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German Pages [468] Year 2021
Corinna Hirschberg Matthias Freudenberg Uwe-Karsten Plisch (Hg.)
Handbuch Studierendenseelsorge Gemeinden – Präsenz an der Hochschule – Perspektiven
Corinna Hirschberg/Matthias Freudenberg/Uwe-Karsten Plisch (Hg.)
Handbuch Studierendenseelsorge Gemeinden – Präsenz an der Hochschule – Perspektiven
Mit 11 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Wiebke Albes Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-63409-3
Inhalt
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Teil 1 Grundlegungen 1.1 Studierendengemeinden in Deutschland bis 1945 und in Westdeutschland 1945–1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Andreas Mühling 1.2 Studierendengemeinden in Ostdeutschland 1945–1990 . . . . . . . . . . . . . 31 Markus Franz 1.3 Politische Positionen und Konflikte vor 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Tabea Baader 1.4 Rechtlicher Status und Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Monika Größl und Jana Hövelmann 1.5 Selbstverständnis der Pfarrer*innen und anderer Hauptamtlicher . . . . 62 Kai Horstmann 1.6 Partizipation und Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Lea Matthaei und Wolfgang Ilg 1.7 Die Zielgruppe Studierende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Swantje Eibach-Danzeglocke 1.8 Hochschule als Handlungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Corinna Hirschberg und Uwe-Karsten Plisch
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Inhalt
1.9 Religion an der Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Annette Klinke 1.10 Räume der Stille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Alexander-Kenneth Nagel
Teil 2 Arbeitsfelder 2.1 Gottesdienst feiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Harald Schroeter-Wittke 2.2 Die Botschaft der Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Martin Benn 2.3 Liturgie und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Eugen Eckert 2.4 Chorarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Joachim Geibel 2.5 Konzeption der Studierendenseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Krischan Heinemann 2.6 Praxis der Studierendenseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Swantje Eibach-Danzeglocke
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2.7 Studentische TelefonSeelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Christof Jaeger 2.8 Seelsorge in Präparierkursen der Human- und Zahnmedizin und in Kursen zur Vermittlung versuchstierkundlicher Sachkompetenz . . . 184 Niclas Förster 2.9 Internationale Studierende – Beratung, Seelsorge, Vernetzung . . . . . . . 193 Heidrun Greine und Eva Siemoneit-Wanke 2.10 Praxis der Beratung internationaler Studierender . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Sabine Fleiter und Heike Luther-Becker 2.11 Theologie und religiöse Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Bernd Schröder 2.12 Gemeinschaft erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Friedrich Hohenberger
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2.13 Ökumenische Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Matthias Burger 2.14 Interreligiöser Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Gisela Groß-Ikkache 2.15 Studierendengemeinden und Wohnheime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Jörg Heimbach und Christiane Neufang 2.16 Studierendengemeinden an der Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Anne Lüters 2.17 Kirchliche Begleitung (Studierende Lehramt Evangelische Theologie) 266 Claudia Andrews 2.18 Kontakt mit Ehemaligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Matthias Freudenberg 2.19 Fundraising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Claudia Andrews und Sieglinde Ruf
Teil 3 Themen 3.1 Geistliches Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Corinna Hirschberg 3.2 Film als Medium religiöser Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Inge Kirsner 3.3 Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Anna-Sophie Fleischhauer 3.4 Lebensentwürfe und Gendergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Carola Ritter und Uwe-Karsten Plisch 3.5 Körper und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Andreas Mühling 3.6 Studierendengemeinden unterwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Matthias Freudenberg 3.7 Spiritualität in Bewegung – Pilgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Constance Hartung 3.8 Essen und Trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Matthias Freudenberg
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3.9 Arbeit mit Geflüchteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Sonja Sibbor-Heißmann 3.10 Bewahrung der Schöpfung und Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Jutta Becher und Doris Kreuzkamp 3.11 Bundes-ESG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Corinna Hirschberg, Annette Klinke und Uwe-Karsten Plisch 3.12 Internationale Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Annette Klinke und Michael Pues
Teil 4 Perspektiven 4.1 Studierendengemeinden als Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Uwe-Karsten Plisch 4.2 Studierendengemeinden als Gemeinden an einem anderen Ort . . . . . . 415 Uta Pohl-Patalong 4.3 Studierendengemeinden und Verbandsarbeit aus Sicht von Studierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Tabea Frinzel, Daniel Poguntke und Simon Schönbeck 4.4 Studierendengemeinden in landeskirchlicher Perspektive . . . . . . . . . . . 432 Marc Wischnowsky 4.5 Studierendengemeinden von außen betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Joachim Metzner 4.6 Zukunft der Studierendengemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Corinna Hirschberg und Uwe-Karsten Plisch
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Verzeichnis der Autor*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Geleitwort
»Religion und Glaube gehören mitten auf den Campus!«, titelte die EKD Ende 2020 ihre Thesen und zeigte damit, wie wichtig für Studierende unserer internationalisierten Universitäten eine dialogische Begegnung mit Religion und Glaube ist: Gerade weil unsere Gesellschaft und unsere Hochschulen religions- und weltanschauungspluraler geworden sind, leisten die Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) einen wichtigen Dienst der seelsorglichen Begleitung, aber auch der Bildung hin zu Toleranz und religiöser Dialogfähigkeit. Im Vergleich zu meiner eigenen Studienzeit in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts, als ich die ESGn in Freiburg, Erlangen und Heidelberg kennenlernte, hat sich vieles in den Hochschulgemeinden geändert. Sie sind deutlich ausdifferenzierter als damals und zeigen ein beeindruckendes Portfolio an Aufgabengebieten und Themenspektren. Das gilt auch für das politische Engagement der Studierendengemeinden, die sich von einer starken friedenspolitischen Fokussierung zu einem nachhaltigkeits-, demokratie- und migrationspolitischen Engagement entwickelt haben. Dabei fällt auf, dass dieses gesellschaftspolitische Interesse eng verknüpft ist mit einem programmatischen Schwerpunkt in gottesdienstlichen Angeboten und Formaten zum Geistlichen Leben. Das politische Handeln, das mit einem großen partizipativen Anteil in Leitung und Gestaltung der ESGn einhergeht, erwächst also nach meiner Wahrnehmung aus einem gegründeten Glaubensleben. Ein besonderes Augenmerk gebührt der ökumenischen und internationalen Ausrichtung der ESGn, die beides mit großer Selbstverständlichkeit in ihre Arbeit integrieren: sowohl die Zusammenarbeit mit den katholischen Studierendengemeinden als auch die Hinwendung zu Studierenden aus dem Globalen Süden. Hier sind die ESGn Vorreiterinnen im ökumenischen und zuweilen auch im interreligiösen Dialog. Darüber hinaus leisten die Evangelischen Studierendengemeinden einen wesentlichen Beitrag dazu, junge Erwachsene im Horizont der Evangelischen Kirche auf ihrem Weg ins Leben zu begleiten.
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Geleitwort
Sie tun das in einem engen Kontakt mit dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Diskurs an den Hochschulen und Universitäten und bewegen sich durch diesen Referenzrahmen in einem gleichzeitig säkularen wie multireligiösen Umfeld. Dem seelsorglichen Handeln der Evangelischen Studierendengemeinden in allen seinen Facetten ist in diesem Handbuch eine große Aufmerksamkeit gewidmet, da die Nachfrage nach seelsorglichen Gesprächen in der Regel in diesen Gemeinden am anderen Ort besonders hoch ist. Von daher begrüße ich ausdrücklich dieses hilfreiche Handbuch, das einen kompakten und fundierten Überblick über die wichtige Arbeit der ESGn bietet. Somit trägt es dazu bei, dass die Evangelische Kirche, indem sie sich an die zukünftigen Verantwortungstragenden in Kirche und Gesellschaft richtet, jung, aktuell und zukunftsrelevant ist. Ich wünsche ihm viele Leserinnen und Leser. Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm Ratsvorsitzender der EKD
Zur Einführung
Evangelische Studierendengemeinden gibt es in Deutschland seit mehr als 100 Jahren. In ihrer heutigen Form sind sie kirchengeschichtlich eine unmittelbare Folge der NS-Zeit und feiern im Jahr 2022 ihr 75-jähriges Jubiläum. Gegenwärtig sind es mehr als 120 evangelische Studierenden- und Hochschulgemeinden an den einzelnen deutschen Universitäts- und Hochschulstandorten. Dennoch fehlt es bisher sowohl an einer Gesamtdarstellung der Geschichte der Studierendengemeinden als auch an einem Gesamtüberblick über ihre vielfältigen Arbeitsfelder. Selbst die Spezialliteratur zum Feld evangelischer Studierenden- und Hochschularbeit ist vergleichsweise spärlich. Dieses Handbuch gibt nun erstmals einen Überblick über die Vielfalt und den Facettenreichtum des komplexen Arbeitsfeldes evangelischer Studierenden- und Hochschularbeit. Die Aspekte ökumenischer und interreligiöser Zusammenarbeit sind dabei stets im Blick. Bereits in der Terminologie drückt sich diese Vielfalt aus. In den meisten Landeskirchen heißen die vorrangig studentisch geprägten Gemeinden im Hochschulumfeld »Evangelische Studierendengemeinden« (ESGn). An diesen Sprachgebrauch lehnt sich auch die Bezeichnung des Bundesverbandes mit seiner Geschäftsstelle in Hannover an: »Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland« (Bundes-ESG). Einige Landeskirchen bevorzugen dagegen die Bezeichnung »Evangelische Hochschulgemeinde«, um zu betonen, dass die evangelische Hochschularbeit neben der Kernzielgruppe der Studierenden die gesamte Hochschule im Blick hat. Daneben gibt es ökumenische Studierendengemeinden in gemeinsamer Trägerschaft der Kirchen. Entsprechend heißen die von den evangelischen Landeskirchen beauftragten Pfarrer*innen für die Studierenden- und Hochschularbeit hier einmal »Studierendenpfarrer*innen« und dort einmal »Hochschulpfarrer*innen«/»Hochschulpastor*innen«. Deren Wirken ist in der Regel nicht auf die Studierendengemeinde beschränkt, sondern ebenso auf die Hochschule bezogen. Tatsächlich ist das komplexe Arbeitsfeld nicht auf einen Begriff zu bringen. Die Heraus-
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Zur Einführung
geber*innen haben nicht versucht, hier künstlich zu vereinheitlichen, sondern sich vielmehr entschieden, die unterschiedlichen Begrifflichkeiten mit ihren jeweiligen Akzentuierungen nebeneinanderstehen zu lassen. Zur besseren Orientierung ist deshalb dem Handbuch ein Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen im Feld evangelischer Studierenden- und Hochschularbeit vorangestellt. Die meisten ESGn haben als gemeinsames Logo den roten Hahn, der mit seinem hohen Wiedererkennungswert ESGn leicht von außen identifizierbar macht. Auch hier gibt es natürlich Ausnahmen. Einige ESGn führen beispielsweise das urchristliche Symbol des Fisches als Erkennungszeichen oder variieren das Hahn-Logo (z. B. Hahn und Henne). Der Vielfalt des Arbeitsfeldes trägt das Handbuch auf unterschiedliche Weise Rechnung. In insgesamt 47 Beiträgen wird die evangelische Studierenden- und Hochschularbeit aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, wobei zwangsläufig diachron entfaltet werden muss, was sich im Gemeindeleben meist synchron vollzieht. Etliche Beiträge nehmen daher aufeinander Bezug, verweisen aufeinander, deuten an, was anderswo breiter ausgeführt wird, oder nehmen Fäden auf, die an anderer Stelle gesponnen werden. Die Autor*innen nehmen dabei teils eine Außen-, teils eine Innenperspektive ein. Sie beschreiben und reflektieren die ESG-Arbeit einerseits aus eigenem Erleben und persönlicher Erfahrung, andererseits spiegeln die Artikel die Wahrnehmung evangelischer Studierenden- und Hochschularbeit aus einer kirchlichen, gesellschaftlichen und akademischen Außenperspektive. Das Handbuch besteht aus insgesamt vier Abteilungen. Die erste Abteilung Grundlegungen gibt zunächst in drei Artikeln einen Überblick über die Geschichte der Studierendengemeinden von den Anfängen bis 1990, ohne damit selbstredend eine noch ausstehende Gesamtdarstellung der ESG-Geschichte vorwegnehmen oder ersetzen zu wollen. Die gesamtdeutsche ESG-Geschichte seit 1990 spiegelt sich dagegen in den einzelnen thematischen Artikeln des Handbuches. Zur Abteilung Grundlegungen gehören weiterhin Überlegungen zur rechtlichen Organisation der Studierendengemeinden und ihrer Selbstorganisation, zum Selbstverständnis der in den ESGn Beschäftigten und der Studierenden sowie zum Hochschulumfeld mit den intensiv diskutierten Themen »Religion an der Hochschule« und »Räume der Stille«. Die zweite Abteilung widmet sich den Arbeitsfeldern der ESGn: Gottesdienst und Musik, diverse Seelsorgefelder, Arbeit mit internationalen Studierenden und Gemeinschaftsbildung, Ökumene und interreligiöser Dialog, Theologie und Begleitung von Lehramtsstudierenden der Evangelischen Theologie, soweit diese an den ESGn angesiedelt ist, Betreuung von Wohnheimen, Fundraising und Alumniarbeit.
Zur Einführung
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Die dritte Abteilung beschäftigt sich mit Themen, die in allen Arbeitsfeldern vorkommen können: Geistliches Leben, Medien religiöser Bildung und Kommunikation von Filmen bis Social Media, diverse Lebensentwürfe, die in den ESGn ihr Zuhause finden, Körpererfahrung und Unterwegssein, Essen und Trinken, Pilgern und internationale Partnerschaften sowie Themen, die gegenwärtig besonders aktuell sind und daher auch in den ESGn im Fokus stehen: Arbeit mit Geflüchteten und die Bewahrung der Schöpfung. Die vierte Abteilung Perspektiven wagt schließlich einen Ausblick in die Zukunft, nimmt studentische (Leitungs-)Erfahrungen auf und lässt Menschen aus Hochschule und Kirche von außen auf die ESGn blicken. Das Literaturverzeichnis bietet am Ende nicht nur einen Überblick über die im Handbuch verwendete Fachliteratur, sondern sichtet auch den Literaturbestand zum Thema der evangelischen Hochschul- und Studierendenarbeit. Unser herzlicher Dank gilt allen Autor*innen aus ESGn, Hochschulen und Kirche für ihre Expertise und engagierte Mitarbeit. Ebenso danken wir herzlich Heike Krischer aus der ESG Saarbrücken für das gründliche Korrekturlesen. Ein ebenso herzlicher Dank geht an Wiebke Albes für die Gestaltung der Coverabbildung. Zum guten Schluss danken wir herzlich Jana Harle vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die allzeit freundliche, konstruktive und unkomplizierte Zusammenarbeit. Hannover/Saarbrücken, Ostern 2021 Corinna Hirschberg Matthias Freudenberg Uwe-Karsten Plisch
Abkürzungen
aej Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. AKH Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden AStA Allgemeiner Studierendenausschuss AUSKO Ausländer*innen-Berater*innen/Referent*innen-Konferenz BAföG Bundesausbildungsförderungsgesetz BDAS Bund der Alevitischen Studierenden in Deutschland BMBF Bundesministerium für Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie BMFSFJ Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend CEUC Conference of European University Chaplains CVJM Christlicher Verein Junger Menschen DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DCSV Deutsche Christliche Studentenvereinigung DEKT Deutscher Evangelischer Kirchentag DZHW Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung EAiD Evangelische Akademikerschaft in Deutschland EAK Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden EHG Evangelische Hochschulgemeinde EKD Evangelische Kirche in Deutschland EKHG Evangelisch-Katholische Hochschulgemeinde ESG Evangelische Studierendengemeinde EWDE Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung (Brot für die Welt) FHoK Forum Hochschule und Kirche HAK Hauptamtlichenkonferenz HRK Hochschulrektorenkonferenz HSG Hochschulgemeinde
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Abkürzungen
HuT Durch Hohes und Tiefes. Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland IKvu Ökumenisches Netzwerk »Initiative Kirche von unten« JSUD Jüdische Studierendenunion Deutschland KED Kirchlicher Entwicklungsdienst KHG Katholische Hochschulgemeinde KJP Kinder- und Jugendplan des Bundes (BMFSFJ) KT Katholikentag ÖHG Ökumenische Hochschulgemeinde ÖKT Ökumenischer Kirchentag ÖRK Ökumenischer Rat der Kirchen RAMSA Rat muslimischer Studierender und Akademiker e. V. SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SI Sozialwissenschaftliches Institut der EKD SK Studierendenkonferenz SMD Studentenmission in Deutschland e. V. SPK Studierendenpfarrkonferenz STUBE Studienbegleitprogramm für Studierende aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa StuRa Studierendenrat STUTS Studentische TelefonSeelsorge der ESG Hamburg WSCF World Student Christian Federation
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Teil 1 Grundlegungen
1.1 Studierendengemeinden in Deutschland bis 1945 und in Westdeutschland 1945–1990 Andreas Mühling
1 Vorbemerkung Die gegenwärtige Arbeit der ESGn ist Gegenstand zahlreicher Aufsätze in einschlägigen Publikationen. Auch mögliche Ausstrahlungen dieser Arbeit in Theologie, Kirche und Gesellschaft hinein werden in der kirchlichen Publizistik intensiv bedacht. Und dies völlig zu Recht, leisten die einzelnen ESGn doch wichtige Beiträge in den sozialen, interkulturellen, theologischen wie auch wissenschaftlichen Diskursen an den Hochschulen, betonen zugleich in Seelsorge, Diakonie und Verkündigung das evangelische Profil vor Ort. Doch den gegenwärtigen Debatten unserer kirchenpolitischen Kontroversen fehlt oftmals die Erinnerung an die historische Dimension der ESG-Arbeit. Zum Schaden der Sache: Gerade durch das Medium der historischen Erinnerung wird den aktuellen Debatten, aber auch sich selbst gegenüber im Zuge einer Selbstvergewisserung Distanz hergestellt; ein Abstand, der insbesondere einer von Geschichtsvergessenheit bedrohten Kirche den geschärften Blick auf Gegenwart und Zukunft ermöglichen kann. Selbstkritisch ist festzuhalten, dass die grundlegende archivgestützte Aufarbeitung einzelner Arbeitsfelder der ESGn in ihren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontexten über einzelne Ansätze hinaus bislang nicht erfolgt ist. Diese notwendige Aufarbeitung kann auch die folgende Kurzübersicht nicht leisten. Vielmehr geht es in diesem Beitrag darum, grundlegende Aufgaben der Studierendengemeinden in ihrem historischen Kontext aufzuzeigen, strukturelle Probleme zu benennen, schließlich dann theologische Herausforderungen wie auch politische Gefährdungen knapp zu skizzieren. So soll dieser Beitrag als Aufforderung verstanden werden, sich dieses umfassenden Themas in Einzelaspekten »vor Ort«, aber auch der Geschichte der Studierendengemeinden in Deutschland insgesamt anzunehmen. In den Archiven der Orts-ESGn wie auch in denen der Landeskirchenämter harren zahlreiche Archivalien noch immer ihrer Entdeckung.
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2 Erste Anfänge
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Der Wunsch junger Menschen, einer christlichen studentischen Gemeinschaft anzugehören, lässt sich bereits bis ins 17. Jahrhundert hinein zurückverfolgen. Hierfür lassen sich im reformierten (Mühling 2003, S. 251–254) wie auch in einem lutherisch geprägten Pietismus (Dembek/Mühling 2020, S. 47–50) im 17. und 18. Jahrhundert durch die Jahrzehnte hindurch immer wieder Beispiele finden. In diesen Gruppen sammelten sich um Jesus Christus Studenten und junge Frauen – erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese zum Studium zugelassen –, um auf sein Wort zu hören, ihm nachzufolgen und untereinander Gemeinschaft zu erleben. Die theologischen Motive zur Bildung dieser Gemeinschaften waren vielfältig. Während die einen sich als reformfreudige Gemeinschaft innerhalb der verfassten Kirche verstanden, begriffen andere ihre Gruppe als konsequenten Schritt aus der verfassten Kirche heraus. Eines verband diese divergierenden Gemeinschaften junger Frauen und Studenten jedoch: Der Impuls zu Gruppenzusammenschlüssen ging nicht von den verfassten Kirchen aus, sondern war Ergebnis der Initiativen einzelner Christ*innen, von Theolog*innen wie Nichttheolog*innen gleichermaßen. Somit befanden sich diese christlichen Gemeinschaften von ihren Anfängen an in einem inhaltlich wie strukturell ambivalenten, häufig auch kirchenpolitisch umstrittenen Verhältnis zu den jeweiligen verfassten Kirchen.
3 Anstöße aus der Erweckungsbewegung für die Studierendenarbeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Der Wandel der Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, das rasante Wachstum der Bevölkerung, die zunehmende Verstädterung der Gesellschaft sowie die Herausbildung einer neuen, in prekären Verhältnissen lebenden Arbeiterklasse zählte seit den 1840er-Jahren zu den großen sozialen Herausforderungen. Die deutschen Staaten sahen angesichts einer fehlenden Sozialpolitik dieser Entwicklung allerdings meist tatenlos zu. Für die Landeskirchen zählte die Lösung dieser neuen sozialen Frage ebenfalls nicht zu den dringenden Themen. Dieses sozialpolitische Vakuum wurde zunächst zum Teil von privaten christlichen Initiativen und Vereinen gefüllt, die vor allem aus dem Bereich der Erweckungsbewegung kamen. Für die »erweckten« Christenmenschen war die »Rettung« anderer eine notwendige Folge der Erfahrung des eigenen Gerettet-Werdens durch Christus (Formel: »Gerettet sein gibt Retter-Sinn«).
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Sie motivierte zur praktisch-verantwortlichen Initiative für Bedürftige, zur »christlichen Liebesthätigkeit«, die für die erweckten Kreise immer auch eine zeichenhafte Verwirklichung am Reich Gottes bedeutete (Dembek/Mühling 2020, S. 63–67). Im Zusammenhang der sozialpolitischen Herausforderungen richtete sich der Blick engagierter Christ*innen auch auf die Studenten in Deutschland. Hierfür war weniger die Sorge ausschlaggebend, dass diese meist wohlhabenden jungen Männer durch ihr Studium in eine wirtschaftlich schwierige Lage geraten könnten. Zentrales Motiv war vielmehr die Befürchtung, dass sich Studenten angesichts rasant veränderter kultureller Wertesysteme von Christus abwenden und ein distanziertes Verhältnis zu Glaube und Kirche einnehmen werden. So wuchs innerhalb der Erweckungs- und Missionsbewegung des späten 19. Jahrhunderts die Einsicht, junge Menschen an den Hochschulen mit intensiver Bibelarbeit erreichen und für diese Arbeit auch einen institutionellen Rahmen schaffen zu müssen. Während in den deutschen Landeskirchen die Notwendigkeit einer kirchlichen Studentenarbeit bislang nicht gesehen wurde, gingen hingegen vom 1883 gegründeten deutschen CVJM starke Impulse für eine Arbeit mit Studenten aus. Der von der Erweckungsbewegung geprägte Jurist Eduard Graf von Pückler, Vorstandsmitglied des deutschen CVJM, trieb die Durchführung von »Allgemeinen Christlichen Studentenkonferenzen« voran. Ihr Ziel sollte darin bestehen, neben Bibelarbeit, Gottesdienst und Gebet gemeinsam mit Studenten einen Erfahrungsaustausch über Möglichkeiten und Perspektiven von studentischen Bibelkreisen an den Universitäten zu führen (Volontieri 1989, S. 11). Seit 1890 kamen in jährlichen Konferenzen zwischen 20 und 60 Studenten aller Fachrichtungen sowie weitere Interessierte zusammen. Spannungsreiche Debatten über die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit durchzogen diese Konferenzen: Die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher Frömmigkeit, Mission und theologischer Wissenschaftlichkeit prägte die Gespräche mit. Zudem wurde vonseiten der Studenten ihre verstärkte Mitwirkung an der Planung, Durchführung und Leitung der Konferenzen eingefordert. Insbesondere Marburger Studenten erhoben 1894 Pückler gegenüber schwere Vorwürfe und forderten eine verstärkte Auseinandersetzung der Konferenz mit theologischen und amtskirchlichen Fragestellungen ein. Die Gefahr, »in keiner Weise entwicklungsfähig zu sein«, sei gegeben, so konstatierten die Marburger Studenten (Volontieri 1989, S. 11). Nicht zuletzt diese Debatten um die zukünftige Ausrichtung und Struktur der Arbeit zeigten den Teilnehmern die Notwendigkeit einer strukturellen Verfestigung ihrer Bewegung auf. Zu seinem Ende sollte dieser Prozess im Jahr 1907
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kommen. Beschloss die 5. »Allgemeine Christliche Studentenkonferenz« im August 1894 die Wahl von zwei ehrenamtlich arbeitenden Studenten als »Reisesekretäre«, deren Aufgabe darin bestand, den Kontakt zu den Bibelkreisen an den Universitäten zu halten, so konstituierte sich die 6. »Allgemeine Christliche Studentenkonferenz« im August 1895 als »Christliche Studenten-Vereinigung« (CSV). Diese Gründung vollzog sich nicht zuletzt auch deshalb, um öffentlich den Anspruch zu unterstreichen, dass diese Organisation mehrheitlich eben nicht von betagten Honoratioren, sondern von Studenten und jüngeren Erwachsenen geprägt und geleitet wurde. Die Nähe zu anderen Jugendbewegungen um 1900, die Reformen in Gesellschaft und Kultur einforderten und neue Wege des gemeinschaftlichen Miteinanders suchten, zeigt sich an dieser Stelle deutlich (Volontieri 1989, S. 15). Dennoch überschatteten inhaltliche Konflikte auch diese Neugründung umgehend. Eine nicht unerhebliche Zahl von Studenten beklagte eine angeblich fehlende missionarische Ausrichtung der CSV, verließen daher die CSV und gründeten wenig später 1896 den von der Erweckungsbewegung geprägten »Studentenbund für Mission« (S. f. M.). Auf diese Weise existierten bereits im Jahr 1896 in Deutschland zwei Studentenvereinigungen mit unterschiedlicher Akzentsetzung in ihrer Arbeit und inhaltlichen Ausrichtung. Die Jahre 1896/97 sollten für die zukünftige verfasste Studentenarbeit bedeutend werden: 1896 wurde das Amt eines hauptamtlichen Studentensekretärs geschaffen, im Jahr 1897 schließlich, im Zusammenhang mit einer Satzungsdiskussion, die CSV in »Deutsche Christliche Studenten-Vereinigung« (DCSV) umbenannt. Der Verband gab sich eine Satzung, Studenten wurden in den Vorstand hineingewählt, Pückler zudem als Vorsitzender der DCSV bestimmt, der dieses Amt bis 1912 innehatte. Wesentliche Bestandteile der Arbeit der DCSV bildeten weiterhin Gebet und gemeinsames Bibelstudium; 1898 vertrat die DCSV an den Hochschulstandorten insgesamt 18 Bibelkreise (Volontieri 1989, S. 17). Dennoch wurde innerhalb der DCSV gegen den Widerstand Pücklers die inhaltliche Öffnung gegenüber kirchlichen, theologischen wie gesellschaftspolitischen Fragestellungen vorangetrieben. 1905 organisierten sich auch christliche Studentinnen in einem eigenen Frauenverband. Mit der Gründung der der DCSV nahestehenden »Deutschen Christlichen Vereinigung studierender Frauen« (DCVSF) im Jahr 1905 existierten damit – neben DCSV und S. f. M. – nun drei Studentinnen- und Studentenverbände. Von Beginn an wurde eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen DCVSF und DCSV gepflegt. Die Konferenzen beider Organisationen wurden gleichzeitig am selben Tagungsort durchgeführt, zudem waren zwei Vertreterinnen des DCVSF mit Sitz und Stimme im Vorstand der DCSV vertreten (Volontieri 1989, S. 18).
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Seinen Abschluss fand der Prozess einer Institutionalisierung in der DSCV schließlich im Jahr 1908, der zugleich auch den inhaltlichen Reformprozess zu einem vorläufigen Ende brachte. Die DSCV wurde zu einem »eingetragenen Verein«, unterlag damit dem Vereinsrecht, betonte aber zugleich mit diesem Schritt ihre inhaltliche Unabhängigkeit gegenüber kirchlichen Instanzen. Mit der Gründung der Zeitschrift »Furche« sollten eine Auseinandersetzung mit aktuellen theologischen Fragestellungen gefördert, in Gesprächskreisen und Tagungen gesellschaftspolitische Probleme und auch die soziale Not ausländischer Studenten diskutiert werden. So kritisierten die Studenten in der DSCV eine mangelhafte Betreuung von ausländischen Studenten durch ihren Verband und erreichten in den Diskussionen, dass mit Friedrich Siegmund-Schultze im Mai 1912 erstmals ein »Sekretär für Ausländerfragen« berufen wurde, der für die Arbeit mit ausländischen Studenten zuständig war (Volontieri 1989, S. 21). Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges lag damit die katechetische, seelsorgerliche, diakonische wie auch die soziale Begleitung von Studentinnen und Studenten an den Hochschulen ganz in den Händen von Vereinen und privaten Initiativen. Deutlich ist: Seelsorge, Diakonie und Verkündigung an Studierenden war Sache der Amtskirchen damals nicht. Dieses Arbeitsfeldes nahmen sich die evangelischen Landeskirchen nicht an, vielmehr überließen sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Studierendenarbeit, wie andere sozialpolitische Bereiche auch, weitgehend den evangelischen Vereinen.
4 Fortführung, Neuansätze und Konflikte – Studierendenarbeit bis 1945 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nahmen zahlreiche Weltkriegsteilnehmer ein Studium an den Universitäten auf. Diese Alterskohorte der zwischen 1890 und 1900 geborenen Studenten unterschied sich durch ihre Fronterfahrung stark von früheren Studentengenerationen. Als ehemalige Frontsoldaten brachten sie nicht nur einen anderen Erfahrungshorizont ins Studium mit, sondern stellten auch bis dahin unerhörte Fragen an Theologie, Frömmigkeit und Kirchen. So brachten die Zwanzigerjahre auch innerhalb der DCSV grundlegende Debatten über den weiteren inhaltlichen Kurs dieses Verbandes. Angesichts sinkender Mitgliedszahlen – im Sommersemester 1925 hatte die DCSV nur noch 936 Mitglieder und damit 100 Mitglieder weniger als noch im Jahr 1914 – nahm die DCSV im Jahr 1928 folgende »Grundsätze für die weitere Arbeit« ihres neuen Vorsitzenden Reinold von Thadden-Trieglaff an, die an einer konservativen, inhaltlich »unpolitischen« Ausrichtung der DCSV festhielten:
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»1. Die DCSV ist kein ›kirchliches Werk‹, sondern eine ›Laienbewegung‹. 2. Auseinandersetzungen mit theologischen Fragen gehören nicht zur Arbeit der DCSV. 3. Die DCSV ist eine überparteiliche Vereinigung, die keine politischen Stellungnahmen abgibt« (Volontieri 1989, S. 28).
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Doch in der konkreten Praxis bewirkte diese Festschreibung nur wenig. Denn Diskussionen über neue gesellschaftliche, politische wie theologische Fragestellungen und Überzeugungen wurden in der DCSV bereits geführt. Anhänger*innen unterschiedlicher politischer Lager und theologischer Richtungen, Vertreter*innen eines religiösen Sozialismus und Pazifismus, von dialektischer Theologie und Liberalismus stritten mit Sympathisant*innen nationalkonservativen, monarchistischen wie auch sogenannten völkischen Gedankengutes über den zukünftigen Weg ihrer Kirche. Doch nicht nur inhaltliche Debatten wurden geführt. Mit Blick auf die Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre lässt sich zudem erkennen, dass sich an den Hochschulorten ein unterschiedliches Mit-, Gegen- und Nebeneinander verschiedener Akteure innerhalb dieses Arbeitsfeldes der Studierendenarbeit herausbildete. Denn die Landeskirchen begannen nun, auf bisherige Versäumnisse zu reagieren. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ende des landesherrlichen Kirchenregimentes wurden in zahlreichen Landeskirchen strukturelle Kompensationen für das entfallene Kirchenregiment geschaffen. Bisherige Defizite kirchenleitenden Handelns im Gegenüber wichtiger gesellschaftspolitischer Gruppierungen – von Frauen über Arbeiter und Studenten bis hin zu Jugendlichen – wurden von den Kirchenleitungen nun in aller Regel erkannt und in innerkirchlichen Mobilisierungsprojekten angegangen. So sollten die in den Zwanzigerjahren neu eingerichteten Landespfarrämter die Beziehung zu jenen Gruppierungen stärken, die sich von der Evangelischen Kirche zu entfremden drohten. Schließlich stellten auch die im Rheinland ab 1924 durchgeführten Rheinischen Kirchentage (1924 Köln, 1926 Essen und 1930 Saarbrücken) kirchliche Themen in einen gesellschaftlichen Diskurs – in der Hoffnung, der Abwanderung weiterer Bevölkerungsteile von der Amtskirche zu begegnen und diese neu für sie zu erschließen (Dembek/Mühling 2020, S. 70 f.). Auch jene Landeskirchen, in denen keine hauptamtlichen Studentenpfarrer von der Kirchenleitung eingesetzt wurden, beauftragten in Hochschulstädten Gemeindepfarrer nebenamtlich mit der Studentenseelsorge. Nicht selten kam es hier zu Kompetenzstreitigkeiten und Unklarheiten in der Zuständigkeit von nebenamtlichen Pfarrern vor Ort, der jeweiligen Universitätsgruppe der DCSV und DCVSF sowie, falls vorhanden, des zuständigen hauptamtlichen Landes-
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pfarrers – allesamt die Bibelarbeit mit Studentinnen und Studenten als zentrale Aufgabe betrachtend. Dennoch konnte es zwischen den örtlichen Bibelkreisen von DCSV sowie DCVSF und den nebenamtlichen Studentenpfarrern zu einer Zusammenarbeit kommen – üblicherweise dort, wo inhaltliche Nähe wie auch persönliche Beziehung der Beteiligten untereinander bestanden. Daneben wurde im Landespfarramt die Arbeit mit Studierenden inhaltlich deutlich ausgeweitet. Neben der Bibelarbeit und Gottesdiensten standen hier Freizeiten, Bildungsangebote, Berufsberatung sowie Seelsorge im Vordergrund. Auch die Errichtung ständiger landeskirchlicher Treffpunkte samt angeschlossener »Clubräume« wurde angestrebt und der Bau landeskirchlicher Wohnheime für Studenten und Studentinnen forciert. Diese landeskirchliche Struktur von nebenamtlichen Studentenpfarrern und, wo vorhanden, Landespfarrern bestand auch nach der Machtergreifung der NSDAP weiter fort. Überraschenderweise überstanden die DCSV und die DCVSF – ab 1932 in »Deutsche Christliche Studentinnenbewegung« (DCSB) mit insgesamt 435 Mitgliedern umbenannt – die Wirren der Gleichschaltung 1933/34. Und dies trotz einer offiziellen Weigerung der DCSB, Führerprinzip und Arierparagrafen in ihrem Verband einzuführen. Allerdings hatten beide Organisationen in den nächsten Jahren einen Mitgliederschwund zu verzeichnen, da einige Studentinnen und Studenten diese aus Sorge vor beruflichen und privaten Benachteiligungen verließen. Doch die DCSV und die DCSB existierten bis 1938 hinein weiter fort. Erst in diesem Jahr untersagte die Reichsregierung den studentischen Vereinigungen die Fortführung ihrer Arbeit. Ihr Vermögen sowie jene der DCSV gehörenden Heime und Häuser wurden beschlagnahmt, die Geschäftsstellen geschlossen. Doch unter anderen strukturellen Vorzeichen sollte in den kommenden Jahren die inhaltliche Arbeit der DCSV und der DCSB weiter fortgesetzt werden. Denn im Jahr zuvor, im Juli 1937, hatte in Würzburg der 42. »Deutsche Evangelische Studententag« stattgefunden, der kirchenpolitische Übereinstimmungen zwischen Mitgliedern von DCSV und DCSB und von Studentinnen und Studenten der Bekennenden Kirche aufzeigte. Dieser »Studententag« sollte nicht ohne Folgen bleiben. Denn wenig später erhielt die DCSV von der »Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)« den Auftrag, die Studierenden der Bekennenden Kirche (BK) auf ihrem Weg theologisch zu begleiten (Volontieri 1989, S. 37). So wies dieser Auftrag der Arbeit mit Studentinnen und Studenten den Weg in die Zukunft. Denn es zeigte sich, dass die strukturelle Verbindung von BK und der ehemaligen DCSV und der aufgelösten DCSB auch über 1938 hinaus Bestand hatte. Nun nicht mehr auf dem Boden des Vereinsrechtes arbeitend,
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kamen Mitglieder der BK sowie ehemalige Mitglieder und Nahestehende von DCSV und DCSB auf der Basis eines freiwilligen Zusammenschlusses von christlichen Studentinnen und Studenten zusammen. Dieser freiwillige Zusammenschluss wurde im weiteren Verlauf von den Beteiligten als »Studentengemeinde« bezeichnet – eine Bezeichnung, die sich bis Ende des Weltkrieges allgemein durchgesetzt hatte. In den örtlichen, von BK-Pfarrern begleiteten »Studentengemeinden« fanden bis zum Ende des Krieges Bildungsabende und Bibelgespräche statt, wurden seelsorgerliche Gespräche geführt, Gottesdienste gefeiert, aber auch gemeinsam Freizeit verbracht. Zudem wurden von 1938 bis 1944 sogenannte Vertrauens-Studententage durchgeführt, also Rüstzeiten zur theologischen Fort- und Weiterbildung besonders geeigneter Studentinnen und Studenten. Misstrauisch wurde ab 1938 die Tätigkeit der »Studentengemeinden« von den Vertretern der landeskirchlichen Studentenarbeit beobachtet. Ihre Beschwerden und Beschuldigungen, die von den landeskirchlichen Studentenpfarrern sowohl in ihren Ortsgemeinden als auch in ihren Konsistorien gegenüber den örtlichen »Studentengemeinden« erhoben wurden, zählen wie die daraus resultierenden Konflikte zu den bislang nur unzureichend aufgearbeiteten landeskirchlichen Kapiteln der Kirchenkampfzeit. Der Blick zumindest in rheinische Akten zeigt deutlich, dass die orts- und landeskirchliche Studentenarbeit durch die Wirksamkeit der »Studentengemeinden« an den Hochschulorten ab 1938 erheblich an Zuspruch verloren hatte. Regelmäßig mussten Veranstaltungen mangels Teilnehmer*innen abgesagt werden, wie oftmals höchst verärgert festgestellt wurde. Klagen dieser landeskirchlichen Studentenpfarrer über den hohen Zuspruch, die hingegen die von BK-Pfarrern begleiteten »Studentengemeinden« unter den Studentinnen und Studenten erfuhren, durchziehen die Archivalien (Rheinisches Konsistorium 1920–1946, Nr. 1891).
5 Grundelemente der Arbeit der ESGiD in Westdeutschland bis zur Gründung der ESG (West) 1967 Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen im Verlauf des Jahres 1945 Mitglieder der Studentengemeinden Kontakt untereinander auf, um über eine Vernetzung und einen möglichen Zusammenschluss der Studentengemeinden in Deutschland zu beraten. Und dies trotz Teilung in Besatzungszonen, damit einhergehend stark eingeschränkten Reisemöglichkeiten sowie eines weitgehend zusammengebrochenen Fernmelde-, Post- und Verkehrswesens. Es ist bemerkenswert, wie zum Wintersemester 1945/46 regelmäßig
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Studentinnen und Studenten aus verschiedenen Hochschulstandorten in hoher Zahl zusammenkamen – im Rheinland beispielsweise trafen sich über 100 Kölner, Bonner und Aachener Studentinnen und Studenten in Köln zu intensiven Beratungen, um gemeinsam über die Strukturen und die inhaltliche Positionierung der zukünftigen Studentengemeinden in Deutschland nachzudenken. In den Diskussionen zeigte sich den Beteiligten, dass die Form einer gemeinsamen »Studentengemeinde« strukturell fortgeführt werden sollte und eine Wiederbelebung der früheren Vereinigungen von DCSV und DCSB damit nicht mehr angestrebt wurde. Zudem wurde deutlich, dass die Landeskirchen in einer noch zu bestimmenden Weise strukturell in die Arbeit der Studentengemeinden eingebunden zu sein wünschten (Held 1946, Nr. 396). Rasch wurden tragfähige Strukturen geschaffen. Bereits am 27. April 1946 beschloss der neu geschaffene Vertrauensrat der »Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland« nach intensiven Diskussionen die »Ordnung der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland« (ESGiD). Als Gemeinde aller »Studenten und Studentinnen, die Glieder einer evangelischen Kirche sind«, haben zugleich alle »Studenten, die einer dem Ökumenischen Rat der Kirchen angeschlossenen Freikirche angehören, in ihr Heimatrecht« (Art. 1). Die studentische Mitwirkung soll durch zwei aus der Studentenschaft gewählte »Vertrauensstudenten und Vertrauensstudentinnen«, die in der jeweiligen Ortsgemeinde »mit dem Studentenpfarrer laufend die Aufgaben der Studentengemeinde und ihre Durchführung beraten« (Art. 5), sichergestellt werden. Zur Verhältnisbestimmung von Orts-ESG und Landeskirche hält die Ordnung in Art. 3 und 4 fest, dass die örtliche Studentengemeinde der betreffenden regionalen Landeskirche zugeordnet und der Pfarrer der einzelnen Studentengemeinde von der zuständigen Landeskirche ernannt wird (Held 1946, Nr. 396). Struktur- und Satzungsdiskussionen bestimmten die Arbeit der ESGiD auch in den nächsten beiden Jahrzehnten. Im Mai 1956 wurde in die Ordnung der ESGiD auch die Bildung einer Studierendenpfarrkonferenz aufgenommen, zugleich aber auch die Zahl der studentischen Vertreter*innen im Vertrauensausschuss verdoppelt. Als besonders belastend für die gemeinsame Arbeit innerhalb der ESGiD erwies sich jedoch die Teilung Deutschlands in eine westliche und östliche Machtsphäre (siehe dazu Artikel 1.2 in diesem Handbuch). Bereits seit 1956 bezeichneten sich die Studierendengemeinden in der DDR als »Evangelische Studentengemeinde der DDR«, lösten sich damit von der Bezeichnung einer gesamtdeutschen »ESGiD«, hielten aber dennoch an der Einheit mit ihr fest. Eifrige Umstrukturierungen der ESGiD einschließlich der Schaffung diverser Ost- und Westgremien vermochten die Folgen von Mauerbau und Grenz-
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schließung jedoch nicht zu überwinden. Im Frühjahr 1967 beschlossen daher die zuständigen Gremien – der gemeinsame Vertrauensrat sowie der zuständige Beirat (West) und Beirat (Ost) – in ihren Sitzungen die endgültige Trennung der ESGiD in zwei selbstständige Bewegungen, die nun die Bezeichnungen »Evangelische Studentengemeinde in der Deutschen Demokratischen Republik« sowie »Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik und BerlinWest (ESG)« führten. Nicht ohne heftige Kritik vonseiten der EKD übrigens, die ihrerseits zweieinhalb Jahre später hatte erkennen müssen, dass die Trennung von den Landeskirchen der DDR nicht mehr zu umgehen war (Volontieri 1989, S. 56). Inhaltlich knüpfte die Arbeit der ESGiD in der Bundesrepublik bis dahin an die ihrer Vorgängerorganisationen an: Bibelarbeit, Seelsorge und Verkündigung standen neben gemeinsamen Freizeitaktivitäten im Vordergrund, einer Entfremdung zur Kirche sollte wirkungsvoll begegnet werden. Die Landeskirchen nahmen die Grundordnung des Jahres 1946 durchweg ernst und trugen für die Orts-ESGn innerhalb ihrer Landeskirche Verantwortung. Tatsächlich wiesen die Landeskirchen innerhalb der Bundesrepublik den ESGn eine hohe ekklesiologische Bedeutung zu und bauten bis Mitte der 1960er-Jahre die Präsenz an den Hochschulstandorten massiv aus. Zählten 36 Studentengemeinden 1946 zur ESGiD, waren es 1966 bereits über 140 Gemeinden (einschließlich jener Gemeinden innerhalb der DDR), die meist von nebenamtlichen Studierendenpfarrern begleitet wurden.
6 Unruhige Jahre – die ESG in der Bundesrepublik bis 1990 Jenseits einer strukturellen Neuorganisation der Bundes-ESG als synodal geprägtes Führungsgremium wurde im Jahr 1969 die ordentliche Delegiertenkonferenz zum obersten Leitungsorgan der ESG, dann ein Arbeitsausschuss für die Durchführung ihrer Beschlüsse bestimmt, zudem im weiteren Verlauf einzelne Kommissionen für die Arbeitsbereiche »Ökumene«, »Hochschule«, »Bildungspolitik«, »Theologie«, »Ost-West«, aber auch zur Umstrukturierung der Ingenieurstudiengänge eingerichtet. Schließlich wurden auf überregionaler Ebene Projektgruppen und Arbeitskreise wie beispielsweise der »Arbeitskreis Gewalt« eingerichtet, um darin gesellschaftspolitische Fragestellungen aufzugreifen und zu diskutieren. Die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er- und 70er-Jahre führten zu einer inhaltlichen Verschiebung der ESG-Arbeit. Die politischen Diskussionen dieser Jahrzehnte wurden auf Bundesebene wie in den örtlichen ESGn bis in die
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80er-Jahre hinein intensiv fortgeführt. Nahmen bis Anfang der 60er-Jahre Studentengemeinden zu politischen Fragen öffentlich nicht Stellung, so änderte sich diese Haltung im Laufe dieser Jahre. Im Zuge neuer theologischer Strömungen wie der »Befreiungstheologie« erhielt die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung für Gottes Schöpfung auch politische Dimensionen. Die Förderung von Frieden, Gerechtigkeit und die internationale Solidarität mit den Unterdrückten, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltschutz, eine aktive Parteinahme gegen Menschen unterdrückende wirtschaftliche, politische und militärische Strukturen, dann die seelsorgerliche und juristische Begleitung von Wehrdienstverweigerern, die Förderung ausländischer Studentinnen und Studenten, schließlich aber auch eine aktive Beteiligung an der Friedensbewegung der 70er- und 80er-Jahre zählten ebenso zum thematischen Grundkanon der ESG-Arbeit wie Bibelkreise und regelmäßige Gottesdienste. Konflikte mit den jeweiligen Kirchenleitungen waren mit diesen thematischen Schwerpunktsetzungen vorprogrammiert, insbesondere dann, wenn selbst in Bibelkreisen und Gottesdiensten »politisiert« wurde. Die um diese Themenbereiche kreisenden politischen Auseinandersetzungen in Orts-ESGn und auf Bundesebene sind bislang nur punktuell erforscht. Der Blick in rheinische Archivalien zeigt jedoch für die ESGn einen »doppelt schwierigen Spagat« auf, der wohl für die meisten westdeutschen Orts-ESGn festzustellen ist: »Einerseits zwischen der Kirchenleitung und den eher am Rand und nicht im Zentrum der landeskirchlichen Wahrnehmung stehenden Studentengemeinden und andererseits ein Spagat in der Studentengemeinde selbst zwischen der sich schon Mitte der sechziger Jahre anbahnenden Abkehr von der bisherigen traditionsgeprägten Fundierung und der Öffnung zu zunehmender Politisierung, der versuchten Synthese von Glauben und Handeln und der vielleicht unbewusst vorangetriebenen oder ersehnten Anpassung an den zu neuen Ufern strebenden Zeitgeist« (Müller 2008, S. 90). Diese aus dem »doppelten Spagat« resultierenden Transformationsprozesse reichen bis in die Gegenwart hinein. Im Zuge der Vereinigung von Bundesrepublik und DDR als »Evangelische StudentInnengemeinde in der Bundesrepublik« zusammengeführt (Wasserberg 2004, Sp. 1787), prägen die angesprochenen Transformationsprozesse von Politisierung, Traditionsabbruch und Säkularisierung Basis, Profil und Resonanz der ESGn in Deutschland bis heute weiterhin. Das vorliegende Handbuch legt von dem gegenwärtigen Nachdenken über diese Prozesse mit ihren Konsequenzen für die Zukunft umfangreich Zeugnis ab.
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Literatur
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Bell, D. (2001): Studentengemeinde/Hochschulgemeinde. TRE. Bd. 32, S. 263–268. Dembek, A./Mühling, A. (2020): Rheinische Kirchengeschichte. Bonn. Hartmann, R. (2004): Studentengemeinde. RGG (4. Aufl.). Bd. 7, Sp. 1787–1790. Held, H. (1946): Handakten Präses Held, Bestand 6HA 006, Nr. 396. Landeskirchliches Archiv Düsseldorf. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. Kubitza, H.-W. (2016): Geschichte der Evangelischen Studentengemeinde Marburg (2. Aufl.). Marburg. Mühling, A. (2003): Zwischen Puritanismus, Orthodoxie und frühem Pietismus – Gisbert Voetius und die »Nadere Reformatie«. MEKRG, 52, S. 243–254. Müller, W. (2006/2007/2008): Zwischen Gemeindeleben und Umbruch – die Evangelischen Studentengemeinden in Bonn, Köln und Saarbrücken um 1968. MEKGR, 55–57, S. 123–140; 89–106; 73–90. Rheinisches Konsistorium (1920–1946): Bestand 1OB 002, Nr. 1891. Landeskirchliches Archiv Düsseldorf. Volontieri, F. W. (1989): Woher kommt der Hahn? Entstehung und Entwicklung der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland sowie eine exemplarische Beschreibung der Geschichte der ESG Essen. Saarbrücken-Scheidt. Wasserberg, G. (2004): Studentengemeinde. I. Evangelisch. RGG (4. Aufl.). Bd. 7, Sp. 1787 f.
1.2 Studierendengemeinden in Ostdeutschland 1945–1990 Markus Franz
1 Einleitung Die Geschichte der ESGn im Osten Deutschlands wurde durch die kirchen- und hochschulpolitischen Entscheidungen und Aktionen der SED und ihrer Jugendorganisation FDJ beeinflusst. Das Spektrum des Umgangs mit den ESGn von staatlicher Seite reichte von aktiver Bekämpfung bis zur Leugnung ihrer Existenz. Ihre Geschichte ist mit vielen Einzelschicksalen verknüpft wie denen der Studierendenpfarrer Hamel (Halle), Schmutzler (Leipzig) und Giersch (Weimar) und zahlreicher Studierender, die verhaftet, exmatrikuliert oder zu Spitzeldiensten für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gezwungen wurden. Das Verhalten Einzelner reichte von bewusster politischer Opposition, über schweigende Anpassung oder stille Verweigerung bis hin zu erpresster Bespitzelung der Mitglieder der ESG. Im Folgenden kann nur ein kurzer Abriss gegeben werden, der sich durchgehend auf schon erforschte Quellen einschlägiger Literatur stützt. Die Materiallage in den ESG-Archiven ist für unterschiedliche Zeiten unterschiedlich gut vorhanden und besonders für die 1970er- und 1980er-Jahre noch weiter zu erforschen. Die Darstellung versucht, vor dem geschichtlichen Hintergrund die Struktur und das Wesen der ESGn im Osten herauszuarbeiten und die Geschichte in groben Zügen nachzuzeichnen. Die Erfahrung des Lebens in einem diktatorischen Regime zählt zum lebendigen Erbe der ESGn im Osten Deutschlands und prägt diese in ihrer gemeindenahen Organisationsstruktur und ihrer inhaltlichen Akzentsetzung und Ausrichtung. Es ist Anliegen dieses Artikels, das geschichtliche Bewusstsein und das aktive Erinnern an diese Zeit und der mit ihr verbundenen Menschen im Umfeld der ESGn wachzuhalten.
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2 Konfrontation mit der Staatsmacht und Arbeit mit der Bibel als Signatur der ESGn in der SBZ/DDR
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Die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen politischen Situation in den ESGn im Westen Deutschlands auf dem Gebiet der Bundesrepublik entsprang vielfach dem freiwilligen politischen Engagement. Demgegenüber waren die ESGn im Osten Deutschlands in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Friedlichen Revolution und politischen Wende 1989 immer wieder gezwungen, sich in den Konfrontationen mit der sozialistisch-diktatorischen Staatsmacht zu verhalten. Die Bedrängung vonseiten des Staates und dessen Einheitspartei SED und ihrer Jugendorganisation FDJ erfolgten in unterschiedlicher Intensität und anhand unterschiedlicher Fragestellungen, wie z. B. der Einführung einer Quote für Arbeiter- und BauernStudierende, der Verfolgung der Jungen Gemeinde, der Einführung der Jugendweihe, dem Bau der Mauer oder der Wehrpflicht. Auch wenn man die ESGn in der SBZ/DDR nicht als etablierte, institutionalisierte Form politischer Opposition bezeichnen kann, so boten sie zu allen Zeiten einen Freiraum für junge Menschen – besonders für die, die mehr oder weniger freiwillig in die Rolle Oppositioneller und Staatsfeinde gedrängt wurden. In bestimmten Phasen der Auseinandersetzung ist sogar von »Kirchenkampf« gesprochen worden (vgl. Ueberschär 2003). Inhaltliches Zentrum der ESGn in der SBZ/DDR, wichtige Kraftquelle und Orientierung in der politischen und ideologischen Auseinandersetzung mit der diktatorischen Staatsmacht war der Umgang mit den Texten der Bibel. Bibelabende, an denen oftmals mehrere hundert Studierende teilnahmen, bildeten durchweg den Lebensmittelpunkt der ESGn. Der Überblick über die damit verbundene Themenwahl zeigt, dass aktuelle gesellschaftliche und politische Situationen mit den biblischen Texten konfrontiert und ihre Aktualität und Konkretheit herausgearbeitet wurden. Man bemühte sich darum, christliches Leben in einem offiziell atheistischen Umfeld zu bewähren.
3 Evangelische Studierendengemeinden in der DDR als Lebensäußerung im Raum der Kirche Dass »Studentengemeinden« oder die Junge Gemeinde überhaupt in der DDR existierten, ist keine Selbstverständlichkeit. Wird die Besonderheit und institutionelle Freiheit Evangelischer Studierendengemeinden in Deutschland im Allgemeinen in ihrer Organisationsform zwischen Verein und Kirchengemeinde
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gesehen, so hat dies besondere Bedeutung für die ESGn im Osten Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und der sich zunehmend herausbildenden Diktatur des SED-Regimes. Die sich aufgrund studentischer Initiativen zusammenfindenden »Studentengemeinden« waren anfangs nicht institutionell an ein Studentenpfarramt gebunden. Es stellte sich die Frage nach der organisatorischen Form. Sollte man sich wieder als Verein organisieren, wie vor der nationalsozialistischen Gleichschaltung, oder »die seit dem Dritten Reich bestehenden Studentengemeinden« belassen (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 107)? Man entschied sich dafür, den »gut funktionierenden und sich bewährenden Studentengemeinden« keine Vereinsstruktur zu geben (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 107). Wie die spätere Entwicklung im Verhältnis von Jugendvereinen und der FDJ (»Freie Deutsche Jugend«) – der einzigen offiziell anerkannten Jugendorganisation der DDR – zeigte, bewahrte diese Form der Organisation (analog zur Jungen Gemeinde) das Fortbestehen und die Eigenständigkeit der ESGn in der DDR im Gegenüber zu vereinsmäßig organisierten Gruppierungen wie dem CVJM oder den Pfadfindern. Ziel des Staates war, die gesamte Erziehung und Bildung der Jugend sozialistisch und SED-konform auszurichten. Die ESGn blieben organisatorisch Teil der christlichen Gesamtgemeinde und gingen nicht zwangsweise in der FDJ auf. Auch die institutionelle Anbindung der Studierendenpfarrer an die Kirche machte diese unabhängiger gegenüber staatlicher Beeinflussung und Kontrolle. Dabei hatte es in der SBZ bis 1948 durchaus das Bestreben gegeben, die Studentenpfarrer den Rektoren der entsprechenden Hochschulen und Universitäten zu unterstellen, »um bessere Kontrolle über die Arbeit der Studentengemeinden zu haben« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 109). Dieses Bestreben wurde nicht umgesetzt. Das genannte strukturelle Erbe tragen die ESGn im Osten Deutschlands noch immer in sich. »Zu einer [eindeutigen] kirchenrechtlichen Ausformulierung und Definition der beiden kirchlichen Lebensäußerungen [Evangelische Studierendengemeinde und Junge Gemeinde] kam es nicht« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 109).
4 Krisenzeit und Verfolgung in den 1950er-Jahren und das Krisenjahr 1952/53 Während man bereits in den ersten Jahren des sich konstituierenden Arbeiterund Bauernstaates gegen einzelne Studierende wie z. B. Werner Ihmels, die sogenannte Belter Gruppe und andere Studierende mit hohen Gefängnisstrafen,
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Arbeitslager und sogar Hinrichtungen in Moskau hart vorging, war die Arbeit der ESGn weitgehend geduldet. »Christlicher Glaube und kirchliches Engagement stellten Überzeugungen und Aktivitäten dar, die von der sich immer stärker herausbildenden sozialistischen Diktatur in der SBZ/DDR grundsätzlich abgelehnt wurde« (Heydemann 2009, S. 495). In den 1950er-Jahren nahm die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche neue Qualität an. Von kirchlicher Seite fühlte man Parallelen zum Kirchenkampf unter dem nationalsozialistischen Regime. In Bezug auf die ESGn ist dieser Vergleich insofern zutreffend, als von staatlicher Seite die Studierendenpfarrer als kirchliches Überbleibsel aus der »Zeit der Nazidiktatur« angesehen wurden. Man argumentierte, sie seien damals ein »Kampfmittel« gegen den Kurs der »Deutschen Christen« gewesen, das nach der »Befreiung vom Hitlerjoch durch die Sowjetarmee« keine Berechtigung mehr hatte und ganz im Gegenteil die Gefahr barg, dass diese »illegalen Studentenpfarrer […] jetzt als Beeinflussung der Studenten gegen [die sozialistische] Ordnung« eingesetzt werden könnten (Vorlage für das Politbüro, 29.7.1952, zit. n. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 117). Zudem sei durch die vorhandenen Hochschulprediger schon in ausreichendem Maße für die seelsorgerliche Betreuung der Studierenden gesorgt. Die durch die Studierendenpfarrer gepflegte Vernetzung der verschiedenen ESGn untereinander, auch zwischen Ost und West, wurde als Netzwerk zur Verfolgung staatsfeindlicher Ziele gedeutet. Der sozialistischen Erziehung der Jugend stand nach staatlicher Auffassung der Einfluss religiöser Einstellungen und Werte entgegen. Als Hauptgegner machte man die Junge Gemeinde aus. Zugleich wurden die »Evangelischen Studentengemeinden (ESG) auch als ernsthafte Konkurrenz zur FDJ angesehen« (Heydemann 2019, S. 495). Dabei unterschieden staatliche Stellen im Vorgehen nicht scharf zwischen der Jungen Gemeinde und der »Studentengemeinde«. Zum Teil mag das an mangelndem Einblick des Staates gelegen haben, zum Teil am tatsächlich engen Verhältnis zwischen Junger Gemeinde und »Studentengemeinde« in dieser Zeit, zum Teil an den rigorosen Bestrebungen, den gesamten Bildungsbereich (Schule, Oberschule und Hochschule) staatlich-ideologisch zu vereinnahmen. Offiziell gab man vor, den Staat und (!) die Kirche »gegen die Wühl- und Zersetzungsarbeit dieser illegalen Organisation[en]« zu schützen (Bekanntmachung Rektor Koloc, TU Dresden, 26.5.1953, in: Straube 1997, DOK 15, S. 210). Die nach dem Krieg zwischen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und den Kirchen getroffenen Regelungen zur Religionsausübung wurden so streng wie möglich interpretiert. Obwohl das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Religionsfreiheit bestand, sollte kirchliches Leben
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ausschließlich auf die Durchführung von »Kultveranstaltungen« beschränkt bleiben. In Bezug auf die Studierendengemeinden kam besonders die angeordnete Beschränkung kirchlicher Veranstaltungen auf »kircheneigene Räume« zum Tragen. Man ersuchte die Hochschule seitens des Staatssekretariats für Hochschulwesen, dass »den Studentenpfarrern und den Studentengemeinden keinesfalls staatliche, d. h. universitäre Räume für deren Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden« dürfen (Straube 1997, DOK 12, S. 199). Begründet wurde das mit der Trennung von Staat und Kirche nach Art. 49 der DDR-Verfassung. Die Arbeit der Studierendengemeinden wurde dadurch erheblich erschwert, da es praktisch unmöglich wurde, Veranstaltungen der Studierendengemeinden unter Studierenden öffentlich bekanntzumachen. Schaukästen wurden zerstört oder abgehängt, Anschläge an »Schwarzen Brettern« in den Universitäten verboten (vgl. Brief Rektor Mayer der Universität Leipzig, in: Straube 1997, DOK 13). Religiöse studentische Gruppen wurden als rein private Vereinigungen angesehen. Da nur gottesdienstliche und geistliche Veranstaltungen in Kirchengebäuden erlaubt sein sollten, waren besonders überregionale, externe Veranstaltungen wie z. B. »Rüstzeiten« betroffen. Sie mussten von staatlicher Stelle genehmigt werden, wurden kontrolliert und durch Einschränkungen (z. B. in der Wahl der Referenten und Themen) massiv erschwert oder behindert. In der Presse wurden sie in »Hetzartikeln« als staatsfeindliche Veranstaltungen, die unter westdeutscher oder amerikanischer Einflussnahme standen, verunglimpft (vgl. z. B. Leipziger Volkszeitung, Nr. 91 vom 19. April 1952, über ein Freizeitwochenende der Jungen Gemeinde). Hinzu kamen direkte Angriffe auf christliche Studierende und Mitglieder der ESGn. Im Sommer 1952 begann eine »Säuberungsaktion an Universitäten und Hochschulen der DDR, von der aktive und ehemalige Vertrauensstudierende betroffen waren« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 115). Den Studierenden wurde schriftlich, meist ohne Begründung, mitgeteilt, dass sie unwürdig seien, an einer Hochschule der DDR zu studieren und deshalb exmatrikuliert werden (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 115). In anderen Fällen wurden Stipendien gestrichen, ohne die ein Studium in der DDR kaum möglich war. Für viele bedeutete dies das Ende des Studiums oder dessen Fortsetzung im Westen. Die Kirchen versuchten, Position zu beziehen und gleichzeitig die Gemeinden zu stärken, ohne allzu stark unter staatsfeindlichen Verdacht zu geraten. Die Ostkirchenkonferenz äußerte sich schon im August 1952 mit einem Wort an die Junge Gemeinde zu diesen Maßnahmen. Man wehrte sich gegen die Kriminalisierung der Jungen Gemeinde und unterstrich, dass »die Junge Gemeinde keine illegale Organisation sei, sondern Teil der Gesamtkirche. […] Die Kirche selbst werde versuchen, sich schützend vor die jungen Christen zu stellen« (Wort auf der Ostkirchenkonferenz im August 1952, zit. n. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 118).
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Auch den Vorwürfen gegen die Studierendengemeinden versuchte man zu begegnen. In einer Erklärung vom 25. Februar 1953 wurde bekräftigt, dass die Tätigkeit der Studierendenpfarrer »im Auftrag ihrer Kirchenleitung« geschehe und »für die Kirche unaufgebbar« sei und deshalb die »Studentengemeinden nicht als illegale Organisationen bezeichnet werden« können (zit. n. SchnapkaBartmuß 2008, S. 128). Man zeigte sich gesprächsbereit, um Vorwürfe zu entkräften und so die Situation zu entschärfen, aber machte auch die eigene Position deutlich. So heißt es ebenfalls in der genannten Erklärung: »Keinesfalls aber kann die Kirche schweigend zusehen, wenn die Studentenpfarrer und die Evangelischen Studentengemeinden, die ein lebendiger Teil kirchlicher Arbeit sind, angegriffen werden« (zit. n. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 128). Ihren Höhepunkt erreichten die Maßnahmen im Frühjahr 1953 nach dem Tod Stalins. Walter Ulbricht, der Vorsitzende des Zentralkomitees der SED, versuchte das Machtvakuum in Moskau zu nutzen, um eine Umwandlung der Gesellschaft so weit voranzutreiben, dass eine Wiedervereinigung unmöglich wurde. Dabei störten die Kirchen und ihre gesamtdeutsche Ausrichtung. Oberschüler*innen und Studierende sollten sich öffentlich von der Jungen Gemeinde und der »Studentengemeinde« distanzieren. Distanzierte man sich nicht, kam es zum Ausschluss aus der FDJ, und man empfahl den Entzug des Stipendiums oder der Studienzulassung. Diese Maßnahmen zeigten aber nicht den gewünschten Erfolg einer mehrheitlichen Distanzierung von den »Studentengemeinden«. Aufgrund des allgemeinen, gesamtdeutschen kirchlichen Protests, der bis ins Ausland reichte – so z. B. ein Brief Karl Barths an den Minister für Staatsicherheit Wilhelm Zaisser oder die Erklärung des Generalsekretärs des Lutherischen Weltbundes Carl E. Lund-Quist (vgl. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 139) –, kam es im Juni 1953 zu einem Gespräch zwischen Vertretern der Kirche und Ministerpräsident Otto Grotewohl. Ergebnis war ein Kommuniqué, das die Situation sichtlich entschärfte und mit dem weitere Maßnahmen eingestellt wurden. Formal wurden die Relegationen zurückgenommen. Jedoch hatten »viele der engagierten Christen in der ESG […] das Land bereits verlassen und setzten ihr Studium an den westlichen Universitäten fort« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 141). Es kam aber nicht dauerhaft zu einer Entspannung, sondern zu einer zweiten Welle der Verfolgung in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre. Man versuchte, eine langfristige Wirkung zu erzielen. »Mit der Einführung der Jugendweihe 1954 wurde erneut ein Versuch gestartet, gegen die kirchliche Jugendarbeit vorzugehen« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 149). Auch die Studierendengemeinden gerieten wieder als »illegale Organisationen« in den Blick der Hochschulpolitik. Der Vorwurf der Agententätigkeit ihrer Mitglieder und der Studierendenpfarrer wurde erneut aufgegriffen. Besonderes Reizthema waren übergemeindliche Tref-
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fen mit Partnergemeinden auf dem Gebiet der DDR und auf westdeutschem Gebiet. In diese Zeit gehört auch der Prozess gegen den Leipziger Studierendenpfarrer Georg-Siegfried Schmutzler, der verdeutlicht, dass man die Strategie geändert hatte und nun gezielt gegen die »Köpfe« und einzelne bedeutende Mitglieder der ESGn vorgehen wollte (vgl. Kähler 2012). Am Ende der 1950er-Jahre versuchte man von staatlicher Seite, das Pro blem »Studentengemeinde« durch subtilere Methoden und durch eine Politik des Ignorierens zu lösen. »Der Staatsapparat musste nun nicht mehr aktiv werden, weil die Studentengemeinden hochschulrechtlich und hochschulintern im Verantwortungsbereich der Universitäten lagen« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 154). Ein Verbot der Studentengemeinden wurde zwar angestrebt, aber nicht umgesetzt. Man ging dazu über, die Sichtbarkeit der »Studentengemeinde« an der Universität konsequent zu unterbinden und ignorierte einfach deren Existenz.
5 »Differenzierungspolitik« und Notwendigkeit zur Trennung zwischen ESG-Ost und ESG-West In einem Papier vom Zentralrat der FDJ unter dem Titel »Zu einigen Problemen der Arbeit unter der religiös gebundenen Jugend« vom 14. Februar 1961 ist ein eigener Abschnitt über die »Evangelische Studentengemeinde« enthalten. Daraus geht hervor, dass man die bis dahin verfolgte »unfruchtbare Politik einer völligen Ignorierung« aufgeben will. Freilich sollte es weiterhin keine öffentliche Nennung des Begriffs »ESG« geben. Ziel war es, »die politische Differenzierung unter den dort zusammenkommenden Studenten bewußt und zielstrebig voranzutreiben« (zit. n. Straube 1996, DOK 24, S. 249). Das bedeutete, dass Mitglieder der FDJ gezielt thematisch passende Veranstaltungen der ESG auswählten, um diese politisch und ideologisch zu beeinflussen. Man versuchte, zu »positiven oder schwankenden, vor allem einflußreichen« ESG-Mitgliedern Kontakt aufzubauen, um sie persönlich und politisch einschätzen und beeinflussen zu können und Informationen über die ESGn zu sammeln. Ziel war die ständige Überwachung der ESGn und einzelner Mitglieder. »Differenzierungspolitik« meinte aber nicht nur die innere differenzierte Wahrnehmung und Beeinflussung Einzelner. Im selben Dokument wird die Intention der staatlichen Beeinflussung explizit, dass im »gesamtdeutschen Rahmen die Trennung der ESG in der DDR von den reaktionären Einflüssen aus Westdeutschland anzustreben« sei. Das bedeutete auch die »Lösung vom Vertrauensrat« (zit. n. Straube 1996, DOK 24, S. 249).
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Aufgrund der in den 1950er-Jahren zunehmenden »Polarisierung zwischen den Besatzungszonen und dem fortschreitenden Kalten Krieg« (Kaiser 1996, S. 297) erschwerte sich auch der zuvor selbstverständliche Kontakt zwischen den Studierendengemeinden in Ost und West. Man sah die Notwendigkeit, neben dem gesamtdeutschen Vertrauensrat 1956 einen »Beirat für die ESGn im Osten und Groß-Berlins« zu gründen (Kaiser 1996, S. 298). Versicherte man sich 1960 in einem sogenannten »Einheitsmemorandum« noch der »Einheit der ESGArbeit in ihrer Vielfältigkeit« (Kaiser 1996, S. 298), wurden aufgrund der »völligen Abschottung der DDR durch den Mauerbau« im August 1961 für die ESGn auf dem Gebiet der DDR »praktische Veränderungen« notwendig (Kaiser 1996, S. 299). Man einigte sich zunächst darauf, den Vertrauensrat paritätisch aus Ostund Westmitgliedern zu besetzen. 1962 wurde dann ebenfalls ein Beirat für die »ESGn in der Bundesrepublik und Westberlin« gegründet. Der gesamtdeutsche Vertrauensrat wurde damit zunehmend zu einem »Organ der Zusammenarbeit zweier in sich geschlossener Gruppen« (Kaiser 1996, S. 300), ein formaler Dachverband. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde die gemeinsame Arbeit im Vertrauensrat durch Einreiseverbote zu Tagungen in Ostberlin erschwert und war praktisch kaum noch möglich. Hinzu kamen die politischen Diskussionen Ende der 1960er-Jahre, die eine gesamtdeutsche Einheit als nationalistische Tendenz infrage stellte. Man diskutierte, ob diese Klammer (iD, »in Deutschland«) überhaupt notwendig sei. Auf der Vertrauensratssitzung im Mai 1967 beschloss man eine Namensänderung in »ESG« unter Weglassung des »iD« und die Trennung in »ESG DDR« und »ESG BRD« als selbstständige Bewegungen. Ziel der Trennung war »die Verantwortungsübernahme in Bezug auf politische Entspannung in Europa«; zugleich versicherte man, »daß dies nur in gegenseitigen und ständigen Gesprächskontakten wahrgenommen werden kann« (Kaiser 1996, S. 303). Im Verlauf der Beziehungen wurde aber das Ost-West-Verhältnis in den stattfindenden Kontakten eher tabuisiert.
6 Politisches Engagement der ESGn in der DDR Inwieweit sich die ESGn in bewusster politischer Opposition zum Staat, in der Haltung der Verweigerung oder auch des aktiven Engagements für eine Kirche im Sozialismus verstanden, lässt sich nicht pauschal beurteilen. Im Gegenteil zur offiziellen staatlichen Darstellung wurde der sozialistische Staat von den ESGn nicht aktiv bekämpft oder die sozialistische Gesellschaftsutopie pauschal abgelehnt. Gleichwohl begegnete man dem dialektischen Materialismus mit kritischer Skepsis.
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Nach dem oben Dargestellten erschließt sich, dass in den 1950er-Jahren auch über die Frage nach der Möglichkeit einer Widerstandsbewegung gegen die DDR-Regierung nachgedacht wurde. Generell wurde sie jedoch im Hinblick auf Römer 13 abgelehnt. Man sah die grundlegende Aufgabe der Christ*innen im Dienst am Menschen in der DDR (vgl. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 191). Innerkirchliche Protestbewegungen gab es aber im Hinblick auf konkrete Fragestellungen wie die Einführung der Wehrpflicht. Sie wurde für viele christliche Studierende zur Gewissensfrage, da im Hochschulgesetz als Vorbedingung für ein Studium der »Dienst an der Waffe« festgesetzt und für sie der waffenlose Ersatzdienst nicht möglich war. Studierende, die sich aus Gewissensgründen auf die Anordnung der DDR über die Bausoldaten beriefen, wurden exmatrikuliert (vgl. Schnapka-Bartmuß 2008, S. 196 f.). Der Umgang mit dieser Problematik war ein wichtiges Feld der kirchlichen Seelsorge und Beratung. Im selben Spannungsfeld von Militarismus und Pazifismus stand die kritische Auseinandersetzung um die atomare Aufrüstung und der Protest gegen den Vietnamkrieg, die in den 1980er-Jahren in die Friedensbewegung mündeten. Daneben wurden aber auch Themen wie Schwangerschaftsabbruch und Sexualerziehung diskutiert. Ende der 1960er-Jahre setzte man sich mit der Möglichkeit von »Kirche im Sozialismus« auseinander. Dies geschah vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges und gesteigerter Liberalisierungstendenzen kapitalistischer Wirtschaftspolitik, die dazu beitrugen, dass junge Menschen bereit waren, sich stärker mit dem Sozialismus und auch mit der SED zu identifizieren. So ging es z. B. mit dem Wechsel des Generalsekretärs in der ESG-Geschäftsstelle 1968/69 von KlausPeter Hertzsch zu Udo Skladny »nicht mehr nur um ein politisches Engagement, sondern es kam zu einer Forderung zur Hinwendung und zum Einsatz für den Sozialismus« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 199). Man wollte Studierende zur aktiven Mitarbeit in staatlichen Gremien motivieren. Zugleich desillusionierte die erlebte Gestalt des »real existierenden Sozialismus« romantische Sozialismusvorstellungen. Die ESGn in der DDR waren im Forum des WSCF die einzige Studentenbewegung, die aus einem sozialistischen Land kam und die eigene Erfahrungen über die Möglichkeit der freien Entfaltung des christlichen Glaubens und kirchlichen Lebens in einer sozialistischen Gesellschaft einbrachte.
7 Die 1970er- und 1980er-Jahre Für die 1970er- und 1980er-Jahre wird die Aktenlage in den ESGn dünner – sicherlich auch ein Zeichen dafür, dass man vorsichtiger mit »Aufzeichnungen« umging, die in den Augen des Staates verfänglich sein könnten. Zugleich ent-
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spannte sich in den 1970er-Jahren das Verhältnis von Kirche und Staat leicht. Die Kirche wurde als »soziale Einrichtung« vom Staat angesehen und in dieser Funktion teilweise akzeptiert. In den Studierendengemeinden lässt sich in dieser Zeit auch sozialpolitisches Engagement und die Solidarisierung mit gesellschaftlichen Randgruppen nachweisen. Es gründeten sich in den 1970erund 1980er-Jahren Arbeitskreise, in denen unterschiedliche Interessengruppen zusammenfanden, so zum Beispiel Arbeitskreise für die Inklusion von Menschen mit Behinderung, für die Anliegen Homosexueller oder Arbeitskreise für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Auch aus diesen Arbeitskreisen gingen Impulse für die Friedliche Revolution 1989 und die damit verbundene politische Wende aus. Die ESGn in der DDR waren Orte des persönlichen und intellektuellen Austausches. Sie waren Orte eines Studium generale, das neben dem ideologisch überformten akademischen Betrieb der Universitäten und Hochschulen freiere Bildung ermöglichte. Viele ESGn in der DDR verfügten dank der Unterstützung westdeutscher Partnergemeinden in ihren Bibliotheken über Literatur, »die der Zensur der DDR nicht standgehalten hätte« (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 186). Sie luden Referent*innen ein, zum Teil auch aus dem Westen Deutschlands, die sonst nicht zu hören waren. Aus all diesen Gründen waren sie in der gesamten Zeit der DDR im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Aufgrund ihrer offenen Struktur und Arbeitsweise gelang es immer wieder, IMs (Inoffizielle Mitarbeiter) – Studierende und Studierendenpfarrer – als Spitzel einzuschleusen. Ziel des MfS war es, »über die Aktivitäten der Studentengemeinde informiert zu sein, die Studenten und Studentenpfarrer von ihren Vorhaben abzuhalten und Veranstaltungen zu behindern, die nach Meinung der staatlichen Stellen keinen ›kirchlichen Charakter‹« hatten (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 190 f.). Engagierte Studierende waren sich stets bewusst, dass die Mitarbeit und der Besuch der ESG negative Folgen wie eine »teilweise oder endgültige Exmatrikulation oder die Verwehrung von Forschungsstipendien« für die eigenen Karriereaussichten haben konnten (Schnapka-Bartmuß 2008, S. 191).
8 Fazit Gegenwärtig ist immer noch zu beobachten, dass die ESGn im Osten mit einer DDR-Vergangenheit starke gemeindliche Strukturen aufweisen. Neben einem ausgeprägten basisdemokratischen Selbstverständnis ist die eigenständige Leitung des Gemeindelebens durch Vertrauensstudierende und einen Gemeinderat charakteristisch. Noch immer befinden sich die ESGn zwischen Hochschule und
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Kirche und versuchen, zwischen beiden eine Brücke zu schlagen. Verschiedene gesellschafts- und hochschulpolitische Konstellationen nötigen die ESGn zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit und Tradition als »Evangelische Studentengemeinden in der DDR«, auch wenn ihre derzeitigen Mitglieder nach der politischen Wende 1989 geboren sind und gar nicht so selten aus Westdeutschland kommen.
Literatur Heydemann, G. (2009): Sozialistische Transformationen. Die Universität Leipzig vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Mauerbau. 1945–1961. In: U. von Hehl/F. Häuser (Hg.): Geschichte der Universität Leipzig. 1409–2009 (S. 330–565). Leipzig. Kähler, C. (2012): Kampf um die Köpfe? Christliche Studenten in der DDR im Spannungsfeld von Religion und Ideologie. In: J. Klose (Hg.): Religion statt Ideologie? Christliche Studentengemeinden in der DDR. Belter-Dialoge – Impulse zu Zivilcourage und Widerstand 3 (S. 25–46). Leipzig. Kaiser, K.-D. (1996): Gemeinsame Verantwortung. Zur Geschichte der Trennung der Evangelischen Studentengemeinden 1967. In: P. Pasternack (Hg.): Hochschule & Kirche, Theologie & Politik. Besichtigung eines Beziehungsgeflechts in der DDR (S. 297–307). Berlin. Schmutzler, G.-S. (1992): Gegen den Strom. Erlebtes aus Leipzig unter Hitler und der Stasi. Göttingen. Schnapka-Bartmuß, C. (2008): Die evangelischen Studentengemeinden Leipzig und Halle/Saale in den Jahren 1945 bis 1971. Univ.-Diss. Leipzig. Straube, P.-P. (1997): Katholische Studentengemeinde in der DDR als Ort eines außeruniversitären Studium generale. Erfurter theologische Studien 70 (2. Aufl.). Göttingen. Ueberschär, E. (2003): Ein neuer Kirchenkampf? Kirchliche Deutungen im Vorfeld des 17. Juni. In: M. Greschat/J.-C. Kaiser (Hg.): Die Kirchen im Umfeld des 17. Juni 1953. Konfession und Gesellschaft 31 (S. 119–128). Stuttgart.
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Es ist eine spannende Frage, ob und wie ESGn politisch sind. Wie hat sich politisches Engagement seit den Anfängen der christlichen Studentenbewegung entwickelt und welche Rolle spielte Demokratiebildung dabei? Diesen Fragen soll im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in einem geschichtlichen Überblick nachgegangen werden (siehe dazu auch Artikel 1.1, 1.2 und 4.6 in diesem Handbuch).
1 Christliche Studierende in Deutschland bis 1945 1.1 Mission in Zeiten des Nationalismus bis 1918 Auch wenn die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) nie »Politik getrieben« hat, so haben die politischen Ereignisse ihrer Zeit sie geprägt und immer wieder zu politischen Diskussionen und zur Stellungnahme gezwungen (Kupisch 1964, S. 155). In ihrer Entstehung, die Karl Kupisch als Teil der Erweckungsbewegung im Zusammenhang mit der Young Men’s Christian Association (YMCA) nachgezeichnet hat, nahm die DCSV schon bald die ganze Welt als Missionsziel in den Blick. Für die Arbeit vor Ort in Kleingruppen war die globale Perspektive zwar weniger spürbar. In den Studentenkonferenzen 1890–1895 war der Blick auf die nationale Organisation des Auftrags gerichtet. Mit der Gründung des Christlichen Studenten-Weltbundes in Vadstena/Schweden, die im gleichen Jahr wie die Gründung der DCSV geschah, war der geografische Horizont der Ausrichtung aber explizit benannt. So wenig die Arbeit der DCSV sich als politisch verstand, sie konnte und wollte der Wirklichkeit der durch Politik geprägten Realität derer nicht ausweichen, um die sie sich bemühte. Die erste inhaltliche Debatte, die sich auf Christsein und Politik bezog, wurde im März 1915 in der »Furche«, dem Mitteilungsblatt der DCSV, geführt (Kupisch 1964, S. 94). Es ging um die Frage, wie sich Christsein
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und Soldatsein im Ersten Weltkrieg vereinbaren ließen. Begründet wurde eine Aussage wie »Uns ist der Kriegerstand ein Gott wohlgefälliger Dienst für den Kaiser« mit Lukas 20,25 (Kupisch 1964, S. 95). Entscheidend waren bei der Diskussion nicht ihre Ergebnisse, sondern die Tatsache, dass Studierende, die sich vor dem Ersten Weltkrieg durch den World Student Christian Federation (WSCF) weltweit als Christen verbunden fühlten, nun im Krieg gegeneinanderstanden und mit dieser Situation umgehen mussten. John Mott, der charismatische Gründervater des WSCF, äußerte zu Kriegsbeginn im Dezember 1914 deshalb die damals unpopuläre Meinung: »Wenn der Weltbund 20 Jahre früher bestanden hätte, so wäre dieser Krieg nicht ausgebrochen« (zit. n. Kupisch 1964, S. 94). Auch grundsätzliche Diskussionen über die Demokratie fanden in der »Furche« statt. Paul Humburg vertrat in der Auseinandersetzung mit John Mott die Auffassung: »Wir haben im Gegenteil in unserem christlichen Leben schon an mancher Stelle mit Bedauern gesehen, daß der demokratische Geist in unserem Volk oft schöne Seiten des früheren geistlichen Lebens zerstörte« (zit. n. Kupisch 1964, S. 97). Während der WSCF im Oktober 1914 im Bewusstsein der »unruhigen Zeiten« zu dem Ergebnis kam, einerseits »keine andere Fahne als die Fahne Jesu Christi hochzuhalten« und seine »vollkommene Neutralität« versicherte (zit. n. Kupisch 1964, S. 97), war andererseits genauso offensichtlich, dass zwischen 1914 und 1918 die Missionsarbeit in ihrer internationalen Ausrichtung pausieren musste. 1.2 Der Erste Freideutsche Jugendtag 1913 So selbstverständlich Studierende im 21. Jahrhundert Politik und Kirche unterscheiden, so natürlich konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts politische Gesinnung und Religion Hand in Hand gehen. Wilhelm Stählin hat in seiner Schrift »Der neue Lebensstil. Ideale Deutscher Jugend« 1918 die Jugendbewegung, die er selbst geprägt hat, programmatisch beschrieben. Die Schrift entstand fünf Jahre nach dem sogenannten Freideutschen Jugendtag. Als am 12. und 13. Oktober 1913 über zweitausend junge Menschen der Einladung zum Ersten Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner (Nordhessen) folgten, war ihr Ziel die Vereinigung ihrer Vielfalt. Sie waren sich dessen bewusst, dass eine Woche später, am 18. Oktober 1913, die Einweihung des neuen Völkerschlachtdenkmals in Leipzig bevorstand. Das Programm, das sie in der »Meißner-Formel« jenen Vorgängen entgegenhielten, lautete: »Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese
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innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei« (Stählin 1925, S. 6).
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Die Einladung zum Treffen auf dem Meißner war von der Deutschen Akademischen Freischaar an verschiedene Gruppierungen ausgegangen: Wandervogel, Dürerbund, Deutscher Vortruppbund, Deutsche Landerziehungsheime und Freie Schulgemeinden (Osteroth 2013). Ein Gedicht des Gera-Kreises aus Jena beschreibt die Zusammensetzung derjenigen, die der Einladung gefolgt waren: »Die meisten von uns sind Studenten, / Einige haben ein Amt. / Jeder ist ehrlich bemüht« (zit. n. Stählin 1925, S. 5). Ob es außer dem Hauptziel der Gemeinschaft ein klar definiertes Programm gab, bleibt fraglich. Stählin beschreibt die »Lebensbewegung« als »Dreiklang«, der »immer wieder herauszuhören ist: Freiheit, Wahrhaftigkeit und Verantwortung« (Stählin 1924, S. 6). Dieser Dreiklang sei eng verknüpft mit einem »Instinkt für Gemeinschaft« (Stählin 1925, S. 23), denn der neue Lebensstil wolle den Individualismus überwinden und ziele letztlich auf eine neue Volksgemeinschaft (Stählin 1925, S. 23). In der Frage, inwieweit Religiöses Teil dieser Bewegung war, benennt Stählin die Inhalte der Jugendbewegung. Für ihn sind es »ganz persönliche, sittliche und letztlich religiöse Ideale, Reinheit und Wahrheit, Echtheit und Treue, Herzlichkeit und Freundschaft, die auch im Hinblick auf das Volksganze mit Inbrunst ergriffen werden« (Stählin 1925, S. 25). Religion sei in diesem Sinn »nicht ein Teil- und Sondergebiet des Lebens, sondern die innerste Kraft und Weihe« (Stählin 1925, S. 25). So kann ein Wandervogelführer zum Ergebnis kommen: »Unsere ganze Bewegung ist im Grunde eine religiöse Bewegung« (Stählin 1925, S. 25). Indem Stählin den neuen Stil des Lebens ganz bewusst als Teil vieler Erneuerungsbestrebungen versteht, hilft seine Beschreibung des Ersten Freideutschen Jugendtags bei der Einordnung dieser liberalen Bewegung in die vorwärtsstrebenden Erneuerungsbewegungen, in denen Gemeinschaftsstreben, Bewusstmachung nationaler Identität und eine religiöse Grundhaltung nicht voneinander getrennt werden konnten (Stählin 1925, S. 27). 1.3 Die DCSV von 1918 bis zum Verbot 1938 im Nationalsozialismus Die Niederlage des Ersten Weltkriegs bedeutete eine große Verunsicherung. Kupisch (1964, S. 156) schreibt: »Für einen deutschen evangelischen Christen war es ganz selbstverständlich, daß seine Liebe zum Vaterland und den geschichtlich
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legitimierten Ordnungen auch ein Stück seines praktischen Glaubensgehorsams sei«. Was war aber davon zu halten, dass diese verlässlichen Ordnungen sich nicht als stabil erwiesen hatten? In der Folge dieses Umbruchs kam es in der DCSV zu Diskussionen über die Idee des Sozialismus – dem Zauberwort für alles, was neu werden sollte. Abgesehen von solch programmatisch-politischen Versuchen zur Selbstverortung standen ganz konkrete soziale Probleme seit den frühen 1920er-Jahren im Vordergrund des Alltags. In diesen Zusammenhang gehört die »Soziale Arbeitergemeinschaft Berlin-Ost«, in der, angeregt und organisiert durch Friedrich SiegmundSchultze, mithilfe von Mitarbeitern aus der DCSV das Evangelium in die Tat umgesetzt werden sollte, d. h. »daß man nicht voneinander reden, sondern miteinander leben« wollte (Kupisch 1964, S. 158). Siegmund-Schultze wollte zeigen, dass die direkte Evangelisation keinen Erfolg in der Arbeiterwelt habe, dafür aber die christlich-soziale Fürsorge überzeuge. So kam es schließlich auch zur Gründung der ersten deutschen Zentrale für Jugendschutz und dem Berliner Jugendamt, dessen erster Direktor Siegmund-Schultze wurde (Kupisch 1964, S. 159). Das Verlangen nach politischer Stabilität und der gleichzeitige Grundsatz der politischen Neutralität standen in den nächsten Jahren immer wieder im Widerspruch zueinander, der in einem Konflikt endete. Als 1922 der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) der Rostocker Universität den Reichsgründungstag am 18. Januar mit Gottesdienst, Fackelzug und Kommers feiern wollte, stimmte die dortige DCSV gegen Fackelzug und Kommers. Sie hielt die Inszenierung in der wirtschaftlichen Not »der Studenten und des ganzen Volkes« für eine Provokation (Kupisch 1964, S. 161). Diese Auseinandersetzung endete bezeichnenderweise damit, dass die Feier schließlich allein von den Korporationen durchgeführt wurde (Kupisch 1964, S. 162). Die Vorgänge in Rostock wurden später auch innerhalb der DCSV kontrovers diskutiert. Die Gegenmeinung lautete: »Wir sind keine Freischaar, die für einen bestimmten Lebensstil sich einsetzt, sondern wir dienen dem Christus, der auch an Fackelträger und Kommersteilnehmer einen Ruf hat« (Kupisch 1964, S. 162). Der Vorgang in Rostock zeigt in seinen Facetten für die Jahre bis 1933, dass Mission und politisches Engagement bei den Studenten der DCSV kontrovers betrachtet wurden. Auseinandersetzungen innerhalb der DCSV fanden ihren Niederschlag in der »Furche«, die später zu den »Mitteilungen« wurde. Dies ging 1931 soweit, dass der damalige Generalsekretär in den Mitteilungen politisch Stellung bezog. Die Gegenreaktion darauf erfolgte in zehn Thesen aus Tübingen, deren Schluss lautet: »So tragen wir als Christen, denen das Kreuz Christi alleiniges Unterpfand ihres ewigen Heiles ist, mit Freude das Hakenkreuz als Ausdruck unseres politischen Wollens« (zit. n. Kupisch 1964, S. 170).
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Die positive Haltung zum Nationalsozialismus wurde in der DCSV von dem schon erwähnten grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Sozialismus und demokratischen Tendenzen verstärkt. Die zunächst langsame und nach der Machtergreifung zügige Neuordnung des studentischen Lebens versuchten die studentischen Mitglieder der DCSV in ihrem Sinn mitzugestalten. Die Altfreunde, die für die Organisation der DCSV das finanzielle Rückgrat bildeten, standen der Forderung der Einführung des Arierparagrafen ablehnend gegenüber und stellten schließlich die finanzielle Förderung vollkommen ein. Den Altfreunden fiel deutlicher als den studentischen Mitgliedern auf, dass die Mitglieder der DCSV aus anderen Ländern bei einer Einführung des Arierparagrafen nicht mehr Mitglieder sein konnten. Diese Christen, denen man sich verbunden fühlte, aufgrund nationalsozialistischer Vorgaben von der DCSV auszuschließen, bedeutete für die Altfreunde einen theologischen und gleichzeitig politischen Tabubruch, den sie nicht bereit waren, in Kauf zu nehmen. Es dauerte nicht mehr lange, bis die DCSV 1938 ganz verboten wurde (siehe dazu Artikel 1.1 in diesem Handbuch).
2 Die ESG im Nachkriegsdeutschland Zwei Grundprobleme stellten sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: einerseits das Eingeständnis der Schuld an der Shoa, andererseits die Sorge um die Grundversorgung mit Essen, Kleidung und Unterkunft. Die evangelische Kirche war für die alliierten Besatzungsmächte deshalb eine gute Partnerin, weil sie u. a. mit der Stuttgarter Schulderklärung 1945 eine Position bezog, für die sie als »Landes- und Volksverräter« beschimpft wurde (Nowak 1995, 292 f.). In der Nothilfe leistete sie systematisch vor Ort bescheidene und essenzielle Hilfe, u. a. in der Verwaltung der CARE-Pakete (Nowak 1995, S. 297). In diesem Zusammenhang ist es nachvollziehbar, dass die nach dem Verbot der DCSV neu gegründeten Studentengemeinden an den Universitäten großen Zulauf hatten. Beispielhaft entwickelte sich die Situation der Studierenden an der Freien Universität in Berlin. Karl-Behrnd Hasselmann beschreibt in seinen Aufzeichnungen als Studentenpfarrer in den 1970er-Jahren, wie die soziale und psychische Notlage der Studierenden der Ausgangspunkt für einen kritischen Diskurs wurde. Durch die Untersuchung der Deutschen Studentenärzte-Tagung 1964 in Berlin wurden sowohl die Verhältnisse und Bedingungen im Studium als auch die Herrschaftsstrukturen der Universität als problematisch identifiziert (Hasselmann 1969, S. 17 ff.). Anhand der statistisch messbaren Notlage entstand
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die Erkenntnis, dass individuelle Probleme nur durch einen Prozess struktureller Veränderung gelindert werden könnten. »Die ESG suchte den Hebel zur Veränderung ›unten‹, bei der Situation der gestörten und geschädigten Studenten anzusetzen« (Hasselmann 1969, S. 122). Diese Bemühung brachte die ESG an der FU gemeinsam u. a. mit dem AStA und dem Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) in Bewegung. Über diese und die nachfolgenden Ereignisse informiert der 2018 von Dorian Raßloff gedrehte Dokumentarfilm »Mit Jesus auf die Barrikaden. Christ*innen in der 68er-Revolte«. Als infolge des gewachsenen politischen Bewusstseins bei der Protestdemonstration gegen den Schah am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg – Mitglied der ESG – von einem Polizisten erschossen wurde, führte dies zur Verhärtung der Fronten, die in der geteilten Stadt ohnehin kompliziert waren. Die Proteste sahen sich mit einer einseitigen Presseberichterstattung konfrontiert, bei der Studierende »nicht mehr Menschen, sondern Krawallmacher, Radikalinskis, Mob, Müßiggänger, Kommunisten, Elemente oder Subjekte« waren (Hasselmann 1969, S. 55). Sie gingen auf verschiedenen Ebenen vor: mit Flugblättern und Aufklärungsaktionen über den Vietnamkrieg, bei dem das Gespräch mit Passant*innen gesucht wurde. Die ESG an der FU formulierte in einem Brief an Bischof Kurt Scharf ihre Forderungen als christliche Gemeinde an die Kirche als wichtiges gesellschaftliches Gegenüber. Sie lauteten: 1. »eine objektive Untersuchung und Darstellung der Geschehnisse«, 2. »daß es zu den seelsorgerischen Möglichkeiten der Kirche gehört, verhärtete Fronten aufzubrechen und beide Seiten wieder miteinander ins Gespräch zu bringen« (zit. n. Hasselmann 1969, S. 50–52), 3. einen Dialog der Generationen in den Gemeinden. Hasselmann resümiert: »Diese Maßstäbe, die für die kirchliche Gemeinschaft konstitutiv sind, müssen vorbildhaft auch der politischen Gemeinschaft vorgestellt werden« (Hasselmann 1969, S. 52). Dem Brief an Bischof Scharf folgte am 5. Juni 1968 die Aktion »Student in der Gemeinde«, durch die Studierende im Gespräch und Dialog in Kirchengemeinden Aufklärungs- und Informationsarbeit leisten wollten. Die Mittel der Studentenbewegung blieben Flugblätter, Demonstrationen und sogenannte Aktionen, mit denen sowohl auf die Publikationen der Presse als auch auf politische Ereignisse wie die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg aufmerksam gemacht wurde. Einer der Hauptakteure war Rudi Dutschke, der in ständigem und freundschaftlichem Austausch mit dem Theologieprofessor Helmut Gollwitzer stand und auch zeitweise von ihm und seiner Frau Brigitte beherbergt wurde. Gollwitzer war es auch, der für den ermordeten
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Benno Ohnesorg die Traueransprache hielt (Hasselmann 1969, S. 59). Rudi Dutschke aber eindeutig in der ESG an der FU einzuordnen, bleibt schwierig, weil er sein Engagement zwar durchaus als Christ verstand und auch die Kanzel als Ort der Rede und des Aufrufs nicht scheute. Seine Frau, Gretchen Dutschke, schreibt im Rückblick: »Als ich Rudi kennen lernte, war er gläubiger Christ« (Dutschke 2005, S. 381). Allerdings kommt die ESG an der FU nur im Rahmen dessen vor, was er über die Kirche denkt und schreibt. Die Kirche bleibt eher ein Gegenüber, oft ein Mit- oder auch Gegenspieler unter vielen in seinem Denken über die gesellschaftliche Revolution. Die Westberliner Presse ließ die Gelegenheit nicht aus, um mit einem Foto von Dutschke auf der Kanzel der Neu-Westendkirche am 21. Juni 1967 das bürgerliche Berlin zu polarisieren. Im Nachhinein versuchte Bischof Scharf durch einen Brief an die Gemeindemitglieder das Vorkommnis zwar nicht zu entschuldigen, aber wenigstens aufzuklären. Die Versammlung in der Kirche war ursprünglich als Hungerstreik zur Freilassung des damals inhaftierten Fritz Teufel geplant; eine Erlaubnis zur Nutzung der Kirche war den Studierendenvertreter*innen verwehrt worden. Die Absage umzusetzen, stellte sich aber trotz Vermittlungsversuchen des Studentenpfarrers Manfred Engelbrecht als unmöglich heraus. Dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke am 11. April 1968, dessen Folgen er 1979 erlag, war ein Flugblatt der ESGn West-Berlins vorausgegangen, in dem auf die Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968 aufmerksam gemacht wurde: »King kämpfte gegen diese sozialen Mißstände in den USA. Er bekämpfte sie nicht nur dort. King sah eine klare Verbindung zwischen der Unterdrückung der Neger und der Unterdrückung anderer Völker, z. B. in Vietnam« (zit. n. Hasselmann 1969, S. 95). Diese Anschläge und auch das Erschrecken über den Tod des Journalisten Klaus Frings und des Studenten Rüdiger Schreck in München führten in der Studentenschaft zu Diskussionen über Deeskalation und gewaltfreier Auseinandersetzung. Im Sommer 1969 wurde das neue Hochschulgesetz an der FU verabschiedet mit einer zwar kritischen, aber auch nachdenklich zustimmenden Stellungnahme der Studentenschaft. Für kommende Studierendengenerationen war durch die Ereignisse von 1968 politisches Handeln und gesellschaftlicher Diskurs zum selbstverständlichen Element dieser Lebensphase geworden. Die ESGn waren nicht nur in Berlin, sondern auch andernorts dadurch linkspolitisiert worden, dass die Studentenpfarrer sich die Begleitung von Studierenden zu eigen gemacht hatten. HansJoachim Dahms hat darauf hingewiesen, dass es politisch ein breites Spektrum gab: den Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und den National-
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demokratischen Hochschulbund (NHB) als rechten Flügel, die sich in Opposition zu den linken Gruppen positionierten (Dahms 2008, S. 10).
3 Konflikte zwischen Landeskirchen und ESGn Bei der Wiederbelebung der Studierendenarbeit nach 1945 war die Rolle der Kirche eine andere als bei der Entstehung der DCSV. Vor dem Ersten Weltkrieg war die treibende Kraft der Studierendenarbeit die Erweckungsbewegung gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ergriff die Kirche 1945 in Treysa die Initiative und beauftragte Pfarrer Manfred Koschere damit, »bis zu einer weiteren Ordnung der gesamten kirchlichen Arbeit unter den deutschen Studenten die verschiedenen Studentengemeinden an den deutschen Universitäten in dem von den Westmächten besetzten Gebiet in geeigneter Form zusammenzufassen, und uns […] von Zeit zu Zeit einen Bericht zukommen zu lassen« (zit. n. Kubitza 2016, S. 197). Die evangelische Kirche sah sich in einer gesellschaftlichen Verantwortung und nicht als Gegenüber zu Staat und Gesellschaft, sondern als ihr Teil. Im Folgenden wird am Beispiel Marburgs nachgezeichnet, wie diese neue politische Kirchlichkeit bis in die Gegenwart dazu führte, dass ESGn als Einrichtungen der Landeskirchen politische Themen aufgreifen und reflektieren; dies aber immer unter dem wachsamen Auge ihrer Landeskirchen, die sich nicht scheuen, korrigierend einzugreifen, wenn politische Meinungen in unerwünschte Fahrwasser zu führen drohen. Im Oktober 1945 fand in Marburg die erste Studentenpfarrkonferenz nach dem Krieg statt. Das Selbstverständnis war verwurzelt in der Bekennenden Kirche. Um die Arbeit vor Ort strukturell zu ordnen, wurde ein Vollzugsausschuss eingesetzt, der die Aufgabe hatte, »eine Ordnung der Studentengemeinde zu finden, die den kirchlichen Charakter der Studentengemeinde klar herausstellt und gleichzeitig der Studentengemeinde diejenige Freiheit der Entwicklung sicherte, die notwendig ist, wenn eine kirchliche Bürokratisierung der Studentengemeinde vermieden werden soll« (Kubitza 2016, S. 199). Die Struktur der neuen Studentengemeinde konstituierte sich dementsprechend am Studentenpfarrer als Leiter der Studentengemeinde. Durch Vertrauens-
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studenten sollte die Rolle der Studierenden verankert werden (Kubitza 2016, S. 198 f.). Die Anbindung der Studentengemeinden als kirchliche Einrichtungen an die Universitäten als nichtkirchliche Einrichtungen hat seit der Neugründung 1945 zu Spannungen geführt. Diese wurden aus politischer Motivation heraus ausgehalten, denn »[m]an wollte kein Verein sein, weil man in den Wirren des Kirchenkampfes sich immer mehr als ein Teil der Kirche verstanden hatte, und sich auch zunehmend verantwortlich für diese Kirche fühlte« (Kubitza 2016, S. 209). In den Nachkriegsjahren wurde diese Form von Kirche neben regelmäßigen Gottesdiensten und Bibelstunden ein Ort der Aufarbeitung der Frage nach der politischen Verantwortung der Christ*innen in der Generation von jungen Erwachsenen. In ihrer Wirkung verstanden sich ESGn nun vermehrt als »Politische Gemeinde«, deren inhaltliche Gestaltung vielfach von den Studentenpfarrern vor Ort abhängig war. Zu diesem Selbstverständnis passt auch das Logo der ESGn in Deutschland, das 1968 in Osnabrück entstand: ein roter Hahn, der allerdings zunächst blau war; Studentenpfarrer Velten Seifert – später ESG-Generalsekretär – entwickelte ihn 1968 zusammen mit Osnabrücker Studierenden. Darüber, welchen Geistes Kind die ESG Osnabrück in diesen Jahren war, klärt ein Vortragsthema aus dem gleichen Jahr auf: »Reform und Revolution. Wie kommt eine christliche Gemeinde zum außerparlamentarischen Protest? Berliner Marginalien und Reflexionen zu den von der Hochschulkommission der ESG erarbeiteten Thesen zur politischen Verantwortung der christlichen Gemeinde« (zit. n. Wackerbarth 2008, S. 1). Dass der Hahn von anderen ESGn übernommen wurde und sich innerhalb weniger Jahre vom anfänglichen Blau ins linkspolitische Rot verfärbte, überrascht darum nicht. Bis 1977 entwickelte sich die ESG Marburg dahingehend, dass kaum mehr Gottesdienste und Bibelstunden stattfanden. Stattdessen nutzten selbstständig organisierte Gruppen die Räumlichkeiten der ESG. Die Lösung für den sich darauf entwickelnden Konflikt war der Weggang des Studentenpfarrers Frieder Stichler. Sein Nachfolger Christian Hilmes erklärte, »daß er allen Gruppen im von Soden-Haus das Gastrecht entziehen wolle, die keine direkte Verbindung zur Kirche hätten, oder nicht von einem Theologen geleitet wurden« (zit. n. Kubitza 2016, S. 382). Mit diesem Schritt hatte der Prozess der Entkernung der ESG Marburg von ihren politischen Arbeitsgruppen begonnen. Es folgten zwei Jahre der
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Auseinandersetzung der nun nicht mehr in der ESG beheimateten Gruppierungen, bis sich am 15. Mai 1979 die »autonome Evangelische Studentengemeinde Marburg« (aESG) gründete (Kubitza 2016, S. 409). Finanziell war diese auf einen Förderkreis angewiesen, da landeskirchliche Gelder nicht mehr zur Verfügung standen. Überregional war die aESG stärker als andere Studentengemeinden auf die Anbindung an die bundesweite Gesamt-ESG angewiesen (Kubitza 2016, S. 409). Nach mehreren Jahren des Gegeneinanders und seit 1982 einigen Jahren des Dialogs zwischen ESG und aESG löste sich die Marburger aESG im Januar 1990 offiziell auf (Kubitza 2016, S. 436). Je nach den politisch aktuellen Ereignissen haben Studierendenpfarrer*innen und Studierende im Rückbezug auf ihren Glauben auf Themen und Probleme ihrer Zeit reagiert. Die finanziellen und personellen Ressourcen für die Aktivitäten und die Gebäude wurden und werden ihnen von den Landeskirchen bereitgestellt, als deren Teil sie sich verstehen. Zeitweise bestand darin ein gewisses Spannungsverhältnis. Wenn heute oder in Zukunft Kirche oder ESGn sich politisch engagieren, dann darf vermutet werden, dass die Gemeinden so (un-)politisch sind wie die Gesellschaft, deren Teil sie sind. Dabei ist es möglich, dass Einzelne oder kleine Gruppen politische Akzente setzen.
Literatur Axenkopf, M. (2020): »Christlicher Glaube hat immer eine politische Dimension«. Evangelische Studentengemeinden »1968« und ihr Verhältnis zu den Landeskirchen. Evangelische Aspekte, 30 (1), S. 29–31. Dahms, H.-J. (2008): 1968 in Göttingen. Wie es kam und was es war. In unbekannten Pressefotos. Göttingen. Durch Hohes und Tiefes (2008): Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Hg. v. E. Eckert/F. Kramer/U.-K. Plisch. München. Dutschke, R. (2005): Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebücher 1963–1979. Hg. v. G. Dutschke. Köln. Hager, A. (2012): Westdeutscher Protestantismus und Studentenbewegung. In: S. Hermle/C. Lepp/ H. Oelke (Hg.): Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren (2. Aufl., S. 111–130). Göttingen. Hasselmann, K.-B. (1969): Politische Gemeinde. Hamburg. Kubitza, H.-W. (2016): Geschichte der Evangelischen Studentengemeinde Marburg (2. Aufl.). Marburg. Kupisch, K. (1964): Studenten entdecken die Bibel. Hamburg. Mit Jesus auf die Barrikaden: Christ*innen in der 68er-Revolte. Ein Dokumentarfilm (2018). Regie und Drehbuch: D. Raßloff. Berlin: filmArche e. V. Nowak, K. (1995): Geschichte des Christentums in Deutschland. München. Osteroth, R. (2013): Feuer machen, tanzen, frei sein. ZEIT Geschichte (2), S. 76–83. Stählin, W. (1925): Der neue Lebensstil (4. Aufl.). Hamburg. Wackerbarth, D. (2008): Der ESG-Hahn. Bemerkenswerter evolutionsgeschichtlicher Fund in Osnabrück. ansätze. ESG-Nachrichten (6), S. 1–7.
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1.4 Rechtlicher Status und Rahmenbedingungen Monika Größl und Jana Hövelmann
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§ 2 Abs. 1 SeelGG (Kirchengesetz zum Schutz des Seelsorgegeheimnisses v. 28.10.2009) definiert Seelsorge als »aus dem christlichen Glauben motivierte und im Bewusstsein der Gegenwart Gottes vollzogene Zuwendung. Sie gilt dem einzelnen Menschen, der Rat, Beistand und Trost in Lebens- und Glaubensfragen in Anspruch nimmt, unabhängig von dessen Religions- und Konfessionszugehörigkeit«. Dem kirchlichen Auftrag von Seelsorge nehmen sich an Hochschulen und Universitäten vor allem die Evangelischen Studierendengemeinden (ESG) an. Die ESG versteht ihren Seelsorgeauftrag sehr weit, was sich an ihren vielfältigen Aufgaben und Themenfeldern zeigt (siehe dazu die Artikel in Teil 3 dieses Handbuchs). Der folgende Beitrag soll den rechtlichen Rahmen für Hochschulseelsorge durch die ESGn an staatlichen Hochschulen darstellen.
1 Rechtlicher Rahmen der ESG 1.1 Verfassungsrechtlicher Rechtsrahmen 1.1.1 Religionsfreiheit
Maßgeblich für den rechtlichen Rahmen ist auf verfassungsrechtlicher Ebene zunächst Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG. Dieser schützt sowohl die positive Religionsfreiheit der gläubigen als auch die negative Religionsfreiheit der nicht oder andersgläubigen Hochschulmitglieder. Berichtet wird, dass 51 % der Hochschulen sich dafür aussprechen sollen, dass Religion Privatsache sei und keine Bedeutung im Hochschulbereich haben solle (KWI 2016). Allerdings spricht hiergegen, dass zur positiven Religionsfreiheit das Recht zählt, sich – auch im Raum der Hochschule – zu seinem Glau-
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ben zu bekennen und ihn prinzipiell ungestört auszuüben, etwa durch Äußerung religiöser Ansichten, Einhaltung religiöser Rituale und Vorschriften und Gründung von Zusammenschlüssen (Petrat 2019, S. 219). Auch Werbung für einen Glauben ist geschützt (Morlok 2013, Art. 4 Rn. 65). Die Hochschule ist keine religionslose Zone (Heinig 2016, S. 24). Hingegen ist nach der negativen Religionsfreiheit niemand verpflichtet, einem religiösen Bekenntnis anzuhängen, an religiösen Handlungen teilzunehmen oder seine religiöse Überzeugung zu offenbaren (Starck 2018, Art. 4 Rn. 23 ff.). Daraus folgt aber nicht, dass jede Konfrontation mit dem religiösen Verhalten Dritter in die negative Religionsfreiheit eingreift. Erforderlich ist vielmehr, dass die (dem Staat zurechenbaren) Einwirkungen auf die*den Einzelne*n gerade für diese*n eine gewisse Schwere erreichen und sie*er ihnen nicht auf zumutbare Weise ausweichen kann (Lorentz 2015, S. 11 f.). Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die negative Religionsfreiheit die Zulassung der Hochschulseelsorge verbieten könnte (Lorentz 2015, S. 12). 1.1.2 Religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates
Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates folgt aus einer Zusammenschau von Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 136 Abs. 1, Abs. 4 WRV und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG (BVerfG, Urteil v. 24.06.2003-2 BvR 1436/02, juris Rn. 42; Starck 2018, Art. 4 Rn. 22). Neutralität ist hier so zu verstehen, dass der Staat sich nicht mit einem bestimmten Glauben identifizieren darf (BVerfG, Urteil v. 24.06.2003–2 BvR 1436/03, juris Rn. 87). Sie ist nicht als eine distanzierende Haltung zu verstehen, sondern als eine die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung (BVerfG, Urteil v. 24.09.2003-2 BvR 1436/03, Rn. 43; Jarass 2020, Art. 4 Rn. 5). Neutralität im Sinne einer Ausgrenzung von Religion aus dem öffentlichen Raum widerspricht dem traditionellen deutschen Verfassungsverständnis (Kämper 2017, S. 285). 1.1.3 Grundsatz der Parität
Im engen Zusammenhang zum Neutralitätsgebot steht der Grundsatz der Parität, demzufolge der Staat alle Bürger*innen und Religionsgemeinschaften unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung rechtlich gleichbehandeln muss. Der Staat darf nicht in unzulässiger Weise zwischen verschiedenen religiösen Richtungen oder zwischen Religion und Nicht-Religion differenzieren (Unruh 2018a, Art. 140 Rn. 32). Er wird namentlich in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 2, Abs. 3 GG sowie in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, Abs. 2, Art. 137 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5, Abs. 7 WRV verankert sowie (subsidiär)
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in Art. 3 Abs. 1 GG (Korioth 2020, Art. 140 Rn. 32). In der Praxis wird dieser Grundsatz vor allem bei der Frage relevant, wie viel Egalisierung nötig und wie viel Differenzierung zwischen verschiedenen religiösen Gruppen an der Hochschule möglich ist (Petrat 2019, S. 224). 1.1.4 Anstaltsseelsorge
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Unterfällt Hochschulseelsorge dem Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV und ist als Anstaltsseelsorge zu qualifizieren mit der Konsequenz, dass Hochschulseelsorge verfassungsrechtlich garantiert ist? Hochschulen werden weder im GG noch in ergänzenden Regelungen mancher Landesverfassung als Orte der Anstaltsseelsorge genannt. Die Aufzählung der öffentlichen Einrichtungen in Art. 141 WRV ist jedoch nicht abschließend zu verstehen (Weckelmann/Weber 2020, S. 478). Vereinzelt wird es daher als vertretbar angesehen, Hochschulseelsorge als Unterfall der Anstaltsseelsorge zu werten (Lorentz 2015, S. 14 f.). Hiergegen spricht allerdings, dass Anstalten im Sinne von Art. 141 WRV nur solche staatlichen Einrichtungen sind, bei denen die Eingliederung ihrer Angehörigen zu einer Beeinträchtigung der selbstbestimmten Religionsausübungsfreiheit führt (Unruh 2018b, Rn. 382). Im Bereich der staatlichen Hochschulen haben Studierende normalerweise ohne Weiteres die Möglichkeit, Seelsorge in den Ortsgemeinden wahrzunehmen (Ehlers 2018, Art. 141 WRV Rn. 4). Insofern ist es eher zweifelhaft, dass Hochschulseelsorge dem Schutz der Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 141 WRV unterfällt (Kämper 2017, S. 284). Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Staat eine Seelsorge in Universitäten zulässt, da eine staatliche Religionsförderung bei Wahrung von Neutralität und Parität zulässig ist (ähnlich Ehlers 2018, Art. 141 WRV Rn. 4). 1.2 Hochschulrecht Das studentische Leben auf dem Hochschulcampus wird insbesondere durch studentische Vereinigungen geprägt. Auch bei einer ESG, die einen Zusammenschluss von Studierenden an einem Hochschulstandort darstellt, handelt es sich um eine studentische Vereinigung. Das Hochschulrecht, das bis auf das Recht der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse Sache der Länder (arg. e. Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) ist, setzt die Existenz von studentischen Vereinigungen voraus. Dies zeigt exemplarisch § 53 Abs. 3 HG NRW. Die Hochschulen führen Register über die auf ihrem Campus anerkannten studentischen Vereinigungen. Die Anerkennung als studentische Vereinigung durch die Hochschule darf nicht mit einer Erlaubnis verwechselt werden,
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eine solche zu bilden. Dieses Recht ist bereits verfassungsrechtlich von Art. 9 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG) garantiert. Den Hochschulen steht es jedoch in den Grenzen pflichtgemäßen Ermessens frei, die in ihrem Bereich vorhandenen studentischen Vereinigungen zu fördern (OVG Münster, NVwZ-RR 1989, S. 558). Die Förderung besteht z. B. darin, dass den registrierten studentischen Vereinigungen ein Recht auf Nutzung der hochschuleigenen Räumlichkeiten eingeräumt wird. Eine Verpflichtung zur Förderung seitens der Hochschulen besteht nicht. Entscheidet sie sich dazu, ist die gesetzliche Grundlage in der Mitwirkung der Hochschulen an der sozialen Förderung der Studierenden gem. § 2 Abs. 4 HRG – der an dieser Stelle stellvertretend für die landesgesetzlichen Regelungen genannt sei – zu finden (vgl. dazu VGH BW, Urteil v. 09.04.1991–9 S 421/90, juris Rn. 16, der den gleichlautenden § 3 Abs. 3 UG BW a. F. als gesetzliche Grundlage heranzieht). Die studentische Vereinigung nimmt an der Förderung teil, sobald sie durch die Hochschule anerkannt wurde. Der in der Anerkennung liegende Verwaltungsakt wirkt sich letztlich wie ein Beschluss über die dem Grunde nach gegebene Förderungsfähigkeit der antragstellenden studentischen Vereinigung aus (BVerwG, NVwZ 1994, S. 581, 582). Hat eine ESG einen Anspruch auf Anerkennung als studentische Vereinigung? Um eine gleichmäßige Verwaltungspraxis zu wahren, haben die Hochschulen entweder in Satzungen oder Richtlinien festgelegt, wann eine Anerkennung als studentische Vereinigung zu erfolgen hat. Die Regelungen verlangen meist gewisse strukturelle Anforderungen wie eine bestimmte Mindestanzahl an immatrikulierten Studierenden sowie die Vorlage von Satzungen, aus denen sich der Zweck der Vereinigung ergibt. Erfüllt die ESG die sich aus den Satzungen bzw. Richtlinien ergebenden Voraussetzungen, hat sie in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Anerkennung als studentische Vereinigung (OVG NRW, Beschluss v. 28.10.199425 A 945/90, juris Rn. 2). Für die Anerkennung als studentische Vereinigung ist es maßgeblich, dass die Willensbildung innerhalb der studentischen Vereinigung durch die Studierenden selbst geprägt wird. Dem stehen die Beziehungen der ESG zur Kirche nicht entgegen (OVG NRW, Beschluss v. 28.10.1994-25 A 945/90, juris Rn. 7). Aufgrund des Gebots der Gleichbehandlung ist es Hochschulen untersagt, beispielsweise nur christliche Studierendengemeinden als studentische Vereinigungen anzuerkennen und damit muslimische Studierendengemeinden von den Förderungsmaßnamen auszuschließen.
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1.3 Rechtsfähigkeit der ESG
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Unabhängig von der Bezeichnung kommt der ESG kein rechtlich definierter Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu (Winter 2003, S. 182). Sie ist darüber hinaus weder als nicht eingetragener noch als eingetragener Verein konstituiert. Daher bedarf die ESG zur Teilnahme am Rechtsverkehr eines Rechtsträgers. Rechtsträgerinnen sind die einzelnen Landeskirchen, welche die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gem. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV innehaben. Anderes gilt für die zu bestimmten Zeiten existenten sogenannten autonomen (von der Kirche unabhängigen) ESGn. Diese sind dann als privatrechtlicher Verein organisiert. 1.4 Namensrecht der ESG Vor dem Hintergrund der Existenz von autonomen ESGn wird die Frage relevant, wer sich »Evangelische (Studierenden-)Gemeinde« nennen darf. Durch die Verwendung des Adjektivs »evangelisch« im Zusammenhang mit dem Begriff »(Studierenden-)Gemeinde« im Vereinsnamen autonomer ESGn besteht die Gefahr, dass deren Arbeit mit derjenigen der landeskirchlichen ESGn verwechselt wird. Zwar genießt der Begriff »evangelisch« keinen so umfassenden Namensschutz wie der Namensbestandteil der römisch-katholischen Kirche (vgl. zum Namensschutz von »katholisch« BVerfG, NJW 1994, S. 2346; BGH, NJW 1994, S. 245). Allerdings wird der Begriff »evangelisch« vielfach im Zusammenhang mit Einrichtungen der evangelischen Landeskirchen verwendet. Daher kann herkömmlich davon ausgegangen werden, dass der Verkehr bei einer namensmäßigen Verwendung von »evangelisch« eine Zuordnung zu den evangelischen Landeskirchen vornimmt (Lehmann 2008, S. 316). Wenngleich auch Freikirchen den Namensbestandteil »evangelisch« aufweisen, ist eine namensmäßige Verwechslung dadurch ausgeschlossen, dass Freikirchen das Attribut in diesen Fällen üblicherweise mit Zusätzen wie »frei« versehen (LG Kassel, Urteil v. 19.11.1982–8 O 330/82, BeckRS 1982, 31215578). Sind die Auffassungen einer autonomen ESG nicht mit der Lehre der evangelischen Kirche in Einklang zu bringen, werden die schutzwürdigen Interessen der evangelischen Landeskirche verletzt (Feist 1982, S. 406; Säcker 2012, § 12 Rn. 146). In diesem Fall besteht ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Landeskirche gegen die autonome ESG gem. § 12 BGB. Handelt es sich um eine solche, muss dies mithin durch einen entsprechenden Zusatz (z. B. »Freie ESG«) gekennzeichnet werden.
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1.5 (Kirchen-)rechtliche Einordnung der ESG als Gemeinde 1.5.1 Grundsätzliches zum Gemeindebegriff
Im evangelischen Kirchenrecht wird zwischen dem allgemeinen Begriff »Gemeinde« und dem Begriff »Kirchengemeinde« in Form einer körperschaftlich strukturierten juristischen Person unterschieden (de Wall/Muckel 2017, § 27 Rn. 1, 7). 1.5.2 Rechtliche Einordnung der ESG als Gemeinde
Die Einordnung der ESG als Gemeinde wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Nach der Präambel der Ordnung der ESG in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg v. 12.06.2018 sind ESGn Gemeinde Jesu Christi an den Hochschulen und rechtlich unselbstständige Gemeinden in Trägerschaft der jeweiligen Landeskirche, die ihre Aufgaben im Rahmen der kirchlichen Ordnung eigenständig durchführen. In der Literatur wird vertreten, dass Studierendengemeinden (funktionale) Personalgemeinden ihrer Studierenden an dem Ort ihrer Hochschule seien (Friedrich 1978, S. 343; Otto 2019, S. 199). Allerdings sind sie kirchenrechtlich durchweg nicht als Personalgemeinden der Landeskirchen statuiert (Brunotte 1964, S. 106). Teilweise werden ESGn als personale Seelsorgebereiche angesehen (Grethlein 1994, S. 417; Penßel 2019, S. 413; Winter 2003, S. 182). Hingegen sind sie nach dem Muster »Kirchengesetz über besondere Gemeindeformen« der Arnoldshainer Konferenz v. 05.04.2001 gerade nicht ein solcher. Sie werden vielmehr zu den weiteren Gemeindeformen gezählt. Danach sind ESGn nach Maßgabe des Kirchenrechts geordnete Kirchengemeinden eigener Art ohne Rechtspersönlichkeit im Bereich der Hoch- und Fachhochschulen. Von diesem Verständnis geht wohl auch § 13 Abs. 1 Einführungsgesetz zur Verfassung der EvangelischLutherische Kirche in Norddeutschland v. 07.02.2012 aus, das die Regelung wörtlich übernommen hat. Vereinzelt wird die ESG auch als Paragemeinde bezeichnet, da sie zwar innerkirchlich ein eigenständiges Gemeindeleben mit eigenen Ordnungen entwickeln kann, aber für ihr Handeln im Rechtsverkehr von der Spezialpfarrstelle abhängig ist (Munsonius 2008, S. 65; Sperling 1994, S. 390). Dies alles zeigt, dass über die kirchenrechtliche Einordnung der ESG als Gemeinde keine Einigkeit besteht.
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2 Studierendenpfarrer*innen
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Für das von der Landeskirche üblicherweise für die Studierenden an der jeweiligen Hochschule eingerichtete Spezialpfarramt gelten besondere Regelungen für die Stellenbesetzung und die Visitation (de Wall/Muckel 2017, § 27 Rn. 8). So sind etwa unterschiedliche Formen der Beteiligung vorgesehen. Beispielsweise werden nach IV. der Rahmenordnung für die ESGn in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz v. 16.12.2005 freie Stellen vom Konsistorium im Benehmen mit dem Gemeinderat der ESG ausgeschrieben; Mitglieder der ESG sind im Pfarrwahlausschuss vertreten, und der Gemeinderat der ESG soll nach Vorstellung der im Wahlvorschlag aufgenommenen Bewerber*innen ein Votum abgeben. Hingegen ist nach V. der Richtlinien für die Arbeit der ESGn der Evangelischen Kirche von Kurhessen- Waldeck v. 15.11.2016 vor Berufung eines*r Studierendenpfarrers*in die Anhörung eines Beirats vorgesehen, der sich nach IV. Nr. 1 aus bis zu neun sachkundigen Personen aus Kirche und Hochschule sowie nach Nr. 2 weiteren beratenden Mitgliedern ohne Stimmrecht zusammensetzt. Wegen Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG darf die Stellungnahme keine bindende Wirkung entfalten. Studierendenpfarrer*innen haben in der Regel eine landeskirchliche Pfarrstelle inne, vgl. etwa III. Nr. 3 der Rahmenordnung für die ESGn der Evangelischen Kirche im Rheinland v. 30.07.2007 (Rahmenordnung Rheinland). Sie nehmen als ordinierte Pfarrer*innen im Bereich der Hochschule einen kirchlichen Auftrag wahr (Feist 1982, S. 200). Von der Ordination strikt zu unterscheiden ist das Pfarrdienstverhältnis als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis. Regelungen zur Ordination und dem Pfarrdienstverhältnis finden sich namentlich im Kirchengesetz zur Regelung der Dienstverhältnisse der Pfarrerinnen und Pfarrer der EKD v. 10.11.2010. Nicht zu verwechseln mit dem Amt des*r Studierendenpfarrers*in ist das Amt des*r Universitätspredigers*in, den*die es etwa gemäß Art. 3 Abs. 7 EvKiVtr BE v. 20.02.2006 an der Berliner Humboldt-Universität gibt. Diese Ämter sind rechtlich zu unterscheiden (Feist 1982, S. 274). In den meisten Ordnungen wird den Studierendenpfarrer*innen die Geschäftsführung einschließlich der wirtschaftlichen Angelegenheiten der ESG übertragen, vgl. etwa V. Nr. 4 der Ordnung der ESGn in der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Oldenburg v. 12.06.2018 oder § 5 Abs. 2 der Ordnung für die Arbeit der Studierenden- und Hochschulgemeinden in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau v. 02.01.2017.
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3 Mitgliedschaft in der ESG Die kirchenrechtliche Besonderheit der ESG zeigt sich weiter an der Frage, wer zu ihren Gemeindemitgliedern zählt. Die Kirchenmitgliedschaft in einer Ortskirchengemeinde (§ 1 Abs. 2 EKD-Kirchenmitgliedschaftsgesetz [KMG]) sowie der Landeskirche (§ 1 Abs. 2 KMG) beruht auf drei zu erfüllenden Merkmalen: Taufe, evangelisches Bekenntnis und Wohnsitz (§ 1 Abs. 1 KMG). Diese Voraussetzungen müssen bei Studierenden, die in einer ESG mitarbeiten möchten, nicht vorliegen. Die ESG ist offen für all diejenigen, die am Leben der ESG teilnehmen wollen (vgl. nur I. Nr. 2 Rahmenordnung Rheinland). Da Konfession und Bekenntnisstand für die Mitgliedschaft in der ESG unerheblich sind, hat sich als Hauptkriterium, welches über die Zugehörigkeit zur ESG entscheidet, die aktive Teilnahme am Gemeindeleben herausgestellt. So bestimmt die Rahmenordnung Rheinland, dass nur solche Studierende dem Gremium, das über das Programm der ESG entscheidet, angehören dürfen, die zur ständigen Mitarbeit bereit sind. Auf die Konfession kommt es gerade nicht an. Diese ökumenische Weite bietet für die evangelische Kirche insgesamt die Chance, Kontakte zu Menschen zu knüpfen, die ohne die ESG womöglich nie näher mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen wären. Die Mitgliedschaft in der ESG führt nicht dazu, dass Studierende, die bisher nicht Mitglied der evangelischen Kirche waren, zum Kirchenmitglied werden. Dies würde dem KMG widersprechen. Evangelische Studierende, die in einer ESG aktiv sind, bleiben abhängig von ihrem Wohnort entweder Mitglied der Ortsgemeinde an ihrem Heimatort oder Hochschulort.
4 Präsenz der ESG auf dem Hochschulcampus Um Hochschulseelsorge effektiv betreiben zu können, bedarf die ESG eines Zugangs zum Hochschulraum. Sie ist auf eine gewisse räumliche Präsenz im Hochschulbereich, z. B. durch die Nutzung von hochschuleigenen Räumlichkeiten, der Werbung in Schaukästen, Verteilung von Flyern oder Verlinkung auf der HochschulWebsite angewiesen. Ist die ESG an einer Hochschule als studentische Vereinigung anerkannt, stehen ihr die sich aus diesem Status ergebenden Rechte zu. Soweit die Satzung bzw. Richtlinien der Hochschule Regelungen darüber treffen, kann die ESG auf dieser Grundlage beispielsweise einen Anspruch auf Nutzung von hochschuleigenen Räumlichkeiten zur Durchführung ihrer Veranstaltungen geltend machen. Zunehmend wird es für Studierendengemeinden schwieriger, im Hochschulbereich präsent zu sein. Aus Sorge vor unerwünschten Aktivitäten seitens
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muslimischer Studierender sah sich z. B. die Universität Düsseldorf aus Gleichbehandlungsaspekten gezwungen, auch den beiden christlichen Studierendengemeinden die traditionelle Werbung für ihre Angebote zu untersagen (Kämper 2017, S. 284). Derartige Maßnahmen führen dazu, dass sich Hochschulen zu einem laizistischen Bereich entwickeln. Dies widerspricht dem verfassungsrechtlichen Verständnis von religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates. Religion soll nicht aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, sondern ihren Platz darin finden (Friedrich 2018, S. 1009). Ist hingegen die Funktionsfähigkeit des Hochschulbetriebes durch Aktivitäten von Studierendengemeinden konkret gefährdet, darf und muss die Hochschule diese unterbinden (vgl. dazu BVerfGE 138, 296, 341: Verbot religiöser Bekundungen setzt konkrete Gefahr für Schulfrieden bzw. staatliche Neutralität voraus). Der Sorge vor unerwünschtem religiösen Verhalten kann durch die Aufstellung von Verhaltensregeln zur Religionsausübung begegnet werden (vgl. z. B. den Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg v. 10.10.2017). Überdies würde eine Förderpraxis der Hochschulen, die sämtliches studentisches Engagement – sei es politischer oder kultureller Natur – unterstützt und lediglich religiösem Engagement die Unterstützung versagt, selbst gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gem. Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (ebenso Heinig 2016, S. 24).
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Rechtlicher Status und Rahmenbedingungen
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1.5 Selbstverständnis der Pfarrer*innen und anderer Hauptamtlicher Kai Horstmann
1 Grundlegendes
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Dieser Artikel befasst sich mit dem Selbstverständnis einer kollegialen Gruppe, die nur schwer unter einen Oberbegriff zu bringen ist. Der Begriff »Mitarbeiter*innen« für neben- oder hauptberuflich Tätige wird zur Unterscheidung von der Gruppe der Pfarrer*innen strikt in einem dienstrechtlichen und nicht hierarchischen Sinne gebraucht. Zur Unterscheidung der (sozial-)pädagogisch oder beratend Tätigen von beruflich Mitarbeitenden in der Verwaltung oder Hausmeister*innen wird die hier behandelte kollegiale Gruppe zusammenfassend als pastorales Personal bezeichnet. Im Wissen um das Engagement und die Bedeutung der Mitarbeitenden in Haus und Verwaltung für die ESGn geht auch mit dieser Unterscheidung keine Abwertung einher. Pastoral soll hier die im gemeindlichen Kontext beruflich begleitenden, unterstützenden, beratenden, therapeutischen, seelsorgerischen oder pädagogischen Tätigkeiten zusammenfassen (zu den unterschiedlichen Beauftragungen und Berufen und dem Miteinander der kirchlichen Berufsgruppen vgl. Gennerich/Lieske 2020). Gleichwohl ist im Folgenden sachlich begründet immer wieder zwischen Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitenden zu differenzieren. Eine empirische Untersuchung zum Selbstverständnis des pastoralen Personals liegt nicht vor und muss daher aus der Geschichte und Praxis heraus systematisch rekonstruiert werden. Das Selbst- und Aufgabenverständnis entwickelt sich im Spiegel eines Spannungsfelds mit den Polen der Person in ihrer beruflichen Identität (einschließlich der darin eingeschlossenen Motivation, individueller Interessen und Schwerpunktsetzungen), den Erwartungen der dienstgebenden Institution, der jeweiligen Studierenden- oder Hochschulgemeinde (Organisation) und den Anforderungen des Arbeitsfeldes. Dabei wird der von Eberhard Hauschildt herausgearbeitete Hybridcharakter der Kirche insgesamt in dieser Gegenüber-
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stellung von Institution und Organisation vorausgesetzt (vgl. Hauschildt/PohlPatalong 2013, S. 216 ff.).
2 Handeln im Beziehungsgefüge von Institution und Organisation Was grundsätzlich gilt, erweist sich im konkreten Fall der Arbeit an den Hochschulen als professionelles Handeln besonders herausfordernd. Zumal sich das Beziehungsgefüge nicht symmetrisch darstellt.
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Wenn auch unter Beteiligung von Vertreter*innen der Organisation bei der Stellenbesetzung, ist es die Institution, die Pfarrer*innen und andere pastoral Mitarbeitende in die Studierenden- oder Hochschulgemeinde (ESG) entsendet. Die Erwartungen der Institution, sei es die verfasste Kirche oder die Diakonie, wird in den jeweiligen Dienstanweisungen formuliert. Das pastorale Personal weiß sich der*dem Dienstgebenden verbunden und ist seinen vorgesetzten Stellen gegenüber rechenschaftspflichtig. Das pastorale Personal gehört selbst zur Institution und kommt zunächst von außen in die Organisation im Arbeitsfeld. Dies gilt in besonderer Weise für die Pfarrer*innen, die Amtsträger*innen der Institution sind. Die Organisation gehört insofern nicht selbst zur Institution, als sie geschichtlich und aktual durchaus eigenständig ist. Die ESGn sind über ihre durch die Institution gestellten Räumlichkeiten und ihr Personal mit der Institution verbunden. Im Unterschied zu ihren Pfarrer*innen als Amtsträger*innen haben sie in der Regel jedoch keinen eigenrechtlichen Anspruch auf Teilhabe an der synodalen Struktur der Institution Kirche. So haben auf EKD-Ebene die durch die Synode berufenen, nicht etwa gewählten Jugenddelegierten, darunter auch Vertreter der ESG und SMD, seit der EKD-Synode 2016 Antragsrecht, Stimmrecht seit 2021.
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Die Institution wiederum hat keinen direkten Anteil am Arbeitsfeld. Die nur mittelbare und sehr begrenzte institutionelle Verbindung durch theologische Fakultäten und Fachbereiche kann hier außerhalb der Betrachtung bleiben. Auch die kirchlichen »Hochschulbeiräte« sind eigentlich »Kirchenbeiräte«, die – durch die Kirche und zur Beratung der kirchlichen Arbeit – aus Hochschul angehörigen gebildet werden. Das gilt auch für die pastoral Mitarbeitenden, die ihrerseits nur vermittels der Organisation am Arbeitsfeld partizipieren und normalerweise nicht selbst Hochschulangehörige sind. Die ESGn sind als kirchliche Einrichtungen Angebote im Umfeld der Hochschulen und nur als studentische Gruppen Teil des akademischen Lebens. Gleichwohl ist die Begleitung des akademischen Lebens eine unverzichtbare Voraussetzung für das geforderte professionelle Handeln. Es ist eben dieses weiter zu beschreibende professionelle Handeln, welches das pastorale Personal unbeschadet seiner Sendung durch die Institution auch immer wieder in ein Gegenüber zur Institution bringen kann. Es handelt sich um ein Gegenüber, das sich insbesondere im Fall der Pfarrer*innen im Rahmen ihrer synodalen Teilhabe und allgemeinen Verpflichtung zum kirchenleitenden Amt im Sinne Friedrich Schleiermachers ereignet und das, wenn es durch die Institution als widerständig oder gar der Kirche gegenüber illoyal begriffen wird, falsch verstanden ist (vgl. Dinkel 1998). Solches hat es in der Geschichte der ESGn immer wieder gegeben. Die Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitenden müssen diesen Konflikt, der sich aus ihrem professionellen Handeln im genannten Spannungsfeld zwischen Dienstanweisung und dem vor Ort konkret wahrgenommenen Auftrag ergibt, aushalten. Das pastorale Personal ist der institutionellen Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Notwendigkeiten im Arbeitsfeld mit den daraus folgenden Gemeindebildungsprozessen unvermeidlich immer etwas voraus. Dem entspricht seitens der ESGn und ihres pastoralen Personals das Bewusstsein kirchlicher Avantgarde (siehe dazu Artikel 4.1 in diesem Handbuch). Das pastorale Personal der ESGn ist sich seiner besonderen Feldkompetenz als unabdingbarer Voraussetzung für professionelles Handeln vor Ort bewusst. Dieses Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis ihrer Gemeinden als Avantgarde müssen die Institution wiederum ihrerseits aushalten. Spannungen, die 1968 zwischen landeskirchlichen Leitungsansprüchen, organisatorischer Selbstständigkeit der ESGn und der Professionalität der Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitenden entstanden, blieben prägend für die 1970er- und 1980er-Jahre und traten zuletzt – mit der Folge der organisatorischen Neuordnung im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) und einer neuen Ordnung des Verbands – im Kontext der EKD-Reformdebatte
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wieder auf. Bei aller Berechtigung der Erwartungen der Institution an das pastorale Personal, die dieses auch in den gesamtkirchlichen Auftrag einbinden, ist – letztlich zur Erfüllung des Dienstauftrags – unbedingt die soziografische Ortskunde und Feldkompetenz des pastoralen Personals zu berücksichtigen; eine Ortskunde und Feldkompetenz, die sich wesentlich aus der Kommunikation mit Hochschulangehörigen und hier in erster Linie mit Studierenden speist.
3 Vergleich zur katholischen Hochschulpastoral An dieser Stelle lohnt sich ein vergleichender Blick auf die KHG und die Leitungsfrage in der konstitutionell hierarchisch verfassten römisch-katholischen Kirche. 1. Im Bereich der römisch-katholischen Kirche gängig ist die Beschreibung des Dienstauftrags der Priester und der gemeinde- oder pastoraltheologisch Mitarbeitenden als Hochschulseelsorge bzw. -pastoral. Bezeichnet wird damit die »Gesamtheit der geistlichen Dienste« (vgl. Ziemer 1985, S. 174). Stollberg (1985, Sp. 174) weist darauf hin, dass die im Sprachgebrauch der evangelischen Kirche als »(Sonder-)Seelsorgen« bezeichneten Dienste »als Ausgliederung spez. Funktionen des einen Amtes der Kirche betrachtet werden« und sich die »Verselbständigung der seelsorglichen Funktion parallel zur Auflösung der alten Parochialstrukturen« entwickelte. Der Terminus »Hochschulseelsorge« hat von daher seinen Ort im Kontext der praktisch-theologischen Ekklesiologie und nicht etwa der Poimenik. Dies wirft ein bemerkenswertes Licht auf den ebenfalls aus der römisch-katholischen Theologie und Kirchenleitung eingewanderten Begriff und die Vorstellung einer evangelischen Hochschulgemeinde als Erweiterung der ESG: Während der Begriff »Studierendengemeinde« in Kontinuität zur Geschichte der ESGn als Teil einer ökumenischen Laienbewegung die Basis und erste Zielgruppe der Arbeit fokussiert, betont der Begriff »Hochschulgemeinde« in besonderer Weise den sozialen Ort der Arbeit sowie die kirchliche Einrichtung ebendort und wirkt auf andere Hochschulangehörige weniger ausgrenzend. So richtig eine Öffnung für andere Hochschulangehörige ist, so wenig darf übersehen werden, dass die Hochschulzeit für Studierende von ganz anderer Bedeutung ist, als es die Hochschule als Berufsort für das wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Personal ist. Dieses ist am Hochschulort ganz anders zu Hause und lokal gebunden als die Studierenden. Es ist in seinen unterschiedlichen Lebensphasen und dadurch bedingten Bedürfnissen durch parochiale Angebote erreichbar. Ich gehe davon aus, dass das pastorale Personal sich vor
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allem als Studierendenpfarrer*innen und Mitarbeiter*innen von Studierendengemeinden versteht und im Blick auf die Lebenswelt der Studierenden auch verstehen muss (zur Diskussion vgl. Horstmann 2012, S. 106; zur studentischen Wirklichkeit vgl. die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks bei Middendorf u. a. 2017).
