Handbuch Online-Beratung: Psychosoziale Beratung im Internet 9783666401541, 9783525401545, 9783647401546


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Handbuch Online-Beratung: Psychosoziale Beratung im Internet
 9783666401541, 9783525401545, 9783647401546

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Für Renate und Robert, denen Computer nicht alles bedeuten.

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Stefan Kühne/Gerhard Hintenberger (Hg.)

Handbuch Online-Beratung Psychosoziale Beratung im Internet

Mit 2 Abbildungen und 9 Tabellen

2. Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 978-3-525-40154-5 © 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany Schrift: Minion Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I

Online-Beratung – eine Einführung Gerhard Hintenberger und Stefan Kühne Veränderte mediale Lebenswelten und Implikationen für die Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

II Theorie der Online-Beratung Alexander Brunner Theoretische Grundlagen der Online-Beratung . . . . . . . . . . . . . . 27 Karlheinz Benke Netz, Online-Kommunikation und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III Medien der Online-Beratung Birgit Knatz Die webbasierte Mail-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Hintenberger Der Chat als neues Beratungsmedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Brunner, Emily Engelhardt und Triz Heider Foren-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicola Döring und Christiane Eichenberg Klinisch-psychologische Interventionen mit Mobilmedien: Chancen und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 69 79

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IV Methodische Ansätze in der Online-Beratung Birgit Knatz Das Vier-Folien-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Bettina Zenner und Ludo Gielen Ein dialogischer Ansatz in der Online-Beratung . . . . . . . . . . . . 117 Claudia Beck Die systematische Metaphernanalyse in der Online-Beratung 131

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Florian Klampfer Online-Supervison im Gruppenchat – Eine Herausforderung für Supervisor und Supervisanden . . . . . . . . . . . . . . . 143 Mario Lehenbauer und Birgit U. Stetina Interaktive Programme und virtuelle Simulationen . . . . . . . . . . 155 V Zielgruppenspezifische Online-Beratung Sandra Gerö und Bettina Zehetner Frauenspezifische Online-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Josef Lang Paarberatung online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Werner Bock Zielgruppenspezifische Online-Beratung bei www.aidshilfe-beratung.de . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 VI Qualitätsstandards der Online-Beratung Petra Risau Die Wahl der Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Franz Eidenbenz Standards in der Online-Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 VII Qualifizierung für Online-Beratung Stefan Kühne Aus- und Weiterbildung in der Online-Beratung . . . . . . . . . . . . 231 Anhang Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

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Vorwort

Das Internet hat sich in den letzten Jahren zu einem Alltagsmedium entwickelt und es hat auch für den Beratungsbereich einen großen Bedeutungszuwachs erlangt. Wenn man davon ausgeht, dass sich psychosoziale Beratung an der individuellen und gesellschaftlichen Situation der Ratsuchenden zu orientieren hat, ist es nur folgerichtig, die Palette der Unterstützungsmöglichkeiten mit dem Angebot der Online-Beratung zu erweitern (Knatz, 2003). Angesichts der rasanten Entwicklung sahen sich Beratungsstellen und -institutionen in der nahen Vergangenheit mit dem Druck konfrontiert, rasch Angebote in diesem Medium bereitzustellen. Zunächst überwog allerdings eine skeptische Grundhaltung. Es wurde die Frage gestellt, ob computervermittelte Kommunikation, aufgrund der ihr innewohnenden technischen Logik, nicht zu einer emotionalen Verarmung im Beratungskontakt führen würde. Es bestand die Angst, dass internetbasierte Beratung, die in einem hohen Ausmaß anonymisiert durchgeführt werden kann, zu einer großen Unverbindlichkeit aufseiten der Klienten führt und in der Folge eine Art Fast-Food-Beratung produziert, die kurzfristig den Hunger stillt, ohne satt zu machen. Inzwischen ist der anfänglichen Schwarz-Weiß-Argumentation eine differenzierte Betrachtungsweise gewichen, in der die Chancen einer Online-Beratung ebenso bedacht werden wie die Risiken und Grenzen dieser Beratungsform. Nach einer ersten Phase ambitionierten Experimentierens wächst nun der Wunsch nach theoretischer Fundierung und methodisch-inhaltlicher Strukturierung. Erste Evaluationsstudien sind angelaufen oder bereits ausgewertet (Eichenberg, 2007; Ott, 2003). Auch die Neugründung einer Fachzeitschrift für Online-Beratung (e-beratungsjournal. net) unterstreicht diese Tendenzen. Im »Handbuch Online-Beratung« werden theoretische Überlegungen und praxeologische Erfahrungen gebündelt sowie neue Tendenzen und Entwicklungen in der Online-Beratung zusammengefasst. Im ersten Teil beschreiben Gerhard Hintenberger und Stefan Kühne in ihrem Artikel die in den letzten Jahren rasch veränderten Lebenswelten

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Vorwort

einer mediatisierten Gesellschaft, die zu ganz neuen Herausforderungen für die Beratungslandschaft geführt haben. Alexander Brunner stellt im zweiten Teil Überlegungen zu theoretischen Grundlagen der Online-Beratung an. Er beschreibt vor dem Hintergrund computervermittelter Kommunikation vier Begriffspaare (mündlich/schriftlich, sinnlich/textlich, real/imaginär, personal/depersonal) und untersucht sie auf ihre Relevanz in Hinblick auf eine theoretisch fundierte Praxis der Online-Beratung. Karlheinz Benke beleuchtet die neuen Identitätskonstruktionen, die sich durch die Etablierung virtueller Räume in unserem Alltag ergeben. Im dritten Teil werden die unterschiedlichen Medien in der OnlineBeratung genauer betrachtet. Birgit Knatz stellt die wesentlichen Elemente einer webbasierten Mail-Beratung dar, in der die Besonderheit einer zeitversetzten Kommunikation zum Tragen kommt. Interventionsstrategien der Chat-Beratung werden im Artikel von Gerhard Hintenberger beschrieben. Alexander Brunner, Emily Engelhardt und Triz Heider fassen den aktuellen Forschungsstand zur Foren-Beratung zusammen und stellen Überlegungen zu den Besonderheiten dieser Beratung im öffentlichen Raum an. Online-Beratung ist nicht nur an den Computer gebunden. Zunehmend kommen auch mobile Medien wie Handys, PDAs und Ähnliches mehr unter dem Stichwort »M-Beratung« zum Einsatz. Nicola Döring und Christiane Eichenberg geben einen Überblick über bereits realisierte Einsatzmöglichkeiten und leuchten Beratungspotenziale mobiler Medien aus. Der vierte Teil beschäftigt sich mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen in der Online-Beratung. Birgit Knatz stellt in ihrem Artikel das von ihr entwickelte Vier-Folien-Konzept vor, mit dessen Hilfe ein strukturiertes Beantworten von Mails möglich wird. Wie dialogische Ansätze auf dem Hintergrund des sozialen Konstruktionismus für die Online-Beratung adaptiert werden können, wird von Bettina Zenner und Ludo Gielen näher erläutert. Claudia Beck übersetzt das Konzept der systematischen Metaphernanalyse für die Online-Beratung und Florian Klampfer setzt sich mit den Möglichkeiten einer Supervision über das Internet auseinander. Auch das Internet selbst ist natürlich in ständiger Veränderung. Als Web 3.0 werden dreidimensionale, virtuelle Umgebungen bezeichnet. Wie virtuelle Simulationen für die OnlineBeratung genutzt werden können, fassen Mario Lehenbauer und Birgit U. Stetina zusammen.

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Vorwort

Der fünfte Teil des Buches steht unter der Überschrift »Zielgruppenspezifische Online-Beratung«. Sandra Gerö und Bettina Zehetner beschreiben Online-Beratung unter frauenspezifischen Aspekten. Über Praxismodelle und den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf Paarberatung online gibt der Aufsatz von Josef Lang Auskunft. Werner Bock ermöglicht Einblicke in die Arbeit von Online-Beratungsstellen der Aidshilfe. Im abschließenden Teil des Buches beschäftigt sich zunächst Petra Risau mit technischen Standards und dann beschreibt Franz Eidenbenz inhaltliche Standards der Online-Beratung. In Bezug auf eine weiter voranschreitende Professionalisierung ist diesen Bereichen um so mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Stefan Kühne stellt schließlich Überlegungen an, wie im Sinne eines zusätzlichen Qualitätsmerkmals Aus- und Weiterbildung in der Online-Beratung sinnvoll erfolgen kann. Um eine bessere Lesbarkeit zu erzielen, wird in diesem Buch auf eine durchgehend parallele Verwendung der weiblichen und männlichen Schreibweise verzichtet. Um eine gendergerechte Schreibweise zu ermöglichen, wird in den einzelnen Artikeln abwechselnd die weibliche und männliche Form benutzt. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Gerhard Hintenberger Stefan Kühne

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Online-Beratung – eine Einführung

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Gerhard Hintenberger und Stefan Kühne

Veränderte mediale Lebenswelten und Implikationen für die Beratung

In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation finden sich widersprüchliche Strömungen, die in ihren Auswirkungen bis in den privaten Raum spürbar sind: Auf der einen Seite gibt es Entscheidungsfreiheiten, die einen Entwurf der eigenen Biografie weitgehend unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben und Zwängen ermöglicht, andererseits sind kaum mehr Alternativen zu einem eigenverantworteten Lebensstil vorhanden. Ein adäquater Umgang mit der großen Anzahl an Wahlmöglichkeiten setzt bestimmte materielle Ressourcen sowie psychische und soziale Kompetenzen voraus, ohne die der »homo optionis« (Höhn, 1998, S. 117) seinen Alltag nicht hinreichend gut bewältigen kann. Es sind die »riskanter werdenden Chancen des Subjekts« (Keupp, 1994, S. 29), die zu neuen Problemkonstellationen führen und somit auch Einzug in den Kontext psychosozialer Beratung gehalten haben. Der gesellschaftliche Wandel wird zudem von einer sich radikal verändernden Medienlandschaft und -nutzung begleitet. Mithilfe digitaler Technologien entstehen neue Möglichkeiten der Informationsverarbeitung, der Informationsspeicherung und der Informationsübertragung und damit in der Folge auch neue Kommunikationsformen. Die Beratungslandschaft sieht sich dadurch mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert. Klienten und Klientinnen, denen der Umgang mit digitaler Kommunikation alltagsvertraut ist, erwarten bei eigenem Beratungsbedarf auch eine Ausweitung der Beratungszone in den virtuellen Raum. Sie nutzen die Möglichkeit zu weitgehender Anonymität durch computervermittelte Kommunikation für Themen, die den Schutz durch Distanz benötigen, ohne die Intensität direkter Kommunikation aufgeben zu müssen. Sie emanzipieren sich von den strukturellen Vorgaben einer Beratungsstelle, wie zum Beispiel den Vorgaben der Öffnungszeiten, indem sie das asynchrone Kommunikationsmedium E-Mail für die Formulierung ihres Beratungsanliegens verwenden. Dies wirft nicht

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Online-Beratung – eine Einführung

nur methodisch-inhaltliche Fragen auf, sondern zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Beratung ist »im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit« (Engel, 2002, S. 135) angekommen.

Beratung im Zeichen soziokulturellen Wandels Obwohl sich tief greifende Veränderungen in nahezu allen relevanten Bereichen, sowohl gesellschaftlich als auch individuell bemerkbar machten, vollzog sich dieser Wandel schleichend, zunächst scheinbar ohne entsprechendes Korrelat im Bewusstsein der Betroffenen. Erst an den Bruchstellen, wo das Fehlen von Bewältigungsmechanismen zu psychischen Verstörungen führte, wurde auch die Kehrseite der neuen Entwicklung offensichtlich. Natürlich wird in den einzelnen Fachdisziplinen nach Erklärungsmodellen und handlungsleitenden Konzepten im Umgang mit den neu entstandenen Realitäten gesucht, gleichzeitig werden sie allerdings mit der Tatsache konfrontiert, dass sie selbst Teil dieser Entwicklung und des damit einhergehenden Verlustes überschaubarer Ansätze sind. Individualisierung und Pluralisierung sind also die Hauptüberschriften im Kapitel über den soziokulturellen Wandel in postmodernen Gesellschaften. Individualisierung beschreibt einerseits Freisetzungsprozesse aus traditionellen Strukturen, andererseits Anforderungen, die zwanghaft verordnete Selbstbestimmung begleiten. Fragen des persönlichen Lebensstils und der Lebensgestaltung können zunehmend unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben beantwortet werden. Allerdings führt der Verlust struktureller Geborgenheit (Petri, 1996; Metzmacher u. Zaepfel, 1996) auch zu einem Unsicherheitserleben, das möglicherweise in einem Zusammenhang mit dem Ansteigen von Angsterkrankungen zu sehen ist. Chur (2002) umschreibt die konkreten Aspekte der Individualisierung mit der Diskontinuität von Biografien, dem Wandel familiärer Strukturen, dem Wandel des Erwerbssystems und umgreifenden Beschleunigungsprozessen. Kohärente Erfahrungen, so der gemeinsame Nenner, sind im Abnehmen, vorher planbare Biografien, seien sie privater oder beruflicher Natur, kaum mehr möglich. Dem klassischen Subjektbegriff steht neuerdings das Konstrukt multipler Identitäten gegenüber. Andererseits betonen sämtliche ernst zu nehmenden psy-

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chologischen Theorien die Notwendigkeit, sich im Wandel der Zeit als ein und derselbe zu erleben. Psychische Krankheit wird umgekehrt als Verlust dieses inneren Zusammenhangs verstanden. Sozialpsychologen, wie zum Beispiel Keupp, plädieren allerdings nicht für eine Aufgabe des Kohärenzbegriffs, sondern für eine begriffliche Neuorientierung: »[. . . ] es wäre gut, sich von einem Begriff von Kohärenz zu verabschieden, der als innere Einheit, als Harmonie oder als geschlossene Erzählung verstanden wird. Kohärenz kann für Subjekte auch eine offene Struktur haben, [. . . ]. Entscheidend bleibt allein, dass die individuell hergestellte Verknüpfung für das Subjekt selbst eine authentische Gestalt hat, jedenfalls in der gelebten Gegenwart, und einen Kontext von Anerkennung, also in einem Beziehungsnetz von Menschen Wertschätzung und Unterstützung gefunden hat. Es kommt weniger darauf an, auf Dauer angelegte Fundamente zu zementieren, sondern eine reflexive Achtsamkeit für die Erarbeitung immer neuer Passungsmöglichkeiten zu entwickeln« (Keupp, 1999, S. 57).

Im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit fällt psychosozialer Beratung eine neue Orientierungs- und Landkartenfunktion zu. Sie unterstützt Menschen dabei, »Schlüsselkompetenzen für ein gelingendes Alltagshandeln« (Chur, 2002, S. 104) zu erlangen und sich in der großen Anzahl an Lebensstilmöglichkeiten zurechtzufinden, ohne sich im Möglichkeitsraum zu verlieren (Metzmacher u. Zaepfel, 1996). Online-Beratung ist hier besonders geeignet, niederschwellige und flexible Hilfe zu leisten. Diese Hilfsangebote bewähren sich sowohl in der Prävention (vgl. das Angebot der Betriebskrankenkassen unter www. portal-gesundheitonline.de), im Beratungsalltag (vgl. die Evaluation des Angebots von Pro Familia, Eichenberg, 2007) als auch in der Nachsorge psychosomatischer Kliniken (Wangemann u. Golkaramnay, 2004; Haug, Wolf, Golkaramnay u. Kordy, 2005).

Wie Medien den Alltag verändern »Weitere Informationen und Hintergrundberichte zu diesem Thema finden Sie wie immer auf unserer Internetseite unter heute.de«

Das Internet ist zu einer Hauptreferenz geworden. Egal, ob es um weiterführende Nachrichten zu einem bestimmten Thema geht oder um die Verfügbarkeit von Daten, Informationen, Waren und Wissen: keine Firma ohne Internetseite, keine Zeitung ohne Online-Präsenz, keine Partei und kein Verein ohne die eigene Homepage. Die Domain-Namen

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Online-Beratung – eine Einführung

als geografische Verortung im Netz sind günstig zu haben, der eigene Claim ist damit für wenig Geld abzustecken. Wie bei Nachrichtensendungen nimmt das Internet dabei oft die Datenmengen auf, die zum Beispiel in der zur Verfügung stehenden Sendezeit keinen Platz mehr haben. Der Hinweis der Nachrichtenmoderatorin »wie immer« macht dabei deutlich, dass uns der rasche Wandel der medialen Landschaften schon nicht mehr bewusst ist. Während vor wenigen Jahren noch die Internetadresse mit dem »http://www« vom Moderator von einer Karteikarte abgelesen wurde, kann bei den heutigen Empfängern der Code als bekannt vorausgesetzt werden. Inzwischen wird sogar der Punkt nicht mehr gesprochen, es genügt der Hinweis auf »heute dee-ee«. Damit verstehen alle, dass hier eine Referenz zum Internet vorliegt. Wir mailen, chatten, posten, wongen, xingen, downloaden, smsen, googlen, bloggen, skypen, daten, networken etc. Das und vieles mehr tun wir im Internet, wir verwenden dafür teilweise Programme, die es vor zwei Jahren noch nicht gab und die es in zwei Jahren vielleicht so nicht mehr geben wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass all das, was es bereits in der realen Welt gibt, mit einem »E-« versehen, auch in der virtuellen Welt vorkommen kann: E-Government, E-Health, E-Commerce, E-Coaching, E-Learning, E-Teaching, E-Therapy, E-Voting, E-Banking etc. (alternativ können auch die Präfixe »Cyber-«, »Online-« oder »Tele-« eingesetzt werden). Zusätzlich werden diese Entwicklungen in einen größeren Kontext eingebunden, wir leben angeblich in einer »Wissensgesellschaft«, leiden am »Google-Copy-Paste-Syndrom«, sehen uns mit »digitalen Herausforderungen« konfrontiert und haben zu befürchten, dass die nach uns kommende Generation eine »Net Generation« ist, was immer das heißen mag. Die Vielfalt, mit der in der Sprache versucht wird, die derzeitigen medialen Entwicklungen zu beschreiben, ist beeindruckend und meistens Englisch. Und obwohl nicht jeder die angeführten Beispiele kennt oder versteht, so wird doch deutlich, dass es sich um einen Bereich der Alltagswelt handelt, der in seiner Komplexität nicht leicht zu fassen ist. Durch die sehr rasche Veränderung und Entwicklung des Internets und seiner Dienste wird es auch zunehmend schwieriger, die eigene Medienbiografie im Blick zu haben und zu planen. Eine Voraussage, mit

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welchen Medien wir in den kommenden Jahren leben werden, scheint fast nicht möglich. Im Unterschied zum Fernsehen, das als Medium immer noch sehr aktuell ist, haben wir es bei den so genannten Neuen Medien mit einer Medienform zu tun, die Interaktion mit dem User ermöglicht, zum Teil sogar voraussetzt. Damit wird die mediale Lebenswelt zu einer subjektiven Medienwelt, denn während vor dem Fernseher oftmals zwei oder mehrere Personen sitzen, so gibt es bei der Nutzung des Internets einen Monitor, eine Tastatur und eine Maus – gemacht für einen Benutzer, der im Internet surft, parallel mit vielen anderen, die sich ebenfalls vor einem Computer befinden und das Internet nutzen. Dabei kann es sein, dass im virtuellen Raum Begegnungen stattfinden (z. B. im Chat). Bei der Fülle von virtuellen Orten ist es jedoch wahrscheinlicher, dass der User allein in den Weiten des Cyberspace unterwegs ist. Das Internet ist dabei nicht nur Hauptreferenz, sondern es bietet alles, was man sich denken kann, und vieles, woran man nicht gedacht hat. Von der Flugbuchung übers Online-Banking bis hin zum Ersteigern von Waren bei eBay, dem Herunterladen des neuesten Albums der Lieblingsband und dem Flirten auf einem Online-Dating-Portal: vieles ist bequem vom Computer aus zu machen und entgegen der Befürchtungen der neunziger Jahre, in denen zum wiederholten Mal der Untergang des Abendlandes vorausgesagt wurde, gibt es dieses immer noch, wenn auch im Bereich der Medien hochgradig verändert. Mediale Lebenswelten sind heute vielfältig und unüberschaubar. Selbst wenn heute Mediennutzung gelingt, kann es sein, dass sich die User schon morgen wieder an neue, andere Medien anpassen und gewöhnen müssen. Medienkompetenz muss damit immer wieder und immer wieder neu gelernt und ausprobiert werden.

Exkurs: Virtualität, Realität, Wirklichkeit Virtuelle Welten, virtuelle Beratung, virtuelle Kommunikation: Die Virtualität hat Einzug in unseren Sprachalltag gehalten, ohne dass allerdings der genaue Bedeutungsgehalt bewusst mitgedacht wird. Real und virtuell werden in diesem Kontext oftmals als Gegensatzpaar gesehen, wobei der Virtualität die negative Komponente des Nicht-Vollwertigen anhaftet. Etwas ist nur virtuell und eben deshalb nicht ganz real.

