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German Pages 40 [80] Year 1916
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Heft 2
Handelspolitik und Krieg Gespräche i« Deutschland und Österreich von
Arthur Feiler Redakteur der Frankfurter Zeitung
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Verlag von 03eit $ @omp. - 1916
Dringliche Wirtschaftsfragen In dieser Sammlung werden besonders führende Wirtschafts - Politiker
aus
der
Praxis und den Redaktionen unserer großen Zeitungen zu Worte kommen, deren Stel lungnahme zu dringlichen Wirtschaftsfragen ebenso interessant wie sachverständig sein
wird.
Die Lefte werden im Umfange von
3—6 Druckbogen zur Ausgabe gelangen.
Handelspolitik und Krieg Gespräche in Deutschland und Österreich von
Arthur Feiler Redakteur der Frankfurter Zeitung
Leipzig
Verlag von Veit & Comp.
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1916
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
Vorwort. Die nachfolgenden Ausfühmngen sind im wesentlichen im Laufe des Monat Mai in der „Frankfurter Zeitung" veröffentlicht
worden. Sie fußen für das, was sie über die Auffassungen in österreich-Angarn berichten, auf einer Studienreise nach Österreich, die ich im April d. I. für die „Frankfurter Zeitung" unternom
men habe und die mir Gelegenheit gab, mich dort, wie vorher in
Deutschland, mit einer großen Zahl führender Persönlichkeiten der Politik und der Wirtschaft über die Kriegsprobleme der Handels
politik zu unterhalten.
Frankfurt a. M., Ende Mai 1916.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis Seite
I. Kometenjahr..............................................................................................7
Kriegs-Problematik. — Die Revolutionierung der Wirtschaft. — Das handelspolitische Chaos. — Der § 11 des Frankfurter Friedens. — Müssen und Können.
II. Das Weltreich der deutschen Hrfceit.....................................................15 Der Weg des deutschen Wirtschafts-Aufstiegs. — Intensität der Arbeit und der Arbeits-Methoden. — Wissenschaft, Kredit und Produktion. — Die innere Umgruppierung der letzten Jahr zehnte. — Export von Menschen oder Waren? — heimischer Markt und Weltmarkt-Verflechtung. — Kriegswirtschaft und ge schlossener Handelsstadt. — Der Gedanke der Autarkie. — Vorratswirtschaft. — Die Sorge um den Arbeitsertrag. — Deutsch lands handelspolitisches Kriegsziel.
III. Wirtschaftskrieg nach dem Kriege?.....................................................29 Ein Erdrosselungs-Plan. — Wirtschaftsbündnis der Entente? — Stimmen der Einsicht. — Die Sinnlosigkeit des Wirtschafts krieges. — Das Recht auf Arbeit. — Meistbegünstigung und offene Tür. — Deutschland für Europa.
IV. Österreich-Ungarn und Deutschland..................................................... 41 Österreich-Ungarn in der Weltwirtschaft. — Das Bündnis mit Deutschland. — Rach dem Kriege. — Die große Fusion? — Die Mängel der Landwirtschaft. — Der österreichisch-ungarische Markt und die Industrie. — Resormwünsche. — Hoffnungen und Befürch tungen beim Wirtschaftsbündnis. — Die äußere Handelspolitik. — Die Probleme des Ehekontraktes.
V. Deutschland und Österreich-Ungarn.....................................................57 Deutschland und der österreichisch-ungarische Markt. — Zoll bevorzugung oder niedrige Zölle? — Die Mittel zur wirtschaft lichen Annäherung. — Die Zollfrage eine politische Frage. —- Die Möglichkeiten des deutschen Entgegenkommens. — Wirtschafts bündnis und Handelspolitik mit Dritten.
VI. Schlußbemerkung.......................................................................................70 Deutschlands Lage und Lebensgesetz. — Deutschland und Eng land.
1.
Kometenjahr. Allen Erörterungen über künftige Landelspolitik, über ihre Gestaltung im Frieden und nach dem Frieden, fehlt im Augen blick eigentlich die erste, selbstverständlichste Voraussetzung: es fehlt das Objekt. Wir wissen nicht einmal, für welches Wirtschafts gebiet wir Handelspolitik zu machen haben werden: noch liegen die polnische, die belgische (und, für Österreich-Angarn, die sehr
wichtige südflawische) Frage gänzlich im Dunkel. And wir wissen noch weniger, wie die Welt sich rangieren und gruppieren wird, in der wir künftig leben sollen. Denn die Welt ist zum Chaos geworden, und nirgends zeigt sich bisher auch nur der erste Amriß einer neu sich formenden Gestaltung. Aus dem Chaos ist eine Welt von neuem zu erbauen. Lat die Zeit die Genies in Vorrat, die die Lösung einer solchen Aufgabe wenigstens anzubahnen ver möchten? Wenn nicht — dann steht zu befürchten, daß die Gi ganten-Arbeit von Zwergen-Länden recht unzulänglich geleistet werde. Einstweilen aber rast der Krieg im zweiundzwanzigsten Monat, und wir wissen nicht, wie lange er noch dauert und was er noch an neuen, vielleicht grundstürzenden Geschehnissen in sich birgt. Wohl aber wissen wir, daß dieser Krieg, der erste furcht bare Zusammenprall der Menschheit int Zeitalter des Lochkapita lismus, für alle Völker eine wirtschaftliche Revolution be deutet, deren ganzen Amfang wir heute noch nicht im entferntesten abzusehen vermögen. Anerhörte Lekatomben von Menschen sind geopfert; und für die Wirtschaft besagt das, daß diese Millionen von Menschen — von kräftigsten Männern — mit ihren Köpfen und ihren 7
Länden herausgeriffen sind aus der Erzeugung wie aus dem Ver brauch wirtschaftlicher Güter, daß der Alters- und der Geschlechts aufbau der Bevölkerung sich stark verändert, daß für längere Zeit die Zahl der ehelosen Frauen wächst, daß alle die Fragen wie stärkerer oder schwächerer Bevölkerungszuwachs, wie Arbeitermangel oder Arbeiterübersiuß, Einwanderung oder Auswanderung, wenig stens für eine Reihe von Jahren, ein anderes Gesicht bekommen haben. Anerhörte Kapitalien hat der Krieg verschlungen, die heute schon in die Lunderte von Milliarden gehen und denen weitere fabelhafte Summen für die Versorgung der Kriegsteil nehmer und für den Wiederaufbau folgen werden, Summen, an deren Ansammlung die Völker Jahrzehnte gearbeitet haben, von denen, hätte man sie im Frieden dafür verwandt, schon ein Bruch teil genügt hätte, um ein gutes Stück der „sozialen Frage" wirklich zu lösen. Diese Kapitalien sind zu einem großen Teil einfach zerstört: man wird sie — auch bei uns, soweit wir sie nicht durch Kriegsentschädigung von unseren Gegnern hereinbringen — mit Sorge vermissen. Daneben aber vollzieht sich eine gewaltige Amschichtung von Kapitalien wie sie in solchem Amfange eben auch nur ein so revolutionäres Ereignis wie der Krieg herbeiführen kann: eine Amschichtung von Land zu Land, wenn in Europa der Goldstrom aus den kriegführenden Staaten zu manchen Neutralen fließt; oder in noch viel größerem Maße und von noch viel größerem Zukunstsgewichte eine Amschichtung von Erdteil zu Erd teil, wenn die Vereinigten Staaten und auch schon Japan jetzt mit Milliardenlieferungen auf Borg die Länder der Entente sich tributpflichtig machen; aber auch, durch Kriegsgewinnsteuern nur gemildert, nicht beseitigt, eine Amschichtung im Lande selbst, indem, während große Volksschichten dauernd oder wenigstens vorüber gehend sinken, kleinere Volksgruppen auch im Kriege und durch den Krieg, am Leeresbedarf oder an Nahrungsmitteln oder an sonstigen Notwendigkeiten des Lebens, ein Mittel der Bereicherung finden. Kaufkraft und Absatzmöglichkeiten, für deren Abschätzung es doch bisher immerhin eine Wahrscheinlichkeitsrechnung gab, sind damit mehr oder weniger ins Dunkel gerückt, im In- wie im Aus lande — in welchem Tempo wird, um nur dieses eine besonders zu nennen, künftig die Erschließung der wirtschaftlichen Neu länder in Mittel- und Südamerika, in Asien, Afrika, Australien vor sich gehen, deren rasche Eingliederung in die Weltwirtschaft,
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vor dem Kriege ein nicht zu unterschätzender Faktor des wirtschaft lichen Aufschwungs auch bei uns, doch zu einem großen Teile von der üppigen Lingabe europäischen Kapitals abhängig war, das ihnen Eisenbahnen und Kraftanlagen und die anderen Verkehrs voraussetzungen baute? And wann und wie wird der Geldwert wieder seinem alten Niveau sich nähem, der ja heute, bei uns wie anderswo, in einem gleichfalls unerhörten Maße gesunken ist, so daß, wenn er sich nach dem Kriege nicht schnell wieder heben sollte, auch davon eine wahrhaft revolutionäre Umgestaltung aller Verhältnisse von Lohn, Gehalt, Zins, Kredit und Verschuldung ausgehen müßte? Man sieht: auch so, von innen heraus betrachtet, fehlt allen Erörterungen über künftige Landelspolitik eigentlich das Objekt. Es ist sehr schwer, über Zölle zu reden, wenn es über die Preis entwicklung kaum eine Möglichkeit des sicheren Urteils gibt. Für die Getreidezölle, diesen umstrittensten Kern der deutschen Zoll politik, hat der freikonservative Professor Äans Delbrück schon im letzten Novemberheft seiner „Preußischen Jahrbücher" eingehend und mit sehr interessanten Folgerungen auf diesen Umstand hin gewiesen. Den Schutzzöllen, so schrieb dieser überzeugte Anhänger unserer bisherigen Wirtschaftspolitik, sei es zuzuschreiben gewesen, daß die Preise zunächst der agrarischen Produkte und dann auch für die wesentlichsten Zweige der Industrie trotz der großen Sen kungen der Weltmarktpreise ungefähr auf dem überlieferten Niveau blieben: Der Roggen, der im Durchschnitt der Jahre 1851/1880 163,70 M. die Tonne kostete, habe diesen Durchschnitt im allge meinen gehalten und stand 1913/14 auf etwa 153. Jetzt sei der Höchstpreis für Roggen in Berlin auf 220 M. fixiert, und ohne den Höchstpreis würde er vermutlich noch erheblich teurer sein. Daß diese hohen Preise nach dem Kriege wieder übermäßig sinken würden, sei höchst unwahrscheinlich. Und damit ergebe sich eine ganze neue Situation. Denn im Beginn des Krieges sind die Getreidezölle suspendiert worden, es handele sich also jetzt nicht um Abschaffung, sondern um Wiedereinführung. Und solange die Preise hoch bleiben, sei die Rückkehr zum Schutzzollsystem unmöglich. Kein Landwirt werde die Wiedereinführung der Getreidezölle verlangen, solange der Roggenpreis auf 220 oder nur auf 200 oder sogar 160 stehe. Daraus ergäben sich dann aber die Konsequenzen auch für die Industriezölle, zumal die Aus9
bildung der Industriekartelle schon vielfach vor dem Kriege die Frage habe aufwerfen lassen, ob die industriellen Schutzzölle nicht überflüssig geworden seien. So könne sich eine große Drehung der wirtschaftlichen Grundanschauungen ergeben; wie das Sinken der landwirtschaftlichen Preise die bis zum Jahre 1878 freihänd lerisch gesinnte Landwirtschaft zum Schutzzoll hinüberführte, so könnte das Steigen der Preise wieder der Freihandelsdoktrin das Übergewicht verschaffen. Diese Ausführungen Prof. Delbrücks waren prinzipiell höchst bedeutungsvoll. Denn sie waren aus d?m Lager der Anhänger des Zolltarifs von 1902 ein erster Versuch, den vor dem Kriege so vielfach verbitterten Streit um die Äöhe der Getreidezölle aus dem Gebiet der Schlagworte heraus auf den sachlichen Boden zurückzubringen und statt der rein dogmatischen Berufung auf die „bewährten Prinzipien" offen Herauszusagen, was ist: daß nämlich auch der Schutzzöllner die Zölle doch nur dort und nur insoweit mit Begründung fordern kann, wo ein Schuh notwendig ist; daß für diese Notwendigkeit natürlich das Preis niveau ausschlaggebend ist, weil ja die Zölle gerade dazu dienen sollen, ein als gefährlich angesehenes Sinken der Preise auf dem Weltmärkte nicht auf dem Inlandsmarkte zur Wirkung kommen zu lassen; daß es sich also auch für den vernünftigen Schutzzöllner nicht um Ewigkeitsprinzipien, sondern um Fragen der Opportunität handelt, und daß man sich einfach überlegen muß, wie die Preis entwicklung verlaufen wird, um danach dann abzumessen, welche Zölle man noch fordern soll und befürworten kann! Aber auch ganz allgemein verdient der Aussatz Beachtung, auch wenn es sich dabei nur um die, vom Autor selbst nur mit Vorsicht ausge sprochene Meinung eines einzelnen handelt, der damit in den ihm politisch nahestehenden Kreisen öffentlich auch kaum ein Echo fand: er ist jedenfalls ein interessantes Zeichen dafür, wie prob lematisch nachdenklichen Köpfen alle Zollfragen durch den Krieg geworden sind. And mit den Industriezöllen steht es nicht anders. Was bedeutet der Industriezoll gegenüber der Revolutio nierung aller industriellen Produktion und aller industriellen Pro duktionskosten durch den Krieg? Was ist der Zoll auf Industrie erzeugnisse gegenüber der Preisverwilderung der Rohstoffe, was ist er gegenüber den Steuerlasten, die bevorstehen, was gegenüber der künftigen Gestaltung von Arbeiterangebot und Arbeitslohn, was gegenüber Schwankungen der Währung, die 30 und selbst
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50 Prozent betragen? And wer will angesichts solcher grund legenden Verschiebungen heute schon ernsthaft darüber urteilen, ob irgendein industrieller Zoll von 10 Mark auf 8 Mark zu ermäßigen oder auf 12 Mark zu erhöhen sei? And doch müssen die Probleme der künftigen Handelspolitik nicht nur erörtert, sondern es müssen über sie, zum Teil schon im Friedensvertrage, der ja doch irgendwann einmal geschlossen werden wird, die schwerwiegendsten Entscheidungen getroffen werden! sie müssen es schon deshalb, weil die wirtschaftliche Arbeit nach dem Kriege nicht warten kann, bis die politischen Beziehungen der Völker sich in einem vielleicht lange dauernden Prozeß wieder mehr geklärt haben werden. Auch ohne den Krieg wären wir ja jetzt mitten in einem handelspolitischen Kometenjahre allererster Ordnung. Denn mit dem 31. Dezember 1916 wären unsere sämt lichen Äandelsverträge mit einjähriger Frist kündbar geworden. Solcher Handelsverträge besaßen wir zwölf: mit Österreich-Angam,
Italien, der Schweiz, Belgien, Rußland, Rumänien und Serbien die alten Capriviverträge aus den neunziger Jahren, die dann nach dem Bülow-Taris in mühseligen Verhandlungen verlängert wurden, außerdem den alten Tarifvertrag mit Griechenland von 1884, sowie die nach 1906 abgeschlossenen weiteren Verträge mit Bulgarien, Schweden, Portugal und Japan. Der Vertrag mit Griechenland ist jederzeit mit einjähriger Frist kündbar; der Vertrag mit Öfter« reich-Angarn unterlag bereits der Kündigung auf den 31. Dezember 1915, die jedoch nicht erfolgt ist; danach bestand für ihn wie für alle übrigen Verträge für jeden Vertragsschließenden das Recht, die Verträge mit einjähriger Frist aus den 31. Dezember 1917 und von da ab jederzeit mit einjähriger Frist zu kündigen. Die Reichsregierung hatte im Frühjahr 1914 (im Frieden!) mehrfach ausgesprochen, daß sie eine einfache Berlängerung der bestehenden Verträge auf eine Reihe von Jahren anstreben wolle, um dem Wirtschaftsleben die Erschütterung einer handelspolitischen Amstellung und der Politik die Auswühlung durch neue Zollkämpfe zu ersparen; ob die anderen Staaten zu einer solchen Verlängerung bereit gewesen wären, war aber schon damals recht zweifelhaft, denn aus Österreich-Angarn und vor allem aus Rußland, wo ja
die Klagen über die „wirtschaftliche Vergewaltigung" durch Deutsch land ein beliebtes Thema der Kriegshetzer waren, kamen schnell sehr kritisch antwortende Stimmen.
Nun hat der Krieg durch all das einen dicken Strich gemacht. Außer dem Vertrag mit Österreich-Angarn, der ja auch durch den Krieg ein ganz anderes Gesicht bekommen hat, bestehen überhaupt nur noch die Verträge mit der Schweiz, Rumänien, Bulgarien, Schweden und Griechenland, auch sie mit der Möglichkeit der Kündigung für Ende 1917; diese Kündigung muß natürlich nicht jetzt erfolgen, man könnte sich vorstellen, daß die Verträge einstweilen stillschweigend weiterliefen oder daß sie zunächst auf ein oder zwei Jahre provisorisch verlängert würden, bis alle Teile einmal etwas größere Klarheit über die künftige Entwicklung gewonnen haben, doch kann es natürlich auch anders kommen. Die übrigen sechs Verträge aber (mit Italien, Belgien, Rußland, Serbien, Portugal und Japan) sind, wie alle Verträge zwischen den Kriegführenden, durch den Krieg unmittelbar ausgelöscht. Das gleiche gilt natürlich von unseren handelspolitischen Abmachungen mit England, die ja ohnehin seit 1898, also seitdem Kanada zur Bevorzugung des Mutterlandes übergangen war, nur in Provisorien bestanden, durch die wir England kurzfristig die Meistbegünstigung gewährten, die wir in dem Freihandelslande natürlich auch genossen. Ausgelöscht aber ist vor allem auch der Frankfurter Friedensvertrag mit Frank reich von 1871. And das ist von weitragender Bedeutung, viel mehr als alles übrige. Denn dieser Friedensvertrag mit Frankreich enthielt die ein zige handelspolitische Bindung, die nicht auf eine Frist begrenzt war, sondern tatsächlich für ewige Zeiten gelten sollte, das heißt also, wie wir es jetzt erfahren, bis zum nächsten Kriege. Die beiden Länder sagten sich darin zu, „den Grundsatz der gegenseitigen Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation ihren Handelsbeziehungen zugrunde zu legen". Allerdings war es formell nicht die glatte Meistbegünstigung; vielmehr waren von der Regel ausdrücklich ausgenommen „die Begünstigungen, welche einer der verttagenden Teile durch Handelsverträge anderen Ländern gewähtt hat oder gewähren wird als den folgenden: England, Belgien, Niederland, Schweiz, Österreich, Rußland". (Diese Formulierung ist übrigens gerade jetzt von höchstem Interesse, weil auf sie z. B. von Professor Iastrow bereits als mögliches Vorbild für etwaige handelspolitische Sonderabmachungen zwischen Deutschland und Österreich-Angarn hingewiesen wurde.) Praktisch aber war es die
volle Meistbegünstigung, aus dem einfachen Grunde, weil die sechs 12
in dem Vertrage genannten Staaten diese volle Meistbegünstigung sowohl in Deutschland wie in Frankreich besaßen, womit sie auch den beiden Ländem gegenseitig gewährleistet war. And das wirkte weit über Deutschland und Frankreich hinaus. Denn diese be rühmte „ewige Meistbegünstigung" aus dem § 11 des Frankfurter Friedens war so gewissermaßen ein Prinzip, vor allem gerade für die deutsche Handelspolitik, ein Prinzip, das zwar vielfach bemängelt und bestritten wurde, über das man aber doch weder in Deutschland noch in Frankreich die amtliche Dis kussion aufnehmen wollte, weil man damit den ganzen Inhalt des Frankfurter Friedens wieder zur Erörterung zu bringen fürchtete. Jetzt ist dieser Friedensverttag mit der ewigen Meistbegünstigung durch das Schwett zerhauen. Alle anderen Meistbegünstigungsvetträge aber, die wir neben den zwölf Tarifverträgen ja in sehr großer Anzahl mit fast allen Ländern haben, sind befristet, sind kündbar, und zwar größtenteils mit einer ziemlich kurzen Frist. And so finden wir uns mit unserer Handelspolitik in einer Lage, wie noch niemals seit der Errichtung des Reiches. Ansere wichtigsten Handelsverträge sind durch den Krieg aufgelöst; für die noch übrig gebliebenen ist gerade zugleich mit dem Kriege die Möglichkeit der Auflösung mit dem Ablauf der Frist eingetreten; die ewige Bindung an die Meistbegünstigung mit Frankreich ist gefallen; auch für die übrigen Meistbegünstigungsvetträge ist damit viel mehr als früher die Möglichkeit einer Neuregelung gegeben. Prof. Hermann Schumacher schildert diesen Zustand ganz richtig, wenn er — in einer Studie über „Meistbegünstigung und Zoll unterscheidung", die er in einem, noch öfter zu erwähnenden zwei bändigen Sammelwerk des Vereins für Sozialpolitik über „die wirtschaftliche Annäherung zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Verbündeten" veröffentlicht — darüber sagt: „Zum ersten Male ermöglicht die vielumfaffende und weittragende Frage eine praktische Beantwortung, ob am gesamten Bau unserer Landelspolitik, nicht nur an oft umstrittenen Einzelheiten, sondern an den Fundamenten, die weithin für unverrückbar gelten, weil sie tat sächlich bisher unverrückbar waren, etwas geändert werden soll. So inhalts- und schicksalsschwer ist die handelspolitische Frage — zum mindesten seit 1879 — noch nicht vor das deutsche Volk getreten."
Es ist in dieser Situation vielleicht sogar ein Vorteil, daß, wie oben gezeigt, den Erörterungen über künftige Handelspolitik die eigentlichen Grundlagen einstweilen noch fehlen. Daß alle Zollsätze in solchem Maße problematisch geworden sind, erleichtert gerade die vorbereitende Erörterung: man kann sachlich über die Grundlagen nachdenken, ohne von vornherein durch die Sonder wünsche der einzelnen Interessenten gezwungen zu werden, sich mit dem Zoll auf Quebrachoholz oder auf Schläuche aus Kautschuk zu Stielen für künstliche Blumen und ähnlichen schönen Dingen zu befassen. Auch die Löhe des Getreidezolls ist noch nicht einmal unmittelbar attuell. Lind vielleicht kommt man jetzt sogar zu der Erkenntnis, daß alle Zollsätze überhaupt, und nach den Wirtschafts verschiebungen durch den Krieg künftig noch viel mehr als früher, nur einen Teil der Kandels- und erst recht nur einen Teil der Wirtschaftspolitik ausmachen, und oft bei weitem nicht den wich tigsten. Der chaotische Zustand der Welt aber gibt die weitere Möglichkeit, zunächst einmal etwas im luftleeren Raum zu philo sophieren und ganz einfach von dem auszugehen, was wir brauchen und was wir deshalb anstreben müssen, weil wir es brauchen. Auch das kann nützlich sein — vorausgesetzt, daß man sich danach sofort immer wieder auf das andere besinnt: daß nämlich praktische Handelspolitik durchaus nicht im luftleeren Raum gemacht wird, sondern, soweit wir Bedingungen nicht etwa einfach zu dittieren haben (wovor gerade für handelspolitische Dinge Bismarck, selbst für den Fall, daß man es könnte, ein dringlich gewarnt hat) durch Verhandeln und Abhandeln mit den Anderen zustande kommt. Gerade handelspolittsche Abmachungen sind nämlich letzten Endes Fragen der Macht und des Preises, Fragen danach, was man einsetzt, was man durchsetzen will und was man, zuletzt, durchsetzen kann.