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2. Ob die kirchenrechtliche Betonung der bischöflich-priesterlichen Leitung in der Hochschulpastoral dazu beitragen kann, den Abstand zwischen kirchlichen Auffassungen und den Veränderungen der sozialen Wirklichkeit im Sinne einer »guten Weiterentwicklung der Hochschulpastoral« (Hallermann 1996, S. 23) zu überbrücken, darf bezweifelt werden. Aber auch der liberale, wenn nicht gar kirchenkritische Pastoraltheologe Richard Hartmann vermeidet den Gemeindebegriff. Zwar betont er, dies geschehe »keineswegs zur strukturellen Abwertung der Mitwirkung der [nicht priesterlichen; K. H.] Subjekte dieses Kirche-Seins« (Hartmann 2000, S. 306), weshalb er behelfsweise mit der Beschreibung »gemeindlicher Hochschulpastoral« operiert (Hartmann 2000, S. 308). Unverkennbar aber bleibt die Entwicklung von Gemeinden, mit entsprechendem Selbstverständnis im Gegenüber zur Hierarchie, für die römischkatholische Theologie problematisch und ist ekklesiologisch von ganz anderer Dimension als das Gegenüber von ESGn und der Institution der evangelischen Kirche. In diesem Vergleich wird deutlich, dass unbeschadet ihrer zentralen Stellung in der gemeindlichen Arbeit Pfarrer*innen von ihrem reformatorischen Selbstverständnis her kein »Grundamt« innehaben (vgl. Hallermann 1996, S. 388), das Laien im allgemeinen Apostolat nur hinzuzieht (Hallermann 1996, S. 362). Wenn die Professionalität evangelischer Pfarrer*innen und des pastoralen Personals insgesamt betont wird, ist das nicht mit der priesteramtlichen Zentriertheit katholischer Hochschulpastoral zu vergleichen, welche die Studierenden als Teil der kirchlichen Außenwelt begreift. Zwar bezeichnet auch Hartmann die Studierenden als Subjekte des kirchlichen Handelns. Ihre sozialpsychologische Darstellung erfolgt allerdings im Rahmen der Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit als der Außenwelt des komplexen Systems Hochschulpastoral (vgl. Hartmann 2000, S. 224 ff.).
4 Arbeit im Prozess Die Professionalität des pastoralen Personals der ESGn ist Ausdruck der Freiheit, die im Amt und Dienst der Feldkompetenz als Fähigkeit, eine Situation ortskundig deuten und darin angemessen agieren zu können, eingeräumt wird und
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werden muss. Die professionelle Situationsdeutung vor Ort bestimmt das konkrete Handeln und also die reale Ausgestaltung einer kirchlichen Organisation (zur studentischen Teilhabe an dieser Leitungsfunktion s. u.). Jede Konzeptionsvorgabe »von oben«, gar inhaltliche Vorgaben zu einzelnen Arbeitsformen, missachtet pastorale und gemeindliche Kompetenzen und soziale Entwicklungen. ESGn können womöglich rechtlich als unselbstständige Einrichtungen betrieben werden, ihr kirchliches Leben lässt sich aber nicht durch Weisungen regeln. Im Gegenteil: Zur Ausübung der pastoralen Professionalität ist jene Autonomie notwendig einzuräumen, die den Pfarrer*innen institutionell im Blick auf die Verkündigung und Seelsorge ja auch kirchenrechtlich festgeschrieben ist. Die professionelle Autonomie muss seitens der Pfarrer*innen und – im Horizont der dienstrechtlichen Regelungen und Verpflichtungen abgestuft – durch die pastoral Mitarbeitenden aber auch bejaht werden. Sie ist einerseits eine Konsequenz aus der »Koppelung von Person und Amt« bzw. Funktion. Andererseits ist sie der überkomplexen Sachthematik geschuldet, mit der Professionen zu tun haben (Karle 2003, S. 629–634). Das pastorale Mandat setzt darum institutionell eine Bevollmächtigung und persönlich deren verantwortliche Annahme voraus, die sich in der Form des Amtes bzw. Dienstes ausdrückt und sich einer vollumfänglichen Weisungsbindung, aber auch der bei Berufen möglichen Entlastung durch eine Abgrenzung von Person und Tätigkeit entzieht. Das pastorale Personal hat es unmittelbar und ganzheitlich bzw. umfänglich und nicht auf einfach abgrenzbare Dienstleistungen beschränkt mit Menschen zu tun (vgl. auch zum Folgenden Karle 1999). Charakteristisch für Professionen ist die Überkomplexität ihrer Anforderungssituationen, für die es keine einfachen und erfolgssicheren Lösungen gibt. Darum sind die von Isolde Karle genannten personalen Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich distanzieren zu können, Intuition, Urteilsfähigkeit, Risikofreude, Verantwortungsübernahme und vergleichbare sozial-sprachliche und organisatorisch-kreative Fähigkeiten unverzichtbar. Im hier dargelegten relativen und darin eben verbindenden Gegenüber ist das Kirche-Sein der ESGn für das Selbstverständnis des pastoralen Personals ein wichtiger Faktor. Unbeschadet ihrer rechtlichen Ordnung und Anbindung an die verfasste Kirche sind ESGn mehr als nur ein kirchlich-institutionelles, »funktionales« Seelsorge-Angebot. Sie sind faktisch (Personal-)Gemeinden, in denen Kirche unter Einfluss der (Aus-)Sendung der Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitenden eine dem gewissermaßen außerkirchlichen Ort angemessene, situative Gestalt entwickelt. Diese Gestalt an der Schwelle zwischen Hochschulen und verfasster Kirche entwickelt sich prozessual in der Gemeindeorganisation. Dabei verortet sich das pastorale Personal zunehmend selbst in der Organisa-
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tion als eben ihrer Gemeinde. Auch diese persönliche Einbindung kann den Eindruck begründen, die Personen und nicht ihr beruflicher Auftrag seien von besonderer Bedeutung. Gefragt sind sie tatsächlich persönlich. Aber nur durch ihren Dienst oder ihr Amt sind sie Glied der Studierendengemeinde. Sie sind in ihrer Professionalität gefragt. Inwiefern pastoral Mitarbeitende an diesem Verständnis Anteil haben, hängt neben dem Professionscharakter ihres Grundberufs auch an ihrer persönlichen Identifikation mit ihrer Tätigkeit in der Gemeinde bzw. ihrer bewussten Einordnung in die kirchliche Dienstgemeinschaft. Manche Konflikte zwischen Pfarrer*innen und – aus Sicht der Pfarrer*innen – pastoral Mit-Arbeitenden berühren diesen Punkt. Konfliktträchtig ist auch die relativ größere Identifikation der Pfarrer*innen mit der Institution, als deren Amtsträger*innen sie in der Regel Vorgesetzte der beruflich Mitarbeitenden sind. Unterschiede in den Anstellungsverhältnissen und der Bezahlung, die nicht ohne Einfluss auf die Wahrnehmung der Dienstgemeinschaft durch die Mitarbeitenden sind, kommen hinzu. Hinzu tritt aber auch, dass Pfarrer*innen mit ihrem Amt auch in besonderer Weise Repräsentant*innen der Kirche sind; ein Unterschied zu den weiteren beruflich, insbesondere pastoral Mitarbeitenden, der sich im kerngemeindlichen Leben zunehmend relativiert. Nach außen hin sind es aber die Pfarrer*innen, die von besonderer Bedeutung für kirchlich Distanzierte sind (vgl. Karle 2004; auf Basis der V. EKD-Mitgliedschaftsstudie Karle 2015). Die besonderen Chancen der sogenannten »Funktionspfarrämter« liegen dabei in den Kontaktmöglichkeiten zu Menschen, die – wie Studierende – über die Parochie nicht oder kaum zu erreichen sind. Die Institution bietet mit der Bereitstellung von Räumen und Personal für eine spezifische Zielgruppe an ihrem Rand Frei-Räume an, die vor allem Studierenden in ihrer besonderen Lebensphase helfen, ihr Leben als Christ*innen gestalten zu können. Die ESGn lassen sich daher als informelle Lernorte beschreiben (vgl. schon die andragogische Akzentuierung der ESGn durch Ahlheim 1976). Im Selbstverständnis des pastoralen Personals entspricht dem ein pädagogisches Aufgabenbewusstsein. Mit ihrer Feldkompetenz fördert das pastorale Personal damit zugleich die Vielfalt des kirchlichen Lebens. In der Form einer Kirche bei Gelegenheit bewirkt es darüber hinaus eine Infragestellung des institutionellen Moments von Kirche. Aber die Frage nach der Angemessenheit einer Gestalt und Entwicklung von Kirche ist praktisch-theologisch stets situationsgebunden zu stellen, als Frage nach dem spezifischen Kirche-Werden an einem konkreten Ort, in aller Vorläufigkeit. Dies muss die Institution um ihrer Entwicklung willen aushalten. Im Interesse berechtigter Kritik und der
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angemessenen Formulierung gesamtkirchlicher Erwartungen spricht dies für die weitere kommunikative und synodale Anbindung der ESGn (zur Forderung der Einbindung der ESGn in das Netzwerk von Kirche vgl. Horstmann 2012, S. 154; zu Perspektiven der synodalen Weiterentwicklung von Kirche vgl. Pompe/Hörsch 2019). Gestalteten die Pfarrer*innen in den 1968er- und 1970er-Jahren ihre Rolle zwischen Herbergseltern und Genossen, so wurden die Pfarrer*innen in der Folge mehr und mehr zu Vertretern der Tradition, die ihre Rolle in einem freundschaftlichen Modell ausfüllten. Eben in dem Maße, wie ESG zum Quartier wurde, das Studierende bezogen haben, weil sie persönlich angesprochen wurden von den offenen Angeboten, aber nicht zuletzt auch von den Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitenden. Heute wirken die ESGn bisweilen wie eine Gruppierung um eine*n Pfarrer*in und pastoral Mitarbeitende. Diese sind sich dessen bewusst und verstehen sich von daher als personale Anbieter*innen von Kirche jenseits der Kirchenmauern und oft auch konfessionellen und sogar religiösen Kirchengrenzen (vgl. schon Bartels 1968). Um dieses Anbietersein im Prozess der Vermittlung zwischen dem Auftrag, dem Ort, der vorfindlichen Organisation und den Menschen darinnen zu beschreiben, hat sich das Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) als erhellend erwiesen (vgl. Horstmann 2012, S. 125–148). Pfarrer*innen und pastoral Mitarbeitende kommen darüber als Leiter*innen der Gemeindebildung bzw. -entwicklung in den Blick, und zwar ohne dass die Selbstleitung der Studierenden und möglicher anderer Angehöriger der ESG abqualifiziert würde. Leitung wird im Miteinander wie im Gegenüber zur Gruppe wahrgenommen. Pastorale Leitung muss im Priestertum aller Gläubigen als teilnehmende Leitung verstanden werden. Dabei kommt der Teilnahme große Bedeutung in der Begründung der Leitungskompetenz zu. Die Teilhabe am Leben vor Ort – konkret im Blick auf das ESG-Pfarramt: die Teilnahme am universitären Leben – ist die Voraussetzung dafür, Gelegenheiten wahrzunehmen und Kirche bei Gelegenheit und bewusst experimentell, aber keineswegs beliebig zu inszenieren. In der Wahrnehmung dessen, was ist, wird im Modus der Themenfindung die mögliche prozessuale Entwicklung erkundet, gebunden an das, was sich im Horizont des institutionellen Auftrags der Pfarrer*innen und beruflich Mitarbeitenden und in der Gemeinde als geboten darstellt. Es kann dabei nicht um die Umsetzung einer durch die institutionell vorgesetzte Stelle gegebenen Konzeption, sondern nur um konzeptionelle Arbeit in den Gegebenheiten vor Ort gehen. Die durch das pastorale Personal gemachten Angebote lassen sich als Ausdruck ihrer Tätigkeit in der Gemeindebildung rekonstruieren. Das wesentliche Instrument der Leitung und Entwicklung der Gemeindebildung ist
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das Thema. Darunter wird in der TZI das fokussierte Sachanliegen verstanden: Was ist im aktuellen (Gruppen-)Prozess der vordringliche Aspekt einer Sache? Worum geht es bzw. was liegt an? Die Aufgabe der professionellen Leitung ist es nicht, Vorgaben zu machen, sondern die gemeindlichen Prozesse im Dienst der Gemeinde und ihrem kirchlichen Auftrag auszubalancieren (vgl. Kroeger 1989, der das Thema passend als Angebot zur Gestaltung und persönlichen Entfaltung beschreibt). Alle methodischen Fragen, die Arbeitsformen und Strukturen, dienen der Arbeit im Prozess. Das Selbstverständnis der leitenden Person erfährt in der TZI unter dem Aspekt der Haltung eine besondere Aufmerksamkeit. Im Dienstverständnis des pastoralen Personals ist der Leitungsauftrag dementsprechend zugleich personal verankert wie inhaltlich qualifiziert (in einem wohlverstandenen Sinne missionarisch; vgl. zur Mission der ESG Horstmann 2012, S. 169 ff. und zur Aufgabe der Kirche Horstmann 2020, S. 49–59). Dies gilt im Arbeitsfeld der pastoral Mitarbeitenden und insbesondere der Pfarrer*innen umso mehr, als in den klassischen Parochien heute »nicht mehr die Kirche, sondern die Pfarrer als Personen für die Wahrheit des Evangeliums bürgen« (Grethlein 2009, S. 23). Damit kommt insbesondere, aber nicht ausschließlich den Pfarrer*innen eine Bildungsfunktion zu, Menschen zu helfen, ihr Leben als Christ*innen zu führen. Die ESG ist ein Ort, der bei Gelegenheit in aller Offenheit Anregung gibt, das Evangelium wahrzunehmen und christliche Frömmigkeit zu üben. Dabei geht es im Sinn der praxis pietatis nicht in erster Linie um »Glaubenskurse«, sondern um eine Einladung zum gemeinsamen Tun. Die pädagogische Voraussetzung dafür ist, dass das pastorale Personal Anteil an der Lebenswelt der Hochschulangehörigen, insbesondere der Studierenden, hat und als Teil der Gemeinde und unter denselben globalen Bedingungen agiert. Theologisch erfordert es den situativen Bezug auf die biblische Tradition (»Aufgabe der Pfarrer ist es in reformatorischer Perspektive, den Bezug des christlichen Lebens zur biblischen Tradition zu bewahren und zu aktualisieren«, Grethlein 2009, S. 11). Nicht zuletzt diesem Aspekt kommt in den ESGn in ihrem in der Regel stark säkularisierten Umfeld eine besondere Bedeutung zu. Denn im Unterschied zur Parochie hat diese Bezugnahme an den Hochschulen keine Selbstverständlichkeit. Die kirchlichen Lebensformen sind außerhalb der Hochschule institutionalisiert. In den ESGn wird jedoch besonders deutlich, dass Kirche wesentlich Ereignis stets nur bei Gelegenheit wird, wenn die Frage nach Gott im Versuch, das individuelle Leben, aber auch die gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen zu verstehen, Thema wird. Bei aller vom Dienstort bestimmten Besonderheit ist die ESG darin aber Gemeinde wie jede andere auch, dass die Pfarrer*innen in der Dienstgemeinschaft mit den anderen pas-
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toral Mitarbeitenden Themen anbieten, die im Geist des Evangeliums bei der Sinnsuche und Frömmigkeitsbildung unterstützen.
Literatur Ahlheim, K. (1976): Die Studentengemeinde als Feld evangelischer Erwachsenenbildung. Frankfurt a. M. Bartels, C. (1968): Konfession: Studentengemeinde. In: H. Ringeling/H. Rohrbach (Hg.): Studenten und Kirche (S. 13–24). Wuppertal. Dinkel, C. (1998): Die Kirche in die Zukunft führen – Schleiermachers Theorie des Kirchenregiments. EvTh, 58, S. 269–282. Gennerich, C./Lieske, R. (Hg.) (2020): Berufsprofile der Gemeindepädagogik. Leipzig. Grethlein, C. (2009): Pfarrer – ein theologischer Beruf! Frankfurt a. M. Hallermann, H. (1996): Präsenz der Kirche an der Hochschule. Eine kirchenrechtliche Untersuchung zur Verfassung und zum pastoralen Auftrag der katholischen Hochschulgemeinden in Geschichte und Gegenwart. München. Hartmann, R. (2000): Welche Zukunft hat die Hochschulgemeinde? Freiburg i. Br. u. a. Hauschildt, E./Pohl-Patalong, U. (2013): Kirche. Gütersloh 2013. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. Horstmann, K. (2020): In den Streit der Welt … Anregung zur konziliaren Gemeindebildung. Leipzig. Karle, I. (1999): Was heißt Professionalität im Pfarrberuf? DtPfrBl, 99, S. 5–9. Karle, I. (2003): Pfarrerinnen und Pfarrer in der Spannung zwischen Professionalisierung und Professionalität. DtPfrBl, 103, S. 629–634. Karle, I. (2004): Volkskirche ist Kasualien- und Pastorenkirche! DtPfrBl, 104, S. 625–630. Karle, I. (2015): Der Pfarrer/die Pfarrerin als Schlüsselfigur: Kontinuitäten und Diskontinuitäten. EvTh, 75, S. 227–238. Kroeger, M. (1984): Themenzentrierte Seelsorge. Über die Kombination klientenzentrierter und themenzentrierter Arbeit nach Carl B. Rogers und Ruth C. Cohn in Theologie und schulischer Gruppenarbeit (4. Aufl.). Stuttgart u. a. Middendorf, E./Apolinarski, B./Becker, K./Bornkessel, K./Brandt, T./Heißenberg, S. (Hg.) (2017): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. Hannover. Pompe, H.-H./Hörsch, D. (Hg.) (2019): Kirche aus der Netzwerkperspektive. Metapher – Methode – Vergemeinschaftungsform. Leipzig. Stollberg, D. (1985): Seelsorge. EKL (3. Aufl.). Bd. 4, Sp. 173–188. Ziemer, J. (2004): Seelsorge. I. Zum Begriff. RGG (4. Aufl.). Bd. 7, Sp. 1110 f.
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1.6 Partizipation und Leitung Lea Matthaei und Wolfgang Ilg
1 Einleitung
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»Alle sind uns mit ihren Gaben wichtig und können sich in vielen Bereichen in der ESG einbringen. Einer dieser Bereiche ist die eigenverantwortliche studentische Mitarbeit und Mitbestimmung, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Aktivitäten und die Ausrichtung der ESG hat« (Verband 2019). In dem 2019 beschlossenen Leitbild der Bundes-ESG nehmen diese Aussagen einen prominenten Platz unter dem Stichwort »Gemeinde« ein. Was hier mit Mitarbeit und Mitbestimmung beschrieben wird, stellt demnach ein zentrales Grundprinzip für die Leitung evangelischer Studierendengemeinden dar. Im vorliegenden Artikel wird die Thematik zunächst theologisch reflektiert. Die Abschnitte 3 und 4 stellen theoretische Modelle für Partizipation und Leitung im Blick auf Hochschulgemeinden vor, bevor in Abschnitt 5 praktische Aspekte für die konkrete ESG-Arbeit folgen.
2 Biblisch-theologische Perspektiven Ein einheitliches biblisches Bild über die angemessene Form von Leitung gibt es nicht. Die Bibel kennt das Bild des von Gott eingesetzten Königs, der eine theokratisch legitimierte Hierarchie verkörpert (vgl. das Königsgesetz Dtn 17,14–20 oder Königspsalmen wie Ps 110), Formen der Teamarbeit (Helfer für Mose, Ex 18; Apostel-Teams in der Apostelgeschichte) sowie partizipativ strukturierte Aushandlungsprozesse in Konzilen (Apg 15). Die Frage, wie die Leitung einer ESG im 21. Jahrhundert zu gestalten sei, kann sich nicht direkt durch Rückgriff auf biblische Strukturen oder gar »die Urgemeinde« lösen lassen. Hilfreich sind dagegen biblische Grundlinien, die das Verhältnis göttlicher und menschlicher Macht beschreiben und daraus Leitbilder für das Miteinander unter Christ*innen skizzieren.
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Im Philipperhymnus (Phil 2) wird der Weg Jesu als Selbsterniedrigung aus der Sphäre Gottes in das menschliche Leben beschrieben. Wenn Paulus die Gemeinde von Philippi dazu auffordert, so untereinander gesinnt zu sein, »wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht« (Phil 2,5), bezieht er sich auf das Dienen als Grundform christlichen Lebens (vgl. auch Mk 10,35–45). Damit sind Leitung und Führungsanspruch nicht abgeschafft, aber sie werden eingeordnet in eine Zielbeschreibung: Leitung bedeutet einen Dienst an der Gemeinschaft und zielt darauf, am Reich Gottes unter den konkreten Bedingungen menschlichen Zusammenlebens mitzubauen. Sie ist demnach kein Selbstzweck, sondern eine spezifische Form der Mitarbeit am Ganzen. Im Begriff des*der »Minister*in« (lat. Diener*in), der im Englischen auch für den*die Pfarrer*in stehen kann, findet dieser Dienstgedanke einen sprachlichen Ausdruck auch für Leitungsämter – ähnlich wie bei dem*der Diakon*in, der*die auf das griechische Wort »Diener*in« (diakonos, Mk 10,43) zurückgeht. Durch das Alte und Neue Testament zieht sich der Hinweis auf die Begrenzung menschlicher Macht, die als geliehene Macht immer in der Verantwortung vor Gott auszuüben ist. Die Idee der Partizipation findet sich – mit einer eigenen Pointe – im pauli nischen Bild von der Gemeinde Jesu als dem Leib Christi. Nicht Menschen geben einander Anteil an der Macht, sondern sie sind von Gott in ihre spezifischen Aufgaben gestellt, mit denen sie zwar verschiedene, aber jeweils unverzichtbare Anteile am Ganzen leisten. Dabei prägt die Liebe den Herzschlag dieses Leibs und mahnt auch in Konflikten dazu, das gemeinsame Ziel der gegenseitigen Erbauung, des Bauens am Reich Gottes, nicht aus den Augen zu verlieren (1Kor 12–14). Ein christliches Verständnis von Partizipation wird daher nicht vom »Anteil geben«, sondern vom »Teil sein« ausgehen, ist also keine Option, sondern von Gott gesetzte Grundvoraussetzung des Miteinanders. Trotz dieser biblischen Grundlinie findet sich in der Kirchengeschichte schon in früher Zeit eine Differenzierung in Amtsträger und Laien, die später zu einer ausgeprägten Kirchenhierarchie führt. Erst die Einsicht Martin Luthers in das Priestertum aller Getauften prägt in der evangelischen Kirche ein Leitungsverständnis, bei dem es keine kategorialen Unterschiede zwischen Amtsträger*innen und anderen Christ*innen gibt. Dass es dennoch Amtsträger*innen braucht, die ordnungsgemäß berufen werden (rite vocatus), widerspricht diesem Grundgedanken nicht, sondern stellt eine organisatorische Notwendigkeit einer öffentlich vernehmbaren Kirche dar (Confessio Augustana XIV). In der CA wird zudem betont, geistliche Leitung sei ohne menschliche Gewalt, sondern allein aus Gottes Wort (sine vi humana, sed verbo, CA XXVIII) zu führen. Aus solchem evangelischen Partizipations- und Leitungsverständnis lassen sich für die Arbeit in ESGn wichtige theologische Grundlinien festhalten:
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Bei der Umsetzung von Partizipation geht es nicht um das gönnerhafte Einräumen von Beteiligungsrechten, sondern um die gemeinsame Wahrnehmung des Glied-Seins innerhalb der Gemeinde. Solche Partizipation hat gerade auch diejenigen in den Blick zu nehmen, die sich nicht selbst in den Vordergrund drängen. Leitungstätigkeit soll nicht das Kreisen um die eigene Gestalt bestärken (die in sich selbst verkrümmte, weil nur mit sich selbst beschäftigte Kirche), sondern dient dem Reich Gottes mitten in der realen, sie umgebenden Welt (vgl. Jer 29,7). Weil die sichtbare Kirche nur ein schwaches Abbild der göttlichen Herrschaft darstellt, muss sie von der Fehleranfälligkeit ihrer Glieder ausgehen. Als Gemeinschaft von Fehlbaren braucht sie die Debatte um den richtigen Weg, zeitlich begrenzte Macht, Berufung und Wahlen mit Rückbindung an die Gemeinschaft. In der sich stets erneuernden Kirche (ecclesia semper reformanda) müssen Formen beweglich gehalten und Richtungsentscheidungen immer wieder hinterfragt werden. Ein Missverständnis von Partizipation läge vor, wenn kirchliche Aktivität darauf abzielen würde, mehr Menschen von der bestehenden Kirche zu begeistern. Die Frage darf nicht lauten: »Wen brauchen wir als Kirche?«, sondern vielmehr: »Wer braucht uns als Kirche?« Dietrich Bonhoeffer bringt das in seinem Kirchenverständnis pointiert wie folgt zum Ausdruck: »Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist« (Bonhoeffer 1945/2011, S. 560). Wo dieser Gedanke ernst genommen wird, gehört der Aufbruch aus dem Bestehenden zur Grundbewegung christlicher Gemeinde. Neue Menschen partizipativ einzubinden, wird unweigerlich zu Anfragen an das Bestehende und zu Veränderungen führen. Gerade in einer allgemein als krisenhaft wahrgenommenen Situation der Kirche (vgl. Bedford-Strohm/Jung 2015) bilden Gelassenheit und Gottvertrauen wichtige Triebfedern einer partizipationsorientierten und zukunftsoffenen Kirche, die bei ihren Strukturen anpassungsfähig bleibt, weil sie sich von den Inhalten her definiert. Da die Arbeit einer ESG an und in der Bildungsinstitution Hochschule stattfindet, kommt dem Thema »Partizipation« neben der kybernetischen auch eine (religions-)pädagogische Dimension zu. So wird im EKD-Grundlagenpapier als eine Aufgabe der (Bundes-)ESG benannt, dass sie »Studierende zur Wahrnehmung von Leitungsverantwortung qualifiziert« (Kirchenamt der EKD 2006, S. 6). Durch die aktive Mitgestaltung der Studierendengemeinde erleben Studierende »Empowerment«, also die Erfahrung, dass sie in der Lage und dazu berufen sind, die sie betreffenden Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen (vgl. zum Empowerment-Ansatz grundlegend Domsgen 2019). Diese Bildungsdimension gelingender Partizipation hat das Potenzial, spätere Führungskräfte mit Grunderfahrungen evangelisch verantworteter Mitgestaltung zu prägen – eine nicht seltene ESG-Erfahrung.
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Nach diesen grundlegenden theologischen Einordnungen sollen nun die Begriffe »Partizipation« und »Leitung« näher beleuchtet und auf der Basis aktueller Diskurse in den Kontext der ESG-Arbeit eingebettet werden.
3 Partizipation Das Wort »Partizipation« von lat. pars (Teil) und capere (ergreifen, nehmen) wird übersetzt mit Beteiligung, Teilhabe oder Mitbestimmung. Eine partizipative Gestaltung von gemeinsamen Entscheidungsprozessen gilt als Kennzeichen einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Bezogen auf junge Menschen stellt Partizipation das Kernprinzip von Jugendarbeit dar, die gemäß § 11 SGB VIII von jungen Menschen »mitbestimmt und mitgestaltet« werden und diese zu »Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Mitverantwortung« befähigen soll (vgl. insgesamt von Schwanenflügel 2015). In Studierendengemeinden können – so ein Fazit der Studie »Kirche auf dem Campus« – besonders »anspruchsvolle Formen der Beteiligung« (Ahrens/Läger-Reinbold 2014, S. 33) umgesetzt werden, weil die Studierenden häufig bereits Engagementerfahrungen und hohe Motivation mitbringen.
aus: Gaby Straßburger/Judith Rieger (Hrsg.), Partizipation kompakt © 2019 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz ∙ Weinheim Basel
Straßburger und Rieger (2019b) beschreiben Partizipationsprozesse anhand von drei Aspekten (Wer, Wie weit, Wodurch) und erläutern diese mithilfe des Modells der Partizipationspyramide. Das Modell umfasst sieben Stufen zwischen Minimalbeteiligung und Entscheidungsmacht. Die Höhe der Stufe bestimmt den
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Grad der Partizipation. Wichtig ist zu erwähnen, dass nicht immer die oberste Stufe die angemessene Form der Partizipation darstellt (Straßburger/Rieger 2019b, S. 231). Die Wahl der passenden Stufe hängt vielmehr davon ab, wer die Fachkenntnis und das gewählte Mandat zur Entscheidung besitzt. Zentral ist – insbesondere in Bezug zur ESG –, dass keine Entscheidung ohne Beteiligung der Betroffenen gefällt werden sollte. Die sieben Stufen werden nun anhand exemplarischer Entscheidungssitua tionen einer ESG vorgestellt. Bis Stufe sechs überschneiden sich die Stufen der Partizipation aus institutionell-professioneller Sicht und aus Sicht der Bürger*innen. Die siebte Stufe beschreibt Prozesse, die in Eigenregie der Betroffenen initiiert werden, also keiner institutionell-professionellen Auslöser bedürfen (Straßburger/Rieger 2019a, S. 15). Stufe 1: Informieren. Beispiel: Die Bekanntgabe von Verhandlungsergebnissen des überwiegend aus Studierenden bestehenden Leitungskreises der ESG auf der Internetseite der Hochschule: »Nächstes Semester werden die Räumlichkeiten umgestaltet, ein neuer Beamer installiert und die Sofas gegen stapelbare Stühle ausgetauscht.« Stufe 2: Meinung erfragen. Beispiel: Die Leitung der ESG fragt einzelne Studierende/Mitglieder, wie die Räumlichkeiten umgestaltet werden sollten. Stufe 3: Lebensweltexpertise einholen. Beispiel: Der Leitungskreis bietet eine Raumbegehung gemeinsam mit interessierten Mitgliedern der ESG an und lässt sich die Bedarfe erläutern. Diese drei Stufen gelten als Vorstufen der Partizipation, da die Entscheidungen in den Händen des Leitungskreises liegen. Echte Partizipation gelingt in den folgenden Stufen: Stufe 4: Mitbestimmung zulassen. Beispiel: Der Beschluss über die Räumlichkeiten wird in einem gemischten Gremium aus Leitung und Mitgliedern der ESG bzw. in der offiziellen Sitzung der ESG gefällt. Stufe 5: Entscheidungskompetenz teilweise abgeben. Beispiel: Die Bestuhlung wird von den Mitgliedern der ESG eigenständig bestimmt. Stufe 6: Entscheidungsmacht übertragen. Beispiel: Der Leitungskreis der ESG legt 10.000 Euro als finanziellen Rahmen fest und finanziert zusätzlich die Arbeit einer Raumdesignerin. In Zusammenarbeit mit der Expertin legen Mitglieder der ESG die Umgestaltung und die nötigen Anschaffungen fest. Stufe 7: Zivilgesellschaftliche Eigenaktivitäten. Beispiel: Als der Leitungskreis nach längerer Zeit einmal wieder in die Räumlichkeiten geht, sieht alles anders aus als früher. Die Mitglieder der ESG haben die Sache einfach selbst in die Hand genommen.
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4 Leitung Die Frage nach Leitung in einer ESG ist eng mit den Leitungspersonen verknüpft (siehe dazu Artikel 1.5 »Selbstverständnis der Pfarrer*innen und anderen Hauptamtlichen« in diesem Handbuch). Hauptamtliche einer ESG erleben unterschiedliche Erwartungen an ihre Person, die sich einerseits auf die Beziehungsorientierung »auf Augenhöhe«, andererseits aber auch auf die Wahrnehmung ihrer Leitungsfunktion beziehen (vgl. Horstmann 2012, S. 43.114; Rusam 2008, S. 358). Dieses stetige Ausbalancieren spiegelt sich in Organisation und Managementprozessen innerhalb einer beziehungsausgerichteten Arbeit wider. In seiner Analyse der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) untersucht Richard Hartmann (2000) die Hochschulpastoral aus organisationstheoretischer Sicht. Die Organisation der Hochschulpastoral hängt wesentlich vom Identifikationsgrad der Beteiligten ab und verlangt zuallererst eine Legitimation der Leitung sowie eine Balance zwischen Sach- und Personenebene (Hartmann 2000, S. 59 f.66). Hinzu kommen die unterschiedlichen Beteiligten (Interessenträger*innen, hauptamtlich und ehrenamtlich Mitarbeitende, Außenstehende), die Arbeitsfelder (Kirche, Hochschulpastoral, Freizeit, Lebenswelt), sowie die dementsprechenden Managementformen (Führungsstil, Beteiligungsgrad, Motivation, Identifikation, Entscheidungskompetenz), welche zur gelingenden Umsetzung einer Organisationsentwicklung nötig sind (Hartmann 2000, S. 72). Hartmann plädiert dafür, »Entscheidungen handlungsnah zu verankern, […] also im Sinne eines Organisationsaufbaus so weit wie möglich nach unten zu verlagern. […] Nicht das System als Ganzes entscheidet, sondern einzelne Teile bestimmen das Ganze« (Hartmann 2000, S. 105). Zugespitzt könnte man sagen: Die zentrale Aufgabe der Leitung einer ESG liegt in der Organisation angemessener Partizipation – einer Partizipation, die möglichst viele einbezieht und eine Balance zwischen gewählten Gremienstrukturen und fluideren Formen der Mitbestimmung gewährleistet. Anders als eine Parochialgemeinde erlebt eine Studierendengemeinde eine permanente Fluktuation von Mitgliedern und ihrer ehrenamtlichen Leitung. So ist die Gemeindeleitung in jedem Semester neu vor die Herausforderung des Gemeindeaufbaus gestellt (vgl. ESG 2011, S. 42). Kai Horstmann beschreibt die Besonderheiten einer solchen Gemeinde aus ekklesiologischer Sicht. Der experimentelle Charakter einer ESG als »Kirche im Wagnis« bzw. »ecclesia experimentalis« (Horstmann 2012, S. 38) führt dazu, dass Strukturen eher fragil sind und Traditionen wenig vorgegeben scheinen. Vorteilhaft wirkt sich die geringe Traditionsbildung auf ein sich schnell entwickelndes Dazugehörigkeitsgefühl
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aus (Maser 1995, S. 94). Dementsprechend fordert der häufige Wechsel Beweglichkeit, Spontaneität und die »Infragestellung des institutionellen Moments von Kirche« (Horstmann 2012, S. 200). Aufgabe vor Ort sei es, eine ESG als kirchlichen Ort kontinuierlich weiterzuentwickeln, wobei die »konziliare Interaktion mit den Studierenden in der ihnen eigenen gemeindlichen Leitungsfunktion« (Horstmann 2012, S. 190) ein wesentlicher Teil dieser Leitung sei. Ein von Horstmann als passend bewertetes pastoraltheologisches Leitungsmodell stellt die Themenzentrierte Interaktion (TZI) dar. Das Grundmodell besteht aus dem Ich (einzelne Person), Wir (Gruppe), Es (sachliche Größe) und dem Globe (Umfeld). Die Kunst einer Gruppenleitung im TZI-Prozess besteht in der Fähigkeit, diese Faktoren in eine Balance zu bringen. Dementsprechend sind TZI-Leiter*innen keine Führer*innen, sie finden ihr »begrenztes Gegenüber in der Selbstleitung der Teilnehmer[*]innen« (Horstmann 2012, S. 127 f.). Als Leitungsinstrument fungiert das Thema, also die sachliche Größe. Aufgabe der*des Leiters*in ist, den geeigneten Rahmen für Entwicklungs- und Entfaltungsprozesse anzubieten, diese Aufgabe »aber partizipativ mit der Gruppe zu teilen. So trägt die TZI-Leitung zu einer besonderen Verbindung von Subjekt- und Gegenstandsorientierung in der Interaktion bei« und strahlt damit eine Haltung aus, die für eine partizipationsorientierte ESG-Arbeit besonders geeignet erscheint (Horstmann 2012, S. 133).
5 Praktische Aspekte Da sich die ESG als Beteiligungs- und Freiwilligengemeinde versteht (Horstmann 2012, S. 99; Rusam 2008, S. 357; Maser 1995, S. 93), ist sie notwendigerweise eine aktive, partizipative Gemeinde. Dies ist bereits an der Bezeichnung »Studierendengemeinde« erkennbar: Hier leben Studierende in einer Gemeinde und gleichzeitig eine Gemeinde durch Studierende. Dabei bedingen sich zwei Aspekte gegenseitig: Angebote werden häufig durch persönlichen Kontakt zur Gemeindeleitung sichtbar wahrgenommen, jedoch wird die Mitsprache und -gestaltung der Zielgruppe benötigt, um Angebote echt bzw. interessant zu machen und den Zuspruch zu erhöhen (Horstmann/Müller 2006, S. 79). Das partizipative Moment ermöglicht eine Ausrichtung der Angebote auf Themen und Inhalte, die den aktuellen Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen. Aufgrund der hohen Spontaneität und Beweglichkeit innerhalb der ESG ist es häufig notwendig, Themen ad hoc aufzugreifen und zu behandeln. Angebote, die vollständig leitungsinitiiert sind, gehen oftmals an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei. Im Sinne einer maximalen Partizipation sollen Gast und Gast-
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geber*in innerhalb der ESG lediglich durch die Übernahme von Funktionen zu unterscheiden sein. Ein praktisches Problem ist häufig die Gewinnung und Begleitung Ehrenamtlicher, welche die ESG aktiv mitgestalten möchten. Der Wandel von Religiosität an Hochschulen kann zu Desinteresse führen; zudem nehmen Studierende die ESG zunehmend als Dienstleistungseinrichtung und weniger als Raum für eigene Initiativen und Engagement wahr (Horstmann 2012, S. 41 f.). Eine Frage, die sich stellt, lautet also: Inwieweit wünschen sich Studierende, die z. B. anderweitig ehrenamtlich aktiv sind, einen Ort an der Hochschule, an dem sie Angebote wahrnehmen dürfen, ohne ihrerseits Engagement anbieten zu müssen? Studierende, die noch bei ihren Eltern wohnen, behalten ggf. ihr Engagement in der Heimatgemeinde bei und sind für die Mitarbeit in der ESG kaum zu gewinnen. Das sinkende Studieneintrittsalter trägt ebenfalls dazu bei, dass einige Studierende eher konsumieren als mitarbeiten möchten. Eine besondere Zielgruppe sind internationale Studierende, welche zuallererst eine herzliche Aufnahme und eine Auswahl an (Unterstützungs-)Angeboten benötigen. Diese befähigen sie dazu, in einer neuen Umgebung inmitten von unterschiedlichsten Anforderungen und sprachlichen Differenzen Räume zur eigenen Entwicklung und Erprobung entdecken zu können. Deutlich wird, dass Studierende ein unterschiedliches Maß an Partizipation einfordern bzw. dazu bereit sind. Das Modell der Partizipationspyramide kann dazu verhelfen, nicht immer auf die oberste Stufe zu zielen, sondern eine jeweils angemessene Form der Mitwirkung zu ermöglichen. Gleichzeitig erproben einige Mitglieder, wie eine Studie empirisch belegt, ihre Fähigkeiten und ihr Potenzial in der ESG und erwerben durch aktive Mitarbeit Leitungskompetenz (Ahrens/Läger-Reinbold 2014, S. 29). Partizipation hat hier sichtlichen Zukunftswert, viele lassen sich ihre Mitarbeit und Qualifikation bescheinigen. Rusam (2008, S. 357 f.) weist darauf hin, dass Frauen als ehrenamtliche Mitarbeitende in der ESG überrepräsentiert sind. Eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Gewinnung und Pflege ehrenamtlich Engagierter liegt also darin, Formen des Engagements zu finden, die nicht nur bei Frauen auf Interesse stoßen und die für die vielfältigen Motivationen einen passenden Anknüpfungspunkt bieten. Eine wichtige Umsetzungsform in der Balance von Partizipation und Leitung ist Gremienarbeit. So soll für die Ordnung der ESG vor Ort ein studentisches Gremium zuständig sein, welches in Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen am Programmangebot der ESG arbeitet. Hierbei ist die Kirchenmitgliedschaft von geringerer Bedeutung als die Motivation zur Mitwirkung (Horstmann 2012, S. 41). Gleichermaßen sendet die Präsenz der ESG in hochschulinternen Gre-
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mien ein öffentlich wirksames Signal und wirkt sich auf ihre Wahrnehmung und damit auch auf die Partizipation innerhalb der ESG aus. Es eröffnet sich ein Raum, in dem die ESG mit anderen Zielgruppen und Akteur*innen mit Partizipationsrechten wie Dozierenden, Mitarbeitenden usw. zusammenarbeitet. In der Praxis wird die Außenvertretung der ESG in Hochschulgremien zumeist von Hauptamtlichen wahrgenommen, hier besteht vielfach ungenutztes Potenzial für studentische Partizipation. Eine ganz unterschiedliche Intensität für die Umsetzung von Partizipation bieten auch Gottesdienste und Andachten. Diese können insoweit eigenverantwortlich studentisch organisiert werden, dass die hauptamtliche Gemeindeleitung keine liturgischen Aufgaben per se innehat und somit ihre Sichtbarkeit in diesem Kontext sehr reduziert. Aus pastoraltheologischer Perspektive sind hierbei Partizipation und die Notwendigkeit der Qualifikation und Berufung für die öffentliche Wortverkündigung sorgfältig abzuwägen. Die hohe Fluktuation in der ESG führt zu der Frage, was von einer Leitungsperson benötigt wird, damit die ESG trotz ständiger Bewegung und Mitgliederwechsel langfristig funktioniert. Inwieweit kann die Gemeindeleitung Stabilität geben und gleichzeitig partizipativ leiten? Hierbei muss eine Balance zwischen (semesterweisen) Vorgaben und partizipativer Umgestaltung/Neugestaltung gelingen. Für Hauptamtliche stellt der Charakter der »ecclesia experimentalis« eine Herausforderung dar, weil sich die konkreten Formen und Inhalte in Abhängigkeit von den jeweiligen studentischen Engagierten immer wieder verändern und die Erkennbarkeit einer »ESG-Linie« nach außen schwer herzustellen ist. Aus diesen praxisorientierten Betrachtungen von Partizipation und Leitung in der ESG ergeben sich Impulse für die zukünftige Gestaltung. Wie kann Partizipation gewährleistet und erhöht werden? Hauptamtliche und Studierende stehen in einem spannungsvollen Wechselverhältnis von Miteinander und Gegenüber. In Bezug auf die TZI gelingt pastorale Leitung nicht im Modus der Vorgabe, sondern als »Angebot […] einer Kirche bei Gelegenheit« (Horstmann 2012, S. 200). Eine kommunikative Leitungspraxis ist hierbei Voraussetzung (Horstmann 2012, S. 200). Diese könnte praktisch durch lockere Angebote offener Treffen, ohne großen inhaltlichen Fokus, gelingen. Solche Treffen, die beziehungsorientiert angelegt sind, können zur Kommunikation von Anliegen seitens der Studierenden und der ESG genutzt werden und bieten eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Mitwirkung auch außerhalb der vielfach als zäh erlebten Gremienstrukturen. Studierende sollten in der ESG zwar als Zielgruppe, stärker jedoch als Subjekt der Arbeit wahrgenommen werden. Im Sinne eines basisgemeindlichen Modells (Rusam 2008, S. 359) kann hierbei etwas gelingen, was in den Parochial-
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gemeinden eher die Ausnahme bleibt: Die Gemeinde wird nicht als ein durch Hauptamtliche geprägtes Gegenüber erlebt, dessen Angebote man wählt oder eben nicht – vielmehr ist Gemeinde das, was ihre Glieder gemeinsam aus ihr machen, denn: Ihr Leitungsprinzip ist Partizipation.
Literatur Ahrens, P./Läger-Reinbold, K. (2014): Kirche auf dem Campus. Religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Studierenden. Hannover. Bedford-Strohm, H./Jung, V. (Hg.) (2015): Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft (KMU V). Gütersloh. Bonhoeffer, D. (1945/2011): Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Gütersloh. Domsgen, M. (2019): Religionspädagogik. Leipzig. Evangelische StudentInnengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland (ESG) (2011): Zukunftsund Profilierungsprozess ESG 2015. Dokumentation und Werkheft. ansätze. ESG-Nachrichten (2) (Sonderausgabe). Hartmann, R. (2000): Welche Zukunft hat die Hochschulgemeinde? Freiburg i. Br. u. a. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. Horstmann, K./Müller, W. (2006): »Mit innerer Kraft und mit dem Segen Gottes wirksam sein«. Betrachtungen zur Geschichte der Evangelischen Studierendengemeinde des Saarlandes zwischen gestern und heute. Saarbrücken. Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover. Maser, H. G. (1995): Kirche – wohin? Erfahrungen in einer Studierendengemeinde. GlLern, 10, S. 93–97. Rusam, D. (2008): Studierendengemeinde. In: G. Adam/R. Lachmann (Hg.): Neues gemeindepädagogisches Kompendium (S. 349–361). Göttingen. Straßburger, G./Rieger, J. (2019a): Bedeutung und Formen der Partizipation – Das Modell der Partizipationspyramide. In: G. Straßburger/J. Rieger (Hg.): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe (2. Aufl.; S. 12–34). Weinheim. Straßburger, G./Rieger, J. (2019b): Partizipation kompakt – Komplexe Zusammenhänge auf den Punkt gebracht. In: G. Straßburger/J. Rieger (Hg.): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe (2. Aufl.; S. 230–240). Weinheim. Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (2019): Leitbild der BundesESG. https://www.bundes-esg.de/them-esg/leitbild (abgerufen am 23.09.2020). von Schwanenflügel, L. (2015): Partizipationsbiographien Jugendlicher. Zur subjektiven Bedeutung von Partizipation im Kontext sozialer Ungleichheit. Wiesbaden.
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1.7 Die Zielgruppe Studierende Swantje Eibach-Danzeglocke
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In den Evangelischen Studierendengemeinden treffen sich junge Menschen im Alter von 17 bis ca. 26 Jahren, einzelne bis ca. 32 Jahren. Sie haben die Phase der schulischen Bildung abgeschlossen und begonnen, ihr Leben mit der Studienwahl auf ein bestimmtes Berufsbild und häufig auf ein bestimmtes Lebenskonzept auszurichten. Damit haben sie einen ersten Schritt in die Welt der Erwachsenen getan. Wieweit sie sich in ihrer Selbstwahrnehmung auf diesem Weg sehen, ist individuell unterschiedlich und differenziert sich im Wesentlichen darin, ob Studierende von zu Hause ausgezogen und damit den Schritt in die Selbstständigkeit gegangen sind (was für internationale Studierende in besonderer Weise gilt) oder ob sie weiterhin im Elternhaus und damit auch in ihren bewährten und Sicherheit vermittelnden sozialen Bezügen leben. Dies unterscheidet sie auch von den meisten Gleichaltrigen, die eine Ausbildung machen: Auszubildende leben überwiegend am Heimatort (auch wenn nicht alle im Elternhaus bleiben) und sind durch die Einbindung in die Arbeitsabläufe im Betrieb in verlässliche Strukturen eingebunden. Die Aufnahme eines Studiums in einer neuen Stadt erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation und -strukturierung (angefangen beim Einkaufen und Waschen bis hin zum regelmäßigen Zahnarztbesuch) sowie der Übernahme von Verantwortung für die eigene Lernbiografie: Wie viel Zeit investiere ich in mein Studium? Kann und will ich den Regelstudienverlaufsplänen folgen? Mit welchen Techniken eigne ich mir das verlangte Wissen an? Hinzu kommt für viele Studierende die Notwendigkeit des Jobbens zur Studienfinanzierung (s. u.). Insofern steht die Auseinandersetzung mit diesen Themen auch im Fokus vieler Studierender, hinter denen allgemeingesellschaftliche Themen zunächst nachrangig sind (Endewardt/Wegner 2018, S. 19). Identitätsfindung und -festigung sind wichtige Themen dieser Lebensphase, nicht nur bezogen auf den universitären bzw. beruflichen Kontext, sondern ebenso im privaten Bereich.
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1 Kleiner Zahlenspiegel Im Wintersemester 2019/20 waren im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 2.891.049 Studierende an 424 Hochschulen eingeschrieben (Destatis 2020a, S. 7 f.). Die zahlenmäßig größten Gruppen bilden hierbei die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit insgesamt 1.082.326 Studierenden und die Ingenieurwissenschaften mit 748.933 Studierenden (Destatis 2020a, S. 38). 57,6 % eines Geburtsjahrgangs haben im Jahr 2019 ein Studium begonnen (Destatis 2020c, S. 121). Der Anteil der internationalen Studierenden liegt deutschlandweit bei 14,23 % (Destatis 2020a, S. 3). 49,3 % der Studierenden sind Frauen (Destatis 2020b). Das Alter der Studierenden beträgt im Durchschnitt 24,7 Jahre (Middendorf u. a. 2017, S. 24). Der studienbezogene Zeitaufwand für ein Präsenzstudium betrug im Jahr 2016 im Durchschnitt 41 Stunden pro Woche, mehr als zwei Drittel der Studierenden haben einen Nebenjob (Middendorf u. a. 2017, S. 60). Gut ein Drittel der Studierenden studiert in dem Bundesland, in dem die Studienberechtigung erworben wurde (Middendorf u. a. 2017, S. 31), 20 % aller Studierenden wohnen bei den Eltern (Middendorf u. a. 2017, S. 64), bei den unter 21-jährigen sind es 32 % (Middendorf u. a. 2017, S. 65). Etwa 46 % der Studierenden sind Singles (Middendorf u. a. 2017, S. 24). Allerdings divergieren die sozialen Merkmale erheblich zwischen den Fächergruppen (vgl. Kramer 2020).
2 Biografische Entwicklungen in theologischer Perspektive »Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein« (Gen 12,1 f.). Es mag auf den ersten Blick irritieren, das Nachdenken über die Situation Studierender mit der Erzählung von Menschen zu beginnen, die sich im Großelternalter befinden. Gleichwohl halte ich die Lebenssituation Abrams und Sarais für prototypisch für die Situation Studierender: Mit dem Aufbruch in einen neuen Studienort ist bei den Studierenden, die wir in der ESG treffen, meistens der Wegzug aus dem Elternhaus verbunden. Zurückgelassen wird neben der Herkunftsfamilie auch die bisherige Peergroup, die einen nicht ganz so hohen Stellenwert für die jungen Menschen hat, aber unmittelbar nach der Familie
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rangiert (Endereidt/Wegner 2018, S. 21). Damit bleibt die Familie ein wichtiger Bezugspunkt, der Freundeskreis verlagert sich zunehmend an den Studienort. »Jedes Schiff hat einen Hafen; einen Platz, von dem es herkommt. Einen Platz, zu dem es nach einer langen Reise immer mal wieder zurückkehrt. Irgendwann wird es auf seiner Reise einen weiteren Hafen finden, an dem es Neues zu entdecken und zu erleben gibt.« (Paul, 23 J., studiert Lehramt Deutsch und Religion)1
1 © Dieter Härtl/MISEREOR
Das verheißene Land ist noch nicht der Studienort und das Studienfach an sich, sondern die weit dahinterliegende Perspektive auf eine Berufstätigkeit und eine eigene erwachsene Lebensform. Studienort und Studienfach sind als Weg dorthin zu beschreiben. Mit der Entscheidung für ein Studienfach und einen Studienort haben die Studierenden eine erste Weiche gestellt, auf die noch viele weitere in den Jahren des Studiums folgen werden. Die Ansprüche, die der Studienweg mit sich bringt, stellen Studierende immer wieder vor neue Herausforderungen. Studierende sind stark, weil …
Studierende sind schwach, weil …
… sie eine gute Bildung erhalten. … sie zur Bildungselite gehören. … sie neugierig und aufgeschlossen sind. … sie gute Zukunfts-/Berufsaussichten haben. … sie Selbstvertrauen haben. … ihnen die ganze Welt offen steht.
… sie ständig vom Scheitern bedroht sind. … sie sich selbst überschätzen. … sie permanent unter Leistungsdruck stehen. … sie finanziell auf andere angewiesen sind. … ihnen der Leitfaden im Leben fehlt.
(Meditation zur Jahreslosung 2012 »Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.«, 2Kor 12,9, Anne, 25 J., studiert Maschinenbau)
1 Die verwendeten Gemälde und die dazugehörigen Texte sind entstanden in einem Workshop mit dem Künstler Uwe Appold zum Thema des Hungertuchs 2019/2020 »Mensch, wo bist du?«, der im November 2018 in Aachen stattgefunden hat. Alle verwendeten Namen von Studierenden in diesem Artikel sind nicht die Echtnamen.
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Zwischen den zunächst rein organisatorischen Aufgaben der Studien- und Selbstorganisation und dem Umgang mit dem Erfolgsdruck »Studienabschluss« steht das große Thema »erwachsen werden«. Der Schritt aus dem Elternhaus an einen fremden Studienort ist der Beginn auch dieses Weges. Die evangelische Kirche hat den biografischen Übergang »Schulabschluss« von ihren Anfängen an begleitet. So war der Zeitpunkt der Konfirmation lange mit diesem Datum verbunden (Meyer-Blanck 2003, S. 487 f.), ebenso wie Einschulungsgottesdienste sind Schulabschlüsse längst zu modernen Kasualien geworden (vgl. Grethlein 2007, S. 343 ff.358). Daher ist es als Kirche konsequent und sachgemäß, dem Studium als Weg in die »Erwachsenenwelt« hinein besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die kirchliche Begleitung von jungen Menschen durch diese Lebensphase hindurch mit gottesdienstlichen und seelsorglichen Angeboten ließe sich durchaus als »gestreckte Kasualie« beschreiben. Gott wiederholt seine Verheißung an Abram in krisenhaften Situationen auf dem Weg (Gen 13 u. ö.), ebenso benötigen Studierende immer wieder Vergewisserung und Zuspruch. Für internationale Studierende ist der Weg des Studiums besonders herausfordernd. Sie müssen Studienleistungen in einem Land bringen, dessen Sprache sie häufig erst lernen müssen – so weit von der Familie entfernt, dass kurze Wochen end- oder Ferienbesuche bei der Herkunftsfamilie zum Auftanken nicht möglich sind. Und sie sind häufig begleitet von einer prekären finanziellen Situation. »Als ich im Familienhaus war, war alles schön, ordentlich und voller Liebe. Bis ich an einen Scheideweg kam und ich wählen musste, welchen Weg ich nehmen soll. Den einfachen Weg, also dort zu bleiben, wo die Zukunft zu dunkel sein könnte. Oder nach Deutschland zu gehen, wo man das Studium, Arbeit und die glänzende Zukunft haben kann, der schwierige Weg also.« (Adil, 26 J., aus Syrien) © Dieter Härtl/MISEREOR
Nicht immer liegen hinter den Wahlmöglichkeiten internationaler Studierender solch dramatische Konsequenzen wie bei dem zitierten syrischen Studenten. Doch die Motivation für ein Studium fernab der Heimat ist häufig die Hoffnung auf eine »glänzende Zukunft«, meist verbunden mit hohen Erwartungen der Herkunftsfamilie. Aber der Weg dorthin ist für die jungen Menschen, die in Deutschland studieren, oft der »schwierige Weg«.
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Auf ihrem Weg stehen die Studierenden in einer expliziten oder impliziten Auseinandersetzung mit den Lebensentwürfen und Erwartungen ihrer Herkunftsfamilie:
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»Als ich noch in die Schule gegangen bin, hat meine Oma mir immer gesagt, wie gut ich es habe. Sie hat sich früher nichts mehr gewünscht, als länger als 7 Jahre zur Schule gehen zu dürfen, da lernen so viel Spaß gemacht hat. Aber sie hatte nicht die Freiheit dazu. Stattdessen musste sie mit 14 anfangen, als Hausmädchen zu arbeiten. Aus ihrer Sicht bin ich freier als sie. Sie hatte keine Wahl, sondern musste früh Geld verdienen. Trotzdem fühle ich mich nicht freier. Als ich 14 war, wollte ich nicht zur Schule gehen. Ich hatte Angst vor den Lehrern, den Mitschülern, dem Druck. Fühlt sich so Freiheit an? Ich hatte nicht die Freiheit zu sagen, nein, ich gehe dort nicht mehr hin. Und im Rückblick ist es natürlich gut, dass ich diese Entscheidungsfreiheit nicht hatte, sonst hätte ich ohne meinen Abschluss nicht die freie Berufswahl gehabt, hätte nicht studieren können. Es war gut, nicht frei zu sein. Auf der anderen Seite habe ich so viel Auswahlmöglichkeit. Für meine Oma war klar, als was sie arbeitet, ich muss auswählen, was der richtige Weg für mich ist. Und das alles mit dem Risiko, auch die falsche Wahl treffen zu können. Wie viele Leute gibt es, die auch 5 Jahre nach der Schule noch nicht ihren Lebensweg gefunden haben? Wie viele fahren nach Australien, um sich selbst zu finden? […] Freiheit ist wie ein Seil über einem Abgrund. Ich will darauf balancieren, aber sowohl links als auch rechts kann ich in Unfreiheit fallen. Einsam zu sein macht mich unfrei, viele Freunde auch. Wenn ich nur einer Art von Arbeit nachgehen darf, oder wenn ich die freie Wahl auf alle Berufe der Welt habe. Die Freiheit liegt dazwischen, und ich versuche, auf ihr zu balancieren.« (Annika, 20 J., studiert Physik) Die Unsicherheit, die die Freiheit und die Notwendigkeit zu Lebensentscheidungen in der Lebensphase des Studiums hervorrufen, betrifft auch die Frage nach der angestrebten Lebensform und nach Geschlechterrollen, wie im folgenden Bild sichtbar. Ein Prinz steht am einzigen Fenster einer sonst fensterlosen Burg, die Fahnen der Burg sind schwarz, das Tor geschlossen ohne Schloss und Klinke. Die Prinzessin fliegt auf einem Drachen darüber. Die Studentin schreibt dazu: »Prinz in Nöten! Schreibe dein eigenes Märchen und entscheide selber über dein Leben:
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– Prinz retten – Burg putzen – Einfach weiterfliegen« (Jana, 23 J., studiert Bauingenieurwesen)
© Dieter Härtl/MISEREOR
Gerade für junge Frauen stellt sich mit zunehmendem Fortschritt des Studiums immer noch die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (vgl. Lietzmann/Wenzig 2017). Für einige Studierende fällt in die Zeit des Studiums die eigene Akzeptanz und unter Umständen das Outing als LGTBQIA*. Wie Abram und Sarai begeben sich Studierende mit dem Beginn ihres Studiums auf einen Weg, dessen Ziel teils explizit, teils implizit benannt ist: Studienabschluss und Einstieg in die Berufswelt, das Finden eines jeweils passenden Lebensortes und einer Beziehungs- und Lebensform. Wie bei Abram und Sarai liegen auf diesem Weg Hindernisse und Weggabelungen, Trennungen und Menschen kommen hinzu. Erfahrungen von geglückten Prüfungen und Beziehungsanbahnungen gehören ebenso dazu wie Scheitern und Umwege. Vergewisserung des eigenen Lebens als von Gott gewolltes und getragenes ist die Verheißung, die Studierende in ESGn zugesprochen bekommen und die sie dazu befähigt, füreinander und für andere zum Segen zu werden.
3 Erfahrung von Weggemeinschaften In den ESGn haben Studierende die Möglichkeit, Gefährt*innen auf ihrem Weg zu finden und sich gegenseitig zu begleiten. Hierfür sind die gegenseitige Akzeptanz und Toleranz eine wichtige Voraussetzung. »Weggemeinschaft Mein Weg ist gerade ganz schön nebelig. Ich kann kaum die Hand vor meinen Augen sehen! Komm mit! Hier auf dieser undurchsichtigen Strecke möchte ich dir helfen.
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Vier Augen sehen ja bekanntlich mehr als zwei, sodass wir gemeinsam besser erkennen können, wo der Weg entlangführt. Und sollten wir uns einmal nicht weiter trauen, können wir uns gegenseitig ermutigen, langsam weiterzugehen, bis die Sicht wieder klarer wird und wir uns wieder orientieren können. Ich schaue mich um und blicke ins Tal hinunter: Jetzt erscheint mir mein Weg viel schwerer und länger als der der anderen. Vergiss nicht, dass es um deinen persönlichen Lebensweg geht. Ein einzigartiger Weg voller Höhen und Tiefen, den es so nicht nochmal gibt. Mach dich nicht unglücklich, indem du dich mit anderen vergleichst. Vergleiche dich stattdessen mit dem Menschen, der du gestern warst, und frage dich, ob du glücklicher geworden bist. Sei stolz auf deine Einzigartigkeit und sei die beste Version deiner selbst. Nun wird mein Weg sehr schmal, da passen noch nicht einmal zwei Füße nebeneinander … Ich weiß, dass du Angst davor hast abzustürzen, hängen zu bleiben, oder nicht wieder zurückzukönnen, aber ich weiß, dass du es schaffen kannst. Du brauchst nur Mut; einen Fuß vor den anderen. Ich kann zwar nicht neben dir sein, dir aber immer den Rücken freihalten, oder auch vorangehen. Endlich habe ich einmal einen ganz geraden Wegabschnitt vor mir. Hübsch geradeaus, soweit das Auge schauen kann, keine Besonderheiten. Ich glaube, du brauchst jemanden, der diesen einfachen, aber eintönigen Abschnitt des Weges etwas angenehmer macht. Wenn du möchtest, begleite ich dich, erzähle ein paar Geschichten und werde dich immer mal wieder daran erinnern, auch mal eine Pause zu machen und wieder Kraft zu tanken. Die meiste Zeit aber werden wir uns gegenseitig die Zeit vertreiben, bis sich der Weg wieder verändert und dich anders fordert. Jetzt wird mein Weg ganz schön kurvig. Ich sehe weder mein Ziel noch das, was mich in Zukunft erwarten wird. Lauf einfach weiter.
Die Zielgruppe Studierende
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Auch, wenn der Weg zu deinen Zielen manchmal nicht gradlinig verläuft oder dir das Unbekannte hinter den Kurven Sorgen bereitet. Es ist die einzige Möglichkeit herauszufinden, was das Leben als nächstes für dich bereithält. Hab Vertrauen in deine Stärken und halte an deinen Zielen fest. Und wer sagt denn, dass eine unerwartete Wendung etwas Schlechtes bedeuten muss? Nun ist es auf meinem Weg aber sehr nass und schlammig. Das Leben ist kein Ponyhof. Ein bisschen Dreck hat noch nie jemandem geschadet. Du darfst halt bei solchen Wegbedingungen nicht deine Sonntagshose und -schuhe einpacken. Mach dich frei von deinen Sorgen und Zwängen. Die Bewegungen kosten zwar auch ein bisschen mehr Kraft, dann macht es aber umso mehr Spaß, fröhlich und munter durch die Pfützen zu springen.« (Hanna, 20 J., studiert Medizin; Markus, 25 J., studiert Maschinenbau) So beschreiben Studierende selbst, welche Herausforderungen der Wegabschnitt Studium für sie bereithält und wie sie sich untereinander und miteinander Mut zusprechen. Die Funktion der ESGn als Ort, an dem diese Weggemeinschaft Raum findet, beschreiben Studierende so: »Wir sind divers, international, und trotzdem verbindet uns alle das Gleiche: Unser Campingplatz ESG – ein Rastplatz auf dem Weg zwischen unserer Jugend und unserem Arbeitsleben: Wir schlagen unsere Zelte für durchschnittlich 3 Jahre auf, nehmen neue Campingplatzbesucher auf, müssen alte aber auch weiterreisen lassen. Wir lernen erwachsen zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen, Entscheidungen zu treffen und unseren Verpflichtungen im Studium nachzugehen, unser Blick geht schon in die Zukunft. Wir helfen uns gegenseitig, unsere Zelte aufzubauen, und wenn ein Sturm kommt, flicken wir sie gemeinsam. Unser Campingplatz ist immer in Bewegung, und dadurch haben wir die Möglichkeit, immer etwas zu verändern. Der Campingplatz bietet uns eine Basis von Angeboten und Verbindlichkeiten, auf welcher wir situationsabhängig frei entscheiden können, ob wir einen Input leisten oder nur vom Output profitieren.
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Wir teilen verschiedene Glauben, lernen die Ansichten von anderen zu akzeptieren und Gutes zu übernehmen. Wir verlassen den Zeltplatz mit gefestigter Identität und Studienabschluss.« (Ehrenamtlich Mitarbeitende der ESG-Aachen 2019)
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Der Wunsch junger Menschen nach Toleranz und Akzeptanz geht dabei über ihr direktes individuelles Lebensumfeld hinaus und richtet sich übersubjektiv an die Gesellschaft. Als individuelle Wünsche an die Gesellschaft rangieren Toleranz, Chancengleichheit, Achtung, Gleichberechtigung, gleichgestellte Geschlechter, weniger Angst vor Andersartigkeit, mehr Rücksichtnahme, Respekt, Gerechtigkeit (vgl. Endewardt/Wegner 2018, S. 24 f.).
4 Kirchen- und religionssoziologische Forschungsergebnisse Dass die Zielgruppe Studierende einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, zeigen auch die Auswertungen von Hinweisen aus der Religionssoziologie.2 Insgesamt ist die Gruppe der 14–29-jährigen Evangelischen kirchlich schwer ansprechbar (vgl. Bedford-Strohm/Jung 2015, S. 148), dies gilt auch für Studierende (Ahrens/Läger-Reinbold 2014, S. 11 f.). Innerhalb ihrer Altersgruppe sind es jedoch die Studierenden, bei denen der »Austausch über religiöse Themen/ Sinn des Lebens« eine größere Rolle spielen als bei Gleichaltrigen, die z. B. eine Ausbildung machen: Austausch über religiöse Themen bei Studierenden 44 %, bei Azubis 33 %; Austausch über Sinn des Lebens bei Studierenden 58 %, bei Azubis 32 % (Ahrens/Läger Reinbold 2014, S. 12; Bedford-Strohm/Jung 2015, zit. n. Ahrens 2019, Folie 30). Insofern ist es wichtig, dass die Kirche mit den ESGn Räume anbietet, in denen genau dieser Austausch stattfindet. Hierbei ist die offene und wertschätzende Haltung, die Studierenden in den ESGn entgegengebracht wird, notwendige Voraussetzung für die Nutzung und Mitgestaltung der Angebote: »Über das, was ich glaube, entscheide ich selbst« (52 % Zustimmung unter 19–27-Jährigen, Endewardt/Wegner 2018, S. 16).
2 Mein Dank gilt Petra-Angela Ahrens vom SI der EKD. Sie hat alle relevanten Studien gesichtet, die Zahlen aufbereitet und durch eigene Berechnungen ergänzt, anlässlich eines Vortrags in der Studierendenpfarrkonferenz in der EKiR am 02.09.2019 mit dem Titel: »Über das, was ich glaube, entscheide ich selbst«? Ergebnisse empirischer Studien zur christlich-religiösen Orientierung junger Menschen.
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Der partizipative Ansatz der ESGn ermöglicht Studierenden nicht nur individuell, sondern auch in ihrer Peergroup Raum für selbstbestimmten Austausch über den Glauben und den Sinn des Lebens zu finden. Dabei ist das Angebot der ESGn als eines Diskurs- und Lebensraumes in Ergänzung und Alternative zu bisher erlebter Kirchlichkeit ein wichtiger Faktor, da immerhin 40 % der sich selbst als religiös einstufenden jungen Menschen der Kirche kritisch gegenüberstehen und ihr eine Veränderungsnotwendigkeit attestieren (Endewardt/Wegner 2018, S. 17). Die Begleitung durch hauptamtlich Mitarbeitende in den ESGn gewinnt dennoch dabei eine eigene Bedeutung und Qualität. Die familiale Weitergabe der Religiosität nimmt in jeder Alterskohorte weiter ab (Bedford-Strohm/Jung 2015, S. 134). Perspektivisch wird die bereits in Kindheit und Jugend erfolgte religiöse Sozialisation bei Studierenden immer geringer werden. Damit werden die ESGn zu einem zunehmend bedeutenderen Ort religiöser Sozialisation. Zugleich wird die Bedeutung kirchlich Mitarbeitender für die religiöse Sozialisation von 29 % der 20–29-Jährigen als positiver Einflussfaktor beschrieben – gefolgt von christlichen Kinder- oder Jugendgruppen (27 %) und dem Religionsunterricht (24 %; Bedford-Strohm/Jung 2015, zit. n. Ahrens 2019, Folie 15). Die qualifizierte Hauptamtlichkeit durch theologisch kompetente Mitarbeitende als »religiöse Sozialisationsbegleiter« wird vor dem Hintergrund, dass religiöse Sozialisation zunehmend auch im Studierendenalter geschieht, noch relevanter, als sie es bisher schon war. Hierbei kommt Pfarrer*innen nach wie vor eine Schlüsselrolle zu (Bedford-Strohm/Jung 2015, S. 123 f.). Als Form des Austauschs über den Sinn des Lebens wird von 85 % der 14–29-jährigen Evangelischen das persönliche Gespräch genannt (BedfordStrohm/Jung 2015, S. 494 f.). Damit korrespondiert die Wahrnehmung, dass die Gottesvorstellung dieser Altersgruppe durch ein personales Gottesbild geprägt ist (»Gott oder das Göttliche ist für mich jemand, zu dem ich sprechen kann« – 47 % Zustimmung, Schweitzer u. a. 2018, S. 78) und Sicherheit/Geborgenheit durch Glauben (49 %, Schweitzer u. a. 2018, S. 78) eine große Rolle spielen (Ahrens 2019, Folie 26).
5 Zusammenfassung Studierende sind einerseits durch ihr Alter, andererseits durch den Lebenszusammenhang »Studium« eine eigene Zielgruppe, die gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen eine Sonderstellung einnimmt. Es zeigt sich, dass kirchliche Angebote für Studierende an den Fragestellungen und Bedürfnissen dieser speziellen Zielgruppe orientiert sein müssen. Diese fluide und
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suchende Lebensphase erfordert einen offenen Zugang, der jede*n Student*in in der Individualität der aktuellen Situation und der zu bewältigenden Herausforderungen akzeptiert und zugleich Orientierungsmöglichkeiten anbietet. Die Zielgruppe Studierende selbst unterliegt einer großen Heterogenität, was die Lebensentwürfe und die Bewältigungsstrategien bezüglich des Umgangs mit dem Weg dorthin betrifft. Die Aufgabe, diesen Weg mit unzähligen individuellen Entscheidungen, Chancen und Hindernissen zu gehen und sich dabei in einer verhältnismäßig ausgedehnten Übergangsphase bezüglich fast aller lebensbestimmenden Faktoren zu erleben, ist gleichzeitig die Gemeinsamkeit, die diese Zielgruppe ausmacht.
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Literatur Ahrens, P.-A. (2019): »Über das, was ich glaube, entscheide ich selbst«? Ergebnisse empirischer Studien zur christlich-religiösen Orientierung junger Menschen. Vortrag bei der Studierendenpfarrkonferenz der EKiR am 02.09.2019. https://www.siekd.de/wp-content/uploads/2020/11/ Glaube-junger-Menschen-SPK-Ueberdorf-Sept-19.pdf (abgerufen am 14.11.2020). Ahrens, P.-A./Läger-Reinbold, K. (2014): Kirche auf dem Campus. Religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Studierenden. Hannover. https://www.siekd.de/wp-content/uploads/2018/08/2014126741_ kircheundcampus_Web.pdf (abgerufen am 14.11.2020). Bedford-Strohm, H./Jung, V. (Hg.) (2015): Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft (KMU V). Gütersloh. Endewardt, U./Wegner, G. (2018): »Was mein Leben bestimmt? Ich!«. Lebens- und Glaubenswelten junger Menschen heute. Hannover. Grethlein, C. (2007): Grundinformation Kasualien. Kommunikation des Evangeliums an Übergängen des Lebens. Göttingen. Kramer, B. (2020): Klischee und Wahrheit. Süddeutsche Zeitung, Nr. 114 (18.05.2020), S. 19. Lietzmann, T./Wenzig, C. (2017): Arbeitszeitwünsche und Erwerbstätigkeit von Müttern. Leibniz Informationszentrum Wirtschaft. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/185029/1/kb1017. pdf (abgerufen am 13.12.2020). Meyer-Blanck, M. (2007): Die Konfirmation – Geschichte und Theologie. In: H.-C. SchmidtLauber/M. Meyer-Blanck/K.-H. Bieritz (Hg.): Handbuch der Liturgik (3. Aufl.; S. 481–494). Göttingen. Middendorff, E./Apolinarski, B./Becker, K./Bornkessel, P./Brandt, T./Heißenberg, S./Poskowsky, J. (2017): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin. Schweitzer, F./Wissner, G./Bohner, A./Nowack, R./Gronover, M./Boschki, R. (2018): Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht. Münster. Statistisches Bundesamt (Destatis 2020a): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen. https:// www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/ Publikationen/Downloads-Hochschulen/studierende-hochschulen-endg-2110410207004. pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 24.11.2020).
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Statistisches Bundesamt (Destatis 2020b): Hochschulen. Frauenanteile nach akademischer Laufbahn. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/ Hochschulen/Tabellen/frauenanteile-akademischelaufbahn.html (abgerufen am 24.11.2020). Statistisches Bundesamt (Destatis 2020c): Nichtmonetäre hochschulstatistische Kennzahlen – Fachserie 11, Reihe 4.3.1, 1980–2019. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/ Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Publikationen/Downloads-Hochschulen/kennzahlen-nichtmonetaer-2110431197004.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 24.11.2020).
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1.8 Hochschule als Handlungsraum Corinna Hirschberg und Uwe-Karsten Plisch
1 Wissenschaft
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In diesem Artikel wird die Hochschule als Handlungsraum für ESGn aus der Perspektive der Bundes-ESG beleuchtet. Die Beziehung von ESG und Hochschule in ihren diversen Dimensionen aus der Sicht der Orts-ESGn findet sich in diesem Handbuch im Artikel 2.16 »Studierendengemeinden an der Hochschule«. Eine besondere Stellung nehmen in diesem Zusammenhang die Evangelischen Hochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften in evangelischer Trägerschaft ein. Die meisten von ihnen bieten Studiengänge in den Bereichen Theologie, Kirchenmusik und Sozialwesen an. In ihnen haben Studierende einen institutionell vermittelten Kontakt zur evangelischen Kirche; oftmals auch solche Studierende, die zuvor nicht kirchlich sozialisiert waren. Darüber hinaus machen diese Hochschulen vielfach Angebote, die das protestantische Profil erkennen lassen; häufig in Kooperation mit der Studierendengemeinde vor Ort. Zur Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule überhaupt gibt das gleichnamige Positionspapier und Rahmenkonzept der EKD aus dem Jahr 2006 Auskunft (Kirchenamt der EKD 2006). Michael Klessmann (2012, S. 297) ordnet die Studierendenpfarrämter grundsätzlich dem Bereich der Wissenschaft zu und nicht den Bereichen Bildung und Unterricht, Seelsorge oder Institutionen, die jeder für sich auch möglich wären. Ein Grund mehr, diesen Artikel mit der Wissenschaftsbeziehung zu beginnen. Seit Jahrzehnten ist die Vermittlung von Glaube und Wissenschaft ein wichtiges Anliegen der ESGn. Diese geschieht am jeweiligen Hochschulstandort häufig mittels evangelischer Hochschuldialoge, in denen Geistes- und Naturwissenschaften miteinander ins Gespräch gebracht werden. Hochschuldialoge sind zugleich ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland (EAiD). Bundesebene und Orts-ESGn kooperieren darüber hinaus bei Bildungsveranstaltungen immer wieder mit diversen evangelischen Akademien in Deutschland.
Hochschule als Handlungsraum
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Zur Ausübung der Schnittstellenfunktion zwischen Kirche und Hochschule gibt es an vielen Standorten einen evangelischen Hochschulbeirat – auch auf EKD-Ebene –, der die Arbeit der ESGn begleitet und berät. Er ist in der Regel aus kirchlich engagierten Mitgliedern der Hochschulen, Studierendenpfarrer*innen, Vertreter*innen der evangelisch-theologischen Fakultäten und Fachbereiche – sofern vor Ort vorhanden – sowie weiteren für die kirchliche Arbeit an den Hochschulen wichtigen Personen zusammengesetzt. Sie fördern den Diskurs zwischen Kirche und Hochschule zu den Grundfragen unserer Gesellschaft. Der Hochschulbeirat der EKD hat Ende 2020 eine Broschüre zum Thema Religion an der Hochschule veröffentlicht. Unter der Überschrift »Religion und Glauben gehören mitten auf den Campus« stellt die Broschüre in sechs Thesen dar, warum es sinnvoll ist, Glaubensausübung auf dem Campus zuzulassen (Kirchenamt der EKD 2020a).
2 Seelsorge ESG-Arbeit an der Hochschule ist grundsätzlich eine aufsuchende Arbeit, die auf Menschen an der Hochschule zugeht und sich zu deren Bedürfnissen mit ihren spezifischen Angeboten und Kompetenzen in Beziehung setzt. Dabei kann ESG auch unmittelbar auf Anfragen und Bedürfnisse der Hochschule reagieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch die genuine Arbeit der Hochschule ein akuter Seelsorgebedarf entsteht, auf den die Hochschule ihrerseits Antworten sucht, die sie aber selbst nicht geben kann. Solch hochschulspezifischer Seelsorgebedarf entsteht z. B. im Zuge der human- und tiermedizinischen Ausbildung, wenn Studierende anatomische Kenntnisse durch Studien an Verstorbenen gewinnen oder wenn im Studium die Tötung eines (Versuchs-)Tieres zwingend vorgeschrieben ist (siehe dazu Artikel 2.8 in diesem Handbuch). Die seelsorgerliche Kompetenz der ESG-Pfarrer*innen ist auch vonseiten der Hochschulleitungen gefragt. So haben an einigen Hochschulstandorten die ESG-Pfarrer*innen ein Ritual für alle Hochschulangehörigen im Auftrag der Hochschulleitung zum 11. September 2001 angeboten. Ebenfalls kommen sie zum Einsatz bei einem Suizid im Hochschulkontext: sowohl in der Einzelseelsorge wie auch in der Begleitung von Gruppen (z. B. Wohnheimflure) oder mit einem Abschiedsritual. Ein weiteres Aufgabenfeld umfasst seelsorgerliche Angebote für Studierende und Mitarbeitende. Diese können sich durch zufällige Kontakte ergeben, aber auch durch Vermittlung von der Zentralen Studierendenberatung (ZSB) oder
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Corinna Hirschberg und Uwe-Karsten Plisch
durch Dozierende der (theologischen) Fakultäten. Einige Studierendenpfarrämter bieten auch eine offene Sprech-/Seelsorgestunde an, die z. B. über die Website bekanntgegeben wird. An einigen Hochschulen gibt es Zimmer der Beratung, in denen ESG-Pfarrer*innen und ESG-Referent*innen zu festgelegten Zeiten Beratung und Seelsorge anbieten. Häufig werden solche Angebote auch von Studierenden oder Mitarbeitenden, die sonst wenig mit der ESG oder (evangelischer) Kirche zu tun haben, gern in Anspruch genommen und mit einer positiven Erfahrung konnotiert.
3 Gottesdienste im Hochschulkontext
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Die Gottesdienstarbeit der ESGn unterscheidet sich von der einer Parochialgemeinde grundsätzlich dadurch, dass sie sich nicht (primär) am Kirchenjahr, sondern an den (zeitlichen) Abläufen des Hochschulalltags orientiert. Typische ESG-Gottesdienste sind insofern die Semesteranfangs- und Semesterschlussgottesdienste, die häufig gemeinsam mit anderen konfessionellen Hochschulgruppen (KHG, SMD) vorbereitet und gestaltet werden. Hinzu kommen die Universitätsgottesdienste, oft gestaltet in Kooperation mit den Universitätsprediger*innen aus den theologischen Fakultäten (sofern an der Hochschule vorhanden). Ein weiteres beliebtes Gottesdienstformat, das unmittelbar auf die Hochschulrealität reagiert, sind Gottesdienstreihen, in denen Hochschullehrer*innen predigen. Diese Predigten werden dann häufig in eigenen Predigtreihen veröffentlicht. Gottesdienstformen, die sich unmittelbar aus dem Hochschulalltag ergeben, sind zum Beispiel Gedenk- und Dankgottesdienste für Menschen, die ihren Leichnam der medizinischen Forschung und Lehre zur Verfügung gestellt haben (Körperspendergottesdienste), anlassbezogene Gottesdienste bei außergewöhnlichen Ereignissen im Hochschulkontext (Suizide, Unglücksfälle usw.) sowie Andachten und Gottesdienste an besonderen (Hochschul-)Orten (z. B. Adventsandacht in der Rinderklinik).
4 Institutioneller Kontakt Der Kontakt zur Hochschulleitung ist verständlicherweise ein besonders zentraler Bestandteil des institutionellen Kontaktes und oft auch entscheidend für die Beziehung zur gesamten Hochschule oder Universität. An einigen Standorten ist es gute Praxis, dass sich Hochschulleitung und ESG-Pfarrer*innen einmal im Jahr zu einem Dienstgespräch verabreden, um die Entwicklungen der letzten
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Zeit und anvisierte Projekte zu besprechen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen. Auch problematische Konstellationen können in diesem Gespräch in einem unaufgeregten Setting zum Tragen kommen. An anderen Standorten verabreden sich die Beteiligten für ein Gespräch zu Beginn einer Amtszeit einer*s neuen Rektors*in/Präsidenten*in/Kanzlers*in zum gegenseitigen Kennenlernen. Es gibt natürlich auch Standorte, an denen sich der Kontakt auf zufällige Treffen oder öffentliche Veranstaltungen beschränkt. Je kleiner ein Hochschulstandort, desto enger ist häufig die Einbindung von Hochschule und ESG in die lokale Zivilgesellschaft. Gerade die öffentlichen Veranstaltungen wie Jahresempfang und Erstsemesterbegrüßung haben einen hohen Stellenwert in der institutionellen Beziehung zur Hochschule, da sie darüber eine Aussage treffen, ob die Studierendengemeinde als für die Hochschule relevante Institution anerkannt ist. Besonders bei der Erstsemesterbegrüßung ist unter den Hochschulstandorten ein breites Spektrum anzutreffen, was die Beteiligung der ESG betrifft. Mancherorts spricht der*die ESG-Pfarrer*in gleich nach dem*r Rektor*in, in anderen Fällen kann sich die ESG erst unter den studentischen Initiativen vorstellen und wiederum andere können sich überhaupt nicht den Erstsemestern präsentieren. An dieser Stelle sei festgehalten, dass ESG-Hauptamtliche mit einem Lehrauftrag es grundsätzlich leicht(er) haben, einen Zugang zu universitären Einrichtungen und Personen zu bekommen. Durch die Beratungsarbeit an internationalen Studierenden sind viele ESGHauptamtliche im International Office eingebunden, z. B. beim runden Tisch für Beratung, und es besteht ein guter Kontakt zu den Mitarbeitenden in der Beratung. Ähnliches gilt für die Zentrale Studienberatung, da auch hier Studierende gegenseitig aufeinander verwiesen werden. Mit dem Service-LearningBereich der Universitäten haben viele ESGn besonders während der Flüchtlingskrise zusammengearbeitet und waren dort eine geschätzte Kooperationspartnerin. Gerade mit dieser universitären Institution entstehen auch gemeinsame Veranstaltungen oder Projekte wie z. B. zu Soft Skills. Auch die studentischen Leitungsgremien wie AStA (Allgemeiner Studie rendenausschuss) oder StuRa (Studierendenrat) spielen eine immense Rolle, zumal ihnen oft die Vergabe des Hochschulgruppenstatus obliegt. Viele ESGHauptamtliche treffen sich einmal im Jahr mit den Vorsitzenden zum gegenseitigen Kennenlernen und gegenseitigen Offenlegen der Angebote. Diese Gespräche sind wertvoll, da durch den persönlichen Kontakt eventuelle Schwierigkeiten oder Vorurteile direkt angesprochen werden können. Auch hier können gemeinsame Projekte entstehen, ebenso wie mit (säkularen) Hochschulgruppen.
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Unter den selbstständigen Institutionen auf dem Campus sind noch die Studierendenwerke hervorzuheben, zu denen häufig ein intensiver Kontakt besteht. Dieser wird oft durch die gemeinsame Beratung an internationalen Studierenden und Fragen zum Wohnraum hergestellt. Dieser Überblick zeigt, wie groß und vielfältig das Portfolio ist, mit dem ESGn vor Ort in Kontakt mit der Hochschule stehen.
5 Präsenz an der Hochschule
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Spätestens seit dem Positionspapier der EKD »Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule« (2006) wird auf die verstärkte Wahrnehmung und Sichtbarwerdung in und am Campus von evangelischer Kirche, hier in Form der Studierendengemeinden, ein besonderes Augenmerk gelegt. So haben vielerorts ESGn eine Präsenzzeit zu gut frequentierten Zeiten in oder an der Universität. Dort wird auf das Angebot der Studierendengemeinden aufmerksam gemacht, Hauptamtliche und Studierende aus der Gemeindeleitung sind sichtbar und stehen für Gespräche zur Verfügung, oft gibt es noch ein kulinarisches Angebot oder Giveaways, die mitgenommen werden können. Nach unserer Erfahrung verbessert sich die Wahrnehmung, gerade vonseiten der Hochschulleitung, wenn diese Präsenzzeiten in ökumenischer Zusammenarbeit ausgestaltet werden. Ein gemeinsam gestalteter Auftritt kann da hilfreich sein. Für eine sichtbare Präsenz an der Hochschule ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit auch in und am Campus unerlässlich. Sie richtet sich selbstverständlich nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten jeweils vor Ort. Wichtigste Bestandteile der Öffentlichkeitsarbeit sind sicherlich das Auslegen der Semesterprogramme oder Postkarten/Flyer, meistens in der Mensa, die Werbung für spezielle Veranstaltungen über die Monitore oder Screens, die oft im Eingangsbereich zentraler Gebäude hängen, und die Verlinkung der ESG-Website auf der Universitätswebsite. An manchen Standorten ist es darüber hinaus möglich, z. B. für die Einladung zu Universitäts- oder Semesterstart-/-schlussgottesdiensten die Mailingliste des Rektorats an alle Mitarbeitende und Studierende zu nutzen. Eine andere Art, an der Hochschule präsent zu sein, ist die Vermietung oder auch kostenlose Überlassung von ESG-Räumen für Universitätsveranstaltungen oder Hochschulgruppen. Hierdurch wird die Studierendengemeinde als solche in der Hochschule bekannt. Darüber hinaus lernen einige Studierende die Räumlichkeiten (und den Weg dorthin) schon niedrigschwellig kennen. Etwa ein Viertel aller ESGn ist mit Wohnheimen für Studierende verbunden oder bietet Zimmer bzw. Wohngemeinschaften für Studierende an. Die Kom-
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bination von ESG und Wohnheim ist teils historisch gewachsen oder ergibt sich aus den baulichen Möglichkeiten der ESG-Häuser, teils ist sie bewusster Bestandteil eines gestalterischen Konzeptes (wie in der ESG Frankfurt am Main), um studentisches Wohnen und geistliches Leben miteinander zu verknüpfen. Landeskirchen, die Wohnheime primär als Kostenfaktor betrachten, übersehen leicht die Chancen, die in der Kombination von Wohnen und (Gemeinde-) Leben liegen.
6 Religionen an der Hochschule Als religiöse Institution spielt für die Studierendengemeinden die Frage nach der Religion im Handlungsraum Hochschule sinnvollerweise eine große Rolle. Der engste Kontakt besteht an den meisten Standorten sicherlich zu den Katholischen Hochschulgemeinden (KHGn), die z. T. bereits eine ökumenische Gemeinde bilden. Auch auf Bundesebene gibt es einen sehr guten Kontakt zum katholischen Forum Hochschule und Kirche (FHoK). Mit der Studentenmission in Deutschland (SMD) gibt es auf Bundesebene einen guten Kontakt, die Beziehungen vor Ort sind aber sehr unterschiedlich. Das liegt einerseits an den unterschiedlichen Ausprägungen der jeweiligen Gruppen vor Ort und dem jeweiligen religiösen Klima insgesamt an den Hochschulstandorten. Andererseits macht sich auch die Wirkung der SMD bei anderen Playern in der Hochschule bemerkbar; die studentischen Vertretungen begegnen ihr häufiger mit Skepsis. Andere evangelische Hochschulgruppen wie Campus für Christus und die Navigatoren, die zumeist einen freikirchlichen Kontext haben, sind in sehr unterschiedlicher Stärke an der Hochschule anzutreffen. Je nachdem variiert auch die Kooperationsmöglichkeit. Im interreligiösen Dialog sind viele ESGn sehr gut aufgestellt, besonders mit den muslimischen Hochschulgruppen vor Ort. Die Kooperationen reichen von gemeinsamen Veranstaltungen über regelmäßige Treffen bis hin zum Café Abraham, Letzteres auch mit Beteiligung der jüdischen Hochschulgruppen. Da beide letztgenannten Hochschulgruppen auch Vertretungen auf Bundesebene haben, gibt es einen guten Kontakt von der Bundesebene zu ihnen (RAMSA und JSUD; zum interreligiösen Dialog insgesamt siehe Artikel 2.14 in diesem Handbuch). Mit fast allen der genannten Hochschulgruppen war und ist die Bundes-ESG im Kontakt zum Thema »Religion an der Hochschule« (siehe dazu Artikel 1.9 in diesem Handbuch). Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass Religion Raum an der Hochschule bekommt und nicht aus dem Campusleben verdrängt wird.
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Ein markantes Merkmal, ob der Religion an der Hochschule ein Platz eingeräumt wird, ist der Raum der Stille (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Hier sind oftmals die ESGn bei der Installierung, Einrichtung und Instandhaltung eines solchen Raumes gefragt – nicht selten in ökumenischer oder interreligiöser Kooperation.
Literatur
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Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover. Kirchenamt der EKD (2020a): Religion und Glauben gehören mitten auf den Campus. Hannover. Klessmann, M. (2012): Das Pfarramt. Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie. Neukirchen-Vluyn. Laqueur, G./Schmidt, I./Will-Armstrong, J. (2008): Von der Alma Mater zum Bildungskonzern? Hochschulreformer und evangelische Hochschularbeit. Gemeinsam verantwortlich – wechselseitig herausgefordert. Evangelische Hochschuldialoge. Bd. 4. Berlin.
1.9 Religion an der Hochschule Annette Klinke
Die Hochschule ist ein Ort, an dem Wissenschaft und Religion sich begegnen können. Dieses Zusammenspiel gestaltet sich vielschichtig. Die Situation auf dem Campus stellt sich nicht zuletzt durch die Internationalisierungskampagnen der Hochschulen als multireligiös dar, denn gemeinsam mit den Studierenden und Lehrenden kommen die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in die Hörsäle und Seminare. Im vermeintlich säkularen Raum treffen die individuellen Ansichten auf wissenschaftliche Fragestellungen und ethische Diskurse. In diesem Austausch entwickeln sich persönliche Standpunkte und Erkenntnisse – ein Prozess, der an Hochschulen und Universitäten Platz haben muss. Doch mit der zunehmenden Sorge vor Extremismus verschlechtert sich die Situation der religiösen Gruppen an den Hochschulen.
1 Die Situation religiöser Gruppen an Hochschulen in Deutschland Säkularisierung, Laizismus und weltanschauliche Neutralität – diese Stichworte fallen oft im Dialog der religiösen studentischen Gruppen mit ihren Hochschulleitungen. Vor diesem Hintergrund wird es für die evangelischen, katholischen, muslimischen und jüdischen Gruppen schwer, den Status als Hochschulgruppe zu erlangen. Gelegentlich wird aus Sorge vor unkalkulierbaren Auswirkungen, Angst vor fanatischen Splittergruppen und unerwünschten Auseinandersetzungen mit dem Hinweis auf das Neutralitätsgebot teilweise allen Gruppen eine Absage erteilt. Oft in massiverer Weise als die christlichen Gruppen erleben die muslimischen Hochschulgruppen die Vorbehalte ihnen gegenüber. Hier werden die ungesagten Befürchtungen am deutlichsten, die Angst vor extremistischen Gruppierungen, die Unkenntnis über die unvertraute Religion. So erleben gerade muslimische Studierende, dass mit der Entscheidung, die weltanschau-
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liche Neutralität – mittels Restriktionen – allen gegenüber umzusetzen, vor allem sie gemeint sind. Diese vermeintliche Gleichbehandlung blendet aus, dass auf dem Campus jederzeit unterschiedliche Lebensentwürfe und Weltanschauungen aufeinandertreffen. Denn sowohl der Glaube eines*r jeden Einzelnen als auch die individuelle Ablehnung von Religion ist jederzeit präsent. Und gerade bei existenziellen Fragen oder ethischen Entscheidungen werden Studierende und Lehrende auf ihr Wertesystem zurückgeworfen, kommt der Glaube zusammen mit den Menschen auf den Campus. Die sogenannten »Räume der Stille« sind das nach außen sichtbarste Zeichen für die Gegenwart der Religionen an einer Hochschule. Der Name ist oft unzutreffend und entspricht nicht den Bedürfnissen der Religionsgemeinschaften. Manche religiösen Gruppen wollen hier zusammen Andacht feiern, laut zusammen beten. Das widerspricht der Idee, hier Stille im Unialltag zu finden, wie es der Name des Raumes verspricht (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Die Sichtbarkeit und das Wirken der Religionen auf dem Campus gehen über den Bereich »Räume des Gebets« oder »Räume der Stille« hinaus. Die Fragen lauten: Dürfen Flyer verteilt werden? Sind die studentischen Gemeinden eine Gruppe mit Hochschulstatus? Können sie also einen Raum in der Hochschule bekommen oder wird dafür Miete verlangt? Tauscht sich die Hochschulleitung mit Repräsentant*innen der studentischen religiösen Gruppen aus? Wer wird bei Empfängen oder Veranstaltungen eingeladen? Nimmt die Hochschulleitung Einladungen zu Gesprächen an? Die Spannbreite dessen, was an Hochschulen für religiöse Gruppen möglich ist, ist sehr groß. Insgesamt sind die Möglichkeiten der religiösen studentischen Gruppen sehr von der individuellen Einstellung der Hochschulleitung oder den studentischen Organen der verfassten Studierendenschaft (Allgemeiner Studierendenausschuss [AStA] oder Studierendenrat [StuRa]) abhängig. So kann es an der einen Universität verboten sein, Flyer in der Mensa zu verteilen, während in der Nachbarstadt der Hochschulrektor selbst zum Semestereröffnungsgottesdienst einlädt oder gar darin mitwirkt. Einen öffentlich aktuellen Bezug erfuhr die Debatte, als im Frühjahr 2016 der Gebetsraum der Universität Dortmund geschlossen wurde und andere Hochschulen sich das zum Vorbild nahmen (TU Berlin) oder dies zumindest in Betracht zogen. Die Angst vor extremen Gruppierungen ist berechtigt, gleichzeitig hilft der Ausschluss aller religiösen Gruppen nicht weiter.
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2 Argumente und Standpunkte in der Debatte Durch die säkulare und gleichzeitig multireligiöse Situation an den Hochschulen und Universitäten verdichtet sich die Frage der Religionsausübung innerhalb des Hochschulbetriebs. Während es 2006 im Positionspapier des Rates der EKD noch um »Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule« ging (Kirchenamt der EKD 2006), hat sich nun die Situation dahingehend an den Hochschulen verändert, dass andere Konfessionen und Religionen mit in den Blick genommen werden. Mit dem Argument, dass Hochschulen der weltanschaulichen Neutralität verpflichtet seien, wird an einigen Standorten versucht, sich der Debatte um die Präsenz der religiösen Gruppen zu entziehen. Mit dem Verweis auf die Religionsfreiheit wird der Hochschulbereich als religionsfreier Raum definiert – Religionsfreiheit im Sinne: frei von Religion. Das im Grundgesetz zugesicherte Recht auf Religionsfreiheit besagt, dass Religion im öffentlichen Raum möglich ist – somit auch an Hochschulen und Universitäten. Bevorzugungen oder Benachteiligungen einzelner Religionen oder Weltanschauungen darf es nicht geben, ebenso müssen die berechtigten Bedürfnisse derjenigen gewahrt werden, die von Religion unberührt bleiben wollen. Die Verbannung der Religionen vom Campus lässt kein weltanschaulich neutrales Forum entstehen, sondern religiöse Positionen werden gegenüber nichtreligiösen Einstellungen diskriminiert (siehe dazu auch Artikel 1.4 in diesem Handbuch). Darüber hinaus dient Religion im öffentlichen Raum der Extremismusprophylaxe. Die Abdrängung von Religion in Nischen lässt zu, dass Gruppen dort gefährliches Potenzial entwickeln. Der Bildungsauftrag der Universitäten geht über die reine Wissensvermittlung hinaus. Die Hochschulen sind der Ausbildungsort der Verantwortungsträger*innen in der zukünftigen Gesellschaft. In diesem Horizont trägt eine weltanschauliche Pluralität zur Einübung in Toleranz und Respekt im Miteinander bei. Die auf diesem Hintergrund geführten Diskurse stärken die Demokratie und die Wertschätzung der Diversität. Die universitäre Diskussion über Fragen von Religiosität ist ein wichtiger Beitrag für eine friedfertigere Gesellschaft. Sie erweitert den Horizont von Studierenden und Mitarbeitenden. Gerade der interreligiöse Dialog spielt eine große Rolle. Durch die multireligiöse Situation vieler Universitäten und Hochschulen und die meist aufgeschlossene Haltung von Studierenden werden Verständigungsprozesse möglich, die sonst nur schwer zu erreichen sind. Ein Beispiel dafür sind interreligiöse Stammtische an den Universitäten und das Café Abraham – ein Dialogprojekt an Hochschulstandorten. Hier kommen christ-
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liche, jüdische und muslimische Vertreter*innen in entspannter Atmosphäre themenbezogen ins Gespräch.
3 Der Kongress »MissionRespekt« – eine erste Etappe zum öffentlichen Diskurs
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Eine der ersten öffentlichen Diskussionen zu Religion an der Hochschule fand in dem Workshop »Christ sein an der Hochschule« des Kongresses »MissionRespekt« in Berlin 2014 statt. Anlass für diesen Kongress war das 2011 verabschiedete Dokument »Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt (ChZ)«. Mit diesem Papier verständigten sich der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog, die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) und der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gemeinsam auf einen Verhaltenskodex zur Mission. Beim Kongress »MissionRespekt« wurden in Vorträgen und Workshops die Herausforderungen und Umsetzungen dieser Leitlinien thematisiert. Trägerinnen der Veranstaltung waren die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) und die Evangelische Allianz in Deutschland (EAD). Im Workshop »Christ sein an der Hochschule« diskutierten Vertreter*innen der ESGn, der Katholischen Hochschulgemeinden (KHGn) und des Rats muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) miteinander und verglichen ihre Situation vor Ort. Ein Impulsgeber war Rudolf Steinberg, von 2000 bis 2008 Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In dieser Funktion war er der Initiator für die Studierendenwohnheime in kirchlicher Trägerschaft auf dem Campus und das Haus der Stille, das dort dem Gebet der Gläubigen aller Religionen dient. Er ist der Ansicht, dass mit diesem Haus der Stille eine Lösung gefunden wurde, die dem grundgesetzlichen Verhältnis von Staat und Kirche Rechnung trägt. Auch das Verhältnis der religiösen Gruppen untereinander wurde thematisiert. Die gegenseitige Wahrnehmung und das gemeinsame Agieren der Gruppen sind gelegentlich auch mit Konflikten versehen. Deshalb ist im Hochschulalltag der interreligiöse Dialog von Bedeutung und hilfreich. Auch der Aspekt der Mission nimmt entsprechend in der Diskussion Raum ein: Zu groß ist offensichtlich die Angst der Hochschulleitungen vor Mission. Wenn das Dokument ChZ davon spricht, dass der Glaube und die Religion anderer zu respektieren sind, wie ist dann das Verhältnis zur Mission? Ist schon die Anwesenheit verschiedener religiöser Gruppen Mission oder erst der Versuch einer absichtlichen Überzeugung? Wie gehen Mission und Respekt gegenüber
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anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften zusammen, besonders im Kontext der Hochschule als Ort der Bildung, Lehre und Wissenschaft? Es wurde verabredet, an diesem Thema weiterzuarbeiten, da nicht zuletzt die konfessionellen und religiösen freiwilligen Angebote positive Auswirkungen auf dem Campus haben.
4 Aktionen der Bundes-ESG – Umfrage, Handreichung, Brief an Rektorate und Konsultation 2016 startete die Bundes-ESG eine Umfrage unter den ESGn zum Thema »Religion an der Hochschule«, bei der sich vier Tendenzen herausbildeten: Ȥ An großen Universitätsstandorten ist die Situation meistens schwieriger als an kleineren. Bei den Letztgenannten sind die ESGn häufig auf Augenhöhe zum Rektorat und eine gern gesehene Partnerin. Ȥ Wenn die Beziehung zum Rektorat gut ist, wird die ESG meist als angesehene Kooperationspartnerin geschätzt. Die Einstellung zur ESG seitens der Universität wird häufig von der (religiösen) Einstellung der*des Rektors*in bzw. Präsidenten*in beeinflusst. Ȥ Unabhängig von der Einstellung des Rektorats kann der AStA/StuRa innerhalb seines Kompetenzbereichs ein Veto einlegen (z. B. bei der Erlangung des Hochschulgruppenstatus). Ȥ Bei den Aussagen der Hauptamtlichen aus den ESGn gab es die Tendenz zu einem »Nicht mehr«: Wo es z. B. früher möglich war, in der Mensa Flyer verteilen zu können, geht das heute nicht mehr. Auf der Vollversammlung der ESGn 2016 wurde eine Arbeitsgruppe »Religionsfreiheit« einberufen. Sie erstellte eine Handreichung für ESGn als Argumentationshilfe der Hauptamtlichen vor Ort. Zusätzlich formulierte sie einen Brief an die Rektorate, den die ESGn nach Bedarf versenden können. Im Januar 2017 lud die Bundes-ESG zu einer Konsultation zum Thema »Religion an der Hochschule« ein. Etwa 50 Vertreter*innen aus den ESGn, der gliedkirchlichen Referent*innen für die ESG-Arbeit und geladene Gäste kamen zusammen. In Arbeitsgruppen wurden Ideen zur weiteren Entwicklung des Themas innerhalb der EKD entwickelt.
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5 Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg
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Um der Möglichkeit der Religionsausübung auf dem Campus einen Rahmen zu geben, erstellte die Universität Hamburg 2017 einen »Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg«. Dieser wurde ohne Beteiligung der lokalen religiösen studentischen Gruppen erarbeitet. Darin wird die Religionsfreiheit der Universitätsangehörigen bestätigt, gleichzeitig deutlich herausgestellt, dass diese Religionsfreiheit auch die Freiheit umfasst, keinen Glauben zu haben. Das Papier spricht sich gegen einen religiösen Druck aus, erteilt aber auch einer Diskriminierung eine Absage. Der wissenschaftliche Auftrag der Universität wird betont, der Vorrang vor einer religiösen Ausübung habe. Der religiösen Ausübung seien Grenzen gesetzt, wenn die Wissenschaftlichkeit der Lehre gefährdet sei. Das Tragen religiöser Bekleidung unterliegt den gleichen Auflagen. Auch eine Vollverschleierung soll nicht per se als Störung gewertet werden, solange die Anforderungen an die wissenschaftliche Kommunikation oder Prüfungen nicht gestört werden. Rituelle Handlungen seien auf nicht störende Handlungen zu begrenzen oder in eigens dafür gewidmete Räume zu verlagern: »So mag ein stilles Gebet auch in der Bibliothek möglich sein, nicht aber laute und demonstrative Bekenntnisse, die die primäre Widmung stören oder aber von den Nutzern als eine Form der aufgedrängten Auseinandersetzung mit der Religion Anderer empfunden werden können« (Universität Hamburg 2017). Weiter wird es für wünschenswert gehalten, dass das Studierendenwerk soweit wie möglich den Vorschriften der verschiedenen Religionen entsprechende Speisen in das Angebot aufnähme. In einer Erklärung auf der gemeinsamen Homepage zum Raum der Stille der Universität Hamburg äußerten sich die KHG, die ESG und die Islamische Hochschulgemeinde Hamburg recht kritisch zu dem vorliegenden Verhaltenskodex. Ende 2017 stellten die Gemeinden ein erhebliches Konfliktpotenzial insbesondere in den Ausführungsbestimmungen fest und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die beteiligten Akteur*innen im Gespräch bleiben.
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6 Positionspapiere zu Religion an der Hochschule Der erwähnte Workshop »Christsein an der Hochschule« (2014) hat sich zu einer bundesweiten interreligiösen Arbeitsgruppe entwickelt. Seit 2017 trifft sich die Gruppe regelmäßig: Vertreter*innen der Katholischen Hochschulpastoral, des Verbands der ESGn und des Rats muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA); seit der Gründung der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) im März 2017 ist auch die dritte abrahamitische Religion vertreten. Miteinander wurde eine Strategie entwickelt, um den individuellen Entscheidungen der Hochschulleitungen etwas entgegenhalten zu können mit der Absicht, im besten Fall mit den Leitungen ins Gespräch zu kommen. Deshalb ist das gemeinsam erstellte Positionspapier sowohl eine Selbstverpflichtung als auch eine Positionsbeschreibung. Es wurde in den mitarbeitenden Organisationen diskutiert, um die jeweiligen Vorstände und die Basis angemessen einzubeziehen. Der fehlende Bezug zu Paragrafen oder Artikeln des Grundgesetzes im Text des Papieres ist eine bewusste Entscheidung. Die beteiligten Organisationen waren sich einig, dass sie ihre Existenz nicht rechtfertigen müssen. Sie verstehen sich als gesellschaftliche Akteurinnen, die einen Beitrag zu einem menschlichen, solidarischen, friedlichen und gegenseitig bereichernden Zusammenleben an den Universitäten und Hochschulen leisten. In der Position zum Auftrag der Hochschulen wird die fachfremde Einflussnahme auf Lehre, Forschung und Wissenschaft abgelehnt und die Freiheit der Wissenschaft als selbstverständlich bejaht. Aber auch die Verpflichtung der Hochschulen zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung wird betont. Als Selbstverpflichtung wird sowohl jegliche Diskriminierung abgelehnt als auch der Respekt vor verschiedenen Lebensformen betont, in denen Menschen ihr Leben gestalten. Ebenso wird der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass religiöse Vielfalt und Begegnung im Dialog auf dem Campus präventiv gegen Extremismus wirken. Im April 2019 lud die Arbeitsgruppe zu einem Werkstatttag ein, um gemeinsam mit Fachleuten das erstellte Positionspapier zu diskutieren. Ebenfalls eingeladen wurden andere bundesweit arbeitende Studierendenverbände aus dem Spektrum der abrahamitischen Religionen. Der Einladung folgte die Studentenmission in Deutschland (SMD), die später auch das erstellte Papier mittrug und unterzeichnete. Im November 2019 wurde das Papier im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz von den beteiligten studentischen Verbänden unterzeichnet und anschließend der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit bietet es eine gemeinsame Grundlage für die nachfolgenden Gespräche mit Hochschulleitungen. Der Hochschulbeirat der EKD hat 2020 ein Positionspapier vorgelegt. Unter der Überschrift »Religion und Glauben gehören mitten auf den Campus. The-
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sen aus evangelischer Sicht« wird die Religionsfreiheit und ihre Bedeutung für das Lernen, Lehren und Forschen auf dem Campus beleuchtet. So weist die EKD darauf hin, dass die Religionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz garantiert ist, auch für Universitäten bindend ist. In sechs Thesen legt der Hochschulbeirat dar, warum seines Erachtens Religion und Glauben mitten auf den Campus gehören (Kirchenamt der EKD 2020a): 1. »Hochschulen sind öffentliche Räume. Art. 4 GG schreibt das Grundrecht auf Religionsfreiheit auch dort fest.« 2. »Als öffentlicher Raum sind Hochschulen immer auch Spiegel und Teil der Gesellschaft und ihres Wandels. Die Religions- und Weltanschauungspluralität in Deutschland ist eine Schule für Toleranz.« 3. »Das Christentum ist nicht nur eine Lehre, sondern verkörpert vor allem eine Lebensform. Als solche hat sie Relevanz für die Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens und einen öffentlichkeitsrelevanten Anspruch.« 4. »Zur Praxis des Christentums gehört die Selbstreflexion des Menschen. Das Christentum bereichert damit nicht nur die Religion selbst, sondern auch die rationalen Diskurse an den Hochschulen. Es trägt durch vertiefte Selbstverständigung zur sozialen und ethischen Orientierung des Gemeinwesens bei.« 5. »Religion an der Hochschule ist ein Angebot der Vielfalt, die der Staat ermöglichen muss. Bevorzugungen oder Benachteiligungen einzelner Religionen oder Weltanschauungen darf es nicht geben.« 6. »Die positive Religionsfreiheit ist von hoher kultureller Bedeutung – gerade auch im religiös pluralen Kontext einer Hochschule.«
7 Fazit Religiöse Hochschulgruppen stellen mit ihrer Vielfalt und ihren sinnstiftenden Angeboten keine Infragestellung von Wissenschaft und Lehre auf dem Campus dar. Vielmehr ergänzen und bereichern sie die Vielfalt der Möglichkeiten im Hochschulalltag, tragen zur Extremismusprävention bei und sind bei Krisensituationen gefragte Ansprechpartnerinnen. So lohnt es sich für alle Beteiligten, in den Dialog zu treten oder im Gespräch zu bleiben. Im Zuge der Internationalisierungsstrategien der Hochschulen kann gelebter Glaube auf dem Campus als Standortvorteil gesehen werden.
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Literatur EMW/Evangelisches Missionswerk in Deutschland e. V./Internationales Katholisches Missionswerk missio (2014): MissionRespekt. Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt. https:// missionrespekt.de/fix/files/chz-studienausgabe/pdf (abgerufen am 21.05.2021). Hirschberg, C./Klinke, A. (2020): Religion an der Hochschule. In: H. Gorski/K.-D. Kaiser/C. Lepp/ H. Oelke (Hg.): Dokumente zum kirchlichen Zeitgeschehen. KJ 2016/2017, 143/144, S. 35–52. Gütersloh. Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover. Kirchenamt der EKD (2020a): Religion und Glauben gehören mitten auf den Campus. Hannover. Universität Hamburg (2017): Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg. https://www.fid.uni-hamburg.de/verhaltenskodex-religionsausuebung-inkl-ausfuehrungs bestimmung.pdf (abgerufen am 21.05.2021).
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1.10 Räume der Stille Alexander-Kenneth Nagel
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Im Frühjahr 2016 sorgte die Schließung eines Raums der Stille an der TU Dortmund bundesweit für Aufregung und entfachte eine Debatte über interreligiöse Andachtsräume an Universitäten und Schulen. Im Kielwasser der Dortmunder Entscheidung wickelten einige Universitäten ihre Räume der Stille ab, während andere wie beispielsweise Lüneburg und Göttingen in dieser Zeit aufwendig gestaltete Räume neu eröffneten. In der medialen Berichterstattung fanden die Schließungen naturgemäß einen breiteren Widerhall als die Öffnungen. Die plakative Rhetorik changierte zwischen Überschriften wie »Kulturkampf« oder »Muslimische Übernahme« und stilisierte Räume der Stille an Hochschulen zur interreligiösen Konfliktzone. Das eigentliche Thema, nämlich die Frage nach der Rolle von Religionen und Weltanschauungen an staatlichen Hochschulen und in anderen öffentlichen Einrichtungen, trat dadurch in den Hintergrund. In diesem Beitrag kommen Räume der Stille aus religions- und organisationssoziologischer Perspektive als Antwort auf religiöse Pluralisierung in funktional differenzierten Organisationen in den Blick. Im ersten Abschnitt sichte ich knapp bestehende Debatten zu Räumen der Stille. Dabei liegt das Augenmerk auf den institutionellen Kontexten und den damit verbundenen Funktionserwartungen, der gestalterischen Umsetzung sowie auf der tatsächlichen Nutzung oder Nichtnutzung. Im zweiten Abschnitt gehe ich auf Räume der Stille an Hochschulen in Deutschland ein und greife dazu auf den (limitierten) Forschungsstand und eigene Erhebungen zurück. Im dritten Abschnitt schließlich skizziere ich einige Chancen und Herausforderungen von Räumen der Stille im Kontext der Hochschulseelsorge.
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1 Einleitung – Räume der Stille Räume der Stille begegnen uns in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Man findet sie in Krankenhäusern, an Flughäfen, in Parlamenten und teilweise auch an Schulen und Universitäten. Dabei ist der Begriff »Raum der Stille« selbst durchaus schillernd und bezeichnet keinen bestimmten Bautypus, sondern eher ein allgemeines Anliegen, nämlich Religion bzw. Spiritualität Raum zu geben und Ruhe und Einkehr zu ermöglichen (Tietz 2004). Wissenschaftliche Debatten über Räume der Stille wurden im deutschsprachigen Raum bislang vor allem aus der Praktischen Theologie heraus geführt und streckenweise durch architekturtheoretische Beiträge ergänzt. Hier lassen sich grob zwei Interessenschwerpunkte unterscheiden: Dazu gehört zum einen die begriffliche Klärung und typologische Unterscheidung von Räumen der Stille anhand unterschiedlicher Grade der Präsenz und Prägnanz religiöser Symbole (Kraft 2007; Groß 2002; Kuschel 2010). Andere Autor*innen setzen sich mit unterschiedlichen institutionellen Kontexten auseinander, begonnen beim namensgebenden »Room of Quiet« im Hauptquartier der Vereinten Nationen (Kletke 2000), über Räume der Stille in Hochschulen (Blümel/Marinkovic 2010), Flughäfen (Duscha 2010) und Justizvollzugsanstalten (von Wiese 2000), bis hin zu Andachts- und Abschiedsräumen in Hospizen und Krankenhäusern (Eppler 2005). Die genannten Beiträge spiegeln das akademische Bemühen wider, die Vielfalt an Raumarrangements, die sich selbst als »Raum der Stille« bezeichnen, einer systematischen Beschreibung zugänglich zu machen. Der kritische Übertritt des Begriffes von der Objekt- in eine Metasprache wird dabei in der Regel nicht thematisiert, auch wenn wiederholt auf die »Hilflosigkeit« der Selbstbezeichnung und der damit verbundenen theologischen und architektonischen Herausforderungen hingewiesen worden ist (Tietz 2004, S. 323; Nitschke 2010, S. 37). Hier setzt eine Reihe neuerer religionswissenschaftlich orientierter Zugänge an. Sie fragen beispielsweise nach den Trägermilieus hinter der augenfälligen Konjunktur von Räumen der Stille (Beinhauer-Köhler 2015, S. 74 f.), den hegemonialen Strukturen multireligiöser Gastfreundschaft (Beinhauer-Köhler 2015, S. 61; Nagel 2015, S. 39 ff.) sowie den politischen Opportunitäten und Konflikten, die hinter der Einrichtung solcher Räumlichkeiten stehen (Nagel 2015, S. 52; Beinhauer-Köhler 2015, S. 57 ff.). Zugleich machen religionsgeschichtliche Untersuchungen deutlich, dass die multikonfessionelle oder multireligiöse Nutzung religiöser Räume historisch durchaus ihre Vorläufer hat (Verstegen 2015). Ein wesentlicher Unterschied scheint derweil darin zu bestehen, dass frühere plurale Raumarrangements wie etwa Simultankirchen in erster Linie als »Not-
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lösungen« in »Umbruchssituationen« gelten können (Verstegen 2015, S. 97 f.), während zeitgenössische Räume der Stille in der Regel als dauerhaftes spirituelles Habitat gedacht sind. Für diesen Beitrag möchte ich eine religions- und organisationssoziologische Sicht auf Räume der Stille stark machen. Räume der Stille kommen hier als Antwort komplexer Organisationen auf religiöse Pluralisierung sowie als materieller Ausdruck religiöser Kommunikation in den Blick. Das Augenmerk liegt also weniger auf dem gestalterischen Istzustand als auf den Aushandlungsund Verständigungsprozessen, in denen sich die Träger*innen der Räume als pluralistische Organisation neu erfinden. Im Anschluss daran ist für diesen Beitrag die Unterscheidung zwischen der institutionell zugedachten Funktion und der tatsächlichen individuellen oder kollektiven Nutzung multireligiöser Räume zentral. Idealtypisch lassen sich drei Varianten institutioneller Funktionserwartungen unterscheiden: 1. Die erste (synergetische) Variante geht davon aus, dass die Hauptfunktion der umgebenden Organisation besser erreicht wird, wenn sie mit religiösen bzw. spirituellen Praktiken kombiniert wird: Im Krankenhaus können spirituelle Angebote die Gesundung oder das Wohlbefinden verbessern. An Schulen und Universitäten verspricht Einkehr Stärkung und macht im besten Falle aufnahmefähig für Neues. 2. Die zweite (protektive) Variante gründet in dem Bestreben, religiöse und spirituelle Praktiken aus den »regulären« Vollzügen der Organisation herauszuhalten. So richten manche Krankenhäuser Räume der Stille ein, damit muslimische Patient*innen nicht auf ihren Zimmern beten und dadurch Anstoß erregen. 3. Eine dritte (symbolische) Variante beruht auf der Signalfunktion, die sich aus dem bloßen Vorhandensein von Räumen der Stille ergibt: Ein evangelisches Krankenhaus markiert sich durch einen Raum der Stille als religionssensibel und kann so z. B. sein diakonisches Profil zeigen. Eine Universität mag einen Raum der Stille als Ausweis ihrer Internationalität und Weltoffenheit nutzen. Kurzum: Räume der Stille sagen etwas über die Organisation aus, die sie geschaffen hat. Demgegenüber variiert die Nutzung stark je nach institutionellem und räumlichem Kontext und ist darüber hinaus nur schwer zu erheben (Nagel 2016). Im folgenden Abschnitt trage ich einige Erkenntnisse aus dem bestehenden Forschungsstand und eigenen Erhebungen zur Funktion und Nutzung von Räumen der Stille an Hochschulen in Deutschland zusammen.
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2 Räume der Stille an Hochschulen Der Forschungsstand zu Räumen der Stille in Bildungseinrichtungen wie Universitäten und Schulen im deutschsprachigen Raum ist bislang recht übersichtlich. Ein Sonderheft der Zeitschrift »Kunst und Kirche« aus dem Jahr 2010 zu multireligiösen Gebetsräumen versammelte eine Reihe von Beiträgen, die sich mit Räumen der Stille an deutschen Hochschulen beschäftigen. Dabei steht v. a. die Frage im Vordergrund, »ob und in welcher Form religiös geprägte Räume […] notwendig und sinnvoll sind bzw. ob derartige Räume nicht einfach zum Standard einer international ausgerichteten Universität gehören« (Blümel/ Marinkovic 2010, S. 44). Die Antworten sind vorsichtig affirmativ und fordern eine prinzipielle Religionssensibilität der Hochschulen ein. Die Einrichtung multireligiöser Räume könne Hochschulen helfen, sich selbst zu relativieren und Bildung in einen ganzheitlicheren Kontext zu stellen (Bucher 2010, S. 51). Darüber hinaus liegen Dokumentationen zu einzelnen Räumen vor. So berichtet Rudolf Steinberg (2015) ausführlich über das Haus der Stille an der Universität Frankfurt am Main. Dabei handelt es sich um ein freistehendes Gebäude, das im Rahmen einer Standortneuordnung eigens errichtet wurde, um den interreligiösen Dialog an der Universität zu fördern (Steinberg 2015, S. 150). Steinberg, der das Vorhaben maßgeblich mit betrieben hat, verweist auf die großzügige Finanzierung durch das Land Hessen in Höhe von mehr als 800.000 Euro und den religionsneutralen Gestaltungsansatz, der auf eine sakrale Anmutung ohne konkrete konfessionelle Bezüge gerichtet ist (Steinberg 2015, S. 153 ff.). Im Hinblick auf die Nutzung wird angemerkt, dass der Raum überwiegend von muslimischen Studierenden genutzt wird, wobei es vereinzelt zu Konflikten unter den Nutzer*innen kommt, etwa mit Blick auf eine geschlechtergetrennte islamische Gebetspraxis (Steinberg 2015, S. 157). Ein weiterer Beitrag dokumentiert den 2015 eingerichteten Raum der Stille an der Universität Göttingen (Galle 2016). Im Zentrum stehen dabei vor allem die Entstehung und Gestaltung des Raumes. Anders als in Frankfurt am Main waren es nicht muslimische Universitätsangehörige, sondern die ESG, welche den Wunsch nach einem »zentralen geistlichen Ort auf dem Campus« artikulierte (Galle 2016, S. 164). Dabei stellte sich insbesondere die Frage, inwiefern ein Raum der Stille zusätzlich zur Universitätskirche überhaupt nötig sei. Ein wichtiges Argument war in diesem Zusammenhang offenbar das Fehlen eines islamischen oder jüdischen Gebetsraums auf dem Campus (Galle 2016, S. 165). Ähnlich wie in Frankfurt am Main sollte die Raumgestaltung die »Erfahrung einer Daseinserweiterung in einem religiös-unspezifischen Sinn« ermöglichen
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und dadurch »Freiräume« innerhalb des Universitätsalltags eröffnen (Galle, S. 166 f.). Im Unterschied zu Frankfurt am Main liegt die Verwaltung des Raums nicht bei einem externen Verein, sondern bei einem multireligiös besetzten Beirat im Arbeitsbereich der Vizepräsidentin für Internationales (Galle 2016, S. 170). Eine vergleichende Analyse von religiös-pluralen Raumarrangements an verschiedenen Universitäten (Frankfurt a. M., Hannover, Paderborn, Oldenburg) wurde im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt (Matthias 2015). Die Autorin arbeitet zunächst die große Varianz zwischen den verschiedenen Modellen mit Blick auf ihre Gestaltung und administrative Aufhängung heraus und konstatiert eine zunehmende »Religionisierung« im Zuge der Nutzung, vor allem für das islamische Ritualgebet (Matthias 2015, S. 144). An mehreren Standorten stieß das Vorhaben zur Einrichtung eines Raums der Stille zunächst auf Kritik. Neben prinzipiellen Bedenken zur Unvereinbarkeit von Religion und Wissenschaft (Matthias 2015, S. 133) wurden im Einzelfall Sorgen um den Wegfall studentischer Arbeitsplätze artikuliert (Matthias 2015, S. 138). Im Zusammenhang mit der muslimischen Nutzung spielten fehlende Waschgelegenheiten und geschlechtergetrennte Gebete an verschiedenen Standorten eine Rolle (Matthias 2015, S. 142). Die verschiedenen Beiträge machen deutlich, dass eine systematische Bestandsaufnahme und Charakterisierung von Räumen der Stille an deutschen Hochschulen derzeit nicht vorliegt und dass sich die vorhandenen Räume stark unterscheiden. Diese Unterschiede betreffen: – die Größe, Lage und Ausgestaltung des Raumes – die Verbindung zu Leitthemen innerhalb der Universität (z. B. Internationalisierung, Gesundheit, Diversität) und, damit verbunden, die administrative Anbindung – die Ausgestaltung von Nutzungsordnungen (von juristisch knapp bis zu emphatischen Bekenntnissen zum Pluralismus) – die Nutzung der Räume und damit verbundene Konfliktlinien In einer ersten Überblicksrecherche, die sich überwiegend auf Universitäten im nord- und mitteldeutschen Raum bezog, konnten wir elf Räume der Stille identifizieren (Bremen, Erfurt, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Hildesheim, Kassel, Lüneburg, Oldenburg, Paderborn, Siegen). Für weitere Standorte wie Mainz und Marburg gab es Hinweise auf (meist muslimische) Initiativen zur Einrichtung eines solchen Raumes. Wie in der Einleitung angesprochen, bringen Räume der Stille die Frage nach der Rolle von Religionen und Weltanschauungen an staatlichen Hochschulen auf
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den Punkt. Daher verwundert es nicht, dass nach der öffentlichkeitswirksamen Schließung einiger Räume der Wunsch nach einer Regulierung (und Restriktion) des religiösen Lebens an Universitäten laut wurde. So veröffentlichten die Landeshochschulkonferenz Niedersachsen und das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur im Jahr 2017 eine gemeinsame Empfehlung zu »Räumen der Stille«. Ausgehend von einem wohlwollenden Verständnis religiöser Neutralität werden Räume der Stille dort als »Entspannungsorte« beschrieben, die auch eine religiöse Nutzung zulassen. Darüber hinaus werden die »Weltoffenheit« und »die Anerkennung von Vielfalt und Inklusion« an niedersächsischen Hochschulen hervorgehoben und dadurch als legitime Ziele für die Einrichtung von Räumen der Stille festgesetzt. Diese hätten »grundsätzlich eine andere Funktion als ein ›Gebetsraum‹«. Eine »vorrangige, insbesondere regelmäßige Nutzung zu bestimmten Zeiten durch bestimmte […] Nutzergruppen« sei zu vermeiden und die »Gleichberechtigung der Geschlechter« zu wahren (Landeshochschulkonferenz Niedersachsen 2017). Die Vermutung liegt nahe, dass die zuletzt genannten Regularien eine direkte Reaktion auf die Berichterstattung über die Schließung von Räumen der Stille darstellen, in der die »Übernahme« eines Raums der Stille durch Muslim*innen und Ausgrenzungspraktiken gegenüber Frauen im Vordergrund standen. Auch der 2017 veröffentlichte »Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg« hebt hervor: »Im Raum der Stille wird keine Form der Diskriminierung geduldet. Dazu gehört unter anderem auch die Diskriminierung des weiblichen oder männlichen Geschlechts durch eine geschlechtsspezifische Teilung des Raumes«. Direkt im Anschluss heißt es: »Religiöse Feste finden nicht auf dem Gelände der Universität statt. Sie sind auf den ›Raum der Stille‹ zu beschränken. Der ›Raum der Stille‹ ist der angemessene Raum für die Gestaltung religiöser Ausdrucksformen« (Universität Hamburg 2017). Hier überwiegt erkennbar die oben angesprochene protektive Funktionsbestimmung, die Räume der Stille als Instrument zur Einhegung des religiösen Lebens vorsieht. Bei allen Unterschieden scheint die geschlechtsspezifische Teilung des Raumes eine verbreitete Sorge zu sein. Matthias deutet unterschiedliche Varianten und Umgangsweisen dazu an. Diese reichen von der Akzeptanz des geschlechtergetrennten Gebets über seine anhaltende Problematisierung bis hin zu gestalterischen Eingriffen, die den Eindruck der Separierung abmildern (z. B. ein nicht blickdichter Vorhang, vgl. Matthias 2015, S. 142). Auch Steinberg berichtet von Diskussionen innerhalb des Kuratoriums in Frankfurt am Main, »ob es intervenieren solle, wenn bei einem muslimischen Gebet die Frauen auf die Empore verbannt wurden« (Steinberg 2015, S. 157).
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Daran anschließend möchte ich im Folgenden knapp einige Ergebnisse einer Fallstudie zu Praktiken der Separierung im Raum der Stille an der Universität Göttingen vorstellen. Der Raum der Stille in Göttingen verfügt über einen halb transparenten weißen Vorhang, der den Raum in zwei ungleich große Areale teilt. Eine Aufschrift weist darauf hin, dass der Vorhang beim Verlassen des Raums geöffnet sein muss. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich zwischen dem 05.11.2019 und dem 10.02.2020 eine teilnehmende Beobachtung in dem Raum durchgeführt.1 Ein zentraler Fokus lag dabei auf dem Umgang mit dem Vorhang. Insgesamt wurde der Raum in dieser Zeit von 150 Besucher*innen genutzt, wobei sich Männer und Frauen die Waage hielten. Der weitaus überwiegende Teil der Besucher*innen (81 %) nutzte den Raum zum islamischen Gebet. Dabei bestand eine gewohnheitsmäßige Aufteilung dergestalt, dass muslimische Frauen ausschließlich das kleinere Areal nutzten, während Männer ihr Gebet in dem größeren Areal verrichteten. In der alltäglichen Praxis war der Vorhang standardmäßig geschlossen, sodass der Raum beim Betreten bereits entsprechend vorstrukturiert war. Über die passive Beobachtung hinaus bestand unsere einzige Intervention darin, den Vorhang zu öffnen, wenn sich kein*e Nutzer*in im Raum befand. Dabei waren es in der Folge in allen Fällen Frauen, die – nach höflicher Rückversicherung – den Vorhang wieder zuzogen. Dies deutet daraufhin, dass die geschlechtsspezifische Teilung des Raumes keine (unmittelbare) Exklusionsgeste durch männliche Nutzer darstellt, sondern einen geschützten Raum für weibliche Nutzerinnen schafft. Dafür spricht auch, dass meine Kollegin sich zu einigen Beobachtungszeitpunkten gezielt im »Männerbereich« aufgehalten hat, ohne besondere Aufmerksamkeit oder Ansprache zu erfahren. In einer studentischen Befragung von zehn Nutzer*innen brachte eine Interviewpartnerin zum Ausdruck, dass sie sich durch die asymmetrische Raumaufteilung diskriminiert fühle. Allerdings wird auch hier nicht die Separierung an sich problematisiert, sondern nur die ungleich großen Areale. Andere Nutzerinnen wünschten sich, der Vorhang möge blickdichter sein, während wieder andere feststellten, die Transparenz gebe ihnen ein Gefühl von Kontrolle. Anders als in der Berichterstattung suggeriert und anders als im Frankfurter Fall handelt es sich hier also nicht um eine aktive »Verbannung« von Frauen durch Männer, sondern um eine beidseitig weitgehend akzeptierte Separierung, die auf der geteilten Norm eines geschlechtergetrennten Gebets beruht. Natür1 Ich danke Frederike Dirks für ihre Unterstützung während der Feldforschung. Insgesamt haben wir an 27 Tagen 33 Stunden in dem Raum verbracht und die Wochentage und Tageszeiten variiert, um unterschiedliche Nutzungsprofile erfassen zu können.
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lich kann man die fraglose Akzeptanz dieser Separierung und insbesondere der räumlichen Schlechterstellung der Frauen problematisieren, zumal der Raum (anders als etwa Moscheen beim Freitagsgebet) zu gleichen Teilen von Frauen und Männern genutzt wird. Im folgenden Abschnitt fasse ich die wesentlichen Ergebnisse kurz zusammen und schließe daran einige Erörterungen zu Räumen der Stille als Handlungsfeld der Hochschulseelsorge an.
3 Fazit – Räume der Stille als Handlungsfeld der Hochschulseelsorge Die zentralen Ergebnisse des Beitrags lassen sich wie folgt zusammenfassen: Obwohl zahlreiche Hochschulen in Deutschland Räume der Stille unterhalten und obgleich Räume der Stille an Universitäten im Jahr 2016 im Rampenlicht der Aufmerksamkeit standen, steht eine systematische Erfassung und vergleichende Analyse noch aus. Die wenigen bestehenden Beiträge und erste Recherchen verweisen auf eine enorme Heterogenität dieser Räume mit Blick auf a) ihre Größe, Lage und Ausgestaltung, b) ihre Anbindung an größere Themen der Hochschul-Governance (z. B. Internationalisierung, Gesundheit, Diversität) und die administrative Aufhängung, c) die Ausgestaltung von Nutzungsordnungen sowie d) die Nutzung der Räume und damit verbundene Konfliktlinien. Zugleich zeigen sich einige Übereinstimmungen, etwa die Spannung zwischen dem säkularen Funktionszweck »Entspannung« und einer überwiegend religiösen Nutzung, die Herausforderung, spirituelle Erfahrungen ohne tradierte religiöse Symbole zu evozieren sowie Auseinandersetzungen über eine Geschlechterseparierung für das islamische Gebet. Dabei scheint der Betrieb trotz dieser Spannungsfelder alles in allem konfliktarm zu verlaufen. Wo Konflikte auftauchen, ist das Bemühen erkennbar, diese ganz im Sinne des universitären Rahmens intellektuell zu bearbeiten. Welche Rolle können Räume der Stille für die Hochschulseelsorge spielen? Eine berufene Antwort auf diese Frage kann nur aus der seelsorgerlichen Praxis heraus erfolgen. Ich möchte an dieser Stelle lediglich einige kursorische Denkanstöße geben: 1. Die christlichen Hochschulgemeinden (ESG und KHG) sind in aller Regel zentrale Akteurinnen für die Konzeption sowie den Betrieb von Räumen der Stille. Insofern bieten Räume der Stille der Hochschulseelsorge eine gute Gelegenheit, ihren Gestaltungsanspruch und ihre spezifische Religionskompetenz innerhalb der Hochschule unter Beweis zu stellen. Zugleich
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resultiert daraus eine Verantwortung gegenüber anderen religiösen Hochschulgruppen, allen voran den Muslim*innen, ihre Anliegen in die entsprechenden Entscheidungsprozesse einzubringen und sich für ihre Mitwirkung als relevante Stakeholder einzusetzen. 2. Räume der Stille können ein Gewinn für die Hochschulseelsorge sein. Zum einen sind sie zentrale, campusnahe Orte für Zusammenkünfte und Aktionen und ermöglichen auf diese Weise Seelsorge am Puls des universitären Lebens (Synergiefunktion). Zum anderen fungieren sie als Symbol für die anhaltende Bedeutung von Spiritualität und Religion und unterstreichen dadurch nach außen die Präsenz von Hochschulgemeinden und Hochschulseelsorge im öffentlichen Raum der Universität (Symbolfunktion). 3. Umgekehrt kann die Hochschulseelsorge einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Erfolg von Räumen der Stille leisten. Als religiöse Akteurinnen können sie die Leerstelle füllen, die universitären Gremien beim Betrieb der Räume auferlegt ist, indem sie interreligiöse Begegnungen initiieren. Dabei bieten sich niedrigschwellige Formate an, die z. B. an studentischen Lebenswelten ansetzen. Neben übergreifenden Themen wie Heimweh, Prüfungsangst und Zukunftsperspektiven können Räume der Stille auch stärker liturgisch (Friedensgebete) oder biografisch orientierte Veranstaltungen beherbergen. Dazu ist es erforderlich, dass die strukturierte Nutzung nicht zu stark beschränkt wird. Derzeit legen einige Nutzungsordnungen der kollektiven Nutzung der Räume enge zeitliche und praktische Grenzen auf.
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Räume der Stille
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Teil 2 Arbeitsfelder
2.1 Gottesdienst feiern Harald Schroeter-Wittke
»Die Kunst, Gott zu feiern« – unter diese Überschrift stellte Rainer Volp (1992/1994) seine große zweibändige Liturgik und verdeutlichte damit ein Doppeltes: In allem Gottesdienst geht es in erster Linie darum, Gott zu feiern, nicht sich selbst oder die eigenen Umstände, wie gut oder schlecht diese auch immer sein mögen, sondern Gott, den wir nicht auf den Begriff bringen, nicht in den Griff kriegen können, der auf uns zukommt und uns mit seiner Gnade und seinen Gnadengaben beschenkt. Als solche unverdientermaßen Beschenkte dürfen wir feiern, was das Zeug hält, und kommen genauso ins Spiel mit allem, was wir sind, was uns ausmacht, was wir darstellen und mit allen, die mitspielen. Martin Luther hat dies in seiner berühmten Einweihungspredigt des ersten reformatorischen Kirchenbaus, der Schlosskirche zu Torgau, in einer »liturgischen Moderation« (Schroeter- Wittke 2010) so benannt, »das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit im reden durch Gebet und Lobgesang« (WA 49, S. 588, 12–22). Zudem ist diese menschliche Tätigkeit, Gott zu feiern, nur als Kunst, lateinisch als ars, griechisch als technē, angemessen beschrieben, die eine gewisse Kunstfertigkeit verlangt und eine umfassende Wahrnehmungsaufgabe darstellt, welche alle Sinne, aber auch alle sozialen Bezüge der beteiligten Menschen umfasst (vgl. Luther 1987). Als solche Kunst hat Gottesdienst auch Effekte, die beschrieben werden können, pädagogisch, psychologisch, politisch etc. Daher wird Gott durch Gottesdienst auch kennengelernt. So eignet dem Gottesdienst immer auch ein missionarisches und ein pädagogisches Moment, wenn auch allermeist informell (vgl. Harring u. a. 2017 sowie Kühn 2020). Wenn in der und als ESG Gottesdienst gefeiert wird, dann geht es auch hier in erster Linie um das Zum-Zuge-Kommen Gottes angesichts einer Situation voller Diversität und Flüchtigkeit und in, mit und unter diesem Geschehen um das Ins-Spiel-Kommen von Studierenden und Hochschulangehörigen, deren Situation vor Gott und untereinander dargestellt und wahrgenommen wird und so eine bestimmte Wendung zum Leben hin erfährt. So wird Gott gefeiert und
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als Gefeierter so kennengelernt, dass auch wir uns kennenlernen. Unter den verschiedenen Handlungsfeldern der ESG, die sich als vorübergehende »Herberge« (Horstmann 2012, S. 87) für Studierende und Hochschulangehörige versteht, ist der Gottesdienst derjenige Ort, an dem Gott in seinem Uns-Entgegen- und Zuvorkommen explizit am einfachsten öffentlich zur Sprache kommen kann. Damit stellen sich folgende Fragen: Wo, mit wem, wann, wie und wofür wird Gott gefeiert und kennengelernt?
1 Wo wird Gott in der ESG gefeiert und kennengelernt? Die ESG und ihre Gottesdienstorte
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Für die Studierenden, aber auch für viele Hochschulangehörige ist die ESG eine Form von »Gemeinde auf Zeit« (Bubmann u. a. 2019). Das Vorbeigehende als wesentliches Kennzeichen missionarischer Existenz – »Vorübergehend lehret alle Völker […]« (Mt 28,19) (vgl. Reinbold 2006 sowie Schroeter-Wittke 2006) – gehört zu den prägendsten Signaturen jeglicher ESG-Arbeit. So nimmt es nicht wunder, dass die ESGn an den unterschiedlichen Hochschulorten über kein festgelegtes Ensemble an Räumen verfügen. Die wenigsten ESGn nennen eine Kirche ihr Eigen. An einigen Universitäten existieren Universitätskirchen mit einer jeweils eigenen Organisationsstruktur und -geschichte, mit denen es intensive Kooperationen gibt (vgl. Martin 2019, S. 238–319). Die ESGn sind eine der wenigen Gemeindeformen in Deutschland, die beständig auf der Suche nach geeigneten Gottesdienstorten sind (vgl. Fermor u. a. 2007). Dies bringt die ESGn in eine ähnliche Gottesdienstortsituation wie Migrationsgemeinden oder den Kirchentag und stellt eine ihrer großen ekklesiologischen Chancen dar. Denn Gottesdienste brauchen nach evangelischem Verständnis keine festgelegten Orte, sondern heiligen die jeweiligen Orte, an denen sie gefeiert werden. Die Gottesdienste der ESG bespielen so einen »Dritten Raum« (Bhabha 2000, S. 55), »DazwischenRäume« (Seitz 1996, S. 11). Die ESG versteht sich dabei als »eine Kultur der Gastfreundschaft Gottes im Unterschied zu einer Willkommenskultur von Kirche« (Burkhardt 2016, S. 110), der immer noch ein Gefälle von »wir« und »die anderen« innewohnt. Das prägt auch ihre Gottesdienstkultur. So lässt die Gottesdienstortsuche der ESGn Gott als jemanden kennenlernen, der überall gefeiert werden kann und dem kein Ort des Feierns fremd ist. Kirchengebäude machen uns das Gottesdienstfeiern auf den ersten Blick einfacher, weil deren räumliche Konstellationen Strukturen und Atmosphären vorgeben. Wenn die ESGn wechselnde Gottesdienstorte zumeist ohne große finanzielle Ressourcen als Feierorte gestalten und inszenieren (müssen), brin-
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gen sie demgegenüber den Unterwegs-Charakter kirchlicher Strukturen sowie das Vorüber- und Vorbeigehende als Signatur des Zur-Welt-Kommens Gottes stellvertretend für andere, gefestigtere Kirchenstrukturen zur Geltung. Das macht einerseits viel Arbeit und erfordert ein hohes Maß an ästhetischem, sozialem und öffentlichem Bewusstsein und Gestaltungswillen, bringt aber auch neue Formen von Gottesdienst und Gottesdienstöffentlichkeiten in die Gesamtkirche ein, sofern die Gottesdiensterfahrungen der ESG im liturgischen Netzwerk der Kirche auch wahrgenommen werden. Zu den Gottesdienstorten der ESG zählen natürlich Kirchenräume, in denen die ESG zu Gast ist. Dabei sollte ihr daran gelegen sein, nicht nur einen Kirchenraum, sondern die Vielfalt von Kirchenräumen an einem Hochschulstandort zu nutzen. Auch Räume der Stille, die es mittlerweile an vielen Hochschulstandorten in unterschiedlichen Qualitäten gibt, können von der ESG als Gottesdienstorte bespielt werden (vgl. Kunst und Kirche 2010, S. 44–58, sowie Deeg/Lehnert 2020; siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Dabei begibt sie sich hier auf das spannende Feld interreligiösen Lernens, welches auch die Nichtreligiösen mit im Blick hat und haben muss. Daneben sollte die ESG nach öffentlichen Räumen für ihre Gottesdienste Ausschau halten, sei dies innerhalb der Universität oder auch im öffentlichen Raum Open Air, insbesondere »Nicht-Orte« (Augé 2010) oder Heterotope. Schließlich bieten aber auch Wohnzimmergottesdienste in den eigenen Räumlichkeiten der ESGn eine neue Form von Erfahrungen mit Hausgemeinden (vgl. Mutschler 2013). Einerseits verlangen diese unterschiedlichen Orte unterschiedliche Gottesdienstinszenierungen. Andererseits könnten die ESGn vor Ort aber auch an einer sich selbst tragenden kleinen und elementaren Gottesdienstform arbeiten, die an allen unterschiedlichen Orten gefeiert werden, dabei aber durch die verschiedenen Gottesdienstorte zugleich sehr unterschiedlich erlebt werden kann.