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Online-Beratung – eine Einführung

Ein Blick in die Diskursgeschichte der Philosophie zeigt, dass Virtualität (im Sinne von »der Möglichkeit nach vorhanden«) keineswegs immer als Gegenbegriff zur Wirklichkeit gesehen wurde. Welsch (1998) verweist auf Kant und dessen berühmtes Hundert-Taler-Argument, mit dem er nachweist, dass hundert wirkliche Taler nicht mehr enthalten als hundert mögliche, also virtuelle Taler. Kant unterscheidet dabei zwischen Virtualität, Realität und Wirklichkeit. Realität zielt bei Kant auf den Sach- und Begriffsgehalt. Hundert wirkliche Taler sind, begrifflich gesehen, nicht mehr als hundert mögliche Taler, sonst spricht man nicht mehr von ein und derselben Sache. Hundert Taler bleiben also hundert Taler, unabhängig davon, ob ich sie in meinen Händen halte oder sie mir vorstelle. Für meinen Vermögensstand macht es allerdings einen Unterschied, ob ich die hundert Taler wirklich besitze. Wirklichkeit geht also bei Kant über die Realität und die Virtualität um das tatsächliche Gegebensein hinaus und gründet so Existenz (Welsch, 1998). Sobald also zwei Kommunikationspartner miteinander chatten, kann nicht mehr von virtueller Kommunikation gesprochen werden: Es findet wirkliche Kommunikation mit all ihren Begleiterscheinungen (wie z. B. Verstehen, Missverstehen, Informationsaustausch, Freude, Ärger, . . . ) statt. Natürlich läuft sie unter anderen Voraussetzungen ab als eine Face-to-Face-Kommunikation. Sie bleibt allerdings nicht in der Unbestimmtheit des Virtuellen hängen. Virtualität und Wirklichkeit stehen sich also näher und sind gegenseitig mehr voneinander durchdrungen, als uns dies der alltagssprachliche Umgang mit diesem Begriff glauben machen will. Zudem scheint die Wirklichkeitsakzeptanz neuer Phänomene auch etwas damit zu tun zu haben, wie lange sie bereits in unserem Alltag einen Platz gefunden haben. Welsch (1998) weist zurecht darauf hin, dass heute wohl niemand mehr ein Telefonat als weniger wirklich bezeichnen würde, als eine Face-to-Face-Kommunikation. Für Phänomenologen ist die Wirklichkeit nur indirekt erschließbar und bleibt an die (leibliche) Wahrnehmung rückgebunden (MerleauPonty, 1974/1945). Nur was wahrgenommen werden kann, ist wirklich. Dies gilt auch für den Bereich der Virtualisierung, durch die etwas als möglich erfahren werden kann. Die erfahrbare Wirklichkeit, so Wadenfels (1998), ist also immer auch offen gegenüber der Möglichkeit beziehungsweise Virtualität und kommt nie als reine Wirklichkeit vor. So

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G. Hintenberger und S. Kühne – Veränderte mediale Lebenswelten

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kann, wenn vom Cyberspace die Rede ist, dies bestenfalls als Metapher geschehen. Denn: »Der Raum, in dem der Cyberspace installiert wird, ist so wenig ein Cyberspace, wie das Bett, in dem der Träumende ruht, ein geträumtes Bett ist. Man kann den Rahmen, in dem sich Virtuelles abspielt, verdecken, man kann ihn nicht aufheben« (Wadenfels, 1998, S. 239).

Wenn im Internet Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden und in diesem Zusammenhang von Chaträumen, schwarzen Brettern, Erzählcafés oder vom Flüstermodus gesprochen wird, ist weniger von virtuellen Welten als vielmehr von Simulationen die Rede, in denen versucht wird, möglichst detailgetreu bestimmte Eigenschaften gegebener Realitäten abzubilden (Esposito, 1998). Natürlich wirken die Neuen Medien zurück in die Wirklichkeit und beeinflussen diese zum Teil massiv. Dies führt unter anderem dazu, dass psychosoziale Beratungsstellen, die bislang auf Beratung in einem Face-to-Face-Setting spezialisiert waren, sich Gedanken machen müssen, wie sie Beratung über das Internet fachlich fundiert realisieren können. Neue Medien schaffen also neue Realitäten, allerdings nicht »[. . . ] durch eine Abschaffung der Wirklichkeit, sondern durch deren Veränderung: durch die Eröffnung der Möglichkeit, uns nahezu andauernd auf Situationen zu beziehen, in denen wir nicht sind« (Seel, 1998, S. 265).

Wirksamkeit und Möglichkeiten von Selbstpräsentation Mit der Verfügbarkeit der Neuen Medien zu jeder Tages- und Nachtzeit an (fast) jedem Ort ist es möglich geworden, sich von überall und jederzeit mit der eigenen Umwelt in Beziehung zu setzen, auch und gerade, wenn damit große Distanzen überwunden werden müssen. Die zu erfahrende Welt ist in diesem Sinne distanzlos geworden und wo zum einen geografische Entfernungen überbrückt werden können (wie dies auch schon beim Telegrafen und dem Telefon der Fall war), verändern sich zum anderen die Zeitstrukturen des Sich-in-BeziehungSetzens nachhaltig, ebenso wie die Wahrnehmung von Kommunikation und ihrer Dauer. Während ein Brief die Zeit zum Empfänger brauchte, dann beantwortet wurde und wieder einige Tage benötigte, bis er beim ursprünglichen Absender angekommen war, ist die E-Mail ein Musterbeispiel der Beschleunigung dieser Kommunikationsstrukturen (Rosa,

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Online-Beratung – eine Einführung

2005). Kaum abgesendet, beginnt der Prozess des Wartens auf Antwort, denn durch die Technik ist die Reisezeit der Nachricht sehr kurz. Der Empfänger hat schon Augenblicke später die Möglichkeit, diese zu bekommen, zu lesen und sie zu beantworten. Der moderne Mensch ist damit oft erreichbar und noch öfter verfügbar geworden – mitunter auch verführbar. Während es einer gewissen Form der Selbstdisziplin bedarf, sich aus diesen Erreichbarkeiten und Verfügbarkeiten zurückzuziehen, werden zugleich in einem hohen Maße die Neuen Medien, allen voran das Internet, zur eigenen Selbstpräsentation benutzt. Im beruflichen wie im privaten Alltag haben in den letzten Jahren die Möglichkeiten stark zugenommen, sich bzw. Teile oder Bilder von sich selbst im virtuellen Raum zu präsentieren. Schnell ist ein Profil angelegt, um etwa mit Geschäftspartnern in einem »social network« Kontakte zu pflegen (z. B. www.xing.com), und wer im privaten Bereich vernetzt sein möchte, hat die reichhaltige Auswahl, bei anderen Plattformen ebenfalls mit einem Profil präsent zu sein (z. B. www.facebook.com). Diese Profile bieten den Nutzern Gelegenheit, Daten zur eigenen Person einzugeben, und auch wenn der Grad der Veröffentlichung dieser Daten variiert, sind doch inzwischen viele Profile in Teilen öffentlich einsehbar. Damit ist eine Möglichkeit entstanden, sich selbst in den Weiten des Cyberspace darzustellen. Bereitwillig geben Nutzerinnen dabei Daten und Informationen von sich preis. Im Unterschied zur Skepsis der Bevölkerung bezogen auf eine Volkszählung (wer diese Daten erhebt und wofür sie verwendet werden) sind die heutigen Nutzer des Internet gerne bereit, aus jedem Lebensbereich die entsprechenden Daten und Informationen in ein Profil einzutragen und somit auf einem Server abzulegen, der sich der eigenen Kontrolle entzieht. Einmal eingegeben, sind diese Daten nur schwer wieder zu löschen, denn noch nicht einmal der physische Ort, wo sie abgespeichert sind (Server), ist dem Nutzer bekannt. »[. . . ] das Internet macht das private Selbst sichtbar und stellt es einem abstrakten und anonymen Publikum vor, das gleichwohl kein Publikum ist [. . . ], sondern eine bloße Ansammlung privater Selbste. Im Internet wird aus dem privaten psychologischen Selbst ein öffentlicher Auftritt« (Illouz, 2007, S. 119).

Es ist dieser öffentliche Auftritt, der das Reizvolle an der Selbstpräsentation im Internet ausmacht. Der User bestimmt den Ort mit der Auswahl der Plattform, des Weblogs, der Homepage etc., und der User bestimmt

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G. Hintenberger und S. Kühne – Veränderte mediale Lebenswelten

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die Art und Weise, wie er sich an diesem Ort präsentieren möchte. Er wird zum Regisseur seiner Präsentation im Internet und kann sich dabei so inszenieren, wie er möchte, dass Andere ihn und das Abbild von ihm sehen sollen. Der Grad der Abbildung des eigenen Selbst ist dabei frei bestimmbar, von einer Annäherung an die reale Person bis hin zur Gestaltung einer völlig neuen, fiktiven Figur – die Nutzerinnen sind damit Urheberinnen des entstehenden Bildes. Durch das Profil in einem Netzwerk ist der User auf einer weltweiten Bühne präsent. Wo immer ein anderer User Zugang zum Internet hat, ist diese Präsentation seiner Person verfügbar und einsehbar, das Bild ist da, unabhängig davon, ob der User, dem dieses Profil gehört, gerade online ist oder nicht. Damit unterscheidet sich die heutige Möglichkeit der Selbstpräsentation wesentlich von den Möglichkeiten, wie sie noch vor zwanzig Jahren vorhanden waren. Durch das Potenzial, dass jeder grundsätzlich zu einer öffentlichen Person werden kann, verändert sich zudem die Einschätzung, wer eine prominente Persönlichkeit ist und wer nicht. Wenn das Video einer Person auf Youtube über zwei Millionen Mal gesehen wurde, so sind dies im Vergleich mit den klassischen Einschaltquoten des Fernsehens enorme Wirksamkeiten. Neben der gewohnten sozialen Interaktion im eigenen Lebensbereich kann damit die Interaktion zu einer unbestimmten Menge von Individuen ausgeweitet werden. Diese Ausweitung findet zwar im virtuellen Raum statt, sie ist jedoch dann ganz real, wenn zum Beispiel auf das Profilfoto oder auf das Video Rückmeldungen von anderen Nutzerinnen erfolgen. Die Zuschauer der eigenen Inszenierung sind weltweit verstreut, inhomogen, zufällig und unbekannt – tritt einer von ihnen aber in Kontakt, löst er sich aus den Weiten des Cyberspace und wird real. Bezogen auf den Bereich der Online-Beratung heißt dies, dass Klienten sich in ihrem Sinne dem Berater präsentieren können. Auch wenn es dabei weniger um eine Inszenierung geht, beeinflussen Klientinnen die Bilder, die sie von sich geben. So kann zum Beispiel nur eine einzelne Fragestellung ins Zentrum des Interesses gestellt und damit auf zentrale Punkte fokussiert werden, während andere Elemente und Themen im Dunklen bleiben. Auch hier entsteht ein realer Kontakt zwischen zwei Personen, selbst wenn sich beide im sogenannten virtuellen Raum aufhalten.

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Online-Beratung – eine Einführung

Folgerungen für die Beratung Psychosoziale Beratung sieht sich in mehrfacher Hinsicht mit den Auswirkungen soziokultureller Veränderungen im Allgemeinen und digital-medialer Veränderungen im Speziellen konfrontiert. Onlinemedien haben grundsätzlich salutogene und pathogene Potenziale (siehe Döring und Eichenberg in diesem Buch). So berichten Berater über eine Zunahme von Phänomenen wie exzessives Computerspielen, Internetabhängigkeit, virtuelle Seitensprünge und Ähnliches mehr. Aber auch aufseiten der Ratsuchenden gibt es Veränderungen. Der Umgang mit internetbasierten Kommunikationsmedien ist für viele zum Alltag geworden. Für sie ist es selbstverständlich, dass Beratung auch über diese Kanäle erfolgen kann. Im Zeitalter von Individualisierung und Flexibilisierung sind sie es gewohnt aus einer Vielzahl an Beratungsangeboten auszuwählen und diese auch orts- und zeitungebunden zu nutzen. Online-Beratung wird vorwiegend von Klienten und Klientinnen genutzt, − die aufgrund besonderer Themen den Schutz der Anonymität sowie Möglichkeiten zur Kontaktsteuerung benötigen, um ihre Probleme offen kommunizieren zu können (Knatz, 2003). − deren Mobilität oder Lebensumstände es nicht zulassen, eine Faceto-Face-Beratung aufzusuchen. − die lokal keine Beratung in Anspruch nehmen können oder wollen. − denen aufgrund ihrer Sozialisation (z. B. Jugendliche) oder ihrer beruflichen Tätigkeit computervermittelte Kommunikation alltagsvertraut ist. − die unter sozialem Druck stehen. − deren Zeit es nicht zulässt, Beratungsstellen während begrenzter Öffnungszeiten aufzusuchen. − die lieber schreiben als reden. Dem steht eine traditionell skeptische Haltung von Beratern und Beraterinnen in Bezug auf Neue Medien gegenüber. Es wird die Frage gestellt, ob computervermittelte Kommunikation nicht, aufgrund der ihr innewohnenden technischen Logik, zu einer emotionalen Verarmung im Beratungskontakt führt. Es besteht die Angst, dass eine internetbasierte Beratung, die in einem hohen Ausmaß anonymisiert durchgeführt werden kann, auch eine große Unverbindlichkeit aufseiten der Klientinnen

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hervorruft und in der Folge eine Art Fast-Food-Beratung produziert, die kurzfristig den Hunger stillt, ohne satt zu machen. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Beratung ohne Medienbezug nicht mehr vorstellbar ist (Engel, 2002), sei es durch medienbezogene Themen, die sich in Beratungsverläufen spiegeln, oder durch den Einsatz digitaler Medien in Beratungsprozessen. Die im Beratungsfeld handelnden Personen benötigen ihrerseits Unterstützung, um hinreichend gute Beratungsarbeit im Medienzeitalter leisten zu können. Sowohl individuelle als auch institutionelle Ressourcen und die Ausbildung medienbezogener Kompetenzen sind notwendig, um mit diesen Anforderungen zurecht zu kommen. Dazu zählen: − ein erweitertes Angebot themenspezifischer Fortbildungen; − die Entwicklung theoretisch fundierter Interventionsstrategien für die Online-Beratung; − Wirksamkeitsstudien für Beratungsangebote, die über Neue Medien abgewickelt werden; − zusätzliche Finanzierungsmodelle für Online-Beratung seitens der Subventionsgeber; − die Entwicklung von inhaltlichen und technischen Standards sowie Datenschutzrichtlinien, die sowohl für Berater und Beraterinnen als auch für Beratungsinstitutionen mit einem Online-Beratungsangebot verpflichtend sind.

Fazit Online zu sein, ist selbstverständlich geworden. Viele Dienste, Serviceleistungen und E-Commerce-Anbieter sind in das Alltagsgeschehen fest integriert, ohne dass dies noch besonders bemerkt wird. Ebenso selbstverständlich wenden sich Klienten im Internet an Beratungsstellen, um Rat und Hilfe zu bekommen. Sie tun dies über E-Mail, Chats und Foren – für Berater und Beraterinnen eine Herausforderung. Während die Neuen Medien integraler Bestandteil des Alltags geworden sind, hat die Entwicklung der professionellen psychosozialen Beratung im Internet noch nicht den Status des Selbstverständlichen erreicht. Neben den Pionieren der Online-Beratung gibt es bereits eine Reihe von Beratungsstellen, die sich dieser Herausforderung stellen und auf Basis der verfügbaren wissenschaftlichen Forschung sowie den Konzepten

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Online-Beratung – eine Einführung

zur Qualitätssicherung ihr Angebot ausbauen. Obwohl angesichts des schnellen technischen Fortschritts Prognosen zur kommenden Entwicklung schwierig sind, kann eines doch als wahrscheinlich angenommen werden: Online-Beratung wird in absehbarer Zeit integraler Bestandteil der medialen Lebenswelten von Klienten und Beraterinnen sein – ganz selbstverständlich.

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II Theorie der Online-Beratung

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Alexander Brunner

Theoretische Grundlagen der Online-Beratung

Vorbemerkungen Online-Beratung ist in den letzten Jahren auch im europäischen Raum zu einer weit verbreiteten und ausdifferenzierten Praxis herangereift. Neben der Praxis trägt auch die theoretische Auseinandersetzung mit Online-Beratung inzwischen Früchte, wie nicht zuletzt die Publikation dieses Handbuchs für Online-Beratung zeigt. Trotzdem wird man nach wie vor feststellen müssen, dass bezüglich der theoretischen Grundlagen der Online-Beratung als einer eigenständigen Theorie für eben diese Praxis weiterhin Nachhol- bzw. Reflexionsbedarf besteht. Dabei ist prinzipiell zu fragen, was eine solche Theorie leisten kann (und soll) und vor allem, wo sie in diesem bunten und interdisziplinär gewachsenen Feld an verschiedensten Einflüssen (Kommunikationstheorie, Medienwissenschaften, Medienphilosophie, Medienpsychologie, Psychotherapie und Beratung etc.) ihren Ankerpunkt suchen soll. Eine weitere offene Frage ist weiterhin, inwiefern sie sich dabei an Theorien der Face-to-Face-Beratung und, was vielfach unberücksichtigt bleibt, an Erfahrungen mit anderen Formen mediatisierter Beratung orientieren kann und soll. Zumindest für das Telefon als Medium der Beratung liegen einige interessante Analysen vor (Hornschuh, 1990; Schmidt, 1990). Online-Beratung ist durchaus etwas Neues, mediatisierte Beratung dagegen nicht. Über Telefon, Ratgeberliteratur, Talkshows, Briefe und Zeitschriften findet und fand schon lange bevor es Online-Beratung gab, eine nicht unmittelbare über Medien vermittelte Beratung statt. Eine Analyse muss sich daher nicht nur dem spezifisch Neuen von Online-Beratung gegenüber Face-to-Face Beratung, sondern ebenso der Eigenheiten der mediatisierten Kommunikation und Interaktion im und durch das Internet und deren Auswirkungen auf zentrale Konzepte wie etwa Person, Identität oder Beziehung annehmen. Aus der Vielfalt möglicher Zugänge zu theoretischen Grundlagen der Online-Beratung wird im Folgenden ein Ansatz gewählt, der auf

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einer Metaebene von vier zentralen Themenfeldern für Beratung ausgeht, unabhängig ob mediatisiert oder nicht. Diese Themenfelder lassen sich mit Kommunikation/Interaktion, Beziehung/Gefühle, Kontext/ Raum sowie Person/Identität umschreiben. Das Hauptaugenmerk wird auf dem Themenfeld Kommunikation/Interaktion liegen, während die anderen drei Themenfelder in daran anschließenden Überlegungen Raum finden werden. Es ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich, eine übergreifende Theorie der Online-Beratung zu entwerfen. Die folgenden Ausführungen sollen jedoch Anstöße für weitere Reflexionen in diese Richtung bieten, damit aus den impliziten theoretischen Vorannahmen der Praxis der Online-Beratung immer mehr eine theoretisch gesättigte und reflektierte Praxis entstehen kann.

Beratung und Kommunikation Folgt man einer gängigen Bestimmung, ist »Beratung […] zunächst eine Interaktion zwischen zumindest zwei Beteiligten, bei der die beratende(n) Person(en) die Ratsuchende(n) – mit Einsatz von kommunikativen Mitteln – dabei unterstützen, in Bezug auf eine Frage oder auf ein Problem mehr Wissen, Orientierung oder Lösungskompetenz zu gewinnen« (Sickendiek, Engel u. Nestmann, 2002, S. 13). Auch Rainer Schützeichel hebt diesen Aspekt in der Beschreibung von Beratung als kommunikative Gattung hervor, wenn er schreibt: »Denn dies scheint die erste wichtige Eigenschaft von Beratungen zu sein – es handelt sich um Kommunikationen zwischen einem Ratgeber und einem Ratsuchenden. Die beratende Kommunikation ist dabei durch feste Erwartungshaltungen geprägt« (Schützeichel, 2004, S. 274).

Wie aus diesen beiden Zitaten hervorgeht, ist Beratung zunächst als eine spezifische Form von Kommunikation und Interaktion zu betrachten, wobei beide Beschreibungen trotz ihrer Allgemeinheit implizit auf den Kontext herkömmlicher Face-to-Face-Beratung verweisen. Dies wird deutlich, wenn man mit Niklas Luhmann bedenkt, dass Kommunikation und Interaktion nicht unbedingt miteinander verbunden sein müssen, vielmehr wird durch die Schrift eine Trennung von Kommunikation und Interaktion möglich. »Durch Schrift wird Kommunikation aufbewahrbar, unabhängig von dem lebenden Gedächtnis von Interaktionsteilnehmern, ja sogar unabhängig von Interaktion über-

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haupt« (Luhmann, 1987, S. 127). Durch die Schrift wird Distanz zum gemeinsamen kommunikativen Handeln geschaffen oder um es mit Sybille Krämers Worten zu fassen: »Zu Schreiben und zu Lesen heißt nicht einfach, in die Kommunikation einzutreten, sondern heißt zuerst einmal, sich der Kommunikation zu entziehen« (Krämer, 2000a, S. 46). Kommunikation meint im Rahmen von Face-to-Face-Beratung vor allem und ausschließlich professionelle Formen des mündlichen Gesprächs. Worum es im Folgenden gehen soll, ist dagegen, abgesehen von grafischen Elementen (Emoticons, Comic-Chats etc.), primär schriftliche Kommunikation und hier noch einmal eine spezifische Form von Schriftlichkeit unter den Rahmenbedingungen so genannter computervermittelter Kommunikation. Es ist in diesem Fall nicht einfach von Schrift auszugehen, wie sie als Handschrift oder Buchdruck bekannt ist, sondern vielmehr von Schriftlichkeit, wie sie unter den Bedingungen »elektronischer Textualität« (Wehner, 1997) in Erscheinung tritt. In theoretischer Hinsicht werden dazu seit Beginn der Diskussion um Sprache im Internet zum Teil stark divergierende Auffassungen vertreten. Dabei geht es nicht nur um ad hoc einleuchtende Unterschiede in Abhängigkeit von Variablen wie Synchronizität (Chat, Instant Messaging) und Asynchronizität (E-Mail, Foren), sondern um weit fundamentalere Einschätzungen, Sichten und Bewertungen von Kommunikation und Interaktionen mittels vernetzter Computer.

Exkurs: Schriftlichkeit und »Netzanthropologie« Mit Nicola Döring ist von zwei Extremen Abstand zu nehmen: »Netzkommunikation als das ›ganz andere‹, ›Fremde‹ und ›völlig Neue‹ darzustellen, kann von vornherein als ebenso unangemessen betrachtet werden wie vorschnelle Analogien, die suggerieren, E-Mail sei im Prinzip genauso wie Briefschreiben, nur schneller; IRC […] sei genauso wie Partygeplauder, bloß getippt statt gesprochen; […]« (Döring, 2000b, S. 345).