II.
Das Weltreich der deutschen Arbeit. Am 23. März 1905 sprach, bei einer Denkmalseinweihung in Bremen, Kaiser Wilhelm II. die folgenden Sätze: Ich habe mir gelobt, auf Grund meiner Erfahrungen aus der Geschichte, niemals nach einer öden Weltherrschaft zu streben. Denn was ist aus den großen, sogenannten Weltreichen geworden? Alexander der Große, Napoleon der Erste, alle die großen Kriegshelden, im Blute haben sie geschwommen und unterjochte Völker zurückge lassen, die beim ersten Augenblick wieder aufgestanden sind und die Reiche zum Zerfall gebracht haben. Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem das neu erschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absoluteste Vertrauen als eines ruhigen, ehrlichen, friedlichen Nachbarn genießen soll, und daß, wenn man dereinst vielleicht von einem deutschen Weltreich oder einer Lohenzollernweltherrschaft in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Eroberungen begründet sein soll durch das Schwert, sonder» durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Na tionen, kurz ausgedrückt, wie ein großer Dichter sagte: „Außen hin begrenzt, im Innern unbegrenzt."
Das Wort ist weniger als andere in der Erinnerung ge blieben. And doch war es ein Bekenntnis in denkwürdiger Stunde: der Kaiser stand, als er es sprach, vor der Fahrt nach Marokko. Zum ersten Male hatte die Einkreisungspolitik ihre unheilvolle Feindseligkeit gegen Deutschland offen gezeigt: die nordafrikanischen Austeilungspläne der Entente zwangen das Deutsche Reich, aus seiner Zurückhaltung herauszutreten und laut vor der Welt zu bekunden, daß es da sei und sich nicht ohne Be achtung und Rücksicht beiseite schieben lasse. Deutschland bean spruchte seinen „Platz an der Sonne". Aber gerade in diesem Augenblicke sprach der deutsche Kaiser aus, was bis dahin der Inhalt der deutschen Politik gewesen war und es weiterhin bleiben sollte: kein Streben nach öder Weltherrschaft mit Anterjochung fremder Völker, keine Weltreichgründung durch kriegerische Erobe rung — sondem ein vertrauensvolles Zusammenleben der Nationen in friedlichem Wettbewerb der Kultur und der Wirtschaft. Deutschland verlangte, daß man es arbeiten lasse. Das 15
war das einzige, worauf immer wieder alles ankaür. Raum zum arbeiten sollte man uns gönnen; diese Gleichberechtigung forderten auch wir spät Gekommenen, daß man uns nicht ausschließe von der Mitarbeit am Weltenschicksal, daß man die Welt nicht auch fernerhin unter sich aufteile ohne uns. Nicht Herrschaft durch Gewalt erstrebten wir. Den Platz für unsere Leistung aber und ihren Rang mußten wir haben, neben und mit den andern, die nach gleichen Zielen strebten. Vierundvierzig Jahre, von der Gründung des Reiches an, war dies unser Weg. And gerade jetzt, mitten im furchtbarsten Kriege der Weltgeschichte, der scheinbar alle früheren Daseins-Grundlagen der einzelnen wie der Völker umstürzt, soll man sich klar machen, was wir dieser Politik der friedlichen Selbstbeschränkung verdanken. Wir haben unseren äußeren Machtbereich kaum vermehrt, haben auch an der Kolonialpolitik nur in bescheidenem Amfange teilgenom men, aber dafür sind wir umsomehr im Inneren gewachsen an Volkskraft und Volksreichtum. Statt fremde Völker zu unter werfen, haben wir unser eigenes Volk vermehrt und alle seine Kräfte zu entwickeln gesucht. Statt andere zu knechten und auszu beuten, haben wir uns mit ihnen in friedlicher Arbeitsteilung ver einigt; statt fremden Boden zu erobern, haben wir uns damit begnügt, seine Früchte gegen den Ertrag unserer Arbeit zu tauschen, zum gleichen Vorteil für alle. And wir sind gerade dadurch das geworden, was wir heute sind, so groß und so kraftstrotzend, daß wir selbst einer Koalition, wie sie sich jetzt gegen uns zusammengeballt hat, siegreich zu widerstehen vermögen. Wir haben uns gerade dadurch ein Weltreich gewonnen: Das Weltreich der deutschen Arbeit, das sich bis zum Kriegsausbruch in friedlichem Wirken über den ganzen Erdball erstreckte, das freilich nicht an der Zahl der beherrschten Quadratkilometer zu messen ist, aber dessen Macht und Festigkeit durch nichts ruhmvoller erwiesen werden kann, als durch die Leistungsfähigkeit unseres Volkes in diesem Kriege. Bei Gründung des Reiches lebten 41 Millionen Menschen auf deutschem Boden, im letzten Friedensjahre aber waren es um reichlich zwei Drittel mehr, nämlich 68 Millionen, und diese ganzen 68 Millionen lebten im Durchschnitt besser, reichlicher, als die 41 Millionen vier Jahrzehnte vorher. Das ist, bei aller Entfernung vom Ideal, eine ungeheure, von keinem anderen Volke erreichte Leistung; es ist das Ergebnis der mit größter Kraftanspan16
nung in die Breite wie in die Tiefe ausgebauten Arbeit. Deutsch land war das Land der Arbeit geworden. Anter dem Drange der durch die Bevölkerungsvermehrung verschärften Konkurrenz ar beitete der Einzelne, trotz mannigfacher Beschränkungen der Arbeits zeit, mehr als früher, und es arbeiteten mehr Menschen als früher mit: die Erwerbstätigen in Landwirtschaft, Industrie, Lande! und Verkehr machten 1882 35,4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, 1895 schon 36,4 und 1907 gar 39,7 Prozent: man weiß, wie in den letzten Jahren vor dem Kriege unter dem Zwange der damals herrschenden Teurung gerade auch die Frauen und Mädchen in die Fabriken und Kontore drängten, eine Vorbereitung auf die Notwendigkeiten unserer Kriegswirtschaft, in der jetzt in immer wachsendem Maße die Frauen die einberufenen Männer ersetzen. Das war das eine: die Vermehrung der geleisteten Arbeit als solcher. Das andere, noch viel mehr Ausschlaggebende aber war die Vermehrung des Arbeitsertrages durch die Inten sivierung der Arbeitsmethoden und der Arbeitsorgani sation. Menschen und Leistungen auf eine qualitativ immer höhere Stufe zu heben, das war die Losung. Schule und Sozial politik setzten den Arbeiter in den Stand, auch die komplizierten Maschinen auf dem Felde und in der Fabrik zu bedienen, Wissenschaft und Technik (und in manchen Gewerbezweigen allmählich auch die Kunst) stellten sich in den Dienst der Betriebs leiter in Landwirtschaft und Industrie, und mit allen Kräften war man bestrebt, die Verwertung der wissenschaftlichen Ergebnisse für die wirtschaftliche Arbeit auszubauen und zu vertiefen. Die Or ganisation des Kredits ging damit Land in Land. Deutschland war, als das Reich gegründet wurde, ein kapitalarmes Land, und es blieb, auch als der Reichtum wuchs, ein Land zersplitterten Kapitalbesitzes, in dem der mutige Anternehmer nur allzu ost des Kapitals entbehrte, das er zur Ausführung seiner Anternehmungen nötig hatte. Die Abhilfe bot für Lande! und Industrie die oft gescholtene und schließlich doch in der ganzen Welt bewunderte Organisation unseres Bankwesens, die die kleinen Sparkapitalien in Tausenden von Kanälen aus dem ganzen Lande zusammen führte, um sie in der Form des Kredits oder der Wertpapier ausgabe an die Stellen zu leiten, wo sie am lohnendsten Ver wendung finden konnten. Für die bäuerliche Landbevölkerung aber bot die gleiche Abhilfe die wunderbare Entwicklung unseres
Genossenschaftswesens, das einer allzu einseitig industriellen Ent wicklung entgegenwirkte, indem es die ländlichen Spargelder auf dem Lande festhielt und, den Bauer vom Wucher befreiend, sie wieder als billige Kreditquelle dem Lande zuführte. Fleiß, Wissenschaft und Organisation, das waren so die Mittel, dank denen wir das Wachstum unserer Bevölkerung nicht als eine Bedrohung für die Existenz der vorhandenen Menschen, sondern als den kostbarsten Reichtum unserer Nation ansehen durften. Ein ganz anderes Volk sind wir unter dem Zwange dieses gewaltigen Problems geworden; und auch an Schatten seiten hat es der Entwicklung nicht gefehlt. Änsere landwirt schaftliche Bevölkerung ist im ganzen erhalten geblieben, aber sie vermochte von dem Bevölkerungszuwachs nichts aufzunehmen, weil die innere Kolonisatton, die Aufteilung von Großgrundbesitz in Bauernland, kaum so schnell vorankam wie umgekehrt die Fideikommißbildung, die ewige Bindung von landwirtschaftlichem Boden in der Land einzelner großer Familien, und weil infolgedessen vor allem die menschenleeren Gebiete des ostelbischen Groß grundbesitzes immer von neuem ihre Jugend in die Städte schickten: die Zahl der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen mit ihren An gehörigen, 1882 noch 19,22 Millionen, sank bis 1907 auf 17,68 Mil lionen, von 42 auf 2872 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Verlust der Landbevölkerung aber und der Zuwachs an Menschen fand vor allem Platz in der Industrie (Erwerbstätige und An gehörige 1882 16,06 Mill., 1907 26,39 Mill.) und in Lande! und Verkehr (1882 4,53 Mill., 1907 8,28 Mill.), die zusammen schon 1907 55,8 Prozent der Gesamtbevölkerung (1882 erst 45 Prozent) umfaßten. Deutschland wurde so — denn diese Bewegung hat sich seit der letzten Berufszählung fortgesetzt und gesteigert — durch seinen Bevölkerungszuwachs aus einem überwiegenden Agrarzu einem überwiegenden Industrie- und Landelsstaat. Es wurde, wenn auch in weiten Teilen des Reiches, vor allem im Süden und Westen, eine glückliche Dezentralisation der Menschen mehr oder minder erhalten blieb, in wachsendem Maße zu einem Stadt volk (1910 lebten in Städten mit mehr als 100000 Einwohnern schon 21,1 Prozent und in Städten mit mehr als 20000 Ein wohnern etwa 34,5 Prozent der Gesamtbevölkerung). Es wurde zu einem Volk der Aktiengesellschaften und der gewerblichen Groß betriebe und leider noch bei weitem nicht genug zu einem Volk 18
des bäuerlichen Familienbetriebs. Das Ergebnis aber war: der Arbeitsertrag stieg, er stieg noch schneller als die Bevölkerung. Er stieg in der Landwirtschaft, die in den letzten 25 Jahren, während der Amfang des Ackerbodens sich kaum veränderte, durch bessere Bodenbearbeitung und außerordentlich gesteigerten Gebrauch von Dünger und von Maschinen, ihre Ernten um mehr als zwei Drittel zu steigern und gleichzeitig auch den Viehbestand außer ordentlich zu vermehren vermochte. Er wuchs in der Industrie, in der man mit dem StaatsseKetär Dr. Lelfferich als Ergebnis allein des letzten VierteljahrhundertS wohl eine Verdreifachung der industriellen Leistung ansehen darf. Die „nationale Dividende" stieg; gewaltig wuchs die Summe an Gütern aller Art, die in Deutschland erzeugt und mit der dadurch erhöhten Kaufkraft aller Schichten auch in Deutschland verbraucht werden konnten — wenn und soweit Bedarf und Erzeugung in Deutschland selbst einen Ausgleich zu finden vermochte. Das aber war doch nur teilweise möglich. Denn so viel wir dem heimischen Boden auch durch Fleiß und Wissen abrangen, wir konnten doch aus ihm nicht alles das ziehen, was ein wach sendes, auch in seinen Ansprüchen wachsendes Volk in steigendem Maße nötig hatte: nicht die Stoffe, die er überhaupt nicht oder nur ganz unzureichend hervorzubringen vermag, wie Baumwolle, Kupfer, Erze, Felle, Seide, Kautschuk, Kaffee, Erdöl usw., und auch nicht die übrigen, die, wenn wir sie selbst hätten Herstellen wollen, uns eben die Möglichkeit zu anderer, lukrativerer Er zeugung abgeschnürt hätten, wie, um nur ein Beispiel zu nennen, die Wolle, zu deren Gewinnung wir riesige Schafherden auf riesigen Weideflächen hätten halten müssen, die uns, mit Kom und anderer Frucht bestellt, sehr viel höheren Ertrag lieferten. Auf der anderen Seite aber war die industrielle Erzeugung doch noch viel größer als die heimische Verbrauchsfähigkeit für diese Produkte, in so außerordentlichem Maße selbstverständlich mit dem Wachstum der heimischen Bevölkerung und mit der Erhöhung ihres Arbeitsertrages auch die Aufnahmefähigkeit des heimischen Markte- stieg. So gab es nur ein Mittel für uns: den Kreis lauf des Warenaustausches immer weiter und immer stärker über unsere Grenzen hinaus zu erweitern, also in immer wachsendem Maße uns in die Weltwirtschaft zu verflechten. Fremden Boden durch den Kauf von Rohstoffen und Nahrungs-
Mitteln uns nutzbar zu machen und diese Käufe zu bezahlen durch die — immer hochwertiger zu gestaltende — Arbeit unserer Köpfe und unserer Lände, das mußte die Aufgabe sein. Die Ziffern des deutschen Außenhandels zeigen, in welchem Maße diese Auf gabe erfaßt und gelöst worden ist: die Summe der Ein- und Aus fuhr, die noch vor 20 Jahren sich auf 6x/2 Milliarden Mark be schränkte, betrug 1907 bereits 15, 1913 gar 21 Milliarden Mark. Das war die Lösung des Problems. Ohne die Einfuhr wären wir verarmt, weil wir unsere Arbeit weniger ertragreichen Zweigen hätten zuwenden müssen und doch nicht das hätten her vorbringen können, was wir brauchten; ohne die Ausfuhr wären wir erst recht verarmt, weil wir nur mit ihr die Einfuhr bezahlen konnten. Wir hatten wirklich nur die Wahl, Waren oder Menschen zu exportieren. And bis in die Mitte der neunziger Jahre, um die dann der große industrielle Auffchwung einsetzte, haben wir ja auch in traurigem Umfange Menschen exportiert, stieg doch die deutsche Auswanderung damals bis auf 220000 Menschen in einem einzigen Jahre. Durch den Warenexpott aber konnten wir von da ab die Menschen im Lande halten: Wir siedelten sie an in dem Weltreich der Arbeit, das wir uns schufen. Von dem Wett der deutschen gewerblichen Bruttoproduktion, der nach Eulenberg auf 54 Milliarden Mark im Jahr zu veranschlagen ist — von der deutschen Netto-Gesamterzeugung macht die landwittschaftliche Produktion mit 11 bis 12 Milliarden netto etwa ein Viettel, die gewerbliche Produktion mit 35 Milliarden Mark netto etwa drei Viettel aus — ging in der letzten Friedenszeit etwa ein Sechstel über unsere Grenzen: ein Sechstel der gewerb lich tätigen Bevölkerung lebte also ausschließlich von der Arbeit für den Expott. Das sind allein einschließlich der Angehörigen schon etwa 5 Millionen Menschen. Zu ihnen kommen aber noch alle die, die nun wieder aus dem Verbrauch dieser 5 Millionen ihren Lebensunterhalt beziehen. Es kommen hinzu die gewaltigen In teressen unseres auswärtigen Kapitalbesitzes, unserer überseeischen Unternehmungen, unseres Expotthandels und unserer Seeschiffahtt; man sieht, wie dieses deutsche Arbeitsweltteich ein unentbehrlicher, immer wachsender Bestandteil unseres ganzen nationalen Daseins geworden ist. Und auch den Gewinn, den die Ziffern nicht zeigen, wollen wir wahrlich nicht gering schätzen: die ununterbrochene An regung und Stählung, die der Wettbewerb auf den von Allen 20
umstrittenen Märkten unserer ganzen Arbeit täglich bringt, und die Erziehung zu großem Planen und weitsichtigem Denken, die Befreiung von der Enge der Kirchtumsinteressen, die der Blick über das Meer dem seefahrenden, weltwirtschaftenden
Volke gibt! Deshalb: wenn wir einfach von dem ausgehen, was wir brauchen, und danach das handelspolitische Kriegsziel Deutschlands aufstellen, so kann die Antwort kurz sein. Das
erste und wichtigste ist uns das, was wir hatten.
Das Welt reich der Arbeit, das in Einfuhr und Ausfuhr, in Welthandel und Seeschiffahrt, in freier industrieller und finanzieller Betätigung jenseits der politischen Grenzen bestand, dieses Weltreich der Ar beit, das uns erst die Möglichkeit gegeben hatte, unseren großen Bevölkerungszuwachs im Lande zu behalten und trotzdem unserem Volke bessere Arbeit und reichlicheres Brot als vordem zu geben — das wollen wir auch künftig pflegen und aus bauen können. Jetzt liegt dieses Weltreich der deutschen Arbeit zum allergrößten
Teile jenseits der Schützengräben und der feindlichen Minengürtel in der Land unserer Gegner, die, ohne es ausbeuten zu können, darin neben unseren Kolonien das weitaus wichtigste Faustpfand gegen uns sehen — wir wollen es wieder haben und neu besitzen,
stärker fundiert, weiter erstreckt, gegen alle Angriffe noch besser gesichert. Denn bekämen wir das nicht heraus, so hätten wir ttotz des Sieges den Krieg verloren. Diese Überzeugung herrscht — das kann nach
zahlreichen
Unterhaltungen mit führenden Männern der Wirtschaft und der Politik in Deutschland und, was besonders zu betonen ist, auch in Österreich gesagt werden — heute bei der überwiegenden Mehr heit der Sachkenner bei den Zentralmächten. Zwar hat in dem schon erwähnten Sammelwerk des Vereins für Sozialpolitik Prof. Spiethoff-Prag in einer Arbeit über „Gründe für und wider einen deutsch-österreichisch-ungarischen Zollverband" vor einer
„übertriebenen Einschätzung der deutschen Auslandsbeziehungen"
warnen zu sollen geglaubt: in der Geschichte der deutschen Volkswittschast habe der Auslandsmarkt nur die Rolle eines ausgleichendm Hilfsmittels gespielt; von 1840 bis sicherlich 1907 (!) habe der innere Markt, der stärkste Antrieb für die deutsche Wirtschafts
entwicklung, mehr geschwankt als die eigene Gütererzeugung, und diese Ungleichmäßigkeiten des Verbrauches seien von den eigenen Ler-
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stellungsstätten auf das Ausland abgewälzt worden, indem wäh rend des Aufschwungs eine gesteigerte Einfuhr, während der Stockung eine vermehrte Ausfuhr vorgenommen wurde. Zitieren wir dagegen aus demselben Sammelwerk einfach Prof. Schu macher: „Auf der Wahrung und Erweiterung des ausländischen Absatzes beruht für das deutsche Volk schließlich die Möglichkeit, seine Stellung in der Welt zu behaupten und weiter auszubauen." And fügen wir hinzu, daß die erstaunliche Auffassung Spiethoffs auch in Österreich von allen Männern ohne weiteres preisgegeben wurde, die wir sprachen. ES geht auch nicht anders. Denn man braucht nur die Ziffern der letzten Konjunkturperiode zu betrachten, die joerr Prof. Spiethoff vorsichtig beiseite läßt. Es betrug in diesen sieben Jahren der deutsche Spezialhandel: (in Mill. Mary
1907
1908
1909
1910
1911
1912
1913
Einfuhr .............
8747
7664
8527
8934
9706
10692
10770
Ausfuhr.............
6851
6399
6594
7475
8106
8957
10096
Solche Auslandsbeziehungen kann man wirklich nicht als ein mehr oder weniger gleichgültiges, „ausgleichendes Lilfsmittel" bezeichnen. Die deutsche Ausfuhr hat sich in einer einzigen sieben jährigen Konjunkturperiode um 3x/4 Milliarden Mark oder um fast 50 Prozent vermehrt. Sie sank gerade in den Jahren der Stockung (1908 und 1909) und hob sich dann gerade gewaltig während der Jahre des Konjunkturaufstiegs. Der deutschen In dustrie und der deutschen Jndustriebevölkerung war, daran ist ein Zweifel nicht möglich, vor dem Kriege der Inlandsmarkt endgültig zu klein geworden; wir müssen exportieren, um leben zu können. Lind wir müssen exportieren, um die Einfuhr zu bezahlen, die wir Einfuhr
1913
Ausfuhr
in Millionen Mark
Rohstoffe.......................................... Halbfertige Waren..................... Fertige Waren.......................... Nahrungs- und Genußmittel. . Lebende Tiere................................
