismus nach weitaus jüngere in äußerer Wirksamkeit zutage treten. Und weiter wird der Idealismus einwenden, daß in diesen Fragen auch die Selbstbesinnung des handelnden Subjekts auf die ihm selbst eigentümliche Willensstruktur berücksichtigt werden muß, weil gerade durch sie in der Kette der Verursachung einer Handlung oder Willensentscheidung die ursprünglicheA.nlage wirksam werden kann. Vielleicht ist die Selbstbesinnung imstande, bei Handlungen, welche, durch äußere Verhältnisse beeinflußt, dem Sinne der eigenen Willensanlage nicht entsprechen, dieses ihr Mißverhältnis zu dem eigentlichen Willen des Subjektes nachträglich aufzudecken, so daß infolge
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der gewonnenen Selbstkenntnis in künftigen Handlungen das Wesen der inneren Organisation sich unverfälschter und reiner zum Ausdruck bringen wird. Die Einschaltung der Selbstbesinnung in die zur Handlung führende Ursachenreihe würde dann das Ergebnis haben, daß gerade die spätere Äußerung das Wesen der ursprünglichen Anlage getreuer spiegelt als die frühere. Dies sind freilich Überlegungen, die dem auf dem Dustandpunkt stehenden mechanistisch erklärenden Beobachter recht fern liegen werden. Um so einleuchtender werden sie dem sein, der durch Selbstbesinnung ein Bild von dem 'Wesen der ethischen Gegebenheiten gewinnen will. Denn die Erlebnisse des eigenen sittlichen Bewußtseins lassen sich ohne Zwang in dieser Weise denken, ja sie fordern, wie mir scheint, geradezu eine solche Auffassung. Wir werden sogleich darauf noch einmal zurückzukommen haben, daß in dem für das ethische Selbstbewußtsein grundlegenden Erlebnis des Gewissens, welches eine frühere Willensentscheidung nachträglich verurteilt, nicht nur der Gedanke lebendig ist, daß ich jetzt in dem Gefühl der mir durch die Stimme des Gewissens gegebenen Motive anders entscheiden würde, sondern daß ich auch damals anders hätte entscheiden sollen, und daß ich auch anders hätte entscheiden können, wenn eine ebenso sorgfältige und unbe-
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stechliche Selbstprüfung mir zur Seite gestanden hätte. Das Selbstbewußtsein des Gewissenserlebnisses steht also auf dem Standpunkte, daß das ausschlaggebende ethische Motiv nicht in der von der ersten bis zur zweiten Entscheidung verflossenen Zwischenzeit von außen hinzugetreten sei, sondern daß meine innere Anlage schon bei der ersten die Möglichkeit zu ihm dargeboten hätte; und hierauf und nur hierauf beruht der Charakter des Selbstvorwurfes oder der Reue, den das Gewissenserlebnis annehmen kann, und dessen Möglichkeit ein ganz wesentliches Merkmal desselben ist. Wenn wir so vom Ichstandpunkt der Selbstbesinnung aus die ethischen Erlebnisse betrachten, so scheint uns ihre Eigenart anzuzeigen, daß die oft der Zeit nach später zum Bewußtsein und zur Wirksamkeit gelangenden und dabei als die sittlich wertvolleren erlebten Regungen doch dem Wesen unserer Anlage nach die ursprünglicheren und eigeneren sind, daß demnach das Sittliche das tiefer im eigenen Selbst Gegründete oder doch dort Erfaßte, das Widersittliche dagegen das Oberflächlichere ist. Den von außen an die Phänomene herantretenden Mechanisten werden jedoch diese Erlebnisse nicht in diesem Sinne überzeugen, sondern er wird die in ihnen gegebenen Bewußtseinseigentümlichkeiten in anderer Weise erklären.
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Er wird vor allem sagen, daß solche in einem sehr entwickelten Subjekt auftretenden Phänomene nicht geeignet seien, um aus ihnen Schlüsse auf größere oder geringere Ursprünglichkeit ihres Gehalts zu ziehen. Er wird sich weiter darauf berufen, daß wohl manche Bewußtseinsgegebenheiten mit dem Charakter ihrer inneren Ursprünglichkeit e r l e b t werden mögen, ohne darum von der wissenschaftlichen Theorie ebenfalls als dem Wesen des erlebenden Subjekts angehörig g e d e u t e t werden zu müssen. Er wird gern zugeben, daß die für die zweite Entscheidung des Gewissenserlebnisses maßgebenden Motive nicht erst nach der ersten in das Subjekt eingetreten zu sein brauchen, dies aber nicht als einen Beweis dafür gelten lassen, daß sie überhaupt nicht von außen gekommen seien. Angesichts der großen Mannigfaltigkeit der Wege, die sich in jedem gegebenen Falle zu möglichen Erklärungen bieten, und angesichts der Schwierigkeit, auf diesem Gebiet die aufgestellten Hypothesen durch spätere Erfahrungen bewahrheiten oder unzweideutig widerlegen zu lassen, wird der wirklich Unparteiliche in diesem Streit zu keiner Entscheidung kommen. Und die grundlegende Verschiedenheit der Betrachtungsrichtung und des für sie maßgebenden Interesses, der Unterschied der Weltanschauungen, der letztlich hinter
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dieser steht, machen den Versuch eines Ausglei¿hs jener Differenzen unmöglich. 11. Der Sinn der beiden idealistischen Standpunkte.
Nachdem wir in dieser Gegenüberstellung der mechanistischen Ethik einerseits der Persönlichkeitsethik anderseits die Wurzeln der Verschiedenheit beider bloßgelegt und damit zugleich auch den ethischen Rationalismus von dem Mechanismus genügend abgegrenzt haben, gehen wir dazu über, die inhaltlich einander verwandten Standpunkte des ethischen Rationalismus und des idealistischen Individualismus gegeneinander abzuwägen. Um diese beiden Typen von ethischen Theorien, die sich beide an dem inneren Bewußtsein des ethischen Subjekts orientieren, richtig verstehen zu können, müssen wir wieder auf das Erlebnis zurückgreifen, in dem "uns das Ethische in seiner Eigentümlichkeit zum Bewußtsein kommt. Die Aufgabe der ethischen Theorien besteht diesem Erlebnis gegenüber darin, daß sie es in seiner Eigenart erfaßt und es deutet, indem sie die in ihm sich offenbarenden idealen oder realen Kräfte aufdeckt. Als das charakteristische Moment dieses ethischen Erlebnisses fanden wir schon, daß es einen Konflikt darstellte. Kant hatte uns diesen Konflikt näher beschrieben. Anknüpfend an Kant
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dieser steht, machen den Versuch eines Ausglei¿hs jener Differenzen unmöglich. 11. Der Sinn der beiden idealistischen Standpunkte.
Nachdem wir in dieser Gegenüberstellung der mechanistischen Ethik einerseits der Persönlichkeitsethik anderseits die Wurzeln der Verschiedenheit beider bloßgelegt und damit zugleich auch den ethischen Rationalismus von dem Mechanismus genügend abgegrenzt haben, gehen wir dazu über, die inhaltlich einander verwandten Standpunkte des ethischen Rationalismus und des idealistischen Individualismus gegeneinander abzuwägen. Um diese beiden Typen von ethischen Theorien, die sich beide an dem inneren Bewußtsein des ethischen Subjekts orientieren, richtig verstehen zu können, müssen wir wieder auf das Erlebnis zurückgreifen, in dem "uns das Ethische in seiner Eigentümlichkeit zum Bewußtsein kommt. Die Aufgabe der ethischen Theorien besteht diesem Erlebnis gegenüber darin, daß sie es in seiner Eigenart erfaßt und es deutet, indem sie die in ihm sich offenbarenden idealen oder realen Kräfte aufdeckt. Als das charakteristische Moment dieses ethischen Erlebnisses fanden wir schon, daß es einen Konflikt darstellte. Kant hatte uns diesen Konflikt näher beschrieben. Anknüpfend an Kant
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möchte ich ihn zunächst noch einmal vor unsere Augen stellen. Wir erleben zuweilen, daß wir eine zuvor getroffene Willensentscheidung oder ein Handeln, das seinerzeit natürlich unter dem Schwergewicht uns beherrschender Motive erfolgte, nachträglich verurteilen. Wir haben das Bewußtsein, daß, wie wir jetzt fühlen und urteilen, wir anders würden entscheiden müssen, und wir fühlen zugleich, diese unsere jetzige Entscheidung tritt nicht nur als eine andere und gleich mögliche neben die frühere, sondern wir halten sie für unbedingt richtiger. Ja wir „bereuen" sogar die frühere Entscheidung, fragen uns: wie war es nur möglich, daß wir so handelten? und drücken damit das Bewußtsein aus, daß wir eigentlich auch damals schon anders hätten entscheiden können und müssen. Also nicht als ein bloßes: Jetzt denke ich anders, tritt uns die gegenwärtige Willenslage entgegen, sondern als eine durch Selbstbesinnung gewonnene „bessere" Einsicht, die der früheren Meinung gegenüber den Anspruch erhebt, absolut im Recht zu sein, und zugleich mit dem Vorwurf verbunden ist, daß sie uns auch damals bei gründlicherer oder redlicherer Selbstprüfung hätte zugänglich sein müssen. Was ist das für eine entscheidende Einsicht? Ältere Perioden waren geneigt, diese Stim-
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men in unserer Brust für etwas von einem äußeren objektiven Sein Kommendes zu halten: die Stimme eines Gottes etwa, der uns etwas befiehlt, uns seinen Willen offenbart. Sokrates' Daimonion ist noch von dieser Art. In der modernen Zeit erleben wir es anders. Es scheint uns zweifellos zu sein, daß wir durch Versenkung in unser eigenes, inneres Selbst fähig werden, jene Offenbarung zu vernehmen: „Einsam wird dem Menschen zumute, der nur den ältesten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will", beschreibt Goethe, und Nietzsche spricht von der „stillsten Stunde" als der letzten gestrengen Herrin seines Willens. Wir pflegen von unserm Gewissen zu sprechen und meinen damit ohne Zweifel ein Wissen besonders tiefer und innerlicher Art, das sich uns auftut, wenn wir unser Auge gegen alle von außen kommende Blendung nach Möglichkeit verschließen. Und so entspricht es unserm Empfinden, wenn Kant sein Sittengesetz als „Autonomie" im Gegensatz zur Heteronomie bezeichnet, wenn Fichte den tiefen Grund, aus dem diese Stimme der „Überzeugung" erklingt, „Ich" nennt. Was ist es aber, das wir dort in unserem eigensten Ich, in unserm tiefsten Innern vernehmen ? Ist es das Gesetz unseres individuellen Seins, unserer Persönlichkeit, oder ist es ein überindividuelles Absolutes?