Abgesehen von diesen polarisierenden Auffassungen sollte Schriftlichkeit im Kontext von computervermittelter Kommunikation in ihrer Eigenständigkeit begriffen werden, wie überhaupt das Schreiben und Lesen von digitalisierten Texten im Kontext von Online-Beratung (Brunner, 2007). Diese Eigenständigkeit bezieht sich auf den speziellen Charakter von digitalisierter Schriftlichkeit zwischen gesprochener und

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geschriebener Sprache (Oraliteralität) (Döring, 2000b) sowie auf einer anderen Ebene auf die Frage, wer hier mit wem kommuniziert. Obwohl es zutrifft, dass immer Menschen hinter Texten stehen (sofern es nicht durch programmierte Agenten produzierte Texte sind), bleibt doch die Frage zu beantworten, ob im Internet Personen mit Personen oder vielmehr Personen mit Texten kommunizieren. Bezüglich der Sprachverwendung von Nutzerinnen verschiedenster Dienste und Kommunikationskanäle im Internet, ist tatsächlich beobachtbar, dass hier eine Sprachverwendung in Erscheinung tritt, die in ihrer Informalität, Verspieltheit, dem Einbau von Aktionswörtern und Dialektausdrücken und Ähnlichem tatsächlich teilweise an eine Art verschriftlichte mündliche Kommunikation erinnert. Ob, wie Petzold schreibt, »die besondere Art der Internet-Kommunikation [. . . ] am besten als verschriftete Mündlichkeit in Gesprächsform (= Oraliteralität) verstanden werden« (Petzold, 2006, S. 6) kann, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Trotz der Ähnlichkeit mit mündlicher Sprache fehlen wesentliche Aspekte des Mündlichen im virtuellen Raum, auf die weiter unten noch genauer einzugehen sein wird. Und was wesentlicher ist, es wird anthropomorphisierend gerade die technische Vermitteltheit ausgeblendet. Anders ausgedrückt: Wenn die Kommunikation im Internet strukturell scheinbare Ähnlichkeiten mit mündlicher Kommunikation aufweist, bleibt sie dennoch eine sehr spezifisch technisch mediatisierte Kommunikation im Modus digitaler Schriftlichkeit. Die Frage, wer hier mit wem oder was kommuniziert, wird unterschiedlich beantwortet. Eine relativ klare nicht-anthropomorphe These dazu hat die Berliner Medienphilosophin Sybille Krämer bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert: »Die Nutzer computermediatisierter Netzwerke interagieren nicht mit Personen, sondern mit Texten bzw. digitalisierbaren Symbolkonfigurationen. Und sie agieren nicht als Personen, sondern als Symbolketten im Sinne frei gewählter Namen« (Krämer, 1997, S. 97).

Dieser Position depersonalisierter Kommunikation stehen Modelle einer technisch vermittelten interpersonalen Kommunikation gegenüber, die exemplarisch Joachim Höflich so definiert: »Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation ist also Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen unter Verwendung von Kommunikationstechnologien bzw. technischen und im besonderen elektronischen Medien« (Höflich, 1996, S. 17).

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Während die zeichentheoretische Position also vor allem auf den Aspekt der Intertextualität abstellt, argumentiert die im Fall Höflichs kommunikationstheoretische Position für die Möglichkeit von Interaktion unter Verwendung von Kommunikationstechnologien und für das Internet als »Beziehungsmedium«. Diese Positionen sind schwer vermittelbar, vielleicht beziehen sie sich aber auch auf unterschiedliche Formen von Netzkommunikation. In einem anonymen, textbasierten Chat oder MUD (Multi User Dungeon) unter Verwendung von Nicknames oder Avataren und ohne die Kenntnis sonstiger Eigenschaften, Merkmale bzw. sozialer Informationen über die kommunizierenden Personen trifft Krämers These einer »Interaktion« mit Texten und Symbolkonfigurationen wohl zu. Wird dagegen etwa per E-Mail, unter Verwendung des realen Namens, der Versendung von Bildern und weiteren Informationen zur Person, eventuell verbunden mit telefonischen oder Face-to-Face-Kontakten, kommuniziert, hat wiederum die Auffassung von Höflich eine gewisse Plausibilität. Was bedeutet dies alles für den Kontext der Online-Beratung? Online-Beratung muss sich des besonderen Charakters der Schriftlichkeit im Netz zumindest aufseiten der Berater bewusst sein, auch wenn, wie unterschiedliche Untersuchungen zeigen, »der Modus der Schriftlichkeit von den Nutzerinnen und Nutzern nur selten als Problem empfunden wird, sondern häufig durch Formen verschrifteter phatischer Kommunion ausgezeichnet ist […], als willkommene Form der Distanzwahrung, Zwang zur Konzentration auf die kommunizierten Inhalte […] oder als Chance zum Spielerischen gedeutet wird« (Thimm, 2000, S. 14).

Zumal sich aber in der schriftlichen Kommunikation im Internet »die Wahrnehmung von intensiven sozialen Beziehungen mit der der medialen Distanziertheit« (Thimm, 2000, S. 11) vermischen, sollten Beraterinnen diese Spannung von intensiven Kontakten, Begegnungen, Beziehungen, die sich hier aufbauen können und die ein zentrales Medium für Beratung darstellen, in ihrem Verhältnis zur unhintergehbaren Distanzierung, die in einer schriftlich/technischen Vermitteltheit gründet, mitreflektieren. Damit wird es möglich, »Beziehungsprobleme« und/ oder »Kommunikationsstörungen«, die im Beratungsverlauf auftreten können, sowohl auf der Ebene der Beziehung/Kommunikation als auch auf der Ebene der Mediatisierung zu reflektieren und zu benennen.

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II Theorie der Online-Beratung

Beratung und computervermittelte Kommunikation (CvK) Wie verhält es sich nun mit der computervermittelten Kommunikation bzw. wie wirkt sie sich konkret auf Beratungshandeln im Kontext von Online-Beratung aus? Um diese Frage zu beantworten, muss ein detaillierter Blick auf unterschiedliche Theorieangebote und empirische Erkenntnisse zu CvK geworfen werden. Dies kann im Rahmen dieses Beitrags nicht in der Gesamtheit der vorliegenden Ansätze berücksichtigt werden, die etwa Nicola Döring (Döring, 2003) aus medienpsychologischer oder Klaus Beck (Beck, 2006) aus kommunikationstheoretischer Sicht für die deutschsprachige Diskussion aufgearbeitet haben. Es werden daher im Folgenden einige Themen und dazu gewonnene Erkenntnisse aus der Forschung zu CvK, aus der Fülle der Interpretationen herausgegriffen und zum Gegenstand der Online-Beratung in Beziehung gesetzt. Wichtig sind hier neben diesen allgemeinen Erkenntnissen auch Reflexionen, vor allem aus dem angloamerikanischen Bereich, die von Theoretikerinnen und Praktikern des »Online Counsellings« bzw. der »Online Therapy« in den letzten zehn Jahren hervorgebracht wurden. Nicola Döring hat selbst in ihrer Arbeit »Computervermittelte Kommunikation als therapeutisches Medium« (Döring, 2000c) einen Versuch der Transformation theoretischer Erkenntnisse in die Praxis von Online-Beratung bzw. Online-Therapie vorgelegt. Anhand der von ihr vorgenommenen Einteilung von CvK-Theorien in Theorien zur Medienwahl, Theorien zu Medienmerkmalen sowie Theorien zum medialen Kommunikationsverhalten stellt sie, wenn auch sehr kurz und zum Teil oberflächlich, mögliche Praxisbezüge bestimmter Eigenschaften von computervermittelter Kommunikation in Bezug auf die therapeutische Arbeit mit und im Netzmedium dar. John Suler, einer der führenden angloamerikanischen Vordenker im Bereich »Psychotherapy in Cyberspace«, hat auf einer von Einzeltheorien abstrahierenden Ebene ein »Five Dimensional Model of Online and Computer-mediated Psychotherapy« entwickelt (Suler, 2000a). Er geht dabei von fünf Dichotomien aus, die sich sowohl auf zeitliche, sinnliche als auch technische und psychologische Aspekte beziehen (sychchronous/asychronous, text/sensory, imaginary/real, automated/interpersonal, invisible/present). Hier wird nun ein Blickwinkel gewählt, der an beiden Versuchen anschließt und der sich um vier Begriffspaare dreht, die bezogen auf CvK im Allgemeinen und mit Blick auf Online-Beratung im Speziellen wesentlich

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erscheinen und vor dem Hintergrund von Online- und Offline-»Wirklichkeit« operieren. Die der Online-Kommunikation selbst inhärente Unterscheidung zwischen synchroner/n und asynchroner/n Kommunikation/Diensten (Döring, 2003) wird nicht gesondert thematisiert, weil sie expliziter Gegenstand der Auseinandersetzung mit speziellen Formen der Online-Beratung im Rahmen von anderen Beiträgen dieses Bandes ist.

Mündlich/schriftlich – Über die Eigenständigkeit technisch-mediatisierter schriftlicher Kommunikation Wenn, wie bereits kurz erläutert, strukturelle Ähnlichkeiten zwischen gesprochener Sprache und der Verwendung geschriebener Sprache im Kontext von Netzkommunikation beobachtbar sind, bleiben doch wesentliche Differenzen zwischen dem mündlichen Dialog und dem »text talk« (Suler, 2004) unübersehbar und unüberbrückbar. Man muss nicht einmal unterschiedliche Ansätze einer defizitorientierten Sichtweise von CvK wie Kanalreduktion, Herausfiltern sozialer Hinweisreize, rationale, normative oder interpersonale Medienwahl (Döring, 2000b, 2003) bemühen, um festzustellen, dass natürlich in der gesprochenen Sprache Qualitäten wie Modulation, Stimmlage und Lautstärke, um bei stimmlichen Aspekten zu bleiben, sowie Gestik und Körperausdruck und andere nonverbale Aspekte eine wesentliche Rolle spielen, bis hin zur räumlichen Positionierung der Körper der interagierenden Personen im Modus von Nähe und Distanz. In der Face-to-Face-Beratung spielen diese Variablen je nach Beratungsansatz eine mehr oder weniger bedeutende Rolle und werden im Rahmen des Beratungsprozesses methodisch und reflexiv eingebracht. Face-to-Face-Beratung, sofern sie auf mündliche Sprache, Ausdruck und Wahrnehmung fokussiert, agiert und wirkt im Medium der zwischenmenschlichen Begegnung und Beziehung. Computervermittelte Kommunikation als Schriftkommunikation kann dies alles nicht bieten und leisten, sondern muss vielmehr andere Ausdrucksformen wie Aktionswörter, Emoticons und ganz generell die Beschreibung und Umschreibung dessen forcieren, was in der Interaktion unter Abwesenden eben nicht unmittelbar wahrnehmbar ist, wie es in der Theorie der sozialen Informationsverarbeitung gefasst ist

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II Theorie der Online-Beratung

(Walther, 1992; Döring, 2003). In den Worten eines frühen Theoretikers computervermittelter Kommunikation ausgedrückt: »When we move from face-to-face conversations to dialogs over computer terminals, the communication is purely verbal. The work done non-verbally now has to be realized verbally« (Hobbs, 1980; zit. nach Walther, 1992, S. 75).

Insofern ist CvK, wenn nicht normativ vorgegangen wird und die wahre, warme, unmittelbare und zum Teil idealisierte Face-to-Face-Kommunikation gegen die unwirkliche, kalte, vermittelte und distanzierte Form der technisch mediatisierten Kommunikation ausgespielt wird, als eigenständige Form der Kommunikation mit den ihr eigenen Qualitäten aufzufassen. Geht man nicht von einem Technikdeterminismus aus, der danach fragt: »Was machen die Medien mit uns«, sondern umgekehrt »Was machen die Nutzerinnen« aus den vorliegenden Medien- und Kommunikationsangeboten, so eröffnen sich gänzlich andere Perspektiven auf die »Defizite« der Schriftlichkeit in der CvK gegenüber dem Gespräch von Angesicht zu Angesicht. »Würde das Fehlen nonverbaler Elemente tatsächlich als stark behinderndes Defizit empfunden, so würde vermutlich in viel stärkerem Maße auch auf die technisch schon verfügbaren audiovisuellen Übertragungsmöglichkeiten im Netz zurückgegriffen« (Döring, 2003, S. 164).

Mit Blick auf die Online-Beratung ist festzustellen, dass auch hier und nicht nur in so genannten humanistischen Ansätzen zum Teil diese Defizitorientierung deutlich spürbar ist. Netzkommunikation wird als defizitär und ungeeignet für Beratungsbeziehungen und Beratungsprozesse gesehen und vor allem als Möglichkeit für den Erstkontakt interpretiert. Online-Beratung, sofern sie als sinnvolle Möglichkeit anerkannt wird, sollte, ausgehend von der Eigenständigkeit und Eigenlogik computervermittelter Kommunikation, vom Primat der Face-to-Face-Beratung Abstand nehmen oder zumindest nicht grundsätzlich Online-Beratung vor dem Hintergrund einer zu präferierenden »besseren« Praxis einem impliziten Verdacht aussetzen, defizitär zu sein. Sie sollte dabei auf die Möglichkeiten des Schreibens bzw. auch des Lesens fokussieren und sie kann durchaus an bestehende Theorien und Praxiskonzepte der Beratung und Therapie, wie die Poesie- und Bibliotherapie (Petzold u. Orth, 1985) und das kreative bzw. therapeutische Schreiben (von Werder, 1995; Marschik, 1993; Vogt, 2007) anschließen.

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Sinnlich/textlich – Über die Vor- und Nachteile von Nicht-Anwesenheit Neben der zuvor getroffenen Unterscheidung zwischen mündlich und schriftlich kann allgemeiner von der Unterscheidung von sinnlich wahrnehmbaren Eindrücken in der Kommunikation zwischen Anwesenden im Gegensatz zu textlich wahrnehmbaren Zeichen/Inhalten in der Kommunikation zwischen Abwesenden ausgegangen werden. Dass diese sinnlichen Qualitäten als nonverbale oder mit Paul Watzlawick als analoge Aspekte für die Face-to-Face-Kommunikation eine außerordentlich hohe Bedeutung haben, ist, wie schon vermerkt, unbestreitbar. Wie weit sie in der Beratung auch methodisch Beachtung finden, hängt sehr stark von der theoretischen Orientierung und Fokussierung des jeweiligen Beratungsansatzes ab. Für Ansätze, die stark mit Wahrnehmungen (z. B. Gestalt) oder auf der Beobachtungsebene (z. B. Systemisch) arbeiten, haben diese Aspekte methodisch wahrscheinlich eine höhere Bedeutung als für Ansätze, die etwa mehr gesprächszentriert oder lerntheoretisch vorgehen. Auf den Kontext der Online-Beratung übertragen, stellen sich mehrere Fragen. Erstens, inwieweit das Fehlen sinnlicher Reize kompensiert werden kann, zweitens, ob das Fehlen dieser Reize auch Vorteile für die Beratung bringen kann, und schließlich drittens, inwiefern ohne diese sinnliche Präsenz Emotionen transportiert werden können. Damit verbunden muss die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von zwischenmenschlichen Beziehungen im Rahmen computervermittelter Kommunikation beantwortet werden. Da der zuletzt aufgeworfenen Frage im weiteren Verlauf noch intensiver nachzugehen sein wird, im Folgenden zuerst einige Bemerkungen zu den Fragestellungen eins und zwei. Während Theoretikerinnen der Sozialen Informationsverarbeitung der »Übersetzbarkeit« nonverbaler in verbale »cues« in Form von paraverbalen Ausdrucksformen und der Verbalisierung generell optimistisch gegenüberstehen und dabei vor allem auf den Faktor Zeit setzen (Walther, 1992), weist Döring kritisch darauf hin, dass diese Möglichkeiten zum Teil wohl auch überschätzt werden (Döring, 2003), vor allem was den weit verbreiteten Hype bezüglich Emoticons betrifft. Ein anderer Hinweis dieser Autorin ist aber entscheidender:

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»Ob und wie wir uns im Netz verstehen und verständigen, hängt letztlich in erster Linie davon ab, wie differenziert und kontextsensibel wir uns schriftsprachlich artikulieren können – hier sind Schreiben und Lesen als klassische Kulturtechniken gefragt« (Döring, 2000b, S. 363).

Damit dreht sich die Fragestellung auch um ein für die Face-to-FaceBeratung relevantes Problem. Diejenigen, die über eine hohe Kompetenz verfügen, sich auszudrücken – ob mündlich oder schriftlich –, sind in Beratungssituationen in einer bevorzugten Position. Beratungstheoretisch auf die Online-Beratung angewendet, müsste eine Erkenntnis daraus sein, im Prozess der Beratungskommunikation die schriftlichen Ausdrucksmöglichkeiten der Ratsuchenden neben den zu behandelnden Fragen und Problemstellungen zu fördern und anzuregen. Damit ist die Frage der fehlenden sinnlichen Wahrnehmungen nicht ad acta gelegt, jedoch positiv in die Möglichkeiten kreativer, schriftlicher Ausdrucksformen transformiert. Die Problematik der fehlenden sinnlichen Eindrücke kann noch aus anderen Perspektiven betrachtet werden. Die frühe Forschung zu CvK thematisierte diese »Defizite« vor allem in Form von Modellen der Herausfilterung sozialer Hinweisreize (Döring, 2003). Die These war und ist, dass durch das Fehlen von sozialen Hinweisreizen (Alter, Aussehen, Bildung, Status, Geschlecht) zwei Effekte eintreten können: einerseits eine gewisse Egalisierung, andererseits Enthemmung in positiver und negativer Hinsicht. Weiterhin ist durch die Möglichkeit der Kontrolle bzw. des Managements von Hinweisreizen auch eine bewusste(re) Selbstpräsentation möglich. Weitere Forschungen haben gezeigt, dass die Egalisierung nur bedingt stattfindet, und dass über verschiedenste Mechanismen, zum Beispiel Geschlechtszugehörigkeit oder Status, auch in computervermittelter Kommunikation vermittelt bzw. erkannt werden. Bezüglich der Enthemmung wurde vor allem auf die negativen Seiten fokussiert (Stichwort: »flaming«), wobei auch hier Studien zeigten, dass negative Enthemmung weitaus nicht so verbreitet ist, wie zum Teil postuliert wurde (Döring, 2003). Für die Online-Beratung selbst ist die Enthemmung interessant und beachtenswert, Suler spricht hier vom »disinhibition effect« (Suler, 2004, S. 28). Suler führt die Enthemmung sowohl auf Medienmerkmale wie Anonymität, Nichtsichtbarkeit und verzögerte Reaktion bei asynchroner Kommunikation als auch auf psychologische und soziale Faktoren wie »solipsistic introjection« und die Neutralisierung von Statusmerkma-

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A. Brunner – Theoretische Grundlagen

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len zurück. Und tatsächlich werden viele Praktikerinnen der OnlineBeratung bestätigen können, dass Ratsuchende in Online-Settings viel schneller auf den Punkt kommen und dass oftmals intime Themen eher veröffentlicht werden, als dies in einem vergleichbaren Face-to-FaceProzess in so kurzer Zeit geschehen würde. Gleichzeitig darf diese »Intimität« nicht mit der Intimität verwechselt werden, die sich in einer vertrauensvollen Beziehung über einen Zeitraum entwickeln kann. Es ist psychologisch gesehen wahrscheinlich eher ein »talk to a stranger«, ein Phänomen, das man auch bei zufälligen Begegnungen beobachten kann. In Zügen zum Beispiel werden Dinge geoffenbart, die man sonst nicht so einfach preisgegeben hätte, weil man sich eben nicht kennt und sich nach dieser gemeinsamen Fahrt trennt und nicht wiedersieht. Dies ist für die Online-Beratung insofern wichtig, als diese Form von Intimität eine weitaus fragilere ist und weniger auf Vertrauen basiert, was dann vielleicht auch Kritik oder nicht adäquate Reaktionen seitens der Beraterinnen für Ratsuchende weniger leicht erträglich macht und zu negativen Reaktionen oder Kontaktabbruch führen kann. Damit soll nicht das Positive einer herabgesetzten Intimitätsschranke in OnlineSettings geleugnet werden, sondern nur auf den achtsamen Umgang mit Intimität im Kontext von Online-Beziehungen hingewiesen werden. Das zuvor Gesagte gilt vor allem für Online-Beratungssettings mit hoher Anonymisierung und im Anfangsstadium eines möglichen Beratungsprozesses. Gerade in längeren Prozessen mit eventuellen Wechseln zwischen online und offline können hier große Vorteile liegen, weil schriftlich die Themen geäußert werden können, die im direkten Kontakt nicht oder noch nicht angesprochen werden können, auf die es aber auf diese Weise dann doch wieder möglich ist, Bezug zu nehmen.