Im ganzen
5003,5 1238,8 1478,8 2759,5 289,7
46,5% 11,5% 13,7% 25,6% 2,7%
1518,0 1139,4 6395,8 1035,9 7,4
15,0% 11,3% 63,3% 10,3% 0,1 %
10770,3
100%
10096,5
100 %
brauchen. Die vorstehende Tabelle zeigt die Gliederung des deutschen Außenhandels für das letzte Friedensjahr: gegenüber einer Aus fuhr, von der 63,3 Prozent auf fertige Waren entfallen, steht eine Einfuhr, an der allein fremde Rohstoffe mit 46,5 Prozent, Nahrungs- und Genußmittel mit weiteren 28,3 Prozent beteiligt sind; das kennzeichnet das deutsche Weltreich der Arbeit ohne viele weitere Worte. Die Grundtatsachen unserer Wirtschaft, die in diesen Ziffern aufgezeigt sind, hatten in den ersten Kriegsmonaten, als Erzeugung und Verbrauch sich vollständig umstellen mußten, manche vergessen. Sie waren schnell bereit, einen neuen Glauben anzunehmen und das, was nur als erläuterndes Bild nützlich sein konnte, als Wirklichkeit zu predigen: daß nämlich jetzt der geschlossene Äandelsstaat eingeführt sei und daß es nun auch nach dem Kriege dabei zu bleiben hätte. Dieser kühne Schluß auö der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft ist nicht mehr gefährlich. Denn die erste Vorbedingung, den Gedanken so, wie er zuerst aussah, in die Tat umzusetzen, wäre ungefähr, daß das Reich die rund 2 Milliarden Mark monatlicher Kriegskosten, die es gegenwärtig ausgibt, auch im Frieden weiter monatlich verausgabte und — durch Steuern erhöbe, und dafür wird die Leidenschaft nirgends sonderlich groß sein! In Wahrheit leben wir eben jetzt gar nicht im geschlossenen Landelsstaat, dessen Wesen doch das sein soll, daß in ihm Erzeugung und Verbrauch sich vollständig ausgleichen, so daß die Erzeugung nur für den heimischen Markt arbeitet und umgekehrt nur das verbraucht wird, was die heimische Erzeugung liefert. Statt dessen haben wir bekanntlich noch immer einen gar nicht unbeträchtlichen Warenaustausch mit den Neutralen an unseren Landgrenzen, wir beziehen Waren von ihnen und bemühen uns, sie soweit als möglich (der Stand der Valuta zeigt, daß es nicht in vollem Amfange möglich ist) durch Warenausfuhr zu bezahlen. Wir verbrauchen ferner nicht nur das, was wir er zeugen, sondern in größtem Stile auch das, was wir an Vorräten aller Art besaßen, wobei wir nur bedauern, daß diese Vorräte nicht noch größer waren. And daraus folgt schließlich das Ent scheidende, daß in unserem „geschlossenen Landelsstaat" Erzeugung und Verbrauch sich keineswegs ausgleichen, sondem daß der Ver brauch erheblich größer ist als die Erzeugung. Das Mißverhältnis ist bei uns geringer als bei unseren Gegnern: es ist in Frankreich 23
noch größer als bei uns, weil das Land durch unsere Okkupation den größten und wichtigsten Teil seiner industriellen Produktions stätten eingebüßt hat und deshalb in riesigem Umfange seinen Kriegsbedarf gegen Verschuldung in England und Amerika decken muß; und es ist in England ebenfalls noch erheblich größer, weil dessen um ein Drittel geringere Bevölkerung eben noch sehr viel weniger als bei uns ausreicht, das Kriegsmaterial für sich und zu einem erheblichen Teil auch noch für seine Verbündeten zu erzeugen; von Rußland und den Unzulänglichkeiten seiner Organi sation und seines Verkehrs gar nicht zu reden. Also unsere Gegner leben noch mehr vom Kapital als wir. Aber vom Kapital zehren wir auch. Wir tauschen nicht nur Waren und Arbeit gegen Waren und Arbeit. Sondern wir tauschen eben, volkswirtschaftlich gesehen, in gewaltigem Maße Waren und Arbeit gegen Schuld verschreibungen des Reichs, gegen Kriegsanleihen und Schatz wechsel. Das Reich ersetzt durch seinen ungeheuren Kriegsbedarf den fehlenden Auslands- und den vermindetten Inlandsabsatz und deshalb gibt es, zumal die Millionen von Männern im Leere stehen, keine Arbeitslosigkeit, sondern umgekehrt eher einen Mangel an Arbeitskräften. Aber das Reich ist ein Käufer, der nicht selbst materielle Werte schafft, um sie im Tausch in Zahlung zu geben, sondem es muß sich das Geld zur Bezahlung von den Sparern leihen. Und so ist das Resultat die Verschuldung der öffentlichen Körperschaften an die Bürger in dem Umfange, der sich aus den zwei Milliarden monatlichen Reichskriegsausgaben (sowie aus den auch nicht geringfügigen Kriegsaufwendungen der Einzelstaaten, der Städte usw.) ergibt und für den die jetzigen Steuervermehrungen höchstens zur Zinsendeckung, nicht etwa zur Tilgung ausreichen. Wir führen unsere Kriegswirtschaft zu Lasten der kommenden Friedenszeit. Das ist im Kriege selbstverständlich. Nur wird man einsehen, daß diese Kriegsregeln nicht auch für die Friedenszeit passen. Ernsthafter ist ein anderer aus den Kriegserfahrungen und aus der Kriegswirtschaft abgeleiteter Gedankengang, der der Idee des geschlossenen Landelsstaats ziemlich nahe steht, aber doch die Realitäten der Dinge nicht so ganz übersieht. Der Krieg hat uns die Möglichkeiten der Absperrung und damit die Gefahren der Aushungerung an Nahrungsmitteln und Rohstoffen in einem Maße vor Augen gefühtt, mit dem vor dem Kriege niemand auch
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nur entfernt gerechnet hatte. Wir werden trotzdem durchkommen, werden uns eben nicht aushungern lassen. Aber wir dürfen uns einer solchen Lage nicht zum zweiten Male aussetzen. Darüber besteht Einmütigkeit. Die Frage ist, durch welche Mittel wir uns künftig sichern. And da erblicken nun manche den Weg darin, daß wir doch unsere wittschaftliche Fahrtrichtung mit einem starken Rucke ändern- wir müßten uns aus der verhängnisvollen, weil nicht gesichetten Verknüpfung mit der Weltwirtschaft so weit wie irgend möglich lösen, müßten unsere Erzeugung planmäßig in größtem Stile zunächst auf das einstellen, was wir brauchen und selbst verbrauchen können, und müßten uns so durch Eigenerzeugung und durch die gesicherte Zufuhr aus politisch eng mit uns zu verbindenden, in unmittelbarem territorialen Zusammenhänge mit uns stehenden Ländern von ausländischer, der Abschneidungsgefahr unterliegender Zufuhr frei machen — diesem Streben nach Autarkie, nach wirtschaftlicher Selbstgenügsamkeit gehöre die Zukunft. Liegt aus diesem Wege, der übrigens, so viel wir sehen, viel weniger von Deutschland als, was leicht begreiflich ist, von öfter reich aus propagiett wird, wirklich das Seil? Wir meinen: nur in sehr beschränktem Maße. Zunächst muß bemerkt werden, daß auch dafür die Vorfrage, für welches Wirtschaftsgebiet denn Deutschland oder die Zenttalmächte die Autarkie anstreben sollten, noch gar nicht zu beantworten ist; daß, um nur dies eine zu er wähnen, Kongreß-Polen ein Gebiet mit sehr dichter Bevölkerung ist, dürfte ja allmählich auch allgemeiner bekannt geworden sein. Aber auch davon abgesehen, scheint uns das Stteben nach Selbst genügsamkeit für Deutschland doch allzu genügsam. Zunächst darf man nicht vergessen, wie viel unsere Verknüpfung mit der Weltwirtschaft uns doch auch gerade in diesem Kriege geholfen hat, so viel, daß man ruhig etwas paradox auch den umgekehrten Satz aufstellen könnte: eben die Tatsache, daß wir nicht selbstgenügsam waren, habe uns vor der Aushungerung gerettet! Vorräte nämlich gab es nur in den Waren, die wir vom Auslande zu beziehen gewohnt warm. Es gab keine Vorräte in Getreide, was mit dem Zoll und dem Einfuhrscheinsystem zusammenhängt. Aber Vorräte gab es in ausländischen Nahrungsstoffen, weil der Sandel darin gewohnheitsmäßig große Lager hält. Vorräte gab es in industriellen Rohstoffen, weil die Industrie damit stets auf längere Zeit hinaus
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versehen sein muß. Vorräte boten uns die Viehbestände, die wir über die eigene Futterproduktion hinaus mit ausländischem Futter herangezogen hatten; sie waren die einzige Nahrungsmittelreserve großen Stils, von der wir zehren konnten und tatsächlich, durch Verminderung des Viehbestandes, zehren. And unsere Industrie hätte niemals den ungeheuren Kriegsbedarf aller Art so glänzend bewältigen können, wenn sie nicht auf der Grundlage der Export möglichkeit ihre Anlagen im Frieden so sehr über den heimischen Absatz hinaus vergrößert hätte. Das alles soll man doch nicht übersehen. Sicherlich haben wir ja durch den Krieg vieles gelernt, was uns zu vermehtter Selbversorgung helfen kann und soll. And gewiß wird sich durch den Krieg selbst auch manches ändern. Wir werden vielleicht im Nordosten durch das Glück unserer Waffen das neue Siedelungsland vor unseren Toren gewinnen, das zu erobern wir niemals einen Krieg begonnen hätten, das aber, wenn das Schicksal es uns jetzt als einen Ausgleich für die unerhörten Opfer dieses Krieges darbietet, unserem wachsenden Volke auch für kommende Generationen und schon jetzt den Volksgenossen in der Diaspora, die gegenwättig ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum in Rußland mit schimpsiicher Anterdrückung und mit der Vertreibung von Laus und Los büßen müssen, neue Daseinsmöglichkeiten bringen kann. Wir werden auch vielleicht unsern Kolonialbesitz neu in erweiterten Grenzen gestalten. And unsere Landwirtschaft selbst, die schon vor dem Kriege hervorragende Ertragsleistungen erzielte, steht zweifellos noch vor großen weiteren Möglichkeiten durch vermehrte Benutzung von Maschinen, durch vermehrte An wendung von Konservierungsmethoden, durch organisatorische Neuerungen, durch bessere Ausnutzung der Düngemittel, ins besondere auch aus.den städtischen Abwässern, und durch vieles andere, vor allem auch durch planmäßige Leranziehung des bisher ungenützten Landes und durch großzügige innere Kolonisation. Aber die Preisfrage zieht hier doch für absehbare Zeit eine Grenze: wir müssen nicht nur genügende, sondern wir müssen auch erschwingliche Lebensmittel haben, und die Sorge dafür wird nach dem Kriege noch dringender als vordem sein. And mit den Kriegsfortschritten der Technik steht es ganz ähnlich. Vieles da von wird bleiben und uns dauernden Vorteil bringen. Manches andere aber, was wir jetzt als Ersatz für fehlende Auslandszufuhr 26
herstellen, ist doch nur Kriegsproduktion, lediglich dadurch ermög licht, daß im Kriege der Preis keine Rolle spielte; das wird ver schwinden, wenn sich die Grenzen wieder öffnen. Mag die Technik noch so sehr ein Gebiet der unbegrenzten Möglichkeiten sein: ihre Fortschritte kommen sicher, aber sie kommen langsam und allmählich; unmöglich ist es, alle Handelspolitik, die mit der nächsten Gegen watt zn rechnen hat, auf diese Erwartungen einzustellen. Langsam und allmählich aber wird auch die Erschließung des Balkans kommen, von der ja jetzt so viel die Rede ist. Sie wird uns, in dem Maße, wie wir daran teilnehmen, auf sehr lange Zeit hinaus viel mehr Aufgaben als frühe Früchte bringen. Sie wird Kapital und leitende Männer von uns beanspruchen. Aber der Autarkie werden wir durch sie doch höchstens in winzigen Schritten näher kommen. And schließlich: zur Autarkie gehört nicht nur der Ersatz der Einfuhr, sondern auch der Ersatz der Ausfuhr — es gehörte dazu, daß wir all den Millionen deutscher Männer und Frauen, die jetzt direkt oder indirett von Auslandsabsatz und Auslands verkehr leben. Ersah dafür im Inlande schüfen. Das eine ist so unmöglich wie das andere. Wir werden nicht auf alle über seeischen Textilstoffe verzichten, auch wenn wir künftig wieder etwas mehr Flachs und Sans anbauen und in der Türkei die Baumwollpflanzung fördern. Wir werden weiter Kupfer brauchen, auch wenn wir jetzt elektrische Leitungsdrähte aus Eisen herstellen. And wir werden weiter Weltherrschaft treiben, weil für uns — und für alle anderen Völker! — Krieg und Kriegslasten die Not wendigkeit noch viel dringender machen, die Arbeit auf die pro duktivste Betätigung zu lenken, um ihren Ettrag hoch zu halten und weiter zu steigern, aus dem doch allein die Steuern für Anleiheverzinsung und Tilgung geschöpft werden können. Denn darüber täusche man sich nicht: der Anspruch der Arbei tenden auf einen erhöhten Anteil am Arbeitserträge, auf einen erhöhten Anteil auch an einem im ganzen verminderten ArbeitSettrag der Volkswirtschaft, wird nach dem Kriege mit noch viel größerer Energie als vorher erhoben werden. Er wird er hoben werden mit dem höchsten Rechte der Menschen, die alles. Glück, Gesundheit und Leben, hinzugeben bereit waren und die es hunderttausendfach hingegeben haben, sicherlich im Dienste einer frei erkannten sittlichen Idee, aber doch auch mit dem Bewußtsein, daß sie mit ihrem Leben nicht nur sich den Staat, sondern auch 27
den Besitzenden ihren Besitz verteidigt und erhalten haben. Das Problem der Verteilung des Arbeitsertrages zwischen Kapital und Arbeit wird noch mehr in den Vordergrund treten. Die Er höhung des Zinsfußes, die wir jetzt schon bei den Kriegsanleihen sehen, wird die verhängnisvolle Tendenz haben, den Anteil des Kapitals auf Kosten des Arbeitsanteils zu erhöhen. Am so inten siver werden die gegenteiligen Tendenzen unsere Politik und unser öffentliches Leben zu erfüllen trachten. Am so notwendiger aber brauchen wir dann unser Weltreich der Arbeit, um den Millionen, die aus dem Felde wiederkehren, überhaupt Beschäftigung und Lebensmöglichkeit zu geben und um den Gesamtertrag der Volks wirtschaft nicht allzu stark sinken zu lassen. Für das, was wir nicht selbst erzeugen, werden wir Vor räte halten, neue Iuliustürme für Warenlager mannigfaltigster Art, damit kein Feind jemals wieder in seiner Kriegslust durch die Äoffnung, uns aushungern zu können, bestärkt werde; wer weiß, ob die Mächtegruppierung in diesem Kriege nicht doch in manchem anders ausgefallen wäre, wenn wir uns durch solche Vorrats wirtschaft schon diesmal gesichert hätten. Im übrigen aber wird nach dem Kriege für uns (und alle) die Regel einfach sein: ar beiten und sparen! Wir werden, wenn wir danach handeln, gewiß auch weniger fremdes Material verwenden. Denn, daß wir gerade mit dem Material, mit dem Stoff, früher eine un glaubliche Verschwendung getrieben haben, das sehen wir ja eben jetzt im Kriege, wo wir, zur Materialbeschränkung gezwungen, erst erkennen, wie unerhört viel wir ständig vergeudet hatten. Wir werden weniger Luxus treiben, weniger auf „Aufmachung" bedacht sein, werden den Stoff besser ausnützen und werden hoffentlich auch weniger Schundware Herstellen und verbrauchen, die unheimlich viel Rohstoff und viel zu wenig Arbeit, vor allem viel zu wenig Qualitätsarbeit enthält. Wir werden hoffentlich auch in der Nahrung und in der Geselligkeit die Einfachheit beibehalten, die wir im Kriege wieder gelernt haben. Aber falsch ist es, wenn gesagt wird, daß dieser Zwang zur Einschränkung das Streben nach Autarkie vermehren werde. DaS gilt, und auch nur in be schränktem Maße, höchstens für den Zwang zur Wiederherstellung der Valuta, die ja ein ungeheuer wichtiges und ungeheuer schwie riges Problem für sich darstellt. Sonst aber wird die notwendige Sparsamkeit sich aus den Verbrauch überhaupt zu erstrecken haben, 28
auf inländische wie auf ausländische Erzeugung. Denn viel wich tiger als das Bestreben, ausländische Einfuhr zu ersetzen, muß, wir wiederholen es, das andere Bestreben sein, die eigene Arbeit für Inlands- oder Auslandsabsatz so zu verwenden, daß sie dem einzelnen wie der Gesamtheit einen möglichst hohen Ertrag ab werfen kann. And darum: wir halten fest an unserem Weltreich der Arbeit. Deutschland bleibt bereit und gewillt, zu kaufen und zu verkaufen. And — die anderen werden auch dazu bereit sein müssen!
III.
Wirtschaftskrieg nach dem Kriege? Äber einen Wirtschaftskrieg nach dem Kriege ist in den Län dern der Entente unendlich viel geredet und geschrieben worden. Wie weit dieser Gedanke dort wirklich Fuß gefaßt hat, ist schwer festzustellen in einer Zeit, in der man, statt auf die direkten Berichte gewissenhafter und sachkundiger Beurteiler, nur auf die auch noch durch die Zensur mehr oder minder gefesselte ftemde Presse an gewiesen ist, und in der überhaupt der Laß einen viel willigeren öffentlichen Markt findet als die Vernunft. Immerhin, den guten Willen vieler unserer Gegner, uns auch nach Friedensschluß mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges so viel wie möglich weiter zu bekämpfen und zu schädigen, darf man nicht unterschätzen. Nur steht es um die Ausführbarkeit doch etwas anders als um den Wunsch. And diese Einsicht wächst allmählich auch in den feind lichen Ländem. Den „großzügigsten" Plan für die wirtschaftliche Vernichtung der Zentralmächte hat wohl Edmond Thöry, französischer National ökonom von Namen, im Sommer vorigen Jahres veröffentlicht. Er erstrebte gegen uns unter der Flagge der Abwehr der mittel europäischen Wirtschastsbundspläne einen „wirtschaftlichen Weltkrieg", einen Wirtschastsbund nicht nur unserer jetzigen 29
Gegner, sondern aller Neutralen mit ihnen gegen üns. Das Mittel dazu sollte ein dreifaches Zolltarifsystem sein, das alle
Verbündeten gleichmäßig anzuwenden hätten, bestehend auS: 1. Verteidigungstarif mit sehr hohen, fast prohibttiven Sähen, der für die deutsch-österreichische Gruppe und diejenigen Neu tralen bestimmt wäre, die mit den Deutschen und Österreichern in kom merzieller Linsicht gemeinsame Sache machen; 2. Freundschaftstarif auf viel gemäßigterer Grundlage, den die Alliierten auf Basis der Gegenseitigkeit denjenigen Neutralen ge währen würden, die ihrerseits die Bestimmungen des französischen Verteidigungstarifs gegenüber den deutschen Fabrikaten zur Anwendung bringen; 3. Bündnistarif, noch weit gemäßigter als der vorhergehende, aber ausschließlich für diejenigen Verbündeten reserviert, die mit den Waffen zum endgültigen Siege beigetragen haben.
Nach diesem Plane sollte also der innere Markt der Ver
bündeten durch prohibitive Zölle ganz vor der Invasion der deutschen Waren verschlossen werden, zugleich aber sollten die Neutralen
sich vor die zwingende Wahl gestellt sehen, sich der Entente ent weder mit den Waffen anzuschließen, um gleichfalls in den engeren
Ring ausgenommen zu werden, oder doch wenigstens den Wirt
schaftskrieg gegen uns mitzumachen, was ihnen eine wesentliche Zollbevorzugung vor uns einbringen sollte; lehnten sie beides ab, so sollten sie verfehmt und zollausgeschlossen sein wie wir, und die Rechnung war, daß sie diese Möglichkeit nicht wagen, sondern vor der „furchtbaren ökonomischen Macht" der Entente sich unterwerfen würden.
Die Rechnung war kindlich.
Was sie als Erfolg des
wirtschaftspolitischen Zwanges erhoffte, das hätte in Wirklichkeit die Voraussetzung für die Teilnahme am Wirtschaftskriege sein
müssen: nämlich die Bereitschaft der Neuttalen zum politischen Bunde und zum Kriege gegen uns.
Wäre wirklich die ganze
Welt (und nicht bloß, wie jetzt, die halbe) gegen uns zusammen
geschloffen, so könnte man sich theoretisch schon die Möglichkeit vor
stellen, daß sie, wenn wir nicht über alle siegten, uns durch wirt schaftlichen Boykott nachher zu ersticken versuchten. Das wäre zwar ein Wahnsinn (denn sie würden sich, wenn es gelänge, dadurch z. B. allein bei uns, unsere Bundesgenossen noch gar nicht gerechnet, einen Absatzmarkt von 10 Milliarden Mark vernichten), aber
wenn der Wahnsinn eines solchen Zusammenschlusses möglich wäre,
so wäre in der Tat kein weiterer Wahnsinn mehr unmöglich zu 30
nennen.
Solange es aber noch große Neutrale gibt, die nicht in
den Krieg eingreifen wollen — und deshalb ist auch unter dem Gesichtspunkt der Zukunft die Gestaltung unseres Verhältnisses
zu den Vereinigten Staaten von so weittragender Bedeutung —, solange werden sie sich hüten, den Wirtschaftskrieg gegen uns mitzumachen, bloß um das Vergnügen zu genießen, in den Ländern der Entente dann doch zolltarifarisch benachteiligt zu werden gegenüber denen, die „mit den Waffen zum endgültigen Siege bei getragen" haben, an den Lerr Edmond Thöry jetzt wohl selber
nicht mehr glaubt. 3m übrigen wäre zunächst einmal die wirtschaftspolitische Einigkeit unter der Entente selbst herzustellen gewesen. And mit Plänen dieser Art hat man uns ja auch in der Tat lange Zeit
das Gruseln zu lehren versucht. Monate hindurch hat man für die Wirtschaftskonferenz der Alliierten, auf der diese wirtschaftliche Einigung erzielt werden sollte, einen unerhörten Aufwand von
Tinte, Papier und Lungenkraft vergeudet.
Aber als sie endlich
zustandekam, gebar der kreißende Berg nicht einmal ein Mäuslein. Übriggeblieben scheint einstweilen — die Konferenzen sollen ja fort gesetzt werden — nur der Gedanke, das Abkommen vom September 1914, in dem man sich gegenseitig versprach, keinen Separatfrieden schließen zu wollen, auch auf die handelspolitischen Friedensab machungen auszudehnen, derart, daß England, Frankreich, Ruß
land und Italien eine Erklärung unterzeichnen sollten, nach der keiner von ihnen Handelsverträge mit Deutschland oder Österreich ohne
Zustimmung der anderen Verbündeten abschließen würde. Ob diese Erklärung tatsächlich abgegeben wurde oder noch abgegeben werden wird, darüber ist sicheres nicht bekannt geworden. Sonst aber hat die ganze breite Erörterung nur das ergeben, daß die wirtschaftliche Verfassung der Ententeländer viel zu verschiedenartig, ihre handels politischen Interessen gerade auf den wichtigsten Gebieten viel zu entgegengesetzt sind, als daß an einen Zollverein oder ähnliches wirklich ernsthaft geglaubt werden könnte.