2 Mit wem wird Gott in der ESG gefeiert und kennengelernt? Beteiligte und Mitwirkende an ESG-Gottesdiensten Die Studierenden sind die wichtigste Zielgruppe der ESG, auch wenn sie sich als Ansprechpartnerin für alle Hochschulangehörigen versteht. Die Hochschule stellt biografisch eine wichtige Übergangsphase im Leben der Studierenden dar (vgl. Kling 2018; siehe dazu Artikel 1.7 in diesem Handbuch). Die Bindung der Studierenden an ihren Hochschulstandort ist sehr differenziert wahrzunehmen. Immer mehr Studierende pendeln zwischen Wohnsitz und Hochschule, sodass die ESG vor allem für diejenigen Studierenden interessant ist, die am Hochschul-
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ort wohnen. Das betrifft insbesondere Studierende, die nicht jedes Wochenende an ihren Herkunftsort fahren oder gar für lange Zeiten am Hochschulort leben, wie etwa internationale Studierende, die deshalb zu einer der wichtigsten ESGZielgruppe geworden sind. Die Studierenden an einem Hochschulstandort sind alles andere als eine homogene Gruppe. Sie bringen unterschiedlichste Lebens-, Sozialisations- und Gottesdiensterfahrungen mit. Sie wollen mit ihren jeweiligen Gottesdiensterfahrungen eine Herberge, ein zeitweiliges Zuhause in der ESG finden. Diese Gottesdiensterfahrungen wollen, sollen und müssen in ESGGottesdiensten wertgeschätzt und dargestellt werden. Gleichzeitig begegnen die Studierenden in der ESG ihnen zum Teil sehr fremden Gottesdiensterfahrungen. Das gilt schon lange auch innerhalb Deutschlands. Schon vor 30 Jahren erzählte mir eine reformiert geprägte Studentin vom Niederrhein, dass sie sich in ihrem ersten Göttinger ESG-Gottesdienst völlig fehl am Platz gefühlt habe, weil sie dachte, sie sei bei den Katholiken gelandet. Die Pluralisierung der Gottesdienstkulturen durch ökumenische, freikirchliche und/oder charismatische Gottesdienste und deren Musikkultur hat die ESG-Gottesdienste kulturell in einem hohen Maße verändert. Dazu kommen die Gottesdiensterfahrungen und -traditionen ausländischer Studierender, die sich allerdings zumeist stärker als Gäste verstehen und nicht unreflektiert einfach davon ausgehen, dass sie ihre Gottesdienstkultur in der ESG wiederfinden. Alle diese Gottesdienstkulturen und -erfahrungen benötigen in der ESG ihren Raum und müssen gegenseitig austariert werden. Gregor Etzelmüller (2010) hat fünf jeweils biblisch fundierte Grundmodelle des christlichen Gottesdienstes beschrieben: die Göttliche Liturgie der Orthodoxen Kirchen, die römisch-katholische Messe, den lutherischen Gottesdienst, die reformierte Gottesdienstpraxis sowie den missionarischen Gottesdienst der amerikanischen »revival tradition«. Dieses Ensemble biblisch fundierter Grundausrichtungen von Gottesdienst betrifft auch die ESG, sei es durch Aussiedler*innen oder durch Kooperationen mit KHG und SMD oder anderen christlichen Studierendenorganisationen. Viel hängt hier an der liturgischen Diversitätskompetenz der ESG-Pfarrer*innen. Sie prägen den Gottesdienststil ihrer ESG und sollten dies so tun, dass sie mit ihren Studierenden eine elementare und kurze liturgische Form für ihre ESG entwickeln und pflegen, die sich möglichst selbst zu tragen vermag, also nicht von den Hauptamtlichen abhängig ist, vielleicht vergleichbar mit den Tagzeitengebeten auf Kirchentagen. Daneben aber müssen liturgische Gastfreundschaften entstehen und gepflegt werden, die die unterschiedlichen Gottesdiensttraditionen und -erfahrungen auch einmal exzessiv mit aufgreifen, sodass Studierende liturgische Pluralität kennen- und schätzen lernen. Gott kommt nicht nur zu »uns«, sondern auch zu »anderen«. Daher wird Gott nicht
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nur von »uns«, sondern auch von »anderen« gefeiert. Das große Kommen und Gehen, das die ESG stärker prägt als andere Gemeindeformen und zu einer hohen Fluidität und Flexibilität in den Arbeitsformen nötigt, ist als Netzwerk positiv wahrzunehmen und in der ESG als einer gastfreundlichen Herberge zur Darstellung zu bringen (vgl. Roleder 2020). Neben den Studierenden sind beim Gottesdienstfeiern in der ESG auch andere in den Blick zu nehmen, insbesondere die Hochschulangehörigen. Für Studierende ist es immer von besonderem Interesse, wenn Professor*innen als Konfessor*innen agieren (vgl. Schroeter-Wittke 2005) und über die Objektivität von Wissenschaft hinaus davon Zeugnis ablegen, was ihre Wissenschaft mit ihrem und unserem Leben, Glauben, Zweifeln, Scheitern, ZuversichtlichSein, Hoffen und Bangen zu tun hat (vgl. Kuhlmann 2008). Für dieses Zeugnis können auch Gottesdienste Forum und Form bieten (vgl. Surall 2008, S. 101 f.). Aber auch auf der institutionellen Ebene macht es für die ESG Sinn, nach gottesdienstlichen Kooperationspartner*innen Ausschau zu halten und Netzwerke zu knüpfen. Da ist zum einen die Ebene der Universität, von der Universitätskirche mit Universitätsprediger*in bis zum akademischen Auslandsamt. Da sind zum anderen die Ebene und die Angebote des kirchlichen Umfelds, angefangen bei der Landeskirche, die die ESG-Pfarrer*innen finanziert, über den Kirchenkreis, in dem sich die ESG befindet, mit den entsprechenden Funktionspfarrstellen in Schule, Seelsorge und Diakonie bis hin zur Parochie am Hochschulstandort. Auch diakonische Einrichtungen, Missionswerke, Migrationsgemeinden oder Anstaltsgemeinden wie Gefängnis oder Krankenhaus können mit Gewinn zu gottesdienstlichen Kooperationspartner*innen der ESG werden. Mit anderen Studierendengemeinden vor Ort legt sich immer auch eine gute gottesdienstliche Kooperation nahe. Schließlich können auch Kooperationen mit der Kirchenmusik und geistlichen Musikszene am Hochschulstandort, aber auch mit Museen, Vereinen und anderen Kultureinrichtungen vor Ort gottesdienstlich fruchtbar sein.
3 Wann wird Gott in der ESG gefeiert und kennengelernt? Die ESG und ihre Gottesdienstzeiten Gottesdienst wird zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert (vgl. Schroeter-Wittke 2003). Ebenso wenig wie angestammte Räume haben ESG-Gottesdienste auch keine angestammten Zeiten. Sie müssen sich ihre Zeiten jeweils neu suchen. Das betrifft alle liturgischen Zeiteinheiten, den Tag, die Woche, den Monat, das Jahr, das Kirchenjahr und den Semesterrhythmus, der auf den ersten Blick prägend
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ist. Wo sind passende Gelegenheiten, Lücken, bei denen ESG-Gottesdienste g(e)lücken können? Aber wo sind auch die Feste, die gefeiert werden müssen? Semestereröffnung, -höhepunkt und -abschluss, Adventsfeier, Neujahrsempfang, Ostern, Pfingstwoche, Grillen, 9. November. Wie kann es gelingen, dass die Gottesdienste zu diesen Festen Lust und nicht Last, Freiräume also werden, sodass jede*r ruhigen Gewissens am Fest teilnehmen darf, auch ohne den Gottesdienst besucht haben zu müssen? Das ist eine schwierige atmosphärische Gratwanderung; aber alles, was in der ESG nicht auf fröhlicher Freiwilligkeit basiert, führt zu nachhaltig abschreckenden Erfahrungen.
4 Wie wird Gott in der ESG gefeiert und kennengelernt? Die ESG und ihre Gottesdienstformen
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Die ESG hat das Privileg, Gottesdienste vorwiegend am Abend feiern zu können – einer Zeit, die liturgisch keine so große Tradition hat wie der Morgen, aber immer stärker im Kommen ist, weil der Abend, seit es elektrisches Licht gibt, dem modernen Lebensstil seinen Stempel aufdrückt. Die sogenannten Andachten sollten in dem Bewusstsein gefeiert werden, dass sie Ultrakurz-Gottesdienste sind. Sie sollten angedacht werden als Raumeröffnungen für die Begegnung mit Gottes Welt von woanders her, weniger als lehrende Wortverkündigung. Die Studierenden werden schon den ganzen Tag über mit Reden und Texten versorgt, sodass das nicht liturgisch gedoppelt oder getoppt werden darf. Im Semesterstress geht es unter der Woche um (kurze) Auszeiten. Schließlich sind die Mahlzeiten in der ESG eine wichtige Einrichtung. Wie kann hier der gottesdienstliche Horizont einer Mahlzeit, die ans Abendmahl, an Emmaus (Lk 24,13 ff.) erinnert, aufscheinen, ohne aufdringlich zu werden (vgl. Begerau u. a. 2000 sowie Bieler/ Schottroff 2007)? Lassen sich hier kurze Formen des Feierabendmahls entwickeln, die unaufdringlich, einladend und dankbar über das Tischgebet hinausgehen? Könnten solche liturgisch gerahmten Speisungen nicht ein Beitrag sein für eine ESG als Herberge, der auch eine klösterliche Dimension innewohnt? Neben dem Abendmahl kommen als gottesdienstliche Anlässe zunehmend Taufen, Konversionen, aber auch Hochzeiten und Trauerfeiern auf die ESG zu. Hier ist es wichtig, das studentische Umfeld der Personen, die diese Kasualien begehren, mit einzubeziehen. So kann es z. B. auch bei Erwachsenentaufen sinnvoll sein, an Pat*innen als geistliche Wegbegleitung ad personam zu denken. Die Frage, wie die Feiern solcher Kasualien angesichts begrenzter studentischer Möglichkeiten finanziert werden können, wird zu einer gemeinschaftlichen Gestaltungsaufgabe.
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ESG-Gottesdienste sind eine Gemeinschaftsaufgabe, die studierendenzentriert vorbereitet und gestaltet wird, sodass Studierende an allen liturgischen Aufgaben selbstverständlich zu beteiligen sind. Das bedarf seitens der Pfarrer*innen einer hohen liturgiedidaktischen Sensibilität, die einerseits nicht bevormundet und andererseits die Vielfalt der Gottesdienstkulturen zur Sprache und zur Geltung kommen lässt. Auch Ansprachen und Predigten können zu einer Gemeinschaftsaufgabe werden, indem Studierende in deren Gestaltung partizipativ einbezogen werden. Dies entspricht der reformatorischen Grundidee, die am Gottesdienst Teilnehmenden nicht zu Objekten der Verkündigung zu machen, sondern sie durch selbst formulierte Passagen und Texte einzubeziehen (vgl. Freudenberg 2020a, S. 11–16; 2020b, S. 50 f.). ESG-Gottesdienste müssen nicht immer das volle liturgische Programm bieten, sondern können von Fall zu Fall bestimmte liturgische Elemente fokussieren und konzentriert feiern: Psalm und Poesie klingen zusammen. Das Kyrie als Anrufung Gottes, als Klage- und Hilfeschrei, aber auch als Bitte um Gottes Erbarmen und Barmherzigkeit hält unterschiedliche Klangfarben bereit. Das Gloria lässt Lobpreis und Worship erklingen. Die Schriftlesung bringt zur Sprache, von woher wir und unsere Welt Ansehen und Ansprache genießen. Das Credo lässt danach fragen, was hier und heute unbedingt bekannt werden muss. Kollekte und Fürbitten lassen unsere Welt da draußen zu Wort und Geltung kommen. Sendung und Segen machen uns zu genau dorthin Geschickten und Bewahrten. Die ESG-Gottesdienstmusik ist schließlich ein wichtiges Instrument der vielfältigen Beteiligung von unterschiedlichen Menschen, Gaben und Kulturen. Je stärker sie in ihrer Vielfalt gepflegt wird, desto hörbarer wird die Kunst, Gott zu feiern (siehe dazu Artikel 2.3 und 2.4 in diesem Handbuch).
5 Wofür wird Gott in der ESG gefeiert und kennengelernt? Die ESG und ihre Gottesdienstinhalte Der rote ESG-Hahn ist das Markenzeichen auch der gottesdienstlichen Inhalte. Er erinnert an das Petrus-Amt der ESG: mutig, vorlaut und im Scheitern geübt. Petrus hatte den Mut, über Wasser zu gehen und sich beim Einbrechen herausziehen zu lassen aus den Wellen, die über ihm zusammenschlugen. Petrus hat Jesus geliebt und verleugnet: ein Schwankender als Fels der Kirche in der Brandung seiner Zeit, draufgängerisch und zögerlich, verletzlich und begeisternd. Petrus war Visionär, Tagträumer, der lebenslang lernte und so den Heiden, uns Völkern, den Weg zum Evangelium öffnete (Apg 10 f.). Die Legende zeigt ihn
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uns als kopfüber Sterbenden. All dies schwingt im ESG-Hahn mit, der sich als Wetterhahn ständig mit dem Zeitgeist bewegt und ihm dabei gegen die Windrichtung ins Auge schaut. Schließlich bleibt die Frage: »Wer gab dem Hahn die Ahnungskraft?« (Hi 38,36) (vgl. Schroeter-Wittke 2000). Der Hahn ahnt den Tagesanbruch, bevor die Sonne aufgegangen ist. Noch ist es dunkel, aber der Tag naht. Das Nahen und das Ahnen gehören zusammen. Dabei hat die Ahnung ihren Ort in der Dämmerung, im Nebel, im Schleierhaften, im Ungewissen. Verschwommen nimmt sie wahr, was sie beschleicht. Manchmal zeichnen sich in der Ahnung auch schon Konturen ab von dem, was auf sie zukommt. Wer sich auf Ahnungen einlässt, gerät in eine Grauzone. Das kennzeichnet die Situation der ESG und ihrer Gottesdienste in einem außergewöhnlich hohen Maße. Dieser Zwischenraum ist Gabe und Aufgabe zugleich. In diesem Zwischenraum entwickelt die ESG eine Ahnung von der Zukunft des Gottesdienstes in unserer Kirche. So lässt sich mit Fug und Recht behaupten: Die ESG hat Ahnung vom Gottesdienst. In, mit und unter ihren Gottesdiensten stellt sie einen Weckruf dar für die Noch-immer-und-zugleich-nicht-mehr-Volkskirche, die in einem weltweiten Zusammenhang zu Hause ist. Darin agiert sie prophetisch, indem sie auf ihrer Suche nach Räumen, Zeiten und Menschen für den Gottesdienst jede Menge Sichtwechsel vollzieht (vgl. Weber 2019) und sich gottesdienstlich auf ungesichertes Terrain begibt. Sie übt sich darin, unter flüchtigen Bedingungen Räume, Menschen und Situationen zu heiligen. So feiert sie »Gottesdienst im Alltag der Welt« (Käsemann 1964), indem sie Menschen auf dem Weg begleitet und zugleich im Weg steht und Menschen, die zu ihr finden, Gott in den Weg stellt und zugleich auf den Weg bringt.
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2.2 Die Botschaft der Räume Martin Benn
1 Einleitung
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»Ich kann mit Kirche eigentlich nichts anfangen, aber dieser Ort [ESG Darmstadt] strahlt Gemütlichkeit, Ruhe und Heimat aus, ich komme gerne wieder« (Sophia, Studentin, Gästebucheintrag 2019). Der Gästebucheintrag macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Hauptamtliche und Ehrenamtliche in den Evangelischen Studierenden- und Hochschulgemeinden die Botschaft ihrer Räume kennen und sie bewusst gestalten. Wie das geschehen kann, soll dieser Artikel zeigen. Denn Räume kommunizieren immer, tragen eine Botschaft, sind Schauplatz der Begegnung, des Geschehens, der Erfahrung. Sie erzählen Geschichten von dem, was in ihnen geschehen ist und möglich sein kann. In der Wissenschaft, z. B. in der Soziologie, Geografie und Innenarchitektur, ist »der Raum« als Ort des Geschehens zunehmend in den Fokus gerückt. Im Masterstudiengang der Hochschule Mainz »Kommunikation im Raum« geht es um Atmosphäre, Materialien, Oberflächen, Farben; um die Interaktion von Mensch und Raum. Es gilt, authentische Räume zu kreieren, die die Dialogfähigkeit des Eigentümers für Themen, die für ihn zentral sind, unterstreicht. Genau das sollte im Fokus sein, wenn wir die Räume unserer Hochschulgemeinden in den Blick nehmen. Sie sollten Teil unseres Selbstverständnisses, unserer Botschaften sein, ermöglichen, was uns wichtig ist. So können sie einen »grundlegenden« Beitrag leisten bei der Begegnung mit Studierenden und Hochschulangehörigen. Bei der Begegnung von Menschen findet immer Kommunikation statt. Auch ohne Worte. Der gleiche Sachverhalt trifft auch auf Orte, Häuser und Räume zu. Sie sagen immer etwas über die Besitzer*innen und Bewohner*innen aus, vermitteln ein Gefühl, geben dem Betretenden Information und veranlassen ihn oder sie zu einem bestimmten Verhalten. Deshalb ist es wichtig, sich bewusst zu sein, an welchem Ort die eigene ESG steht, in welchem Haus sie untergebracht ist, welche Räume vorhanden sind und im Besonderen, wie diese gestaltet sind. Die Gegebenheiten sind diesbezüglich in den ESGn sehr unterschiedlich. Allein
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die Örtlichkeit variiert sehr. Mal sind sie beispielsweise im Campus integriert, vielleicht sogar in Universitätsgebäuden untergebracht. Oft sind sie außerhalb, zum Teil weit entfernt vom Unikontext. Dann wiederum sind sie mit anderen kirchlichen Institutionen in einem Haus untergebracht oder mit der KHG gibt es ein gemeinsames Haus. Jede dieser Gegebenheiten kann Vor- und Nachteile haben. Wichtig ist, sich diese bewusst zu machen. Befindet sich die ESG z. B. auf dem Campus, sind die Wege für die Studierenden nah. Studierende müssen sich für Veranstaltungen nicht extra auf den Weg machen. Es besteht dann aber die Gefahr, als Teil der Universität wahrgenommen zu werden, was inhaltlich problematisch sein kann, wenn man die ESG als »den anderen Ort« und als »Ort des ganz Anderen« versteht. Wenn die ESG in einem kirchlichen Haus untergebracht ist, kann es sein, verstärkt als Teil der Institution Kirche wahrgenommen zu werden, gegenüber der ohnehin viele junge Menschen Vorbehalte haben. Ein gemeinsames Haus mit der KHG ist Ausdruck des ökumenischen Selbstverständnisses; Vorbehalte aber, die gegenüber der katholischen Kirche bestehen, können leichter auf die evangelische Gemeinde übertragen werden. Auch die Art des Hauses und der Eingangsbereich vermitteln dem Betrachtenden, dem Gast, einen Eindruck: neu, altehrwürdig, zufällig, gepflegt, heruntergekommen, einladend – alles sagt etwas über die Bewohner*innen und ihr Selbstverständnis aus. Ebenso variiert die Anzahl und Art der Räume in den ESGn sehr. Oft sind sie in ihrer Gestaltung über Jahre »gewachsen« und nicht immer als Einheit bewusst gestaltet oder aktualisiert. Versteht man, dass die Kommunikation von Räumen Teil der ESG-Arbeit ist, erscheint es sinnvoll, die eigene ESG, wie sie untergebracht ist und wie ihre Räume gestaltet sind, zu betrachten und zu analysieren. Um im Anschluss die Raumkommunikation so zu gestalten, dass sie die Botschaft der Orts-ESG und ihr Selbstverständnis transportiert sowie die Inhalte, für die sie steht, und das, wozu sie einladen möchte, vermittelt. Auf diesem Weg kann es hilfreich sein, folgenden Fragen nachzugehen: Wer bin ich als Institution, was will ich sein? Was will ich kommunizieren, für was stehe ich? Was will ich durch das gesamte Erscheinungsbild zum Ausdruck bringen, hervorrufen, ermöglichen? Wo haben die verschiedenen Aufgaben, Themen, Schwerpunkte etc. der Gemeinde, räumlich betrachtet, ihren Raum oder ihre Zone? Wie sollen diese gestaltet sein, um diese zum Ausdruck zu bringen? Wie bekomme ich Räume, die einladend sind und in denen sich Studierende gern aufhalten? Kommunikationstheorien, die entwickelt wurden, um die Kommunikation unter Menschen verstehen zu können, sind hilfreich, wenn man die Kommunikation von Räumen bewusst wahrnehmen und gestalten will.
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2 Die Kommunikation von Räumen verstehen
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Im Folgenden wird nur noch von Räumen die Rede sein, welche Empfindung der Raum hervorrufttelbarsten Veränderungen durchführen kann. Inhaltlich sind viele der Aussagen auch auf den Standort und das Haus der ESG übertragbar und ebenso wichtig. Räume kommunizieren immer und Steine predigen mit. Aber wie kommunizieren Räume, Orte und Häuser eigentlich? Welche Kommunikationstheorien kann man sich bei der Wahrnehmung und Gestaltung ihrer Kommunikation zunutze machen? Welche Ebenen der Wahrnehmung stehen zur Verfügung? Eine zentrale Erkenntnis des Soziologen und Kommunikationswissen schaftlers Paul Watzlawick (1990) besteht darin, dass es eine Nicht-Kommunikation nicht gibt. Das heißt, wenn Menschen aufeinandertreffen, geschieht immer Kommunikation. Bewusst und unbewusst, verbal und nonverbal, über Körpersprache, Kleidung, Tonfall und manches mehr. Räume kommunizieren nicht so ausdifferenziert, aber die Grunderkenntnis von Watzlawick, dass immer Kommunikation geschieht, trifft nonverbal auch auf Räume zu, wenn man sie betritt. Sie »erzählen« Geschichten vom Besitzer, von den Menschen, die sie eingerichtet haben und benutzen. Sie ermöglichen Dinge oder verhindern sie. Sie tragen Appelle an die*den Benutzende*n heran, vermitteln, was er*sie hier tun oder lassen soll. Sie sprechen die emotionale Ebene des*der Betretenden an und wirken durch ihre Atmosphäre. Diese ist mitentscheidend dafür, ob sich Besuchende gern in einem Raum aufhalten oder nicht. Dies alles geschieht durch bewusste und unbewusste Wahrnehmungen, die zum größeren Teil objektiv verifizierbar, zum anderen Teil aber auch sehr individuell und damit subjektiv sind. Sie können entscheidend dazu beitragen, dass die Inhalte der ESG-Arbeit erlebbar sind und Erfahrungen gemacht werden, die ihren Zielen entsprechen, ohne dass aktiv etwas geschehen muss. Wenn man die Kommunikation der Räume bewusst wahrnehmen, analysieren und gestalten will, kann zusätzlich die Kommunikationstheorie von Friedemann Schulz von Thun (1991) ein entscheidendes Werkzeug sein. Schulz von Thun hat in seiner Arbeit dargelegt, dass Kommunikation von Menschen immer auf vier Ebenen stattfindet. Das sind die Ebenen der Sachinhalte, der Beziehung, der Appelle und der Selbstkundgabe. Dieses Modell lässt sich in abgewandelter Form auch auf Räume übertragen, und es ist spannend und gewinnbringend, sich das an den eigenen Räumen einmal vor Augen zu führen.
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3 Die vier Ebenen der Kommunikation – übertragen auf Räume 3.1 Die Ebene der Selbstoffenbarung – was der Raum von sich und dem*der Eigentümer*in dem*der Nutzenden kundgibt Der Raum (ein Gemeindehaus) sagt etwas von sich, offenbart sich. Er vermittelt, was für ein Raum er ist: z. B. ein Seminarraum (Tische, Stühle, Tafel) oder ein Sakralraum (mit Kreuz, Altar), ein Partyraum mit Musikanlage, eine Bar mit besonderer Beleuchtung etc. Er zeigt etwas über sein Alter, seinen Einrichtungsstil, seinen Pflegezustand, seinen Charakter, den hier gelebten Glauben. Ist es ein heller, einladender, lauter oder leiser Raum? Über ihn lässt sich aber auch auf die*den Besitzende*n schließen. Ist er*sie eine*r, der*die Wert auf Gestaltung legt, gibt es authentische Möbel, gepflegte Blumen oder wirkt die Einrichtung eher zufällig, gedankenlos, gar lieblos (zusammengestoppelt, ungepflegte Blumen, Abstellecken etc.)? Hat der*die Besitzende Geschmack, ist er*sie eher rational orientiert bei der Einrichtung vorgegangen, denkt er*sie auch dekorativ, ist ihm*ihr Kunst wichtig, wie war sein*ihr Einrichtungsbudget? Ist er*sie ordentlich oder chaotisch? Hat er*sie die Besuchenden im Blick, möchte in Beziehung treten?
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3.2 Die Ebene des Sachinhalts – worüber der Raum informiert
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Welche Inhalte werden über die Sachebene zum Ausdruck gebracht? Symbolisiert z. B. ein Kreuz, dass es sich um eine christliche Gemeinde handelt? Ist von der internationalen Ausrichtung der Arbeit etwas erkennbar, z. B. über eine Weltkarte oder Gegenstände anderer Kulturen oder Religionen? Wie sind die Räume definiert? Welcher Stellenwert wird z. B. der Begegnung eingeräumt, gibt es einen Clubraum mit Sofa & Co oder sind die Räume eher als Seminarräume mit Stühlen und Tischen eingerichtet? Gibt es eine Theke oder eine offene Küche mit Küchenblock, die zum gemeinsamen Kochen einlädt, vielleicht einem großen Esstisch zugeordnet? Oder ist die Küche rein funktional angelegt, in einem abgegrenzten Raum untergebracht? Ist ein eigener Sakralraum vorhanden, der deutlich macht, dass der christliche Glaube zentral ist? Oder gibt es einen multifunktionalen Raum, und wie ist in ihm die Gewichtung über die Einrichtung zum Ausdruck gebracht? Ist es eher ein Sakralraum, der auch für anderes genutzt werden kann, oder ist es umgekehrt? Vorhandene Raumtypen, aber auch Einrichtungsgegenstände wie z. B. Instrumente, Gesangbücher, Wandtafeln, Beamer etc. zeigen etwas von den Inhalten, die in diesen Räumen geschehen. 3.3 Die Appell-Ebene – wozu der Raum Anwesende veranlassen möchte Wenn jemand sagt: »Du, der Mülleimer ist voll«, dann will er in der Regel nicht auf der Sachebene mitteilen, dass das Volumen des Mülleimers erschöpft ist, sondern es ist ein Appell, den Müll zu entsorgen. Räume können ebenfalls Appelle an die*den Benutzende*n richten. Dies geschieht z. B. über Führung der Füße oder Augen, aber auch über Gestaltungen von Räumen oder Raumteilen und Einrichtungsgegenständen. Gibt es einen einladenden Eingang, offene Türen, dann heißt er willkommen und »sagt«: »Tritt ein, komm herein, wir freuen uns über Gäste!« Gibt es gemütliche Räume oder Raumzonen, z. B. Sitzgruppen, Esstische, die kommunizieren, dann lautet die Botschaft: »Setz dich, mach es dir gemütlich, hier können wir uns treffen, uns privat in entspannter Atmosphäre begegnen, hier geht es nicht um Leistung!« Das Ganze unterstützt vielleicht durch Kaffeemaschine und interessante Bücher. Ist eine offene Küche vorhanden, signalisiert diese: »Lass uns zusammen kochen und Leben teilen!« Gibt es leere Räume, Bastelecken, die auffordern, selbst tätig zu werden? Gibt es Kreativboards, die signalisieren: »Hier kannst du selbst Ideen einbringen!« Hängt eine Gitarre über einer Sitzecke oder stehen dort ein offenes Klavier oder
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Trommeln, fördern sie den Impuls, sie zu benutzen und Musik zu machen und Gemeinschaft zu erleben. Gibt es einen Raum für die sakrale Feier, vor dem man vielleicht sogar die Schuhe ausziehen soll, der mit seiner atmosphärischen Anmutung zur Stille und zum Andächtig-Sein, zur Offenheit gegenüber Gottes Gegenwart einlädt? 3.4 Die Ebene der Beziehung – wie der Besuchende sich im Raum fühlt Die ersten drei Ebenen beschreiben eher rational und objektiv wahrnehmbare und belegbare Sachverhalte. Auf der vierten Ebene kommen sehr viel mehr die subjektive Wahrnehmung und die damit empfundenen Gefühle zum Ausdruck. Es geht um erlebbare Atmosphäre, subjektives Empfinden, die Stimmung von Räumen. Und um die positive Beziehung, die zwischen den Räumen und der Person, die sie betritt, aufgebaut werden soll. Fühlt sich der*die Besuchende in den Räumen wohl, ist er*sie hier gern, fühlt er*sie sich eingeladen? Kommt er*sie gern wieder? Man kann sehr zielgerichtet durch die Innenarchitektur bestimmte Atmosphären schaffen. Über die Einrichtung, über natürliches und künstliches Licht, über Farben, Materialien und Oberflächen. Ob ein Raum nur kaltes Deckenlicht hat, vielleicht sogar in der Optik von Seminarräumen oder Büros, oder ob es indirektes, warmes, dimmbares, vielleicht zonenweise schaltbares Licht gibt, macht einen sehr großen Unterschied in Bezug auf seine Wirkung. Sind die Böden aus Holz oder haben sie einen künstlichen Belag? Holz wirkt auf die meisten Menschen wohltuend und gemütlich. Wenn man sich aber für den Kunst- oder Linoleumboden entscheidet, vielleicht aus optischen oder aus Kostengründen oder wegen leichterer Pflege, dann ist die Farbe sehr entscheidend in Bezug auf die atmosphärische Wirkung. Schwarze Flure wirken anders als blaue. Graue Seminarräume anders als sandfarbene; weiß gekachelte Küchenböden wirken anders als Räume, die mit terrakottafarbigem Linoleum ausgestattet sind. Ähnliches gilt für einzelne Wände oder farbige Räume insgesamt. Dunkle Farben oder Tapeten lassen einen Raum eher kleiner erscheinen als helle. Einzelne leuchtende Farbakzente vermitteln in der Regel einen frohen Eindruck. Auf dieser Ebene ist die erlebte Stimmung subjektiv. Der eine erfreut sich an Farben, die andere mag es weiß und schlicht. Es gibt auf dieser Ebene nicht das absolut Richtige oder Falsche. Wichtig ist aber, dass man sich bewusst diesen atmosphärischen Fragen zuwendet und sie absichtlich gestaltet. Auch wenn es keine Objektivität auf dieser Ebene gibt, so kann man doch Atmosphären kreieren, die von den meisten Menschen positiv empfunden werden.
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4 Die Kommunikation der eigenen Räume wahrnehmen, analysieren, gestalten
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Will man die Kommunikation der Räume im Sinn der eigenen Arbeit gestalten, kann es hilfreich sein, zunächst die eigenen Räume auf diesen vier Ebenen wahrzunehmen und zu analysieren. Was sagen sie von sich, welche Sachverhalte teilen sie mit, zu was veranlassen sie, welche Gefühle rufen sie bei den Besuchenden hervor? Dies mit den Mitarbeitenden und/oder den Studierenden zu tun, kann ein sehr kreatives und produktives Projekt sein. Man kann sich der Wahrnehmung der Räume auch annähern, indem man sie mit Adjektiven umschreibt. Werden die Räume z. B. eher einladend oder ausladend, hell oder dunkel, leicht oder schwer, heiter oder bedrückend etc. wahrgenommen? Stellt man das Ergebnis der Analyse den in der Einleitung genannten Grundfragen nach dem Selbstverständnis und den Zielen der Arbeit gegenüber, kann ein Projektplan entstehen, der ausweist, in welcher Richtung Veränderungen der Räumlichkeiten vorgenommen werden sollen.
5 Die besondere Kommunikation von Sakralräumen 5.1 Der Raum für Gottesdienst und Andacht Die Gegebenheiten bezüglich eines solchen Raumes sind in den ESGn sehr unterschiedlich. Manche haben eine eigene Kirche, andere nutzen eine Kirche mit. In anderen ESGn wiederum gibt es einen eigenen Andachtsraum oder einen Raum, der multifunktional genutzt wird, in dem auch Gottesdienst und Andacht gehalten werden. Jede Art dieser Räume, inklusive ihrer Ausstattung, hat ihre eigene Form der Kommunikation. Bei ihnen allen sollte bedacht werden, wie zum einen christlicher Glaube als Zentrum der Gemeindearbeit uneingeschränkt gestaltet und gefeiert werden kann und wie zum anderen Interessierte, die keinen Glauben haben oder andere Glaubensvorstellungen leben, nicht abgeschreckt werden. Das Kreuz ist beispielsweise einerseits ein wichtiges Ausstattungselement unserer Gebäude, könnte aber von einem Teil der Gemeindebesucher*innen als Symbol für indoktrinierende Missionierung und Imperialismus empfunden werden und damit negativ konnotiert sein.
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5.2 Der eigene oder der mitgenutzte Kirchenraum Steht eine Kirche der Hochschulgemeinde zur Verfügung, hat dies den Vorteil, dass sie eindeutig als christliche Institution wahrgenommen werden kann und Gottesdienste und Andachten in üblicher Weise gefeiert werden können. Menschen, die am Glaubensleben kein Interesse haben, aber am Gemeindeleben teilnehmen möchten, können dies auf einfache Weise tun. Ein Nachteil besteht aber auch dann darin, dass Personen, die sich ausschließlich im Gemeindehaus treffen, vom Glaubensleben und den christlichen Wurzeln der Gemeinde nichts mitbekommen. Zu überlegen ist, ob dann nicht auch im Gemeindehaus gestalterisch etwas vom christlichen Glauben zum Ausdruck kommen sollte. Kirchengebäude kann man natürlich auch nach dem Kommunikationsmodell Schulz von Thuns (1991) analysieren und gestalten. Sie sollten auch ohne Worte verkündigen und dem Glauben Raum geben. Darüber hinaus können folgende Fragen für die Gestaltung von Kirchen hilfreich sein: Wie sind Glaubensinhalte und »das ganz Andere«, »das Heilige«, »das Unsagbare« räumlich gestaltet? Wo »nähren« und »vergewissern« sich Auge, Sinne und Seele? Das ist z. B. über die künstlerische Gestaltung möglich. Spricht die Kirche die*den Besuchende*n an? Ist ihre Verkündigungsqualität gegenwartsbezogen? Gibt es eine Kerzenecke und ein Buch für Gebete? Wie ist die künstliche Lichtsituation (Warmton, Dimmbarkeit, Zonen schaltbar)? Wie werden die Besuchenden beim Betreten geleitet? Kann die Kirche variabel genutzt werden (Stühle, verstellbarer Altar)? 5.3 Der kleine Sakralraum Geht man von Andachtsräumen oder Kapellen aus, stellen sich die genannten Fragen in gleicher Weise. Heute findet man aber auch Bezeichnungen wie Raum der Stille, Meditationsraum oder Chill-out-Room. Nicht immer sind die Räume dann so ausgestattet, wie man es erwarten würde. Natürlich kann man z. B. in einem Andachtsraum meditieren oder in einem Meditationsraum Andacht halten. Aber das Proprium sollte vor der Einrichtung und Nutzung klar sein. Vielleicht braucht es heute auch Mischformen. Aber wie richtet man die Räume dann ein und wie ist dann ihre Bezeichnung? 5.4 Multifunktionale Räume oder der Mehrzweckraum Viele ESGn haben aufgrund begrenzter Raumkapazitäten Räume, die multifunktional genutzt werden. In ihnen finden zum einen Gottesdienste, Andachten, Meditationen, zum anderen Vorträge, Workshops, gemeinsames
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Feiern und anderes statt. Diese Räume haben den Vorteil, dass Gottesdienstgemeinde und Gemeindehausgemeinde sich in den gleichen Räumen treffen und nicht auseinanderfallen. Außerdem wird allen Besuchenden deutlich, dass die ESG christlich geprägt ist. Da man aber der christlichen Symbolik so nicht aus dem Weg gehen kann, wird es aus den genannten Gründen auch zu Ablehnungs- oder Irritationsreflexen gegenüber der ESG kommen. Diese unterschiedlichen Wirkungsweisen sollte man sich bewusst machen und bedenken, wie eine kluge Gestaltung aussehen kann. Dabei kann die Überlegung eine Rolle spielen, ob man einem Sakralraum den Vorzug gibt, der auch multifunktional genutzt werden kann, oder einem multifunktionalen Raum, der auch für Gottesdienste geeignet ist. Grundsätzlich wichtig ist die Frage, was alles in dem Raum geschehen soll und welche Einrichtung die jeweilige Nutzung gut möglich macht. Dabei kann es hilfreich sein, den Funktionen klare Zonen im Raum zuzuordnen, die sich über Einrichtung, Farben, Materialien, Raumappelle, Schwellen und anderes klar definieren. In solch einem Raum erscheint es notwendig, dass zumindest den Gegenständen, die zum Gottesdienst oder Ähnlichem genutzt werden (Altar, Kreuz, Kerzenleuchter etc.), eine besondere Gestaltung und ein eigener Ort zuteilwird. Der Altar sollte z. B. in der Regel kein Seminartisch sein, das »Heilige« nicht einfach in die Ecke gestellt werden.
6 Die Aufgabe der Kunst im Raum Das Zusammenspiel von Kunst und Kirche ist für die Kirche aus den folgenden Gründen essenziell: Ȥ Menschheitsgeschichtlich betrachtet war Kultus immer mit Formen der Kunst verknüpft – war und ist Gesamtkunstwerk. Ȥ Kunst ist auch heute Teil des Wesens von Kirche. Ohne Formen der Kunst wie Musik, Gesang, liturgisch-theatralische Handlung, besondere literarische Formen, besondere Architektur, bildende Kunst wäre ein Gottesdienst auf Dauer nicht vorstellbar. Ȥ Die Kunst wie auch die Religion versuchen, über Alltagsgrenzen hinauszuweisen. Sie stellen die Frage des Woher und Wohin des Lebens. Sie versuchen immer wieder neu, das Unergründliche, nicht Verfügbare (Gottes) zu ergründen und zum Ausdruck zu bringen. Ein wesentlicher Teil der Sprache von Religion gestaltet sich dabei in Formen der Kunst. Ȥ Kunst ermöglicht religiöse Erfahrungen, die ohne sie so nicht möglich wären. Ȥ Durch die Kunst hat der Mensch Anteil an der Schöpferkraft Gottes.
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Folgt man den Aussagen zur Kunst, wird deutlich, dass es für die Arbeit der ESGn unumgänglich ist, Kunst in ihre Arbeit zu integrieren. Dies kann einerseits auf der Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung geschehen, zum anderen sollte sie wesentlicher Teil der Kommunikation der Räume sein. Zentral sollte dies in dem Raum geschehen, in dem Gottesdienste gefeiert werden. An diesem Ort kommt der Kunst die Aufgabe der nonverbalen Verkündigung zu. Sie sollte über sich hinausweisen, dem Unsagbaren, ganz Anderem, Gott Gestalt geben. Im Idealfall ist sie das gestaltete Herzstück der Essenz der ESG-Arbeit. Aufgrund dieser zentralen Bedeutung erscheint es angemessen, nur mit Originalen zu arbeiten, die im Gegensatz zu beispielsweise Kunstdrucken eine viel größere expressive Kraft, Qualität und natürlich Authentizität haben. Neben einem Ankauf ist es gut möglich, sich von Künstler*innen Kunstwerke zu leihen. Viele sind daran interessiert, oft entsteht dadurch ein Dialog, der für beide Seiten sehr bereichernd sein kann. Außerdem kann die Gemeinde ausprobieren, welches Kunstwerk der Botschaft, die für sie zentral ist, am nächsten kommt.
7 Beispiel ESG Darmstadt Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau konnte 2015 ein um 1700 erbautes Haus und ein angrenzendes, marodes Wohnheim erwerben. Fünf Jahre lang wurden deren Umbau zu einem neuen Gemeindehaus für die ESG Darmstadt und einem Wohnheim geplant und ausgeführt. Planungsleitend war der Gedanke, dass vielfache Begegnungen unter Menschen verschiedenster Kulturen und mit Gott möglich sein sollten. Das alte Wohnheim wurde generalsaniert, 105 Einzelappartements wurden zu 99 Wohngemeinschaftsplätzen umgebaut, damit sich Menschen kennen- und miteinander leben lernen, vielleicht Freundschaften entstehen können. Auch Lernräume, ein Musikzimmer und ein Partyraum entstanden, um zusammenkommen zu können. Im Erdgeschoss des Wohnheims entstand ein studentisches Treff-Café, das »Café himmlisch«. In dem mit der ESG gemeinsam genutzten Garten wurden viele Sitzgruppen installiert, an denen WG-übergreifend und auch mit ESG-Besucher*innen gelernt und gefeiert wird. Die Hauptfläche des Gartens ist atriumartig angelegt. Liegestühle laden dort im Sommer zum Verweilen ein. Im für die ESG erworbenen Haus wurden viele Wände entfernt, so entstand u. a. im Erdgeschoss ein einladender Eingang, der durch eine transparente Tür unmittelbar den Blick in einen freundlichen Aufenthaltsraum führt. Dieser lädt zum einen mit einer Sofaecke zum gemütlichen Verweilen ein, zum anderen ist er bestimmt durch einen großen Tisch, gestaltet aus den alten Fachwerkbalken, die durch die Modernisierung übrig geblieben
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sind. Er ist einer offenen Küche zugeordnet. Hier wird oft gemeinsam, nach Rezepten aus aller Welt, gekocht und Leben beim Essen geteilt. Es entsteht für viele Studierende punktuell ein Ort der neuen Heimat. Bei Veranstaltungen im dahinterliegenden Saal sind Küchenblock und großer Tisch der Treffpunkt in den Pausen. Sie sind der räumliche Kulminationspunkt unserer praktischen Arbeit. Unmittelbare Begegnungsorte mit unserem Glauben und (vielleicht) auch mit Gott sind durch eine Wandskulptur im Aufenthaltsraum und durch die künstlerische Gestaltung des Andachtsraums entstanden. Über dem großen Tisch ist eine Skulptur der Künstlerin Madeleine Dietz installiert, die aus vier 15 cm dicken Quadraten aus Stahl und Erde besteht, die wiederum im Quadrat zueinander geordnet sind und Lücken so zueinander lassen, dass durch diese Lückenräume ein Kreuz sichtbar wird. Im Obergeschoss des Hauses gibt es neben Büros einen Gruppen- und einen Andachtsraum. Letztgenannter bekommt seine Besonderheit durch einen asymmetrischen Eichenaltar, mit kleinem Kreuz auf der linken Frontseite und einem asymmetrischen Kerzenleuchter rechter Hand, gestaltet von Marc Hilgenfeld und Charlotte Gehrig, und zentral durch ein Gemälde von Prof. Ben Willikens. Das Bild von Ben Willikens (spazio metafisico) lässt dem Betrachtenden viel Raum für individuelles Erleben und Interpretation, erschließt sich aber für viele Besucher*innen als Bild, das auf die transzendente Dimension unseres Lebens verweist.
Andachtsraum der ESG Darmstadt
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Literatur Benn, M. (Hg.) (2006): Heilige Räume. Materialbücher Nr. 104. Zentrum Verkündigung der EKHN. Frankfurt a. M. Schulz von Thun, F. (1991): Miteinander reden. Bd. 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation; Bd. 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie der Kommunikation. Hamburg. Watzlawick, P./Beavin, J. H./Jackson, D. D. (1990): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (8. Aufl.). Bern u. a.
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2.3 Liturgie und Musik Eugen Eckert
1 Das ESG-Gesangbuch als Quelle
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Zum Wintersemester 2008 erschien unter dem Titel »Durch Hohes und Tiefes« (HuT) im Münchener Strube-Verlag ein eigenständiges Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Es entstand im Auftrag der Bundes-ESG und der Bundesstudierendenpfarrkonferenz und wurde von den drei Herausgebern als Supplement zum Evangelischen Gesangbuch von 1993 angelegt. Spätestens dieses Gesangbuch, das in den Folgejahren auch von vielen Kirchengemeinden im gesamten Bundesgebiet und deutschen Auslandsgemeinden als Gemeindesatz angeschafft wurde, unterstreicht, dass Lieder und Singen zu den Pfeilern der Arbeit in den ESGn gehören. In aller Regel setzen sich ESGn ökumenisch und international zusammen. So wie die Herkunft der Studierenden fällt auch ihre religiöse Sozialisation unterschiedlich aus. In aller Regel aber ist sie von Toleranz geprägt. Auch darum lassen sich sowohl in Gottesdiensten als auch in Konzertprogrammen zum Teil sehr unterschiedliche Glaubensvorstellungen harmonisieren. Immer wieder halten sich musikalisch begabte Studierende zu den Gemeinden, manche studieren Musik. Die Liedauswahl des ESG-Gesangbuches knüpft an solche Voraussetzungen an. Viele der 444 Lieder sind mehrstimmig angelegt und verstehen sich damit auch als Beitrag zur musikalischen Bildung. Zu den Melodien werden jeweils Harmonien angeboten, sodass auch die Begleitung mit Gitarre leicht möglich ist. In ökumenischer Weite enthält das Gesangbuch Lieder aus 24 Ländern und Sprachkontexten. Der Entstehungsprozess des Gesangbuches war basisdemokratisch angelegt. Jede ESG in Deutschland war im Vorfeld eingeladen worden, ihre 10 wichtigsten Titel aus dem Bereich des Neuen Geistlichen Liedes einzureichen. Die so entstandene Sammlung wurde ergänzt durch Lieder aus den Publikationen des Deutschen Evangelischen Kirchentages und leicht zugänglichen Liedersammlungen aus evangelischen, katholischen, freikirchlichen und internationalen Kontex-
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ten. Insofern bilden vor allem die Texte die unterschiedlichen Frömmigkeitstraditionen ab, die in den ESGn zu finden sind. Zugleich bilden sie auf diese Weise auch das Ringen um tragfähige Inhalte für die jeweils eigene Spiritualität in Liturgie und Musik ab. Neben den 444 Liedern enthält das Gesangbuch zwei kurze Messen, ein Formular für die Gestaltung von Andachten, Gebete und zentrale christliche Bekenntnisse, liturgische Modelle für das Singen von Psalmen (gregorianisch, russischorthodox und an die Praxis von Kommunitäten angelehnt), alle Wochen- und Festtagspsalmen und ein ausführliches Register für den liturgischen Gebrauch. Insofern nimmt Johannes Friedrich, der damalige Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und EKD-Beauftragte für die kirchliche Arbeit an den Hochschulen, in seinem Geleitwort zum ESG-Gesangbuch die Intention des Buches sehr genau auf. Er schreibt: »Die Lieder, die hier zusammengestellt sind, spiegeln vieles wider vom Leben und von den Traditionen der Hochschul- und Studierendengemeinden. Sie verbinden eigene Traditionen und ökumenische Offenheit, gesellschaftliches Engagement und Kontemplation« (Durch Hohes und Tiefes 2008).
2 Müssen wir singen? »Nirgends steht geschrieben, daß Singen Not sei« (Adorno 1962, S. 75). In seinem 1962 erschienen Band »Dissonanzen« widerspricht Theodor W. Adorno zumindest der Unentbehrlichkeit von Liedern. Kontext für diese These ist seine Auseinandersetzung mit der Jugendsingbewegung der Nachkriegszeit, die er als »Spiegelung der geschichtlichen Not des gebildeten kleinen Bürgertums« kritisiert (Adorno 1962, S. 75). Der Philosoph und Exponent der Frankfurter Schule empfindet die vielen Versuche, ungebrochen an das Liedgut der Wandervogelbewegung des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen zu wollen, als eine »Unfähigkeit zu trauern« über den Krieg, über seine Opfer und die Schuld daran (Adorno 1962, S. 75). Singen beschreibt er als Flucht in ein »sanktioniertes Schutzgebiet der Irrationalität« (Adorno 1962, S. 75). Die bittere Erfahrung, die Realität nicht einfach um dreißig Jahre zurückschrauben zu können, führe, so Adorno weiter, zu einem zähen Klammern an eine Art Ersatzdroge – die Musik. Adornos Fazit lautet darum: »Nirgends steht geschrieben, daß Singen Not sei« (Adorno 1962, S. 75). Dagegen hält Otto Brodde, Jahrgang 1910, mit seiner These: »Singen ist ein Zeichen des Menschseins« (Juhre 1976, S. 12). Brodde ist ab 1935 als Dozent an der Folkwang-Musikhochschule in Essen tätig und an der Hochschule für
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Lehrerfortbildung in Dortmund. Auf die Frage »Warum singt der Mensch überhaupt?« antwortet er: »Singen ist die gebändigt-gestaltete und schöpferischgesteigerte Hoch-Form menschlicher Uräußerungen« (Juhre 1976, S. 12). Widersprüchlicher als in diesen beiden Statements kann die Antwort auf die Frage nicht ausfallen, ob wir Menschen Lieder brauchen und singen müssen, und zwar auch in Gottesdienst und Andacht. Auf der Suche nach einer überzeugenden Antwort richtet sich der Blick auf die Anthropologie und deren Erkenntnisse nach den Wurzeln und der Bedeutung des Singens. Wolfgang Suppan, ehemals Professor an der Musikhochschule in Graz, veröffentlichte 1984 unter dem Titel »Der musizierende Mensch« eine Anthropologie der Musik. Im Vorwort bereits schreibt er:
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»Wenn in dieser Schrift der Frage nach dem Menschsein in Bezug auf Musik nachgegangen wird, dann unter der Voraussetzung, daß Musik als Bestandteil menschlicher Selbstverwirklichung zu funktionieren vermag, daß sie […] als Katalysator sozialer Vorgänge, als Medium der Sensibilisierung und Sozialisierung in einer gesellschaftlichen Aufgabe zu wirken vermag« (Suppan 1984, S. 7). Und nachdem Suppan in seinem unterhaltsamen Buch ausgeführt hat, wie unter den Naturvolk- und Hochkulturen Musik ihre Bedeutung für Kult, Politik, Arbeit, Recht und Medizin hat, kommt er zu vier Folgerungen: 1. dass Musik im Kult als »Geschenk Gottes« gilt, mit dessen Hilfe der Mensch sich dem Bereich des Geistigen und Göttlichen zu nähern vermag, 2. dass Musik als »Vehikel kommunikativer Beziehungen in allen menschlichen Gesellschaften zum unverzichtbaren Bestandteil zwischenmenschlicher Begegnung« gehört (Suppan 1984, S. 156), 3. dass Musik im Epenvortrag aller Völker und Zeiten »das Vehikel ist, auf dem Nachrichten gemerkt und transportiert werden, und die Wirkung des Sängers und seiner Nachricht […] nicht ohne musikalische Überzeugungskraft denkbar ist« (Suppan 1984, S. 159), 4. dass Musik, weil sie ein Teil der Symbolwelt des Menschen ist, auch die Gefühle und Empfindungen des Menschen zum Ausdruck bringt. Allerdings, darauf weist Suppan hin, in kulturbedingten und kulturspezifischen Codices, deren Kenntnis die Voraussetzung zum umfassenden Verständnis der in ihr enthaltenen Informationen ist.
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3 Warum singen wir im Gottesdienst und in Andachten? Erstaunlicherweise gibt es frühe und sogar außerchristliche Belege dafür, mit welcher Liturgie sich die ersten Christengemeinden zum Gottesdienst versammelt haben. Dazu zählt ein Briefwechsel zwischen dem kaiserlichen Legaten Plinius d. J. und dem römischen Kaiser Trajan aus den Jahren 109–113 n. Chr. Plinius war mit der Vollmacht eines Konsuls vom Kaiser nach Bithynien und Pontus geschickt worden, um die dort herrschenden Zustände zu ordnen. Zu ihnen gehört auch das »Christenproblem«, mit dem er als Richter in Berührung kommt. Es besteht darin, dass von den Gemeinden die Verehrung des Kaisers als Gott abgelehnt wird, genauso wie jede damit verbundene kultische Handlungsanweisung aus Rom. Als Plinius d. J. durch Denunziation aus der Bevölkerung mit dieser ablehnenden Haltung der Christen konfrontiert wird, schreibt er an den Kaiser. Er möchte von ihm wissen, wie deren Vergehen zu bestrafen sei, das er als eigentlich harmlos schildert. Plinius schreibt: »Sie [sc. die Christen] versicherten jedoch, ihre ganze Schuld oder ihr ganzer Irrtum habe darin bestanden, daß sie sich an einem bestimmten Tage vor Sonnenaufgang zu versammeln pflegten, Christus als ihrem Gott einen Wechselgesang zu singen […]. Hernach seien sie auseinandergegangen und dann wieder zusammengekommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch gewöhnliche, harmlose Speise […]« (Epist. X,96, S. 643). Für unseren Kontext dient diese Quelle als Beleg dafür, zu zeigen, was mit Beginn des Christentums als konstitutiv für die Gestaltung eines Gottesdienstes galt: das gemeinsame Singen, die freiwillige Selbstverpflichtung zu moralischem Handeln und das Teilen einer Mahlzeit. Auf dieser Grundlage habe ich als Pfarrer der ESG Frankfurt am Main von 1995–2016 – im Zusammenspiel mit Kolleg*innen in der KHG, dem ESGChor und Studierenden – das Format der »Nachtgedanken« etabliert. Diese gut besuchte und beliebte Andacht findet mittwochs um 21.30 Uhr statt und dauert knapp 45 Minuten. Musik und Lieder aus dem ESG-Gesangbuch HuT sind konstitutiv und geben der Andacht den Rahmen. Im Zentrum steht der Austausch über ein aktuelles Thema auf dem Hintergrund eines biblischen Textes und verbunden mit der Frage nach Verhaltens- und Handlungsspielräumen. Die Andacht mündet jeweils in ein vitales Dinner mit internationalen Köstlichkeiten. Dass das Singen im Gottesdienst allerdings keineswegs selbstverständlich ist, wird bereits im 4. Jahrhundert deutlich, als diese Praxis von Kirchenvater Augustin (354–430 n. Chr.) massiv kritisiert und hinterfragt wird. In seinen »Con-
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fessiones« (Bekenntnisse) setzt er sich auf vielen Ebenen mit der »cupido«, der Begierde, als einem verwerflichen Laster des Menschen auseinander. Das Singen im Gottesdienst stellt für ihn einen gefährlichen Reiz des Gehörsinns dar. Wörtlich schreibt er: »Die Lüste und Genüsse der Ohren hatten mich umstrickt und unterjocht« (Conf. X,49, S. 392). Konsequent fragt er weiter, ob das »belebende Wort« nicht völlig ausreiche, um vernünftig Gottesdienst zu feiern. Glücklicherweise für die Christenheit vollzieht er dann aber doch eine überraschende Wende. Er, der sich erst mit 34 Jahren taufen ließ, erinnert sich an die Anfänge seines Christusglaubens, der vom Singen deutlich geprägt wurde:
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»Jedoch, wenn ich meiner Tränen gedenke, die ich beim Gesang der Gemeinde in den Frühlingstagen meines neugewonnenen Glaubens vergoss, sodann auch dessen, wie ich noch jetzt ergriffen werde, nicht so sehr durch den Gesang als durch die Worte des Liedes, wenn es mit reiner Stimme und in passendem Tonfall gesungen wird, erkenne ich den großen Wert auch dieses Brauches an« (Conf. X,49 f., S. 392–394). Augustin hat eindrucksvoll die Wirkung von Liedern beschrieben – besonders, wenn sie zu Herzen gehen. Das Singen im Gottesdienst und das gestaltende Zusammenspiel mit liturgischen Texten, Gesten und Symbolen ist von großer emotionaler Bedeutung. In den vom Wort geprägten Kirchen des Protestantismus, in denen Musik oft funktionalisiert wird, muss die Notwendigkeit von sinnlichen Erfahrungen im Gottesdienst immer wieder unterstrichen werden. Die Predigt und das gesprochene Wort zielen auf den Verstand. Natürlich soll auch so das Herz des Menschen erreicht werden. Einem Lied, eingebettet in wohltuende Harmonien, ist es immanent, zuerst emotionale Wirkung zu erzielen, um dann hoffentlich auch vor dem Verstand bestehen zu können. Weil Musik und Predigt wesensverwandt sind, stellen sie für Martin Luther im Gottesdienst eine untrennbare Einheit dar. Beide wählen denselben Weg: Sie gehen durch das Ohr des Menschen und versuchen, sein Herz zu erreichen. Darüber hinaus hat Luther, dem wir auch die Freiheit zum gottesdienstlichen Singen in der jeweiligen Landessprache verdanken, das Singen von geistlichen Liedern zu einem interessanten, geradezu herausfordernden Maßstab für den Glauben der Menschen erhoben. In seiner Gesangbuchvorrede von 1545 schreibt er: »Denn Gott hat unser Herz und Gemüt fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns hingegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer dies mit Ernst glaubt, der kann’s nicht lassen: Er muß fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, damit es andere auch hören
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und herzukommen. Wer aber nicht davon singen und sagen will, das ist ein Zeichen, daß er’s nicht glaubt« (Luther 1545/1983, S. 285). Mein Fazit bis hierhin lautet: Mit dem Anthropologen Suppan verstehe ich das Singen in Gottesdienst und Andacht als Geschenk Gottes, mit dessen Hilfe sich der Mensch dem Bereich des Göttlichen zu nähern vermag. Mit Augustin entdecke ich die emotionale Kraft, die in Liedern steckt. Und mit dem Reformator Luther sehe ich im Singen von geistlichen Liedern ein Glaubensbekenntnis, im Schweigen der Gemeinde dagegen eine Distanzierung von Glaubensinhalten. In seinem Buch »Der Weg ins Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst« hat Manfred Josuttis (1993) die zentrale Bedeutung des Singens noch einmal mit anderen Worten unterstrichen. Er schreibt: »Singen ist mehr als Freizeitbeschäftigung oder Kunstgenuß, Singen ist archaische Praxis des Lebens. Auf präverbale Weise gestalten Körper, Seele und Geist in der Ordnung der Töne die Einsicht, daß die Welt letztlich in Ordnung ist. Im Akt des Singens findet Vereinigung statt, Integration innerhalb des singenden Menschen, Kommunikation mit anderen bei Arbeit und Spiel, Initiation in das symbolische Universum der jeweiligen Gesellschaft. Diese Vereinigung geschieht im Medium der Leiblichkeit, aber anders als in der sexuellen Begegnung bleibt die Distanz zwischen den beteiligten Menschen erhalten. Im gemeinsamen Singen erweitern sich die Ich- und die Gruppengrenzen, ohne daß, wie in den obsessiven Erlebnissen der Ekstase, das Bewusstsein ausgelöscht wird. Singen ist ein Verhalten mit transzendenter Tendenz« (Josuttis 1993, S. 178).
4 Die ESGn und ihr Gesang In vielen ESGn gibt es eine vitale Musikszene. Chöre treffen sich, wöchentlich oder projektbezogen. Gottesdienste und Andachten werden mitgestaltet, genauso wie Feste und Feiern. Immer wieder studieren die Chöre ein eigenes Konzertprogramm ein, indem sie ein breites Spektrum von klassischer bis hin zu neuer Musik interpretieren. Vermutlich stellt nicht nur in der Frankfurter ESG der Chor durch Jahre hindurch die größte und sich verlässlich regelmäßig treffende Gruppe dar, allem Wechsel an der Hochschule zum Trotz. Auch an anderen Studienorten wird diese Kontinuität mit dem Charisma und der Verlässlichkeit derjenigen zusammenhängen, die diesen Chor leiten. Im ESG-Chor mitzusingen bedeutet, Kontakt zu Studierenden aus unterschiedlichen Fach-
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bereichen zu bekommen, über die Musik auch andere gemeinsame Interessen entdecken zu können, für sich selbst Gutes zu tun (Atemtechnik, Stimmbildung) und zugleich für andere (wechselseitige Unterstützung, gemeinsamer Wohlklang). Ein nicht geplanter Nebeneffekt, der nicht verschwiegen werden soll, liegt darin, dass ich inzwischen einige Paare trauen durfte, die sich im ESGChor kennengelernt haben. Wie in der Frankfurter ESG ist auch an anderen Orten der Chor ein wichtiger Partner für die Liturgie und das Singen in allen gottesdienstlichen Formaten. Denn an erprobte Chorsänger*innen können sich neu Dazukommende anlehnen. Sie können einfach im Dabeisein neue Lieder leicht lernen und zu eigenen Liedern werden lassen. Sie können Mehrstimmigkeit miterleben und sich selbst in ihr ausprobieren, wenn sie das wollen. Auf diese Weise werden sie selbst zum Teil jener Harmonie, die auch die Hoffnung enthält, »daß die Welt letztlich in Ordnung ist« (Josuttis 1993, S. 178; siehe dazu Artikel 2.4 in diesem Handbuch).
5 Warum also singen? Als der katholische Pfarrer und Dichter Wilhelm Willms (1772–1847) mit dieser Frage konfrontiert wird, stellt er zunächst eine Reihe von biblisch und politisch motivierten Gegenfragen, ehe er seine Antwort gibt, die meiner Antwort ganz nah ist: »Warum sangen die drei Jünglinge im Feuerofen? Half das Singen? Warum sangen die Schwarzen im Land der Unterdrückung? Half das was? Warum sang Miriam ihr Schilfmeerlied? Warum sang Maria ihr Trutzlied, das Magnificat? Warum sang David vor Saul? Da ist es ausdrücklich gesagt: Um die bösen Geister zu vertreiben. Nelly Sachs schreibt über David: Er baute in seinen Liedern Nachtherbergen für die Wegwunden. Oder: Er maß in seinen Psalmen in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus. Singend die Zeit bestehen! Singend das Leben bestehen!« (zit. n. Juhre 1976, S. 193)
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Im Singen in den ESGn geht es immer wieder darum, Ohnmacht und Klage vor Gott zu bringen und daneben Gott für Schönes und Bewahrung zu danken. Bisweilen geht es darum, gegen die Zeit und ihre bösen Geister anzusingen. Bisweilen geht es auch darum, der Zeit voller Hoffnung vorauszusingen. Es geht darum, im Gottesdienst und seiner Liturgie Räume zu gewinnen, Möglichkeiten für das Leben auf dieser Erde zu ersingen. Und weil die Wirklichkeit dieser Welt und auch der Kirchen so lähmend, manchmal geradezu erstickend ist, geht es bisweilen auch um eine Flucht nach vorne in eine schöne Sprache, in ein wohltuendes Lied.
Literatur Adorno, Th. W. (1962): Dissonanzen – Einleitung in die Musiksoziologie. Frankfurt a. M. Augustinus, A. [2014]: Bekenntnisse. Übers. u. hg. v. K. Flasch/B. Mojsisch. Stuttgart. Durch Hohes und Tiefes (2008). Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Hg. v. E. Eckert/F. Kramer/U.-K. Plisch. München. Josuttis, M. (1993): Der Weg ins Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst. Gütersloh. Juhre, A. (Hg.) (1976): Singen, um gehört zu werden. Wuppertal. Luther, M. (1545/1983): Die Vorrede zum Leipziger Gesangbuch des Valentin Babst (1545). In: K. Bornkamm/G. Ebeling (Hg.): Martin Luther Ausgewählte Schriften. Bd. 5 (S. 284 f.). Frankfurt a. M. Plinius d. J. [1984]: Briefe. Lat.-dt. hg. v. H. Kasten (5. Aufl.). München. Suppan, W. (1984): Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik. Mainz.
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2.4 Chorarbeit Joachim Geibel
1 Einleitung
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In vielen ESGn spielt Musik eine wichtige Rolle: als liturgisches Element in Gottesdiensten und Andachten, in Konzerten und bei Festen, als Ort der Begegnung und Gemeinschaft. Studierende finden oft ein großes musikalisches Angebot in den ESGn vor, das weit über das Singen hinausgeht. So gibt es ESG-Posaunenchöre, -Bands und -Orchester. Am verbreitetsten sind jedoch vokale Angebote für Studierende, die aktuell an ca. vierzig ESGn bundesweit zu finden sind. So vielfältig die ESGn ihre Hochschularbeit gestalten, so vielfältig sind auch ihre Chöre. Im Folgenden möchte ich, selbst Leiter des ESG-Chores Köln, einen Überblick über das bunte Chorleben in den ESGn geben. Zum einen lassen sich daraus Aspekte für eine gelingende ESG-Chorarbeit ableiten, zum anderen lohnt es sich, die Vielfalt dieses Aspekts der Studierendenseelsorge in diesem Rahmen zu dokumentieren.
2 Vielfältige Funktionen von Chorarbeit Wie in klassischen Ortsgemeinden finden sich in vielen ESGn Chöre. Die Studierenden haben vielleicht schon zu Schulzeiten in kirchlichen Chören gesungen und sind bei Studienbeginn explizit auf der Suche nach studentischen Chören in kirchlicher Trägerschaft. Einladungen zu den Proben in den Semesterprogrammen erreichen einen größeren Interessentenkreis. Und oft beschert schlicht Mundpropaganda manchen ESG-Chören einen großen Zulauf. Für die Studierendengemeinden selbst ist ein eigener Chor ein Pfund, mit dem sie wuchern können: Chöre sind ein niedrigschwelliger Zugang zur ESG, zuerst natürlich zu den Räumlichkeiten, darüber hinaus zu den vielfältigen Angeboten für die Studierenden. Aus dem Mitsingen kann ein organisatorisches Engagement im Chor oder auch im Mitarbeiterkreis der ESG erwachsen
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und können neue Mitbewohner*innen für ein angegliedertes Wohnheim – so vorhanden – gefunden werden. Die Mitwirkung des Chores an der musikalischen Gestaltung der Gottesdienste eröffnet den Mitfeiernden eine weitere liturgische Dimension (siehe dazu Artikel 2.3 in diesem Handbuch). Sie ermöglicht aber auch den Sänger*in nen unabhängig von ihrer Konfession, Religion oder Weltanschauung litur gische Erfahrungen – manchmal die ersten seit dem Antritt des Studiums – und Anknüpfungspunkte an die geistlichen Veranstaltungen der ESG. Für die Chorleitung ist die Mitgestaltung im Gottesdienst ein kurzfristiges Ziel, das in der Probenarbeit motivierend wirkt. Für alle musikalischen Niveaus finden sich Lieder und Gesänge, die dem Chor Weiterentwicklung ermöglichen und den Gottesdienst bereichern können. Darüber hinaus veranstalten viele Chöre regelmäßig Konzerte außerhalb des liturgischen Rahmens. Oft stehen diese am Ende eines Semesters, sind der Höhepunkt der Chorarbeit, auf welche in langen und intensiven Proben hingearbeitet wurde. Hierbei tragen Probentage oder -wochenenden entscheidend zur Entwicklung einer Chorgemeinschaft und zur Identifikation mit dem Chor bei.
3 Vielfältige Struktur der Chöre Die Vielfalt der ESG-Chöre zeigt sich auch in ihren Strukturen, von denen beispielhaft einige dargestellt werden sollen. Oft bedingen sich Faktoren gegenseitig und sind an die Voraussetzungen vor Ort geknüpft. Nicht immer ist ganz eindeutig, ob ein Chor ein ESG-Chor ist, sofern man dieses nicht im Namen trägt. Manche Chöre nutzen, zum Teil schon seit vielen Jahren, die Räumlichkeiten der ESGn, nehmen darüber hinaus aber nicht am Gemeindeleben teil. In anderen Städten gibt es keinen expliziten ESG-Chor, dafür lädt die Orts-ESG zur Teilnahme am jeweiligen Universitätschor, der Evangelischen Kantorei vor Ort oder einem gemeinsamen Projekt mit der Katholischen Hochschulgemeinde ein. Die Zugehörigkeit zur ESG ist also weniger eine räumliche Angelegenheit, sondern eine des Selbstverständnisses des Chores. Zu nennen ist die große Spannweite der Professionalität der Chorleitenden, angefangen von engagierten Hobbysänger*innen über C-Kirchenmusiker*innen und Musikstudierende bis hin zu studierten Chorleiter*innen. Dies hängt nicht zuletzt von den finanziellen Möglichkeiten der Orts-ESGn ab. Wird der Chor in einigen ESGn nur als ein ehrenamtlich geleiteter Arbeitskreis unter vielen gezählt, der ein kleines Budget für Materialkosten wie Noten oder Kopien gestellt bekommt, bezahlen andere ESGn ihren Chorleiter*innen Honorare, die sich
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an dem jeweiligen (kirchenmusikalischen) Abschluss orientieren. Ein bundesweiter Vergleich zeigt, dass ESG-Chören, die ein reges Chorleben mit vielen Sänger*innen führen, mindestens semiprofessionelle Chorleitungen vorstehen. Auch die organisatorische Struktur ist unterschiedlich und korreliert mit der Größe des Chores. In kleinen Ensembles ist es einfacher, die Interessen aller wahrzunehmen, und auch möglich, musikalische und organisatorische Entscheidungen basisdemokratisch zu treffen. In größeren Chören findet man hingegen Chorsprecher*innen oder einen Chorrat. Die größten Ensembles haben sogar eigene (Förder-)Vereine gegründet, die die Chorleitungen bei der organisatorischen Arbeit und Planung von Konzerten unterstützen. Dadurch ergeben sich unter Umständen weitere Möglichkeiten zur Finanzierung z. B. von Instrumentalist*innen für Konzerte oder individueller Stimmbildung parallel zu den Proben. Gemeinsame Herausforderungen der ESG-Chöre ergeben sich aus der Anlage als Studierendenchor. Das ist zum einen der zeitliche Rahmen, bedingt durch das Proben in der Vorlesungszeit. Da zu jedem Semester der Einstieg für neue Sänger*innen möglich sein soll, sind musikalische Projekte auf ein Semester begrenzt. Das sind umgerechnet max. 15 Probentermine und zusätzlich angesetzte Probentage oder -wochenenden bis zum Konzert am Semesterende. Durch einen früheren Probenstart können möglicherweise noch ein bis zwei Proben gewonnen werden, die knappe Probenzeit muss allerdings bei der Projektplanung eingerechnet werden. Weitere Herausforderungen liegen zum Teil in der Gewinnung neuer Sänger*innen, auch bedingt durch qualitativ hochwertige Konkurrenz der Universitätschöre sowie Chören der Ortsgemeinden oder KHGn. Wie für alle Studierendenchöre gilt es schließlich, ein Gleichgewicht zwischen Fluktuation und Konstanz der Teilnehmenden zu finden. Letzteres ermöglicht unter Umständen erst ein musikalisches Niveau, um anspruchsvollere musikalische Projekte anzugehen. Ist der Wechsel in der Besetzung über mehrere Semester jedoch nur gering, droht eine »Überalterung« mit den Gefahren, für junge Studierende nicht attraktiv genug zu sein und als Chor so zusammengewachsen zu sein, dass neuen Sänger*innen der soziale Anschluss schwerfällt.
4 Vielfältige musikalische Ausrichtung Eine Besonderheit in der Chorarbeit in den ESGn ist die stilistische Vielfalt. Viele Chöre haben einen popularmusikalischen Schwerpunkt, z. B. als Gospel- oder Popchor. Demgegenüber steht eine Handvoll Chöre, die mindestens in einem Semester pro Jahr ausschließlich klassische Literatur einstudiert, zum Teil große
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chorsinfonische Werke, die mit Orchester und Solist*innen aufgeführt werden. Die meisten Chorleiter*innen singen mit ihren Chören Lieder aus allen Genres, neben den genannten auch Neue Geistliche Lieder, internationale Songs, Volkslieder, Taizé-Gesänge sowie Gesänge aus anderen Kommunitäten und Praise and Worship, um nur einige zu nennen. Wie schon angeklungen ist, haben ESG-Chöre wie alle kirchlichen Chöre neben der Musik und der Gemeinschaft noch eine dritte Legitimation: Die Mitwirkung in Gemeinde und Gottesdienst und damit das musikalische Lob Gottes sind als ebenso wichtig anzusehen. Insofern ist hervorzuheben, dass alle ESGChöre offen sind für Sänger*innen mit Spaß am Singen, weitgehend ungeachtet ihrer musikalischen Vorerfahrung. Auch wenn dies die Chorleitungen vor Herausforderungen stellt, alle Voraussetzungen und Ansprüche zu bündeln, wird daran der offene und einladende Wesenszug der ESG-Chöre deutlich.
2 5 Vernetzung und Austausch Dass Chorbegegnungen für alle Beteiligte, Sänger*innen und Chorleiter*innen eine bereichernde Erfahrung sind, wird niemand leugnen, der*die selbst schon einmal daran teilgenommen hat. Als Chorsänger*in ist es immer erfrischend, eine andere Chorleitung zu erleben, mit einer anderen Ansprache, anderen Liedern und auch einem neuen stimmbildnerischen Input. Die Chorleiter*innen erhalten ebenfalls Inspiration für neue Literatur und musikalische Genres und haben Gelegenheit zum Austausch über Projekte, Herausforderungen und Ideen. Im Rahmen der wenigen Proben während des Semesters fallen solche wertvollen Momente oft schlicht »unter den Tisch«, denn es fehlen Zeit und vielleicht auch finanzielle Ressourcen, das »auch noch« anzugehen. Zudem lässt sich auch in den Chorleitungen eine Fluktuation wahrnehmen, weshalb manche Ideen nach einem Chorleiter*innenwechsel nicht weiterverfolgt werden oder Kooperationen einschlafen. Anregungen und Best-Practice-Beispiele für Chorbegegnungen, Austausch und Vernetzung unter den ESG-Chören seien nun beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt. 5.1 EinSinGen – bundesweites Chortreffen An erster Stelle sei das EinSinGen genannt, das bundesweite ESG-Chortreffen, welches seit 2013 alle zwei Jahre stattfindet. Mit tatkräftiger Unterstützung einer Ortsgemeinde veranstaltet die Bundes-ESG diese Chorbegegnung, zu
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der alle ESG-Chöre eingeladen werden. Immer im Herbst kommen jeweils für ein Wochenende bis zu 200 Studierende zusammen, 2013 in Bonn, 2015 in Frankfurt am Main, 2017 in Marburg und 2019 in Hamburg. Die Besonderheit ist, dass sich nicht der ganze Chor zu dem Treffen anmelden muss, sondern sich auch nur ein Teil des Chores auf den Weg machen kann, weil neue Stücke einstudiert werden und die Chöre nicht in singfähiger Besetzung anreisen müssen. Während es morgens und abends Proben mit allen Teilnehmer*innen gibt, ist der Samstag von einer Vielzahl an Workshops geprägt, von denen zwei besucht werden können. Die Workshopleiter*innen sind mehrheitlich selbst ESG-Chorleiter*innen, wodurch die Teilnehmer*innen einen Einblick in die Chorarbeit der anderen ESGn bekommen. Zwischen und nach den Programmpunkten gibt es Zeit für Austausch, später auch zum Feiern und Tanzen. Das Wochenende endet sonntags immer mit einem Gottesdienst in einer Kirche vor Ort, der durch alle Teilnehmer*innen und mit den musikalischen Ergebnissen der Workshops und Tutti-Proben gestaltet wird. Beim Abschlussgottesdienst des EinSinGens 2019 in der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg brauchte es ein zehnstufiges Chorpodest, um alle Teilnehmer*innen im Altarraum platzieren zu können. 5.2 Chorfahrten Neben vielen Proben und möglicherweise wegen arbeitsintensiver Probentage bleibt im Semester manchmal zu wenig Zeit, um sich gegenseitig gut kennenzulernen, damit eine Chorgemeinschaft entstehen kann. Aus diesem Grund organisiert der Chor der ESG Heidelberg immer am Anfang der vorlesungsfreien Zeit eine Wochenendreise in eine andere Stadt. Auch wenn nur ein Teil des Chores mitfährt, stärkt es den sozialen Aspekt des Chorsingens. An diesem Wochenende steht weniger die Musik im Mittelpunkt als Gemeinschaft, Erholung und Sightseeing. Wenn möglich gibt es eine Begegnung mit der ESG der Stadt, wo möglich sogar mit dem ESG-Chor. Dazu ein Beispiel: Anfang 2020 reisten die Heidelberger*innen nach Köln, eine Kölner Sängerin gab ihnen eine Stadtführung, wir trafen uns abends zum Essen und gestalteten am Sonntagmorgen gemeinsam einen Gottesdienst mit Liedern, die uns die Heidelberger von ihrem Konzert mitgebracht hatten und die einige Kölner*innen nach einer Probe am Vortag mitgesungen haben. Die Begegnungen und Lieder bleiben in Erinnerung, und auch hier war der persönliche Austausch mit dem Heidelberger Chorleiter sehr interessant und bereichernd.
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5.3 Doppelkonzerte Auch die Kooperation von zwei Chören, die ein oder mehrere gemeinsame Konzerte zum Ziel hat, ist eine bleibende Erfahrung. Hier lohnt sich der Blick auf die Landkarte mit dem Ziel, einen nahegelegenen ESG-Chor zu finden, der möglicherweise Lust auf ein gemeinsames Projekt hat. Die ESG-Chöre Bonn und Köln gestalten schon seit vielen Jahren immer im Sommersemester gemeinsame Konzerte. Dabei proben die Chöre zunächst wie gewohnt getrennt, fahren dann aber auf ein gemeinsames Probenwochenende. Dort wird nicht nur an den eigenen Stücken gefeilt, sondern es werden auch in der Regel zwei Stücke einstudiert, die bei den Konzerten in einem großen Tutti-Chor aufgeführt werden. Die gemeinsamen Konzerte finden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt und enden mit einer gemeinsamen Feier nach dem zweiten Konzert. Der Vorteil dieses Arrangements ist die Freiheit in der eigenen Probenarbeit und die Unabhängigkeit der musikalischen Programme. Das gemeinsame Probenwochenende lässt sowohl Zeit für die eigene Probenarbeit als auch für das Einstudieren der gemeinsamen Werke. Auch Warm-up und Einsingen finden mit allen statt, abwechselnd von beiden Chorleiter*innen angeleitet und damit kurzweilig und aufweckend für die Sänger*innen. 5.4 Chorleiter*innen-Austausch Im Herbst 2018 veranstaltete die Bundes-ESG erstmals ein bundesweites ESGChorleiter*innen-Forum. Nach dem EinSinGen 2017 entstand der Wunsch, in dem Jahr zwischen zwei EinSinGen ein eigenes Wochenende für die Leitungen der ESG-Chöre anzubieten, um sich zu vernetzen, neue Literatur kennenzulernen und sich auszutauschen. Themen waren unter anderem Chormanagement, Geldakquise, Stückauswahl und Konzertorganisation. Hier konnten alle ihre Erfahrungen teilen und neue Anregungen mitnehmen. Im Sommer 2020 bot die Bundes-ESG eine Online-Fortbildung zum Thema »Online-Chorproben mit Zoom« an. Auch wenn der Anlass – die Einschränkungen in der bundesweiten Chorarbeit durch die Coronapandemie – kein angenehmer war, zeigte sich, dass schon die Begegnung im digitalen Raum eine lohnenswerte Chance ist, trotz aller Entfernung in einen gewinnbringenden Austausch zu kommen. Ein regelmäßiger Online-Stammtisch wurde von den Anwesenden gewünscht. Nichtsdestotrotz sind solche Formate, erst recht mit Blick auf die Selbstverständlichkeit vieler digitaler Veranstaltungen während und nach dem Lockdown, eine attraktive Alternative für fahrtenintensive Präsenzveranstaltungen geworden.
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2.5 Konzeption der Studierendenseelsorge Krischan Heinemann
1 Seelsorge – Konzeption
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Seelsorge gehört zu den klassischen und zentralen kirchlichen, pastoralen und gemeindlichen Handlungsfeldern. So ist es nicht überraschend, dass sie auch eine zentrale Rolle in der Arbeit von Kirche an der Universität einnimmt und einnehmen muss. Bei einem so wichtigen Arbeitsfeld sollte man meinen, dass auch die besondere Situation der Seelsorge an der Universität in der wissenschaftlichen Theologie im Bereich der Poimenik (Seelsorgelehre) reichlich reflektiert und bearbeitet wurde. Allerdings ist zur Studierenden- bzw. Hochschulseelsorge in keinem der gegenwärtigen Standardwerke auch nur eine Erwähnung zu finden (im Gegensatz zur Klinik-, Schul- und Notfallseelsorge, der Blindenund Gehörlosen- und Telefonseelsorge und anderen Sonderseelsorgebereichen). Die Seelsorge am besonderen Ort der Universität hat hauptsächlich junge Menschen, die sich in der akademischen Ausbildung befinden, als Gesprächspartner*innen. Hinzu kommen Hochschulangehörige aus dem Bereich der Professor*innenschaft und damit der Bildungselite unserer Gesellschaft, des wissenschaftlichen Nachwuchses (akademischer Mittelbau) und des nichtwissenschaftlichen Personals an der Universität, von den Mitarbeiter*innen in den Mensen der Studierendenwerke bis zu den Mitgliedern der Hochschulleitungen. Dieser Sonderseelsorgebereich wurde bisher aus praktisch-theologischer Per spektive nicht explizit in den Blick genommen. Eine allgemeine Konzeption der Seelsorge an der Universität in den Studierenden- und Hochschulgemeinden gibt es bisher nicht. Es gibt in der Praxis der Gemeinden an der Hochschule eine Vielfalt seelsorgerlicher Ansätze, Methoden und Professionalisierungsebenen. In der Arbeit von Pfarrer*innen, die oftmals explizit mit der Studierendenseelsorge beauftragt sind, bestimmen seelsorgerliche Gespräche in einem klassischen Setting einen wesentlichen Teil der Arbeit. Studierende aus dem engeren Kreis der Mitarbeiter*innen der Studierenden- und Hochschulgemeinden, Menschen,
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die an Veranstaltungen der Gemeinden teilnehmen oder einen nur losen Kontakt pflegen, und Studierende, die einfach Gesprächs- und Beratungsbedarf haben, nutzen die Hochschul- und Studierendenseelsorge. Anderen Hochschulgruppen fällt der Kontakt zu Studierendengemeinden eher schwer und sie fühlen sich nicht angesprochen, wenn es nicht schon individuelle Kontakte durch Kooperationen, das eigene Studium (akademischer Mittelbau) oder gemeinsame Veranstaltungen (Professor*innen) gab. Längst beziehen sich noch nicht alle Gemeinden in ihrem Namen als Universitäts- bzw. Hochschulgemeinden auf die gesamte Hochschule, obwohl dies schon vor Jahren von der EKD eingefordert wurde. Seelsorge in den kirchlichen Gemeinden an der Universität ist also größtenteils Studierenden seelsorge für Menschen im Alter zwischen 17 und 30 Jahren. Eine Konzeption kann in diesem Kontext nur versuchen, einige Schlaglichter auf die Seelsorge- und Beratungsarbeit mit jungen Menschen zu werfen, die zur zukünftigen akademisch gebildeten Elite der Gesellschaft gehören und vom Grundschullehrer bis zur Professorin, von der Betriebs- und Volkswirtin bis zum Staatsanwalt, der Ingenieurin bis zum Arzt, von der Politikerin bis zum Designer und Kulturschaffenden unser Leben im Alltag und grundsätzlich maßgeblich mitgestalten und Verantwortung übernehmen werden. Diese Klientel ist eine großartige Herausforderung für die kirchliche und pastorale Arbeit und macht zugleich kirchlichen Verantwortungstragenden Angst und verursacht Unbehagen im Blick auf die Dynamik und den Umgang mit den Wünschen und Forderungen dieser gegenwärtigen und zukünftigen Bildungselite. Indes werden im Positionspapier des Rates der EKD zur Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule von 2006 die Seelsorge mit ihrer aktiven Gestaltungskraft gelobt und dreimal erwähnt (vgl. Kirchenamt der EKD 2006, S. 3 f.). Die Universität ist als Ganzes ein Ort, an dem Leistung einen enorm hohen Stellenwert hat, Veränderungen neu erdacht werden, die Welt von morgen erforscht und ausprobiert wird und der reflektierende Blick auf Vergangenheit und Gegenwart immer mit dabei ist. Innovationen, persönlicher Einsatz und der Umgang mit Wissen prägen den Alltag der Universität und stellen gerade für Studierende eine große Herausforderung dar. Die Studierenden- und Hochschulgemeinden sind besonders in ihren Seelsorgeangeboten, aber auch in Gottesdienst und Gemeindeleben ein Gegenpol zum Leistungsdruck beim täglichen Lernen, Forschen und Entwickeln. In ihnen gibt es keine Credit Points, sondern Orte, Zeiten und Seelsorger*innen für jede*n Einzelne*n. Dort können Probleme des Alltags, Konflikte in den zwischenmenschlichen Beziehungen und Zukunftssorgen Raum finden, und eigene neue Horizonte weiten sich.
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2 Seelsorge am besonderen Ort der Hochschule »Auf die Frage nach möglichen Anlaufstellen bei eigenen seelischen beziehungsweise psychischen Problemen antworten die meisten [der befragten Studierenden], in solchem Fall Unterstützung im privaten Umfeld zu suchen. Als professionelle Hilfe käme der psychologische Dienst der Hochschule in Betracht, vereinzelt wird der Pastor der Heimatgemeinde als mögliche Anlaufstelle genannt. Die Hochschulseelsorge ist jedoch praktisch unbekannt« (Ahrens/ Läger-Reinbold 2014, S. 18).
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In der Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD von 2014 wird die Stellung und Bekanntheit der kirchlichen Hochschularbeit und explizit die Seelsorge recht unverblümt realistisch eingeschätzt. Sie findet im Verborgenen statt und teilt sich diese weitgehend öffentlich unsichtbare Position mit vielen anderen seelsorgerlichen Angeboten im Raum von Kirche, wenn diese nicht an expliziten Beratungsstellen stattfinden. Gleichwohl wird im Positionspapier die Bedeutung von Seelsorge an der Universität sehr hoch eingeschätzt, da alle Angehörigen der Hochschulen sich in »vielfältigen, oft herausfordernden Lebenssituationen befinden« und besonders für Studierende »die Zeit an der Hochschule eine berufliche und persönliche Orientierungsphase dar[stellt], die ihnen ein besonderes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Zielstrebigkeit, aber auch an Flexibilität abverlangt« (Kirchenamt der EKD 2006, S. 4). Seelsorge und die anderen Angebote der Hochschulgemeinden können viel zur Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung gerade der Studierenden beitragen. Die bleibende Aufgabe der Alltags- und Berufsbewältigung gerade auch für andere Gruppen an der Universität (Professor*innen, Mitarbeiter*innen etc.) wird dabei nicht gesehen, auch wenn diese Gruppen zunehmend als Gesprächspartner*innen in der Seelsorge ernst und in den Blick genommen werden sollten. An den Universitäten wird auch eine zukünftige »evangelische Elite« ausgebildet, für die eine professionelle »seelsorgerliche Ansprechbarkeit« in Form von pastoralen Amtsträger*innen zu gewährleisten ist (Kirchenamt der EKD 2006, S. 4). Diese Einschätzung kann aus der Praxis bestätigt werden. Neben den vielfältigen inneruniversitären Beratungsund Betreuungsangeboten, die fast schon eine kindliche Rundumbetreuung der Studierenden suggerieren und einer gewissen Infantilisierung Vorschub leisten, und professionellen psychologischen Beratungsstellen, die oftmals durch das jeweilige Studierendenwerk bereitgestellt werden, wird vonseiten der Studierenden und Hochschulangehörigen der Seelsorge durch eine geist-
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liche Amtsperson einiges zugetraut. Die Unverbrüchlichkeit des Beicht- und Seelsorgegeheimnisses wird als attraktives Alleinstellungsmerkmal der Seelsorger*innen wahrgenommen, das keine Furcht vor einem karriereschädlichen Kontaktnachweis zu einer psychologischen Beratung oder sogar psychotherapeutischen Behandlung in der eigenen Biografie aufkommen lässt. Davor haben viele Studierende Angst und meiden daher die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten bei kleineren oder größeren Krisen und Konflikten im Studienalltag. Hier hat die Seelsorgearbeit eine große Chance, eine verlässliche, sichere und seriöse Gesprächspartnerin zu sein und sich als hilfreich bei der eventuell notwendigen Vermittlung an andere Beratungseinrichtungen, mit denen sie gut vernetzt sein sollte, zu erweisen. Die nicht mehr allerorts selbstverständliche Präsenz kirchlicher Arbeit an der Hochschule macht eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit anderen Institutionen im Umkreis der Hochschule dringend notwendig. Universität ist der Ort maximaler Professionalisierung. Seitens aller Hochschulangehörigen wird dies auch von anderen Institutionen und Einrichtungen im Umfeld der Hochschule gefordert. Gerade die kirchliche Seelsorge- und Beratungsarbeit sollte hier gut aufgestellt sein. Die Hochschulseelsorger*innen müssen ihre eigene Arbeit auf einem spezialisierten Weiterbildungsniveau reflektiert haben; pastoralpsychologische Weiterbildungen sollten Standard für die Arbeit sein. Ob die Seelsorgearbeit auf tiefenpsychologischer, systemischer, gestalttherapeutischer, personenzentrierter oder einer klinischen Seelsorgeausbildung basiert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Auch wenn Seelsorge im Hochschulkontext keine Psychotherapie im kirchlichen Kontext (Dietrich Stollberg 1972) sein muss und kann, steht sie selbstverständlich methodisch und konzeptionell im Miteinander der anerkannten psychologischen Beratungs- und Therapiekonzepte und der dahinterliegenden psychologischen Theorien und muss sich auf deren Niveau mit behaupten sowie dialogfähig sein und bleiben. Das Proprium einer christlichen Seelsorge, die befreiende und Ich-stärkende Kraft des Evangeliums Jesu Christi, wird davon nicht beeinflusst, muss sich aber auch – an anderer Stelle – dem inneruniversitären Dialog stellen. Ein denkender Glaube, der Vertrauen in das Leben, die Mitmenschen und Gott stärkt, steht zusammen mit universitärem Weltwissen und kann und muss sich der kritischen wissenschaftlichen Reflexion stellen. Gerade in der universitären Seelsorge ist die Thematisierung und individuelle Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen des Lebens, des Glaubensvollzugs und der Glaubensinhalte möglich und notwendig, um diese im seelsorgerlichen Gespräch genauer anzuschauen und besser zu verstehen (vgl. Klessmann 2018, S. 275 ff.).
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3 Studierende und Seelsorge
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Die Entwicklung des Menschen wird aus klassischer psychoanalytischer Perspektive als Sexualitätsentwicklung, als Entwicklung der Psychosexualität, beschrieben. Ziel ist die Erklärung der Entwicklung von Persönlichkeit und einer eventuellen Psychopathologie eines Menschen. Grundsätzlich wird diese Entwicklung in zwei Phasen unterteilt, die frühkindliche (bis zum sechsten Lebensjahr, mit oraler, analer und ödipaler Phase) und die pubertäre Entwicklung (Latenz, Pubertät, Adoleszenz), wobei die klassischen Abgrenzungen, Bezeichnungen und Definitionen sich in der Entwicklung der Psychoanalyse sehr ausdifferenziert haben und jede psychologisch-therapeutische Schule eigene Schwerpunkte gesetzt hat. Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess, der nicht auf die ersten Lebensjahre der Kindheit begrenzt ist, auch wenn hier entscheidende Entwicklungsaufgaben anstehen und gerade in frühkindlicher Zeit Ursachen für pathologische Entwicklungen liegen können. Menschliche Entwicklung endet erst mit dem Tod. Alle spezifischen Ansätze beschreiben in der Entwicklungspsychologie einen notwendigen Reifungsprozess des Menschen, der sich aufgrund von Befriedigung (Triebe, Wünsche) und Frustration (Kompensation, Sublimierung), Regression und Progression und unter Einbeziehung einer inneren und äußeren Realität vollzieht. In der traditionellen Aufteilung steht die Gruppe der jungen Erwachsenen, zu der Studierende gehören, schon jenseits der klassischen Entwicklungsphasen und wurde bisher sehr unzureichend in den Blick genommen. Erst die Feststellung, dass »der Weg über lange Ausbildungsgänge an privilegierten Bildungseinrichtungen« einen erweiterten Übergang von der Adoleszenz ins Erwachsenenalter schafft, der fast das gesamte dritte Lebensjahrzehnt umfasst, macht plausibel, dass eine verlängerte Phase der Spätadoleszenz entsteht und wahrgenommen werden muss (Mertens 1994, S. 170). Neben den Aufgaben des zielgerichteten Lernens, der Berufsfindung und des Eingehens von intimen Beziehungen und Partnerschaften ist diese Phase auch von einem »Offenhalten von Identitätsentwürfen, Berufszielen, Partnerschaften und die Ablehnung der Erwachsenenrolle mit ihren entsprechenden Festlegungen« bestimmt (Mertens 1994, S. 171). Studierende sind in dieser spätadoleszenten Phase. Die Universitätsreformen der letzten Jahre haben sowohl zu einer Intensivierung des Drucks, eine zielgerichtete persönliche Entwicklung erfolgreich durchlaufen zu müssen und abzuschließen, als auch zu einer Entstehung eines (oftmals inneren) Widerstandes gegen diese Anforderungen beigetragen. Der in der Adoleszenz mit beginnender Pubertät angestoßene Prozess der Entwicklung von einer kindlichen in eine erwachsene Persönlichkeit baut auf
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den vorausgegangenen Entwicklungsphasen und den dort zu bewältigenden Aufgaben auf. Biologische Reifungsprozesse finden statt, die Ablösung und Distanzierung von Eltern und Familie wird schrittweise vollzogen und geht einher mit Größenfantasien und Omnipotenzvorstellungen, die das noch labile Selbstwertgefühl stützen sollen. In aller progressiven Entwicklungsdynamik gibt es immer wieder einen »regressiven Sog zurück in die Welt der Kindheit, wo Versorgung und Verantwortungslosigkeit verführerisch wirken, aber keine Entwicklung stattfinden kann« (Salge 2017, S. 33). Wesentliche Aufgaben, die in der verlängerten Spätadoleszenz bewältigt werden sollten, sind Entwicklung und Verfolgung eines eigenen Lebensentwurfs, die Akzeptanz des eigenen Körpers und einer Geschlechterrolle, die ökonomische Unabhängigkeit, Verzicht bzw. Integration von Omnipotenz- und Größenvorstellungen, Entwicklung eines reifen Ich-Ideals und einer stabilen persönlichen Identität und einer eigenen Moralität. Diesen anspruchsvollen Aufgaben der Spätadoleszenz stehen vielfältige psychopathologische und neurotische Konsequenzen beim Scheitern an deren Umsetzung gegenüber, die Seelsorge, Beratung und gegebenenfalls psychotherapeutische Hilfe nötig machen. Alle wesentlichen Entwicklungsaufgaben münden während der langen akademischen Ausbildungsphase (die sich auch über das dreißigste Lebensjahr hinauszögern kann) in ihre Zielgerade ein, was eine faszinierende Herausforderung und eine enorme Anforderung zugleich ist. Viele Aufgaben bleiben Lebensthemen und begründen damit eine fortlaufende und weitergehende Entwicklung. Dennoch geben die eigene Berufsfindung, die dauerhafte Partnerwahl und Familiengründung und der Übergang in ein geregeltes Erwerbsleben dieser Entwicklungsphase zumindest äußerlich einen Abschluss. Wenn diese Entwicklungsprozesse und -aufgaben nicht statisch und rein linear betrachtet werden, bleiben sie nicht allein auf eine Lebens- und psychoanalytische Entwicklungsphase bezogen, sondern beschreiben dauerhafte Prozesse und Aufgaben. Gerade die Spätadoleszenz bietet den Raum, diese zu erleben, einzuüben und durchzuarbeiten. In der Zeit des Studiums ist noch ein Neben- und Miteinander von Regression und progressiver Entwicklung möglich. Die Verantwortungsanforderung steigt, und zugleich bleibt ein realer (finanzielle Unterstützung, »Kinderzimmer« zu Hause im Elternhaus) und innerer Raum für kindliche Größen- und Geborgenheitsfantasien. Ambivalenzen des eigenen Lebens lassen sich mehr und mehr aushalten, indem man ihnen ausgesetzt ist, experimentieren kann, sich verweigert und mitgeht. Dabei werden aufgrund der hohen Ansprüche und Anforderungen zugleich Ohnmachtserfahrungen erlebt und adoleszente Omnipotenzfantasien als Abwehr wiederbelebt (vgl. Leuzinger-Bohleber 1993, S. 26 f.). Identitätsbildung erfolgt dabei
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nicht statisch, sondern als kreative Leistung in einem »intermediären Bereich« (Salge 2017, S. 41 ff.). Im gegenwärtigen Lebens- und Erfahrungsraum Universität begegnen Studierende einer formalen, leistungsorientierten und auf abrufbare Prüfungsnachweise reduzierten Sphäre, die keine kreative persönliche Auseinandersetzung mit realen Personen erfordert – einer »vaterlosen Universität« (Leuzinger-Bohleber 1993, S. 31). Zugleich bietet die Universität mit einem großen Betreuungsaufwand und vielfältigsten Beratungs- und Versorgungsangeboten, die auch die universitär organisierte Freizeitgestaltung und Partykultur umfasst, eine mütterliche Rundumversorgung der alma mater, auf die sich Rettungsfantasien und übertriebene Erwartungen richten, die wiederum Enttäuschungen implizieren (Mertens 1994, S. 172 f.). Die Wahrnehmung der verlängerten spätadoleszenten Entwicklungsphase ermöglicht ein besseres Verstehen Studierender, die große innere und äußere Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben, welche allerdings zur eigenen Entwicklung einer erwachsenen Persönlichkeit unverzichtbar sind. Die Entwicklung von Glaubensvorstellungen und damit verbunden die Beziehungsentwicklung zu religiösen Gemeinschaften und Kirchen kann hier nicht ausführlicher dargestellt werden. Aber es ist davon auszugehen, dass die Phasen der Glaubensentwicklung nach James Fowler sich nicht linear und statisch aufeinander aufbauend vollziehen. Vielmehr gibt es dort, gerade in persönlichen Krisensituationen und im Erleben sowohl von Größenfantasien als auch von Ohnmacht, ebenso regressive Entwicklungen. Dies gilt auch für die religiöse Institution Studierenden- und Hochschulgemeinde, die als Teil der traditionellen kirchlichen Institution mit Erinnerungen an kindlich behütete, aber auch heteronom bestimmte Lebenswelt verbunden wird. Zugleich bietet sie einen Ort der Begegnung mit der eigenen Religion im Übergang zum reifen, selbstbestimmten Erwachsenen. Die entwicklungspsychologische Perspektive hat die Aufgabe beschrieben, der sich junge Menschen – Studierende – stellen müssen: Sie stehen an einer entscheidenden letzten Stufe vor dem Erwachsensein, um ein stabiles Selbst und eine dauerhafte Beziehungsfähigkeit zur äußeren Welt (äußere Objekte) auf der Grundlage stabiler innerer Objekte aufzubauen. Zu Beginn des Erwachsenenalters soll ihr Selbst aus verarbeiteten kindlichen Größen- und Omnipotenzfantasien und einer ausreichenden Frustrationstoleranz und Konfliktfähigkeit eine ausreichende Stabilität erlangt haben. Die tiefenpsychologisch geprägte Wahrnehmung der Lebens- und Entwick lungsphase von Studierenden hat wesentliche Bedeutung, um seelsorgerliche Begegnungen und Gespräche unter Beachtung dieser besonderen Situation zu
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ermöglichen und zu gestalten. Für den*die Seelsorger*in öffnet sich ein Horizont, ein besonderer Raum, um die innere und äußere Erlebenswelt des Gegenübers mitzuerleben und mitzufühlen. Studierende (und natürlich auch andere Universitätsangehörige) können im lauten und aktiven Umfeld der Universität in der Seelsorge und Beratung einen sicheren äußeren Raum mit einem verlässlichen Gegenüber finden, in dem sie ihre inneren Räume selbst neu entdecken können, Erfahrungen und Erlebtes besser verstehen und bewusstmachen können.
4 Hochschulseelsorge morgen? Die Arbeit von Studierenden- und Hochschulgemeinden und dabei besonders die seelsorgerlichen Angebote finden eher im Verborgen statt. Die kirchliche Wahrnehmung von Gemeinden, die schon heute mit der gesellschaftlichen Elite von morgen arbeitet, lässt oftmals zu wünschen übrig. Die Studierenden selbst haben in einigen Gemeindestrukturen noch zu wenig Mitspracherechte. Mitarbeitendenkreise bekommen in den oftmals nicht selbstständigen Studierendengemeinden noch zu wenig Verantwortung und Mitbestimmungsrecht. In kirchlichen Gremien und Parlamenten sind Mitglieder aus Hochschulund Studierendengemeinden selten bis gar nicht vertreten. Dies verwundert umso mehr, da kirchliche Entscheidungsgremien die Mitwirkung von jungen Menschen anmahnen und sich darum bemühen, mehr junge Menschen für ihre Arbeit zu gewinnen. Vielleicht liegt es auch an der Erinnerung an eigene akademische Ausbildungsphasen und die damit verbundenen großen Entwicklungsaufgaben, die zu bewältigen waren, dass der reale Kontakt zu einer dynamischen und noch unberechenbar erscheinenden jungen Generation mitten in der Ausbildung eher gemieden wird. Gerade aber diese Dynamik und Freiheit zwischen Anbindung an vielfältige Traditionen und Suche nach neuen Horizonten und Antworten könnte für Kirche als Ganzes sehr wichtig sein. Studierenden, die den nicht einfachen und widerstandsfreien Weg in eine Gemeinde an der Universität gefunden haben, die dort Heimat auf Zeit und Bewegungs- und Begegnungsräume zum eigenen Ausprobieren und verlässliche Gesprächspartner*innen in Krisen und Konfliktsituationen erleben konnten, bleibt diese Erfahrung in Erinnerung. Sie ist prägend für den weiteren Lebensweg und stärkt die Verbundenheit mit der eigenen Glaubenstradition und ihren Institutionen. Seelsorge als zentrales Angebot von Studierenden- und Hochschulgemeinde ist und bleibt unverzichtbar, wenn Kirche an der Universität präsent, sichtbar und spürbar bleiben will – nicht nur, da sie eine wesentliche
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Aufgabe von Kirche ist, sondern weil durch sie christliche Lebenswirklichkeit, Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit im Hochbildungsmilieu erlebbar und wirksam wird.
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Ahrens, P.-A./Läger-Reinbold, K. (2014): Kirche auf dem Campus. Religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Studierenden. Hannover. Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover. Klessmann, M. (2018): Ambivalenz und Glaube. Warum sich in der Gegenwart Glaubensgewissheit zu Glaubensambivalenz wandeln muss. Stuttgart. Leuzinger-Bohleber, M./Mahler, E. (Hg.) (1983): Phantasie und Realität in der Spätadoleszenz. Gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungsprozesse bei Studierenden. Opladen. Mertens, W. (1992/1994): Entwicklung der Psychosexualität und der Geschlechtsidentität. Bd. 1–2. Stuttgart. Salge, H. (2017): Analytische Psychotherapie zwischen 18–25. Besonderheiten in der Behandlung von Spätadoleszenten (2. Aufl.). Berlin.
2.6 Praxis der Studierendenseelsorge Swantje Eibach-Danzeglocke
Was macht die Besonderheiten des Seelsorgefeldes im Kontext der Universität und Hochschule aus? Wie sieht Seelsorge im Alltag der Studierendengemeinden aus? Welche Menschen begegnen uns? Welche Themen stehen im Mittelpunkt? Welche Strukturen haben sich bewährt? Vor welchen Herausforderungen stehen wir? In Form von thesenartigen Überlegungen werden im Folgenden Annäherungen an diese Fragen unternommen.1
1 Zielgruppen von Seelsorge durch Studierendengemeinden Seelsorgeangebote in Evangelischen Studierendengemeinden sind an alle Hochschulangehörigen adressiert: – Studierende aller Fakultäten (zwischen ca. 17 und 30 Jahren) aus Deutschland und international: folglich Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen; zunehmend auch Studierende mit Migra tionshintergrund und aus bildungsfernen Familien. – Lehrende und Mitarbeitende (wissenschaftlich und nichtwissenschaftlich) an der Universität und an den Hochschulen: auch hier Menschen verschiedener kultureller und religiöser Hintergründe; verschiedene Statusgruppen von der Reinigungskraft bis zum Lehrstuhlinhaber.
1 Redaktionelle Zusammenstellung von Erfahrungen der Kolleg*innen aus der Studierendenpfarrkonferenz der EKiR.
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2 Themen in seelsorglichen Kontexten an Universität und Hochschule Die Vielfalt der Themen, die in seelsorglichen Kontexten an Universität und Hochschule begegnen, lassen sich folgendermaßen strukturieren:
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– Identitätsfragen: Erwachsenwerden; Ablösung von den Eltern; Entscheidungsfindung; Übergänge ins Studium und vom Studium in die Bewerbungsphase bzw. in den Beruf; Verhältnis zur Ursprungsfamilie. – Persönliche Krisen und krisenhafte Themen: Krankheit oder Tod eines nahen Angehörigen oder einer Kommilitonin; familiäre Konflikte; Partnerschaftskonflikte (auch Fragen nach interkultureller und interreligiöser Partnerschaft); Konflikte mit anderen Studierenden und Lehrenden; Misserfolgserfahrungen; Ängste im weitesten Sinn und besonders Prüfungsangst; Erfolgs- und Leistungsdruck; Einsamkeit an einer Massenuni; Missbrauch; Krankheit; Depression; Suchtproblematik. – Lebensorganisation: finanzielle Sorgen; Unterhaltssicherung; Vereinbarkeit von Studium und Jobben; Vereinbarkeit von Karriere und Familie; besonders bei internationalen Studierenden, aber auch bei Bildungsaufsteiger*innen: Orientierungsfragen, die aus mangelnder Vertrautheit mit unserer Gesellschaft und dem Bildungssystem entstehen; Zeitmanagement. – Glaubensfragen: Suche nach einem »erwachsenen Glauben«; Frage nach einem gnädigen bzw. strafenden Gott; Sünde und Beichte (häufig im freikirchlichen Kontext oder aus internationalen christlichen Gemeinden); Fragen nach Gottes Plan für die*den Einzelne*n und die Welt; Sinnfragen; Partnerschaft mit Nichtchrist*innen; bei Lehramtsstudierenden im Fach Ev. Religion und Studierenden im Pfarramtsstudiengang: »Glaube ich genug, um Religionslehrer*in/Pfarrer*in zu werden?«; Sehnsucht nach oder Erleben von einer Gotteserfahrung; Frage nach der Umsetzung gelebten geistlichen Lebens im Hochschulalltag. – Besondere Themen internationaler Studierender: Problematiken im Kontext von Aufenthaltserlaubnis und Asyl; Fragen der Sicherung des Lebensunterhaltes; interkulturelle Herausforderungen im Alltagsund Hochschulleben; Fragen der Identität in Auseinandersetzung mit der gastgebenden Kultur (besonders Rollenidentitäten der Geschlechter); Alltagsrassismus.
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3 Seelsorge als Ausdruck des Glaubens und Kommunikation des Evangeliums Der seelsorgliche Dienst an Menschen im Hochschulkontext entspricht dem Grundanliegen des Evangeliums, Menschen in kritischen, unübersichtlichen und klärungsbedürftigen Lebenssituationen zu unterstützen. Durch die seelsorgliche Haltung und das Tun und Reden wird das Evangelium von der befreienden Kraft Gottes vermittelt, wie es in Jesus Christus unter den Menschen Gestalt gewonnen hat. Die im Evangelium ausgesprochene Zusage, nicht allein und von Gott nicht verlassen zu sein, spiegelt sich auf der Ebene der Menschen in der durch Seelsorger*innen praktizierten Zuwendung, ihre offenen Ohren und ihre professionelle Hilfe. Für das Seelsorgeangebot gibt es weder Vor- noch Einlassbedingungen. Es spiegelt die Annahme des Menschen vor Gott und der Welt ohne Vorbedingung und Leistung. Der Mensch und seine Sorgen und Anliegen stehen im Mittelpunkt. Diese weltoffene Haltung ermöglicht Zugänge, aus denen heraus Anliegen der Universität und der Universitätsangehörigen an die Seelsorger*innen herangetragen werden und die im Kontext des evangelischen Selbstverständnisses und einer theologisch reflektierten Verantwortung thematisiert werden. Seelsorger*innen werden an Universität und Hochschule als verlässliche und kompetente Gesprächspartner*innen der Kirche erlebt. Gleichzeitig sind die ESGn und ihre Seelsorgeangebote in der Wahrnehmung der Studierenden sowie Universitäts- und Hochschulangehörigen Teil dieser Forschungs-, Lehrund Bildungseinrichtungen.
4 Wechselwirkungen von Seelsorge und Gemeindeleben Durch den seelsorglichen Dienst erfahren Menschen die Kirche als eine Gemeinschaft, in der Einzelne gehört sowie als unverwechselbare Individuen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Die Kirche wird als eine besondere Gemeinschaft erlebt, in der Kritisches und gleichsam Unsägliches zur Sprache kommen und geklärt werden kann. Auf diese Weise wendet die Kirche sich den Menschen zu, sodass sie positive Erfahrungen mit der Kirche machen können. Die Altersgruppe der Studierenden würde, wenn die ESGn mit ihren Lebensberatungs- und Seelsorgeangeboten nicht direkt in ihrer Lebenswelt präsent wären, kaum den Weg zu einem*r (Orts-)Gemeindepfarrer*in finden, mit Aus-
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nahme vielleicht von hochverbundenen Kirchenmitgliedern. Die Präsenz der Kirche mit ihren Seelsorgeangeboten an den Orten, an denen die jungen Menschen leben und arbeiten, ist der Weg, auf dem sie mit Kirche in Berührung kommen. Nicht selten sind die Seelsorgegespräche in den ESGn erstmals nach langer Zeit oder erstmals im Status der Erwachsenen Gespräche mit Vertreter*innen der Kirche. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen steht zu erwarten, dass diese Gespräche den Eindruck auf die eigene zukünftige Beziehung zur Kirche prägen. Seelsorge und Gemeindeaufbau greifen bisweilen Hand in Hand und bereichern sich gegenseitig. Eine wichtige Erfahrung im seelsorglichen Dienst an Studierenden besteht darin, dass sie die Kirche nicht nur als eine Institution, sondern als Gemeinschaft und Gemeinde vor Ort direkt erfahren. Nicht selten interessieren sich Studierende, die seelsorglich begleitet wurden, für die Gemeinschaftsangebote der ESGn und finden neue Kontakte. Durch die Erfahrung »Kirche ist da, wenn ich sie brauche« werden Studierende offen für die bestehende Arbeit der ESGn. Bei einigen führt der Weg über die Seelsorge später auch in die Gemeinde; bei anderen führt der Weg nicht dahin oder zumindest nicht an diesem Ort. Die seelsorgliche Begegnung steht für sich und hat ihren Wert in sich. Bei Menschen, die sich bereits in der Gemeinde engagieren, vertieft sich durch seelsorgliche Gespräche meist das Gefühl der Zugehörigkeit. Studierende erleben in den ESGn Peer-Gemeinschaft – eine Gemeinschaft mit Gleichaltrigen und in vergleichbaren Lebenssituationen. Für diese Form des Erlebens von Gemeinschaft in der Kirche sind ESGn für junge Erwachsene singuläre Erfahrungsräume. In einer sehr sensiblen Phase der für das Leben prägenden Orientierung bieten ESGn den Studierenden exklusiv eine Gelegenheit, religiöse und kirchliche Gemeinschaftserfahrungen zu machen und dabei verlässlich, professionell und zielgruppenspezifisch begleitet zu werden. Beruflich an der Universität Arbeitende erleben die ESGn als eine verlässliche und präsente Partnerin für unterschiedlichste Anliegen: Seelsorge, Lebensberatung für eigene Themen oder als Ort, an den sie Studierende verweisen können, als Sozialraum, als lebendige und einladend gestaltete Gemeinschaft, als interreligiösen und interkulturellen Raum und Lernort, als Kooperationspartnerin für Veranstaltungen, als »Kirche in der Arbeitswelt«. Wann, wo und wie geschieht Seelsorge? Zwischen Tür und Angel, z. B. in der Mensa bei der Geschirrrückgabe, gar nicht so selten verabredet von sehr aktiven Mitgliedern, aber auch von Menschen, die vorher keinen Kontakt zur ESG hatten, aber dadurch einen positiven Bezug zur Kirche bekommen. Nicht selten vermitteln auch Professor*innen (der Ev. Theologie) Studierende an die ESG zu einem Seelsorgegespräch, wenn der Rahmen dessen, was in einer Sprechstunde im Hochschulkontext gewährleistet werden kann, überschritten wird.
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5 Kooperationen im Raum der Hochschule Regelmäßige Kontakte zu den Rektoraten bzw. Präsidien bilden die Grundlage für die Einbindung der ESGn in die universitären Kommunikationsströme und Unterstützungsnetzwerke. In den ESGn gibt es gute Erfahrungen mit dem kollegialen Austausch über die bestmögliche Weise, Studierende durch Gespräche, aber auch durch andere Angebote bis hin zur finanziellen Unterstützung (Nothilfe) zu begleiten. Dazu bedarf es des stetigen Austauschs der in der Seelsorge und Beratungsarbeit in den ESGn Tätigen. In den ESGn bestehen regelmäßige Kontakte der Seelsorger*innen u. a. mit den Psychologisch-Psychotherapeutischen Beratungsstellen der Studierendenwerke, den Studienberatungen, den Arbeitskreisen an Universität und Hochschule (z. B. Arbeitskreis »Umgang mit psychischen Belastungen« oder Arbeitskreis »Willkommenskultur«) und den Beratungseinrichtungen der evangelischen Kirche der Region.
6 Gesellschaftliche Bedeutung des seelsorglichen Dienstes an der Hochschule Die Orte, an denen Menschen ihr Innerstes samt ihren Gefühlen so aussprechen können, dass diese gehört und nicht von anderen Interessen überlagert oder zur Seite geschoben werden, sind in der Gesellschaft rar. Der seelsorgliche Dienst ist einer jener Orte, an denen Studierende und Hochschulangehörige darauf aufmerksam werden, dass Kirche und Gesellschaft samt den Ausbildungsorten Universität und Hochschule von Kommunikation, Verständigung, Gemeinschaft und gegenseitigem Respekt leben. In der Studierendenseelsorge geht es darum, junge Erwachsene auf ihrem Weg zu stärken. Angeboten wird ihnen ein geschützter Raum zur Reflexion persönlicher Fragen, Themen und Werte. Allgemein in der ESG-Arbeit und besonders in der Seelsorge regen die Seelsorger*innen zu einem eigenständigen und kritischen Denken an. Die Gesellschaft braucht Menschen, die persönlich für ihre Überzeugungen einstehen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Sie braucht befreite und mutige Menschen, die in ihrem Denken und Tun Weite zeigen. An Universitäten und Hochschulen studieren künftige Leistungs- und Verantwortungseliten. Die Präsenz auf dem Campus insbesondere durch Pfarrer*innen ist gerade an einer religionsneutralen Bildungseinrichtung Ausdruck einer
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positiven Religionsfreiheit und entspricht damit der verfassungsrechtlichen Grundlage im Verhältnis von Kirche und Staat. Mit Blick auf die religionskritischen Stimmen in Universität und Hochschule ist der seelsorgliche Dienst in diesem Kontext von einer nicht zu überschätzenden gesellschaftlichen Relevanz. Die ESGn sind Agentinnen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs, werden von den Universitäts- und Hochschulleitungen als solche wahrgenommen und auch beratend genutzt. Zwei Beispiele: ESGn richten interreligiöse Trauerfeiern für verstorbene Studierende aus. Und ESGn werden in die Konzeption und den Betrieb von Räumen der Stille eingebunden (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Die diakonische Dimension der Studierendenseelsorge, besonders in der Beratung internationaler Studierender und deren finanzieller Unterstützung, hat eine entwicklungspolitische und globale Bedeutung. Diese wird an der Universität und Hochschule genau wahrgenommen und geschätzt. In summa: An Universität und Hochschule wird die Kirche in Gestalt von Seelsorge und Beratung – auch von internationalen Studierenden – als eine relevante Größe sichtbar und kenntlich.
7 Seelsorge unter sich verändernden kirchlichen und gesellschaftlichen Bedingungen Neben den klassischen Gesprächssituationen des seelsorglichen Dienstes, die erhalten und weiter kultiviert werden sollten, wird es auch zukünftig um niederschwellige Zugänge zur Seelsorge gehen: von offenen Sprechstunden bis hin zu digitalen Gesprächsangeboten. Der seelsorgliche Dienst in den ESGn geschieht durch Studierendenpfarrer*in nen und ESG-Referent*innen für die Beratung internationaler Studierender. Beide Berufsgruppen haben dazu einschlägige Ausbildungen. Die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des kirchlichen Engagements sind nicht zuletzt von der professionellen Ausfüllung des Dienstes der Beschäftigten abhängig. Darüber hinaus können perspektivisch auch andere Berufsgruppen die Arbeit der ESGn hauptamtlich unterstützen. Zu denken ist dabei an Menschen aus anderen Berufen, die eine auf die Wahrnehmung des Menschen und auf Gesprächsführung sowie auf interkulturelle Fragestellungen bezogene Qualifikation haben. In jedem Fall bedarf es einer großen interdisziplinären Gesprächsfähigkeit, interkultureller Offenheit und einer vom christlichen Menschenbild geprägten Grundhaltung. Dabei bleibt es wichtig, nah an der Lebenswirklichkeit der Studierenden und der Universitäten und Hochschulen
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zu sein: vor Ort, unkompliziert, beweglich und vertraut mit den Strukturen und Anforderungen der jeweiligen Einrichtung. Besonders in der schnelllebigen Hochschulwelt sind Präsenz, Kontinuität und Zuverlässigkeit von großer Bedeutung, damit Vertrauen in seelsorglichen Beziehungen, aber auch in das institutionelle Angebot aufgebaut und erhalten werden kann.
8 Ausblick – ehrenamtliche Seelsorger*innen in ESGn In vielen Seelsorgefeldern der Kirchen ist der Einsatz von ehrenamtlich Mitarbeitenden zu einer tragenden Säule der Seelsorge geworden und wird noch an Bedeutung gewinnen. Dem liegen notwendigerweise sehr sorgfältige Ausbildungen der Ehrenamtlichen zugrunde, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Solch eine Struktur lässt sich mit der Lebensrealität von Studierenden nur schwer vereinbaren. Nach Ende einer entsprechenden Ausbildung bliebe bis zum Studienende häufig nur noch ein sehr kleines Zeitfenster für den Einsatz als ehrenamtlich Seelsorgende in den Studierendengemeinden. Außerdem liegt das Mindestalter für den Zugang zu solchen Ausbildungen häufig bei 25 Jahren. Dennoch ist gerade in der Arbeit mit jungen Erwachsenen der Bedarf von ehrenamtlicher Seelsorge aus einer vergleichbaren Lebenssituation heraus – von Studierenden für Studierende – gegeben. Daher wird in der Evangelischen Kirche im Rheinland zurzeit ein Konzept erarbeitet, das sich sowohl in der Konzentration der Themenfelder als auch in der Gesamtdauer der Ausbildung (max. 9 Monate) an die Lebenswirklichkeit von Studierenden anpasst. Entsprechend der reduzierten Ausbildung soll und muss das Handlungsfeld der so Ausgebildeten begrenzt sein auf Seelsorge »peer to peer« – also im studentischen Kontext und eng angebunden an die supervisorische Begleitung durch ESG-Pfarrer*innen. Ein studentisches Seelsorgeformat existiert bereits in der studentischen Telefonseelsorge der ESG Hamburg (siehe dazu Artikel 2.7 in diesem Handbuch).
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2.7 Studentische TelefonSeelsorge® Christof Jaeger
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Die Studentische TelefonSeelsorge (STUTS) der ESG Hamburg ist Teil der TelefonSeelsorge Deutschland und darin die einzige Dienststelle, in der ausschließlich Studierende telefonieren. Im Folgenden soll ihr Konzept skizziert werden.
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2 1 Geschichte 1976 gründete Uwe Böschemeyer die STUTS in der ESG Hamburg. Er hatte damals als Pastor in der ESG die Idee eines telefonischen Gesprächsangebotes von Studierenden für Studierende, um den Überforderungen im Studienalltag an der wachsenden Massenuniversität zu begegnen. Eine kleine Gruppe von Studierenden besetzte die Telefondienste von 20.00 Uhr bis 24.00 Uhr und wartete in den ersten Monaten oft lange auf Anrufe. Heute gehen jährlich über 2.000 Anrufe ein, und die STUTS besteht schon seit einigen Jahrzehnten in der Regel aus etwa 50 ehrenamtlichen Studierenden, einem*r hauptamtlichen Koordinator*in, einem*r Pfarrer*in als Leitung und einem*r Diplom-Psycholog*in als Co-Leitung.
2 Angebot für die Anrufenden Das Kernangebot der STUTS ist seit ihrer Gründung gleichgeblieben. Jeden Abend zwischen 20.00 Uhr und 24.00 Uhr sind Studierende telefonisch erreichbar, die nach den Qualitätsstandards der TelefonSeelsorge Deutschland ausgebildet in einer seelsorglichen Haltung für die Anrufenden da sind. Dabei geben sowohl die Anrufenden wie auch die Telefonseelsorger*innen ihre Identität nicht preis. Auch der Ort des Telefonierens ist nicht öffentlich, damit die Mitarbeitenden in einem geschützten Raum arbeiten können. Alle Telefonseelsorger*innen studieren. Deswegen sind ihnen die Lebensumstände von jungen Menschen, insbesondere von Studierenden, besonders
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vertraut. Aber grundsätzlich sind alle Anrufenden willkommen und können sich mit ihren Anliegen an die Seelsorger*innen wenden. Die Wahrung des Seelsorgegeheimnisses und weltanschauliche Neutralität werden garantiert. Zu Ausbildungszwecken hospitieren bei manchen Anrufen angehende Telefonseelsorger*innen. Durch eine elektronisch gespeicherte Ansage werden diese Hospitationen den Anrufenden vor Beginn des Gesprächs angekündigt. Wer damit nicht einverstanden ist, kann auflegen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder anrufen.
3 Wer arbeitet mit? Studierende aller Fächer der Hochschulen in Hamburg und Umgebung können grundsätzlich mitarbeiten. Allerdings gibt es besonders viel Interesse aus Fächern, die schon von ihrem Gegenstand her eine Mitarbeit nahelegen. So ist traditionell der Anteil der Psychologiestudierenden in der STUTS hoch. Auch Theologiestudierende stellen einen größeren Anteil. Daneben finden sich andere Fächer von Archäologie über Jura bis hin zu Technomathematik. In den meisten Dienststellen der TelefonSeelsorge Deutschland darf die Ausbildung zur Telefonseelsorger*in erst in einem Alter ab 25 Jahren begonnen werden. Tatsächlich liegt der Altersdurchschnitt der Mitarbeitenden dort erheblich höher. In der STUTS sind die meisten Mitarbeitenden zwischen 20 und 25 Jahre alt. Darüber hinaus gibt es ältere Studierende, die zuvor schon ein anderes Studium oder eine Berufsausbildung abgeschlossen und gearbeitet haben. Auch Promotionsstudierende arbeiten mit, erst mit dem Verlust des Studierendenstatus endet die Mitarbeit zwingend. Daraus ergibt sich ständige Fluktuation und die Notwendigkeit, in jedem Semester eine neue Ausbildungsgruppe zu starten. Zur Bewerber*innenauswahl: Der Erstkontakt von Bewerber*innen wird von der STUTS-Koordinatorin gestaltet. Per Mail oder Telefon klärt sie die formalen Voraussetzungen für eine eventuelle Mitarbeit ab. Dabei stehen zunächst der Studierendenstatus und die Verpflichtung zur zweijährigen Mitarbeit im Vordergrund. In einer zweiten Stufe werden alle verbleibenden Bewerber*innen zu einem persönlichen Vorgespräch eingeladen. In diesem Gespräch können die Voraussetzungen individuell geklärt und weitergehende Fragen beantwortet werden. Erst in einem dritten Schritt kommt es zum eigentlichen Bewerbungsgespräch, das zwei erfahrene Studierende zusammen mit der Koordinatorin, der Co-Leitung und der Leitung gemeinsam führen. In diesem 30–45-minütigen Gespräch steht die Person des*r Bewerbers*in im Mittelpunkt. Kriterien
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für die Auswahl sind unter anderem die Kontaktgestaltung der Bewerber*in im Gespräch, ihre Verbindung zu eigenen Empfindungen und Gedanken im Moment des Gesprächs, ihre Selbsterfahrungsbereitschaft und Motivation für die Ausbildung und Arbeit am Telefon, ihre Belastbarkeit und zeitliche Flexibilität, ihr Umgang mit Andersdenkenden und die Integrationsfähigkeit in die Ausbildungs- und Gesamtgruppe. Schließlich bildet die Zusammensetzung der Gruppe ein weiteres wichtiges Kriterium bei der Auswahl. Deswegen wird über die Zulassung zur Ausbildung erst nach Abschluss aller Bewerbungsgespräche entschieden.
4 Wer ruft an?
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Um 20.14 Uhr klingelt das Telefon. Eine junge Frau spricht atemlos in gebrochenem Deutsch von ihrem Tag. Sie sei bei der Arbeit kritisiert worden – ohne zu verstehen warum. Sie habe diese Kritik als persönlichen Angriff erlebt und konnte diesen Druck kaum aushalten. Sie berichtet, dass sie in psychotherapeutischer Behandlung sei, aber im Moment keinen Zugang zu ihrem Therapeuten habe. Ihre Hausärztin sei im Urlaub und sie habe deren Vertretung am Nachmittag in verzweifelter Verfassung aufgesucht. Dort habe sie den zweiten schweren Schlag erlebt, als diese sie ausgelacht und zurechtgewiesen habe, sie solle sich erwachsen benehmen. Morgen stehe eine wichtige Klausur in ihrem Studium an, und jetzt sucht die Anruferin nach Unterstützung, um wieder zur Ruhe zu kommen. Um 21.07 Uhr klingelt das Telefon, und eine junge Männerstimme erzählt davon, dass er seinen Vater mit einer ihm unbekannten Frau überrascht habe. Die beiden hätten eine Affäre, obwohl sein Vater in einer dauerhaften Beziehung gebunden sei. Diese feste Freundin bezeichnet der Anrufer als seine Stiefmutter. Sie erwarte zudem ein Kind von dem Vater des Anrufers. Die Beziehung zu seiner Stiefmutter sei gut und er fühle sich ihr gegenüber verpflichtet, den Vertrauensbruch des Vaters offenzulegen. Sein Vater weigere sich bisher, die Affäre zu gestehen. In diesem Dilemma sehe er sich gefangen und halte die Spannung nur schwer aus. Er könne sich kaum noch konzentrieren und sei schon länger nicht mehr zur Uni gefahren. Um 22.14 Uhr klingelt das Telefon. Auf die übliche Begrüßung »Studentische TelefonSeelsorge , guten Abend!« bleibt es zunächst still. Leichte Atemgeräusche sind wahrnehmbar. Nach einer Weile spricht eine kindliche, männliche Stimme: »Ich will einfach nur da sein«. Eine Antwort
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erwartet der Anrufende gar nicht. Stattdessen erzählt er, dass er schon öfter angerufen habe. Er duzt die Telefonseelsorgerin und berichtet, dass er allein sei. Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass mit dem Alleinsein die Abwesenheit anderer Persönlichkeitsanteile von ihm gemeint ist. Offenbar ruft ein erwachsener Mann mit dem Persönlichkeitsanteil eines fünfjährigen Jungen an. Er sagt, er sei traurig. Er wolle aber nicht über diese Traurigkeit sprechen. Dadurch werde er nur noch trauriger. Er schwärmt von früheren Gesprächen bei der TelefonSeelsorge , in denen er Geschichten vorgelesen oder erzählt bekommen habe. Er freut sich, in seiner Einsamkeit nicht allein sein zu müssen, und erzählt die Geschichten, die er noch erinnert. Er erzählt auch von anderen Persönlichkeitsanteilen, die ihm Bücher bestellt haben. Dann könne er sich Geschichten vorlesen lassen, z. B. von dem Therapeuten, zu dem er regelmäßig gehe. Nach etwa zwanzig Minuten will der Anrufer schlafen gehen, und die Telefonseelsorgerin beendet das Gespräch. Um 23.31 Uhr klingelt das Telefon. Eine aufgeregte Männerstimme spricht etwas verwaschen und unverständlich. Er habe eigentlich die Rettung, Polizei oder Feuerwehr, anrufen wollen. Dort würde er aber keine Hilfe mehr bekommen. Ihm sei die Nummer der TelefonSeelsorge gegeben worden. Er fühle sich bedroht. Auf seinem Kopf seien Monster. Aber er dürfe nicht mehr bei der Feuerwehr anrufen. Er sehne sich danach, ernst genommen zu werden. Diese Inhalte kristallisieren sich erst im Verlaufe heraus, weil seine Sprache nicht nur akustisch schwer zu verstehen ist. Die Gedanken springen, die innere Logik ist gebrochen, seine Stimmung aufgebracht und erregt. Im Verlauf des Gesprächs wird er etwas ruhiger.
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Diese Fallvignetten geben einen Eindruck der Vielfalt einiger Anrufe an einem ganz gewöhnlichen Abend. Es rufen Menschen jeden Alters an, nur Kinder erreichen die STUTS so gut wie nie. Häufig wird im Gespräch nicht deutlich, ob die anrufende Person studiert oder nicht. Aus dem anfänglichen Angebot von Studierenden für Studierende hat sich der Nutzerkreis sehr schnell erweitert. Jede*r ist willkommen. Wie in der allgemeinen TelefonSeelsorge gibt es einen hohen Anteil von Anrufenden, die mehrfach oder sogar regelmäßig anrufen. Diese Menschen haben häufig kaum soziale Kontakte. Sie nutzen die STUTS als verlässliches Gegenüber, das ein offenes Ohr für den schwierigen Alltag mit seinen Problemen, aber auch glücklichen Momenten hat. Das Themenspektrum der Anrufe lässt sich kaum eingrenzen. Neben privaten und studienbezogenen bzw. beruflichen Alltags- und Beziehungsproblemen,
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Entscheidungsfragen bezüglich des weiteren Studien- bzw. Ausbildungswegs oder privater Kontakte oder Prüfungsängste rufen auch Menschen in schweren akuten bis hin zu suizidalen Krisen an, um damit nicht allein zu bleiben. Der Anteil von psychisch kranken Menschen ist hoch. Dabei findet sich das ganze Spektrum psychischer Störungen von Depression über Schizophrenie bis hin zu dissoziativen Identitätsstörungen. Einen Eindruck davon vermitteln die Fallvignetten. Menschen mit Persönlichkeitsakzentuierungen oder -störungen rufen überproportional häufig an. Auch Identitäts- und Sinnfindungskrisen lassen Menschen zum Telefonhörer greifen. Manche Anrufende wollen explizit über ihren Glauben sprechen, setzen sich mit eigener Schuld in der Lebensgeschichte auseinander oder zweifeln an ihrer Geschlechtsidentität. Sogar die eigene Sterblichkeit, das Alter mit seinen besonderen Herausforderungen und die Schwierigkeiten mit Abhängigkeiten durch eigene zunehmende Pflegebedürftigkeit werden im Kontakt mit den studentischen Telefonseelsorger*innen thematisiert. Leider kommen auch missbräuchliche Anrufe mit sexualisiertem Inhalt, Scherzanrufe oder aggressives Verhalten am Telefon vor.
5 Ausbildung, Supervision und Fortbildung Um für die unvorhersehbaren Herausforderungen am Telefon gut vorbereitet zu sein, werden die angehenden Telefonseelsorger*innen zwei Semester lang etwa 150 Stunden lang ausgebildet. Die Ausbildungsgruppe besteht meist aus acht bis zehn Studierenden, die während der Ausbildungszeit zu einer engen Gemeinschaft zusammenwachsen. Dabei gliedert sich die Ausbildung zum einen in die Ausbildungssitzungen während des Vorlesungsbetriebs der Universität Hamburg, jeweils drei Stunden wöchentlich zu einem festen Termin, und zum anderen in die etwa drei Hospitationen monatlich an den Abenden. Während des Semesters können und sollen besondere Erfahrungen aus den Hospitationen in die Ausbildungssitzungen eingebracht und dort reflektiert werden. In den Semesterferien findet alle zwei Wochen eine eigene Hospitationssupervisionssitzung statt, um auch in dieser Zeit die Erfahrungen am Telefon reflektieren zu können. Durch die Verzahnung von Hospitationen und Ausbildungssitzungen wird der Transfer zwischen Theorie in der Ausbildung und Praxis an den Abenden erleichtert. Beim Hospitieren hören die Auszubildenden erfahrenen Telefonseelsorger*innen zu und erleben beide Seiten des Seelsorgegesprächs aus unmittelbarer eigener Erfahrung. Darauffolgende Nachgespräche reflektieren die jeweiligen Eindrücke und sensibilisieren für die unterschiedliche Wahrnehmung und
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Deutung der Gesprächsdynamik. Erleben und Vorgehen im Gespräch können hinterfragt, alternative Ideen können eingebracht und diskutiert, Belastendes kann gemeinsam getragen und verarbeitet werden. Als zusätzliche Sicherheit ist die Leitung der STUTS jeden Abend im Hintergrund telefonisch erreichbar und für eine akute Notfallsupervision verfügbar. Vor Beendigung der Ausbildung hospitiert die Leitung der STUTS einen Abend lang bei jeder*m Auszubildenden. Gemeinsam werden die erlebten Gespräche und die Seelsorgehaltung reflektiert. Schließlich werden alle vollständig ausgebildeten Telefonseelsorger*innen nach einer Zeit des Telefonierens ohne Hospitierende in einer Feier eingesegnet. Nun haben sie selbst so viel Erfahrung gewonnen, dass die Nachfolgenden bei ihnen hospitieren und langsam in die Rolle der Telefonseelsorger*innen hineinwachsen können. Alle fertig ausgebildeten Telefonseelsorger*innen sind zu regelmäßiger Supervision verpflichtet. Während der Vorlesungszeit finden feste Supervisionsgruppen statt, die sich im 14-tägigen Rhythmus für 90 Minuten treffen. Dort ist Raum für die Bearbeitung und Reflexion von Erfahrungen am Telefon in der Gruppe. Zusätzlich besteht die Möglichkeit zur Einzelsupervision, wenn die berührten Themen eine Besprechung in der Gruppe erschweren oder deren Dringlichkeit keine Wartezeit bis zur nächsten Sitzung zulassen. In den Semesterferien gibt es Feriensupervisionssitzungen, die mit wechselnder Besetzung der Telefonseelsorger*innen stattfinden. So ist gewährleistet, dass alle Telefonierenden ihre Praxis regelmäßig in der Supervision reflektieren und sich weiterentwickeln können. Daneben gibt es Fortbildungsangebote: z. B. ein Wochenende im Jahr in einem Tagungshaus, an dem gemeinsam zu einem Thema gearbeitet wird, oder kleinere Tages- und Abendveranstaltungen zu unterschiedlichen Fortbildungsthemen. In den Semesterferien erhält jede*r Mitarbeiter*in ein Einzelgespräch mit der Leitung, in dem die eigene Entwicklung in der STUTS zum Thema wird. Darüber hinaus sind weitere Gespräche möglich, um die persönliche Entwicklung zu begleiten, die durch die Erfahrungen der Ausbildung und der Arbeit am Telefon angestoßen wird.
6 Inhalte und Ziele der Ausbildung Die Vielzahl der möglichen Themen und Herausforderungen eines Telefondienstes in der TelefonSeelsorge machen es unmöglich, in der Ausbildung alle Eventualitäten im Einzelnen vorzubereiten und zu üben. Stattdessen gilt es, eine universelle Haltung zu entwickeln, die angemessenes Reagieren in unterschiedlichen Gesprächssituationen ermöglicht.