Real/imaginär – Über den Umgang mit Phantasien und ihren realen Auswirkungen Das vielfache Fehlen sozialer Hinweisreize legt eine Spur zu anderen bedeutsamen Auswirkungen von Online-Kommunikation, die um die Themen Simulation und Imagination (Döring, 2003) kreisen. Entgegen der Interaktion unter Anwesenden, wo zumeist schnell und halb bewusst eine Einordnung der Person nach äußeren Merkmalen sowie Eigenschaften und Verhaltensweisen stattfindet und bei der aus interakti-

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onssoziologischer Sicht unterschiedlichste »Techniken« der Imagepflege (Goffman, 1999) und der Informationskontrolle (Goffman, 1988) angewandt werden, sind die Teilnehmerinnen von Online-Kommunikation diesbezüglich meist »unterversorgt«, wobei der Grad nach der Anonymität der Kommunikation variieren kann. Diese Ausgangsbedingungen beinhalten einerseits die Möglichkeiten eines weitaus kontrollierteren »Selbstmanagements« und damit auch des Spiels und der Simulation. Andererseits beinhalten sie ebenso die Nötigung, die »Informationslücken« zu schließen, die bezüglich der abwesenden Kommunikationspartnerinnen bestehen. Aus psychologischer Sicht handelt es sich bei letzterem um Prozesse der Imagination und Projektion. Im Folgenden sollen diese Möglichkeiten und Erfordernisse in Bezug auf Online-Beratung einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Entgegen der Interaktion von Angesicht zu Angesicht ist allein durch die mediale Situation, wie schon gezeigt, das übliche »Abchecken« der anderen Person nicht möglich. Die körperlich nicht anwesenden »Interaktionspartner« und damit auch Beraterinnen und Ratsuchenden sind auf die beidseitig bewusst angebotenen bzw. nicht angebotenen Informationen angewiesen. Es verrät hier kein Körper, keine Stimme, kein Blick, keine Art, sich zu kleiden etc. gegen den Willen der Kommunikanten etwas über die abwesenden Personen. Insofern befinden sich alle in der Situation einer starken, aber durchaus nicht totalen Kontrolle. Auch Texte, Themen und ihre Darstellung verraten in ihrer Gesamtheit manchmal mehr, als der Schreiber wohl intendiert hatte. Gleichzeitig ist es aber gerade für die Beratung wichtig, möglichst viel von sich selbst zu vermitteln, wenn geholfen werden soll. Deshalb sind »Fakes« (wie z. B. gefälschte Nachrichten oder falsche Profile von Nutzern) wohl eher die Ausnahme oder versteckte Versuche, in Kontakt zu kommen. Falsche Informationen zu liefern oder mit Teilen des Selbst in der Online-Kommunikation zu spielen, dürfte im Kontext von Online-Beratung eher die Ausnahme sein. Wenn Simulation hier Sinn macht, dann als Möglichkeit der bewussten Auseinandersetzung der Ratsuchenden mit den eigenen Phantasien, Vorstellungen und Identitätsanteilen, indem durch Simulation ein Raum zur Verfügung steht, Dinge zu versuchen, die sie sonst so nicht ausleben oder ausprobieren könnten oder auch wollten. Ob diese Erfahrungen »real« oder »virtuell« sind, ist dann schon eine mehr philosophische, weltanschauliche Frage. Sofern nicht von einer scharfen

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Trennung von »natürlicher« und »technischer« Welt ausgegangen wird, sondern von verschiedenen Arten von Erfahrungsräumen, sind die im Cyberspace gewonnenen Erkenntnisse, Erfahrungen und Erlebnisse genauso »real« wie jene aus dem »wirklichen« Leben. Dies um so mehr, als im Alltagsbewusstsein und der Alltagskultur von immer mehr Menschen in westlichen Gesellschaften Computer- und Internetnutzung integraler Bestandteil ihrer Lebenswelt sind. Dabei dürften der Gebrauch und die Erwartungen von »Normalnutzerinnen« und Besuchern von Beratungs-Angeboten im Internet meist nicht mit den Ideen Sherry Turkles konform gehen, wonach »computervermittelte Erfahrungen die Philosophie [des Poststrukturalismus/der Postmoderne, A. B.] auf den Boden der Wirklichkeit holen« (Turkle, 1999, S. 22). Obwohl computervermittelte Kommunikation, wie sie anschaulich in »Leben im Netz« beschrieben wird, als Möglichkeit der Simulation, des Spiels mit Identitäten und Verwirklichungsort des multiplen und dezentrierten Selbst genutzt werden kann, sind die herkömmlichen Nutzerinnen wohl meist »konservativer« und an der Idee der Moderne von einem identen und zentrierten Selbst orientiert. Ist also in der Normalität der Netznutzung nicht vom imaginären Spiel mit multiplen »Selbsten« auszugehen, so bleibt doch die Frage offen, wie mit Phantasien und Projektionen im Kontext von Netzkommunikation umzugehen ist. Dazu ist vorerst festzuhalten, dass Imagination und Projektion nicht nur Kontakte im Online-Kontext bestimmen, sondern dass sie ganz allgemein als kreative und notwendige menschliche Möglichkeiten der Welterschließung zu betrachten sind. Die Herausforderungen der computervermittelten Kommunikation und der Online-Beratung im Besonderen sind in diesem Bereich vor allem darin zu sehen, dass die wenigen vorhandenen sozialen, körperlichen und psychologischen Informationen das Bedürfnis nach Projektion steigern. Projektionen werden an den manchmal spärlichen Informationen festgemacht und davon ausgehend »ausgebaut«. Da kein »natürliches« Korrektiv im Bereich der Wahrnehmungen vorhanden ist, können damit Tendenzen zur imaginativen Idealisierung des jeweils anderen verstärkt werden. Das heißt, durch die mediale Situation und auch durch »psychologische« Bedürfnisse besteht eine Tendenz, sich aktiv und bewusst Bilder zu machen beziehungsweise erzeugen die Texte mehr asynchrone als synchrone, unbewusst innerpsychische Bilder. Das muss nun nicht heißen, wie manche Kritiker der Online-Kommunikation warnen, dass

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grundsätzlich »falsche«, rein »virtuelle« Bilder über den Anderen im Bewusstsein der Kommunikantinnen erzeugt beziehungsweise angelegt werden. John Suler hat sehr anschaulich solche Prozesse von Projektion, Imagination und Introjektion unter dem Stichwort »solipsistic introjection (it’s all in my head)« beschrieben: »Reading another person’s message might be experienced as a voice within one’s head, as if that person magically has been inserted or introjected into one’s psyche. Of course, we may not know what the other person’s voice actually sounds like, so in our head we assign a voice to that person. In fact, consciously or unconsciously, we may even assign a visual image to what we think that person looks like and how that person behaves. The online companion now becomes a character within our intrapsychic world, a character who is shaped partly by how the person actually presents himself or herself via text communication, but also by our expectations, wishes and needs« (Suler, 2004, S. 30).

Für die Online-Beratung leitet sich Verschiedenes daraus ab. Es bedarf einerseits einer gewissen imaginativen Askese aufseiten der Beraterinnen und andererseits einer aktiven Auseinandersetzung mit den Bildern, die über den oder die andere(n) entstehen (Brunner, 2007). Gleichzeitig ist in der Kommunikation mit den Ratsuchenden diese imaginative Ebene immer wieder zu thematisieren, damit Bilder korrigiert und modelliert werden können und damit dies auf beiden Seiten geschehen kann. Es ist auch wichtig, die Bilder, die von Ratsuchenden über die Person des Beraters hervorgebracht werden, im Bewusstsein zu halten und zu thematisieren, da vielleicht in Online-Beratungskontexten die Gefahr der Idealisierung der Beraterinnen noch höher ist als in Face-to-Face-Kontexten.

Personal/depersonal – Über Online-Beziehungen und die Vermittlung von Gefühlen Die letzten Überlegungen führen schließlich zu der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen computervermittelter (Beratungs-)Beziehungen. Das Urbild von Beziehungen ist die ganzheitliche Begegnung zwischen kopräsenten Personen. Diese anwesenden Personen konstituieren sich durch eine je unverwechselbare Identität, die in der sozialen Situation wechselseitig bestätigt wird. Beziehung wird von zahlreichen Beratungs- und Therapieansätzen als das wesentliche Medium der Beratungs- und Therapiearbeit gesehen, wobei die Bedeutung dieses

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Aspektes etwas verallgemeinert von psychodynamischen und humanistischen Ansätzen hin zu systemischen und kognitiv-verhaltenstheoretischen Ansätzen abnimmt. »Die Beziehung zwischen BeraterInnen und KlientInnen ist eine bedeutsame, wenn nicht gar die wichtigste Dimension einer jeden Beratungskonstellation, eines jeden Beratungsprozesses« (Sickendiek, Engel u. Nestmann, 2002, S. 129).

Für humanistische Verfahren sind damit nicht nur »Beziehungsvariablen« wie Empathie, Akzeptanz, Authentizität, Unmittelbarkeit etc. verbunden (Sickendiek, Engel u. Nestmann, 2002, S. 129 ff.). Diese Merkmale selbst beziehen sich wiederum auf Gefühle, Haltungen und Aspekte personaler Identität. Die Frage, ob zwischenmenschliche Beziehungen über computervermittelte Kommunikation möglich sind, ist nicht unumstritten, wie die vorhergehenden Ausführungen zeigen. Es geht dabei unter anderem auch darum, wie Gefühle vermittelt und ausgedrückt werden können, Vertrauen und Verbindlichkeit – um zwei weitere Faktoren zu nennen – hergestellt werden können, wie es überhaupt mit »Person« und Identität, die leibgebundene Phänomene sind, im Kontext von Mediatisierung steht. Diese Fragen können hier nicht einmal ansatzweise beantwortet werden, müssen aber auf die Möglichkeiten und Grenzen von OnlineBeratung bezogen werden, was im Folgenden kurz skizziert wird . Im Zentrum stehen dabei die Qualität von Online-Beziehungen, die Frage der (leiblichen) Präsenz sowie damit verbunden die Möglichkeiten der Vermittlung von Gefühlen und der Konstituierung von zwischenmenschlichen Beziehungen über das Netz, wovon die Online-Beratungsbeziehung eine besondere Form unter vielen anderen ist. »We truly have entered a new age, the age of text relationships« (Suler, 2004, S. 19). Die Qualität dieser Text-Beziehungen wird sehr unterschiedlich beurteilt. In manchen psychoanalytisch inspirierten Arbeiten sind sie der Gipfelpunkt von Entfremdung, die den Autor der entsprechenden Analyse zu der Frage führt: »Worauf beruht der Reiz einer Kommunikation, die letztlich in der Frustration endet« (Ermann, 2003, S. 186). Andere Autoren aus dem Bereich der Psychoanalyse sind weniger kulturpessimistisch, aber doch kritisch, und versuchen zumindest, diese möglichen neuen Formen von Beziehungen und ihre Auswirkungen unter den Stichworten von »Virtuellen Objekten« (Lindner u. Fiedler, 2002), Regression (Holland, 2002) oder Auswirkungen des Set-

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tings zu analysieren (Oberstdorfer, 2003). Umgekehrt kann rückgefragt werden, was gewonnen wird, wenn »reale« Beziehungserfahrungen und »Wirklichkeit« gegen »Virtualität« und »virtuelle« Beziehungen ausgespielt werden und damit sowohl empirische Forschung als auch die Erfahrungen Hunderttausender Nutzerinnen ignoriert werden. »In einer Gesellschaft, in der öffentliches wie individuelles Leben von Medien mitgestaltet wird, tragen diese auch in erheblichen Maße zur sinnhaften Interpretation der Wirklichkeit bei« (Theunert u. Eggert, 2003, S. 6).

»Virtuelle« Welten sind in dieser Perspektive dann auch nicht mehr »außerhalb« der alltäglichen Lebenswelten und ihrer Sinnkonstruktionen zu verorten, sondern als »integrierter Bestandteil der Lebenswelt« (Theunert u. Eggert, 2003, S. 6) aufzufassen. Auch die Gleichung physische Präsenz, räumliche Nähe und soziale Nähe gegenüber körperlicher Abwesenheit, räumlicher Distanz und sozialer Distanz geht so nicht auf, wie Hahn in Anschluss an Georg Simmel zeigt: »Vielmehr besteht eine Einheit von sozusagen ›gefühlter‹ oder konstruierter Nähe und Entferntheit, die alle sozialen Beziehungen kennzeichnet« (Hahn, 2007, S. 17). Es besteht sogar die Möglichkeit, dass über Netzkommunikation Beziehungen entstehen, die als positiver und befriedigender erlebt werden als Beziehungen von Angesicht zu Angesicht (Walther, 1996). Nähe und Intimität sind so gesehen keine primären Modi von Face-to-Face-Kommunikation, sondern Möglichkeiten, die sowohl in unmittelbaren als auch vermittelten Kommunikationskontexten wahrgenommen oder auch nicht wahrgenommen werden können. »Soziale Präsenz«, um ein anderes Theorem aufzugreifen, ist nicht einfach eine Eigenschaft eines Mediums, sondern etwas, dass durch die sozialen Konstruktionen der Nutzerinnen von Kommunikationsmedien im Rahmen des Mediengebrauchs hergestellt wird (Höflich, 2003, S. 64). Wenn nun über das Netz der Aufbau von sehr intensiven Beziehungen möglich scheint und auch so erlebt wird, wie verhält es sich in diesem Kontext mit dem Leib, das heißt mit der Bedingung der Möglichkeit unseres In- und zur Welt-Seins und den Gefühlen, die für Beziehungen doch so wesentlich sind? Gefühle sind an den Leib gebunden und der Leib ist zentrales Kommunikationsmedium von Gefühlen, mit ihm werden Gefühle kommuniziert und an ihm werden die Gefühle anderer sichtbar. Sein Fehlen im Kontext von computervermittelter Kommuni-

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kation bedeutet nicht unbedingt, dass er nicht vorhanden ist. »Der Leib ist im Netz nicht auf gewohnte Weise da oder nicht da; er ist anders da, und er ist nur in Ausschnitten da« (Schachtner, 2002, S. 227), hält dazu Christina Schachtner in ihrer Analyse von Emotionalität im Kontext von Netzkommunikation fest. Ist der Leib auch nicht im Netz, so wirkt sich die Kommunikation über das Netz doch auf die Leiblichkeit der involvierten Personen aus. Texte können, wie gerade Online-Beraterinnen, die zum Teil mit sehr intensiven Texten konfrontiert sind, bestätigen, verärgern, berühren, beängstigen, verwirren, zum Lachen bringen, Vertrauen schaffen, Verständnis erzeugen, Erkenntnisse hervorbringen, Erlebnisse ausdrücken, Verliebtheit bewirken und auch erregen, wie das Phänomen Cybersex zeigt. Diese Gefühle werden über Texte und Zeichen vermittelt, umschrieben, ausgedrückt, aber sie finden nicht im Netz statt, sondern sind Erfahrungen und Zustände von Schreiberinnen und Lesern. »In CMC enviroments, words perform actions. Although it could be argued that electronic actions are virtual, some actions do have real-world consequences. The ›virtual‹ actions of computer users can arouse real feelings and emotions in other people (Barnes, 2003, S. 104).

Online-Beratung muss davon ausgehen und kann darauf aufbauend eine hohe Wirksamkeit nicht nur in den virtuellen, sondern auch in den realen Dimensionen der Lebenswelten ihrer Nutzerinnen entfalten.

Die Bedeutung von Rahmen und Kontexten Zum Abschluss dieser Analysen und Vorschläge zu einem vertieften theoretischen Verständnis von Online-Beratung soll noch ein Blick auf die sozialräumliche Dimension von Online-Kommunikation geworfen werden. In den vorhergehenden Analysen war vielfach bereits von Rahmen und Kontexten die Rede. Die Frage, die hier noch angeschnitten werden soll, ist, wie diese Rahmen und Kontexte beschaffen sind und wie sie sich auswirken. Das Internet und seine Dienste sind ja nicht nur als ein Kommunikations- oder auch Wirtschaftsraum, sondern auch als ein Sozial- und Kulturraum verstehbar. Um in diesem Sozialraum agieren zu können, ist mehr als ein Internetzugang erforderlich. Es bedarf der Kenntnisse über die Eigenheiten, Situationen und Regeln dieses Kontextes oder Rahmens, um darin sinnvoll agieren zu können.

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Joachim Höflich hat mehrfach vorgeschlagen, die soziale Situation der Kommunikation im Internet mit Hilfe von Erving Goffmans Rahmentheorie zu interpretieren (Höflich, 1998, 2003). Rahmen organisieren Erfahrungen und sind als Deutungs- und Interpretationsmuster oder auch als metakommunikative Hilfestellungen für soziale Situationen zu verstehen (Höflich, 2003). »Bei einem Computerrahmen handelt es sich um einen distinkten Medienrahmen, wobei in einem umfassenden Sinne ein Medienrahmen als eine medienspezifische Umgebung verstanden wird, in die kommunikative Aktivitäten eingebunden sind. Ein Medienrahmen umfasst mit anderen Worten jene soziale Situationen, in denen sich die Kommunikationspartner befinden, wie sie ein bestimmtes Kommunikationsmedium verwenden und insbesondere, wenn sie über dieses Medium miteinander verbunden sind« (Höflich, 2003, S. 39).

Computerrahmen helfen also soziale Situationen im Netz zu verstehen, sich zu orientieren, sie geben Regeln für Handlungsfolgen ab und definieren auch, wann jemand eine soziale Situation im Netz verfehlt, sozusagen aus dem »Rahmen« fällt, wo die Ränder des Rahmens sind. Insgesamt kommen Rahmen die Funktion zu, soziale Räume zu schaffen, »erst durch die Etablierung von Rahmen kommunikativen Handelns wird der ›Cyberspace‹ zu einem sozialen Raum« (Höflich, 2003, S. 35). Im Folgenden werden zwei Rahmenaspekte hervorgehoben, die gerade für die Online-Beratung wichtig erscheinen. Der erste Aspekt betrifft den Rahmen der Beratung selbst. Auch Beratung kann als eine soziale Situation begriffen werden, die bestimmten Deutungs- und Interpretationsmustern folgt. Bezüglich der Online-Beratung ist zu beachten, dass dabei die Transformation eines etablierten Face-to-Face-Rahmens, der mit bestimmten Erwartungen verknüpft ist, in einen neuen Rahmen stattfindet. Dass heißt, Beratung funktioniert im Computerrahmen anders als im Face-to-Face-Rahmen und Rahmenverwechslungen sind zu erwarten und zu thematisieren. Ein anderer bedeutsamer Aspekt betrifft die Frage von Orten und Räumen. »Orte und Räume geben Rahmen vor: Sie verlangen bestimmte Verhaltensweisen und implizieren ebenso die Erwartung, dass sich andere den situativen Umständen gemäß ähnlich verhalten werden. Das was sich ereignet, wird vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes interpretiert« (Höflich, 2003, S. 43).

Der Raum der Online-Kommunikation zeichnet sich nun durch Entkontextualisierung aus, was nicht heißt, dass er kontextfrei ist, wie Höflich feststellt (Höflich, 2003, S. 43). Es ist von anderen Kontexten

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auszugehen, beziehungsweise von einer Rekontextualisierung, das heißt der Herstellung von neuen Kontexten im Rahmen der Netzkommunikation. Für die Online-Beratung ist es sinnvoll und wichtig, den Raum der Online-Beratung aktiv zu gestalten, wie zum Beispiel durch klare Regeln, die den Ratsuchenden helfen, sich im virtuellen Raum der Beratung zu orientieren. Abgesehen von diesen netzimmanenten Rahmen wären noch die Kontexte der Interaktion von Personen mit Computern beziehungsweise von Personen mit dem Netz zu thematisieren. Die Interaktion mit dem Apparat selbst, die vielfältigen Übertragungs- und Projektionsmöglichkeiten auf den Computer und auch auf das Netz als allzeit erreichbares und verfügbares Gegenüber und unendlicher Wissensraum enthält für die Online-Beratung wichtige Fragen und Problemstellungen. Zu den Phänomenen der Idealisierung und Übertragung auf das Netz hat sicherlich die psychoanalytische Forschung noch einiges beizutragen, zur Frage nach dem Computer als Apparat sei hier auf Sybille Krämer verwiesen (Krämer, 2000b).

Schlussbemerkungen Ziel dieser Ausführungen war es nicht, wie eingangs erwähnt, eine Theorie der Online-Beratung vorzulegen, sondern vielmehr einige Gedankenbrücken zwischen unterschiedlichen, bereits existierenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Online-Kommunikation hin zur Online-Beratung zu legen. Es bedarf weiterer theoretischer Anstrengungen und auch empirischer Forschung zu Online-Beratung, um hier weiterzubauen und der praktischen Tätigkeit der Online-Beraterinnen ein gutes, theoretisch reflektiertes Fundament zu verschaffen, im Sinne der Professionalisierung und Qualitätssicherung dieser wichtigen neuen Möglichkeit von beratender Kommunikation.

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Karlheinz Benke

Netz, Online-Kommunikation und Identität

»Einmal in eine fremde Haut schlüpfen, einmal eine ganz andere Rolle spielen: Millionen Menschen verwirklichen heute diesen uralten Traum. Als Avatare, virtuelle Fantasiegestalten, durchstreifen sie von Computern simulierte Welten. Erfüllen sich alle möglichen Wünsche und erproben, spielerisch, neue Wege der globalen Kommunikation« (Cooper u. Hauptmeier, 2007, S. 112).

Kommunikation ohne physische Anwesenheit des Gegenübers ist weder neu noch ein typisch postmodernes Phänomen. Allerdings: Niemals zuvor wurde es dem (postmodernen) Menschen so leicht gemacht, ein (Doppel-)Leben in zwei Welten zu führen. Umgeben von technologischen Standards, die die Strategie einer »Taktik des Möglichen« (Baudrillard, 1994, S. 11) erlauben, fällt es uns kaum mehr auf, dass wir einen Spagat zwischen Realität und Virtualität zu schaffen haben – erstmals in unserer Geschichte können wir der Realität entfliehen, ohne dass wir dazu eines Kostüms oder einer Maske wie zur Karnevalszeit bedürfen. Jede Stunde (in der wir einen Netzzugang haben) kann zum Karnevalstag werden. Realität ist relativ geworden. Im Erleben einer Realitätsdiät entwerfen wir Tag für Tag eine Kultur der Simulation, des Pastiche, der Collage und wir finden Gefallen daran, dass die Repräsentation von Wirklichkeit das Reale ersetzt. Es vollzieht sich offensichtlich eine Veränderung, die entsprechende Auswirkungen auf unsere Identität hat. In der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht (Face-to-Face oder f2f) ist das Individuum an seinen Körper gebunden. Sein Aussehen, sein Geschlecht und Alter wie auch sein Verhalten haftet daran und bestimmt aus der Wahrnehmung des Anderen heraus seine IchIdentität. Dabei ist unter Identität mit Döring (2003) ein Produkt verschiedenster komplexer Faktoren im jeweiligen Umfeld zu verstehen, das in einer Person über eine bestimmte Zeit (Kontinuität) hinweg und in verschiedenen Situationen (Konsistenz) zusammenwirkt, es von anderen unterscheidbar (Individualität) macht und das Individuum individuell werden lässt.

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Anders verhält es sich mit der Identität im virtuellen Raum. Dort wird Identität vor allem über Texte (als Botschaft), also fernab jeglicher Körperlichkeit, konstruiert. Mit dieser Abnabelung vom Körper fallen zugleich die wesentlichsten Kriterien zur klassischen Identitätsbildung weg, womit ein (theoretisch) weitgehend »vorurteilsfreier« Kommunikationsrahmen entsteht, welcher wiederum eine explorative Netznutzung zulässt. Gemäß postmoderner Ansichten gibt es aktuell keinerlei Grundlagen mehr, die noch als Leitbild einer Identität dienen können. Die eigene Identität, das Ich, rekonstruiert sich fortwährend neu, formt sich um und richtet sich neu zu einer »gemischten Persönlichkeit« (Gergen; zit. nach Storch, 1999, S. 1): Dies fügt jene Puzzle- oder Teilidentitäten im Sinne einer Collage oder eines Pastiche zu einem Ganzen im Sinne einer Patchwork-Identität zusammen und stellt das Bild eines »wahren Selbst« in Frage – unter dem Motto: »Fragmentarisches ist nicht defizitär, sondern Normalität« (Keupp, 2001, S. 30).