England denkt gar nicht daran, seine ganze Handelspolitik unter die Oberhoheit seiner gegen wärtigen Bundesdenoffen zu stellen. And all den anderen, Frank reich sowohl wie Rußland und Italien, graut es, soweit sie sich nicht noch immer an Phrasen berauschen, schon recht lebhaft bei der Vorstellung, sich, was ja das Ergebnis einer so unnatürlichen Bildung wäre, der englischen Industrie mit ihrer weit überlegenen
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Leistungsfähigkeit, sowie dem englischen Lande! und der englischen Schiffahrt mit ihrer dann fast unanfechtbaren Monopolstellung auf Gnade und Angnade zu überliefern. Ein handelspolitischer Zusammenschluß der Ententeglieder unter sich würde sich überdies in seiner Wirkung nicht nur gegen die Zentralmächte, sondern auch gegen alle Neutralen kehren, die mit benachteiligt werden müßten, wenn die Alliierten sich wechselseitige Bevorzugung gewähren; und die Aussicht auf solche Verwicklungen in einer durch die furchtbaren Kriegslasten ohnehin ungeheuer beschwerten Zeit dürste den Ver ständigen nicht sehr reizvoll erscheinen. Wollen also unsere Gegner den Wirtschaftskrieg nach dem Kriege, so können sie zwar dahingehende Verabredungen treffen, aber die Durchführung und die Tragung der Lasten wird in der Hauptsache jedem Staate allein überlassen bleiben. And da hat nun die bisherige wilde Debatte bei ihnen selbst bereits mit mehr oder weniger Deutlichkeit das interessante und doch für den ruhig Denkenden von vornherein klare Resultat ergeben, daß sie den Wirtschaftskrieg eigentlich gar nicht wollen können! Am wenigsten klar scheint man dies bisher in Frankreich erkannt zu haben, wo unter der Aufteizung des Revanche gedankens der „Geist des Zollkrieges" schon in den ganzen letzten Jahrzehnten lebendig gewesen und stets geschütt worden ist, nieder gehalten durch den Frankfurter Friedensverttag, der mit seiner ewigen Meistbegünstigung einen offenen Ausbruch unmöglich machte, um so eiftiger aber versteckt betätigt in der speziell gegen Deutsch land gerichteten Ausgestaltung des Zolltarifes und einem kleinlichen Raffinement der Schikane beim Zollverfahren usw. Wie aber z. B. die französischen Bauern über einen Verlust des deutschen Marttes für ihre Gemüse-, Blumen-, Obst- und Weinausfuhren denken, darüber sind sie von ihren regierenden Ketzern bisher schwer lich gefragt worden. Am so deutlicher ist das landwittschastliche Ausfuhrintereffe in Rußland zu Worte gekommen, und zwar mit mehr Nachdenk lichkeit, als dott vor dem Kriege zu merken gewesen ist. Prof. Tugan-Baranowski hat mit dürren Worten die einfache Wahrheit ausgesprochen, daß eine Isolierung Deutschlands für Rußland un möglich sei, weil das gleichbedeutend mit der Erstickung der russischen Landwirtschaft wäre. Wo sollen das russische Getreide und die russischen Futtermittel hin, wenn Deutschland ihnen verschlossen 32
wird? And wer soll der russischen Volkswirtschaft die industriellen Erzeugnisse, Maschinen und Geräte für Landwirtschaft und In dustrie, die Rußland gerade zu seiner Entfaltung noch auf Jahr zehnte braucht, und alles andere liefern, wenn Deutschland aus geschaltet wird? England allein vielleicht? Das wäre für den Verkäufer ein rentables und durch fremde Konkurrenz nur noch wenig gefährdetes Monopol. Ein russisches Blatt, der „Djen", hatte von dem, was dann kommen würde, ein ganz richtiges Vor gefühl, als es schrieb: „Das Schlagwort der Befreiung von der deutschen Gewaltherrschaft kann bedeuten, daß Rußland vom Regen in die Traufe kommt." Genau die gleichen Empfindungen, nur noch viel ausgesproche ner, hat man in Italien. Dort haben schon vor der Pariser Konferenz verschiedene Abgeordnete in der Kammer offen erklärt, daß eine Boykottierung Deutschlands nur Italien selbst zum größten Schaden gereichen könnte. Denn Italiens Ausfuhrüber schüsse könnten die jetzt mit ihm Verbündeten unmöglich aufnehmen. Mitteleuropa erweise sich immer mehr als das natürliche Absatz gebiet für Italiens landwirtschaftliche Erzeugnisse, aber während es sich dabei zu einem großen Teil um leicht ersetzbare Luxusartikel handelt, bezieht Italien grade aus Deutschland die Maschinen und Eisenfabrikate, die es zum eigenen industriellen Aufbau dringend braucht, und bei einem Fortfall der deutschen Kohle käme es mit diesem unentbehrlichen Brot der Industrie in bezug auf Preise und sonstige Bedingungen völlig unter Englands Diktatur. Verspätete Erkenntnis! And England selbst? Es war bei uns schon zum Aberfluß
oft zu lesen, daß England nach dem Kriege unbedingt zum wirt schaftlichen Imperium, zum handelspolitischen Zusammenschluß mit seinen Kolonien auf der Basis des Schutzzolls in England und der wechselseitigen Zollbevorzugung zwischen Mutterland und Kolonien kommen werde. Man soll das abwarten. Die Möglich keit einer solchen Entwicklung in England besteht ohne Zweifel: die Kolonien werden sicher nach dem Kriege ihre Rechnung für das präsentieren, was sie an Kriegshilfe mehr als erwartet und freiwillig geleistet haben (jöerr Lughes, der australische Premier minister, tut es ja jetzt schon und wird dafür der populärste Mann bei den englischen Iingoes), und dem englischen Schatzkanzler mag die finanzielle Seite des Übergangs zum Schutzzoll schon verlockend
erscheinen.
Trotzdem: die englische Regierung hat'sich bisher, so
weit erkennbar, in kühlster Reserve gehalten. Sie wird wissen, warum; genau so, wie die englische Volksmehrheit vor dem Kriege wußte, warum-sie den Kampagnen der imperialistischen Schutz zöllner immer wiederholte Niederlagen bereitet hat. Soll Eng land jetzt Lebensmittelzölle einführen? Dann werden seine In dustrie und seine Arbeiter die Lasten zu tragen haben. Soll es zu Industriezöllen übergehen? Dann wird ein sehr großer Teil seines Landels, der auf der zollfreien Einfuhr beruhte, aufs schwerste geschädigt und mit ihm eine der wichtigsten Quellen englischen Reichtums. Soll England den Kolonien Vorzugszölle geben? Dann werden Amerika und Argentinien und alle seine anderen neutralen oder verbündeten Lieferanten sehr wenig ent zückt sein. Also warten wir's ab, mit Aufmerksamkeit und mit Ruhe. And zitieren wir einstweilen, was über die wirtschaftliche Boykottierung der Zentralmächte durch England nach dem Krieg — die ja natürlich weit über einen zollpolitischen Zusammenschluß des britischen Imperiums hinausgehen würde — neben vielen anderen ähnlich Arteilenden das „Daily Chronicle" kürzlich zu sagen hatte: „Glaubt jemand, daß England nach dem Kriege es ablehnen sollte, mit den 150 Millionen Menschen in Mitteleuropa Landet zu treiben? Eine derartige Politik würde den Verlust unseres kommer ziellen Vorrangs bedeuten, und die Vereinigten Staaten würden den Vorrang, auf den wir verzichten, übemehmen, Newyork würde statt London das Lerz und Nervenzentrum des Welt handels werden." Die Welt braucht Deutschland, die Weltwirtschaft würde durch eine Ausschaltung Deutschlands selbst furchtbar verarmen — das ist die Erkenntnis, die in all diesen Äußerungen dämmett. Man braucht unsere Arbeit; denn allen, nicht bloß uns kam zugute, was diese Arbeit an Werten zur Bereicherung des Lebens schuf. Man kann das Wissen und Können und Streben eines Volkes von der Löhe des deutschen nicht von dem allgemeinen Kreislauf abschnüren, ohne daß dieser Kreislauf selbst ärmlicher, dürftiger würde, weil ihm die Fülle und die Kraft eines starken Antriebs genommen wäre. Man hat auch vor dem Kriege unsere Waren nicht aus Liebe gekauft. Sondern man kaufte sie, weil man sie haben wollte, weil vieles davon in anderen Ländem gar nicht hergestellt werden konnte, weil sie gut und billig waren, weil
34
der deutsche Fabrikant sich geschickt den Bedürsnissen und Wünschen der Käufer anpaßte, weil der deutsche Kaufmann dem Abnehmer willig und billig Kredit gewährte. Das alles bleibt. Wer künftig deutsche Ware nicht kaufen will, weil sie aus Deutschland stammt, der wird schlechter, teurer und weniger kaufen müssen als bisher. Die Weltwirtschaft braucht unsere Arbeit. And sie braucht genau so unseren Markt. Lande! ist Tausch von Waren gegen Waren. Man kann nicht verkaufen, wenn man nicht kaufen will, denn der Käufer kann letzten Endes nur mit Ware zahlen, die er verkauft. Wir aber sind in ungeheurem Umfange nicht nur Lieferanten, sondern auch Käufer unserer jetzigen Gegner gewesen. Lier die Ziffern des letzten Friedensjahres nach der deutschen Statistik: (In Millionen Mark)
Einfuhr
Ausfuhr
England .............................................................. Englisches Imperium..................................... darunter Indien............................................... „ Australien.......................................... „ Britisch Westafrika.......................... „ Britisch Südafrika........................... Frankreich.......................................................... Frankreich und Kolonien..................................... Rußland............................................................... Italien....................................................................
1083,2 2446,8 541,8 327,7 134,5 87,0 590,9 673,9 1451,6 333,4
1451,1 1902,3 150,8 104,3 16,8 46,9 792,3 818,6 891,2 398,6
Diese Ziffern geben reichlich Stoff zum Nachdenken. Wem sie noch nicht ausreichen, dem können sie (Prof. Bernhard Lärms betont das ganz richtig in einer jüngst erschienenen Schrift über „Deutschlands Anteil an Welthandel und Weltschiffahrt") durch die folgende zweite Ziffernreihe ergänzt werden. Anteil an Deutschlands Außenhandel Ausfuhr
Einfuhr 1889
Europa ..................... Andere Erdteile . .
Europa..................... Andere Erdteile . .
1889
1913
in Millionen Mark 5888 . . . . I 3240 I 4869 .... 1 838 1
I 1|
2510 743
in Prozenten .... I 79,5 | .... | 20,5 |
II 1
77,1 22,9
54,7 45,3
1913
7677 2409
j | 1
76,1 23,9
Danach ist in dem Zeitraum von 1889 bis 1913 die deutsche Einfuhr aus außereuropäischen Ländern um reichlich 4 Milliarden, die deutsche Ausfuhr dorthin aber nur um knapp 1700 Millionen gestiegen: der europäische Absatz Deutschlands beruhte, je länger desto mehr, auf außereuropäischer Einfuhr. Schädigt man uns den Absatz in Europa, so werden wir um so eifriger den direkten Absatz zu unseren außereuropäischen Lieferanten zu pflegen haben, der ja jetzt schon indirekt erheblich größer ist, als die Ziffern zeigen. Dann wird der englische Lande! die Kosten tragen. Alles ergibt: Ansere jetzigen Gegner können den Wirtschafts krieg nach dem Kriege eigentlich selbst nicht wollen. Das schließt nicht aus, daß man ihn hier oder dort trotzdem wollen wird. Nach den Regeln der Vernunft hätte auch niemand den Krieg wollen können, der eine Selbstverstümmelung Europas ist. Aber der ge sunde Menschenverstand hat den Prozeß verloren. And der Mann auf der Straße liest keine Statistik. Die deutsche Arbeit wird es nach dem Kriege schwer haben in der Welt; viele ihrer Pioniere draußen find vertrieben worden; die lange Dauer des Krieges gibt z. B. den Vereinigten Staaten die nicht zu unterschätzende Gelegenheit zum Vordringen auf vielen Märkten; und über allzu große Sympathien verfügen wir auch in weiten Gebieten Neutraliens nicht. Wir werden trotzdem unseren Platz an der Sonne behaupten, werden es durch dieselbe Qualität der Leistung, durch die wir ihn errungen haben, werden es, weil wir es müssen und weil wir es wollen. Es ist ja auch gar nicht wahr, was jetzt in den Ländern der Entente so oft behauptet wird: daß unser Aufstieg die anderen bedrohte. Alle Glieder der Weltwirtschaft sind in den Jahr zehnten des Friedens wirtschaftlich gewachsen und reicher geworden, auch England, von dem gesagt worden ist, daß es niemals reicher war als in dem Jahre vor Ausbruch der Krieges! Anser Außenhandel ist schneller gewachsen als der englische: das macht, daß wir später als England in die Weltwirtschaft eintraten. Mit unseren größten Industrien und vornehmlich mit denjenigen, in denen sich Anternehmergeist und angewandte Wissenschaft am stärksten verbanden, in Bergbau, in der Eisenerzeugung, in der Elektrizitäts- und in der chemischen Industrie, haben wir England überflügelt: das macht, daß ein Volk von 68 Millionen mehr produzieren kann, als eines von 45 Millionen, daß ein Volk mit 36
einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 850000 Köpfen schneller wachsen kann als eines mit 400000 jährlichem Zuwachs, und daß es mehr produzieren und schneller wachsen muß, wenn es nicht von Jahr zu Jahr mehr zurückbleiben will. England zeigt manche Züge der Entwicklung zum bequemeren Rentnerstaat, es zeigt mehr Neigung, seine ererbten Fähigkeiten in den älteren Industrie zweigen (Baumwolle), in der Schiffahrt, im Lande! und Kapital verkehr weiter anzuwenden, als Neues zu lernen: das mögen die Engländer unter sich ausmachen. Einsehen aber müssen sie, daß es für sie ein Monopol auf die Weltwirtschaft, wie sie es früher gehabt haben, nicht mehr gibt. Sie hätten es ja auch verloren, selbst wenn es ihnen gelungen wäre, Deutschland voll kommen vom Erdboden zu vertilgen. Denn auch dann hätten sie mit Amerika teilen müssen, das sie z. B. in Eisen und Kohle noch viel stärker überflügelt hat als wir, dessen Ausfuhr schon vor dem Kriege ungefähr ebenso schnell gewachsen ist wie die deutsche (allerdings vorläufig noch mehr in Rohstoffen als in Fabrikaten) und das gerade jetzt durch den Krieg eine ungeheure Förderung seines weltwirtschaftlichen Machtstrebens erfährt: es ist wahrlich die tollste Ironie in diesem Kriege, daß die Engländer, während sie von der Kaperung des deutschen Außenhandels träumten, in Wirklichkeit nur den Amerikanern mit den Milliarden beträgen ihrer Kriegsaufträge die Mittel zur Kaperung eines nicht zu kleinen Teiles der englischen Weltwittschaft selbst in die Land gaben! Im übrigen: daß sie Deutschland wirklich vernichten können, glaubt in England selbst wohl heute kein Vernünftiger mehr, wenn auch einige Narren noch davon reden und schreiben. Deutsch land bleibt! Es bleibt auch stark zum wirtschaftlichen Wett bewerbe nach dem Kriege. Schwer sind unsere blutigen Verluste an kostbarstem Menschengut. Aber auch England, von Frank reich und Rußland gar nicht zu reden, trägt diese Verluste. An geheuer sind die Verwüstungen an Kapital durch den Krieg. Aber sie sind in England und in Frankreich noch sehr viel größer als bei uns. Die Welt wird nach dem Kriege arm an flüssigen Kapitalien sein (und auch Amerika wird das, da es bis zum Kriege ein Borgerland mit großem Kapitalbedarf war, nicht aus gleichen können). Aber die deutschen Produkttonsstätten der In dustrie wie der Landwittschaft sind durch die große Kapitalzufuhr der letzten Jahrzehnte aufs beste ausgebaut, sie haben von den 37
Kriegsverwüstungen kaum etwas gespürt, und unserem industriellen Wettbewerb kann es nur nützlich sein, wenn die in den letzten Jahren von England und vor allem von Frankreich üppig an gewandte Methode der Verknüpfung von Anleihegewährung und Industrieaufträgen — hat man doch das Kapital mit Recht „Frankreichs fünfte Waffe und vielleicht seine wichtigste" genannt — künftig mehr zurücktritt und die Güte und Billigkeit der an gebotenen Ware wieder ausschließlicher entscheidet. Deutschland bleibt. And während die wahnsinnigen Opfer des Krieges die englische Wirtschaft und damit die Basis der englischen Welt machtstellung sehr viel schneller und stärker zerrütten als die unsrige, bleibt uns das, worauf unser Aufschwung beruhte: es bleibt die Kraft eines arbeitsfreudigen Volkes, das sich den Fluch der Bibel „im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" mehr als irgend ein anderes zum Segen gewendet hat (zum materiellen Segen wenigstens, hinter dem dann freilich manches andere manch mal zu kurz kam); es bleibt die Löhe unsrer Allgemeinbildung und unseres technischen Wissens, das England jetzt im Kriege wirklich nicht so schnell nachmachen konnte, wie man es dort an fangs glaubte; es bleibt unsere Fähigkeit zur Anpassung und zur Organisation. England muß einsehen, daß es teilen muß, mit uns wie mit den Vereinigten Staaten, daß es ein Monopol auf die Weltwirtschaft nicht behaupten kann, so wenig wie wir ein solches Monopol beanspruchen. Wir verzichten nicht auf unser Weltreich der Arbeit. Es wiederzugewinnen, gestärkt, aus gebaut, gesichert, muß, wir sagten es schon, eines unserer wich tigsten Kriegsziele sein. Das hat in seiner großen Rede vom 5. April d. I. auch der Reichskanzler proklamiert, als er, gegenüber den Plänen, „Deutschland in der Entfaltung seiner wirtschaftlichen Kräfte auch nach dem Kriege auf ewig in Fesseln zu schlagen", als Sinn und Ziel dieses Krieges forderte: „ein Deutschland, so fest gefügt, so stark beschirmt, daß niemand wieder in die Versuchung gerät, uns vernichten zu wollen, jedermann in der weiten Welt unser Recht auf freie Betätigung unserer friedlichen Kräfte anerkennen muß". Den Laß freilich, der sich im Boykott Luft macht, kann der Friedensvertrag nicht verbieten. Aber er ist schwerlich allzusehr zu fürchten: er wird, falls er sich gegen den direkten Bezug deutscher Waren sträubt, im wesentlichen wohl doch nur den vermittelnden
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Äandel der Neutralen anregen! Am so wichtiger werden die handelspolitischen Abmachungen des Friedens sein, die uns gegen staatlich regulierte Boykottversuche schützen müssen. Wir sind ge warnt und wissen, wovor wir uns zu sichern haben, auch im Be zug der Rohstoffe, die uns z. B. nicht durch Wiederausfuhrzölle mehr als dem Landelslande verteuert werden dürfen, auch für unsere Schiffahrt, die sich keiner neuen Navigationsakte gegenüber sehen darf, und für manches andere mehr. Wir sind nicht ohne Abwehrmittel. And wir sind durch die handelspolitische Kon stellation freier als je in ihrer Benutzung. Die Hauptsache aber ist: daß wir allen Bestrebungen nach Differenzierung unserer Aus fuhr die Forderung nach Meistbegünstigung entgegenstellen, allen Versuchen einer Benachteiligung die Forderung der Gleich berechtigung, allen Abschließungs- und Ausschließungstendenzen das unentwegte Verlangen nach der offenen Tür! And dazu die Freiheit der Meere! Es ist sehr interessant, daß über dieses Grundprinzip unserer künftigen Handelspolitik, soweit das in der Zeit der geheimen Denkschriften und der vertraulichen Protokolle überhaupt festzu stellen ist, in ganz weiten Kreisen unserer Erwerbsstände offenbar viel mehr Einmütigkeit als je besteht. Vor dem Kriege stritt der „Schutz des inneren Marktes" noch mit der „Förderung der Ausfuhr" darum, was von beiden auf dem Gebiete der Industrie erstes Prinzip der Handelspolitik sein sollte. Schon in den letzten Jahren hatte vor allem die verarbeitende Industrie immer lauter nach „mehr Ausfuhrpolitik" verlangt. Jetzt, wo unserer Industrie die Gefahr droht, daß durch wirtschaftliche Stacheldrähte ihren Erzeugnissen der Eingang in die wichtigsten Absatzgebiete erschwett werde, ist die Frage entschieden, tritt alles andere zurück hinter der Sicherung des ausländischen Absatzes. And ähnlich steht es mit der Meistbegünstigung. In den letzten Friedensjahren waren des öfteren skeptische Stimmen laut geworden, die an der Hand habung der Meistbegünstigung manches auszusetzen fanden, und zweifellos hat die höchst entwickelte Technik der Zolltarife und des Zollverfahrens da manche Möglichkeiten der tatsächlichen Benach teiligung unter dem Deckmantel der Meistbegünstigung geschaffen. Dagegen nach Möglichkeit Vorsorge zu treffen, ist Sache der AnterHändler. Der Laupteinwand gegen die Meistbegünstigung aber, daß man nämlich den reinen Meistbegünstigungsländern die wert39
vollen Zugeständnisse schenke, die man den Tarifländent nur gegen andere Zugeständnisse gemacht habe, und daß man dadurch die eigenen Zugeständnisse selbst entwerte, übersieht das Wichtigste: daß wir nämlich die Meistbegünstigung nicht nur gewähren, sondern sie dafür auch bekommen. And eben dies tritt jetzt ganz in den Vordergrund. Jetzt, wo es die Gefahr der Differenzierung ab zuwehren gilt, wird gerade diese gewaltige Bedeutung der Meist begünstigungsklausel voll erkannt: daß sie die Gleichmäßigkeit der Wettbewerbsbedingungen sichert, daß sie vor ungleichmäßiger Be nachteiligung schützt. And gerade das ist das erste, was wir brauchen. Die deutsche Industrie hat keine Bevorzugung nötig, sie steht unter gleichen Konkurrenzverhältnissen ihren Mann; was sie fordern muß, das ist, daß diese gleichen Konkurrenzverhältnisse ihr gewährt, daß nicht die anderen Wettbewerber auf dem Markte günstiger als sie behandelt werden. „Je mehr Deutjchland zu einem großen Ausfuhrland erstarkt ist, um so mehr Interesse hat es an der Meistbegünstigung gewonnen", sagt auch Prof. Schumacher. Allerdings möchte er die Meistbegünstigung durch Spezialisierung und Differenzierung erst ausbauen, um sie so zu einem wirksamen Kampfmittel für die wirkliche volle Meistbegünstigung umzu schmieden — ein zweischneidiges Mittel, mit dem man leicht auch den umgekehrten Effekt erzielen könnte. Doch die Hauptsache ist, daß das Prinzip unbestritten feststeht. Meistbegünstigung und offene Tür, und diese offene Tür so weit aufgemacht, wie nur irgend möglich, auch in den Kolonien, den gegenwärtigen und den künftigen, wie es z. B. der Belgier Lambert vorgeschlagen hat, das muß das richtunggebende Ziel für uns sein. Was wir davon erreichen, wird sich erst beim Friedensschlüsse zeigen, und aus der Lage, die wir dann vorfinden, werden wir die Konsequenzen zu ziehen haben. Wichtig aber ist die Klarheit über das, was wir erstreben, schon heute, für uns selbst und für die anderen Völker um uns. „Das Europa, das aus dieser un geheuersten aller Krisen entstehen wird, wird in vielen Stücken dem alten nicht mehr gleichen. Das vergossene Blut kommt nie, das vertane Gut nur langsam zurück. Aber wie es auch sein wird, es muß für alle Völker, die es bewohnen, ein Europa der fried lichen Arbeit werden." Das Wort des Reichskanzlers steht da als Wahrzeichen. Deutschland ist es nicht, das den Wirtschafts krieg will. Deutschland will die Möglichkeit zur Arbeit. And 40
indem es das für sich erstrebt, ist es zugleich der Vorkämpfer für alle übrigen Völker, die es teilnehmen lassen will an dem, was es für sich selbst verlangt, an dem freien Wettbewerb auf den freien Märkten, an der Offenhaltung der Tore zu den wichtigen Absatz gebieten der friedlichen Arbeit, die gleiches Recht für alle ist.