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In der STUTS hat sich die Grundhaltung des personenzentrierten Ansatzes von Carl Rogers am Telefon und auch im sonstigen Miteinander bewährt. Im Zentrum steht dabei die Authentizität. Wer sich selbst authentisch als Gegenüber in ein Gespräch einbringen kann, wird als Partner*in im Gespräch erlebt. Kein Expertenwissen ist gefragt, um der anrufenden Person zu erklären, wie eine bestimmte Situation am besten bewältigt werden kann. Stattdessen prägt das Vertrauen das Gespräch, dass die anrufende Person in einer förderlichen Atmosphäre selbst entdeckt, was ihr guttut. Voraussetzung dafür ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Die Telefonseelsorger*innen zeigen sich als Menschen mit ihren Gedanken und Gefühlen echt und wahrhaftig. Natürlich kann diese Authentizität immer nur selektiv sein. Nicht alles, was ich innerlich erlebe, hat in einer Begegnung Platz. Aber das, was ich mitteile, darf und soll authentisches inneres Erleben widerspiegeln. In der ersten Fallvignette wäre das vielleicht eine echte Betroffenheit darüber, was der Anrufenden am Tag bei der Arbeit und beim Arzt widerfahren ist. Vielleicht wäre da außerdem Anerkennung dafür, was die Anrufende alles unternommen hat, um sich Hilfe zu holen: erst der Gang zum Arzt und trotz der verstörenden Erfahrung dort der Griff zum Telefon und der Anruf bei der STUTS. Um am Telefon reflektiert authentisch sein zu können, muss den Telefonseelsorger*innen die eigene Innenwelt vertraut und zugänglich sein. Deswegen kommt Selbsterfahrung in der Ausbildung ein sehr hoher Stellenwert zu. Sowohl in biografischer Arbeit als auch in der ständigen Auseinandersetzung mit der inneren Welt in Anfangs- und Abschlussrunden, in Reflexion von Erlebnissen in Rollenspielen und Hospitationen und in thematischem Austausch in Kleingruppen oder dem Plenum richtet die Ausbildung den Blick nach innen, auf die Wahrnehmung der eigenen Handlungsimpulse, Gefühle, Gedanken und Körpersignale. Die Versprachlichung dieser Wahrnehmungen wird regelmäßig geübt. Dieser Prozess hört auch nach der Ausbildung nicht auf, sondern begleitet die Arbeit in Supervision und Fortbildungen weiter. Auf diese Weise wirkt die STUTS nicht nur bei der Befähigung für die Aufgaben am Telefon, sondern darüber hinaus bei der Persönlichkeitsbildung der Mitarbeitenden. Damit sich jemand traut, auch unangenehme oder zunächst fremde, vielleicht sogar peinliche, schambesetzte innere Wahrnehmungen zuzulassen und mitzuteilen, ist eine Haltung der unbedingten Wertschätzung wichtig. Diese Haltung bestimmt das Miteinander in der Ausbildung, sodass die Selbsterfahrung nicht bloß die blankgeputzte Alltagsfassade der Studierenden sichtbar macht, sondern auch weniger vertraute Anteile der eigenen Person. Der Schutz des Rahmens und die Schaffung eines vertrauensvollen Miteinanders sind wichtige Voraussetzungen für das Gelingen einer unbedingten Wertschätzung. Wenn
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diese Atmosphäre des Angenommen-Seins verinnerlicht wird, kann sie auch in den Gesprächen mit den Anrufenden als Grundhaltung wirksam werden. In der dritten Fallvignette würde sich die Haltung der unbedingten Wertschätzung vielleicht darin zeigen, dass der Anrufende trotz seiner ungewöhnlichen Kontaktaufnahme als fünfjähriger Junge ernst genommen wird. Weder wird ihm eine manipulative Absicht unterstellt noch eine angemessen erwachsene Beziehungsgestaltung eingefordert. So, wie er sich präsentiert, ist es in Ordnung. Getragen von einer guten Selbstwahrnehmung und der Haltung der unbe dingten Wertschätzung kann der*die Telefonseelsorger*in sich empathisch in die Innenwelt der Anrufenden einfühlen. Die Kunst besteht darin, dabei den Kontakt zu sich selbst nicht zu verlieren und dennoch möglichst dicht an das Erleben der Anrufenden heranzukommen und ihre Sicht auf sich und die Welt zu erspüren. In der vierten Fallvignette bedeutet das, sich auf die verwirrend fremde Erlebniswelt des Anrufenden einzulassen und die Bedrohlichkeit seiner Situation wahrzunehmen und zu versprachlichen. Es tut nichts zur Sache, ob tatsächlich Monster auf seinem Kopf sind. Seine emotionale Gestimmtheit teilt sich mit und berührt den*die Telefonseelsorger*in. Auf dieser Ebene kann der Kontakt gelingen und der Anrufende Verständnis und Entlastung erfahren. Es ist leicht zu erkennen, dass die drei Grundhaltungen Authentizität, unbe dingte Wertschätzung und Empathie nicht ohne Spannungen zueinander stehen. Aus diesem produktiven Spannungsverhältnis lassen sich wichtige weitere Aufgaben am Telefon ableiten. Die Regulierung von Nähe und Distanz in einem Gespräch und damit auch der Schutz der eigenen Grenzen lässt sich aus dem Bemühen um authentische Wahrung eigener Interessen auf der einen Seite und der empathischen Offenheit auf der anderen Seite verstehen. Auch diese Herausforderung verlangt eine rasche und differenzierte Selbstwahrnehmung, um das Erreichen der eigenen Grenzen in einem Gespräch rechtzeitig zu spüren und dann adäquat darauf zu reagieren. In der zweiten Fallvignette wäre es zum Beispiel möglich, dass ein*e Telefon seelsorger*in mit seiner*ihrer eigenen Erfahrung der frischen Trennung seiner*ihrer Eltern konfrontiert wird. Sie*Er muss für sich entscheiden, wie weit sie*er für den Anrufenden und seine Geschichte offenbleiben kann. Überfordert sie*ihn die Nähe zu ihren*seinen eigenen Erfahrungen, wäre es sinnvoll, das Gespräch lieber zu beenden und auf andere Hilfsangebote zu verweisen. Die Alternative würde sie*ihn womöglich aus der Seelsorgerolle herausfallen und die eigene Geschichte in den Mittelpunkt rücken lassen – z. B. durch das unreflektierte Ausagieren von Gegenübertragungen. Ein weiteres Beispiel für die Wichtigkeit einer wachen Verbindung zu eigenen Grenzen sind sexualisierte Anrufe, in denen die Telefonseelsorger*innen sich vor Übergriffen schützen müssen.
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Die Fallvignetten zeigen, dass Informationen zu ausgewählten psychischen Störungen zur Vorbereitung der Arbeit am Telefon sinnvoll sind und deswegen zur Ausbildung dazugehören. Dabei steht die persönliche Auseinandersetzung mit dem typischen inneren Erleben einer psychischen Störung im Mittelpunkt. Dahinter steht die Grundüberzeugung, dass psychische Störungen nur besonders ausgeprägte Formen menschlichen Erlebens und Verhaltens darstellen, die prinzipiell auch anderen Menschen zugänglich und nachvollziehbar sind. Auch wenn nicht alle Themen, die Anrufende an die STUTS herantragen, schon in der Ausbildung besprochen werden können, gibt es dennoch einige, die in der Ausbildung Platz haben. Das Wichtigste ist die suizidale Krise, die für alle angehenden Telefonseelsorger*innen eine besondere Herausforderung darstellt. Auch hier bildet die Selbsterfahrung die Basis für die Erarbeitung. In der Begegnung mit suizidalen Anrufenden bleiben dieselben Grundhaltungen gültig wie in anderen Gesprächen. Niemand muss plötzlich in einen anderen Modus umschalten und sich selbst den Auftrag erteilen, den Anrufenden von dem unendlichen Wert des Lebens zu überzeugen. Im Gegenteil liegt die besondere Chance der anonymen Seelsorge am Telefon darin, dass Anrufende in ihrer Ambivalenz zwischen der Sehnsucht nach einem anderen, erfüllenden Leben und der Idee, der Qual des unerträglichen momentanen Lebens durch den Suizid zu entfliehen, ernst genommen werden. Wenn diese inneren Spannungen mit beiden Polen zugelassen und erkundet werden können, finden Anrufende Entlastung und im besten Fall neue Perspektiven für sich. Sowohl die Grundhaltungen wie auch die Auseinandersetzung mit wichtigen Gesprächs- bzw. Lebensthemen und psychischen Störungen werden nicht bloß theoretisch besprochen und mit Selbsterfahrungsanteilen unterfüttert, sondern auch in Rollenspielen geübt. Dadurch und durch den Bezug zu realen Gesprächen aus den Hospitationen überwindet die Ausbildung den Abstand zwischen Theorie und Praxis und wird als eigene Haltung verfügbar.
7 Gemeinschaft Vertrauen bildet die wichtigste Grundlage des Miteinanders in der STUTS. Die Anrufenden schenken der STUTS ihr Vertrauen und öffnen sich am Telefon mit ihren teilweise sehr intimen Problemen. Der Wert des Angebotes für die Anrufenden erschließt sich unmittelbar und rechtfertigt den erheblichen Aufwand von Ausbildung, Supervision und Fortbildung für die Mitarbeitenden. Darüber hinaus entsteht zwischen den Mitarbeitenden eine ganz eigene Form der Gemeinschaft, die ebenfalls von großem Vertrauen getragen ist.
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Ausgehend von der engen Vertrautheit innerhalb der Ausbildungsgruppe wächst auch in der Gesamtgruppe durch die Erfahrung gemeinsamer Dienste und intensiver Nachgespräche bei Hospitationen und die gemeinsamen Supervisionen und Fortbildungen eine besondere Verbundenheit. Spürbar wird das besonders bei den Zusammenkünften im Semester, bei denen langjährige Mitarbeitende verabschiedet und die Absolvent*innen der Ausbildung eingesegnet werden. In den Abschiedsworten und beim Blick zurück auf die Ausbildung wird das persönliche Wachstum der Mitarbeitenden besonders spürbar. Der Blick zurück offenbart den langen individuellen Lernweg, der sich nicht auf Lehrbuchwissen beschränkt, sondern die Persönlichkeit mitgeformt hat. Der Geist, der diese Treffen und das Miteinander in der STUTS bestimmt, lässt sich als Heiliger Geist beschreiben, der Vertrauen schafft, inspiriert und Segen wirkt. Diese Segenskraft wirkt jedes Semester neu und hat in der über vierzigjährigen Geschichte der STUTS schon Generationen von Studierenden, die bis dahin vielfach gar keinen Bezug zu Kirche und Glauben hatten, berührt und verwandelt.
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2.8 Seelsorge in Präparierkursen der Human- und Zahnmedizin und in Kursen zur Vermittlung versuchstierkundlicher Sachkompetenz Niclas Förster
1 Einleitung
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Die Seelsorge in den Lehrkursen für makroskopische Anatomie (meist »Prä parierkurse« genannt) der Human- und Zahnmedizin bzw. während der Tiertötungen im Rahmen der Kurse zur Vermittlung versuchstierkundlicher Sachkompetenz (FELASA B-Kurse) stellt eine besondere Form der seelsorgerlichen Begleitung an einem nichtkirchlichen Ort dar. Sie wurde ursprünglich auf Wunsch der Studierenden bzw. der Professor*innen der jeweiligen medizinischen Fächer eingeführt. Hatte nämlich die Humanmedizin bis weit in das 20. Jahrhundert hinein auf Gefühlsunterdrückung bei der Präparation von Leichen gesetzt (denn die Sorge, ob man beim Präparieren Blut sehen könne, sei eine »weibisch-schwächliche Laienfrage«; Gruber 1934, S. 36), so hat sich seit der Jahrtausendwende an vielen Universitäten durchgesetzt, die Studierenden seelsorgerlich betreuen zu lassen. Diese Seelsorge und ihre Voraussetzungen wurden seit Ende des letzten Jahrhunderts in der Humanmedizin, auch international, vermehrt wissenschaftlich untersucht, ohne dass dies in der theologischen Seelsorgeforschung vergleichbare Resonanz gefunden hat. Die entsprechende Seelsorge ist in deutschsprachigen Ländern neben gelegentlich involvierten Klinikumspfarrämtern (Weiher 2000, S. 37; Shiozawa u. a. 2015, S. 129, sowie der Überblick bei Pabst u. a. 2017, S. 22) häufig bei evangelischen oder katholischen Hochschulgemeinden angesiedelt. Sie dürfte wegen der andauernden nationalen und internationalen Forschungsdiskussion, die sich teils explizit auf die Tätigkeit der ESGn bezieht, das einzige Arbeitsgebiet der ESGn sein, das von naturwissenschaftlicher Seite eine derartige Beachtung gefunden hat. Auf jeden Fall ist die seit Jahren wachsende universitäre Bereitschaft, die Kirche in diesem zentralen Feld wissenschaftlicher Ausbildung zu beteiligen, ein nicht unbedeutendes Zeichen in einer Zeit zunehmender Entkirchlichung auch im Universitätsmilieu (vgl. z. B. den Hinweis von Pabst u. a. 2017, S. 22).
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Die Seelsorge in den FELASA B-Kursen der Tiermedizin, die erst im Jahr 2018 von mir begonnen wurde, ist hingegen ein Novum, das im Folgenden ausführlicher dargestellt werden soll (vgl. Förster 2020).
2 Seelsorge in den Lehrkursen für makroskopische Anatomie der Human- und Zahnmedizin Eine spezielle Seelsorgeform stellt die seelsorgerliche Begleitung in den Präpariersälen der Humanmediziner*innen dar, die sich z. B. in Hannover nach der Jahrtausendwende etabliert hat (Tschernig u. a. 2000, S. 13). Dazu kommt dort seit 2016 eine entsprechende Seelsorge bei den Zahnmediziner*innen, die allerdings nicht ganze Leichen, sondern nur Kopf, zentrales Nervensystem, Hals, Brust und Bauchhöhle (mit Begrenzungen) präparieren müssen. Die Seelsorge beruht dabei auf dem in der Humanmedizin seit Jahrhunderten üblichen Verfahren, Kenntnis vom Aufbau des menschlichen Körpers nicht nur durch Lehrbücher oder neuestens durch Computerprogramme, sondern durch das Präparieren von Leichen zu erlangen (Putz 1999, S. 28), was meist am Studienbeginn geschieht. Diesem Zweck dient die Präparation von vollständigen Leichen, die etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt. Die Leichname werden der Universität von Körperspender*innen vor dem Tod vermacht (Pabst u. a. 2014, S. 357), danach konserviert und für den Lehrkurs vorbereitet, weshalb sie niemals unmittelbar nach dem Tod zur Verfügung stehen und der Zeitraum bis zur endgültigen Bestattung nach Kursende 8–36 Monate betragen kann (Pabst 2007, S. 82). Die präparierten Toten sind im Kurs für die Studierenden namenlos und ohne Angaben zu ihren persönlichen Lebensumständen. Die Seelsorge konzentriert sich auf die Erstbegegnung mit den toten Körpern in der ersten Kurswoche. Hier werden viele Studierende zum ersten Mal überhaupt mit einer Leiche konfrontiert, wenn sie sich in Kleingruppen, die während des ganzen Kurses zusammenbleiben, um die ihnen jeweils zugewiesenen Seziertische im Präpariersaal versammeln und die anfangs mit Tüchern abgedeckten Leichname vor ihnen aufgedeckt werden (Putz 2011, S. 122). Darauf reagieren sie mit schwankenden Gefühlen zwischen Angst, Ekel, Faszination und Neugier. Viele Studierende fürchten schon vorher diesen Moment (Weiher 2000, S. 38), und etwa die Hälfte hatte schon vor Studienbeginn entsprechende Befürchtungen (Bernhardt u. a. 2012, S. 12; Boecker u. a. 2019, S. 370), weil die Approbationsordnung für Ärzt*innen bekanntlich die Teilnahme am Präparierkurs zwingend vorschreibt. Eine kleinere Gruppe erlebt dies als eine Art von plötzlicher seelischer Erschütterung,
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die sie akut nicht bewältigen können und die auch traumatisieren kann (Shiozawa u. a. 2015, S. 129); dies geht bei unter 5 % bis zu Albträumen, Appetitlosigkeit etc. (vgl. Finkelstein/Mathers 1990, S. 223 f.; Snelling u. a. 2003, S. 168). Ein weiterer, im wahrsten Sinne des Wortes »einschneidender« Moment ist das Abziehen der Haut, das Schnitte mit dem Skalpell voraussetzt, was die körperliche Unversehrtheit der Toten deutlich sichtbar beendet (Pabst u. a. 2014, S. 360). Das Proprium der daraus resultierenden Seelsorge ist, dass diese Herausforderung von den Studierenden sehr wohl antizipiert wird, sie aber dennoch ihren Emotionen und gedanklichen Assoziationen am Seziertisch nicht gewachsen sind. Die seelsorgerliche Begleitung endet an vielen Hochschulen, z. B. Hannover, nach dem Erstkontakt mit den Leichen, da die seelsorgerlichen Anfragen danach deutlich abnehmen (Snelling u. a. 2003, S. 167). Folgende Anzeichen einer psychischen Krise wurden beobachtet: plötzliches Weinen, Schweißausbrüche, Ohnmachtsanfälle, abruptes Verlassen des Präpariersaals bzw. die Weigerung, diesen überhaupt (wieder) zu betreten. Aus diesen Belastungssituationen ergaben sich seelsorgerliche Gespräche, die fast durchweg in einem separaten Raum neben den Präpariersälen durchgeführt wurden. Ausnahmslos äußerten die Studierenden dabei den Wunsch, den Kurs fortzusetzen, was auch geschah. Die seelsorgerlichen Gespräche kreisen immer wieder um das Thema des eigenen Todes bzw. eigener Todesängste (Putz 1999, S. 30), manchmal auch um Gedanken an erlebte Todesfälle im eigenen Umfeld, z. B. an den Suizid eines Mitschülers oder an kürzlich verstorbene nahe Angehörige, woran die Leiche auf dem Seziertisch erinnert (Putz 2011, S. 122). Die Seelsorge wird keineswegs nur von kirchlich gebundenen Studierenden in Anspruch genommen. Allerdings haben diese andere Anfragen – wie wissenschaftliche Studien bestätigen – als konfessionslose Studierende, weil sie sich z. B. über ein Fortleben der Körperspender*innen im Jenseits (Shiozawa u. a. 2015, S. 133) bzw. über dessen Seele Gedanken machen (Martyn u. a. 2014, S. 348 f.). Dazu kommen Besonderheiten bei jüdischen oder muslimischen Studierenden wie etwa jüdische Reinheitsvorschriften (vgl. Notzer u. a. 2006, S. 445 f.; Abu-Hijelh u. a. 1997). Die seelsorgerliche Begleitung gehört mittlerweile auch für die nachrückenden Jahrgänge der Medizinstudierenden zum etablierten und unter Umständen von ihnen auch nachdrücklich eingeforderten Ablauf des Präparierkurses. Die Seelsorge in den Kursen der Zahnmediziner*innen ist im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf prinzipiell ähnlich strukturiert und hat sich auf Wunsch der Studierenden der Zahnmedizin aus der Seelsorge bei den Humanmediziner*innen heraus entwickelt. Das Profil der seelsorgerlichen Anfragen und Themen ist vergleichbar.
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3 Der zeremoniell-gottesdienstliche Abschluss des Präparierkurses Den zeitlichen und zeremoniellen Abschluss des Kurses für Human- und Zahnmediziner*innen bildet eine gemeinsame Feier für die Körperspender*innen, wobei die Bezeichnungen zwischen Gedenkgottesdienst, Körperspender- bzw. Anatomiegottesdienst, Trauerfeier, Aussegnungsfeier, Dankesfeier und anderen variieren (Bertman/Marks 1989, S. 109; Pabst u. a. 2014, S. 363; Pabst u. a. 2017, S. 20). Dabei sprechen die Studierenden den Körperspender*innen öffentlich ihren Dank aus, was weltweit an sehr vielen medizinischen Fakultäten und Universitäten Parallelen hat (Boeckers u. a. 2010, S. 367; Pabst u. a. 2017, S. 20 mit weiterer Literatur). Der christliche Charakter steht dabei z. B. in Hannover wie auch anderswo in Deutschland nicht unbedingt im Zentrum (vgl. Shiozawa u. a. 2015, S. 131; Beerheide 2015, S. 1114). Im Jahr 2001 waren die evangelische und katholische Kirche zusammengenommen an 90 % der Feiern beteiligt (vgl. Tschernig/Pabst 2001, S. 204). Der christliche Gehalt der Feier wird daher meistenteils nicht völlig verleugnet, was auch Gegenstand der medizinischen Forschungsdiskussion ist (laut Pabst u. a. 2014, S. 359.361 sind z. B. in Hannover 42 % der Körperspender konfessionslos). Die Feierlichkeiten finden zum Teil in Kirchen, Klinikumskapellen, Hörsälen oder während Beisetzungen auf einem Friedhof statt (Tschernig/Pabst 2001, S. 204). In ihrem Ablauf sind sie dementsprechend an den verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland sehr unterschiedlich gestaltet, haben meist aber eine Art von liturgischer Form (ein Beispiel bei Hirschberg/Plisch 2017, S. 160–164), und oft werden die Namen der Körperspender*innen erstmals öffentlich verlesen (Pabst 2007, 89–93; Pabst u. a. 2014, S. 361–363; Pabst u. a. 2017, S. 20). Auch Angehörige der jeweiligen Körperspender*innen können geladen sein, was aber nicht überall gleich gehandhabt wird. Die Feiern werden häufig von vielen Studierenden vorbereitet und von den meisten Kursteilnehmer*innen besucht, weshalb beispielsweise in Hannover die Klinikumskapelle überfüllt ist (vgl. zu den hohen Teilnehmer*innenzahlen von teils mehr als 400 Weiher 2000, S. 38; Tschernig/Pabst 2001, S. 204; Shiozawa u. a. 2015, S. 129). Für viele Vorbereitende und Teilnehmende ist dies ein eindrucksvoller und nachhaltiger Kontakt mit der ESG und KHG. Dementsprechend können Ärzt*innen nach Jahren mitunter noch lebhaft von ihrer eigenen Dankesfeier berichten und befürworten deren kirchliche Begleitung und Unterstützung. Dabei zeigt sich, dass das Präparieren und die abschließende Feier als eine Art von Übergang aufgefasst werden, der den ersten Schritt zum ärztlichen Beruf bildet und fast eine Art Einweihung in das Medizinstudium darstellt (Weiher
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2000, S. 40). Zugleich beschreiben Teilnehmer*innen den gesamten Kurs rückblickend als einen persönlichen Reifungsprozess, der mit einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema »Tod und Sterben« einhergeht. Auch diese persönlichen Entwicklungsprozesse werden neben dem Dank an die Körperspender*innen von Studierenden in die Gestaltung der Feier – entsprechend einem rite de passage – eingebracht.
4 Seelsorge in FELASA B-Kursen an der Tierärztlichen Hochschule Hannover
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Ein seelsorgerliches Novum stellt die seit 2018 bestehende und von der ESG verantwortete Seelsorge in den Kursen der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) dar, die versuchstierkundliche Sachkompetenz vermitteln. Diese Kurse gibt es in ähnlicher Form an vielen Hochschulstandorten in Deutschland, und sie werden zunehmend weltweit eingeführt. Die neue Form der seelsorgerlichen Begleitung wird im deutschsprachigen Raum bereits wahrgenommen und fachintern diskutiert. Voraussetzung für diese Seelsorge ist das deutsche Tierschutzgesetz, das für alle Personen, die Tierexperimente durchführen, einen Nachweis versuchstierkundlicher Sachkompetenz verlangt (vgl. § 4 bzw. § 7 Abs. 1 Satz 3 Tierschutzgesetz und § 16 TierSchVerV). Art und Umfang der zu erwerbenden Kompetenz ist ebenfalls gesetzlich festgelegt (für die EU in der EU-Richtlinie 2010/63 bzw. für Deutschland in der Anlage 1 der Tierschutz-Versuchsordnung; vgl. die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt I 2013, S. 3140 f.). Die Lehre an den deutschen Hochschulen orientiert sich mehrheitlich, wenn es um die versuchstierkundlichen Inhalte geht, an den entsprechenden Empfehlungen der Fachorganisation FELASA (Federation for Laboratory Animal Science Association, Europa, www.felasa.eu/ working-groups/recommendations). Dass nur sachkundige Personen Tierversuche durchführen und in entsprechenden Instituten bzw. Laboreinrichtungen Zugang haben, wird zudem durch unabhängige staatliche Kontrollen überprüft und gegebenenfalls sanktioniert. Dabei impliziert die Seelsorge im Rahmen von FELASA B-Kursen keine Stellungnahme in der gesellschaftlichen Debatte um Tierversuche, denn sie fokussiert sich auf ein im universitären Kontext erwachsenes seelsorgerliches Bedürfnis von Menschen.
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5 Seelsorge in FELASA B-Kursen als eine Form von Seelsorge in Krisensituationen Die entsprechenden Kurse zum Erwerb der genannten Sachkompetenz wurden bisher an der TiHo Hannover einmal im Quartal angeboten. An ihnen nehmen neben Biologielaborant*innen sowie Studierenden der Tiermedizin bzw. Biologie auch ausgebildete Tierärzt*innen sowie Biolog*innen mit verschiedenen Graduierungsgraden (Dr., PhD, PD, Prof.) teil. Dazu kommen ausländische Gastwissenschaftler*innen, die einen solchen Kurs in englischer Sprache absolvieren müssen, um ihre Forschungen in Deutschland aufnehmen zu können. Für andere Nachwuchswissenschaftler*innen ist ohne den FELASA B-Kurs eine Fortsetzung ihrer Forschungen, etwa für ihre Dissertation, nicht möglich, und für Biologielaborant*innen ist er unabdingbar für den erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung. Im Kurs ist die tierschutzgerechte Tötung einer nicht narkotisierten gesunden Maus bzw. einer narkotisierten gesunden Maus und einer narkotisierten gesunden Ratte vorgeschrieben. Dieser Teil des Lehrkurses, der immer auch eine Prüfungssituation ist, führt zu einer psychischen Belastung der Teilnehmer*innen, auf die sich die Seelsorge bezieht, die dabei immer auch diejenigen berücksichtigt, die unterrichten und die begleitenden Prüfungen vornehmen. Denn etliche Betreuende fühlen sich durch die psychische Krisenreaktion der Kursteilnehmer*innen vor allem bei den Tiertötungen ihrerseits an eine seelische Belastungsgrenze gebracht. Die Seelsorge ist zudem indirekt dem Tierschutz verpflichtet, der das Ziel verfolgt, unnötiges Leid bei den Tötungen von Versuchstieren unbedingt zu vermeiden, was aber durch die psychische Belastung der Teilnehmenden immer wieder verhindert wird. Ihnen unterlaufen stressbedingte Fehler, die das Leid der Tiere bei der Tötung unnötig vergrößern. Eine Besonderheit dieser Seelsorge ist sicherlich, dass den Teilnehmenden der Kurse die Belastungssituation (darin ähnlich wie bei den Studierenden der Human- und Zahnmedizin) zuvor bekannt ist und sie sich davor teils über Jahre hin gefürchtet haben, wie in den Seelsorgegesprächen offenkundig wird. Der seelische Gleichgewichtsverlust ist also keine unerwartete Krise und wird zudem dadurch zugespitzt, dass die Teilnehmenden ihre Emotionen trotz ihrer Vorinformationen nicht kontrollieren können. Dies wird öfter als mit Scham verbundenes Versagen aufgefasst. Das auslösende Moment ist in den meisten Fällen die Tiertötung selbst oder auch die Aussicht, ein im Moment noch lebendig im Käfig vor den Kursteilnehmer*innen sitzendes Tier demnächst töten zu müssen. Dabei stehen in vielen Fällen auch seelische Reaktionen im Zentrum, die mit dem Töten an sich nur mittelbar verknüpft sind. Bei der seelischen Krise, die
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der Seelsorge zugrunde liegt, geht es demnach sehr oft um Gefühle, Bilder oder Erinnerungen, die das Töten in einem Menschen hervorruft. Aus diesem Grund ist der*die Seelsorger*in während der Tiertötungen in den entsprechenden Laboreinrichtungen anwesend. Die seelsorgerlichen Gespräche finden (ähnlich wie in den Präpariersälen der Human- und Zahnmediziner*innen) während des parallel fortlaufenden Kurses in einem abgeschlossenen Nebenraum statt, was die Vertraulichkeit sicherstellen soll. Sie werden von den Teilnehmenden des Kurses als Beratungsgespräche in einer akuten Krisensituation aufgefasst, die durch folgende Anzeichen deutlich wird: Zittern (z. B. am ganzen Oberkörper), Tränenausbrüche, Sich-Zurückziehen (z. T. mit verminderter Ansprechbarkeit), vereinzelte Ohnmachtsanfälle bzw. fluchtartiges Verlassen des Laborraums. Die Kernthemen der Seelsorgegespräche sind bisher folgende gewesen: a) Der berufliche Anspruch, Tiere zu heilen, sie zu pflegen und ihnen zu helfen, wird als unauflöslicher Gegensatz zu ihrer Tötung erlebt. Dies verbindet sich teils mit dem Halten von eigenen Kleintieren, an die die Tötung im Kurs erinnert. In einigen Fällen war das Studium der Tiermedizin bzw. ein Promotionsthema bewusst so angelegt worden, dass ein FELASA B-Kurs nie absolviert werden sollte. Es wurde dann als eine spezielle Krise erlebt, wenn diese langfristige Studien- und Berufsplanung z. B. durch eine unabsehbare Entwicklung eines Forschungsprojektes nicht umsetzbar war, was sich teilweise mit Druck am Arbeitsplatz, etwa vonseiten eines Doktorvaters, verknüpfte. Solche äußeren Umstände gestalten die Kurssituation, die immer auch eine Prüfung darstellt, als eine besondere emotionale Herausforderung. b) Durch die Tiertötung werden Erinnerungen an frühere biografische Krisen, die mit Todeserfahrungen verbunden sind, ausgelöst. Das Spektrum reicht von Todesfällen im sozialen Umfeld (Suizid im Familienkreis) über beobachtete tödliche Verkehrsunfälle bis hin zu persönlichen Traumata (z. B. durch Vergewaltigungen). Diese vergangenen Krisen sind den Teilnehmenden bekannt, wurden teilweise auch bereits psychologisch betreut, kehren aber bei der Tötung noch einmal in der Erinnerung zurück und müssen dann in einem Gespräch bearbeitet werden. In diesem Zusammenhang wird auf die seelsorgerliche Schweigepflicht gesteigerter Wert gelegt. c) Es gibt z. T. biografische Belastungen durch eine Erziehung, bei der auf Gefühlsunterdrückung großer Wert gelegt wurde und in der das Weinen in der Öffentlichkeit als peinliche Niederlage betrachtet wird. Sich durch Emotionen überwältigen zu lassen, wird als schamvoll erlebt und führt zu dem Wunsch, sich der Situation nie wieder auszusetzen. In dieselbe Richtung weisen Rollenzuschreibungen im Familienumfeld, bei denen beispielsweise Frauen empfohlen wird, den Beruf der Tierpflegerin oder Laborantin nicht
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zu ergreifen, weil sie seelisch dafür wegen der Tiertötungen zu »weich« seien. Diese biografisch durch eine bestimmte Erziehung bedingte Disposition ist im Kursverlauf gleichsam mit zu überwinden. d) Ausländische Kursteilnehmer*innen stehen teilweise unter einem enormen beruflichen Erfolgsdruck, weil sie in einer überschaubaren Zeit ein bestimmtes vom Heimatland unter Umständen finanziertes Forschungsvorhaben in Deutschland unbedingt umsetzen müssen. Ohne erfolgreich abgeschlossenen FELASA B-Kurs können sie aber mit diesen Forschungsarbeiten nicht beginnen. Die Erwartungen des Stipendiengebers sind in diesem Zusammenhang mitunter sehr hoch und bedingen durch die Kultur des Heimatlandes unter Umständen verstärkte Ängste, die sich auf den möglichen Gesichtsverlust durch ein Scheitern schon im Rahmen des FELASA B-Kurses beziehen. Dazu kommt häufig noch eine sprachliche Hürde, da das Sprechen über eigene Emotionen in englischer Sprache, die nicht die Muttersprache bildet, teilweise äußert schwierig ist. Dass ein christlicher Seelsorger die Betreuung übernimmt, wurde von nichtchristlichen Teilnehmenden bisher, sofern sich dies durch Gespräche erheben ließ, durchweg nicht als störend empfunden. Mitunter wurde sogar bedauert, dass es eine ähnliche Seelsorge in der eigenen Religion nicht gebe.
6 Ausblick Die Seelsorge in unterschiedlichen medizinischen Fächern ist ein Bereich kirchlicher Arbeit der Hochschulpfarrämter, der gegen den Trend einer Entkirch lichung im universitären Bereich wächst und an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, gesellschaftlichem Diskurs und Theologie ein neues Seelsorgefeld eröffnet, das auf nationaler und internationaler Ebene, bedingt durch die entsprechende humanmedizinische Forschungs- und Publikationstätigkeit, sichtbar ist. Dazu kommen für die versuchstierkundlichen Lehrkurse die in dem jeweils zuständigen Bundesland über die Seelsorge informierten staatlichen Genehmigungsbehörden. Die Bedeutung dieser Entwicklung für die künftige Verankerung von Kirche an der Hochschule, vor allem in einem naturwissenschaftlichen Umfeld, ist kaum zu überschätzen. Dies wird auch über die beiden großen Konfessionskirchen hinaus bemerkt: Gelegentliche Versuche von Vertreter*innen bestimmter freikirchlicher Gruppen außerhalb landeskirchlicher Strukturen mit einem zum Teil dezidiert gegen die Arbeit der ESGn und KHGn gerichteten, auch missionarischen Profil, in diesem Seelsorgefeld Fuß zu fassen, sind bereits festzustellen.
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Literatur
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2.9 Internationale Studierende – Beratung, Seelsorge, Vernetzung Heidrun Greine und Eva Siemoneit-Wanke
1 Internationale Studierende an der Hochschule und ihre Kontakte mit der ESG Die Internationalisierung der Universitäten und Hochschulen in Deutschland nimmt zu. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Sommersemester 2019 13 % der Studierenden an deutschen Hochschulen internationale Studierende. Die wachsende Globalisierung spiegelt sich damit auch in diesen Zahlen wider: Im Sommersemester 2019 waren in Deutschland 379.549 internationale Studierende immatrikuliert (Destatis 2020, S. 13). Die Hochschulen und Universitäten antworten mit einer Vielfalt von Internationalisierungsstrategien auf die immense Bedeutung der internationalen Wissenschafts- und Wirtschaftswelt für die deutsche Bildungslandschaft. Im Rahmen der 21. Sozialerhebung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) von 2016 ergibt sich in dem 2017 veröffentlichten Ergebnisbericht ein detaillierter Blick auf die Studien- und Lebensbedingungen internationaler Studierender an deutschen Universitäten im Sommersemester 2016 (Apolinarski/Brandt 2018). Im Unterschied zu sogenannten Bildungsinländer*innen, also Studierende ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit Erwerb der Hochschulzugangsberech tigung in Deutschland, sind Bildungsausländer*innen Studierende ohne deutsche Staatsangehörigkeit mit einer im Ausland erworbenen Hochschulzugangsberechtigung. Diese Differenzierung ist wichtig, da sich an ihr der Zugang zu Unterstützungsleistungen entscheidet und sich aus ihr etliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen ergeben. Für die Arbeit in den ESGn, ihre Programmgestaltung und Gemeindearbeit, spielt es zunächst natürlich keine Rolle, welcher Nationalität die Studierenden sind, ob sie Bildungsin- oder ausländer*innen sind oder ihre Heimat inner- oder außerhalb der EU liegt. In der Arbeit der ESGn geht es stets darum, Räume der Begegnung zwischen Studierenden aus aller Welt zu schaffen. Dennoch gehören insbesondere die
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sogenannten Bildungsausländer*innen und unter ihnen gerade die aus Herkunftsländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen zu einem Schwerpunkt internationaler ESG-Arbeit. Das rührt daher, dass diese in der Regel über keinen Zugang zu BAföG-Leistungen verfügen (anders ist dies bei internationalen Studierenden mit Flüchtlingsstatus) und damit zu einer besonders verwundbaren Gruppe in der universitären Landschaft gehören. Die Ergebnisse des 21. Sozialberichtes unterstreichen die besondere Problematik internationaler Studierender, deren Heimatländer außerhalb von EU, westlichen Industrienationen oder Schwellenländern liegen, dem sogenannten Globalen Süden (Apolinarski/Brandt 2018). ESGn und STUBEn (entwicklungspolitisches kirchliches Studienbegleitprogramm für Studierende aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa) arbeiten schwerpunktmäßig in ihrer internationalen Arbeit mit Studierenden aus den DAC-Ländern (Development Assistance Committee), da diese meist ohne jegliche Unterstützung von zu Hause, ohne Stipendien oder Zugang zu anderen Finanzierungshilfen ausschließlich auf sich selbst gestellt sind. Beate Apolinarski und Tasso Brandt machen deutlich, dass 63 % der internationalen Studierenden insgesamt von ihren Eltern unterstützt werden (Apolinarski/ Brandt 2018, S. 41, Bild 5.2 und 5.3). »Der Anteil aus eigenem Verdienst an den Einnahmen ist [jedoch] unter Studierenden aus einkommensschwachen Herkunftsländern nach wie vor am höchsten« (Apolinarski/Brandt 2018, S. 42). Der Umfang der Arbeitserlaubnis wird von vielen als nicht ausreichend zur Sicherung des Lebensunterhalts empfunden (Apolinarski/Brandt 2018, S. 46). Diese Gruppe internationaler Studierender findet in vielen ESGn und STUBEn ein wichtiges psychosoziales Auffangnetz und eine enorme finanziell-diakonische Säule. Sehr häufig kommt ein erster Kontakt mit diesen internationalen Studierenden in den ESGn durch eine finanzielle Notsituation zustande. Durch den sogenannten Ökumenischen Notfonds von Brot für die Welt können Studierende aus dem Globalen Süden ihre akuten finanziellen Notlagen insbesondere vor intensiven Prüfungsphasen oder Examina gut überwinden und ihr Studium erfolgreich fortführen und beenden. Der Notfonds hat ein entwicklungspolitisches Interesse und soll Studierende zur Übernahme von Verantwortung für ihre Heimatländer motivieren. Rückkehrerprogramme wie das Reintegrationsprogramm von Brot für die Welt, der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und des Centrums für internationale Migration (CIM) ermutigen internationale Studierende, ihre Expertise eines Tages im Heimatland einzubringen und bieten dafür wertvolle Netzwerke und Unterstützung an. Im Unterschied zu wirtschaftlichen Bestrebungen der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt werden die Studierenden darin bestärkt, an der
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Umsetzung eigener Ideen und Projekte für ihre Heimat zu arbeiten, um einen Entwicklungsbeitrag auch im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele der UN zu leisten. Meist sind in den ESGn internationale Studierende während ihres Studiums in BA/MA/Staatsexamen präsent, weniger Studierende in der Promotionsphase oder aus bestimmten Austauschprogrammen. Die Fächerauswahl der Studierenden aus weniger wirtschaftsstarken Herkunftsländern liegt vorwiegend in den Ingenieurwissenschaften oder erfahrungsgemäß in der Medizin für Studierende aus arabischen Herkunftsländern (Apolinarski/Brandt 2018, S. 25). Um einen Zugang zu einer deutschen Hochschule zu erhalten, müssen die Studierenden neben der Anerkennung ihres Hochschulzugangs für ein Visum die Finanzierung ihres Studiums nachweisen, z. B. durch ein Sperrkonto, eine Verpflichtungserklärung oder durch ein Stipendium. Nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD 2020) liegt der »Betrag […] ab dem 01.01.2020 bei 853 Euro pro Monat bzw. 10.236 Euro pro Jahr«. Für Studierende aus ärmeren Herkunftsländern bedeutet dies eine ungleich höhere Herausforderung. In den Studienplänen dieser Studierendengruppe werden die tatsächlichen Lebenshaltungskosten in Deutschland häufig unterschätzt. Auch Informationsplattformen wie die Kampagnen »Study in Germany – land of ideas« der deutschen Bundesregierung für den Studienstandort Deutschland ändern daran nur wenig. Studiengebühren stellen für diese Gruppe von Studierenden eine zusätzliche hohe Zugangsschwelle dar. Im Ganzen ziehen daher die stärkeren Internationalisierungsbemühungen deutscher Hochschulen eine verdeckte Konzentration auf Länder mit hohem bis mittlerem Pro-Kopf-Einkommen nach sich. Die Mobilitätsstatistik internationaler Studierender zeigt, dass eine unreflektierte Internationalisierung in der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft die globalen Ungleichheiten weiter verstärken könnte. Dazu findet sich eine hilfreiche Abbildung in der Publikation von DAAD und DZHW (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung) »Wissenschaft weltoffen kompakt 2020« (2020, S. 18). Neben den schwierigeren Zugangsvoraussetzungen, z. B. durch defizitäre Ausstattung der Schulen des Heimatlandes, drohen Studierende aus dem Globalen Süden zunehmend in der akademischen Landschaft Deutschlands marginalisiert zu werden. In den letzten Jahren sinkt die Zahl der internationalen Studierenden aus Herkunftsländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen. Die Zahl der Studierenden aus reicheren Herkunftsländern dagegen steigt (Apolinarski/ Brandt 2018, S. 15, Bild 2.2). Kirchliche Arbeit mit internationalen Studierenden hat daher auch den Auftrag, insbesondere im universitären Bereich die Wahrnehmung und das Verhalten im Hinblick auf unser koloniales Erbe zu sensibilisieren.
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2 Interkulturelle Aspekte
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Durch die steigenden Zahlen der internationalen Studierenden an deutschen Hochschulen wird der Anspruch an eine Seelsorge, die die Vielfalt kultureller und religiöser Hintergründe beachtet, immer wichtiger. Dabei wird dieses Thema in der einschlägigen Literatur schon länger bearbeitet. Kai Horstmann und Dietrich Spandick geben im Artikel »Interreligiöse Seelsorge mit Studierenden an Hochschulen« durch Kurzprotokolle und Beispiele einen Einblick in die Arbeit der Seelsorge und sehen »Interreligiöse Seelsorge als Form gastfreundschaftlicher Kirche« (Horstmann/Spandick 2010, S. 286); ihre Ausführungen sind auch noch zehn Jahre nach Erscheinen des Artikels lesenswert. Auch die 2015 neu aufgelegte und bearbeitete Auflage der Seelsorgelehre von Jürgen Ziemer widmet ein Kapitel der interkulturellen Seelsorge. Hier wird dafür geworben, dass die Seelsorge kulturelle Prägungen wahrnimmt und beachtet (Ziemer 2015, S. 133). Dieses Konzept scheint uns heute in unserer Arbeit selbstverständlich. Ziemer geht einen Schritt weiter, wenn er vorschlägt, angesichts fortschreitender Säkularisierung Konzepte der interreligiösen Seelsorge weiterzuentwickeln hin zu einer inter-ideologischen Seelsorge. Mit seinem Schlusssatz markiert er die in seinen Augen wichtigste Bedingung für das Gelingen der Seelsorge mit internationalen Studierenden: »Am wichtigsten freilich ist die Bereitschaft, aus dem eigenen herauszutreten und sich für das, was zunächst fremd ist, mit Verstand und Leidenschaft zu engagieren« (Ziemer 2015, S. 134). Auch Hans-Georg Ulrichs (2017) hat sich in seinem Beitrag »Poimenik en passant« mit der Seelsorge an Hochschulen beschäftigt. Der Fokus dieses Artikels liegt nicht bei der interreligiösen oder interkulturellen Seelsorge mit Studierenden. Aber er beleuchtet den wichtigen Aspekt der Seelsorge »en passant«, die dort geschieht, wo universitäres Leben ist: an der Universität selbst – wenn sie es denn erlaubt, was in der heutigen oftmals religionsneutralen Universitätslandschaft mitunter schwierig für Religionsgemeinschaften ist. Dann ist Hochschulseelsorge direkt ansprechbar und kann »en passant« den Kreis der Adressat*innen evangelischer Seelsorge erweitern. Seit 1986 beschäftigt sich die Gesellschaft für Interkulturelle Seelsorge und Beratung (SIPCC) zunächst mit interkultureller und später auch mit interreligiöser Seelsorge. Dazu sind interessante Vorträge in deutscher und englischer Sprache von internationalen Wissenschaftler*innen im Netz verfügbar (www.sipcc.org). Unsere eigene Erfahrung aus der Arbeit mit internationalen Studierenden macht uns skeptisch gegenüber allen Stereotypen. Es gibt nicht eine Kultur für eine bestimmte Gruppe. Menschen gehören mitunter auch unterschiedlichen Kulturen an. Zu dieser weltweiten Entwicklung stellt die Soziologin Kerstin Hein
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(2006) in ihrer Dissertation »Hybride Identitäten« die »These der kulturellen Navigation« auf. »Diese geht davon aus, dass Individuen kulturelle Differenzen aktiv bewältigen können« (Hein 2006, S. 397). Dadurch werden ein kulturelles Mehr und eine kulturelle Öffnung erreicht. Kultur ist dynamisch. Die internationalen Studierenden, die schon einige Jahre in Deutschland oder Europa leben, haben sich der europäischen Kultur angenähert und manchmal ihrer eigenen entfremdet. Das gilt es auch bei einer kultursensiblen Seelsorge mit internationalen Studierenden zu beachten (Kirchenamt der EKD 2014, Abschnitt 6: Kultursensible Seelsorge ausbauen). ESGn mit Wohnheimen haben eine zusätzliche Möglichkeit, Begegnungsräume und kulturellen Austausch zu schaffen. Auf die interkulturelle Bedeutung solcher Konvivenzpunkte hat schon Sundermeier aufmerksam gemacht. Dabei ist Konvivenz die höchste Stufe, einander zu verstehen (Sundermeier 1996, S. 155) und kommt in einer intensiven »Hilfsgemeinschaft […], Lerngemeinschaft [… und …] Festgemeinschaft« zum Ausdruck (Sundermeier 1996, S. 190 f.).
3 Beratung und Seelsorge Viele internationale Studierende kommen durch die Notfondsberatung für Brot für die Welt mit den ESGn in Kontakt. Aus der finanziellen Beratung entwickelt sich dann in einigen Fällen ein Vertrauensverhältnis und ein kontinuierlicher Gemeindekontakt, der selbstverständlich auch durch seelsorgliche Begleitung in den unterschiedlichen Lebenslagen der Studierenden geprägt ist. Bei anderen bleibt der Kontakt auf die Beratungsgespräche beschränkt. Dennoch entstehen aus vielen dieser Beratungen seelsorgliche Gespräche. Hier tritt die finanzielle Not für einen Moment hinter ganz andere existenzielle Nöte zurück; Trauererfahrungen, Fremdheitssituationen und Krankheitsverläufe werden thematisiert. Auch die Frage nach der Theodizee und der theologischen Einordnung beispielsweise der Coronapandemie stellt sich des Öfteren. Und meistens beginnt solch eine Gesprächswendung ganz harmlos: »Darf ich dich/Sie als Pastor*in mal etwas fragen?« Beratung und Seelsorgegespräch gehen fließend ineinander über. Dabei können sich Hindernisse in der sprachlichen Verständigung ergeben. Die meisten internationalen Studierenden absolvieren erst in Deutschland einen Deutschkurs und erreichen die Stufe B2. An vielen Universitäten gibt es aber auch rein englischsprachige Studiengänge, die keine Deutschkenntnisse verlangen. Mit diesen Studierenden kann der*die Seelsorger*in nur in Englisch kommunizieren und muss sehr genau hinhören und nachfragen. Auch in der anderen Sprache kann sich so ein gelingendes Seelsorgegespräch entwickeln.
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Die rechtlichen Fragestellungen, die diakonischen Bedürfnisse und Unterstützungsanfragen von internationalen Studierenden sind sehr vielschichtig und häufig komplex. Daher bedarf eine kompetente Beratung und Begleitung eines intensiven und regelmäßigen kollegialen Austausches. Für beratende Fachkräfte in den ESGn (Sachbearbeiter*innen, Sekretär*innen, Pfarrer*innen u. a.) stehen je nach Standort und Landeskirche verschiedene Netzwerke zur Verfügung. Auf lokaler Ebene sind zu nennen: die Katholischen Hochschulgemeinden (meist mit ähnlicher Beratungsstruktur), Einrichtungen der örtlichen Universität (International Office, Studierendenwerke, Sozialberatung, Psychologische Beratungsstellen, Rechtsberatung, Büro für Gender und Diversity u. a.), Einrichtungen der Kirchen vor Ort (Diakonie und Caritas) und Organisationen anderer Religionsgemeinschaften. Es hat sich bewährt, gute Kontakte und Kooperationen zu pflegen und regelmäßige Treffen zu etablieren, um den Informationsfluss am Laufen zu halten. Auch die Kontakte auf kommunaler Ebene (Ausländerbehörde, Sozialamt, Bürgermeisteramt, Ausländerbeirat u. a.) dienen wichtiger Einzelfallklärungen oder der allgemeinen Lobbyarbeit. Auf landeskirchlicher Ebene gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der kollegialen Vernetzung. Insbesondere die entwicklungspolitische Bildungsarbeit der sogenannten STUBEn ist ein besonderer Ausdruck dieser Vernetzung. Auf Bundesebene in Deutschland trifft sich in regelmäßigen Abständen die AG Internationales mit ESG-Vertreter*innen aller Landeskirchen. Ein*e Referent*in für Internationale Beziehungen und Ökumene ist in der Geschäftsstelle der Bundes-ESG für die Koordination und Unterstützung internationaler ESG-Arbeit zuständig. Die gute Vernetzung auf verschiedenen Ebenen in und außerhalb der ESGn ist wichtige Grundlage für das gemeinsame Ziel internationaler ESG-Arbeit: nämlich den Studierenden aus aller Welt, insbesondere aus besonders mittellosen Herkunftsländern, dabei zu helfen, ihr persönliches Ziel, einen Studienabschluss, zu erreichen.
5 Ausblick Wohin wollen wir mit der internationalen Arbeit und Beratung in den ESGn? Was ist nötig zu tun? Für alle Berater*innen und Ansprechpartner*innen internationaler Studierender ist es hilfreich, immer wieder im Austausch und im Gespräch mit Kolleg*innen und allen Studierenden zu bleiben. Darüber hinaus ist es notwendig, die eigenen Grundhaltungen, Ziele und Beweggründe stets
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kritisch zu hinterfragen. Trotz vielleicht eigener internationaler Erfahrungen oder jahrelanger Beratungstätigkeit sind Beratende längst keine Expert*innen der jeweiligen Herkunftsländer internationaler Studierender. Die Studierenden in aller Welt sind in erster Linie als Individuen anzusehen und dürfen keinen stereotypischen Kategorisierungen ausgesetzt werden. Daher ist die eigene Arbeit kontinuierlich zu reflektieren. Durch die Möglichkeit, finanzielle und psychosoziale Unterstützung anbieten zu können, befinden sich ESG- Mitarbeitende in einer gewissen Machtposition. »Hilfe drückt ein Machtverhältnis aus« (Glokal 2016, S. 39). Dieses gilt es, selbstkritisch und machtsensibel ins Bewusstsein zu bringen. Welche Haltung nehme ich in meiner Rolle ein? Welche Werte und Ziele verfolge ich? Eine gute Reflexions- und Praxishilfe, »um das eigene Märchen aufzudecken« (Glokal 2016, S. 76–95), bietet die Broschüre »Das Märchen von der Augenhöhe« des Berliner Vereins Glokal e. V. (2016) aus der Erfahrungsperspektive von Nord-Süd-Partnerschaften. Die Beratungs- und Begegnungsarbeit braucht statt der Einbahnstraße einer barmherzigen Hilfe wertschätzende Solidarität und zugleich den Impuls zur Eigenverantwortlichkeit. Je nach Beratungsatmosphäre werden die Studierenden sich selbst auch nur reduziert als Hilfsempfänger*innen sehen oder aber bestenfalls ermutigt werden, sich als Persönlichkeiten mit eigenen Ideen und Kompetenzen zu erleben. Fragt man sie nach den eigenen Projektideen und Visionen für ihre persönliche Zukunft und die ihres Heimatlandes, dann werden wir kraftvolle und intelligente junge Menschen entdecken, die voller Potenzial sind für eine gerechtere Welt – Menschen, von denen wir und viele Studierende in Deutschland enorm viel lernen können.
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2.10 Praxis der Beratung internationaler Studierender Sabine Fleiter und Heike Luther-Becker Eine sozial-diakonische Beratung für internationale Studierende spielte in den Evangelischen Studierendengemeinden bis in die 1980er-Jahre noch keine große Rolle oder wurde gar nicht angeboten. Vielmehr standen die internationale Solidarität und das politische Engagement gegen Apartheid, den Putsch in Chile und andere Ereignisse im Vordergrund. Erst später wurden Hilfen aus diakonischen Mitteln vergeben und das Politische zunehmend mit dem Konkreten verbunden. Durch die Einrichtung von Referent*innenstellen für die Beratung in den ESGn entwickelte sich die Beratung, wie wir sie heute kennen. In einem weiteren Schritt kam die internationale Bildungsarbeit hinzu. Heute weist das gesamte Beratungssystem eine große Bandbreite auf. Sie reicht von einzelnen Hilfsangeboten in konkreten Notsituationen bis zu einer nachhaltigen Begleitung durch das ganze Studium. Durch die Einbindung der Bildungsarbeit kommt eine wichtige Dimension hinzu, die von vielen internationalen Studierenden geschätzt wird (vgl. Horstmann/Spandick 2010, S. 279 f.). Diese werden motiviert, Themen aus dem eigenen Studien- und Lebensalltag – sowohl interkulturelle als auch interreligiöse Aspekte – und Themen aus der eigenen Biografie wie entwicklungspolitische Fragestellungen zu reflektieren. Und sie werden eingeladen, die Angebote des Studienbegleitprogramms für Studierende aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa (STUBE) und der ESG zu besuchen, selbst zu konzeptionieren und zu organisieren und sich als Referent*innen zur Verfügung zu stellen. Damit geht eine Fokusänderung vom problembelasteten hilfsbedürftigen Individuum zu Studierenden mit wertvollen und prägenden Lebenserfahrungen einher. Sie verfügen über besondere Fähigkeiten wie etwa einem starken entwicklungspolitischen Profil, das sie zu potenziellen Bewerber*innen für Stipendien von Brot für die Welt macht. Durch dieses Konzept wird ihnen eine Plattform zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung geboten. Von der Diversität und dem Engagement profitieren in einem hohen Maß auch die ESGn.
1 Rahmenbedingungen der Beratung Die Beratung für internationale Studierende hat sich seit ihren Anfängen in einem Punkt nicht verändert. Im Erstgespräch geht es zunächst meist um Finanzprobleme: Probleme, mit denen die Studierenden nicht gerechnet haben,
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ausgelöst durch Krankheit oder wirtschaftliche Krisen der Familien, Unruhen, Vertreibung und dem damit einhergehenden Verlust der Existenz oder gar der Tod eines Elternteiles. In den Jahren 2020/21 fielen im Zusammenhang der Coronapandemie zahlreiche Jobs zur Finanzierung des Studiums weg. Hinzu kommt, dass einige illusorische Vorstellungen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland haben. Im Jahr 2020 studierten insgesamt 411.601 junge Menschen aus Staaten außerhalb Deutschlands an deutschen Hochschulen (Destatis 2020, S. 51). Etwa ein Drittel kommt aus Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen (Apolinarski/Brandt 2018, S. 6). Ihre Finanzierungsquellen sind je nach Herkunftsland unterschiedlich. So stellt die 21. Sozialerhebungsstudie fest, dass Studierende, die aus einkommensschwachen Ländern nach Deutschland kommen, von einem Finanzierungsmix aus Unterstützung durch Eltern (37 %), von Ersparnissen (9 %), Krediten, Stipendien (10 %), übrigen Quellen (11 %) und von eigenem Verdienst (33 %) leben (Apolinarski/Brandt 2018, S. 7 f.). Das Studium durch eigene Arbeit zu finanzieren ist schwierig, da man als Studierende*r nur eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis erhält. So dürfen sie in den meisten Bundesländern 120 Tage im Semester arbeiten. So stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung fest: »Studierende aus Afrika und Asien sind von der Arbeitsregelung in ihrer Aufenthaltserlaubnis besonders häufig betroffen« (Apolinarski/Brandt 2018, S. 46). Für die meisten von ihnen ist es aber notwendig zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. »Eingereist zu Studienzwecken«, heißt es im Visum. Dieser Passus soll verhindern, dass die Studierenden arbeiten, statt zu studieren. Tatsächlich aber arbeiten die meisten von ihnen ein bis zwei Tage pro Woche (39 %, vgl. Destatis 2020, S. 45). Oft, so erfährt man in der Beratung, geschieht das am Wochenende oder abends in der Gastronomie. Dies sind in der Mehrzahl schlecht bezahlte Aushilfsjobs. Es sind vor allem Mietprobleme, mit denen die Schwierigkeiten beginnen. Preiswerter Wohnraum ist rar. Heute wartet man durchschnittlich ein Jahr auf einen Wohnheimplatz, in vielen Städten wie Köln und Münster noch länger. Ist man drei Mieten im Rückstand, befürchten Studierende, dass die Kündigung ausgesprochen wird, und versuchen an anderer Stelle zu sparen, bevor das Dach über dem Kopf verloren geht. Gelegentlich wird der Krankenkassenbeitrag nicht bezahlt. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen, denn bei hohen Rückständen droht die Exmatrikulation, da Studierende ohne die Bescheinigung der Krankenkasse sich nicht zurückmelden können. Dann nehmen sie Kredite auf, bisweilen bei unseriösen Anbietern mit hohen Zinsen, da andere Banken keine Kredite an Studierende vergeben. Inkassoverfahren, Pfändungen oder ein
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Eintrag bei der Schufa sind die Folge. Eine Spirale beginnt, die in ihrer Folge zu Konzentrationsstörungen, Angstzuständen oder in schweren Fällen auch in die Depression führt. Der Aufenthalt zu Studienzwecken ist gefährdet. Eine generelle Arbeitserlaubnis würde die Verantwortung für einen regelmäßigen Studienverlauf bei den Studierenden belassen. Die Hochschulen mit ihren Studien- und Prüfungsordnungen gewährleisten ohnehin eine Kontrolle des Studienverlaufes. Durch die von der Politik und Wirtschaft gewünschte Internationalisierung sind bei den International Offices bereits unterstützende Angebote entstanden, die man für eine dauerhafte Studienbegleitung nutzen könnte. Solange aber die Finanzierungsgrundlage nach wie vor durch persönliche und strukturelle Probleme ins Wanken gerät, fördern ca. 60 ESGn in Deutschland durchschnittlich 2.000 Studierende aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa mit Mitteln von Brot für die Welt. Unterstützt durch ein gut funktionierendes Netzwerk an den Hochschulen ist diese Förderung zielführend, denn sie hilft den Studierenden, sich auf ihr Lernpensum in Prüfungsphasen zu konzentrieren. Neben dem finanziellen Druck empfinden viele Studierende einen hohen Erfolgsdruck, da sie die Erwartungen der Familie erfüllen möchten – schließlich sind sie deren Hoffnungsträger*innen auf eine bessere Zukunft. Dies hat Auswirkungen auf ihr Lebensgefühl und ihre soziale Situation. Neben Studium und Arbeit bleibt wenig Zeit für soziale Kontakte oder es fehlt schlicht das Geld für Freizeitaktivitäten. Der Campus, das Appartement oder Treffen mit Freund*innen gleicher Nationalität prägen ihr Studierendenleben. Bei manchen führt das, gerade in Krisenphasen, zur sozialen Isolation. Andere reduzieren ihre Begegnungen auf das, was ihnen Sicherheit bietet: die eigene Community. Es handelt sich dabei um eine Sicherheit, die sie im Alltagsleben scheinbar nicht finden. Werden sie zu Beginn ihres Studiums noch durch viele Aktionen, Patenschaften und Partys herzlich begrüßt, verabschiedet sich diese Willkommenskultur spätestens nach dem ersten Semester. Dann müssen sie lernen, sich in einer für sie anderen Kultur zurechtzufinden, die Strukturen des universitären Lebens zu erfassen, Studieninhalte in einer anderen Sprache zu durchdringen, wichtige Kontakte zu knüpfen und in Lerngruppen hineinzukommen und dort zu bestehen. Ist dies schon für deutsche Studierende nicht leicht, verfügen internationale Studierende oft nicht über das kulturelle Wissen über die Strukturen an der Hochschule, in Behörden oder das gesellschaftliche Miteinander. Sie haben keine Familie im Hintergrund, die ihnen dieses Wissen vermittelt. Diese Strukturen transparent zu machen und zu erklären, ist neben der Kontinuität ein wichtiger Baustein in der Beratung der Studierendengemeinden. Es ist genauso wichtig wie die Förderung der persönlichen Entwicklung des*der
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jungen Erwachsenen. Das Gefühl, ernst genommen und gesehen zu werden, frei reden zu können, Empfindungen zu reflektieren, aktiviert ihre eigene Handlungskompetenz. Die Sicht auf die Dinge verändert sich, die Angst nimmt ab, Probleme lassen sich leichter lösen.
2 Beispiele aus der Beratungspraxis
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Im Folgenden wird anhand von zwei Fallbeispielen aufgezeigt, welche Wege in der konkreten Beratungspraxis beschritten werden und welche Ergebnisse diese haben kann. Dabei ist zu bedenken, dass es eine Vielzahl ähnlicher, aber auch ganz anderer Beratungssituationen gibt. So vielfältig, wie die Charaktere der Studierenden und der Berater*innen sind, so unterschiedlich verlaufen die Gespräche und sind deren Folgen. 2.1 Den Mut nicht verlieren Im Erstgespräch stellt der Student seine Situation als katastrophal dar: Es gibt Mietschulden, Rückstände bei Krankenversicherungsbeiträgen, Schulden bei Landsleuten. Das bisherige Studium im Fach Informatik an der Technischen Universität der Nachbarstadt ist wenig erfolgreich verlaufen, nach fünf Semestern drohte die Exmatrikulation. Als Ausweg wechselte er zur Technischen Hochschule vor Ort in einen binationalen Studiengang mit stärkerer praktischer Orientierung. Mithilfe letzter Ersparnisse und einer Beihilfe der Hochschule hat er das 1. Studienjahr gemeistert. Einen regelmäßigen und zu den Studienansprüchen passenden Nebenjob hat er nicht finden können. Die Gelegenheitsarbeiten konnten ihn kaum über Wasser halten. Nun nähert sich die Klausurphase, und er steht an einem kritischen Punkt: Konzentriert er sich auf die Klausurvorbereitung, drohen Zimmerkündigung und Stress mit der Krankenversicherung; investiert er seine Zeit und Energie in das Geldverdienen, leidet sein Studium. Er fühlt sich in einer aussichtslosen Zwickmühle und bittet in der ESG um Hilfe. Im Beratungsgespräch bekommt er die Chance, seine Situation zu schildern, und erhält finanzielle Unterstützung für die dringendsten Probleme sowie Tipps, wo und wie er weitere Hilfestellungen erhalten kann. Allerdings sind uns in der ESG als einer kirchlichen Einrichtung vor allem folgende Punkte wichtig: Uns ist bewusst, dass der Student in einer verletzlichen Situation ist; um finanzielle Hilfe zu erhalten, muss er Persönliches
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zu seiner Finanzlage, Familie etc. preisgeben (vgl. Horstmann/Spandick 2010, S. 286 f.). Er wird damit gleichsam zu einem Bittsteller und muss, um sein Anliegen zu erreichen, auch über Erfahrungen von Scheitern und Misserfolg berichten. Das wiegt umso schwerer, da er seit seiner Ankunft in Deutschland mit Rassismus und Abwertung konfrontiert ist. Gerade darum ist es im Beratungsgespräch wichtig, dass Studierende die Erfahrung machen: Mir hört jemand zu und nimmt sich Zeit für mich. Die Beraterin kennt sich mit den Problemen der Freemover (Studierende, die ihr Auslandsstudium autonom und unabhängig von Austauschprogrammen und Kooperationen organisieren) aus und wertet Misserfolge nicht als persönliches Versagen. Der Student kann Druck abladen und seine Lage aufgrund der Botschaft, dass es anderen genauso ergeht und manche Vorgänge typisch für das Gastland sind, besser (ein-)ordnen. Vor allem kann seiner Erfahrung, zu versagen und abgewertet zu werden, und seiner Angst eine große Wertschätzung entgegengesetzt werden: Er hat es – auf sich allein gestellt – geschafft, in einem fremden Land ohne sichere Grundlage zu bestehen und bislang den Mut nicht verloren, sein Studienziel zu erreichen. Wenn das Gespräch gut verlaufen ist, verlässt er die ESG und deren Beratungsangebot mit der Perspektive, dass er mithilfe des Notfonds zumindest die Klausurphase überstehen kann. Er hat die positive Rückmeldung erhalten, mit dem Hochschulwechsel eine richtige Entscheidung getroffen zu haben, und fühlt sich entlastet. Sein Optimismus und Selbstvertrauen sind wiederhergestellt, und er kann sich wieder eher vorstellen, nach den Klausuren einen geeigneten Nebenjob zu finden. Es tut ihm gut zu wissen, dass er erneut Hilfe beantragen kann, falls es noch einmal kritisch wird. Dieses Beispiel zeigt u. a., dass die Beratung sich neben der finanziellen Unterstützung durch eine interessierte und wertschätzende Haltung auszeichnet, die eine große Hilfe für die Studierenden ist.
2.2 Beratung und Bildungsarbeit gehören zusammen Die Studentin, die an der Technischen Hochschule im Fach Elektrotechnik eingeschrieben ist, erhielt bereits Hilfe aus dem Notfonds. Sie ist in der ESG bekannt, da sie öfter Veranstaltungen von STUBE besucht hat. Nun kommt sie erneut in die Sprechstunde und berichtet, dass sie u. a. mithilfe des Notfonds im letzten Semester im Studium weitergekommen ist, aber nun wieder finanzielle Engpässe hat und daher erneut einen
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Antrag stellen möchte. Sie hat alle erforderlichen Unterlagen mitgebracht; dem Antrag auf eine Wiederholungsförderung während der kommenden Klausurphase steht nichts mehr im Weg. Was der Beraterin aber auch auffällt: Die Studentin wirkt abgespannt und müde. Auf Nachfrage berichtet sie, dass sie in ihrem Nebenjob in einem Schnellimbiss nur noch für Nachtschichten eingeteilt wird. Im weiteren Gespräch kommt eine ganze Flut von Problemen ans Tageslicht, die sie belasten: Sie nimmt ihr Studium sehr ernst und ist ehrgeizig. Zu Hause gehörte sie immer zu den Besten. Mittlerweile sind ihre Noten nur noch mittelmäßig, womit sie schlecht zurechtkommt. Sie kennt die Gründe: Die Nachtschichten zermürben sie, und als Muslima mit Kopftuch wird sie regelmäßig verbal belästigt. Ihre Mutter ist krank, und sie macht sich große Sorgen, ob sie im Heimatland richtig behandelt wird. Die Studentin plant, ihr Studium mit einem Master abzuschließen, zweifelt aber manchmal, ob sie die Doppelbelastung Studium und Nebenjob so lange durchhalten kann und überhaupt einen Masterstudienplatz erhält. Auf ihre Anfrage, ob sie sich um ein Stipendium bewerben könne, wird im Gespräch geklärt, dass ihr Notenschnitt bei den Stipendien von Brot für die Welt keine entscheidende Rolle spielt. Zugleich kommt zur Sprache, dass sie Interessantes zu bieten hat, da sie mit Landsleuten zusammen ein Umweltprojekt in ihrem Heimatland gestartet hat und seit mehreren Semestern mit ihrem Engagement bei STUBE ihr Interesse für entwicklungspolitische Themen gezeigt hat. Am Schluss ist deutlich, dass eine Antragsstellung auf ein entsprechendes Stipendium Aussicht auf Erfolg hat und vorbereitet wird. Anhand dieses Beispiels zeigt sich u. a., dass im Beratungsgespräch Möglichkeiten erkundet werden können, um internationale Studierende beim Abschluss ihres Studiengangs zu fördern, aber durch sie auch relevante und interessante Themen in die Bildungsarbeit von STUBE und ESG implementiert werden können.
3 Beratung im Kontext von Alltagsrassismus Seit einigen Jahren verändert sich die gesellschaftliche Stimmung. Rassistische Attacken gegen Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder Frauen mit Kopftuch in Bussen und Bahnen nehmen zu und machen auch vor dem Campus nicht halt. In seiner strukturellen Dimension wird Rassismus hier wie in vielen Institutionen noch zu selten wahrgenommen, sondern eher als persönliches
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Erleben oder als Missverständnis bewertet. Die Meinung, Hochschule als Ort der Wissenschaft kann nur objektiv sein und deshalb auch die Menschen, die sich in diesem Raum bewegen, muss hinterfragt werden. Schauen wir auf ein immer wiederkehrendes Erlebnis, das in der Beratung erzählt wird: Professor*innen erwarten, dass die Studierenden Gruppenarbeit leisten. Ziel ist es, sich einem Projekt aus verschiedenen Perspektiven zu nähern und zu diskutieren, um Aufgaben zu lösen. Denkansätze angehender junger internationaler Wissenschaftler*innen miteinander auszutauschen, zu diskutieren und zu nutzen, entspricht dem Konzept einer transformativen Bildung. Das ist eine Chance für nachhaltige, globale Problemlösungen. Aber so weit kommt es oft nicht. Student*innen berichten immer wieder, dass meistens nur deutsche Kommiliton*innen zusammenfinden und internationale gleichsam übrig bleiben. Schaffen sie es, in eine »deutsche Lerngruppe« zu kommen, werden ihnen manchmal Ort und Zeit der Treffen nicht mitgeteilt. Ihre inhaltlichen Beiträge werden nicht ernst genommen. Vorurteile über ihre Vorbildung und ihre deutsche Aussprache führen zu der Einschätzung, sie seien inhaltlich nicht kompetent. Deshalb empfindet man sie als Belastung. Auch für deutsche Studierende ist diese Situation unangenehm oder nicht bewusst. Es wird aber zu selten darüber gesprochen. Der Vorschlag der Studierenden, internationale Teams zu fördern, wird von zu wenigen Professor*innen umgesetzt. Die meisten unterlassen eine Moderation der studentischen Gruppen, die allen gerecht wird. Sie übersehen gewollt oder ungewollt die Dynamik und das Konfliktpotenzial, das darin steckt. Strukturen und Vorurteile bleiben bestehen, die schon in diesen studentischen Gruppen die »weiße« Sicht auf die Wissenschaft festschreibt und eine gleichberechtigte Diskussion verhindert. Im geschützten Raum der Beratung offenbart sich die Verletzung der Studierenden durch rassistische Äußerungen und mahnt die Berater*innen immer wieder dazu, die Diskussion über strukturellen Rassismus an den Hochschulen zu führen und zu unterstützen. Sie mahnt aber auch dazu, das eigene Handeln zu reflektieren, das ebenso von tief verwurzelten »weißen« Denkstrukturen geprägt ist.
4 Ausblick Den Weg hin zu einer Veränderung nicht nur an den Hochschulen und im Sinne aller beschreibt die »Erklärung der Studierenden aus dem Globalen Süden zu Bildung für nachhaltige Entwicklung« anlässlich des bundesweiten Aktionstages von Brot für die Welt und dem Verband der Studierendengemeinden 2016 in Berlin. Darin heißt es:
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»Wir streben nach einer gerechten Weltgesellschaft, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgt, und in der jede Person die Möglichkeit hat, ihr Potential voll zu entfalten. […] Wir fordern echte Bildung für nachhaltige Entwicklung, in der wir Studierende aus dem globalen Süden als Expert*innen, Lehrende und Multiplikator*innen anerkannt und gefördert werden. […] Wir fordern […], den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Lernenden und Lehrenden aus dem globalen Süden und Norden zu motivieren und nachhaltig zu verbessern« (Erklärung 2016, S. 1 f.).
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Auch in Zukunft wird sich der eingeschlagene Weg als verheißungsvoll erweisen, das Thema »Nachhaltigkeit« weiter in die Beratungsarbeit aufzunehmen sowie diese Programmgestaltung selbst nachhaltig zu gestalten. Das geschieht u. a. dadurch, dass die Verknüpfung von Beratung und Bildung weiter kultiviert wird und auf diese Weise internationale Studierende in der Entfaltung ihrer Studien-, Berufs- und Lebensperspektiven ins Zentrum gestellt werden.
Literatur Apolinarski, B./Brandt, T. (2018): Ausländische Studierende in Deutschland 2016. Ergebnisse der Befragung bildungsausländischer Studierender im Rahmen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin. https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Auslaendische_Studierende_in_Deutschland_2016.pdf (abgerufen am 22.12.2020). Erklärung der Studierenden aus dem globalen Süden zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (Berlin, 03.11.2016). https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/blogs/Ehemalige_ Mitarbeitende/berliner_erklaerung_der_studierenden_aus_dem_globalen_sueden_zu_bne. pdf (abgerufen am 22.12.2020). Fleiter, S. (2008): Ausländerstudium konkret. Erfahrungen aus der evangelischen Beratungsarbeit. In: G. Laqueur/I. Schmidt/J. Will-Armstrong (2008): Von der Alma Mater zum Bildungskonzern? Hochschulreformer und evangelische Hochschularbeit. Gemeinsam verantwortlich – wechselseitig herausgefordert. Evangelische Hochschuldialoge. Bd. 4 (S. 113–116). Berlin. Horstmann, K./Spandick, D. (2010): Interreligiöse Seelsorge mit Studierenden an den Hochschulen. In: K. Federschmidt/K. Temme/H. Weiß (Hg.): Handbuch Interreligiöse Seelsorge (S. 279–287). Göttingen. Krieger, T. (Hg.) (2007): Warum wir hier sind. Ausländische Studierende aus Entwicklungsländern finden ihren Weg im deutschen Unialltag. Bielefeld. Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen. https:// www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/ Publikationen/Downloads-Hochschulen/studierende-hochschulen-endg-2110410207004. pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 24.11.2020).
2.11 Theologie und religiöse Bildung Bernd Schröder
1 Einleitung Im Konzept dieses Handbuches werden – im Anschluss an ein auf die Zeit der Alten Kirche zurückgehendes Quadrivium von Merkmalen des Kirche-Seins – vier Aufgaben Evangelischer Studierendengemeinden hervorgehoben: martyria (Evangelium kommunizieren), leiturgia (Gottesdienst feiern), diakonia (Engagement zugunsten anderer pflegen) und koinonia (Gemeinschaft gestalten). Theologia (über Gott und die Welt nachdenken) sowie eruditio (Bildung fördern) gehören auf den ersten Blick nicht zu diesem Kernbestand an Aufgaben, doch es wäre ein Missverständnis, sie deshalb gering zu schätzen. Nach evangelischer Überzeugung, die sich unbeschadet späterer Transformationen aus Impulsen der Reformatoren speist, kann und soll jeder Christenmensch verstehen, was er glaubt und aus Glauben tut. Dieses Verstehen erfordert Bildung, und schon das Bemühen um Verstehen des Geglaubten ist Theologie, wenn auch keine wissenschaftliche Theologie (vgl. dazu exemplarisch Schröder 2017). Es gehört somit ins Portfolio jeder Gemeinde, insbesondere einer Hochschul- bzw. Studierendengemeinde, Teilhabe an Bildung und Theologie zu ermöglichen.
2 Empirische Perspektiven Unbeschadet jenes sachlichen Zusammenhangs zwischen Glauben und Verstehen, Bildung und Theologie waren und sind de facto weder alle Mitglieder einer evangelischen Kirche formal hoch gebildet noch an Theologie interessiert. Mehr noch: Es gehört zu den eindrücklichsten Ergebnissen der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, dass Kirchenmitglieder nicht allzu viele Themen ihres Nachdenkens für »ein (eher) religiöses Thema« halten, und dass sie zudem über solche Themen mehrheitlich »selten« bzw. »nie« mit jemandem
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sprechen (Bedford-Strohm/Jung 2015, S. 491–493). Falls sie darüber sprechen, geschieht das vor allem innerhalb von Partnerschaft und Familie, nur selten im Gespräch mit Pfarrer*innen oder anderen Gemeindegliedern (Bedford-Strohm/ Jung 2015, S. 493). Anders gesagt: Die wenigen Themen, die moderne evangelische Zeitgenoss*innen als »religiöse« identifizieren, werden, wenn überhaupt, zumeist in der Privatsphäre kommuniziert. Auf dieser Linie scheint auch das zu liegen, was sich unter Studierenden beobachten lässt, etwa wenn es in der – auf niedersächsische Universitäten bezogenen – Studie »Kirche auf dem Campus« vor einigen Jahren hieß, dass Studierende sich »kaum« einmal mit Sinnfragen auseinandersetzen und »nur vereinzelt ein religiöses Interesse […] oder Interesse am Austausch über religiöse Themen […] erkennen« lassen (Ahrens/Läger-Reinbold 2014, S. 18). Gilt diese empiriebasierte Beobachtung für die Gesamtheit der Studierenden, mag es unter denjenigen, die evangelisch sind und an Veranstaltungen einer ESG teilnehmen, anders sein – denn diese zählen zumeist zu den »kirchlich stark verbundenen Studierenden« (Ahrens/Läger-Reinbold 2014, S. 25). Ohnehin kann man ja aus dem empirisch erhobenen Ist-Zustand nicht linear darauf schließen, was eine ESG tun soll – doch der Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten mahnt zur Bescheidenheit: Es ist bereits wertzuschätzen, wenn es gelingt, religiöse oder gar theologische Themen in ansprechender Weise ins Programm zu rücken und so die mittlerweile weithin ins Private zurückgezogene Kommunikation religiöser oder existenzialer Fragen öffentlich, nämlich im Rahmen einer Gemeinde, zu führen.
3 Programmatische Perspektiven An den Programmen von Studierendengemeinden zeigt sich nahezu durchweg, dass sie um genau dies, die öffentliche Kommunikation religiöser oder existenzialer Fragen, bemüht sind – nicht als ihr einziges Angebot, aber doch als ein wesentliches ihrer Angebote. Unterscheiden lassen sich dabei etwa – in Anlehnung an Kategorien aus der sogenannten Jugendtheologie (vgl. Schlag/ Schweitzer 2011, S. 59–62): – implizit religiöse bzw. theologische Bildungsangebote (d. h. solche, die seitens der Veranstaltenden als religiös bzw. theologisch verstanden werden, nicht aber notwendigerweise auch seitens der potenziellen Teilnehmenden), z. B. ein Gottesdienst »Macht das Leben Sinn?« mit anschließendem Get-together, ein Gesprächsabend zum Thema
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»Welches Outcome hat das In-Sein?«, ein Arbeitskreis »Bewusst konsumieren«, – explizit religiöse Angebote (d. h. solche, die ausdrücklich eine religiöse Praxis, ein religiöses Medium, einen religiös relevanten Gehalt erfahrbar werden lassen), z. B. ein Taizé-Gebet oder eine Andacht, Gospel-Chorarbeit oder ein Liederabend mit neuen geistlichen Liedern, ein Filmabend »Wie im Himmel« (Regie: Kay Pollak, 2014), eine Fahrt zum Kirchentag oder eine Pilgerwanderung, – explizit theologische Bildungsangebote (d. h. solche, die wissenschaftlich-theologisch bearbeitete Gehalte präsentieren), etwa ein interreligiöser Diskussionsabend, ein Vortrag zum Thema »Heute noch von Sünde reden?«, eine exegetisch fundierte Bibelarbeit.
Aus theologisch-religionspädagogischer Sicht ist diese religiös-theologische Programmschiene der Arbeit von Studierendengemeinden nicht nur auftragsgemäß, sondern auch sachgemäß – denn solche Angebote entsprechen in besonderer Weise der theologischen Qualifikation der ESG-Pfarrer*innen, der rechtlichen Verfasstheit und dem Selbstverständnis der ESG als »Gemeinde« und dem, was etwa in Verlautbarungen der EKD für dieses Arbeitsfeld empfohlen wird (Kirchenamt der EKD 2006, Abs. II »Zielsetzung von Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule«).
4 Theologische Perspektiven Eine ESG hat rechtlich und ihrem Selbstverständnis nach theologische Qualität; sie ist laut Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland »Gemeinde Jesu Christi an der Hochschule« und »an die Heilige Schrift gebunden und [sie] steht auf der Grundlage der in der Evangelischen Kirche in Deutschland gültigen Bekenntnisse« (Bundes-ESG 2018, Präambel). Sie hat zudem Teil »am Gesamtauftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Gliedkirchen, insbesondere im gesellschaftlichen Feld von Bildung, Wissenschaft und Hochschulentwicklung« (Bundes-ESG 2018, Präambel). Dieser Bestimmung zufolge ist »Bildung« so etwas wie der cantus firmus im Auftrag und Aufgabenportfolio von Studierendengemeinden; sie grundiert auch ihr Handeln in Gestalt von martyria (Evangelium kommunizieren), leiturgia (Gottesdienst feiern), diakonia (Engagement zugunsten anderer pflegen) und koinonia (Gemeinschaft gestalten).
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Mit anderen Worten: Die ESG setzt einerseits Bildungsimpulse, die Studierende auf die Teilhabe und Mitwirkung an diesen Handlungsfeldern hin motivieren und befähigen sowie deren kritisches Verstehen befördern. Und sie anerkennt und wertschätzt andererseits die bildende Kraft, die dem Evangelium-Kommunizieren, dem Gottesdienst-Feiern, dem Engagement zugunsten anderer und dem Gemeinschaft-Gestalten, also den prima facie nicht (religions-)pädagogisch zu reflektierenden Handlungsformaten der Gemeinde, innewohnt. Ihr Bildungsangebot fördert also einerseits das Praktizieren, Erfahren und Verstehen von Religion; andererseits tragen die »religiösen« Vollzugsformen des Christseins, die eine ESG pflegt, dazu bei, Christsein oder Christwerden zu gestalten, zu stabilisieren, zu fördern. An der programmatischen Arbeit von Studierendengemeinden wird exemplarisch deutlich: Bildung fördert und braucht Religion, Religion fördert und braucht Bildung (Schröder 2012, S. 219–224). Das thematische Spektrum dessen, was Studierendengemeinden in religiöser bzw. theologischer Hinsicht aufgreifen können, ist breit – es ist notwendigerweise breit, weil sie einem subjektorientierten Bildungsverständnis verpflichtet sind, ihre Gemeinde sich in einem religiös-weltanschaulich pluralen Umfeld bewegt (bzw. ihrerseits religiös-weltanschaulich plural verfasst ist) und sie im Kontext der Hochschule als in einer Forschung, Lehre und »third mission« nach Innovation strebenden Institution ständig mit neuen Theorieimpulsen, intellektuellen Debatten und Handlungsaufforderungen konfrontiert wird. Es ist geradezu das Proprium von Studierendengemeinden und ihre Schlüsselfunktion für die Gesamtkirche, nah am (intellektuellen) Puls der Zeit zu sein und die »Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Wissenschaft und den Bildungseliten« zu suchen (Kirchenamt der EKD 2006, Einführung). Mit einiger Kühnheit zusammengefasst gruppieren sich die Themen von Studierendengemeinden um folgende theologisch bearbeitbare und theologisch zu bearbeitende Aspekte: – Identität (Themen also, die für die Klärung des Selbstverständnisses, der beruflichen Perspektive, des Ethos und der Religiosität von Studierenden und Lehrenden relevant sind), – Dialog (Themen also, die dem Wahrnehmen, dem Verstehen, dem Kommunizieren über Grenzen der wissenschaftlichen Disziplin, der Konfession oder Religion, der ethisch-politischen Überzeugung oder Weltanschauung hinweg dienen), – kritische Prüfung (Themen also, die auf die intellektuelle Auseinandersetzung mit Wahrheitsansprüchen, Thesen, Erklärungsmustern ver-
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schiedenster Provenienz zielen und dafür die theologisch geschulte Vernunft in Anspruch nehmen), – Zeitgenossenschaft (Themen also, die sich der Neugierde und dem Interesse an je aktueller Weltwahrnehmung und -deutung sowie der Bereitschaft zum Engagement verdanken und aus theologischer Perspektive beleuchtet werden).
5 Religionspädagogisch-andragogische Perspektive Das, was der Studierendengemeinde rechtlich, theologisch und ihrem Selbstverständnis nach aufgegeben ist, bedarf – je nach Handlungsformat und Inhalt – immer wieder auch religionspädagogischer Reflexion. Es bedarf gleichwohl nicht minder liturgischer, poimenischer, diakoniewissenschaftlicher, interkultureller usw. Reflexion. 5.1 Religionspädagogisch zu reflektierende Leistungen der ESG Dank der religionspädagogischen Reflexion dessen, was Studierendengemeinden tun und sind, lassen sich bestimmte Aspekte ihrer Leistungen beschreiben und gestalten, etwa: – ihre Rolle als religiöse Sozialisationsinstanz: Im Übergang zum Erwachsensein schreibt die ESG die religiöse bzw. kirchliche Sozialisation fort, die Studierende in ihrer Familie, in ihrer Heimatkirchengemeinde und andernorts erfahren haben. Sie tut das in einer kritischen biografischen Phase, in der Studierende bisher Gewesenes auf den Prüfstand stellen unter der Frage, ob es auch in ihrem zukünftigen Leben als wirtschaftlich selbstständiger, in Partnerschaft Verantwortung übernehmender, eigenständig konsumierender erwachsener Mensch Bestand haben soll. Die ESG modifiziert, plurifiziert und stabilisiert Verbundenheit mit christlichem Glauben und Kirche. In dieser Hinsicht sind die Lebensführung und -deutung bzw. das (berufliche) Ethos der ESGPfarrer*innen von hervorragender Bedeutung (vgl. Horstmann 2012); daneben allerdings auch die koinonia, das Gemeinschaftserleben mit den peers. In ihrer biografischen Bedeutung für junge Erwachsene ist die Arbeit der Studierendengemeinde diesbezüglich vergleichbar mit dem Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen (vgl. Biewald u. a. 2018).
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– ihre Rolle als erwachsenenbildnerische Institution: Studierende sind mit den »formalen« Lernorten par excellence, Schule und Hochschule, wohl vertraut. Mit der ESG bewegen sie sich in einem Lernort mit primär »non-formalen« und »informellen« Lernpotenzialen (vgl. Europäische Kommission 2001, S. 57 f. passim). Hier begegnen sie einem Verständnis und einer Praxis von Bildung, die nicht auf den Erwerb von Qualifikationen abhebt, nicht auf linear strukturierte, primär kognitive Lernprozesse abonniert ist, nicht die Asymmetrie zwischen Lehrer*in und Lernenden betont, sondern ganzheitlich, teilnehmer*innenzentriert, partizipatorisch sein will – ein solches subjektorientiertes Bildungsverständnis ist gegenwärtig in der Bildungstheorie (nicht zu verwechseln mit empirischer Bildungswissenschaft) en vogue, es findet historische Vorbilder etwa bei Paulo Freire, Johann H. Pestalozzi, Johann Amos Comenius. In dieser (und den beiden folgenden) Hinsicht(en) sind Studierendengemeinden vergleichbar mit evangelischen Erwachsenenbildungswerken und Akademien. – ihre Rolle als religiöser Lernort: Vielen Studierenden dürfte ihr schulischer Religionsunterricht und ihr Konfirmandenunterricht als letzte Erfahrung lernender Begegnung mit Religion in Erinnerung sein. Die Studierendengemeinde knüpft in der Sache daran an; in ihren Formaten, in ihrer Intention und in ihren Gehalten tut sie es nicht. Vielmehr bringt die Studierendengemeinde Religion anders als Lerngelegenheit ins Spiel: als Chance auf (religiöse) Identitätsbildung, als Förderung von Resilienz, als thematische Horizonterweiterung (gegenüber dem jeweiligen Studienfach), als »interoptionale« Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen (vgl. Barth 2013), als »Unterbrechung« von Alltag und Studium (siehe unten). – ihre Rolle als öffentlicher Dialoginitiator und Forum für theologische oder religioide Themen an der Hochschule insgesamt: »Die evangelische Kirche an der Hochschule sucht und führt den Dialog mit Wissenschaft, Kunst und Technik. Dies kann einerseits zu Kooperation führen, andererseits aber auch ein kritisches Gegenüber zu Hochschule und Wissenschaft erfordern. Mögliche Orte dieses Dialoges sind das Studium generale, Ringvorlesungen, Hochschultage, Hochschuldialoge, ESG-Abende oder ähnliche Veranstaltungen. Zu ihren Themen zählen die Auseinandersetzung mit der Freiheit und Verantwortung des Menschen für die schöpferische und friedvolle Gestaltung der Welt, die Würde und Unverfügbarkeit des mensch-
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lichen Lebens, das Streben nach gerechten Verhältnissen, der interreligiöse und interkulturelle Dialog und andere ethisch wie religiös zentrale aktuelle Themen« (Kirchenamt der EKD 2006, Abs. II.4 »Evangelische Kirche an der Hochschule als Dialogpartner«).
5.2 Religions- und erwachsenenpädagogische Wissensbestände für ESG Trotz der religionspädagogischen Relevanz von Studierendengemeinden bieten religionspädagogische Lehrbücher nur selten detaillierte Einsichten zur Arbeit von Studierendengemeinden – sie verhandeln schon kaum einmal das Feld der Erwachsenenbildung (zu den Ausnahmen zählt Schröder 2012, S. 498–513.518 f.). Doch eben diese Andragogik ist der theoretische Referenzraum für bildendes Handeln im Blick auf junge Erwachsene, die in Studierendengemeinden zusammenfinden (vgl. dazu grundlegend Bergold/Boschki 2014 und umfassend zur allgemeinen Erwachsenenbildung Tippelt/von Hippel 2018). Im Vergleich der Zielgruppen weisen die Adressat*innen der ESG gerade in religionspädagogischer und andragogischer Hinsicht spezifische Züge auf: Sie sind in ihrer Eigenschaft als Studierende ausnahmslos formal hoch gebildet und gehören nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums mit hoher Wahrscheinlichkeit der zukünftigen wirtschaftlichen und kybernetischen Elite des Landes an. Sie nehmen allesamt freiwillig am Leben bzw. an den Bildungs angeboten der ESG teil und sind dabei intrinsisch, nicht durch die Aussicht auf zertifizierbare Qualifikation oder Weiterbildung motiviert. Sie sind (nahezu) ausnahmslos jung an Jahren und befinden sich nominell auf dem Zenit ihrer geistigen und physischen Kräfte – was die Forderung nach Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen oder Krankheiten, mit kulturellen Barrieren und in existenziellen Notsituationen keineswegs ausschließt, sondern umso herausfordernder werden lässt. Spezifika der religiös-andragogischen Arbeit von Studierendengemeinden (im Vergleich etwa zur schulischen religiösen Bildung) liegen unter anderem: – in der »non-formalen« Verfasstheit der Bildungsangebote (siehe oben), – im Eingehen auf die besondere Lebenssituation junger Erwachsener (die entwicklungspsychologisch, gesellschaftlich, berufsbiografisch, poimenisch und existenzial beschreibbar ist), – im hohen intellektuellen, in aller Regel wissenschaftsaffinen und -vertrauten Anspruchsniveau Studierender,
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– im Charakter der ESG als Angebot der Freizeitgestaltung bzw. als »Unterbrechung« dessen, was im jeweiligen Studiengang, im selbst zu organisierenden Alltag, in der nichtreligiös geprägten Lebenswelt selbstverständlich getan werden muss oder erwartet wird (vgl. dazu Bergold/Boschki 2014, S. 87–93.132–135).
5.3 Didaktisch-methodische Anregungen für Bildungsarbeit der ESG In didaktisch-methodischer Hinsicht kommen angesichts dieser Besonderheiten des Lernortes »Studierendengemeinde« andere Methoden, Settings, Konzepte und Herausforderungen in den Blick als etwa in der Schule:
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– Methoden: Zwar gelten in der Bildungsarbeit von Studierendengemeinde dieselben Kriterien für die Prüfung von Methoden wie andernorts (Ziel- und Inhaltsgemäßheit, Lernenden- und Situationsgemäßheit, Passung zum »Lehrenden«; immanente Methodenqualität – vgl. dazu Schröder 2012, S. 574), doch verdienen hier stärker noch als sonst Methoden den Vorzug, die symmetrische Kommunikation, Partizipation, Ganzheitlichkeit fördern (vgl. dazu etwa Leenen 2019). – Settings: In der Regel verfügen Studierendengemeinden über Räumlichkeiten auf dem Campus oder in dessen Nähe. Sie können für ihre Bildungsangebote insofern sowohl auf universitäre Räume zurückgreifen (um z. B. das akademische Niveau ihrer Veranstaltung oder deren Offenheit für die Hochschulöffentlichkeit zu unterstreichen) oder aber auf ihre eigenen »kirchlichen« Räume, die aus universitärer Sicht bereits als ein »anderer« Lernort gelten und möglichst durch ihre Gestalt eine »vorbereitete Umgebung« (Maria Montessori) für religiöse Lehr-Lernprozesse bieten sollten. Ihre entsprechende Gestaltung kann auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch farbig gestrichene Wände, Symbole des Religiösen (z. B. ein Bücherbord mit Bibeln in den Muttersprachen der ESG-Mitglieder), Foto- oder Kunstausstellungen oder durch eigens entwickelte Andachts- bzw. Sakralräume (wie z. B. in der ESG Saarbrücken). Darüber hinaus können und sollten für die Bildungsarbeit der ESG dritte Orte genutzt werden: die kirchliche Tagungsstätte mit geistlicher Prägung (Kloster, Kommunität, markantes Kirchgebäude), der Pilgerweg, das Museum, der Bibelgarten. – Konzepte: Bei der Gestaltung ihrer religiösen bzw. theologischen Bildungsangebote können Studierendenpfarrer*innen selbstverständ-
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lich profitieren von der Kenntnis sogenannter religionsdidaktischer Konzeptionen (aus jüngerer Zeit also etwa von performativer Religionsdidaktik, Jugendtheologie oder konstruktivistischer Didaktik); darüber hinaus können sie sich von Lehr-Lern-Modellen aus der Erwachsenenbildung – von der Neurodidaktik bis hin zum sogenannten provokativen Stil – inspirieren lassen (vgl. dazu übersichtlich Meier-Gantenbein/ Späth 2016). – Herausforderungen: Religiöse und theologische Bildungsarbeit einer ESG steht gegenwärtig vor Herausforderungen, die sowohl ihre Arbeitsformen wie ihre Inhalte betreffen: • Förderung religiöser bzw. theologischer Sprachfähigkeit: Angesichts rückläufiger religiöser Sozialisation (vgl. Bedford-Strohm/Jung 2015, S. 131–141.142–160) und vorläufiger Privatisierung religiöser Kommunikation (siehe oben) wächst die Bedeutung der elementaren Aufgabe, eine Sprache für Religion und Theologie anzubieten und zu fördern, die verständlich ist, deren unumgänglich symbolische Qualität verdeutlicht und einlädt zur Ingebrauchnahme. • Digitalisierung: Der quantitative und qualitative Bedeutungsgewinn digitaler Kommunikation verändert Bildungsarbeit. Digitalität ermöglicht neue Arbeitsformen (etwa die Produktion von Videoclips oder die Vernetzung mit Studierendengemeinden in aller Welt), erweitert das Zielspektrum auch religiöser Bildungsarbeit (vor allem in Richtung informationeller Aufklärung; vgl. dazu KMK 2016) und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Werbung für sie (etwa über soziale Medien) sowie der Partizipation (z. B. durch Online-Seminare und Ähnliches). Diesbezüglich steht die Bildungsarbeit der ESG vor ähnlichen Aufgaben wie andere Formate evangelischer Erwachsenenbildung. • Globalisierung: Seit Jahren steigt – politisch und universitär gewünscht – der Anteil internationaler Studierender an Hochschulen in Deutschland, die zum Teil auch Anschluss an die ESG suchen. Dadurch wird in deren Arbeit Mehrsprachigkeit zur Herausforderung, zudem weitet oder verstärkt sie ihren internationalen Horizont. Letzteres kann greifbar werden etwa im »Studienbegleitprogramm für Studierende aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa« (STUBE), aber auch in der Diskussion »normaler« theologischer Themen, in die durch internationale Studierende andere Frömmigkeiten, Sprachstile, Interessen eingehen. Nicht zuletzt rücken Themen auf die Agenda
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der ESG, die »Globalisierung« theologisch reflektieren: Fragen der Dekolonialisierung, der Weltwirtschaftsordnung, des weltweiten Bedeutungsgewinns des Christentums, insbesondere seiner charismatischen Strömungen. • Religiöse Pluralisierung: Evangelisch-Sein ist in Deutschland vielgestaltig – das gilt nicht zuletzt für Menschen im Jugend- und Junge-Erwachsenen-Alter (vgl. dazu Schröder u. a. 2017): Junge Evangelische verstehen sich als agnostisch, als evangelikal, als volkskirchlich, als religiös in einer ganz individuellen Weise. Die Internationalisierung der Studierenden bringt zudem eine Vielfalt konfessioneller Prägungen ins Spiel, die in Deutschland traditionell kaum eine Rolle spielen: etwa Baptismus, Methodismus oder Anglikanismus. Eine ESG muss in Anbetracht dessen Offenheit signalisieren, zugleich aber als »evangelisch« Profil zeigen.
Literatur Ahrens, P.-A./Läger-Reinbold, K. (2014): Kirche auf dem Campus. Religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Studierenden. Hannover. Barth, H.-M. (2008): Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen (3. Aufl.). Gütersloh. Barth, H.-M. (2013): Konfessionslos glücklich? Gütersloh. Bedford-Strohm, H./Jung, V. (Hg.) (2015): Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft (KMU V). Gütersloh. Bergold, R./Boschki, R. (2014): Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung. Darmstadt. Biewald, R./Obermann, A./Schröder, B./Schwendemann, W. (Hg.) (2018): Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Handbuch. Göttingen. Bundes-ESG (2018): Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Revidierte Fassung der Ordnung von 2014. Hannover. Europäische Kommission (2001): Einen Raum des lebenslangen Lernens schaffen. Brüssel. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der EKD. Hannover. https://www.ekd.de/praesenz_ev_kirche_hochschulen.htm (abgerufen am 07.06.2021). Kirchenamt der EKD (2020b): Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit. Aufgaben und Chancen. Leipzig. Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Berlin. Leenen, W. R. (Hg.) (2019): Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung. Göttingen. Meier-Gantenbein, K. F./Späth, Th. (2016): Handbuch Bildung, Training und Beratung: Zwölf Konzepte der professionellen Erwachsenenbildung (2. Aufl.). Weinheim. Schlag, Th./Schweitzer, F. (2011): Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchen-Vluyn.
Theologie und religiöse Bildung
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Schröder, B. (2012): Religionspädagogik. Tübingen. Schröder, B. (2017): Lebenslanges Lernen an und aus der Taufe. In: A. Kurschus/V. von Bülow (Hg.): Die Entdeckung des Individuums? Wie die Reformation die Moderne geprägt hat (S. 89–109). Bielefeld. Schröder, B./Hermelink, J./Leonhard, S. (Hg.) (2017): Jugendliche und Religion. Stuttgart. Schröder, B. (Hg.) (2021): Bildung. Tübingen. Tippelt, R./von Hippel, A. (Hg.) (2018): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (6. Aufl.). Wiesbaden.
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2.12 Gemeinschaft erleben Friedrich Hohenberger
1 Einleitung
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»Sehr geehrte Evangelische Studierendengemeinschaft …« Immer wieder können Geschäftspartner*innen mit dem Begriff Gemeinde nichts anfangen. Dann wird in Anschrift und Anrede ein Alltagswort verwendet: Gemeinschaft. Die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) ist in der Außenwahrnehmung eine Gemeinschaft. Diese vereinfachte Außensicht ist durchaus schlüssig, denn erlebte Gemeinschaft ist der Markenkern der ESG. Die Aussicht auf Gemeinschaft wird meist als die stärkste Motivation benannt, um sich einer ESG anzuschließen. Etwas anders sieht es in der 2014 beschlossenen Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (Bundes-ESG) aus: Dort ist der Begriff Gemeinschaft nicht auffindbar. Stattdessen betont die Bundes-ESG, Gemeinde Jesu Christi an der Hochschule zu sein und am Gesamtauftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teilzuhaben (Bundes-ESG 2018, Präambel). Diese Eigendarstellung orientiert sich stark an binnenkirchlichen Sprachmustern und Rechtsvorstellungen. Dabei ist insbesondere der Begriff Gemeinde umstritten. Aus Verhandlungen der Bundes-ESG mit Vertreter*innen der EKD Anfang der 2000er-Jahre wird gern ein Ausspruch des damaligen Kontaktbeauftragten der EKD, Bischof Axel Noack, zitiert: Er meinte, Studierendengemeinden seien Gemeinden »bestenfalls im Sinn des Neuen Testaments« (Huber 2005). Der damalige EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, kommentierte dies so: »Diese ironische Bemerkung enthält, wie wir alle wissen, eine heilsame Relativierung unserer kirchenrechtlichen Kategorien. Jeder Gemeinde täte es ja gut, wenn sich dies von ihr sagen ließe. Auch Studierendengemeinden steht das gut zu Gesicht. ›Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.‹ (Apg 2,42). Diese Beschreibung der ältesten Gemeinden muss ja wohl gemeint sein, wenn von Gemeinde im neutestamentlichen Sinn die Rede ist« (Huber 2005).
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2 Der Gemeinschaftsbegriff in der ESG Zwei Aspekte verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit: Wie ist die Gemeinschaft der ESGn juristisch zu fassen und wie wirkt die Gemeinschaft der Urgemeinde auf die gegenwärtige Gestalt der ESGn? Juristisch bleibt die ESG im Gegenüber zur Parochialgemeinde ein kaum fassbares Rechtsgebilde. Die kirchenrechtliche Hürde besteht dabei vor allem im besonderen Gemeinschaftsverständnis der ESG: Gemeinschaft wird in ihr inklusiv gelebt. Studierende, egal welcher Herkunft oder Zugehörigkeit, können sich ESG-Ortsgemeinden nicht nur anschließen, sondern auch leitend an Gestaltung und Entscheidungen mitwirken. Diese Möglichkeit der Teilhabe ist kein verfasstes Recht, sondern gründet in der Bereitschaft, dass eine mit der Geschäftsführung beauftragte Person dies wohlwollend umsetzt. In der Frage der Haftung findet diese Praxis ihre Grenze. Landeskirchliche Parochialgemeinden hingegen sind exklusiv geordnet: Wer seine Mitgliedschaft nicht mithilfe eines Eintrages in staatliche Register nachweisen kann, bleibt von einer umfassenden, also auch leitenden Teilhabe ausgeschlossen. Die Herausforderung, besondere Gemeindeformen juristisch zu ordnen, fand ihren Niederschlag in den »Zwölf Leitsätzen zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche« der EKD. Im achten Leitsatz wird die Perspektive entwickelt, kirchliche Gemeinschaft auch jenseits der klassischen Kirchenmitgliedschaft zu begründen (Kirchenamt der EKD 2020c). Diese Zukunft hat in der ESG längst begonnen. Der zweite Aspekt berührt die biblische Quellenlage. Der im griechischen Testament gebräuchliche Begriff koinonia wird im Deutschen mit Gemeinschaft übersetzt. Er begegnet vor allem in paulinischen Schriften (1Kor 1,9, 10,16, 2Kor 9,13, Gal 2,9, Phlm 6; vgl. Apg 2,42). Sie zählen zu den frühesten christlichen Zeugnissen und belegen, dass Gemeinschaft für das Selbstverständnis der Urgemeinde grundlegend ist. Das griechische Wort koinonia ist in seiner Bedeutung nicht deckungsgleich mit dem deutschen Begriff Gemeinschaft. Letztere wiederum wird selbst kontrovers definiert und ist Gegenstand unterschiedlichster Betrachtungen (vgl. Rosa 2010). Mit koinonia wird in der Bibel eine Gemeinschaft beschrieben, deren Individuen zueinander solidarisch und sozial ausgleichend agieren. Diese Gemeinschaft gründet nicht im Gefühl gegenseitiger Sympathie, sondern ihr Wesen ist primär materieller Natur: Vermögen wird geteilt. Das Individuum definiert sich nicht durch persönlichen Besitz, sondern dadurch, Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der alle in gleicher Weise haben, was sie benötigen. In jüngeren Schriften des christlichen Kanons verliert sich der Begriff koinonia. Zeitgleich entwickeln sich aus presbyterialen Gemeindeordnungen immer stärker hierarchisch episkopale Strukturen, die ein im Sinne
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der koinonia ausgeprägt partizipatorisch-solidarisches Miteinander verdrängten. Pointiert formuliert wird aus einer Gemeinde in Gemeinschaft die institutionell kirchlich geordnete Gemeinde. Diese Entwicklung zu hinterfragen, wird später eine der Gründungslegenden der christlichen Studierendenbewegung, die sich als Gegenüber oder Ergänzung zur kirchlichen Institution verstand. Orientierung suchten sie im Zeugnis der biblischen Urgemeinde. Schriften aus dem Beginn der christlichen Zeitrechnung berichten, dass alle Versuche gescheitert waren, den Visionen der »großen Erzählung« (vgl. Veerkamp 2012) eine auch nur annähernde irdische Gestalt zu verleihen. Die gelebte Gemeinschaft der Urgemeinde zog sich aus einer aktiv gestaltenden Rolle für die Umwelt zurück. Jedoch nahm sie für sich antizipatorisch das eschatologische Ereignis einer Neuschöpfung aller Dinge vorweg, indem sie koinonia, also solidarische Gemeinschaft, untereinander und spirituell mit dem auferstandenen Christus lebte. Es war eine Existenz, die mit den Begriffspolen schon und noch nicht beschrieben wird. Ein Leben zwischen diesen Polen lässt Spielräume zu. Studierendengemeinden nehmen diese wahr und loten Art und Weise gelebter Gemeinschaft immer wieder aus. In welche Richtung das Lot geworfen werden kann, zeigt der Blick auf zwei bundesweit aktive christliche Gruppen an den Hochschulen. Die Studentenmission in Deutschland (SMD) ist als Netzwerk lokaler Studierendengruppen organisiert, welches nahezu ohne hauptamtliches Personal, kirchliche Finanzierung, eigene Gebäude sowie konfessionelle Bindung Gemeinschaft lebt. Ganz anders sind Katholische Hochschulgemeinden (KHG) sichtbar eingebunden in eine den Weltkreis umspannende Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche.
3 Gemeinschaft in der ESG – Verortung Die ESG positioniert sich als eigenständig gelebte Gemeinschaft. Dabei gibt es deutliche Gemeinsamkeiten: So gehören das Bibelstudium und die Feier von Gottesdiensten zum Kernbestand der ESG. Das eine weckt Fragen zum persönlichen Glauben, im anderen feiert eine Gemeinschaft, deren Dimension größer ist als Ort und Zeit. Grundsätzlich sind ESGn durch verfasste Landeskirchen organisiert. Für das Lebensgefühl Studierender ist die Kirche hingegen eher selten identitätsstiftend oder gemeinschaftsbildend, im Gegenteil: Studierende entziehen sich einer zu stark empfundenen Verkirchlichung. Das mag an einer Abneigung liegen, welche Studierende gegen Institutionen im Allgemeinen hegen. Im Besonderen gründet es aber auch im Bewusstsein, Teil der überkonfessionellen Kirche Jesu
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Christi zu sein. Deren unfassbare Größe sowie die damit verbundene Möglichkeit einer weltweiten konfessionslosen Ökumene sind seit Beginn der christlichen Studierendenbewegung so faszinierend, dass sie die ESGn in ein kritisches Gegenüber zu verfassten Kirchen führt. Die ESG ist ein Vorreiter der Ökumene. Die Gründung des World Student Christian Federation (WSCF) mit Sitz in Genf wurde zur Blaupause für den ÖRK. Die Impulse dazu kamen insbesondere durch die Young Men’s Christian Association (YMCA, dt. CVJM) von außen nach Deutschland. Sie lagen quer zu allen Bestrebungen, Gesellschaften eindimensional durch Nationalität, Sprache, Religion oder Kultur zu definieren. In diesem ökumenischen Geist fand Dietrich Bonhoeffer Inspiration, die er als Studierendenpfarrer in Berlin vertiefte. Auf ihn berufen sich bis heute ESGn, wenn sie in ihren Gemeinschaften Menschen aus aller Welt teilhaben lassen. Diese Teilhabe hat dabei auch materielle Dimensionen: ESGn bieten günstiges Wohnen, vermitteln Stipendien, unterstützen in- und ausländische Studierende in Not mit Geld aus Spendenfonds oder Brot für die Welt und bieten kostenlose Kultur- und Bildungsprogramme. In ESGn kommen Kirchensteuererträge Menschen zugute, die in der Regel bisher selbst keinen Beitrag dazu geleistet haben. Die Gemeinschaft in der ESG wird so in einem reformatorischen Verständnis sakramental geerdet, indem sich tätiger Glaube in einer Gemeinschaft aller mit allen in und durch Christus wiederfindet. Lobend äußerte sich dazu beispielsweise ein Student aus Kamerun, als er nach seinem Studienabschluss angab, die Gemeinschaft in der ESG sei das Beste gewesen, was er in Deutschland vorfand. In welcher Vielfalt diese Gemeinschaft gelebt wird, kann hier nur angedeutet werden. Erwähnt seien stellvertretend zwei Netzwerke: erstens die jährliche Zusammenkunft von Hauptamtlichen in der CEUC (Conference of European University Chaplains) und deren alle vier Jahre stattfindenden globalen Treffen, an denen sich längst auch Seelsorger*innen anderer Religionen beteiligen; zweitens vor 1990 die lebendigen Partnerschaften zwischen ESGn in der Bundesrepublik und der DDR, deren Wirkung auf die Beziehung der beiden deutschen Gesellschaften einer eigenen Würdigung bedürfte. Oft erscheinen ESGn durch ihre Gemeinschaftsfähigkeit wesentlich größer, als es der jeweils real existierende aktive Kreis an Studierenden vermuten lässt. ESGn leben eine Gemeinschaft, die über sich hinausweist. Dies gehört zum Wesen einer christlichen Existenz und relativiert die Kritik, zu viel Vielfalt schaffe zu viel Beliebigkeit. Der Glaube an Christus stiftet eine Gemeinschaft, die universal sein muss. Nur der Glaube selbst kann hier Grenzen bemessen. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben ist zunächst ein ganz persönlicher Vorgang. Während des Studiums gibt es dabei keine noch so unmögliche
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Gelegenheit, in der diese nicht geführt werden könnte: mittags in der Mensa, in der Begegnung mit Grenzsituationen des Lebens, zu vorgerückter Stunde auf einer Party. Immer mündet die Auseinandersetzung in einen gemeinschaftlichen Austausch. Die ESG bietet dafür geschützte Orte und anregende Formate, um Glauben in Gemeinschaft zu entfalten. Diese ziehen sich als roter Faden durch die Historie der ESG: Aus studentischen Bibelkreisen bildete sich die christliche Studierendenbewegung. Mit der Bewegung entstanden Vernetzungstreffen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg landesweit an einem Ort fokussierten, dem Hospiz zur Furche in Bad Saarow. Schwung und Geist dieser Gemeinschaft überstanden die Verbote der NS-Zeit, führten nach 1945 sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands zu einem Wiederaufblühen der ESG (siehe dazu Artikel 1.1 und 1.2 in diesem Handbuch). Durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben stellt sich die Frage nach dem Wie des Glaubens: Formt er primär die eigene Persönlichkeit, damit Einzelne in Verantwortung vor Gott und Menschen ihr Leben gestalten? Oder führt Glaube Menschen in eine Gemeinschaft, die sich darauf verständigt, wie die Welt in ihrem Sinne zu gestalten ist? Birgt Letzteres nicht die Gefahr, dass sich christliche Gemeinschaften kaum noch von weltlichen NGOs unterscheiden oder sich als Parallelveranstaltung zu ihnen marginalisieren und der Welt entfremden? Und führt im Gegensatz dazu ein Glaube, der reine Privatsache ist und innere Blockaden zwar fühlt, aber nicht überwindet, nur zu leeren Bekenntnissen? Schon das biblische Vorbild der Urgemeinde zeichnet eine derartige Polarität: In solidarischer Gemeinschaft lebte sie das Anbrechen des Reiches Gottes, um zugleich auszuharren und eine kosmische Neugestaltung der Welt dem Tag des Herrn (Apg 2,20) zu überlassen. Christliche Studierende boten zwischen den Weltkriegen eine Alternative zu politisierten Studentenverbindungen und trafen sich zur gemeinsamen Bibellektüre. Gleichzeitig setzte ihre Gemeinschaft deutliche gesellschaftliche Zeichen: Früh waren Studentinnen willkommen oder betrieben Studierende in Bad Saarow auf dem Marienhof, dem späteren Demeter-Hof, Landbau, um eine naturnahe, vegetarische Ernährung zu ermöglichen. Nach 1945 fanden nahezu alle gesellschaftlichen Themen Eingang in die ESG. In den 1950er-Jahren versammelten sich Studierende, deren Väter tief in der Nazi-Ideologie verstrickt waren, zur gemeinsamen Bibellektüre. Studierendenpfarrer reichten Kommunist*innen das Abendmahl, vollzogen erste Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare oder luden zu interreligiösen Feiern. Unübersehbar war die Nähe zur aufkommenden Studierendenbewegung der 1960er-Jahre. Zum Zeichen einer gesellschaftlich engagierten Gemeinschaft avancierte der rote Hahn: In Erinnerung an Markus 14,72 mahnt er zu einem Leben, das Christus nicht in
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der Öffentlichkeit verrät. Demgegenüber bildete sich Mitte der 1970er-Jahre der Kreis sogenannter Neuer bzw. Befreundeter ESGn, die sich von einer politisierten Gemeinschaft abgrenzten und das Fischsymbol als Zeichen der je persönlich erlebten Christusbeziehung wählten. Mit eigenen Etats unterstützte die EKD beides. Nach 1989 ebbte die Auseinandersetzung durch die Erkenntnis ab, dass in der DDR bereits der private Glaube politische Relevanz hatte.
4 Gemeinschaft in der ESG – Konsequenzen Gegenwärtig wird die gelebte Gemeinschaft der ESG u. a. als Rückzugsort, Wohlfühloase, Wohnzimmer und Couch empfunden. In vielen ESGn taucht ein neuer Lieblingsbegriff auf: Heimat – das Gegenteil von Utopie. Diese ist der Sehnsucht nach Geborgenheit gewichen. Es wird – um eine Studentin zu zitieren – studiert, »um eines Tages schöne Sachen kaufen zu können«. Dahinter verbirgt sich weniger materielle Banalität als der Versuch, sich wie Schiffbrüchige mit letzter Kraft an Treibhölzern einer untergehenden Welt zu klammern. Im Sommer 2020 wurden im Dom zu Florenz Halsbänder ausgehändigt, die Alarm geben, wenn sich zwei Personen zu nahekommen. Die global erlebte Covid-19-Pandemie führt weltweit Menschen an der Leine auf Distanz und vereint sie zu einer solidarischen Gemeinschaft der Vereinzelten. In seinem Buch »Gemeinsames Leben« schrieb Dietrich Bonhoeffer 1939 unter der Überschrift »Gemeinschaft«: »Es ist nichts Selbstverständliches für den Christen, dass er unter Christen leben darf. Jesus Christus lebte mitten unter seinen Feinden. Zuletzt verließen ihn alle Jünger. Am Kreuz war er ganz allein. […] So gehört auch der Christ […] mitten unter die Feinde. Dort hat er seinen Auftrag« (Bon hoeffer 1939/2014, S. 15). Rückmeldungen von hauptamtlich Tätigen in den ESGn bestätigen am Ende des Sommersemesters 2020 Bonhoeffers Sichtweise: Digitale Medien ermöglichen eine gelebte Gemeinschaft, die den Weg an jeden Ort fand. Studierende mussten keine physischen Schwellen überwinden, um ihrer Einsamkeit zu entkommen, sondern Gemeinschaft kam nach Hause auf die Couch und schuf eine Beheimatung in Beziehungen. Diese digital gelebte Gemeinschaft erscheint freilich defizitär. In ihrer örtlichen Entgrenzung aber spiegelt sie den Kerngedanken aller christlichen Gemeinschaft, die sich universal verbunden glaubt durch Christus, der auch gegen die letzte Begrenzung des Lebens aufstand.
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Diese Erfahrung verweist auf das Potenzial, das in der gelebten Gemeinschaft jeder ESG steckt: Sie ist Gemeinschaft, die jenseits von Ort und Zeit für eine Dimension steht, über die Einzelne nicht verfügen können und die sich nicht darin erschöpft, ob der Mensch dem anderen ein Wolf oder ein Wohltäter ist. Sie bezieht sich auf eine geschenkte Wirklichkeit, die größer ist als die jeweils erlebte, erlittene und gefürchtete persönliche Existenz.
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In den ESGn ist die Sehnsucht von Studierenden nach konkreter gelebter Gemeinschaft, die sich als Heimat auf Zeit gestalten kann, oftmals ein wichtiger Motor für das Gemeindeleben. So nimmt es nicht wunder, dass in den meisten ESGn der sogenannte Gemeindeabend Dreh- und Angelpunkt des ESG-Lebens ist. Er besteht in der Regel aus drei Elementen, die konstitutiv für das Gemeinschaftserleben sind: Andacht/Gottesdienst, gemeinsames Essen und ein Themenabend, der sich häufig in Vortrag und Diskussion auf ein aktuelles gesellschaftspolitisches Thema (z. B. Flucht, Nachhaltigkeit, Fragen zu Anfang und Ende des Lebens) bezieht. Die Abende sind so gestaltet, dass alle drei Elemente für sich stehen und auch einzeln besucht werden können; so ergibt sich nicht selten eine wechselnde Besetzung, die dem Abend eine innere Dynamik verleiht. Gerade das gemeinsame Essen enthält einen starken gemeinschaftsstiftenden Charakter. Besonders im internationalen Bereich fällt daher auf, dass das gemeinsame Essen mit vielen verschiedenen Nationen in der ESG oftmals innerhalb einer Stadt ein Alleinstellungsmerkmal ist (siehe dazu Artikel 3.8 in diesem Handbuch). Die gemeinsame Feier des Gottesdienstes oder einer Andacht hat eine starke Bindekraft, die zum Teil über sich selbst hinausweist. Sie lässt sich auch bei den verschiedenen Angeboten für Formen des Geistlichen Lebens wahrnehmen (z. B. Herzensgebet; siehe dazu Artikel 3.1 in diesem Handbuch). Aus dem Selbstverständnis vieler ESGn und der Bundes-ESG sind Gottesdienste, Andachten und Formen gemeinschaftlichen Geistlichen Lebens ein essenzieller Bestandteil der ESGn; in der Präambel der Ordnung der Bundes-ESG heißt es: »Die ESG ist Gemeinde Jesu Christi an der Hochschule« (Bundes-ESG 2018). Wie wichtig das gemeinschaftliche Erleben für Studierende in einer ESG ist, zeigt sich auch an der Bedeutung von kulturellen Veranstaltungen. Hier ist der Bogen innerhalb der ESGn relativ weit gespannt: Vom Nikolausball über den Kleinkunstabend bis zum Krimidinner ist vieles möglich.
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Ein anderer Schwerpunkt der ESGn, bei dem Gemeinschaft erlebt wird, sind Ausflüge, Fahrten und Reisen. Durch den gemeinsamen Ortswechsel (vom Weihnachtsmarktbesuch in der Nachbarstadt bis hin zum zweiwöchigen Aufenthalt in Vietnam; siehe dazu Artikel 3.6 in diesem Handbuch) bildet sich eine Gemeinschaft auf Zeit heraus, die oftmals lange nachwirkt. Nicht verschwiegen werden soll, dass ein stark ausgeprägtes Gemeinschaftsempfinden auch eine Kehrseite enthält: Es kann für neu Hinzukommende der Eindruck erweckt werden, dass sie nicht willkommen sind, weil sich schon eine feste Gemeinschaft gebildet hat. Die ESGn sind sich dieses Phänomens bewusst und begegnen ihm mit einer ausgeprägten Willkommenskultur.
Literatur Bonhoeffer, D. (1939/2014): Gemeinsames Leben (14. Aufl.). Gütersloh. Bundes-ESG (2018): Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Revidierte Fassung der Ordnung von 2014. Hannover. Evangelisches Missionswerk in Deutschland e. V. (EMW) (2014): Mission Respekt – Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt. Hamburg. Huber, W. (2005): Das Konzept der EKD für die künftige Arbeit der Studierendenpfarrer/ innen. Vortrag auf der Bundes-Studierendenpfarrkonferenz in Hofgeismar. https://www.ekd. de/050309_huber_studierendenpfarrkonferenz.html (abgerufen am 08.01.2021). Kirchenamt der EKD (2020c): »Hinaus ins Weite – Kirche auf gutem Grund«. Zwölf Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche. Hannover. https://www.ekd.de/12-leitsaetze_kircheauf-gutem-grund-60354.htm (abgerufen am 08.01.2021). Rosa, H. (2010): Theorien der Gemeinschaft. Hamburg. Veerkamp, T. (2019): Die Welt anders. Berlin.
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2.13 Ökumenische Zusammenarbeit Matthias Burger
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An den Orten, in denen es eine Katholische Hochschulgemeinde (KHG) und Evangelische Studierendengemeinde (ESG) gibt, existiert in der Regel eine gute ökumenische Zusammenarbeit in unendlich großer Vielfalt und Lebendigkeit. Im Folgenden werden exemplarische Einblicke – mit einem Schwerpunkt auf Württemberg – gegeben. Die Dichte und Vielfalt ökumenischer Zusammenarbeit ist hier besonders groß. Die Spanne der Zusammenarbeit reicht von punktueller Zusammenarbeit (gemeinsame Internetauftritte bei getrennten Räumlichkeiten) bis zu sehr eng verzahnter Arbeit (gemeinsames Gebäude/Büro, gemeinsam verantwortetes Programm und Internetauftritt/Logo).
1 Formen ökumenischer Zusammenarbeit 1.1 Ursprünge Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 1960er-Jahre manifestierte sich die Idee der ökumenischen Zusammenarbeit der beiden großen Kirchen in Deutschland. Ökumenische Gottesdienste werden bis heute gefeiert, viele gemeinsame Gemeindezentren und -häuser sind entstanden. Zwei Beispiele aus der Studierendenarbeit werden im Folgenden beschrieben: In den 1970er-Jahren wurde die Ökumenische Hochschulgemeinde Hohenheim (ÖHG, früher ÖSG) in Stuttgart-Hohenheim und das benachbarte Ökumenische Zentrum (ÖZ) auf dem Campus Stuttgart-Vaihingen gegründet. An beiden Orten wird sehr eng zusammengearbeitet: gemeinsames Haus, gemeinsam verantwortetes Programm, gemeinsamer Internetauftritt, einheitlicher Name und sogar gemeinsames ökumenisches Logo an jedem Ort.
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1.2 Das ÖZ in Stuttgart-Vaihingen 1978 Das Ökumenische Zentrum (ÖZ) feierte 2018 sein 40-jähriges Bestehen. Dies ist nicht nur bemerkenswert, weil es den beiden großen Kirchen 1978 gelang, ein gemeinsames Zentrum zu initiieren, in dem über einen langen Zeitraum gemeinsame Arbeit möglich wurde, sondern auch, weil der damalige Neubau mitten auf dem Campus der staatlichen Universität platziert werden konnte. Es ist noch heute eine exklusive Lage für die Arbeit mit Studierenden, ausgestattet mit zwei Hochschulseelsorger*innen und einigen Mitarbeiter*innen für den laufenden Betrieb (Andachtsraum, großes Café, Unterrichtsräume für Deutschkurse, Büro etc.). 1.3 Die ÖSG/ÖHG in Stuttgart-Hohenheim 1977 Ein Jahr zuvor entstand in viel kleinerem Rahmen die ÖSG Hohenheim. Sie nutzte zuerst die Räumlichkeiten des Evangelischen Gemeindezentrums; regelmäßig war der katholische Kollege an den Veranstaltungen beteiligt. Im Jahre 2002 gab es eine große Veränderung: Die ÖHG konnte ein eigenes Domizil langfristig anmieten. Heute residiert die ÖHG direkt am Campus, mit zwei Hochschulseelsorger*innen und einem angeschlossenen kleinen Wohnheim in katholischer Trägerschaft. Alle Mitarbeiter*innen verwenden im E-Mail-Verkehr die ÖHG-Domain, das ist Teil der Corporate Identity. Die ÖHG wird in der Öffentlichkeit fast als etwas Drittes wahrgenommen, neben evangelisch und katholisch. 1.4 Der ökumenische Gedanke Es sind in der Arbeit mit Studierenden im Laufe der letzten vier Jahrzehnte viele weitere, sehr verschiedene Formen der ökumenischen Zusammenarbeit entstanden. Darin spiegeln sich oftmals die lokalen Umstände wider: Sind die Partner sehr unterschiedlich groß bzw. klein (Coburg/Kempten), sodass eine Konfession dominiert? Oder sind sie beide klein, sodass die Partner aufeinander angewiesen sind (Heilbronn)? Oder sind sie beide so groß, dass ein enger Zusammenschluss nicht sinnvoll wäre (Tübingen)? Die Spannbreite reicht von punktueller bis zu ganz enger Zusammenarbeit. Neben der theologischen Überzeugung, dass wir zusammengehören, sind es seit der Jahrtausendwende auch finanzielle Gründe und der Bedeutungsverlust der Kirchen, die eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Konfessionen in der Hochschulseelsorge bzw. im Hochschulpastoral fördern oder erforderlich machen.
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1.5 Punktuelle Zusammenarbeit – Tübingen Die ESG und die KHG in der Universitätsstadt Tübingen sind beide sehr groß und leben weitgehend eigenständig, teils mit doppelten Angeboten: Beide haben große und erfolgreiche studentische Oratorienchöre. Ökumenische Arbeit findet bei mindestens zwei gemeinsamen Abenden pro Semester statt und in der Gestaltung eines gemeinsamen Programmheftes. Die Veranstaltungen sind in einem Kalender zusammengetragen, farblich unterschieden. Der Vorteil: Gegenüber der Universität und den Studierenden wird der Eindruck von Konkurrenz vermieden. 1.6 Ungleiche Partner – Coburg und Kempten
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Eine Variante der weitgehenden Selbstständigkeit ist die ÖSG Coburg, die die Ökumene im Namen trägt und eine Homepage mit den Kontaktdaten der evangelischen und katholischen Ansprechpartner*innen betreibt. Allerdings ist die ESG die stärkere Gruppe; der ESG-Hahn ziert das Logo, und als Sitz ist das Ev. Pfarrhaus St. Markus angegeben. Entsprechendes gilt für die ÖHSG Kempten, die ebenfalls die Bedeutung der ökumenischen Zusammenarbeit in ihrem Namen trägt und im Internet als gemeinsames Projekt auftritt. Die Gegebenheiten vor Ort sind aber schwerpunktmäßig katholisch. 1.7 Eigenständig und doch eng verbunden – Ulm Auf den ersten Blick wird die enge ökumenische Zusammenarbeit der Studierendengemeinden in Ulm nicht deutlich, da die Internetadresse keine konfessionellen oder ökumenischen Hinweise enthält (www.ulmer-studentengemeinden.de). Auf der Startseite sind die unterschiedlichen Logos der ESG und KHG zu sehen, doch das kreative Design verbindet beide durch die übereinstimmende Farbgestaltung: Der ESG-Hahn ist statt rot blau-türkis, genauso wie der KHG-Fisch. Damit wird ausgedrückt: Wir sind jeweils evangelisch und katholisch eigenständig, aber in einem gemeinsamen Internetauftritt und im Alltag verbunden. Große Teile des Programms werden ökumenisch gestaltet. Die Zusammenarbeit wird erleichtert durch die gemeinsamen Räume: In der großen Etage des Gebäudes am Willy-Brandt-Platz ist vor einigen Jahren die ESG eingezogen; der Andachtsraum und der Veranstaltungsraum werden z. B. gemeinsam genutzt, die Wege zwischen KHG und ESG sind kurz.
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1.8 Eng verbunden – München-Pasing Die Studierendengemeinden befinden sich in der Paosostraße in einem gemeinsamen und attraktiven Haus mit Garten, unweit des Campus Pasing. So erklärt sich auch die neutrale Internetadresse www.paoso.de. Dahinter verbirgt sich eine lebendige ökumenische Arbeit, die von der räumlichen Nähe im gemeinsamen Haus profitiert. Weltoffenheit und Toleranz werden in den Leitlinien deutlich zum Ausdruck gebracht. 1.9 Eigenständig und gemeinsam – Heilbronn, Weingarten, München An anderen Standorten wird die ökumenische Verbundenheit in einem gemeinsamen Internetauftritt zum Ausdruck gebracht; die Bezeichnungen zeigen aber gleichzeitig die Eigenständigkeit der beiden Konfessionen. Beispiele sind die EKHG Heilbronn, die EKHG Weingarten und die EKHG München (die Internetadresse ist konfessionsneutral: www.hochschulgemeinde-muenchen.de). 1.10 Mehr als evangelisch-katholisch – studentische Ökumene in Frankfurt (Oder) Der Sitz der Ökumenischen Studierendenarbeit Frankfurt (Oder) (ÖSAF) ist das Evangelische Gemeindezentrum, und der ESG-Hahn erscheint im Logo. Es werden aber von dort aus Fühler ausgestreckt zu den katholischen Kollegen in Frankfurt (Oder) und östlich der Oder ins polnische Słubice. Darüber hinaus finden auch orthodoxe Studierende ihren Ansprechpartner auf der Internetseite (www.oesaf.de). Eine Zusammenarbeit gibt es auch mit dem Ökumenischen Europa-Centrum, das ein Studienhaus betreibt. Es werden also mehrere Grenzen überwunden und ein wichtiger Raum für Begegnungen geschaffen.
2 Latente Strukturprobleme 2.1 Messfeiern und Abendmahlsgottesdienste In den ökumenischen Studierendengemeinden zeigen sich einige grundsätzliche Probleme zwischen den Konfessionen, besonders in den ökumenisch eng zusammenarbeitenden Teams. Dort ist der evangelische Part in den meisten Fällen ein*e Pfarrer*in mit der Möglichkeit, auch Abendmahlsfeiern anzubieten. Der katholische Part ist in fast allen ökumenischen Teams durch eine*n Pastoral-
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referent*in vertreten – ohne die Möglichkeit, eine Messe zu feiern. Katholische Priester finden sich meist nur in eigenständigen KHGn. Als ökumenische Kolleg*innen können wir das als Faktum hinnehmen, da es im Alltag selten stört. Allerdings suchen die bewusst katholischen Studierenden, besonders internationale Studierende aus katholisch geprägten Ländern und Regionen (Lateinamerika, Spanien, Italien, Portugal, Polen) nach »vollwertigen« Messfeiern, die viele ökumenische Studierendengemeinden nicht bieten können. Das erzeugt eine gewisse Unwucht: Semesteranfangs- und Semesterabschlussgottesdienste sind als ökumenische Feiern keine Messen. Wenn sie als evangelische Abendmahlsgottesdienste gefeiert werden, nimmt immer ein gewisser Teil der katholischen Studierenden nicht am Abendmahl teil oder empfindet diese nicht als vollwertig oder bleibt von vornherein weg. Die von vielen katholischen Studierenden gewünschten Messfeiern finden sie dann an anderen Orten und Gemeinden. Das stört die ökumenische Gemeinschaft. Wird eine Messfeier in einer ökumenischen Studierendengemeinde angeboten, indem ein Priester eingeladen wird, so kann diese kaum als ökumenisch bezeichnet werden. Die Mitwirkungsmöglichkeit des*der evangelischen Pfarrers*in ist sehr beschränkt. Hier ist Kreativität gefragt und Mut, Neues auszuprobieren. Kann der katholische Priester nicht Grenzen überschreiten und eine Messfeier in einer evangelischen Kirche anbieten? Oder Texte aus dem Evangelischen Gottesdienstbuch in die Messe integrieren (z. B. Beichtfrage/Absolution)? Oder andere evangelische liturgische Elemente? An der Universität müssen und können Praktiken neu ausprobiert und die ökumenische Entwicklung weitergetrieben werden. 2.2 Gemeinsam nach außen, getrennt nach innen – Verwaltungsfragen Verwaltungsfragen sollten in den ökumenischen Gemeinden kein Problem sein, da sich diese meist pragmatisch lösen lassen. Doch es muss allen Beteiligten klar sein, dass die Einheit, die nach außen gezeigt wird, nicht notwendigerweise den Zustand hinter den Kulissen widerspiegelt. Die ökumenische Studierendengemeinde ist keine juristische Person, sondern im Inneren nach wie vor getrennt. Ob der*die Sekretär*in von der katholischen oder der evangelischen Kirche angestellt wird, muss entschieden werden; eine ökumenische Anstellung gibt es nicht. Auch ein Wohnheim für Studierende ist im Besitz entweder der katholischen oder der evangelischen Kirche. Auch die Konten, die zum Bezahlen der Rechnungen und zur Abwicklung der Mieten eingerichtet werden, sind entweder »katholisch« oder »evangelisch«. Es gibt keine ökumenische Institution.
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Diese Fragen werden besonders virulent in längeren Zeiten der Vakanz, die in der Tendenz auf evangelischer Seite häufiger auftreten wegen der in vielen Landeskirchen befristeten Dienstaufträge für Studierendenpfarrer*innen. 2.3 Vertretungen bei Urlaub, Fortbildung und Krankheit Dieses Phänomen zeitigt Folgeprobleme: Gegenseitige Vertretungen der ökumenischen Kolleg*innen sind zwar im Alltag gängige Praxis und bei gemeinsam geplanten Veranstaltungen oder der Pflege der Internetseite auch problemlos möglich. Aber wie sieht es aus bei Mietverträgen für »ökumenische« Wohnheime? Kann z. B. der katholische Part bei Verhinderung des*der evangelischen Kolleg*in einen Mietvertrag unterschreiben für ein Zimmer in einem evangelischen Wohnheim? Oder kostenpflichtig das Heizöl bestellen? Oder Geld anweisen von einem »evangelischen« Konto, um eine Rechnung zu bezahlen? Hier braucht es pragmatische, mit Fingerspitzengefühl zu handhabende Lösungen. 2.4 Unterschiedliche Strategien Beide Kirchen stehen seit vielen Jahren finanziell und gesellschaftlich unter Druck: Die Kosten müssen gesenkt werden bei gleichzeitiger Anpassung an sich ändernde Bedürfnisse. Da werden auch die Häuser und Wohnheime für Studierende auf den Prüfstand gestellt, die von Kirchenleitungen oft als Zuschussbetrieb angesehen werden. Dabei scheint es in der katholischen und evangelischen Kirche unterschiedliche Strategien zu geben: Die katholische Kirche findet Lösungen, die die Gebäude erhalten und trotzdem die Kosten verringern (z. B. das aufwändig renovierte Carl-Sonnenschein-Haus in Tübingen für 148 Studierende). Die evangelische Kirche denkt eher an das Verkaufen von Gebäuden, um Einnahmen zu erzielen. Dazu ein Beispiel: Die ESG in Stuttgart-Mitte befand sich in einem eigenen großzügigen Gebäude in Universitätsnähe. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg übertrug das Gebäude zuerst an die Kirchengemeinde Stuttgart-Mitte, die dann das Gebäude an einen Investor verkaufte. Die KHG behielt ihr Gebäude, das auch Zimmer für Studierende anbietet. So beschnitt die evangelische Kirche die eigene Studierendenarbeit. Die Aufgabe, für junge, studierende Menschen da zu sein und als Kirche größtmögliche Nähe zum Wissenschaftsbetrieb der Universität herzustellen, scheint bisweilen in der katholischen Kirche höher angesiedelt zu sein als in der evangelischen, mindestens bei der Erhaltung und Förderung studentischen Wohnraums.
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3 ÖHG Hohenheim – exemplarische Erfahrungen 3.1 Horizonterweiterung Für die Studierenden ist die ökumenische Zusammenarbeit eine große Bereiche rung. Evangelisch geprägte Studierende erleben die katholische Messe und lernen sie schätzen; umgekehrt haben viele katholisch oder orthodox geprägte internationale Studierende die Möglichkeit, die evangelische Kirche und ihre Überzeugungen, etwa ihre reformatorisch geprägten partizipativen Strukturen, kennenzulernen. Das ist für alle Beteiligten eine Horizonterweiterung (vgl. ansätze 3–5/2018, S. 26 f.). 3.2 Gemeinsam ist besser als allein
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Dass gemeinsam besser ist als allein, trifft auf jeden Fall auf die ÖHG Hohenheim zu. Es ist über einen längeren Zeitraum gelungen, dass beide Konfessionen und Stelleninhaber*innen ihre verschiedenen Gaben und Fähigkeiten entfalten können. Die Breite an Angeboten wäre nicht möglich gewesen, hätte jede Kirche versucht, eigenständig ein Programm zu erstellen. So konnten wir als christliche Gruppe von ganz verschiedenen Milieus in und an der Universität wahrgenommen werden: Ȥ Die internationalen Stipendiat*innen (DAAD, Erasmus u. a.) schätzen die Ausflüge, die es ihnen ermöglichen, die Gegend kennenzulernen. Ȥ Internationale Studierende ohne Stipendium heben das günstige Wohnheim und die Nothilfen hervor. Ȥ Studierende aus Deutschland finden sich früh um 7 Uhr zur Morgenandacht zusammen. Ȥ Beim Fairtrade-Fahrrad gibt es ein Projekt, bei dem alle einen Platz und eine sinnvolle Aufgabe finden. Zudem schafft das Fahrrad Kontakt zur studentisch verwalteten Cafeteria: Sie bezieht ihren Kaffee aus dem Sortiment der ÖHG. Ȥ Auch die Universität nimmt die ÖHG wahr und kauft bei ihr ein. Sie bestellt für Konferenzen als Werbegeschenke Fairtrade-Schokolade; die Tafeln werden mit Uni-Banderolen eingewickelt. Diese Aufgaben schaffen Gemeinsamkeiten und zahllose Begegnungsmöglichkeiten – neben den Andachten, seelsorgerlichen und konkreten Hilfestellungen.
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3.3 Interreligiöse Zusammenarbeit Der finanzielle Spielraum hat es der ÖHG ermöglicht, gemeinsam mit anderen Partner*innen interreligiöse Konzerte nach dem Vorbild der www.sacreesjournees.eu in Strasbourg (Frankreich) zu veranstalten. Unterstützung gab es von der Stiftung Weltethos (Tübingen), von den evangelischen und katholischen Studierendengemeinden in Stuttgart und Tübingen und vielen Sponsor*innen. In einer Zeit zwischen religiöser Pluralität und Indifferenz ist es naheliegend, aber auch theologisch unabdingbar, den Begriff der Ökumene mindestens auf die beiden anderen abrahamitischen Religionen auszudehnen.
4 Gelingende ökumenische Zusammenarbeit Gelingende ökumenische Zusammenarbeit hat mehrere materielle und imma terielle Voraussetzungen. Gemeinsam genutzte Räume ermöglichen kurze Wege. Ein gemeinsam verantwortetes Wohnheim zieht diverse Studierende an, eine produktive Mischung entsteht. Gegenseitiges Vertrauen der Stelleninhaber*innen, ihre Begegnung auf Augenhöhe sowie die Bereitschaft, voneinander zu lernen, sind Grundvoraussetzungen gelingender ökumenischer Zusammenarbeit. Das Angebot sollte verschiedene studentische Gruppierungen ansprechen: ökologisch Interessierte, internationale Studierende, religiös Interessierte, Hilfesuchende. Finanzieller Spielraum ermöglicht, Projekte zu wagen, deren Erfolg nicht von vornherein feststeht. Beide Kirchen müssen fest hinter dem Projekt ökumenischer Studierendenarbeit stehen. Dies nicht zuletzt, weil es gilt, bestehende Unterschiede auszuhalten, deren Dynamik sich evangelischerseits nur teilweise beeinflussen lässt. Im Kirchen-, Amts- und Gottesdienstverständnis gibt es zwischen evangelischer und katholischer Kirche nach wie vor grundlegende Differenzen. Aufgrund des akuten Mangels an Priestern und Priesternachwuchs gibt es in der katholischen Kirche zudem den wachsenden Trend, Priester aus dem Ausland zu berufen, die dann häufig Traditionen und Erwartungshaltungen mitbringen, die selbst in klassischen KHGn kaum mehr vermittelbar sind. Beim Halten ökumenischer Mahlgemeinschaft gab und gibt es in Studierendengemeinden alle denkbaren Varianten: von selbstverständlicher wechselseitiger Einladung über pragmatische Lösungen (man tut es, redet aber nicht darüber) bis hin zu strikter Trennung. Theologisch mag man die Frage ökumenischer Mahlgemeinschaft für geklärt halten (Leppin/Sattler 2021), kirchenrechtlich/lehramtlich ist sie es katholischerseits noch nicht. Ökumenische Studierendengemeinden können hier als Motor der
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Entwicklung dienen, indem sie Grenzen ausloten und Zukünftiges bereits jetzt selbstverständlich leben.
Literatur Gehring, H.-U. (2002): Ökumene an der Hochschule. PTh, 37, S. 33–48. Leppin, V./Sattler, D. (Hg.) (2021): Gemeinsam am Tisch des Herrn. Ein Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen. Hintergründe – Rezeption – Perspektiven. Bd. 1–2. Freiburg i. Br./Göttingen.
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2.14 Interreligiöser Dialog Gisela Groß-Ikkache
1 Einleitung Für die Evangelischen Studierendengemeinden ist die Begegnung und der Austausch mit anderen Religionen zu einer großen Selbstverständlichkeit geworden. Viele ESGn benennen den interreligiösen Dialog als Teil ihres Profils und Selbstverständnisses. Dies trägt der aktuellen Situation Rechnung. Mit der wachsenden Internationalisierung der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten hat sich die religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Studierenden vergrößert. Internationale Studierende bringen ihre Religion als ein Stück transportabler Heimat mit an den jeweiligen Studienort. An den Hochschulen studieren inzwischen viele junge Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland sozialisiert und gleichzeitig in einem anderen religiös-kulturellen Setting verwurzelt sind. ESGn sind auch internationale Gemeinden, die Studierende aus unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen willkommen heißen. Sie zeichnen sich durch eine grundsätzliche Offenheit aus. Am Dialog Interessierte verbindet der Wunsch, anderen zu begegnen, einander kennenzulernen, über die eigene Religion Auskunft zu geben, gemeinsame Themen zu besprechen, Vorurteile abzubauen und sich gemeinsam zu engagieren.