Virtuelle Identität(en) Virtuelle Identität, also Identität im Netz, versteht sich als Selbst-Präsentation des Menschen, der interaktiv mit Hilfe der Tools einer computervermittelten Kommunikation (CvK) handelt. Sie bedeutet, anonym aufzutreten und den eigenen Namen unkompliziert ändern zu können, verschiedene Namen gleichzeitig zu besitzen und so fort. Insofern ist es zum einen treffender, von Identitäten (auch zu ein und derselben Person) zu sprechen, und zum anderen weniger in Personen zu denken als vielmehr in Figuren oder »personae« (Heintz u. Müller, 2000). Diese virtuellen Identitäten sind, folgt man Turkles Thesen (1999), vor allem deshalb notwendig geworden, weil die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse die Möglichkeit nach sich ziehen, diese Teilidentitäten im geschützten Rahmen (respektive Raum) ausprobieren zu können, denn: »Das Internet ist zu einem wichtigen Soziallabor für Experimente mit jenen IchKonstruktionen und Rekonstruktionen geworden, die für das postmoderne Leben charakteristisch sind« (Turkle, 1999, S. 289).

Gerade das Web 2.0 (und seine Nachfolger) scheinen prädestiniert für die De-/Re-/Konstruktion von neuen Ichs über »identity-workshops«

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(Bruckman, 1993), die sich im Sinne einer Vielheit von Selbsten (Rheingold, 1994) inszenieren. Es bietet neue Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit sich und lässt uns über die vielen unterschiedlichen Rollen nachdenken, die wir im Lebensalltag spielen. Mensch kann somit – losgelöst von Körperlichkeit und Örtlichkeit – seine Online-Identität in nahezu jedem Augenblick neu erschaffen, damit spielen und im Sinne eines Labors für Ich-Konstruktionen experimentieren, ohne unmittelbare Konsequenzen daraus zu erfahren, zumal Ort und Körper jederzeit neu gewählt werden können. Und dies ein reales Leben lang. In dieser spielerischen Komponente liegt wiederum ein gewisses Risiko für das Individuum, das sich in einer »Entfremdung von sich selbst, von zahlreichen Klonen, von seinen isomorphen Ichs« (Baudrillard, 1994, S. 34) zeigen kann. Ein gesunde Ich-Identität zeichnet sich dadurch aus, dass diese Patchwork-Identitäten miteinander in Beziehung stehen und eine Chance Tabelle 1: Pro und Contra einer virtuellen Identität – eine Auswahl Chancen für User

Risiken für User

Nachdenken über das eigene Selbstbild (möglich durch virtuelle Identität)

Verschwimmen der Konturen der realen und virtuellen Identitäten Entkoppelung der Patchwork-Identität von der realen Identität (über Anschlussverlust an soziale Erlebniswelt unter der Gefahr von Ausgrenzung und Vereinsamung)

ungezwungene Auseinandersetzung mit der eigenen Person (über Anonymität und Befreiung jeglicher Erwartungshaltung möglich) Differenzierung der Identität und Stärkung der Selbstachtung (durch Teilidentitäten möglich) Erweiterung des sozialen Handlungshorizonts und Multiplizierung der kommunikativen Möglichkeiten

Enthemmung der menschlichen Persönlichkeit und apersonale Beziehungen Verdrängung sozialer, biografischer Faceto-Face-Kontakte

Experimente mit dem Ich (über Stellvertreter-Egos wie Avatare)

Sanktionsfreiheit sowie minimierte bis fehlende Feedback-Möglichkeit (zur Reflexion der gespielten Identität)

Sensibilisierung auf das Andere und den Anderen (durch Interaktionen über formelle und informelle Regelungen im Netz, in der Community

Erfahrungen zur Selbstaufwertung als generelles Bewältigungsmuster im Alltag (über Selbstzentrierungstendenz)

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erhalten, dem Lebensgefühl persönlichen Zerrissenseins oder der Ausbildung einer multiplen Identität (Hacking, 1996) zu trotzen oder gar dem Sucht-Kreislauf nach einem Immermehr zu verfallen. Virtuelle Identität erfährt nämlich online – anders als im realen Leben offline – kaum relevante soziale Sanktionen. Hier im Web fällt eine Entkoppelung von handelnden Personen und ihrem Verhalten leicht, es bedingt sich vielleicht sogar. Nämlich dann, wenn die Übermittlung der Identitätsentwürfe und Re-/Präsentation normal textual (textbasiert) abläuft. Worin Nutzen und mögliche Gefahr liegen können, zeigt Tabelle 1. Die Motive zur Kreierung virtueller Identitäten sind ident mit jenen aus der Realität: Es ist die Sehnsucht nach Erfolg bzw. Anerkennung (Keupp, 2001), denen dieser Out-of-Face-Zustand, dieses zweite Lebensraumgefühl (Benke, 2005), einen Nutzen-Mehrwert bringt.

Identität: individuell oder kollektiv? Entwicklung, Darstellung und Wahrnehmung virtueller Identitäten hängen ganz wesentlich vom Medium und der Kommunikationsweise ab und wie wir die Identität(en) unserer (Nicht-)Gegenüber wahrnehmen. Hinsichtlich individueller Identität ist (basierend auf der Theorie der sozialen Identität) zwischen personaler und individueller Identität zu unterscheiden. Findet beim Individuum eine Identifikation über Besonderheiten wie körperliche Merkmale, Interessen oder Handlungen statt, so spricht man von personaler Identität. Unter sozialer Identität hingegen versteht man die Identifikation mit jener Gruppe, zu der sie dazugehört (Ingroup) und die sich von weniger interessanten Gruppen (Outgroups) ausgrenzt. Je intensiver sich allerdings dieser Prozess des In-sich-Zusammenziehens innerhalb der eigenen Gruppe vollzieht und umso unproblematischer der Zugang zu medialen Umgebungen fällt, umso leichter entwickelt und kristallisiert sich die kollektive Identität heraus. Und dabei kann durchaus eine Überlagerung von Selbstinterpretationen von individueller (ich bin ein Außenseiter) hin zu kollektiver Identität (wir sind Außenseiter) stattfinden. Wie sich die individuelle Identität darstellt, liegt wiederum in einer

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Mischung aus internen (Absicht, Inhalt, Selbstdarstellung, …) wie externen (Adressat, …) Perspektiven zum Selbst. Interessant hinsichtlich Selbstdarstellung ist mit Döring (1999, S. 263) das »Diskrepanzerleben zwischen privater Identität (z. B. lesbisch sein) und öffentlicher Identität (z. B. sich nicht explizit als Lesbe darstellen und somit für heterosexuell gehalten zu werden)«.

Rolle und virtuelle Gemeinschaft Virtuelle Communities sind mehrheitlich Interessensgemeinschaften (Misoch, 2006) und sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit zunehmender Dauer ein Gefühl von Nähe und Zugehörigkeit entstehen lassen. Sie umfassen User, die sich an einer spezifischen URL, verstanden als virtueller Aufenthaltsort, treffen – und zwar ohne sich (in der Regel) zunächst zu kennen. Was virtuelle Gemeinschaften dabei vor allem auszeichnet (Kardorff, 2005; Dyson, 1997), sind: − klare identifizierbare Grenzen nach außen; − Regeln (die auch Konsequenzen festlegen) und Konsequenzen bei Missachtung; − feste Mitgliedschaftsregeln (passwortgeschützter Zugang); − wechselseitige Beziehungen der Mitglieder untereinander; − sowie ein subjektives Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Rolle wiederum, die das Individuum im sozialen Kreis Gleichgesinnter einnimmt, ist eine, die es nicht nur begleitet, sondern auch verpflichtet, seine Rolle weiter zu spielen. Je identer (authentischer) eine Person ihre Rolle spielt, umso mehr wird von ihr erwartet, dass sie sich auch an diese hält (was übrigens auch zu einer verringerten Wahrscheinlichkeit enthemmten Verhaltens führt). Aus eigener Foren-Beobachtung (Benke, 2007a, S. 60) ein Beispiel: User bq79 gibt sich als ein sehr sozial-kompetenter, umsichtig-fürsorglicher Typ zu erkennen, der es versteht, stets (s)eine hochempathische Rolle einzunehmen. In dieser beeindruckt er nicht nur die weiblichen User, sondern er nahm zugleich auch eine erkennbare Vorbildwirkung ein. Er gilt schließlich als die Autorität (moralisch, sozial, …) schlechthin und mutiert durch sein So-Sein quasi zum informellen Leader.

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Interessant dabei ist jedoch, dass er – wie er immer wieder schreibt – offensichtlich mit seinem Leben in der Realität kaum zurecht kam, ein miserables Selbstwertgefühl hatte, sich ignoriert und ausgeschlossen fühlte und sich im Alltag immer mehr (in sich) zurückzog. Er ließ sich hängen und sah (wie er selbst schrieb) auch so aus, ihm fehlte offensichtlich die Freude am Leben. Sein Fenster nach draußen wird die Virtualität: Hierin sieht er eine Chance, sich mitzuteilen und mit anderen auszutauschen. Und diese erfüllte sich ganz – in Umkehrung zu seiner Realitätserfahrung.

Dieses Beispiel illustriert eine These aus Turkles »Leben im Netz« (1999), nämlich die Möglichkeit, dass sich jeder Mensch auf dem Computerbildschirm (gleichsam als Fenster zur Welt) seine eigenen Dramen produzieren und dabei gleichzeitig in die Rolle des Produzenten, Regisseurs und Stars schlüpfen und vielleicht auch einen a-stigmatisierenden Effekt (Cooper u. Hauptmeier, 2007) einbringen kann: über die Nutzung einer Möglichkeit zur Möglichkeit.

Alter-Identitäten: Theorie und Praxis Theoretische Grundlagen für die Möglichkeiten, in der Virtualität überhaupt Alter-Identitäten ausbilden zu können, finden sich vor allem in jenen Modellen, die sich im weiteren Sinne mit der Reduktion von Realität bzw. der Filterung von Informationen durch den Text als Medium auseinandersetzen (Kanalreduktion, Social-Cues-Filtered-Ansatz, . . . ). Fakt ist: Durch das Fehlen des unmittelbaren Gegenübers schickt man seine Botschaft gleichsam ins Nichts. Was bleibt, ist die Unsicherheit, wie der andere den Text aufnimmt, wie er darauf reagieren wird. Aus diesem Grundgedanken heraus folgen einige für die Online-Beratung zentrale Schlüsse: Zum einen können Missverständnisse entstehen (welche jedoch über digitalisierte Emotionszeichen wie Emoticons, Akronyme wiederum teilweise kompensiert werden können), die aufgrund des fehlenden Gegenübers und einer niedrigeren Hemmschwelle zu Beleidigungen, den »flamings«, führen können. Zum anderen eröffnen sich Chancen auf eine vorurteilsfreie Begegnung, denen ein durchaus demokratisierend-egalisierender Charakter immanent ist.

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K. Benke – Netz, Online-Kommunikation und Identität

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Maske oder Lernfeld: Funtasie – Fantasie? Was die Identität selbst betrifft (Benke, 2007a), so stehen zu ihrer Erklärung zunächst die Thesen der Selbstmaskierung (das Spiel des »Selbst« mit Masken bzw. Scheinidentitäten) sowie jene der Selbsterkundung (das Ich konstruiert neue Identitäten) gegenüber, die Anleihen aus den Modellen der Social-Filter-Cues und der Kanalreduktion nehmen. Mit der Selbstmaskierungs-These geht die Annahme von Scheinidentitäten einher, die sich User zulegen können, um so ihrem Umfeld zu entfliehen oder sich hinter einer Maske zu verstecken. In dieser Form von Eskapismus passt man die eigene Identität den gängigen Attraktivitätsnormen an, sodass man von einer selbstidealisierenden Maskierung sprechen kann. Neben der Idealisierung der eigenen Identität findet auch der radikale Rollenwechsel im Netz seine Anwendung. Zweifelsfrei liegt in der Möglichkeit zum Rollenwechsel (Bahl, 1997) auch die Wurzel nicht nur für das negative Bild dieser These, sondern offenbar auch für das nach wie vor verbreitete skeptisch-negative Image der virtuellen Kommunikation. Die Selbsterkundungsthese mit ihrem zentralen Punkt der OnlineIdentitätsarbeit hält allerdings eine bewusste, reflexive Auseinandersetzung mit sich selbst entgegen, die gerade angesichts des Web 2.0 mit den Möglichkeiten, sich selbst zu repräsentieren, erneut enorme Möglichkeiten erfährt (Benke, 2007b), womit die textbasierten Online-Plattformen von vorneherein eine Chance auf Nutzung als ein quasi-therapeutisches Medium haben. Die Forschung ist sich in dem Punkt einig (Döring, 1999; Misoch, 2006), dass ein pauschalisierender Vorwurf in Richtung Identitätsverlust beziehungsweise ein Verstecken hinter der virtuellen (Bildschirm-) Maske sich als ebenso wenig haltbar erwiesen hat wie die generelle Annahme, dass Online-Kommunikation an sich zu einer entwickelten virtuellen Identität führt und damit therapeutisch wirke oder vielleicht sogar zum Abbau existierender Ungleichheiten führt (Ottinger, 2008).

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II Theorie der Online-Beratung

Nicknamen und Rollenwechsel »A person’s name is a kind of marker which defines the inner and outer being of that specific person« (Bechar-Israeli, 1995, S. 5).

Der Nickname ist (außerhalb der E-Mail-Beratung) nicht nur der Schlüssel zur Person und ein weiteres Kennzeichen derselben, sondern auch häufig ein Verortungsmerkmal und er steht damit häufig auch in Abhängigkeit zur Plattform oder der Community, der man angehören will. Der gewählte Nick ist somit Primäridentifikationsschlüssel wie Selbstdarstellungsrequisite und zwar nicht nur der potenziellen User (Betroffene), sondern im Falle der Online-Beratung auch jener, die ein Thema oder Problem teilen oder mittragen: der »Problem-Anrainer« (Benke, 2007a). Generell benutzen User Nicknamen (die sich über eine längere Zeit hinweg in einem netzbasierten Bild ihrer Person manifestieren). Und interessant dabei ist, dass – wie die Forschung (Döring, 1999 u. 2000a; Misoch, 2006) zeigt – die Darstellung des Ich in vielfältigen Netzkontexten weniger durch Maskerade als vielmehr durch verstärkte Selbstoffenbarung gekennzeichnet ist, was wiederum (vor allem mit Fortdauer der Online-Interaktionen) persönliche Beziehungen fördert und zur Selbstentwicklung genutzt werden kann. Inwiefern jedoch Identitäts(re)präsentationen über die Webnamen Einfluss auf die Identität selbst haben, ist empirisch nach wie vor kaum untersucht. Am Beispiel der Chatter (IRC) konnte Bechar-Israeli (1995) feststellen, dass rund die Hälfte aller Namen selbstbezogen sind, dass immerhin knapp zehn Prozent durchaus Realnamen verwenden und die Bedeutung – trotz ihrer Unterschiedlichkeit – jedoch zumeist in einer Beziehung zum User selbst (Eigenschaft, Gewohnheit, Datum, …) stehen. Sie werden sogar als eine »spezielle Form geistigen Eigentums im und für den Cyberspace« betrachtet (Bechar-Israeli, 1995, S. 29). Mit dem Spektrum von »One’s online identity can be real-to-life, imaginary, or hidden« (Suler, 2000b, S. 2) steht und fällt auch die Möglichkeit des Rollenwechsels. Eine Form dazu ist der Geschlechtertausch, genannt Gender-Switching oder Gender-Swapping. Er bezeichnet die Option, sich zum Beispiel in der Chat-Kommunikation eine virtuelle Identität zu schaffen, die nicht der Wirklichkeit entspricht und deshalb Basis für zwischenmenschliche Enttäuschungen oder gar kriminelle Handlungen sein kann.

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K. Benke – Netz, Online-Kommunikation und Identität

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Der Anteil der »Gender-swapper« liegt allerdings lediglich zwischen fünf und zehn Prozent (Misoch, 2006). Döring (1999) verweist in diesem Zusammenhang sogar auf eine zusätzliche Möglichkeit, auch zwischen Kulturkreisen zu wechseln und sich so etwa als Schwarzer, Weißer etc. auszugeben. Auf Online-Plattformen ist es interessant zu sehen, dass zunächst der Anteil an »fakes« (Personen, die Falschangaben machen) mit Beginn ihres Eintritts höher zu sein scheint, sich jedoch über die Dauer und Intensität der Net-Beziehungen bzw. einer aktiven Community-Gestaltung verringert. Als Grund dafür wird immer wieder die sich mit der Fortdauer der Bekanntschaft steigernde Wahrscheinlichkeit genannt, doch auch Face-to-Face diese sozialen Kontakte leben zu wollen und sich daher nicht hinter (s)einer Maske zu verstecken. Last but not least können »undercover-chats« als spielerische Besonderheit angesehen werden. In ihnen hält sich ein Teil der User mit einem klaren Ziel identitätsmäßig bedeckt und dies kann beispielsweise dem Austesten von Freundschaften dienen.

Erkenntnisse zu virtuellen Identität(skonstruktion)en Gerade in Anbetracht der Online-Beratung gilt es einmal mehr darauf hinzuweisen, dass auch die Darstellung virtueller Identitäten toolspezifisch, also nach ihren Kontexten (E-Mail, Foren, Chat, …), zu betrachten ist. Fazit ist, dass das Spiel mit fiktionalen Identitäten nach wie vor eher die Ausnahme darstellt (Bruckman, 1993; Bechar-Israeli, 1995; Döring, 1997; Misoch, 2006). Selbst die Anzahl mehrerer Identitäten muss im Falle von E-Mail-Kommunikation oder E-Mail-Beratung noch keinen Hinweis in Richtung Maskierungsthese sein, denn oft sind es rein pragmatische Gründe, warum User verschiedene Adressen haben, etwa ein Webmail-Konto für den beruflichen Bereich und eines für Web-SurfAktivitäten, das auch verspamt werden kann. Die Bedeutung von Pseudoanonymität im Web, also die Verwendung von Nicknamen, wird quantitativ nach wie vor überschätzt, da mit dem personifizierten E-Mail-Verkehr bereits ein großer Teil des Webtraffics abgedeckt werden. Mit Sicherheit stellt die Option auf eine virtuelle Identität für soziale

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II Theorie der Online-Beratung

Randgruppen, kulturelle Minderheiten und/oder für sich noch entwickelnde Charaktere eine Chance dar, neue Perspektiven bzw. neue Horizonte zu erfahren. Hinsichtlich der Zeitdauer der Kontakte kann davon ausgegangen werden, dass sich eigene Ausdrucksformen entwickeln, Identitäten aufbauen, soziale Beziehungen etablieren und (informelle) Verhaltensnormen entwickeln, die gute Chancen auf eine stabile Community eröffnen. Es liegt aber auch in der Hand der Betreiber (Rahmen, Vorgaben, …), mit der jeweiligen Netiquette Identitätswechsel zu begünstigen oder zu verhindern: indem sie sich für einen freien Zugang, einfachen oder umfänglichen Login entscheiden. Natürlich fällt ein Identitätswechsel am leichtesten dort, wo ein anonymer Login mit einem spontan gewählten User-Namen möglich ist. Ist zu einem Namen eine zusätzliche Registrierung eines festgelegten User-Namens erforderlich, so sinkt die Bereitschaft zur situativen Nutzung. Zweifellos am schwersten machen es Betreiber, die ihren Usern dadurch Grenzen setzen, dass nicht nur der Username, sondern auch die Mailadresse nur einmal vorkommen dürfen. Dadurch müsste für eine weitere Registrierung mit einem anderen Usernamen ein neues E-Mail-Konto eröffnet werden, was für manche User bereits eine zu große Hürde darstellen kann.

Schlussgedanke Wer in der Realität zu Hause ist, ist ein Reisender. Er ist im Sinne eines Web-Nomaden nicht sesshaft. Ja, er kann gar nicht sesshaft sein: vor allem nicht in sich selbst. Er ist allerdings drauf und dran zu lernen, mit dieser Dualität von realer und virtueller Identität umzugehen.

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Medien der Online-Beratung

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Birgit Knatz

Die webbasierte Mail-Beratung

Vorbemerkungen Als im April 1993 das World Wide Web als bedienerfreundliche Internettechnologie für die Allgemeinheit freigegeben wurde, hat sich das Mailen als das meistgenutzte Kommunikationsmittel im Netz durchgesetzt. Mailen ist ein zeitgemäßer Weg geworden, sich zu verständigen, sich zu begegnen, zu kommunizieren und in Kontakt zu kommen. Die Kanalreduktion der virtuellen Kommunikation ermöglicht ein hohes Maß an Kontrolle in der Selbstdarstellung und der Selbstenthüllung. Viele Menschen können sich in diesem Medium freier äußern, da sie kein greifbares Gegenüber haben. Sie können nachdenken, sortieren, reflektieren, Druck loswerden, und sie fühlen sich stärker geschützt. Wer schreibt, kann die Dinge in eine selbst gewählte Ordnung bringen und die Intensität der Beschäftigung selber bestimmen. So werden die Gedanken und Themen überschaubarer. Die Anonymität und Pseudonymität des Internets gewähren Schutz und haben einen enthemmenden Effekt. Es gibt Gedanken, Gefühle und Probleme, die man keinem Menschen sagen, aber auch nicht für sich behalten möchte. Was liegt näher, als sie aufzuschreiben: zum Beispiel in einer Mail, im Chat, in Foren und Blogs oder in virtuellen Tagebüchern. Allerdings ist hier zu beachten, dass schriftliche Kommunikation eigene Besonderheiten und Gesetzmäßigkeiten hat. Da das Internet heute einer der zugänglichsten Wege ist, sich Informationen aller Art zu verschaffen, eine hohe Akzeptanz besitzt und schnelle Kontakte zu anderen Menschen ermöglicht, wird das Internet auch in den vielfältigen Fragen der Lebensgestaltung genutzt. Menschen suchen sich Unterstützung bei medizinischen Fragen, im Bereich der Gesundheitsfürsorge und in der Bewältigung von Problemen. So suchen sie sich ihr Beratungsmedium gemäß den eigenen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Erwartungen aus. Die Mail-Beratung ist ein Hilfsangebot, das für alle möglichen Themen

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Medien der Online-Beratung

und Problemlagen offen ist. Zudem sind der Zeitpunkt des Verfassens und das Absenden einer Mail an den Bedürfnissen der Userinnen orientiert, da das Internet nicht an Geschäfts- oder Öffnungszeiten ausgerichtet ist. Für Menschen, die sich im mündlichen oder persönlichen Kontakt eher zurückhalten oder zurücknehmen würden, ist das Schreiben eine Brücke, ein Weg, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Hier fühlen sie sich stärker geschützt. Die Beratung per Mail hat sich mehr und mehr zu einem medienspezifischen Angebot entwickelt, das neben der Telefonberatung und der persönlichen Beratung eine eigenständige Beratungsform mit spezifischen Eigenschaften und Wirkungen bietet. Mittlerweile sind eine Vielzahl von virtuellen (psychologischen) Beratungsangeboten im Internet vertreten. Niederschwelligkeit und Anonymität werden dabei von den Ratsuchenden geschätzt, wie diese in den eingehenden Mails immer wieder erwähnen. Weder Geschlecht noch Alter noch Stimme sind wahrnehmbar. Unbekannt bleibt, ob jemand seufzt, weint oder beim Verfassen seiner Mail betrunken ist. Für manche Ratsuchenden macht diese Art der Anonymität die Kontaktaufnahme leichter.