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Überwiegend sind hier die Stimmen derer, die glauben, ein Überindividuelles, Absolutes annehmen zu sollen. So Kant, dem ja eben der Charakter der Allgemeingültigkeit des Gesetzes, der gleichen Verbindlichkeit für jedermann das entscheidende Merkmal seines Pflichtbegriffes wurde. A b e r es gibt auch andere Auffassungen. So die Nietzsches in einem schönen Aphorismus: „Zeichen der Vornehmheit: nie daran denken, unsere Pflichten zu allgemeinen Pflichten herabzusetzen; die eigene Verantwortlichkeit nicht abgeben wollen, nicht teilen wollen; seine Vorrechte und deren Ausübung unter seine P f l i c h t e n rechnen" 1 ). Hier spricht sich ein ohne Zweiel nicht weniger ursprüngliches Gefühl dahin aus, daß diese sittliche Stimme in uns keineswegs etwas allen Menschen gleichmäßig Gehörendes zum Ausdruck bringt, daß in ihr vielmehr die indivividuelle Eigenart der Person als der letzte Leitstern meines Wollens aufleuchte, eine Entscheidung getroffen werde, in der das Individuum ganz mit sich allein bleibe und von aller Berücksichtigung des außerhalb der Person Liegenden keine Rede sei. Sehr deutlich ist sich Nietzsche des Unter') Jenseits von Gut und Böse. 272. Mit »Vorrechten« meint Nietzsche m. E. Rechte, welche sich auf besondere persönliche Anlagen oder Fähigkeiten gründen, man würde diese auch als „Vorzüge" bezeichnen können.
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schiedes bewußt gewesen, in dem dieses sein Erleben zu dem bisher als gültig Angesehenen stand. So führt er dichterisch aus, wie der Geist zuerst einem tragsamen Kamele gleicht, das das Schwerste sich aufzubürden sucht, wie er sich dann in einen Löwen wandelt, der dem Drachen „Du sollst" im Kampfe sein siegreiches „Ich will" entgegensetzt. Zuletzt aber wird aus dem Löwen ein Kind, das in spielendem Jasagen seinen Willen ausfuhrt, d. h. es verliert sich auch des Gefühl des Widerstreites gegen das dem Ich fremde Gebot, und der Geist folgt frei und unbekümmert dem Gesetze der eigenen Natur 1 ).
*) Uber die große Energie, mit der Nietzsche den Inhalt seiner eigenen ethischen Überzeugung verkündigt, übersieht man oft, daß er von irgendeiner grundsätzlichen Allgemeingültigkeit des Ethischen nichts wissen will. Auch seine eigene Lehre hat ihm keine über die eigene Person hinausgreifende Verbindlichkeit^ Es ist vielmehr der „Geist der Schwere", Zarathustras bestgehaßter Feind, der sagt: „Allen gut, allen bös". Und nur, wer es lernt, sich selbst zu lieben, wird leicht wie ein Vogel. Diese feinste und listigste Kunst der Selbstliebe aber besagt, daß der Mensch nicht die vielen f r e m d e n schweren Werte auf sich lädt, die uns als „Gut" und „Böse" fast schon in der Wiege gegeben werden, sondern spricht: Das ist m e i n Gutes und Böses. „Das'ist nun m e i n Weg, — wo ist der eure?" so antwortete ich denen, die mich „nach dem Wege" fragten. D e n Weg nämlich — den gibt es nichtI •— Also sprach Zarathustra." (Vergl. Dritter Teil: Vom Geist der Schwere.)
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So stehen zwei Deutungen des ethischen Urphänomens sich gegenüber. Beide sind einig darin, daß die Stimme der ethischen Entscheidungen in dem tiefsten Ich wohnt, in dessen heiliger Stille sie uns vernehmbar wird, der einen Auffassung aber erklingt in dieser Stimme ein überindividuelles absolutes Gebot, der anderen die persönlichste und individuellste Eigenart des eigenen Willens. 12. Frage der Berechtigung beider Auffassungen: ist der Kern unseres ethischen Selbst individuell oder überindividuell ?
Welche dieser Auffassungen ist nun die richtige? Ich bin der Meinung, daß auch diese Frage überhaupt nicht beantwortet werden kann: wir haben einen Gegensatz gleichberechtigter Weltanschauungen vor uns. Nur d i e Aufgabe können wir uns stellen, die Wurzeln der Verschiedenheit beider Meinungen aufzudecken. Und wenn wir diese Wurzeln bloßlegen, dann sehen wir allerdings zugleich ein, daß das einander Widersprechende der beiden Anschauungen nur die Hülle ist, die beidemal dieselbe Wahrheit umgibt, und daß diese Hülle gewoben ist aus den Unzulänglichkeiten einer jedesmal unvermeidlich einseitigen Betrachtungsweise des vorliegenden Phänomens. Ich will versuchen, das an unserm Falle deutlicher werden zu lassen.
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So stehen zwei Deutungen des ethischen Urphänomens sich gegenüber. Beide sind einig darin, daß die Stimme der ethischen Entscheidungen in dem tiefsten Ich wohnt, in dessen heiliger Stille sie uns vernehmbar wird, der einen Auffassung aber erklingt in dieser Stimme ein überindividuelles absolutes Gebot, der anderen die persönlichste und individuellste Eigenart des eigenen Willens. 12. Frage der Berechtigung beider Auffassungen: ist der Kern unseres ethischen Selbst individuell oder überindividuell ?
Welche dieser Auffassungen ist nun die richtige? Ich bin der Meinung, daß auch diese Frage überhaupt nicht beantwortet werden kann: wir haben einen Gegensatz gleichberechtigter Weltanschauungen vor uns. Nur d i e Aufgabe können wir uns stellen, die Wurzeln der Verschiedenheit beider Meinungen aufzudecken. Und wenn wir diese Wurzeln bloßlegen, dann sehen wir allerdings zugleich ein, daß das einander Widersprechende der beiden Anschauungen nur die Hülle ist, die beidemal dieselbe Wahrheit umgibt, und daß diese Hülle gewoben ist aus den Unzulänglichkeiten einer jedesmal unvermeidlich einseitigen Betrachtungsweise des vorliegenden Phänomens. Ich will versuchen, das an unserm Falle deutlicher werden zu lassen.
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Beide Teile sind sich einig darin, daß die Stimme der ethischen Entscheidung uns den innersten und tiefsten Kern unser selbst zeigt, die Frage ist also: ist dieser Kern "Unseres Selbst etwas überindividuell Absolutes? Diese Frage mag im ersten Augenblick ungereimt erscheinen, wir fühlen uns versucht zu sagen: der Kern meines Selbst muß notwendig individuell sein! — Das wäre aber, wie wir sehen werden, eine voreilige Ablehnung. 13. Der Unterschied der Antworten auf unsere Frage wurzelt in dem Gegensatz einer objektivistischen und einer subjektivistischen Deutung des Verhältnisses zwischen dem Ich und der objektiven Welt.
Das Verhältnis des Ich zur Welt oder des Subjektes zu den Objekten ist doppelsinnig. Wir erleben auf der einen Seite unser Ich in der Weise, daß wir es als ein reales einzelnes Ding gleichartig neben andern objektiven Dingen stehen lassen: Die Welt ist der Inbegriff einzelner Gegenstände, die im Raum nebeneinander und außereinander sind; zu diesen Gegenständen gehört als einer unter vielen andern auch das Ich. Und in der Zeit denken wir uns entsprechend eine Aufeinanderfolge grundsätzlich gleichberechtigter Augenblicke, einer von ihnen ist das Jetzt. Auf der andern Seite können wir uns aber auch jederzeit darauf besinnen, daß alle diese Einzeldinge
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Beide Teile sind sich einig darin, daß die Stimme der ethischen Entscheidung uns den innersten und tiefsten Kern unser selbst zeigt, die Frage ist also: ist dieser Kern "Unseres Selbst etwas überindividuell Absolutes? Diese Frage mag im ersten Augenblick ungereimt erscheinen, wir fühlen uns versucht zu sagen: der Kern meines Selbst muß notwendig individuell sein! — Das wäre aber, wie wir sehen werden, eine voreilige Ablehnung. 13. Der Unterschied der Antworten auf unsere Frage wurzelt in dem Gegensatz einer objektivistischen und einer subjektivistischen Deutung des Verhältnisses zwischen dem Ich und der objektiven Welt.