IV. Öfterreich-Angarn und Deutschland. Für Osterreich-Angarn hat die handelspolitische Frage ein
wesentlich anderes Gesicht als für Deutschland. Für Deutschland handelt es sich um das Lebensproblem, einen Außenhandel von 20 Milliarden Mark wiederzugewinnen, an dem Osterreich-Angarn
bei der Einfuhr mit knapp 8, bei der Ausfuhr mit knapp 11 Prozent beteiligt ist, als bedeutender, aber nicht als entscheidender Faktor, als ein Glied neben anderen. Von den 5200 Millionen Mark des österreichisch-ungarischen Außenhandels dagegen entfallen bei der Einfuhr wie bei der Ausfuhr rund 40 Prozent auf den Handel mit Deutschland. Alle anderen Länder, die sich in die restlichen 60 Prozent teilen, folgen dahinter erst in ganz weitem Abstande. Hat die österreichisch-ungarische Monarchie ihre Handelsbeziehungen zu Deutschland geregelt, so ist die handelspolitische Frage für sie überhaupt damit im wesentlichen erledigt. Dieses Ziffernverhältnis gibt die statistische Grundlage dafür, daß die Frage des „mittel europäischen Wirtschaftsbündnisses", eine Frage mit einer bekanntlich schon viele Jahrzehnte langen, wechselvollen Geschichte, in Osterreich-Angarn jetzt wieder fast seit Beginn des Krieges im Vordergründe der Erörterung steht. Nur birgt sich bei vielen in Wirklichkeit doch sehr viel Tieferes dahinter als jene Statistik. Wenn wir in Deutschland von der „neuen Zeit" sprechen, die nach dem Kriege kommen soll — und von der jetzt, da die lange Dauer des Krieges schon so viel von der großen Erhebung der ersten Kriegsmonate vergessen ließ, manche mächtigen Gruppen
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und manche großen Parteien bereits hörbar schweigen — so denken wir daran, wie wir mit dem „Wust und Anrat" zu Lause, von dem der Reichskanzler sprach, nach Friedensschluß aufräumen wollen. Unsere Stellung zur Welt soll uns der Friede wiedergeben, und auch danach wird die auswärtige Politik uns noch die schwersten Probleme bieten. Aber der Geist vom August 1914 soll dann vor allem im Innern verwirklicht werden; er ist in erster Linie eine häusliche Angelegenheit. Verwickelter liegt das in Österreich-
Angarn; noch viel enger ist da der Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Politik. Viele der Männer, die ich in Österrreich sprach, und gewiß nicht die schlechtesten, gerade die Erneuerer des Staates, stimmen darin überein, daß sie nichts so sehr fürchten wie die geistig-politische Rückkehr ins alte Keim. Der Krieg hat ihnen, die sich vorher etwas abseits liegend vorkamen, die Anteil nahme am großen Weltgeschehen gegeben, mit allen Leiden, aller Verantwortung, aller Gewaltigkeit solchen Mitdabeiseins — nun wollen sie nicht die Wiederkehr in die alte Einschnürung, wollen nicht das Gefangenbleiben in kleinen, engen Verhältnissen, in denen dann die abgebrauchten politischen Schlagworte wieder das Thema bestimmen würden. Der Krieg hat ihnen Aufgaben gebracht; nun wollen sie auch im Frieden Aufgaben sehen, die der Mühe lohnen. Der Staat ist ihnen im Kriege viel mehr geworden, als er ihnen war; nun soll er nicht mangels anderer Ziele wieder einfach der Tummelplatz des alten politischen Laders werden. Dazu brauchen sie den Blick auf die Welt, die Teilnahme an Weltpolitik, Weltwirtschaft und Weltverkehr. And dafür wieder brauchen sie das Bündnis mit Deutschland. Aber auch dieses Bündnis selbst ist ihnen ein ganz anderer Wert geworden im gemeinsamen Kampfe, der zum ersten Male alle Völker Österreichs, Angarns
und Deutschlands durcheinandergewürfelt in eine einheitliche Front gestellt hat, auf dem Schlachtfelde draußen, aber auch auf den Kampffeldern daheim, mit der Notwendigkeit zu gemeinsamem Landein auch in den gewaltigen Kriegsfragen der Politik und der Wirtschaft. Auch deshalb wollen sie jetzt das Bündnis und nicht bloß seine Erhaltung, sondern seine Festigung, seine Erweiterung. So urteilen naturgemäß nicht die Tschechen; so urteilen auch nicht gewisse nur-österreichische Kreise in der Nähe der Krone; auch manche anderen Bevölkerungsteile stehen dazu kühl; es ist in erster Linie das Gros der Deutsch-Österreicher, das diesen Schluß zieht. 42
Die beiden Monarchien sollen noch viel enger als bisher zusammen wachsen, das Bündnis noch viel mehr im Bewußtsein und im Interesse der Völker ebenso wie in erweiterten politischen, militä rischen und wirtschaftlichen Abmachungen verankert werden. Das ist der Gedanke. Das wirtschaftliche Programm ist für diesen Kreis der Befürworter ein Mittel zum politischen Zweck. Die Frage ist, ob es sich dafür eignet. Tenn diese Eignung ist selbst verständlich nur dann vorhanden, wenn seststeht, daß ein Wirt schaftsbund den Volkswirtschaften der beiden (oder, wenn man will, der drei) Länder wirklich überwiegenden Vorteil bringen würde. Im anderen Falle bestände die ernste Gefahr, daß Schädigungen, die sich aus dem Wirtschaftsbündnis ergäben, direkt sogar zur Dis kreditierung des politischen Bündnisses ausgenutzt würden. An Interessenten für solche Ausnützung würde es sicher nicht fehlen. Es gibt nun in Österreich Theoretiker und Praktiker der Wirtschaft, die darauf antworten: Der vollständige Zusammen schluß Österreich-Angams mit Deutschland zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiete sei für österreich-Angarn eine absolut notwen
dige Folge des Krieges, so sehr, daß der von vielen damit ver folgte politische Zweck vollkommen ausscheiden könne, ebenso wie die politischen Abneigungen der anderen; man habe in österreich-
Angarn gar nicht mehr zu fragen, was wollen wir, sondern nur noch: was müssen wir tun? Österreich-Angarn wird, so etwa argumentiert z. B. Dr. Stolper in seinen Aufsätzen im „öster reichischen Volkswirt", nach dem Kriege in jedem Falle ungeheure Lasten zu tragen haben, die um so schwerer drücken werden, als sie sich auf eine verhältnismäßig kleine Zahl tragfähiger Schultern verteilen. Lasten tragen, Steuern zahlen aber kann man nur aus dem Produkte der Arbeit. Folglich ist es eine absolute Notwendigkeit, daß man in Österreich-Angarn nicht nur
mehr, sondern auch produktiver arbeite, daß der Ertrag der Arbeit selbst gesteigert werde — und das ist nur möglich durch die Bil dung eines großen, einheitlichen Wirtschaftsgebiets, das durch Arbeitsteilung und Spezialisierung die Verbilligung der Arbeit ermögliche. Im anderen Falle bliebe nur das entgegengesetzte Extrem, die Steigerung der Zölle auf eine direkt prohibitive Löhe, wodurch man sich den Inlandsmarkt sicherte. Aber das geht nicht wegen der verarbeitenden Industrie, es geht nicht wegen der Ar beiter und der Arbeitslöhne und auch nicht wegen der Ver43
braucher überhaupt.
And es geht vor allem deshalb nicht, weil
man mit Prohibitivzöllen nicht exportieren kann. Das aber — und dies ist ein zweites, wichtiges Argument — muß ÖsterreichAngarn nach dem Kriege unbedingt. Österreich-Angarn wird aus dem Kriege mit einer beträchtlichen Vermehrung seiner Auslands schuld, die ja schon vorher groß war, hervorgehen, und es wird, um sich zu retablieren, diese Auslandsschuld noch weiter vermehren müssen, wofür dann Zinsen und Tilgung aufzubringen sind; Österreich-Angarn wird auch weiter Rohstoff- und andere Einfuhr
brauchen, die man bezahlen muß. Das geht nur mit der Ausfuhr. And dazu, so schließt diese Richtung, braucht man wieder die billige Produktion, deren Vorbedingung das einheitliche Wirtschaftsgebiet ist, man braucht dazu ferner die Möglichkeit des Absatzes — und die kann man auch nur durch Zusammen schluß mit Deutschland haben, weil Österreich-Angarn allein z. B.
schon mit seinem wichtigsten Linterlande, dem Balkan, infolge der Vormacht seiner agrarischen Interessenten keine sachgemäßen Han delsverträge abzuschließen vermag. Auf einem dritten Wege kommen schließlich manche aus einer ganz anderen Gedankenrichtung zu ganz dem gleichen Resultat. Der 1. August 1914 bedeute, so hat z. B. einer der angesehensten österreichischen Großindustriellen diese Gedanken kürzlich vor seinen Fachgenossen dargelegt, einen roten Strich in der Geschichte der Wirtschaftsentwicklung überhaupt. Mitteleuropa habe die ganze Humusschicht an Kultur und Kapital, die es seit den Napo leonischen Kriegen sukzessive aufgebaut hatte, im Laufe dieses Krieges verloren; wir werden von dem nackten Boden grundlegend wieder aufbauen müssen, und dabei werden die kleinen Mittel und Ideen vergangener Jahrzehnte nicht mehr helfen können. Betrachte man im Lichte dieser Verhältnisie die zukünftige Handelspolitik, so spiele die Frage der Zölle dabei gar keine Rolle mehr ange sichts der Verschiebungen in den Produktions- und Absatzbedin gungen, in den Rohstoff- und Fabrikatpreisen usw. Entscheidend sei vielmehr das andere: daß das Zeitalter der freien Pro duktion geschlossen sei und wir eintreten in das Zeitalter der organisierten Produktion, bei der die ganze Industrie in Zwangssyndikaten zusammengeschlossen wird unter Selbstver waltung der Industriellen, aber mit starken Aufsichts- und Einfluß rechten des Staates. Die Probleme der Valutaregulierung, des 44
Rohstoffbezugs,
der Vorratswirtschast werden von selbst dazu
führen, nicht minder das Bedürfnis nach neuen Einnahmequellen des Staates, der auf diese Weise an den Erträgnissen der In
dustrie beteiligt werden könnte, ohne daß dies das Lauptziel der Umwälzung sein dürfe. Leitender Gesichtspunkt der neuen Organi sation müsse vielmehr sein, die höchste Produktivität zu erzielen,
weil nur durch Intensivierung der gesamten Produktion und voll
ständige Ausnutzung der Betriebsmittel, der Arbeit und Leistungs
fähigkeit jedes einzelnen im Laufe der Jahre allmählich die Gegen werte für die durch den Krieg zerstörten Sachgütermengen geschaffen werden können. Werden aber diese Organisationen errichtet, dann sei Mitteleuropa nichts anderes als die Fusion von zwei Großbetrieben. And diese Fusion werde nötig sein, wenn man
sich nicht gegenseitig ruinieren wolle. Denn wenn z. B. die Baumwollindustrie beider Reiche nach dem Kriege auf Expott
schwierigkeiten stieße, so würde ohne besondere Vereinbarung jede auch den Inlandsmarkt der anderen ruinieren. And deshalb seien Vereinbarungen nötig, die aber nicht, wie manche früheren, den Besitzstand einfach auf Kosten der Verbraucher zu sichern, sondern umgekehrt die gemeinsame Erzeugung des gemeinsamen Inlands absatzes nach dem Grundsatz der Arbeitsteilung und Spezialisierung
zu regeln hätten.
Wenn dabei der Verschiedenattigkeit der Er
zeugungskosten bei der Rayonierung und der Preisfestsetzung Rechnung getragen werde, so sei jeder Zoll zwischen den beiden Reichen überflüssig. Man sieht: auch in Österreich führt die Amwälzung aller
Wirtschaftsdinge durch
den Krieg,
die
jeder
begrenzten Zoll
diskussion einfach die Anterlqgen entzieht, sofort dazu, daß aus einem Gespräch über Garn- und Gewebezölle ein Philosophieren über die höchsten und tiefsten Dinge der künftigen Gesellschafts ordnung wird; und zwar dort besonders leicht, weil die Männer der führenden Schichten in hohem Grade gebildet, gescheit und geistig rege sind, und, dem Erwerbsinteresse und der unmittelbaren
Erwerbsarbeit nicht so schrankenlos hingegeben, am spekulativen Denken und Reden ihre Freude haben. Auch tatsächlich aber
handelt es sich, das wird man schon aus dem Bisherigen ent nommen haben, bei den Fragen des Wirtschaftsbündniffes um sehr viel mehr als um Zollfragen. Es handelt sich um das Gesamtproblem, wie die Volkswirtschaft Hsterreich-
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Angarns so gehoben werden kann, daß das Reich trotz der gewaltigen Lasten des Krieges stark und leistungsfähig bleibe und, auch als Bundesgenosse für uns, es noch mehr werde. And da ist die Frage des Zollverhättnisses nur eine unter vielen. Die Äebung der Wirtschaft in der Donaumonarchie — über deren Stand und Zukunftsmöglichkeiten man sich sehr gut in der lesenswerten Schrift des Sekretärs der Wiener Handelskammer Dr. Erich Pistor „Die Volkswirtschaft Österreich-Angarns und die Verständigung mit Deutschland" orientieren kann — muß, darüber ist man sich in den führenden Kreisen Österreichs und,
trotz aller Jndustrialisierungswünsche, wohl auch Angarns klar, in erster Linie bei der Landwirtschaft einsetzen. Die Doppel monarchie, noch vor einem Jahrzehnt ein bedeutendes Getreide ausfuhrland, ist seit etwa 1906 in wachsendem Maße auf die Einfuhr fremden Getreides angewiesen, nicht weil ihre Landwirt schaft nicht mehr zu produzieren imstande wäre, sondern weil sie eben nicht mehr produziert, zu wenig für den wachsenden Bedarf der wachsenden Bevölkerung. Der Ertrag an Weizen betrug pro Äektar im Jahre 1912 in Österreich 15,0, in Angarn 13,0, in
Deutschland 22,6 Doppelzentner; die Ziffern zeigen, was hier noch zu leisten ist. Pistor berechnet, daß für Körnerfrüchte allein ein Mehrertrag von über 800 Millionen Kronen im Jahre erzielt werden könnte, wenn Österreich-Angarn wenigstens so intensiv wie Norwegen (Äektarertrag 17,9 Doppelzentner im Jahre 1912) ar beiten würde; bei einem gleichen Äektarertrag wie Deutschland würde man nach Eulenburgs Ziffern eine Getreidemenge von 26,9 Millionen Tonnen haben können, gegen jetzt 17,9 in Öster
reich-Angarn und 27,9 in Deutschland, von Brotgetreide allein 17,7 Millionen Tonnen gegen 16 Millionen Tonnen in Deutsch land und bisher nur 11,2 Millionen Tonnen in Österreich-Angarn! Der Getreidehochzoll hat in Österreich-Angarn durchaus nicht eine
irgendwie entsprechende Erhöhung der Produktion herbeigeführt; die Kopfsteuer, die er den Verbrauchern zugunsten der privaten Großgrundbesitzer auferlegte, ist von diesen im großen Durchschnitt nicht zur Äebung ihrer Wirtschaft, sondern zur Aufrechterhaltung ihres grandseigneurialen Daseins verwandt worden. Dafür aber hat der Getreidehochzoll die bäuerliche Wirtschaft schwer geschä digt; er hat, wie der österreichische Reichsratsabgeordnete von Pantz nachweist, z. B. in den österreichischen Alpenländern eine große Zahl
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bäuerlicher Betriebe direkt proletarisiert, deren Land dann vom Großgrundbesitz aufgesaugt und in Iagdland verwandelt wurde; ein erheblicher Rückgang des Rindviehbestandes, der durch eine mäßige Zunahme des Schweinebestandes nur unzulänglich aus geglichen wurde, war im letzten Jahrzehnt vor dem Kriege die Folge. Daß Österreich-Angarn vor dem Kriege jährlich durch überseeische Auswanderung 250 000 bis 270000 Menschen verlor (trotz einer infolge hoher Sterblichkeitsziffer nur geringen jährlichen Bevölkerungszunahme), und daß außerdem jährlich 350000 bis 400000 österreichische und ungarische Saisonwanderer außerhalb der Äeimat Arbeit und Brot suchten, vervollständigt das Bild. Die Heilmittel liegen zutage. Intensivierung der Wirtschaft — der Kali verbrauch auf den Quadratkilometer nutzbaren Bodens betrug, um nur dies eine zu erwähnen, 1913 in Österreich 114,2, in Angarn 18,8, in Deutschland 1529,3 Kilogramm —, Bildung der länd lichen Bevölkerung, Aufteilung der Latifundien, innere Kolonisa tion in größtem Stil. Notwendig dazu ist Kapital. And dafür hoffen die Österreicher und Angarn auf den Absatz ihrer ländlichen Pfandbriefe in Deutschland, wenn auch nicht nach dem kühnen Plan des Angarn Dr. Palyi, der als eine Bedingung des Wirt schaftsbundes die Bereitstellung von einer Milliarde deutschen Kapitals zu drei Prozent in Aussicht genommen hatte. Im übrigen aber erstreben die Befürworter des Wirtschaftsbündnisses den zollfreien Verkehr landwirtschaftlicher Produkte zwischen Deutschland und Österreich-Angarn als wichtigstes Förderungsmittel
für die Zukunft. Die deutsche Landwirtschaft brauche das nicht zu fürchten, denn für die Gegenwart (zu diesem Ergebnis kommt von deutscher Seite auch Prof. Eßlen in dem Sammelwerk des Vereins für Sozialpolitik) könne eine irgendwie als Konkurrenz fühlbare Mehrlieferung landwirtschaftlicher Produkte nicht in Frage kommen und auch die Erhöhung der österreichisch-ungarischen Produktion werde doch nur allmählich vor sich gehen, sicher nicht sehr viel schneller als die Vermehrung der Bevölkerung in beiden Reichen. Aber den Landwirten in Österreich-Angarn würde sich dadurch die Aussicht eröffnen, die Mehrproduktion, die man von ihnen wünsche, nicht zu Weltmarktspreisen auf freien Märkten, sondern auf dem geschützten Inlandsmarkte zu Inlandspreisen absetzen zu können. And das werde einen starken Anstoß zur Intensivierung der Wirtschaft geben. Wenn diese Rechnung, was 47
allerdings
nach
den
bisher in Österreich-Angarn
beobachteten
Schutzzollwirkungen durchaus nicht sicher ist, in Erfüllung ginge, wäre das ein Segen für Österreich-Angarn, und Deutschland würde
dadurch wenigstens in der Zukunft, wenn auch durchaus nicht in der Gegenwart, von fremder Lebensmittelzufuhr relativ unab hängiger. Allerdings würde es sich damit auch neue Interessenten am Agrarhochzoll gewinnen. Eine Lebung der Landwirtschaft in Österreich und Angarn würde die Erzeugung von Werten im Lande steigern, sie würde mehr Menschen im Lande halten, sie würde die Kauflraft der länd lichen Bevölkerung heben und sie würde damit dem Grundübel steuern, unter dem die Industrie des Donaureichs vor allem leidet, der Kleinheit und Enge des Marktes. Jener Teil der Bevölkerung, der als Produzent und Konsument modernen Stils in Betracht kommt, ist auf höchstens 20 bis 22 Millionen Köpfe zu schätzen, sagt Pistor. Mit dieser „Beschränktheit des Marktes, die in dem geringen Wohlstand der Bevölkerung, ja in der Armut und Kulturrückständigkeit ganzer Völker oder wenigstens Volksteile, besonders der agrarischen, begründet ist, um so mehr, je weiter östlich sie liegen", muß die österreichische Industrie ständig rechnen. Sie spiegelt sich in der geringen Zahl großer und mittlerer Städte: auf der 580 Kilometer langen Strecke von Passau bis Budapest liegen nur drei größere und fünf kleinere Städte, von Budapest abwärts bis Belgrad (1053 Kilometer) liegen überhaupt nur drei Städte. And dazu kommt nun eine außerordentliche Zer splitterung dieses beschränkten Marktes nach nationalen und re gionalen Verschiedenheiten. „Womöglich jedes Tal in den Alpen, im Karst, in den Karpathen will gemäß seiner nationatwirtschaftlichen Tradition eigens ausgestattete Waren haben, nicht nur Stoffe und Zubehör, nein, auch Gebrauchsgegenstände. Welche unendliche Erschwerung bedeutet nicht für die Industrie und ihren Absatz die tausendfältige Bemusterung und die Schwierigkeit in der Bestellung der richtigen Reisenden hinsichtlich Sprachen und Volkssitten." So Pistor. Es wird richtig sein, was er hervor hebt, daß dieses Sammeln des außerordentlich zersplitterten heimischen Bedarfs die österreichische Industrie auch unendlich erfinderisch mache in der Verstellung der Muster und ihrer Anordnung, in der Schulung der Verkäufer zur Anpassung und Vielseitigkeit. Aber viel schwerer als diese gute Folge wiegt doch die schlimme: daß
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die österreichische Industrie infolge der Kleinheit und der Zer splitterung ihres Marktes das Wichtigste entbehren muß, was der modernen Industrie niedrige Selbstkosten und damit Konkurrenz fähigkeit gibt, die Arbeit für den Massenbedarf nach ein heitlichen Typen. Ein österreichischer Textilindustrieller, den ich traf, zeigte mir statt aller Erörterungen seine Preisliste: sie umfaßte 66 Seiten, während eine gleich große Fabrik in Deutschland mit 10 Seiten auskäme! Diese Kleinheit von Produktion und Absatz verteuert die Generalunkosten. Sie verhindert die Aufstellung von Maschinen, die Fabrikattonsvotteile sichern, sie lähmt schließlich den Trieb zu technischer Vervollkommnung. And dämm kommt aus großen Teilen der österreichischen Industrie jetzt der Ruf nach dem großen Markte, nach der Herstellung des einheitlichen Wirt schaftsgebietes mit Deutschland und nach dem Anschluß an den Weltmarkt. Nur denken sich, wenn man näher zusieht, verschiedene Gruppen dabei, wie bei dem Wittschastsbündnis überhaupt, doch sehr verschiedenes. Die Männer, die in Österreich-Angarn unter wirtschasts-