Eigenschaften der Mail-Beratung Die schriftliche Kommunikation in der Online-Beratung hat ihre Besonderheiten und Gesetzmäßigkeiten. So steht den Beratern allein der geschriebene Text zur Verfügung. Sie sehen die Ratsuchende nicht, sie riechen sie nicht, sie fühlen sie nicht und sie hören sie nicht. Sie kennen den Namen des Ratsuchenden nicht, sie sehen den Menschen nicht, der sich schriftlich an sie wendet. Allein der Text spricht, berührt und erzeugt eine Wirkung in der Lesenden. Genau genommen ist es nicht der Text, der spricht, sondern der Berater selbst führt einen Dialog mit sich. Lesen und Sich-berühren-Lassen geschieht immer in konkreten Kontexten, auf dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen, der Lebensgeschichte, des fachlichen Wissens.

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B. Knatz – Die webbasierte Mail-Beratung

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Digitale Kommunikation Die Mail-Beratung bedient sich des Computers und des Internets und fällt technisch gesehen unter den Begriff der digitalen Kommunikation. Der geschriebene Text wird durch den Computer in Datenbits verwandelt und im Rechner der Empfängerin, vielleicht noch mit völlig anderer Schrifttype und Zeilenabstand versehen, wieder zusammengesetzt. Es ist also eine rein digitale Information, welche durch das menschliche Gegenüber wieder analogisiert wird. Die Kommunikation ist auf den Text und dessen Wirkung fokussiert. Beim Kommunizieren per Mail stehen nicht mehr alle verfügbaren akustischen, visuellen, kinästhetischen und olfaktorischen Sinneswahrnehmungen zur Verfügung, allein der Text spricht. Die örtliche körperliche Kopräsenz ist nicht gegeben. Die kanalreduzierte Kommunikation über ein Medium beeinflusst unweigerlich die Kommunikationsweise (Döring, 2003). Erfahrungen aus Schreibwerkstätten, Briefseelsorge, Literatur und Poesie profitieren schon seit vielen Jahren davon.

Äußere Niederschwelligkeit Eine für die Online-Beratung äußerst relevante Eigenschaft ist deren äußere und örtliche Niederschwelligkeit. Öffnungszeiten spielen keine Rolle und der Zugang zum Internet ist ohne großen Zeitaufwand von jedem Ort aus möglich. Angesichts der geringen finanziellen Belastung, der Bequemlichkeit, der Ad-hoc-Verfügbarkeit, der zeitlichen Flexibilität und der Tatsache, dass die reale Präsenz oft mit einem sehr viel höheren Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist als die virtuelle Präsenz, lässt sich die Reichweite der Beratung verbessern. Über das Internet erhalten Bewohnerinnen dünn besiedelter Gebiete nun Zugang zu Beratungsleistungen. In Städten und Ballungszentren ist die Online-Beratung von zeitlich stark eingebundenen Personen, die angesichts begrenzter Öffnungszeiten keinen Zugang zu konventionellen Beratungsleistungen erhalten, eine gute Möglichkeit, sich Beratung zu holen. Auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist die Online-Beratung von Vorteil. Somit kommen virtuelle Angebote der Beratung ihrer Zielgruppe entgegen und es können durch entsprechende Dienstleistungen in den Neuen

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Medien der Online-Beratung

Medien zusätzliche Nutzergruppen erschlossen und die Reichweite des Informations- und Beratungssektors verbessert werden. Das gilt besonders für Zielgruppen, die bislang mit einer Unterversorgung in diesem Bereich konfrontiert waren. Die webbasierte Mail-Beratung erlaubt einen Zugang von jedem Ort der Welt zu jeder Zeit. So können Menschen, die sich beruflich im Ausland aufhalten und dort nicht die Möglichkeit haben, eine Beratungsstelle aufzusuchen (weil es keine gibt oder Sprachprobleme bestehen), Beratungsleistungen der Online-Beratung in ihrer Muttersprache in Anspruch nehmen.

Innere Niederschwelligkeit Neben der äußeren Niederschwelligkeit erleben Menschen auch eine innere Niederschwelligkeit. Sie brauchen nicht, wie beim Telefonieren, ihre Stimme erkennen zu geben. Beratungssuchende können sich freier über ihre Gefühle äußern, wenn sie allein vor ihrem Bildschirm sitzen und eine Mail verfassen. Die Ratsuchenden können ihre Emotionen dosieren und Peinlichkeiten vermeiden. Demzufolge wird die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme zum Hilfesystem gesenkt. Das gilt insbesondere bei Problemen, die eine besondere Diskretion erfordern und die den Betroffenen möglicherweise unangenehm sind. Zudem ist die Angst vor entsprechenden Interventionen geringer, da internetgestützte Beratungskontakte einen geringen Verbindlichkeitsgrad aufweisen. So können etwa Drogenabhängige ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, Menschen mit psychischen Erkrankungen müssen keine Zwangsmaßnahmen befürchten und Personen mit Verdacht auf eine Krebserkrankung werden durch die Inanspruchnahme einer Beratungsleistung nicht unmittelbar mit operativen Eingriffen oder einer Chemotherapie konfrontiert. Anders ausgedrückt: Ratsuchende wahren im Schutze der Anonymität in vollem Maße ihre Autonomie und Entscheidungsfreiheit, ohne sozialem Erwartungsdruck oder gar Zwangsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. Sie haben so viel stärker die Kontrolle darüber in der Hand, was sie dem Gegenüber an Informationen weitergeben wollen. Dadurch überwinden die Mailer ihre Schwellenängste schneller und es fällt ihnen leichter, ihre Probleme mitzuteilen. Zudem sind sie vor der direkten

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Reaktion des Gegenübers sicher. Sie können Gefühle wie Verständnis, Anteilnahme, aber auch Konfrontation und konstruktive Kritik in den Mails lesen, diese aber durch mehr Distanz leichter entgegennehmen.

Anonymität Die virtuelle Kommunikation bietet die Anonymität und Pseudonymität, die es manchmal braucht, um ein Anliegen zu formulieren, sich zuzugestehen, dass man allein nicht mehr weiterkommt. Schreiben ermöglicht ein hohes Maß an Kontrolle über Selbstdarstellung und Selbstenthüllung. Der psychosoziale Hintergrund kann völlig ausgeblendet bleiben. Anonymität und Pseudonymität (sich einen Nicknamen zu geben, sich für jemand anders auszugeben) gewähren Schutz und haben einen enthemmenden Effekt. Dies bietet die Möglichkeit, spielerischer und häufig ressourcenorientierter mit eigenen Problemen und der oft dazugehörigen Scham umzugehen. Manchmal macht es dieses anonyme Medium Menschen erst möglich, nach Unterstützung zu suchen. »Trauer, Verlust, Angst: Wenn solche Gefühle die Seele quälen, braucht man Hilfe. Doch nicht jeder traut sich, zur Seelsorge oder zu einer Beratungsstelle zu gehen. Internet-Lebenshilfe will diese Menschen aus der Isolation holen. Die Leute können jederzeit die Trauer rausschreiben« (Pfeifer, 2003).

Zeitliche Flexibilität Das Mailen gehört, wie Blogs, Podcasts und Wikis, zur asynchronen Form der Internetkommunikation. Durch diese Art der zeitlichen Unabhängigkeit, eine Mail kann zu jeder Tages- und Nachtzeit geschrieben und verschickt werden, bietet diese Form der Beratung ein Angebot, welches direkt zugänglich ist, immer dann, wenn es nötig erscheint. Ratsuchende können Stunden mit Schreiben verbringen, können sich Zeit lassen, ihre Gedanken zu ordnen, aufzuschreiben und können sie, wenn erwünscht, im Anschluss daran auch wieder verwerfen. Ratsuchende nutzen das Mailen häufig als eine Art virtuelles Tagebuch, das antwortet. Oft findet beim Aufschreiben schon ein Prozess der Verarbeitung statt

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Medien der Online-Beratung

(Vogt, 2007). Zudem bietet die Mail-Beratung den Ratsuchenden ein Setting, welches nicht auf die üblichen 45–50 Minuten begrenzt ist. Es findet eine zeitliche Zerdehnung statt, die gerade in Beratungsprozessen hilfreich ist. Der zeitliche Abstand zwischen den Mails trägt weiterhin zur Entschleunigung bei. Dies ermöglicht es, Zeit zum Nachzudenken zu haben, den eigenen Gefühlen nachzugehen und gleichzeitig eine Distanz zu schaffen, die diese Berührung auch ermöglicht. Außerdem erlaubt die webbasierte Mail-Beratung jederzeit die Möglichkeit, das eigene Geschriebene und auch die Antworten des Beraters immer wieder nachzulesen und so auch neue Aspekte zu entdecken. Der häufig über mehrere Wochen, Monate oder auch Jahre geführte Mailwechsel bietet die Möglichkeit einer Neuorientierung und Lösung im Umgang mit der vorgebrachten Problematik oder hilft eine andere, zum Beispiel therapeutische Begleitung in Angriff zu nehmen.

Nähe durch Distanz Das Internet ist – ähnlich wie das Telefon – eine Zaubermaschine. Sie hält die Nähe fern und zieht die Ferne auch in die Nähe der Intimität (Genth u. Hoppe, 1986). Beim Mailen entsteht die scheinbar paradoxe Situation einer Nähe durch Distanz. Diese Distanz bewirkt, dass gesellschaftlich tabuisierte und schambesetzte Themen, wie zum Beispiel Fragen zur eigenen Sexualität, der eigene Umgang mit Gewalt, die Angst vor dem Sterben, selbstverletzendes Verhalten, Fragen der Körperhygiene oder Geschlechtskrankheiten leichter benannt werden können. Studien und Erfahrungen aus der Praxis von Online-Beratung zeigen, dass, entgegen der zunächst gegenteiligen Erwartungen, Beratungskontakte emotional durchaus sehr intensiv sein können (van Well, 2000; Knatz u. Dodier, 2003). Ratsuchende beschreiben häufig, dass sie über Probleme schreiben, die sie selbst am Telefon niemanden anvertrauen würden. Schreiben schafft Distanz und hilft bei der Problemstrukturierung. Durch die Notwendigkeit das eigene Erleben darzustellen, begeben sich Ratsuchende in eine Erzähl- oder Berichtsposition, die in sich schon eine Distanz zum aktuellen Geschehen voraussetzt. Sie erzählen oder berichten über sich aus der Perspektive einer anderen Innenper-

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son. Diese kann sich von dem Vorgefallenen emotional ein wenig distanzieren, indem sie sich von ihrer erlebten Innenwelt entfernt und in die gewünschte Position der Erzählerin oder des Berichterstatters versetzt. Die Mailerinnen wählen aus, was wichtig und aufschreibenswert ist und was weggelassen wird. Sie entscheiden, welchen Gedanken- oder Auslegungssträngen sie nachgehen und welche sie vernachlässigen, um ein Problem zu beschreiben.

Vorteile des Mail-Schreibens – die Selbstreflexion Das Schreiben kann dazu führen, Entdeckungen über unbewusste Neigungen und Wünsche zu machen, weil der Schreibprozess immer wieder zu ähnlichen Themen, Stichworten und weiterführenden Gedanken führt. Dieses Phänomen lässt sich beraterisch nutzen. Schreiben ist eine Form von Selbstausdruck, bei der ein Schreiber nicht nur handelt, sondern zugleich das Ergebnis seines Handelns betrachtet. Emotionen und Erinnerungen schriftlich auszudrücken heißt, konzentriert und intensiv nachzudenken. Eine einfache Methode, schreibend über sich selbst nachzudenken, ist zum Beispiel das Mailen oder das Führen eines Tagebuchs. Diese schriftliche Kommunikation ist zunächst ein Monolog. Der Mailer versucht Probleme in Worte und Sätze zu kleiden. Das Formulieren und Verfassen einer Mail ist somit ein selbstreflexiver Prozess. Viele Mailer erwähnen, dass allein schon die Tatsache, die eigenen Gedanken und Probleme einmal aufgeschrieben zu haben, bereits ein spannendes Unterfangen und von großem Nutzen war. So kann schon das Verfassen einer Mail Erleichterung, Klarheit oder Entlastung verschaffen. »Das war ein langer Brief. Danke, dass ich mit Ihnen reden konnte. Es tut so gut«, schreibt eine Mailerin an die TelefonSeelsorge. Das Schreiben verschafft Raum, so schreibt ein Ratsuchender:

»Ich kann mir mal alles von der Seele schreiben, bin den ersten Druck los, habe wieder Luft zum Atmen, kann meine Situation noch einmal in Ruhe überdenken. Ich kann emotionaler reagieren, etwas weniger höflich schreiben, mich intensiver beschweren, offener im Austausch sein.«

Das Schreiben filtert, schält heraus, kondensiert, da für die eigene Problemstellungen Worte, Begriffe, Beschreibungen und Umschreibungen gefunden werden müssen, die dem Erlebten entsprechen. Schreiben hat

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einen höheren Verbindlichkeitscharakter als Sprechen. Geschriebene Worte sind, wenn sie verschickt worden sind, nicht zurückholbar. Daher erfordert der Verschriftlichungsprozess eine hohe Aufmerksamkeit und eine erhebliche Abstraktionsleistung. Das einmal Geschriebene kann durch andere, wenn es erst einmal aus der Hand gegeben ist, jederzeit nachgelesen werden. Schreiben schafft Zugang zur inneren Erlebniswelt, denn wenn Emotionen sprachlich ausgedrückt werden, ist die Intensität der Beschäftigung und der Konzentration höher. So schafft das Aufschreiben der eigenen Problemsituation oft Entlastung, Erleichterung und Klarheit. Zudem beschäftigen sich Menschen mit ihren Ängsten und Gefühlen intensiver, wenn sie diese verschriftlichen und ihr Anliegen fokussieren. Der Schreibprozess dient dazu, Geschehnisse und Umstände nach außen zu bringen und er schafft so eine Distanz zum eigenen Erlebten. Diese Distanz ermöglicht eine Problemfindungslösung, da ein neuer erweiterter Blickwinkel entsteht. Wenn Menschen ihre Emotionen sprachlich ausdrücken, finden sie Wörter für Situationen, in denen sie sonst vielleicht sprachlos sind, daher kann das Schreiben als kreativer Prozess autonomer und selbständiger machen. So schreibt eine jugendliche Mailerin an die TelefonSeelsorge: »Seit ich dir immer schreibe, geht’s mir viel besser, denn ich muss dir mein Problem und meine Sorgen relativ genau beschreiben, denn du kennst mich ja nicht. wenn ich dir alles schildere, denke ich ja noch mal über alles nach und mir wird vieles viel klarer.«

Das Mailen erlaubt Menschen mit einer Scheu vor direktem und spontanem Kontakt ein vorsichtiges Herantasten und Ausprobieren und kann zum Beispiel eine hilfreiche Vorstufe zu intensiveren Kontakten am Telefon oder in der persönlichen Beratung sein und zu diesen hinführen.

Kompetenz der Online-Beraterin und des Online-Beraters Online-Beraterinnen stehen vor der Aufgabe, sich einem Annäherungsprozess und Ineinandergreifen von Technik, Computertechnik und Medientechnik und einem humanistisch-psychologischen Instrumentarium zu stellen. Online-Beraterinnen benötigen dabei für die MailBeratung sowohl eine Lese- und Schreib- als auch Internetkompetenz. Lesekompetenz erfasst die Fähigkeit, geschriebene Texte in ihren Aussagen, ihren Absichten, ihrem Sinnzusammenhang und ihrer for-

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B. Knatz – Die webbasierte Mail-Beratung

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malen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, sowie die Befähigung, Texte für unterschiedliche Belange sachgerecht zu nutzen. Lesen besagt, die geschriebenen Worte aufzunehmen, zu erfassen und daraus ein Verständnis dessen zu erlangen, was die Verfasserin erzählen wollte. Bei schriftbasierter asynchroner Online-Kommunikation handelt es sich um eine zerdehnte Kommunikation, die über Raum und Zeit hinweg Verständigung ermöglicht. Es wird mit einem abwesenden, vielleicht sogar unbekannten Gegenüber kommuniziert. Das Produzieren eines Textes geschieht in einem eigenen Prozess, der sich über eine gewisse Zeit erstreckt und an dem unterschiedliche Teilhandlungen wie das Planen, das Formulieren, das Niederschreiben und das Überarbeiten beteiligt sind. Das Schreiben erfordert wegen der besonderen Rahmenbedingungen besondere kognitive Fertigkeiten, da der Text eine Wirkung erzeugen soll. Internetkompetenz kennzeichnet beispielweise Inhaberinnen eines Internetführerscheins. So können diese auf Fragen wie: »Was ist das Internet? Wie entstand das Internet? Wie funktioniert es? Was gibt es im Netz und so komme ich ins Netz?« antworten. Sie sind in der Lage, einen Browser zu bedienen, kennen die Dienste des Internets, wissen um den Unterschied von Soft- und Hardware und können Dateien öffnen. Zudem besitzen sie Basiskenntnisse im Bereich Datenschutz und Datensicherheit.

Datenschutz und Datensicherheit Seriöse Online-Beratung vollzieht sich webbasiert und SSL-verschlüsselt, da das Versenden von E-Mails über einen E-Mail-Client nicht sicher ist und sowohl in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch nicht unter das Briefgeheimnis fällt. Zudem sind Berater in Deutschland gemäß §203 StGB verpflichtet, mit personenbezogenen Daten sorgfältig umzugehen. In einer Beratungsanfrage übermittelt der Ratsuchende in der Regel hochpersönliche Daten. Eine unverschlüsselte E-Mail ist dazu kein geeigneter Weg.

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Gerhard Hintenberger

Der Chat als neues Beratungsmedium

Im Chat spiegelt sich ein Ambivalenzphänomen schriftbasierter neuer Medien wider. Einerseits produzieren sie ein subjektives Gefühl der Beschleunigung, anderseits kann nur ein Bruchteil der Informationsmenge einer Face-to-Face-Kommunikation transportiert werden. Im Nebeneinander von verdichtetem Zeitempfinden und reduzierten Inhalten entsteht die typische Melange einer Chatkultur, die von Kritikern als oberflächlich und geschwätzig bezeichnet wird. Kann, so stellt sich deshalb die Frage, ein Plaudermedium (engl. »to chat«) sinnvoll in Beratungskontexten eingesetzt werden, die ein bestimmtes Ausmaß an Tiefenzentrierung zum Ziel haben?

Chat als quasi-synchrones Medium Der Chat ermöglicht schriftbasierte Kommunikation, indem Tastatureingaben auf den Monitoren aller Beteiligten visualisiert werden. Technisch gesehen handelt es sich bei Chatsystemen nicht um eine zeichen-simultane Übertragung, da Inhalte in einem ersten Schritt zu Sequenzen zusammengefasst und erst nach dem Drücken der Entertaste abgeschickt werden. Dies bewirkt im Gegensatz zu synchronen Medien (wie z. B. dem Telefon) eine Verzögerung in der Übermittlung, ermöglicht andererseits aber neue Steuerungsvarianten. Die »NichtSimultanität von Produktion und Rezeption« (Beißwenger, 2005, S. 64) erhöht allerdings auch die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und Kommunikationsstörungen. Zu beobachten ist neuerdings der vermehrte Einsatz von Audio- und Videochats. Da sie im Beratungskontext zurzeit noch eine sehr untergeordnete Rolle spielen, werden sie in diesem Artikel allerdings nicht weiter behandelt. Da es sich beim Chat um eine quasi-synchrone, wechselseitige Kommunikation handelt, wird er unter sprachwissenschaftlichen Gesichts-

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III Medien der Online-Beratung

punkten als Diskurs und nicht als Text kategorisiert. »Liegt der Äußerung eine wechselseitige Kommunikation zugrunde, handelt es sich um einen Diskurs, wenn nicht um einen Text« (Dürscheid, 2004, S. 150 f.). Wir haben es hier also vielmehr mit getippten Gesprächen und nicht mit dialogischen Texten zu tun (Storrer, 2002). Eine gewisse Differenz zum Gespräch ergibt sich allerdings durch den Umstand der Verschriftlichung und der damit einhergehenden zeitlichen Verzögerung. So ist es im Chat nicht möglich, jemanden direkt zu unterbrechen oder die Textproduktion während ihres Entstehens zu beobachten. Im Chat trifft eine Kommunikationsform, die sich der Schrift als einem Medium der Distanz bedient, auf eine Struktur, die in Gesprächsorganisation, Lexik, Syntax und Grammatik mündlicher Kommunikation entspricht (Bader, 2002). Der Reiz dieser mündlich konzipierten Kommunikation, die schriftbasiert vermittelt wird, liegt im Spannungsfeld von räumlicher Trennung bei gleichzeitiger Intensivierung des Kontaktes und der Möglichkeit virtuellen Handelns.