Das Verhältnis des Ich zur Welt oder des Subjektes zu den Objekten ist doppelsinnig. Wir erleben auf der einen Seite unser Ich in der Weise, daß wir es als ein reales einzelnes Ding gleichartig neben andern objektiven Dingen stehen lassen: Die Welt ist der Inbegriff einzelner Gegenstände, die im Raum nebeneinander und außereinander sind; zu diesen Gegenständen gehört als einer unter vielen andern auch das Ich. Und in der Zeit denken wir uns entsprechend eine Aufeinanderfolge grundsätzlich gleichberechtigter Augenblicke, einer von ihnen ist das Jetzt. Auf der andern Seite können wir uns aber auch jederzeit darauf besinnen, daß alle diese Einzeldinge
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im Raum und alle irgendwie erfüllten Einzelaugenblicke der Zeit nur für ein Ich vorhanden sind, welches sie wahrnimmt, vorstellt, denkt oder sonst irgendwie im Bewußtsein hat, daß dieses subjektive Bewußtsein die unerläßliche Bedingung des Gegebenseins irgendwelcher Realitäten in Raum und Zeit ist. So scheint das Ich nicht gleichgeordnet neben den Einzelrealitäten zu stehen, sondern ihnen übergeordnet zu sein als die Bedingung ihrer Möglichkeit, es scheint *sie alle zu umfassen oder zu umfangen, alle Einzelrealitäten scheinen nur in diesem subjektiven Bewußtsein sein zu können. Ich nenne die erste dieser Auffassungsweisen, welche das Ich als ein Einzelreales neben andern Realitäten denkt, Objektivismus, die zweite, die alle Einzelrealitäten nur für oder in dem subjektiven Bewußtsein möglich sein läßt, Subjektivismus. Wie beide Betrachtungsweisen uns in jedem Augenblicke naheliegen, und wie es uns möglich ist, jederzeit von der einen auf die andere überzugehen, davon mag uns die Tatsache der Sinnestäuschungen zum Beispiel dienen. Im gewöhnlichen Leben nehmen wir die äußeren Dinge, welche wir wahrnehmen, ohne weiteres als neben und außer uns hin; als mir, dem sie wahrnehmenden und zugleich auch selbst wahrgenommenen Ich, gleichwertige Realitäten. Und doch wissen wir, H o f m a i i n , Eth. Überzeug.
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daß wir grundsätzlich jeder Wahrnehmung gegenüber uns die Möglichkeit offenhalten, sie als eine Täuschung anzusehen. Was bedeutet diese „Täuschung"? Ein reales Ding, wie es an sich selbst i s t , kann keine Täuschung sein, es läge gar kein Sinn in solcher Behauptung; der Begriff der Täuschung setzt voraus, daß das unmittelbar Gegebene nicht das Ding selbst, sondern ein Inhaltsbestandteil des Bewußtseins ist, der das Ding nicht selbst i s t , sondern es nur „bedeutet", sei es als ein Zeichen, ein Abbild oder sonst irgendwie, und der in dieser seiner auf das Ding selbst nur hinzielenden Funktion fehlgehen kann. Die Möglichkeit der Täuschung also setzt voraus, daß zunächst und unmittelbar jedenfalls nicht die realen Dinge für uns da sind, sondern Inhalte des Bewußtseins, die zum Ich gehören und irgendwie vom Ich abhängen. Diese Tatsache unseres Erlebens: daß wir jederzeit mit der Möglichkeit rechnen, aus dem dem unreflektierten Bewußtsein unmittelbar selbstgegebenen Wahrnehmungsdinge eine Täuschung werden zu lassen, besagt: ich bin jederzeit imstande, die zunächst als außer und neben mir real erlebten Objekte umzudeuten in solche, die mir nur als meinem subjektiven Bewußtsein angehörige Inhaltsbestandteile gegeben sind, und zwar so gegeben sind, daß die realen Dinge aus ihnen erst erschlossen werden müssen.
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Dieser stets bereitliegende Gedanke der möglichen Täuschung bildet demnach einen Beweis für den phänomenalistisch-subjektivistischen Einschlag in unserer vorwiegend und zunächst auf realistisch - objektivistischem Boden stehenden natürlichen Weltauffassung. Die konsequente Fortentwicklung dieses subjektivistischen Ansatzes in unserm Erleben fuhrt zu grundsätzlich stärker und vielleicht zuletzt ausschließlich subjektivistischen Standpunkten. 14. Der Solipsismus als äußerste Konsequenz des Subjektivismus und der in ihm liegende Widerspruch.
Als eine solche äußerste Konsequenz pflegt man den Solipsismus anzusehen, der alles reale Objektive in dem Bewußtsein des individuellen Subjektes beschlossen sein läßt und sich gegen jegliche Behauptung von Realitäten außerhalb dieses individuellen Bewußtseins skeptisch verhält. Die theoretische Unanfechtbarkeit dieses Standpunktes ist von Schopenhauer und anderen anerkannt worden. Hier möchte ich nun die Frage aufwerfen: ist diese scheinbar äußerste subjektivistische Konsequenz wirklich folgerichtig gezogen? Nämlich: ist dieses letzte innerste Subjekt, auf das die phänomenalistischen Gedankengänge hinführen, wirklich noch individuell? 5*
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Dieser stets bereitliegende Gedanke der möglichen Täuschung bildet demnach einen Beweis für den phänomenalistisch-subjektivistischen Einschlag in unserer vorwiegend und zunächst auf realistisch - objektivistischem Boden stehenden natürlichen Weltauffassung. Die konsequente Fortentwicklung dieses subjektivistischen Ansatzes in unserm Erleben fuhrt zu grundsätzlich stärker und vielleicht zuletzt ausschließlich subjektivistischen Standpunkten. 14. Der Solipsismus als äußerste Konsequenz des Subjektivismus und der in ihm liegende Widerspruch.
Als eine solche äußerste Konsequenz pflegt man den Solipsismus anzusehen, der alles reale Objektive in dem Bewußtsein des individuellen Subjektes beschlossen sein läßt und sich gegen jegliche Behauptung von Realitäten außerhalb dieses individuellen Bewußtseins skeptisch verhält. Die theoretische Unanfechtbarkeit dieses Standpunktes ist von Schopenhauer und anderen anerkannt worden. Hier möchte ich nun die Frage aufwerfen: ist diese scheinbar äußerste subjektivistische Konsequenz wirklich folgerichtig gezogen? Nämlich: ist dieses letzte innerste Subjekt, auf das die phänomenalistischen Gedankengänge hinführen, wirklich noch individuell? 5*
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Offenbar ist für den Begriff des Individuums sein Einzelsein wesentlich. Ein einzelnes ist aber stets ein irgendwie begrenztes, ein von einem irgendwie erfüllten oder auch leeren Räume außerhalb seiner selbst abgetrenntes Dasein. Ein allumfassendes einziges Subjekt, das nichts mit ihm selbst auf gleicher Realitätsstufe Stehendes mehr außer sich hat und haben kann, wäre demnach kein Individuum mehr. Ein solches allumfassendes Einziges wäre aber ohne Zweifel das Bewußtsein, welchem wir als der letzten Bedingung alles Gegebenen dieses im Sinne eines konsequentesten Subjektivismus einzuordnen hätten: der „ipse", auf den jener Gedankengang führte, wäre kein ,,solusu mehr, weil er keine äußere Abgrenzung mehr kennt. 15. Die„Entindividualisierung u des als letztes Prinzip der Subjektivität gefaßten Ich.
Wo also das Subjekt sich auf den letzten innersten Kern seiner Subjektivität besinnt, da streift es den Individualitätscharakter ab. Um zu belegen, daß diese Tatsache der Entindividualisierung des sich auf das tiefste Prinzip seiner Subjektivität besinnenden Ich wirklich in den Weltanschauungsbemühungen der Philosophen gespürt wird, brauche ich nur an Fichte zu erinnern, dem das Ich, das sich selbst setzt, keines-
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Offenbar ist für den Begriff des Individuums sein Einzelsein wesentlich. Ein einzelnes ist aber stets ein irgendwie begrenztes, ein von einem irgendwie erfüllten oder auch leeren Räume außerhalb seiner selbst abgetrenntes Dasein. Ein allumfassendes einziges Subjekt, das nichts mit ihm selbst auf gleicher Realitätsstufe Stehendes mehr außer sich hat und haben kann, wäre demnach kein Individuum mehr. Ein solches allumfassendes Einziges wäre aber ohne Zweifel das Bewußtsein, welchem wir als der letzten Bedingung alles Gegebenen dieses im Sinne eines konsequentesten Subjektivismus einzuordnen hätten: der „ipse", auf den jener Gedankengang führte, wäre kein ,,solusu mehr, weil er keine äußere Abgrenzung mehr kennt. 15. Die„Entindividualisierung u des als letztes Prinzip der Subjektivität gefaßten Ich.
Wo also das Subjekt sich auf den letzten innersten Kern seiner Subjektivität besinnt, da streift es den Individualitätscharakter ab. Um zu belegen, daß diese Tatsache der Entindividualisierung des sich auf das tiefste Prinzip seiner Subjektivität besinnenden Ich wirklich in den Weltanschauungsbemühungen der Philosophen gespürt wird, brauche ich nur an Fichte zu erinnern, dem das Ich, das sich selbst setzt, keines-
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wegs das Individuum, sondern
ein alle Realität
aus sich selbst als ihrer Wurzel hervortreibendes metaphysisches
Weltprinzip
ist.
So
sehr,
daß
Fichte, wenn er in seiner zweiten Periode dieses Ich in pantheistischem Sinne „ G o t t " nennt, seinen ursprünglichen Standpunkt nicht glaubt aufgegeben zu haben.
Ich
erinnere
weiter
an Rickert, der
ausfuhrt: alles Individuelle gehöre auf die O b j e k t seite der Korrelation Subjekt —
Objekt, und so
für das von ihm „Bewußtsein überhaupt" genannte rein subjektive Prinzip ein nicht mehr individuelles Gebilde übrig behält.