polittschen Gesichtspuntten am begeistertsten für ein Wirtschafts bündnis mit Deutschland eintreten, erhoffen davon für ihren Staat viel mehr als die unmittelbaren Vorteile erleichterten Waren austausches. Wie sie für die Landwirtschaft (und da vor allem für die ungarische) nicht nur die Möglichkeit eines vermehrten Absatzes, sondem eben aus dieser Möglichkeit den stärksten Antrieb zu einer Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebes durch die Landwirte selbst wie durch staatliche Maßnahmen erwarten, so soll die von ihnen geplante Herstellung eines einheitlichen Wirtschafts gebietes auch der Industrie noch mehr geben als die an sich schon außerordentlich wichtige Möglichkeit zur Spezialisierung und zur Typenfabrikatton für einheitlichen Massenbedarf. Sie rechnen durchaus mit einem verschärften deutschen Wettbewerb. Aber sie wünschen für die österreichische Industrie diesen Wettbewerb geradezu herbei, damit er einen frischen Wind in den ganzen Be trieb von Staat und Wirtschaft hineinbringe. „Der Schlendrian soll aufhören. Ansere Fabrikanten sollen gezwungen werden, ihre Kräfte zu regen, dann werden sie sich selbst über ihre Kraft wundem." Rohstoffe und Halbfabrikate sollen, nicht mehr durch hohen Zoll verteuert, konkurrierend nach Österreich kommen, um so die Diktatur der tatsächlich oft eine Monopolstellung genießenden Dringliche Wirtschaftsfragen,
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aq
Kartelle zu brechen: „Denn diese Kartellherrschaft, besonders in der Eisenindustrie ausgebildet, aber auch sonst über ein weites Gebiet der unteren Industrieproduktion der verschiedensten Branchen sich erstreckend, ist heute durch ihre enge kapitalistische Verbindung mit den Großbanken und durch ihre intimen Beziehungen zu den politisch einflußreichsten Stellen trotz aller Gegnerschaft eigentlich unangreifbar. Der Eisenbahnbau, die Errichtung von Läufern und Fabrikanlagen und die ganze Weiterverarbeitung werden durch sie in einer oft direkt vernichtenden Löhe vorbelastet." And auch für den Kreditverkehr will man diese deutsche Konkurrenz: „Wir wollen direkt, daß deutsche Großbanken in Wien Filialen errichten, damit unsere Industrie von der Monopolherrschast der österreichischen Bankwelt befreit werde, damit sie reichlicher und billiger Kredit und Kapitalisierung finde; dann werden fich auch unsere Zahlungsbedingungen und Zahlungssitten bessern, was außer ordentlichen Vorteil brächte." Deutsches Kapital soll nach Österreich und Angarn strömen und zum Ausbau der Wirtschaft
kräftig mithelfen. Vor allem aber sollen mit der Niederlegung der Wirtschaftsgrenzen nicht nur deutsche Waren nach Österreich kommen, sondern auch Menschen, Anternehmer und qualifizierte Arbeiter im Austausch, und schließlich — moderne Verwaltungs ideen. „Anser gewerbliches Leben leidet ja nicht nur an den na türlichen Schwierigkeiten wie der Enge und Zersplitterung des heimischen Marktes oder den hohen Frachtkosten, die darauf be ruhen, daß unsere Bahnen furchtbar teuer gebaut worden sind, vetteuert auch noch durch die gebirgige Natur des Landes, und daß infolge der geringen städtischen und industriellen Entwicklung Waren und Reisende immer auf verhältnismäßig weitere Strecken als in Deutschland transportiert werden müssen. Es leidet an der Vorherrschaft des Agrariertums und an einer kleinbürgerlichen Industriefeindschast und an allem, was daraus folgt: einem völlig ungenügenden Eisenbahnsystem, einer rückständigen Aktiengesetz gebung, die durch Konzessionszwang und ähnliche Dinge die modeme Vergesellschaftung des Kapitals ungeheuerlich erschwert, an einer Steuergesetzgebung, die der Industrie und insbesondere den Aktiengesellschaften ganz unverhältnismäßige Lasten auferlegt, am ungenügenden Ausbau der Sozialgesetzgebung, der Gewerbe ordnung und anderem mehr. And es leidet unter den Einwirkungen des Nationalitätenproblems, die eben auch nur in der engen Ab50
geschlossenheit sich mit solcher Schärfe geltend machen können, indem dadurch auf der einen Seite der Staatshaushalt durch ein Äbermaß nationaler Beamten, durch den Bau nationaler, unren tabler Eisenbahnen und ähnliches, enorm verteuert wird (so daß allein die Ersparnismöglichkeit im Beamtenetat hieraus auf 300 Millionen Kronen im Jahre berechnet worden istl) und indem auf der anderen Seite geradezu eine nationale Klausur der Industrie geschaffen wurde: für nationale Staatsinvestitionen wird nationales Material aus nationalen Fabriken gefordert, die dann oft erst eigens dafür errrichtet werden müssen, auch wenn die vor handenen Produktionsstätten längst für den möglichen Absatz aus reichen, also ungarische Waggons, böhmische Lokomotiven, galizische Nägel und so fort." So und ähnlich, mit immer neuen Beispielen und Varia tionen, haben mir viele österreichische Wirtschaftspraktiker und Wirtschaftskenner ihre Nöte geschildert, deren Liste, gerade was Verwaltung und Gesetzgebung angeht, damit noch lange nicht er schöpft ist. And nun rechnen die Vorkämpfer des vollständigen Wirtschaftszusammenschluffes so: Kommt jetzt das einheitliche Wirtschaftsgebiet und mit ihm die deutsche Konkurrenz, dann muß alle diese künstliche Hemmung fallen. Dann wird die In dustrie ein so durchschlagendes Argument für ihre Reform forderungen haben, daß aller Widerstand vergeblich ist. Dann kommt die Reform an Laupt und Gliedern, die der Staat braucht, um nach den Opfern des Krieges wieder zu erstarken. Dann können die Schätze gehoben werden, die heute noch in österreichAngarn ungenützt liegen, in seinem fruchtbaren Boden, in seinem Wald und seinen Wasserkräften, in dem Verkehrswege der Donau, die ausgebaut und mit den deutschen Strömen zu einem einheit lichen, großen Netz verbunden werden muß, in seinen begabten Völkern, deren „zahllose Talente bisher vergeblich auf einen weiteren Kreis der Betätigung in der Leimat hoffen". Niemals aber, so fügt diese Richtung hinzu, sei dieser geschichtliche Schritt so leicht zu tun wie gerade jetzt. Nicht nur, weil alle Zollsätze durch den Krieg doch ganz problematisch geworden sind, sondern auch wegen der anderen, Positiven Wirkungen des Krieges. Denn die Industrie stehe ja doch vor einem ganz neuen Aufbau: alle Anternehmungen, die sich auf den Kriegsbedarf des Leeres oder der Zivilbevölkerung eingestellt hätten, müßten sich nach dem Kriege
neu überlegen, was sie denn künftig produzieren sollen; die alten Fabrikeinrichtungen seien zum Teil umgearbeitet, zum Teil ver braucht; die Industrie hat sich aus den Kriegsgewinnen in großem Umfange abgeschrieben, und jetzt vollziehe sich ein großer Auslese prozeß der Unternehmungen und der Unternehmer, indem diejenigen, die sich einer schweren Zukunft nicht gewachsen fühlen, sich nach den reichen Profiten der Kriegszeit zurückziehen, viele Betriebe sich fusionieren usw. Die österreichische Industrie habe sich im Kriege glänzend bewährt, und alle Schichten der Bevölkerung hätten im Kriege gelernt, ihre Kräfte ernsthaft anzufpannen; nun dürfe man nicht mit der Bequemlichkeit, sondern man müsse mit der Tüchtigkeit gehen, um vorwärts zu kommen und nicht wieder in den alten Trott zurückzufallen. Schließlich würde nach dem Krieg der Staat so große Aufträge an die Industrie, und natür lich an die heimische, vergeben, daß gerade für die erste Äbergangs-
zeit die Industrie eine große Stütze hätte. Darum: volle Zoll freiheit zwischen Deutschland und österreich-Ungarn, volle Frei zügigkeit für Menschen und Kapital und Angleichung des Rechts wesens, des Verkehrswesens, des Verwaltungswesens auf jedem möglichen Gebiete. Das alles klingt auf den ersten Blick sehr überzeugend und es übt auch in der Tat in öfterreich eine starke Wirkung auf die Massen. Aber jener kritische Kopf hatte bisher wohl recht, der mir sagte: „Die Gefolgschaft dieser Gedanken ist um so größer, je weiter man sich von der Industrie entfernt." Wohl gibt es eine Reihe von Industriezweigen, die sich restlos jenem Programm anfchließen: die Leinenspinnerei und -Weberei, Teile der Tuchund Glasindustrie, die Gablonzer Exportindustrie und andere, die durch besondere Ausbildung in geschmackvoller Formgebung und künstlerischer Ausstattung ihrer Erzeugnisse schon jetzt vor Deutschland einen Vorsprung haben. Es gibt auch manchen Fabrikanten, der ruhig sagt: „Ich werde bei Zollfteiheit weniger verdienen, aber dasür werden meine Söhne und Enkel den Vorteil des großen, einheitlichen Wirtschaftsgebiets haben." Die große Mehrheit der Industrie denkt aber anders. Und deshalb drehen sich die Er örterungen der Praftiker — die den Gedanken der zwischenstaat lichen Zollfteiheit schon für vollkommen tot und erledigt erklären — jetzt hauptsächlich um die Frage einer Ermäßigung der Zwischen zölle zwischen Deutschland und österreich-Ungarn. Die
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österreichische Industrie, so argumentiert diese Richtung der tem perierten Wirtschaftsbundsanhänger, sei heute noch nicht so weit, um den völlig ungehinderten Wettbewerb der Deutschen aus dem eigenen Markte auszuhalten.
Aber auf eine ganze Reihe von
Zöllen könne man in der Tat im Verkehr der beiden Reiche ver zichten, und eine weitere sehr große Zahl von Zöllen sei in diesem zwischenstaatlichen Verkehr starker Ermäßigung fähig. Gehe man davon aus, daß der Zoll den Ausgleich der Produttionskosten darstellen solle, so seien die zwischenstaatlichen Zölle offenbar in all
den Fällen überflüssig, in denen die Außenzölle in den beiden
Ländern gleich hoch sind, und in sämtlichen anderen Fällen könnten sie auf die Differenz ermäßigt werden. Nun treffe natürlich diese Voraussetzung keineswegs überall zu; denn viele Zölle entsprechen nicht dem wahren Unterschied der Produkttonskosten, sondern ihre
Löhe ist durch ganz andere Momente bestimmt worden: durch den Wunsch, eine heimische Industrie zur Entfaltung zu bringen; durch den Wunsch, Posittonen zum Abhandeln bei den Vertragsverhandlungen zu haben, die dann niemand abgehandelt hat; durch den Kampf der Interessenten um einen möglichst großen Nutzen aus
der allgemeinen Zollkrippe und ähnliches. Tatsächlich werde also die österreichische Industrie nicht durchweg auf die Zolldifferenz
heruntergehen können, weil viele deutsche Zölle heute erheblich
höher seien, als zum Ausgleich der Produkttonskosten notwendig wäre. Aber nach Maßgabe der Verhältnisse solle man herab gehen. Dann jedoch müsse man — und das ist für diese Richtung vielfach derLaupttnhalt des Wirtschastsbundsgedankens, im Gegensatz zu jener ersten, die zwar das Gleiche anstrebt, aber doch in der Lerstellung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets nach innen für Öfterreich-Angarn das Wichtigste sieht — auch nach außen wirtschafts
politisch geschlossen auftreten. Die Formen dafür können sehr verschieden sein, und die Wünsche dafür sind es auch. Man kann sehr weit gehen, also z. B. einen gemeinsamen Außentarif
aufstellen, mit gemeinsamem Warenverzeichnis, gemeinsamem Tariftext, gemeinsamer Landhabung des Zolltarifs, gemeinsamem Zoll tarifgesetz und prinzipieller Gleichheit der Außenzollsätze, die dann
allerdings durch das Recht zur Erhebung von Zollzuschlägen in allen den Fällen schon wieder durchbrochen werden solle, wo Meinungsverschiedenheiten über die erforderliche Löhe der Zoll
sätze nicht zu begleichen sind und deshalb der niedrigere Satz in 53
den gemeinsamen Tarif ausgenommen würde; die Einsetzung eines ständigen gemeinsamen handelspolitischen Organs, vielleicht nach dem Muster der Generalkonferenz der deutschen Eisenbahnen, würde dieses Gebäude, wie es etwa der Reichenberger Handels kammer vorschwebt, krönen. Oder man könnte in der äußeren Konstruktion auch viel weniger weit gehen, sich mit der möglichsten Angleichung des Zolltarifschemas und der Tarife selbst begnügen. And dazwischen und daneben gibt es noch eine ganze Reihe anderer Wege. Der Kern wäre jedenfalls die Anwendung, die nach diesen Plänen darin zu bestehen hätte, daß die Handelsverträge mit dritten Staaten gemeinsam vorbereitet, die Verhandlungen darüber gemeinsam geführt würden und bei Abschluß dieser Handelsverträge ein „Iunctim" in dem Sinne bestehen müßte, daß der dritte Staat den Vertrag nur mit Österreich-Angarn und Deutschland abschließen kann, nicht aber nur mit einem der beiden Teile, es wäre denn, daß der andere auf den gemeinsamen Ab schluß verzichtet hätte. Deutschland soll, wie es die Reichenberger Kammer ausdrückt, „den mächtigen Einfluß auf fremden Märkten, den es sowohl wegen seines eigenen Konsums wie wegen seiner industriellen Leistungsfähigkeit und endlich seiner weltpolitischen Stellung besitzt, der österreichischen Industrie zur Verfügung stellen, um ihr eine stärkere Beteiligung auf dem Weltmarkt zu ermög lichen". And diese Weltmarktshilfe soll sich nicht auf die Handelsverttagsverhandlungen beschränken, sie soll auch nachher wirksam sein. Es entspräche, so hörte ich mehrfach, nicht dem Wesen des Bündnisses, wenn etwa nach dem Friedensschluß wieder ein deutscher und ein österreichischer Konsul, sagen wir in Belgrad, sich um industrielle Vorteile befehdeten, oder wenn beim Bau von Bahnen in Kleinasien die deutsche Industrie der österreichischen alle Schienenaufträge wegschnappte. Die österreichische Industrie und das österreichische Kapital müßten nach Maßgabe der Ver hältnisse an Deutschlands wirtschaftlichen Auslandsunter nehmungen, an Eisenbahn-, Schiffahtt-, Bergbaukonzessionen und ähnlichem beteiligt sein. Mit einem Worte: Deutschland solle Österreich-Angarn auf seinem großen Schiffe mit
in den Weltmarkt hinausnehmen. Das sind die Anhänger des wirtschaftlichen Bündnisses. Es gibt aber auch sehr entschiedene Gegner wenigstens jeder zollpolittschen Annäherung, und deren Einfluß ist sehr mächtig und 54
reicht hoch hinauf. Daß bei dieser Gegnerschaft auch rein poli tische Gründe mitsprechen, wurde bereits angedeutet; die deutsche Politik wird das nicht übersehen dürfen. Wirtschaftspolitisch aber wird sie etwa so begründet: Wer mit dem Wirtschaftsbund bei den Zöllen anfange, der baue vom Lause zuerst das Dach. Man möge zunächst einmal alle die Adelstände ausgleichen, durch die die österreichische Industrie heute gegenüber Deutschland im Nachteil ist, zu den vielen schon genannten auch noch die ungünstige geographische Lage, die Unbildung großer Bevölkerungsteile usw. — dann könne man gern auf die Zölle verzichten. Erwarte man aber diesen Ausgleich, der sich in jedem Falle doch nur langsam voll ziehen könne, gerade davon, daß man die österreichische Industrie auch noch des Schutzes gegen ihre deutsche Konkurrenz beraube, so sei das eine Gewaltkur, bei der der Patient leicht sehr viel schneller mit Tod abgehen könnte. Gewiß sei Spezialisierung ein ausgezeichnetes Programmwort. Aber zu verwirklichen sei es nur in Aufstiegszeiten bei ständig, wenn auch in Kurven, wachsendem Bedarf, wo die Spezialisierung tatsächlich lohnt, nicht dann, wenn die Aussichten gänzlich unklar sind und möglicherweise bei unzu reichendem Bedarf jeder nach jeder Arbeit sich drängen wird. Labe man denn eine Gewähr dafür, daß die österreichische Industrie nicht vielleicht schon längst begraben wäre, bevor sie überhaupt dazu käme, sich zu spezialisieren? And würde die Spezialisierung nicht möglicherweise einfach so aussehen, daß die eigentliche Groß industrie, wie Eisen, Eisenverarbeitung, Maschinen usw. — also das, was den Kem jeder Industrialisierung eines Landes ausmache und worauf ein selbständiger Staat grade nach den Erfahrungen dieses Krieges unmöglich verzichten könne — nach Deutschland wandere, während Österreich die Arbeit für den Schmuck des
Lebens, für Geschmack, Mode, Luxus behielte? Schließlich: deutsches Kapital hätte man gewiß gern auch für die österreichische Industrie. Aber sei es nicht gerade durch die Zölle nach Österreich gekommen, die die deutsche Industrie zwangen, in Österreich Filialwerke zu errichten, um die Zollmauern zu überspringen, und werde es nicht gerade durch ein Zollbündnis abgehalten werden, das solche Ab zweigungen überflüssig machte? Natürlich solle man sehen, was sich machen lasse. Ein Kooperieren bei den Landelsverträgen mit Dritten könnte sich Österreich schon gefallen lassen. And im übrigen sei mancher Zoll sicher zu ermäßigen.
(Die gegenwärtige Löhe
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der Eisenzölle wird offenbar auch von der Eisenindustrie selbst
schon preisgegeben.) Aber andere würden auch erhöht werden müssen. Das sei nicht nach Doktrinen, sondern nur nach Tat
sachen zu entscheiden. So urteilen natürlich in erster Linie die Kreise, denen es, im
Gegensatz zur Gesamtwirtschast, unter den alten Verhältnissen sehr gut gegangen ist, die nach dem Motto „Kleiner Aussatz, großer
Nutzen" bei der Beschränktheit der österreichischen Wirtschafts entfaltung sehr behaglich ohne viel störende Konkurrenz gelebt und reichlich verdient haben: die Banken, die ihren außerordentlichen Einfluß nicht geschmälert sehen und von ihren industriellen Milch kühen unvermindette Dividenden und Tantiemen beziehen wollen, die Schwerindustrie mit ihrer vielfach ganz exorbitant hohen Rente und ähnliche. Daß die Argumente nicht in allem stichhalttg sind, ist klar: ist doch z. B. auf Grund der Bekundungen in der Kartell
enquete berechnet worden, daß eines der großen Eisenwerke sogar ohne jeden Eisenzoll noch eine sehr anständige Rente abgeworfen Indessen findet man solche skeptischen Stimmungen auch in anderen, uninteressierten Kreisen. And in der Industrie selbst sind sie vielleicht verbreiteter, als man jetzt aus den Landelskammerhätte.
beschlüssen und -berichten erkennen kann.
Es klingt ja wie ein
großer Gegensatz, wenn der eine sagt: „Ich bin dagegen; aber das und das kann man ja machen", und wenn dann der andere mit
Emphase erwidett: „Ich bin dafür; aber natürlich unter der und der Bedingung." Ob indessen die Inhalte dieser beiden Sätze dann, wenn es zur praktischen Entscheidung kommt, sich nicht im wesentlichen decken werden, das ist doch noch sehr die Frage. Auf
den Spitzen der Wirtschaft ist jedenfalls die Stimmung unendlich viel kühler und krittscher als in den Niederungen. Da spricht man mit ärgerlichem Lächeln von den Leuten „ohne Maschinensaal
und Schornstein", die sich leicht begeistern können, weil sie keine Verantwortung tragen, und von den „Schullehrem und Gynäko logen", die jetzt Resoluttonen für Zollunion fassen. Ein sehr mächttger Bankleiter aber sagte mir mit ruhigem Gemüte: „Sie
können jede Wette eingehen, daß alles schließlich doch auf einen Landelsvertrag hinausläuft I" And auch von anderer Seite, der das poliüsche Bündnis ganz gewiß sehr am Lerzen liegt, kann
man die Meinung hören, daß ein guter Handelsvertrag mit dem wirklichen Willen zu gegenseitiger Erleichterung doch vielleicht das 56
Allerklügste wäre, dann wirksam ergänzt durch tatkräftige Verkehrs verbesserungen, durch Rechtsausgleich auf den mannigfachsten Ge bieten und anderes mehr. „Deutschland hat eine schöne, aber arme Frau geheiratet; nun muß es sie natürlich standesgemäß ausstatten, schon damit die Frau nicht doch einmal auf den Gedanken komme, sich einen anderen Liebhaber zu suchen." So sagen die einen, die jetzt alles von dem Bündnis mit Deutschland erhoffen. Für die anderen aber, bei denen die Besorgnis vorwiegt, daß die Frau in allzu herzlicher Umarmung vielleicht erdrückt werden könnte, sei ein Wort angeführt, das mir ein österreichischer Bankdirektor zur Erklärung seiner Vorsicht aussprach: „Wenn eine Leirat auch noch so sehr aus reiner Neigung geschlossen wird, so überläßt man die Abfassung des Ehekontraktes doch nicht den verliebten Braut leuten, sondern tüchtigen Advokaten." Es ist immerhin nützlich, zu wissen, daß einflußreiche Kreise in Österreich das Geschäftliche
der Angelegenheit so realpolitisch und jeden Gefühlsüberschwanges bar betrachten.
V.
Deutschland und Österreich-Llngarn. Fragt man die österreichischen Vorkämpfer des Wirtschafts bundsgedankens, wo nun nach ihrer Meinung die Vorteile des Projekts für Deutschland liegen, so betonen sie gewöhnlich zweierlei. Das eine ist die Vermittlung zum Balkan: nicht nur, daß Österreich-Ungarn die Landbrücke dahin bildet, auch die Wasser straße der Donau, an die deutschen Wasserstraßen angeschlossen, eröffne da noch große Möglichkeiten, und die österreichisch-ungari schen Kaufleute und Industriellen, geschmeidiger und mit den Sitten und Bedürfnissen des Ostens besser vertraut, würden da auch die gegebenen Vermittler für die deutschen Wirtschafts interessen sein. Das zweite aber sei eben die Herstellung des ein heitlichen Wirtschaftsgebietes, mit allen Vorteilen des großen Marktes von 120 Millionen Menschen auch für die deutsche Industrie.