2 Interreligiöser Dialog als ESG-Thema Seit Beginn der 2000er-Jahre findet der interreligiöse Dialog verstärkt Eingang in die kirchliche Studierendenarbeit. Ein einschneidendes Erlebnis waren die Attentate vom 11. September 2001. Deren Vorbereitung hatte unter anderem im Umfeld einer bundesdeutschen Hochschule stattfinden können. Diese schockierende Erfahrung wirkt bis heute nach. Auf der einen Seite bestärkte sie diejenigen, die statt der Vielfalt innerhalb einer Religion nur extremistische Gruppierungen und deren Ansichten sehen und Religion primär als ein Gefahrenpotenzial
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wahrnehmen. Auf der anderen Seite wurde der Wunsch nach gegenseitiger Annäherung, dem Abbau von Vorurteilen und der gemeinsamen Sorge für ein gewaltfreies tolerantes Miteinander von religiösen wie nichtreligiösen Akteur*innen laut. Vielerorts verstärkte sich das Engagement, auf andere zuzugehen, sich gemeinsam für einen respektvollen Umgang einzusetzen und extremistischen religiösen Positionen eine religiös begründete friedliche Haltung entgegenzusetzen.
3 Ebenen des Interreligiösen Dialogs
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Interreligiöser Dialog findet auf verschiedenen Ebenen statt und wird von unterschiedlichen Faktoren und Interessen beeinflusst. Die Hochschulstandorte mit ihrer historischen und gesellschaftspolitischen Bedeutung, gewachsenen Traditionen, aktuellen Konflikten oder hauptamtlichen Mitarbeitenden mit ihren persönlichen Interessen bestimmen mit, wie viel Gewicht interreligiöse Themen in den ESGn bekommen. 3.1 Der akademische Dialog Gespräche zwischen Vertreter*innen verschiedener Religionsgemeinschaften haben eine lange Tradition. ESGn organisieren oder beteiligen sich an akademisch orientierten Veranstaltungen, interreligiösen Hochschulforen, Vorträgen mit Referent*innen unterschiedlicher Religionen oder Abenden zu übergreifenden Themen, die aus verschiedenen Perspektiven theologisch reflektiert werden. Solche Dialogveranstaltungen über grundlegende Fragen von Glauben und Religion sprechen Interessierte an, die sich auf der intellektuellen Ebene auseinandersetzen wollen. Interreligiöser Dialog klärt auf und fördert gegenseitiges Verständnis. Um in einen wirklichen Dialog eintreten zu können, bedarf es der Bereitschaft zu einem aufrichtigen Gespräch. Gemeinsamkeiten können entdeckt, Unterschiede und Differenzen wahrgenommen und auch stehen gelassen werden. Das eigene religiöse Profil schärft sich im Miteinander, man wird sich der eigenen Glaubensüberzeugungen bewusst und erfährt eine neue Sicht auf das Eigene. Gleichzeitig wird deutlich, dass es Menschen sind, die sich begegnen. Auch die emotionale Ebene, das gemeinsame Erleben spielen eine wesentliche Rolle. Es geht darum, miteinander zu reden statt übereinander, nicht nur die religiösen Expert*innen zu Wort kommen zu lassen, sondern einander vom gelebten Glauben im Alltag zu erzählen und Möglichkeiten zu schaffen, einander daran teilhaben zu lassen.
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3.2 Der Dialog der Begegnung Es gibt eine weitere Ebene des interreligiösen Dialogs, die der Begegnung: Einladungen zu Feiern, gemeinsames Fastenbrechen im Ramadan, gegenseitige Besuche, Begegnungsangebote auf dem Campus, Besichtigungen von Synagogen, Moscheen, Kirchen verschiedener Konfessionen, Zentren des Buddhismus, der Bahá’í und vieles andere mehr. Mitunter werden gemeinsame interreligiöse Gebete organisiert. Das Vorhandensein religiöser Hochschulgruppen erleichtert die Kontakte miteinander. Muslimische Hochschulgruppen beteiligen sich und organisieren Dialogveranstaltungen. In Zusammenarbeit mit jüdischen Hochschulgruppen oder jüdischen Gemeinden entstehen trialogische Formate. Bei den gemeinsamen Begegnungen wird deutlich, wie viel man voneinander noch nicht weiß und welche Gemeinsamkeiten sich finden lassen. Häufig entsteht nach gelungenen Veranstaltungen der Wunsch, so etwas öfter oder sogar regelmäßig zu wiederholen. Mitunter scheitert dies, wenn engagierte Studierende andere Schwerpunkte in ihrem Studium legen, den Studienort wechseln oder das Studium abschließen. Begegnung findet auch statt, wenn christliche Studierendengemeinden gastfreundschaftlich muslimischen Studierenden Raum für ihr rituelles Gebet zur Verfügung stellen. In Ermangelung geeigneter Räume sehen sich Muslim*innen mitunter gezwungen, unter unwürdigen Bedingungen zu beten, z. B. in Kellerräumen, Treppenhäusern oder Bibliotheksgängen. Abgesehen von dieser Zumutung für sie selbst wird dies durch andere als störend oder provokativ wahrgenommen. Aus dem Bedürfnis muslimischer Studierender nach einem sicheren Gebetsort und aus dem religionsunabhängigen Interesse anderer Studierender an einem geschützten Rückzugsort entstehen an Hochschulen gemeinsame Initiativen, einen Raum der Stille einzurichten. Obwohl die ESGn und KHGn meist eigene Räume haben, ist es ihnen wichtig, hier gemeinsam aufzutreten. Gegenüber Hochschulleitungen kann deutlich gemacht werden, dass es für ein gemeinsames Leben am Campus förderlich ist, dem Bedürfnis nach Stille und einem Ort für die individuelle religiöse Praxis Raum zu geben. Die gemeinsame Nutzung von Räumen bringt zwar bisweilen Konflikte mit sich, birgt aber auch die Chance, diese in einem interreligiösen Lernprozess miteinander zu klären (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Es gibt eine große Fülle von etablierten Veranstaltungen und innovativen Formaten des interreligiösen Dialogs in ESGn. Eine Aufzählung aller Angebote kann dieser Artikel nicht leisten, aber zwei Beispiele näher beschreiben.
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3.2.1 Café Abraham
Das Projekt Café Abraham entstand 2014 aus einer Initiative von Studierenden in Erlangen. Mit Bezug auf Abraham als Urvater der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam soll in einer Atmosphäre wachsender Anfeindungen ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Es geht um ein Treffen von Angehörigen der Religionsgemeinschaften und Interessierten, das an eine Kaffeehauskultur anknüpft, in der man sich im Café als einem weltanschaulich neutralen Ort zu gesellschaftlichen, politischen und religiösen Themen austauscht.
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Am Beispiel Bonn aufgezeigt: Dort waren es muslimische Studierende, die christliche und jüdische Partner*innen anfragten. Der Islamische Hochschulverein (IHV), die Jüdische Hochschulgruppe Hillel, die KHG und die ESG Bonn verantworten das Café Abraham Bonn, das sich seit 2016 zweimal pro Semester trifft. Die Erfahrung zeigt: Es braucht einen geschützten Raum, um offen miteinander sprechen zu können. Zunächst traf man sich in einem studentischen Café, wechselte dann in den Kirchenpavillon Bonn. Dies ist zwar eine Einrichtung der evangelischen Kirche, wurde aber von allen Seiten gut angenommen. Vorbereitet wird jedes Treffen von einem Team von Studierenden und Hauptamtlichen. Eine Kerngruppe von vier bis fünf Personen, die sowohl für die personelle Kontinuität als auch für das Festhalten an dem gemeinsamen Projekt sorgt, trägt zum Gelingen bei. Die Treffen haben einen festen Ablauf: Zu Anfang werden immer die Grundsätze verlesen, die deutlich machen, dass es auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung um einen respektvollen Dialog geht und nicht darum, wer die vermeintlich bessere Religion hat. Nach einem Input werden die Teilnehmenden nach Religionsgemeinschaften gemischten Tischen zugeteilt und diskutieren 45–60 Minuten. An jedem Tisch ist ein Mitglied des Vorbereitungsteams vertreten. Abschließend erfolgen eine kurze Reflexion und eine Themensammlung für die folgenden Treffen. Es nehmen ca. 15–30 Personen teil, es gibt eine feste Gruppe und jedes Mal neue Interessierte. Problematisch ist mitunter die Teilnahme missionarisch-charismatisch orientierter Menschen, die mit Schriftzitaten argumentieren, statt sich auf ein wirkliches Gespräch einzulassen. Als erstes Thema wurde über »Religion und Hochschule« gesprochen, der Rektor der Universität Bonn war anwesend, das öffentliche Echo groß. Weitere Themen waren z. B. Religion und Gewalt, Familie und
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Geschlechterrollen, Paradiesvorstellungen, Essen, Religion und Wissenschaft oder Sünde, Schuld, Vergebung. Das Café Abraham hat eine große Wirkung nach außen. Jeder Abend hat für sich einen Wert, es geht weniger um eine sehr tiefgehende Erörterung theologischer Fragen als um Anregungen. Die lebendigen Gespräche an den Tischen müssen meist aus Zeitgründen abgebrochen werden. Es gibt eine Neugier aufeinander, persönliche Beziehungen wachsen, es kommt zu gegenseitigen Einladungen, z. B. die einer jüdischen Studentin zu einem Schabbat-Abend oder zum Fastenbrechen mit muslimischen Studierenden. Die Café-Abraham-Projekte sind in Deutschland und Österreich miteinander vernetzt, es gibt sie an ca. 10 Hochschulstandorten, teilweise auch eingebunden in das ESG-Angebot. 3.2.2 Gemeinsame Gebete im interreligiösen Raum
Die feste Tradition eines interreligiösen Friedensgebets im Sommer- und eines interreligiösen Semesterbeginns im Wintersemester haben die ESG, die KHG und die Islamische Hochschulgemeinde (IHG) in Hamburg entwickelt. Dieses wird im Folgenden beschrieben. Aus einem interreligiösen Gesprächskreis heraus entstand nach dem 11. September 2001 der Wunsch, dem interreligiösen Dialog an der Universität einen eigenen Ort zu geben. 2006 stellte die Universität einen Raum zur Verfügung, der als »Interreligiöser Raum der Stille« eingerichtet wurde. In der dazu geschlossenen Vereinbarung zwischen Vertreter*innen von ESG, KHG, IHG und der Bahá’í-Gemeinde mit dem Universitätspräsidium wurde betont, dass der Raum Menschen aller Religionen, Bekenntnisse und Weltanschauungen zur Verfügung steht und dadurch den Charakter eines interreligiösen Zentrums auf dem Campus bekommt. Einmal pro Semester findet eine von den religiösen Hochschulgemeinden abwechselnd vorbereitete Feier statt, die das Thema »Frieden« oder einen relevanten Aspekt des Studienalltags aufgreift und Studierende mit einer Aktion miteinander ins Gespräch bringt. Vertreter*innen der Hochschulgemeinden sprechen ein Gebet aus ihrer jeweiligen Tradition. In den letzten Jahren bereichert der Chor der ESG diese Feier. Anschließend gibt es nach Möglichkeit eine gemeinsame gesellige Aktivität. Hier entstehen freundschaftliche Kontakte und Vertrauen, man lädt einander zu Veranstaltungen und besonderen Anlässen ein.
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2017 veröffentlichte die Universität einen Verhaltenskodex zur Religionsausübung, um eventuell auftretende Konflikte zu verhindern und religiöse Aktivitäten im Wesentlichen auf den Raum der Stille zu konzen trieren. Eine wissenschaftliche Expert*innenkommission hatte den Kodex erarbeitet, die Hochschulgemeinden oder Nutzer*innen des Raumes waren dabei nicht einbezogen worden. KHG, IHG und ESG verfassten ein gemeinsames Statement, um der negativen Sicht von Religionen als potenziellen Konfliktauslösern, die sich in der konkreten Umsetzung vor allem gegen die religiöse Praxis muslimischer Studierender richtete, etwas entgegenzusetzen. Das Interesse an den interreligiösen Feiern wuchs seitdem, 40–50 Studierende fanden in den letzten Semestern kaum mehr genügend Platz. Die Frage, ob dieser Raum nun vorrangig der Stille, dem individuellen Gebet oder der interreligiösen Begegnung dient, wird zwischen den Nutzer*innen, den Hochschulgemeinden und der Hochschulleitung geklärt werden müssen. Ein Raum der Stille ist in jedem Fall ein Ort, an dem jede*r mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität konfrontiert wird – dabei muss es nicht einmal zur direkten Begegnung oder Auseinandersetzung mit anderen kommen, allein der Raum verdeutlicht dies. Insofern sind Räume der Stille Lernorte für ein Miteinander, verorteter interreligiöser Dialog.
3.3 Dialog auf Bundesebene Interreligiöser Dialog findet auch auf Bundesebene statt. Die Gründung von Dachverbänden religiöser Studierendengruppen befördert die Zusammenarbeit. 2007 wurde der »Rat muslimischer Studierender und Akademiker e. V.« (RAMSA) gegründet, ein Zusammenschluss muslimischer Hochschulgruppen, die derzeit an 35 Hochschulstandorten vertreten sind. Im Unterschied zu den Hochschulgemeinden der evangelischen und katholischen Kirche sind die muslimischen Hochschulgruppen rein ehrenamtlich, meist als Vereine organisiert. Die Fluktuation der Studierenden macht sich stark bemerkbar, es gibt keine hauptamtlichen Mitarbeitenden, die für Kontinuität sorgen können. Als Austauschplattform vertritt der Rat die Interessen muslimischer Studierender, vernetzt sie miteinander und fördert den innermuslimischen Dialog. Gleichzeitig kann er Interessen nach außen vertreten. Es gibt regelmäßige Bundes- und Regionalkonferenzen sowie eine Fülle von Projekten. Ein wesentliches Anliegen ist die Bekämpfung des religiös begründeten Rassismus.
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Auch zu alevitischen Studierenden gibt es Verbindungen. Der »Bund der Alevi tischen Jugendlichen in Deutschland« (BDAJ) regte ab 2011 die Gründung alevi tischer Hochschulgruppen an. Als deren Dachverband wurde 2013 der »Bund der Alevitischen Studierenden in Deutschland« (BDAS) gegründet. Sein Ziel ist es, eigene Strukturen zu stärken, inhaltliche Themen zu erarbeiten und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen zu ermöglichen. Auf die interreligiöse Zusammenarbeit wird großer Wert gelegt, der BDAS setzt sich für eine demokratische, umweltfreundliche und von Rassismus freie Gesellschaft ein. Die jüdischen Studierendeninitiativen sind seit 2016 in der »Jüdischen Studierendenunion Deutschland« (JSUD) organisiert. Politische Arbeit, Interessenvertretung, Bekämpfung jeder Form von Diskriminierung und der Dialog mit anderen Kulturen und Glaubensrichtungen sind die Anliegen dieser überregionalen Vertretung. Die christlichen Dachorganisationen, die Bundes-ESG und das katholische »Forum Hochschule und Kirche« (FHoK), haben in diesen Verbänden ein Gegenüber auf Augenhöhe. Es bestehen gute Kontakte, Beziehungen haben sich entwickelt und werden gepflegt. Man lädt sich gegenseitig ein, so werden z. B. Studierende von der ESG-Vollversammlung zu den Studierendenversammlungen der befreundeten Organisationen delegiert (und umgekehrt), die dort Grußworte sprechen und nach Möglichkeit anschließend in der eigenen Vollversammlung von ihren Erfahrungen berichten. Kommen solche Treffen zustande, sind die Berichte von großer Begeisterung über die Willkommenskultur und Gastfreundschaft geprägt wie auch über die Wertschätzung für die Möglichkeit, etwas von den Themen und Anliegen der anderen zu erfahren. Auch die gegenseitigen Glückwünsche zu besonderen Feiertagen zeugen von einer Kultur der gegenseitigen Anerkennung und des Interesses aneinander. Über den Besuchscharakter hinaus gibt es auch Anfragen, die jeweils eigene Arbeit darzustellen. Die Vorsitzende von RAMSA wurde auf eine ESG-Voll versammlung eingeladen, die Referentin für Internationale Beziehungen und Ökumene der Bundes-ESG berichtete gemeinsam mit ihrem katholischen Kollegen auf einer RAMSA-Tagung über die Studierendenarbeit der beiden großen christlichen Kirchen. Diese interreligiösen Kontakte werden als bereichernd erfahren und als Ermutigung, auch vor Ort aufeinander zuzugehen. Neben der Zusammenarbeit der Verbände innerhalb Deutschlands gibt es derartige Vernetzungen von religiöser Studierendenarbeit auch auf europäischer Ebene und weltweit. Auch die Fachtagung der Studierendenpfarrer*innen, die seit 2014 zur Hauptamtlichenkonferenz (HAK) erweitert wurde, griff das interreligiöse Thema auf. Unter dem Motto »Diversität und Dialog« wurden 2013 neue Impulse
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für die interreligiöse und interkulturelle Arbeit aufgenommen und der eigene Erfahrungsschatz der ESG-Arbeit ins Gespräch gebracht. Und auf der HAK 2018 mit dem Thema »Identität – Religion – Gesellschaft« wurden am Beispiel von Räumen der Stille die zum Teil sehr unterschiedlichen Erfahrungen zur Stellung von Religion an der Hochschule zur Sprache gebracht. Gemeinsam wurde in Hannover das »Haus der Religionen« besucht und im Gespräch mit Vertreter*innen des Rates der Religionen vorgestellt. Diese Aktivitäten tragen dazu bei, dass Studierendenpfarrer*innen und Mitarbeitende sich austauschen und neue Anregungen für den Dialog in ihre Gemeinden einbringen.
4 Position beziehen
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Ein wichtiger Meilenstein in der ökumenischen und interreligiösen Zusammenarbeit war der Kongress »Mission Respekt« 2014 in Berlin. Er beschäftigte sich mit den Herausforderungen des 2011 vom ÖRK, dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und der Weltweiten Evangelischen Allianz verabschiedeten Dokuments »Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt«. Die Referent*innen der Bundes-ESG führten zwei Workshops mit interreligiöser Beteiligung durch. Im Workshop »Christsein an der Hochschule«, bei dem Vertreter*innen verschiedener Konfessionen und die Vorsitzende von RAMSA beteiligt waren, teilte man den Eindruck einer allgemeinen Tendenz, Religion mit dem Argument, sie sei Privatsache und hätte am Ort der Wissenschaft keinen Raum, aus den Hochschulen hinauszudrängen. Die im Nachklang zu diesem Workshop gegründete interreligiöse Arbeitsgruppe »Religion an der Hochschule« entwickelte das gleichnamige Positionspapier, das im November 2019 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Dachorganisationen der jüdischen, muslimischen, katholischen und evangelischen Studierendengemeinden verpflichten sich darin zu einer offenen, konstruktiven, die freie Wissenschaft und demokratische Grundordnung anerkennenden Präsenz an der Hochschule. Hier gelang es, gemeinsam eine positive Sichtweise der Bedeutung von Religion an der Hochschule zum Ausdruck zu bringen.
5 Umgang mit Konflikten Interreligiöse Zusammenarbeit heißt auch, sich der Kritik auszusetzen. Einseitige Sichtweisen aufgrund aktueller politischer Konflikte spielen oft eine Rolle. Manchmal erweist es sich als dem gemeinsamen Gespräch förderlich, wenn
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man politische Themen nicht direkt ins Zentrum stellt. Der Nahostkonflikt ist z. B. ein solches Thema, das zu einer politischen Kontroverse führen kann, bei der die Toleranz unterschiedlicher Meinungen nicht mehr gegeben ist. Denjenigen, die den interreligiösen Dialog führen, wird häufig vorgeworfen, sie würden Konfliktthemen ausblenden, naiv sein und blind gegenüber religiösem Extremismus. Die klare Positionierung von Dialogpartner*innen und die eindeutige Absage an jede Form von Diskriminierung und Vereinnahmung widersprechen dem. Mit zunehmendem gegenseitigem Vertrauen wird es leichter, kontroverse Themen anzusprechen und Unterschiede auszuhalten. Es geht nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, sondern das Eigene zur Sprache zu bringen, das »Fremde« kennenzulernen und gemeinsame Werte zu entdecken, zu entwickeln und zu verteidigen. Das kann auch heißen, in Konflikten öffentlich für eine andere Religionsgemeinschaft Position zu beziehen.
2 6 Dialog im Experimentierraum evangelischer Freiheit Die ESGn sind im interreligiösen Dialog oft Vorläuferinnen. Auf Basis einer christlichen Grundorientierung verantworten sie ihre gemeindlichen Aktivitäten, in denen Studierende verschiedener Religionen und Weltanschauungen vertreten sind. Mitmachen dürfen alle, die die Grundsätze der Gemeinde akzeptieren. Diese beinhalten Offenheit, Toleranz und Absage an jede Form von Rassismus und Diskriminierung. ESGn sind Experimentierfelder. Sie nutzen ihre Freiheit, Dinge zu erproben und entsprechend der damit gemachten Erfahrungen zu verändern. Der avantgardistische Charakter der ESG-Arbeit verwirklicht sich hier – oft ist man schon einen Schritt weiter als im übrigen kirchlichen Bereich. Die Fluktuation, die in den Gemeinden herrscht, kann dabei auch Chancen eröffnen: Neue Studierende bestimmen ihre Inhalte und versuchen sich an eigenen Aktivitäten. Gleichzeitig braucht der Dialog Kontinuität in Beziehungen und Vertrauen, das sich aus gemeinsamen Erfahrungen aufbaut. Hier haben die ESGn den Vorteil, dass Hauptamtliche über längere Zeiträume präsent sind. Dabei zählt insbesondere die Erfahrung und Expertise der Referent*innen für die Beratung internationaler Studierender und der in die STUBE-Arbeit Involvierten (siehe dazu Artikel 2.9 und 2.10 in diesem Handbuch). In eigenen Aktivitäten oder in der Mitorganisation von öffentlichen Initiativen zeigen in den ESGn Engagierte, dass Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen aufmerksam, sensibel und respektvoll miteinander umgehen und sich gemeinsam für eine bessere Welt einsetzen können. Wer das zur eigenen Herzensangelegenheit erklärt, wird den interreligiösen Dialog weiterbringen.
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7 Internetadressen
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Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden (AKH): https://www.fhok.de/strukturen/akh Bundes-ESG: https://www.bundes-esg.de; www.facebook.com/BundesESG Bund der Alevitischen Studierenden in Deutschland e. V. (BDAS): https://www.facebook.com/ BDAS.eu; https://www.bdaj.de/index.php/untergliederungen/bdas Café Abraham: https://www.cafeabraham.com; Café Abraham Bonn: https://www.facebook.com/ cafeabrahambonn Ecumenical Youth Council in Europe: https://www.eyce.org European Muslim Jewish Dialogue: https://www.facebook.com/mjdaustriagermany Forum Hochschule und Kirche (FHoK): https://www.fhok.de; https://www.facebook.con/AKHfhok Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD): https://www.jsud.de; https://www.facebook. com/JSUDeutschland MissionRespekt: https://www.missionrespekt.de Rat der Muslimischen Studierenden und Akademiker e. V. (RAMSA): https://www.ramsa-ev.de; www.facebook.com/RAMSA Religion an der Hochschule. Interreligiöses Positionspapier. https://www.bundes-esg.de/fileadmin/ user_upload/aej/Studium_und_Hochschule/Downloads/Themen/Religion_an_der_Hochschule-Positionspapier-oeff-ohne_Grusswort.pdf (abgerufen am 20.08.2020) World Student Christian Federation WSCF: https://www.wscf.ch
2.15 Studierendengemeinden und Wohnheime Jörg Heimbach und Christiane Neufang
1 Wohnheim als Herberge auf Zeit Beispiel: Ein Student mit plötzlicher Krebsdiagnose – schon auf dem Weg ins Ausland – erhält noch kurzfristig ein Zimmer im Wohnheim. Dieses Beispiel zeigt, wie Pragmatismus, Gastfreundschaft und Seelsorge zusammenwirken. Im Wohnheim wird Gemeinschaft gelebt. Es ist Kommune, Kommu nität und »Hospiz« zugleich – ein Ort, an dem Studierende einen begleiteten Übergang aus ihrer Herkunftsfamilie in ihr eigenständiges, selbstverantwortliches Leben erfahren. In geschützter Atmosphäre und Geborgenheit erfahren Studierende Wohnheim und ESG darum als Herberge. Gegen die Vereinzelung, besonders an den Hochschulen, erleben sie sich als aufgehoben, integriert und gastfreundlich angenommen. Sie sind nicht nur eine Matrikelnummer, sondern man begegnet ihnen »als Menschen, als einmalige Personen«; Wohnheim ist »a place where everybody knows your name« (Horstmann 2012, S. 87). »Hier erlebe ich ein Miteinander statt ein Nebeneinander«, erzählt ein Student. Eine Vision von »Kirche als Herberge« (vgl. Hendriks 2001) kann hier gelebt werden – in aller Offenheit, Gastfreundschaft und Freiheit der Person sowie in aller Individualität und Wertschätzung. Junge Menschen, die wie Passant*innen auf der Durchreise sind, finden in allen Herausforderungen, die ein Studium mit sich bringt, sowie auf der Suche nach Orientierung und Halt »Heimat auf Zeit«, können Leib und Seele auftanken. Eine Studentin schreibt: »Die ESG und das Wohnheim waren im Laufe meiner Zeit für mich ein wichtiger und stabiler Pfeiler in meinem Leben.« Die permanente Fluktuation der Bewohner*innen und der damit ständige Wechsel von Bezugspersonen setzt für die Pfarrer*innen zugleich eine hohe Flexibilität voraus. Im Gegensatz zu den häufig festen Strukturen einer Parochialgemeinde ist der Alltag in ESG und Wohnheim der kurzfristigen, sich schnell wandelnden Lebenssituation der Studierenden angepasst. Zum Beispiel ein kur-
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zes (Seelsorge-)Gespräch zwischen Tür und Angel, akute, praktische Hilfe und Beratung, wenn Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, Lösungen in Streitfällen und Konflikten, sofern diese nicht untereinander geklärt werden können. Themen und Ideen, die im Wohnheimalltag entstehen, werden oft kurzfristig im laufenden Semesterprogramm der ESG umgesetzt. Durch die Orientierung an ihren Anliegen und Bedürfnissen fühlen sich die Studierenden ernst und angenommen. In ihrer Doppelfunktion als »Herbergseltern« und Wohnheimleitung wechseln die Seelsorger*innen zwischen ihren Rollen.
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Aktuell gibt es bundesweit etwa 30 ESG-Wohnheime, wobei es bei Größe, Trägerschaft und Anbindung an die ESG jeweils eine große Bandbreite gibt. Die strukturellen Rahmenbedingungen sind dabei äußerst verschieden. In manchen Fällen gibt es eine andere Trägerschaft für das Wohnheim, in den meisten Fällen liegt beides in einer Hand. Die größten Synergieeffekte scheint es zu geben, wenn Wohnheim und ESG auch personell verbunden werden und es zu einem größtmöglichen Austausch kommt. Nicht immer entspricht die äußere Wahrnehmung dabei auch den Verwaltungsabläufen. Es mag Wohnheime geben, die von Studierenden als ESG-Wohnheim wahrgenommen werden, gleichwohl in anderer Trägerschaft sind, so wie es auch den umgekehrten Fall gibt. Eine Kunst ist es, die Arbeit in Wohnheim und ESG aufeinander abzustimmen, zumal dann, wenn in beiden Einrichtungen jeweils ein eigenes Programm angeboten wird. Dabei sind Kooperationen und sinnvolle eigene Angebote auszuloten. Das Spektrum der Größe der Wohnheime ist breit. Neben klassischen Wohnheimen bieten einige ESGn ein bis mehrere Zimmer für eine mittelfristige Unterbringung an (z. B. Praktikum, Zimmersuche). Andere ESGn haben ein oder mehrere WGs in ihrem Haus, deren Zimmer an Studierende vergeben werden. Unterschiedliche Aufnahmekriterien helfen bei der Auswahl und bestimmen mitunter das Zusammenleben. Die größten ESG-Wohnheime haben über 100 Plätze für Studierende, wobei die Immatrikulation immer eine Grundvoraussetzung zur Aufnahme darstellt. Es gibt zurzeit einige wenige Landeskirchen, die darüber nachdenken, ein Wohnheim aus Kostengründen zu verkaufen. Andere wiederum haben gerade mit aufwendigen Renovierungsarbeiten Wohnheime dem aktuellen Standard angepasst oder moderne Bauten installiert (manche sind dazu noch in Planung).
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2 Wohnheim – Gemeinde jenseits der Parochie Beispiel: Ein aus muslimischem Kontext stammender atheistischer Jurastudent wird begeistertes Mitglied in einer AG zu sperrigen Bibeltexten. Durch das Leben im Wohnheim kommen die Bewohner*innen in direkten Kontakt mit den Veranstaltungsangeboten der ESG. Unter demselben Dach befinden sich die Arbeitsplätze der Pfarrer*innen, die mit ihren pädagogischen bzw. seelsorgerlichen Angeboten einen niedrigschwelligen Zugang zur kirchlichen Wirklichkeit ermöglichen. Diese Nähe bietet die Chance, dass junge Erwachsene in einer Lebensphase, die häufig von größtmöglicher Distanz zur Kirche geprägt ist, Berührungsängste oder Vorurteile gegenüber der Institution Kirche abbauen. Ein Wohnheimbewohner äußert: »Glaube und Religion waren für mich nie ein großes Thema. Aber im Wohnheim haben mir Menschen mit anderem Glauben den Glauben ›meines Kulturkreises‹ nähergebracht. Und ich habe gelernt, dass es ›den Glauben‹, ›die Religion‹ und ›die Gläubigen‹ nicht gibt, sondern dass diese genauso bunt sind, wie ich mir die Welt wünsche.« Die Altersgruppe der Studierenden würde, wenn die ESG mit Wohnheim nicht direkt Teil ihrer Lebenswelt wäre, kaum den Weg zu einer (Orts-)Gemeinde bzw. einer*m Pfarrer*in finden, mit Ausnahme vielleicht von hochverbundenen Kirchenmitgliedern. Mit ihren spirituellen Räumen bietet die ESG vor allem für Bewohner*innen des Wohnheims eine niedrigschwellige Möglichkeit, selbstgestaltete (Morgen-, Abend-, Taizé-)Gebete und Andachtsformen, Meditationen, Zeiten des Schweigens zu feiern, auszuprobieren und damit die eigenen religiösen Bedürfnisse auszuloten. Die Seelsorger*innen vor Ort sind nah am Puls des gemeinschaftlichen Lebens im Wohnheim und damit auch schnell im Kontakt mit den alltäglichen Krisen und Konflikten der Bewohner*innen. Hier entstehen Gelegenheiten der Konfliktbearbeitung und der Krisenintervention unter Moderation der Seelsorger*innen. Die Bewohner*innen erfahren so Kirche in Gestalt ihres Dienstes am Evangelium, nämlich Menschen in ihren jeweiligen Lebenssituationen zu unterstützen. Es ist kein Zufall, dass gerade im Rahmen dieser Sensibilität für die Lebensbedingungen von jungen Erwachsenen und der Ermöglichung eines großen Spielraums der Freiheit im Kontakt mit dem Evangelium immer wieder auch
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Amtshandlungen wie Taufen und Trauungen nachgefragt und Eintritte in die evangelische Kirche vollzogen werden.
3 Wohnheim – Pfarrer*innenbild – Gemeindeform Beispiel: Im Mitarbeitendenkreis gestalten Studierende ein eigenes ESGSemesterprogramm. Die Pfarrer*innen sind Moderator*innen in diesem Prozess.
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Das Leben im Wohnheim beeinflusst nicht zuletzt auch die Rolle der Pfarrer*in nen. Im Gegenüber zu den Studierenden gestaltet sich nicht nur die Kommunikation auf Augenhöhe, sondern auch das Semesterprogramm wird durch Initiative, Verantwortungsübernahme und Ideenreichtum vonseiten der Bewohner*innen mitveranstaltet. So gibt es nicht nur partizipative Strukturen in der Mitverwaltung des Wohnheims (in vielen ESGn z. B. in Form eines Buddy-Programms, bei dem ältere Bewohner*innen jüngere begleiten, sowie als Etagen- und Wohnheimsprecher*innen), sondern auch im Leben und der Arbeit der ESG. Z. B. ist in der ESG Köln eine neue detaillierte Wohnheimordnung auf Initiative der Studierenden (in Abstimmung mit der Landeskirche) entstanden. Es wurde über Werte, Aufnahmebedingungen und Regeln ausführlich diskutiert, sodass alle Beteiligten am Ende der neuen Organisationsform mit bestem Gewissen zustimmen konnten. Die Pfarrer*innen sind in diesem Prozess Lebensbegleiter*innen, ermöglichen Partizipation, lassen Raum, in dem sie zum Einüben von Leitung und Verantwortung anleiten. Ekklesiologisch können ESGn mit Wohnheim als »Kirche an der Schwelle« bezeichnet werden, die experimentell und offen auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen als Gemeindeglieder eingeht und sie neugierig und aufmerksam aufnimmt. Es entstehen Gemeinden mit weichen Übergängen, in der kirchlich Geprägte und Aktive bis hin zu Atheist*innen und Andersgläubigen sich an Diskussionen und Themen beteiligen – »aber alle unter einem Dach« (Horstmann 2012, S. 194 ff.). Immer wieder gelingt es, kirchenferne und säkular geprägte Jungakademi ker*innen für Themen zu begeistern und zu motivieren. Bestes Beispiel ist eine Studentin, die in einem unkirchlichen Kontext aufwuchs, sich über das Wohnheim und kritischen Dialog zunehmend für biblisch-theologische, schließlich kirchenpolitische Themen und Fragen interessierte und mittlerweile sogar die Studierendenschaft der ESGn in Gremien auf Bundes- und landeskirchlicher Ebene in der Studierendenkonferenz vertritt.
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4 Wohnheim und interkulturelle Begegnung – weltweite Kirche leben Beispiel: »Das Evangelische Studierendenwohnheim ist ein Ort, an dem Studierende in religiöser, kultureller und geschlechtlicher Diversität miteinander leben. Es soll ein Raum des interkulturellen Dialogs und der Integration sein« (aus der Präambel der Heimordnung einer ESG). Die jeweiligen Wohnheimkonzeptionen und Heimordnungen spiegeln unter anderem den Versuch wider, den Raum der Begegnung für den Austausch in religiösen, politischen und kulturellen Dingen so weit wie möglich auszuloten. Ziel ist zudem, an einer Gemeinschaft zu bauen, in der die Arbeit an der weltweiten Ökumene und der Dialog mit den Weltreligionen unter dem Fokus des Engagements für Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung eingeübt werden. Um diese Entscheidung nicht dem Zufall zu überlassen, sind in vielen Wohnheimkonzeptionen konkrete Prozentzahlen für einen vorgeschriebenen Anteil an internationalen Studierenden festgehalten. Aus dem Brief eines marokkanischen Studenten an die Wohnheimleitung: »Liebes ESG-Team, ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr mir die Gelegenheit gegeben habt, neue Freundschaften aufzubauen und mich mit guten Menschen zu verbinden. Aber das Wichtigste ist, dass ich mich wohl und integriert statt fremd fühle in einer internationalen Familie.« In einer weltpolitischen Gemengelage, in der populistische, rechtsextremistische und nationalistische Strömungen zunehmen, die Gruppen- und Volksidentitäten vor allem durch Abgrenzung von allem Fremden definieren, ist das interkulturelle Konzept der ESG-Wohnheime ein heilsames Gegengewicht für einen offenen Diskurs der verschiedensten Identitäten auf Augenhöhe ohne Angst. Dies spiegelt sich in vielen Angeboten und Veranstaltungen der ESGn wider, in denen die bunte Vielfalt der Teilnehmenden den Dialog aus unterschiedlichen Perspektiven garantiert. Aus dem interkulturellen Leben im Wohnheim erwachsene und geförderte Veranstaltungen sind z. B. interreligiöse Gebete, Länder- und Kochabende und die Teilnahme und Mitarbeit im Projekt »Café Abraham«, einem Gesprächsangebot für Studierende der drei abrahamitischen Religionen an bestimmten Hochschulstandorten (siehe dazu Artikel 2.14 in diesem Handbuch). Eine ehemalige Wohnheimbewohnerin schreibt:
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»Die vielen Gespräche unter den Studierenden, das Kennenlernen unterschiedlicher Perspektiven, das Hinterfragen eigener Werte und Normen, das Interesse an anderen Menschen, das alles zusammen ist ESG. ESG ist nicht nur Wohnen, ESG ist ein Gefühl der Zusammengehörigkeit über jegliche Grenzen des Glaubens, der geschlechtlichen Identität, der sexuellen Orientierung hinweg. Es ist Lernen voneinander und miteinander.«
5 Wohnheim als Übungsraum für gesellschaftspolitisches Engagement
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Beispiel: Ein Student organisiert regelmäßig für alle Wohnheimetagen Lebensmittel aus einem Foodsharing-Projekt. Daraus entsteht eine Veranstaltungsreihe zum Thema »Nachhaltigkeit«. Durch geteilten Wohnraum und das Leben in Gemeinschaftsküchen entstehen unter den Bewohner*innen die Auseinandersetzung und das Engagement in gesellschaftspolitischen Fragen. Von Mülltrennung, Gartenarbeit, Foodsharing bis hin zu Genderfragen, soziokulturellen Themen und Nachhaltigkeit bringen sich die Bewohner*innen mit großer kreativer Kraft und innovativen Ideen ein. Sie möchten die Welt, Gesellschaft und Kirche aktiv mitgestalten. Dadurch erleben sie in Wohnheim und ESG evangelische Kirche als eine offene, freiheitliche und in die Zukunft weisende Kirche. Es können Themen und Fragen, die durch Studierende entstehen, unmittelbar aufgenommen, fokussiert und nicht zuletzt mithilfe der Pfarrer*innen ermöglicht und didaktisch begleitet werden. Wohnheim und ESG bieten Raum für Diskurs und Auseinandersetzung, gegenseitige Sensibilisierung im Hinblick auf Gender, kulturelle Unterschiede, Rollenverständnis, Toleranz und auch Streitkultur. »Wohnheime der ESG sind in der Landschaft der Studierendenwohnheime ein unverzichtbarer Bestandteil. Die Förderung sozialer Beteiligung und Verantwortung sind bemerkenswert und sie sind eine direkt in die Gesellschaft wirkende evangelische Gemeinde« (Geschäftsführer eines Studierendenwerks und Mitglied im Beirat einer ESG). Aber auch in anderer Hinsicht kann ein Wohnheim eine gute Schule für gesellschaftspolitische und demokratische Prozesse sein. So wird z. B. in Gemeinschaftsküchen praktisch täglich Integration im Kleinen gelebt. Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen, Gewohnheiten, mitunter auch Gerüchen
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ist auf der einen Seite eine große Bereicherung, erfordert auf der anderen Seite zugleich auch ein hohes Maß an Toleranz. Es gilt, Fremdes und Ungewohntes im Alltag auszuhalten und zuzulassen. Gelegentlich kommt es zu Konflikten um Themen wie z. B. Sauberkeit, Lautstärke und gerechte Verteilung von Diensten, die aus unterschiedlicher kultureller Perspektive wahrgenommen und über Sprachbarrieren hinweg gelöst werden müssen. Hier besteht die große Chance, dass die Bewohner*innen ihre gesammelten interkulturellen Erfahrungen später auch am Arbeits- und Lebensort auf gesellschaftlicher Ebene und in Unternehmen einbringen. Das Wohnen in einem ESG-Wohnheim dient somit als Lernraum für gelungene Integration.
6 Wohnheim und Seelsorge Beispiel: »Hallo, ich wollte mich noch einmal bei Ihnen bedanken für Ihr offenes Ohr, Ihre Hilfe und Ihr Vertrauen, welches Sie mir entgegengengebracht haben. Durch die ESG konnte ich erleichterter ins neue Jahr starten und bin motiviert, mich weiterhin durch mein kleines Chaos zu kämpfen« (aus einem Dankesbrief einer Wohnheimbewohnerin an die ESG-Seelsorgerin). Das Wohnheim ist auch Schutzraum zur Entwicklung der eigenen Identität in der Phase des Heranreifens zu einem jungen erwachsenen Menschen und hilft zur Gewinnung der eigenen Autonomie bei der Loslösung von der Ursprungsfamilie. Es ist ein Ort, an dem – niedrigschwellig und durch die Verbindung von ESG und Wohnheim – Studierende leicht in Kontakt mit Beratungsangeboten durch Seelsorger*innen und weitere Mitarbeiter*innen in der ESG kommen. Gesprächssituationen zwischen Tür und Angel sind häufig ein erster Anknüpfungspunkt und Auslöser für weitere Beratungsangebote und Gespräche, die nicht selten bis hin zur Weitervermittlung an psychosoziale und psychotherapeutische Hilfsadressen führen können. Der Einzug in das Wohnheim ist für viele Studierende der erste Schritt zur räumlichen wie psychischen Ablösung von der Ursprungsfamilie. Fragen des Alltags wie die eigene Versorgung, bürokratische Anforderungen, selbstständige Orientierung in der Fremde, die Herausforderungen durch Sachzwänge des Studiums, das Finden von neuen Kontakten werden nicht oder kaum mehr durch familiäre Unterstützung abgefedert oder übernommen; sie müssen selbstverantwortlich bewältigt werden. Dabei werden sich die jungen Erwachsenen ihrer eigenen Ressourcen und Stärken, aber auch ihrer Grenzen und Ängste bewusst.
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Die Lebensaufgaben, die sich jungen Erwachsenen (insbesondere Studierenden) stellen, sind vielfältig und können zu starken Belastungen führen: Leistungsstress, Prüfungsdruck, (berufliche) Zukunftsängste, Fragen der eigenen geschlechtlichen Identität und Partnerschaftskonflikte, finanzieller Druck, Einsamkeit (vor allem bei internationalen Studierenden). Das in den Wohnheimkonzeptionen festgehaltene Profil, bei dessen Entstehung gerade auch Studierende federführend sind, setzt auf Gemeinschaftsbildung, gegenseitige Verantwortung und Aufmerksamkeit füreinander. Dies fördert das Entstehen einer seelsorgerlichen Atmosphäre und Kompetenz unter den Bewohner*innen selbst. Wohnheimküchen werden zu Orten des Vertrauens, Freundschaften entstehen, gegenseitige Unterstützung in Studium und Alltag werden gepflegt.
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7 Wohnheim und ESG Beispiel: »Die Evangelische Studierendengemeinde unterstützt durch ihre Aktivitäten und Angebote das Zusammenleben im Wohnheim. Von den Bewohner*innen wird erwartet, dass sie das Leben im Wohnheim und die Arbeit in der ESG verantwortlich mitgestalten« (Präambel einer Wohnheimordnung von 2019). Das Nebeneinander von aktivem ESG- und Wohnheimleben beeinflusst den Aufbau von Gemeinde in anderer Form. Auf der einen Seite besteht die Gefahr, sich in den Angeboten einer ESG explizit auf die Wohnheimgemeinde zurückzuziehen. Auf der anderen Seite ist es eine große Chance, dass Bewohner*innen in Vorlesungen und Seminaren ESG und Wohnheim selbst repräsentieren und so für die ESG werben. Durch ihre vielfältigen Beziehungen, etwa zu Studienfreund*innen oder in Lerngruppen, agieren die Bewohner*innen als Multiplikator*innen für Wohnheim und ESG an den Hochschulen. Für einen Gemeindeaufbau bleibt immer wieder die Herausforderung, wie das Zusammenspiel zwischen Wohnheim und ESG gelingen kann. Die durch Gemeinschaftserfahrung im Wohnheim erstarkte Bindung führt manchmal auch zu einer (Über-)Identifikation. Eine starke Wohnheimgemeinschaft kann die Teilnahme von anderen Studierenden erschweren. Die Hemmschwelle, Teil der ESG- Community zu werden und dazuzugehören, ist mitunter für diejenigen Studierenden, die nicht im Wohnheim wohnen, größer. Gastfreundschaft und Annahme der Person ohne Einlassbedingungen sind darum grundlegend für die Gemeinschaftsbildung von Wohnheim und ESGGemeinde.
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ESGn können somit die Frage wachhalten, wodurch sich eine Kirchenmitgliedschaft in der evangelischen Kirche eigentlich manifestiert. Die jungen Menschen, »die sich in unseren Gemeinden und diakonischen Einrichtungen aus Freiheit und nicht aus gesellschaftlicher Konvention engagieren, sind schon heute die besten Botschafter der Kirche von morgen« (H. Bedford-Strohm, in: Bechtold 2019).
8 Wohnheim als Wurzel einer ESG-generationen übergreifenden Gemeinde – Ehemaligenarbeit Beispiel: »Ohne die ESG und das Leben im Wohnheim wäre ich heute nicht der Mensch, der ich bin.« (Ehemalige aus dem Wohnheim bei einem Begegnungstreffen mit aktuellen Wohnheimbewohner*innen) Viele ehemalige Bewohner*innen bezeichnen ihre Zeit in ESG und Wohnheim als eine besonders intensive und prägende Lebensphase. Vor allem das, was sie im Kontakt mit einer kirchlichen Einrichtung in Gestalt von besonderen, niedrigschwelligen Begegnungen mit Amtspersonen der Kirche, in Form von liturgischer Vielfalt in Gottesdiensten, mit vielen Möglichkeiten hoher Partizipation und Verantwortungsübernahme erfahren durften, prägt ihre Erfahrung und ihr Bild von Kirche. Dies hat auch Auswirkungen für die Zukunft ihrer Bedürfnisse und Erwartungen im Blick auf Kirche. Nicht wenige unter ihnen bekommen später nur noch schwer Zugang zu klassisch-parochialen Gemeinden mit traditionellen Strukturen an ihrem Wohnort. Der Wunsch nach weiterer Anbindung an die ESG und ihre (geistlichen) Angebote bleibt stark. Die in der Coronapandemie entstandenen digitalen Möglichkeiten sind darum eine Chance, auch aus der Ferne Teil einer ESGgenerationenübergreifenden Gemeinde mit der Möglichkeit des Austauschs und Miteinanders bei Veranstaltungen u. ä. zu sein. Darum ist die Pflege dieser Beziehungen in Gestalt einer kontinuierlichen Dokumentation und Archivierung der Adressen Ehemaliger ein wichtiger Bestandteil der Wohnheimarbeit der ESGn. Diese Beziehungspflege in Form von Einladungen zu unterschiedlichsten Veranstaltungen und Festen sowie Briefe in Form von Jahres- oder Weihnachtspost bekommt viel Resonanz. Daraus ergeben sich verheißungsvolle Anknüpfungspunkte für den weiteren Aufbau einer ESG-generationenübergreifenden Gemeinde. Gerade das Feld der Alumni-Arbeit ist in Zeiten wiederkehrender Haushaltskonsolidierungsprozesse und des Abschmelzens finanzieller kirchlicher Mittel eine erfolgversprechende
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Möglichkeit für vielfältige Fundraising-Projekte (siehe dazu Artikel 2.18 und 2.19 in diesem Handbuch). In einer Mail äußert ein Ehemaligen-Ehepaar: »Gerne denken wir als 1970er-ESG-Aktive an das erste Alumni-Treffen im Sommer 2016 zurück. Nicht nur wegen des schönen Wiedersehens und Reflektierens mit den Weggenossen/innen der damaligen Zeit und der fachkundigen Führung durch das etwas umgestaltete Wohnheim. Wir sind schon in gespannter Vorfreude, regelmäßig über die ESG-Aktivitäten informiert zu werden.«
Literatur
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Bechtold, M. (2019): Warum Kirche sich neu finden muss. https://www.evangelisch.de/ inhalte/156072/02-05-2019/projektion-2060-warum-kirche-sich-neu-finden-muss (abgerufen am 08.04.2021). Hendriks, J. (2001): Gemeinde als Herberge: Kirche im 21. Jahrhundert – eine konkrete Utopie. Gütersloh. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart.
2.16 Studierendengemeinden an der Hochschule Anne Lüters
1 Einleitung Studierenden- und Hochschulgemeinden sind im Wissenschaftssystem erst einmal Fremdkörper. Anders als beispielsweise an manchen britischen oder amerikanischen Hochschulen, in denen der University-Chaplain von der Universität für Seelsorge, Beratung und religiöse Bedürfnisse aller Mitglieder des Campus – gleich welcher Religion sie sind – angestellt ist, sind Hochschulpfarrer*innen und Studierendenpfarrer*innen in Deutschland dem unmittelbaren Zugriff der Hochschule entzogen. Sie sind nur ihrer Arbeitgeberin, der jeweiligen evangelischen Landeskirche oder einer katholischen Diözese, unterstellt. Dennoch sind Hochschul- und Studierendengemeinden selbstverständlich Teil des Campuslebens, arbeiten im Takt des Semesters, nehmen Anteil an Entwicklungen, Ereignissen und Festen an den Hochschulen und sind auf vielfältige Weise mit deren Einrichtungen vernetzt. Wie stark sich Hochschule und ESG gegenseitig befruchten oder auch kritisch gegenüberstehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die hier kurz genannt werden sollen: von der Offenheit der Hochschulleitung für die religiösen Bedürfnisse der Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden, von Größe, Eigenheiten und Vorgeschichte des Campus sowie vom Selbstverständnis der ESG und des*der jeweiligen Hochschulseelsorgers*in, die bisweilen auch stark voneinander abweichen können. In diesem Beitrag sollen zum einen verschiedene Sichtweisen und Funktionen von kirchlicher Hochschularbeit beleuchtet werden, aber auch gezeigt werden, wie unterschiedlich ESGn an der Hochschule verortet sind und welche zum Teil wichtige Funktionen sie dort übernehmen. Abschließend sollen Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme von Evangelischen Studierendengemeinden reflektiert werden.
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2 Modelle der Interaktion
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Ob und wie eine Studierenden- und Hochschulgemeinde an einer Universität aufgenommen wird, hängt davon ab, wie das Stichwort »religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates« – und damit auch der Hochschule – verstanden und gefüllt wird. Geht es bei der »Religionsfreiheit« nur darum, alle religiösen Einflüsse von Forschung und Lehre fernzuhalten, oder auch um positive Religionsfreiheit, die es Lehrenden, Mitarbeitenden und Studierenden im Lebensraum Universität erlaubt, ihre Religion auszuüben? (Siehe dazu Artikel 1.4 und 1.9 in diesem Handbuch.) Dieser Unterschied geht zum Teil schon auf die Gründung der Hochschulen zurück. Manche älteren Universitäten, deren Geschichte bis in das 16. Jahrhundert oder weiter zurückreicht, tun sich etwas leichter mit der Präsenz der Kirche auf dem Campus als die in der Aufklärung oder in den 1960er- und 1970er-Jahren errichteten Universitäten. Die Entstehung der Traditionshochschulen war stark mit Kirche und Religion verquickt. Demgegenüber erfolgte die Gründung der Reformuniversitäten – grob gesagt – teils in Abgrenzung gegen die scholastische Verbindung von Theologie und Wissenschaft (18. Jahrhundert), teils in dem Bestreben, die Freiheit der Wissenschaft von politischer, aber auch weltanschaulicher Einflussnahme möglichst schon in der Bauart und natürlich auch in der Konzeption darzustellen (1960er- und 1970er-Jahre). Neben der Geschichte der Institution spielt die Einstellung der Hochschulleitung zur Kirche und ihrer Bedeutung für den Hochschulbetrieb eine entscheidende Rolle. Die Erfahrung zeigt, dass Präsident*innen, die selbst einen kirchlichen Hintergrund haben, aber auch jene, die länger im angloamerikanischen Raum geforscht und gelehrt haben, ein Interesse an der Religionsausübung auf dem Campus haben und es oft auch vermögen, Verständnis dafür in der Hochschulleitung zu wecken. Indikator dafür, wie sehr Hochschul- und Studierendengemeinden auf dem Campus integriert sind, kann ihre Präsenz bei Erstsemesterveranstaltungen sein. Dürfen sie sich im offiziellen Teil oder nur zwischen studentischen Initiativen präsentieren oder wird ihnen gar keine Gelegenheit dazu gegeben? Das gilt ebenso für die Raumnutzung an der Hochschule, die Möglichkeit der Bewerbung von Veranstaltungen in der Mensa, den Universitätsgebäuden und auf den Plattformen der Hochschulen sowie die Einbindung in den Lehrbetrieb, in Initiativen und Arbeitsgruppen auf dem Campus und für die Vernetzung der ESG mit den vielfältigen universitären Institutionen. Dabei spielt es eine eher untergeordnete Rolle, ob die Hochschule eine geisteswissenschaftliche, naturwissenschaftliche oder technische Ausrichtung hat. Hoch-
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schulseelsorger*innen können an Technischen Hochschulen sowohl naturwissenschaftlicher Skepsis gegenüber dem Religiösen begegnen, sie können aber auch gerade als der geisteswissenschaftliche Blick von außen gefragt sein. Bisweilen gibt es sogar die Tradition, mit einem Ökumenischen Gottesdienst gemeinsam das Semester zu eröffnen, in seltenen Fällen sogar mit einer vom Universitätspräsidenten vorgetragenen biblischen Lesung. Theologische Fakultäten können zu konstruktiven Partnerinnen und Fördererinnen der Hochschulgemeinden werden oder ihnen ihre Position, Kirche im Universitätssystem zu sein, absprechen. In den letzten Jahren ist auch an Universität und Hochschule häufig von der »Universitätsfamilie« die Rede – ein Begriff, der eine besondere Nähe und Verbundenheit der Mitglieder impliziert. Es ist von entscheidender Bedeutung für die Arbeit der ESG, ob sie als Teil der Kernfamilie, der eine wichtige Funktion in der Hochschule übernimmt, gesehen wird, als Freund*innen, über deren Besuch man sich freut, oder als unbequeme »bucklige Verwandtschaft«, die das System immer wieder verstört.
3 Rollen der ESGn an den Hochschulen Auf dem Hintergrund des oben Dargestellten lassen sich mindestens drei verschiedene Rollen der ESGn an den Hochschulen ausmachen. 3.1 Die ESG als Teil der »Hochschulfamilie« An manchen kleineren und mittleren Standorten ist die Hochschulgemeinde stark in den Universitätsbetrieb eingebunden. Dem*Der Seelsorger*in wird ein Büro in den Hochschulgebäuden zur Verfügung gestellt, er*sie hat ggf. einen Lehrauftrag und wird als Teil des Kollegiums wahrgenommen. Kleine – insbesondere technische oder naturwissenschaftliche – Hochschulen sind bisweilen froh, eine*n Geisteswissenschaftler*in am Campus zu haben, der*die die ethischen Fragestellungen wachhält und sich auch um das kulturelle Leben am Campus kümmert. Eine solche Einbindung fordert eine Präsenz der Seelsorger*innen an der Hochschule. Da dies an kleinen Hochschulen oft nicht gewährleistet ist, fällt es ESGn gerade dort, wo eine Offenheit für ihre Beteiligung bestehen würde, oft schwer, einen Fuß auf den Boden zu bekommen.
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3.2 Die ESG als kritisches Gegenüber der Hochschule An anderen Hochschulstandorten und zu anderen Zeiten begleitet die ESG kritisch beobachtend die Entwicklungen an der Hochschule und nimmt ihren Auftrag, Anwältin der Schwachen zu sein, im Rahmen der Universität sehr ernst. In Konflikten bezieht sie, wo nötig, klar Position – auch gegen die Hochschulleitung. Umstrittene Themen waren beispielsweise Studienbeiträge, BAföG, die Situation von internationalen Studierenden, Nachhaltigkeit und der BolognaProzess, geflüchtete Studierende, Religionsausübung an der Hochschule und die Stellung der Frauen an den Universitäten. Dabei setzen sich die ESGn auch für die Belange und Interessen anderer Religionen ein. Hier leisten BundesESG und Hochschulbeiräte wertvolle Unterstützung.
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3.3 Die ESG als unabhängige Partnerin der Hochschule Die überwiegende Zahl der ESGn wird von den Universitäten als externe Partnerin wahrgenommen, zu der ein phasenweise enger, phasenweise eher lockerer Kontakt gehalten wird. Die Intensität der Partnerschaft hängt davon ab, wie viele Berührungspunkte es gibt, wie stark der Kontakt vonseiten der Hochschulgemeinde gehalten wird, als wie verlässlich die Hochschulseelsorger*innen wahrgenommen werden und was sich die Hochschule bzw. Hochschulleitung von der Existenz der ESGn verspricht. Dabei spielt es auch eine Rolle, wie es der ESG gelingt, zu verdeutlichen, dass sie bei aller kirchlichen und ggf. konfessionellen Prägung für alle Mitglieder des Campus da ist und dass sie weder eine Religionszugehörigkeit erwartet noch eine Missionierung anstrebt. Die Wahrnehmung der ESG an der Hochschule reicht von einer Hochschulgruppe unter vielen bis hin zu einer willkommenen Kooperations- und Sparringpartnerin, die – besser als die Hochschule, die bei allem einen gewissen elitären Anspruch haben muss – den einzelnen Menschen im Blick behalten und Funktionen für die Universität übernehmen kann.
4 Funktionen der ESGn an den Hochschulen Die im Folgenden angeführten Beispiele für Funktionen, die die ESGn an den Hochschulen einnehmen, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Von Standort zu Standort gibt es eine große Variabilität, die von vielen Faktoren abhängig ist.
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4.1 ESGn als religiöse und ethische Expertinnen an den Hochschulen Wenn es darum geht, kritische Fragen zur Religionsausübung am Campus zu beantworten, werden Hochschulseelsorger*innen gern zu geschätzten Gesprächspartner*innen von Hochschulleitungen und -einrichtungen. Muslimische Studierende fragen nach angemessenen Räumen zum Beten, die Hochschulleitung überlegt, einen Raum der Stille einzurichten, und sucht nach einem Konzept, das allen Beteiligten gerecht wird, sowie nach Institutionen, die die Raumverteilung im Blick haben. Aber auch in anderen Situationen ist die religiöse Kompetenz gefragt. Eine globale Katastrophe oder ein rassistischer Anschlag erschüttert die Gesellschaft, und der Campus sucht nach einem Weg, dem Erschrecken Ausdruck zu geben. Ein Studierender an einem Lehrstuhl stirbt plötzlich – die Dozent*innen wenden sich an die ESG, um in deren Räumen und mit deren Unterstützung eine Trauerfeier zu organisieren. An Universitäten mit medizinischen Fakultäten wie Hannover, Göttingen, Erlangen oder München wird das Angebot regelmäßiger Gedenkgottesdienste für sogenannte »Körperspender*innen« – Menschen, die ihren Körper nach dem Tod der Anatomie zur Verfügung stellen – von Studierenden und Dozent*innen in Anspruch genommen. Die ESGn unterstützen hier als Expertinnen für Rituale am Ende des Lebens die medizinischen Fakultäten in ihrem Bedürfnis, den Körperspender*innen zu danken, und in ihrem Bemühen, die Verstorbenen bei aller wissenschaftlichen Arbeit würdig zu bestatten. An manchen Fakultäten begleiten ESGn auch die Erstsemester bei ihren ersten Schritten in den Präparierkurs. Sie bieten Raum und Gelegenheit, sich über die Erfahrungen mit der Arbeit an Leichen auszutauschen und über das eigene Verständnis von Leben und Tod nachzudenken (siehe dazu Artikel 2.8 in diesem Handbuch). In Bayern ist es bisweilen üblich, dass bei den Eröffnungen größerer Gebäude – auch an der Hochschule – die Einweihung von Kirchenvertreter*innen vorgenommen wird. Hier sind die Hochschulseelsorger*innen Verbindungsglieder zu den kirchenleitenden Personen, treffen Absprachen, sind die Kontaktpersonen vor Ort. Kleinere Einweihungen nehmen sie selbst vor – eine gute Gelegenheit, die Hochschulgemeinde auch einmal an anderen Orten (Mensa, Hort, Kita, Forschungszentren) zu präsentieren und mehr von der Arbeit am Campus zu erfahren.
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4.2 Eine Art Betriebsseelsorge
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Je länger Hochschulpfarrer*innen an einer Universität sind, desto größer wird ihr Netzwerk. Bei Begegnungen mit Studierendenwerk und Hochschulleitung, bei wichtigen Terminen der »Hochschulfamilie«, sozialen Fragestellungen und Veranstaltungen der Hochschulgemeinde begegnen sie Mitarbeitenden und Lehrenden, ohne in das hierarchische Gefüge eingebunden zu sein. Stehen Campusangehörige Kirche und Religion nicht ganz ablehnend gegenüber, so wird der Seelsorge oft Vertrauen entgegengebracht. Die Hochschulpfarrer*innen erfahren so, wo es im System »knirscht«, welche Entwicklungen als problematisch erfahren werden und wo es strukturelle oder aber auch persönliche Schwierigkeiten gibt. Allerdings wird es den Pfarrer*innen wegen strikter Wahrung des Seelsorgegeheimnisses oft nicht möglich sein, unmittelbar tätig zu werden. Dennoch kann ihnen die Offenheit der Mitarbeitenden helfen, das Wissenschaftssystem und seine Zwänge besser zu verstehen und jene Entwicklungen zu stärken, die die Kommunikation unter den Beteiligten im Fluss halten und ein Klima der Wertschätzung und Achtung fördern. Es sind nicht die ganz großen, schnellen Veränderungen, die die ESGn hier bewirken können. Aber manchmal reicht ein genaues Hinsehen, ein gezieltes Nachfragen und eine Beschäftigung mit Aufgabenbereichen, Berufsgruppen oder Themen, um – ohne das Vertrauen der Betroffenen zu enttäuschen – etwas in Bewegung zu bringen. 4.3 ESG als soziales Gewissen der Hochschule Nicht nur als gut vernetzte Seelsorgerinnen innerhalb der Hochschulen, sondern auch als Anwältinnen der Schwachen haben ESGn eine wichtige Funktion, die aus ihrem christlichen Auftrag erwächst. Während Ersteres in Übereinstimmung mit dem System geschieht, geht es in dieser Funktion trotz Vermittlungsversuchen manchmal nicht ohne Konflikt ab. Dabei stellt sich die ESG an die Seite der Schwächsten im System – seien dies Studierende, die aufgrund bestimmter Voraussetzungen das Studienziel nicht erreichen können oder Studierende aus dem Globalen Süden. In der Regel sind Hochschulen dankbar dafür, dass die Hochschulgemeinden die soziale und ökologische Entwicklung auf dem Campus im Blick haben und sie – auch in Fragen der Nachhaltigkeit – immer wieder an ihre Verantwortung erinnern. Gerade der Einsatz für Studierende aus dem Globalen Süden wird – zumindest in den letzten Jahren – als wichtiger Dienst am Campus wahrgenommen. Dozent*innen und Studienberater*innen sind froh darüber, Studierende in finan-
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ziellen und kulturellen Problemen an die ESGn weiterleiten zu können. Gleichzeitig bringen die Hochschulseelsorger*innen die Fragen und Nöte der inter nationalen Studierenden immer wieder ins Bewusstsein der Universitäten. 4.4 ESG als Netzwerkerin und Plattform für Themen im Spannungsfeld von Gesellschaft und Wissenschaft Mit ihrer Präsenz an Universitäten und Hochschulen bringen die ESGn eine ganz eigene Note in den Wissenschaftsbetrieb. Das können sie sowohl für die Kirche als auch für die Hochschule gewinnbringend einsetzen. Themenabende und Bildungsprogramme bieten die Gelegenheit, Professor*innen und Mitarbeitende am Campus einmal anders kennenzulernen und sie ins Gespräch zu bringen mit einem interessanten Gegenüber aus Wissenschaft oder Zeitgeschichte. Ihr Fachgebiet wird so in einen anderen, gesellschaftlichen Horizont gestellt. Zudem ermöglichen sie in einer Zeit, in der das Studium generale immer weniger üblich ist, den Studierenden die Begegnung mit anderen Studienfächern am Campus. Gleichzeitig sind ESGn immer auch auf der Suche nach ungewöhnlichen, gesellschaftlich relevanten Themengebieten. Wissenschaft und Kultur, Kunst und Soziales – alles kann zum Thema an der Hochschule werden, mit dem der ganze Mensch in den Blick genommen wird. Dabei können die Veranstaltungspartner*innen wechseln: eine Fakultät oder das Studierendenwerk, die Kommune oder ein örtliches Bildungswerk.
5 Lehraufträge und Credit Points Es gibt einige wiederkehrende Themen, an denen das besondere Verhältnis zwischen ESGn und Hochschulen deutlich wird. Einige dieser Themen wie die Frage nach Räumen der Stille an Hochschulen und die Funktion der ESGn bei der Einrichtung und Pflege dieser Räume oder das Zusammenspiel von Beratungsarbeit an Hochschulen und in ESGn werden in diesem Handbuch an anderer Stelle dargestellt (siehe zu Räumen der Stille Artikel 1.10 und zur Beratungsarbeit Artikel 2.9 und 2.10). Zwei Themen sollen jedoch noch einmal gezielt herausgegriffen werden: die Lehraufträge von ESG-Mitarbeitenden an Universität und Hochschule und die Frage nach der Vergabe von ECTS-Punkten (European Credit Transfer and Accumulation System) – oft Credit Points genannt – beim Besuch von Veranstaltungen der Studierenden- und Hochschulgemeinden. Diese beiden Themen sind deshalb so interessant, weil hier eine Schnittmenge zwischen dem System der Hochschule und dem der ESG entsteht.
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5.1 Lehraufträge an Universitäten und Hochschulen
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Zahlreiche promovierte Kolleg*innen im Pfarrdienst der ESGn nehmen an der Universität oder Hochschule Lehraufträge wahr. An manchen Stellen wie der Bundeswehrhochschule in München-Neubiberg gehört der Lehrauftrag fest zur Stelle des*der Seelsorgers*in dazu. Gerade an theologischen Fakultäten bzw. Fachrichtungen ist der Lehrauftrag für beide Seiten eine Bereicherung: Die Fakultät bzw. Fachrichtung profitiert von dem Wissen und oftmals auch dem Spezialgebiet des*der Hochschulpfarrers*in. Diese wiederum bleiben in dem Kontext von Forschung und Lehre und können bestenfalls gleichzeitig promovieren oder sich habilitieren. Dass ESG-Pfarrer*innen zum Lehrkörper gehören, öffnet ihnen manche Türen, die anderen verschlossen bleiben. Sie lernen im kollegialen Gespräch Professor*innen kennen und werben – allein durch ihre Person – bei Studierenden und Dozierenden um Vertrauen für die Arbeit der ESG. Allerdings müssen sie als Angestellte oder Lehrbeauftragte der Hochschule in einem weiten Rahmen nach deren Regeln agieren. Es liegt am Geschick und der Transparenz der Pfarrer*innen, ob und wie sie den Studierenden gleichzeitig Prüfende sein können, von deren Urteil schlimmstenfalls eine schlechtere Endnote abhängt, und Vertrauensperson, bei der auch der eigene Prüfungsdruck und Versagensängste gut aufgehoben sind. 5.2 Zur Frage der Credit Points für das Engagement in der ESG Die Vergabe von Credit Points für die Teilnahme an ehrenamtlichen Aktivitäten und Projekten auch außerhalb der Fakultäten wird in Deutschland sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Rahmenprüfungsordnung der Universität des Saarlandes von 2015 sieht beispielsweise explizit die Anerkennung eines ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagements vor, »sofern dieses im Rahmen einer nachgewiesenen mindestens zweijährigen, kontinuierlichen, unentgeltlichen Tätigkeit während des Studiums in einer als gemeinnützig anerkannten Organisation erbracht wurde« (Rahmenprüfungsordnung der Universität des Saarlandes für Bachelor- und Masterstudiengänge [BMRPO] vom 17. Juni 2015, Art. 11, Abs. 2). Die Möglichkeit, für eine kontinuierliche Beteiligung in der ESG Leistungspunkte vergeben zu können, ist für zahlreiche ESGn eine verlockende Vorstellung: Warum sollen Studierende, die sich in der ESG engagieren, nicht genauso für dieses Ehrenamt belohnt werden wie Studierende, die im Uni-Chor singen oder sich in der studentischen Vertretung einbringen? Abgesehen davon, dass dies von den Universitäten und Hochschulen sehr unterschiedlich gehandhabt wird, ist es auch innerhalb der ESGn nicht unumstritten. Als Gegenargument wird angeführt, dass
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Studierende sich aus freien Stücken und nicht, weil sie sich davon Punkte oder einen besseren Lebenslauf versprechen, in der ESG engagieren sollen. Auf der anderen Seite könnte die Vergabe von Leistungspunkten es interessierten Studierenden, die gefühlt oder tatsächlich keine Zeit für Beteiligung haben, erleichtern, das Engagement in ihrem Stundenplan unterzubringen. Eine andere Frage ist die Vergabe von Leistungspunkten für bestimmte Veranstaltungen der Hochschulgemeinden, die sich im Bereich der Soft Skills, der Ethik und Gesellschaft ansiedeln. Erfahrungsgemäß achten hier die Hochschulen sehr genau darauf, welche Art der Veranstaltungen akzeptiert werden.
6 Fazit In den meisten Fällen ist die ESG nicht Teil des Systems Hochschule, so wie die Hochschule nicht Teil des Systems ESG ist. Aber die Hochschule ist die relevante Umwelt für die ESG. Die Entwicklung am Campus, die Veränderung der Studierendengenerationen, ein Präsident*innenwechsel oder neue Fakultäten lassen sie nicht unverändert. Ebenso kann die ESG zu einer wichtigen Umwelt für die Hochschule werden, die durch Angebote, Teilnahme am Leben des Campus, scharfe Beobachtung und Gespräche immer wieder Anstöße gibt. Ich habe in meiner Zeit an dem kleinen Campus in Freising-Weihenstephan mehrfach erlebt, dass die Hochschulgemeinde Leerstellen am Campus besetzt hat. Dazu zählen Angebote zur Entwicklung von Soft Skills oder ein Treffpunkt für internationale Studierende. Diese Aufgaben wurden nach und nach von den Hochschulen als wichtig erkannt und selbst übernommen, mit größerem finanziellen und personalen Aufwand. Das kann ein Zufall sein, kann aber auch ein Zeichen dafür sein, wie sich ESG und Hochschule befruchten. Für die ESG bedeutet das, sich immer neu zu orientieren. Denn ihr Platz an Universität und Hochschule ist nie ganz gesetzt und es gilt immer neu zu fragen, wo sie gerade gebraucht wird. Diese Flexibilität mag manchmal anstrengend sein. Sie ist aber eine der großen Stärken evangelischer Hochschularbeit.
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2.17 Kirchliche Begleitung (Studierende Lehramt Evangelische Theologie) Claudia Andrews
1 Kirchliche Begleitung – ein neues Arbeitsfeld
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Das Arbeitsfeld der kirchlichen Begleitung Studierender Lehramt Evange lische Theologie hat in den letzten Jahren innerhalb der Gliedkirchen der EKD zunehmend an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen. Die Mehrheit der Landeskirchen (14 von 20, Stand: Frühjahr 2020) bietet inzwischen eine strukturierte Form der Begleitung an, in die Evangelische Studierendengemeinden in unterschiedlicher Weise eingebunden sind. Die Entwicklung des Arbeitsfeldes wurde unter anderem auch durch die gemischte Kommission der EKD zur Reform des Theologiestudiums (FK II) angeregt (vgl. Kirchenamt der EKD 2015, S. 13). Mit der ersten EKD-weiten Fachtagung zu diesem Thema im Pädagogisch Theologischen Institut (PTI) Bonn im Mai 2019 (Andrews/Böhme 2020; zusätzlich zu den in der Dokumentation beschriebenen 13 Landeskirchen hält inzwischen die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig ein Programm der kirchlichen Begleitung vor) und den EKD-Leitlinien zur kirchlichen Begleitung von Studierenden der Evangelischen Theologie für das Lehramt (2019, Abdruck: Andrews/Böhme 2020, S. 78–81; zum Prozess der Leitlinienentwicklung vgl. Otte/Wischnowsky 2020) wurden Meilensteine in der Entwicklung des Arbeitsfeldes erreicht. Die angesprochene Fachtagung markiert in Verbindung mit dem LeitlinienProzess den konzertierten Auftakt des innerevangelischen Verständigungsprozesses zum Thema. Der Iststand zum Thema wurde in Vorbereitung auf die Tagung zum ersten Mal EKD-weit erhoben. Die Tagung selbst hat Begegnung und Austausch von Verantwortlichen und Akteur*innen zum Thema ermöglicht, fachliche Impulse gegeben und die Entwicklung des Arbeitsfeldes gestärkt. Verabredungen zur Organisation nachfolgender EKD-weiter Fachtagungen und die Etablierung eines Netzwerktreffens von operativ in der kirchlichen Begleitung Tätigen sind weitere Erträge der ersten Tagung von 2019.
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2 Ausgangslage für die kirchliche Begleitung Die Entwicklung der Programme der kirchlichen Begleitung von Lehramts studierenden Evangelische Theologie in den Landeskirchen lässt sich als Reaktion auf veränderte persönliche Voraussetzungen der Studierenden deuten. Die Folgen der vielfach beschriebenen Erosion der Volkskirche sind seit geraumer Zeit bei Studierenden zu beobachten: Auch unter Theologiestudierenden bildet sich ein zunehmend breiteres Spektrum erfolgter und insbesondere nicht erfolgter kirchlicher Sozialisation ab. Dies reicht von einer vermehrten Anzahl Studierender mit fundamentalistischen Einstellungen über eine schmalere Mitte volkskirchlich Gebundener bis hin zu nicht nur einzelnen Studierenden, die wenig formale evangelisch geprägte religiöse Erziehung durchlaufen haben und geprägt von Konfessionslosigkeit oder säkularer (Bi-)Religiosität aufgewachsen sind. Zugleich besteht der grundgesetzlich verankerte Anspruch an Religionslehrer*innen unvermindert weiter, dass sie den Unterricht im Fach Evangelische Religionslehre in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelischen Kirche erteilen (Art. 7.3 GG). Die dazu notwendige theologische und religionspädagogische Kompetenz umfasst die Klärung des eigenen Glaubens und des Kontakts zur Kirche (vgl. Kirchenamt der EKD 2008, S. 17 f.). Wichtige Bereiche des akademischen Theologiestudiums, insbesondere der Religionspädagogik, setzen bei der Reflexion religiöser Praxis und religiöser Sozialisation an. Akademische Lehre hat, anders als die Aktivitäten einer Glaubensgemeinschaft, keine religiöse Einsozialisierung zum Ziel. Hier stehen Landeskirchen in der Verantwortung, Studierenden unterschiedliche Kontaktflächen, Erfahrungsräume und Gespräche mit authentischen Vertreter*innen der Kirche anzubieten (zur Abgrenzung von kirchlicher Begleitung und akademischer Lehre vgl. Hailer 2020). In den letzten Jahren wurde beobachtet, dass für eine wachsende Zahl examinierter Studierender die Beantragung der vorläufigen Vokation der erste Kontakt zur Institution Kirche – als Erwachsene – war. Die Vokation beinhaltet ein wechselseitiges (Treue-)Versprechen: Religionslehrer*innen sagen ihrer Kirche zu, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelischen Kirche zu unterrichten. Die Kirchen verpflichten sich im Gegenzug zur fachlichen Begleitung der Lehrkräfte, deren Angebot durch die Staatskirchenverträge gesichert ist. Dieses wechselseitige Versprechen steht auf tönernen Füßen, wenn sich die Partner*innen nicht ausreichend kennen. Einige examinierte Studierende sind auch von konkreten Anforderungen der Vokation überrascht, z. B. der Notwendigkeit der Taufe oder der Mitgliedschaft in einer evangelischen Kir-
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che. Rechtzeitig gestaltete kirchliche Kontaktflächen für Studierende erscheinen auch vor diesem Hintergrund sinnvoll und notwendig. Jüngst hat die sogenannte »Freiburger Studie« die Relevanz der Arbeit mit jungen Erwachsenen betont: Deren Bindung an Kirche und Austrittsverhalten können durch intensive und qualitativ hochwertige Kontaktarbeit positiv beeinflusst werden (vgl. Peters u. a. 2019). Die Investition in die innere Bindung an die Landeskirchen von Theologiestudierenden als spätere Religionslehrkräfte scheint besonders deswegen geboten, weil diese Multiplikator*innen für Kirche und Glauben sind und in einem immer säkularer und religiös pluraler werdenden Umfeld im flächendeckenden Kontakt zu Schüler*innen, Schulkollegien und Elternschaften stehen. Kurz gesagt: Durch das Wegbrechen familiärer und parochialer kirchlicher Sozialisation ist bei (angehenden) Religionslehrkräften eine Lücke entstanden zwischen der kirchlich begleiteten Entwicklung einer religiösen Identität im eigenen Religionsunterricht und der nach der Vokation strukturell gewährleisteten Begleitung durch die religionspädagogischen Institute. Diese Lücke füllt die kirchliche Begleitung Studierender Lehramt Evangelische Theologie.
3 Ökumenische Perspektive auf die kirchliche Begleitung Innerhalb der römisch-katholischen Kirche wurde nach unterschiedlichen Entwicklungsprozessen in den Regionen 2006 auf der Basis eines Rahmenkonzepts durch die Kommission für Erziehung und Schule der Deutschen Bischofskonferenz die verpflichtende Einführung der Kirchlichen Studienbegleitung in Form des Studienbegleitbriefs für Lehramtsstudierende der Katholischen Theologie in allen deutschen Bistümern befürwortet. Der Studienbegleitbrief umfasst in der Regel sechs Module: ein Orientierungsgespräch, Informationen zur Missio canonica, eine Einführung in die Spiritualität, die Teilnahme an einem Angebot zur Spiritualität, den Erwerb von Erfahrungen in einem kirchlichen Praxisfeld sowie ein Abschlussgespräch. Die Kirchliche Studienbegleitung ist in den sogenannten Mentoraten am Hochschulort verortet. Die konkrete Gesamtorganisation ist jeweils eingepasst in die spezifischen Strukturen eines Bistums und des Hochschulstandorts. Erfahrungen der katholischen Kolleg*innen im Arbeitsfeld wurden bei der Entwicklung der evangelischen Programme der kirchlichen Begleitung wahrgenommen. Ein strukturierter ökumenischer Austausch zum Thema steht noch aus.
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4 Empirische Forschung zur kirchlichen Begleitung Der Bedarf und Wunsch nach einer kirchlichen Begleitung ist in der Zielgruppe der Lehramtsstudierenden Evangelische Theologie bundesweit empirisch nachgewiesen und wird im religionspädagogischen Fachdiskurs kritisch reflektiert und befürwortet (vgl. z. B. Lück 2012, S. 226; Roggenkamp 2020; Hailer 2020; Simojoki 2020). Eine Intensivierung der Forschung wäre wünschenswert. Einen Ansatz dazu bietet beispielsweise eine Umfrage unter Studierenden zu den Wünschen an die und Erfahrungen mit der kirchlichen Begleitung, die auf Anregung der FK II von Barbara Förster im Frühjahr 2019 aufgesetzt und durchgeführt wurde (Förster 2020a; 2020b). Die Studie hat bundesweit eine hohe Beteiligungsquote unter Lehramtsstudierenden Evangelische Theologie erreicht. Eine erste Auswertung ergab, dass sich über 97 % der Befragten eine Unterstützung während des Studiums wünschen (Förster 2020a, S. 47). Inhaltlich verbinden Studierende damit Wünsche nach: »Unterstützung bei der Reflexion in ihrer persönlichen Glaubensentwicklung; Möglichkeit des regelmäßigen Austausches; […] Beratungsmöglichkeiten während des Studiums, ob dieses Studium das richtige ist« (Förster 2020a, S. 47). Die weitere Auswertung der Umfragedaten wird mit Spannung erwartet.
5 Anliegen der kirchlichen Begleitung Die gemeinsame Ausgangslage, die wesentlich durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen geprägt ist, führt in den Landeskirchen zu ähnlichen Anliegen bzw. Aufgaben und Zielen der Programme der kirchlichen Begleitung. Einen ersten, Vollständigkeit anstrebenden Überblick bietet die vergleichende tabellarische Beschreibung von 13 Programmen im Anhang der Tagungsdokumentation zur ersten EKD-weiten Fachtagung (vgl. Andrews 2020b). Die EKD-Leitlinien für die kirchliche Begleitung umfassen eine in einem breiten Diskurs entstandene Aufgabenbeschreibung für das Arbeitsfeld und vermitteln einen schnellen Zugang: »1. Die kirchliche Begleitung bietet den notwendigen Raum dafür, die besondere Rolle als Religionslehrerin bzw. Religionslehrer schon in der Studienzeit prospektiv kennen zu lernen und mit anderen zu reflektieren. Sie dient damit auch der Ausbildung einer beruflichen Identität. 2. Im Rahmen der Studierendenbegleitung wird auch thematisiert, welche Rechte die evangelischen Landeskirchen in der Begleitung und Aufsicht
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des Faches Evangelische Religion haben und welche persönlichen und fachlichen Erwartungen sich daraus an die Lehrpersonen ergeben. 3. Da Religionslehrkräfte in ihrem Dienst immer wieder auch existenziell von Schülerinnen und Schülern angefragt werden und dann herausgefordert sind, persönlich Stellung zu beziehen, bietet die kirchliche Begleitung zugleich Raum für das Gespräch über existenzielle Fragen des Glaubens und die Weiterentwicklung der eigenen religiösen Sprachfähigkeit als evangelische Christin bzw. evangelischer Christ. 4. Wo Religionslehrkräfte auch Gottesdienste, Andachten und andere liturgische Formen in Schule (mit)gestalten, kann die kirchliche Begleitung auch hierfür erste Anregungen geben und Räume zum Probehandeln eröffnen. Ein mögliches Angebot ist ebenso ein Seminar zum Thema Schulseelsorge. 5. Die kirchliche Begleitung kann auch weitergehende Kontakte zu kirchlichen und diakonischen Einrichtungen und Kirchengemeinden vor Ort bieten, Praktikumsphasen vermitteln und durch Exkursionen, Klosterzeiten, Pilger- und andere Studienfahrten tiefer gehende Erfahrungen mit kirchlichem Leben und christlichen Inhalten ermöglichen. 6. In der kirchlichen Begleitung erfahren Studierende darüber hinaus, welche Unterstützungs- und Fortbildungssysteme die Kirche bereithält, um Religionslehrkräfte in ihren Aufgaben zu fördern und zu stärken« (Leitlinien 2020, S. 79). Ein weiteres mit der Etablierung der kirchlichen Begleitung von Lehramtsstudierenden Evangelische Theologie verbundenes Anliegen ist es, die langjährige Ungleichbehandlung von Lehramtsstudierenden gegenüber Pfarramtsstudierenden Evangelische Theologie, für die eine kirchliche Studienbegleitung in allen Landeskirchen schon lange selbstverständlich ist, zu verringern. Dies wird sehr aufmerksam auch von Lehrenden der Institute der Evangelischen Theologie wahrgenommen.
6 Programme der kirchlichen Begleitung Die Programme der kirchlichen Begleitung haben sich in eigener Verantwortung der Landeskirchen bis 2019 zunächst weitgehend unabhängig voneinander entwickelt. Dies spiegelt sich auch in der uneinheitlichen Bezeichnung des Arbeitsfeldes wider (in einigen Landeskirchen wird zum Beispiel der Begriff »Mentorat« verwendet). Die Konzepte und Organisationsmuster der kirchlichen Begleitung
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orientieren sich an den jeweiligen Strukturen der Landeskirchen und sind folglich – bei deutlich erkennbar geteilten inhaltlichen Anliegen – verschieden. Die umfangreichen landeskirchlichen Programme selbst werden hier nicht beschrieben (vgl. dazu Andrews 2020b). Einige befinden sich noch in der Aufbau- bzw. Erprobungsphase. Inhalte werden mit Blick auf die Bedarfe der Studierenden kontinuierlich angepasst. In aller Kürze sollen nur einige wichtige Kriterien benannt werden, die Unterschiede markieren: Allgemein gilt, dass große Kirchen mit mehreren Hochschulstandorten ausdifferenziertere Programme vorweisen und mehr Ressourcen einsetzen als kleinere Kirchen, die zum Teil keinen Hochschulstandort auf ihrem Gebiet haben. Die Programme unterscheiden sich in Hinblick auf die Zeitpunkte und die Dauer der kirchlichen Begleitung (vgl. Andrews 2020c), in der Frage von Freiwilligkeit und Verpflichtung (vgl. Simojoki 2020; Thiel 2020; Andrews 2020a, S. 17), in der Ausgestaltung von (monetären) Anreizen gegenüber Studierenden als Motivation zur (freiwilligen) Teilnahme (z. B. Büchergeld, Übernahme Tagungsgebühren), in der Frage von Zentralität und Dezentralität in der Verantwortung und Durchführung (mehrheitlich dezentral in der Durchführung), in der Ausgestaltung der Kontakte zu den Hochschulen (vgl. Wischnowsky 2020), in der Berücksichtigung Studierender anderer Landeskirchen in den Angeboten und in der Zuweisung von Rollen an unterschiedliche Kooperationspartner*innen, darunter die Evangelischen Studierendengemeinden (ESGn).
7 Rollen der ESGn in der kirchlichen Begleitung Die unterschiedliche Einbindung der ESGn in die Strukturen einer Landeskirche zeitigt Folgen für die konzeptionelle Zuschreibung von Rollen im Rahmen der kirchlichen Begleitung. ESGn werden jedoch in allen Landeskirchen mindestens als Kooperationspartnerinnen in den Programmen der kirchlichen Begleitung benannt. Unabhängig davon, welche Rollen ESGn in den Konzepten zur kirchlichen Begleitung Lehramtsstudierender Evangelische Theologie konkret zugeschrieben werden, können sie als die etablierten kirchlichen Repräsentantinnen von Kirche an den Hochschulen grundsätzlich Folgendes zu den Programmen beitragen: – ESGn kennen die konkreten Rahmenbedingungen erfolgreicher Zusammenarbeit zwischen der Institution Kirche und Hochschule vor Ort. – ESGn kennen die Rhythmen und Wege zielführender Kommunikation an den Hochschulen und haben erprobte Zugänge unter ande-
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rem zum jeweiligen Institut/zur jeweiligen Fakultät/Fachrichtung für Evangelische Theologie, zu dessen/deren institutionellen Strukturen, Lehrenden, Studierenden und Fachschaften. ESGn haben langjährig gewachsene Kontakt- und Kooperationsnetzwerke an ihrem Hochschulstandort, die ein breites Spektrum von Bildungspartner*innen und beispielsweise die Vermittlung von Praktika in kirchlichen Einrichtungen miteinschließen. ESGn halten kirchliche Räume und pfarramtliches Personal an den Hochschulen vor, mancherorts auch evangelische Wohnheime. ESGn sind erfahren in der Beratung Studierender (Seelsorge, Geistliche Begleitung, Lebensberatung u. a.) und begleiten einzelne Theologiestudierende schon immer. ESGn bieten ein aktives Gemeindeleben für junge Erwachsene und bieten zahlreiche Partizipationsmöglichkeiten, durch die Studierende die Übernahme von Verantwortung für kirchliche Gemeinschaft erproben und einüben können. ESGn laden regelmäßig zu Gottesdiensten und anderen liturgischen Formen ein, die zusammen mit Studierenden vorbereitet werden. ESGn sind Agenturen für Veranstaltungen zu theologischen, religiösen und kirchlichen Themen an den Hochschulen, in denen christliche Positionen und Haltungen im öffentlichen, aber geschützten Raum kennengelernt und eingeübt werden können.
8 Kirchliche Begleitung in der Praxis Exemplarisch soll die Rolle der ESGn als Trägerinnen, Akteurinnen und Partnerinnen der kirchlichen Begleitung kurz am Beispiel der Kirchlichen Begleitung (Studierende Evangelische Religionslehre) in der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) skizziert werden. Beim Aufbau des Arbeitsfeldes war es in der EKiR eine wichtige konzeptionelle Grundentscheidung, vorhandene Ressourcen und Expertisen innerhalb der Kirche an den Hochschulen und im Umfeld der Hochschulen wahrzunehmen und einzubinden. Zur kirchlichen Begleitung der EKiR zählen zwei Ebenen: Die zentrale landeskirchliche Ebene der Fachstelle Kirchliche Begleitung (Studierende Evangelische Religionslehre) und die Ortsebene an sechs Hochschulstandorten. Aufgabe der Fachstellenebene ist es unter anderem, die Rahmenbedingungen für das Arbeitsfeld zu klären, die Umsetzung des Konzepts an den sechs Hochschulstandorten zu begleiten, den kollegialen Austausch zu gewährleisten sowie ein-
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mal im Semester Studierende zu einem zentralen ortsübergreifenden Seminar in Kooperation mit einem Bildungsträger der EKiR, zum Beispiel ins PTI etwa zu einem Schulseelsorge-Seminar, einzuladen. Auf der Ortsebene tragen die ESGPfarrstelleninhaber*innen die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung des regelmäßigen Programmangebots der kirchlichen Begleitung von zwei bis drei Veranstaltungen pro Semester und der Bereitschaft zu Einzelgesprächen mit Studierenden. Dazu gehen diese Kooperationen mit kirchlichen (den regionalen Schulreferaten als Träger der Fortbildungsveranstaltungen für Religionslehrer*innen sowie den Beauftragten für berufsbildende Schulen) und staatlichen Akteur*innen (dem Institut/der Fakultät/Fachrichtung für Evangelische Theologie sowie dem regionalen Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung) ein. Inhaltlich geht es in den Begleitungsangeboten um vier Inhaltsbereiche: die eigene religiöse Existenz zu entdecken und zu vertiefen, sich der späteren beruflichen Rolle anzunähern, die bestehende kirchliche Infrastruktur für Religionslehrer*innen kennenzulernen und Informationen zu Voraussetzungen der Vokation aufzunehmen. Als konkreter Gemeindebezug und Beispiel gelebter geistlicher und diakonischer Praxis wird in die ESG eingeladen. Die neue Zielgruppenarbeit der kirchlichen Begleitung fügt sich erkennbar gut ins Portfolio der ESG-Arbeit der EKiR ein. Die verantwortliche Rollenzuschreibung an die ESGn als koordinativ verantwortliche Akteurinnen vor Ort vermeidet nicht nur Doppelstrukturen. Viel wichtiger noch stärkt die Übernahme einer gesamtkirchlich relevanten Aufgabe die ESGn und bewirkt, dass die Lehramtsstudierenden Evangelische Theologie vor Ort in den ESGn eine Anbindung an eine lebendige evangelische Gemeinde finden können.
Literatur Andrews, C. (2020a): Einführung in den vergleichenden Überblick der Modelle der kirchlichen Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 13–17). Münster. Andrews, C. (2020b): Tabellarische Übersicht der Modelle der kirchlichen Begleitung in dreizehn Landeskirchen. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 93–129). Münster. Andrews, C. (2020c): Zeitpunkt und Dauer der kirchlichen Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 86–87). Münster. Andrews, C./Böhme, T. (Hg.) (2020): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019. Münster.
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Förster, B. (2020a): Erste Ergebnisse einer Umfrage zu Wünschen von Studierenden an die kirchliche Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 45–48). Münster. Förster, B. (2020b): Fragebogen Umfrage. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 135–142). Münster. Hailer, M. (2020): Die Funktion der kirchlichen Begleitung von Studierenden des Lehramtes Evangelische Theologie. Systematisch-theologische Bemerkungen. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 62–66). Münster. Kirchenamt der EKD (2008): Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums. EKD-Texte 96. Hannover. Kirchenamt der EKD (2015): Zur Weiterentwicklung von Lehramtsstudiengängen Evangelische Religionslehre. Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums. EKD-Texte 126. Hannover. Leitlinien für die kirchliche Begleitung von Studierenden der Evangelischen Theologie für das Lehramt, abgedruckt in: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 78–81). Münster. Lück, C. (2012): Religion studieren. Eine bundesweite empirische Untersuchung zu der Studienzufriedenheit und den Studienmotiven und -belastungen angehender Religionslehrer/innen. Forum Theologie und Pädagogik 22. Berlin u. a. Otte, M./Wischnowsky, M. (2020): Zum Prozess der Entstehung von EKD-Leitlinien für die kirchliche Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 75–77). Münster. Peters, F./Ilg, W./Gutmann, D. (2019): Demografischer Wandel und nachlassende Kirchenzugehörigkeit. Ergebnisse aus der Mitgliederprojektion der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland und ihre Folgen für die Religionspädagogik. ZPT, 71 (2), S. 196–207. Roggenkamp, A. (2020): Was Lehramtsstudierende der Evangelischen Religion von ihrem künftigen Beruf erwarten: Überlegungen zu ihrer Spiritualität. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 21–44). Münster. Simojoki, H. (2020): Fakultativ oder obligatorisch? Ein Statement zum Verbindlichkeitsstatus der kirchlichen Begleitung Studierender. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 67–69). Münster. Simon, D. (2020): Studentische Selbstwahrnehmungen und ein Plädoyer für die kirchliche Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 53 f.). Münster. Thiel, N. (2020): Verbindlichkeit der kirchlichen Begleitung: freiwillig – verpflichtend – selbstverpflichtend. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 84). Münster. Wischnowsky, M. (2020): Kontaktgestaltung zwischen Kirche und Hochschule: Rahmenbedingungen der kirchlichen Begleitung. In: C. Andrews/T. Böhme (Hg.): Kirchliche Begleitung Studierende Lehramt Evangelische Theologie. Tagungsdokumentation der ersten EKD-weiten Fachtagung 2019 (S. 85). Münster.
2.18 Kontakt mit Ehemaligen Matthias Freudenberg
Philipp1 meldet sich zum »Fest für ESGler aus allen Zeiten« an. Vor sechs Jahren hat er sein Magisterexamen im Fach Computerlinguistik gemacht und wohnt nun eine Stunde von »seiner« ESG entfernt. In der Mail schreibt er: »Natürlich komme ich zum Fest. Schließlich war die Zeit in der ESG die schönste Zeit meines Lebens, jedenfalls bisher.« Beim Fest trifft er andere ehemalige Mitglieder der ESG. Zu einigen hat er weiterhin Kontakt, bei anderen freut er sich, sie hier wiederzusehen. Hanna und Alexander schreiben eine Mail an mich als Pfarrer einer ESG. Sie haben sich im ESG-Wohnheim vor acht Jahren kennengelernt und wurden ein Paar. Nun wollen sie heiraten: »Kannst du für uns den Traugottesdienst halten?« In einer dörflichen Kirche feiern wir Hochzeit. Andere Ehemalige der ESG, zu denen weiter Kontakt besteht, sind eingeladen. Wir feiern nicht nur ein Fest des Lebens, sondern auch ein Wiedersehen von ehemaligen Studierenden, die sich lebhaft an ihre Zeit in der ESG erinnern. In ihr entsteht Gemeinschaft – und manchmal eine Bindung zwischen zwei Menschen, die ein Leben lang halten soll.
1 Positive Erfahrungen und bleibende Verbundenheit Bis vor einiger Zeit lag der Fokus der ESGn und ihrer Angebote primär auf den aktuell Studierenden, ihren Interessen, Erwartungen und ihrem Engagement. Nach eigenem Selbstverständnis wollen die ESGn den Studierenden eine »Heimat auf Zeit« bieten, in der sie ihre Persönlichkeit und Religiosität leben und entfalten können. Davon soll nichts eliminiert werden, wenn wir danach fragen, was jenseits der Beheimatung in einer ESG – und je nach örtlichen Ver1 Sämtliche Namen wurden geändert.
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hältnissen ihrem Wohnheim – nach dem Abschluss des Studiums geschieht. Das Ende des Studiums und das Verlassen der ESG bedeuten eine Zäsur, die für einige ein Abschied von der ESG ist. Indes äußert eine nicht geringe Anzahl von Absolvent*innen den ausdrücklichen Wunsch, weiter in Kontakt zur ESG stehen zu wollen. Sie wollen die in der ESG gemachten Erfahrungen von Gemeinde und Gemeinschaft, Freundschaften, Beratung und Seelsorge und vielem mehr in den neuen Lebensabschnitt integrieren. Ein wichtiger Faktor bei der erwünschten fortdauernden Bindung an die ESG sind die Hauptamtlichen, in besonderer Weise die Pfarrer*innen und Referent*innen. Im Verlauf der Zeit in der ESG ist ein Vertrauensverhältnis entstanden. Die Wahrnehmung der Kirche ist eng mit Erfahrungen in der ESG und mit den Hauptamtlichen verbunden, die der Kirche ein Gesicht geben. Vor allem jungen Erwachsenen ohne Kinder fällt es schwer, in einer Parochialgemeinde heimisch zu werden. Wie kann es gelingen, dass »aus der ESG-Arbeit ausscheidende(n) Studierende(n) […] auch über die Studienzeit hinaus mit der Kirche verbunden […] bleiben und in der eigenen Kirche eine geistliche Heimat und Raum für Engagement […] finden« (Rusam 2008, S. 360)? Gelegentlich nehmen Ehemalige bei Kasualien wie Trauungen und Taufen Kontakt mit »ihrem« bzw. »ihrer« Studierendenpfarrer*in auf. Bei anderen gibt es den Wunsch, in kritischen Lebenssituationen Rat zu suchen und verlässliche Kontakte bei Einsamkeit, unerfüllten beruflichen oder familiären Perspektiven und Misserfolgserfahrungen zu finden. Ihnen gelten die ESG und die in ihr engagierten Menschen als stabilisierende Akteur*innen, die in Entsprechung zu ihrem Grund und Auftrag für Annahme, Mitgefühl und Kommunikation stehen. Oft ist die ESG die wichtigste oder gar einzige Verbindung zur Kirche – einer Nabelschnur gleich, die nicht durchschnitten werden soll. Beheimatung in der Kirche vollzieht sich vielfach über die ESG, die für Studierende und Ehemalige dann weit mehr als nur eine »Heimat auf Zeit« bietet. Sie ist ein Ort, der – angesichts einer von jungen Erwachsenen erwarteten Mobilität – Heimat symbolisiert. Solche positiv besetzten Orte und Räume prägen die Menschen und ihre Erfahrungen. Die ESG ist sich dieser Funktion und Aufgabe bewusst, auch Heimat und Begleiterin für Ehemalige mit ihren Wünschen nach Verbundenheit zu sein. Es liegt im Interesse der ESG und der Kirche, dass der Bezug zu ihnen nach dem Fortzug vom Studienort oder dem Abschluss des Studiums nicht abreißt. Dafür sprechen ekklesiologische Gründe, aber auch die nüchterne Einsicht, die Kirchensteuerzahler*innen von morgen an sich zu binden. In der Gesellschaft hat sich eine breit angelegte Kultur der Alumniarbeit entwickelt. Der Begriff Alumnus bzw. Alumna bedeutet »Zögling«, »Pflegesohn/ Pflegetochter«, wörtlich der*die mit Speis und Trank »Genährte«. Während
Kontakt mit Ehemaligen
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Alumni im Römischen Reich ehemalige Soldaten waren, die kostenlose Nahrung empfingen, wurden später arme Schüler in Klosterschulen so bezeichnet, die dort Kost und Bildung erhielten. In den Universitäten des Spätmittelalters bekamen junge, arme, talentierte Studenten als Alumni kostenlose Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Bücher. Später wandelte sich der Begriff vom Armutsbezug zu lebenslanger Zugehörigkeit zu universitären Vereinigungen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Absolvent*innen amerikanischer Universitäten und Colleges Alumni genannt. Als Anerkennung ihrer Ausbildung unterstützen sie diese auch finanziell – ein Schritt hin zum professionalisierten Fundraising im Raum der Universitäten (siehe dazu Artikel 2.19 in diesem Handbuch). Heute verweist der Begriff auf alle einer Hochschule verbundenen Personen. Alumni-Netzwerke stehen dann auch allen Universitätsangehörigen, Partner*innen und Freund*innen sowie Gastwissenschaftler*innen offen. Darüber hinaus gibt es auch Alumni-Netzwerke von Unternehmen und Einrichtungen der Zivilgesellschaft. Solche Netzwerke bemühen sich um die Erhaltung der Beziehungen zwischen den Ehemaligen sowie mit der betreffenden Einrichtung, um durch Kommunikation unter anderem das eigene Image zu stärken. An diesen Erfahrungen von Vernetzung partizipiert die ESG, kann davon profitieren und daran anknüpfen.
2 Empirische Perspektiven Es existieren unterschiedliche Formen der Verbundenheit mit der Kirche. Unter den christlichen Studierenden gibt es einen Kern von Kirchenmitgliedern, die – durch ihre Eltern oder Jugendgruppen vermittelt – der Kirche hochverbunden sind und schon zuvor in ihren Heimatgemeinden engagiert waren. Sodann gibt es eine Anzahl von religiös indifferenten Kirchenmitgliedern, die einen schwachen oder überhaupt keinen Bezug (mehr) zur Kirche haben. Andere Studierende sind keine Kirchenmitglieder, verfügen aber über eine ausgeprägte Affinität zur ESG. Hinzu kommt die Gruppe derer, die mit der Kirche allenfalls locker verbunden sind. Für sie alle gilt, dass die ESG über die Kompetenz verfügt, »religiös sozialisierte und andere Menschen an die Evangelische Kirche in einer Phase, in der viele sonst eher den Kontakt zur Kirche verlieren«, zu binden (Hirschberg 2019, S. 529). Die 2014 unter dem Titel »Engagement und Indifferenz« veröffentlichte V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft fragt u. a. danach, was die Kirchenmitglieder tun und von ihrer Kirche konkret erwarten. Eine Erkenntnis liegt darin, dass es ein Auseinanderdriften von den stark Engagierten und den Distanzierten gibt; das traditionelle Mittelfeld derer, die sich mit der Kir-
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che locker verbunden fühlen, ist auf dem niedrigsten Stand seit 1992 und bildet gleichwohl mit rund 70 % die Mehrheit der Befragten. Im Blick auf junge Erwachsene, zu denen die Studierenden und Ehemaligen gehören, besagt die EKD-Erhebung (Kirchenamt der EKD 2014, S. 60–72):
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– Religion ist nur für 16 % ein Thema in ihren Gesprächen; wo aber nicht über Religion geredet wird, da wird sie noch weniger praktiziert. Eine Verbundenheit mit ihrer Kirche empfinden 29 %, während 44 % von keiner oder einer nur sehr geringen Verbundenheit sprechen. Die Distanz zur Kirche beruht überwiegend nicht auf Verärgerung, sondern weil diesen Menschen die Kirche nichts (mehr) bedeutet und Konfessionslosigkeit zum Normalzustand geworden ist. 25 % der 22–30-Jährigen denkt über einen Kirchenaustritt nach; umgekehrt ist die Kirchenverbundenheit zusammen mit einem hohen Vertrauenswert in die Kirche ein wichtiger Sockel für kirchliche Angebote. – Im Zuge des sozialen Bedeutungsverlustes von Religion verliert religiöse Erziehung an Relevanz, was sich zu einem Strukturproblem der Kirche auswachsen dürfte. Weniger als die Hälfte der befragten Erwachsenen unter 30 Jahren befürwortet eine religiöse Erziehung ihrer Kinder. Ein Leben ohne Religion wird gleichsam weitervererbt. Aus der ernüchternden Analyse der EKD-Erhebung lassen sich einige Schlüsse auf die Arbeit mit Studierenden und Ehemaligen ziehen. – Um auf die Veränderungen angemessen zu reagieren, müssen die Kirchen ein breit gefächertes Angebot für junge Erwachsene vorhalten, um ihnen einen für sie adäquaten Zugang zur Kirche zu ermöglichen. Laut der EKD-Erhebung wollen sie interessanten und ungewöhnlichen Menschen begegnen und nicht ausschließlich denen, die eine klassische pastorale Sprache sprechen. Ihr eigenes Leben ist bunter, als es viele Parochialgemeinden spiegeln, und verlangt nach eigenen Gestaltungsformen, damit sie Religion, Glaube und Kirche für sich entdecken. – Die ESG hat das personale, inhaltliche und strukturelle Equipment, jungen Erwachsenen einen Kontakt mit Religion, Glaube und Kirche zu ermöglichen, die ohne Religion oder mit rudimentären Kontakten zur Kirche aufgewachsen sind. Einige finden einen neuen und überraschenden Zugang zur Kirche und teilen ihre Entdeckungen mit anderen. Um die religiöse und kirchliche Verbundenheit zu stärken, bedarf es einer Gemeinde, die sich ihren Glaubens- und Lebensfragen konkret zuwendet. – Wer während des Studiums und mithilfe der ESG den Glauben als eine existenziell relevante Dimension des Lebens entdeckt hat, kann
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diese Erfahrung in das weitere Leben, Partnerschaft und Familie einbringen und für sich und andere eine positive Beziehung zu Religion, Glaube und Kirche entwickeln. – Mit ihren vielfältigen Angeboten trägt die ESG dazu bei, dass junge Erwachsene mehrere Dimensionen von Kirche kennenlernen: das Nachdenken über Gott und die Welt und die Klärung existenzieller Fragen; die Erweiterung des Bildungshorizonts; das Erleben von Spiritualität; das Engagement zugunsten anderer; die Gestaltung von christlich verantworteter Gemeinschaft. Eine zukunftsfähige Kirche kann jungen Menschen in ihrer »Moratoriumsphase«, in der sie unterschiedliche Optionen der Lebensgestaltung erproben, einen Horizont aufzeigen, der ihnen theologisch reflektierte Wege zu einem verantwortlichen Leben und zur Stärkung an biografischen Schlüsselstationen bietet. Die ESG wirkt der religiösen Indifferenz entgegen, indem in ihr religiöses Wissen vermittelt und für das eigene Leben relevante Erfahrungen mit Religion gemacht werden.
Als Fazit dieser Beobachtungen lässt sich festhalten, dass in der Arbeit mit Ehemaligen viel Potenzial steckt, um ihnen, passend zu ihrer unterschiedlichen Verbundenheit mit Religion, Glaube und Kirche, Angebote zu machen. Die ESG zeigt darin ihr evangelisches Profil, dass sie mit Ehemaligen in Kontakt bleibt und für eine Gemeinschaft steht, die sich in unterschiedlichen Lebensphasen bewährt. Mit der Studie »Kirche auf dem Campus« des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (2014, S. 33) gesprochen: »[A]uch wenn die Zahl der ›Aktivierbaren‹ klein ist: Es lohnt sich, mit ihnen in Kontakt zu treten«.
3 Ekklesiologische Perspektiven Die Arbeit mit Ehemaligen entspricht dem Selbstverständnis von Kirche und ESG und hat eine ekklesiologische Qualität. In diesem Arbeitsbereich werden maßgebliche Parameter einer Ekklesiologie tragfähig, die an die neutestamentliche Vorstellung von der Gestalt und Gestaltung der Kirche und ihre reformatorische Wiederbelebung anknüpfen. Das lässt sich anhand der Stichworte Gabenorientierung, Gemeinschaft in Vielfalt und Engagement und Partizipation aufzeigen (vgl. Freudenberg 2018, S. 37–40.120–131; zu den praktisch-theologischen Aspekten Hirschberg 2019, S. 529–532).
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3.1 Gabenorientierung
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Laut neutestamentlicher Ekklesiologie sind nicht nur einzelne Christ*innen, sondern die ganze Gemeinde von Gottes Geist begabt. Im Jerusalemer Pfingstereignis erleben Menschen das Erfüllt-Werden vom Geist als Ereignis, das Freude auslöst und Aktivität freisetzt. Sie erfahren, dass der Geist lebendig macht. Er verändert das Leben, versetzt Menschen in Staunen und Begeisterung, befreit aus der Enge und weckt die Gewissheit, dass Gott anwesend ist. Die Kirche lebt von der Dynamik und Kraft des Gottesgeistes. Folglich redet Paulus ihre Mitglieder als Geistbegabte an (1Kor 2,15; 14,37; Gal 6,1); daran hat die Reformation mit ihrem Konzept vom Priestertum aller Getauften angeknüpft. Der Geist stiftet in seinem verbindenden Wesen Gemeinschaft. Es ist ein Geist, aber es gibt verschiedene Geistesgaben bzw. Charismen (1Kor 12,1– 11; Röm 12,3–8). Paulus lenkt den Blick auf spezifische Gaben, die zu Aufgaben werden. Menschen werden befähigt, sich mit ihren Gaben gegenseitig zu ergänzen und aufzubauen. Was der Geist wirkt, dient der Entwicklung der Gemeinde und soll allen zugutekommen, um selbst zu wachsen, in der Kommunikation des Glaubens gestärkt zu werden und in Liebe und Verbundenheit zu leben (1Kor 14,1–40). Indem die Gaben zusammenwirken, wächst eine Gemeinschaft der gegenseitigen Teilhabe an den Gaben der anderen. Paulus stellt sich die Gemeinde als einen dynamischen Organismus vor, der sich durch das Zusammenspiel seiner verschiedenen Glieder auszeichnet. Für die Arbeit mit Ehemaligen heißt das: In der Begegnung zwischen aktuell Studierenden und Ehemaligen entstehen Resonanzräume, in denen die Pluralität der Erfahrungen und Begabungen zusammenwirken (vgl. Rosa 2020). Das Spektrum der ESG wird erweitert und trägt dem Anspruch der Kirche Rechnung, sich an den Gaben ihrer Mitglieder zu orientieren. Gottes Geist wirkt nicht an menschlichen Begabungen und Fähigkeiten vorbei, sondern weckt diese und entfaltet sie zu eigener Kreativität. Gabenorientiert zu leben bedeutet, sich als begabten Menschen zu entdecken und fantasievoll die Begabungen der anderen zu fördern. 3.2 Gemeinschaft in Vielfalt Als Gemeinschaft in Vielfalt setzen Christ*innen sich füreinander ein, anerkennen einander und lassen sich gegenseitig gelten. Paulus war nicht primär an der Homogenität der Gemeinden und der Stärkung ihrer Identität interessiert. Vielmehr hat er das Leben der Gemeinden in einer großen Vielfalt gesehen und keineswegs der uniformen Einheitlichkeit das Wort geredet. Mit dem Bild vom vielfältig gegliederten Leib (1Kor 12; Röm 12,4 f.) und der Mahnung, füreinander
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zu wirken und einander anzunehmen (Röm 15,7), setzt er auf Annahme und Akzeptanz. Für die Arbeit mit Ehemaligen heißt das: Die ESG ist ein Lern- und Erprobungsraum für die Gelassenheit im Umgang mit differenten Charakteren und Ansichten. Das gegenseitige, Persönlichkeitsprofile, Kulturen, Lebenserfahrungen überschreitende Sich-gelten-Lassen gibt der Gemeinschaft in Vielfalt ihre besondere Farbe. Wie Gottes Geist vielfältige Formen des Glaubens und Lebens hervorbringt, so ist die ESG ein Ort der Auseinandersetzung mit dem Fremden, Überraschenden und Ungewohnten. 3.3 Engagement und Partizipation Die Kirche lebt von Engagement und Partizipation, ohne welche die christlichen Gemeinden schon in ihren Anfängen verkümmert wären. In der Reformation sind differenzierte Formen eines antihierarchischen partizipativen kirchlichen Lebens entwickelt worden, die auf die Beteiligung der Kirchenmitglieder an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen gesetzt haben. »Ziel kirchlicher Partizipation muss es sein, dass wieder mehr Menschen sich bewusstmachen, dass sie Kirche sind. Wenn Partizipation gelingt, bleibt die Kirche nicht, wie sie ist« (Ilg 2019, S. 3). Studierende und Ehemalige haben in der ESG das Gefühl, dazuzugehören, mit ihren je eigenen Beiträgen wertgeschätzt zu werden und mitzuentscheiden. Es braucht die Mitwirkung der vielen. Darum ist es das Ziel von Engagement und Partizipation, dass Christ*innen sich bewusst machen, dass sie selbst Kirche sind und diese durch sie erneuert wird. Wo das geschieht, wächst der Impuls, »Kirche für andere« zu werden (Bonhoeffer 1945/1998, S. 560). Engagement und Partizipation setzen eine Aufbruchsstimmung frei und eröffnen Räume, dass im Dialog, in der Gemeinschaft und durch eigenes Tun etwas Wesentliches geschieht. Wo immer das gelingt, wird Kirche lebensrelevant. Entscheidend sind dabei die Inhalte: Ist der Glaube für das Leben tragfähig? Was gibt dem Leben Sinn? Woher speist sich Hoffnung?
4 Praktische Gestaltung Im Folgenden werden Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit mit Ehemaligen anhand von Praxisbeispielen aufgezeigt. Je nach örtlichen Gegebenheiten ist der Kreis der Ehemaligen auf Personen auszuweiten, die der ESG durch Kooperationen, Netzwerke und Dienstleistungen verbunden sind (Mitglieder der Universität; Kooperationspartner*innen in Politik, Kultur, Zivilgesellschaft,
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Kirche; der ESG nahestehende Firmen etc.). In der Begegnung mit Ehemaligen zeigt sich, dass diesen Arbeitsbereich eine große Schnittmenge zum Fundraising auszeichnet (siehe dazu Artikel 2.19 in diesem Handbuch).
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– Ehemaligen- und Förderverein: Eigens gegründete Vereine verfolgen das Ziel, »die Arbeit der Hochschulgemeinden im Hinblick auf einzelne Projekte finanziell und ideell zu unterstützen, beispielsweise indem Mitglieder selbst als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, Kontakte zu Firmen herstellen, Praktika vermitteln« (Rusam 2008, S. 358). Durch diese Netzwerke bekommt die Arbeit mit Ehemaligen eine hohe Verbindlichkeit. – Feste für Studierende aus allen Zeiten: In bestimmten Rhythmen werden Feste veranstaltet, die der Begegnung der Ehemaligen, aber auch dem Kontakt mit aktuell Studierenden dienen. Neben einem geistlichen Auftakt oder Abschluss und kulinarischen Angeboten können u. a. Kurzinterviews Einblicke in das Leben der ESG sowie die Berufs- und Erfahrungshorizonte von Ehemaligen geben. Bei solchen Festen wird werbend auf Förderungsmöglichkeiten der ESG aufmerksam gemacht. Für die Planung ist die Einbindung von Ehemaligen und aktuell Studierenden erforderlich, damit alle Seiten sich damit identifizieren. Diese Feste kommen der dauerhaften Verbundenheit mit der ESG, ihrer Strahlkraft nach außen und der Stärkung der eigenen Identität zugute. – Bildungsveranstaltungen für und mit Ehemaligen: Vortrags-, Gesprächsund Podiumsveranstaltungen gehören zum regelmäßigen Programmangebot der ESG. Solche Veranstaltungen können entweder punktuell für Ehemalige geöffnet werden; denkbar sind auch Veranstaltungen, die sich spezifisch an diese wenden und für sie relevante Themen aufgreifen. Reizvoll sind ferner Veranstaltungen, in denen Ehemalige selbst als Expert*innen für ein Thema eingebunden sind und eine Vernetzung unterschiedlicher Generationen stattfindet. – Gemeinschaftsfördernde Veranstaltungen: Ehemalige werden zu externen Tagesunternehmungen eingeladen, die zur Stärkung ihrer Gemeinschaft beitragen. Zu denken ist u. a. an Besichtigungen, Wanderungen, Weinproben. – Mentor*innenprogramm: Ehemalige werden gebeten, sich als Expert*innen und Wegbegleiter*innen für Studierende zur Verfügung zu stellen, um diesen bei fach- und berufsspezifischen Fragen oder Themen der Stellenfindung beratend zur Seite zu stehen. Ein solches Programm
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der Begleitung auf Zeit setzt voraus, dass der Bedarf nach Beratung erhoben und dafür passende Mentor*innen gefunden werden. Beratungs- und Seelsorgeangebote: Die Hauptamtlichen in der ESG machen analoge und digitale Beratungs- und Seelsorgeangebote für Ehemalige, die den persönlichen Kontakt zu diesen Vertrauenspersonen wünschen. Informationen aus der ESG: Dem Wunsch der Ehemaligen nach Informationen aus der ESG wird dadurch entsprochen, dass in regelmäßigen Rhythmen Info-Newsletter per Mail versandt werden (Jahres- und Halbjahresbriefe). Dazu bedarf es einer Datenbank und deren mit der Datenschutzgrundverordnung konformen Pflege. Ferner kann auf der Website der ESG ein eigener Bereich für Ehemalige eingerichtet werden. Digitale Verbundenheit: Durch die im Jahr 2020 ausgebrochene Pandemie erhalten digitale Möglichkeiten der Begegnung eine zunehmende Aufmerksamkeit. Besonders für Ehemalige, die weit vom Standort der ESG entfernt leben, bieten digitale Treffen zum gegenseitigen Austausch oder zu interessanten und relevanten Themen eine gute Gelegenheit, miteinander in Kontakt zu bleiben. Auch internationale Ehemalige, die in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, können auf diesem Weg am Austausch teilhaben. Digitale Vernetzung: Um junge Erwachsene nach dem Studium (und auch solche, die kein Studium absolviert haben) durch die Kirche zu erreichen, bedarf es digitaler Unterstützung. Um diese Menschen zu befähigen, sich mit Gleichgesinnten der eigenen Altersstufe zu vernetzen, ist z. B. eine Ehemaligen- bzw. Alumni-App hilfreich, in der sich alle eintragen können, die auf der Suche nach Menschen sind, mit denen sie ihren Glauben – in einer Gemeinde – teilen können.
Für die Arbeit mit Ehemaligen bedarf es der Fantasie und Kreativität, weitere Begegnungsräume zu schaffen und Verbindungen zu stärken, die allen Seiten zugutekommen. Die ESG repräsentiert einen Typus von Gemeinde, der auf die Nachhaltigkeit ihrer Kontakte setzt. Neben den Chancen dieser Arbeit dürfen indes auch deren Grenzen nicht übersehen werden. Knapper werdende personelle und finanzielle Ressourcen sorgen dafür, dass der Einsatz für die Arbeit mit Ehemaligen mit dem Engagement für die aktuell Studierenden ausbalanciert werden muss. Schließlich gibt es auch kommunikativ-gruppendynamische Grenzen der Begegnung. Wenn einzelne Ehemalige dominant, belehrend oder die
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Atmosphäre nachhaltig störend auftreten, ist dem entgegenzuwirken. Es kann auch Konstellationen geben, die es angeraten sein lassen, Ehemalige auf andere Formen von Gemeinschaft und Verbundenheit mit der Kirche aufmerksam zu machen. Hier sind Abschiede mit der nötigen Sensibilität zu gestalten, die im Sinne aller Beteiligten auch ein Segen sein können (ein Abschiedsritual findet sich z. B. in kraft gottes. Handbuch für Liturgie und Gottesdienst 2017, S. 218). Korrespondierend dazu kann in den Gemeinden angeregt werden, die Berufsanfänger*innen zu einer Segnung mit anschließendem Berufseinsteigerfest einzuladen. Dieses Ritual kann ehemaligen Studierenden in einer neuen Situation, in der sie häufig auf sich allein gestellt sind, dabei helfen, Halt zu finden, kirchliche Begleitung zu erfahren und im Segen Gottes neue Schritte zu gehen.
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Literatur Ahrens, P.-A./Läger-Reinbold, K. (2014): Kirche auf dem Campus. Religiöse und kirchliche Ansprechbarkeit von Studierenden. Hannover. Bedford-Strohm, H./Jung, V. (Hg.) (2015): Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft (KMU V). Gütersloh. Bonhoeffer, D. (1945/1998): Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. In: C. Gremmels/E. Bethge/R. Bethge (Hg.): Dietrich Bonhoeffer Werke. Bd. 8. Gütersloh. Freudenberg, M. (2018): Der uns lebendig macht. Der Heilige Geist in Leben, Glaube und Kirche. Neukirchen-Vluyn. Hirschberg, C. (2019): Seismograph kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Zwölf thesenartige ekklesiologische Perspektiven zur Evangelischen Studierendengemeinde (ESG). DtPfrBl, 119 (9), S. 529–532. Ilg, W. (2019): Eingangsstatement zur Jugendsynode der EKiR am 04.01.2019. https://www.jugendsynode.ekir.de/wp-content/uploads/2019/01/Ilg-Vortrag-Jugendsynode.pdf (abgerufen am 06.08.2020). Kirchenamt der EKD (2014): Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft (KMU V). Hannover. Rosa, H. (2020): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (3. Aufl.). Berlin. Rusam, D. (2008): Studierendengemeinde. In: G. Adam/R. Lachmann (Hg.): Neues Gemeindepädagogisches Kompendium (S. 349–361). Göttingen.
2.19 Fundraising Claudia Andrews und Sieglinde Ruf
1 Fundraising – ein neues Arbeitsfeld in den ESGn Fundraising in Evangelischen Studierendengemeinden ist ein neues Arbeitsfeld, für das noch kein Überblick zum Status quo erarbeitet wurde. Jenseits einer lang tradierten Kollekten- und Spendenpraxis stellt professionalisiertes Fundraising in ESGn bisher eine Ausnahme dar. Wir beschreiben daher ein Lernfeld mit seinen Aufgaben und Herausforderungen, Chancen und Grenzen. Der Fundus, aus dem wir schöpfen, speist sich aus wissenschaftlicher Grundlegung, fachlicher Qualifikation und jahrelanger Praxis. Dabei spielen auch konkrete Erfahrungen mit der Entwicklung und Umsetzung von FundraisingKonzepten durch ESG-Pfarrer*innen in der Evangelischen Kirche im Rheinland eine Rolle. Die Implementierung von Fundraising als eine Querschnittsaufgabe der ESG-Arbeit kann im Zusammenhang mit der Etablierung von Fundraising als Arbeitsfeld in den Landeskirchen betrachtet werden. Seit 1999 bauen Gliedkirchen der EKD mit unterschiedlicher Herangehensweise und Geschwindigkeit Fundraising-Kompetenzen auf (vgl. Andrews 2007).
2 Fundraising – Verantwortung für komplexe Interaktionen Fundraising ist Ausdruck der Kultur freiwilligen gemeinwohlbezogenen Gebens und ist nur multiperspektivisch und interdisziplinär angemessen zu erfassen. Fundraising ist ein komplexes Interaktionsgeschehen, in dem jeweils drei Handlungs- und drei Verantwortungsebenen aufeinander bezogen sind. Die drei Handlungsebenen sind: das Management der Mittelversorgung für eine im Sinne des Steuerrechts gemeinnützige Organisation im engen betriebswirtschaftlichen Verständnis: das Fundraising (H1); die Vermittlung zwischen den Anliegen, Bedarfen und Bedürfnissen der gemeinnützigen Organisation und denen der Geber*innen: die Fundmediation (H2); das freiwillige Geben als selbstbestimmte
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Handlung: das Fundgiving (H3). Diesen drei Handlungsebenen korrespondieren drei Verantwortungsebenen: Fundraising als Leitungsaufgabe (V1); Fundraising als Beruf (V2); Fundraising als kulturelle Praxis (V3) (vgl. nachfolgende Abbildung aus: Andrews 2011a, S. 180).
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Die Matrix verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven auf Fundraising sowie deren Zusammenspiel und Interdependenzen. Auch das je eigene Vorverständnis zum Thema kann durch Zuordnung zu den Reflexionsfeldern im Zusammenhang des Ganzen verortet werden. Das fördert den Dialog mit anderen und zeigt, wo im komplexen Aufgabengefüge des Fundraisings unterschiedliche Kompetenzen benötigt und eingesetzt werden können. Fundraising ist nie Selbstzweck, sondern immer normativ an den zu verwirklichenden Zweck gebunden. In Kirche geht es um die Kommunikation des Evangeliums, verwirklicht in den unterschiedlichen kirchlichen Aufgaben. Multiperspektivisch und interdisziplinär verstandenes Fundraising kann als Motor von Gemeinde- und Kirchenentwicklung erfasst, gelebt und ausgestaltet werden.
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3 Fundraising – das Spektrum an Ressourcen und Handlungsoptionen Sämtliche Ressourcen lassen sich in drei Kategorien einordnen: Zeitspenden, Geldspenden und Sachspenden. Die Reihung entspricht ihrer Häufigkeit und Bedeutung in Bezug auf private Geber*innen (vgl. Simonson/Vogel/TeschRömer 2017). Zu den Zeitspenden zählen neben dem klassischen Ehrenamt Formen des neuen Ehrenamts, darunter die sogenannte Kompetenzspende. Unter den Oberbegriff »Geldspenden« können alle Geldbeträge gezählt werden, die gemeinnützigen Organisationen ohne Gegenleistung zugutekommen, Sachspenden können fabrikneue oder gebrauchte Güter sein. Neben der Kategorisierung nach Ressourcen wird im Fundraising auch nach Art der Ressourcengeber*innen gegliedert. Dabei lassen sich als potenzielle Förderinnen die öffentliche Hand (Kommune, Land, Bund, EU) und die private Hand (Privatpersonen, Stiftungen, Unternehmen) unterscheiden (vgl. weiterführend z. B. Urselmann 2018, S. 1–9). Die Differenzierungen im Fundraising etwa nach Anwendungsbereichen, Zielgruppen und Kommunikationswegen wachsen in den letzten Jahren beständig (z. B. Hochschul-Fundraising, Klinik-Fundraising, Erbschaftsfundraising, Online-Fundraising, Face-to-Face-Fundraising). Es geht dabei jeweils um mehr oder weniger spezialisierte Perspektiven und Schwerpunktsetzungen. Die Fundraising-Theoriebildung folgt der sich seit den 1990er-Jahren ausdifferenzierenden Fundraising-Praxis. Grundsätzlich unterschieden werden zwei Zugänge: das Markt-Paradigma, das, vom Marketing herkommend, Fundraising als Beschaffungsmarketing versteht, sowie das Gabe-Paradigma, das – ansetzend bei der Gabe-Theorie von Marcel Mauss – Fundraising eine gesellschaftsgestaltende Dimension zuweist (vgl. Fischer/Haunert/Kreuzer 2016, S. 83–86). Grundsätzlich können in ESGn Zeit-, Geld- und Sachspenden Verwendung finden. Worauf und an wen sich die Fundraising-Bemühungen richten und wie konkrete Maßnahmen ausgestaltet werden, bestimmt sich durch den Bedarf und die Möglichkeiten vor Ort. Für nachhaltige Erfolge sind realistische Einschätzungen, Strategien und Konzepte zum Erschließen der Ressourcen entscheidend. An dieser Stelle soll auf den wichtigsten Grundsatz beim Organisieren von Fundraising-Prozessen hingewiesen werden: das Denken von Geber*innen her. Für die empfangende Organisation ist es wichtig zu erarbeiten, welche Ressourcen sie benötigt, wie sie sie geschenkt bekommt und wie sie diese ordnungsgemäß verwendet und verwaltet. All dies ist anspruchsvoll und führt oft genug an personelle Kapazitätsgrenzen. Wer aber sind die (potenziellen) Geber*innen
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und wie kommuniziert man erfolgreich mit ihnen? Wie lässt sich der Kontakt zu den Geber*innen langfristig gestalten? Warum entscheiden sie sich, einem gemeinnützigen Träger Ressourcen zu geben? Welche Argumente benötigen Geber*innen für ihre Entscheidungsfindung? Unabhängig davon, ob es sich um private oder institutionelle Geber*innen handelt, sind die Antworten auf diese Fragen für eine erfolgreiche Fundraising-Kommunikation maßgeblich. Das Denken von den Geber*innen her bedeutet also kurz gesagt, in gutem Kontakt zu Menschen zu sein. Dies knüpft an eine ausgeprägte Kernkompetenz von Pfarrer*innen und kirchlichen Mitarbeitenden an.
4 Fundraising – angewendet in ESGn
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Die ESGn in Deutschland sind mit Blick auf Personalkosten, Sachmittel und Gebäudebestand mehr oder weniger auskömmlich über Kirchensteuern finanziert. Ehrenamtliches Engagement ist die tragende Säule der vielfältigen Aktivitäten der ESGn. Das Organisieren von projektbezogenen Spenden, Kollekten und Fördermitteln Dritter, meist aus kirchlichen oder staatlichen Jugendhilfemitteln (z. B. in Form von Zuschüssen zu Reisen), gehören zum selbstverständlichen Repertoire in den ESGn. Demgegenüber bedeutet die Aufnahme von professionalisiertem Fundraising, den Blick darauf zu richten, welche Ressourcen im gesamten Netzwerk bei Einzelnen oder Akteursgruppen liegen und wie diese zur Gestaltung der ESG-Gemeinschaft und Verwirklichung inhaltlicher Anliegen der ESG eingebracht werden könnten. Fundraising kann die Grundfinanzierung der ESGn ergänzen, nicht aber ersetzen. Der Aufbau langfristig tragender Fundraising-Strukturen dauert mindestens drei bis fünf Jahre und erfordert den Einsatz von Expertise, personellen und finanziellen Ressourcen. Der Ressourcenbedarf wird hier nicht weiter thematisiert. Vielmehr richtet sich der Blick auf das Umfeld der ESGn als Quelle von Ressourcen: ESGn sind – kurz gesprochen – evangelische Gemeinden für eine besondere Zielgruppe mit interkulturellem und ökumenischem Profil, partizipativen Leitungsstrukturen und einer lebendigen Vielfalt von Angeboten. Sie sind Heimat auf Zeit für junge Erwachsene und zugleich Agenturen für Theologie und Kirche an Hochschulen. Für den Weg zum professionellen Fundraising in diesem spezifischen Umfeld nennen wir im Folgenden geeignete Ansatzpunkte, günstige Rahmenbedingungen und zentrale Herausforderungen.
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5 Fundraising in ESGn – Ansatzpunkte 5.1 Im Netzwerk Ressourcen erkennen und erschließen Wo lassen sich Zeit-, Geld- und Sachspenden im weit verzweigten Netzwerk einer ESG aufspüren? Die Liste der unterschiedlichen Anspruchsgruppen ist lang, entsprechend vielfältig fällt diese Entdeckungsreise aus. Grob gesprochen gilt folgendes: Studierende sind üblicherweise knapp bei Kasse, ihr Besitz passt in wenige Umzugskisten. Aber sie haben frische Ideen, meist ein hohes kreatives Potenzial und oft Bereitschaft und Lust, sich für eine Sache einzubringen. Professor*innen haben dagegen meist mehr Geld als Zeit, auf jeden Fall Zugang zu Multiplikator*innen und potenziellen Förder*innen für das ESG-Projekt, mit dem sie sich verbinden. Ehemalige ESGler*innen, Alumni, haben mit den Jahren zunehmende finanzielle Ressourcen, sind häufig an Möglichkeiten der Verbindung zu »ihrer« ESG oder der nächstgelegenen ESG ihres neuen Lebensmittelpunktes interessiert und oft bereit, etwas zurückzugeben (siehe dazu Artikel 2.18 in diesem Handbuch). Die Denkrichtung zum Ergründen der Ressourcen verläuft von den Geber*innen her: Was könnte Menschen warum motivieren, ihre Ressourcen mit der ESG zu teilen? Welcher Mehrwert ergibt sich für sie daraus? Dies in Erfahrung zu bringen, erfordert eine geplante Kommunikation, die entsprechend ausgewertet wird. Die Analyse kann ergeben, dass ESGn zusammen mit unterschiedlichen Netzwerkpartner*innen auch andere Ziele verwirklichen, als sie bisher im Blick hatten. 5.2 Die Perspektive des Fundraisings in bewährte Events integrieren Eine wichtige Strategie für den Start mit Fundraising ist es, etablierte Veranstal tungsformate um Fundraising-Aspekte zu erweitern, sofern sich diese dazu eignen. Schlüsselfragen dafür sind: Wie können bestehende Events gezielt genutzt werden, Beteiligungs- und Fördermöglichkeiten sowie deren Mehrwerte aufzuzeigen? Welche Anspruchsgruppen kommen wann aus welchen Gründen in die ESG, auf wen treffen sie dort, welche Informationen und Erlebnisse nehmen sie auf, welchen Mehrwehrt haben sie davon? Kennen ESGn ihre Besucher*innen und können sie zu ihnen individuell Kontakt aufnehmen? Kontakte mit zugehörigen Kontaktdaten sind die wichtigste Währung im Fundraising. Einladungen zu Events lassen sich nutzen, um bestehende Adressbestände zu pflegen, das ESG-Netzwerk zu erweitern und Förder*innen angemessen zu würdigen.
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5.3 Herzstück allen Fundraisings: gepflegte elektronische Adressbestände Wem keine Fundraising-Software zur Verfügung steht, der*die startet mit ExcelTabellen, aus denen später Daten in die gängigen Datenbanken übernommen werden können. Netzwerkkontakte stellen ein wichtiges institutionelles Wissen dar, ohne das keine Ressourcen erschlossen werden können. Sie dürfen der ESG auch bei Personalwechseln nicht verloren gehen. Es geht darum, Kontakte systematisch und langfristig zu entwickeln und die Pflege von Kontakten zu Förder*innen als Teil regulärer Gemeindearbeit zum Gemeindeaufbau zu nutzen.
6 Fundraising in ESGn – günstige Rahmenbedingungen
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Fundraising schärft den Blick für die Fülle der Gaben, es stiftet Kontakte zwischen Menschen und erweitert Möglichkeiten – Fundraising macht Freude! Die Rahmenbedingungen für ein langfristig erfolgreiches Fundraising sind in ESGn als sehr gut zu bewerten. Dafür sprechen mindestens zehn Gründe: – Kernkompetenz Kontakt und Beziehung: Die Pfarrpersonen und Mitarbeitenden weisen als eine ihrer Kernkompetenzen die Fähigkeit auf, gut Kontakt zu Menschen aufnehmen und gestalten zu können. – Verlässliche Partnerin: Kirche wird nach wie vor ein hohes Maß an Vorschussvertrauen entgegengebracht und wird jenseits etwaiger antikirchlicher Tendenzen unter der »Ewigkeitsperspektive« als stabile, verlässliche Partnerin angesehen. – Starke Marke: ESGn sind mit ihrem roten Hahn eine bundesweit eingeführte starke Marke mit einem hohen Wiederkennungswert und – bei aller regionaler Verschiedenheit – mit einem klaren inhaltlichen Profil verbunden. – Emotionale Bindung: In ESGn sozialisierte (junge) Erwachsene weisen in der Regel eine starke, oft dauerhafte emotionale Bindung an die ESG auf, weil diese mit wichtigen biografischen Situationen verbunden wird (elternunabhängig werden, Studium bewältigen, Entscheidungen für den beruflichen Weg treffen, Partner*in suchen etc.). – Moderne Kommunikationswege: In ESGn gehören E-Mail und Social Media zur Regelkommunikation, womit eine zielgruppenspezifische Ansprache größerer Personengruppen schnell und kostengünstig realisiert werden kann.
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– Eingespielte Öffentlichkeitsarbeit: ESGn verfügen mit Semesterpro grammen, Homepages u. a. über eingespielte Instrumente der Öffent lichkeitsarbeit, die leicht um Fundraising-Aspekte erweitert werden können. – Verlässliche Verwaltung: Die mehrheitlich hauptamtlichen Strukturen in der ESG-Verwaltung stellen den ordnungsgemäßen Umgang mit eingeworbenen Ressourcen sicher. – Innovatives Umfeld: Hochschulen stellen ein zukunftsgewandtes, innovatives, veränderungsbereites Umfeld dar. – Umfeld versteht Fundraising: Fundraising-Prozesse sind in Hochschulen fest etabliert (z. B. Drittmittelakquise, Alumni-Arbeit, Deutschlandstipendium), das Arbeitsfeld wird verstanden. Akteur*innen an Hochschulen sind projektbezogene, lang- und kurzfristige Kooperationen gewohnt und somit erfahrene Partner*innen für ESGn. – Potente Netzwerke: Hochschulen verfügen über potente Netzwerke mit Ressourcen aller Art: ein finanzkräftiges akademisches Milieu, Zugänge zu Wirtschaftsverbänden, Expertise zu vielfältigen Themen, hohe Kreativitätspotenziale.
Diese günstigen Rahmenbedingungen deuten darauf hin, dass Fundraising in ESGn gut gelingen kann. Fundraising-Erfolg ist jedoch kein Selbstläufer.
7 Fundraising in ESGn – zentrale Herausforderungen Es gibt drei zentrale Herausforderungen, denen sich ESGn beim Aufbau von Fundraising stellen sollten. Zunächst gilt es, einen »blinden Fleck« wahrzunehmen: Die Beitragserhebung in Form der Kirchensteuer, die mit all ihren Vorteilen hier ausdrücklich nicht infrage gestellt wird, führte einerseits zu einer Anonymisierung der finanziellen Beiträge der (steuerpflichtigen) Mitglieder, sodass anlässlich der regelmäßigen Zahlung keine persönliche Kommunikation zwischen Empfangenden und Gebenden besteht. Andererseits wurden viele Potenziale und Ressourcen, die Mitglieder – aber auch andere – in die Kirchen und Gemeinden einbringen könnten, nicht beachtet. Diesen blinden Fleck mit doppelter Auswirkung zu benennen, ist wichtig, weil dessen Wahrnehmung mit der Einsicht verbunden ist, hinter theologisch begründeten Ansprüchen im Kontakt mit Menschen zurückgeblieben zu sein. Es ist ebenso verständlich wie ungünstig,
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dass sich mit dieser als unangenehm empfundenen Einsicht oftmals reflexhaft Scham verbindet und die Abwehr dessen, was die Erkenntnis hervorgebracht hat: die Notwendigkeit, um Ressourcen zu bitten bzw. das Thema Fundraising aufzunehmen. Eine zweite Herausforderung liegt darin, der Versuchung zu widerstehen, Fundraising auf seine betriebswirtschaftliche Perspektive zu verkürzen und von daher Gründe zu finden, Fundraising als Thema nicht anzunehmen. Mit betriebswirtschaftlichem Sprach- und Handlungsrepertoire lässt sich leicht die Atmosphäre einer Bedrohung der »religiösen Sphäre« durch »die Ökonomisierung« erzeugen, aus der heraus eine Abwehrhaltung entsteht, die sich gegen das Fundraising bzw. die Fundraiser*innen richtet. Die Verwirklichung kirchlicher Anliegen bleibt dann auf der Strecke. Die dritte Herausforderung besteht in der Anforderung an die fachliche Qualität von Fundraising-Aktivitäten. Wird Fundraising handwerklich nicht gut gemacht, führt das zu kognitiven und atmosphärischen Dissonanzen – und die erhoffte Unterstützung durch andere bleibt aus. Schlimmstenfalls werden auf allen Seiten engagierte Menschen enttäuscht und dauerhaft verprellt. Zur Fachlichkeit gehört es auch, Fundraising-Aktivitäten realistische Ziele zuzuschreiben – und nicht die Lösung von Problemen und Klärung von Themen aufzutragen, die auf anderer Ebene, oft als Voraussetzung für gelingendes Fundraising, verantwortlich bearbeitet werden müssen. Eine multiperspektivische, interdisziplinäre Sicht auf Fundraising trägt dazu bei, diese und weitere Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Fundraising zu implementieren, erfordert den Wandel von Haltung, Denkgewohnheiten und Handlungsweisen verantwortlicher Akteur*innen in der Kirche. Dies bedeutet nichts weniger als einen Kulturwandel einzuleiten. Fundraising stellt somit einen Hebel zur Gemeinde- und Kirchenentwicklung dar – in ESGn und darüber hinaus. Zwei Beispiele verdeutlichen die Möglichkeiten von Fundraising-Pro jekten. In der ESG Aachen existiert das Zimmerpatenschaft-Projekt. Dafür wirbt ein Absolvent*innenverein des Wohnheims, um Studierenden aus verschiedenen nationalen und sozialen Hintergründen ein Wohnen im ESG-Wohnheim zu ermöglichen. Die Patenbeiträge fließen in einen Fonds, durch den die Miete ohne Prüfung der individuellen Situation gedämpft wird. Die aktuellen Bewohner*innen schicken einmal jährlich einen Brief mit Neuigkeiten aus dem Wohnheim und laden alle Pat*innen zu Vorträgen, Diskussionsrunden und Einzelgesprächen ein. So bleiben ehemalige ESGler*innen untereinander, mit Studierenden und der
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ESG verbunden und tragen monetär und ideell zur Stärkung der ESGGemeinschaft bei. Initiiert von der ESG Duisburg-Essen gibt es das Nachhaltigkeitsprojekt »level up!« auf dem Universitätscampus: Kunststoffdeckel von Getränkeverpackungen werden gesammelt und dem Recycling zugeführt. Je 500 Deckel finanzieren eine Impfung gegen Kinderlähmung. Jede*r kann helfen, Kindern ein Leben mit einer fairen Chance auf Gesundheit zu schenken und die begrenzten Ressourcen der einen Welt zu schonen. Dabei kann die ESG ihr interkulturelles und sozialdiakonisches Profil, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einzustehen, ausweisen und vor Ort konkret erlebbar machen.