Verwandt ist der Gedanke
Husserls, der in „phänomenologischer Einstellung" beobachtend, durch „Einklammerung" alles Physisch-Realen und Zeitlichen einen nicht mehr individuellen schauung"
Kern
der
Wesensschauung ebenfalls
Phänomene
zugänglich ein
werden
der läßt
„Wesensund
als das sie erlebende
„transzendentales
dieser Subjekt
Subjekt"
oder
„Bewußtsein überhaupt" zuordnet. Endlich möchte ich hier noch ein W o r t Goethes anführen, das sehr
paradox erscheint,
aber aus
unserm Zusammenhang verständlich wird: ist das Allgemeine? Der einzelne Fall. das Besondere? Millionen Fälle."
„Was
W a s ist
Der Begriff der
sich gegenseitig ausschließenden und begrenzenden Vielheit ist von dem des Individuums nicht trennbar, er geht aber verloren, sobald wir die letzte
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und innerste Subjektivität des Erlebens rein als solche zu erfassen suchen. 16. Die absolutistische ethische Theorie ist im Recht, wenn sie im ethischen Selbst einen nicht-individuellen Kern findet, sie mißversteht sich selbst, wenn sie aus diesem etwas Überindividuelles macht.
So wird es begreiflich, daß auch die Phänomenologie des ethischen Erlebens als den innersten Kern des Ich, welchem die Stimme des Gewissens oder des Sittengesetzes zu entstammen scheint, etwas nicht mehr Individuelles zu erfassen glaubt. Mir scheint, daß gegen diese Erlebnisgrundlage der rationalistischen Ethik alle Waffen einer logischen Bekämpfung sich als stumpf erweisen würden: sie ist in sich unbestreitbar und berechtigt, obwohl durch sie die entgegengesetzte objektivistische Ansicht, für die das Subjekt des ethischen Erlebens unter allen Umständen ein reales und damit auch ein individuelles Einzelding in Raum und Zeit bleibt, keineswegs widerlegt wird, sondern als ihr gleichwertig anzusehen ist. In einem Punkte werden wir aber dem landläufigen ethischen Rationalismus eine Inkonsequenz und eine aus dieser entspringende Selbsttäuschung nachweisen können. Es ist, wie wir fanden, nichts gegen eine
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und innerste Subjektivität des Erlebens rein als solche zu erfassen suchen. 16. Die absolutistische ethische Theorie ist im Recht, wenn sie im ethischen Selbst einen nicht-individuellen Kern findet, sie mißversteht sich selbst, wenn sie aus diesem etwas Überindividuelles macht.
So wird es begreiflich, daß auch die Phänomenologie des ethischen Erlebens als den innersten Kern des Ich, welchem die Stimme des Gewissens oder des Sittengesetzes zu entstammen scheint, etwas nicht mehr Individuelles zu erfassen glaubt. Mir scheint, daß gegen diese Erlebnisgrundlage der rationalistischen Ethik alle Waffen einer logischen Bekämpfung sich als stumpf erweisen würden: sie ist in sich unbestreitbar und berechtigt, obwohl durch sie die entgegengesetzte objektivistische Ansicht, für die das Subjekt des ethischen Erlebens unter allen Umständen ein reales und damit auch ein individuelles Einzelding in Raum und Zeit bleibt, keineswegs widerlegt wird, sondern als ihr gleichwertig anzusehen ist. In einem Punkte werden wir aber dem landläufigen ethischen Rationalismus eine Inkonsequenz und eine aus dieser entspringende Selbsttäuschung nachweisen können. Es ist, wie wir fanden, nichts gegen eine
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Auffassung einzuwenden, die die Stimme des Gewissens und damit das Sittengesetz oder die hoch» sten ethischen Werte als nicht zum Individuum als solchem gehörig ansieht. Ein unbestreitbar möglicher, ja ein wirklicher oder sogar „notwendiger" Zug des ethischen Grunderlebnisses ist hiermit richtig beschrieben. Inkonsequent ist es aber, wenn aus diesem „Nichtindividuell" ein „Überindividuell" gemacht wird, denn hiermit würde dem Sittengesetz oder den letzten Werten eine Heimat zuerkannt, die als gleichgeordnetes zweites Reich neben der Welt der individuellen wirklichen Dinge stände, so daß beide Welten nicht nur miteinander verglichen werden könnten, sondern daß sie einander irgendwie berührten und zueinander in reale Beziehungen träten; sodaß die eine auf die andere einwirken oder doch von dieser aus erkannt werden könnte. Dieser Fehler läßt sich von zwei Seiten beleuchten. Wenn ich etwas als überindividuell bezeichne, so denke ich es als zu dem Individuellen in einer bestimmten beherrschenden Beziehung stehend. So meint die Rede von einem überindividuellen Sittengesetz ein dem Individuum als Gebot gegenübertretendes Gesetz: etwa so, daß in dem Individuum ein innerster Bezirk sich befindet, aus dem heraus das Gesetz von dem ganzen Indivi-
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duum Gehorsam heischt. Und die Rede von überindividuellen Werten meint, daß das Individuum in irgendeiner Weise, zum wenigsten wahrnehmend, diesen Werten gegenüberstehe, daß also einerseits in dem Individuum ein Organ oder eine Fähigkeit sei, diese Werte zu erfassen, und daß anderseits die Werte mit diesem Organ in Verbindung treten können. Wir sehen in beiden Vorstellungsweisen deutlich, daß sie den Gedanken einer Einwirkung des Überindividuellen auf das Individuum einschließt, wenn auch in den verschwommenen Wendungen und Gleichnissen, die das Verhältnis des Uberindividuellen zum Individuum beschreiben sollen, diese Kausalbeziehung nicht mit ihrem richtigen Namen genannt wird. Eine solche Kausalbeziehung aber, wie überhaupt reale Beziehungen irgendwelcher Art, können immer nur zwischen realen Objekten bestehen. Reale Einzeldinge in Raum und Zeit wirken aufeinander, ein rein als solches genommenes Subjekt dagegen empfängt keine Wirkungen und übt keine Wirkungen aus. Die Beziehung zwischen diesem Subjekt und seinen objektiven Bewußtseinsgegebenheiten ist rein ideell: sie bedeutet nur eine Weise des Daseins und des Einheitlichseins der Objekte. Man wird dieser Behauptung vielleicht entgegenhalten, daß wir doch von der Wahrnehmung und ähnlichen Kausalbeziehungen zwischen Ob-
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jekten und Subjekt beständig sprechen. In allen diesen Vorstellungsweisen ist jedoch das Subjekt nicht rein als solches aufgefaßt, sondern es wird an das uns in Raum und Zeit gegebene o b j e k t i v e Ich gedacht, das dort neben andern Objekten und in realen Beziehungen zu diesen steht. Es würde mich zu weit fuhren, wenn ich dieses Verhältnis ausführlich erörtern wollte *), soviel ist aber wohl unbestreitbar: das reine Prinzip der Subjektivität, wie wir es in dem nicht mehr individuellen Subjekt vorstellen, kann unmöglich kausal wirken oder kausale Wirkung empfangen: in Kausalbeziehungen können nur reale Gegenstände stehen, alles Reale aber ist individuell. Gehört also, wie wir sahen, ein Kausalverhältnis zum Begriff des Überindividuellen, so ist es falsch, das nicht-individuelle subjektive Prinzip zu etwas Uberindividuellem zu machen. Noch von einer andern Seite können wir uns das Unstatthafte dieser Vertauschung klarmachen. Solange wir auf objektivistischem Standpunkt stehend das Ich als ein Einzelding unter Einzeldingen ansehen, kennen wir kein Nicht-Individuelles. Erst wenn wir in der Verfolgung phänoi) Vgl. mein B u c h : Die antithetische Struktur des Bewußtseins, Berlin (b. Georg Reimer) 1914, in dem diese Betrachtungen durchgeführt sind. Über das „objektive Subj e k t " dort bes. § 16.
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menalistisch-subjektivistischer Gedankengänge alle diese Einzeldinge zu Bewußtseingegebenheiten werden lassen, entsteht uns der Begriff des Bewußtseins dieser Gegebenheiten als eines NichtIndividuellen. ^ Sind wir zu dieser Betrachtungsweise übergegangen, so gibt es aber kein individuelles Ich, kein individuelles S u b j e k t mehr, alle Einzeldinge sind vielmehr O b j e k t e dieses Einen Bewußtseins. Das individuelle Ich und das nicht-individuelle kommen also niemals in derselben Betrachtung nebeneinander vor: wir müssen den Standpunkt der Betrachtung verändern, um von dem einen zum andern zu gelangen. Die Tatsache, daß solche Standpunktsänderungen jederzeit möglich sind, habe ich vorhin als die Doppelsinnigkeit des Verhältnisses von Subjekt und Objekt bezeichnet, mit spezieller Anwendung auf das uns hier vorliegende Phänomen könnte man auch von der Doppelsinnigkeit des Ich-Begriffes sprechen. Ein in dieser Weise doppelsinniges Ich ist aber etwas durchaus anderes als ein in irgendeiner Weise d o p p e l t e s Ich. Die Rede vom Überindividuellen muß aber, wie immer man sie des genaueren auslegen mag, ganz gewiß ein doppeltes Ich annehmen: ein überindividuelles, das irgendwie „über", das heißt gleichviel, ob „innerhalb", oder „außerhalb", jedenfalls neben
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und getrennt von dem Individuum vorhanden ist, und diesem ethisch gebietet, und zweitens das individuelle Ich, das jenem untergeordnet ist. Läßt man die Vorstellung des überindividuellen Subjekts fallen und ersetzt sie durch die absolut gültiger Werte, die dem Individuum gegenüberstehen, so wird jener Schwierigkeit nur scheinbar ausgewichen, denn nun bedarf man der Hilfsannahme eines überindividuellen Organs an dem individuellen Ich, durch welches die absoluten Werte erfaßt werden können. Der Fehler, der in dem Begriff des Über individuellen enthalten ist, ist genau derselbe, wie ihn die bekannte „Abbildtheorie" der Wahrnehmung macht. Dieser gegenüber haben besonders nachdrücklich Schuppe, Avenarius und Mach1) geltend gemacht, daß sie das Gegebene verdopple, das tatsächlich doch nur „einmal da" sei. In Wahrheit liegt es hier so, daß, wie wir schon sahen, uns die Dinge, die wir in der Wahrnehmung als selbst gegeben erlebten, zu subjektiven Vorstellungszuständen, oder wenn man ein Gleichnis gebrauchen will, zu „Bildern" der Sache werden, sobald wir sie als mögliche „Täuschungen" ansprechen. Wenn also das Ding selbst gegeben *) Auch Rehmke und andere Vertreter der Immanenzphilösophie, des Empiriokritizismus und verwandter Standpunkte.