Zu der letzteren Frage nun hat Prof. Frakz Eulenburg in dem Sammelwerk des Vereins für Sozialpolitik eine sehr wert volle Studie über „Die Stellung der deutschen Industrie zum wirtschaftlichen Zweibund" beigesteuert, in der er zunächst unter sucht, wie groß eigentlich bisher die fremde Konkurrenz gewesen ist, die wir bei einer zolltarifarischen Vorzugsbehandlung in Österreich-Angarn günstigstenfalls verdrängen könnten. Vor dem
Kriege stammte von der Einfuhr österreich-Angarns an industriellen
Rohstoffen, Lalb- und Ganzfabrikaten gerade die Äälfte aus Deutschland, nämlich von 2483 Millionen Kronen deren 1246And zwar war das Bild für die verschiedenen Industrien folgendes: Einfuhr (in Millionen Kronen) überhaupt
aus Deutschland
in Prozent
Elektrotechnik.......................... Literatur und Kunst . . . Brennstoffe................................ Papierindustrie..................... Eisenindustrie.......................... Keramische Industrie . . . Maschinen und Apparate. . Leder- und Kautschukindustrie
37,4 63,6 278,9 53,4 85,0 33,0 215,9 188,9
34,2 57,4 223,2 40,3 63,4 23,3 144,0 123,7
92,4 90,2 80,0 75,5 74,6 70,6 66,8 65,6
Chemische Industrie.... Lolz- und Schnitzstoffe. . . Metallverarbeitung .... Edelmetalle................................ Nahrungsmittelgewerbe . . Mineralien................................ Textilindustrie........................... Öle und Larze.....................
117,1 67,8 166,9 60,1 62,6 86,3 905,5 61,5
70,0 35,7 85,3 29,0 19,9 24,7 255,9 16,2
59,8 52,6 51,0 48,3 31,8 28,6 28,3 26,3
I ! i
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In gewissen Industriegruppen, wohl fast allen der ersten Reihe, würde danach von weiterer Verdrängung der fremden Konkurrenz selbst bei voller Zollunion kaum die Rede sein können. Von den 956 Millionen Kronen dieser Gesamteinfuhr liefert Deutschland bereits 711 Millionen, der Rest entfällt vor allem auf Rohstoffe, die Deutschland gar nicht besitzt, oder auf Spezialartikel, für die andere Länder eine gewisse natürliche Überlegenheit mitbringen.
Bei der zweiten Reihe steht es scheinbar anders, da liefert Deutsch land von 1528 Millionen Kronen nur 537. Aber in Wirklichkeit 58
besteht auch da der bei weitem größte Teil der nicht aus Deutsch land stammenden Einfuhr aus unentbehrlichen Rohstoffen, die Deutschland überhaupt nicht liefern kann: von dem gesamten Im port der österreichisch-ungarischen Textilindustrie entfallen nicht weniger als 87 Prozent auf Rohstoffe, und auch von dem Import der anderen Industrien sind noch mindestens 220 Millionen Kronen Rohstoffe, die Deutschland nicht besitzt, verschiedene Erze und Erden, Chemikalien, Gummi und Larze, vegetabilische Färb- und Gerbstoffe, Drechster- und Schnitzstoffe usw. Es bleiben dann noch etwa 200 Millionen Kronen fremde Äalb- und Ganzfabrikate übrig. And das sind in der Hauptsache auch wieder Spezial artikel, in denen ein fremdes Land besondere Fertigkeiten besitzt und Deutschland wohl nicht mitkonkurrieren kann, schwer entbehr liche Halbfabrikate zur Weiterverarbeitung oder viel begehrte Luxusartikel. Ein Teil dieser ganzen fremden Industrieeinfuhr ist zollfrei; bei einem anderen Teile spielen die Zölle gar keine Rolle. And die vollständige Ausschaltung jeder fremden Industrieeinfuhr nach österreich-Angarn ist weder möglich, noch könnte der dortige Verbraucher eine solche Monopolstellung des deutschen Lieferanten wünschen. Aus dieser Antersuchung Eulenburgs ergibt sich zunächst mit Deutlichkeit das eine, daß nämlich, „soweit die Verdrängung fremder Konkurrenz in Frage kommt, sich die Vorzugs behandlung für die deutsche Industrie als eine große Illusion erweisen und ihr kaum nennenswerte Vorteile bringen würde". Sehr viel schwerer zu beantworten ist die Frage des deutschen Wirtschaftsintereffes natürlich dann, wenn man nicht nur die Ver drängung ausländischer Einfuhr nach österreich-Angarn, sondern viel
mehr eine wirklich intensive Arbeitsteilung zwischenDeutschland und Hsterreich-Angarn ins Auge faßt, wenn man also
weniger an die Differenzierung der Zölle nach außen, als an die Ver stellung eines einheitlichen Zollgebietes im Inneren, ohne alle oder mit nur wenigen, mäßigen Zwischenzöllen, denkt. Denn da versagt zum großen Teile die Statistik, die nur das Gewesene zeigt, und an ihre Stelle tritt die Phantasie, die sich das Zukünftige ausmalt. And niemand wird bestreiten wollen: in einem solchen Plane liegt Phantasie. Auch als der Deutsche Zollverein im Jahre 1833 ge schaffen wurde, hat niemand seine gewaltigen Wirkungen voll im voraus abschätzen können. And Möglichkeiten mannigfacher Art, 59
wenn auch schwerlich derart weittragende, würden sich in einer längeren Zukunft auch bei einem deutsch-österreichisch-ungarischen Zollverband ergeben, Möglichkeiten vielleicht weniger für das Be stehende, als für Neues, künftig zu Schaffendes, wenn z. B. die Ausnützung neuer Erfindungen und technischer Fottschritte sogleich für das ganze, gemeinsame Wirtschaftsgebiet ins Werk gesetzt würde, und ähnliches. Das soll man nicht zu gering ein schätzen, um nicht möglicherweise nachher von der Geschichte blamiert zu werden. Aber wenn das stark betont istj, dann darf auch das andere gesagt werden: nämlich, daß man es auch nicht überschätzen soll, überhaupt nicht, und vor allem nicht für die nächste Zukunft, die doch jetzt, nach der Katastrophe dieses Krieges, vor allem gesichert werden muß. Zunächst ist ja nach dem über die Auffassungen in Österreich-Angarn Berichteten noch durchaus zweifelhaft, ob man dott wirklich Zollherabsetzungen gegen Deutsch land in solcher Zahl und in solchem Ausmaße vornehmen will, daß ernsthaft von einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, nicht bloß von der Beseitigung einzelner, übertrieben hoher Zollpositionen geredet werden kann. Die Männer, die das boxt propagieren, er streben sicher das Beste ihres Vaterlandes. Aber auch wenn diese Optimisten recht haben und nicht die Pessimisten, die darin ein Verhängnis für Österreich-Angarn erblicken wollen, so folgte daraus
doch noch lange nicht, daß sie mit ihrer Ansicht wirklich durch dringen. Denn es ist eine Illusion zu meinen, daß Polittk die Verwirklichung des absolut Besten sei. Gerade die Erfahrungen der auswärtigen Politik, um von allem anderen zu schweigen, sollten vor solcher Illusion bewahren. Politik ist die Diagonale der Kräfte. And unter den Kräften, die sich da kreuzen, spielen materielle und persönliche Interessen der mannigfachsten Art oft eine sehr große und die Vernunft, die uneigennützige Abschätzung des Staatswohls, oft nur eine sehr mäßige Rolle. Jedenfalls kann aber auch Deuschland nur wünschen, daß Österreich-Angarn
lediglich das mache, was ihm selbst mit Sicherheit wirtschaftlich ftommt. Aus politischen Gründen: weil sonst das staatliche Bündnis nur gefährdet, nicht gefördert würde. And aus wirtschaftlichen Gründen: weil nur eine starke österreichisch-ungarische Volkswirtschaft für den deutschen Industrieabsatz wirklich von Nutzen sein kann. Zwar geht Eulenburg zu weit, wenn er be rechnet, daß diese oder jene deutsche Ausfuhr von Produktions-
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Mitteln (Maschinen, chemische Erzeugnisse usw.) nach Österreich. Angarn leiden könnte, wenn diese oder jene Fabrikation in ÖsterreichAngarn bei der Arbeitsteilung im einheitlichen Wirtschaftsgebiet zurückginge. Das Interesse der einzelnen Branchen muß zurück treten, hierbei wie bei der anderen Frage, ob etwa die eine oder andere deutsche Fabrikation bei Niederlegung der Binnenzoll schranken einem verschärften österreichischen Wettbewerb auf dem deutschen Markte begegnen würde; nur das Interesse der Gesamt wirtschaft drüben und hüben darf den Ausschlag geben. Aber sicher ist es richtig, daß Deutschlands ganzes Interesse, politisch wie wirtschaftlich, lediglich dahin geht, daß die Wirtschaft Österreich-
Angarns gehoben werde. Dann steigt auch ihre Aufnahmefähig keit für deutsche Waren. Die österreichisch-ungarische Wirtschaft muß erstarken, so, daß sie nicht nur bestellen, sondem auch be zahlen, nicht nur einkaufen, sondern auch verkaufen kann. Dann wird sie für die deutsche Industrie ein immer besserer Kunde. Diese Lebung ist die einzige, woran Deutschland Interesse hat. Das einzige. And damit ist vor allem ein Plan verurteilt, der von einzelnen Interessentengruppen in Deutschland wie in Österreich-Angarn, von großindustrieller wie von großagrarischer
Seite, eine Zeitlang propagiett worden und in diesen Kreisen wohl auch jetzt noch nicht ganz tot ist: der Plan nämlich, daß man einfach die bestehenden Vertragszölle als Vorzugszölle zwischen Deutschland und Österreich-Angarn beibehalten, die beiden
Länder zusammen aber durch stark erhöhte Zollmauern nach außen abschließen solle. Dieser Plan müßte, wenn er sich in die Öffentlichkeit wagte, aufs entschiedenste bekämpft werden. Er ist unannehmbar. Eine solche Politik des Lochschutzzolls würde den deutschen Absatz nach dem verbündeten Reiche nicht fördern, denn der hat, wie Eulenburgs Ziffern zeigten, an der Verdrängung ftemder Konkurrenz ein herzlich geringes Interesse. Aber sie würde, wie Prof. Eßlen in dem Sammelwerk des Vereins für Sozialpolitik ganz richttg ausführt, „den Abschluß günstiger zoll- und handelspolitischer Vereinbarungen mit den bisher feindlichen und auch manchen neutralen Staaten noch schwieriger machen, als ohne hin schon zu befürchten sein wird; sie würde außerdem zu einer starken Vermindemng der Produküvität der deutschen Arbeit führen und zu hoher wittschaftlicher Belastung der breiten Massen zugunsten der geschützten Wirtschastskreise; das aber muß ver öl
mieden werden, wenn anders das deutsche Volk die gewaltigen finanziellen Leistungen soll tragen können, die auch nach dem günstigsten Friedensschluß das Reich von ihm verlangen muß". Diese Anmöglichkeit wird denn auch von führenden Männern der deutschen Politik und Wirtschaft, ebenso wie in Österreich, in den
weitesten Kreisen ganz durchschaut; der Plan ist aussichtslos und sollte erledigt sein, er wie jeder andere, der dem Gedanken des Wirtschaftsbundes eine aggressive Tendenz gegen dritte Staaten gäbe. Aber aus der geschilderten Situation folgt noch ein zweites: daß nämlich Deutschland überhaupt an einer wie auch immer gearteten Zolldifferenzierung in Österreich-Angarn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur ein äußerst beschränktes, wahrscheinlich gar kein Interesse hat. Den großen Markt, der uns die billige Massenfabrikation nach einheitlichen Typen er möglicht, haben wir durch unseren Weltmarktabsatz in viel voll kommener Weise, als ihn die Arbeitsteilung mit Österreich-Angarn
uns jemals zu geben vermöchte. Im übrigen aber geht unser Interesse, in Österreich-Angarn wie in jedem andern Lande, einfach auf niedrige Zölle, die die Einfuhr unserer Waren möglichst wenig erschweren. Laben wir diese, so ist es für uns durchaus eine Frage minderen Ranges, ob wir diese niedrigen Zölle allein ge nießen oder sie mit anderen teilen: die bisherige Entwicklung unserer Ausfuhr nach Österreich-Angarn zeigt mit völliger Klarheit, daß
wir durch die Billigkeit und die Güte unserer Waren jede fremde Konkurrenz in dem benachbarten Lande auch bei gleicher Zoll belastung zu schlagen vermögen. Daß in der nächsten Zeit der Stand der österreichischen Währung — weil jede Anterwertung der Valuta wie eine starke Ausfuhrprämie und wie ein hoher Einfuhrzoll wirkt — voraussichtlich unserer Ausfuhr dorthin noch große Schwierigkeiten bereiten dürste, sei hier nur nebenbei an gemerkt. Man kann es bei diesem Stande der Dinge nur bedauern, daß eine vielfach dilettantische Agitation für die wirtschaftliche Annäherung der Zentralmächte in Deutschland ganz einseitig sich gerade auf die Zollfrage geworfen hat, so sehr, daß sie damit zum Teil sogar in Österreich-Angarn selbst noch mehr falsche Be fürchtungen als falsche Hoffnungen erweckte. Das ist heute doppelt verfehlt, wo alle Zollfragen — wir zeigten es früher — derart problematisch geworden sind. Es übersieht aber auch, in wie
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weitem Umfange tatsächlich eine Wirtschastsverbindung zwischen Österreich-Ungarn und uns bereits besteht: vom österreichisch
ungarischen Außenhandel entfallen, wie erwähnt, bei Ein- und Ausfuhr rund 40 Prozent, also zwei Fünftel des Ganzen, auf den Verkehr mit dem Deutschen Reich; österreichische und ungarische Wertpapiere, Staatsanleihen vor allem, sind im Be trage von mehreren Milliarden bei uns untergebracht; das Haupt ziel der österreichisch-ungarischen Saisonwanderung ist Deutschland; wir haben mit Österreich-Ungarn das Binnenporto im Brief- und Telegraphenverkehr u. a. m. Diese längst natürlich gewachsene Ver bindung wird durch die gemeinsamen Wirtschaftsprobleme bei Friedens schluß (Rohstoffbeschasfung, Frachtraumfrage, Währung usw.) noch enger werden. Und sie läßt sich auch für die Friedenszeit danach zielbewußt weiter befestigen und ausbauen, durch Mittel, von denen ohne weiteres feststeht, daß sie beiden Teilen nützen können. Man kann im Rechtswefen, im Verkehrswesen der Wasserstraßen und Eisenbahnen, im Patentwesen usw. außerordentlich vieles ver einheitlichen und damit neue, sehr wichtige Bande für die Staaten und ihre Bürger schaffen, einen immer stärker stutenden Verkehr herüber und hinüber; man kann dieses gegenseitige Sichkennenlernen, das wechselseitige Anregen und Befruchten, wofür ja schon die gemeinsamen Taten der verbündeten Leere die Grundlage ge schaffen haben und das für das politische Bündnis doch eigentlich die Lauptsache ist, planmäßig auch durch Zusammenarbeiten aller möglichen Fachvereine und Organisationen auf den mannigfaltigsten Gebieten fördern. Und Deutschland kann sicher auch noch viel mehr tun, wenn es gewünscht wird. Sehr vieles von dem, was man in Österreich-Ungam jetzt für die Lebung der Wirtschaft er
strebt, ist ja innere Angelegenheit der beiden Teile der Monarchie; vor allem das, was auf eine stärkere Energieanspannung der Menschen, auf bessere Unterrichtung der Bevölkerung und auf die ungeheuer wichtigen Reformen in der Gesetzgebung und Verwaltung abzielt. Aber bei manchem kann Deutschland helfen. So beim Ausbau der Verkehrswege, durch Bereitwilligkeit zum Anschluß nicht minder als durch Weitherzigkeit bei der Finanzierung. Und überhaupt durch Lergabe von Kapital und selbst von Menschen. Einen allzu großen Überfluß an beiden werden wir ja nach dem Kriege wohl selbst nicht haben. Und wenn man heute in Öster reich die Ansicht hören kann, daß die Finanzierung der habs-
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burgischen Monarchie im Ausbau ihrer Wirtschaftskräfte ein Milliardengeschäft sein würde, das glänzend rentieren müßte, so ist darauf doch zu bemerken, daß wir das Rechnen mit Milliarden nach dem Kriege schleunigst einstellen und uns wieder daran ge wöhnen wollen, daß man auch in Millionen sehr anständige Ziffern ausdrücken kann. Dies bedacht, werden sich dann aber hoffentlich doch Möglichkeiten ergeben, zumal einfach die Notwendigkeit dazu zwingen wird; wir werden uns dafür in Italien kapitalistisch des interessieren und werden wohl auch für russische Staatsanleihen, russische Eisenbahnobligationen und russische Bankaktien künftig weniger Leidenschaft aufbringen. Jedenfalls gibt es sehr nützliche und sehr wirksame Methoden der Annäherung — die ja überhaupt mindestens ebenso sehr von der bundesgenössischen Gesinnung bei jeder einzelnen Maßnahme wie von formellen Vertragsabmachungen abhängt — auch außer halb der Zoll- und Handelspolitik. Ob diese mit hineinbezogen werden soll in die „Arbeitsgemeinschaft des Friedens im Dienste der wirtschaftlichen und kulturellen Wohlfahrt der immer fester verbündeten Länder", die nach den Worten des deutschen Reichskanzlers vom 5. April „der treuen Kriegskameradschaft folgen muß und wird", das ist für Deutschland eine rein poli tische Frage, nicht oder nur in geringem Maße (unvorhergesehene Entwicklungen vorbehalten!) ein Gegenstand seines direkten wirt schaftlichen Interesses. Die Fragestellung lautet dann einfach: ob es aus rein politischen Gründen, wobei auch die polnische Frage nicht zu vergessen ist, beiden Teilen wünschenswert und nützlich erscheine, das als notwendig erkannte Bündnis der beiden Mittelmächte wie durch engere staatspolitische und militärische, so auch durch engere handelspolitische Abmachungen noch fester zu knüpfen. Wird diese politische Frage (die in diesem Zusammen hangs, wo wir über Krieg und Handelspolitik sprechen, nicht näher behandelt werden soll) aus politischen Gründen prinzipiell bejaht, so ist die Marschroute für beide Reiche, wie es scheint, gegeben. Denn dann muß sich Osterreich-Angarn klar darüber werden,
was es will, und Deutschland darüber, was es kann. Diese Reihenfolge schließt natürlich nicht aus, daß man sich über alles das, über die reinpolitische Vorfrage sowohl wie über das wirtschaftspolitische Wollen und Können auf beiden Seiten, gemeinsam unterhalte. And tatsächlich hat man ja damit jetzt j64
auch begonnen, in den Ausgleichsverhandlungen zwischen Österreich und Angarn, die diesmal, als erste Voraussetzung jeder Abmachung zwischen Deutschland und dem Donaureiche, einen langfristigen Ausgleich von mindestens zwanzig Jahren statt der sonst üblichen zehn zum Ziele haben, sowie in den nebenherlaufenden Bespre chungen zwischen Berlin und Wien-Budapest. Aber sachlich bleibt die Reihenfolge wichtig, weil man bei uns erst sehen muß, welche Konsequenzen nun die Regierungen in Österreich und Angarn aus den sehr auseinandergehenden Wünschen, Meinungen und Be fürchtungen im eigenen Reiche ziehen wollen, bevor Deutschland sich einigermaßen klar darüber werden kann, was es davon zu erfüllen imstande ist. Wie weit diese Erfülluttgsmöglichkeit für Deutschland geht, das ergibt sich grundsätzlich aus den Lebensbedingungen der deut schen Volkswirtschaft. Deutschland braucht auch nach dem Kriege die Welt. Dieses freie Weltreich der Arbeit zum Ein- und Ver kauf kann uns Österreich-Angarn nicht ersetzen, und auch der Balkan, zu dem es uns die Brücke bildet, kann es nicht. Wir haben, um noch einmal die Ziffern sprechen zu lassen, im letzten Friedensjahre nach Österreich-Angarn nur 10,9 Prozent unserer Gesamtausfuhr exportiert, von unserer Ausfuhr an Fertigfabrikaten sogar nur knapp 9 Prozent, weniger sogar als nach Rußland; und die Balkanländer figurieren in der Liste unserer Käufer mit sehr geringfügigen Bettägen, nach der Türkei gingen 1 Prozent, nach Bulgarien 0,3 Prozent, nach Griechenland 0,2 Prozent, nach Rumänien 1,4 Prozent unserer Ausfuhr. Mit der Einfuhr steht es nicht wesentlich anders. Der Südosten kann uns weder die Waren liefern, die wir nötig haben, noch uns die Waren abnehmen, die wir absetzen müssen; die Entwicklungsmöglichkeiten der Zukunft aber, die gewiß vorhanden sind, liegen fern und wer den uns in absehbarer Zeit viel eher Ansprüche an Kapital und Menschen als Früchte bringen. Wir brauchen die Welt, wie sie zum Glück auch unseren kauflrästigen Martt und unsere hoch qualifizierte Arbeit braucht. And deshalb, wir wiederholen es, heißt unser handelspolittsches Kriegsziel, wenn wir es in diesem Stadium der Dinge einfach nach unseren Bedürfnissen formulieren: Gleichberechtigung, Meistbegünstigung und offene Tür. Wir brauchen keine Bevorzugung, wenn wir nur in wichtigen Teilen der Erde nicht benachteiligt werden; wir brauchen keine reservietten Dringliche Wirtschaftsfragen. Heft 2. 6
Interessensphären, wenn es uns im Friedensvettrage gelingt, die Tür überall offenzuhalten und sie dort zu öffnen, wo sie bisher,
wie z. B. in den französischen Kolonien, halb oder zu drei Vierteln geschloffen war. Daraus aber folgt: wir können mit österreich-
Angarn, wenn die politische Vorfrage gelöst ist, handelspolitisch alles daS, aber auch nur das vereinbaren, was uns die Meist
begünstigung in den handelspolitischen Abmachungen mit Dritten (vorausgesetzt, daß wir sie sonst durchsetzen können) nicht zerstört. Wie viel oder wie wenig das sein kann, darüber ist ein theoretisches Arteil nicht möglich. Denn das entscheidet sich nicht nach Theorien, die in den Lehrbüchern stehen, sondern nach den
tatsächlichen Interessen der anderen, nach der Geschicklichkeit der
Anterhändler, nach dem Schwergewicht dessen, was man selbst in die Wagschale zu werfen hat, und jetzt auch noch nach der Gesamt lage in der Welt bei Friedensschluß. Es gibt Praktiker der Landelspolitik, die in dieser Einsicht sehr zuversichtlich urteilen, besonders in Österreich. Sie rechnen, daß die handelspolitische Stellung der beiden Mittelmächte nach außen bedeutend gestärkt
werde, wenn sie bei Verhandlungen mit Dritten als einheitlicher, geschlossener Körper mit einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen Menschen austreten; wobei sie steilich zugeben, daß bei der viel geringeren Kaufkraft Österreich-Angarns die handelspolitische Stärke Deutschlands durch eine Zusammenlegung nicht einfach im Ver
hältnis der Bevölkerungszahlen wachse und daß auch das Maß
der Einheitlichkeit möglicherweise gerade auf österreichisch-ungarischen Wunsch durch Zollzuschläge und ähnliches sehr beeinträchttgt wer den könnte. And sie rechnen ferner, daß durch binnenstaatliche Zollerleichterungen und Zollbeseitigungen, die sich die beiden Mittel
mächte gegenseitig einräumen würden, ohne daß — denn dies ist ja der springende Punkt — diese besonderen Erleichterungen durch die allgemeine Meistbegünstigung allen anderen Saaten gleichmäßig mit eingeräumt werden, die Interessen Dritter nicht allzusehr be troffen werden, zumal man sich ja, wenn man schon noch Zwischen zölle beibehalte, bei den einzelnen Zollpositionen und Zollsätzen darauf einrichten könne, solche Interessen möglichst zu schonen.