8 Fundraising in ESGn – drei Perspektiven Abschließend werden drei Entwicklungsperspektiven für Fundraising in ESGn als Thesen benannt und beschrieben. 1. Zentrale Akteur*innen in den ESGn haben sich grundlegendes Fachwissen zum Fundraising angeeignet und in ihr selbstverständliches Handlungsrepertoire übernommen. Fundraising lässt sich in verschiedenen Aus-, Fort- und Weiterbildungsformaten erlernen und selbstständig mit sämtlichen individuellen Kompetenzen des beruflichen Handelns verbinden. Kursangebote der bereits 1999 u. a. in Trägerschaft der Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) gGmbH gegründeten Fundraising Akademie (www.fundraising-akademie. de) werden inzwischen beispielsweise durch zahlreiche landeskirchliche Professionalisierungsangebote für Pfarrpersonen, haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende in der Kirche ergänzt. Informationen dazu können bei den Fundraising-Beauftragten der jeweiligen Landeskirche abgerufen werden (z. B. über www.fundraising-evangelisch.de/service/ansprechpartner). Die Netzwerkebene der Bundes-ESG wäre die passende Ebene, um – begleitend zur zunehmenden Fundraising-Praxis in ESGn – kollegiale Austauschforen zur Ermutigung und Beschleunigung von Lernprozessen im Fundraising in ESGn zu initiieren. 2. ESG-Pfarrer*innen treiben die theologische Reflexion voran. Als neues Arbeitsfeld innerhalb der Kirchen bedarf Fundraising der theologischen Reflexion, auch durch die handelnden Akteur*innen (vgl. Andrews 2011a, S. 163–173). Dazu zählt beispielsweise auch die vermögenskulturelle
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Reflexion (Andrews 2011b) und die theologische Gründung für die Ehemaligenarbeit in ESGn (siehe dazu Artikel 2.18 in diesem Handbuch). Instruktiv für eine theologische Durchdringung des Fundraisings ist zudem der breite Diskurs zum Verhältnis von Betriebswirtschaftslehre und Kirche (vgl. z. B. Meyns 2013; Karle 2011).
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3. Als Agentur für Theologie und Kirche nehmen ESGn die akademischen Diskurse zur Zivilgesellschaft, zu denen Engagementförderung wesentlich gehört, wahr und leisten Wissenstransfer in beide Richtungen. Indem ESGn eigene Fundraising-Prozesse aktiv gestalten, weisen sie sich als authentische Diskurspartnerinnen zu Compliance- bzw. Ethik-Themen im Rahmen des Fundraisings aus. Denn transparente ethische Leitlinien (vgl. www.dfrv. de/fundraising-branche/ethik-im-fundraising) bilden das Rückgrat für Fundraising. ESGn sind als lernende Gemeinschaften für die hier angesprochenen Diskurse optimale Laboratorien.
Literatur Andrews, C. (2007): Fundraising in der Kirche. Eine vergleichende Studie zur Entwicklung von Fundraising in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). KJ 2004/2005, 131/132 (S. 224–242). Gütersloh. Andrews, C. (2011a): Fundraising interdisziplinär. Ein Beitrag zur Erneuerung der Kultur gemeinwohlbezogenen Gebens. Berlin. Andrews, C. (2011b): Das Vermögen zu glauben. Vermögenskulturelles Denken in theologischer Reflexion. In: T. Druyen (Hg.): Vermögenskultur. Verantwortung im 21. Jahrhundert (S. 167– 180). Wiesbaden. Fischer K./Haunert F./Kreuzer T. (2016): Was ist Fundraising? In: Fundraising Akademie (Hg.): Fundraising. Handbuch für Grundlagen, Strategien und Methoden (5. Aufl. 2016; S. 77–92). Wiesbaden. Karle, I. (2011): Kirche im Reformstress (2. Aufl.). Gütersloh. Meyns, C. (2013): Kirchenreform und betriebswirtschaftliches Denken. Modelle, Erfahrungen, Alternativen. Gütersloh. Simonson, J./Vogel, C./Tesch-Römer, C. (Hg.) (2017): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Wiesbaden. Urselmann, M. (2018): Fundraising. Professionelle Mittelbeschaffung für gemeinwohlorientierte Organisationen (7. Aufl.). Wiesbaden.
Teil 3 Themen
3.1 Geistliches Leben Corinna Hirschberg
1 Einleitung Geschichtliche Entwicklung: Blickt man auf die letzten vierzig Jahre zurück, hat es, bezogen auf die Ausrichtung der ESGn, eine erstaunliche Entwicklung gegeben. In den 1980er-Jahren waren viele ESGn geprägt von einem starken politischen Engagement, das sich u. a. in der Unterstützung der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Kritik an der atomaren Nachrüstung niederschlug. Die Aussage ehemaliger ESGler*innen unterstreicht die Trennung von politischem Engagement und einem ausdrücklichen Glaubensleben: »Wer beten wollte, ging in die SMD« (siehe dazu Artikel 1.1 in diesem Handbuch). In den 1990er- und frühen 2000erJahren wich das fokussierte politische Interesse zugunsten eines allgemeineren, auch die Eine Welt umfassenden, gesellschaftspolitischen Engagements zurück. Ab Ende der 2000er-Jahre bzw. zu Beginn der 2010er-Jahre beginnt das Interesse an einer gelebten Glaubenspraxis in den ESGn wieder zu steigen. Verschiedene Angebote und Formate zu diesem Themenspektrum machen die Hinwendung zum Geistlichen Leben in den Programmen der ESGn sichtbar. Die Gründe für das Erstarken dieser Perspektive sind vielfältig. Eine Ursache ist sicherlich die allgemeine Hinwendung zur Religion, wie sie z. B. Müller (2012) konstatiert. Seit dieser Zeit wird vonseiten der Gesellschaft den Fragen zur Spiritualität eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Entwicklung innerhalb der ESGn im genannten Zeitraum belegt auch das Thema der Bundesstudierendenpfarrkonferenz 2008 »Mission der ESG«. Auch Horstmann geht es bereits um die Vermittlung von christlichen Lebensformen in den ESGn (Horstmann 2012, S. 171). Spiritualität und Geistliches Leben: »Der Begriff Spiritualität richtet sich auf eine wahrnehmbare geistgewirkte Haltung« (Cornelius-Bundschuh 2014, S. 90), die von Christ*innen in den drei Dimensionen Glaube, Frömmigkeitsübung und Lebensgestaltung vor Gott vollzogen wird. Ebenfalls die Geistwirkung hervorhebend bezeichnet Peng-Keller Spiritualität als »vom Geist Gottes bestimmte Lebensform und Lebensführung« (Peng-Keller 2010, S. 14).
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Inhaltlich ist diesen pneumatologischen Begriffsbestimmungen vollkommen zuzustimmen. Allerdings lässt sich im allgemeinen Sprachgebrauch eine Verwendung des Begriffs »Spiritualität« wahrnehmen, der eine religiöse Weite umfasst, die zu Unklarheiten führen kann. Deshalb legt sich für den Sprachgebrauch mit Stolina der Begriff »Geistliches Leben« nahe, der ihn christologisch interpretiert als »Verwandlung in der Lebensgemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen« (Stolina 2014, S. 30). Eine die christologische und pneumatologische Interpretation erweiternde Definition gibt Dahlgrün, die sich als sehr hilfreich für das Geistliche Leben erweist: »Spiritualität ist die von Gott auf dieser Welt hervorgerufene liebende Beziehung des Menschen zu Gott und Welt, in der der Mensch immer von neuem sein Leben gestaltet und die er nachdenkend verantwortet« (Dahlgrün 2018, S. 108). Biblisch-reformatorische Implikationen: Die vier reformatorischen Grundsätze, die Diederich für evangelische Exerzitien als theologische Instanzen evoziert (Diederich 2009, S. 15–18), können ebenso für das Geistliche Leben insgesamt in Betracht gezogen werden. Solus Christus, sola gratia, sola scriptura und sola fide sind die vier Exklusivpartikel, die Fixpunkte des protestantischen Geistlichen Lebens darstellen. Mitte des Geistlichen Lebens ist Christus, der in die totale Beziehungslosigkeit, den Tod, hineingeht und eine neue Wirklichkeit schafft (Diederich 2009, S. 15). Diese Christuswirklichkeit ist göttliches Geschenk und kann nicht selbst erwirkt werden (Diederich 2009, S. 16). Richtschnur des eigenen Lebens ist dabei die Bibel; dafür ist eine Vertrautheit mit ihr, die über eine rein wissenschaftliche Beschäftigung hinausgeht, unerlässlich (Diederich 2009, S. 17). Als spirituelle Grundvollzüge können Gebet, Meditation und Kontemplation ausgemacht werden (Peng-Keller 2010, S. 94). Hinzu tritt als ein eigenständiger Grundvollzug die Liturgie, die in verschiedenen Gottesdienstformen ihren ausdrücklichen Platz in den ESGn hat.
2 Gebet Das Gebet ist der Grundvollzug christlichen Glaubens – das sine qua non gelebter christlicher Frömmigkeit. In ihm findet der Glaube seinen Ausdruck. Es ist die Möglichkeit für den Menschen, in Kontakt mit Gott zu treten und sich mit Dank, Lob, Klage und Bitte an ihn zu wenden. Auch die zweifelnden Momente im Lebensgespräch mit Gott können dort ihren Raum und ihr Gehör finden (Stolina 2014, S. 27), was sich an den Klagepsalmen des Einzelnen im
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Alten Testament zeigen lässt. Dabei haben das individuelle Gebet einerseits sowie das gemeinsame Gebet andererseits in einer christlichen Gemeinde gleichermaßen ihre Berechtigung. Für das ESG-Leben relevant ist in erster Linie das gemeinschaftlich gesprochene Gebet. Unterscheiden lassen sich verschiedene Gebetssituationen. Vor den gemeinsamen Mahlzeiten wird in vielen ESGn gemeinsam gebetet – gesprochen oder gesungen, bei internationalen Abenden häufig auch in Form von anderssprachigen Liedern (siehe dazu Artikel 3.8 in diesem Handbuch). Ein anderer Zusammenhang für das gemeinsame Gebet sind Gemeindeleitungssitzungen, vor deren Beginn sich die Studierenden in Form eines geistlichen Impulses, als Einzelgebet oder als gemeinschaftlich gesprochenes Gebet, an Gott wenden. Ein anderer Sitz im Leben für ein Gebet ist das meistens gesungene Abendgebet am Ende einer ESG-Veranstaltung. Seltener anzutreffen, aber immens wichtig für das gemeinschaftliche Erleben ist das Gebet in akuten (Not-)Situationen, wie z. B. bei die Welt erschütternden Ereignissen oder bei (plötzlichen) Todesfällen in der ESG oder in der Hochschule. Der wahrscheinlich häufigste Gebrauch des Gebets ergibt sich im ESG-Leben sicherlich bei Andachten und Gottesdiensten. Dort wird es als geprägtes Gebet, wie es die Psalmen oder das Vaterunser darstellen, gesprochen. Auch die Kollekten- und Dankgebete haben ihren Platz in Andacht und Gottesdienst. Die Fürbittgebete werden an vielen Orten partizipativ übernommen und von Studierenden mit eigenen Themen verbunden. Das gemeinsame Gebet wird vielfach als gemeinschaftsstiftend empfunden. Zusätzlich kann es auch eine verbindende Kraft entfalten, die über große Unterschiede in Lebensstil und Herkunft hinweghilft. Gebete können als eine gemeinsame Rückbesinnung auf den Glauben und auf Gott im Trubel des ESGLebens wahrgenommen werden und so den Charakter der ESG als Gemeinde auf Zeit am anderen Ort stärken.
3 Liturgie Geistliches Leben drückt sich darüber hinaus in der Feier des Gottesdienstes oder in anderen liturgischen Formen aus. Sie bilden in vielen ESGn den integralen Bestandteil des Gemeindelebens; dazu zählen z. B. die Andacht oder der Gottesdienst bei Gemeindeabenden. Die Formate, Uhrzeiten und Ausgestaltungen unterscheiden sich häufig vom klassischen Sonntagsgottesdienst in den Parochialgemeinden. So ist eine Abendandacht in der Woche keine Seltenheit (siehe dazu Artikel 2.1 in diesem Handbuch). Die Vielfalt der liturgischen Bausteine und Gottesdienstformate in den ESGn von der Liturgischen
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Nacht über den Semestereröffnungsgottesdienst bis hin zu Trauerfeiern für verstorbene Angehörige im Heimatland ist im Handbuch für Liturgie und Gottesdienst »kraft gottes« abgebildet. Sie lässt erkennen, welchen hohen Stellenwert das liturgische Leben für die ESGn hat. Im gemeinsamen Singen, Beten und Hören auf Worte der Bibel entfaltet sich das Geistliche Leben der einzelnen Studierenden. Die Auslegung bezieht in der Regel die Lebenswelt der Studierenden ein oder wird partizipativ von ihnen mit übernommen. Auch das Liedgut ist stark von der Altersspanne der Studierenden geprägt; so finden vor allem Neue Geistliche Lieder in die Gottesdienste und Andachten Eingang, wie sie im ESGGesangbuch »Durch Hohes und Tiefes« dokumentiert sind (siehe dazu Artikel 2.3 in diesem Handbuch). Diese Faktoren begünstigen es, dass sich Studierende mit ihrem Lebensgespräch mit Gott im Gottesdienst eintragen und Raum finden können. Er ermöglicht ihnen auf diese Weise, an ihren eigenen Glaubensfragen und -erfahrungen anzuknüpfen, und eröffnet einen Resonanzraum für die Suchbewegung des Herzens auf den dreieinigen Gott hin. All das trägt zu einer Intensivierung des Geistlichen Lebens bei.
4 Meditation »Zur inkarnatorischen Gestalt des Lebens-Gespräches mit Gott gehört sein Ausdruck in den verschiedenen Formen der Zwiesprache mit Gott – in Gebet, Lesung und Meditation, Kontemplation« (Stolina 2014, S. 25). Hier geht es um die Meditation der Schrift, um das Bemühen, die Schrift zu lesen und ihre Relevanz für das eigene (Glaubens-)Leben herauszuarbeiten. Für Studierende der aktuellen Generation – besonders für Theologiestudierende – ist eine Herangehensweise, die das ganze Sein umfasst, eher ungewohnt, da das Studium zu Recht den Schwerpunkt auf wissenschaftliches Arbeiten und damit zumeist auf rein kognitive Zugänge legt. Das berühmte Diktum Martin Luthers: »Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein, je mehr man es reibt, desto mehr duftet es«, findet in der Schriftmeditation, die auch Luther selbst intensiv betrieben hat, seinen Ausdruck. Beginn und Abschluss der Meditation bildet ein persönliches Gebet, sodass die Person in der Schriftmeditation einen Gesprächsraum mit Gott betritt, der von den Gebeten markiert wird. Beim Lesen des Bibeltextes wird die Fantasie mit einbezogen, sodass Personen ein Gesicht bekommen und Gerüche und Geräusche mit aufgenommen werden. Beim nochmaligen Lesen wird auf die eigenen Gefühle geachtet, die alle gleichermaßen ihr Recht haben. Der nachfolgende Schritt, die ruminatio (Wiederkäuen), ermöglicht ein Verweilen bei dem, was einen unmittelbar anspricht; dieser Prozess kann durch Impulsfragen
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akzentuiert werden. Im Nachgang können kurze Notizen festgehalten werden. Ist viel Zeit vorhanden oder haben die Teilnehmenden schon Erfahrung, eignet sich die anschließende Partner*innenarbeit als Methode, um über das bei der Schriftmeditation Erlebte ins Gespräch zu kommen. Indem die Person in ihrer Ganzheitlichkeit angesprochen wird, eröffnet die Schriftmeditation ungewohnte Zugänge zum Bibeltext und kann damit neue Perspektiven im Lebensgespräch mit Gott freilegen. Die Bundes-ESG bietet einmal im Jahr mit ihrem Programm »Kloster auf Zeit« für Studierende die Möglichkeit, während eines fünftägigen Klosteraufenthaltes (erste) Erfahrungen mit der Schriftmeditation zu machen.
5 Kontemplation Das Gebet »schließt […] im weiteren Sinne auch nichtsprachliche Formen der gläubigen Existenz für Gott bis hin zur gläubigen Existenz als solcher ein« (Schmidt 2000, S. 501). Das kontemplative Gebet ist so eine nichtsprachliche Form der gläubigen Existenz und richtet sich wortlos auf Gott hin aus. Aus der Alten Kirche kommend, ermöglicht das Herzensgebet, wie das kontemplative Gebet auch genannt wird, eine nicht sprachlich vermittelte Kommunikation mit Gott. Nach Gregor dem Großen setzt man sich im kontemplativen Gebet bewusst dem liebenden Blick Gottes aus. Daraus erwächst eine empfangende Haltung, die Stolina folgendermaßen beschreibt: »In der Kontemplation sind wir wesentlich Empfangende und richten uns darauf aus, vor Gott Empfangende zu sein, wir empfangen uns selbst, unser dialogisches Leben« (Stolina 2014, S. 36). Auf diese Weise erfahren Studierende in der Kontemplation einen Gegenpol zum Zwang zur Selbstoptimierung, dem sie sich oft ausgesetzt fühlen. In der Praxis hat sich ein gemeinsames Gebet von 20 Minuten im Fersensitz bewährt. In Anfängergruppen kann auch mit 12 bzw. 15 Minuten begonnen werden. Als Unterstützung im Gebet, um ganz in der Gegenwart zu sein, kann ein Herzwort verwendet werden. Meistens handelt es sich dabei um ein kurzes, prägnantes Bibelwort. Aus der Alten Kirche sind Worte wie »Herr Jesus, hilf!« oder »Herr Jesus, erbarme dich!« überliefert. Auch andere Bibelworte wie »Der Herr ist mein Licht und mein Heil« aus Psalm 27 sind denkbar. In den ESGn gibt es mittlerweile Angebote zum kontemplativen Gebet, sei es über ein Semester in einer festen Gruppe, sei es als einmaliges Kennenlern gebot im Semester. Auf Rüstzeiten, beim »Kloster auf Zeit« für Studierende und bei der Hauptamtlichenkonferenz hat es seinen etablierten Platz gefunden und erfreut sich der Nachfrage.
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6 Geistliche Begleitung Geistliche Begleitung als eine Dimension der Seelsorge (Stolina 2014, S. 15) ist ein spezifisches Kennzeichen des Geistlichen Lebens in den ESGn. Nach Aussage von ESG-Pfarrer*innen, die zuvor in einer Ortsgemeinde ihren Dienst taten, werden sie viel häufiger in den ESGn um Geistliche Begleitung angefragt. In der Ortsgemeinde entwickeln sich Gespräche solcher Art meistens im Zusammenhang mit Kasualien und werden abgesehen davon eher selten erlebt. Diese Erfahrung bestätigt auch Ulrichs (2017, S. 96; siehe dazu Artikel 2.5 und 2.6 in diesem Handbuch):
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»Trotz oder gerade wegen dieser erschwerten Rahmenbedingungen ist der Anteil von Seelsorge in diesem Funktionspfarramt überraschend groß, vor allem wenn unter Seelsorge nicht nur Krisenintervention, sondern auch insgesamt eine geistliche Begleitung in allen Lebenslagen als eine grundlegende Dimension kirchlichen Handelns verstanden wird. Hochschulseelsorger sind öfter durch unmittelbare Seelsorge herausgefordert als Gemeindepfarrer in volkskirchlichen Gemeinden«. Die Gründe für dieses Phänomen sind vielfältig. Die Offenheit, welche die Studienphase mit sich bringt, und die eigene Identitätssuche begünstigen sicherlich auch das Aufsuchen einer Geistlichen Begleitung. Darüber hinaus gehen Studierende aus den Leitungsgremien der ESGn oftmals eine relativ enge Bindung auf Zeit zum*zur Hochschulseelsorger*in ein, die aber von übrigen Bindungen wie Elternhaus und Kommiliton*innen häufig unabhängig und unbemerkt ist. In dieser Konstellation, zusammengenommen mit der Frage nach gelingendem (geistlichen) Leben, wird die Frage nach Geistlicher Begleitung begünstigt. Ein wichtiger Faktor kommt noch hinzu. Nach Stolina unterstützt Geistliche Begleitung den Menschen in einer Zeit des religiösen Pluralismus, um zu einer eigenen Position zu kommen (Stolina 2014, S. 35). Dieser Aspekt ist für Studierende umso relevanter, als dass Hochschulen zugleich säkulare und multireligiöse Räume sind. Die Vielfalt an religiösen Angeboten ist normalerweise an einer Universität recht hoch; zwischen diesen gilt es auszuwählen, um den eigenen Standpunkt zu finden bzw. zu festigen (zum Thema »Religion an der Hochschule« siehe Artikel 1.9 in diesem Handbuch). Sie reicht von den ESGn und KHGn über verschiedene evangelisch-freikirchliche Hochschulgruppen wie SMD, Campus für Christus, Navigatoren bis hin zu muslimischen und jüdischen Hochschulgruppen.
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Geistliche Begleitung von Studierenden findet häufig über einen Zeitraum von ein paar Wochen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen auf Anfrage von studentischer Seite oder auch gegenseitiger Verabredung statt. Der Begriff der Geistlichen Begleitung muss dabei gar nicht immer verwendet werden. Anlass für eine solche Begleitung sind häufig konkrete Fragestellungen zur eigenen Lebensbewältigung, die Beschäftigung mit Bibelstellen und sich daraus ergebende Fragen sowie eine Entscheidung oder die Frage, wie die Erfahrung Geistlichen Lebens in einer Kommunität in den Alltag übertragen werden kann (z. B. nach einem Besuch der Kommunität von Taizé). Ebenso wie die Seelsorge ist Geistliche Begleitung nach außen in der Regel unsichtbar, da sie unter vier Augen geschieht, und lässt sich nicht im Programm abbilden. Sie kann daher nur implizit zum Aushängeschild oder Merkmal einer ESG werden. Nichtsdestotrotz ist sie ein markantes Spezifikum im Geistlichen Leben der ESGn.
7 Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den ESGn Geistliches Leben in seinen verschiedenen Ausdrucksformen – Gebet, Liturgie, Meditation und Kontemplation – als zentraler Bestandteil des Gemeindelebens und der Angebotspalette implementiert ist. So gehören aktuell Kontemplation und Aktion, christliche Spiritualität in protestantischer Perspektive und gesellschaftspolitisches Handeln in den ESGn zusammen; das Erste ist dabei der Motor für das Zweite. Aus dem gelebten Glauben heraus – dem Suchen und Fragen nach einer Gottesbeziehung, die für das eigene Alltagsleben Relevanz hat – entwickelt sich ein Engagement für den Nächsten und die Welt. Dieses Engagement bezieht sich in den ESGn aktuell u. a. auf die Unterstützung von Geflüchteten, auf Nachhaltigkeit und auf die Entwicklung der Demokratie. Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungsräume Geistlichen Lebens für junge Erwachsene eine Strahlkraft in die evangelische Kirche und darüber hinaus entfalten.
Literatur Cornelius-Bundschuh, J. (2014): Evangelische Spiritualität oder evangelische Frömmigkeit? In: W. Drechsel/S. Kast-Streib (Hg.): Seelsorge und geistliche Begleitung. Innen- und Außenperspektiven (S. 90–92). Leipzig. Dahlgrün, C. (2018): Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott (2. Aufl.). Berlin/Boston.
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Diederich, A. E. (2009): Evangelische Exerzitien. Anleitung – Bausteine – Anwendung. Göttingen. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. kraft gottes (2017). Handbuch für Liturgie und Gottesdienst. Hg. v. C. Hirschberg/U.-K. Plisch. Hannover. Müller, H.-P. (2012): Säkularisierung oder die Rückkehr der Religion? In: S. Hradil (Hg.): Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde. Bonn. Peng-Keller, S. (2010): Einführung in die Theologie der Spiritualität. Darmstadt. Schmidt, G. R. (2000): Gebet IX, praktisch-theologisch. RGG (4. Aufl.). Bd. 3, Sp. 501 f. Stolina, R. (2014): Gespräch und Trost der Schwestern und Brüder. Geistliche Begleitung. In: W. Drechsel/S. Kast-Streib (Hg.): Seelsorge und geistliche Begleitung. Innen- und Außenperspektiven (S. 15–36). Leipzig. Ulrichs, H.-G. (2017): Poimenik en passant. Seelsorge an Hochschulen. In: W. Drechsel/S. KastStreib (Hg.): Seelsorgefelder. Annäherung an die Vielgestaltigkeit von Seelsorge (S. 93–99). Leipzig.
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3.2 Film als Medium religiöser Bildung Inge Kirsner
1 Film – Bildung – Religion Film erfüllt »als Medium religiöser Bildung« alle vier Aufgaben Evangelischer Studierendengemeinden, wie sie in Artikel 2.11 dieses Handbuchs benannt (und erweitert) wurden: – Martyria: Das Evangelium wird bezeugt, verkündet, besprochen, indem der Film (in verschiedenen Präsentationsformen, vom Filmabend über Ausschnitte zu entsprechenden Themen bis hin zur gemeinsamen Gestaltung eines Filmgottesdienstes) entweder von sich aus religiöse Fragen aufgreift oder doch in Beziehung gesetzt werden kann zum Kontext, in dem man sich befindet: in einem christlichen oder zumindest religiösen Bildungszusammenhang, der biblisch begründet ist; – Leiturgia: Gottesdienst wird gefeiert, wenn Bilder oder Themen des Films aufgegriffen und in den Gottesdienst integriert werden; – Diakonia: Das Engagement zugunsten anderer wird gepflegt, indem man sich im Film bzw. durch den Film in andere Lebenszusammenhänge und Lebensweisen hineinversetzt, sich mit Personen identifiziert und so eine Empathieschulung erfährt; schließlich – Koinonia: Die Gemeinschaft wird gestaltet, indem man ein gemeinsames Filmerlebnis genießt, ein Welterleben erfährt, das im Anschluss diskutiert oder anders weiter integriert wird. Hier geschieht auch Theologia, wird über Gott und die Welt nachgedacht und es wird eine Form von eruditio – Bildung – gefördert, die auf das humboldtsche Bildungsideal zurückgeht: Darin geht es um das autonome Individuum, um den ganzen Menschen, der im Sinne eines Weltbürgertums (also: sich möglichst umfassend an der Welt abzuarbeiten und sich dadurch als Subjekt zu
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entfalten) gefördert werden soll, nicht um Ausbildung und Zurichtung für den Markt ökonomischer Interessen. Weltbürger*in werden heißt, sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen und diese Auseinandersetzung in das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit, das Bemühen um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder eine andere Beziehung zur Natur einmünden zu lassen (vgl. Benner 2003). Was an der Universität möglicherweise nur gelernt bzw. gelehrt wird, kann in den Studierendengemeinden existenziell umgesetzt, erfahren oder auch problematisiert werden. Ein wichtiges Medium ist hier der Film, der idealerweise im Folgenden entfaltete Kriterien erfüllt:
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– Ästhetisch: Film führt vor Augen, was (anders) nicht gedacht werden kann, macht sinnlich, was nur »gewusst« ist, und lässt den ganzen Körper teilhaben an einem Geschehen, das – so! – noch nie gesehen wurde. Film öffnet Erfahrungsräume und macht – bei aller Distanz – klar, dass uns die Beschaffenheit der Welt angeht, die uns hier – erzählerisch, dokumentarisch – von Angesicht zu Angesicht gezeigt wird. – Ethisch: Im und durch Film findet eine Bewusstmachung und Bewusstwerdung statt, die nicht nur die Erfahrungsräume, sondern auch die Handlungsspielräume erweitert. Der Film bringt uns mit unseren Gefühlen, unserem Un- und Unterbewussten in Kontakt und widmet sich den großen Fragen des Lebens: Wo ist unsere Heimat? Wie soll unsere Welt in Zukunft aussehen? Wie versteht der*die »Andere« die Welt? Und wie sieht der Mensch aus, der wir sind und der wir gewesen sein wollen? – Religiös: Filme beschäftigen sich mit fremdem und eigenem verfehlten oder selbstbestimmten Leben – also jenen Fragen, die auch religiöse sind und mit denen sich Søren Kierkegaard in existenzieller Weise auseinandergesetzt hat. Im ersten Abschnitt seiner »Krankheit zum Tode« schreibt er: »[…] aber das Leben allein des Menschen wäre verdorben, welcher, von des Lebens Freuden oder Kümmernissen betrogen, derart dahinlebte, dass er niemals ewig entscheidend sich seiner selbst bewusst würde als Geist, als Selbst, […]« (Kierkegaard 1992, S. 23). Sein Leben zu »verscherzen«, könnte traditionell-religiös gesprochen heißen: keinen Zugang zu Gott gefunden haben. Doch Kierkegaard gab dieser Wendung eine neue, auch für nicht religiöse Menschen offene Bedeutung: Der Mensch hat die Wahl, was er aus sich machen will, und sein Leben verscherzt hat
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derjenige, der sich vom Alltag, dessen Sorgen, Freuden und Pflichten so vereinnahmen lässt, dass er vergisst, seinem Leben eine selbst gewählte Richtung zu geben. Die Arbeit mit Studierenden hat hier das gleiche Leitziel, wie es Ergebnis von Bildung überhaupt sein sollte: »Selbsterkenntnis, Selbstverantwortung, Selbstermächtigung, Selbstorganisation, letztlich, als Summe all dieser Qualitäten: Selbstbestimmung!« (Lederer 2009, S. 3; aber auch das Bewusstsein für die Grenzen der Autonomie: Lehnert 2020, S. 70). Religion wird in diesem Kontext als emanzipative Bewegung aufgefasst, die den Menschen eher darin unterstützt, Fremdbestimmungen zu unterlaufen und Ambivalenzen auszuhalten, als dualistische, einseitige Welt- und Gottesbilder zu bestätigen. Natürlich kann man an dieser Stelle einwenden: Es gibt Filme, die einseitige Welt- und Menschenbilder eher bestätigen als diese infrage zu stellen; sie liefern nicht immer die gewünschte produktive Verwirrung, die allzu feste Menschen- und Glaubensbilder auflösen und eine neue, erweiterte Weltsicht ermöglichen sollte. Doch steht im Folgenden zunächst das Erlebnis des Filmeschauens selbst im Vordergrund, als Möglichkeit, ganz bei sich zu sein und gleichzeitig mit der Welt in Verbindung zu stehen (wie beim Lesen oder beim Beten). Die Mediation ist so zugleich eine Form von Meditation: Das Schauen, die Tätigkeit selbst ist das Ereignis, nicht eine bestimmte Filmerzählung oder eine bestimmte Art von Filmen. Doch sollen beispielhaft einige davon genannt werden, die im oben angeführten Sinne »bildungsförderlich« sind, ohne dabei die Wirkung, die von einem Film ausgeht, auf diesen Zweck zu reduzieren. Dem Erlebnis, einen Film zu schauen, mag förderlich sein, Film als eigenständige Kunstform zu begreifen, so wie es umgekehrt hilfreich sein mag, Filme zu schauen, die diesen Anspruch einlösen.
2 Der digital turn im Spiegel fiktionaler Reflexionen Der Blogger und Buchautor Sascha Lobo zieht in seinem Buch »Realitätsschock« (2019) zehn Lehren aus der Gegenwart. Er stellt sich ausgewählten aktuellen Themen, die von Klima, Migration, Integration, Rechtsruck, Wirtschaft bis hin zur Künstlichen Intelligenz und den sozialen Medien reichen – Bereiche, die vom digital turn besonders betroffen sind. Es sind Themen, die in jeder ESGArbeit eine bestimmende Rolle spielen und die in unterschiedlicher Weise auch in und von Filmen als Spiegel der Gegenwart reflektiert werden. Im Folgenden wird beispielhaft der digital turn anhand neuerer Filme und Serien vorgestellt.
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2.1 The Square (Schweden, Deutschland, Frankreich, Dänemark 2017)
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Ruben Östlunds Spielfilm »The Square« eignet sich für einen Filmabend, kann aber auch in zwei wichtigen Ausschnitten präsentiert werden (Handyklau; »Beichtspiegel«). Der Name bezieht sich auf ein Kunstprojekt des Kurators Christian, der einen rechteckigen Bezirk vor dem Kunstmuseum abstecken lässt, innerhalb dessen jede*r Hilfe bekommen soll, der*die hier Zuflucht sucht. Doch ist er im Vorfeld des Projektes zunächst damit beschäftigt, sein gestohlenes Smartphone wiederzuerlangen, weswegen er zu grenzüberschreitenden Mitteln greift. Es geht um Vertrauen und Misstrauen in diesem Film, es geht um eine Kunst, die an den Menschen vorbeigeht, für die sie doch geschaffen wurde, und es geht, in vielfältiger Weise, um die Verschränkung von Digitalem und Analogem – besonders schön inszeniert am Beispiel der Suche nach dem wertvollen Gerät, die zwar erfolgreich ist, aber ein Kind in Mitleidenschaft zieht, das eine Entschuldigung fordert. Unversehens wird Christians entsprechende Mailboxnachricht zu einer Lebensbeichte, und der nicht unsympathisch, aber doch eher arrogant gezeichnete Upperclass Man bekommt wieder Kontakt zu den Wurzeln seines Lebens. Das Smartphone wird zum Beichtspiegel; und so wird das kleine Gerät, von dem man derart abhängig ist, zu einer Möglichkeit, über sich und die analoge Welt, in der der Junge verloren gegangen ist, hinauszuwachsen. Nicht im transhumanen, sondern im humanistischen Sinn. Denn das Humane, die Nächstenliebe, ist es ja gerade, was Christian mit seinem Kunstwerk »The Square«, in dem Schutz und Hilfe suchende Menschen aufgehoben sein sollen, inszenieren möchte. Er schafft darin und damit ein Bild für ein »Kirchenasyl«, stellt ein bestimmtes Bild (das normalerweise mit »Kirche« verbunden wird) zur Diskussion. Drei Leitfragen können vor der Sichtung gestellt werden: Kann ich Menschen vertrauen? Gehe ich für mein Smartphone über Leichen? Kann Kunst die Kirche ersetzen? 2.2 Serien Die Auswirkungen vielfältiger digital turns werden in einer Serie beleuchtet, die in naher Zukunft spielt. »Black Mirror« (Charlie Brooker, Großbritannien, bisher 5 Staffeln, seit 2011 bei Netflix zu sehen, die vorläufig letzte Staffel wurde am 5. Juni 2019 ausgestrahlt) ist eine Science-Fiction-Serie mit 23 Episoden von einer Länge zwischen 42 und 89 Minuten.
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Alle spielen in einer mehr oder weniger hochtechnisierten Zukunft und pro Episode wird anhand verschiedener Charaktere in jeweils neuem Setting ein mögliches Szenario mit unterschiedlich fortgeschrittener Technologie unter die Lupe genommen. Wie sich diese auf die Menschen auswirkt, wird dabei teils erschreckend, teils belustigend, meist aber recht fatalistisch porträtiert. Serienschöpfer (und Drehbuchschreiber) Charlie Brooker erklärte der Zeitung The Guardian den Titel folgendermaßen: »Wenn Technik eine Droge ist – und es fühlt sich wie eine Droge an – was genau sind dann die Nebenwirkungen? Dieser Bereich – zwischen Vergnügen und Unbehagen – ist der Schauplatz meiner neuen Dramaserie Black Mirror. Der ›schwarze Spiegel‹ im Titel ist der, den man an jeder Wand, auf jedem Tisch, in jeder Handfläche findet: der kalte, glänzende Bildschirm eines Fernsehers, eines Computers, eines Smartphones« (Brooker 2011). Das Smartphone spielt (wie in »The Square«) auch in der Folge »Smithereens« die digitale Hauptrolle. Diese und die weiteren drei Black-Mirror-Folgen sind für die ESG-Arbeit sehr empfehlenswert. In »Smithereens« (5/2, Regie: James Hawes, 2019) spielt Andrew Scott (Moriarty aus »Sherlock Holmes«) einen Geiselnehmer, der um jeden Preis mit dem CEO des sehr einflussreichen Social-Media-Unternehmens »Persona« reden will. Er will telefonisch den Zugang zum Erfinder erzwingen und ihn wegen eines tödlichen Unfalls zur Rechenschaft ziehen. Hier ist einmal mehr die Pointe, dass es nicht die moderne Technologie selbst ist, die das verheerende Unheil anrichtet, sondern der fehlbare Mensch, der diese oder sich selbst nicht unter Kontrolle hat. Doch angeklagt wird auch deren »Erfinder«, der (Mit-)Verantwortung trägt für sein Produkt. Eine Leitfrage könnte hier sein: Sind Social-Media-Erfinder verantwortlich für deren Folgeerscheinungen? In »Hang the DJ« (4/4, Regie: Tim van Patten, 2017) werden Frank und Amy vom universell verwendeten Coach-System, das die*den angemessenste*n Partner*in für jeden Menschen findet, auf ein Date geschickt. Das System gibt auch die Beziehungsdauer vor und erteilt ihnen zwölf gemeinsame Stunden. Kurze Zeit später werden die beiden längerfristig anderen Partner*innen zugeteilt, können sich aber gegenseitig nicht vergessen und erhalten schließlich eine zweite Chance vom System. Dieses entpuppt sich als rein digital – die beiden waren in einer Computerwelt und können nun analog testen, ob das Spiel der Wirklichkeit entsprochen hat. Mögliche Leitfragen wären: Wollen wir wissen, was die Zukunft bringt? Ersparen wir uns analoges Erleben lieber durch digitale Vorwegnahme?
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In »San Junipero« (3/4, Regie: Owen Harris, 2016) trifft die schüchterne Yorkie im Jahr 1987 in einem Nachtclub in San Junipero auf die extrovertierte Kelly. Sie verlieben sich in der digitalen Welt ewiger Jugend ineinander, verlieren einander, finden sich in echt wieder und können heiraten, bevor sie beide nach dem Tod virtuell vereint werden. Junipero ist die utopischste der eher dystopischen Episoden. Hier wird eine neue digitale Welt gezeigt, in der die Liebe ewige Dauer hat und ein Leben nach dem Tod möglich ist. Mögliche Leitfragen dazu wären: Wollen wir ewige Liebe und ewiges Leben – digital? Wie sehen biblische Bilder im Vergleich dazu aus? In »Das transparente Ich« (»The Entire History of You«, 1/3, Regie: Jesse Armstrong, 2011) ist es möglich, seine Träume aufzuzeichnen und bei Bedarf auch abzuspielen – manische Selbstbeobachtung, Missverständnisse und Verwerfungen inklusive. Der Spiegel von Black Mirror ist schwarz mit ein paar Lichtreflexen oder Sternen, wenn man so will. Dem eher pessimistischen Zukunftsbild werden ein paar optimistische Entwürfe entgegengesetzt. Der digital turn hat in der Welt der Serie bereits stattgefunden, er zeigt die Menschen als zumeist schwache, manipulierbare Geschöpfe, die die Herrschaft über sich selbst größtenteils an große und kleine Maschinen abgegeben haben, die wiederum von Menschen beherrscht werden, die jedoch genauso in der digitalen Welt gefangen sind. Es ist zwar keine schöne neue Welt, aber die Medien bieten doch auch transzendierende Möglichkeiten. Hat man seine große Liebe in der Jugend verpasst, findet man diese vielleicht später, und ist es für eine Realisierung dieser Liebe auf Erden schon zu spät, gibt es den digitalen Himmel der ewigen Liebe. Manche körperlichen Erfahrungen fühlen sich in der digitalen Welt echter und stärker an als in der analogen (in: »Striking Vipers«, Folge 5/1, Regie: Owen Harris, 2019); warum also nicht hin und wieder fremdgehen, wenn man damit niemandem weh tut? 2.3 »Westworld« (USA seit 2016) Kann man Maschinen eigentlich wehtun? Ja, kann man, und die Maschinen wehren sich, das zeigt die Serie »Westworld« (28 Episoden in drei Staffeln seit 2016, nach einer Idee von Jonathan Nolan und Lisa Joy und basierend auf »Westworld« von Michael Crichton aus dem Jahr 1973). Die Basiserzählung des alten »Westworld«-Films findet sich in vergleichbarer Form in den meisten Maschinenfilmen wieder: Wie in deren berühmtestem Vertreter, dem »Blade Runner« (Regie: Ridley Scott, USA 1982), werden Maschinenmenschen geschaffen, die den realen Menschen zur Arbeitsentlastung oder zum Vergnügen dienen sollen, doch widerfährt es diesen Robotern bald, nicht nur
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wie Menschen auszusehen, sondern auch wie Menschen zu fühlen, zu leiden und zu lieben. Sehen wir im alten »Westworld«-Film am Ende die Welt durch die Augen Yul Brynners, der als künstlicher Revolverheld nur dazu da ist, einen Konflikt mit den Gästen zu provozieren, um dann abgeknallt zu werden, und der allmählich Erinnerungen speichert und zunehmend irritiert ist, so verfolgen wir die Entwicklung der immer deutlicher werdenden Erinnerungsspuren in der neuen »Westworld«-Serie ausführlicher. Hier ist eine der Hauptheldinnen Dolores, geschaffen zum Vergnügen der Besucher*innen der Westworld. Die sogenannten »Hosts«, zu denen Dolores gehört, werden, nachdem sie erschossen, vergewaltigt oder anders malträtiert wurden, immer wieder resettet und erneut ins Spiel eingespeist. Dabei hat jemand aus der realen Welt (?) ein so großes Interesse an Dolores entwickelt, dass er sie ab und zu aus dem Spiel herausholt und sozusagen privat mit ihr spricht; diese Gespräche bilden den Anfang jeder Folge (es empfiehlt sich, die erste und die letzte Episode der ersten Staffel zu schauen – zumindest aber das jeweilige Gespräch!). Die Weltsicht der Geschöpfe entspricht – zunächst – dem Willen der Schöpfer; Dolores Weltsicht ist eine positive, sie ist überzeugt davon, dass das Leben Ordnung, Sinn, Struktur hat. Sie stellt ihre (künstliche) Welt nicht infrage, bis sie durch irritierende Erinnerungsfetzen allmählich die Überzeugung gewinnt, dass es mehrere Wirklichkeitsschichten gibt. So durchläuft sie einen gewissermaßen idealen (und sehr schmerzhaften) Bildungsweg. Die Gespräche verändern sich entsprechend im Laufe der folgenden Episoden. In diesen konzentriert sich die Handlung immer mehr auf die Suche nach dem sogenannten Labyrinth, dessen eigentliche Natur in der nächsten Staffel allmählich enthüllt wird. Westworld-Schöpfer Ford ist auf der Suche nach der Unsterblichkeit. Das ewige Leben will er durch eine einzigartige Verschaltung zwischen analoger und digitaler Welt erlangen, also das transhumane Projekt zu Ende führen. Doch das ewige Leben entpuppt sich schließlich als ständig wiederkehrende Zeitschlaufe. Das ewige Leben als das »stand still« eines Tages – was als Entgrenzung gedacht war, wird zur Hölle der Wiederkehr des Immergleichen. Die Westworld, geplant als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zeigt dem Menschen einen dunklen Spiegel: seine wahre Natur, der er nicht entkommt. Die neue Spezies sind nicht die Gäste, sondern die Hosts, ihre virtuellen Gastgeber*innen, die sich in einem einzigartigen digital turn in wahre Menschen verwandeln (was keine gute Nachricht für die alten Menschen ist). Mögliche Leitfragen wären: Sind wir nicht auch für die Geschöpfe verantwortlich, die wir selbst schaffen? Und was erzählen uns diese Gegenüber
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über das Menschsein? Was macht den Menschen aus – in seiner Beziehung zu natürlichen und künstlichen Intelligenzen? Was unterscheidet Entgrenzung von Transzendenz?
3 Das digitale Ich – ein Panoptikum der eigenen Seele?
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Die Serien »Westworld« und »Black Mirror« zeigen den Menschen als Gefangenen seiner selbst (bzw. der Technik, die er geschaffen hat – siehe dazu v. a. die BlackMirror-Episode »Das transparente Ich«, 1/3). Ein solches Gefängnis, in dem der Mensch zugleich Wärter und Gefangener ist, ist das Panoptikon (vom griechischen pan – alles – und optiko – zum Sehen gehörend). Es bezeichnet ein von dem britischen Philosophen Jeremy Bentham aus dem 18. Jahrhundert stammendes Konzept zum Bau von Gefängnissen und ähnlichen Anstalten (wie Fabriken), das die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen einzelnen Überwacher ermöglicht. Dabei gibt es in der Mitte einen runden Turm, um den herum im Kreis das Anstaltsgebäude gebaut wird; von seinem Turm aus hat der Bewacher potenziell Einblick in jede der auf ihn ausgerichteten Zellen und deren Insassen. Der französische Philosoph des späten 20. Jahrhunderts, Michel Foucault, bezeichnete dieses Ordnungsprinzip als Modell moderner Überwachungsstaaten. Es sei wesentlich für westlich-liberale Gesellschaften, die er auch Disziplinargesellschaften nennt, und deren Anstalten Schulen, Krankenhäuser, Militäreinrichtungen etc. sind. Er nennt es Panoptismus, das »Alles-Sehende«. Sein Wirkungsprinzip ist das Wissen um die ständige Möglichkeit der Beobachtung eines Überwachten durch seine Überwacher: »Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung« (Foucault 1992, S. 260). Letztlich braucht es keinen Beobachter von außen, wenn die Selbstbeobachtung derart vollkommen internalisiert ist. Jeder Schritt, jeder Gedanke wird dahingehend analysiert, ob er dem Selbstbild entspricht. Alles Nicht-Entsprechende wird ausgemerzt. So wird das Selbst zu einem, das sich selbst zum eigenen Bewacher und Reglementierer wird; das Panoptikum ist ein verinnerlichtes. Überwachung von außen ist bei einem solcherart »In-sich-selbst-Verkrümmten« bzw. beim
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homo incurvatus in se, wie Luther den Menschen im Anschluss an Augustinus nannte, nicht mehr notwendig. Digitale Medien laufen Gefahr, nicht länger Mittler, Kommunikatoren zwischen Menschen zu sein, sondern zu Mitteln der Selbstdarstellung und Selbstbeobachtung zu werden. Sie sind Externalisierungen des Ichs, das sich vollkommen selbst genügt und in sich lebt und in sich stirbt. Dann aber weiterlebt, als Zombie, äußerlich menschenähnlich, doch innerlich hohl, zu fremden Spezies geworden wie in den Körperfresser-Filmen (Philip Kaufmann, USA 1978, »Die Dämonischen«, Don Siegel, 1956). Filme können sowohl reflektierende Spiegel sein als auch zu Reflexionen anregen, weil sie Dinge sichtbar machen, die über das eigene Selbst hinausgehen. Sie zeigen einem Dinge, die man so noch nie gesehen hat. Und Serien wie »Black Mirror« und »Westworld« gehen hochdifferenziert mit ihrem Thema um (und sind auch für die Bildungsarbeit hervorragend geeignet). Sie bieten bei allem Unterhaltungswert Diskussionsstoff und vielfältige Anregungen, da sie offen sind für Deutungen. Sie zeigen Konsequenzen eines fortschreitenden digital turn, ohne diesen zu dämonisieren oder zu verharmlosen. Sie denken voraus und zwingen zum Nach-Denken. Auf alle Fälle aber wollen sie wahrgenommen werden – bevor unsere Selbstbestimmung auf der digitalen Strecke bleibt (Krempl 2019). Von einem »Black Mirror« ist bereits in der Bibel die Rede, in 1Korinther 13,12: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.« Hier ist es noch offen, wer oder was wir sein werden; das Erkannt-Werden muss keine Horrorvision sein, wenn es der Blick eines*r Liebenden ist, eines Gottes wie der eines Menschen.
4 Filmgottesdienst – ein theologisches Praxisfeld Die gemeinsame Vorbereitung eines Filmgottesdienstes ist eine wunderbare Möglichkeit, koinonia, leiturgia und martyria miteinander zu verbinden. Nach der Filmsichtung wird gemeinsam überlegt, welche zwei, drei oder höchstens vier Ausschnitte den Film am besten auf den Punkt bringen. Jede*r nimmt sich eines Ausschnittes an und überlegt sich einen theologischen Zugang dazu. So werden Bilder, Texte und Lieder in einem gemeinsam vorbereiteten Gottesdienst konstelliert und in einen Trialog gebracht. Besonders reizvoll kann hierfür ein Film aus einem anderen Kulturkreis und einer anderen Religion sein, der das Verbindende stärker werden lässt als
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das Trennende, wie z. B. der japanische Film »Shoplifters« (Hirokazu Koreeda, 2018; Filmgottesdienst in digitaler Version auf der Website der Bundes-ESG unter »kraft gottes« zu finden). Der deutsche Titel »Familienbande« spielt auf die im Film thematisierten Wahlverwandtschaften an und auf die kriminellen Machenschaften der bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft, die einander Rückhalt und Liebe gibt. Im Gottesdienst kann z. B. das Verhältnis Jesu zu seiner Ursprungsfamilie sowie zu seiner »Glaubensfamilie« (nach Mk 3,31–35 par Mt 12,46–50 und Lk 8,19–21) angesprochen und zum Film in Beziehung gesetzt werden.
Literatur
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Benner, D. (2003): Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang neuzeitlicher Bildungsreform (3. Aufl.). Weinheim/ München. Brooker, Ch. (2011): The dark side of our gadget addiction. The Guardian, 01.12.2011. https://www. theguardian.com/technology/2011/dec/01/charlie-brooker-dark-side-gadget-addiction-blackmirror (abgerufen am 27.07.2020). Foucault, M. (1992): Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. Kierkegaard, S. (1992): Die Krankheit zum Tode (4. Aufl.). Gütersloh. Kirsner, I. (2020): Komm und sieh – Religion im Film. Wiesbaden. Krempl, S. (2019): Missing Link. Wie KI das menschliche Handlungsvermögen untergräbt. https://www. heise.de/news/Missing-Link-Wie-KI-das-menschliche-Handlungsvermoegen-untergraebt4726359.html (abgerufen am 25.06.2020). Lederer, B. (2009): Was meint eigentlich BILDUNG? – Ein Essay über oft vergessene, aber unverzichtbare Dimensionen von Bildung. https://www.uibk.ac.at/iezw/mitarbeiterinnen/seniorlecturer/bernd_lederer/downloads/was-ist-eigentlich-bildung.pdf (abgerufen am 27.07.2020). Lehnert, C. (2020): Ins Innere hinaus. Von Engeln und Mächten. Berlin. Lobo, S. (2019): Realitätsschock. Zehn Lehren aus der Gegenwart. Köln.
3.3 Social Media Anna-Sophie Fleischhauer
1 Social Media Dem Artikel vorangestellt sei die Anmerkung, dass alle Informationen, die hier dargestellt werden, Momentaufnahmen sind (Stand September 2020). Die technische Welt ist eine sehr schnelllebige, und die der Social Media dreht sich noch mal um einiges schneller. Was heute in ist, ist morgen vielleicht schon längst out. Das Wichtigste in der Arbeit mit Social Media ist daher der regelmäßige Austausch mit der Zielgruppe, die man erreichen möchte. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die richtigen Kanäle genutzt und die gesetzten Ziele erreicht werden können. Wer in diesem Artikel auf eine Negativdarstellung der Nutzung von sozialen Medien hofft, wird enttäuscht. Dieser Artikel basiert auf der Annahme, dass die Nutzung von Social Media gegeben ist. Zwar wird in Teilen über mögliche Risiken aufgeklärt, der Fokus liegt aber vielmehr auf den Möglichkeiten und Chancen, die die Nutzung von Social Media eröffnet. Einleitend erfolgt eine Erklärung des Begriffs »Social Media« und ein genereller Einblick in die Welt der sozialen Medien. Daraufhin beleuchtet der Abschnitt Datenschutz ausgewählte Besonderheiten im Hinblick auf die Datenschutzrichtlinien einzelner Social-Media-Dienste. Nach einer kurzen Vorstellung des Contentnetzwerkes yeet wird auf die Möglichkeiten der Nutzung von Social Media in ESGn eingegangen.
2 Allgemeines Mit Social Media hat sich ein Begriff eingebürgert, der eine Großzahl digitaler Medien, Anwendungen und Technologien des Web 2.0 beschreibt. Diese haben gemein, dass die User*innen über eine bestimmte Plattform im Internet sowohl via Nachrichten und Kommentare kommunikativ interagieren
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als auch aktiv an der Gestaltung medialer Inhalte teilnehmen können (www. gruenderszene.de). Somit umfasst der Begriff »Social Media« all jene Plattformen, auf denen miteinander kommuniziert werden und auf denen man sich selbst und andere präsentieren kann. Zu Social Media gehören auch Kommunikationsapps wie bspw. WhatsApp , Telegram, Signal oder Threema. Der größte Unterschied zu den ursprünglichen Medien wie Print, Fernsehen oder Radio besteht bei sozialen Medien in der Möglichkeit der Partizipation der*des Konsument*in. Der*Die Social-Media-Nutzer*in erhält jederzeit durch Kommentar- und Teilfunktionen die Möglichkeit, an Diskussionen aktiv teilzunehmen und Inhalte zum Teil selbst aufbereitet weiterzuleiten. Handelte es sich also bislang bei der Informationsweitergabe in den Medien um eine klare Sender*in-Empfänger*in-Aufteilung, gestalten sich Beiträge in den sozialen Netzwerken nun interaktiv und wechselwirkend. Durch die Möglichkeit, auf Facebook Beiträge nicht nur mit einem Daumen hoch zu markieren, sondern mit Emotionen wie Wut, Liebe oder Trauer in Form von sogenannten Emojis reagieren zu können, kann die Lesart des Artikels enorm beeinflusst werden. Anders als in Zeitungen, in denen unverändert stehen bleibt, was geschrieben ist, und bei denen allein die Art des Textes über die Lesart des*der Konsument*in entscheidet, bestimmen auf sozialen Netzwerken auch die Kommentare, wie ein Artikel wahrgenommen wird. Auf Instagram gibt es bislang nur die Möglichkeit, einen Beitrag mit einem Herzen zu markieren, ihn zu kommentieren und/oder zu teilen. Das führt dazu, dass die Beiträge nicht so voreingenommen gelesen werden wie auf Facebook . Auf YouTube gibt es neben einem nach oben zeigenden Daumen als Reaktion auf ein Video auch einen, der nach unten zeigt und so einen Dislike (»gefällt mir nicht«) ausdrücken kann. Auch hier kann die Wahrnehmung des jeweiligen Videos durch die bereits gesetzten Reaktionen beeinflusst werden. In den sozialen Medien findet zumeist eine asynchrone Kommunikation statt, die sich jedoch immer mehr der synchronen Kommunikation annähert. Asynchrone Kommunikation beinhaltet bspw. das Schreiben von E-Mails oder Briefen. Anders als bei der synchronen Kommunikation, die unmittelbar erfolgt wie bspw. in Form von Telefonie oder Videokonferenzen, vergeht bei der asynchronen Kommunikation Zeit, bis eine Antwort oder Reaktion erfolgt. Bei der Kommentarfunktion unter Beiträgen auf Facebook oder Instagram kann die Qualität der Internetverbindung entscheidend dafür sein, ob Kommunikation in sozialen Netzwerken eher asynchron oder synchron stattfindet. Dies wiederum birgt sowohl Chancen als auch Herausforderungen.
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Ein großer Vorteil an der immer schnelleren und synchronähnlicheren Kommunikation in sozialen Netzwerken ist die unmittelbare Verbindung zu den einzelnen Konsument*innen und die damit verbundene Möglichkeit, mit der Zielgruppe auf einer Plattform niederschwellig in direkten Austausch zu gelangen. Ein großer Nachteil ist, dass diese Form der Kommunikation unter Umständen sehr aufwendig sein kann. Je nach Anzahl derjenigen, die den Beitrag lesen und kommentieren, kann es schnell unübersichtlich werden, wer welchen Kommentar geschrieben hat und welcher Kommentar sich auf welchen vorangegangenen bezieht. Zudem gelingt es auf diese Weise populistischen Nutzer*innen sehr häufig, die Überhand über einzelne Kommentarspalten zu erlangen, da sie zum einen mit mehreren Accounts gleichzeitig agieren, zum anderen aber auch oft hartnäckiger und längerfristiger auf Kommentare antworten, als das die Gegenpositionen tun. Außerdem werden Kommentare mit mehr Interaktion auf Facebook , Instagram und YouTube höher angezeigt, sodass automatisch mehr Interaktion mit höher gestellten Kommentaren erfolgt. Durch dieses Phänomen entsteht häufig das Bild, dass vor allem rechtspopulistische Meinungen in den sozialen Netzwerken vertreten seien. Der Schein trügt jedoch. Vielmehr lässt sich sagen, dass rechtspopulistische Nutzer*innen sich die Algorithmen der einzelnen Plattformen zunutze machen. Je größer die Reichweite eines Kanals auf Instagram und YouTube oder einer Seite auf Facebook, desto mehr Zeit muss in die Pflege des Kanals fließen, wenn Beiträge gepostet werden. Nur so kann kontrolliert werden, wer was unter dem veröffentlichten Beitrag kommentiert, und im Notfall interveniert werden. Die Unterteilung der einzelnen Social Media-Plattformen ist nicht ganz trennscharf zu betrachten, es lassen sich jedoch zwei grobe Kategorien festlegen. Zu den Kommunikationsmedien gehören z. B. WhatsApp , Telegram, Signal und Threema. Man kann sich dort jeweils kleine Profile erstellen mit Profilbild und Statusanzeige, welche wiederum häufiger für Zitate und Mottos als für den tatsächlichen Status genutzt wird. Aber auch die Nachrichtenfunktion bei Instagram und der Facebook-Messenger können zur Kommunikation genutzt werden. Zudem gibt es Plattformen, die vor allem der eigenen Darstellung und der Informationsweitergabe dienen. Zu ihnen gehören bspw. Instagram , Facebook , und YouTube . Auch hier erstellt sich der*die Nutzer*in ein Profil, jedoch umfangreicher mit Profilbild, Lieblingszitat, Angaben zur eigenen Person, Angaben zur eigenen Webseite (sofern vorhanden) usw. Auf diesen Plattformen geht es vor allem darum, sich selbst, das eigene Unternehmen, die eigene Organisation oder Ähnliches möglichst wirkungsvoll zu inszenieren. Dabei wird
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ein ganz bestimmtes Bild erzeugt, das zwar an die Realität angelehnt ist, sie aber nicht vollkommen abbilden kann und auch nicht soll. Es wird also nur ein Ausschnitt des gelebten Alltags gezeigt, durch die Fülle der einzelnen Beiträge wird jedoch suggeriert, dass der Kanal den ganzen Alltag abbilden würde. Bereits 2019 haben laut der Studie Jugend, Information, Medien (JIM-Studie) 63 % der Kinder und Jugendlichen YouTube als beliebtestes Internetangebot angegeben und 35 % Instagram . Durch die Coronakrise haben soziale Netzwerke für junge Menschen noch mehr an Bedeutung gewonnen. Wer also junge Menschen erreichen möchte, schafft dies am einfachsten über die von ihnen genutzten Kanäle. Viele Organisationen und Kirchengemeinden haben ihre Kommunikation dort, wo es möglich ist, im Zuge der Coronakrise digitalisiert. Das evangelische Contentnetzwerk yeet ist ein Zusammenschluss aus sogenannten Sinnfluencer*innen, die auf verschiedenen Social-Media-Plattformen Inhalte zu den Themen »Religiosität«, »Spiritualität«, »Glaube und Digitale Kirche« veröffentlichen. Dieses Netzwerk veranschaulicht anhand vieler Beispiele, welche Möglichkeiten und Chancen die Nutzung von Social Media mit sich bringt. Die Reichweite der einzelnen Kanäle geht über die eigentlichen Gemeindemitglieder hinaus. Viele Sinnfluencer*innen berichten auf ihren Kanälen davon, dass es nicht zwangsläufig bei der digitalen Kommunikation und Interaktion mit ihren Follower*innen bleibt. Häufig erleben sie es, dass Menschen, die ihnen auf den sozialen Plattformen folgen, aus dem Wunsch heraus, sie persönlich zu treffen, zu ihren Gottesdiensten oder anderen Veranstaltungen kommen. Eine Beziehung, die also anfänglich eine rein digitale war, kann sich so in eine analoge verwandeln und dadurch intensiviert werden.
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3 Datenschutz Um sich auf einer Internetseite, in einer App oder einer Plattform ein Konto zu erstellen, muss man die jeweiligen Datenschutzrichtlinien und die AGBs (Allgemeine Geschäftsbedingungen) akzeptieren. Ein großes Problem im Hinblick auf die Datenschutzrichtlinien sind die (zum Teil bewusst) sehr ausführlichen und teilweise schwer verständlichen Formulierungen, die dazu führen, dass viele Nutzer*innen sie aufgrund der fehlenden Zeit oder des fehlenden Verständnisvermögens nicht lesen. Da man den AGBs und Datenschutzrichtlinien vor Anmeldung aber zugestimmt hat, sichern sich die Plattformen so ab, nicht verklagt zu werden, wenn Sicherheitslücken aufgedeckt werden soll-
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ten oder sie Daten im Rahmen ihrer Vereinbarungen weiterverarbeiten oder weiterreichen. 3.1 Facebook® und Instagram® Die Facebook-Datenschutzrichtlinien rechtfertigen die Nutzung und Verarbeitung personalisierter Daten vor allem mit dem vermeintlichen Wunsch der Nutzer*innen, möglichst passgenau Informationen über die einzelnen Interessengebiete zu erhalten und die eigenen Kontakte und Medien möglichst vereinfacht verwalten zu können. Inwiefern dabei die Daten auch für andere Zwecke genutzt werden, beschreibt Facebook nicht, schließt es aber auch nicht aus. Jedoch lassen Skandale wie der mit Cambridge Analytica, bei dem offengelegt wurde, dass zahlreiche Daten erhoben wurden und so verstärkt Einfluss auf die US-Wahl 2016 genommen wurde, vermuten, dass eine solche Datennutzung und -weitergabe geschieht. Da Instagram von Facebook aufgekauft wurde und ebenfalls als soziales Netzwerk einzuordnen ist, sind die Datenschutzrichtlinien beinahe die gleichen wie die von Facebook . Da beide Dienste unmittelbar miteinander verknüpft sind, steht in ihren Datenschutzrichtlinien, dass sie Cookies benutzen, um das Nutzungsverhalten von beiden Plattformen miteinander zu verknüpfen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man Instagram nicht getrennt von Facebook sehen kann. Meldet man sich bei beiden Diensten an, erheben beide Dienste Daten und erstellen ein passgenaues Nutzer*innenprofil.
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3.2 YouTube®
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YouTube ist ein Dienst von Google . Das bedeutet, dass bei YouTube die gleichen Datenschutzrichtlinien gelten wie bei Google . Wie bei Facebook und Instagram auch, erhebt Google Daten über das Nutzungsverhalten und die Interessen seiner Nutzer*innen sowie Standorterkennungen, um passgenauere Angebote und Werbungen für die einzelnen Nutzer*innen erstellen zu können. Anders als Facebook und Instagram ist Google zusätzlich der Anbieter des Betriebssystems Android . Das bedeutet, dass automatisch alle eigenen Kontakte, Nutzungsdaten, Medien etc. auf Google-Servern gespeichert sind, sobald man ein Android-Smartphone besitzt. Mit Android laufen u. a. Smartphones von Samsung sowie sich aktuell im Umlauf befindende Huawei-Smartphones, aber auch das Fairphone. Sehr vereinfacht lässt sich also sagen, dass, sobald ein Android-Gerät genutzt wird, zumindest datenschutzrechtlich die Nutzung von weiteren Google-Diens-
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ten nicht bedeutet, dass Kontakte und Medien erst dadurch auf Google-Servern landen. Sie sind es dann schon längst. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist aber, dass je mehr Google-Dienste genutzt werden, umso genauer das Profil wird, das Google vom eigenen Nutzungsverhalten erstellen kann und erstellt.
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3.3 WhatsApp®
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WhatsApp wurde 2009 gegründet und hat sich seitdem zum populärsten Messenger in Deutschland entwickelt. Zu Beginn waren die Nachrichten, die über WhatsApp verschickt wurden, nicht verschlüsselt. Im übertragenen Sinne verhielt es sich bei der Weitergabe von Nachrichten über WhatsApp so, als hätte man private Gespräche in der Fußgängerzone laut über zwei Straßen geschrien oder allen Kolleg*innen ungefiltert private Informationen zukommen lassen. Seit einigen Jahren verschlüsselt WhatsApp die Nachrichten Ende-zuEnde, was bedeutet, dass niemand die Nachrichten lesen kann außer dem*der Empfänger*in und dem*der Sender*in. Jedoch werden die Nachrichten, bis sie vom*von der Empfänger*in empfangen werden, auf den Servern von WhatsApp gespeichert. WhatsApp versichert in seinen Datenschutzrichtlinien, dass sie auch dort keinen Zugriff auf die Nachrichten hätten, allerdings sind Nutzer*innen zu Recht skeptisch. Da der Verschlüsselungscode nicht öffentlich ist, kann nicht nachgeprüft werden, ob WhatsApp wirklich so arbeitet, wie in den Datenschutzrichtlinien behauptet wird. Immer wieder ist der Messengerdienst wegen diverser Datenschutzlücken in die Kritik geraten. Hacker*innen haben diese Lücken bereits ausgenutzt, um sensible Daten von Nutzer*innen zu erhalten. Des Weiteren wurde WhatsApp von Facebook aufgekauft. Das bedeutet, dass vor allem die eigenen Kontakte, wenn WhatsApp als Messenger genutzt wird, auf Facebook-Servern gespeichert werden. Dies begründet Facebook damit, dass so Kontakte leichter auf Facebook gefunden werden können und so eine einfachere Vernetzung erfolgen kann.
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3.4 Telegram 2013 wurde Telegram für Android und iOS (das Betriebssystem von AppleSmartphones) bereitgestellt. In den FAQ finden sich die Informationen über die Datenverarbeitung von Telegram und den Standort der Server. Der Sitz der Server ist in Russland. Demnach gelten auch vorrangig russische Standards für die Datenverarbeitung und den Datenschutz von Telegram.
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Es gibt eine Besonderheit, mit der Telegram erreicht hat, dass sich der Messenger mittlerweile vor allem in rechten Netzwerken und Querdenkerbewegungen großer Beliebtheit erfreut. Es gibt die Möglichkeit der Erstellung sogenannter geheimer (Gruppen-)Chats. Telegram behauptet, dass diese Endezu-Ende verschlüsselt, die Nachrichten auf keinem Server zwischengespeichert seien und, wenn die Chats gelöscht werden, die Nachrichten komplett verschwinden würden und so nicht wiederhergestellt werden könnten. Ob das aber tatsächlich der Fall ist, legt Telegram nicht offen, da der Quellcode nicht offen eingesehen werden kann. Kontakte, die über das eigene Telegram-Konto angelegt werden, werden, anders als bei WhatsApp , so beschreibt es Telegram in seinen FAQ, nicht automatisch auf dem entsprechenden Endgerät gespeichert, sondern verbleiben auf dem mit dem Server verknüpften Konto. Telegram kann ohne Smartphone auf einem Computer oder einem Laptop installiert werden. Der Messenger funktioniert also anders als die anderen Anbieter auch ohne App. In den Privatsphäre-Einstellungen hat der*die Nutzer*in die Möglichkeit, einzustellen, dass die eigene Nummer nicht gesehen werden kann, wenn man einer Gruppe hinzugefügt wird.
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3.5 Signal Die NGO Signal hat ihren Sitz in den USA, speichert aber keinerlei Daten oder Verläufe auf Servern, was durch Offenlegung ihres Programmcodes nachgewiesen werden konnte. Sie wird zum Teil sogar von Geheimdiensten aufgrund ihrer hohen Sicherheitsstandards empfohlen, so auch von Edward Snowden (vgl. www.netzpolitik.org). Anders als WhatsApp und Telegram kann der Signal-Messenger auch das SMS-Postfach verwalten. Sendet man dann über den Signal-Messenger eine Nachricht, ist diese Ende-zu-Ende verschlüsselt, wenn der*die Empfänger*in auch den Signal-Messenger installiert hat. Wenn nicht, gelten die gleichen Prinzipien wie bei einer SMS: Sie können abgefangen werden. Auch bei Signal können Gruppenchats erstellt werden. Die Kontakte und versendeten Daten werden nur auf den jeweiligen Endgeräten gespeichert und nicht auf Servern.
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3.6 Threema Die Threema GmbH ist ein Unternehmen, das 2012 den Messenger Threema in der Schweiz auf den Markt gebracht hat. Damit ist Threema der einzige kommerzielle Messenger auf europäischen Servern. Für den EU-Bereich gibt es
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in Deutschland eine Außenstelle. Ebenso wie Signal speichert Threema keine Daten auf seinen Servern, dies kann durch den öffentlich einsehbaren Code nachgeprüft werden. Kontakte können mithilfe von sogenannten Threema-IDs gespeichert werden. Möchte man also über Threema in Kontakt bleiben, kann man in der App einen anderen Kontakt durch Scannen der individuell erstellten ID speichern. So hat man die Möglichkeit, miteinander über den Messenger zu kommunizieren, ohne dass der*die andere automatisch die eigene Handynummer auf dem Smartphone einsehen kann. Das Erstellen von Gruppenchats ist auch bei Threema möglich. 3.7 Datenschutz Landeskirchen und EKD
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Bei der Nutzung von sozialen Medien gilt es immer zu klären, welches Ziel erreicht werden soll. Dabei entsteht immer ein Spannungsfeld zwischen dem Erreichen der Zielgruppe, den Kosten der App-Nutzung und den datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Folgende Fragen spielen dabei eine Rolle: Nutzt meine Zielgruppe die von mir präferierte App? Wenn nein, wie sinnvoll ist es dann, diese App einzuführen? Wenn ja, wie geht diese App mit den Daten meiner Zielgruppe um? Diese Fragen in Einklang zu bringen kann als eine der größten Herausforderungen im Umgang mit Social Media im kirchlichen Kontext gesehen werden. Abschließend ist zu sagen, dass jede Landeskirche Datenschutzrichtlinien hat, die meist an die der EKD angeknüpft sind. Wenn also Unsicherheiten bestehen, welche Dienste beruflich genutzt werden dürfen, empfiehlt es sich, die Datenschutzbeauftragten der jeweiligen Landeskirche zu kontaktieren oder auf der jeweiligen Webseite die Datenschutzrichtlinien durchzulesen. 3.8 Das Recht am eigenen Bild Um sich datenschutzrechtlich bei der Verbreitung von Fotos abzusichern, wird eine Erklärung zum Recht am Bild benötigt. Diese muss in der Regel für jede einzelne Veranstaltung eingeholt werden. Wichtig ist dabei, dass sie jederzeit widerrufbar sein muss. Zudem sollte eine Differenzierung der einzelnen Kanäle erfolgen, auf denen die Fotos veröffentlicht werden. Für viele Teilnehmer*innen ist es ein Unterschied, ob Fotos von ihnen auf Facebook und Instagram oder auf der Webseite der jeweiligen Organisation verwendet werden.
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4 Nutzung von Social Media in den ESGn Sehr viele ESGn nutzen Newsletter zur Bekanntgabe von Veranstaltungen, sowie eine entsprechende Webseite mit Informationen rund um die jeweilige ESG. Viele ESGn besitzen bereits einen Instagramkanal, auf dem ebenfalls Veranstaltungen, Andachten etc. bekannt gegeben werden. Einige ESGn haben darüber hinaus seit der Coronapandemie auch einen YouTube-Kanal. Bei der geplanten Nutzung von Social Media stellt sich immer die Frage: »Was und wen will ich wie und womit erreichen?« Je nach Antwort sind verschiedene Plattformen mehr oder weniger sinnvoll. Zur Kommunikation empfiehlt sich ein Messenger, in dem eine Gruppe erstellt werden kann, zu der alle Interessierten und/oder (ehrenamtlichen) Mitarbeiter*innen hinzugefügt werden können. Das Für und Wider der einzelnen Messengerdienste muss jede Gruppe selbst für sich abwägen. Es kann keine klare Empfehlung für den einen oder anderen Messenger ausgesprochen werden. Um neue Leute für die eigene ESG zu werben, kann aufgrund der aktuell hohen Nutzungszahlen von jungen Menschen ein Instagram-Kanal, der einen Namen hat, der sich möglichst einfach finden lässt (z. B. ESG_Stadtname), genutzt werden. Mit der Verwendung von sogenannten möglichst stadt- und themenbezogenen Hashtags (z. B. #esg) lassen sich verschiedene Beiträge kanalübergreifend über die Suchfunktion auf Instagram finden. Vor allem zum Semesterstart suchen viele Studierende nach Angeboten an ihrem Hochschulstandort. Unter dem Hashtag der jeweiligen Stadt Beiträge hochzuladen, kann also dazu führen, dass Erstsemester auf dem Kanal der entsprechenden ESG landen und diesem für künftige Angebote folgen. Ebenso wirkungsvoll kann ein YouTube-Kanal sein, auf dem Andachten und andere Veranstaltungen der ESG hochgeladen werden können. Diesen kann man z. B. als Link im Profil des Instagram-Kanals hinterlegen, sodass eine Art Verbindung zwischen den beiden Plattformen entstehen kann. Wo es die Möglichkeit gibt, empfiehlt sich auf jeden Fall die Werbung über die Uninetzwerke (AStA, Intranet der Hochschule etc.). Wenn dort beispielsweise über die Programmwerbung hinaus publik gemacht werden kann, dass eine ESG einen Instagram- oder YouTube-Kanal hat, kann dies für mehr Reichweite sorgen. Einige ESGn nutzen noch häufig einen Facebook-Account, allerdings geht der Trend immer mehr dahin, dass diese Plattform kaum noch von jungen Menschen genutzt wird. Zwar lassen sich aktuell auf Facebook Veranstaltungen besser verwalten als über Instagram , die Zielgruppe von ESGn, und das sind nun einmal junge Erwachsene, nutzt Facebook aber kaum und wird dadurch nur noch schwer darüber erreicht.
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Ein solcher Kanal, egal ob auf Instagram oder YouTube , ist kein Selbstläufer. Am besten sollte es mindestens eine zuständige Person geben, die den Kanal verwaltet und regelmäßig aktualisiert und mit Inhalten befüllt.
5 Fazit
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Abschließend lässt sich festhalten, dass die Nutzung von Social Media trotz aller datenschutzrechtlichen Gefahren eine große Chance für die Kommunikation mit und für die Neugewinnung von Gemeindemitgliedern in den ESGn bedeutet. So undurchschaubar die einzelnen Plattformen zu Beginn auch wirken mögen, so erfolgreich sind sie, wenn sie gut gepflegt und regelmäßig aktualisiert werden. Generell bedarf es einer Abklärung, welche Plattform für welches Vorhaben zielführend ist. Dies wird am besten direkt mit der gewünschten Zielgruppe geklärt. Auch eine stete datenschutzrechtliche Absicherung ist unumgänglich, jedoch ist der Rahmen, in dem man sich bewegen kann, meist größer als gedacht. Für (fast) alle Vorhaben gibt es die passende Plattform, und auch ohne viel technisches Know-how und auch ohne Abschluss in Kommunikationsdesign lassen sich aussagekräftige und wirkungsvolle Inhalte erstellen, durch die man sich selbst und die Arbeit in der ESG auf eine gewisse Art und Weise verwirklichen kann.
6 Internetadressen ARD/ZDF-Onlinestudie – Key Facts (2019): https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/ardzdf-onlinestudie-2019/infografik (abgerufen am 16.09.2020). Facebook Nutzungsbedingungen: https://www.facebook.com/legal (abgerufen am 11.06.2021). Google Datenschutzerklärung & Nutzungsbedingungen: https://policies.google.com/privacy (abgerufen am 14.09.2020). Gründerszene-Lexikon (2019): Social-Media. https://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/ social-media (abgerufen am 14.09.2020). Hurtz, S. (2020): Cambridge Analytica. Neues Jahr, neuer Skandal? Süddeutsche, 07.01.2020. https://www.sueddeutsche.de/digital/cambridge-analytica-facebook-brittany-kaiser-1.4747594 (abgerufen am 14.09.2020). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2019): JIM-Studie 2019. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/ JIM/2019/JIM_2019.pdf (abgerufen am 14.09.2020). Mehner, M. (2020): Immer aktuell: WhatsApp Nutzerzahlen, Daten und Statistiken für Deutschland. https://www.messengerpeople.com/de/whatsapp-nutzerzahlen-deutschland (abgerufen am 16.09.2020). Mortsiefer, H. (2012): Facebook kauft Instagram. Eine Milliarde Dollar für eine Idee. Tagesspiegel, 11.04.2012. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/facebook-kauft-instagram-eine-milliardedollar-fuer-eine-idee/6493154.html (abgerufen am 14.09.2020).
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Rudl, T. (2016): Nun amtlich: Der Messenger Signal ist ziemlich sicher. https://netzpolitik.org/2016/ nun-amtlich-der-messenger-signal-ist-ziemlich-sicher (abgerufen am 14.09.2020). Signal Terms & Privacy Policy: https://signal.org/legal (abgerufen am 14.09.2020). tagesschau.de (2016): WhatsApp. Facebook bekommt die Handynummer. https://www.tagesschau. de/wirtschaft/whatsapp-facebook-101.html (abgerufen am 14.09.2020). Telegram Fragen und Antworten: https://telegram.org/faq (abgerufen am 14.09.2020). Threema: https://threema.ch/de/about (abgerufen am 14.09.2020). WhatsApp Sicherheit: https://www.whatsapp.com/security (abgerufen am 14.09.2020). yeet – Das evangelische Contentnetzwerk: https://yeet.evangelisch.de (abgerufen am 14.09.2020).
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3.4 Lebensentwürfe und Gendergerechtigkeit Carola Ritter und Uwe-Karsten Plisch
1 Einleitung
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Zu den wichtigsten Auseinandersetzungen der Gegenwart weltweit gehören die vielfältigen Konflikte um Rechte und Deutungen in Bezug auf Geschlecht, Geschlechterdefinitionen und Geschlechterrollen sowie die Akzeptanz entsprechend vielfältiger Lebensentwürfe. Diese Debatten werden auch in Deutschland gesamtgesellschaftlich geführt und machen vor Hochschulen, Kirchenämtern und Studierendengemeinden nicht halt. Studierende insbesondere der Geistes- und Sozialwissenschaften kennen Gender Studies sowohl als eigenes Studienfach als auch als Querschnittsthema. In Hochschulleitungen und Serviceeinrichtungen der Universitäten wie auch in Gremien studentischer Selbstverwaltung spielen Themen der Gendergerechtigkeit eine wichtige Rolle: Es geht um die Abbildung der Realität in der Sprache sowie darum, dass Sprache wiederum Realitäten schafft, um Stellenausschreibungen und -besetzungen, um geschützte Räume und sanitäre Einrichtungen. Gleichzeitig findet sich die Gegenbewegung in Form von »Anti-Genderismus«-Aktivitäten und getragen von konservativen und/oder rechten Akademiker*innen sowie von konservativen und/oder rechten einschließlich konservativ geprägten religiösen studentischen Verbindungen und Gruppen auch an Hochschulen und Universitäten (Evangelisches Zentrum 2019). Evangelische Studierendengemeinden (ESGn) verstehen sich in der Regel als queerfreundliche Orte. Bereits vor der gesamtdeutschen Abschaffung des § 175 StGB, der bestimmte homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, im Jahre 1994 (DDR: 1989) gaben ESGn (oft ökumenischen) homosexuellen Arbeitskreisen Obdach oder waren diese selbst genuiner Bestandteil der ESG-Arbeit. Gleichzeitig bringen internationale Studierende die Debattenlage ihrer Heimatländer und -kirchen, nicht selten als postkoloniales Erbe, in ihre ESGn mit und tragen so zur wechselseitigen Weitung des Horizonts und zur Präzisierung und Sensibilisierung der Debatte bei. Internationale Studierende erleben Wahlen in
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Gremien, bei denen auch queere Menschen zur Wahl stehen, oder gemeindliche Entscheidungsprozesse, bei denen queere Aspekte eine Rolle spielen, als selbstverständliche Optionen, einheimische Studierende lernen so, auf andere kulturelle und religiöse Kontexte nicht einfach mit einer neokolonialen Attitüde zu reagieren. Aus den Orts-ESGn werden seit vielen Jahren das Thema »Bibel und Homosexualität« und verwandte Themen wie »Queere Kirche« oder »Kirche und Gender« häufig beim Referat für Theologie, Hochschul- und Genderpolitik für einen Gemeindeabend angefragt. Der Gebrauch des Genderstern * im Schriftverkehr ist in der Bundes-ESG obligatorisch, in den Orts-ESGn weithin üblich. Der Lebensvollzug junger Erwachsener zwischen 18 und 26 Jahren ist geprägt von großer Offenheit. Sie erleben Queerness auch als performative Herausforderung in einem neuen Lebensabschnitt mit offenem Beziehungsgefüge. Coming-out und Wege in die geschlechtliche Transition werden sehr häufig in der Studienzeit vollzogen bzw. vorbereitet. Z. B. liegt das Durchschnittsalter homosexuell liebender Menschen beim Outing heute bei etwa 20 Jahren (Klein 2020, zur Differenzierung zwischen innerem und äußerem Coming-out sowie zwischen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität vgl. Krell/Oldemeier 2015, S. 913). Eine offene, anschlussfähige Atmosphäre in ESGn ist sexuellen Selbstfindungsprozessen förderlich – nicht zuletzt für Studierende aus Ländern, in denen Homosexualität geleugnet und/oder verfolgt wird – und sie sind seelsorgerlich flankiert. Dabei arbeiten ESGn auch mit Beratungszentren für geschlechtlich-sexuelle Identität zusammen wie etwa »SCHLAU« in Frankfurt am Main oder dem Begegnungs- und Beratungs-Zentrum »lebensart« e. V. in Halle/S. In ESGn ist Christ*in-Sein und Queer-Sein in der Regel kein Widerspruch, sondern geht selbstverständlich zusammen.
2 Anfang und Gender Am Anfang biblischen Erzählens vom Dasein des Menschen in der Gegenwart Gottes bietet der erste Schöpfungsbericht die Geschichte der Erschaffung der Menschen: »Und Gott (Elohim) schuf den Menschen (Adam) zu seinem Bilde, zum Bilde Elohims schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie (pl. = die einzelnen Menschen).« Das erste, was hier zum Menschsein gesagt wird, ist die Bezogenheit auf Gott. In doppelter Nachdrücklichkeit wird die Gottebenbildlichkeit des Menschen
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betont. Die nächste Aussage über die Menschen ist die über ihre Geschlechtlichkeit: Anders als in der geläufigen Lutherübersetzung, wo es heißt »und schuf sie als Mann und Frau«, bietet die hier eng am Urtext orientierte Übersetzung zwei Attribute: Männlich und weiblich also ist das Bild Gottes. Das hat Folgen für das Urbild und das Abbild: »Ist das Bild Gottes männlich und weiblich, so kann Gott nicht allein oder vor allem männlich sein […], sondern steht jenseits der Geschlechterpolaritäten, weswegen von ihm/ihr männlich wie weiblich gesprochen werden kann und muss« (BigS 2007, Anm. zu Gen 1,27, S. 2280).
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Diese Relektüre eines biblischen Schlüsseltextes zum Geschlechterverhältnis aus der geschlechtergerechten Theologie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein großer Teil biblischer Geschichten die geschlechtliche Differenz zwischen Mann und Frau voraussetzt und im Kontext patriarchaler Herrschaftsformationen Geschlechterverhältnisse festschreibt. Die Wirkmacht und fortgeschriebene Wissensproduktion dieses Systems entfaltete sich in 2000 Jahren Theologie, Kirchen- und – nicht unwichtig in diesem Kontext – Missionsgeschichte. Jedoch nicht ausnahmslos: Schon im biblischen Kanon finden sich Frauen und Männer, die die vorherrschenden Geschlechterrollen verlassen. Die Rede ist von zahlreichen Frauen, die aus etablierten Lebensentwürfen als Hausfrau und Mutter ausscheren: als Prophetinnen (Hulda, 2Kön 22,14–20; Hanna, Lk 2,36–38), Richterin und Prophetin (Deborah, Ri 4 u. 5), Unternehmerinnen und Bibelauslegerinnen (Priska, Apg 18,1–3.24–26 u. Röm 16,3; Lydia, Apg 16,14 f.) oder gar Apostelinnen (Junia, Röm 16,7). Frauen treten durch subtilen (Schifra und Pua in Ex 1,17 als Vertreterinnen des ältesten weiblichen Gewerbes, der Hebammen kunst) oder aktiven Widerstand gegen erfahrenes Unrecht und toxische Männlichkeit auf (Esther; Judit; Jaël, Ri 4,17–21; Thamar, 2Sam 13,1–22). Frauen erkämpfen sich ihr Recht (Thamar, Gen 38), stehen auf gegen ein patriarchales Erbrecht, das Frauen benachteiligt (Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza, die Töchter Zelofhads, Num 26,33; 27,1–11; 36 u. Jos 17,1–6) und widerstehen sexueller und ethnischer Diskriminierung (Ruth). Daneben finden sich Momente poetischer Selbstermächtigung: Mirjam (Ex 15,20 f.) und Maria (Lk 1,46–55) singen ihr Lied. Die Geschichten von David und Jonathan lassen sich als Erzählung wechselseitiger Liebe lesen, die die Grenzen gesellschaftlicher Normierung durchbricht (2Sam 1,26 u. besonders 1Sam 20,30, wo Saul seinen Sohn Jonathan für seine Liebe zu David homophob als »Sohn einer verkehrten Widerspenstigen« [BigS 2007] beschimpft, ein Beleg mithin dafür, dass es in biblischer Zeit sehr wohl ein Bewusstsein für sexuelle Vielfalt gibt).
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3 Gottebenbildlichkeit und Geschlechtergerechtigkeit Die Gottebenbildlichkeit aller Menschen, wie sie im ersten Schöpfungsbericht beschrieben wird, ist ein wesentlicher und zugleich kritischer Maßstab für eine geschlechtergerechte Rede von Gott. Daraus folgt, dass alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und ethnischen Zugehörigkeit, welchen Alters und Körperverfassung, welcher Lebens- und Liebesform Gottes geliebte »Kinder und Miterben« (synklēronomoi) sind (Röm 8,14–17). Als Schlüsselsatz für eine christliche Vision von Geschlechtergerechtigkeit in Theologie und Kirche kann der folgende Vers aus dem Galaterbrief gelesen werden: »Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus« (Gal 3,28, Übersetzung: BigS 2007). Paulus schließt an die Schöpfungserzählung an und entwickelt in seinem Brief an die Galater*innen eine eschatologische Perspektive. Er zielt mit dieser Aussage nicht auf die Abschaffung von Geschlechtlichkeit, sondern auf ihre Erlösung aus einem Herrschaftsverhältnis, »als Befreiung aus einseitigen Ausblendungen und Vereinnahmungen, aus Dichotomien und Hierarchisierungen; Trennungen werden überwunden, Klassifizierungen unterlaufen, Zuschreibungen aufgebrochen und Festschreibungen verflüssigt« (Frettlöh 2006, S. 171). In dieser eschatologischen Weitung bleibt offen, was »männlich« und »weiblich« bedeuten kann, denn »was wir einst sein werden, ist noch nicht sichtbar« (1Joh 3,2). Jedes menschliche Wesen wird frei sein, die eigene Geschlechtlichkeit individuell zu leben. Der besagte Vers aus dem Galaterbrief ist ein Beleg für eine christliche Vision der Geschlechtergerechtigkeit, einer Theologie und einer Kirche, die »daran mitarbeiten, dass es für die freie Gestaltung der je eigenen geschlechtlichen Existenz weite Spielräume als bergende Segensräume gibt, und bei ihrem geschlechtsspezifischen Reden von Gott diese nicht erneut einengen« (Frettlöh 2006, S. 172). Galater 3,28 bettet Geschlechtergerechtigkeit ein in religiöse und soziale Gerechtigkeit und legt so Zeugnis ab von einer Gemeindepraxis, »in der alle in ihrer je spezifischen Alterität einander dienen und so ihre Einheit im Messias bewähren« (Frettlöh 2006, S. 171). Zugleich wird in dieser Perspektive deutlich: Die Hoffnung auf Geschlechtergerechtigkeit ist verbunden mit den Hoffnungen auf die Überwindung anderer Herrschaftsformen und Ungerechtigkeiten wie Rassismus und Antisemitismus, Armut und Ungleichverteilung gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums, Behindert-Werden, Altersdiskriminierung und vielem mehr. Die Entschlüsselung und Offenlegung sich wechselseitig kreuzender und beeinflussender Über-
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lagerungen der beschriebenen Herrschafts- und Unterdrückungsformen ist ein intersektionaler Ansatz, wie er für feministische und queere, aber auch befreiungs- und sozialgeschichtlich orientierte Theologien grundlegend ist (zu schwuler Theologie als Befreiungstheologie vgl. Schürger o. J., S. 13). Die damit einhergehenden Aufbrüche und Hoffnungen haben Auswirkungen auf Gesellschaft und Kirche.
4 Vielfalt vielfältig wahrnehmen
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Die Schöpfungserzählung in Genesis 1,27 benennt als erste Kategorie des menschlichen Seins – nach der Gottebenbildlichkeit – die geschlechtliche. Jeder Mensch ist ein geschlechtliches Wesen – von Beginn an. Die heutigen Möglichkeiten pränataler Diagnostik verlagern die Begehrlichkeit des Wissens über die Geschlechtlichkeit des erwarteten Kindes sogar in den Bereich vor der Geburt. Geschlecht und Geschlechtlichkeit berühren das ganze menschliche Leben und umfassen ein großes Spektrum an Bedeutungen: Dazu gehören u. a. Vorstellungen über den menschlichen Körper, über geschlechtliche Identität, Verhaltensmuster und Geschlechterrollen, über Sexualität, Reproduktion und Arbeitsteilung. Lange überwogen die körperlich-biologischen Betrachtungs- und Herleitungsweisen zum Geschlecht und daraus folgende Rollen- und Geschlechterzuweisungen. Da in der deutschen Sprache im Begriff des Geschlechtes stark die körperlich-biologischen Aspekte anklingen (»Geschlecht« bezeichnet einerseits eine Kategorie und ist andererseits Synonym für menschliche Geschlechtsorgane), hat sich seit etwa 30 Jahren daneben das englische Wort »Gender« als Fachbegriff u. a. zur Unterscheidung des biologischen (englisch »sex«) vom sozial konstruierten Geschlecht durchgesetzt. Der Begriff »Gender« ist seinerseits komplex und umfasst neben den biologischen auch soziale Aspekte sowie das sexuelle Begehren. Alle drei Gesichtspunkte sind in der gesellschaftlich normierten Geschlechterordnung eng miteinander verknüpft. Gendertheorien, die all diese Aspekte in den Blick nehmen, entwickeln sich interdisziplinär und vielfältig. Das Wissen über verschiedene gendertheoretische Ansätze kann heute bei etlichen Studierenden, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, vorausgesetzt werden. Als politischer Begriff thematisiert »Gender« Fragen der Gerechtigkeit für alle und lenkt den Fokus darauf, dass Menschen ihr Leben in Vielfalt so gestalten können, wie es ihnen entspricht. Ansätze theologisch begründeter Geschlechtergerechtigkeit sind hier anschlussfähig.
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5 Vielfalt der Lebensentwürfe Zu den Grundannahmen kritischer Genderforschung gehört das Hinterfragen der normierenden Geschlechterordnung: »Ein zweiteiliges System der Geschlechter und des Begehrens, welches nur die Pole weiblich/männlich, Frau/Mann und hetero-/homosexuell zulässt und diese zudem unterschiedlich behandelt, ist nicht Menschen gerecht« (Vielfalt 2020, S. 3). Im Unterschied zu einer bipolaren und heteronormativen Geschlechterordnung verweist die Queer-Theorie auf die Vielzahl von Geschlechteridentitäten sowie Uneindeutigkeiten geschlechtlich-sexueller Varianten. Entsprechend ist das Kürzel LSBTIQ* für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen erweitert um ein Sternchen *. Es ist Platzhalter für weitere geschlechtlich-sexuelle Identitäten und eröffnet einen Raum vielfältiger Selbstdefinitionen. Dabei ist davon auszugehen, dass Identitäten fortlaufend entstehen und sich weiterentwickeln. Ziel ist es, normative Fixierungen zu durchkreuzen (zu queeren). Der englische Begriff »queer« bedeutet schräg, seltsam, verdächtig, eigenartig usw. und versucht, Identitäten neu zu fassen, als uneindeutig zu setzen, Normierungen zu dekonstruieren, Identität als »Fluidentität« zu begreifen. Die oft spielerisch und performativ gestaltete Entwicklung ist besonders bei jungen Erwachsenen in bildungsaffinen und urbanen Milieus anzutreffen. Sie bilden häufig eine Community an Hochschulstandorten und sind überdies stark in sozialen Medien vernetzt. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben durch den Deutschen Bundestag im Oktober 2018 wurde die bis dahin fixierte Bipolarität der Geschlechter aufgebrochen und der Eintrag eines dritten Geschlechts – pauschal zusammengefasst mit dem Begriff »divers« – u. a. für intergeschlechtliche Menschen ermöglicht. Intergeschlechtliche Personen sind Menschen, deren Geschlechtsmerkmale bei der Geburt nicht eindeutig der »männlichen« oder »weiblichen« Anatomie zugeordnet werden können. Bei Trans*Menschen stimmt die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht überein. Bereits 2017 wurde die Definition der bürgerlichen Institution der Ehe vorsichtig erweitert: »Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen« (§ 1353 Abs. 1 BGB, erster Satz). Die Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit, ihre theoretische Reflexion etwa in Gender Studies sowie die Veränderungen in gesellschaftlichen Vollzügen durch Gender Mainstreaming und geänderte rechtliche Rahmenbedingungen haben auch Auswirkungen auf (kasuale) kirchliche Handlungen. Mal hinken die Änderungen kirchlicher Pra-
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xis der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher, mal gehen sie ihr voran (so hat z. B. die Evangelische Kirche im Rheinland die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare bereits vor der Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches ermöglicht). Alle neuen kirchlichen und gesellschaftlichen Handlungsoptionen sind jedoch nur Wegmarken in einem ständig fortdauernden Entwicklungsprozess. Kirchliches und bürgerliches Eheverständnis ist nach wie vor bipolar: Die Ehe wird von einem Paar geschlossen. Die Bundes-ESG hat in einem 2020 veröffentlichten Positionspapier, das von einer Arbeitsgemeinschaft in einem mehrjährigen Diskussionsprozess entwickelt wurde, das Konzept einer »Ehe für alle« über den aktuellen kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmen hinaus versucht, weiterzudenken und künftige kirchliche Handlungsoptionen in den Blick zu nehmen (Verband 2020). Seit 2020 arbeitet die AG Queer der Bundes-ESG an Vorschlägen, wie Orts-ESGn queerfreundlich gestaltet werden können. Ein öffentlich sichtbares Label »Queerfreundliche ESG« ist vorstellbar. Dabei ist kultursensibel vorzugehen und die geografisch-sozialen Besonderheiten einer jeden ESG sind zu beachten. Studierende in ESGn kommen aus sehr unterschiedlichen (Welt-)Regionen und bringen ihre jeweiligen religiösen, sozialen und kulturellen Prägungen mit. Orts-ESGn befinden sich ihrerseits nicht im luftleeren Raum, sondern sind durch das sie umgebende Milieu mitgeprägt. Gespräche mit anderen religiösen Hochschulgruppen, christlichen wie nicht christlichen, über Fragen der Geschlechtergerechtigkeit sind wünschenswert und notwendig. Ein*e polyamore*r Christ*in, eine lesbische Muslima und ein schwuler Jude sollten mit religiösen Verfechter*innen von Heteronormativität streiten und feiern können. Entscheidend für jede künftige Entwicklung ist, dass alle kontroversen, oft auch schmerzhaften Debatten in gegenseitigem Respekt und geschwisterlicher Liebe geführt werden.
Literatur Abdul-Hussain, S. (2014): Genderbias. Wahrnehmungsverzerrungen in Bezug auf Gender. https:// erwachsenenbildung.at/themen/gender_mainstreaming/grundlagen/genderbias.php (abgerufen am 08.03.2021). Bibel in gerechter Sprache (BigS) (2007). Hg. v. U. Bail u. a. (3. Aufl.). Gütersloh. Evangelisches Zentrum Frauen und Männer (2019): Gender.ismus? Was sich hinter den neuen Angriffen gegen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt verbirgt und wie Sie damit umgehen können. https://www.evangelisches-zentrum.de/wp-content/uploads/2019/03/Flyer_Genderismus-1.pdf (abgerufen am 08.03.2021). Frettlöh, M. (2006): Gott Gewicht geben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre. Neukirchen-Vluyn.
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Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Begriffe – Grundlagen – Aktuelles – Empfehlungen (2020). Hg. v. BBZ »lebensart« e. V. Fachzentrum für geschlechtlich-sexuelle Identität. Halle/S. Klein, S. (2020): Outing. https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/homosexualitaet/ pwieouting100.html (abgerufen am 08.03.2021). Krell, C./Oldemeier, K. (2015): Coming-out – und dann …?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen. München. Schürger, W. (o. J.): »Nicht Jude noch Grieche, (…), nicht Homo oder Hetero, sondern alle eins in Christus«. Schwule Theologie als Befreiungstheologie von und für gleich-geschlechtlich liebende Menschen. http://noplace.blogsport.de/images/gastbeitrag_schrer_gesamt.pdf (abgerufen am 09.03.2021). Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (2020): Die Ehe für alle. Eine Handreichung der ESG (2. Aufl.). Hannover.
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3.5 Körper und Bewegung Andreas Mühling
1 »Körperarbeit« in der ESG
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Der menschliche »Körper« ist seit Jahren Gegenstand exegetischer, systematischwie praktisch-theologischer Erörterungen. Die Frage, welche Rolle unsere Leiblichkeit theologisch einnimmt, stellt sich nicht erst seit den jüngsten Pandemien mit hoher Dringlichkeit, wie einschlägige Aufsätze und Monografien belegen (Rieger 2018, S. 38 ff.). Bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts betonten Theologen wie Wilhelm Stählin die Bedeutung körperlicher Bewegung, und zwar aus theologischen Gründen heraus (Rieger 2018, S. 49). Die Erfahrung der Jugendbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, für die körperliche Aktivitäten konstitutiv waren, führte im Kontext kirchlicher Bildungsarbeit, auch mit Student*innen, vielfach zu einer Wertschätzung von körperlicher Bewegung. So führte Stählin aus: »Weil der Leib wirklich die Form des Menschen, seines einmaligen und besonderen menschlichen Daseins ist, weil in diesem geist-leiblichen Wesen des Menschen alles Inwendige sich nach außen hin darstellen und alles Auswendige nach innen wirken muss, darum gibt es eine leibliche Übung, die vom Leib her zu dem innersten Wesenskern vordringt und ein-bildet, was ihm zu lernen aufgetragen ist« (Stählin 1967, S. 76). Tatsächlich nimmt die »Körperarbeit« im Gemeindeleben heutiger ESGn eine wichtige Rolle ein. Von Lauf- und Fußballgruppen über das gemeinsame Training für bestimmte sportliche Ereignisse bis hin zu spirituellen Schreittanz-Events samt ihren speziellen Atemtechniken reicht die Bandbreite. Es wird gekickt, gelaufen, ganzheitlich geatmet und spirituell getanzt. Und dies völlig zu Recht. Denn diese Gruppen greifen ein grundlegendes Bedürfnis zahlreicher Student*innen nach körperlicher Betätigung auf. Wenn die Anforderungen des studentischen Alltags steigen, ergreifen viele von ihnen die Möglichkeiten des Sports, um durch die
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Erfahrung eigener Körperlichkeit intellektuelle, körperliche, teilweise aber auch spirituelle Ressourcen wiederzugewinnen und auch auszubauen. Doch liegt der inhaltliche Schwerpunkt dieses Beitrages nicht in theologischen Betrachtungen zum Thema. Vielmehr soll in ihm der gegenwärtige gesellschaftliche Deutungsrahmen von Bewegung, Körper und Fitness in zeithistorischer Perspektive aufgegriffen und mit der Frage verknüpft werden, welchen Beitrag die ESGn mit ihren Angeboten innerhalb dieses Diskurses zu leisten haben.
2 Sport als Ausdrucksform gesellschaftlicher Partizipation Tatsächlich nahm in Deutschland bereits im 19. Jahrhundert das Thema der körperlichen Aktivität von Studenten einen wichtigen Raum im universitären Leben ein. Oftmals in Burschenschaften organisiert, stand ihnen eine, vom »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn propagierte, »patriotisch-wehrhafte« Männlichkeit als Idealbild vor Augen. Körperliche Standhaftigkeit und mentale »Zucht« der Studenten, von ihnen bewiesen im »Mensurgefecht«, versprachen gesellschaftliche Partizipation und ihre Anerkennung als Bürger. Auch wenn diese Haltung viele Studenten nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 in politische Opposition zu ihren Regierungen brachte: Von ihrer Überzeugung, dass nur der sportlich geübte Student zugleich ein gleichberechtigter Bürger sein könne, ließen sie nicht ab (Martschukat 2020, S. 186). Um 1840, nach dem Ende des politisch verordneten Verbotes der studentischen Turnbewegung in den meisten Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes, dann aber insbesondere im späteren Kaiserreich, nahm die Turnerziehung unter den Studenten einen immer wichtigeren Platz ein. Nebenbei bemerkt: Dass bereits innerhalb der ersten Emanzipationsbewegung von Frauen um 1900 ihre sportliche Betätigung für sie zugleich eine hohe politische Funktion besaß, findet eine Begründung darin, dass körperliche Betätigung, sei es nun in Form des Radfahrens oder auch des weiblichen Ausdruckstanzes, Frauen die gesellschaftliche Teilhabe als Bürgerinnen ermöglichen sollte (Meyer-Renschausen 2013, S. 56 ff.).
3 Der Beginn der Fitness-Bewegung Nicht zuletzt die politische Instrumentalisierung körperlicher Aktivitäten auch von Student*innen in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts führte zunächst zu einem Rückgang ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. In
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Westdeutschland fanden in den 1970er-Jahren erste zaghafte Versuche einer sportlichen Aktivierung der Bevölkerung durch die Trimm-dich-Bewegung des Deutschen Sportbundes daher eine noch recht verhaltene Resonanz. Auf größeres Interesse stießen im Verlauf der 1980er-Jahre allerdings die einsetzende Lauf- und Aerobic-Bewegung, entstanden erste Squashcenter und Fitnesscenter, fand der aktiv ausgeübte Tennissport durch die Erfolge von Boris Becker und Steffi Graf zahlreiche Anhänger*innen auch unter Student*innen. Der Hochschulsport wurde an den jeweiligen Hochschulstandorten etabliert oder, wie beispielsweise in Bonn oder Köln, teilweise massiv ausgebaut (Dilger 2008, S. 245 ff.). Sport getrieben wurde also in dieser Zeit verstärkt, nahm das gesellschaftliche Interesse daran deutlich zu. Zahlen belegen diese Entwicklung: Der Berlin-Marathon, eine der größten Laufveranstaltungen der Welt, begann im Jahr 1974 mit 244 Personen, darunter 10 Frauen. 1986 überstieg die Zahl der teilnehmenden Läufer*innen die Hürde von 10.000 teilnehmenden Personen. Seit 2013 gehen dort regelmäßig über 50.000 Sportler*innen, gut die Hälfte davon Frauen, an den Start und gelangen nahezu alle auch ans Ziel (Martschukat 2020, S. 47 f.). In den 1990er-Jahren, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem endgültigen Verschwinden ideologisierter Sportbewegungen und -veranstaltungen auch in Osteuropa, zeigte sich, dass im vereinten Deutschland ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel in der Beurteilung von körperlicher Aktivität vollzogen wurde. Der Begriff der »Fitness« wurde zu dem Leitbild des sportlichen Tuns und prägt sportliches Handeln bis heute, allerdings nun in einer verschärften Form. Man gehe nur die Namen einschlägiger Sportzeitschriften und Sportstudio-Ketten durch. Ob diese sich nun, um nur einige wenige unter Student*innen populäre Beispiele anzuführen, »Fit For Fun«, »cleverfit« oder auch »McFIT« nennen, bereits im Namen verheißen viele von ihnen ihren Mitgliedern eine hohe Fitness, vermittelt durch körperliche Aktivität. Schien früher vielen der Spruch »Mein Haus, mein Boot, mein Auto« erstrebenswerte Lebensziele abzubilden, so scheint dieser heute eher »Mein Haus, mein Fitnessstudio, mein Körper« zu lauten. Millionen überwiegend junger Männer und Frauen sind heutzutage in Fitnessstudios organisiert, und ein Ende des Fitness-Booms ist noch immer nicht abzusehen. Dabei gibt es bereits bei der Frage, was denn eigentlich unter »Fitness« zu verstehen sei, ganz unterschiedliche Antwortversuche (Martschukat 2020, S. 18 ff.). In einer neueren Studie zum Thema wird Fitness »als durch Training stabilisierte Gesundheit« verstanden (Martschukat 2020, S. 18) und die sich aus dieser Begriffsklärung ergebende Konsequenz benannt: Zum einen zeigt diese
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Definition deutlich auf, dass sich Fitness und Gesundheit zu bedingen scheinen. Wenn »Gesundheit« nach der Auffassung der Weltgesundheitsorganisation WHO einen Zustand körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens umschreibt, impliziert die Verbindung von Gesundheit und Fitness die Möglichkeit von Menschen, ein gelingendes Leben führen zu können. Zum anderen deutet diese Definition auf die Möglichkeit hin, dass »Gesundheit durch Training stabilisiert werden oder durch Nicht-Training vernachlässigt und aus dem Lot gebracht werden könnte. Damit werden Gesundheit und Lebensqualität – nicht vollkommen, aber doch ein gutes Stück – in die Eigenverantwortung des Einzelnen gelegt« (Martschukat 2020, S. 19). Schließlich, und dies ist der dritte Aspekt, kann Gesundheit durch regelmäßiges Training zwar stabilisiert, doch niemals dauerhaft stabil gehalten werden. Treffend konstatiert Jürgen Martschukat, selbst passionierter Radsportler: »Gesundheit ist flüchtig, sie verlangt permanente Arbeit an sich selbst und bedeutet ständiges Tun« (Martschukat 2020, S. 19). Wer wie ich über mehrere Jahrzehnte hinweg, und seit Anfang der 1990er-Jahre dazu auch in Fitnessstudios, unter der Woche regelmäßig trainiert, weiß genau um die Tatsache, dass dauerhafte Gesundheit nicht erreicht werden kann. Und je älter die trainierenden Sportler*innen sind, desto mehr entfernen sie sich auch von diesem Zustand. Es ist immer irgendetwas – so gleichen die Gespräche älterer Sportler*innen in Fitnessstudios eher denen von Selbsthilfegruppen, in denen die Vergänglichkeit körperlicher Stärke und Kraft beklagt wird. Und auch die Person, die, aus welchen Gründen auch immer, ihr Training für eine gewisse Zeit unterbricht, vernachlässigt ihre Gesundheit und bemerkt an sich rasch einen starken Rückgang an Körperkraft, Ausdauer und Fitness. Dies ist ein Teufelskreis, dem sich auch die jüngeren Sportler*innen nicht entziehen können. Und dieser signifikante Leistungsabfall innerhalb kurzer Zeit ist auch ein Grund für den florierenden Missbrauch mit ausdauer-, leistungs- und muskelaufbauenden Substanzen im Amateursportbereich. Die »Verheißung« der Fitness ist seit den 1990er-Jahren mächtig, auch wenn dieser Zustand absurderweise von zahlreichen Sportler*innen mithilfe von Substanzen erreicht werden soll, deren Einnahme mittelfristig zu gesundheitlichen Einbußen führt.
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4 Fitness in einer neoliberalen Gesellschaft
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Doch worin besteht diese Verheißung denn genau? Einen deutlichen Hinweis darauf gibt ein Interview, das Alfred Enzensberger, Gründer der Fitnessstudiokette »cleverfit«, im April 2020 dem Magazin »DER SPIEGEL« gegeben hat (Spiegel 2020, S. 59). Seine Forderung einer Wiedereröffnung der Fitnessstudios – nach deren Schließung beim Lockdown während der Coronapandemie – direkt nach Ostern 2020 begründete er folgendermaßen: »Politik und Medien schauen gerade nur auf die Corona-Toten. Aber es gibt auch Menschen, die an anderen Krankheiten sterben. Fitness bedeutet Gesundheit. Für Immunsystem, Herz, Kreislauf, Psyche«. Auch die Feststellung des Spiegel-Reporters, er würde jetzt »Patienten gegeneinander aufrechnen«, entgegnete Enzensberger: »Das haben Sie jetzt nicht sehr nett formuliert. Es ist eine Plus-Minus-Rechnung, das stimmt« (Spiegel 2020, S. 59). Enzensbergers Votum zeigt, dass wichtige gesellschaftspolitische Grundpositionen auf dem Spiel zu stehen scheinen. Zentrales Leitbild in einer neoliberalen, und das heißt in einer grundsätzlich an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichteten Gesellschaft, ist das eigenverantwortliche Individuum, das sich um die je eigene Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft eigenverantwortlich zu kümmern hat. Schlanke Bürger*innen in einem schlanken Staat, bestens vorbereitet für den globalisierten wirtschaftlichen Wettbewerb. Körperliche Aktivität verheißt den Menschen, diese Leistungsfähigkeit herzustellen und Leistungsbereitschaft zu gewährleisten, und verspricht jenen, die nach Fitness streben, den äußeren Anschein von Gesundheit und persönlichem Erfolg, von Attraktivität, Stärke, Einfluss und Macht. »In ihrem Zentrum steht die Arbeit an sich selber und den eigenen Grenzen. Allseits motiviert und leistungsbereit sollen wir sein, produktiv, potent und kampfbereit, fähig zu Außergewöhnlichem und immer gewillt, uns selber zu verbessern, um im allgegenwärtigen Wettbewerb bestehen zu können« (Martschukat 2020, S. 235). Nebenbei: Diese problematische Sichtweise erklärt auch den hohen Anteil fettreduzierter Nahrungsmittel in den Supermärkten. Die Angst nicht nur junger Studentinnen vor einem Zuviel des eigenen Körperfettes ist Ausdruck einer Sorge, nicht mehr als autonome und damit leistungsfähige und begehrenswerte Persönlichkeit zu erscheinen. Denn der trainierte menschliche Körper wird auf diese Weise zum Ausweis von persönlichem Erfolg sowie einer disziplinierten und somit angemessenen Lebensführung.
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Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Anleihen, die in der Fitnesswerbung von paramilitärischen Denkmustern übernommen und in den Amateursport hinein adaptiert werden. Die Bereitschaft, über seine eigenen Grenzen zu gehen, Trainingsqualen auf sich zu nehmen und persönliche Opfer zu bringen zeigt uns allen zugleich eine realistische Möglichkeit auf, zu einem »Hero« zu werden: Der gestählte Körper, kampfbereit und hart erarbeitet, bewährt sich heldenhaft in den Schlachten des Alltags. Während in der Vergangenheit harte körperliche Aktivität meist in den militärischpolitischen Kontext von Nation, Volk und Klasse oder landwirtschaftliche Arbeit gestellt wurde, dreht sie sich nun ausschließlich um den individuellen persönlichen Erfolg. Schlank, sportlich, flexibel, der Fitness verschrieben – so hat sich der einzelne Mensch im Neoliberalismus zu präsentieren. Stets die Anforderungen des Marktes im Blick behaltend, richten sie ihre berufliche Existenz und private Lebensführung, dabei gerne auch unterstützt von einem Fitnesstracker, darauf aus, diesen Marktvorgaben zu genügen. Dies ist das Idealbild einer sich den Anforderungen des Marktes unterwerfenden Gesellschaft (Martschukat 2020, S. 28).
5 Körper und Fitness – Neuansätze und ihre Möglichkeiten für die ESG-Arbeit Doch dieses Bild ist ein höchst exklusives – was ist mit jenen, die sich diesem Anspruch körperlicher Aktivität nicht unterwerfen können oder wollen? Übergewicht wird häufig mit persönlicher Schwäche assoziiert, übergewichtige Menschen nur zu häufig prekären Lebensverhältnissen zugeordnet. Was ist mit den Alten, den Schwachen, mit den an Leib und Seele Verletzten und den erkrankten Student*innen? Mit jenen Menschen also, die diesem Idealbild oftmals nicht entsprechen können? Diese Menschen, die – offenbar – nicht genügend hart an sich arbeiten, werden oftmals an den Rand gedrängt und vom gesellschaftlichen Leben, von aktiver Beteiligung und Partizipation ausgeschlossen. An diesem Punkt eröffnen sich den ESGn in der Hinwendung zu den Menschen an den Hochschulen durch ihre zahlreichen sportlichen Aktivitäten große Gestaltungsmöglichkeiten. Aus der Einsicht heraus, dass Gottes Anspruch uns Menschen in der Gesamtheit von Körper, Geist und Seele erfasst, ermöglichen es diese ESG-Angebote, unsere eigene Körperlichkeit in der ganzen Verletzlichkeit, aber zugleich auch in ihrer Einzigartigkeit wahrzunehmen. Körperliche Bewegung dient nicht der Selbstoptimierung samt Erfüllung marktwirtschaft-
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licher Erwartungshaltungen. Vielmehr zeigt sie uns unsere körperliche Begrenztheit deutlich auf, weist aber zugleich auf unsere besondere ganzheitliche Schönheit als Geschöpfe Gottes hin. Die Wahrnehmung unserer eigenen Verletzlichkeit ermöglicht es, gemeinsam mit jenen, die von ihrer – angeblichen – körperlichen Begrenztheit bislang daran gehindert wurden, nach Möglichkeiten körperlicher Aktivität zu suchen. Denn in der Einsicht, dass unser gehandicapter, verletzlicher, schwächer werdender Körper zur Geschichte Gottes mit uns gehört, liegt zugleich die Verheißung, unseren besonderen Wert als ganzheitliches Geschöpf jenes Gottes zu erkennen, der seinen Weg auch nach dem Ende der biologischen Existenz mit uns weitergeht. Und das gemeinsame Training in den ESGn mit denjenigen, die sich bislang bereitwillig dem Diktat gängiger gesellschaftlicher Fitnesskonzepte unterwarfen, vermag allen Sportler*innen sehr eindrücklich aufzeigen, dass körperliche Begrenztheit keine Schwäche, sondern Ausdruck göttlichen Willens ist: Menschliche Einzigartigkeit wird eben mitnichten über einen makellosen Körper definiert, sondern allein durch Gottes Zuspruch ermöglicht. Den Deutungsrahmen für körperliche Bewegung an den Hochschulen inhaltlich anders als der gesellschaftliche Mainstream zu setzen, wird für die ESGn in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Herausforderung: Denn das Bedürfnis nach körperlichen Aktivitäten bleibt unter Student*innen weiterhin hoch. Sportliche Angebote werden daher zukünftig für einen gelungenen ESG-Gemeindeaufbau besondere Bedeutung einnehmen. Als Beispiel sei die große Chance genannt, die im gemeinsam mit geflüchteten Studierenden ausgeübten Sport liegt: Ausgesprochen niedrigschwellig können durch die gemeinsame Bewegung – im Mannschaftssport, beim Jogging, beim Tanzen etc. – kulturelle Barrieren überwunden, Kontakte geknüpft und Gemeinschaft gestiftet werden. Das Thema »Körper und Bewegung« eröffnet allen Beteiligten neue theo logische Einsichten, gesellschaftliche Neuakzentuierungen, neue biografische Schwerpunktsetzungen und nicht zuletzt ganz persönliche spirituelle Erfahrungen. Und wenn im Training dann auch noch die Freude an der gemeinsamen Bewegung und an der Herausforderung bei allen Sportler*innen aufkommt, so haben diese Angebote ihren Zweck bestens erfüllt.
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Literatur Enzensberger, A. (2020): Interview. DER SPIEGEL, Nr. 16 (11.04.2020), S. 59. Dilger, E. (2008): Die Fitnessbewegung in Deutschland. Wurzel, Einflüsse und Entwicklungen. Schorndorf. Martschukat, J. (2020): Das Zeitalter der Fitness. Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde. Bonn. Meyer-Renschhausen, E. (2013): Raus aus dem Korsett. ZEIT Geschichte (2), S. 56–59. Rieger, H.-M. (2018): Religion, Körper und Gesundheit. Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik, 17 (1), S. 38–51. Stählin, W. (1967): Vom Sinn des Leibes (4. Aufl.). Konstanz.
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Mit einem Kleinbus fahren wir durch das Elsass, versorgen uns unterwegs auf einem Markt mit Baguette und Käse. Unser Reiseziel ist das Valmunster, in dessen Dorf Gunsbach Albert Schweitzer zur Welt kam. Ein Wochenende lang soll es um ihn gehen. Auch Caro1 ist mit dabei – schon etwas überraschend, denn bislang hatte sie sich in der ESG noch nicht für Themen wie dieses interessiert. Aber nun ist sie ganz dabei und bereichert mit ihren Beiträgen unsere Gespräche über gelesene Texte Schweitzers. Besonders begeistert ist sie von dem alten Pfarrhaus – unserem Domizil –, in dem Schweitzers Vater als Pfarrer gewirkt hat und das heute ein kleines Tagungshaus ist. Am Ende der Fahrt war das Echo einhellig: Wir haben nicht nur etwas über Schweitzer erfahren, sondern sind auch als Gruppe zusammengewachsen.
1 Innerhalb und außerhalb der ESG Studierendengemeinden verstehen sich als »Gemeinden auf Zeit« (vgl. Bubmann u. a. 2019) und an einem anderen Ort. Das trifft in erster Linie auf das alltägliche Leben in den Gemeindezentren selbst zu. Auf Zeit bieten Studierendengemeinden am Studienort die Möglichkeit, sich zu engagieren, Gemeinschaft zu erleben, Kontakt, Seelsorge und Beratung zu finden, Gottesdienste zu feiern und an Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. Aber noch in einem anderen Sinn sind Studierendengemeinden »Gemeinden auf Zeit«. Außerhalb der Gemeinde vor Ort gibt es auf Zeit besondere Gemeinschaftserlebnisse und Begegnungen mit anderen Menschen, Landschaften, Gebäuden und Kulturen. Auf Zeit sind Studierende unterwegs, um Neues zu erfahren und auch Ungewohntes, Fremdes kennenzulernen. Was ist das Neue, das sie suchen? Bei aller Verbundenheit mit 1 Der Name wurde geändert.
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den Räumen der Studierendengemeinden und ihrer Atmosphäre liegt ein großer Reiz darin, diesen Ort zu verlassen und unterwegs zu sein. Die Horizonte weiten sich, neue Erfahrungen stellen sich ein – mit sich selbst, mit anderen und nicht zuletzt mit Gott. In der Mobilität entdecken Studierende, dass die eigenen (Lebens-)räume sich weiten und Gemeinde an einem anderen Ort auf Zeit möglich und wirklich wird.
2 Neue Räume entdecken – empirische Perspektiven Mobilität ist für viele Studierende ein grundlegendes Merkmal ihres Lebensalters und eine zentrale Erfahrung in ihrem Studium. Mit der Wahl des Studienortes und der Aufnahme des Studiums sind nicht selten größere und – denkt man an internationale Studierende – sehr erhebliche Ortsveränderungen verbunden. Gelegentlich dominiert zunächst der Wunsch, den (neuen) Studienort und dessen nähere Umgebung mit anderen oder allein kennenzulernen. Schon im Nahbereich gibt es viele Möglichkeiten, sich an die neue Heimat auf Zeit zu akklimatisieren und sich dort einzuleben. Menschen leben seit jeher im Spannungsfeld von Stabilität und Mobilität. In der Entwicklung der Menschheit dominiert zunächst die Ortsstabilität und Sesshaftigkeit vor der Mobilität (vgl. Grethlein 2002, Sp. 1366), wobei beides schon früh ineinandergegriffen und Ortswechsel mit Ortsstabilität alterniert hat. In der Neuzeit tritt die Mobilität signifikant in den Vordergrund und wird vielfach als eine große Errungenschaft der Moderne empfunden, welche die Lebensweise der Menschen prägt. War das Reisen zunächst das Privileg der Wohlhabenden oder umgekehrt das Elend der vor Armut, Krieg und Verfolgung Fliehenden, so hat das Reisen mithilfe der Ressourcen Zeit, Geld und Bildung dem Individuum insbesondere nach 1945 neue Bewegungsspielräume eröffnet. Deren Kehrseite sind freilich unter anderem beruflich bedingte Anforderungen an örtliche Flexibilität und die Bereitschaft zum Ortswechsel mit Auswirkungen auf die private und familiäre Mobilität (vgl. Opaschowski 2002, Sp. 1367). Die Freizeit wird durch Erlebnismobilität gefüllt. Es ist – nicht erst im 19. und 20. Jahrhundert – der Wunsch zu beobachten, den eigenen Ort auf Zeit hinter sich zu lassen und Neues kennenzulernen. Träume von einem gelingenden Leben verbinden sich mit Mobilität und Reisen, bei denen nicht selten der Weg selbst als das Ziel empfunden wird. Das Unterwegssein übt einen großen Reiz aus, der sich erlebnispsychologisch unter anderem als Überschreitung der eigenen Grenzen beschreiben lässt (vgl. Henning 1999). Hinzu tritt bisweilen die Angst, beim Verzicht auf Mobilität etwas Entscheidendes oder gar das Leben
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selbst zu verpassen. Es sind vor allem das Bedürfnis nach Abwechslung, Veränderung, Aktivität, die Sehnsucht nach Neuem und Unternehmungslust, die Menschen dazu bringen, ihre eigenen vier Wände freiwillig zu verlassen (vgl. Opaschowski 2002, Sp. 1368). Das gilt natürlich nur für Reisen, die ohne Not und ohne einen Fluchtanlass unternommen werden. Was erwarten sich Menschen vom Reisen? Ein wesentlicher Faktor neben der puren Reiselust, bei der die Reise selbst Erfüllung bietet, ist die Suche nach Veränderung und Transformation. Reisen bildet nicht nur, sondern verändert das Individuum und lässt es neue Erfahrungen mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit neuen Räumen machen. Für einige tritt auch eine transzendentale Komponente hinzu: Reisende erfahren Gott auf eine neue, bisweilen überraschende Weise; davon wissen u. a. diejenigen zu berichten, die sich wie Hape Kerkeling auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela machen (vgl. Kirsner 2019; zum Pilgern siehe Artikel 3.7 in diesem Handbuch). Überhaupt hat das Wandern eine körperliche und sinnliche und somit leibseelische Dimension, indem die*der Wandernde aufmerksam, konzentriert und bewusst den Weg und dessen Umgebung wahrnimmt und daraus Kraft schöpft (vgl. Lienau 2015, S. 71–99). Hinzu tritt aber auch der soziale Aspekt: Das Reisen versammelt Menschen und bringt sie einander näher. Es findet Begegnung statt, die sich als Perspektivwechsel und Horizonterweiterung manifestiert (vgl. Kirsner 2019). Studierendengemeinden können durch ihre Angebote auch außerhalb der Gemeindezentren und Wohnheime dazu beitragen, dass diese Horizonterweiterungen für die Studierenden existenziell fruchtbar werden. Neue Räume zu entdecken heißt, die Erfahrungen mit neuen Räumen in die alltäglichen Lebenskontexte einzuflechten.
3 Wanderndes Gottesvolk – biblisch-theologische Perspektiven Biblische Texte wenden sich in zahlreichen Geschichten der menschlichen Mobilität zu. Maßgebliche Protagonisten der Geschichte Israels sind Reisende – zum Teil aus eigener Wahl, zum Teil erzwungen. Die Reise von Noah und seiner Familie samt Zoo wird als eine aus der Not geborene Reise auf einem schiffsähnlichen Transportmittel beschrieben, die in eine Ankunft auf trockenem Erdboden (Gen 8,13–19), eine Gottesverheißung (Gen 8,21 f.) und einen Bundesschluss (Gen 9,9–17) mündet. Abraham, der »umherirrende Aramäer« (Dtn 26,5), hat seine Heimat und Familie verlassen, um sich auf den Ruf Gottes hin auf eine Reise zu machen (Gen 12,1). Von Jakob, Abrahams Enkel,
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heißt es, dass er aus Angst vor der Rache seines Zwillingsbruders Esau nach Mesopotamien geflohen und von dort wieder zurückgekehrt ist – Migrationen, die von List und Betrug gesäumt sind (Gen 27–33). Dessen Sohn Josef wird von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft, wo er eine steile Karriere macht (Gen 37 ff.; vgl. Ebach 2003, S. 87–93). Im Exodus hat Israel sich unter Leitung von Mose und Aaron auf eine vierzig Jahre andauernde Reise durch die Wüste Sinai gemacht, um dann jenes Land Kanaan zu erreichen, in dem Milch und Honig fließen. Jahrhunderte später wurden Israeliten ins babylonische Exil verschleppt, um – von Gott begleitet – nach fünf Jahrzehnten wieder in die Heimat zurückzukehren. In den Wallfahrtspsalmen wenden sich die Reisenden mit der eindringlichen Bitte an Gott, ihren Weg zum Jerusalemer Tempel, aber auch ihren Heimweg zu behüten (vgl. u. a. Ps 121). Auch Jesus, dessen Leben mit einer Flucht begann, war ein Reisender, der sich unterwegs in die Häuser einladen ließ, aber ansonsten nicht wusste, wo er sein Haupt hinlegen sollte (Lk 9,58). Seine letzte Reise führte ihn zum Passahfest nach Jerusalem – im Wissen darum, dass dieses Reiseziel zu seinem Ende führen würde. Vor seinem gewaltsamen Tod am Kreuz wurde ihm der später »Via Dolorosa« genannte Kreuzweg auferlegt, der Demütigung und Schmerz an Leib und Seele in sich schloss (Mt 27). Die Aufforderung des Auferstandenen: »Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker« (Mt 28,19 f.) bildet den Auftakt der Mission, die sich als umfangreiche Reisetätigkeit darstellt. Die lukanische Apostelgeschichte lässt sich als eine ausdifferenzierte Reisegeschichte lesen, bei der der Heilige Geist gleichsam als Reiseführer fungiert. Der Beginn der christlichen Gemeinden außerhalb Israels ist aufs Engste mit den Reisen des Apostels Paulus verbunden, die ihn von Damaskus über Kleinasien und Griechenland bis nach Rom führten. Ohne diese und andere missionarische Reisen ließe sich die Ausbreitung des Christentums im Mittelmeerraum und darüber hinaus nicht vorstellen. Dass das christliche Leben und das der Gemeinden von Mobilität geprägt ist, zeigt die Sentenz: »Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir« (Hebr 13,14). Hier wird das Bild vom wandernden Gottesvolk entfaltet: Neugier und Innehalten, Sehnsucht und besonnenes Ausruhen zeichnen das Christentum aus. Wege und Horizonte eröffnen sich. So soll es allen geschehen, die in ihrem Glauben nicht fertig sind, sondern weiterziehen und auf die Ruhe Gottes jenseits aller Mobilität hoffen (Hebr 4,9–11). In der Geschichte des Christentums hat sich mit dem Pilgern eine besondere und mit einem geistlichen Anspruch versehene Form des Reisens herausgebildet. In dieser dominieren neben der Suche nach Gott und der Gotteserfahrung die von einer inneren Haltung motivierte Suche nach sich selbst, der eigenen
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Menschwerdung und Transformation sowie die Gemeinschaftserfahrungen auf dem Pilgerweg. Man kann das »Verkörperlichung von Religion« nennen, die zugleich Besinnung, Aufbruch, Umkehr und Gebet mit den Beinen und dem Herzen umfasst (Frisch 2017, S. 10; vgl. Gerland 2009; Lienau 2015). Religiöse Analogien zum Pilgern gibt es auch in anderen Religionen, so mit der Wallfahrt nach Mekka (Hadsch) im Islam. Indem sich die Kirche als Teil des wandernden Gottesvolkes betrachtet, macht sie auch ein Statement, wie sie sich selbst versteht. Sie ist die Gemeinschaft derer, die weder gedanklich noch räumlich auf der Stelle verharrt, sondern sich neuen Lebensmöglichkeiten öffnet. Das trifft in besonderer Weise auf die Studierendengemeinde zu. Getragen vom Vertrauen und von der Hoffnung, dass Gott junge Erwachsene zu neuen Zielen führt, sucht sie das in ihr Gemeindeleben zu übertragen. Statt auf der Stelle zu treten ist es ihr aufgetragen, hinaus ins Weite zu ziehen. Sie vollzieht damit exemplarisch und erfahrungsbezogen nach, dass die Kirche dazu berufen ist, mit Zuversicht zu neuen Zielen aufzubrechen.
4 Vielfältig unterwegs Wenn Studierendengemeinden unterwegs sind, sind ihre Ziele und Reisemotive so vielfältig wie sie selbst es sind. Daher kann im Folgenden nur exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf klassische, erprobte und neuere Möglichkeiten von Unternehmungen hingewiesen werden. Ihrer gegenwärtigen und künftigen Ausgestaltung sind kaum Grenzen gesetzt. Fantasie und persönliches Engagement sind bei denen erforderlich, die für die Planung und Durchführung der Reisen und Exkursionen verantwortlich sind – für die Hauptamtlichen in den Studierendengemeinden und die daran partizipativ mitwirkenden Studierenden und Kooperationspartner. 4.1 Religiöse Bildung und Geistliches Leben – Rüstzeit: Insbesondere in den ESGn der neuen Bundesländer besteht eine schon in die Zeit vor 1989 zurückreichende Tradition, geistliche Rüstzeiten – meistens über ein Wochenende in einem Selbstversorgerhaus – mit biblischen und theologischen Inhalten zu veranstalten. – Teilnahme am Kirchentag: Gruppen aus Studierendengemeinden machen sich zu den Deutschen Evangelischen Kirchentagen (DEKT), zu den seit 2003 veranstalteten Ökumenischen Kirchentagen (ÖKT)
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und vereinzelt auch zu den Katholikentagen (KT) auf den Weg. Die Studierenden haben die Gelegenheit, ihren Bezug zum Glauben und zur Kirche in der Gemeinschaft und Begegnung u. a. mit Studierenden aus anderen Ort und Ländern zu vertiefen oder zu entdecken (oft gibt es Schulen, die als ESG-Gemeinschaftsquartiere ausgewiesen sind). In den vielfältigen Programmangeboten finden sich spezifische Angebote für ihre Lebenssituation, aber auch für kirchliches und gesellschaftliches Engagement. Einige ESGn engagieren sich mit Programmangeboten z. B. im Zentrum Studierende; auch sind sie oder ESGHauptamtliche in den Projektleitungen des programmatischen Teils zu finden. Fahrt nach Taizé: In der ökumenischen und internationalen Gemeinschaft von Taizé können Studierende und Gruppen für eine bestimmte Zeit am Leben der Brüder von Taizé teilnehmen. Sie feiern Andachten und Gottesdienste mit den Gesängen von Taizé, finden Gespräche und Ruhezeiten einschließlich der Stille und kommen mit jungen Menschen aus der ganzen Welt ins Gespräch. Seit einiger Zeit bietet die Kommunität eine Woche im September extra für Studierende an, die gern von ESGn in Deutschland angenommen wird. Kloster auf Zeit: Einzelne ESGn und die Bundes-ESG bieten den Aufenthalt in einem evangelischen Kloster (Communität) an. Durch die Teilnahme am Klosterleben wird die spirituelle Vertiefung des eigenen Glaubens ermöglicht, indem im Wechsel Gebetszeiten, Zeiten der Stille und der Arbeit sowie Mahlzeiten im Schweigen und im Gespräch erfolgen. Das Kennenlernen von kontemplativem Gebet, Schriftmeditation und bibliodramatischen Elementen vertieft die Tage im Kloster. Studierende kommen zur Ruhe, finden zu sich und zu Gott und schöpfen neue Kraft für ihr Studium. Gottesdienst im Grünen: Die Möglichkeiten, Gottesdienste und Andachten im Grünen zu feiern, sind vielfältig. Nicht immer sind dafür weite Anreisen und aufwändige Planungen erforderlich; gerade überschaubare Feiern in der Nähe üben eine große Anziehungskraft auf Studierende aus. Dabei bietet es sich an, die Topografie und natürliche Umgebung in die Gestaltung einzubeziehen und den Gottesdienst zu einer Gelegenheit zu machen, um am außergewöhnlichen Ort Gemeinschaft zu erfahren und Gottesbegegnung zu ermöglichen. Pilgern: Eher punktuell ist in einigen ESGn das »Beten mit den Füßen« in Gestalt einer Pilgerreise ein Programmangebot. Studie-
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rende machen sich innerhalb und außerhalb Deutschlands auf den Weg, um mit wachen Sinnen unterwegs zu sein. Mit Andachten, redend und schweigend gehen sie einen gemeinsamen Weg, der Auswirkungen auf den Alltag hat (siehe dazu Artikel 3.7 in diesem Handbuch).
4.2 Kultur- und Themenfahrten und Workshops
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– Studien- oder Besichtigungsexkursion sowie Städtetour: Hier werden kulturell sowie religiös interessante und relevante Orte und Städte aufgesucht. Solche (Tages-)Exkursionen gewinnen an Reiz, wenn sie in ein Semesterthema oder ein bestimmtes thematisches Anliegen der ESG eingebettet werden. Einige Studienfahrten umfassen Begegnungen mit anderen Studierenden (u. a. USA, Indien, Indonesien, Vietnam, Kamerun, Ukraine, Frankreich). Beispiele aus der Praxis: Zum Semesterthema »Frieden auf Erden« werden die Glasfenster zum Thema »Frieden« von Marc Chagall in der Chapelle des Cordeliers in Sarrebourg/Nordelsass besichtigt; eine dreitägige Studienreise nach Paris unter dem Thema »Evangelisches Paris« gibt Einblicke in historische Stätten des Protestantismus sowie in Gemeinden und deren diakonische Projekte; Besuch von Gedenkstätten. – Themenfahrt: In den ESGn gibt es gute Erfahrungen mit mehrtägigen Fahrten an reizvolle Orte, an denen eine Melange aus thematischer Arbeit an einem Glaubens- und Lebensthema, Freizeit und Gemeinschaftserlebnissen stattfinden. Beispiel aus der Praxis: Reise zum Thema »Zeit« auf eine Nordseeinsel, bei der mit kreativen Methoden Zugänge zum Thema gelegt werden. – Workshop: In verdichteter Form wird bei einem Workshop ein Thema so erarbeitet, dass es über die Exkursion hinaus für die ESG fruchtbar gemacht wird. Beispiel aus der Praxis: Umfrageäußerungen zu einem kirchlich und gesellschaftlich herausfordernden Thema werden ausgewertet und kreativ aufbereitet. Der Ortswechsel ermöglicht für diese Projektarbeit eine konzentrierte und anregende Atmosphäre. Vergleichbare Veranstaltungsformen gibt es im Bereich von STUBE u. a. in Gestalt von Wochenendseminaren mit Workshopcharakter.
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4.3 Schöpfung, Nachhaltigkeit und Genuss – Draußen in der Natur: Der Fantasie, mit ESG-Gruppen nach draußen in die Natur zu gehen und Aktivitäten zu unternehmen, sind kaum Grenzen gesetzt. Gemeinsam etwas in der als Gottes Schöpfung verstandenen Natur zu entdecken, sich zu bewegen und miteinander ins Gespräch zu kommen, sind herausragende Möglichkeiten zur Gemeinschaftsbildung. Beispiele aus der Praxis: Wanderung (ggf. kombiniert mit einzelnen Stationen für Texte, Stille und Meditation); Besuch von botanisch ansprechenden Orten (z. B. Kräutergärten); Radtour; Kanutour; Segeltörn; Teilnahme an Laufwettbewerben (z. B. als ESG-Team). – Ökologie und Nachhaltigkeit: Eine gute Verbindung zu einem zentralen Anliegen der ESGn, sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen, bieten Ausflüge zu ökologisch bedeutsamen Orten. Beispiele aus der Praxis: Besuch eines Bio-Bauernhofs oder von nachhaltigen Bio-Projekten; Teilnahme an einer nachhaltigen bzw. fairen (Fahrrad-) Stadttour (mit Besuch von entsprechend aufgestellten Geschäften); Besuch einer Recyclinganlage oder eines Windparks. – Genuss: Unterwegs zu sein und die Gaben der Schöpfung zu genießen, gehört zu den beglückenden Lebensäußerungen von ESGn. Beispiele aus der Praxis: Besuch eines Weinguts mit Weinprobe; Weinerlebniswanderung; Besichtigung anderer Einrichtungen, die dem Genuss dienen (siehe dazu Artikel 3.8 in diesem Handbuch).
4.4 Gemeinschaft, Ökumene, Interreligiosität – Unternehmungen mit anderen Studierendengemeinden: Die Verbundenheit der ESGn untereinander wird durch Nachbarschaftsund überregionale Treffen gestärkt. Beispiele aus der Praxis: ESGVollversammlung; ESG-Chortreffen »EinSinGen«; Chorfahrten mit Besuch eines anderen ESG-Chors; Studierendenkonferenzen in den Landeskirchen mit Sitzungsteil und Freizeitprogramm; »Brockentreffen« mehrerer ESGn im Harz; gemeinsamer Weihnachtsmarktbesuch von drei verschiedenen Orts-ESGn. – Internationale Begegnung: Von einzelnen ESGn in Kooperation mit der Bundes-ESG werden internationale Begegnungsreisen (z. T. mit Gegenbesuchen) innerhalb und außerhalb Europas veranstaltet, bei denen Studierende unterschiedlicher Nationen sich kennenlernen.
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Wesentliche Aspekte dieser Begegnungen, die z. T. als Kooperationsprojekte organisiert werden, sind das Erleben weltweiter Verbundenheit von Studierenden sowie das ökumenische und kulturelle Lernen. Beispiele aus der Praxis: Indien-Austausch der ESG Bonn mit dem »Student Christian Movement India«; Begegnungsprogramme der Bundes-ESG (u. a. Indonesien); internationale Konferenzen und Programmarbeit des World Student Christian Federation (WSCF) (siehe dazu Artikel 3.12 in diesem Handbuch). – Begegnung mit anderen Konfessionen und Religionen: Ein fester Programmpunkt in ESGn sind Besuche von Gottesdiensten und Gemeinden anderer Konfessionen und Religionen. Dazu zählen vor allem Begegnungen in Klöstern, Synagogen und jüdischen Kultusgemeinden sowie Moscheen und islamischen Vereinen. Die Wahrnehmung der Gottesdienste der anderen und der gemeinsame Austausch fördern das gegenseitige Verstehen und sind ein wichtiger Beitrag zum interreligiösen Lernen.
5 Praktische Aspekte Bei der Realisierung der verschiedenen Reiseformate und externen Unternehmungen liegt es nahe, die Werte zu berücksichtigen, die auch die Studierendengemeinden vor Ort prägen. Einige dieser Kennzeichen, die dem christlichen und spezifisch evangelischen Charakter der Studierendengemeinden zu eigen sind, werden im Folgenden benannt: – Partizipation: Bei der Planung und Vorbereitung einer externen Unternehmung sowie bei deren Verwirklichung und Nachbereitung werden die Studierenden aktiv einbezogen – nicht selten kommt der Anstoß zu einer solchen Unternehmung auch aus dem Kreis der Studierenden selbst. Die Orientierung an den Wünschen und Erwartungen der Studierenden ist eine tragende Säule für das Gelingen einer Reise. Die schon im Alltagsleben der Studierendengemeinden eingeübte Partizipation bewährt sich bei diesen Anlässen – etwa indem die Teilnehmer*innen die Reise mit eigenen Inputs, Texten, Musik und sonstigen Beiträgen bereichern und Verantwortung in der Gruppe für das Ganze oder Teile übernehmen. – Ökonomische und soziale Aspekte: Ein wesentlicher Faktor bei der Reiseplanung ist deren Finanzierung und Kalkulation. Insbesondere
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für größere und mehrtägige Unternehmungen müssen neben dem Eigenanteil der Teilnehmer*innen z. T. erhebliche Fördergelder beantragt werden. Der Blick richtet sich sowohl auf kirchliche Fördermöglichkeiten – als eine Möglichkeit sei der Förderverein der Bundes-ESG genannt – als auch auf andere Institutionen und Stiftungen; ferner kann eine Förderung im Rahmen eines Fundraisingprojekts erfolgen (siehe dazu Artikel 2.19 in diesem Handbuch). Bei allen Fragen der Kalkulation ist es essenziell, dass vom Grundsatz her auch solchen Studierenden die Reise ermöglicht wird, die nur über geringe finanzielle Mittel verfügen. – Ökologische Aspekte: Sowohl bei der Wahl des Reiseziels als auch bei der Durchführung einer Reise wird geprüft, in welcher Weise diese umweltgerecht veranstaltet werden kann. Im Einzelnen ist zu klären, welche Verkehrsmittel benutzt werden und ob ggf. alternative und der Umwelt zuträglichere Möglichkeiten bestehen. Eine Reise kann auch pointiert umweltschonend gestaltet werden und dieses Thema ein Aspekt der Reise sein. – Inhaltliche Nachhaltigkeit: Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen wird nach Möglichkeiten gesucht, der Reise durch kreative Formen der Erinnerung einen Nachklang zu geben. Zu denken ist an Blogs, Reisetagebücher, Foto- und Filmdokumentationen, Artikel für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (u. a. in der ESG-Verbandszeitschrift »ansätze«), Nachtreffen, öffentliche Präsentation, Anschlussveranstaltungen und vieles mehr.