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ist, so ist kein Bild, wenn das Bild gegeben ist, so ist kein abgebildetes Ding vorhanden. Es handelt sich also nicht um eine Doppelheit, sondern nur um eine Um d e u t b a r k e i t der Gegenstände. Genau so steht es mit dem individuellen im Verhältnis zu dem nicht-individuellen Ich, oder wenn man will, mit dem „empirischen" im Verhältnis zu dem „transzendentalen Subjekt" oder dem „Bewußtsein überhaupt". Auch hier liegt eine Umdeutbarkeit vor, nicht aber eine Doppelheit. Dies verwechselt die Rede vom überindividuellen Sittengesetz oder von überindividuellen ethischen Werten 1 ). Das Ergebnis dieser Erörterungen stellen wir folgendermaßen fest: Wenn der ethische Rationalist in seinem eigenen Innern ein absolut verbindliches Gesetz oder absolute ethische Werte zu erfassen glaubt, so ist er insofern im Recht, als diesen letzten Richtung gebenden ethischen Erlebnissen tatsächlich eine ganz besondere Tiefe und Heiligkeit eigen ist. Man kann es ihm auch nicht bestreiten, wenn er behauptet, daß diese tiefsten Erlebnisse nicht von dem Ich als einem individuellen Einzelwesen erlebt, daß in ihnen der sein Bewußtsein sonst beherrschende Charakter *) Daß der Terminus „überzeitlicher Wert" nur ein anderer Name für dieselbe Sache ist, bedarf wohl keiner Ausführung.
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des individuellen Für-sich-seins der Person abgestreift ist. Es ist aber unrichtig, wenn er hieraus folgert, dieses Gesetz oder diese Werte seien nicht nur für das eigene erlebende Ich, sondern für jedermann, etwa für jedes vernünftige Wesen, und sie seien für ihn selbst nicht nur im.Augenblick des Erlebens sondern für alle Zeit verbindlich. Das Erleben, auf das er hinweist, ist unpersönlich und unzeitlich, aber nicht überpersönlich und überzeitlich; das heißt, es kann von diesem Erlebnis aus nicht einmal auch nur die Frage nach einer Geltung über die erlebende Person und den Zeitpunkt des Erlebens hinaus gestellt werden, da j a für dieses Erlebnis Person und Zeit überhaupt keine anwendbaren Begriffe sind. Fiagt der ethische Rationalist nach dem Umfang der Gültigkeit oder Verbindlichkeit seiner Werte und Gesetze, so steht er nicht mehr auf dem Standpunkt eines nicht-individuellen Erlebens, er kann mithin seine Gesetzes- oder Werterlebnisse folgerecht nur noch auf die eigene Person und den Zeitpunkt des Erlebens beziehen und die Bestätigung für die von ihm vermutete Allgemeingültigkeit nur von der Erfahrung erwarten, d. h. er muß grundsätzlich abwarten, ob andere und ob er selbst zu anderer Zeit die gleichen Werterlebnisse haben wird.
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17. Der soziale Charakter der ethischen Gesetze als angebliche Folge ihres unpersönlichen Ursprungs.
Mit dem erlebten nicht-individuellen Charakter des Sittengesetzes hängt ein anderes eigentümliches Vorurteil zusammen, das sich mit dem ethischen Rationalismus zu verbinden pflegt. Das subjektivistisch gedeutete ethische Grunderlebnis scheint uns, wie wir sahen, mit der Stimme eines nicht-mehrpersönlichen Willens bekannt zu machen, der Übergang aus dem gewöhnlichen Leben zu einer von diesem Erlebnis beherrschten Willenseinstellung wird deshalb als eine Entpersönlichung des Willens aufgefaßt. Diese Entpersönlichung bezieht sich zwar offenbar nur auf das Subjekt und an sich nicht auf den Inhalt oder das Ziel des Willens, es liegt aber nahe zu denken, daß die Veränderung im Charakter der Wurzel auch eine entsprechende Veränderung im Ziele mit sich bringe, zumal mancherlei sittliche Erfahrungen sich in diesem Sinne deuten lassen. Man sagt also: der individuelle Wille kann naturgemäß nach nichts anderem streben als nach dem individuellen Wohlergehen, während der nicht-mehr-individuelle Wille nur noch nach dem Werte fragt, den die Sache rein an sich genommen und ohne Rücksicht auf den individuellen Vorteil des Sichentscheidenden
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17. Der soziale Charakter der ethischen Gesetze als angebliche Folge ihres unpersönlichen Ursprungs.
Mit dem erlebten nicht-individuellen Charakter des Sittengesetzes hängt ein anderes eigentümliches Vorurteil zusammen, das sich mit dem ethischen Rationalismus zu verbinden pflegt. Das subjektivistisch gedeutete ethische Grunderlebnis scheint uns, wie wir sahen, mit der Stimme eines nicht-mehrpersönlichen Willens bekannt zu machen, der Übergang aus dem gewöhnlichen Leben zu einer von diesem Erlebnis beherrschten Willenseinstellung wird deshalb als eine Entpersönlichung des Willens aufgefaßt. Diese Entpersönlichung bezieht sich zwar offenbar nur auf das Subjekt und an sich nicht auf den Inhalt oder das Ziel des Willens, es liegt aber nahe zu denken, daß die Veränderung im Charakter der Wurzel auch eine entsprechende Veränderung im Ziele mit sich bringe, zumal mancherlei sittliche Erfahrungen sich in diesem Sinne deuten lassen. Man sagt also: der individuelle Wille kann naturgemäß nach nichts anderem streben als nach dem individuellen Wohlergehen, während der nicht-mehr-individuelle Wille nur noch nach dem Werte fragt, den die Sache rein an sich genommen und ohne Rücksicht auf den individuellen Vorteil des Sichentscheidenden
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hat 1 ). In diesem Absehen vom persönlichen Vorteil und der Abstellung des Willens auf das allgemeine Wohl findet man aber gerade das eigentlich Ethische. In diesem Gedanken, der viele rationalistische ethische Systeme charakterisiert, wird, um mit Kant und Fichte zu sprechen, der Inhalt des Sittengesetzes aus seiner Form deduziert, aber man sollte sich eigentlich bewußt bleiben, daß das nur durch einen Fehlschluß möglich ist. Die Form des sittlichen Erlebnisses mag einen nicht individuellen Charakter haben, wie der Gehalt dieses Erlebnisses aussieht, läßt sich hieraus nicht im mindesten ableiten. Wir wollen uns das noch etwas deutlicher machen. Nehmen wir etwa Kants rein formalen kategorischen Imperativ: Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte. Man darf sicherlich sagen, daß dieser Grundsatz in eigenartiger Formulierung die Forderung stellt, dem Erlebnis des nicht individuellen (und darum in vorhin besprochener Weise fälschlich zugleich für überindividuell gültig gehaltenen) tiefsten Wollens die Maxime des Handelns zu entnehmen. Von Kant ') So Heymans, Lipps, auch Sidgwick, wenn er zur Begründung des überindividuellen Utilismus eine Intuition als Grundlage für notwendig hält.
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selbst und wohl von allen seinen Nachfolgern und Interpreten wird dieser Imperativ nun zugleich so verstanden, daß auch für den Inhalt dieser Maxime die Überordnung des Allgemeinen über das private Einzelwohl zu gelten habe; scheint es doch, als könne man unmöglich als allgemeines Gesetz durchgeführt sehen wollen, daß ein jeder nur den eigenen Vorteil verfolgen und sich um die Mitmenschen nicht kümmern solle. Oft hat man geradezu gesagt, der kategorische Imperativ lehre dasselbe wie das Evangelium: Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tuet ihnen auch." Aber an und für sich liegt eine solche Regel keineswegs in dem formalen Imperative. Es würde mir keineswegs als ein Widerspruch erscheinen, wenn man auf den kategorischen Imperativ die Forderung aufbaute: handle nach dem tiefsten und innersten Gesetze deiner eigenen Persönlichkeit, entnimm also dem innersten Gesetze deiner eigenen individuellen Anlage den ethischen Gehalt deines Wollens. Ohne Zweifel würde Nietzsche so sprechen, und da er zugleich der Meinung ist, daß die letzte Tendenz alles Lebens auf Willen zur Macht geht, daß demnach jedes Individuum seiner innersten Anlage entsprechend nach Macht streben müsse, kommt er zu so seltsamen ethischen Urteilen wie dem, daß nicht eine gute Sache den Krieg, sodern daß „der gute
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Krieg seine Sache heilige". Dem rein formal verstandenen kategorischen Imperativ widerspricht diese „Herrenmoral" in keiner Weise. A b e r auch die Gegenprobe können wir machen, wenn wir uns die Frage vorlegen, ob denn nur ein der Form nach nicht-individualistisches Prinzip der Ethik ein nicht selbstloses, sozial gerichtetes Wollen und Handeln zu begründen vermöchte. Viele sind dieser Meinung, und auch der von Haus aus durchaus nicht rationalistisch gestimmte Sidgwick teilt diese Ansicht. Sidgwick sagt, daß das Streben des Individuums nach eigener Lust ohne weiteres verständlich sei, daß aber die utilistische Forderung, nach dem a l l g e m e i n e n Besten zu streben, nur durch ein intuitionistisches Prinzip zu begründen sei. Ich kann das nicht einsehen. A priori können wir gar nichts darüber aussagen, ob der tiefste und eigentlichste Wille des Individuums auf das persönliche oder auf das allgemeine Wohl gerichtet ist, oder ob vielleicht beide Auffassungen ihr Ziel verfehlen. Warum sollte nicht die Liebe die mächtigste, tiefste und innerste Kraft auch der individuellen Willensanlage sein können? Ich will hier natürlich nicht ohne weiteres behaupten, daß es sich so verhält, aberjedenfallskann nur die Erfahrung, und damit meine ich die in die letzten Tiefen der e i g e n e n Seele dringende Selbstbesinnung des Einzelnen, diese Fragen beantworten. H o f m a n n , Eth. Überzeug.