Das, was das deutsche Wirtschastsintereffe an solchen Bevor zugungen so gering macht, nämlich daß Deutschland dadurch nur herzlich wenig stemde Einfuhr in österreich-Angam verdrängen
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könnte — gerade das beweise auf der anderen Seite, wie wenig die anderen davon zu fürchten hätten. Aber das Interesse speziell der Neutralen hat die Reichenberger Landels- und Gewerbe kammer eine Berechnung angestellt, deren Ergebnis etwa fol gendes ist: Die Gesamteinfuhr nach Österreich-Ungarn in solchen zoll pflichtigen Waren, die sowohl aus dem Deutschen Reiche wie aus den neutralen Staaten kommen, betrug unter Weglassung der Einfuhren unter Z00000 Kronen im Jahre 1913 rund 448 Millionen Kr., wovon 310 Mill, auf Deutschland, 138 Mill, auf 17 neutrale Lieferanten fallen. Scheidet man jene Lerkünfte aus, deren Ersatz durch Deutschland unmöglich ist, so bleiben als Bereich der Konkurrenz zwischen Deutschland und den neutralen Staaten höchstens 128 Mill. Kr., woran zehn neutrale Gebiete beteiligt find, in erster Linien die Vereinigten Staaten mit 29 und die Schweiz mit 46 Mill. Kr., beides Summen, die in dem Gesamtaußen handel der beiden Länder keine besondere Rolle spielen und deshalb keinen Anlaß zu handelspolitischen Feindseligkeiten geben dürften. — Die Ein fuhr zollpflichtiger Güter, die sowohl von Neutralen als auch von Österreich-Ungarn nach Deutschland gebracht wurden, betrug (ebenfalls unter Weglassung der Einfuhren unter 300000 Mk.) rund 1452 Mill. Mk., woran Österreich-Ungarn mit 412 Mill, und 26 neutrale Lieferanten mit 1040 Mill. Mk. beteiligt sind, darunter die Union mit 292 Millionen. Auch dabei handle es sich in wichtigen Positionen nur scheinbar um eine Konkurrenz, weil z.B. die amerikanische Gerste, die amerikanischen Schmier öle, die Schweizer Baumwollgewebe und die amerikanischen Schuhwaren ganz andere Sorten darstellten als die von Österreich-Ungarn lieferbaren. Reichlich weitere I V, Milliarden der gleichen Waren kamen bisher aus den feindlichen Ländern.
Mithin, so rechnet man, werde das, was Deutschland und österreich-Angarn etwa untereinander vereinbaren, in der Lauptsache eben doch eine interne Angelegenheit der beiden Reiche sein, viel weniger auf eine Verdrängung Dritter, als auf den zwischen staatlichen Ausgleich der beiden Verbündeten gerichtet. Bei den feindlichen Staaten müßte im Friedensvertrag ausgemacht werden, daß diese Vereinbarungen als eine Sache sui generis zu gelten hätten, wodurch die Meistbegünstigung im übrigen nicht tangiert werde. And von den Neutralen erhofft man dann die gleiche An erkennung um so mehr, als ja auch sonst schon in allen Teilen der Welt sehr zahlreiche Zolldifferenzierungen aus dem Prinzip der Nachbarschaft, wenn auch noch nicht zwischen zwei großen, selbst ständigen Reichen, vorhanden sind und ohne Kampf, der immer beide Teile schädigt, anerkannt werden.
Zugeben aber müssen dann auch diese österreichischen Kenner, daß alle diese Fragen für Deutschland ungeheuer viel schwerer wiegen als für österreich-Angarn. Nicht nur, weil Deutschland gewiß nicht diejenigen Neutralen wird vor den Kopf stoßen wollen, die uns während des Krieges Verständnis für unsere Lage gezeigt haben. Deutschland hat ungeheuer viel größere welt wirtschaftliche Interessen zu verteidigen, die eine Einschränkung der Meistbegünstigung zu unseren Angunsten in dritten Ländern nicht vertragen, und diese Interessen sind (das zeigen z. B. bei genauem Zusehen auch die obigen Ziffern der Reichenberger Kammer) sehr viel leichter durch Sonderabmachungen zu verletzen. Das gilt von allen Vereinbarungen über die zwischenstaatlichen Zollverhältniffe, bei denen die Frage, wie unsere anderen handelspolitischen Be ziehungen dadurch berührt werden können, von Fall zu Fall aufs genaueste untersucht werden müßte. And es gilt nicht minder für alle Abmachungen über ein gemeinsames handelspolitisches Auftreten nach außen. Sehr vieles ließe sich hier ohne alle Verträge erreichen, wenn bei ÄandelSvertragsverhandlungen mit Dritten die Anterhändler der beiden Bundesgenossen einfach bundeSgenössisch kooperierten; die dadurch erreichten Vorteile kämen ja dann schon durch die Meistbegünstigung beiden zugute. Soll aber mehr ver traglich festgelegt werden, so wachsen die Schwierigkeiten. Man kann ja gewiß jetzt versuchen, als ersten Schritt ein einheitliches Zolltarifschema für die beiden Reiche herzustellen, was das Kooperieren wesentlich erleichtem und sichern würde (obwohl das unter normalen Verhältnissen eine Arbeit von Jahren wäre). Man kann ferner versuchen, die Außenzollsätze tunlichst auszu gleichen, soweit das ohne bedenkliche Zollerhöhungen für Deutsch land gemacht werden kann (obwohl es eigentlich ein Ding der Anmöglichkeit ist, jetzt, bei der völligen Anklarheit aller künftigen Preis- und Konkurrenzverhältnisse, sich auf einen gemeinsamen Zolltarif für einen langen Zeitraum festzulegen). Bindungen für gemeinsamen Abschluß von Handelsverträgen und ähnliches aber bedürften stärkster Kautelen für Deutschland, das da mit Recht volle Sicherungen fordern müßte, eben weil es so viel größere Interessen zu sichern hat. Vor allem aber: für endgültige, feste Abmachungm auf diesem Gebiete zwischen Deutschland und Öfter-
reich-Angarn ist es jetzt, in diesem Stadium des Krieges, noch zu früh. Man soll mit größtem Eifer — und, woran zu mahnm 68
nicht überflüssig ist, unter Heranziehung der besten Kräfte, die man finden kann — alle Möglichkeiten durcharbeiten, soll das Vor bereitende erledigen und Klarheit über den Weg oder die Wege gewinnen, die man, je nach Möglichkeit, gehen will. Aber was von dem so als wünschenswert Erkannten tatsächlich verwirklicht werden kann, das hängt nicht allein von uns, sondern auch von den anderen ab, mit denen wir ebenfalls zu befriedigenden Ver trägen kommen wollen und müssen. And gefährlich wäre es, würden wir jetzt die anderen durch unser Vorgehen zu Maßnahmen anreizen, die wir vielleicht im Friedensschluß nur schwer und nur unter Opfern zu korrigieren vermöchten, gefährlich nicht minder, wollten wir jetzt schon mit unseren Verbündeten vertragliche Ab machungen treffen, die sich nachher auch nur schwer und auch nur unter Opfern, und vielleicht unter zu großen Opfern, aufrechterhalten ließen. Es klingt ja sehr allgemein und manchem allzu vorsichtig, aber es trifft doch den Kern der Sache, was der Landelsminister Dr. Sydow am 19. Februar im preußischen Abgeordnetenhause erklärte: „Die Regelung des Verhältnisses zu Osterreich-Angarn muß so erfolgen, daß die Interessen, und zwar beider Teile, dabei ihre Rechnung finden. Sonst wirkt eine Regelung nicht verstärkend auf das politische Verhältnis, sondern trennend. Da müssen wir zunächst mal wissen, wie die Kreise von Landet, Industrie und Landwirtschaft in Osterreich-Angarn selbst zu dieser Frage stehen,
und darüber liegt noch ein ziemlich dichter Schleier. Also wollen wir sie mal erst mit einiger Ruhe abwarten. Weiter aber werden wir auf alle Fälle bei der Regelung unserer wirtschaftlichen Be ziehungen zu den uns verbündeten Staaten einen Gesichtspunkt nicht aus den Augen lassen dürfen: wir müssen — das ist wieder das deutsche Interesse — bei diesen Verhandlungen sie so führen, daß dadurch unserem Landel und unserer Industrie nach dem Kriege der Verkehr mit den Neutralen und mit den jetzt noch feindlichen Staaten nicht erschwert oder unmöglich ge macht wird. Beides muß nebeneinander hergehen. Wir brauchen den wirtschaftlichen und kommerziellen Verkehr mit unseren jetzigen Verbündeten, wir wollen ihn uns aber auch mit den neutralen Staaten und mit den feindlichen Staaten offen halten. Also auch hierauf wird Rücksicht genommen werden müssen; wir werden auch in Zukunft für unsere Industrie und unseren Landel den Welt markt nicht entbehren können."
VI.
Schlußbemerkung. Wir stehen damit wieder an dem Punkte, an dem diese Er örterungen über Handelspolitik und Krieg begannen: non liquet, es fehlt am Objekt! Wir können nur im luftleeren Raume philo sophieren, denn die alte Welt, die wir kannten, ist aus den Fugen gegangen, und ihre Stücke kreisen in tollem Wirbel durcheinander, bis irgendwann die Taten unserer Leere groß genug sein werden, daß die Arbeit der Staatsmänner sie irgendwie von neuem zusam menleimen kann. Wir kennen nur das Deutschland vor dem Kriege. Dessen LebensgeseH aber hat ein deutscher Staatsmann kürzlich im Gespräch prägnant mit dem Worte gekennzeichnet: „Deutschland liegt nicht an den Dardanellen, sondern es liegt an der Nordsee." And in diesem Worte, das die Möglichkeiten des Südostens in ihrem tatsächlich vorhandenen Amfang natürlich nicht leugnen will, liegt sehr viel Stoff zu allerlei Nachdenken. Denn der eine Satz enthält das ganze Problem unseres künftigen Ver hältnisses zu England, von dessen Gestaltung jetzt unsere Ent wicklung und die Entwicklung der Welt in den kommenden Jahr zehnten ihre Richtung erhalten muß. Die weitläufige Verflechtung des deutschen Daseins mit dem ausländischen war — so hat im August 1915 in einer Artikelreihe über Grundftagen unserer Weltpolitik die „Frankfurter Zeitung" diese deutsche Lebensfrage erläutert — bisher nur zu verantworten und ist auch weiter nur auftechtzuerhalten, wenn wir entweder, wie die Leitung der deutschen Politik es vor dem Kriege anstrebte, eine den bleibenden Frieden sichernde Verständigung mit England finden oder Englands Seeherrschast und Weltstellung ein für allemal vernichten. „Noch vermögen wir nicht abzusehen, wie der Krieg dieses bleibende Entweder-Oder jeder auf das Meer blickenden deutschen Politik beantworten wird; sollte die englische Seeherr schaft nicht gewaltsam gebrochen werden, so werden beim Friedens schlüsse die Probleme nicht viel anders aussehen als früher, denn England ist für uns nun einmal eine große, vor unserem Eingang ins Weltmeer hingelagerte Barre, die nur schmale und leicht zu 70
sperrende Durchfahrten offen läßt.... Man könnte Deutschland mit einem hohen und weiträumigen Lause in einer alten Stadt vergleichen. Das Fundament besteht aus starken, auf den Felsen
aufgebauten Quadern und ist unerschütterlich. Aber es liegt tief in winkeligen engen Gaffen und die Bewohner können sich kein Laustor schaffen, wie es ihren dringenden Erfordernissen entspricht. Sie haben sich deshalb gewohnheitsmäßig eines breiten Ganges bedient, der vom obersten Stock ihres Gebäudes in ein benachbartes Grundstück führt. Der Besitzer des letzteren ist ein zu Ländeln
neigender Bursche; und immer wieder taucht die Frage auf, ob man ihm endgültig den Prozeß machen oder sich mit ihm vertragen solle; denn ihn und sein Grundstück seitwärts liegen lassen — geht nicht. An den Engländern wird es sein, zu entscheiden, was sie
haben wollen.
Bringt dieser Krieg sie endlich zur Besinnung, so
ist es nicht unmöglich, daß der klaffende Gegensatz von heute überbrückt wird. Beharren sie jedoch auf ihrem anmaßenden Anspruche der Seeherrschaft, so muß es früher oder später zu einem
Endkampfe kommen, in dem das britische Reich zugrunde geht."
Ae ÄlWktlll-PMe 1107-1913 in Mjlnl Von
Arthur Feiler Redakteur der Frankfurter Zeitung.
(X, 204 Seiten, Inhalt:
1.
gr. 8«.)
Der Gang
Preis: 5 Mark.
1914.
der wirtschaftlichen Krisen. —
2. Der
Konjunktur-Llmschwung von 1907. — 3. Die Depression. — 4. Der
Wiederanstieg. Kapitalmarkt
(Die
gewerbliche
1910—12.) —
(Der Balkankrieg.
Der
Konjunktur
5. Das
Abstieg
Ende
1913.)
—
1910—12.
der
Der
Lochkonjunktur.
Das Ergebnis. —
Anhang: 47 Tabellen. Handels-Revue und Allgemeine Verficherungs-Chronik. XXL Jahr gang, Nr. 30, vom 25. Juli 1914: .... Der Verfasser schildert in fesselnder, oft geradezu packender Weise die volkswirtschaftlichen, höchst interessanten Begebenheiten der wechsel vollen Konjunkturperiode von 1907—1913. In einem hierfür einzig und allein passenden, geschichtlichen System entwickelt er den Werdegang der Konjunktur, von der Depression zur Hochkonjunktur und den raschen Abstieg in großzügigen und scharfen Llmrissen, an entsprechenden Stellen mit typischen Einzelheiten aus der deutschen Wirtschaftsgeschichte dieser Jahre vermengt. Eine flüssige, leichtverständliche Sprache, eine vorzügliche Diktion verschafft dem Leser schon rein äußerlich einen Genuß, der noch wesentlich erhöht wird durch die außerordentliche Fülle wiedergegebener Tatsachen. In einer fein dargestellten Retrospektion ist hier eine ausführliche Konjunkturgeschichte der vergangenen sieben Jahre niedergelegt worden. Ich halte das Buch für so wert voll, daß es verdient, von der großen Masse der im Wirt schaftsleben Tätigen beachtet und gelesen zu werden. Für viele mag es ein vorzügliches Werk zur Weiterbildung und zur Ergänzung des volkswirtschaftlichen Wissens sein, für viele mag es ein interessantes Erinnerungsblatt aus schönen und schweren Zeiten der Vergangenheit sein.
Verlag von Gustav Fischer in Jena
Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung Eine sozialphilosophische Untersuchung von
Dr. Rudolf Stammler Geh. Zustizrat, o. ö. Professor der Rechte an der Universität Lalle
Gr. 8. Geh. M. 16.—, geb. in Lalbfranz M. 19.— Geh. Zustizrat Prof. Dr. Stampa schreibt in der „Deutschen Iuristenzeitung": „Das groß angelegte Werk, welches bei seinem Er scheinen in der ganzen wissenschaftlichen Welt das lebhafteste Inter esse erweckte und bereits in dritter Auflage vorlieat, will erforschen, unter welcher allgemeingültiger Gesetzmäßigkeit das soziale Leben der Menschen steht, und welcher Weg dadurch zur Lösung der sozialen Frage gewiesen wird"... und schließt nach eingehender Würdigung des Werkes: „So erfasse ich in dürftiger Skizze die vornehmsten Grundgedanken der Stammlerschen Sozialphilosophie. Über ihre Berechtigung wird in vielem gestritten, aber darüber wird Einigkeit herrschen, daß das Buch eine Geistestat ersten Ranges ist, die nur ein Kopf von universaler Bildung und schärfstem Denkvermögen vollbringen konnte."
Beiträge zur älteren Deutschen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte Gesammelte Aufsätze von
Dr. Georg Caro Privatdozent
Gr. 8.
Geb. M. 3.50
Neue Beiträge zur Deutschen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte Gesammelte Aufsätze von
Dr. Georg Caro Privatdozent
Gr. 8.
Geh. M. 4 —
Es ist von der Kritik allgemein anerkannt worden, wie ungemein fruchtbar die von kritischem Geist getragenen Antersuchungen des Ver fassers waren, dessen Forschungsergebnisse weit über den Rahmen des von ihm behandelten Gebietes hinaus allgemeine Bedeutung haben. Diese sorgfältigen auf reiches urkundliches Material zurückgehenden und durch große Selbständigkeit sich auszeichnenden Arbeiten find zu den bedeutsamsten Leistungen zu zählen, die auf dem Gebiete der deutschen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte in den letzten Jahren erschienen sind. Derartige auf gründliche Quellen forschung aufgebaute Spezialarbeiten werden, wenn fie wie hier von einem kundigen Forscher auf die allgemein wichtigen Grundprobleme hin gerichtet werden, die allein gesicherte Basis für eine deutsche Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte sein können.
Verlag von Veit & Comp. in Leipzig, Marienstr. 18
Dringliche öirtscbaftsfragen ------------------- ►
gest 1.
«-------------------
Seien Sen PnrielSneikehr von
Ernst Kahn LandelSredakteur der Frankfurter Zeitung
Preis geheftet M. L—
Einige Arteile von vielen:
Berliner Finanz-Anzeiger: Die Bemühungen für die Veredelung unserer Zahlungs-Sitten find in den letzten Wochen mit großer Ent schiedenheit von der ganzen deutschen Presse ausgenommen worden. Von allen Seiten wird gezeigt, wie durch unsere veraltete Zahlungstechnik der Einzelne, vor allem aber das Vaterland, schwere Nachteile erleidet. Diese Aufklärungsarbeit der Zeitungen scheint nach allerhand Anzeichen auf fruchtbaren Boden zu fallen. Noch aber find die Widerstände mancher maßgebender Kreise, und die Unwissenheit des Publikums er staunlich groß. Es ist deshalb zu begrüßen, daß einer der Journalisten, die diesen Kampf ausgenommen, Ernst Kahn, Landelsredakteur der Frankfurter Zeitung, in einer Schrift „Gegen den Bargeldverkehr!" nochmals alles das zusammenfaßt, was in dieser Beziehung anders werden muß. Eingehend wird der Standpunkt der Reichsbank, der Privatbanken, der Zivil- und Militärbehörden behandelt. Dem Post scheckverkehr ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Auf das im übrigen Reich wenig bekannte Hamburger System, ferner auf den zertifizierten Scheck wird besonders verwiesen. In der Zusammenfassung werden Re formvorschläge gemacht und gleichzeitig dabei noch kurz die neuen Steuer vorschläge, soweit ste in diesem Zusammenhang interessieren, gewürdigt.
Deutsche Handelsschul-Lehrer-Zeitung: Wer die Ausführungen Kahns in der Frankfurter Zeitung gelesen hat, wird sich freuen, daß Kahn seinen Feldzug gegen den Bargeldverkehr nun noch auf breiterer Grundlage fortsetzt. Wer irgend kann, muß ihm hierbei helfen. Vor allem sollten die Schulen angewiesen werden, Licht in die Finsternis unseres veralteten Bargeldverkehrs zu tragen. Die vortreffliche und mit der Kraft der Überzeugung geschriebene Arbeit Kahns müßte zu Dutzenden in unseren Handelsschulen verbreitet werden. Jeder helfe! Dr. H. Großmann.
Verlag von Veit & Comp. in Leipzig, Marienstr. 18
Kriegswirtschaftslehre von
Dr. Ferdinand Schmid Geh. Lofrat, o. ö. Professor an der Universität Leipzig
Gr.-Oktav. Preis geheftet M. 2.50 n dem vorliegenden Buche, das auS einem Zyklus von Vorträgen entstanden ist, die im Januar 1915 im Auftrage deS Ausschusses für volkstümliche Lochschulkurse in der Leip ziger Universität gehalten würben, sind die durch den gegen wärtigen Krieg ausgelösten wirtschaftlichen Maßnahmen und Erscheinungen unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammen gestellt. Der berühmte Volkswirtschastler hat in den Kapiteln: Theoretische Kriegswirtschaftslehre — Wirtschaftliche Heeresverwaltungslehre — Kriegsfinanzwiffenschaft — KriegSwirtschaftspolitik und internationale KriegsWirtschaftspolitik einen reichen und hochinteressanten Stoff zusammengetragen, so daß dieses aktuelle billige Werk von jedermann mit großem Nutzen gelesen werden wird.
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Weltwirtschaftliche Studien. Vorträge und Aufsätze von
Dr. Hermann Schumacher o. ö. Professor an der Untversttät Bonn
Gr. 8.
Geh. M. 12.—, geb. in Ganzleinen M. 13.50
Die in der vorliegenden Sammlung enthaltenen Vorträge und Auf sätze haben ihre Wiederveröffentlichung schon deshalb verdient, weil sie Meisterstücke wissenschaftlicher Detailarbeit auf dem Gebiete der Welt wirtschaft sind. Alle diejenigen, die dem Streben des Verfassers auf wirtschaft lichem Gebiete das richtige Verständnis entgegenbringen, werden in dem vorliegenden Werke schätzbare Anregungen und Mittel finden zur Orientierung über die ökonomischen Probleme unserer Zeit.
Verlag von Veit & Comp. in Leipzig, Marienstr. 18
DAS HEUTIGE RUSSLAND. Kulturstudien von ERNST VON DER BRÜGGEN, gr. 8.