Einsatz nonverbaler Elemente Im Gegensatz zur Face-to-Face-Kommunikation muss der Chat auf nonverbale und parasprachliche Elemente im eigentlichen Sinne verzichten. Um diesen Mangel zu kompensieren, werden bestimmte netzspezifische Codes, besondere Zeichenkonfigurationen (Smileys) und eine spezielle Raummetaphorik (das Erzählcafé) eingesetzt (Hoffmann, 2004). Dennoch ist, trotz der eben genannten Phänomene, nicht von einer neuen Netzsprache auszugehen, sondern von geschriebener Mündlichkeit in neuen Anwendungsbereichen. Dürscheid (2004) weist nach, dass viele Eigenheiten internetbasierter Kommunikation bereits in älteren Textsorten belegt sind. Die Besonderheit, nonverbale Elemente zu verschriftlichen, liegt vor allem darin, ihnen dadurch die Grundlage ihres unbewussten Entstehens zu entziehen. Dies eröffnet allerdings gleichzeitig die Möglichkeit, sie als eine Art Meta-Botschaft intervenierend einzusetzen und so für den Beratungskontext zu nutzen (Döring, 2003; Hintenberger, 2006). − Emoticons versuchen, mittels Kombinationen verschiedener Tastaturzeichen menschliche Gesichter und deren Emotionen abzubilden. Sie kommunizieren also parasprachliche Informationen mit dem Ziel,

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G. Hintenberger – Der Chat als neues Beratungsmedium

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Gefühlslagen mitzuteilen. In einer Untersuchung über Involvementsituationen im Chat wurde nachgewiesen, dass bei chaterfahrenen Probanden die reale Mimik mit den eingesetzten Emoticons in einem erstaunlich hohen Ausmaß korreliert (Schubert u. Ernst, 2007). berater: hallo Alf, wie geht’s dir heute? alffan: na ja :-(

− Akronyme werden aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter zusammengesetzt und bilden so neue Kurzworte. Sie beschreiben intrapsychische Vorgänge, besitzen aber auch eine interaktive Funktionalität, um Handlungsbereitschaften zu kommunizieren oder begleitende Handlungsabläufe zu kommentieren (Bader, 2002). sunset: *lol* das war aber eine ziemliche provokation berater: ich hoffe, ich habe sie nicht verletzt damit :-(

− Handlungskommentierende Gesprächsschritte ermöglichen im Chat Gedanken, Handlungen und Reaktionen zu kommunizieren. Beim so genannten Emoting werden zusätzlich zur direkten Rede handlungskommentierende Äußerungen in die dritte Person gesetzt, um so das Fehlen interaktiver Handlungen auszugleichen (Bader, 2002). In vielen Chatprogrammen werden diese Äußerungen mittels eines bestimmten Befehls kursiv gesetzt. lautlos: weiß gar nicht, was sie schreiben soll berater: horcht in die stille

− Inflektivkonstruktionen, die komplex ineinander verschachtelt werden und so ganze Sätze ersetzen können, liefern weitere nonverbale Informationen und/oder beschreiben parallel ablaufende Handlungen. orka: wissen sie, was ich dann gemacht habe? berater: *gespanntwartet*

− Auch parasprachliche Elemente (wie zum Beispiel Sprechmelodie, Sprechrhythmus, . . . ) finden Einzug in die schriftliche Kommunikation und können prosodische Merkmale sowie Lautstärke und Tonhöhen abbilden. So gilt das Schreiben in Großbuchstaben im Netz als Ausdruck lauten Sprechens oder Schreiens. Unkenntnis über diese netzspezifischen Codes kann deshalb schnell zu Missverständnissen und Kommunikationsproblemen führen.

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Medien der Online-Beratung

Interventionsstrategien in der Chat-Beratung Aktive Gestaltung des Sprecherwechsels Produktion und Rezeption des Textes fallen im Chat auseinander. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Beiträge erst nach ihrem Entstehen vom jeweiligen Kommunikationspartner gelesen werden können. In einer Face-to-Face-Kommunikation hingegen wird jedes Wort, jede körpersprachliche Äußerung simultan aufgenommen und es kann in der Folge auch spontan darauf reagiert werden. Hörersignale dienen in diesem Zusammenhang dazu, den Dialog zu steuern und dem Gegenüber Aufmerksamkeit zu signalisieren (Bader, 2002). Redeübergaben werden in der Face-to-Face-Kommunikation zwischen den Gesprächspartnern durch Pausen oder bestimmte Intonationen etc. signalisiert. Auch nonverbale Elemente unterstützen in der Regel ein reibungsloses Turn-Taking, also den Sprecherwechsel. Aufgrund der Kanalreduktion gestaltet sich dies im Chat allerdings wesentlich schwieriger und kann deshalb leicht zu Missverständnissen führen. So kommt es immer wieder zu Überschneidungen und Überlappungen, wodurch aufeinander bezogene Gesprächssequenzen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Deshalb ist gerade im Beratungschat der gezielte Einsatz von Hörersignalen zur Realisierung fließender Dialoge von großer Bedeutung (Storrer, 2002). Um zu signalisieren, dass ein längerer Textblock bevorsteht, kann dieser in mehrere unabgeschlossene Einheiten unterteilt werden (Aufteilung in kleinere Chunks), Fortsetzungsmarkierungen (drei Punkte) zeigen an, dass der eigene Beitrag noch nicht zu Ende ist und der Einsatz von Füllworten und Verzögerungslauten (z. B. »hm«, »ah«) gesteht dem Gegenüber weiteres Rede- bzw. Schreibrecht zu. Bei sich häufig wiederholenden Missverständnissen oder Problemen mit der Redeübergabe kann es sinnvoll sein, Zeichen abzusprechen, die das Ende einer Sequenz (z. B. durch eine spezielle Ende-Markierung *E* ) sichtbar machen. berater: berater: berater: berater:

das klingt so, . . . als hättest du dich unsichtbar oder . . . zumindest »unaufällig« gemacht, um . . . nicht noch eine zusätzliche belastung für die familie zu sein. *E*

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G. Hintenberger – Der Chat als neues Beratungsmedium

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Entschleunigen Beim Chat ist die Hemmschwelle auf Beraterinnenseite noch größer als bei der Mail-Baratung. Dies mag mit der Zunahme der Interaktionsgeschwindigkeit zu tun zu haben, durch die die Steuerungsmöglichkeiten für Berater eingeschränkt werden. Gerade im Beratungskontext empfiehlt es sich deshalb, dem Geschwindigkeitsrausch ein ruhiges Interaktionsmanagement (Beißwenger, 2005) entgegenzusetzen. Füllworte sowie Verzögerungslaute verlangsamen den Kommunikationsprozess und signalisieren Aufmerksamkeit. Manchmal ist es sinnvoll, Klientinnen direkt aufzufordern, sich den Raum und die Zeit zur Darlegung der eigenen Problemlage zu nehmen. Handlungskommentierende Äußerungen ermöglichen zudem Reflexionspausen und nehmen so den Druck, sofort reagieren zu müssen (»berater überlegt kurz, wie er es noch anders erklären könnte«).

Nutzung schriftbasierter Nachhaltigkeit Einen besonderen Vorteil schriftbasierter Beratung bietet die Eins-zueins-Abbildung des Beratungsprozesses. Sequenzen oder besonders wichtige Kernsätze aus den Beratungschats können den Klienten in einem Chatprotokoll zur Verfügung gestellt werden und so zwischen den Sitzungen Unterstützung und Rückhalt bieten. Die dauerhafte Verfügbarkeit der Beratungsinhalte (die zwischen Face-to-Face-Beratungssitzungen zu verblassen drohen) verstärkt zusätzlich die Transfereffizienz (Schultze, 2007). Die Möglichkeit, Beraterinnen-Antworten wiederholt lesen und reflektieren zu können, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer individuellen Aneignung sowie einer Umsetzung der Beratungsinhalte.

Gezielter Einsatz von Wissens- und Informationsmanagement Ein wichtiger Teil der Beratungsarbeit ist das Zur-Verfügung-Stellen von Informationen. Im Chat sind Ressourcen über Verlinkungen direkt verfügbar, können Hintergrundinformationen als Dokumente zugänglich gemacht oder Anregungen, wie zum Beispiel das Einüben von Kommunikationsregeln, als Textbausteine vorbereitet werden.

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Medien der Online-Beratung

Chat-Beratung als tetradischer Prozess Da das Verhältnis von Inhaltsmenge pro Zeiteinheit im Chat wesentlich ungünstiger ausfällt als in der mündlichen Kommunikation und da zudem der Chat zur Unverbindlichkeit einlädt, empfiehlt es sich, den Beratungsverlauf klar zu strukturieren. Modelle wie der tetradische Prozess (Petzold, 1993) bieten hier eine gute Orientierung, wobei im Fokus bleiben muss, dass jeder Beratungsprozess sein eigenes, differenzielles Verlaufsmuster hat. Die Initialphase dient dazu, Kontakt herzustellen und Vertrauen zu bilden. Hier geht es neben dem Sammeln von Daten und Fakten in erster Linie darum, den Kontext gemeinsam zu explorieren. Anders aber als in Face-to-Face-Beratungen entfallen in der Chat-Beratung oftmals Warming-up-Sequenzen. Fast scheint es so, dass im Schutz der Anonymität in den Raum hineingeschrieben wird, bevor ein konkretes Gegenüber realisiert wird. Umso mehr braucht es vonseiten der Berater und Beraterinnen aktive Beziehungsangebote. Idealerweise endet die Initialphase mit einer Problemdefinition. Tina22: hallo, ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin. aber ich habe seit einiger zeit immer wieder angstgedanken. Berater: hallo Tina. ist das in ordnung, wenn ich dich so anspreche? mein name ist NN und . . . Berater: ich arbeite als berater an der beratungsstelle in L. wir werden diesen chat auch dazu nutzen, um rauszufinden, ob »du hier richtig bist«. Tina22: klar ist das ok ;-) Berater: fein :-). ich würde dich bitten, mir zunächst einmal zu beschreiben, was dir zur zeit angst macht Tina22: ja

In der Aktionsphase setzen sich Beraterin und Klientin dialogisch mit dem definierten Problem auseinander. Dies führt zu einer emotionalen Verdichtung und/oder sachlichen Vertiefung und damit zu mehr oder weniger großen Verunsicherungen und Erschütterungen. Aufgrund der wesentlich geringeren Steuerungsmöglichkeiten und der Kanalreduktion ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Tiefung kein therapeutisches Niveau erreicht. Tina22: die letzte woche war besonders schlimm Tina22: wir waren sonntags noch zusammen essen und da hab ich fast nichts runterbekommen Berater: wie ist es dir denn gelungen, trotzdem wieder in L. anzukommen?

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G. Hintenberger – Der Chat als neues Beratungsmedium

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Tina22: ich bin einfach gefahren und dann ging es gott sei dank mit vorlesungen und lernen los. das lenkt ab. Berater: probier mal die sätze so zu formulieren, dass du dabei die aktive bist. nicht es lenkt ab, du lenkst dich ab, usw.. Tina22: ja :) Tina22: also ICH lenke mich ab. Ich bin abends mal ausgegangen, hab mich mit freundinnen getroffen, war im kino, . . . . Berater ;-) Tina22: ich denk auch gar nicht so über die Angst nach Tina22: meistens kommt sie aber abends, wenn ich im Bett liege Tina22: ich weiß auch nicht, sie ist meistens abends da und dann sehne ich mich nach dem Morgen. da habe ich dann das Gefühl, dass die Angst dann weg ist. Berater: ». . . hol ich mir die angst dann, wenn ich im bett liege« Tina22: ja. :) Berater: ». . . und am morgen schaffe ich es, die angst dann wieder wegzuschicken« Tina22: :-) Tina22: ich kann aber manchmal nichts dagegen machen. ich versuche sie wegzuschicken. ich weiß auch nicht warum ich das so sehe: für mich ist das leben wie ein spiel. nur bin ich mit den spielregeln (tod, krankheiten) nicht einverstanden und will da nicht mitmachen Berater: hm Tina22: und dann kann ich die Angst nicht wegschicken. dann denk ich schnell an etwas anderes und lenke mich ab, obwohl ich weiß, ich sollte mich mit ihr auseinandersetzen Berater: es ist ok Tina, wenn du dich ablenkst. es geht darum, dass du dich von deiner angst nicht ständig dominieren lässt. . . . Berater: manchmal ist es gut sich abzulenken, manchmal kannst du sie als bettnachbar begrüßen und . . . Berater: mit ihr sprechen, manchmal dich mit ihr konfrontieren und dabei die erfahrung machen, dass sie wieder weiterzieht.

Die in Interaktion gesetzten Themen münden in der Integrationsphase in »ein vertieftes Verstehen des Erlebten, das in den Lebenskontext eingeordnet werden kann und [. . . ] Bedeutungen freisetzt« (Petzold, 1993, S. 627). Im Chat spielt an dieser Stelle selektives Zusammenfassen, türöffnendes Spiegeln und Reframing eine besondere Rolle, da ein Chatprotokoll auch zu einem späteren Zeitpunkt wiederholend gelesen und reflektiert werden kann. Berater: Berater: Berater: Berater: Berater: Tina22:

hm, Tina, wenn ich dir so »zuhöre«, dann . . . kommt mir der Gedanke, dass deine ängste auch . . . etwas damit zu tun haben könnten, dass . . . es dir noch schwerfällt, von zu hause abschied zu nehmen und . . . »in die welt hinauszugehen«. *kurzmalnachdenkt*

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Medien der Online-Beratung

In der Neuorientierungsphase werden auf dem Hintergrund durchlebter Erfahrungen und rationaler Einsichten Veränderungsszenarien entworfen und Lösungsmöglichkeiten gesichtet. Auch hier unterstützt die schriftliche Beratung ein strukturiertes Veränderungsmanagement. Berater: Berater: Berater: Berater:

gut, wenn du einverstanden bist, dann . . . beobachtest du diese woche deine angstgedanken genau und . . . schreibst auf, in welchen situationen sie auftreten und wie . . . du darauf reagierst. den beobachtungsbogen kannst du dir von der homepage runterladen. Tina22: ok Berater: was mir noch wichtig ist: wenn die angst länger bleibt oder heftiger wird, dann brauchst du psychotherapeutische unterstützung. Tina22: mal sehen.

Gruppenchat Aufgrund einer teilweise schwer zu kontrollierenden Dynamik benötigt der Gruppenchat eine besonders konsequente Strukturierung. Neben allgemeinen Kommunikationsregeln (»bleiben Sie bitte beim Thema, versuchen Sie sich kurz zu halten, beschreiben Sie konkrete Situationen . . . «) und der Chatikette (»keine Beschimpfungen, Beleidigungen, Abwertungen, . . . «) kommen ähnlich wie im E-Learning spezielle Regeln für die Beratungschat-Kommunikation zum Einsatz (Naumann, 2005): »Um konstruktiv miteinander chatten zu können, bitten wir Sie, sich an folgende Abmachungen zu halten: − Wenn ein Beitrag länger wird, unterteilen Sie diesen bitte in kleine Abschnitte. Nach dem Absenden der einzelnen Teile weisen Sie mit . . . (3 Punkten) darauf hin, dass Ihr Beitrag noch weitergeht. − Zeigen Sie bitte das Ende Ihres Beitrags mit einer speziellen Ende-Markierung *E* an. − Wenn Sie sich auf den Beitrag eines anderen Gruppenmitglieds beziehen, dann machen Sie dies bitte folgendermaßen deutlich: @Lena: . . . − Manchmal kann es sein, dass es in einem Gruppenchat chaotisch wird. Wenn der Berater/die Beraterin das Gespräch neu ordnen möchte, sendet er/sie als Signal *!!!*. Das ist für Sie das Zeichen, das Chatten kurz zu unterbrechen und auf den Moderator, die Moderatorin zu ›hören‹.«

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Um die Kommunikationshilfen effektiv einzusetzen, sind diese sinnvollerweise bereits auf der Homepage abrufbar und werden den Chatteilnehmern zudem noch zu Beginn jeder Sitzung eingeblendet. Ein Gruppenchat kann themenzentriert (die Gruppensitzung wird unter ein bestimmtes Thema gestellt) oder klientenzentriert (die Gruppenteilnehmer können ihre Themen frei einbringen) angelegt werden, wobei die Gruppengröße zehn Personen nicht übersteigen sollte. Folgender Ablauf hat sich dabei bewährt: − Begrüßung; − kurze Befindlichkeitsrunde; − freie Gesprächsrunde zum Thema (vorgegeben oder klientenzentriert); − alle fünf bis zehn Minuten Zusammenfassung durch den Berater; − anschließend eine Steuerungsfrage: »wenn ich das richtig verstanden habe, sind sich die meisten von euch darüber einig, dass das hauptproblem darin besteht, . . . lasst uns einmal möglichkeiten sammeln, wie man aus diesem teufelskreislauf heraus kommen kann«; − strukturierte Zusammenfassung durch den Berater; − Abschlussrunde: »ich würde euch zum abschluss bitten, in ein bis drei sätzen zu beschreiben, was ihr euch heute mitnehmt, was also für euch hilfreich war«.

Expertenchat Eine Sonderform des Gruppenchats stellt der Expertenchat dar. Hier werden meist einzelne Beiträge und Fragen von einem Moderator selektiert und in einer selbst gewählten Reihenfolge an den Experten weitergegeben. Dies ermöglicht natürlich eine besondere Steuerung, indem unliebsame Beiträge ausgesondert oder kommentiert werden können, ohne dass die Beitragsverfasser eine Antwortmöglichkeit bekommen (Diekmannshenke, 2004). Expertenchats eignen sich besonders in der Präventionsarbeit. Diesen Vorteil haben inzwischen auch die Krankenkassen entdeckt, wie ein Projekt des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen belegt (www.portal-gesundheitonline.de).

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Medien der Online-Beratung

Ausblick Der Chat wird als Beratungsmedium auch in Zukunft nicht die Faceto-Face-Beratung ablösen. Er hat jedoch bereits jetzt in der Nachsorge psychosomatischer Kliniken (Wangemann u. Golkaramnay, 2004; Haug, Wolf, Golkaramnay u. Kordy, 2005), in der Präventionsarbeit und als niederschwellige Zugangsmöglichkeit eine besondere Bedeutung im Beratungskontext. Im Chat verbinden sich die Vorteile virtueller Kommunikation, wie die Möglichkeit zur Anonymität und subjektiven Gesprächskontrolle, die Ortsunabhängigkeit sowie die Reproduzierbarkeit der Kommunikationsabläufe, mit der Möglichkeit einer unmittelbaren, synchronen Kommunikation.

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Alexander Brunner, Emily Engelhardt und Triz Heider

Foren-Beratung

Foren-Anwendungen zählen neben E-Mail zu den ältesten Formen von computervermittelter Kommunikation. Schon sehr früh wurden über Bulletinboardservices und später in Newsgroups, im so genannten Usenet, aber auch über Mailinglists soziale Themen diskutiert und diese Kommunikationsform als Medium des Austauschs und der Selbsthilfe genutzt (Grohol, 2004). Alle diese Formen von asynchroner OnlineKommunikation im Modus des »many-to-many« sind zum Teil Vorläufer bzw. alternative Kommunikationsangebote zu den uns heute bekannten webbasierten Foren (»message boards«). Waren also Online-Communities und Online-Selbsthilfegruppen eine sehr frühe Erscheinung in der kurzen Geschichte des Internets, so ist Foren-Beratung in ihrer modernen Form eine eher späte Errungenschaft. Foren-Beratung, wie wir sie heute kennen, ist ein Phänomen, das sich im deutschsprachigen Raum ab Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts etabliert hat. Erste Zielgruppen sind hier vor allem jugendliche Nutzerinnen des Internets, später kommen auch Erwachsene, zum Beispiel Eltern hinzu (www.bke.de). Gegenstand der folgenden Ausführungen werden vor allem professionelle Beratungssettings in Form von webbasierten Foren-Angeboten sein. Da der Charakter von Selbsthilfeprozessen zentral für diese Art von Online-Beratung ist, wird immer wieder der Kontext von nicht-professionellen Online-Selbsthilfearrangements mit in die Darstellungen einfließen.

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Medien der Online-Beratung

Stand der Forschung zu Foren-Beratung und Online-Selbsthilfegruppen Trotz der guten Annahme des Angebots der Foren-Beratung bei unterschiedlichen Zielgruppen ist die Erforschung dieser Form von Online-Beratung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Die vorliegenden deutschsprachigen Publikationen sind vorwiegend deskriptiver Natur (Berg u. Schopp, 2002; Zimmermann, 2004; bke-Projektgruppe OnlineBeratung, 2004; Pejchal, 2008) beziehungsweise handelt es sich dabei um Erfahrungsberichte (Brunner, 2005). Eine Ausnahme bilden die Arbeiten der Mitarbeiterinnen des Kompetenzzentrums Informelle Bildung in Bielefeld (www.kib-bielefeld.de). Hier entstanden einige Arbeiten, die sich in unterschiedlicher Weise (Qualität, Zugänglichkeit, Digital Divide) in ihren empirischen Analysen auf Foren-Beratungsangebote beziehen. Insbesondere hervorzuheben ist dabei die Dissertation von Alexandra Klein (Klein, 2007) »Soziales Kapital Online«, die wohl ausführlichste empirisch fundierte Analyse eines Foren-Beratungsangebotes für Jugendliche im deutschsprachigen Raum. Demgegenüber sind Angebote rund um virtuelle Selbsthilfegruppen inzwischen sehr gut erforscht. Nicola Döring widmete sich bereits 1997 in ihrem Aufsatz »Selbsthilfe, Beratung und Therapie« (Döring, 1997) dem Thema Selbsthilfe im Internet. Alexandra Klein wiederum bietet in ihrer Dissertation einen guten Überblick über den derzeitigen Forschungsstand (Klein, 2007). Die angloamerikanische Auseinandersetzung mit »social support online« ist kaum noch zu überschauen und umfasst eine Vielzahl von empirischen und theoretischen Arbeiten. Exemplarisch sei hier auf die Arbeit von Walther und Boyd verwiesen, bei der insgesamt 57 Newsgroups aus dem Usenet in die Untersuchung zu »attraction to computer-mediated social support« (Walther u. Boyd, 2002) mit einbezogen wurden, sowie auf die für Foren-Beratung spannende Untersuchung »Empathic communities: balancing emotional and factual communication« (Preece, 1999).