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18. Das ethische Grunderlebnis in der mehr objektivistischen Beleuchtung der Persönlichkeitsethik.
Mit diesen letzten Erörterungen haben wir schon begonnen, von der Auffassung des ethischen Grunderlebnisses zu sprechen, wie sie sich für einen mehr objektivistischen Standpunkt ergeben muß. Wir wenden uns jetzt zu einer ausfuhrlichen Betrachtung dieser Frage. Dem Objektivismus, wie wir ihn jetzt meinen, bleibt das Ich, auch wenn es in dem ethischen Grunderlebnis in das letzte und innerste Bewußtsein seiner selbst hinabsteigt, das reale Einzelwesen : in Raum und Zeit eingeschränkt und umgeben von andern gleich ihm selbständigen Einzeldingen; es bleibt ein Individuum. Wie kann nun der Gegensatz zwischen dem alltäglichen, ethisch irrenden Wollen und der Stimme des Gewissens oder der ethischen Selbstbesinnung von hier aus beschrieben werden? Die Stimme des Gewissens verwirft eine einmal gefaßte Willensentscheidung und gibt mir zugleich das Bewußtsein, daß ich auch damals, als ich mich so entschied, im Grunde anders hätte entscheiden sollen und können. Kommt also die Entscheidung aus der Naturanlage meines Willens, so behauptet sie, daß auch damals meine Willensanlage zu anderer Entscheidung hätte führen müssen. Aber auch die verworfene Entscheidung
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muß doch irgendwie aus meiner natürlichen Willensbeschaffenheit hervorgegangen sein. Wenn also beide Willensentscheidungen aus demselben individuellen Ich hervorgingen, so muß der Konflikt derselben in der Beschaffenheit dieses Ich irgendwie begründet sein. Und zwar macht die jetzt als die ethisch richtige erlebte Entscheidung den Anspruch, der andern gegenüber den eigentlicheren oder richtigeren Ausdruck dieser Beschaffenheit des Ich darzustellen. Das eigentümlich Paradoxe dieser Sachlage wird durch die Eigenart des Erlebnisses bestätigt. In der ethischen Selbstbesinnung frage ich mich gewissermaßen: Wie konnte ich nur so handeln oder entscheiden? Denn ich fühle, ich weiß genau, daß die getroffene Entscheidung meinem Willen, wie er wirklich ist, gar nicht, entspricht. Im Augenblick des sittlichen Irrens habe ich mich also über mein eigenes inneres Wollen getäuscht, ich habe es unter Einflüssen, die von irgendwelchen andern Seiten kamen, nicht beachtet oder verkannt. Im Sinne dieser Auffassung spricht man wohl von einem „Sichvergessen" in der ethisch fehlgehenden Entscheidung, spricht man von „Leidenschaften", die den Handelnden beherrschen, alswenn er sein eigenes Tun wie einen fremden Zwang erlitte; im Sinne dieser Auffassung ist vielleicht auch Pindars Mahnwort aufzufassen: werde der du bist. 6*
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19. Der Begriff des „Wesens" der Persönlichkeit als Mittel zur Auflösung der im ethischen Grunderlebnis liegenden Paradoxie.
In dieser Auffassung des ethischen Grunderlebnisses ist es für den Objektivismus charakteristisch, daß er die Stimme der ethischen Erkenntnis für nicht minder individuell ansieht, als die des Irrtums, ja, daß er in ihr gerade das höchst Persönliche, das dem Individuum als Eigenstes zukommende zu finden glaubt. Wie läßt sich diese Betrachtungsweise durchfuhren? In allem Geschehen unterscheiden wir zwei Komponenten. Sie ergeben sich uns aus dem Zusammenwirken von äußeren Anstößen mit schon bestehenden Zuständen eines Dinges. So folgt der Bewegungszustand eines Körpers einerseits aus dem Geschwindigkeitsgrad, den er schon vorher hatte, und der nach dem Trägheitsgesetz andauert anderseits aus den durch äußere Einwirkungen hinzutretenden positiven oder negativen Beschleunigungsmomenten. Ebenso unterscheiden wir in den Lebenserscheinungen organischer Wesen die aus ihrer eigenen Anlage hervorgehenden Entwicklungsmomente von den durch äußere Umstände bedingten Modifikationen. Einmal empfangene äußere Einwirkungen machen sich aber im Verlaufe des Lebens auch weiterhin geltend:
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sie haben die Form des Organismus verändert, und damit werden sie mitbestimmend für die durch den Organismus selbst bedingte Komponente seiner Verhaltungsweise in späteren Fällen. Solche Fortwirkungen äußerer Einflüsse kann man nun als dem eigentlichen Selbst des Organismus relativ fremder ansehen als die Entwicklungstendenzen, die schon früher vorhanden waren: so ergeben sich in jedem lebenden Wesen Schichten von Verhaltungstendenzen, von denen jede mehr äußere später entstanden und in höherem Grade durch Fremdes bedingt ist, als die mehr inneren; und j e mehr man durch diese Schichten hindurch ins Innere dringt, um so mehr nähert man sich dem kernhaften, eigenen Wesen des Organismus. Man kann hier den Begriffen Freiheit und Zwang eine Stelle geben, indem man die Verhaltungsweise des lebenden Wesens um so freier nennt, in je höherem Grade sie aus jenem Innersten des Organismus nach dem eigenen Entwicklungsgesetz desselben hervorgeht und j e weniger sie durch äußere Beeinflussung modifiziert ist 1 ). Wenn wir diese Unterscheidung des aus der freien Entwicklung der eigenen Anlage stammenden i) nellen diates Alcan
Ähnlich H. Bergson im Gegensatz zu dem traditioFreiheitsbegriff. V g l . Essai sur les données imméde la conscience. K a p . 3. 9. Aufl. (Paris b. Félix 1911) bes. S. 125 — 132.
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von dem durch äußere Einflüsse oder durch die Zufälligkeiten einer äußeren Konstellation Bedingten auf den spezifisch ethischen Konflikt anwenden, so können wir sagen: die Stimme der ethischen Wahrheit ist die Selbstbesinnung auf meine eigene wesentliche Anlage, auf diejenige Eigenart meines Willens, die ihm ursprünglich zukommt, und die in der Fehlentscheidung etwa unter dem Einfluß von Leidenschaft und schlechter Gewöhnung jedenfalls aber letztlich infolge der Einwirkung äußerer Verhältnisse nicht zur Entfaltung gekommen war. Und dieser innerste Kern meines Willens, mein eigenster und echtester Wille, wird von dieser mehr objektivistischen Auffassung nicht als etwas Überindividuelles oder auch nur Nichtmehr-individuelles angesehen, sondern gerade als das Prinzip des realen besonderen und individuellen Daseins der Person: Mögen alle Menschen sittlich anders urteilen, mögen sie mich verachten und verdammen; wo mein innerster und persönlichster ethischer Wille spricht, da muß ich ihm recht geben. So erscheint dieser Auffassung eine etwaige überindividuelle und allgemeingültige Verbindlichkeit des Ethischen gar nicht wesentlich: wie ich niemandem gestatten kann, meine eigenste ethische Überzeugung anzutasten, so kann ich auch wohl grundsätzlich bereit sein, die abweichende Überzeugung anderer als für sie berechtigt gelten
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zu lassen, ich lehne es mit Nietzsche ab, meine „Pflichten zu allgemeinen Pflichten herabzusetzen" *). i) Für Nietzsches grundsätzlichen ethischen Individualismus scheint mir wenigstens mitbestimmend zu sein eben das Argument, das auch uns in objektivistischem Sinne als das wesentliche erschien: nur das Individuum ist wirklich, der allgemeine Mensch und das allgemeine Gesetz sind Abstraktionen. (Siehe oben bes. S. 4 f. und S. 22 f.) Vgl. hierzu die Stellen, in denen er sich gegen die Überschätzung der „idealen", bloß „wünschbaren" Werte richtet. So Wille z. M. Nr. 3 9 0 : „Mein Schlußsatz ist, daß der wirkliche Mensch einen viel höheren Wert darstellt als der wünschbare Mensch irgendeines bisherigen Ideals, daß alle „Wünschbarkeiten" in Hinsicht auf den Menschen absurde und gefährliche Ausschweifungen waren, mit denen eine einzelne Art von Mensch i h r e Erhaltungs- und WachstumsBedingungen über der Menschheit als Gesetz aufhängen möchte . . . daß die Fähigkeit des Menschen, Werte anzusetzen, bisher zu niedrig entwickelt war, um dem tatsächlichen, nicht bloß „wünschbaren" W e r t e d e s M e n s c h e n gerecht zu werden . . ." Ähnlich Götzendämmerung Nr. 32 : „Was den Menschen rechtfertigt, ist seine Realität, — sie wird ihn ewig rechtfertigen. Um wieviel mehr wert ist der wirkliche Mensch, verglichen mit irgendeinem bloß gewünschten, erträumten, erstunkenen und erlogenen Menschen ? mit irgendeinem idealen Menschen ? . . . und nur der ideale Mensch geht dem Philosophen wider den Geschmack." Es ist nicht ganz richtig, wenn Reiner („Friedrich Nietzsche", Frankhsche Verlagshandlung, Stuttgart 1 9 1 6 , S. 30"f.) in diesen Stellen die beste Kritik des Übermenschen sieht, die auch dieses „ I d e a l " als einen leeren Wahn erkennen lasse. Nietzsche braucht den Ubermenschen nicht als ein solches Ideal, als eine „bloße Wünschbarkeit" gelten zu lassen, sondern kann ihn als den Inhalt des realen Willens betrachten. Zwar kaum des Willens aller Menschen, sondern entsprechend
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20. Die mögliche und sogar „naturgesetzlich notwendige" ethische Ubereinstimmung der verschiedenen ethischen Persönlichkeiten wird keineswegs bestritten.