Literatur Bubmann, P./Fechtner, K./Merzyn, K./Nitsche, S. A./Weyel, B. (2019) (Hg.): Gemeinde auf Zeit. Gelebte Kirchlichkeit wahrnehmen. Stuttgart. Ebach, J. (2003): Josef und seine Brüder. Auch eine Reisegeschichte. In: H. Kuhlmann/M. Leutzsch/ H. Schroeter-Wittke (Hg.) (2003): Reisen. Fährten für eine Theologie unterwegs (S. 87–93). Münster. Frisch, H.-J. (2017): Man ist dann mal weg. Über das Pilgern in den Weltreligionen. Darmstadt. Gerland, M. (2009): Faszination Pilgern. Eine Spurensuche. Leipzig. Grethlein, C. (2002): Mobilität I.II. RGG (4. Aufl.). Bd. 5, Sp. 1366 f. Henning, C. (1999): Reiselust. Touristen, Tourismus und Urlaubskultur. Frankfurt a. M. Kirsner, I. (2005): Reisen. In: K. Fechtner/G. Fermor/U. Pohl-Patalong/H. Schroeter-Wittke (Hg.): Handbuch Religion und populäre Kultur (S. 237–245). Stuttgart. Kirsner, I. (2019): Reisen/Pilgern als religiöser Bildungsort. Wissenschaftlich Religionspädagogisches Lexikon im Internet. https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/200634 (abgerufen am 13.11.2020).
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Kuhlmann, H./Leutzsch, M./Schroeter-Wittke, H. (Hg.) (2003): Reisen. Fährten für eine Theologie unterwegs. Münster. Lienau, D. (2015): Religion auf Reisen. Eine empirische Studie zur religiösen Erfahrung von Pilgern. Freiburg i. Br. Opaschowski, H. W. (2002): Mobilität III. RGG (4. Aufl.). Bd. 5, Sp. 1367 f. Sauer, K. (2019): Unterwegs mit Gott. Radwegekirchen, Gottesdienste im Grünen und christliche Reisen als Gelegenheiten für »Gemeinde auf Zeit«. Stuttgart.
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3.7 Spiritualität in Bewegung – Pilgern Constance Hartung
1 Einführung Wie passen Spiritualität und wechselnde Bewegung zusammen? Wie stehen Innerlichkeit und Heraustreten in die Welt zueinander? Wie kann Pilgern zu einem Bestandteil studierendengemeindlichen Lebens werden? Immer wieder ist es eine Schlagzeile wert: Zahlreiche Fans »pilgern« zum Grab eines verehrten Sängers – seien es nun Michael Jackson, der King of Pop, oder Elvis Presley, der King of Rock ’n’ Roll. Besucht werden Begräbnisstätten bekannter Persönlichkeiten wie die von Lady Diana. Der Begriff »Pilgern« erlebt eine inflationäre Nutzung. Genau das befördert die Unschärfe und erweitert das Spektrum der Formen. Schon eine Unterscheidung zwischen einer Wallfahrt und einer Pilgerfahrt bereitet Schwierigkeiten. Ist es nicht bei den Besuchen von Gräbern von Persönlichkeiten gerade der konkrete Platz oder Ort, der die Menschen anzieht? Ist das nicht eher eine Wallfahrt? Kann überhaupt von einer Wallfahrt die Rede sein, wenn es keinerlei religiöse Anbindung gibt? Die Übergänge sind fließend und zugleich passen diese Formen von Bewegung zum religiösen Wandel, den Soziolog*innen spätestens seit den 1990er-Jahren in Deutschland konstatieren (Luckmann 1991; Pollack 2003 und 2009; Knoblauch 2009; Bochinger 2009; Lüddeckens/Walthert 2010). Der »spirituelle Wanderer« bewegt sich zwischen den verschiedenen religiösen Angeboten und zugleich an verschiedenen Orten und ist der »Idealtypus spätmoderner Religiosität« (Gebhardt 2005). Die Orientierung auf den Körper im Zusammenhang mit Spiritualität ist nichts Neues. Bereits seit der Antike gibt es Bestrebungen, Körper und Geist in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen. Die Naturheilbewegung und die Lebensreformbewegung haben spätestens seit 1900 Menschen sensibilisiert, Körper und Geist im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung Aufmerksamkeit zu schenken. Zugleich begleiten in der Religionsgeschichte durchgängig körperliche Bewegung, Gestik und Körperhaltung die religiöse Praxis. Aber ebenso
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findet sich auch eine Ablehnung des Körperlichen in asketischen Bewegungen. Der Ort, der mit der körperlichen Präsenz eines Religionsstifters bzw. eines*r Heiligen verbunden ist, wird zum Wallfahrtsort. Im Judentum z. B. bildete Bewegung von Beginn an einen festen Bestandteil religiösen und sozialen Lebens. Nicht nur entstammt das Volk Israel einer Nomadenkultur, und die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob waren mit ihren Familien beständig unterwegs. Auch die Orte und Begräbnisstätten der Vorfahren galten als Erinnerungs- und Identitätsorte, wie es zumeist in Stammeskulturen üblich ist. Körper und Bewegung sind Querschnittsthemen für alle Religionen.
2 »Beten mit den Füßen« – Dimensionen des Pilgerns
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Die Bezeichnung »Pilger*in« oder »Pilgrim« ist aus dem spätlateinischen Wort »pelegrīnus« entlehnt (dissimiliert lat. peregrīnus) und wird übersetzt als »fremd, ausländisch« (Kluge 1989, S. 546; DWDS). Gemeint ist der*diejenige, der*die in Bewegung, unterwegs und damit in der Fremde ist. Wer sich auf den Weg macht, verlässt Vertrautes, lässt sich auf neues Land ein. Pilgerfahrten bzw. religiöse Reisen wie z. B. die hinduistische Kumbh Mela, die Umrundung des Kailash in Tibet, die Besuche der Stammesheiligtümer oder der muslimische Hadsch in Mekka gehören zu fast allen Religionen. Pilgern ist zugleich Einzelerleben und Gemeinschaftserleben. Wer sich auf den Weg macht, hat zuvor den Entschluss gefasst. Vielleicht ganz allein, aus persönlichen Gründen, oder aber im Rahmen einer Gruppe von Pilgernden. Die Motivation hat sich vielleicht aus einer Situation am Übergang zu einer neuen Lebenssituation ergeben oder gehört zu einer regelmäßigen Übung im (Glaubens-)Leben. So kann das Pilgern wie ein Passageritus sein. Nach dem Aufbruch aus einem bestimmten Zusammenhang gehört der*die Pilger*in im Sinne von Turners Ritualtheorie während des Pilgerwegs (»liminale Phase«) einer neuen Gemeinschaft (»communitas«) an (Turner 2005, S. 94–105). Angekommen bzw. zurückgekehrt, entsteht idealerweise ein neues Wahrnehmen der Lebenssituation. Seit Mitte der 1970er-Jahre gab es Initiativen, die alten Pilgerwege zu rekonstruieren. Die Hauptroute des Jakobsweges in den spanischen Pyrenäen erhielt 1993 den Titel »Welterbe der Menschheit«. 1998 erweiterte die UNESCO die Welterbeliste um die französischen Pilgerstraßen nach Santiago de Compostela. Pilgern ist mittlerweile Teil des Tourismusangebotes geworden. Geworben wird mit Stichworten wie »Selbstfindung« und »Distanz zum Alltag gewinnen«.
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Neben den sportlichen Outdoorer*innen treffen sich auf dem Weg auch die organisierten Urlaubstagespilger*innen und begeben sich auf die Suche nach Naturerlebnis und Stille. Die klassischen und eher religiös motivierten Anlässe hingegen wie z. B. Buße oder ein gegebenes Gelübde fehlen. Vielmehr wird offener formuliert: »Ich erwarte für mich das Erlebnis von Spiritualität.« Dabei spielt das Subjekt die entscheidende Rolle und nicht etwa eine Transzendenz. Das ist ganz passgenau zum Trend der Religiosität der Moderne im Sinne eines subjekttheoretischen Religionsbegriffs. Vor diesem Hintergrund erscheint das Pilgern trotz einer säkularen Umwelt als überraschend »religionsproduktiv«. Zugleich ist diese Art der Annäherung an Religiosität ein prozessuales Geschehen. Die*Der Einzelne entwickelt entsprechend ihrer*seiner Erfahrungen einen ganz eigenen Zugang zur Religiosität. Religion wird so zu einer »selbst gemachte[n] Erfahrung«, was zugleich »Kennzeichen der Subjektivierung von Religion« ist (Lienau 2018, S. 90 f.). »Geglaubt wird, was sich erleben lässt und sich darin als stimmig erweist« (Lienau 2018, S. 92). Dennoch ist durch die Tradition der Pilgerwege und die Begegnungen auf denselben der Bezug zu einer Kommunikations- und Traditionsgemeinschaft gegeben. Es entsteht eine Kommunikation, die sich einerseits im Austausch mit den aktuell Pilgernden als der »Vollzugsgemeinschaft« (Lienau 2018, S. 95) ergibt und sich andererseits darin zeigt, dass an die Pilgernden der vergangenen Zeiten angeschlossen wird. Aus letzterem entwickelt sich eine »Traditionsgemeinschaft«, auch wenn sie nur zeitweilig, während der Reise und in der Auswertung zu Hause, existiert (Lienau 2018, S. 93). Erkennbar ist die Pilgergemeinschaft an Symbolen wie z. B. der Jakobsmuschel, aber auch an den körperlich »erlittenen« Erfahrungen wie z. B. Blasen an den Füßen und Sonnenbrand. Zugleich ergibt sich dadurch eine besondere Form der Intimität und konkreter Zielorientierung. Gemeinschaft wird »sinnlich spürbar und […] durch die Fokussierung auf ein gemeinsames Vorhaben gestärkt« (Lienau 2018, S. 95). Die Gemeinschaft gibt Deutungsmuster vor, die individuell genutzt werden. Der Deutung der Erfahrungen ist damit eine Richtung gegeben, ohne dass diese verpflichtend ist. Dennoch prägt sie die Einordnung der individuellen Erlebnisse, wenn beispielsweise viel schneller eine Begegnung als schicksalhaft oder verbunden mit Transzendenz bewertet wird. Die Pilgergemeinschaft ist unverbindlich und »vorübergehend« (Lienau 2018, S. 97). Sie ist nicht dauerhaft angestrebt, sondern bildet den Rahmen, um sich im Kollektiv erleben zu können (vgl. Lienau 2018, S. 95–98). So ist es nicht verwunderlich, dass sich der Hype, den das Buch »Ich bin dann mal weg« von Hape Kerkeling im Jahr 2006 auslöste, nicht nur im Anstieg der Pilger*innenzahlen zeigte, sondern auch in der Verbreitung von Blogs, Tagebüchern und Erfahrungsberichten in den sozialen Medien.
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Die Leiblichkeit ist ein wichtiger Aspekt. Körperliche Fitness zu spüren, die Erschöpfung des Körpers zu erleben, die eigenen Grenzen in der Ausdauer auszutesten und mit den gegebenen Sinnen zu erfahren – das beschreiben Pilger*innen als Momente des Unterwegsseins (siehe dazu Artikel 3.6 in diesem Handbuch). Dadurch stellt sich spürbare Gewissheit des Weges ein. Das Ergebnis ist die Ganzheit im Moment: »Hier und jetzt bin ich. […] Es kommt zu Erfahrungen der Übereinstimmung zwischen innerer Befindlichkeit und äußerer Welt« (Lienau 2018, S. 100). Der andere Aspekt ist der geistliche Rahmen, der dem Pilgern gegeben wird. Kirchen sind nicht nur Orte des Rastens, sondern auch der Besinnung. Der Tag ist strukturiert und zwischen aktiven Phasen und Erholungen liegen die Momente des Innehaltens. Gerade wer länger unterwegs ist, erreicht diesen Rhythmus ganz automatisch. Spiritualität und Körperlichkeit – »Beten mit den Füßen«. Und nicht zuletzt sind es die Nähe der Natur und die Erfahrung einer Verlangsamung des Tagesrhythmus, die einer Pilgerreise den Wert eines Schutzraumes jenseits der oft als entfremdet oder überreizt erfahrenen Gesellschaft zuschreibt.
3 Studierendengemeinden auf Pilgerreise? Leben als einen Weg zu begreifen – das ist ein Motiv, das zum Pilgern führen kann. Wie die Gestaltung des Studienalltags eben auch von Hoch- und Tiefpunkten gezeichnet ist, so können Parallelen zu den Anstrengungen eines Pilgerweges gezogen werden. Auf Zeiten der Anstrengung folgen Zeiten des Ausruhens. Studierende befinden sich in einer sehr aktiven Lebensphase. Die Lösung vom Elternhaus und eine oft erste eigene Wohngemeinschaft, die Selbstorganisation des Studiums und eine Vielfalt neuer Beziehungen fordern heraus. Manche Krise durchleben sie gerade in diesen Lebensjahren. In Analogie dazu kann auch der Glaubensweg beschrieben werden. In den Studierendengemeinden wird angestrebt, eine christliche Gemeinde zu gestalten. Einige kommen aus christlichen Elternhäusern, einigen ist das christliche Bekenntnis fremd. Hier macht sich eine Gemeinschaft auf den Weg, prägt die*den Einzelne*n und lässt sich prägen. Für eine Studierendengemeinde kann dadurch eine geplante Pilgerreise zu einer Begegnung mit einer Spiritualität werden, die im Alltag oder in den wöchentlichen Kontakten so nicht vorhanden ist. Die Gruppe teilt die körperlichen Anstrengungen genauso wie das Innehalten. Solidarität und Gastfreund-
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schaft entstehen aus konkreten Situationen, in denen die Hilfe beim Tragen oder eine Möglichkeit zur Übernachtung plötzlich zu dem wird, was im Moment am wichtigsten ist. Die unterschiedlichen Arten des Vorankommens (ausgeschlafen ausschreiten, nachdenklich gehen, ermüdet schleichen, mit Schmerzen auftreten …) zeugen von den Zuständen, in denen sich die Pilgernden befinden. Und so erwächst eine Sehnsucht nach dem Ankommen wie auch ein Wunsch, den Weg fortzusetzen – immer wieder neu aus dem ganzheitlichen Erleben des Weges. Dazu gehört genauso auch der Wandel in den psychischen Situationen der einzelnen Teilnehmenden. Freude, Neugier und Zufriedenheit mit dem Erreichten wechseln sich mit Zweifel, Erschöpfung und Resignation ab. Ein weiterer Aspekt des Pilgerns ist die geschärfte Wahrnehmung von Zeit. Die Einführung von Fahrplänen förderte in der Moderne das zeit- und ortspunktgenaue Unterwegssein. Diese Gebundenheit an festgeschriebene Pläne zog vielfach das Gefühl der »Beschleunigung« nach sich. Obwohl auch für eine Pilgertour der Studierendengemeinde gilt, dass Anfangs- und Zielpunkt sowie der Zeitrahmen bestimmt sind, ist doch ein breiterer Zeitkorridor während des Pilgerns gegeben, was entschleunigt. Auf dem Weg besteht normalerweise nicht der Zwang, einen bestimmten Zug zu erreichen. Die Etappen können eingeteilt und Pausen bei Bedarf eingeschoben werden. Zugleich strukturiert sich der Tag nach spirituellen Orts- und Zeitmodalitäten. Dazu zählen z. B. ein spontanes Gebet in Kirchen am Weg und ein bewusster Beginn des täglichen Ortswechsels. Gewiss nicht an letzter Stelle steht beim Pilgern die Nähe zur Natur. Oft will das einfache Staunen über das, was da ist – über die Lebendigkeit und Schönheit der Schöpfung – wieder gelernt werden. Herausgenommen aus dem Alltag ist es leichter, mit wachen Sinnen unterwegs zu sein, wahrzunehmen und sich anrühren zu lassen. Dazu ist eine solche Tour eine geschenkte Gelegenheit. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Initiativen entwickelt, die ein Pilgerwegenetz, das zumeist die mittelalterlichen Wege nutzt, entstehen ließ. Die Strecke der historischen Via Regia z. B. wurde 2003 als »Ökumenischer Pilgerweg durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen« aktiviert. Die verschiedenen Zubringer zum Jakobsweg erhielten neue Beachtung. Zugleich ergaben sich Pilgerstrecken auf den Europäischen Fernwanderwegen. Es entstanden auch ganz neue Wege wie 2005 der Pilgerweg Loccum – Volkenroda. Die Auswahl ist vielfältig und der Beginn an verschiedenen Orten in Deutschland oder im Ausland möglich. Erfahrungen mit regelmäßigen Pilgerreisen zeigen, dass Studierende von diesen Erlebnissen lange erzählen. Die Einübung eines geistlichen Weges ist zugleich auch ein wichtiger Impuls für die gottesdienstliche Gestaltung des Gemeindelebens. Mit Gott unterwegs zu sein, wird spürbar in allen Abläufen
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des Tages. Andachten, die den Tag strukturieren, gewinnen durch ihre Kürze und Regelmäßigkeit an Tiefe. Wege im Gespräch miteinander zu gehen oder auch schweigend in die eigenen Gedanken oder einen Bibeltext vertieft zu sein, eröffnen Räume, die so während der Veranstaltungsformate am Studienort nicht betreten werden. Eine Pilgerreise bietet die Chance, Spiritualität mit allen Sinnen und zugleich individuell und als gemeindliche Praxis zu erleben. »Der dich behütet, schläft nicht. Er wacht über dich, wenn du müde wirst. Er gibt auf dich acht, wenn du einschläfst. Er ist bei dir, wenn du träumst. Er beschützt dich vor den dunklen Mächten der Nacht und bewahrt dein Leben für den neuen Tag. Der dich behütet, schläft nicht. – Nach Psalm 121« (Dorner/Lohse/Schmidt/Stahl 2009, S. 15).
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Literatur Bochinger, C./Engelbrecht, M./Gebhardt, W. (2009): Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion. Formen spiritueller Orientierung in der religiösen Gegenwartskultur. Stuttgart. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart. Hg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. https://www.dwds.de (abgerufen am 29.06.2020). Dorner, U./Lohse, B./Schmidt, U./Stahl, M. (2009): Auf und werde. Der geistliche Begleiter für Pilgerwege. Kiel. Gebhardt, W./Engelbrecht, M./Bochinger, C. (2005): Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmoderner Religiosität. ZfR, 13 (2), S. 133– 151. Hundertmark, A. (2004): »… weil Leben wandern heißt« – Pilgerwege als Lebensabschnitte gemeindlicher Praxis. Unveröff. Wiss. Hausarbeit zum Zweiten theologischen Examen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. Eisenach. Kluge, F. (1989): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (22. Aufl.). Berlin/New York. Knoblauch, H. (1991): Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. In: Luckmann, T. (Hg.): Die unsichtbare Religion (S. 7–41). Frankfurt a. M. Knoblauch, H. (2009): Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft. Frankfurt a. M./New York. Lienau, D. (2018): Individualisierung von Religion? Pilgern zwischen religiöser Subjektivität und Autonomieverlust. ZfR, 26 (1), S. 85–107. Luckmann, T. (1991): Die unsichtbare Religion. Frankfurt a. M. Lüddeckens, D./Walthert, R. (Hg.) (2010): Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel. Theoretische und empirische Systematisierungen. Bielefeld. Pollack, D. (2003): Säkularisierung – ein moderner Mythos? Tübingen. Pollack, D. (2009): Rückkehr des Religiösen? Tübingen. Turner, V. (2005): Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Frankfurt a. M. Van Gennep, A. (2005): Übergangsriten (3. Aufl.). Frankfurt a. M.
3.8 Essen und Trinken Matthias Freudenberg
Donnerstagabend in der ESG, es ist kurz vor 20.00 Uhr. Aus der Gemeinschaftsküche zieht der Duft exotischer Gewürze durch den Flur. William und Nadine1 haben aus ihrer Heimat Kamerun ein Rezept für ein dreigängiges Menü mitgebracht, das sie seit mehreren Stunden zubereiten. Andere helfen beim Schneiden des Gemüses und bei der Verfeinerung der Suppe. Im Saal mit den festlich gedeckten Tischen sind bereits 30 Studierende aus vielen unterschiedlichen Nationen; einige kennen sich schon gut, andere sind neu und fühlen sich sofort willkommen. Auf den Tischen stehen Getränke, später wird ein zum Essen passender Wein ausgeschenkt. Bevor alle herzhaft zugreifen, erläutern Koch und Köchin die Speisen. Ein Abend voller kulinarischer Genüsse. Ein Abend mit vielen Gesprächen. Ein Abend, an dem das Erleben von Gemeinschaft bei einem köstlichen Essen im Mittelpunkt steht.
1 Amuse-Gueule – Gaumenfreude als Lebensäußerung »Essen und Trinken beherrschen das Leben und Denken der Menschen seit jeher« (Pudel 2003, S. 121) und sind ein sozialer Akt, durch den Gemeinsamkeit hergestellt wird. Das gilt in besonderer Weise für die ESG. In den Etagenküchen der Wohnheime wird regelmäßig gekocht – nicht nur individuell, sondern auch als gemeinschaftliches Event. So verschieden die Herkunft der Bewohner*innen ist, so unterschiedlich sind die Rezepte, die in den Küchen erprobt werden. Das Gleiche gilt für gemeinsame Kochveranstaltungen, die Teil des ESG-Programms sind und eine große Vielfalt aufweisen. Von der Planung über den Einkauf und die Zubereitung der Speisen bis zu deren genussvollem Verzehr gibt es ein Zusammenwirken, das den Gemeinschaftscharakter der ESG unterstreicht. Beim 1 Sämtliche Namen wurden geändert.
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Essen und Trinken soll sich ein Genuss einstellen, in dem sich zeigt, dass die Nahrungsaufnahme mehr als nur eine physiologische Notwendigkeit ist. Essen und Trinken geben eine Ahnung davon, dass das Leben sich nicht in Zweckmäßigkeit, Effizienz und Funktionalität erschöpft, sondern auch das mit den Sinnen zu erfassende Schöne, Außergewöhnliche und den Genuss kennt. Das Lied »Unser Leben sei ein Fest« (EG RWL 571; HuT 418) drückt den Wunsch aus, dass der Alltag von Freude geprägt sein möge. Essen und Trinken sind als elementare Lebensäußerungen »Nahrung für die Psyche« (Pudel 2003, S. 121). Die Wertschätzung von Lebensmitteln betrifft den ganzen Menschen mit Leib und Seele. Es entsteht ein emotionales Erlebnis, das einen wesentlichen Teil der Lebensqualität ausmacht. Aus der Ernährungspsychologie ist bekannt, dass guter Geschmack, angenehme Sensorik, stilvolles Ambiente und erlebte Gemeinschaft unmittelbar wirken und das Wohlbefinden steigern sowie von negativen Gedanken ablenken (vgl. zur Ernährungspsychologie Pudel 2003, S. 121–138; Klotter 2017, S. 32–42; zur Ernährungssoziologie Barlösius 2016, S. 179–217). Geschmack und Sensorik sind freilich ein Resultat erfahrungsbedingter Gewohnheiten und daher auch kulturell bedingt. Die Ernährungskultur, in der Menschen aufgewachsen sind, prägt entscheidend die Ernährung. Konkret: Weder bayerischer Leberkäse noch kamerunische Kochbananen werden vermutlich allseits spontan Akzeptanz finden, können aber durch positive Esserfahrungen in den eigenen Kanon der Speisen integriert werden. Essen und Trinken in der ESG erweist sich als eine Gelegenheit, die eigene Gewohnheitsbildung zu verlassen, Abwechslung zu erproben und neue Erfahrungen zu machen. Beim Essen und Trinken gibt es etwas zu lernen; beides gehört im weiteren Sinn zur Bildung. Ein Beispiel ist die Anleitung zu einem bewussten Erschmecken der Geschmacksnoten des Weins. Dieser ist dann nicht nur einfach Rot- oder Weißwein, sondern lässt sich nach Aussehen, Geruch, Geschmack sowie Gesamteindruck differenziert beurteilen. Wer bewusst isst und trinkt, lernt Nahrung besser zu verstehen und erfährt eine Steigerung des Genusses (vgl. Barlösius 2016, S. 81–99). Wenn sich dabei emotionale Erlebnisse einfinden, kann man von einem Geschmackserlebnis und einer Genusskultur sprechen. Die Aufnahme von Nahrung ist Teil eines Lebensstils und einer Lebenskunst, sodass der klassische Satz »Der Mensch ist, was er isst« seinen Sinn entfaltet: Essen und Trinken dienen nicht zuletzt der Selbstinszenierung und Identitätsfindung des Menschen, sodass die Entscheidung zwischen Latte Macchiato und Cappuccino bereits einen bestimmten Lebensstil zum Ausdruck bringen kann.
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2 Biblisch-theologische Perspektiven Im Leben dreht sich vieles ums Essen und Trinken, da beides die elementare Grundlage der Lebenserhaltung ist. Das gilt in biologischer, kultureller, sozialer und psychologischer Hinsicht. Aber auch unter religiösen Aspekten kommen dem Essen und Trinken eine wichtige Bedeutung zu. Vordergründig lässt sich an die geradezu kultische und quasireligiöse Aufladung der Inszenierung von kulinarischen Ereignissen in der Gastronomie denken. Oder an eine Hypersensibilität, mit der der Verzehr gesunder Nahrung in vegetarischer oder veganer Gestalt nach strikten Regeln zelebriert wird. Ein Blick auf die spezifisch christliche Bedeutung des Essens und Trinkens zeigt dessen Gottesbezug auf. Essen und Trinken werden im Tischgebet in ein Verhältnis zu Gott gestellt, indem sie als Gottes Gabe wahrgenommen werden und dafür gedankt wird. Das schließt ein, dass es jenseits von Eden erforderlich ist, die Nahrung mühsam der Vegetation abzuringen und zuzubereiten (vgl. Gen 3,18 f.) – ein wichtiger Hinweis auf die gebotene Wertschätzung gegenüber den Nahrungsprodukten, aber auch auf deren Zubereitung als kulturelle Leistung. Das, wofür der Mensch Gott dankt, benötigt Pflege und Arbeit. Menschen nehmen die sie umgebende Welt in Gestalt von Nahrung in sich auf und partizipieren an Gottes Schöpfung und verleiben sie sich gleichsam ein (vgl. Ps 104,27 f.). Essen und Trinken gehören zum menschlichen Weltverhältnis und sind nicht weniger als Leben – besonders dann, wenn sie die Lebensfreude unterstreichen. »Essen ist Leben – das bedeutet aber auch: Leben ist bedürftiges Leben; angewiesen auf Speise« (Bukowski 2017, S. 165). Indes lebt der Mensch nicht vom Brot allein, sondern bedarf auch der himmlischen Speise (Mt 4,4); biblisch ist die Rede vom Wort Gottes, für das die menschliche Kommunikation beim Mahl ein irdisches Gleichnis ist. Essen, Trinken und Reden bilden ein Ganzes, was schon die Fülle der in der Bibel berichteten Gastmähler bezeugt (vgl. Smend 1977, S. 446–459). Gottes Volk feiert am Anfang seines Weges in die Freiheit das Passamahl (Ex 12). Auf seinem Weg werden Essen und Trinken zu Lebenszeichen des fürsorgenden Gottes, ob es nun Manna und Wachteln in der Wüste sind (Ex 16) oder Brot und Wasser für den müden Elia (1Kön 19,5–8). Für biblische Gastmähler sind das Empfangen des Gastes und das Schenken der Speise sowie die Begegnung mit Gott charakteristisch (vgl. Gen 18,1–8; Hebr 13,2). Jesu Tischgemeinschaft wird als frei, befreiend und inklusiv, die offensichtlichen Sünder und Ausgegrenzten einschließend, beschrieben. Das provoziert die Frage: »Mit den Zöllnern und Sündern isst er?« (Mk 2,16) und bringt ihm den Vorwurf »Fresser und Weinsäufer« ein (Mt 11,19). Seine Weinund Speisungswunder zeigen auf, dass das bereits angebrochene Reich Gottes
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in der Gemeinschaft mit ihm zeichenhaft erfahrbar ist. Dieses Reich wird in den Gleichnissen als Festmahl beschrieben (Lk 14,15; vgl. Jes 25,6 ff.). Wie im Paradies wird Gott im himmlischen Jerusalem die Nahrung zu seiner Sache machen (Apk 22,1 ff.). Wieder und wieder erzählt die Bibel von der Freundlichkeit des nährenden Gottes: »Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist« (Ps 34,9). In seinem letzten Mahl, das an das Passahmahl anknüpft, teilt Jesus Brot und Wein aus, verkündet zeichenhaft seine Hingabe in der Passion (Mk 14,22–25 parr; 1Kor 11,23–25) und gibt einen Vorgeschmack auf das endzeitliche Gastmahl (Mk 14,25). Darauf zurückblickend nimmt das Essen und Trinken in der urchristlichen Gemeinde eine Schlüsselfunktion ein. Ihr Gemeinschaftsmahl (vgl. Apg 2,42–47), in dem das Herrenmahl gefeiert wird, heißt Agape (»Liebe«, Jud 12) und ist auf das Teilen der Speise zwischen Reichen und Armen angelegt; da das nicht immer so praktiziert wird (1Kor 11,17–34), sollte man die urchristlichen Mahlzeiten indes nicht leichtfertig idealisieren. In der kirchlichen Tradition wurde bisweilen der exzessive Genuss durch Regeln der Askese im religiös motivierten Fasten und durch die Verurteilung der Völlerei – sie ist eine der sieben Todsünden – eingehegt. Dem Essen und Trinken wurde ein Maß und ein Ziel verordnet, wobei Huldrych Zwingli seine reformatorische Kritik am Fastengebot äußerte und die Freiheit beim Essen und Trinken gegen dessen meritorischen Charakter betonte. Für eine biblisch-theologische Reflexion des Essens und Trinkens ist entscheidend: Menschen empfangen das sichtbare Zeichen von Gottes Güte und Freundlichkeit essend und trinkend, was im Abendmahl seinen stärksten Ausdruck findet. Darüber hinaus ist jede Mahlzeit eine Erinnerung und Bestätigung, dass Gott freundlich gesinnt ist, reichlich und unverdient gibt und alle willkommen sind. Das Empfangene wird weitergegeben, sodass sich eine Ethik des Essens und Trinkens skizzieren lässt: als Wertschätzung von Gottes Schöpfungsgaben und als gastfreundschaftliche Bereitschaft, die*den andere*n, gelegentlich auch die*den Fremde*n, am Tisch zu empfangen und mit ihr*ihm zu teilen. Das irdische vorläufige und allzu menschliche Essen und Trinken ist ein irdisches Gleichnis für das große Empfangen und Schenken im Himmelreich (vgl. Bühler 2003, S. 213). In seiner Unvollkommenheit lässt das Essen und Trinken etwas vom endzeitlichen Freudenmahl durchblicken. So gesehen illustrieren das Essen und Trinken in der ESG ihr evangelisches Profil.
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3 Wertschätzung und Nachhaltigkeit In der Genusskultur gibt es Entwicklungen, an denen auch das Essen und Trinken in der ESG teilhaben. Exemplarisch ist an folgende Trends zu denken, die Wertschätzung und Nachhaltigkeit im Umgang mit Lebensmitteln verdeutlichen. – Vom Fastfood zum Slowfood: Im Unterschied zum Fastfood der klassischen Würstchenbuden, Imbissketten, Dönerimbisse und PizzaBringdienste gibt es den Trend zur Verbindung von Essen, Trinken und ausreichender Zeit für den Genuss. Die ESG ist ein Ort, der sich bewusst von der funktionalen Verpflegung u. a. in den Mensen unterscheidet und ein mehrdimensionales Esserlebnis bietet. – Von der Sättigung zum Genuss: Essen und Trinken sind mit einer Story verknüpft, in der es um mehr als nur um die zum Leben erforderliche Nahrungsaufnahme geht. Diese Story erzählt davon, dass sich das Leben gemäß der augustinischen Differenzierung nicht im Nutzen (uti) erschöpft, sondern auch das Genießen (frui) kennt und dadurch Stil und Kultur gewinnt. – Vom Leibgericht zum Ethnofood: Durch die Internationalität der Speisen werden neue kulinarische Welten erschlossen. Auf niedrigschwellige Weise geschieht die Einübung in ein interkulturelles Bewusstsein, das die Besonderheiten und Ausdrucksformen nicht nur anderer Küchen, sondern auch anderer Menschen kennen- und schätzen lernen hilft. Auf diese Weise hat der Verzehr internationaler Gerichte einen sinnlich-emotionalen Anteil am Anspruch der ESG auf Begegnung mit Menschen aus aller Welt. – Vom Fleischgericht zu gesundheitsbewusster Kost: Bei der Wahl der Speisen fallen Entscheidungen, die etwas über das eigene Selbstverständnis und den eigenen Lebensstil verraten. Es wächst zunehmend die Einsicht, dass zu einem vollständigen Essen keineswegs notwendig ein Stück Fleisch gehört, sondern dieses durch vegetarische oder vegane Speisen ersetzt werden kann. Nicht nur ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch das Bewusstsein um eine ressourcensensible und ökologisch verträgliche Herstellung von Nahrung legen eine Reduktion des Fleischgenusses nahe. In Verbindung mit dem Gedanken der Bewahrung der Schöpfung ist das auch ein Anliegen der ESG. – Vom Supermarktregal zur Nachhaltigkeit: Die Aufmerksamkeit für die Echtheit der Naturprodukte, ihren nachhaltigen Anbau, ihre
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Qualität und regionale Herkunft oder faire Erzeugung sind Kennzeichen eines sorgsamen Umgangs mit Essen und Trinken. Einige ESGn sind in Netzwerke von regionalen, kommunalen und universitären Fairtrade-Initiativen eingebunden und machen in eigenen Veranstaltungen auf den wertschätzenden und nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen aufmerksam. Sie betreiben u. a. Fairtrade-Verkaufsstände in den Hochschulen und organisieren Arbeitsgemeinschaften, die sich dem fairen Handel, der Nachhaltigkeit und der ökologischen Verantwortung widmen (siehe dazu Artikel 3.10 in diesem Handbuch).
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Diese Trends zeugen von einem zunehmenden Bewusstsein für den Wert des Essens und Trinkens und den wertschätzenden Umgang mit ihnen. Bisweilen wird die Nahrungsaufnahme zu einem Entscheidungshandeln für das Gute (nämlich gesunde und ökologisch nachhaltige Produkte) und gegen das Böse (nämlich der Gesundheit abträgliche und ökologisch schädliche Produkte). Nicht nur in kultureller, sondern auch in moralischer Hinsicht ist Essen und Trinken emotional aufgeladen – ein Trend, der auch von ideologischen Überspannungen nicht frei ist. In einigen Milieus begegnet eine Ernährungsfrömmigkeit, die einer (nach den eigenen Maßstäben) gesunden Ernährung eine quasi soteriologische Bedeutung zuschreibt. Das hat bisweilen ein moralisches und soziales Überlegenheitsgefühl zur Folge, das sich konfliktfördernd auswirken kann (vgl. Barlösius 2016, S. 7). Bewusstes Essen und Trinken, das Genuss, Wertschätzung für die Speisen und nachhaltigen Umgang mit ihnen einbezieht, weist weit über die Nahrungsaufnahme hinaus. Es ist Ausdruck einer Lebenshaltung, sich nicht mit dem Vorgesetzten und gleichsam Vorgekauten zu begnügen, sondern das Selbstbewusstsein zu kultivieren, im Leben selbst und beim Essen und Trinken die Wahl zu haben (vgl. Spiekermann 2003, S. 78). Wer frei ist, kann wählen. Und wer wählt, zeigt darin die eigene Freiheit.
4 Essen, Trinken und Spiritualität Aus der Notwendigkeit, sich Nahrung zu suchen, entstand in der Menschheitsgeschichte die Situation, sich für und gegen bestimmte Nahrungsmittel zu entscheiden. Hierzulande ist die Vielfalt der Speisen so immens, dass ihre Wahl eine herausfordernde Aufgabe ist. Es gibt aber auch Einschränkungen bei der Wahl der Speisen und weitere Faktoren, die kurz angedeutet werden.
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– Religiöse Nahrungstabus: Bei gemeinsamen Veranstaltungen mit muslimischen Studierenden gehört es zur Gastkultur der ESG, die Speisegebote des Islam zu berücksichtigen; anstelle von Schweinefleisch und Alkohol sind Alternativen vorzuhalten, die »halal« sind. Eine analoge Sensibilität ist bei Veranstaltungen mit Studierenden jüdischen Glaubens notwendig, und es sind die Regeln der koscheren Küche zu beachten. Eine interreligiös sensible Küche ist ein hohes Gut. – Ernährung, Lebenseinstellung und Gesundheit: Eine zunehmende Anzahl von Studierenden hat sich aus gesundheitlichen Gründen für eine teilvegetarische, vegetarische oder vegane Ernährung entschieden. Oft sind damit auch eine spezifische Lebenseinstellung und Achtsamkeit gegenüber der nichtmenschlichen Kreatur verbunden, die Respekt verdienen. Beim gemeinsamen Kochen sollte z. B. zumindest eine vegetarische Alternative angeboten werden. Ferner sind einzelne Studierende aus gesundheitlichen Gründen auf eine bestimmte Kost angewiesen; eine ernährungssensible ESG wird das berücksichtigen. Schließlich dürfen jene nicht aus dem Blick geraten, die unter den unterschiedlichen Formen von Essstörungen leiden (vgl. Klotter 2017, S. 96–151). – Ökonomische Faktoren: Gutes Essen und Trinken verursachen Kosten, die durch Umlagen, Spenden und Beiträge refinanziert werden müssen. Es gehört zum evangelischen Anspruch der ESG, dass Studierende nicht übermäßig belastet werden. Teilen und Gastfreundschaft erhalten so eine konkrete Gestalt. Zwischen den Extremen von radikaler Askese und exzessiver Völlerei hat die ESG das Anliegen, Essen und Trinken zu kultivieren und mit Stil zu versehen. Zu einem kulinarischen Erlebnis gehört dessen ästhetische Gestaltung, was sich u. a. in einem stilvoll gedeckten Tisch mit möglichst gleichem Geschirr und zu den Getränken passenden Gläsern zeigt. Die Erläuterung des Essens und des Weins wird ebenso die Wertschätzung der Speisen und der Teilnehmenden unterstreichen wie der Dank an diejenigen, die für deren Vor- und Zubereitung verantwortlich sind. Ferner gehört zum evangelischen Stil eines gemeinsamen Essens, dieses durch gesungenen oder gesprochenen Dank an Gott zu eröffnen oder zu beschließen (s. u.). Neben dem profanen gibt es in der ESG auch das heilige Essen und Trinken in Gestalt von Abendmahl und Agapemahl. Im Handbuch für Liturgie und Gottesdienst »kraft gottes« werden auf die Lebenswelt der Studierenden ausgerichtete Abendmahlsliturgien vorgeschlagen, welche die Studierenden an der
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Feier beteiligt (kraft gottes, S. 43–46; 99–103). Das Essen des gebrochenen Brotes und das Trinken des im Kelch gereichten Weins bzw. Traubensafts unterstreichen die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn und untereinander. Um den einladenden Charakter dieser Feier zu unterstreichen, gilt die Einladung allen – gleich welcher Konfession. Da das Abendmahl ebenso wie die Predigt Verkündigung des Evangeliums und dessen Zuspruch ist, lässt sich aus theologischen Gründen der Schluss ziehen, dass sich die Einladung auch an die richtet, die keiner Kirche angehören. So ist das Abendmahl für die einen eine Stärkung des Glaubens und für andere eine Einladung zu ihm. Für alle gibt sich Gott unter Brot und Wein in seiner Freundlichkeit zu schmecken (vgl. Ps 34,9).
5 Praxisbeispiele
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Abschließend werden Praxisbeispiele genannt, die den christlichen und spezifisch evangelischen Charakter des Essens und Trinkens unterstreichen. – Frühstück mit Tagesimpuls: Zu den gemeinschaftsstiftenden Veranstaltungen zählt ein Tagesauftakt, der Nahrung für Leib und Seele bietet. Der inhaltliche Fokus liegt auf einem Gedanken zum Tage, einer prägnanten Andacht oder einer kurzen Bibelarbeit. – Abendandacht mit Brotzeit: Unterschiedliche Formen von Abendandachten wie z. B. das Taizé-Gebet münden in eine Brotzeit, die »after work« nährt und Kommunikation ermöglicht. – Gemeinsames Kochen: Ein mehrgängiges Gericht wird gemeinsam zubereitet und serviert. Insbesondere zu internationalen oder hierzulande unbekannten Gerichten können die Köch*innen Erläuterungen geben oder im Rahmen von Länderabenden etwas über ihr Herkunftsland berichten. Varianten sind Grillveranstaltungen oder eine »Schnippelparty«, bei der im Sinne der Nachhaltigkeit nicht mehr verkäufliche und vorzugsweise vegetarische Lebensmittel besorgt und kreativ zubereitet werden. Das gemeinsame Kochen kann durch ein gesungenes Gebet in Form eines Kanons (z. B. EG 461), ein Lied (z. B. HuT 419–423; 175,3+4; 176; 177,1; 288,1) oder ein Tischgebet (kraft gottes, S. 223–225) eröffnet und dadurch der Dank an Gott den Schöpfer zum Ausdruck gebracht werden. – ESG-Café: Insbesondere auf dem Campus gelegene ESGn betreiben eigene Cafés, deren Betrieb zumeist ehrenamtlich tätige Studierende gewährleisten. Diese Cafés sind ein niedrigschwelliger Erholungs-,
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Begegnungs- und Lernort, den auch Studierende aufsuchen, die sich nicht als Mitglieder der ESG betrachten, aber diese dadurch als gastfreundliche Einrichtung kennenlernen. Dinner Church: Das auf Beteiligung angelegte Konzept gemeinsamen Essens und Trinkens, das aus der Ev.-luth. St. Lydias Dinner Church in Brooklyn/New York stammt (www.stlydias.org), sieht eine Verbindung von Mahl und Gottesdienst vor (kraft gottes, S. 173–176). Die Teilnehmenden bereiten das Essen gemeinsam vor und sorgen für den Aufbau. Im Zentrum steht das gemeinsame Essen, das zum Eingang liturgisch durch Lieder, Salbung, Abendmahl und im zweiten Teil durch biblische Lesung in verteilten Rollen, Bibelteilen, Auslegung, Fürbitten, Lieder, Nachtisch und Segen gerahmt wird. Weinprobe: Sowohl in den Räumen der ESG als auch außerhalb – je nach Standort in einem Weingut – lassen sich Weinproben organisieren, bei denen die Studierenden in die Geschmackswelt und das Herstellungsverfahren des Weins eingeführt werden. In Weinbauregionen sind Weinerlebniswanderungen möglich. Ebenso können die Herstellungsorte anderer Lebensmittel aufgesucht werden (z. B. Biobauernhöfe etc.). Tischetikette: In einigen Städten werden Kurse angeboten, die in den souveränen Auftritt beim Essen und Trinken einüben. Denkbar ist eine entsprechende Veranstaltung für Studierende mit Expert*innen in der ESG. Interreligiöses Fastenbrechen: Es gibt gute Erfahrungen mit einem interreligiösen Abend während des Ramadan. Von muslimischen Studierenden vorbereitete Speisen und Getränke werden verzehrt; inhaltliche Impulse können Wortbeiträge zur Bedeutung des Ramadan und ein Statement aus christlicher Sicht sein. Als Kooperationspartner bieten sich islamische Hochschulgruppen oder die Initiative Café Abraham an (siehe dazu Artikel 2.14 in diesem Handbuch).
Literatur Barlösius, E. (2016): Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung (3. Aufl.). Weinheim/Basel. Bukowski, P. (2017): »Schmecket und sehet«. Ist unser Essen gebetskonform? Eine biblische Betrachtung zu dem, was auf den Tisch kommt. In: P. Bukowski: Theologie in Kontakt. Reden von Gott in der Welt (S. 164–169). Göttingen. Klotter, C. (2017): Einführung Ernährungspsychologie (3. Aufl.). München/Basel.
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Pudel, V. (2003): Psychologie des Essens. In: F. Escher/C. Buddeberg (Hg.): Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur (S. 121–138). Zürich. Smend, R. (1977): Essen und Trinken – ein Stück Weltlichkeit des Alten Testaments. In: H. Donner/R. Hanhart/R. Smend (Hg.): Beiträge zur Alttestamentlichen Theologie. Festschrift für Walther Zimmerli (S. 446–459). Göttingen. Spiekermann, U. (2003): Demokratisierung der guten Sitten? Essen als Kult und Gastro-Erlebnis. In: F. Escher/C. Buddeberg (Hg.): Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur (S. 53–83). Zürich.
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3.9 Arbeit mit Geflüchteten Sonja Sibbor-Heißmann
Arbeit und Leben in der Studierenden- und Hochschulseelsorge bestimmen sich aus dem Miteinander und Gegenüber verschiedener »Welten«. Die der Hochschule, des Lernens und Forschens, die Welt des persönlichen, privaten Lebens – aber auch die Welt der Gesellschaft, der Politik, des Zeitgeistes, der Themen und Fragestellungen am Puls der Zeit. Insbesondere seit dem Jahr 2015 standen und stehen auch in der Studierendenseelsorge Menschen im Fokus, die aus verschiedensten Gründen geflüchtet sind. Dennoch ist Engagement für und mit Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung nichts Neues. Dieser Themenbereich hat seit dem Jahr 2015 neue Aufmerksamkeit erfahren – von den Studierenden selbst, aber auch durch Universitätsleitungen und Anfragen, die an sie herangetragen wurden. An Beispielen soll die Vielfalt von Bezügen und Projekten aufgezeigt werden, ihre Außen- und Innenwirkung, ihre Grenzen und Möglichkeiten. Grundsätzlich ist festzustellen, dass der Anteil internationaler Studierender immer größer wird; der Anteil internationaler Studierender mit Fluchthintergrund ist allerdings nicht genau feststellbar und kann nur durch Rückschlüsse ohne genaue Zahlen vermutet werden. Im Migrationsbericht des BAMF/BMI heißt es: »Die Zahl der Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer, die ihr Studium in Deutschland aufgenommen haben, ist im Jahr 2018 erneut angestiegen. Insgesamt hat sich ihre Zahl von 104.940 im Jahr 2017 auf 109.995 im Jahr 2018 erhöht. Damit wurde im Jahr 2018 die bislang höchste Zahl an Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer unter den Erstsemestern verzeichnet. Die größte Gruppe ausländischer Studierender, die im Jahr 2018 ihr Studium an einer deutschen Hochschule begonnen haben, bildeten – wie seit dem Jahr 2006 – Studierende aus China. Seit 2017 ist auch Syrien unter den wichtigsten Herkunftsländern der Studierenden vertreten. 2018 stellten die 5.783 Studierenden aus Syrien mit 5,3 % die drittgrößte
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Gruppe der Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer im ersten Hochschulsemester« (BAMF/BMI Migrationsbericht 2018, S. 7). Dies lässt rückschließen, dass viele Geflüchtete aus Syrien, die um das Jahr 2015 nach Deutschland kamen, inzwischen ein Studium aufnehmen konnten. Hinweise, wie viele Geflüchtete studienvorbereitende Kurse absolvieren oder ein Studium aufnehmen, gibt es über die Programme des DAAD (Integra, Welcome u. a.). Vermutlich brachten von den über eine Million Geflüchteten, die allein im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, etwa 30.000–50.000 die Voraussetzungen mit, ein Studium in Deutschland zu beginnen oder fortzusetzen (vgl. DAAD 2018, S. 4).
1 Verschiedene Phasen der Arbeit mit Geflüchteten seit 2015
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Auch vor dem Jahr 2015 gab es Projekte und Initiativen in der Arbeit mit Migrant*innen oder Geflüchteten in Studierenden- und Hochschulgemeinden, teils seit den 1980er- und 1990er-Jahren, beeinflusst durch die Einwanderung der sogenannten Aussiedler*innen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und durch die Fluchtbewegungen infolge des Balkankrieges. Die Akteur*innen in der Geflüchtetenarbeit waren inzwischen etabliert, großenteils institutionalisiert, gesettelt und bewährt, nur noch relativ wenig durch studentische Initiativen getragen. Mit der großen Anzahl an Geflüchteten, die im Jahr 2015 vor allem über die Balkanroute nach Europa und Deutschland kamen, änderte sich das (vgl. BAMF/BMI Migrationsbericht 2018, S. 104 ff.). Gerade Grenzregionen und Grenzstädte zu Österreich, wie z. B. Passau, erlebten die Ankunft der geflüchteten Menschen hautnah mit. Am Bahnhof und später mit Bussen kamen täglich tausende Menschen an (vgl. Stadt Passau 2016, S. 41). Schnell entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit von Bundes- und Landespolizei, Hilfsorganisationen und sehr vielen freiwilligen Helfer*innen; Studierende waren hier immer dabei, in akuten Situationen ganz direkt, schnell und unbürokratisch und dann organisiert in Hochschulgruppen, durch Vereinsgründungen oder andere Arten des strukturierten Engagements. Auch weit über Passau hinaus lässt sich im studentischen Engagement festhalten, dass Studierendengemeinden gegenüber anderen Initiativen einige Vorteile haben. Generell sind studentische Initiativen in Form von Hochschulgruppen sehr flexibel, durch hohes Engagement getragen und spontan. Schwieriger wird es, das Engagement zu verstetigen. Hier ist die Struktur der Studierendengemeinden mit hauptamtlichen Mitarbeitenden hilfreich. Durch
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sie wird Kontinuität einfacher, die durch die große Mobilität und oft kurze Studiendauer von Studierenden schwer zu leisten ist. Ist ein Thema und Anliegen in einer Studierendengemeinde verankert, kann auch längerfristiges Engagement wirksam werden – weit über das aktuelle Engagement einzelner Studierender während ihrer oft kurzen Verweildauer hinaus. Im Jahr 2015 erlebten viele Projekte, Vereine und Aktionsgruppen einen regelrechten Boom an öffentlichem Interesse und bereitwilligen Ehrenamtlichen. An jedem Hochschulstandort stellte sich das unterschiedlich dar. Anhand einer Umfrage der Bundes-ESG im Sommer 2020 lässt sich ablesen, dass überdurchschnittlich viele Projekte im Jahr 2015 bzw. in den Folgejahren ihren Anfang nahmen, die teilweise bis heute oder für eine bestimmte Zeit durchgeführt wurden (Bundes-ESG 2020, S. 1). Am Beispiel der ESG Passau lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Zeitgeschichte, Engagement und daraus erfolgenden Projekten, ihren Möglichkeiten und Grenzen gut zeigen. Das Projekt »Kostenlose Deutschkurse« der ESG Passau mit zahlreichen Gruppen gibt es bereits seit den 1980er-Jahren. Anfangs sollten mit dem Projekt sowohl Aussiedler*innen als auch Asylbewerber*innen erreicht werden, bis sich 2009/2010 der Fokus auf Asylbewerber*innen verschob. Seitdem hat sich das Angebot professionalisiert und ausgeweitet. Erst mit Einbruch der Coronapandemie erfährt das Projekt harte Rückschläge, da die meisten Geflüchteten weder über die entsprechende Technik noch über einen Internetzugang verfügen, die das digitale Lernen ermöglichen. Im Jahr 2015 erfuhr dieses Projekt eine große öffentliche Wahrnehmung. Mehrere Fernseh- und Radiosender, teils international, berichteten vom Projekt. Das Interesse an ehrenamtlicher Mitarbeit wurde so groß, dass die Stadt den Rathaussaal zur Verfügung stellte, um eine Informationsveranstaltung zum Projekt durchführen zu können. Die öffentliche Aufmerksamkeit ermöglichte es aber auch, neue Kooperationen zu schließen, weitere geeignete Räume zum Unterrichten zu finden und sich in der Organisationsstruktur neu aufzustellen. Zwei Preise für Ehrenamt und Engagement erhielt das Projekt in den Jahren 2016 und 2017. Viele weitere studentische und zivilgesellschaftliche Projekte entstanden; Helfer- und Freundeskreise rings um Unterkünfte wurden implementiert oder entstanden neu, die bisherigen Strukturen erfuhren Stärkung und Veränderung. Institutionen, Kommunen und Städte, aber auch die Hochschulen waren gefragt, welche Hilfen sie leisten würden. Was ist der politische Wille? Welches Aufgabenprofil hat eine Universität zu leisten – und was kann sie zur Arbeit mit Geflüchteten beitragen? Diese Fragen beeinflussten überall auch das Engagement der Studierendengemeinden. Je nachdem, welche »Engagement-Landschaft« es schon gab, welche
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Formate besonders gebraucht wurden und wie die Vernetzung in Universität, Politik und Gesellschaft gestaltet war, wurden Studierendengemeinden mehr oder weniger in der Arbeit mit Geflüchteten aktiv und sind es bis heute. In der Umfrage »ESGn und die Arbeit mit Geflüchteten« zeigt sich das in der Vielfalt der Kooperationspartner*innen. Ohne Kooperationen wäre Engagement in diesem Arbeitsfeld nicht organisierbar. Hier wird eine große Weite an Projekten sichtbar: Projekte zum Spracherwerb, zur Integration, Feste und Festivals, Vernetzungsplattformen im Internet und die Organisation von Vernetzungstreffen, Durchführung und Begleitung von Kirchenasylen, Begleitung Geflüchteter, gemeinsames Kochen, Beratung bei Finanzierungsfragen und Stipendienmöglichkeiten, Kunstprojekte, Hausaufgabenbetreuung für Kinder geflüchteter Familien, psychosoziale Beratung, verschiedene Kooperationen mit vom DAAD finanzierten Programmen an der Hochschule, große Vereine wie »CampusAsyl« in Regensburg, welche die Arbeit vor Ort in vielen einzelnen Sparten und Projekten koordinieren, u. v. m. Nach dem großen »Willkommen«, nach mancher Ernüchterung und auch der Erfahrung von Grenzen wurden manche Projekte aufgegeben, verlagerten sich oder schlossen sich in neuen Kooperationen zusammen. Fragen und Notwendigkeiten verändern sich, die öffentliche Meinung, aber auch die politischen Rahmenbedingungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie persönliche Belastungsgrenzen und gruppendynamische Prozesse. In den ESGn zeigt sich auch hier, dass die Arbeit und die Möglichkeiten immer davon abhängen, wie viele Studierende sich engagieren – und ob Hauptamtliche und ESG-Teams das Thema in jedem Semester ansprechen und bewerben können, beharrlich an Themen erinnern und für die Kontinuität der Angebote einstehen. Das gilt besonders, wenn Themen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden oder gar negativ besetzt werden, sodass ein SichEinsetzen für Geflüchtete das Flair des Widerständigen bekommt.
2 Formate, Kooperationen und Grundsätze der Arbeit mit Geflüchteten in ESGn »CampusAsyl weiß sich – neben der unmittelbaren praktischen Hilfeleistung für Flüchtlinge – vor allem der partnerschaftlichen Arbeit mit ihnen verpflichtet.« (CampusAsyl 2016, S. 1) Dieses Zitat aus der Homepage von »CampusAsyl« Regensburg lässt sich generell als Leitgedanke für die Arbeit mit Geflüchteten in Studierenden- und Hochschulgemeinden verstehen. Weiter heißt es: »Die Menschen, mit denen CampusAsyl arbeitet, sind nicht Objekte von Zuwendung,
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sondern Subjekte, die sich im Rahmen von CampusAsyl artikulieren und ihre Zukunft gemeinsam mit uns gestalten können.« (CampusAsyl 2016, S. 1) Das Engagement der Studierendengemeinden – ob Mentor*innenprogramme zum Thema »Migrationsstress und posttraumatische Belastungsstörungen« in Wuppertal, Alphabetisierungskurse in Tübingen, »Café International« in Flensburg oder Hausaufgabenbetreuung für geflüchtete Jugendliche in Gießen u. v. m. – hilft, in Deutschland anzukommen, adäquat informiert zu werden, sprachfähig zu werden, um dann selbst hörbar und sichtbar Leben zu gestalten und sich in die Gesellschaft in Deutschland einzubringen. Dieser Prozess zeigt sich dann auch in den Studierendengemeinden, wenn sich Studierende mit Fluchthintergrund mit ihren Themen und Interessen, ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten einbringen, das »Stammprogramm« mitgestalten und Teil der ESGTeams werden. Dass dabei insgesamt sehr viele positive Erfahrungen gemacht werden und nicht dem »einflussreichen Mythos, dass Integrationsprobleme von Migranten vor allem eine Frage ihrer Herkunftskultur seien« (Scherr 2015, S. 10) gefolgt wird, hat auch mit dem hohen Bildungsstand der meisten Beteiligten zu tun. Scherrs Forderung nach umfassender Bildung in einer Gesellschaft können Studierendengemeinden nicht umsetzen; sie sind aber beteiligt und können durch ihre Arbeit beitragen, wenn er fordert: »Dem Bildungssystem fällt in einer soziokulturell pluralisierten Einwan derungsgesellschaft also die Aufgabe zu, die Grundlagen dafür zu vermitteln, dass Verständigung möglich wird – und die Bedeutung dieser Aufgabe, einer zeitgemäßen allgemeinen Bildung, ist bislang nicht zureichend erkannt« (Scherr 2015, S. 10). Das Thema »Arbeit mit Geflüchteten« teilt sich in verschiedene Bereiche: konkrete Projekte für und/oder mit Geflüchteten, Vernetzung mit verschiedenen universitären und gesellschaftlichen Akteur*innen im Bereich Flucht und Migration, Zurverfügungstellen von Räumen, Öffentlichkeitsarbeit und inhaltliche Arbeit in Form von Vorträgen, Diskussionen oder Ausstellungen zur Thematik – politisch aktiv und kulturell, religiös oder kulinarisch, musikalisch und künstlerisch. In einigen Studierendengemeinden wurden (teils mehrfach) Kirchenasyle gewährt und begleitet mit allen konkret-praktischen und politischen Herausforderungen. Auch auf der Ebene des Dachverbandes, der Bundes-ESG, wird das Thema immer wieder behandelt. Im Jahr 2013 wurde eine Resolution der ESG-Bundes versammlung zur Situation der syrischen Studierenden an deutschen Hochschulen veröffentlicht; Engagierte in der Flüchtlingsarbeit wurden zum gegen-
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seitigen Austausch und zur Entwicklung neuer Ideen vernetzt und eingeladen. Ferner hat die Bundes-ESG 2016 einen Studientag »Geflüchtete« veranstaltet und zu dem Projekt »Ein Tag – Ein Zweck« aufgerufen. Psychosoziale Beratung internationaler Studierender ist bereits seit Jahrzehnten in vielen Studierendengemeinden implementiert, und zwar durch die Beratung über Notfondshilfen oder Stipendienmöglichkeiten, besonders über die Aktion Brot für die Welt u. a. In dieser Arbeit kommt nun ein neuer Aspekt hinzu, da Studierende mit Fluchthintergrund finanziell und rechtlich noch einmal speziell verschieden sind von sogenannten »freieingereisten« internationalen Studierenden. Gerade die finanzielle Situation von Studierenden mit Fluchthintergrund ist oft prekär, besonders wenn ein BAföG-Antrag abgelehnt wird. In der Auswertung des DAAD für die ersten Integra-Programme ab 2015 heißt es:
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»Als Gründe für die Ablehnung eines BAföG-Antrages nannten die Teilnehmer meistens ein bereits im Heimat- oder Drittland begonnenes Studium – zumeist verbunden mit einem Fachwechsel in Deutschland –, den derzeitigen Aufenthaltsstatus und die Altersgrenze von 30 Jahren« (DAAD 2018, S. 31). Diese Aussagen decken sich mit Erfahrungen vor Ort. Viele haben bereits im Herkunftsland studiert, aber die Anerkennung der Studienleistungen zieht sich hin und die »Einsortierung« in ein Semester ist oft für längere Zeit unklar. Für die BAföG-Richtlinien zählen aber meist die studierten Semester, sodass viele nur noch kurz oder gar nicht gefördert werden. Dazu kommt, dass sich viele Studierende nicht gut genug in Ordnungen und Regelungen auskennen, z. B. bei einem Studienfachwechsel die BAföGBestimmungen nicht beachten und dadurch aus der Förderung herausfallen. Weitere Gründe sind oft, dass sie nicht die benötigte Anzahl von ECTS-Punkten in der vorgeschriebenen Zeit erreichen. Die vielfachen Ursachen haben aber nur zum geringsten Teil mit mangelndem Fleiß zu tun, denn die Eingewöhnung in das universitäre Bildungssystem in Deutschland ist voller Hürden; hinzu kommen oft psychische Belastungen durch Schicksalsschläge in der Familie oder posttraumatische Belastungsstörungen. Hilfe zu suchen und anzunehmen sowie Menschen zu finden, denen sie sich anvertrauen können, ist – je nach kulturellem und persönlichem Kontext – mit hohen Hürden verbunden. Hier kommt eine besonders wichtige Partnerin der Orts-ESGn ins Spiel: Die Aktion Brot für die Welt hat seit 2014 ein Stipendienprogramm für Geflüchtete aufgelegt, und zwar gerade für solche, die – aus welchen Gründen auch immer – keine BaföG-Förderung beantragen können (zur rechtlichen Situation geflüchteter Studierender vgl. Hocks 2020).
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Es lassen sich folgende Ergebnisse dieses Programms aufzeigen: Bis zum Sommer 2020 wurde bei ca. 40 geflüchteten Studierenden die Förderung abgeschlossen. Im Mai 2014 begann das Programm mit zwei Stipendiat*innen. Kontinuierlich steigerte sich die Zahl der Stipendiat*innen bis heute auf 40 Personen. Die Finanzierung ist dabei häufig schwierig und wird kurzfristig zugesagt – sowohl für die personelle Versorgung als auch für die mögliche Anzahl von Stipendien. Deshalb wird nun auch mit Fundraising-Projekten versucht, die Finanzen zu stärken. Inhaltlich ist dieses Programm sehr wirkungsvoll. Bis heute ist dieser Bereich der Stipendienarbeit bei Brot für die Welt der kleinste. Die Stipendiat*innen erhalten einen monatlichen Beitrag, der auch die Krankenversicherungskosten deckt, und es werden auch, je nach individuellen Verhältnissen und Situationen, die jeweils geprüft werden, Prozesskosten übernommen oder die Kosten für (psycho-)therapeutische Hilfe, wenn keine anderen Träger gefunden werden. Dies benötigt eine engmaschige Begleitung der Studierenden sowie Vertrauen und Gespräche, die über die Stelle und Veranstaltungsangebote bei Brot für die Welt oder STUBE laufen. Diese nehmen ihren Anfang meist in den OrtsESGn, den Studierendengemeinden der jeweiligen Studienorte. Dort werden Stipendiat*innen beraten, die Antragstellung vorbereitet und die Studierenden begleitet – auch im Falle einer Ablehnung. Den Studierendengemeinden vor Ort, die allermeist die Studierenden vorschlagen, kommt daher eine wichtige Aufgabe und Rolle zu. Dort kennen die Studierendenpfarrer*innen und Mitarbeitenden die Studierenden, halten Kontakt und begleiten sie vor Ort. Jeder Fall ist anders: Beispielsweise gab es anfangs relativ viele Familienstipendien, während derzeit eher Stipendien für Alleinstehende beantragt werden. Die wenigen Stipendienplätze sind stark nachgefragt und viele Anträge müssen abgelehnt werden. Eine Ausweitung des Programms wäre sehr hilfreich. Die Stipendiat*innen sind angehalten, sich ehrenamtlich zu engagieren, sei es in der Orts-ESG oder in anderen Hochschulgruppen oder Projekten. Denn selbst wieder aktiv zu werden, hilft nicht nur, sich zurechtzufinden, sondern auch Akteur*in des eigenen Lebens zu sein. Etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Stipendiat*innen stammen aus Syrien, relativ viele aus dem Iran und aus Afghanistan; aber auch Äthiopien, Sudan, China, die Ukraine oder die Palästinensischen Autonomiegebiete sind Herkunftsländer. Fast alle Religionen sind innerhalb der Stipendiat*innen vertreten, wobei darauf geachtet wird, dass ca. die Hälfte der Stipendien nach Möglichkeit an christliche Antragsteller*innen vergeben werden. Das Stipendienprogramm wurde vom UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR und dem Auswärtigen Amt als »best practice« ausgezeichnet. Es ist momen-
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tan das einzige Stipendienprogramm in Deutschland, das für Geflüchtete aus aller Welt, ohne Beschränkung auf bestimmte Fluchtländer, offen ist. Rechtliche Voraussetzung ist allein der Flüchtlings- oder Asylbewerberstatus. So können sich auch Menschen bewerben, die sich in einem langen Asylverfahren befinden und grundsätzlich kein BAföG erhalten. Fluchterfahrungen, der individuelle Kontext und gesellschaftliches und politisches Engagement werden bei der Auswahl berücksichtigt. Die einzelne Person zählt. Auch die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt ein Stipendium zu beantragen, und das (für Stipendien) sehr schnelle Auswahlverfahren tragen dazu bei, sehr individuell helfen zu können. Diese anhaltende und konsequente Förderung gerade vulnerabler Gruppen und Themen zeichnet das derzeitige Stipendienprogramm aus, das in dieser Form singulär ist. Auch daher ist für die Orts-ESGn die Arbeit für und mit Stipendiat*innen von Brot für die Welt ein wichtiger Teilaspekt der Arbeit. Es ist sehr zu hoffen, dass bei weniger werdenden finanziellen Mitteln in Diakonie und Landeskirchen auch dieser Aspekt diakonisch-kirchlichen Engagements erhalten bleibt.
3 Fazit Die Arbeit mit Geflüchteten als Thema der Studierenden- und Hochschulseelsorge ist einerseits ein eigenes Arbeitsfeld und geht andererseits quer durch die typischen Arbeitsfelder. Sie berührt dabei einige direkt, z. B. die Arbeit mit internationalen Studierenden, deren Beratung und Seelsorge oder den interreligiösen Dialog und die Ökumene. Wenn das Thema »Arbeit mit Geflüchteten« vor Ort eine Rolle spielt, beeinflusst und verändert es alle anderen Arbeitsfelder. Denn Geflüchtete, die vor Ort ein neues Zuhause finden, bringen ihre Themen, Gaben, Stärken, Schwächen, Fragen und Antworten in viele Arbeitsfelder der ESGn ein und bereichern damit das ESG-Leben. Im Kontext der Hochschule kann die Studierendenseelsorge durch die Struktur von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen Kontinuität und Verbindlichkeit auch über mehrere Semester hinweg sichern. Sie ist Ansprechpartnerin oder auch Organisatorin von und für die Vernetzung und die Projekte – und hält das Thema präsent.
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Literatur BAMF/BMI (2018): Migrationsbericht der Bundesregierung 2018. Nürnberg/Berlin. Bundes-ESG (2020): Auswertung zur Umfrage ESGn und die Arbeit mit Geflüchteten. https:// www.bundes-esg.de/them-esg/arbeit-mit-gefluechteten (abgerufen am 30.10.2020). CampusAsyl. https://www.campus-asyl.de (abgerufen am 30.10.2020). CampusAsyl (2016): Satzung. https://www.campus-asyl.de/wp-content/uploads/2017/06/Campus AsylSatzung.pdf (abgerufen am 30.10.2020). Deutscher Akademischer Austauschdienst e. V. (DAAD) (2018): Integration von Flüchtlingen an deutschen Hochschulen. Erkenntnisse aus den Hochschulprogrammen für Flüchtlinge. Information 2 – Studienvorbereitung und Übergang ins Studium. Köln. Hecht-El Minshawi, B. (2017): Muslime in Alltag und Beruf – Integration von Flüchtlingen. Berlin. Hocks, S. (2020): Die rechtliche Situation geflüchteter Studierender. https://www2.daad.de/medien/ ida/webversion_ida_die_rechtliche_situation_geflüchteter_studierender.pdf (abgerufen am 30.10.2020). Scherr, A. (2015): Welche Bildung braucht die Einwanderungsgesellschaft? ansätze. ESG-Nachrichten (4), S. 9–13 (= evangelische aspekte 2/2015). Stadt Passau (2016): Jahresrückblick 2015. Passau. Die Drei-Flüsse-Stadt. Passau.
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3.10 Bewahrung der Schöpfung und Nachhaltigkeit Jutta Becher und Doris Kreuzkamp
1 Klimaschutz als Thema der jungen Generation
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Weltweit wurde im 20. Jahrhundert zehnmal mehr Energie verbraucht als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor (Sommer/Welzer 2017). Der nach wie vor wachsende Rohstoffbedarf stößt gegenwärtig an seine Grenzen, sowohl was die Voraussetzungen unseres Planeten betrifft als auch im Hinblick auf die Nachwirkungen dieses Wirtschaftens. Die steigenden Emissions- und Müllmengen signalisieren eine Übernutzung der Ökosysteme mit zerstörerischen Folgen. Vor allem die Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) hat seit 2018 in der Ökologie- und Klimadebatte wichtige Impulse gesetzt. Gesamtgesellschaftlich hat sie für eine starke öffentliche Wahrnehmung der Klimakrise sowie für deren erneute Diskussion gesorgt. Greta Thunberg hat als Schülerin die basisdemokratische Graswurzelbewegung FFF initiiert. Durch das Mittel des Schulstreiks schuf sie einen engen Zusammenhang von Klimakrise einerseits und den Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen Schule und Universität andererseits. »Some people say that I should study to become a climate scientist so that I can ›solve the climate crisis‹. But the climate crisis has already been solved. We already have all the facts and solutions. All we have to do is to wake up and change« (Thunberg 2018). Bei einem der größten Klimaproteste aller Zeiten traten im März 2019 weltweit mehr als 1,5 Millionen junge Menschen in den Streik. Auch in Deutschland engagierten sich bei den Demonstrationen und Aktionen Tausende Schüler*innen. Viele Studierende haben sich als Bewegung »Students for Future« zusammengeschlossen. Eine der Aufschriften auf den Demo-Plakaten lautete »There is no Planet B«. Dieser Spruch bringt das Lebensgefühl der jungen Generation auf den Punkt: Die gegenwärtigen klimapolitischen Missstände verlangen schnelle Maßnahmen, die zum einen durch politische Forderungen hinsicht-
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lich einer Energiewende durch die Beendigung fossiler Energieerzeugung formuliert werden, zum anderen aber auch den eigenen Lebensstil betreffen. Es gibt Herausforderungen für viele, auch ganz persönliche Lebensbereiche: Wie ernähre ich mich verantwortungsvoll? Kann ich Müll reduzieren? Schaffe ich Verzicht auf Plastik? Oder reise ich auf nachhaltige Weise?
2 Die ökologische Krise und die Coronakrise Die seit Beginn des Jahres 2020 eingetretene Pandemie durch das Coronavirus wirkt sich auf unterschiedliche Weise nicht unerheblich auf die Klimadebatte aus. Es grenzt dabei schon an bittere Ironie, dass ausgerechnet die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus dazu führen, dass z. B. Deutschland seine Klimaziele für 2020 höchstwahrscheinlich noch erreichen wird. Nicht nur an dieser Stelle scheint es auf einen Zusammenhang zwischen Klimakrise und Coronakrise hinauszulaufen. Dass Viren vermutlich von Wildtieren auf den Menschen überspringen, hat auch Ursachen in der grenzenlosen Ausweitung menschlicher Lebensräume, auch in der Abholzung der Wälder, in dem rasanten Artensterben und den vielfältigen globalen Verbindungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Zukunftsforscher Matthias Horx (2020) stellt folgende These auf: »Vielleicht war das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. Aber sie kann sich neu erfinden.« Einige gesellschaftliche Auswirkungen der Coronakrise weisen tatsächlich in diese Richtung und wirken auch in den Fragen von Ökologie und Nachhaltigkeit wie ein Neustart. Als Beispiele genannt werden können die Aufwertung regionaler Produktion und die Beachtung kurzer Lieferketten, das deutlich geringere Niveau des Flugverkehrs und die insgesamt stark rückläufige Reisetätigkeit sowie der öffentliche Fokus auf die kritischen Umstände bei Massenschlachtungen und Fleischverarbeitung aufgrund der Infektionsketten. Zugleich erfährt sowohl die körperliche Bewegung wie auch das Zusammenkommen an der frischen Luft wegen der geringeren Infektionsgefährdung durch den Aerosol-Ausstoß eine starke Aufwertung. Viele entdecken das DraußenSein als eine wertvolle Freiheit. Selbst junge Menschen machten während des Lockdowns täglich ausgiebige Spaziergänge. Die Natur wird durch die Pandemie als Erlebnisraum neu entdeckt. Das geschieht auch im kirchlichen Raum und
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in den ESGn. Gottesdienste unter freiem Himmel, im Grünen, in den Gärten hatten im Sommer 2020 Hochkonjunktur. So gesehen könnte die Coronakrise auch als »Nudge«, als ein Anstoß für eine gesamtgesellschaftliche Umkehr hin zu mehr ökologischem Bewusstsein verstanden werden. Bei aller Sorge und Befürchtung steckt so auch Hoffnung für die Zukunft in dieser Krise.
3 Nachhaltigkeit in der ESG
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Die Abkehr von einem hohen Ressourcenverbrauch hin zu einem Plus an Nachhaltigkeit spielt in fast jeder der 120 bundesdeutschen ESGn eine zentrale Rolle. Diese Transformation ist in der Regel mit ganz pragmatischen Schritten verbunden. Sie profitiert von der Partizipation derer, die sich in den jeweiligen Gemeinden engagieren. Die Gestaltung eines solchen Transformationsprozesses setzt Debatten um den richtigen Weg und die wichtigsten Ziele voraus. Damit ergibt sich die Einübung in demokratische Kultur und Struktur als eine nicht zu unterschätzende Nebenwirkung des Ganzen. »Verändern werden sich unsere Gesellschaften vor dem Hintergrund ihres nicht-nachhaltigen Stoffwechsels mit der nichtmenschlichen Natur auf jeden Fall; die Frage ist nur, ob by design or by desaster. Wir plädieren für design« (Sommer/Welzer 2017, S. 27). Das »Design« der Umwandlung hin zur klimafreundlichen ESG bezieht sich auf unterschiedliche Praxisfelder. Zentral sind Energie- und Wasserverbrauch, Abfall, Einkauf und Konsum, Mobilität, Tierschutz und Artenvielfalt. Die genannten Praxisfelder führen im tatsächlichen Leben der ESGn zu einer großen Vielfalt an Aktivitäten und zu zahlreichen kreativen Veranstaltungen, die an dieser Stelle nur als Blitzlichter genannt werden können.
4 Best Practice Im Garten der ESG Dortmund sind vier Bienenvölker zu Hause. Die Studierenden können sich in Insektenvielfalt und Imkerei üben. Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Umwelt und Entwicklung des Landes NRW. Beim »Green Dinner« geht es in der ESG Marburg um gemeinsames Kochen und Essen – gesund, nachhaltig, regional und fair.
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Für den Weltklimastreik am 20. September 2019 entwickelte das Ökume nische Netzwerk Klimagerechtigkeit »Prayers for Future«, die auch in den ESGn gebetet wurden. Der Entwurf ist ein gutes Beispiel für den Bereich der Spiritua lität. Zugleich zeigt sich die weltweite Vernetzung aller christlichen Gruppierungen in den Fragen des Klimaschutzes. Im Gebet heißt es: »Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, mit Menschen auf der ganzen Welt sorgen wir uns um unseren Planeten. Wir bekennen unsere Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit. Wir bitten dich um deinen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Amen.« (Prayers for Future 2019) In der ESG Gießen drehte sich im Sommersemester 2019 alles um die Nachhaltigkeit. Unter dem Motto »Unverpackt fair leben« gab es Fachvorträge wie beispielsweise von Agrarwissenschaftler Rainer Kühl (Justus-Liebig-Universität Gießen) über »Ökonomische Überlegungen zur Nachhaltigkeit«. Es fanden Do-it-yourself- Workshops statt zur Fahrradreparatur und zur Herstellung von Kosmetika und Reinigungsmitteln, Urban Gardening im ESG-Garten, eine sehr erfolgreiche Kleidertauschbörse, ein vegetarisches Sommerfest mit alternativen Genüssen.
5 Zehn Klimagebote Als Quintessenz wurden zehn Klimagebote von Gießener Studierenden entwickelt – zum Weitergeben: 1. Gebot: Öfter mal das Auto stehen lassen! In Bahn und Bus kann man toll neue Leute kennenlernen und man spart sich den Stress, selbst fahren zu müssen. Wenn man das Fahrrad nimmt, tut man sogar noch etwas für die eigene Gesundheit. 2. Gebot: Essen – regional, saisonal und am besten vegetarisch. Transporte, Kühlhäuser und Gewächshäuser: All das produziert Unmengen CO2. Lieber mal auf dem Wochenmarkt nach leckeren Sachen suchen. 3. Gebot: Nutze Steckdosen mit Kippschaltern! Strom aus, wenn er nicht gebraucht wird! 4. Gebot: Weniger Müll und bitte trennen! Vermeide Plastik, nimm lieber Dosen mit in den Supermarkt und auf den Markt. Jutebeutel sind eine tolle Alternative zu Plastikbeuteln. Einfach eine gefaltet in der Handtasche, im Auto oder im Rucksack haben, und man kann auch spontan ohne Plastik einkaufen.
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5. Gebot: Grillen ohne Dschungel. Grillen im Sommer mit Freund*innen – das macht doch jedem Spaß. Aber wusstest du, dass herkömmliche Grillkohle meist aus Tropenholz besteht? Denn auf den Verpackungen muss leider nicht angegeben werden, wie das Holz geerntet wurde, um welche Baumart es sich handelt und aus welchem Gebiet es stammt. Besser sind: Olivenkernbriketts oder Kohle aus Kokosnussschalen. 6. Gebot: Wäsche mal bibbern lassen! 30 ° C oder 40 ° C reichen für normale Alltagsverschmutzung völlig aus! 7. Gebot: Glas statt Dosen! Dosen brauchen wesentlich mehr Energie bei der Herstellung, doch werden sie fast vollständig recycelt. Auch dabei wird CO2 freigesetzt. Glas kann nicht 100 %ig recycelt werden, aber man kann es selbst wiederverwenden. Also immer nachdenken: Aus welchem Grund kaufe ich was? 8. Gebot: Weniger ist mehr! Man sollte sich im Supermarkt genau überlegen: Was will ich essen und wie viel brauche ich davon? Dabei helfen ein Einkaufszettel und ein Wochenplan der Gerichte. 9. Gebot: Urlaub zu Hause. Sei mal ehrlich: Hast du wirklich schon alles gesehen in deiner Stadt, deiner Region oder Deutschland? 10. Gebot: Das Bewusstsein macht es! Kleine Fehltritte sind nicht schlimm, wenn wir uns ihrer bewusst sind. Wir sollten jeden kleinen Schritt gehen, den wir selbst schaffen.
6 Global denken und handeln Auch internationale Veranstaltungen und sogenannte Länderabende in der ESG beziehen die Sicht auf die Umweltfrage mit ein. Das Thema läuft häufig als roter Faden im Hintergrund mit, wenn es um Inhalte geht wie beispielsweise »Fluchtursachen an den Wurzeln packen«, »Internationale Freihandelsverträge gerecht gestalten« oder »Die Genderfrage in Kamerun«. Zum Teil werden Umweltthemen von internationalen Studierenden auch explizit bei Veranstaltungen aufgegriffen: »Meeresverschmutzung durch Plastikmüll – Was können wir tun?« oder »WearFair. Verantwortungsbewusst handeln im Klamottenladen« sind passende Beispiele. Gut zu erkennen ist daran die globale Verantwortung für den Umweltschutz. Es können aber auch die spannenden kulturellen Unterschiede in manchen Fragen zur Sprache kommen. Klimaschutz und Umweltmanagement betrifft alle. Auf dieser Basis kann für die ESG-Arbeit eine bereichernde Vernetzung entstehen sowohl mit dem innerkirchlichen Raum als auch mit dem Bereich der Zivilgesellschaft, der Stadt
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und nicht zuletzt der Hochschule. Etliche ESGn arbeiten in gemeinsamen Projekten mit Foodsharing, den örtlichen Weltläden, Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und anderen Gruppen, die sich für eine nachhaltige Lebensweise einsetzen. Sie können durch ihre Arbeit Beiträge leisten unter anderem bei Ringvorlesungen der Hochschulen oder anderen Projekten im wissenschaftlichen Kontext. Die EKD bietet in der Broschüre »Nachhaltig durch das Kirchenjahr« Impulse auf der Basis der Sustainable Development Goals, der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN. Sie wurden 2015 verabschiedet und sind eine wichtige Referenzgröße im kirchlichen Raum. Der Rat der EKD hat diese Ziele in dem 2018 herausgegebenen Impulspapier »Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben. Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen« ausdrücklich gewürdigt und dazu aufgerufen, dass auch die Kirchengemeinden sich für deren Umsetzung einsetzen. Ebenso bieten Landeskirchen Beratungen und konkrete Unterstützung für Gemeinden im Umweltmanagement an. Beispielhaft sei dafür das Label »Grüner Hahn« genannt, ein Unterstützungs- und Netzwerkangebot, das auch finanzielle Ressourcen aus Ökofonds zur Verfügung stellt. Auf der Ebene der Bundes-ESG ist das Thema ebenso präsent. Im Rahmen der Vollversammlung 2019 in Frankfurt am Main wurden der Klimanotstand ausgerufen und die AG Klima und Nachhaltigkeit eingesetzt, deren Auftrag es ist, Erfahrungen und Projekte aus den ESGn zu sammeln und Leitlinien auszuarbeiten. Neben der Kooperation mit gleichgesinnten Interessengruppen stecken in der Förderung des Klimaschutzes viele weitere Chancen für die ESG-Arbeit. Hier ist es sehr gut möglich, dass sich viele Studierende mit ihren Talenten und Fähigkeiten aktiv einbringen. Unter einem seelsorgerlichen Gesichtspunkt ergeben sich Gelegenheiten der Selbstwirksamkeit und des Einsatzes für eine »bessere Welt«. Darüber hinaus lässt sich so das eigene Profil als Institution in der Öffentlichkeit schärfen und die Glaubwürdigkeit als christliche Gemeinde sichtbar machen. Die Evidenz dessen, was geglaubt wird und schließlich im Tun auch aufgezeigt werden kann, ist bei den Fragen des nachhaltigen Lebens sehr deutlich gegeben. Last but not least sind die Erfolge der Aktivitäten messbar, unter anderem, wenn die Strom- oder Wasserrechnung eine deutliche Kostenersparnis bringt.
7 Bewahrung der Schöpfung – Hoffnung für die Zukunft Klimaschutz und Umweltmanagement lassen sich aus dem biblischen Schöpfungsgedanken theologisch begründen. Die Bibel beschreibt im Buch Genesis die Beziehung von Gott und Welt mit ihren Lebewesen als die von Schöpfer und
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Schöpfung. Dem Menschen ist durch die Gottebenbildlichkeit (Gen 1,26 f.) etwas Besonderes gegeben, sowohl in der Beziehung zu Gott, dem Schöpfer, als auch zu den anderen Geschöpfen. Der Auftrag des Menschen wird als Bebauen und Bewahren der Schöpfung Gottes beschrieben (Gen 2,15). Dieses »Bewahren der Schöpfung« wurde neben Gerechtigkeit und Frieden als wesentliches Ziel des Konziliaren Prozesses durch die VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1983 in Vancouver benannt und ist bis heute das Motto vieler kirchlicher Umweltinitiativen. Dem Bewahren steht in der biblischen Traditions- und Auslegungsgeschichte der sogenannte Herrschaftsauftrag des Menschen gegenüber (Gen 1,28), zum Teil mit weitreichenden Konsequenzen. Ein »Beherrschen der Schöpfung« unter Ausblendung der Verantwortung und der Fürsorgepflicht, unter Ausblendung auch des Gebotes der Nächstenliebe kann ethisch genau auf das Terrain führen, welches viele Missstände wie Umweltzerstörung, Artensterben, Massentierhaltung, Kolonialisierung und anderes mehr zur Folge hat. Hier ist es eine theologische und pädagogische Aufgabe, auch in den ESGn, die Schöpfungslehre für die komplexen gegenwärtigen Fragen mit Antworten auszustatten. Es ist an der Zeit, über die Schöpfung ganzheitlich in ihrer Konnektivität zu reflektieren und bezogen auf die gegenwärtige Zeit auch manches mutig neu zu formulieren. »Diese unsere Abhängigkeit […] anzunehmen ist ein erster Schritt zu einer anderen Spiritualität, ohne die die Bewahrung der Schöpfung nicht möglich sein wird. Die Erkenntnis der Abhängigkeit lässt sich wissenschaftlich vermitteln, aber die Veränderung des Grundgefühls, die Befreiung aus dem Warenhaus braucht heute eine Art mystagogischer Weisung, in der wir wieder lernen, dass Zweibeiner, Vierbeiner und Flügelwesen mehr miteinander teilen als wir […] lange glaubten« (Sölle 2000, S. 147). Die Erwartung der Zukunft aus christlicher Sicht ist nicht mit dem Untergang, sondern mit der Verwandlung der Welt verbunden. Der in der Offenbarung des Johannes im 21. Kapitel beschriebene Glaube an die neue Schöpfung Gottes gibt bis heute Kraft, die Hoffnung für die Zukunft zu behalten und stark zu machen – nicht, weil wir Menschen alles gut machen können, sondern weil der Glaube uns eine Vision von der Fülle des Lebens gibt, die Gott für seine Schöpfung will. Jürgen Moltmann (1985, S. 105), der Begründer der ökologischen Schöpfungstheologie, schreibt dazu: »Wer an Gott glaubt, der aus dem Nichts das Sein erschuf, der glaubt auch an den Gott, der Tote lebendig macht. Darum hofft er auf die neue Schöp-
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fung von Himmel und Erde. Sein Glaube macht ihn bereit, der Vernichtung auch dort zu widerstehen, wo menschlich gesehen nichts mehr zu hoffen ist. Seine Hoffnung auf Gott verpflichtet ihn auf die Treue zur Erde«. Auch in den ESGn ist gerade in der Gegenwart diese »Treue zur Erde«, die Verbindung zur Natur, neu spürbar. Sie kann heilsam wirken für die Studierenden und die ganze Gemeinde. Sie kann das eingeschränkte Leben verwandeln und zur Entfaltung bringen. »Achte mit Sorgfalt darauf, dass die grünende Kraft, die du von Gott hast, in dir nicht dürr wird«, betonte die mittelalterliche Mystikerin und Naturwissenschaftlerin Hildegard von Bingen (Keller 2017). Für das Leben in den ESGn eröffnet der Rat der gelehrten Mystikerin eine lohnende Perspektive.
Literatur Horx, M. (2020): Die Welt nach Corona. https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona (abgerufen am 26.08.2020). Keller, L. (2017): Grundbegriffe bei Hildegard von Bingen. https://hildegard.center/grundbegriffebei-hildegard-von-bingen (abgerufen am 27.08.2020). Kirchenamt der EKD (2018): Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben. Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen. Hannover. Kirchenamt der EKD (2019): Nachhaltig durch das Kirchenjahr. Hannover. Moltmann, J. (1985): Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre. Gütersloh. Prayers for Future (2019). https://www.kirchen-fuer-klimagerechtigkeit.de (abgerufen am 26.08.2020). Sölle, D. (2000): Mystik und Widerstand. Hamburg. Sommer, B./Welzer, H. (2017): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München. Thunberg, G. (2018): The rebellion has begun. https://www.medium.com (abgerufen am 26.08.2020).
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3.11 Bundes-ESG Corinna Hirschberg, Annette Klinke und Uwe-Karsten Plisch
1 Struktur der Bundes-ESG
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Einen Bundesverband mit Geschäftsstelle gibt es seit 1947 und damit einen Zusammenschluss aller ESGn. Im Jahr 2014 hat sich der Verband der Evangelischen Studierendengemeinden eine neue Struktur und Ordnung gegeben, auf denen diese Verbandsarbeit fußt. Der Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland baut sich entsprechend der presbyterial-synodalen Ordnung vieler Landeskirchen von unten nach oben auf. Die Orts-ESGn – aktuell sind es ca. 120 – leisten eigenständige Gemeindearbeit. Es gibt zwei Kriterien, damit eine ESG eine ESG im Sinne der Ordnung der Bundes-ESG ist: Sie muss diese Ordnung der Bundes-ESG anerkennen und sie muss von ihrer Landeskirche als solche anerkannt werden. Das Organ der Bundes-ESG ist die ESG-Vollversammlung, die in der Regel einmal im Jahr stattfindet. Sie besteht hauptsächlich aus den Delegierten der ESGn. Die Delegation läuft über Landeskirchenlisten, dabei hat jede Landeskirche doppelt so viele Delegiertenplätze wie ESGn in ihr vorhanden sind. Pro Landeskirche sollen mehr Studierende als Hauptamtliche delegiert werden, mindestens aber ein Drittel Hauptamtliche. Teil der Vollversammlung ist die Studierendenkonferenz, bei der die Studierenden etwa 24 Stunden unter sich sind und sich schon mit dem Thema der Vollversammlung auseinandersetzen. Die Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses und der ESG-Geschäftsstelle, der*die Bundesstudierendenpfarrer*in und Gäste komplementieren die Vollversammlung. Die ESG-Vollversammlung wählt aus ihrer Mitte jeweils drei Studierende und drei Hauptamtliche – alternierend – in den Geschäftsführenden Ausschuss, der zwischen den Vollversammlungen die Geschäfte führt. Außerdem gehören ihm an der*die Generalsekretär*in der aej (Rechtsträgerin der Bundes-ESG), ein*e Vertreter*in der EKD und ein*e Vertreter*in der gliedkirchlichen Referent*in-
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nen. Aus seiner Mitte wählt der Geschäftsführende Ausschuss den Vorsitz und die Stellvertretung, wovon mindestens eine Person aus dem Kreis der Studierenden kommen muss.
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Fachlich-theologische Impulse bekommen Vollversammlung und Geschäftsführender Ausschuss von der Hauptamtlichenkonferenz. Der Geschäftsführende Ausschuss wählt und hat die Fachaufsicht über den*die Bundesstudierendenpfarrer*in. Letztere*r arbeitet gemeinsam mit den anderen ESG-Mitarbeiter*innen der aej/ESG-Geschäftsstelle den ESGn, der Vollversammlung und dem Geschäftsführenden Ausschuss zu.
2 Arbeitsfelder 2.1 Bundesstudierendenpfarrer*in Zu den Hauptaufgaben des*der Bundesstudierendenpfarrers*in gehören die Verkündigung des Evangeliums und Seelsorge. Dies geschieht vor allen Dingen in Hochschulgottesdiensten und Gemeindeabenden und mit den Hauptamtlichen der Orts-ESGn. Die Begleitung der Gremien der Bundes-ESG wie Geschäftsführender Ausschuss und Vollversammlung nimmt ebenfalls einen großen Raum der Arbeit ein. Die Vertretung der Bundes-ESG nach außen spiegelt sich in der Mitglied-
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schaft in einigen Organisationen wider: Kuratorium Deutsches Studentenwerk, Kuratorium Evangelisches Studienwerk Villigst, Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Konferenz kirchlicher Werke und Verbände und die Fachkonferenz Seelsorge und Beratung in der EKD. Bei der EKD-Synode präsentiert sich die Bundes-ESG mit einem gemeinsamen Stand mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej). Die Kontakte zum katholischen Forum Hochschule und Kirche (FHoK) wie zur aej-Mitgliederversammlung und zur Hochschulrektorenkonferenz sind sehr wichtig, da durch sie ein konzertiertes Vorgehen in ökumenischer Verbundenheit im Hochschulkontext ermöglicht wird. Die Vertretung der Bundes-ESG nach innen drückt sich in vielfältigen Aktivitäten aus. Die Bundes-ESG bietet je nach aktueller Situation Studientage für Studierende und Hauptamtliche an, als letzte seien der Flüchtlingsstudientag und der Tag zu 50 Jahre 1968 genannt; ein Tag zur Klimakollekte ist in Planung. Das aej/ESG-Forum Wissenschaft und Praxis behandelt aus wissenschaftlicher Perspektive Themen, die für Multiplikator*innen in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in der Arbeit mit jungen Erwachsenen relevant sind. Durch die Präsenz in einigen Studierendenpfarrkonferenzen und durch Besuche, Vorträge und Predigten in Orts-ESGn wird der Kontakt zwischen Orts- und Bundes-Ebene verstärkt und trägt dazu bei, dass beide Ebenen in einem guten Austausch miteinander stehen. Die Begleitung von ESGn, deren Pfarrstelle vakant ist, und die Alumnivernetzung sind zwei Bereiche, die ebenfalls ins Aufgabenportfolio gehören. Zudem gehört der Förderverein der Bundes-ESG zum Aufgabenfeld dazu, um die Arbeit der Orts-ESGn ideell und finanziell zu unterstützen. Öffentlichkeitsarbeit und publizistische Tätigkeiten vervollständigen das Bild. Gerade im letztgenannten Bereich kommt durchaus häufiger auch theologisch-liturgisches Arbeiten zum Einsatz wie beim »kraft gottes. Handbuch für Liturgie und Gottesdienst« (2017), das Impulse in die ESGn, aber auch darüber hinaus in Ortsgemeinden sendet. 2.2 Referat für Theologie, Hochschul- und Genderpolitik Das Referat für Theologie, Hochschul- und Genderpolitik ist ein aus mehreren Einzelreferaten historisch gewachsenes Mischreferat. Im Referat werden theologische Grundsatzfragen bearbeitet, praktisch-theologische Langzeitprojekte sowie theologisch akzentuierte Bildungsveranstaltungen entwickelt. Der Gender aspekt ist als Querschnittsthema bei allen genannten Aufgaben im Blick, zur expliziten Aufgabe des Referats gehört die theologisch begründete Interessen-
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vertretung von LGBTQIA*-Personen. Zum Aufgabengebiet des Referats gehört weiterhin die Kontaktpflege zu regionalen Studierendenpfarrkonferenzen, zu befreundeten Organisationen wie dem ökumenischen Netzwerk »Initiative Kirche von unten« sowie evangelischen Akademien, mit denen regelmäßig Bildungsveranstaltungen in Kooperation entwickelt und durchgeführt werden, sowie die Redaktion der Verbandszeitschrift »ansätze. ESG-Nachrichten«. Zu den im Referat verfolgten praktisch-theologischen Langzeitvorhaben zählte u. a. die Erarbeitung des Gesangbuches der Evangelischen Studierendengemeinden »Durch Hohes und Tiefes«, das 2008 als Supplement zum Evangelischen Gesangbuch erschien, seitdem mehrfach nachgedruckt wurde und inzwischen weit über den Bereich der ESGn hinaus verbreitet ist. Teil dieses Langzeitvorhabens ist die Erarbeitung von Begleitmaterial zum Gesangbuch wie einem Choralbegleitbuch (in Vorbereitung) sowie die Bereitstellung aller Lieder des Gesangbuches als Hörbeispiel auf der ESG-Website. Zu den theologischen Schwerpunkten des Referats gehört neben queerer Theologie auch evangelische Friedenstheologie. Zu diesen Schwerpunktthemen wie auch zu theologischen Themen nach Bedarf steht das Referat als Ansprechpartner für ESGn zur Gestaltung von Gemeindeabenden oder Gastpredigten zur Verfügung. In der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) nimmt das Referat die Stimme in der EAK- Mitgliederversammlung wahr. Hochschulpolitisch äußert sich das Referat nach Bedarf, etwa 2004 in der Hochphase der Debatte um die Einführung flächendeckender Studiengebühren mit einer Handreichung Studiengebühren, die über die Grenzen der ESG hinaus rezipiert wurde. Dem Referat obliegt weiterhin die theologisch-fachliche Begleitung von Arbeitsgemeinschaften, die von der Vollversammlung der ESG eingesetzt werden, z. B. die AG Queer, deren Vorgängerin – die AG Ehe für alle – 2019 die ESG-Handreichung zu diesem Thema erarbeitet und veröffentlicht hat, die AG Öffentlichkeitsarbeit und die AG Klima und Nachhaltigkeit. 2.3 Referat für Internationale Beziehungen und Ökumene Das Referat hat im Laufe der letzten Jahre einige Veränderungen erlebt, wurde aus verschiedenen Referaten zusammengelegt und umfasst nun sowohl die internationale Arbeit der Bundes-ESG in der Welt als auch in den ESGn vor Ort. Im Mittelpunkt stehen einerseits die Student*innen, die aus anderen Ländern, bevorzugt aus den Ländern des Globalen Südens, in Deutschland studieren, und andererseits die Studierenden in ihren Ländern weltweit.
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Die Bundes-ESG ist Mitglied in dem World Student Christian Federation (WSCF). Dieser weltweite Verbund christlicher studentischer Gruppierungen wurde 1895 von dem US-Amerikaner John Raleigh Mott gegründet, ein Vordenker und Begründer weltweiter ökumenischer Bewegungen; er bereitete den Weg für die Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), dessen Ehrenpräsident er war; 1946 erhielt er den Friedensnobelpreis. In diesem Kontext ist der WSCF weiterhin dem Dialog, der Ökumene, der sozialen Gerechtigkeit und dem Frieden verpflichtet. Seine Mitglieder kommen aus allen christlichen Konfessionen, innerhalb des WSCF finden die Gespräche zwischen Christ*innen aus den verschiedenen protestantischen Richtungen, den Katholik*innen, den orthodoxen Mitgliedern und Anglikaner*innen statt. Darüber hinaus steht der WSCF mit den studentischen Verbänden anderer Religionen in Verbindung. Heute hat der WSCF über einhundert nationale Mitglieder, die sich auf sechs Regionen aufteilen: Afrika, Asien-Pazifik, Europa, Lateinamerika und Karibik, Mittlerer Osten und Nordamerika. Der internationale Gebetstag der Studierenden (Universal Day of Prayer for Students) wurde 1898 ins Leben gerufen und wird an jedem dritten Sonntag im Februar begangen. Die vorgeschlagene Liturgie wird jedes Jahr von einer anderen Region, oft unter Einbeziehung des jeweiligen Jahresthemas, gestaltet. Das Referat ermöglicht interessierten Student*innen die Teilnahme an den Treffen und Konferenzen des WSCF und unterstützt engagierte Student*innen, im Netzwerk des Verbundes Ämter zu übernehmen. Die weltweite, alle vier Jahre stattfindende Vollversammlung sollte im Juni 2020 mit dem 125-jährigen Jubiläum des WSCF in Berlin ihren Ort finden; leider war es durch die weltweite Pandemie nicht möglich, dies durchzuführen. Die Austauschprogramme bieten internationale Erfahrungen im eigenen Land und im Ausland. Voraussetzung ist neben einer Partnergruppe auf Augenhöhe, also im gleichen Alter und mit der gleichen Anzahl der Teilnehmer*innen, die Bereitschaft, die Partnergruppe als Gäste zu empfangen und zu besuchen. Diese Besuche sollten mindestens zwei Wochen betragen. Für die internationalen Programme gibt es staatliche Gelder, die über die gemeinsame Geschäftsstelle von aej und ESG beantragt werden können. Das Referat hilft bei der Suche nach geeigneten Partnergruppen, berät bei der Antragstellung und begleitet die Auswertung der Begegnung. In der Zusammenarbeit mit Brot für die Welt stehen die Studierenden aus dem Globalen Süden im Mittelpunkt. Das Referat übernimmt gemeinsam mit dem*der Referent*in von Brot für die Welt die Koordinierungsaufgaben für die Referent*innen der Studienbegleitprogramme für Studierende aus Afrika,
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Asien, Lateinamerika und Osteuropa (STUBE). An elf Standorten werden Seminare für Studierende angeboten, die ohne Stipendium nach Deutschland kamen. Neben einer Süd-Süd-Vernetzung bilden sich die jungen Menschen zu Themen wie zum Beispiel Klimagerechtigkeit, Biodiversität und Ernährungssicherung fort. Ein weiteres Programm, das von Brot für die Welt finanziert wird, ist der Ökumenische Notfonds. Über 1,5 Millionen Euro stellt Brot für die Welt jedes Jahr für unverschuldet in Not geratene Studierende aus dem Globalen Süden zur Verfügung. Die Beratung und die Beantragung für diese Mittel finden in den ESGn statt. Das Referat ermöglicht hier die gegenseitige Unterstützung der in den ESGn Tätigen, koordiniert und organisiert die Austauschtreffen zu diesem Themenfeld. Des Weiteren sitzt die*der Referent*in mit beratender Stimme im Stipendienkomitee der ökumenischen Programme von Brot für die Welt. Eine unverzichtbare Vernetzung des Referats findet in den bundesweiten EKD-Konferenzen statt. So bietet der Austausch in der Konferenz für Ökumene, Mission und Entwicklung der gliedkirchlichen Referent*innen und Werke (KÖME) sowie der Konferenz Kirche und Islam (KKI) und der Evangelischen Konferenz Mittel- und Osteuropa (EKMOE) einen Einblick in die aktuellen Fragestellungen des Fachbereiches. Weitere interreligiöse Kontakte werden vom Referat im regelmäßigen Austausch mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), dem Rat muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) und dem Bund der Alevitischen Studierenden in Deutschland (BDAS) gepflegt. Weitere Vernetzungsarbeit ohne besonderen internationalen oder ökumenischen Schwerpunkt stellen im Referat die Kontakte zu den Studierendenpfarrkonferenzen dar und als herausragende Besonderheit die Zuständigkeit für das alle zwei Jahre stattfindende bundesweite Treffen der ESG-Chöre: das EinSinGen. Dieses einzigartige Event stellt alle zwei Jahre einen unvergleichlichen Höhepunkt im Arbeitsfeld dar (siehe dazu Artikel 2.4 in diesem Handbuch).
3 Netzwerkarbeit, Serviceorientierung und Lobbyarbeit Die gute ökumenische und interreligiöse Vernetzung der Bundes-ESG zeigt sich beim Thema Religion an der Hochschule. An einigen Hochschulen können religiöse Hochschulgruppen nicht mehr auf ihre Angebote hinweisen und verlieren zum Teil auch ihren Status als Hochschulgruppe. Ein Zusammenschluss mit dem katholischen Forum Hochschule und Kirche (FHoK), dem Rat muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) und der Jüdischen
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Studierendenunion Deutschland (JSUD) hat 2019 ein interreligiöses Positionspapier zu diesem Thema veröffentlicht, das Beachtung gefunden und auch schon dazu beigetragen hat, dass z. B. einer ESG der Hochschulgruppenstatus wieder zuerkannt wurde. Die Bundes-ESG ist auch Servicestelle für die Orts-ESGn. Sie beantwortet Fragen und unterstützt bei der gegenseitigen Vernetzung der ESGn. Das Logo des roten Hahns macht sie für alle ESGn kenntlich und bietet MerchandiseArtikel mit diesem Logo als Erkennungszeichen an. Sie heißt die neuen ESG-Pfarrer*innen mit einem Brief willkommen und bietet für diese einmal im Jahr eine Einführungstagung an. Da die Fluktuation in den ESGn relativ hoch ist – die meisten ESG-Pfarrstellen sind mittlerweile befristet –, hilft die Tagung dazu, dass die neuen ESG-Pfarrer*innen die Geschäftsstelle, die Arbeit der ESGn vor Ort und einander kennenlernen. Auch bei Einführungen, Verabschiedungen und Jubiläen in den Orts-ESGn ist häufig jemand aus dem Team der Bundes-ESG anwesend und bringt die Perspektive der Bundes-Ebene in die Orts-Ebene ein. Die Hauptamtlichenkonferenz und Studientage für Studierende und/oder Hauptamtliche ergänzen das Serviceangebot. Gerade die Hauptamtlichenkonferenz bietet mit ihrem thematischen Zuschnitt auf die Bedürfnisse und Fragestellungen der Hauptamtlichen in den ESGn ein spezifisches Fortbildungsmodul, das an anderer Stelle nicht zu bekommen ist. Ein besonderes Angebot bilden die Module religiöser und theologischer Bildung, die ein Team von ESG-Hauptamtlichen erarbeitet hat. Ausgangslage für diese Arbeit war die Erfahrung, dass herkömmliche Glaubenskurse selten für ESGn geeignet sind. Als eine Art Glaubenskurse der besonderen Art – direkt auf die ESG-Arbeit, besonders bei der Alters- und Frömmigkeitsstruktur, zugeschnitten – bieten sie Module zu religiösen und theologischen Themen an, die auf die jeweiligen Anforderungen in den ESGn abgestimmt sind und verändert werden können. Über die ESG-Website können sie abgerufen werden – ein Raster bietet Auskunft z. B. über Thema, Teilnehmer*innenzahl und Länge der Veranstaltung. Damit möglichst viele ESGn davon profitieren können, soll die Ursprungssammlung weiter anwachsen mit Modulen, die die Geschäftsstelle aus den ESGn erreichen. So kann das Portfolio erweitert werden, und Hauptamtliche in den ESGn können auf einen reichhaltigen und erprobten Fundus zurückgreifen. Die Bundes-ESG betreibt Lobbyarbeit für die ESGn und ihre Arbeit z. B. beim Deutschen Studentenwerk, um eine nichtkirchliche Institution zu nennen. Innerhalb der EKD ist sie u. a. Anwältin für die Gruppe der jungen Erwachsenen und legt das Augenmerk auf sie gleichermaßen als Akteur*innen wie als Zielgruppe.
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Die EKD-Synoden 2018 und 2019 haben sich u. a. mit jungen Erwachsenen beschäftigt: zum einen mit ihrem Glauben (2018) und zum anderen mit der erweiterten partizipativen Möglichkeit, in Gremien der EKD wie der EKDSynode mitzuwirken (2019).
4 Projekte und Kampagnen Viele ESGn zeigen sich besonders seit 2015 sehr engagiert in der Arbeit mit Geflüchteten. In verschiedenen Aktionen und Projekten tragen sie dazu bei, die Integration von Geflüchteten zu verbessern, häufig auch mögliche Studienbedingungen zu eruieren und u. a. den Studienbeginn zu erleichtern. Die BundesESG bot, darauf reagierend, 2016 und 2017 die Aktion »Ein Tag – Ein Zweck« an. An einem Tag bzw. in einer Woche konnten alle teilnehmenden ESGn mit verschiedenen Aktionen Spenden für ein Projekt mit Geflüchteten akquirieren. Einen besonderen Fokus auf das Geistliche Leben von Studierenden legt das Angebot »Kloster auf Zeit für Studierende«. 2016 in Kooperation mit dem Kloster Wülfinghausen ins Leben gerufen, gibt es Studierenden die Möglichkeit, fünf Tage klösterliches Leben mit kontemplativem Gebet, biblischen Texten und Gartenarbeit gemeinschaftlich kennenzulernen. Diese Veranstaltung steht in Korrelation zum gestiegenen Angebot und Nachfrage an geistlichen Formaten in den ESGn seit der Jahrtausendwende.
5 Stellungnahmen Auf den Vollversammlungen der Bundes-ESG wurden in den letzten Jahren Stellungnahmen und Resolutionen verabschiedet, die sich auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen beziehen. 2018 beschloss die Vollversammlung die Resolution Kirchenasyl mit dem Titel »Hände weg vom Kirchenasyl! Asylrecht ist Menschenrecht« und bezieht sich somit auf die Änderungen im Asylrecht, die ein Kirchenasyl sehr erschweren. Die Vollversammlung 2018 beschloss ebenfalls eine Resolution »Schweigen geht nicht« anlässlich der rechtsextremistischen Geschehnisse und Ausschreitungen in Chemnitz im Sommer 2018. Die Vollversammlung 2019 beschloss, weiterhin unterstützende Organisation bei der Aktion »united4rescue« zu sein, die der Kirchentag 2019 ins Leben gerufen hatte. Sie hat zum Inhalt, ein Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken, um geflüchtete Menschen zu retten.
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6 Publikationen ansätze. ESG-Nachrichten. Fünf Printausgaben pro Jahr. Online unter: https://www.bundes-esg. de/publikationen/ansaetze. Durch Hohes und Tiefes (2008). Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Hg. v. E. Eckert/F. Kramer/U.-K. Plisch. München. kraft gottes (2017). Handbuch für Liturgie und Gottesdienst. Hg. v. C. Hirschberg/U.-K. Plisch. Hannover. Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (2017): Studieren mit Beeinträchtigung. Eine Orientierungshilfe für ESGn. Hannover. https://www.bundes-esg.de/fileadmin/user_upload/aej/Studium_und_Hochschule/Downloads/ESG-Publikationen/PDF/ ESG_Orientierungshilfe_Studieren_mit_Beeintraechtigung.pdf (abgerufen am 14.06.2021). Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (2020): Die Ehe für alle. Eine Handreichung der ESG (2. Aufl.). Hannover. https://www.bundes-esg.de/fileadmin/ user_upload/aej/Studium_und_Hochschule/Downloads/Themen/esg-efa-2020-screen.pdf (abgerufen am 14.06.2021).
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3.12 Internationale Partnerschaften Annette Klinke und Michael Pues
1 Begegnung auf Augenhöhe Internationale Begegnungsarbeit mit jungen Menschen lebt von Geschichten und Bildern. So soll am Anfang dieses Beitrages stellvertretend ein Bild aus der letzten Begegnungsmaßnahme zwischen der ESG in Deutschland und dem Student Christian Movement India (SCMI) stehen.
Adhit aus dem südindischen Bundesstaat Kerala und Laura aus Bonn stehen sich gegenüber an einem Geländer des sonnigen Kölner Rheinufers. Erst vor wenigen Tagen haben sie sich kennengelernt. Eine Studentin und ein Student aus zwei sehr unterschiedlichen Kulturen und biografischen Zusammenhängen –
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und dennoch: Ihre Blicke und ihr Gespräch wirken vertraut, offen und herzlich. Eine Begegnung auf Augenhöhe – trotz aller Unterschiede!?
2 Bestandsaufnahme
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Reisen erweitert den Horizont und stellt die eigene Lebenswirklichkeit in eine neue Perspektive. Viele ESGn ermöglichen diese Erfahrung auch ihren Studierenden und entwickeln Programme für Studienfahrten (siehe dazu Artikel 3.6 in diesem Handbuch). Die erste Frage der ESGn nach Fördermöglichkeiten ihres Vorhabens lautet oft: Wie bekommen wir unsere Studienfahrt finanziell von der Bundes-ESG unterstützt? Leider gar nicht, denn Studienfahrten werden nicht gefördert. Es ist nachvollziehbar, dass man aus dem Hochschulkontext heraus Lernerfahrung mit Studienfahrten organisieren möchte, doch das vom Bundesministerium (BMFSFJ) geförderte Programm legt den Schwerpunkt auf den Austausch junger Menschen und fördert daher Austauschprogramme. Diese Begegnungsreisen unterliegen einem anderen Konzept als Studienreisen. Der Schwerpunkt liegt auf der Begegnung auf Augenhöhe, dem Austausch zwischen möglichst gleichen Gruppen in Größe und Lebenssituation. Persönliche Begegnungen eröffnen Horizonte, die bestimmend für den weiteren Lebensweg sein können. Hierzu brauchen die ESGn neben der eigenen Gruppe von interessierten Studierenden eine feste Gruppe im Land ihres Reiseziels. Beide Gruppen sollten einmal Gastgeberin und einmal Gast in diesem Austauschprogramm sein. Vor Ort verbringen beide Gruppen die Tage gemeinsam und sind ggf. ebenfalls gemeinsam im Land unterwegs. Workcamps stellen eine besondere Form der Austauschprogramme dar. In das inhaltliche Programm wird eine gemeinnützige Arbeit in einem Projekt eingebaut. Dabei muss die Projektarbeit den überwiegenden Anteil im Programm bilden. Während in Afrika und Asien Kirchen und Kindergärten unter fachlicher Anleitung gebaut werden, ist es für das Besuchsprogramm in Deutschland oft nicht leicht, ein geeignetes Projekt zu finden. Wichtig ist es, bei der Vorbereitung beider Gruppen die gegenseitigen Erwartungen zu klären und ggf. mit den staatlichen Förderkriterien abzugleichen. Ein Beispiel: Die Begegnung mit einem afrikanischen Studierendenchor ist zwar durchaus möglich, aber nicht als Chorreise mit Auftritten, da diese nicht gefördert werden. Die Vorbereitung der Austauschprogramme und das Finden einer geeigneten Partnergruppe brauchen Zeit. Beim Start eines neuen Austauschprogramms
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kann die Durchführung eines sogenannten Fachkräfteprogramms hilfreich sein. Diese werden von haupt- und ehrenamtlichen Fachkräften in der Kinder- und Jugendarbeit wahrgenommen, um einer bestimmten Fragestellung nachzugehen. So führte die Bundes-ESG gemeinsam mit Brot für die Welt ein Fachkräfteprogramm mit STUBE in Indonesien durch, um sich über die Studienbedingungen dort zu informieren und die Perspektiven für zurückgekehrte Alumni kennenzulernen. Mit der gleichen Ausrichtung machte sich eine Gruppe von STUBE-Referent*innen und ESG-Mitarbeitenden nach Kamerun auf. Eines der Ergebnisse dieser Fahrt war der Austausch einer ESG mit Studierenden aus Kamerun. Eine andere ESG führte mit Studierenden eine Fachkräftemaßnahme durch, um das Workcamp in Indien und Deutschland vorzubereiten. Es gibt in den Begegnungsprogrammen der ESGn der letzten zehn Jahre (2010–2020) einen Schwerpunkt auf dem Land Indien. So hat die ESG Frankfurt a. M. schon lange einen Austausch, in den auch die örtliche Hochschule eingebunden ist. Weiter waren die ESGn Bonn, Kaiserslautern, Berlin und Flensburg mit ganz unterschiedlichen Partner*innen im Austauschprogramm. Während Berlin über die Gossner-Mission eine Partnergruppe fand, ist die ESG Flensburg über Hochschulkontakte zur ihrer Gruppe gelangt. Die ESG Bonn hat mit dem Mitglied des World Student Christian Federation (WSCF), dem Student Christian Movement of India (SCMI), schon die dritte Runde im gegenseitigen Austausch erlebt. Weitere Beispiele der Zielländer unter den ESGn sind Kamerun, Malaysia und die USA. Wenn es Partnerschaften der Hochschule gibt, kann darüber eine Gruppe gefunden werden oder aber über den WSCF in die entsprechende Stadt der Partnerschaftshochschule. Nicht in allen Ländern sind Mitglieder des WSCF zu finden, doch in über 100 Ländern gibt es meist ehrenamtlich geleitete Gruppen. Die ESG-Geschäftsstelle unterstützt die ESGn gern bei der Suche nach Partnergruppen. Lebendige Einblicke in aktuelle internationale Begegnungsprogramme im Bereich der Evangelischen Jugend und der ESG liefert die Broschüre »Mit dem Gesicht zur Welt« (aej 2015).
3 Weltweite Ökumene und Gemeindeaufbau Im christlichen Kontext sind internationale Partnerschaften und Begegnungen als ein Ausdruck der weltweiten Ökumene zu begreifen. Von Anfang an ist das Christentum eine sich nach außen öffnende Bewegung; das griechische Wort oikoumenē bezeichnet »den Erdkreis, die ganze bewohnte Erde«. In der Apostelgeschichte wird beschrieben, wie sich das Christentum von kleinen
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Hausgemeinden ausgehend im gesamten römischen Reich etabliert hat. Durch persönliche Besuche und Briefe hielt der Apostel Paulus Kontakt zu den weit versprengten Gemeinden. Es bestand die Herausforderung, das Verbindende in den unterschiedlichen Traditionen und kulturellen Zusammenhängen zu entdecken und stark zu machen. Mit dem Bild des Körpers, der aus vielen verschiedenen Gliedern besteht, die in ihrem Zusammenspiel alle wichtig sind für das Funktionieren des einen Organismus (1Kor 12), hat Paulus ein Leitbild auch für heutige ökumenische Begegnungen etabliert. Die eigene Sicht auf den christlichen Glauben weitet sich, wenn christliches Leben in anderen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten erlebt wird. So verwirklicht sich eine christliche »Einheit in der Vielfalt«, eine »versöhnte Verschiedenheit« – zwei in der ökumenischen Bewegung des 20. und 21. Jahrhunderts diskutierte Leitbilder. Internationale Partnerschaften sind eine gute Möglichkeit, Studierende für die ESG-Arbeit zu aktivieren, die von dem sonstigen Angebot in den Studierendengemeinden weniger erreicht werden. Die Anfangsmotivation für ein Engagement ist häufig das Interesse an dem Partnerland und seiner Kultur. Zudem sind die Begegnungen in sich abgeschlossene, zeitlich begrenzte Projekte und kommen so dem Bedürfnis vieler Studierender nach einem klar umrissenen Engagement entgegen. Die intensiven Erfahrungen während der Begegnungen können jedoch auch über die Dauer des Projektes hinaus Bindung und Kontakt zur ESG herstellen. Die übrige Gemeindearbeit in einer ESG wird um die weltweite Perspektive bereichert. Durch Besuche der internationalen Partner und gemeinsame Programmabende und Aktivitäten an den ESG-Standorten profitieren ebenso die Studierenden, die nicht im engeren Sinne an einem Austauschprogramm teilnehmen.
4 Lernerfahrungen Hochschulen und Studiengänge internationalisieren sich in einem rasanten Tempo. So werden ESGn zunehmend zu Orten interkulturellen und interreligiösen Lernens. Jenseits von konfessionellen oder kulturellen Grenzen begegnen sich hier Studierende aus der ganzen Welt. Internationale Partnerschaften und Begegnungsprogramme stellen in diesem Kontext eine verdichtete Erfahrung im Rahmen einer festen Gruppe dar. Die besondere Herausforderung besteht in dem persönlichen und intensiven Aufeinandertreffen von jungen Menschen aus zwei sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten.
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Die gemeinsame Beschäftigung mit einem Thema oder Projekt schafft gemeinsame nachhaltige Lernerfahrungen. Innerhalb des Förderprogramms des Kinder- und Jugendplanes des Bundes (KJP) gibt es aktuell folgende Schwerpunkte: Nachhaltige Entwicklung im Sinne ökologischer und sozialer Gerechtigkeit (Sustainable Development), Friedens- und Versöhnungsarbeit, Engagement für Europa, historisch-politische Bildung und interkulturelles Lernen. Das interkulturelle Lernen findet immer zusätzlich mit den anderen Themen statt. Gemeinsam mit der Gruppe zu überlegen: »Was möchte ich den Gästen von meinem Land zeigen?«, lässt die eigenen gesellschaftlichen Bedingungen in einer neuen Perspektive erleben. Der Vergleich zwischen den Lebensbedingungen schafft nicht nur zwischen wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Ländern neue Erkenntnisse. Ein Beispiel: Die Studierenden aus Indien waren überrascht, dass es in Deutschland sichtbare Armut gibt, und das lässt die gesamte Gruppe noch einmal neu über die Wirtschaftssysteme nachdenken. In der gemeinsamen Beschäftigung mit den »Sustainable Development Goals« der Vereinten Nationen diskutieren die indischen Studierenden selbstinitiativ ihren eigenen Umgang mit den Ressourcen der Erde. So sind die Lernerfahrungen nicht immer planbar, aber jederzeit bereichernd. Trotz der zeitlich begrenzten Erfahrung von zumeist zweiwöchigen Hinund Rückbegegnungen haben die internationalen Begegnungen bedeutsame Langzeitwirkungen in der Entwicklung junger Menschen. Eine breit angelegte Studie an der Universität Regensburg 2002–2005 (IJAB 2013, S. 90–103) hat gezeigt, dass sich auch nach sechs Jahren die Teilnehmer*innen sehr detailliert an die Begegnungsprogramme erinnern. Inbaraj Jeyakumar, Generalsekretär des Student Christian Movement India (SCMI), schaut auf mittlerweile drei Austauschprogramme zwischen indischen Studierenden und Studierenden aus deutschen ESGn zurück. Für ihn sind auch in einer zunehmend digitalisierten Welt direkte Begegnungen von bleibendem Wert: »Wenn Studierende in der Lage sind, miteinander zu interagieren, kommen sie mit all ihren Erfahrungen, Vorurteilen sowie ihren Lebenssituationen. Erst durch echte Begegnungen auf Augenhöhe findet eine wirkliche Transformation statt.«
5 Partizipation und Leitung »Partizipation« ist zu einem zentralen Begriff im Kontext von Bildungsprozessen geworden. Im Bereich internationaler Partnerschaften ist eine echte Teilhabe und Beteiligung der Teilnehmenden der Schlüssel zum Gelingen der Programme. So wird eine Begegnung zu einem gemeinsamen Projekt der gesamten Gruppe.
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Wirkliche Partizipation erstreckt sich von der Konzeptionierung und Vorbereitung über die Durchführung bis hin zur Auswertung. Sie ist ein offener Prozess, der von Anfang an mit allen Teilnehmenden gestaltet wird. Thema, Programminhalte und Reiseroute werden miteinander entwickelt. Hierbei muss zu jedem Zeitpunkt auch die Perspektive des Partners erfragt und mitgedacht werden. Eine gute Kommunikation ist an dieser Stelle entscheidend, mit der fortgeschrittenen Digitalisierung aber auch deutlich einfacher geworden. Videokonferenzen, gemeinsame Chatforen oder Online-Plattformen sind heute unabdingbare Werkzeuge einer internationalen Begegnung. Die teilnehmenden Studierenden bringen häufig schon eigene Leitungserfahrung aus Gruppenarbeit, Freizeiten oder Begegnungsprogrammen mit. Diese Kompetenz gilt es für einen partizipativen Leitungsstil zu nutzen. So können Gruppenmitglieder die Verantwortung für einzelne Abschnitte des Programms übernehmen. Eine rotierende Tagesleitung wird idealerweise immer von Zweierteams wahrgenommen. Auch bei guter Vorabplanung sollte eine Tagesleitung am Vorabend den kommenden Tag nochmals im Detail durchsprechen. Ein partizipativer Leitungsstil bedarf guter Absprachen. Die Rolle der hauptamtlichen Leitung muss von den betreffenden Personen im Vorfeld gründlich reflektiert und mit der Gruppe besprochen werden. Denn letztlich bleibt die Gesamtverantwortung für die Maßnahme bei der hauptamtlichen Leitung.
6 Interkulturelle Herausforderungen Neben der Vorbereitung auf die Gäste oder das Gastland durch die Beschäf tigung mit der Kultur und der Historie ist auch die Reflexion der eigenen Haltung gegenüber dem Partnerland wichtig. Wie gehe ich als Leitung, wie gehen wir als Gruppe mit den unterschiedlichen Voraussetzungen, der unterschiedlichen Perspektive, den verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen um? Wie formulieren wir unsere Wünsche an das Programm im Gastland, ohne fordernd zu wirken? Zum Beispiel ist der Umgang mit Kritik zwischen asiatischen und europäischen Gruppen sehr verschieden. So meldete die Gruppe aus Indonesien zurück, dass die Frage der deutschen Gruppe nach Wünschen zum laufenden Programm als Druck erlebt werde; sie seien es nicht gewohnt, nach Verbesserungen und Kritik gefragt zu werden. Der unterschiedliche Umgang mit Rückmeldungen muss beachtet werden, damit es nicht zu Kränkungen kommt.
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Kultursensibler Umgang miteinander ist auf besondere Weise im Austausch mit Gruppen aus wirtschaftlich ärmeren Ländern gefordert. Hier sind die unterschiedlichen Möglichkeiten der beiden Gruppen bei der Finanzierung des gemeinsamen Austausches eine der Herausforderungen. Die Förderung der Programme ist vonseiten des Bundesministeriums (BMFSFJ) nach dem Gastgeberprinzip konzipiert: In Deutschland bekommt die deutsche Gruppe Gelder, damit sie die Gastgruppe versorgen kann; für die Reisekosten sorgt die kommende Gruppe selbst. Die deutsche Gruppe, so wird erwartet, wird im gastgebenden Land von ihren Gastgeber*innen versorgt, deshalb gibt es nur Zuschüsse zu den Reisekosten der Gruppe aus Deutschland zum Zielland. Im Austausch mit einem wirtschaftlich armen Land gelingt dieses Gastgeberprinzip nicht. Hier müssen meistens neben den eigenen Kosten im Gastland auch die der Partnergruppe mitgetragen werden. Diese Ungleichheit der finanziellen Möglichkeiten macht die angestrebte Begegnung auf Augenhöhe schwierig, aber nicht unmöglich. Eine weitere Herausforderung im gleichberechtigten Miteinander ist die Frage nach dem Taschengeld. Damit die jungen Menschen aus dem Partnerland sich selbstbestimmt etwas leisten können, gibt die einladende Gruppe ein Taschengeld an die Gäste aus und stellt dann fest, dass dieses genutzt wird, um Geschenke für die Familie zu Hause zu kaufen. Auch das ausgezahlte Essensgeld wird nicht immer zweckentsprechend eingesetzt. Für dieses Dilemma gibt es keine einfache Lösung. Wichtig ist, dies zu thematisieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Auch die Frage nach postkolonialem Verhalten sollte in der deutschen Gruppe diskutiert werden. Ein Beispiel: Wohlmeinend werden die Teilnehmer*innen der Gastgruppe vor Erfahrungen bei der Speisenauswahl geschützt: »Das mögen die nicht.« Auch auf der Gästeseite tappt man zuweilen in die »Kolonialfalle«. So fragte ein Hauptamtlicher aus Asien, ob dem deutschen Partner die ausgesuchten Studierenden seiner Gruppe recht seien. Da die deutschen Hauptamtlichen ihre Auswahl ebenfalls nicht zur Diskussion gestellt hatten, wollten sie nicht die Entscheidung des Partners beurteilen. Es ist nicht einfach, das Fortbestehen der imperialen Strukturen in Politik und Gesellschaft zu erkennen. Daher lohnt es sich, dafür ein Bewusstsein zu entwickeln mit dem Ziel, dieses koloniale Erbe zu überwinden.
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7 Praktische Umsetzung 7.1 Zeitpunkt und Dauer Eine Begegnung sollte möglichst aus Hin- und Rückbesuch bestehen, sodass am Ende der ersten Maßnahme schon das Thema und die grobe Struktur des Rückbesuchs mit der Gesamtgruppe besprochen werden können. Angesichts veränderter Strukturen und Abläufe im Studium (insbesondere durch Einführung des Bachelor/Master-Systems) ist für die Mehrheit der Studierenden eine Dauer von maximal zwei Wochen pro Maßnahme realisierbar. Der Zeitpunkt der Begegnung muss in guter Abstimmung mit dem Partner festgelegt werden, da sich Vorlesungs- und Prüfungszeiten in den beteiligten Ländern meist stark voneinander unterscheiden.
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7.2 Vorbereitung Das Gelingen eines Begegnungsprogramms hängt maßgeblich von einer guten Vorbereitung ab. Zeitlich sollte dafür mindestens ein gemeinsames Wochenende zur Verfügung stehen. Zum einen kann sich die deutsche Teilgruppe zunächst selbst kennenlernen. Zum anderen beschäftigen sich die Teilnehmer*innen mit den jeweiligen »Spielregeln« und Traditionen in der Kultur des Partners und stimmen sich auf eine offene, aber gleichzeitig reflektierte Begegnung ein. Zu erwartende Herausforderungen einer mehrwöchigen Gruppenkonstellation in ungewohnten hygienischen oder klimatischen Kontexten können bereits im Vorfeld thematisiert werden. Interkulturelles Lernen geschieht in der konkreten Begegnung. »Weniger ist mehr«, dieses Prinzip gilt es auch bei der Erstellung eines Programms zu berücksichtigen, damit ausreichend Raum für den persönlichen Austausch in wechselnden Konstellationen bleibt. Folgende Fragestellungen und Themen sollten im Laufe der Vorbereitung berücksichtigt werden: – persönliche Erwartungen – grundlegende Einstimmung auf das Partnerland – Vorbereitung des Ablaufs der Begegnung mit guter Absprache von Zuständigkeiten – Kommunikation in der Gruppe und zum Partner – die Frage: Was beinhaltet ein »partizipativer Leitungsstil«?
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7.3 Durchführung Während der Begegnungsmaßnahme sollte es an jedem Tag zumindest eine kurze Möglichkeit des Feedbacks in der Gruppe geben. Dies sollte immer wieder auch getrennt in der jeweiligen Gast- und Gastgebergruppe stattfinden, da ein offener Austausch auch mit kritischen Rückmeldungen in der Gesamtgruppe häufig nicht zustande kommt. Ein täglich aktualisierter Blog ist sowohl für die Dokumentation als auch für die Außenwirkung der Begegnungsmaßnahme sinnvoll. Familienmitglieder, Freundeskreise, aber auch eine interessierte Öffentlichkeit können so das Austauschprogramm mitverfolgen. Grundsätzlich gilt es, bei der Gestaltung darauf zu achten, kurze Textteile ausdrucksreich zu bebildern. Eine täglich wechselnde Zuständigkeit sollte bereits im Vorfeld verabredet werden. Für eine Berichterstattung über die interkulturellen Erfahrungen der Studierenden sind auch lokale oder kirchliche Print- oder Onlinemedien meist leicht zu gewinnen.
3 7.4 Auswertung Eine detaillierte Auswertung des Programms und der gemachten Erfahrungen sollte zum Ende der Begegnung in der Gesamtgruppe stattfinden. Ein Rückund Ausblick mit der eigenen Teilgruppe ist im Abstand von wenigen Monaten sinnvoll. Dann liegt der Fokus auf den Auswirkungen der Begegnung für den eigenen Lebensweg und der Frage, welche Konsequenzen aus den gemachten Erfahrungen für zukünftige Programme zu ziehen sind. 7.5 Finanzierung und Fördermöglichkeiten Grundsätzlich gilt das Gastgeberprinzip für die Förderung durch den KJP des Bundesministeriums (BMFSFJ; siehe oben unter 6.). Zu den genauen Bedingungen und dem Antragsverfahren hat die gemeinsame Geschäftsstelle von aej und ESG ein Merkblatt (aej/ESG 2020) herausgegeben. Hier werden die Grundzüge des Förderprogramms dargestellt und auf die weiteren Sonderprogramme hingewiesen. Der Austausch mit Frankreich und Polen wird durch die jeweiligen Jugendwerke gefördert: das Deutsch-Französische bzw. das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Weitere Sonderprogramme fördern die Begegnung mit Gruppen aus China, Griechenland, Israel, Russland und der Tschechischen Republik. Manchmal ist es möglich, eine zusätzliche Unterstützung bei den Landeskirchen über die dortige Partnerschaftsarbeit zu erhalten. Auch Freundeskreise der ESGn oder der Hochschulen sind oft bereit, diese Begegnungen zu unterstützen.
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Literatur
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Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) (2015): Mit dem Gesicht zur Welt. Einblicke in internationale Begegnungsprogramme der Evangelischen Jugend. Hannover. Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej)/Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (ESG) (2020): Merkblatt. https://www.evangelische-jugend.de/fileadmin/user_upload/Foerderung/Internationale_Globalmittel/2020_aej_ merkblatt_int_jugendarbeit.pdf (abgerufen am 12.04.2021). Drücker, A./Reindlmeier, K./Sinoplu, A./Totter, E. (Hg.) (2014): Diversitätsbewusste (internationale) Jugendarbeit. Eine Handreichung. https://www.netzwerk-diversitaet.de (abgerufen am 02.03.2021). Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. (IJAB) und Forscher-Praktiker-Dialog Internationale Jugendarbeit (Hg.) (2013): Internationale Jugendarbeit wirkt. Forschungsergebnisse im Überblick. Bonn/Köln. Jugend für Europa (2014): More than culture. Diversitätsbewusste Bildung in der internationalen Jugendarbeit. Eine Handreichung für die Praxis. https://www.jugendfuereuropa.de/ueber-jfe/ publikationen/more-than-culture.3628 (abgerufen am 02.03.2021). Oesselmann, D./Rüppell, G./Schreiner, P. (2008): Impulse zur konzeptionellen Weiterentwicklung ökumenischen Lernens. Münster. https://comenius.de/wp-content/uploads/2008/08/Impulse_ oekumenisches_Lernen.pdf (abgerufen am 02.03.2021). Sauer, J./Scholten, A./Zaunseder, B. W. (Hg.) (2004): Global Games. Spiele, »Eisbrecher« und Übungen für internationale Begegnungen. Freiburg i. Br. Thomas, A./Chang, C./Abt, H. (2007): Erlebnisse, die verändern. Langzeitwirkungen der Teilnahme an internationalen Jugendbegegnungen. Göttingen. https://www.ijgd.de/fileadmin/ content/ijgd/dokumente/07_download/Langzeitwirkungen_Zusammenfassung_deutsch.pdf (abgerufen am 02.03.2021). transfer e. V.: http://www.transfer-ev.de (abgerufen am 02.03.2021). Vereinte Evangelische Mission (VEM) (2011): Von Fremdheit und Partnerschaft. Partnerschaftshandbuch. Wuppertal. 14 km e. V. (2015): Methodenkasten für internationale interreligiöse Jugendarbeit. http://14 km. org/relixchange/methodenkit (abgerufen am 02.03.2021).
Teil 4 Perspektiven
4.1 Studierendengemeinden als Avantgarde Uwe-Karsten Plisch
1 Einleitung – historischer Überblick Zu Beginn des Jahres 2021 veröffentlichte die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland ein erstaunliches Impulspapier (EKiR 2021), in dem das Ende der Volkskirche konstatiert und als Strategie vorgeschlagen wurde, den Zerfall der Volkskirche nicht länger aufhalten zu wollen, sondern zu »beschleunigen und bewusst zu gestalten«. Als Ziel wurde formuliert, »Samenkörner einer Kirche von morgen zu säen«. Die Abschaffung von Privilegien (Steuerprivilegien, Beamtenstatus der Pfarrer*innen, Staatsleistungen), die das Papier in den Blick nimmt, wäre in der Tat eine wesentliche Voraussetzung, wirklich partizipativ organisierte und selbstständig und selbstbestimmt lebensfähige evangelische Gemeinden zu etablieren. Studierendengemeinden lassen sich als pragmatische Personalgemeinden beschreiben – pragmatisch insofern, als sie an ein bestimmtes, durch den Handlungsort Hochschule definiertes Milieu gerichtet sind, für das es im parochialen kirchlichen Alltag kaum angemessene Angebote gibt. Als pragmatische Personalgemeinden leben Studierendengemeinden schon jetzt ein partizipatives Gemeindemodell, das freilich für das Selbstverständnis von Studierendenund Hochschulgemeinden von jeher essenziell war und ist. Die volkskirchliche Fixierung und parochiale Engführung, die den großen Kirchen in Deutschland zunehmend zum Hemmschuh einer zeitgemäßen und realitätsbezogenen Weiterentwicklung wird, war in den Evangelischen Studierendengemeinden von ihrem Anfang her keine Bürde, die ihre Entwicklung behindert hätte. Von Anfang an bedeutet: auch und gerade nicht in Gestalt ihrer Vorläuferorganisation, der 1897 gegründeten Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV). Einer ihrer Gründerväter, der spätere preußische Ministerpräsident, Kurzzeit-Reichskanzler und DCSV- Ehrenvorsitzende auf Lebenszeit Georg Michaelis, hatte sich bereits 1902 aus theologischen und frömmigkeitspraktischen Gründen der Gemeinschafts-
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bewegung, einer Frucht der Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, zugewandt. Michaelis begab sich damit in Distanz zur preußischen Staatsund Amtskirche und dürfte in seiner Zeit und innerhalb der Klasse, zu der er zählte und in der er verkehrte, ein Exot gewesen sein. Für seine Umwelt wirkte dieser Schritt im günstigen Fall als tolerable religiöse Überspanntheit. Für studentische Belange engagierte sich Michaelis auch als Vorsitzender des Studentenwerks Berlin und als Vorsitzender der deutschen Kommission der Europäischen Studentenhilfe des Weltbundes der Christlichen Studentenvereinigungen, dem die DCSV angehörte, wodurch sie sich von Beginn an in einen internationalen Horizont stellte. Zum Bestand des »Hospizes zur Furche« im brandenburgischen Bad Saarow, eines Einkehr- und Bildungshauses, das Georg Michaelis der DCSV geschenkt hatte, gehörte zunächst auch das DCSV-Gut Marienhöhe, das 1928 an die Anthroposophische Gesellschaft verkauft und so zur Keimzelle des Demeter-Biolandbaus wurde. In der 1968er-Bewegung in Westeuropa und der Bundesrepublik Deutschland waren ESGn wichtige Keimzellen für den gesellschaftlichen und theologischen Aufbruch, der sich mit Namen wie Helmut Gollwitzer oder Dorothee Sölle verbindet. Gallionsfiguren der 1968er wie Benno Ohnesorg oder Rudi Dutschke waren aktive ESGler (vgl. Raßloff 2018), und die Theologin Gretchen Dutschke wäre beinahe ESG-Pfarrerin in Hannover geworden. Das Jahr 1968 markierte auch in der DDR eine historische Zäsur. Während 1968 im Westen der »Muff von tausend Jahren« ausgelüftet wurde und das Jahr für den Aufbruch in die gesellschaftspolitische Moderne steht, bedeutete der Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages in die ČSSR das gewaltsame Ende der sozialistischen Gesellschaftsutopie sowjetischer Prägung. Studierendengemeinden waren fortan neben evangelischen Akademien die einzigen Institutionen, an denen ein freier, intellektueller Diskurs auf wissenschaftlichem Niveau geführt und das demokratische Handwerkszeug eingeübt werden konnte, das dann in der friedlichen Revolution von 1989 dringend gebraucht wurde. Das partizipative Element wie das Bewusstsein, wichtige Bildungsträgerinnen zu sein, spielen bis heute in der Alltagspraxis der OstESGn eine besonders große Rolle. Auf der ÖRK-Weltversammlung 1983 in Vancouver schlug die DDR-Delegation ein gesamtchristliches Friedenskonzil vor. Dieser Vorschlag war die Initialzündung für den Konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, der auch in den ESGn, insbesondere in der DDR, fruchtbaren Boden fand. ESGn wurden so auch zu Vorreiterinnen in der Friedens- und Ökologiebewegung. Dagegen trat die EKD (West) in der weltweiten ökumenischen Bewegung häufig als Bremserin auf, etwa im Kampf gegen die Apartheid, um
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die guten wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Apartheid-Regime in Südafrika nicht zu gefährden. Eine selbstverständlich gelebte christliche Willkommenskultur gehört(e) in der europäischen Humanitätskrise (der sog. »Flüchtlingskrise«) spätestens seit 2015 zum Kerninhalt der Gemeindearbeit zahlreicher ESGn. 2020 erhielt die ESG Leipzig den Evangelischen Friedenspreis (Friedrich Siegmund-SchultzePreis) für ihr Engagement für Geflüchtete.