Keineswegs allerdings muß dieser Individualismus etwa zu dem Ergebnis führen, daß die Menschen in ihrer innersten ethischen Anlage ungleich seien. Die Übereinstimmung mit andern Subjekten ist zwar dem ethischen Prinzip nicht wesentlich, sie ist nicht ein Merkmal, mit dem der ethische Charakter des Prinzips überhaupt verloren gehen würde, wohl aber kann auch für den, der dies anerkennt, die Uberzeugung bestehen bleiben, daß t a t s ä c h l i c h die Menschen in ihrer grundlegenden ethischen Anlage gleich sind. Es der früher angezogenen Zarathustrastelle als seines, Friedrich Nietzsches, ganz persönlichen Willens. Dieser Willensinhalt aber ist kein bloßes Ideal, falls er den eigenen Willen nicht fälscht, sondern richtig und wesentlich erfaßt. Daß diese grundsätzlich nur individuelle Gültigkeit von Nietzsche nicht klar durchgeführt wird, daß ferner der Unterschied zwischen dem „Ideal" und einem solchen „realen" Willensinhalt etwas Schwankendes, in der Anwendung stets Unsicheres an sich trägt, ja daß er auch in seinen Wurzeln unklar bleibt, gebe ich zu. Ebenso, daß die Worte, im Ideal dränge die einzelne Art „ihre Erhaltungs- und Wachstumsbedingungen" „der ganzen Menschheit 1 ' als Gesetz auf, daß diese Worte sich auch gegen die Lehre vom Übermenschen richten würden, sobald diese mehr bedeuten wollte als die Formulierung eines wenigstens grundsätzlich nur für e i n wirkliches Individuum verbindlichen ethischen Wollens.
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bleibt durchaus denkbar, daß die verschiedenen Individuen, gerade wenn sie sich auf das tiefste, innerlichste und eigenste ihrer Willensanlage besinnen, ein g l e i c h e s letztes Gesetz auffinden: die individuellen Unterschiede des ethischen Verhaltens könnten im wesentlichen nicht auf Organisationsverschiedenheit, sondern auf Verschiedenheiten äußerer Einflüsse oder aber auf solche der jeweilig erreichten Entwicklungsstufe der Selbstbesinnung zurückgehen. Das bedeutet also: die Klarheit über die eigene innerste Anlage und der Grad, mit dem diese das Gesamtverhalten beeinflußt, sind verschieden. Selbst Nietzsche steht im Grunde auf dem Boden dieser Anschauungsweise, denn der innerste Wille aller Menschen, ja noch darüber hinaus alles Lebendigen ist nach seiner Meinung Wille zur Macht. Dieser Wille zur Macht wird dann folgerichtig auch zum Prinzip der Ethik. Und die Minderwertigkeit der gegenwärtigen Ethik besteht für Nietzsche hauptsächlich darin,' daß der Wille zur Macht in seiner auch für die Ethik grundlegenden Bedeutung verdunkelt ist. Freilich -yvird zugleich die Auffassung des Verhältnisses von Individuum und Gattung bei Nietzsche gefärbt durch seinen grundsätzlich aristokratischen und zugleich deszendenztheoretischen Standpunkt. Die Gattung als die Masse bedeutet ihm die „Vielzuvielen",
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das Individuum ist demgegenüber der Träger allen Wertes. Und zwar, wie wir sahen, einerseits deswegen, weil es der einzige wirklich existierende Vertreter der Gattung ist 1 ), anderseits aber auch, weil es imstande ist, einen bisherigen Gattungscharakter abzuwerfen und zum Stammvater einer neuen und ethisch höheren Gattung zu werden. Der Gegensatz von „Vaterland" und ,,Kinderland", von dem er Zarathustra sprechen läßt, beleuchtet das scharf. A b e r auch die ethische Überlegenheit der Gattung „Übermensch" bedeutet ihm nichts anderes als ein bewußteres und ungehemmteres Sichauswirken jener grundlegenden Willensorganisationen, die der „höheren" Gattung mit der niedrigeren g e m e i n s a m ist, eine Verschiedenheit also, die für eine andere Terminologie einen Unterschied der G a t t u n g e n nicht begründen würde. Auch Nietzsche glaubt also, daß der Anlage nach alle Menschen, ja sogar das innerhalb einer umfassenderen Gattung, die Mensch und Übermensch gemeinsam aufnehmen würde, alle Vertreter d i e s e r Gattung in dem entscheidenden Moment übereinstimmen; sein Kampf für das Individuelle und gegen das Generische will im Grund nur den ethischen F o r t s c h r i t t verfechten. Und i) V g l . die vorhergehende Anmerkung.
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wenn wir von Nietzsches Auffassung des ethischen Individualismus absehen, so werden wir dementsprechend sagen dürfen: der idealistische ethische Individualismus wird überhaupt der Auffassung zuneigen, daß das Individuum auf dem Grund seiner ethischen Veranlagung das Gattungsmäßige finden wird. Soll doch für eine naturwissenschaftliche Klassifikation eben das „Wesentliche" in dem Aufbau eines jeden Individuums zugleich dasjenige sein, worin genealogisch miteinander „verwandte" Organismen übereinstimmen, so daß eben dieses Wesentliche des Aufbaus das Element bilden kann, nach dessen Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit die Individuen in einem „natürlichen" System zu Gattungen zusammengefaßt werden. Dieser personalistische Individualismus wird also eine gleichartige ethische Grundanlage der Menschen für durchaus wahrscheinlich halten, und wo die Selbstbesinnung verschiedener Individuen auf einander widersprechende Grundsätze führt, da wird er geneigt sein, eine Selbsttäuschung eines der Beteiligten zu vermuten. In dem Sinne einer letztlich empirischer Bestätigung bedürfenden A n n ä h m e wird also auch er dem Prinzip der Ethik einen „überindividuellen" Geltungsbereich zuschreiben. Das maßgebende Erlebnis als solches fordert jedoch für ihn kein Bewußtsein eines Uberindividuellen. Mögen die Eigenschaften, deren
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sich das Individuum darin bewußt wird, solche sein, die es tatsächlich mit allen Angehörigen seiner Gattung teilt, es bleiben darum doch Eigenschaften des Individuums, die nur an ihm wirklich sind, in irgendeiner nicht-individuellen Form aber gar nicht existieren können. 21. Die Lösung der Hauptaufgaben einer ethischen Theorie durch den Rationalismus und durch die Persönlichkeitsethik.
In dieser objektivistischen Orientierung an dem Individuum als dem alleinigen Träger der Existenz liegt der entscheidende Unterschied des idealistischen Individualismus von der rationalistischen Ethik. Wie verhalten sich nun rationalistische Ethik und idealistischer Individualismus den Aufgaben gegenüber, deren Lösung man zumeist von einer ethischen Theorie verlangt? Nämlich erstens zu der Aufgabe, eine allgemein gültige, d. i. für alle Menschen verbindliche Ethik zu begründen, und zweitens, zu der Aufgabe der Rechtfertigung solcher ethischen Forderungen, welche über das individuelle Lustinteresse des Einzelnen hinausgehen. Von der ersten dieser Aufgaben sahen wir schon, daß der ethische Rationalismus sie nur scheinbar und durch Inkonsequenz zu lösen vermochte. Der nicht-mehr-individuelle Charakter, den der ethische Rationalismus vom subjektivisti-
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sehen Standpunkte aus für sein Grunderlebnis in Anspruch nehmen durfte, bedeutet nicht eine überindividuelle oder allgemeine Gültigkeit der ethischen Prinzipien. Natürlich kann der Individualismus eine solche Allgemeingültigkeit der von ihm im Individuum entdeckten ethischen Grundsätze auch nicht nachweisen, er wird sie aber auch grundsätzlich gar nicht für erforderlich halten: sie erscheint ihm, wie wir sahen, für das Ethische als solches nicht wesentlich, wennschon er eine weitgehende Übereinstimmung gerade der grundlegenden und echten ethischen Prinzipien bei allen Menschen als wahrscheinlich ansehen wird. Auch von der zweiten Aufgabe, die sich auf den Gehalt der ethischen Grundsätze bezieht, sahen wir, daß der Rationalismus keineswegs notwendig zu einem sozialen Gesetz führen muß, und daß anderseits die Begründung der Ethik auf das Individuum einen solchen sozialen Gehalt grundsätzlich keineswegs ausschließt. Jetzt wollen wir positiv Stellung nehmen und fragen: gibt uns die Erfahrung Möglichkeit und Anlaß, eine sozial gerichtete und doch individualistische Ethik zu entwickeln ? Solange wir es als a priori feststehend ansehen, daß das Individuum rein aus sich selbst nur nach eigener Lust streben könne, wie es nicht nur Vertretern des ethischen Rationalismus wie
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Kant, sondern auch solchen des realistischen, oder, wie wir sagten, des mechanistischen Individualismus als selbstverständlich gilt, solange ist der Gedanke einer auf die Selbsterkenntnis der indi viduellen Anlage zu gründenden sozialen Ethik widersinnig. Und auch der Versuch kann uns an sich nicht weiter helfen, zu egoistischen Trieben im Menschen wenn auch gleich ursprüngliche soziale hinzutreten zu lassen. Denn im Falle eines Konfliktes solcher Triebe müßten, wie oben ausgeführt wurde, beide miteinander paktieren und gemäß ihrem durch die Anlage bestimmten Kräfteverhältnisse die Ausdehnung ihres beiderseitigen Wirkungskreises begrenzen; eine ethische Bevorzugung der sozialen Neigungen wäre so also nicht zu begründen. Können wir nun die gesuchte höhere Bewertuug der sozialen Tendenzen vom individualistischen Standpunkt aus überhaupt noch rechtfertigen ? 22. Die Begründung der sozialen Tendenzen durch die Persönlichkeitsethik und die dieser im Wege stehenden Vorurteile.
Wir würden es können, wenn sich die sozialen Neigungen als die in der menschlichen Anlage tiefer und innerlicher verankerten erweisen und dem gegenüber die rein selbstischen sich auf nicht aus der eigenen Natur stammende ur-
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Kant, sondern auch solchen des realistischen, oder, wie wir sagten, des mechanistischen Individualismus als selbstverständlich gilt, solange ist der Gedanke einer auf die Selbsterkenntnis der indi viduellen Anlage zu gründenden sozialen Ethik widersinnig. Und auch der Versuch kann uns an sich nicht weiter helfen, zu egoistischen Trieben im Menschen wenn auch gleich ursprüngliche soziale hinzutreten zu lassen. Denn im Falle eines Konfliktes solcher Triebe müßten, wie oben ausgeführt wurde, beide miteinander paktieren und gemäß ihrem durch die Anlage bestimmten Kräfteverhältnisse die Ausdehnung ihres beiderseitigen Wirkungskreises begrenzen; eine ethische Bevorzugung der sozialen Neigungen wäre so also nicht zu begründen. Können wir nun die gesuchte höhere Bewertuug der sozialen Tendenzen vom individualistischen Standpunkt aus überhaupt noch rechtfertigen ? 22. Die Begründung der sozialen Tendenzen durch die Persönlichkeitsethik und die dieser im Wege stehenden Vorurteile.
Wir würden es können, wenn sich die sozialen Neigungen als die in der menschlichen Anlage tiefer und innerlicher verankerten erweisen und dem gegenüber die rein selbstischen sich auf nicht aus der eigenen Natur stammende ur-
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sächliche Momente zurückführen ließen. Das scheint aber zunächst als ganz unmöglich, zwar nicht a priori, aber doch angesichts der Erfahrung, nach der die selbstischen Neigungen durchaus aus d«r eigenen Natur zu stammen scheinen. Trotzdem scheint mir manches für die Möglichkeit, ja für die Wahrscheinlichkeit einer solchen Auffassung zu sprechen. Um uns für diese Erkenntnis die Bahn frei zu machen, müssen wir aber zunächst zwei Vorurteile aus dem Wege räumen. Das erste dieser Vorurteile führt zu der Leugnung der Möglichkeit von Handlungen, die ihrem Wesen nach nicht zuletzt auf eigene Lust gerichtet seien, in abgeschwächter Form liegt dasselbe Vorurteil auch schon der Einteilung der Anlagen zum Handeln in egoistische und altruistische Triebe zugrunde. Ich möchte dieses Vorurteil als das der teleologischen Organisation des menschlichen Handelns bezeichnen. Seit dem Altertum erscheint es der Vulgärpsychologie als selbstverständlich, daß die normale Ursache von Handlungen in lust- oder unlustbetonten Zielvorstellungen liegen müsse: eine solche Vorstellung sei jedesmal das erste Ereignis im Bewußtsein, die Handlung das aus ihr folgende zweite. Es gibt nun aber mannigfache Handlungen,
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die sich diesem Schema nicht einfügen lassen. Wenn ein Liebender den Namen der Geliebten in die Baumrinde kerbt, so ist keine Zielvorstellung die Ursache seiner Handlung, sondern ein starker Drang macht sich in einer an sich sinnlosen Tätigkeit Luft, deren Eigenart bestimmt wird durch die gerade vorwiegenden Vorstellungselemente, hier den Gedanken an die geliebte Person und die zufällig vorhandene Umgebung. Wollte man hier atavistisches Fortwirken von Zaubervorstellungen heranziehen, so kehrte man meines Erachtens das Wesen des Prozesses um. Denn jene Zaubervorstellungen sind einst selbst aus einem sinnlosen Drange (der religiösen Not, mächtiger Furcht und ähnlichen Affekten) hervorgegangen, und erst als sich — etwa als Folge solcher ablenkenden Betätigung — Beschwichtigung oder auch andere erwünschte Wirkungen einstellten, entwickelte sich die Zaubervorstellung als Erklärungsversuch und die damit betretene Bahn von Vorstellungsverbindungen führte weiter zu echten Zauberhandlungen, welche als Mittel zu Zwecken vorgenommen wurden. So hat wohl überall, wo wir das Erwachen von Trieben beobachten können, der Trieb nicht zuerst die Form der Zwecktätigkeit, sondern des spielenden oder jedenfalls nicht zweckbewußten „Abreagierens" eines Dranges. Der Geschlechtstrieb, dessen Erwachen wir mit
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entwickeltem Intellekt erleben, macht sich zunächst auch in Form derartiger Handlungen geltend, erst Erfahrung bringt Zielvorstellung in diese psychischen Verläufe. Erfolgvorstellungen wirken nun auf dies erste „Abreagieren" derart ein, daß die Erfahrung gewisser aus einer eingeleiteten Handlung folgender Wirkungen hemmend, wohl auch die anderer fördernd wirkt. Die Beobachtungen des täglichen Lebens und besonders die primitiverer seelischer Regungen zeigen, daß es besonders von Lust oder Unlust begleitete Erfolge unseres Handelns sind, deren Vorstellung diese Funktion ausübt, und so treten im entwickelten Seelenleben allerdings im Anfangsstadium des Handelns lust- und unlustbetonte Zielvorstellungen auf und tragen zum Zustandekommen oder Unterbleiben der Handlung merklich bei. Ihrem Wesen nach sind aber die Handlungen demungeachtet als ein Abreagieren gewisser Spannungen aufzufassen, an sich geneigt, die sich gerade zufällig zunächst darbietende Möglichkeit der Betätigung zu ergreifen, und erst infolge des durch Erfahrung entwickelten Hemmungs- und Begünstigungsmechanismus zu zweckgeleiteten Handlungen werdend. So richtig es also ist, daß Lust- und Unlustvorstellungen in unserm Willensleben eine entscheidende Rolle spielen, so falsch ist die BeHofmann,
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hauptung, alles Handeln sei seiner Natur nach auf Lust gerichtet: der Impuls zum Handeln hat seiner ursprünglichen Natur nach mit Lustvorstellungen gar keinen Zusammenhang, ein solcher wird vielmehr erst durch das Hinzutreten der den Verlauf dirigierenden Reflexion hergestellt. Lust und Unlust sind also im Sinne eines alten Terminus der ethischen Theorie nicht „Ziele", sondern höchstens „Sanktionen" des Handelns. Daß die hierbei in Wirksamkeit tretende „sanktionierende", das heißt hemmende und befördernde Wirkung der Reflektion n u r durch Vorstellungen e i g e n e r Lust oder Unlust hervorgerufen werden könnte, ist nicht selbstverständlich, es ist vielmehr durchaus denkbar und widerspricht auch nicht den beobachtbaren Tatbeständen, daß die Erfahrung fremder Unlust ebenso u n m i t t e l b a r hemmend wirken könne wie die eigener. (Daß diese fremde Unlust nur durch Analogieschluß erfahren werden kann, ist hiergegen kein Einwand.) Aus dieser Auffassung vom Wesen des Handelns folgt weiter, daß soziale und egoistische Triebe ihrer Natur nach keineswegs verschieden zu sein brauchen: es kann sehr wohl sein, daß ein und derselbe Trieb sowohl durch egoistische wie durch altruistische Lust- und Unlustvorstellungen oder vielleicht auch durch Vorstellungen, die weder mit eigener noch mit fremder Lust unmittelbar
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zu tun haben, gefördert oder gehemmt werden kann. Es handelt sich hier um die Frage, ob alles Wollen seinem Wesen nach sich letztlich auf Lustgewinn richtet. Diese fragt nach der richtigen Hypothese über das dem beobachteten Erlebnis zugrunde liegende psychisch Reale. Sie ist deshalb allein durch Beobachtung nicht entscheidbar. Sicherlich gibt es Handlungen, zu deren Ausführung die Vorstellung eines Lusterfolges den Anstoß gibt, sicherlich andere in deren begleitendem Bewußtsein der Gedanke an Lust keine Rolle spielt. So spricht Zarathustra: „was liegt am Glücke! Ich trachte schon lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke" (Das Honigopfer). In welcher der beiden Formen wir die typische zu sehen haben, darüber läßt sich streiten. Man kann einerseits argumentieren: der Gedanke an die Lust, obwohl ursprünglich maßgebend, ist in der Entwicklung ins Unbewußte gedrängt worden und nun nur noch als wirkende Disposition im Spiel. Anderseits: Wo der Gedanke an Lust vorhanden ist, da ist doch nicht er das eigentlich treibende Motiv des Handelns, er erscheint als begleitende Assoziation; und der Sinn des Handelns geht auf Auswirkung der inneren Willensanlage, auf das „T