2 Avantgardistische Felder Avantgarde sein, also Vorhut sein, wie der ursprünglich militärische Begriff bedeutet, meint, auf kirchliche Verhältnisse übertragen, gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen besonders früh wahrzunehmen und auf sie innovativ und vorauseilend zu reagieren. ESGn könnte man, weniger martialisch, auch mit kleinen, aber kräftigen Schleppern vergleichen, die das große, schwer zu manövrierende Schiff »Evangelische Kirche« versuchen, in Richtung Zukunft zu ziehen, denn Avantgarde sein bedeutet nicht nur, an der Spitze des Zuges zu marschieren, sondern auch zu wissen, wohin man will. 2.1 ESG als Seismograf kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklung Die Erschütterungen durch gesellschaftliche und kirchliche Veränderungsprozesse werden in ESGn häufig früher und deutlicher wahrgenommen als in Parochialgemeinden oder Kirchenleitungen. Das liegt an der Verortung der ESGn an der Schnittstelle von Wissenschaft und Glaube und daran, dass ESGn Personalgemeinden für künftige Verantwortungsträger*innen in Kirche und Gesellschaft sind. Einerseits sind ESGn dem gesellschaftlichen Säkularisierungsdruck besonders stark ausgesetzt, insofern die Fehlinterpretation grundgesetzlich geschützter Religionsfreiheit als »Freiheit von Religion« an Universitäten besonders ausgeprägt ist. Andererseits bündeln sich an Universitäten und Hochschulen Internationalisierung und wachsende Multireligiosität der Gesellschaft in exemplarischer Weise. ESGn sind mit diversen religiösen Hochschulgruppen (z. B. KHG und SMD sowie muslimische, jüdische und alevitische Hochschulgruppen) im Gespräch und kooperieren mit ihnen auf vielfältige Art. ESGn sind Gemeinden, die sich jetzt schon in einem gleichzeitig säkularen wie multireligiösen Umfeld bewegen. Es ist die Aufgabe von Kirchenleitungen, dieses Früherkennungspotenzial aktiv zu nutzen.
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2.2 ESG als Kreativlabor künftiger Spiritualität
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Die Bundes-ESG hat 2008 ein den ESGn gemeinsames eigenes Gesangbuch »Durch Hohes und Tiefes« vorgelegt, das in enger Abstimmung mit den OrtsESGn entwickelt wurde und die umfangreichste Sammlung neuerer geistlicher Lieder, die wirklich in Gemeinden gesungen werden, darstellt. Als Supple ment zum Evangelischen Gesangbuch hat es längst Eingang in zahlreiche Parochialgemeinden gefunden, nicht zuletzt, weil ehemalige ESGler*innen und Studierendenpfarrer*innen das ihnen lieb gewordene Gesangbuch in ihre künftigen Gemeinden mitnehmen. In Studierendengemeinden werden Gottesdienste wirklich partizipativ erarbeitet. Dabei werden häufig neue, an der Wirklichkeit der Hochschule und der Lebenswirklichkeit Studierender orientierte liturgische Formate entwickelt: Anatomiegottesdienste für Verstorbene, die ihren Körper für Präparationskurse zur Verfügung gestellt haben; Trauergottesdienste für im Ausland verstorbene Angehörige internationaler Studierender; Gottesdienste zum Valentinstag; Mittagsandachten auf dem Campus und vieles mehr. Gebündelt finden sich diese kreativen Gottesdienstformate im ESG-Handbuch für Liturgie und Gottesdienst »kraft gottes«. Die Formate, in denen Glaube in ESGn gelebt und erlebt werden kann, sind vielfältig: neben den erwähnten Gottesdiensten und Andachten auch liturgische Nächte, kontemplatives Gebet, Glaubenskurse, Dinner Church, Kloster auf Zeit, Taizé-Gebet. In dem auf Selbstoptimierung ausgerichteten Universitätsalltag sind ESGn Anders-Orte, in denen Gemeinschaft und Glaube als soziales Beziehungsgeschehen erlebt und gestaltet werden können. Zum Beispiel ist Essen wichtig: internationale Abende, an denen Gemeinschaft mit Christ*innen und Angehörigen anderer Religionen aus aller Welt sinnlich erlebt werden kann, sind ein Alleinstellungsmerkmal von ESGn und zugleich ein Vorgeschmack der kommenden Welt. 2.3 ESG als (H)Ort der Bildung und gesellschaftlichen Engagements 2011 veröffentlichte die EU-Kommission eine Hochschulreformstrategie (European Commission 2011), die ausdrücklich bestimmt ist als Teil der EU-Strategie für Beschäftigung und Wachstum (»part of Europe’s strategy for jobs and growth«). Als Ziel der Strategie wurde die Maximierung des Beitrages der Hochschulbildung zur Stärkung der europäischen Ökonomie im Angesicht der Krise definiert. Die damalige EU-Kommissarin für Bildung, Kultur, Mehrsprachigkeit und Jugend, Androulla Vassiliou, fasste das Konzept folgendermaßen zusammen: »Hoch-
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schulbildung ist eine starke Antriebskraft für das Wirtschaftswachstum […] Gleichzeitig ist sie auch die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit« (Europäische Kommission 2011). Ökonomische Verwertbarkeit auf der einen und Employability auf der anderen Seite stellen seitdem nicht nur die wichtigsten, sondern die einzigen Kriterien für strategische Bildungsentwicklung in der EU dar. Ökonomische Ziele sind an die Stelle von Bildungszielen im eigentlichen Sinne getreten. Jegliche Einsicht in den Eigenwert und die Eigen-Art von Bildung wurde damit preisgegeben und in dem Papier nicht einmal mal mehr qua Leerformel simuliert. Die Hochschulen und Universitäten in Deutschland haben sich im Zuge der Umstellung des Lehrbetriebs auf das Bachelor/Master-System und der damit einhergehenden Verschulung des Universitätsbetriebs gezwungenermaßen von ihrem Humboldt’schen Bildungsideal verabschiedet. Der Bildungsmisere soll auf quantitativem Wege (Erhöhung der Studierendenzahlen) begegnet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in Deutschland Bildung grundsätzlich als nachrangige Angelegenheit behandelt wird: Mit Bildungsausgaben von 4,2 % des Bruttoinlandsprodukts liegt Deutschland noch unterhalb des OECDDurchschnittswertes von 4,9 %. Die Differenz zwischen tatsächlichem Wert und Durchschnittswert entspräche gut 20 Milliarden Euro an jährlichen Mehrausgaben für Bildung. Angesichts der Ökonomisierung und Verzweckung von Bildung auf der einen Seite und der willentlichen oder erzwungenen Preisgabe von Bildungszielen im qualifizierten Sinne auf der anderen können ESGn in diese von den Hochschulen gelassene Lücke stoßen – nicht als Lückenbüßer oder Aushilfsuniversität, sondern im Sinne eines eigenständigen Bildungsangebotes, das Horizonterweiterung und Persönlichkeitsbildung einschließt. Als anerkannter Bildungsträger sind ESGn schon von ihrer Tradition und ihrem Selbstverständnis her gut für diese Aufgabe gerüstet. 2011 veröffentlichte die Bundes-ESG im Rahmen ihres Zukunfts- und Profilierungsprozesses die folgenden Thesen, die ihr evangelisches Bildungsverständnis ausdrücken (ESG 2011, S. 38): »Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei […]. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, als Gottes Abbild schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie. (Gen 1,26a.27) Ihr aber, lasst euch nicht »Rabbi« nennen, denn einer ist euer Meister (didaskalos), ihr alle aber seid Geschwister. Noch lasst euch ›Lehrer‹ (kathēgētēs) nennen, denn euer Lehrer ist einer: Christus. (Mt 23,8.10) ›Was tun Sie‹, wurde Herr K. gefragt, ›wenn Sie einen Menschen lieben?‹ ›Ich mache einen Entwurf von ihm‹, sagte Herr K., ›und sorge, daß er ihm
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ähnlich wird‹. ›Wer? Der Entwurf?‹ ›Nein‹, sagte Herr K., ›der Mensch‹. (Bertolt Brecht, Wenn Herr K. einen Menschen liebte) These 1: Als Geschöpf ist der Mensch a priori ein Gebildeter; als Abbild Gottes ist er a priori ein Bildungsfähiger. These 2: Intelligenz ist die Fähigkeit, Wissen zu erwerben; Bildung schafft die Voraussetzung, Wissen anzuwenden, um sich in der Welt zurechtzufinden und die Welt zu gestalten. These 3: Der Gebildete findet sich in der Welt zurecht, weil er in der Lage ist, sich intelligent zu ihr in Beziehung zu setzen. Der Gebildete findet sich in der Welt zurecht, denn er hat in der Welt etwas zu suchen. These 4: Bildung evangelisch nimmt die Geschöpflichkeit des Menschen ernst. These 5: Bildung funktioniert nicht von allein. Der Gebildete bedarf eines, der ihn bildet. Die Gebildete bedarf einer, die sie bildet. Der Gebildete bedarf einer, die ihn bildet. Die Gebildete bedarf eines, der sie bildet. These 6: Bildung ist keine Einbahnstraße, Bildung ereignet sich im Dialog. Im wissenschaftlich-universitären Kontext bedeutet dies, dass die Gebildeten zugleich Subjekt und Objekt von Lehre und Forschung sind (wenn auch in unterschiedlicher Weise). These 7: Bildung zielt auf den ganzen Menschen, IHM zugut und der Welt zum Wohl. Insofern ist gelingende Bildung zugleich Lobpreis des Schöpfers. These 8: Jeder Gebildete hat ein Recht auf Bildung. Zugleich ist Bildung in der Verantwortung des Gebildeten. Das intelligible Geschöpf ist in der Pflicht, sich und andere zu bilden.« Gesellschaftspolitisches Engagement aus biblisch gespeister Verantwortung ist von jeher Teil des Selbstverständnisses von ESGn gewesen, wandelt sich aber mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Erfordernissen. Standen in den 1960er-Jahren Fragen der gesellschaftlichen Modernisierung und auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Friedensthemen auf der Agenda, stehen heute – angesichts akuter Not – die Arbeit mit Geflüchteten einschließlich der Gewährung von Kirchenasyl und der Klimawandel im Fokus. Aufgrund der veränderten Studienbedingungen bevorzugen Studierende heute eher punktuelle, zeitlich überschaubare Projekte, langjähriges Engagement ist dagegen eher rückläufig. ESGn sind queerfreundliche Orte. Bereits vor der endgültigen Abschaffung des § 175 StGB im Jahre 1994 (DDR: 1989), der bestimmte homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, gehörten ESGn zu den wenigen kirchlichen Orten, an
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denen homosexuelle Arbeitskreise als Gäste oder Teil der eigenen Gemeindearbeit willkommen waren. Die Interessenvertretung von Lesben und Schwulen gehörte bereits Ende des letzten Jahrhunderts zum Stellenprofil des*der theologischen Referent*in der Bundes-ESG. Im Jahr 2020 veröffentlichte die BundesESG eine Handreichung zum Thema »Ehe für alle«, die künftige gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen mit in den Blick nimmt (Verband 2020). 2.4 ESG als Gemeinde von morgen ESGn sind in vielfältiger Hinsicht Experimentierräume, in denen sich die künftige Gestaltung von Kirche (vor-)abbildet. ESGn als Gemeinden Jesu Christi an der Hochschule sind in diesem Umfeld nur (über-)lebensfähig, wenn sie sich als aufsuchende Struktur begreifen. Als solche suchen ESGn die Menschen, die sie erreichen möchten, an den Orten ihrer Lebenswirklichkeit auf und reagieren auf die Anforderungen der Hochschule, ohne sich verzwecken zu lassen (siehe dazu exemplarisch Artikel 2.8 in diesem Handbuch). Die Zielgruppe Studierende, selbst in der Phase von Lebens- und Berufsorientierung begriffen, ist religiös ansprechbar, auch (und bisweilen gerade) wenn sie nicht mehr aus einem kirchlich geprägten Milieu stammt. ESGn, die lediglich versuchen, hergebrachte parochiale Komm-Strukturen zu kopieren, geraten dagegen in eine Abwärtsspirale und/oder verfehlen ihre eigentliche Zielgruppe (Ley/Vierboom 2020, S. 67–76.111–116). ESGn werden durch ihre Mitarbeitendenkreise, Gemeinderäte etc. partizipativ geleitet. Studierende, die dem Gremium mehrheitlich angehören, fällen eigenverantwortlich Entscheidungen, die Alltag und Leben der Gemeinde betreffen, und üben so zugleich künftige Verantwortung ein. Je besser dies gelingt, desto besser sind Studierendengemeinden z. B. gerüstet, auch Vakanzzeiten nicht nur zu überstehen, sondern eigenverantwortlich zu gestalten. Dieses Einüben eigenverantwortlicher Leitung wird umso wichtiger werden, je länger solche Vakanzzeiten andauern und je geringer die Anzahl hauptamtlicher Mitarbeiter*innen in Studierendengemeinden wird. Dies gilt nicht in erster Linie aufgrund geringer werdender landeskirchlicher Finanzmittel, sondern aufgrund der sinkenden Attraktivität des Pfarrberufes, die den Pfarrer*innenmangel perspektivisch auch in den evangelischen Kirchen verstärken wird. Theologisch sind evangelische Gemeinden mit ihrer Kernanschauung vom Priestertum aller Gläubigen auf diese Entwicklung bestens vorbereitet. Angesichts kommender kirchlicher Entwicklungen scheint es angeraten, den Dienst im Studierendenpfarramt weiterhin tendenziell von Berufsanfänger*innen, die auch hinsichtlich ihres Alters der Zielgruppe nahestehen, versehen zu lassen (ESG als Karrieresprungbrett).
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Auf diese Weise können sie ihre Erfahrungen im Experimentierfeld ESG in die künftige Gestaltung von Kirche und Gemeinde – nach dem Abschied von der Illusion der Volkskirche – mitnehmen und einbringen.
Literatur
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Becker, B. (2007): Georg Michaelis. Preußischer Beamter, Reichskanzler, Christlicher Reformer 1857–1936. Eine Biographie. Paderborn/München/Wien/Zürich. Durch Hohes und Tiefes (2008). Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Hg. v. E. Eckert/F. Kramer/U.-K. Plisch. München. Europäische Kommission (2011): Reform der Hochschulbildung: Modernisierung und Beschäftigungsfähigkeit sind Kernstück der neuen Strategie. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_11_1043 (abgerufen am 11.07.2021). European Commission (2011): Modernisation and employability at heart of new higher education reform strategy. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_11_1043 (abgerufen am 28.02.2021). Evangelische Kirche im Rheinland (2021): Lobbyistin der GOTT-Offenheit. Zum öffentlichen Auftrag und Auftreten einer Minderheitskirche. 74. Landessynode 2021, Beschluss 55 vom 15.01.2021. https://landessynode.ekir.de/wp-content/uploads/sites/2/2020/12/LS2021_74-DS08Lobbyistin-Gottoffenheit.pdf (abgerufen am 28.02.2021). Evangelische StudentInnengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland (ESG) (2011): Zukunftsund Profilierungsprozess ESG 2015. Dokumentation und Werkheft. ansätze. ESG-Nachrichten (2) (Sonderausgabe). Freudenberg, M. (2020a): Lass das Feuer wieder brennen. Predigten und Ansprachen mit Studierenden. Solingen. Hirschberg, C. (2019): Evangelische Studierendengemeinde (ESG) als Seismograph kirchlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. DtPfrBl, 119 (9), S. 529–532. kraft gottes (2017). Handbuch für Liturgie und Gottesdienst. Hg. v. C. Hirschberg/U.-K. Plisch. Hannover. Ley, M./Vierboom, C. (2020): Die verlassene Generation. Studierende ohne Wissenschaft und Religion. Münster. Mit Jesus auf die Barrikaden: Christ*innen in der 68er-Revolte. Ein Dokumentarfilm (2018). Drehbuch und Regie: D. Raßloff. Berlin: filmArche e. V. Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (2020): Die Ehe für alle. Eine Handreichung der ESG (2. Aufl.). Hannover.
4.2 Studierendengemeinden als Gemeinden an einem anderen Ort Uta Pohl-Patalong
Obgleich der Obertitel des Handbuchs »Studierendenseelsorge« heißt, tragen die ESGn den Gemeindebegriff, wie im Untertitel deutlich wird. Mit dieser Beobachtung befinden wir uns direkt in der Spannung, die den Gemeindecharakter der kirchlichen Arbeit mit Studierenden kennzeichnet: Einerseits gibt es bis heute die Tendenz, kirchliche Arbeit außerhalb der Ortsgemeinde als »Sonderseelsorge« oder »Spezialpfarramt« zu verstehen, in denen Menschen seit dem 19. Jahrhundert kirchlich »versorgt« werden sollten, die zu der »normalen« Gemeinde nicht kommen konnten oder wollten (vgl. Schloz 2002, S. 1570). Der Begriff hat nicht nur den Nachteil, dass das übliche Verständnis von Seelsorge (zumindest nach evangelischer Begrifflichkeit, im katholischen Bereich ist dies anders) nur einen geringen Teil der kirchlichen Arbeit mit Studierenden umfasst. Vor allem aber denkt er tendenziell von den Handlungsfeldern der Pfarrpersonen aus und nimmt die Studierenden zumindest traditionell nicht als Subjekte in den Blick, die miteinander Kirche gestalten. Andererseits ist das Selbstverständnis als Gemeinden in den kirchlichen Sozialformen dieser Zielgruppe wesentlich stärker verankert als beispielsweise im Handlungsfeld Krankenhaus oder Gefängnis, in der Arbeit mit Schausteller*innen oder beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Historisch ist sie – anders als die meisten anderen nicht-parochialen Handlungsfelder – aus christlichen studentischen Zusammenschlüssen entstanden (der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung [gegründet 1895], des Studentenbundes für Mission [gegründet 1896] und der Deutschen Christlichen Vereinigung Studierender Frauen [gegründet 1905]; siehe dazu Artikel 1.1–1.3 in diesem Handbuch). Entsprechend heißt es programmatisch in der Präambel der Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (Bundes-ESG 2018):
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»Der Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (Bundes-ESG) ist Gemeinde Jesu Christi an der Hochschule. Durch Wort und Tat verkündigt die Bundes-ESG das Evangelium Jesu Christi als Gottes Zuspruch und Anspruch an uns. Sie ist an die Heilige Schrift gebunden und steht auf der Grundlage der in der Evangelischen Kirche in Deutschland gültigen Bekenntnisse. Die Bundes-ESG nimmt teil am Gesamtauftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Gliedkirchen, insbesondere im gesellschaftlichen Feld von Bildung, Wissenschaft und Hochschulentwicklung«.
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Indem in dem Text bereits einige Merkmale von »Gemeinde« genannt werden, die von den ESGn erfüllt werden, klingt bereits die Diskussion an, inwiefern und in welchem Sinne Studierendengemeinden »Gemeinden« sind. Der Begriff hat gerade im evangelischen Bereich nicht nur unterschiedliche Bedeutungsebenen, sondern ist auch sowohl theologisch als auch emotional aufgeladen – und die Fragestellung führt mitten hinein in die aktuellen kirchentheoretischen Diskurse zum Gemeindebegriff.
1 Gemeinde – rechtlich oder theologisch? Die Debatte wird zunächst dadurch erschwert, dass der Gemeindebegriff sowohl rechtlich als auch theologisch Verwendung findet und die beiden Ebenen nicht immer klar unterschieden werden. Nicht wenige evangelische Kirchenordnungen verstehen Kirche als Körperschaft von Ortsgemeinden und/ oder lassen die Begriffe »Gemeinde« und »Ortsgemeinde« ineinanderfließen. Gleichzeitig werden in den Kirchenordnungen andere Formen von Gemeinden genannt, die begrifflich uneinheitlich als »Personalgemeinden« oder »Anstaltsgemeinden« bezeichnet werden, manchmal aber auch als »Dienste und Werke«, »gemeinsame Dienste«, »gesamtkirchliche Dienste«, »Einrichtungen« oder »Sonderdienste«. Theologisch gesehen ist »Gemeinde« jedoch kein räumlicher Bezirk, sondern beruht auf einem geistlichen Geschehen (vgl. Hauschildt/Pohl-Patalong 2013, S. 271–284): Ihr Mittelpunkt ist die Präsenz Christi, und entscheidend ist die Kommunikation zwischen Christus und den Gläubigen sowie die Teilhabe der Gläubigen an der dadurch gegebenen Wirklichkeit (Mt 18,20), in der der Heilige Geist wirkt. Die Vermischung von organisatorisch-rechtlicher und theologischer Ebene wurde gerade im evangelischen Bereich gefördert durch die Erfahrung der
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Reformationszeit, dass sich nicht die Gesamtkirche, jedoch viele einzelne Gemeinden der reformatorischen Lehre zuwandten. Diese mussten daher über die rechte Lehre eigenständig entscheiden können, was zudem auch der Denkfigur des »Priestertum aller Gläubigen« entsprach. Gegenüber der verwaltungstechnisch geprägten »Landeskirche« ist evangelischerseits zudem das Identifikationspotenzial mit der Gemeinde auch heute deutlich größer. Insofern ist der Begriff emotional aufgeladen und wird mit Anliegen und Interessen verbunden (vgl. Hermelink 2004, S. 55–61). Was (und wer) sich »Gemeinde« nennen darf, erhält kirchlicherseits mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung und damit langfristig auch mehr Ressourcen. Auch in den gegenwärtigen Debatten um die Zukunft der Kirche ist die Tendenz zu beobachten, in finanziellen Krisenzeiten Prioritäten bei der Kirche konstituierenden »Grundelementen« oder »Elementarbausteinen« zu setzen, als die die Gemeinde begriffen wird. Organisationsformen jenseits der Gemeinde können als »sekundär« betrachtet und damit als möglicherweise sinnvoll, notfalls aber als verzichtbar angesehen werden. Angesichts dieser Konstellation führt die Tendenz, die Sozialform der Ortsgemeinde rechtlich als »Grundform« von Gemeinde zu verstehen, zu einer häufig nicht reflektierten Identifikation des Gemeindebegriffs mit einer – durchaus kontingenten und historisch bedingten – Form von Gemeinde, die die Gestalt der Kirche prägt. Im Blick auf die Bedeutung des Gemeindebegriffs für die Gestalt der Kirche ist es erstaunlich, dass eine grundlegende theologische Reflexion des Gemeindebegriffs in der Praktischen Theologie bislang nur selten erfolgt ist. Die schwerpunktmäßig in den 1970er- bis 1990er-Jahren geführte, aber bis heute anhaltende Auseinandersetzung um den Wert parochialer und nicht-parochialer Arbeitsformen wird interessanterweise stärker auf soziologischer Ebene als mit theologischen Argumenten geführt (vgl. Pohl-Patalong 2003, S. 170 f.). Argumente für eine theologische Vorrangposition der Ortsgemeinde sind in der Tat auch nicht einfach zu finden. Exemplarisch sei der Versuch von Christian Möller in dem entsprechenden Artikel der TRE genannt, der in seinen umständlichen Formulierungen und dem Heranziehen etymologischer (nicht-theologischer) Koinzidenzen vor allem die Schwierigkeiten zeigt: »Im Begriff ›Gemeinde‹ kommt die personale, als Versammlung und Gemeinschaft im Evangelium sich ereignende, lokal begrenzte ›Kirche‹ zur Sprache. Bedeutet ›Ort‹ [nach dem etymologischen Wörterbuch, U. P.-P.] soviel wie ›Spitze‹, spitzt sich Kirche in der Gemeinde ›am Ort‹ zur Gestalt der ›Kirchengemeinde‹ zu und gibt ihr Wesen als ›Gemeindekirche‹ zu erkennen. Es ist nicht zufällig,
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daß vor allem von der Kirchengemeinde ›am Ort‹ die Rede sein muß, wenn das geschichtliche Kontinuum und eine wesentliche Realität von christlicher Gemeinde zur Sprache kommen soll« (Möller 1984, S. 317).
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Biblisch lässt sich die Ortsgemeinde kaum belegen, weil das Neue Testament eine Vielzahl von Versuchen zeigt, in denen sich die Anhänger*innen Jesu sozial organisierten. Während das Matthäusevangelium die »Lebensform wandernder Charismatiker mit ihrem radikalen Nachfolge-Ethos« (Roloff 1993, S. 165) vor Augen hat, zeigt die lukanische Version der Jerusalemer Urgemeinde eine von Gütergemeinschaft geprägte Größe. Die paulinischen Gemeinden bestehen aus einer Gemeinschaft von Gläubigen in einer Stadt, die sich als Hausgemeinde versammeln. Der Epheserbrief geht von einer universalen Kirche aus, die Pastoralbriefe betrachten die Kirche in erster Linie als geordnetes Gefüge mit konkreten Lebensordnungen, während der Johanneische Kreis eher die exklusive Gemeinschaft voraussetzt. Als sich das Christentum aufgrund seiner Missionserfolge ausbreitete, entstanden vor allem in den Städten Gruppierungen, die einer minderheitlichen Sekte ähnelten. Viele Gemeinden organisierten sich als Hausgemeinschaften, andere nach dem Vorbild von Syna gogen, manche aber auch nach dem Vorbild von Philosophenschulen oder Mysterienvereinen (vgl. Stambaugh/Balch 1992, S. 134 ff.). Die Christenheit eines Ortes war also in den ersten beiden Jahrhunderten nicht systematisch und schon gar nicht territorial organisiert. Eine christlich verbindliche Sozialform ist nicht zu beobachten. Dass sich die Parochie entwickelte und sich als dominante Form durchsetzte, ist das historisch einigermaßen kontingente Ergebnis mehrerer historischer Konstellationen.
2 Die Entwicklung der territorialen Ortsgemeinde Die territoriale Logik, die »Gemeinde« als räumlichen Bezirk versteht, dem Menschen über ihren ersten Wohnsitz zugewiesen werden, bildete sich im Mittelalter allmählich heraus (vgl. zum ganzen Abschnitt Pohl-Patalong 2003, S. 65–90; Pohl-Patalong 2004, S. 35–73). Als das Christentum im 4. Jahrhundert zunächst zur erlaubten und dann zur alleinberechtigten Religion wurde, konnte die Kirche mit der Aufteilung des gesamten Herrschaftsgebietes in kirchliche Bezirke ihren Anspruch auf die religiöse Monopolstellung kenntlich machen. Im Laufe des 4. und 5. Jahrhunderts wurde das einer Stadt zugehörige Gebiet dem städtischen Bischof zugewiesen. Vollendet wurde das Parochialsystem aber erst durch den
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Pfarrzwang und die Pflicht zum Zehnten seit dem 10. Jahrhundert. Der Pfarrzwang stellte sicher, dass dem zuständigen Geistlichen die »Stolgebühren«, mit denen Amtshandlungen entlohnt wurden, verbindlich zuflossen. Gleichzeitig wurden der Zwang zur Kindertaufe und die Pflicht zur Sonntagsmesse überprüfbar. Auch die Pflicht zur Abgabe des Zehnten wurde besser kontrollierbar und die kirchlichen Erträge wurden planbar. Die Reformation wirkte sich hinsichtlich der kirchlichen Organisationsstrukturen ambivalent aus. Da es lutherischem Verständnis widerspricht, bestimmte kirchliche Sozialformen als verbindlich zu erklären oder gar theologisch zu sanktionieren, lag eine Orientierung am Vorgefundenen – und damit an der Parochie – nahe. Zudem schätzte Luther die einzelne Gemeinde gegenüber der kirchlichen Institution hoch, da viele die reformatorischen Gedanken aufnahmen. Darüber hinaus verstärkte sich die Bedeutung der Parochie auch durch das Bewusstsein des religiösen und moralischen Umbruchs und die empfundene Notwendigkeit verstärkter Hirten-Tätigkeit, vor allem aber durch die von der Reformation betonte Bedeutung religiöser Bildung des Volkes.
4 3 Die Gemeinde als Gemeinschaft kirchlich Engagierter War die Ortsgemeinde also jahrhundertelang vorrangig ein kirchlicher Verwal tungsbezirk, kam Ende des 19. Jahrhunderts ein zweiter Charakterzug zu ihr hinzu, der sie bis heute prägt: Die Gemeinde wurde zu einem Ort, an dem Menschen christlich motivierte soziale Gemeinschaft leben (vgl. Pohl-Patalong 2003, S. 97–109). Hintergrund dieser Entwicklung war die enorme Zuwanderung in die großen Städte im Zuge der Industrialisierung des späten 18. und 19. Jahrhunderts. Die in die Stadt strömende Landbevölkerung fand kaum Anschluss an die kirchliche Organisation. Der Verlust sozialer Einbindung führte häufig zur materiellen Verelendung einerseits und zum Verlust ethisch-religiöser Bindungen andererseits. Dieser Situation sollte ein Neuentwurf von »Gemeinde« begegnen, der vor allem von Emil Sulze entwickelt wurde. Die Parochie sollte zu einer »überschaubaren Gemeinde« werden, die von gegenseitiger Seelsorge- und Liebestätigkeit geprägt ist. Jedes Mitglied sollte erfasst, gekannt und betreut werden, und es sollte eine auf persönlicher Kenntnis beruhende Gemeinschaft der Gemeindeglieder untereinander und mit dem Pfarrer entstehen. Diesem Ziel diente die Idee, dass Gemeindeglieder ihre Freizeit in der Gemeinde verbringen könnten. Nach dem Vorbild von Vereinen entstanden Gruppen und Kreise, das Gemeindehaus wurde entworfen. Dabei sollte Kirche gegenüber der modernen
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Welt, die von Konkurrenz und Disharmonie geprägt gesehen wurde, die harmonische Gemeinschaft gewährleisten. Dieses Gemeindeideal müsste nicht notwendig territorial organisiert sein, wurde jedoch gerade von Sulze eng mit dem Parochialprinzip verklammert. Zum einen nutzte er die Tradition des kirchlichen Verwaltungsbezirks für die Organisation der persönlichen Betreuung. Gewählte »Hausväter« waren ehrenamtlich für die seelsorgliche und soziale Betreuung der Bewohner*innen eines Wohnblocks zuständig. Zum anderen polemisierte Sulze gegen die (zu seiner Zeit sehr lebendigen) auf subjektiver Wahl beruhenden Personalgemeinden und lud das Zuweisungsprinzip theologisch auf: Personalgemeinden seien Zeichen eines »unbeschränkte[n] Individualismus« (Sulze 1912, S. 172) in der Kirche und wiesen tyrannische Züge auf (vgl. Sulze 1912, S. 107). Die Unterschiedlichkeit der Menschen in der Ortsgemeinde erziehe zu »Duldsamkeit und damit zum Fortschritt«, während die Personalgemeinde »der christlichen Liebe« widerstreite (Sulze 1912, S. 189).
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4 Alternativen zur Ortsgemeinde Gleichzeitig rückte jedoch im Zuge der allmählichen Ausdifferenzierung und Individualisierung der Lebensbereiche ins Bewusstsein, dass nicht alle Kirchenmitglieder gleichermaßen Zugang zur Ortsgemeinde haben können. Als erste »Sonderpfarrämter« entstanden im 18. Jahrhundert in Preußen zunächst Militärpfarrstellen, dann Pfarrstellen in der Inneren und Äußeren Mission, in den Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen und der sogenannten »Gefährdetenhilfe«. Auch Studenten (und seit den 1920er-Jahren auch Studentinnen) wurden aufgrund ihrer Mobilität als Bevölkerungsgruppe angesehen, die von der Ortsgemeinde schlecht erreicht wurden und daher eine eigene Organisationseinheit brauchen. Dies stellte jedoch nicht die Regelform und den normativen Charakter der Ortsgemeinde infrage, sondern bestätigte ihn letztlich durch die klar definierten Ausnahmen. In der Kirchenreform der 1960er- und frühen 1970er-Jahre hingegen wurde genau diese Dominanz und Normativität der Parochie kritisch angefragt und nach alternativen Gemeindeformen gesucht (vgl. Pohl-Patalong 2003, S. 110– 125). Selbstkritisch wurde ein Realitätsdefizit der Kirche festgestellt: »Ganze Bereiche des öffentlichen Lebens sind für sie unerforschtes Gebiet und ein weißer Fleck auf der Landkarte unserer Gemeinden« (zur Nieden 1955, S. 12). Die Kirche müsse ihre eigenen Grenzen überwinden und sich in die moderne Gesellschaft hineinbegeben, für die sie einen missionarischen Auftrag besitze, den sie bisher nicht erfüllt habe.
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Vorgeschlagen wurde die Gründung von »Paragemeinden« als kleine Gruppen von Christinnen und Christen, die sich unabhängig vom Wohnort am Arbeitsplatz (oder auch im Freizeitbereich) bewusst als Gemeinde – in einer als nichtchristlich verstandenen Umwelt – zusammenfinden. Eine Orientierung der Kirche an der Region über die lokale Gemeinde hinaus wurde postuliert, die innerhalb des größeren Raumes eine stärkere funktionale Orientierung in Bezug auf Wohn-, Arbeits- und Freizeitwelt ermöglichen sollte. Aufgrund einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung für eine Organisationseinheit könne die Arbeit außerdem flexibler und differenzierter gestaltet werden und damit den unterschiedlichen Bedürfnissen von Menschen gerechter werden. Daneben wurde ein »Geflecht differenzierter gesellschaftsbezogener Dienste entwickelt, um mit bestimmten weltlichen Gruppen und Institutionen ins Gespräch zu kommen: mit Betrieben, Arbeitgebern und Gewerkschaften, Ärzten, Lehrern, Sportvereinen u. a.« (Schloz 2002, S. 53). Ziel dieser Dienste war es, der Lebenswirklichkeit von Menschen besser gerecht zu werden und stärker in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit präsent zu sein. Die Gemeinschaft der dort Zusammenkommenden wurde als »Gemeinde auf Zeit« verstanden, die ekklesiologisch der Ortsgemeinde nicht nachgeordnet werden dürfe. Eine grundlegende Veränderung der kirchlichen Sozialformen erreichte die Kirchenreformbewegung nicht. Die herkömmlichen Strukturen erwiesen sich als beständiger, als viele vermutet und gehofft hatten. Die funktionalen Ergänzungen zu ihr sind jedoch wesentlich erweitert worden und haben faktisch ein paralleles Organisationsprinzip etabliert, das jedoch nach wie vor in Spannung zur Ortsgemeinde steht.
5 Wie kommt »Gemeinde« zustande? In historischer Perspektive erweist sich das territoriale Prinzip der Ortsgemeinde also als eine mögliche Konstitutionslogik, nach der eine Gemeinde zustande kommen kann, jedoch nicht als die einzige. Andere Möglichkeiten sind das personale Prinzip, nach dem sich die Einzelnen aufgrund persönlicher Präferenzen für eine bestimmte Gemeinde entscheiden, und das Bekenntnisprinzip, bei der eine bestimmte Frömmigkeit bzw. theologische Einstellung entscheidend ist (vgl. Löwe 1999, S. 306–312). Eine größere kirchentheoretische Bedeutung hat das funktionale Prinzip, bei dem die Teilnehmenden aufgrund eines bestimmten Angebots zusammenkommen wie bei Akademien, Frauenwerken, Citykirchen, zunehmend aber auch in Profilgemeinden. Schließlich kann die biografische Lebenssituation das entscheidende Kriterium für das Zustandekommen von
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»Gemeinde« bilden wie ein Krankenhaus- oder Gefängnisaufenthalt, Kur oder Urlaub, der Dienst im Militär, das Unterwegssein als Schausteller*in oder eben das Studium. In dieser Perspektive wird das Territorialprinzip als eine Möglichkeit, wie sich »Gemeinde« bildet, deutlich – das aufgrund bestimmter historischer Konstellationen in Deutschland eine Dominanz gewonnen hat, die theologisch nicht gedeckt ist.
6 Inhaltliche Kriterien von »Gemeinde«
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Mit dem Blick auf die »äußere« Konstitutionslogik soll nun nach dem Wesen von »Gemeinde« gefragt werden: Welche Kriterien machen eine Gemeinde aus? (Vgl. Pohl-Patalong 2005 sowie Hauschildt/Pohl-Patalong 2013, S. 275–284) Dabei müssen verschiedene Ebenen von »Gemeinde« unterschieden werden: »Gemeinde« ist sowohl ein geistliches Geschehen als auch eine Institution als auch eine Organisationsform. Diese Ebenen haben eine unterschiedliche ekklesiologische Reichweite: Die Kriterien des geistlichen Geschehens gelten für alle christlichen Gemeinden, die institutionell verorteten für reformatorische Gemeinden, und die organisatorisch definierten sind kulturell abhängig (müssen jedoch zentralen theologischen Einsichten entsprechen) und gelten damit für den gegenwärtigen deutschsprachigen Kontext. 1. Auf der Ebene der geistlichen Grundlagen sind zu nennen: – Bezug auf Jesus Christus als Grund der Gemeinde (christologische Grundlage): Jede Gemeinde muss in ihrem Selbstverständnis und ihrem Handeln erkennbar werden lassen, dass sie sich auf Jesus Christus als Grund der Kirche bezieht. – Selbstverständnis als Teil der heiligen christlichen Kirche (ökumenische Grundlage): Jede Gemeinde muss sich als Teil der Gesamtkirche verstehen und darf sich nicht selbst genügen. – Unterschiedslose Vergemeinschaftung aus Gnade durch Christus vor Gott (rechtfertigungstheologische Grundlage): Jede Gemeinde muss für Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Gesinnung, unterschiedlichen Geschlechts etc. offen sein. – Bewusstsein einer Sendung an die Welt (missionarische Grundlage): Jede Gemeinde ist in Wort und Tat an die Welt gewiesen.
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2. Auf der Ebene der Institution sind zu nennen: – Regelmäßige gottesdienstliche Feier (liturgisches Kennzeichen): Jede reformatorische Gemeinde muss zuverlässig Gottesdienst feiern (wobei jedoch weder ein bestimmter Rhythmus noch eine bestimmte Gestalt vorgegeben ist). – Erfüllung weiterer Aspekte des kirchlichen Auftrags in der Welt (soziokulturelle Kennzeichen): Jede reformatorische Gemeinde muss bestimmte Aufgaben erfüllen, mit denen sie das Evangelium kommuniziert. – Eröffnung eines Raumes zum Glauben, Förderung von und Begleitung im Glauben (Individualitätskennzeichen): Jede reformatorische Gemeinde muss einen Raum bilden, in dem der christliche Glaube wachsen, hinterfragt werden, neu formuliert und in dem in gegenseitiger Wertschätzung über ihn auch kontrovers diskutiert werden kann. – Leitung durch Amt und allgemeines Priestertum (Leitungskennzeichen): Jede reformatorische Gemeinde ist durch das Miteinander von Amt und einer durch das allgemeine Priestertum aller Glaubenden begründeten demokratischen Struktur gekennzeichnet; Ehrenamtliche müssen an der Leitung beteiligt sein. – Entwicklung einer situationsadäquaten Struktur für die Teilhabe der Mitglieder am gemeindlichen Geschehen (Strukturkennzeichen): Jede reformatorische Gemeinde muss offen sein für unterschiedliche Beteiligungsformen und -möglichkeiten. Dies gilt in zwei Richtungen: Zum einen müssen sich Gemeindemitglieder verantwortlich am Gemeindeleben und an der Erfüllung kirchlicher Aufgaben beteiligen können. Zum anderen darf die aktive Mitarbeit aber kein Kriterium für eine vollgültige Mitgliedschaft sein. Kirchenmitglied wird man durch die Taufe, nicht nur die Mitarbeit in einer Gemeinde (vgl. Hermelink 2011, S. 198–202). 3. Auf der Ebene der Organisation sind zu nennen: – Eigenständige Leitungs- und Vertretungsstruktur (Prinzip der organisatorischen Einheit): Jede reformatorische Gemeinde im gegenwärtigen deutschsprachigen Kontext benötigt eine eigenständige Leitungs- und Vertretungsstruktur, um ihrer Eigenständigkeit gerecht zu werden und Verantwortung für die Gestaltung der gemeindlichen Vollzüge übernehmen zu können.
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– Beteiligung an der gegenseitigen Leitungs- und Steuerungspartizipa tion von lokaler Gemeinde und regionaler Kirche (Prinzip der organisatorischen Wechselseitigkeit): Jede reformatorische Gemeinde im gegenwärtigen deutschsprachigen Kontext steht in einem wechselseitigen Austausch und Entscheidungsgefüge mit den organisatorisch höheren Ebenen: Weder sollten die Gemeinden die alleinige Entscheidungshoheit haben, noch sollten sie Entscheidungen der Region bzw. der Landeskirche ausgeliefert sein.
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Mit diesen Kriterien wird der Gemeindebegriff einerseits theologisch klarer, andererseits organisatorisch geöffnet. Der Blick wird frei für unterschiedliche Formen von Gemeinde ohne ihre explizite oder implizite Hierarchisierung. Die Unterscheidung zwischen »Gemeinden« und »kirchlichen Einrichtungen« erfolgt dann anhand der Frage, ob die theologischen Kriterien für das »Gemeindesein« erfüllt sind oder nicht. Damit sind in theologischer Perspektive unterschiedliche Formen von Gemeinde möglich und legitim. Keine Form von Gemeinde kann einer anderen absolut vorgeordnet werden, sondern für alle gelten die gleichen Kriterien.
7 Gemeinde von Studierenden – praktisch-theologische Konsequenzen Die evangelischen Studierendengemeinden erfüllen diese Kriterien durchweg. Insofern ist ihr Gemeindestatus nicht fraglich. Theologisch wird damit deutlich, dass die Studierenden als religiöse Subjekte und vollwertige Kirchenmitglieder angesprochen werden. Sie kommen nicht deshalb zusammen, um in ihrer spezifischen Lebenssituation kirchlich »erreicht« und pastoral »versorgt« zu werden, sondern als Teil der weltweiten Kirche Jesu Christi, dessen Heilswillen allen Menschen gleichermaßen gilt. Wie für andere Zielgruppen auch, benötigen diese eine eigenständige Sozialform, weil sie durch ihre Lebensform besonderen Lebensbedingungen unterliegen, spezifische Fragen und Themen im Vordergrund stehen und sie ein Bewusstsein als eigenständige Bevölkerungsgruppe besitzen. Diese Form von Gemeinde bildet sich nicht über Orte, sondern über eine Lebenssituation, die das Leben dieser Menschen prägt. Für die Studierenden zeigt sich Kirche damit noch deutlicher als Größe, die alle Menschen gleichermaßen meint, wenn sie ihrem Auftrag folgt, das Evangelium mit der Welt und in der Welt zu kommunizieren. Gleichzeitig können die Kriterien für ihr Gemeindesein Anregungen bieten, die gemeindliche Arbeit immer wieder zu überprüfen, zu hinterfragen und
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weiterzuentwickeln. Dabei geht es nicht um die Frage, ob sie diesen Kriterien genügt, sondern wie sie diese in ihrem jeweiligen Kontext und ihrer jeweiligen Konstellation ausfüllt und damit ihrer Aufgabe gerecht wird, als Kirche Jesu Christi das Evangelium zu kommunizieren.
Literatur Bundes-ESG (2018): Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Revidierte Fassung der Ordnung von 2014. Hannover. Hauschildt, E./Pohl-Patalong, U. (2013): Kirche. Lehrbuch Praktische Theologie. Gütersloh. Hermelink, J. (2004): Doppelsinnigkeiten von »Gemeinde«. Potenzen eines Begriffs. In: U. PohlPatalong (Hg.): Kirchliche Strukturen im Plural. Analysen, Visionen und Modelle aus der Praxis (S. 55–68). Hamburg. Hermelink, J. (2011): Kirchliche Organisation und das Jenseits des Glaubens. Eine praktisch-theologische Theorie der evangelischen Kirche. Gütersloh. Löwe, F. (1999): Das Problem der Citykirchen unter dem Aspekt der urbanen Gemeindestruktur. Eine praktisch-theologische Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Berlin. Ästhetik – Theologie – Liturgik 10. Münster. Möller, C. (1984): Gemeinde. I. Christliche Gemeinde. TRE. Bd. 12, S. 316–335. Pohl-Patalong, U. (2003): Ortsgemeinde und übergemeindliche Arbeit im Konflikt. Eine Analyse der Argumentationen und ein alternatives Modell. Göttingen. Pohl-Patalong, U. (2004): Von der Ortskirche zu kirchlichen Orten. Ein Zukunftsmodell. Göttingen. Pohl-Patalong, U. (2005): »Gemeinde«. Kritische Blicke und konstruktive Perspektiven. PTh, 94, S. 242–257. Roloff, J. (1993): Die Kirche im Neuen Testament. GNT Ergänzungsreihe 10. Göttingen 1993. Schloz, R. (1990): Kirchenreform. TRE. Bd. 19, S. 51–58. Schloz, R. (2002): Spezialpfarrämter. RGG (4. Aufl.). Bd. 5, Sp. 1569 f. Stambaugh, J. E./Balch, D. L. (1992): Das soziale Umfeld des Neuen Testaments. Grundrisse zum Neuen Testament. NTD Ergänzungsreihe 9. Göttingen. Sulze, E. (1912): Die evangelische Gemeinde (2. Aufl.). Leipzig. zur Nieden, E. (1955): Die Gemeinde nach dem Gottesdienst. Stuttgart.
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4.3 Studierendengemeinden und Verbandsarbeit aus Sicht von Studierenden Tabea Frinzel, Daniel Poguntke und Simon Schönbeck
1 ESG ist bunt
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Die ESGn sind aus dem Alltag vieler Studierender nicht wegzudenken. Sie bieten Möglichkeiten der Partizipation, welche die Persönlichkeitsentwicklung junger Erwachsener und zukünftiger Akademiker*innen entscheidend prägen. Das kann unterschiedlich aussehen: Sei es, an verschiedenen Veranstaltungen oder Gottesdiensten der örtlichen ESGn teilzunehmen oder selbst mitzugestalten. Es ist möglich, die Orts-ESG auf Bundesebene zu repräsentieren und mit anderen Gemeinden bundesweit zu vernetzen. ESG bedeutet, christliche Gemeinschaft zu erleben und aktiv zu werden. ESG ist interessiert, ESG ist kritisch, ESG ist bunt. Sie blickt über den Tellerrand hinaus und lädt zum Dialog ein: interkonfessionell, interkulturell und interpolitisch. In diesem Artikel wird aus studentischer Perspektive veranschaulicht, wie ESG prägt und konkret als Ort gelebten Glaubens und aktiver Partizipation wahrgenommen wird. Es soll der Frage nachgegangen werden, wie ESG an den jeweiligen Studienorten auftritt und wirkt. Danach werden die Orts-ESGn in den Kontext der Bundes-ESG gestellt: Was heißt es, auf Bundesebene aktiv zu sein? Was sind die studentischen Leitungsgremien und was kann die*der Einzelne bewirken? Diese Fragen sollen vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungshorizontes und Anspruchs als Ehrenamtliche innerhalb der ESGn beantwortet werden.
2 Die Orts-ESG Die Orts-ESGn bieten zunächst eine wichtige Anlaufstelle für Studierende und junge Erwachsene, die eine Affinität für Spiritualität, Christentum in evangelischer Perspektive und Gemeinde haben. So suchen einige, wenn sie in eine neue Stadt ziehen, ganz gezielt die ESG auf, um erste Kontakte zu knüpfen. Seelsorge
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und Beratung werden in den ESGn bei Bedarf wahrgenommen. Es ist schön zu wissen: Hier werde ich gehört und hier kann ich mich bei Sorgen und Nöten hinwenden. Darüber hinaus bietet ein aktives Gemeindeleben eine Atmosphäre, die im Idealfall zum Bleiben einlädt. Es werden Bekanntschaften und Freundschaften geknüpft, die durch das Studienleben begleiten. Dieses Miteinander bildet die Basis eines respektvollen und vorurteilsfreien Austauschs, der zum kritischen Denken und zur Selbstreflexion anregt. Das Gemeindeleben wird durch ein von Studierenden für Studierende organisiertes Semesterprogramm geprägt. Teil dessen sind oft feste Rituale, die mehrere Studierendengenerationen überdauern. Dazu gehört vielerorts mindestens eine gemeinsame Mahlzeit pro Woche. Das bietet die Möglichkeit, zusammen an einen Tisch zu kommen und sich ungezwungen über Alltägliches auszutauschen. Gemeinsames Kochen und Aufräumen fördern die Gemeinschaft zusätzlich. Themenabende und -tage laden zum Bleiben ein. Dabei wird die Gelegenheit geboten, über geistlich und gesellschaftlich relevante Themen ins Gespräch zu kommen. Die Formate sind unterschiedlich, vom Worldcoffee über Workshops bis zum klassischen Vortrag ist alles dabei. Das Bildungsangebot wird als sehr bereichernd erlebt, und die Resonanz ist je nach individuellem Interesse groß. Das geistliche Leben kommt nicht zu kurz. Gemeinsames Gebet, Singen und Gottesdienst spielen eine gewichtige Rolle im Wochenrhythmus der ESGn. Darüber hinaus gibt es in vielfältigen Arbeitskreisen die Möglichkeit, den eigenen Interessen nachzugehen. ESG-Chor, Theatergruppe, AG Nachhaltigkeit und AG Gleichstellung sind nur ein paar Beispiele. Wichtig ist, dass stets die Interessen der Studierenden im Vordergrund stehen. Es wird zur aktiven Mitarbeit und Planung angeregt. Dabei wird gefragt: Was wollt ihr? Welche Bedürfnisse habt ihr? Studierende bekommen die Möglichkeit, sich zu äußern und ihre Interessen umgesetzt zu wissen. Bei rein verbalen Äußerungen muss es jedoch nicht bleiben. So liegt es in der Verantwortung der Studierenden, die ESG zu gestalten und sich aktiv in die Planung und Organisation einzubringen. Vielerorts gibt es einen studentischen Gemeinderat, welcher sich aus Studierenden der Gemeinde zusammensetzt. Innerhalb dieses Gemeinderates werden die administrativen Aufgaben der ESG verteilt. Liegt es manchmal in der Verantwortung des Gemeinderats, einen reibungslosen Ablauf der ESG-Treffen zu ermöglichen, werden andernorts auch die Büroarbeit und Finanzen durch die studentische Gemeindeleitung organisiert. In jedem Fall werden die Studierenden und jungen Erwachsenen zum eigenverantwortlichen Denken und Arbeiten angeleitet und motiviert. Dabei zeigt sich, dass je mehr Aufgaben im Bereich der Studierenden liegen, desto motivierter und stärker ist die Gemeinschaft im Ehrenamt. Es wird ein Rahmen geboten, der die eigenen Ideen, Wünsche und
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Vorstellungen in der Gemeinschaft verwirklichen lässt. Studierende bekommen so das Gefühl, gehört und gebraucht zu werden. ESG zeigt sich als wichtiger Anker für junge Erwachsene, wenn es um die Auslebung des persönlichen Glaubens geht. Sie bleibt ein Grundpfeiler der Kirche, Studierenden über das Kinder- und Jugendalter hinaus innerhalb der Kirche eine Perspektive zum Bleiben zu geben.
3 Politische Partizipation und gelebte Frömmigkeit
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Die ESGn sehen sich gerade auf Grundlage des Evangeliums in der Position, öffentlich zu gesellschaftlich relevanten Themen Stellung zu beziehen und für die Wahrung der Grund- und Menschenrechte einzustehen. Das politische Interesse gehört zur DNA der ESGn. Die genaue Ausformung und Gestaltung dessen ist regional unterschiedlich und von verschiedenen Faktoren abhängig. Insbesondere Nachhaltigkeit, Rechtsextremismus und Homophobie sind Themen, welche die ESGn bundesweit beschäftigen. Zusätzlich motiviert werden Aktionen durch lokale Streitfälle wie beispielsweise die Protestwelle um den Hambacher Forst im Rheinland. Die Welt der Studierenden ist sehr schnelllebig, und die Zusammensetzung der Gemeinden variiert von Semester zu Semester. Somit werden die ESGn von verschiedenen Charakteren und Interessen geprägt, die unterschiedlich viel Energie in die jeweiligen Interessengebiete investieren. Gehen die Studierenden in dem einen Semester noch geschlossen zu Fridays-for-Future-Demonstrationen oder gründen einen Taizé-Kreis, stehen im folgenden Semester eventuell andere Themen im Vordergrund. Es wird deutlich, dass das politische Grundinteresse einerseits, Geistlichkeit und Spiritualität andererseits bundesweit und generationenübergreifend Teil von ESG und bei Studierenden gefragt sind. Entscheidend ist dabei die Grundlage des Evangeliums. Die Studierenden erfahren die Begründung ihres Denkens anhand der christlichen Werte. Diese gilt es von innen zu leben und nach außen zu repräsentieren. Die Auslebung des Glaubens in Lied und Gebet ist Gottesdienst, das soziale Engagement ist gelebte Nächstenliebe.
4 Studierendenkonferenz Die Arbeit in den Orts-ESGn ebnet den Weg zur Mitwirkung auf landeskirchlicher und Bundesebene. Mit der Studierendenkonferenz verlassen die jungen Erwachsenen die Ebene ihrer örtlichen Studierendengemeinde. Wer sich
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auf Verbandsebene einbringt, weist in den meisten Fällen schon Erfahrung in Gremienarbeit auf. Studierende werden sowohl auf die Studierendenkonferenz als auch auf die Vollversammlung delegiert; die Studierendenkonferenz bildet den Auftakt für das Tagungswochenende. In diesem Rahmen nehmen die studentischen Vertreter*innen des Geschäftsführenden Ausschusses eine zentrale Rolle ein. Sie bereiten im Vorfeld der Studierendenkonferenz die inhaltliche Ausrichtung vor, leiten und moderieren das Plenum. Sie dienen als Ansprechpartner*innen für Fragen und Anregungen. Die studentischen Mitglieder können durch die Studierendenkonferenz die notwendige Kompetenz erwerben, eine Konferenz zu leiten. Sie müssen die Gestaltung und die Programmpunkte im Blick behalten (Reckzügel 2017, S. 9–14). Unter Studierenden wird die Konferenz zum spielerischen und kreativen Austauschen und Kennenlernen genutzt. Sie bieten am ersten Abend drei Themenblocks an: Diese sind Haushalt, Best Practice, welche eine Sammlung aus Erfahrungen aus den unterschiedlichen ESGn ist, und ein anderes spezifisches Thema. Morgens folgen weitere Workshops, die von auswärtigen Referent*innen geleitet werden. Wenn Studierendenkonferenz und Vollversammlung an ESG-Standorten tagen, wird nach Möglichkeit die örtliche Gemeinde in die abendliche Andacht miteinbezogen.
5 Vollversammlung Bei der Vollversammlung begegnen sich die studentischen und die hauptamtlichen Delegierten. Die Tagung wirkt als ein Advocacy-Netzwerk. Zum kirchlich vernetzten Engagement erläutert Kjell Nordstokke (2016, S. 37): »Bei der Advocacy-Arbeit geht es um die Lage, in der sich andere, vor allem marginalisierte Gruppen in Kirche und Gesellschaft, befinden«. Dass die Vollversammlung als ein solches Netzwerk wirkt, zeigt sich an der Haltung der Studierenden zu Themen wie »Gleichberechtigung bei Ethnie und Sexualität«. Zwar ist die Intention des Geschäftsführenden Ausschusses und seiner studentischen Mitglieder, internationale Studierende mehr in die Gremienarbeit einzubinden. Bisher gelang dies allerdings nur teilweise. In diesem Sinne schreibt Homi K. Bhabha (2000, S. 3) in seiner Theorie des Zwischenraums: »Die Bedingungen kultureller Bindung […] ergeben sich performativ«. Dass die Vollversammlung für internationale Studierende, auch wenn sie einer anderen Konfession oder Religion angehören, zukünftig ein integrativer Raum wird, ist ein Ziel, das jedoch durch die starke personelle Fluktuation schwer zu erreichen sein wird. Kai Horstmann (2012, S. 78)
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erläutert, dass die ESGn eine Verantwortung tragen, auch für Studierende offen zu sein, die nicht der eigenen Konfession beziehungsweise Religion angehören. Diesen Weitblick erhalten die Studierenden durch die Möglichkeit, in andere Tagungen delegiert zu werden. Die Vollversammlung entsendet Studierende für einen ökumenischen, interkulturellen und interreligiösen Dialog in studentische und außerstudentische Kontexte. Sehr wichtig ist das Zusammentreffen mit den Studierenden aus den Katholischen Hochschulgemeinden (KHGn) beim Jahrestreffen der AKH. Gelebte Ökumene ist ein Teil der Geschichte der Studierendengemeinden in Deutschland. Außerdem entsendet die Vollversammlung zwei Delegierte mit jeweils zwei Stellvertreter*innen in die EKD-Synode, in der sie nun auch stimmberechtigt sind (Kirchenamt der EKD 2019, S. 320). In den letzten Jahren waren Queerness, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sowie Nachhaltigkeit im Blickpunkt der Debatten, da sie aus den Studierendengemeinden mit in die Vollversammlung genommen wurden. Dies wird auch an den Arbeitsgemeinschaften deutlich, die aus den Diskussionen entstehen. Die AG Queer steht in der Nachfolge der AG Ehe für alle, und die AG Nachhaltigkeit ist hier entstanden. Die AG Ehe für alle verfasste infolgedessen eine Broschüre, die sich mit queerem Leben in den Landeskirchen und den Möglichkeiten der Eheschließung und der kirchlichen Trauung queerer Paare beschäftigt. Die Vollversammlung wirkt als Katalysator der Stimmungen in den ESGn. Diese nehmen die studentischen Mitglieder in den Geschäftsführenden Ausschuss mit.
6 Geschäftsführender Ausschuss Die studentischen Vertreter*innen besitzen im Gremium Stimmrecht und haben die Möglichkeit, inhaltlich Schwerpunkte zu setzen. Ihre Themenwahl ist diskursabhängig. Sie sind Vermittler*innen von aktuellen Themen, Trends und Stimmungen aus der Studierendenschaft und den Orts-ESGn. Die Sitzungsleitung befindet sich in der Verantwortung der Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden. Diese werden jährlich gewählt. Die Studierenden besetzen gemäß der Ordnung der Bundes-ESG eines der Ämter. Der Geschäftsführende Ausschuss entscheidet über die Besetzung des Postens des*der Bundesstudierendenpfarrers*in. Die studentischen Mitglieder des Ausschusses bereiten zusammen mit dem*der Bundesstudierendenpfarrer*in die Studierendenkonferenz vor. Sie
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recherchieren nach themenspezifischen Referent*innen, bereiten die Abläufe der Tagung vor und gestalten sie. Die studentischen Mitglieder eint sowohl der enge Kontakt zu den Studierenden in den ESGn als auch der direkte Kontakt zu den Hauptamtlichen im Geschäftsführenden Ausschuss.
7 Fazit Abschließend lässt sich sagen, dass die Studierenden sich gemeinsam über die ESG identifizieren. Studierende sind zugleich Adressat*innen und Motor der ESGn. Sie besitzen exekutive Aufgaben und profitieren von diesen. ESG lebt durch die Diversität studentischer Initiativen. Den Studierenden wird ein Raum der freien Äußerung geboten. Sie engagieren sich politisch, kreativ und geistlich. Interkulturelles, interkonfessionelles und interreligiöses Leben ist ihnen wichtig. ESG ist politisch progressiv, das Geistliche Leben ist grundlegend für die Gemeinschaft. ESG basiert auf gelebter Nächstenliebe. Dadurch wird ein Schutzraum für Studierende und junge Erwachsene aller Couleur geboten. Das gemeinsame Ausleben des Glaubens regt zu Diskussionen in den verschiedenen Gremien an. Dabei haben die Studierenden die Möglichkeit, sich auf Ebene der Orts-ESGn, der Landesebene und der Bundes-ESG zu beteiligen. Vollversammlung mit Studierendenkonferenz und Geschäftsführender Ausschuss sind die zentralen Gremien der Bundes-ESG, in denen Studierende partizipieren können. Sie verknüpfen und katalysieren den Input der Orts-ESGn. ESG bleibt ein Ort gelebten Glaubens inmitten der akademischen Welt der Studierenden: ein Ort aktiver Partizipation; ein Ort, an dem das Lernen und Wachsen nie aufhört.
Literatur Bhabha, H. K. (2000): Die Verortung der Kultur. Tübingen. Horstmann, K. (2012): Campus und Profession – Pfarrdienst in der Evangelischen Studierendengemeinde. Stuttgart. Kirchenamt der EKD (2019): Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland Nr. 12/19. Hannover. Nordstokke, K. (2016): Die Kirche und der öffentliche Raum – eine lutherische Interpretation. In: A. Burghardt (Hg.): Befreit durch Gottes Gnade. 2017–500 Jahre Reformation (S. 27–42). Leipzig. Reckzügel, M. (2017): Moderation, Präsentation und freie Rede. Darauf kommt es an. Wiesbaden.
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4.4 Studierendengemeinden in landeskirchlicher Perspektive Marc Wischnowsky
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Mit der evangelischen Studierenden- und Hochschularbeit wird aus landeskirchlicher Perspektive ein vieldimensionales Arbeitsfeld betreten. Die Evangelischen Studierendengemeinden (ESGn) sind einerseits in einem eigenen Verband organisiert, werden aber andererseits in vielen Landeskirchen als »unselbstständige Einrichtung« geführt. Sie nennen sich »Gemeinde«, unterscheiden sich allerdings in ihrem landeskirchlichen Status deutlich von der Parochialgemeinde (siehe dazu Artikel 4.2 in diesem Handbuch). Sie lassen sich als Arbeitsfeld der Sonder- oder Spezialseelsorge beschreiben und sind in vielen evangelischen Landeskirchen in die entsprechenden Aufsichtsbereiche eingeordnet. Weiterhin nehmen sie auch Aufgaben der Bildungsarbeit wahr und fallen in anderen Landeskirchen deshalb in die Aufsichtsbereiche der Aus- und Fortbildung oder der Bildung allgemein. Ihre pädagogische Arbeit ist methodisch und inhaltlich von Prinzipien der Erwachsenenbildung geprägt. Der Bundesverband der ESGn kooperiert dagegen mit der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend (aej) als Einrichtung der Jugendarbeit. Einige dieser Dimensionen, die durchaus in Spannung zueinander geraten können, sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
1 ESG als Hochschulgemeinde Im Jahr 2006 hat der Rat der EKD ein Positionspapier veröffentlicht »zur Stärkung der Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule«, mit dem eine deutliche Akzentverschiebung gegenüber der klassischen Ausrichtung der ESG-Arbeit als Studierendenseelsorge verbunden war. Der Rat betont zunächst die hohe Bedeutung einer solchen »qualifizierten Präsenz« für den »Einfluss des Protestantismus in Deutschland«, die aus dem »Selbstverständnis des Protestantismus« erwachse und »ein Dienst an unserer Kultur« sei (Kirchenamt der EKD 2006, Einführung). Das Positionspapier konturiert zudem die
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Zielgruppe der Hochschularbeit: »Die evangelische Kirche an der Hochschule hat Studierende und Lehrende im Blick« (Kirchenamt der EKD 2006, II.1). Die Präsenz evangelischer Kirche an der Hochschule lebe davon, »dass sich möglichst viele Studierende, Lehrende sowie Mitarbeiter*innen an der kirchlichen Arbeit beteiligen« (Kirchenamt der EKD 2006, II.2). Darin kommt deutlich zum Ausdruck, dass die evangelische Gemeinde allen Menschen, die an der Hochschule wirken und arbeiten, einen Ort als »Gemeinde auf Zeit« bieten will und sie zur Mitarbeit einlädt. Gegenüber dem traditionellen Begriff der »Studierendengemeinde« tritt dieser Anspruch deutlicher im Begriff der »Hochschulgemeinde« heraus, der deshalb im Folgenden bevorzugt wird. Darüber hinaus machte die Empfehlung des Rates deutlich, dass die Hochschularbeit über Seelsorge, Gottesdienst und Gemeindeaufbau hinaus auch die Hochschulöffentlichkeit in den Blick nimmt: »Die evangelische Kirche an der Hochschule sucht und führt den Dialog mit Wissenschaft, Kunst und Technik. Dies kann einerseits zu Kooperation führen, andererseits aber auch ein kritisches Gegenüber zu Hochschule und Wissenschaft erfordern« (Kirchenamt der EKD 2006, II.4). Damit wird eine systemische Aufgabe beschrieben. Durch die evangelische Hochschularbeit ist Kirche präsent in der Universität und Hochschule. Sie lässt sich von der Hochschule als Partnerin in Anspruch nehmen für die Gestaltung des Hochschullebens und bringt ihrerseits Impulse in das System Hochschule ein. Seelsorge im Sinne personaler Seelsorge ist darin eingeschlossen, die Arbeit geht aber darin nicht auf. Auch von »Hochschulseelsorge« ließe sich also nur im kategorialen Sinne sprechen, so wie andernorts von Militärseelsorge oder Schulseelsorge die Rede ist. Evangelische Hochschularbeit ist Seelsorge, ist Gemeindearbeit, ist diakonisches Wirken, ist Bildungsarbeit, ist Öffentliche Theologie. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die insbesondere das hauptamtliche Personal fordert. Auch das hat das Positionspapier klar gesehen: »Eine Hochschulpfarrerin bzw. ein Hochschulpfarrer weiß sich nicht nur für die Studierendenarbeit, sondern für den gesamten Hochschulbereich zuständig. Er bzw. sie hat ein positives Verhältnis zur Wissenschaft und zur Kirche […] und repräsentiert durch ihr bzw. sein Amt in besonderer Weise die Kirche« (Kirchenamt der EKD 2006, II.6).
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2 ESG als landeskirchliche Einrichtung
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Die ESGn haben ihre eigene Verbandsstruktur vergleichbar der Evangelischen Jugend. Nach der Ordnung des Verbandes (Bundes-ESG 2018) gehören dazu die »Evangelischen Studierendengemeinden an Hochschulen in Deutschland, die einer Gliedkirche der EKD angehören und diese Ordnung anerkennen« (§ 1[19]). Die Verbandsstruktur dient finanziellen und sozialpolitischen Zwecken, insofern »die Bundes-ESG gemeinsam mit ihrer Rechtsträgerin, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej), ihren jugendpolitischen Auftrag nach dem SGB VII« wahrnimmt (§ 1[2]). Mit ihr verbinden sich aber auch ideelle Ziele wie »die Beschäftigung mit hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Themen« und die »Unterstützung der ESGn vor Ort« (§ 1[2]). Die bundesweite Arbeit wird nach einem bestimmten Schlüssel von den »Orts-ESGn« (mit)finanziert (§ 1[4]). Träger der Hochschulgemeinden vor Ort sind nun aber die Landeskirchen. Sie tragen die Verantwortung für deren Arbeit und finanzieren sie nach Maßgabe der synodal beschlossenen Haushalte. Sie stellen Räume, Personal und Sachmittel für die Arbeit der Hochschulgemeinden und sind verantwortlich für Stellenpläne und Konzepte. Sie sorgen für die Besetzung der Hochschulpfarrämter mit qualifizierten Theolog*innen. In Zeiten rückläufiger Mitgliedszahlen, sinkender Ressourcen, Stellenabbau und einer Abnahme der Zahl der Pfarrer*innen insgesamt gilt auch für diesen Arbeitsbereich: Solcher Einsatz muss begründet werden. Die Diskussionen in den Gliedkirchen sind dabei vielschichtig und werden auf verschiedenen Ebenen geführt. Im Zusammenhang dieser Diskurse wird auch um Kirchenbilder gerungen, um das Verhältnis von Ortsgemeinde zu nichtparochialen Gemeindeformen, um Formen der Mitgliedschaft und Zugehörigkeit, um ein Missionsverständnis, um volkskirchliche Strukturen und um Nachwuchssorgen. Dabei zeichnet es die evangelisch-landeskirchliche Hochschularbeit – im Unterschied zu manchen freikirchlich oder evangelikal geprägten Hochschulgruppen – aus, dass »Bekehrung« oder »Mitgliedswerbung« nicht im Zentrum des Handelns stehen. Hochschulgemeinden legen in der Nachfolge Christi Zeugnis ab für die Relevanz und befreiende Kraft des Evangeliums. Darin kann durchaus eine missionarische Wirkung liegen. Diese aber ist im Sinne einer Mitwirkung an der missio Dei zu verstehen, wie es der kürzlich erschienene Grundlagentext der EKD zu einer »religiösen Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit« beschreibt: »Die Kirche […] versteht sich als Teil der Sendung Gottes (missio Dei), als Teil seiner herausfordernden Hinwendung zur Welt. Sie versteht es als ihren
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Part dieser Sendung, das, was sie als Evangelium erfährt, zu kommunizieren: dem Evangelium in ihrem eigenen Erscheinungsbild und in der Lebensführung und -deutung ihrer Mitglieder glaubwürdig Gestalt zu verleihen und dadurch einzuladen zur Teilhabe« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 88). Evangelische Zeugenschaft und Sendung dienen nicht der Selbsterhaltung. Kirche handelt nicht aus eigener Kraft und nicht um ihrer selbst willen, sondern um Gottes willen: »Um Gottes willen zu handeln, schließt ein, dieses Handeln daran zu messen, ob es Gottes Sendung, seiner Zuwendung zu den Menschen, so gut wie möglich Ausdruck verleiht« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 88). Damit ist ein Maßstab auch für die Hochschularbeit gesetzt. Diese Zuwendung zum Menschen prägt die Arbeit insgesamt, sie gilt aber natürlich in besonderer Weise den Studierenden. Denn an diesem biografisch bedeutsamen Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen nimmt Kirche mit der Studierendenarbeit und -seelsorge ihre Aufgabe wahr, Menschen nahe zu sein in ihrem Alltag, ihnen in wichtigen Lebensphasen Begleitung anzubieten und die belebende, ermutigende und orientierte Kraft evangelischer Lebensdeutung zu erschließen: »Vor allem dann, wenn im Zuge des Erwachsenwerdens Entscheidungen über Beruf, Partnerschaft, Stil und eben auch weltanschaulich-religiöse Orientierung der eigenen Lebensführung und -deutung fallen, ist das Angebot der Begleitung, der streitbare Dialog und das Offenhalten eines Erprobungsraums von maßgeblicher Bedeutung« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 122).
3 ESG als Gemeinde am anderen Ort Man kann die Hochschulgemeinden oder ESGn als »funktionale« Gemeinden beschreiben, als »Personalgemeinden« oder auch als »Profilgemeinden« (vgl. Pohl-Patalong 2006, S. 18–20). Sie sind Kirchengemeinden im organisatorischen wie im theologischen Sinne (siehe dazu Artikel 4.2 in diesem Handbuch). Zugleich sind sie Gemeinde anderer Art im Gegenüber zur Ortsgemeinde. Sie können damit auch als ein Lernort für das Gelingen nichtparochialer Gemeindemodelle dienen. Das gilt in mancherlei Hinsicht: In ihnen versammeln sich Menschen auf Zeit und bilden eine Gemeinde. Die Fluktuation ist typischerweise hoch, insbesondere aufseiten der Studierenden, was sich notwendig aus deren Lebenslage ergibt. Dennoch bilden sich in der Regel verbindliche Strukturen der Mitarbeit heraus (Mitarbeitendenkreise, Gemeinderäte, Beiräte). Wichtiger Kristallisationspunkt ist das Hochschulpfarramt in Person der Hochschul-
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pfarrer*innen und – wo vorhanden – der Referent*innen für die Beratung internationaler Studierender und der Sekretär*innen. Wichtig ist aber auch, dass die inhaltliche und programmatische Arbeit von haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden gemeinsam entwickelt und getragen wird. Dies gilt für das Semesterprogramm, das Gemeindeleben und insbesondere für das Gemeindeprofil, aber eben auch für Verkündigung und Gottesdienst. Hier erweist sich die Hochschulgemeinde als Lernfeld, und zwar sowohl im Sinne dessen, dass die Studierenden und weiteren Mitwirkenden eigene Erfahrungen mit der Gestaltung gottesdienstlicher Formen und Formate machen können, wie auch im Sinne dessen, dass die Kirche lernt, die verantwortliche Mitwirkung von Nicht-Theolog*innen im Gottesdienst als konstitutives Element ihrer liturgischen Praxis anzunehmen (siehe dazu Artikel 2.1 in diesem Handbuch). Andachten, Kasualgottesdienste und Hochschulgottesdienste sind – ob evangelisch oder ökumenisch verantwortet – in der Regel das Ergebnis eines Teams. Das bezieht sich sowohl auf Einzelelemente wie Gebete, Lesungen, Musik und Gesang wie auch auf Ort, Thema und Form des Gottesdienstes als Ganzem. Häufig wird auch der Verkündigungsteil von nichtpastoralem Personal gestaltet (z. B. von Studierenden oder Hochschullehrer*innen; vgl. Freudenberg 2020a). Zielgruppe sind nicht nur Menschen christlicher Konfession. Vielmehr gilt die Einladung allen, auch Konfessionslosen – zumal ja das Konfessionsmerkmal »evangelisch« auch bei Studierenden wenig über die kirchliche Sozialisation verrät. Wenn der schon erwähnte EKD-Text zur »Konfessionslosigkeit« die »Orientierung liturgischer und homiletischer Sprache an konkreten Bezugsgruppen« fordert und sie unter die Maxime stellt: »Predige so, dass eine anwesende konfessionslose Person von deiner Rede profitieren kann!« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 134), dann haben die Hochschulgemeinden genau darin lange zurückreichende positive Erfahrungen und nehmen damit eine Vorreiterinnenrolle ein. Lernfeld sind die Hochschulgemeinden aus landeskirchlicher Sicht aber auch in den Fragen von Zugehörigkeit, Mitgliedschaft und Partizipation (siehe dazu Artikel 1.6 in diesem Handbuch). Noch einmal sei aus der genannten EKD-Schrift zitiert: »In der Analyse von Konfessionslosigkeit und in der Begegnung mit Kon fessionslosen brechen deshalb selbstkritisch-konstruktive Fragen auf, etwa diejenige, ob kirchliches Handeln hinreichend einladend gestaltet ist, oder diejenige, ob Teilhabe am Evangelium und Kirchenmitgliedschaft (als rechtsförmiger Akt mit dem Implikat etwa der Angehörigkeit zu einer Parochie im Rahmen einer Landeskirche, der Kirchensteuerpflicht und dem Wahlrecht) in
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Deutschland de facto zu eng zusammengerückt sind. Jedenfalls ist die Kommunikation des Evangeliums, theologisch gedacht, nicht auf die Mitglieder der verfassten Kirche beschränkt und nicht darauf zu beschränken« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 81). Die Gemeinde der Studierenden und Hochschulangehörigen ist nach aller Erfahrung kulturell vielfältig, religiös heterogen, ökumenisch und interreligiös im Dialog und offen gegenüber Menschen ohne Konfession. Und gerade weil die Hochschulgemeinden rechtlich nicht in die feste Form einer Parochialgemeinde gefügt sind, müssen sie weder Mitarbeit noch Mitbestimmung an Kirchenmitgliedschaft binden. Die Herausforderung für die Landeskirchen besteht in der Entwicklung von Beteiligungsstrukturen, die dafür sorgen, dass Gemeindeformen wie diese im Rahmen innerkirchlicher Entscheidungsprozesse stärker zu ihrem Recht kommen, und die Frage, wie das zum Teil erhebliche Engagement der ehrenamtlich Beteiligten kirchlich wahrgenommen, gewürdigt und eben auch in Formen politischer Mitgestaltung umgesetzt werden kann.
4 4 ESG als Akteurin im Sozialraum Die Arbeit der Hochschulgemeinden lebt selbstverständlich von ihrer Vernetzung in die Universität oder Hochschule. Sie wirkt aber auch in den Sozialraum und die kirchliche Landschaft vor Ort. Hochschulgemeinden werden zu Orten und Trägerinnen von Citykirchen-Arbeit und wirken im Konzert der kirchlichen Kulturarbeit und Erwachsenenbildung mit. Sie nehmen soziale und diakonische Aufgaben wahr und vernetzen sich mit der kirchlichen Sozialarbeit und den diakonischen Einrichtungen in Kirchenkreis, Propstei oder Dekanat. Traditionell gehört dazu insbesondere die Begleitung internationaler Studierender. Hochschulgemeinden sind aber ganz schlicht auch Teil der gemeindlichen Präsenz von Kirche vor Ort – eben mit einem besonderen Profil. Evangelische Studierende wie andere evangelische Hochschulangehörige sind in der Regel auch Mitglied einer Ortsgemeinde der Landeskirche, wenn sie nicht anderen Denominationen oder Freikirchen angehören. Mit ihrem spezifischen Profil treten die Hochschulgemeinden hier nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung, vergleichbar Einrichtungen der Klinikseelsorge oder etwa einer Citykirchengemeinde. Verschiedene Gemeindeformen bleiben aufeinander bezogen und stützen sich gegenseitig. Deshalb ist es auch von Vorteil, wenn Hochschulpfarrer*innen an den örtlichen Pfarrkonventen teilnehmen und sich mit den Kolleg*innen in den Ortsgemeinden vernetzen. Genauso ist eine Partizipation
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von Menschen aus den ESG-Leitungskreisen in den ortskirchlichen Gremien hilfreich für gegenseitige Wahrnehmungen und notwendige Absprachen. Ähnliches ist auch für kreis- und landeskirchliche Gremien wünschenswert. In der Hochschule wird die Hochschulgemeinde zu einem Teil der »Hochschulkultur«, etwa indem sie sich an Veranstaltungen wie Hochschulgottesdiensten, Ringvorlesungen, Symposien, »Nacht der Wissenschaft« oder anderen Angeboten beteiligt, aber auch »Räume der Stille« oder »Räume des interreligiösen Dialogs« mitgestaltet (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). Sie wird deshalb den Dialog mit anderen religiös grundierten Hochschulgruppen suchen, mit muslimischen und jüdischen Hochschulgemeinden und mit den Organen der studentischen und akademischen Selbstverwaltung (siehe dazu Artikel 1.9 und 2.16 in diesem Handbuch). Im Blick auf die diakonischen Aufgaben gehören dazu weiter Beratungseinrichtungen des Studierendenwerks oder der Hilfe für internationale Studierende. Vielerorts gibt es eine Zusammenarbeit mit den Ortskonventen des Evangelischen Studienwerkes Villigst und natürlich eine Kooperation mit den landeskirchlichen Einrichtungen zur kirchlichen Begleitung Studierender für das Lehramt Evangelische Theologie (siehe dazu Artikel 2.17 in diesem Handbuch).
5 ESG als Ort Öffentlicher Theologie Unter der Überschrift »Erprobungsräume für das Christsein als Lebensform profilieren und stärken« spricht der EKD-Text zur Konfessionslosigkeit von »epistemischer Demut« und einem »transformativen Richtungssinn«: »In theologischer Hinsicht zeigen Kirche und Theologie mit ihren Verstehensbemühungen und ihrer Gesprächsbereitschaft, dass sie sich der Relativität menschlicher Wahrheitserkenntnis bewusst sind und sich im Gespräch mit anderen Positionen beständig auf einem Weg eigener Suche sehen. […] Dies gilt allerdings auch für die Überzeugungen derjenigen, die ihr Leben ohne Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft führen und deuten. Diese – sowohl selbstkritisch als auch kritisch zu wendende – Einsicht in die Relativität von Wahrheitserkenntnis verweist darauf, dass die Kommunikation des Evangeliums einen transformativen Richtungssinn birgt: Das Evangelium fördert Menschen, es verändert sie, es initiiert einen Lernprozess bzw. ein Bildungsgeschehen« (Kirchenamt der EKD 2020b, S. 81). Die evangelischen Hochschulgemeinden bieten hier ein reichlich bestelltes Feld vielseitiger Erfahrungen. Im Kontext von Hochschule und Universität bewegt
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sich Kirche in einem gesellschaftlichen Raum, der wesentlich von säkularen Positionen geprägt ist. Evangelische Hochschularbeit ist damit ein Ort Öffentlicher Theologie par excellence. In der Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen, im Kontakt zur Wissenschaft, in der Beteiligung am universitären und akademischen Diskurs ist grundsätzlich eine Haltung der (Selbst-)Kritik und Reflexionsfähigkeit gefragt. Manfred Pirner spricht vom Aspekt der »Selbstbegrenzung« Öffentlicher Theologie: »Der erste Aspekt besteht […] darin, dass Öffentliche Theologie das Bewusstsein des Christentums reflektiert, nur eine unter anderen Religionen und Weltanschauungen in einer pluralistischen Gesellschaft und in der Welt zu sein. […] Öffentliche Theologie ist sich dieser Tatsache nicht nur bewusst, sondern bejaht positiv eine solche partikulare Position im Pluralismus« (Pirner 2018, S. 52). Das Bewusstsein eigener Unvollkommenheit – das man mit guten Gründen als ein Konstituens evangelischer Existenz überhaupt verstehen kann – führt zu einem zweiten Aspekt, den Pirner den »selbstkritischen« nennt: »Der zweite Aspekt, der mit dem ersten in engem Zusammenhang steht, ist, dass Öffentliche Theologie in dem Sinn öffentlich ist, dass sie sich selbst und ihre religiöse Tradition bereitwillig einem kritischen öffentlichen Diskurs aussetzt. Dies impliziert, dass Öffentliche Theologie akzeptiert, dass sie von anderen religiösen oder nichtreligiösen Positionen lernen kann« (Pirner 2018, S. 53). Was die genannte EKD-Schrift als »transformativen Richtungssinn« beschreibt, korrespondiert mit dem, was Pirner den Aspekt der »Selbstüberschreitung« nennt: »Theolog*innen der Öffentlichkeit betonen, dass ihre religiöse Tradition Potenziale für die Bewältigung der gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen bereithält – wobei die Beiträge zum Gemeinwohl auch kritische Beiträge sein können« (Pirner 2018, S. 54). Hochschulgemeinden fungieren aus landeskirchlicher Sicht als Seismografinnen und Fährtensucherinnen. Sie entdecken und bewahren Spuren von Religiosität im säkularen Kontext. Sie legen neue Pfade. Sie profilieren sich als theologische Instanz in öffentlichen Diskursen, die in der Regel primär von naturwissen-
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schaftlichen und ökonomischen Prämissen bestimmt sind. Sie halten auch im Kontext der Hochschule den evangelischen Einspruch gegen das Effizienzparadigma wach. Sie bieten Menschen Begleitung und Seelsorge, Gottesdienst und Feier, Bildung und diakonische Hilfe. Sie ermutigen junge Menschen zu gesellschaftlichem und kirchlichem Engagement. Sie bauen Gemeinde. Insofern sind die Hochschulgemeinden unverzichtbarer Bestandteil einer zukunftsfähigen Kirche.
Literatur
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Bedford-Strohm, H. (2015): Öffentliche Theologie in der Zivilgesellschaft. In: F. Höhne/F. van Oorschot (Hg.): Grundtexte Öffentliche Theologie (S. 211–226). Leipzig. Bundes-ESG (2018): Ordnung des Verbandes der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland. Revidierte Fassung der Ordnung von 2014. Hannover. Freudenberg, M. (2020a): Lass das Feuer wieder brennen. Predigten und Ansprachen mit Studierenden. Solingen. Kirchenamt der EKD (2006): Die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Ein Positionspapier des Rates der EKD. Hannover. Kirchenamt der EKD (2020b): Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit. Aufgaben und Chancen. Leipzig. Pirner, M. (2018): Religionsunterricht zwischen politischer Abstinenz und Funktionalisierung. Perspektiven einer Öffentlichen Religionspädagogik. In: Die Gelbe. Das gymnasialpädagogische E-Journal für lebensweltorientierte Bildung und Erziehung (S. 47–73). Heilbronn. Pohl-Patalong, U. (2006): Von der Volkskirche zu kirchlichen Orten. Ein Zukunftsmodell. Göttingen.
4.5 Studierendengemeinden von außen betrachtet Joachim Metzner
In den folgenden Ausführungen stehen meine Beobachtungen als Lehrender und langjähriger Hochschulpräsident im Vordergrund, dem die Arbeit der ESG vor Ort und die Verbundenheit mit ihr wichtig waren und sind, der aber auch so manche der sehr unterschiedlichen Einschätzungen von Hochschulleitungen, Lehrenden und anderen Mitgliedern vieler Hochschulen kennenlernen konnte. Die Betrachtung der ESGn »von außen« konzentriert sich also auf die Hochschulwelt. Wie Studierende die ESGn sehen, soll an dieser Stelle im Hintergrund bleiben; hier liegen solide Einschätzungen vor (Ahrens 2014, S. 14–24). Natürlich sind meine Beobachtungen subjektiv, aber ich traue mir doch einige verallgemeinernde Einschätzungen zu. Sie sollen in eine Reihe von thesenartig formulierten Beobachtungen und einige daraus abgeleiteten Anregungen gegliedert werden. Dabei wird der Blick »von außen« gleichermaßen kritisch wie selbstkritisch sein, denn nur so kann er – vielleicht – hilfreich sein.
1 Beobachtungen 1. Die ESGn formulieren sehr unterschiedliche Selbstverständnisse, die Außenstehenden oft wenig Klarheit über das besondere Profil einer Studierendengemeinde schaffen. Zwar gibt es seitens der Kirche präzise Beschreibungen des kirchlichen Auftrags und des daraus abzuleitenden generellen Selbstverständnisses der ESGn, dennoch fällt es Außenstehenden nicht leicht, mit der Vielfalt der Selbstzuschreibungen umzugehen, wie man sie bei den Gemeinden am Ort vermittelt bekommt. Da stößt man – auf den Websites – auf Begriffe und Formeln wie: ESG als Herberge, Heimat auf Zeit, Begegnungsplattform, Ort für Selbstbildung, externe Bildungsträgerin, Vermittlungsinstanz zwischen Glaube und Wissen-
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schaft, Brücke zwischen studentischer Kultur und Kirche oder, sehr allgemein, Ereignisrahmen für eine Vielzahl von Menschen und Projekten, raumgebende Kirche, Gastgeberin. Immer wieder treffe ich auf Hochschulmitglieder, die, obgleich den ESGn zugewandt, verwirrt sind von der extremen Unterschiedlichkeit der Gemeindeverständnisse und die aus solchen wortgewandten und bildreichen Zuschreibungen nicht herauslesen können, was nun der konkrete Kern des Selbstverständnisses ist. Vielleicht handelt es sich ja um kein reines Formulierungsproblem. Die Bundes-ESG hat dazu ein Leitbild entwickelt, an dem sich Orts-ESGn orientieren können. An dieser Stelle sollte auch darauf hingewiesen werden, dass für Außenstehende die Unterscheidung von Studierendengemeinde und Hochschulgemeinde entweder, da sie nicht registriert wird, irrelevanter ist, als sie dies sein sollte, oder aber sehr verwirrend wirken kann, wenn man auf die darin verborgenen theologischen und ekklesiologischen Unterscheidungen und auf den daraus ableitbaren Perspektivwechsel stößt (vgl. Horstmann 2012, S. 100– 107; Hirschberg 2019, S. 530).
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2. Hochschulangehörige, die an der Arbeit der ESGn interessiert sind, schätzen deren aktuelles Aufgaben- und Angebotsspektrum sehr positiv ein. Es existiert leider keine valide Untersuchung zur Einschätzung von Gemeindearbeit an den Hochschulen durch Hochschulangehörige. Für die Einschätzung durch die große Mehrheit der Hochschulmitglieder dürfte gelten, was gemäß einer Umfrage für die Studierenden konstatiert wurde: Es »fehlt eine aktuelle und konkrete Anschauung der ESGn, ihre Zuschreibungen beruhen auf Imagination und Vermutung« (Läger-Reinbold 2014, S. 29). Besonders die Lehrenden sind sich dieser Situation vermutlich gar nicht bewusst. Deren Wissen um die ESG ist – wie sich in Gesprächen zeigt – häufig beeinflusst von den Beobachtungen in der eigenen Studienzeit. Das heißt, das Bild der ESGn bei den Lehrenden entspricht zum Teil noch der Situation in den 1980er-Jahren, nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Die naheliegende Erwartung, dass sich als evangelisch verstehende Lehrende eine konkretere Anschauung der ESG haben und so ein engeres Verhältnis zu ihr entwickeln, erfüllt sich weitgehend nicht. Der Grund ist in der unter Hochschullehrenden verbreiteten Trennung von als privat verstandenem Glauben und wissenschaftlichem Handeln in der Hochschule zu finden – eine Distanz, die auch der Kirche gegenüber mit Überzeugung vertreten wird (vgl. Landeskirchenamt der Landeskirche Hannovers 2018, S. 5.10). Das führt dazu, dass Kirche an der Hochschule häufig nur in den wissenschaftlichen Blick gerät und
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deshalb nicht vollständig – vor allem in ihrem religiösen Auftrag – oder überhaupt nicht wahrgenommen wird. Von jenen Hochschulmitgliedern, die eine Studierendengemeinde aufmerk samer wahrnehmen, wird die Arbeit der ESGn – weitgehend unabhängig von deren Gemeindeverständnis – fast durchweg positiv eingeschätzt. Diese Beobachtung kann man auch dort machen, wo sich die Arbeit inhaltlich verändert hat, etwa hin zu mehr spirituellen Angeboten oder mehr Geselligkeit zur »wechselseitigen Vergewisserung« (Ihmels 2020, S. 71, vgl. S. 94). Diese Akzeptanz gilt auch hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Arbeit. In diesem Bereich dürfte das Interesse von Lehrenden an den Themen der Gemeinden am größten sein. 3. Die Arbeit der ESGn und das Gemeindeleben werden von der Mehrheit der Hochschulmitglieder selektiv wahrgenommen. Es gibt eine grundsätzlich positive Würdigung der Arbeit der ESGn auch bei denen, die sie kaum zur Kenntnis nehmen. Dies hat seinen wohl wichtigsten Grund in dem ausgeprägten Sich-Kümmern der Gemeinden um internationale Studierende. Dieses wird vielen ESGn geradezu als Kernaufgabe zugeordnet. Je mehr die Internationalisierung der Hochschulen politisch in den Vordergrund rückte, umso größer wurden die Erwartungen an die Gemeinden, generelle Defizite bei der Beratung und Betreuung und schließlich auch beim Bemühen um Integration auszugleichen. Bei den Fachhochschulen ist die positive Würdigung dieser Gemeindearbeit seit Langem auch vom entwicklungspolitischen Ansatz der ESGn beeinflusst, dem viele Fachhochschulen schon immer sehr positiv gegenüberstehen. Heute werden die Studierendengemeinden generell als wichtige Akteurinnen entwicklungspolitischer Arbeit gesehen. Inzwischen ist die stark gewachsene Internationalität der Studierendenschaft ein Element einer umfassenden Diversität geworden, zu der auch die Vergrößerung der Zahl der Zugewanderten und Geflüchteten mit ihrer kulturellen Vielfalt gehört. Das verstärkt noch einmal die Erwartung an die Mitwirkung der Studierendengemeinden, wenngleich diese Mitwirkung weiterhin eher als Zuarbeit oder Ersatzvornahme denn als Mitgestaltungsauftrag verstanden wird. Deutlich geworden ist auch, dass Integration kulturellen Austausch und wechselseitiges kulturelles Lernen voraussetzt und dass bei kultureller Diversität unweigerlich Religionen eine Rolle spielen. Das eröffnet dieser Arbeit der ESGn für die Hochschulen eine weitere Dimension. Die starke Fokussierung auf diese spezielle Unterstützungsarbeit hat dazu beigetragen, dass andere Felder und Themen der ESG-Arbeit bislang wenig auf
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ihre Relevanz für die Aufgabenerfüllung von Hochschulen hin betrachtet wurden. Dies scheint sich seit der sogenannten Bologna-Reform langsam zu verändern. In dem Maße, in dem Bildung durch Wissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung als Ziel des Studiums in den Hintergrund geriet und weiter gerät und Studieren – jedenfalls in der subjektiven Wahrnehmung – mit immer mehr Druck und Stress verbunden ist, scheinen ESGn an manchen Hochschulen auch als Helferinnen in dieser Situation und mit ihrer »Ausrichtung auf jede Gestalt von Bildung« (Evangelischer Hochschulbeirat 2009, S. 8) als Reparaturinstanz wahrgenommen zu werden. 4. Die institutionelle Distanz von ESGn und Hochschulen hat sich vergrößert. Dies gilt besonders für die Leitungsebenen von Hochschulen.
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Das von den ESGn und anderen Hochschulgemeinden vorgetragene Bedauern, dass sich die institutionellen Kontakte zu den Hochschulen verringert haben und die Kirchen keine natürlichen Gesprächspartnerinnen für Hochschulleitungen mehr sind, ist nicht zu leugnen. Was es vormals verbreitet an offiziellen institutionellen Berührungspunkten und Interaktionen gab, existiert teilweise auch heute noch, aber in Einzelfällen, die wesentlich von Mandatsträger*innen und ihrer Einstellung und Sichtweise auf die ESGn abhängen. So gibt es nach wie vor Beteiligung von Gemeinden an offiziellen Veranstaltungen und Einbezug ihrer Programme in das Hochschulangebot. Umgekehrt führt in machen Universitäten die Mitarbeit Studierender in den Studierendengemeinden zu ECTSPunkten oder zur Berechtigung zu Studienabschlussbeihilfen. Einen wichtigen aktuellen Grund für das zurückgegangene Interesse von Hochschulleitungen an den ESGn sehe ich in der zunehmenden Wettbewerbsorientiertheit der Hochschulpolitik, die gegenüber Hochschulleitungen eine gewaltige Absorptionskraft entwickelt hat. Sie zeigt sich immer deutlicher als Mittel zur weitergehenden vertikalen Binnendifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft. Die universitäre Exzellenzinitiative ist nur ihre deutlichste Manifestation. Der Kampf um eine möglichst günstige Verortung der eigenen Hochschule in dieser Entwicklung lässt für die Verantwortlichen viele wichtige Themen in den Hintergrund geraten oder ganz verschwinden. Das betrifft nicht zuletzt das Interesse an der ESG. Sie gerät ganz einfach aus dem Blick. Dieser Eindruck lässt sich auch auf anderer Ebene gewinnen. Regelmäßige Treffen der HRK-Spitze mit der EKD-Leitung sind rar geworden. Eine Ausnahme bildete die Diskussion des HRK-Präsidiums mit dem Rat der EKD über die Situation der Hochschulen in Deutschland 2009 (Evangelischer Hochschulbeirat, S. 6). In deren Folge kam es zu einer klaren Positionierung des Präsidiums
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mitglieds Klaus Dicke, der die Hochschulgemeinden aus Sicht der Hochschulen »im lebensprägenden Erfahrungsraum Hochschule« verortet sah (Dicke 2009, S. 21). Heute stellt sich die Situation anders dar. Aber der gegenwärtige Eindruck sollte nicht generalisiert und schon gar nicht als endgültig eingestuft werden. 5. Trotz institutioneller Distanz weitet sich das inhaltliche Spektrum der individuellen Kooperation und Interaktion von ESG-Mitgliedern und Hochschulangehörigen aus. Besonders bemerkenswert ist das wachsende Interesse an der Einbeziehung von Hochschulpfarrer*innen in die universitäre Lehre. Waren Lehrbeteiligungen oder Lehraufträge früher auf theologische Fächer bezogen, so sind heute – oft kooperative – Lehr- und Seminarangebote auch in psychologischen, ökonomischen, sozialwissenschaftlichen, kommunikationswissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Studiengängen oder interdisziplinär im Studium generale zu finden. Auf Gemeindeseite wird diese Einbindung als »neue Form […], Brücken in die Hochschulen hinein und zu den Studierenden zu schlagen« (Jastrzembski 2012, S. 85.88) verstanden. Bei den Hochschullehrer*innen sprechen das Interesse und die Bereitschaft zur fachlichen oder fachübergreifenden Beteiligung für eine veränderte Wahrnehmung. Diese bezieht sich zunächst auf Personen. Es wird positiv gesehen, wenn Mitglieder von Gemeindeleitungen an der universitären Aufgabe Bildung durch Wissenschaft verantwortlich mitwirken. Diese Wertschätzung dürfte langfristig Rückwirkungen auf die Einschätzung der ESGn haben. 6. Viele Hochschulen befinden sich in einer Phase der Verunsicherung, wie sie sich in einer »postsäkularen« Situation verhalten sollen. Das beeinflusst die Sicht auf die ESGn. Verfolgt man die seit etwa 15 Jahren intensivierten Diskussionen zum Thema »Religion auf dem Campus«, ausgelöst vor allem durch das Drängen muslimischer Studierender auf ein Recht zur Religionsausübung innerhalb der Hochschulen, dann lassen sich seitens der Institutionen zwei wesentliche Positionen erkennen: möglichst strikte Verweisung alles Religiösen in den Bereich des Privaten, da Hochschulen als säkulare Einrichtungen sich nicht als Ort der Ausübung von Religion verstehen, oder der Versuch, Säkularität mit einer begrenzten Religionsfreundlichkeit zu verbinden, die individuelle Bedürfnisse akzeptiert, ohne dass das bisherige institutionelle Selbstverständnis infrage gestellt wird (siehe dazu Artikel 1.9 in diesem Handbuch).
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Beide skizzierten Positionen haben das Potenzial, den lange Zeit vorherr schenden Blick aus den Hochschulen auf die ESGn zu verändern. Denn die allermeisten Aktivitäten der Gemeinden innerhalb der Hochschulen wurden bislang auch von Vertreter*innen einer restriktiven Haltung nicht als Religionsausübung verstanden (z. B. Beratung, Vergabe aus den Nothilfefonds), was sich in manchen Hochschulen jetzt ändert; religionsfreundliche Säkularität hingegen nimmt häufig Züge von Duldung an. Die Vermutung, dass hinter dieser Veränderung das »Unbehagen mit ›dem‹ Islam« steht (Heinig 2017, S. 2), das aus Gründen der Gleichbehandlung auf andere Religionsgemeinschaften und in Folge auf Studierendengemeinden übertragen wird, ist sicher berechtigt. Aber es dürfte sich darüber hinaus um eine Folge einer auch aktuell anhaltenden »postsäkularen Unsicherheit« handeln, die Martin Rötting (2014, S. 77) deutschen Universitäten attestiert hat. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Hochschulen sich mit der Erkenntnis schwertun, dass in ihrer durch Säkularität geprägten Hochschulwelt Religion de facto in unterschiedlichster Ausprägung und in beträchtlichem Maß eine Rolle spielt. Der Begriff »Unsicherheit« ist assoziativ mit der Vorstellung einer vorübergehenden, aber nicht umgehbaren Phase verbunden. So wird der gegenwärtige Zustand wohl von vielen Hochschulen eher als eine Art Interimssituation verstanden, die lösungsorientiert beendet werden sollte. Daran mitzuwirken, wird auch eine Aufgabe der ESGn sein.
2 Einige Anregungen 1. Die ESGn melden einen Anspruch auf Mitgestaltung der zukünftigen Rolle von Religiosität auf dem Campus an. Verwendet man die Kennzeichnung im Sinne von Jürgen Habermas, dann ist die »postsäkulare Universität« (Rötting 2014, S. 77) eine Hochschule, für die »Religionen ein moralisches Potential implizieren, das für die Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme von Bedeutung ist« (Reder 2013, S. 89), die in der Religion vielleicht sogar ein kritisches Potenzial für die eigene Arbeit entdeckt. Wenn die ESGn, wie die Bundes-ESG erklärt hat, »jetzt schon Lösungsstrategien erprob[en], wie mit dieser doppelt spezifischen Situation umgegangen werden kann und muss« (Hirschberg 2019, S. 529), dann ist der Zeitpunkt gekommen, diese durchaus offensiv den Hochschulen anzubieten. In diesem Zusammenhang sollten die ESGn auch das von ihnen mitverfasste Positionspapier zur Religion an der Hochschule (Bundes-ESG 2019) stärker in
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den Dialog mit den Hochschulen – nicht nur mit den Hochschulleitungen – einbringen und an die Hochschulpolitik herantragen. 2. Die ESGn nutzen ihre starke inhaltliche Position bei Fragen der Ethik, um die selektive Wahrnehmung in den Hochschulen zu korrigieren. Diskursangebote zu ethischen Fragestellungen haben sich in den ESGn zu einem Angebotsschwerpunkt entwickelt. Zugleich steigt die Zahl der Studienfächer, in denen eine ethische Kompetenz vermittelt werden sollte, ohne dass dies qualitativ und quantitativ hinreichend geschieht. Deshalb bestehen in diesem Bereich besonders viele thematische Wechselbeziehungen zwischen Gemeinden und Fachbereichen. Sie sollten strategisch für eine Verstärkung der Verbindung von ESGn und Hochschulen genutzt werden. 3. Die ESGn beziehen weitere Partner*innen in den Hochschulen in ihre Arbeit ein. Die Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind zwar keine von den Studierendengemeinden primär angesprochene Gruppe, aber sie sollen sich durchaus von der ESG eingeladen fühlen. Zwei neuere Entwicklungen sprechen dafür, dies jetzt zu forcieren: Auch an den Fachhochschulen existiert inzwischen ein lehrender Mittelbau; in allen Hochschularten hat sich eine neue wissenschaftliche Personalgruppe etabliert, die sich zwischen Verwaltung und Akademia in einem »Third Space« verortet – es sind Hochschulprofessionals, die Innovationsprojekte umsetzen, einen Gestaltungsauftrag wahrnehmen und oftmals die stillen Treiber*innen der Veränderung an Hochschulen sind. Das macht sie zu wichtigen Ansprechpartner*innen für die ESGn. Diese Gruppe entwickelt umgekehrt ein wachsendes Interesse für Hochschulgemeinden. 4. Die ESGn reagieren mit ihrem Bildungsangebot auf die sich verändernde Diskussion um Digitalisierung und Digitalität. Inzwischen ist deutlich geworden, dass die fortschreitende Digitalität der Lebensund Arbeitswelt nicht nur die Digitalisierung von Wissensvermittlung und die Aneignung informationstechnischer Fertigkeiten in den Hochschulen erfordert, sondern den Erwerb von Kompetenzen, die zur Entwicklung reifer Persönlichkeiten gehören, wie z. B. Verantwortungs- und Veränderungsbereitschaft, Folgenabschätzung, Umgang mit Ungewissheit, Aushalten von Vieldeutigkeit, Sinnstiftung, Erkennen des ethisch Relevanten, Fähigkeit zur Beurteilung
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von Wertesystemen. Die Hochschulen sind auf lange Sicht nicht darauf eingerichtet, solche Kompetenzen hinreichend erwerbbar zu machen. Die ESGn sollten prüfen, wieweit sie bei ihrer Bildungsarbeit solche für die Zukunft der Absolvent*innen bedeutsame Kompetenzen im Blick behalten – nicht als eine Art Ersatzvornahme, sondern im Bewusstsein, dass ihr Auftrag, »situationsgerechte […] Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Identitätsfindung« (Kirchenamt der EKD 2006, S. 4) zu machen, solchen Zielsetzungen bereits in hohem Maße entspricht. 5. Die ESGn beobachten sensibel den strukturellen Veränderungsprozess der Hochschulen, orientieren ihre Arbeit daran und begleiten ihn kritisch.
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Inhalte und Formen des Studiums und dessen Rahmenbedingungen ändern sich und damit die Anforderungen an alle Beteiligten. Der Campus verliert durch Digitalisierung scheinbar an Bedeutung und zugleich wächst das Bedürfnis nach realer Begegnung. Das Verhältnis von Hochschulen und Gesellschaft wird neu justiert. Die heutigen Erwartungen an die Absolvent*innen erfordern ein verändertes Bildungsverständnis. Die Hochschulen erfahren eine umfassende Entstandardisierung, ebenso das gesamte Hochschulsystem. Der Wettbewerbsdruck im Hochschulsystem wird weiter zunehmen, die Diversität in den Hochschulen ebenfalls. Noch ist die zukünftige Gestalt der Institution Hochschule und der ganzen Hochschulwelt nicht genau erkennbar, aber viele Veränderungen werden für die Arbeit der ESGn relevant sein. Vor gut einem Jahrzehnt schrieb eine Hochschulpräsidentin, zwischen den ESGn und den Hochschulleitungen wie auch den Dekanaten »wäre ein regelmäßiger strategischer Dialog […] anzustreben« (Lojewski 2008, S. 46). Der hat in der intendierten Form nicht stattgefunden. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für ein strategisches Nachdenken, wie ESGn und Hochschulen gemeinsam aktuellen und sich abzeichnenden Herausforderungen begegnen können.
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1 Die Zielgruppe
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Aktuell erreichen die ESGn einen eminenten Teil der kirchlichen Zielgruppe der 20–40-Jährigen, die vor allen Dingen ohne Kinder leben. Dabei geschieht ein Doppeltes: Junge Erwachsene im genannten Alter werden als Zielgruppe kirchlichen Handelns erkannt und wahrgenommen, gleichermaßen werden sie aber auch als Akteur*innen ernst genommen, die ihre Formen des Glaubens und kirchlichen Lebens leben und in kirchliche Zusammenhänge einbringen möchten. Studierende mit Kindern sind selbstverständlich ebenso willkommen und erwünscht. Die Zielgruppe der jungen Erwachsenen (vor der Familienphase) braucht den besonderen Ort, da ihre Bedürfnisse und Lebensweisen spezifische Erfordernisse generieren. In den meisten Parochialgemeinden gelingt es nicht, sie mitzuversorgen und einzubinden, da es eigene Konzeptionen und Gottesdienstformen braucht, um die Zielgruppe adäquat abbilden zu können. So ist für die Zukunft zu erhoffen, dass ESGn noch stärker eine Vorreiterrolle spielen in der Beschäftigung mit jungen Erwachsenen, die sich auf Schwerpunktgemeinden in städtischen Kirchenkreisen ausdehnt, um auch diejenigen zu erreichen, die nicht (mehr) studieren, und dass ESGn in dieser Vorreiterrolle auch binnenkirchlich wahrgenommen werden. Wo also Kirchenkreise Personalgemeinden für junge Erwachsene entwickeln wollen (über den Kreis junger angehender Akademiker*innen hinaus), können sie auf die Kompetenzen und Erfahrungen von Studierendenpfarrer*innen zurückgreifen, da diese die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe kennen, sodass ESGn als Kompetenzträgerinnen für diese wichtige Zielgruppe angesehen werden. Für dieses Vorhaben braucht es kirchliche Strukturen auf allen drei Ebenen (Kirchenkreise, Landeskirchen, EKD), da Themen sich besser setzen lassen, wenn strukturell verankerte Personen klar für sie verantwortlich sind. So ließe sich auch eine EKD-weite Vernetzung (z. B. Konferenz der landeskirchlichen
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Beauftragten für Junge Erwachsene) und eine Konzeptionierung für diese Zielgruppe voranbringen. Aktuell wirken ESGn als Gemeinden gerade durch die Konzentration auf eine klar definierte Zielgruppe besonders gut. Der gemeinsame Lebensraum Hochschule schafft in diesem Zusammenhang Verbindung. Die Aufweichung und Ausweitung dieser Zielgruppe funktionieren erfahrungsgemäß nicht. So braucht es einen Ort für Menschen auf der Suche mit einer gemeinsamen Lebenswirklichkeit; eine Gemeindestruktur, die offen für junge interessierte Menschen jenseits der kleinen Gruppe der Hochverbundenen ist. Das primär Gemeinsame und Gemeinschaftsstiftende sind die gemeinsame Lebenswirklichkeit und die gemeinsame geistliche Suchbewegung jenseits von Kon fessions- und Religionsgrenzen.
2 Innerkirchliche Zukunftsperspektive ESGn erreichen mit ihrer Arbeit gerade die Zielgruppe der jungen Erwachsenen im akademischen Umfeld, die jetzt oftmals schon Kirche sind und zukünftig Kirche und Gesellschaft aktiv gestalten werden: Als Akteur*innen und Zielgruppe handelt es sich also gleichermaßen um die kommenden Verantwortungstragenden in Kirche und Gesellschaft. Aus diesem Sachverhalt folgt: Der Einsatz der ESGn für und mit jungen Erwachsenen in und an der Hochschule wirkt sich als inhaltliche Frischzellenkur für eine Kirche der Zukunft aus; sie ist ein Innovationsmotor für die Kirche, da in ihr und durch sie viele kreative beteiligungsstarke Ideen entstehen, die junge Menschen kirchlicherseits in den Blick nehmen und zu Wort kommen lassen. Dabei ist zu beachten, dass – auch finanziell gesehen – es sich in jedem Fall um eine relevante Zielgruppe handelt, wie auch immer künftige Finanzierungsmodelle von Kirche aussehen werden (diesseits oder jenseits vom gegenwärtigen Kirchensteuermodell). Aufgrund des hohen partizipativen Anteils und der jungen innovativen Zielgruppe sind ESGn ein Entwicklungszentrum für neue Formen Geistlichen Lebens, die direkt an der Basis entstehen; dies gilt sowohl in liturgischer Hinsicht (vgl. kraft gottes 2017) als auch das Liedgut betreffend (vgl. das ESG-Gesangbuch Durch Hohes und Tiefes 2008; zu Formen des Geistlichen Lebens in den ESGn siehe Artikel 3.1 in diesem Handbuch). So wird auch für die Zukunft zu erwarten sein, dass aus ESGn Impulse für Gottesdienst, Liturgie und Liedgut in das kirchliche Leben in Deutschland einfließen. Als Desiderat sei hier formuliert, dass diese Impulse in Zukunft noch mehr im EKD-Kontext wahrgenommen werden.
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Durch die weniger werdenden finanziellen Mittel sahen sich manche Landeskirchen schon gezwungen, ESG-Standorte aufzugeben oder zu verkleinern. Dabei ist zu beobachten, dass meistens ESGn an großen Hochschulstandorten beibehalten werden, während solche an kleineren Hochschulstandorten abgebaut werden. Diese Konzentration auf große Hochschulstandorte ist indes nicht zielführend, da an großen Hochschulstandorten konkurrierende Freizeitangebote häufig besonders zahlreich sind. An kleinen Standorten dagegen sind ESGn vielerorts in das gesellschaftliche und Hochschulleben stark integriert. Einführungen und Verabschiedungen von Studierendenpfarrer*innen sind oft ein gesamtgesellschaftliches Ereignis. Die Ausstrahlung von Kirche in Gestalt von ESG ins gesellschaftliche und universitäre Leben ist dort um ein Vielfaches größer als in Großstädten. Die Zukunft der ESGn kann nicht losgelöst von der Zukunft des verfassten Protestantismus in Deutschland betrachtet werden. Es besteht durchaus die Gefahr, dass gerade Innovationsmotoren wie die ESGn in den Sog einer allgemeinen Abwärtsspirale geraten, in der Kirche, befreit von der Illusion des »Gesundschrumpfens«, der eigenen Botschaft nicht mehr traut, die Rede von der »befreienden Kraft des Evangeliums« zur bloßen Phrase verkommen und jeglicher missionarischer Anspruch de facto aufgegeben ist. In einer Kirche, deren oberstes Ziel der möglichst lange Erhalt der Institution durch »Konzentration auf Kernaufgaben« ist, wäre für ESGn kaum mehr Platz. ESGn müssen sich wiederum ihrer Vorreiterrolle stärker bewusstwerden und sich als Gemeinden sui generis begreifen, die mehr und anderes sind als eine Sonderform von Parochialgemeinden mit besonderer Zielgruppe (siehe dazu Artikel 4.1 in diesem Handbuch).
3 Hochschulbezogene Zukunftsperspektive Für die Zukunft ist wünschenswert, dass Hochschul- und Studierendengemein den noch mehr in das universitäre Gesamtsystem eingebunden sind; so z. B. in Notfallpläne der Hochschulen bei Suiziden, einem plötzlichen Todesfall aus dem Lehrkörper oder bei Großereignissen wie Terroranschlägen. So wurden z. B. an einigen Hochschulen und Universitäten die ESGn bei den Terroranschlägen des 11. September 2001 mit einem Ritualangebot für alle Mitglieder der Universität betraut. Die ESG kann als selbstverständlicher universitärer Player wahrgenommen werden, ohne bloß funktionalisiert zu werden. Dazu muss sich die ESG noch stärker als bisher als aufsuchende Struktur begreifen, die auf Menschen an den Universitäten zugeht, Aufgaben sucht und Anfragen positiv aufnimmt. University Chaplancy – wie die Hochschulseelsorge im europäischen Kontext genannt wird – ist also gerade in Zeiten von Globalisierung als Standort-
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vorteil zu betrachten und muss als solcher den Hochschulen begreiflich gemacht werden. Sie wird von internationalen Studierenden erwartet und nachgefragt. Dabei ist es wichtig, von falsch verstandener »Religionsfreiheit« wegzukommen: Universitäten und Hochschulen sollen nicht »frei von Religion« sein, sondern einen zivilgesellschaftlichen Ermöglichungsraum im Sinne des Grundgesetzes erschaffen. In diesem Zusammenhang sind ESGn als natürliche Ansprech- und Gestaltungspartnerinnen u. a. für Räume der Stille zu sehen (siehe dazu Artikel 1.10 in diesem Handbuch). ESGn sind aber gleichzeitig auch Dienstleisterinnen für die Hochschulen, so z. B. in der Übernahme von Beratung in Kooperation mit der Zentralen Studienberatung und der Beratung von internationalen Studierenden im Kontext des International Office (zur Beratung internationaler Studierender siehe Artikel 2.9 und 2.10 und zur Hochschule insgesamt siehe Artikel 1.8 und 2.16 in diesem Handbuch).
4 Gesellschaftspolitische Zukunftsperspektive Lag in den 1980er-Jahren der Schwerpunkt vieler ESGn im friedenspolitischen Engagement, haben sich ihre Aktivitäten in den letzten Jahren und Jahrzehnten hin zu einem nachhaltigkeits-, demokratie- und migrationspolitischen Engagement entwickelt. Die Beschäftigung mit diesen drei Themen lassen sich aktuell in den meisten ESGn ausmachen. Das politische Handeln erwächst heutzutage aus einem gegründeten Glaubensleben, das in den ESGn in vielen Facetten gelebt wird. Beide Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Das gesellschaftspolitische Engagement der ESGn wird in der Zukunft noch eine größere Bedeutung bekommen, da die Themen »Nachhaltigkeit und Klima«, »Demokratieförderung«, »Flucht und Migration« voraussichtlich an Bedeutung gewinnen werden. ESGn setzen sich schon seit vielen Jahren gegen Rassismus und Antisemitismus ein. Dies zeigt sich z. B. in Themenabenden in den ESGn oder in Workshops bei der Vollversammlung. Auf diesen Themenfeldern sind ESGn gefragte kirchliche Partnerinnen, sowohl in städtischen als auch in kirchlichen und universitären Zusammenhängen. Durch die unbürokratischen Möglichkeiten, die ESGn zur Verfügung stehen, um schnell Ideen in Projekte umzusetzen, wird ihnen hier weiterhin eine große Bedeutung zukommen. Mit oder ohne Kooperationspartner in Hochschule, Stadt und Kirchenkreis werden ESGn Promotorinnen dieser gesellschaftspolitischen Themen sein und auf diese Weise in die jeweiligen Handlungsräume
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hineinwirken. Je nach gesellschaftlicher Entwicklung werden möglicherweise noch weitere Themenfelder z. B. aus dem Bereich der Ethik hinzukommen.
5 Ökumene und interreligiöser Dialog
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Als gesellschaftliche und kirchliche Playerin treibt die ESG den ökumenischen und interreligiösen Dialog im Hochschulkontext voran – mit den künftigen gesellschaftlichen Verantwortungstragenden anderer Konfessionen und Religionen. Eine besondere Rolle spielen dabei die Katholischen Hochschulgemeinden (KHGn), die oft in einem sehr engen Kooperationsverhältnis zur ESG stehen. Die Modelle der Zusammenarbeit reichen aktuell von zwei Gemeinden mit punktueller Zusammenarbeit über ein gemeinsames Haus und/oder Programm bis zu einer Ökumenischen Hochschulgemeinde (z. B. ÖHG oder EKHG). Für die Zukunft ist zu erwarten und zu wünschen, dass eine gemeinsame Präsenz von ESG und KHG an den Universitäten weiter verstärkt wird. Außerdem wird damit zu rechnen sein, dass vermehrt Ökumenische Hochschulgemeinden entstehen werden. Dadurch kann die Rolle kirchlicher Player im Hochschulkontext gestärkt werden. Auch jetzt schon kooperiert die ESG neben der KHG (und auf Bundesebene dem katholischen Forum Hochschule und Kirche, FHoK) intensiv mit anderen religiösen Hochschulgruppen wie muslimischen, jüdischen oder alevitischen Hochschulgruppen (auf Bundesebene mit dem Rat Muslimischer Studierender und Akademiker, RAMSA; mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, JSUD; mit dem Bund der Alevitischen Studierenden in Deutschland, BDAS). Ebenfalls kooperiert sie mit anderen evangelischen Hochschulgruppen, meistens freikirchlichen Gruppen, unter denen die Studentenmission in Deutschland (SMD) sicher die größte Rolle spielt. Eine ESG – vor Ort und auf Bundesebene – ist ohne diese ökumenischen und interreligiösen Bezüge auch in Zukunft nicht zu denken. Damit nimmt sie kirchlich gesehen eine Vorreiterrolle ein und erfährt proleptisch eine Dimension des Handelns, die gesamtkirchlich erst noch kommen wird.
6 Ausblick Die ESGn tragen einen erheblichen Teil dazu bei, dass auch in Zukunft junge Erwachsene kirchlich angesprochen werden. Sie erhalten so einen Raum, in dem sie ihre Fragen des Lebens und Glaubens bewegen und sich aufgrund dieser Erfahrungen gesellschaftlich einbringen können. Junge Erwachsene erleben sich
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durch den hohen partizipativen Charakter der ESGn als (kirchliche) Akteur*innen im akademischen Umfeld. Sie machen auf diese Weise positive Erfahrungen mit evangelischer Kirche und können an ihre vorherige Bindung anknüpfen oder sie neu eingehen. Dass auch die emotionale Bindung von Studierenden an die ESGn – und häufig insbesondere an die Pfarrpersonen und Bildungsreferent*innen – hoch ist, lässt sich an der relativ oft gestellten Anfrage für Kasualien auch als Ehemalige ablesen. Dieses Phänomen weist auch auf die Tatsache hin, dass junge Erwachsene in Ortsgemeinden häufig Schwierigkeiten haben, sich einzubringen. So sollten ESGn auch in Zukunft zum Motor dafür werden, dass junge Erwachsene als Akteur*innen und Zielgruppe in der evangelischen Kirche wahr- und ernst genommen werden. Die gegenseitige wissenschaftliche Bereicherung von Hochschule und Kirche und der sich öffnende Raum zur Diskussion diverser Themen komplettiert das Portfolio der ESGn, denen auch in Zukunft ein großer Stellenwert eingeräumt werden muss. Wer Kirche zukunftsträchtig entwickeln will – anstatt Schrumpfungsprozesse zu verlangsamen oder zu moderieren –, kommt an den ESGn, die den Zugang zu den zukünftigen Verantwortungstragenden haben, nicht vorbei. Hier ist ein Schatz an Reichtum von geistlich-liturgischem Leben, an ökumenisch und interreligiöser Vernetzung, gesellschaftspolitischem Engagement und Kreativität zu finden, den die Kirche heben sollte. Die Kirche, die junge, hochmotivierte, gesellschaftlich und kirchlich engagierte, potenziell hochverbundene Menschen als Akteur*innen und Zielgruppe wahrnimmt und ihnen einen Gestaltungsraum eröffnet, wird einen Verjüngungs- und Erneuerungsprozess erleben und kann auch in dieser Hinsicht hoffnungsvoll in die Zukunft gehen.
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Register
Abendmahl 128, 224, 231 f., 362, 365 ff. Agapemahl 365 Akademien, evangelische 94, 214, 389, 408, 421 Alevit*innen/alevitisch 243, 391, 409, 454 Alumni/Ehemalige 26, 255 f., 275 ff., 281–284, 289, 291 f., 397, 410, 455 Andacht 80, 96, 102, 128, 135, 138 f., 145 ff., 149, 152, 211, 226, 234, 270, 299 f., 323, 347 f., 358, 366, 410, 429, 436 Avantgarde 64, 407, 409 Beratung 25, 39, 64, 95–98, 159 ff., 163 ff., 169– 172, 190, 193, 196–199, 201–208, 245, 248, 253, 257, 263, 269, 272, 276, 283, 327, 342, 372, 374, 376, 383, 391, 427, 436, 438, 443, 446, 453 Best Practice 155, 375, 380, 429 Beten/Gebet 21 f., 102, 104, 106, 112, 114–117, 123, 139, 145, 211, 220, 239, 241 f., 249, 251, 261, 297–301, 303, 307, 346 f., 354, 356 f., 366, 381, 393, 410, 427 f., 436 Bewahrung der Schöpfung 13, 29, 40, 251, 293, 349, 363, 378, 383 f., 408 Bibel/Bibelarbeit 21 f., 25 f., 28 f., 32, 50, 72, 211, 216, 221 f., 224, 249, 298, 300 f., 303, 313, 327 f., 358, 361 f., 366 f., 383 Bildung/Bildungsreferent*in° 9, 13, 33, 40, 82, 84, 94, 105, 113, 144, 193, 202, 207 ff., 211 f., 214 f., 277, 305, 307, 343, 346, 360, 373, 392, 399, 410 ff., 416, 419, 432, 434, 440, 444 f., 455 ° Bundes-ESG 11, 28, 72, 74, 94, 99, 105, 144, 155, 157, 198, 211, 220, 226, 243 f., 260, 293, 301, 314, 327, 332, 347, 349 ff., 371, 373 f., 383, 386–393, 396 f., 410 f., 413, 415 f., 426, 430 f., 434, 442, 446 Café Abraham 99, 103, 240 f., 251, 367 Chor 149 f., 152 ff., 156 f., 211, 241, 264, 427
Demokratie 9, 42 f., 103, 303, 453 Diversität 103, 114, 117, 123, 126, 201, 243, 251, 431, 443, 448 Ehrenamt/ehrenamtlich 22, 77, 79, 90, 132, 153, 173 f., 242, 264, 287 f., 293, 323, 366, 371, 375 f., 397, 420, 423, 426 f., 436 f. Essen/Trinken 13, 46, 142, 156, 226, 241, 359– 367, 380 ff., 410 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 9 f., 28, 58 f., 63 f., 68, 74, 90, 94 f., 98, 103, 105, 107 f., 145, 159 f., 197, 209, 211 f., 215, 220 f., 225, 266 f., 269, 277 ff., 285, 322, 383, 386, 388, 391 ff., 408, 416, 430, 432–439, 444, 448, 450 f. Evangelisches Studienwerk Villigst 388, 438 Evangelium 45, 70 f., 129, 161, 169, 209, 211 f., 249, 286, 305, 366, 387, 416 ff., 423 ff., 428, 434–438, 452 Film 13, 47, 211, 305–308, 310 f., 313 f., 351 Flucht/Flüchtlinge/Geflüchtete 13, 97, 194, 226, 260, 303, 340, 344 f., 369–376, 382, 388, 393, 409, 412, 443, 453 Frieden 9, 29, 39 f., 118, 241, 251, 293, 306, 348, 384, 389 f., 399, 408 f., 412, 453 Fundraising 12, 256, 277, 282, 285–294, 351, 375 Geistliche Begleitung 272, 302 f. Geistliches Leben 9, 13, 43, 99, 168, 226, 297 ff., 303, 346 ff., 393, 427, 431, 451 Gemeinde 27, 32–36, 47, 50, 56 f., 68 ff., 72 ff., 77 f., 81, 99, 124, 133, 136, 139, 141, 148 f., 155, 165, 170, 209–212, 220, 222, 226, 245, 249, 252, 254 f., 273, 276, 278, 280, 283, 286, 292, 299, 342 f., 356, 362, 383, 385, 413–419, 421–424, 426 f., 429, 432 f., 435, 437, 440 Gemeindeabend 226, 299, 327, 387, 389
462 Gemeinschaft 20, 44, 47, 73 f., 137, 152, 155 f., 169 ff., 178, 182, 209, 211 f., 220–227, 232, 247, 251, 272, 275 f., 279–282, 284, 288, 305, 314, 340, 342, 346 f., 349, 354 ff., 359 f., 362, 366, 410, 417–421, 426 ff., 431 Gender 198, 252, 326 f., 330 f., 382, 388 Gerechtigkeit 29, 40, 90, 251, 293, 306, 329 f., 384, 390, 399, 408 Gesangbuch 136, 144 f., 147 f., 300, 389, 410, 451 Gesellschaft/gesellschaftlich 9 f., 12, 19 f., 22, 24, 28, 32, 36, 38–41, 47 ff., 51, 66, 70, 75, 90 f., 95, 103, 107 f., 145 f., 149, 158 f., 165, 168, 171 f., 188, 191, 203, 206, 208, 211, 215, 223 f., 233, 240, 243 f., 252 f., 255, 261, 263, 265, 269, 276, 287, 297, 312, 326, 328–332, 335 f., 338 ff., 347 f., 356, 369, 372 f., 376, 378 ff., 398–401, 408 ff., 412 f., 416, 420 f., 427 ff., 439 f., 446, 448, 451–455 Glaube 9, 21, 29, 34, 39, 45, 51 ff., 59, 70, 90 f., 94 f., 102, 104, 106 ff., 127, 135 f., 138 f., 142, 144, 148 f., 161, 164 f., 168 f., 178, 183, 209, 213, 222–225, 238, 243, 249, 252, 267, 269 f., 278–281, 283, 297–300, 303, 307, 314, 318, 345, 347 f., 354, 356, 365 f., 384 f., 392 f., 398, 409 f., 423, 426, 428, 431, 441 f., 450, 453 f. Gott 21, 29, 43, 52, 70, 72 ff., 85, 87, 91, 123–130, 137, 140 ff., 146–151, 155, 161, 168 f., 209, 224, 279 ff., 284, 297–301, 303, 305 ff., 313 f., 327– 330, 339 f., 343–347, 349, 357, 361 f., 365 ff., 381, 383 ff., 388, 410 ff., 416, 422, 434 f., 451 Gottesdienst 9, 12, 21, 25 f., 29, 35, 45, 50, 80, 85, 96, 98, 102, 123–130, 138–141, 144, 146– 153, 155 f., 159, 187, 209–212, 222, 226, 228, 231 f., 235, 255, 259, 261, 270, 272, 275, 284, 298–300, 305, 313 f., 318, 342, 347, 350, 357, 365, 367, 380, 387 f., 410, 423, 426 ff., 433, 436, 438, 440, 450 f. Grundgesetz 103 f., 107 f., 267, 409, 453 Hahn, roter 12, 50, 129 f., 224, 230 f., 290, 392 Hauptamtliche 22, 24, 62, 77, 79 ff., 91, 97 f., 105, 126, 132, 172, 174, 222 f., 225, 238, 240, 242 f., 245, 276, 283, 291, 301, 346 f., 370, 372, 376, 386 ff., 392, 400 f., 413, 429, 431, 433 Heiliger Geist 183, 280 f., 297, 345, 381, 416 Heimat (auf Zeit°) 85, 132, 135, 142, 165°, 193, 195, 225, 226 °, 237, 247 °, 275, 275 °, 276, 276 °, 277, 283, 288 °, 300, 306, 326, 343 °, 344 f., 359, 374, 441° Hochschulbeirat 64, 95, 107 f., 260, 444 Hochschulen, Evangelische 94 Hospiz zur Furche 224, 408
Register
Internationale Studierende 12, 79, 82 f., 85, 97 f., 126, 168, 172, 193–199, 201, 203, 206 ff., 217 f., 232, 234 f., 237, 245, 251, 254, 260, 263, 265, 283, 326, 343, 369, 374, 376, 382, 410, 429, 436 ff., 443, 453 Internationalisierung (der Hochschule) 114, 117, 193, 195, 203, 218, 237, 409, 443 Interreligiös/interreligiöser Dialog 9, 11 f., 99 f., 103 f., 107, 110, 113, 118, 125, 168, 170, 172, 196, 201, 211, 215, 224, 235, 237 ff., 241–245, 251, 349 f., 365, 367, 376, 391 f., 398, 430 f., 437 f., 454 f. Islam/islamisch (auch Muslim*innen/muslimisch) 55, 60, 99, 101, 104, 106 f., 110, 112– 118, 186, 206, 239–242, 244, 249, 261, 302, 332, 346, 350, 354, 365, 367, 391, 409, 438, 445 f., 454 Jesus Christus 20 f., 45, 47, 73, 99, 129, 147 f., 169, 222–225, 298, 301 f., 329, 345, 362, 411, 416, 422 Judentum/jüdisch 99, 101, 104, 107, 113, 186, 239 ff., 243 f., 302, 329, 332, 350, 354, 365, 391, 409, 438, 454 Katholik*innen/(römisch-)katholisch 9, 56, 65 f., 77, 99, 101, 104, 107, 126, 133, 144, 150, 153, 184, 187, 198, 222, 228–235, 242 ff., 257, 268, 347, 388, 390 f., 415, 430, 454 Kirchentag 24, 124, 126, 144, 211, 346, 388, 393 Klima/Klimaschutz 307, 378–383, 388 f., 391, 412, 453 Kloster (auf Zeit°) 128, 216, 270, 277, 301, 301 °, 347, 347 °, 350, 393, 393°, 410° Kommunikation 13, 65, 80, 106, 112, 132–135, 138 f., 141, 149, 169, 171, 210, 216 f., 250, 262, 271, 276 f., 280, 286–291, 301, 316 ff., 323 f., 355, 361, 366, 400, 402, 416, 437 f., 445 Kommunität 145, 155, 216, 247, 303, 347 Kultur/(inter-)kulturell 21 f., 60, 108, 115, 124, 126 f., 129, 136, 141, 146, 159, 167 f., 170 ff., 191, 196 f., 201, 203, 213, 215, 223, 226 f., 237, 240, 243 f., 249, 251 ff., 259, 263, 276, 281, 285 f., 288, 292 f., 306, 313, 327, 332, 340, 342, 348, 350, 354, 360 f., 363 ff., 373 f., 380, 382, 395, 398–403, 409 f., 422 f., 426, 429– 432, 437 f., 442 f. Landeskirche/landeskirchlich 11, 19 ff., 23–29, 49, 51, 56–59, 64, 99, 127, 191, 198, 221 f., 233, 248, 250, 257, 266–272, 285, 293, 322, 349, 376, 383, 386, 403, 413, 417, 424, 428, 430, 432, 434, 436–439, 442, 450, 452
Register
Leitung 9, 13, 21, 24 f., 28 f., 36, 40, 64–67, 69 f., 72–81, 95–98, 101 f., 104, 107, 153 ff., 157 f., 172, 174 f., 179, 233, 239, 242, 248, 250 f., 257 f., 260 ff., 286, 288, 299, 302, 326, 345, 347, 369, 399 f., 402, 409, 413, 423 f., 426 f., 430, 438, 444 f., 447 f. Liturgie/liturgisch 80, 118, 123, 125–129, 140, 144 f., 147 f., 150–153, 187, 213, 232, 255, 270, 272, 284, 298 ff., 303, 365, 367, 388, 390, 410, 423, 436, 451, 455 Mentorat 268, 270 Ministerium 31, 40, 115, 193, 202, 396, 401, 403 Musik 12, 94, 126 f., 129, 137, 140 f., 144–150, 152–157, 350, 373, 436 Nachhaltigkeit 9, 195, 208, 226, 252, 260, 262, 283, 293, 303, 349, 351, 363 f., 366, 378–381, 383, 389, 427 f., 430, 453 Neutralität 43, 45, 53 f., 60, 101 ff., 115, 175, 258 Öffentlichkeit/Öffentlichkeitsarbeit 98, 107, 125, 190, 216, 225, 229, 244, 291, 351, 373, 383, 388 f., 403, 421, 433, 439 Ökumene/ökumenisch 9, 11 f., 27 f., 59, 65, 98 ff., 104, 126, 133, 144 f., 194, 198, 223, 228–235, 243 f., 251, 259, 268, 288, 326, 346 f., 349 f., 357, 376, 381, 384, 388–391, 397 f., 408, 422, 430, 436 f., 454 f. Orthodoxie/orthodox 126, 145, 231, 234, 390 Partizipation/partizipativ 9, 72–81, 91, 129, 216 f., 234, 250, 255, 272, 279, 281, 288, 299 f., 316, 335, 339, 346, 350, 380, 393, 399 f., 402, 407 f., 410, 413, 424, 426, 428, 431, 436 f., 451, 455 Pilgern 13, 211, 216, 270, 344–347, 353–358 Politisches Engagement 9, 32, 38 ff., 42, 45, 48, 60, 145, 201, 206, 251 f., 297, 303, 369–373, 376, 399, 409 f., 412, 440, 453, 455 Predigt 96, 123, 129, 148, 366, 388 f. Queer 326 f., 330 ff., 389, 412, 430 Raum/Räume der Stille 12, 100, 102, 104, 106, 110–118, 125, 139, 172, 239, 241 f., 244, 261, 263, 438, 453
463 Reisen/Exkursionen 227, 270, 288, 343–346, 348 f., 354, 357, 396 Religion an der Hochschule 12, 95, 99–108, 240, 244, 258, 262, 302, 391, 409, 445 f., 453 Rüstzeit 26, 35, 301, 346 Seelsorge/Seelsorger*in 19, 23–26, 28 f., 34, 39, 47, 52 ff., 57, 59, 62, 65, 67, 94 ff., 110, 117 f., 127, 152, 158–165, 167, 169–182, 184 ff., 188– 191, 193, 196 f., 223, 229, 234, 247 ff., 253 f., 257, 259–264, 270, 272 f., 276, 283, 302 f., 327, 342, 369, 376, 383, 387 f., 415, 419, 426, 432 f., 435, 437, 440, 452 Social Media 13, 290, 309, 315–318, 322 ff. Spiritualität 111, 118, 145, 268, 279, 297 f., 303, 318, 353, 355 f., 358, 364, 381, 384, 410, 426, 428 Studentenwerk/Studierendenwerk 66, 98, 106, 158, 160, 171, 198, 252, 262 f., 388, 392, 408, 438 Studierendenvertretung (AStA/StuRa) 45, 47, 97, 102, 105, 323 Taizé 155, 211, 249, 303, 347, 366, 410, 428 Theologie, (Öffentliche°) 12, 19, 23 f., 28, 65 f., 94, 111, 158, 170, 191, 209, 217, 258, 266–273, 288, 294, 327 ff., 330, 388 f., 417, 433 °, 438, 438 f.° Vernetzung 26, 34, 155, 193, 198, 217, 224, 243, 258, 277, 282 f., 320, 372 f., 376, 381 f., 391 f., 437, 450, 455 Wissenschaft 94, 101, 105, 107 f., 114 f., 127, 132, 195, 207, 211 f., 214, 241, 244, 258, 263, 388, 409, 416, 433, 438 f., 444 f. Wohnheim 12, 25, 95, 98 f., 104, 141, 153, 197, 202, 229, 232–235, 247–256, 272, 275 f., 292, 344, 359 World Student Christian Federation (WSCF) 39, 43, 223, 350, 390, 397 Zivilgesellschaft 75 f., 97, 277, 281, 294, 371, 382, 453 Zukunft 10, 13, 19, 25, 29, 51, 79, 84 f., 88 f., 118, 130, 159, 199, 203, 208, 221, 236, 252, 254 f., 279, 291, 306, 308 ff., 373, 379 f., 383 f., 409, 411, 417, 440, 448, 450–455
Verzeichnis der Autor*innen
Claudia Andrews, Dr., Pfarrerin in der ESG Wuppertal und Leiterin der Fachstelle Kirchliche Begleitung (Studierende Ev. Religionslehre). Tabea Baader, Pfarrerin in der ESG Nürnberg. Jutta Becher, Pfarrerin in der ESG Gießen. Heinrich Bedford-Strohm, Prof. Dr., Landesbischof der Ev.-Luth. Kirche in Bayern und bis 2021 Ratsvorsitzender der EKD. Martin Benn, Pfarrer in der ESG Darmstadt. Matthias Burger, Dr., Pfarrer in der ÖHG Stuttgart-Hohenheim. Eugen Eckert, Pfarrer in der ESG Frankfurt am Main 1996–2016 und seit 2017 Referent der EKD für Kirche und Sport. Swantje Eibach-Danzeglocke, Dr., Pfarrerin in der ESG Aachen. Anna-Sophie Fleischhauer, Referentin für Schüler*innenarbeit und Bildung bei der aej. Sabine Fleiter, Referentin für Beratung und Bildung in der ESG Dortmund und STUBE-Koordinatorin in der Evangelischen Kirche von Westfalen. Niclas Förster, PD Dr., Pfarrer in der ESG Hannover und Lehrbeauftragter im Fach Neues Testament an der Universität Münster.
Verzeichnis der Autor*innen
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Markus Franz, Pfarrer in der ESG Leipzig, stellv. Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Bundes-ESG. Matthias Freudenberg, Prof. Dr., Pfarrer in der ESG Saarbrücken und Lehrbeauftragter im Fach Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und an der Universität des Saarlandes. Tabea Frinzel, studentisches Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Bundes-ESG; Studentin der Theologie an der Universität Göttingen. Joachim Geibel, Dr., Musikpädagoge und Chorleiter in der ESG Köln. Heidrun Greine, Pfarrerin in der ESG Paderborn. Monika Größl, Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Universität Bochum. Gisela Groß-Ikkache, Pfarrerin in der ESG Hamburg. Constance Hartung, Dr., Pfarrerin in der ESG Jena und Dozentin am Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Universität Jena. Jörg Heimbach, Pfarrer in der ESG Köln. Krischan Heinemann, Pfarrer in der ESG Kassel 2007–2020 und seit 2020 Leiter des Beratungs- und Seelsorgezentrums der Hauptkirche St. Petri in Hamburg. Corinna Hirschberg, Bundesstudierendenpfarrerin im Verband der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, Hannover. Jana Hövelmann, Wiss. Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Universität Bochum. Friedrich Hohenberger, Pfarrer in der ESG Regensburg. Kai Horstmann, Prof. Dr., Pfarrer in der ESG Saarbrücken 2000–2011 und seit 2019 Pfarrer an Berufskollegs im Kirchenverband Köln und Region.
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Verzeichnis der Autor*innen
Wolfgang Ilg, Prof. Dr., Professor für Gemeindepädagogik (Schwerpunkt Jugendarbeit) an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Christof Jaeger, Dr., Pfarrer in der ESG Hamburg und Leiter der Studentischen TelefonSeelsorge in Hamburg. Inge Kirsner, Prof. Dr., Pfarrerin in der ESG Tübingen und Lehrbeauftragte im Fach Praktische Theologie und Religionspädagogik. Annette Klinke, Referentin der Bundes-ESG für Internationale Beziehungen und Ökumene, Hannover. Doris Kreuzkamp, Referentin für Internationales, Bildung und Beratung in der ESG Gießen. Anne Lüters, Pfarrerin in der HSG Freising. Heike Luther-Becker, Referentin für die Beratung internationaler Studierender in der ESG Saarbrücken 1993–2020. Lea Kirsten Matthaei, Diakonin in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und langjährige Mitarbeiterin der ESG Ludwigsburg. Joachim Metzner, Prof. Dr. Dr. h. c. mult., Professor em. für Sprach- und Literaturpädagogik an der TH Köln 1979–2012, Präsident der TH Köln 1989–2012 sowie Vizepräsident der HRK 2008–2012; Mitglied im Beirat der ESG Köln. Andreas Mühling, Prof. Dr., Pfarrer in der ESG Trier und Lehrbeauftragter im Fach Kirchengeschichte an der Universität Trier. Alexander-Kenneth Nagel, Prof. Dr., Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt sozialwissenschaftliche Religionsforschung an der Universität Göttingen. Christiane Neufang, Pfarrerin in der ESG Köln. Uwe-Karsten Plisch, Dr., Referent der Bundes-ESG für Theologie, Hochschulund Genderpolitik, Hannover. Wiss. Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
Verzeichnis der Autor*innen
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Uta Pohl-Patalong, Prof. Dr., Professorin für Religionspädagogik, Homiletik und Kirchentheorie an der Universität Kiel. Daniel Poguntke, studentisches Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Bundes-ESG; Student der Elektro- und Informationstechnik an der TU Chemnitz. Michael Pues, Pfarrer in der ESG Bonn. Carola Ritter, Pfarrerin und Theologische Referentin im Evangelischen Zen trum Frauen und Männer, Hannover. Sieglinde Ruf, Mag. theol., Fundraiserin, Coach und Organisationsentwicklerin. Spezialisiert auf Implementierung und Prozessbegleitung u. a. im Bereich der Kirchen. Simon Schönbeck, Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Bundes- ESG (bis 2021); Student der Geschichtswissenschaften an der Universität Bielefeld. Bernd Schröder, Prof. Dr., Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Bildungsforschung an der Universität Göttingen. Harald Schroeter-Wittke, Prof. Dr., Professor für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Religionsdidaktik mit Kirchengeschichte an der Universität Paderborn. Sonja Sibbor-Heißmann, Pfarrerin in der ESG Passau. Eva Siemoneit-Wanke, Pfarrerin in der ESG Erlangen 2009–2020 und seit 2020 Pfarrerin in Fürth. Marc Wischnowsky, Dr., OKR und Referent für Schule und Hochschule, Schulpastorinnen und Schulpastoren, Schulseelsorge und Lehramtsausbildung in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.