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A. Brunner, E. Engelhardt und T. Heider – Foren-Beratung

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Was ist Foren-Beratung? Vereinfacht und grundlegend kann Foren-Beratung zunächst als asychrones, textbasiertes Beratungsangebot im Modus des »many-tomany« beschrieben werden. Differenzierter kann Foren-Beratung, die Unterscheidung von formalisierter, halbformeller und informeller Beratung aufgreifend (Sickendiek, Engel und Nestmann, 2002) als − formalisierte Beratung durch professionell ausgebildete Beraterinnen, − halbformalisierte Beratung durch Peer-Berater oder auf andere Weise bevorzugte Nutzerinnen, − informelle Beratung durch andere Nutzer und − als eine Art »Selbstberatung« der Nutzerinnen durch »Lektüre« bestimmt werden. Die Beratung durch professionelle Online-Beraterinnen in einem Forum ist mit besonderen Herausforderungen verbunden (s. u.). Erfolgreich und spannend ist auch die Beratung durch Peers, egal ob es sich um Gleichaltrige oder von einem Thema selbst betroffene Personen handelt. Dabei kann einerseits auf der Glaubwürdigkeit von Peers aufgebaut werden und andererseits kann eine weitere erfahrungsgesättigte Ressource in der Beratung aktiviert werden. Kritisch sind damit aber auch Ausschließungsmechanismen im Auge zu behalten, wenn Klein festhält: »Zu bedenken ist jedoch, dass mit der Prämisse, dass ›Gleiche Gleiche beraten‹, die Ungleichen implizit bereits prima faci ausgeschlossen sind« (Klein, 2005, S. 25). Der Wert der informellen Beratung durch andere Nutzer wiederum kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In diesem Bereich ist auch ein wesentlicher Mehrwert dieser Beratungsform gegenüber anderen Online-Beratungsangeboten zu verorten. Vor allem wenn es zu Community-Bildungen kommt werden zum Teil große Ressourcen von unterschiedlichsten Formen sozialer Unterstützung freigesetzt, wobei es scheint, dass es innerhalb der gewünschten Unterstützung zwischen Nutzerinnen und professionellen Beratern unterschiedliche Gewichtungen gibt. Während Nutzer vor allem auf der Suche nach »emotional support« sind, geht es professionellen Beraterinnen oft um einen »informational« support (Klein, 2004; Preece, 1999). In dieser Polarität ist auch eine gewisse Spannung enthalten, mit der sich

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Medien der Online-Beratung

Berater und Moderatorinnen von Beratungsforen auseinandersetzen müssen. Es kann von einer Art Selbstberatung der Teilnehmerinnen von Foren ausgegangen werden, wie sie etwa auch bei der Lektüre von Selbsthilfebüchern zu finden ist. Dies betrifft sowohl aktiv schreibende als auch »nur« lesende Personen, die an Diskussionen, Beratungsprozessen usw. in Foren partizipieren. In diesem Fall geht es nicht nur um Informationen und wertvolle Prozesse informellen Lernens und informeller Bildung (Brunner u. Kühne, 2008), sondern auch um Gefühle wie Empathie und Wahrgenommenwerden, auch wenn Teilnehmerinnen nicht schreibend am Forum partizipieren: »In a random sample survey of members of one support group […] 53 % of respondents who had not posted to the group reported that one of the positive experiences of group membership is ›feeling I am not alone‹«(Galegher, Sproull u. Kiesler, 1998, S. 527).

Besonderheiten der Beratung im »öffentlichen Raum« Ein weiteres wesentliches Merkmal von Foren-Beratung ist die Öffentlichkeit, in der die Beratung stattfindet. Natürlich bietet moderne ForenBeratungssoftware inzwischen, wenn notwendig, die Möglichkeiten in intimere und schützende Rahmen zu wechseln. In den meisten Fällen findet aber die Auseinandersetzung über Probleme, Themen, Fragen, Anliegen und Erfahrungen vor den Augen einer unbekannten Zahl von Teilnehmerinnen statt. Dieser Umstand wirkt sich sowohl auf die Beraterinnen als auch auf die Ratsuchenden aus. Für die Ratsuchenden heißt es zunächst, sich zu exponieren, auch auf die Gefahr hin, nicht verstanden, ignoriert oder stigmatisiert zu werden. Der positive Effekt, der immer wieder beobachtet werden kann, ist gerade das Erlebnis aufseiten der Ratsuchenden, dass dies alles nicht eintritt, dass sie vielmehr Bestätigung, Unterstützung und Verständnis von vielen anderen, unbekannten Teilnehmerinnen in einem öffentlichen Raum erhalten. Allein das kann sehr heilsam sein, abgesehen davon, dass zum Teil Themen, Erfahrungen und Geheimnisse zum ersten Mal überhaupt öffentlich gemacht werden, weil die Hemmschwellen selbst in intimen Face-to-Face-Beziehungen dafür zu hoch sind. Aufseiten der Berater hat diese Öffentlichkeit ebenfalls zwei Seiten.

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A. Brunner, E. Engelhardt und T. Heider – Foren-Beratung

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Zum einen weiß die Beraterin, dass sie jemanden individuell und gleichzeitig einer unbekannten Zahl von mitbetroffenen Personen oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen antwortet, die diesen Text für sich verwenden beziehungsweise die sich betroffen fühlen. Damit kann eine Art Multiplikationseffekt von individuellen Beratungsantworten für weitere Betroffene erreicht werden. Andererseits heißt es aber auch für die Beraterinnen, mit dem Verständnis, der Qualität und der Passgenauigkeit ihrer Antwort im öffentlichen Raum zu stehen. Dadurch wird beratendes Handeln nicht nur transparent, sondern auch kritisierbar. Diese Möglichkeit kann als Chance und als Belastung erlebt werden, auf jeden Fall ist es eine Herausforderung, der sich Foren-Berater stellen müssen, wenn sie ihre Texte in der Öffentlichkeit von Foren publizieren.

Die Stellung der Nutzerinnen in der Foren-Beratung Nimmt man die bisher dargestellten Variablen, informelle und formelle Beratung, Partizipation der Nutzerinnen sowie »nur« lesende Teilnahme zusammenfassend in den Blick, so ergeben sich daraus spezifische Konsequenzen für die Rolle(n) und die Stellung von Nutzern von Foren-Beratung. Entgegen der weit verbreiteten negativen Bewertung von beobachtenden und lesenden Teilnehmern von Foren (sog. »Lurker«) gibt es zumeist gute Gründe, warum sie nicht an der Kommunikation teilnehmen können oder wollen, wie einige Studien zeigen konnten (Preece, 2004; Klein, 2007). Ziel einer Weiterentwicklung von ForenBeratung müsste es sein, aufbauend auf den vorliegenden Forschungsergebnissen Zugangsbarrieren für jene, die nicht ganz freiwillig Lurker sind, zu beseitigen oder zumindest zu vermindern. Sich auf die prinzipielle Niedrigschwelligkeit und Affinität von Zielgruppen, wie zum Beispiel Jugendlichen, zum Medium Internet zu verlassen, ist für eine sich professionell verstehende Beratung eindeutig zu wenig. Wie Beobachtungen (Brunner, 2005) und empirische Forschung zeigen (Galegher et al., 1998; Klein, 2007), sind Foren durchaus kein egalitärer Raum, sondern ein Raum, wo es, wie im realen Leben, um Ressourcen und Aus- und Einschließungsprozesse geht und Kämpfe um Status, Themenführerschaft, Autorität und Legitimität von Aussagen und ähnliche gruppendynamische und gesellschaftliche Prozesse beobachtbar sind.

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Medien der Online-Beratung

Ausschließung kann sich durch artikulierte und von anderen nicht anerkannte Themen, durch Sprache, vertretene Meinungen, Bruch mit Gruppenmeinungen und Gruppennormen vollziehen. Ausschließung kann aber auch durch die Dominanz von »heavy usern« hervorgerufen werden, die ein Forum durch ihre Präsenz und Kompetenz und die damit verbundene Autorität bei anderen Foren-Teilnehmerinnen dominieren. Ausschließung kann sich schließlich durch die geheime Moral der Beratung selbst (Thiersch, 1990) vollziehen, indem professionelle Ansprüche von Beratern zu einem Unverständnis und einer Blindheit für die lebensweltliche Gebundenheit der Artikulationsformen, Interessen und Teilhabemöglichkeiten bestimmter Adressatinnengruppen führen können.

E-Moderation in der Foren-Beratung Die beschriebenen Mechanismen führen zu einem neben der Beratung zentralen Thema, den Aufgaben, Funktionen und Zielsetzungen von Moderation im Rahmen von Foren-Beratungsangeboten. E-Moderation ist nicht nur für den Bereich des E-Learnings eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Kommunikation in so genannten virtuellen Gemeinschaften, ob deren Fokus nun auf Lernen, Austausch und Unterstützung oder Beratung ausgerichtet ist. Wie in Face-to-FaceGruppensettings kann diese Rolle ganz unterschiedlich angelegt und ausgelegt werden. Für den Bereich des E-Learnings wurden vier Rollen vorgeschlagen: organisatorisch-administrative, motivational-emotionale, inhaltliche und didaktisch-vermittelnde Rolle (Bett u. Gaiser, 2004). Diese Rollenfunktionen sind sehr allgemein, treffen aber durchaus auch auf die Moderation von Beratungs-Foren zu. Allerdings bedarf es einer Erweiterung und Präzisierung, was beispielsweise unter der motivational-emotionalen Rollenfunktion zu verstehen ist. Bei den oben beschriebenen Ausschließungsprozessen in Foren ist es eine Aufgabe von professionellen Beraterinnen, dafür zu sorgen, dass solche Prozesse unterbunden werden. Dies kann dadurch geschehen, indem ein Schutzraum geboten wird und indem die Legitimität von Fragen und Themen unterstrichen wird, die vielleicht nicht dem jeweiligen Foren-Mainstream entsprechen. Weitere Möglichkeiten sind, dominante User oder Userinnengruppen in Schranken zu weisen und

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A. Brunner, E. Engelhardt und T. Heider – Foren-Beratung

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durch Moderation prinzipiell eine möglichst breite Partizipation und ein Zu-Wort-Kommen möglichst vieler, zum Teil unterschiedlicher Nutzerinnengruppen zu ermöglichen und zu gewährleisten. Greift man die Unterscheidung von Beziehungs- und Sachebene der Kommunikation (Watzlawick, Beavin u. Jackson, 1972) auf, so geht es in der Moderation auch um »balancing empathy and factual information« (Preece, 1999, S. 64). Das heißt, es geht darum, die Prozesse von gegenseitiger Identifizierung, Verständnisbekundung und Unterstützung zwischen den Nutzerinnen untereinander zu begleiten und zu unterstützen und gleichzeitig auch auf der Beratungsebene sachliche Informationen beizusteuern, wenn dies notwendig ist. Diese Balance zu halten, ist ganz wesentlich, um die Unterstützungsfunktion von Foren zu gewährleisten. Nur Mitgefühl und Verständnis zu zeigen ist zum Teil genauso zu wenig hilfreich wie die reine Information. Selbst wenn zum einhundertsten Mal dasselbe Anliegen gepostet wird, geht es um mehr als die Information (z. B. zum Thema »Verwendung der Pille zur Verhütung«), es geht um ein Wahrgenommenwerden und um Aufmerksamkeit für die individuelle Posterin. Da in Online-Gruppen genauso wenig wie in Präsenzgruppen nur positive Unterstützungsprozesse ablaufen, bedarf es auch einer Moderation hinsichtlich destruktivem und verletzendem Verhalten bis hin zu Konfliktmoderation zwischen Einzelnen und/oder Subgruppen des Forums. Diese Aufgaben implizieren zum Teil auch Zensur von Texten, sofern sie etwa rassistisch oder sexistisch sind oder auf eine andere Art gesetzeswidrig. Solche Eingriffe sind aufgrund der Psychohygiene von Foren und aus rechtlichen Gründen immer wieder notwendig. Erforderlich dazu ist, dass solche Eingriffe klar in einer entsprechenden Foren-Policy transparent gemacht und kommuniziert werden. Studien wie zum Beispiel jene von Jan-Are Johnsen und Kollegen bestätigen, dass die Anwesenheit von Professionellen in Foren die dortigen Interaktionen wesentlich beeinflussen (Johnsen, Rosenvinge u. Gammon, 2002). Wenn auch die Nutzerinnen nicht ihrer Verantwortung für das Klima im Forum enthoben werden können, so liegt doch die Letztverantwortung dafür bei den Betreiberinnen und Beratern des jeweiligen Forums: Für jede Foren-Beratung gilt, dass eine enge Betreuung und Pflege des Forums wesentlich für das Gelingen dieser Form der OnlineBeratung ist.

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Zugang und Indikation für Foren-Beratung In der Foren-Beratung stehen vor allem der Selbsthilfecharakter sowie der damit verbundene niedrigschwellige Zugang zur Online-Beratung im Vordergrund. Diverse Themenbereiche und Zielgruppen können über die Beratung in öffentlichen Foren unterschiedlich gut erreicht werden. Alter und Geschlecht der Userinnen scheinen jedoch bei der Frage, für wen sich Foren-Beratung besonders gut eignet, keine signifikante Rolle zu spielen. Sind die technischen Voraussetzungen für die Nutzung der Foren-Beratung anschaulich erklärt und einfach strukturiert, stellen sie kein Hindernis für ihre Nutzer dar. Bei gleicher technischer Handhabung wie bei der Einzelberatung liegt hier keine Entscheidungsgrundlage für die Wahl des Beratungssettings. Vielmehr kommt der Art der Anfrage eine besondere Gewichtung zu. Handelt es sich um eine Anfrage, bei der eine zeitnahe Antwort gewünscht wird und bei der dem Ratsuchenden zunächst egal ist, ob eine Fachkraft oder andere Userinnen antworten, oder ist der Userin die Antwort einer Fachkraft besonders wichtig und möchte sie sichergehen, dass auch nur eine solche die Anfrage lesen kann? Möchte der User sich zunächst informieren, ob auch andere mit einer ähnlichen Problematik befasst sind oder möchte er im Austausch mit einer Beraterin sein Anliegen direkt besprechen? Interessieren ihn die Erfahrungen und Kommentare anderer User oder ängstigt ihn diese Vorstellung gar? Je nach Ausgangslage, das heißt Hintergründen und Bedürfnissen der Userin, kann eine Beratung im Forum unterschiedlich effektiv und sinnvoll sein. Gerade bei schambesetzten Themen, deren Schilderung die Ratsuchenden viel Überwindung kostet, ermöglicht die Beratung in offenen Foren besondere Mehrwerte von Niedrigschwelligkeit: Userinnen können zunächst in der Foren-Beratung mitlesen, auch ohne sich zu registrieren und ohne eine eigene Anfrage zu schreiben. Bereits bei diesem ersten Schritt können sie die Erfahrung machen, dass sie mit ihrer Thematik nicht allein sind und mit diesem Anliegen ernst genommen und beraten werden. Es stellt sich also neben dem Effekt der Beratung durch Mitlesen auch ein Abbau von Hemmschwellen ein, der den Usern das Stellen von eigenen Beratungsanfragen erleichtern kann. Ist der Schritt des Erstellens der eigenen Beratungsanfrage im Forum gemacht, kann eine Userin vor allem von der Partizipation anderer Use-

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rinnen profitieren. Das Wir-Gefühl, das sich über Antworten anderer Betroffener, zum Beispiel bei Opfern sexueller Gewalt oder bestimmten Formen psychischer Erkrankungen, einstellt, kann sich positiv auf den Beratungseinstieg und -verlauf auswirken, da hierdurch weitere Unsicherheiten abgebaut werden können. Der User erlebt ein Gefühl von Aufgehobensein und spürt nun auch bei sich selbst, angenommen und ernst genommen zu werden. Vorstellbar ist so auch, in einem Forum zu einer bestimmten Thematik, zum Beispiel selbstverletzendes Verhalten, eine Art Selbsthilfegruppe zu gründen. Dies kann ein Beitrag sein, der für eine bestimmte Gruppe von Userinnen geschützt ist und in dem sie sich zu unterschiedlichen Themen oder Fragestellungen rund um das Thema selbstverletzendes Verhalten austauschen können, zum Beispiel über Vermeidungsstrategien oder Alternativen. Es ist auch denkbar, dass ein solcher Beitrag öffentlich bleibt und sich andere Userinnen nach und nach anschließen, still mitlesen oder aber auch Angehörige über die Partizipation und das Mitlesen eines solchen Beitrags viel im Umgang mit Betroffenen lernen können. Dies gilt auch für andere Beratungsbereiche: Foren-Beratungen als Nicht-Betroffene/Angehörige mitlesen zu können, aus erster Hand Gefühle und Gedanken der Posterinnen zu erfahren, auch das mögliche Auf und Ab eines Beratungsprozesses zu erleben und damit ein erweitertes Verständnis für die Problematik der Betroffenen zu erlangen, kann als ein großer Gewinn von Foren-Beratung gewertet werden.

Zielgruppen von Foren-Beratung Ein Forum ist Tag und Nacht im Internet erreichbar. Bestimmte Zielgruppen haben aufgrund ihrer Lebenssituation und/oder ihrer Erkrankung einen besonders hohen Bedarf zeitunabhängig ihr Anliegen schildern zu können. Dass bereits das Niederschreiben der eigenen Gedanken und Gefühle einen erleichternden Effekt auf den User hat, ist unbestritten (Vogt, 2007). Im Forum kommt aber noch hinzu, dass auch zu Nacht- oder außerhalb von Bürozeiten einer Beratungsstelle andere Userinnen erste Antworten formulieren können. Nicht unter Zeitdruck oder termingebunden wie in der Face-to-Face-Beratung sein Anliegen schildern zu können, stellt für viele, insbesondere für noch wenig selbstreflektierte Userinnen, eine besondere Chance dar. Und eine erste Rück-

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meldung eines anderen Besuchers im Forum kann (selbst-)bestätigend auf die beitragserstellende Userin wirken. Betrachtet man unterschiedliche Zielgruppen von Online-Beratung, so lässt sich schnell feststellen, dass im Bereich der Jugendberatung Foren einen besonders guten Einsatzbereich finden. Jugendliche nutzen Internetforen zu ganz unterschiedlichen Zwecken, sei es zum Erfahrungsaustausch oder für bestimmte Online-Games. Foren für Beratungsanliegen zu nutzen, scheint daher eine logische Konsequenz. Gerade bei Themen, die Heranwachsende besonders beschäftigen, seien es Pubertäts- oder Partnerschaftsfragen, kann eine Antwort aus der Peer-Group oftmals mehr bewirken als die einer Fachberaterin. So, wie sich die Jugendlichen auch im direkten Face-to-Face-Kontakt miteinander über diese Themen austauschen, können sie es dann auch auf dem virtuellen Wege in Beratungsforen (z. B. www.kids-hotline.de, http:// foren.wienXtra.at).

Grenzen der Foren-Beratung Die Grenzen erreicht Foren-Beratung sicherlich dann, wenn die Störfaktoren (durch andere User oder durch Spam) überhand nehmen und den Verlauf der Beratung beeinträchtigen. So können sich besonders bei konfliktreichen und ethisch brisanten Themen, wie zum Beispiel Schwangerschaftsabbruch, durch Userinnenbeiträge gefährliche Eigendynamiken entwickeln. Aus einer Beratung kann schnell eine Grundsatzdiskussion werden, bei der extreme Userinnenmeinungen und -äußerungen andere mitlesende User stark belasten können. Es gibt auch Userinnengruppen, die – insbesondere aufgrund ihrer psychischen Konstellation – ein Forum weniger für Beratung als vielmehr für Selbstdarstellungszwecke nutzen. Um diese auch in ihrem eigenen Interesse zu schützen, kann es angezeigt sein, sie aus der ForenBeratung in ein anderes Beratungssetting zu überführen. Denn nicht außer Acht gelassen werden darf der triggernde Effekt, den das Mitlesen bestimmter Beratungsthemen auf andere Forenbesucher hat (z. B. im Bereich des selbstverletzenden Verhaltens, bei Essstörungen oder aber auch bei sexueller Gewalt). Hier wird den Usern sehr viel Eigenverantwortung abverlangt, da sie selbst entscheiden müssen, welche Beiträge sie lesen und verkraften können.

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Bei Anfragen, die in den Bereich medizinischer/psychologischer Diagnostik fallen, wie auch bei Anfragen im Bereich der Rechtsberatung erreicht Foren-Beratung eine kritische Grenze. In diesen Bereichen ist eine zeitnahe und intensive fachliche Moderation und gegebenenfalls Richtigstellung von falschen Sachverhalten besonders wichtig, denn Laiendiagnosen und falsche Auskünfte können hier mehr Schaden anrichten als Unterstützung bieten.

Technische Lösungen für Foren-Beratung Mittlerweile haben sich Foren als Diskussionsmedien stark etabliert. Durchgesetzt haben sich dabei vor allem Foren, die im Echtzeitmodus funktionieren, das heißt solche ohne zensierende bzw. kontrollierende Instanz und bei denen die Antworten sofort online stehen. Durch die Akzeptanz und Verbreitung der Foren ist das Angebot an Software überaus vielfältig. Der Markt an kostenlosen Open-source-Anwendungen einerseits sowie kostenpflichtigen, eigens für die Bedürfnisse von Online-Beratung entwickelten Anwendungen andererseits ist kaum noch überschaubar. Auch wenn die kostenlose Variante finanziell attraktiv erscheint, sprechen mehrere Gründe für den Einsatz spezieller Foren-Software. Die Anforderungen an die Software werden entscheidend durch ihre Nutzergruppen beeinflusst. So sollten bei der Entscheidung für eine Lösung nicht nur die besonderen Bedürfnisse der Ratsuchenden und Beratenden berücksichtigt werden, sondern es sollte auch auf Usability und zielgruppengerechtes Design geachtet werden. Intuitive Bedienung von Software ist dann möglich, wenn sie den Kriterien der Usability gerecht wird. Mit Design, Technik (Datensicherheit) und Präsentation ist zudem die Frage der Glaubwürdigkeit von Online-Beratungsangeboten verbunden (Dzeyk, 2006). Doch nicht nur die einfache und intuitive Bedienbarkeit der Beratungswerkzeuge ist Einflussgröße im Beratungsgeschehen. Besonderes Augenmerk sollte auch auf speziellen Funktionalitäten liegen. So genügt die kostenlose Software bei weitem nicht mehr den Ansprüchen professioneller Foren-Beratung, beispielsweise im Hinblick auf Zugangsbeschränkungen, wie sie bei sensiblen Beratungen erforderlich sind. Professionelle Foren-Beratungssoftware verbindet hierbei technische

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Funktionen mit pädagogischen Elementen. So muss beispielsweise beim Editieren eines Beitrags eine Begründung eingegeben werden, die dem User transparent macht, welche Veränderung im Beratungsverlauf vorgenommen wurde. Aus Perspektive der Beraterinnen sind weitere Funktionen denkbar, die das Beratungsgeschehen nicht nur technisch erheblich erleichtern. Weit verbreitet und bekannt sind »stickyposts«, also Themen, die nicht dem Sortiermechanismus des Forums (Thema mit der neusten Antwort oben) folgen, sondern oben angepinnt sind. Als besonders praktikabel für die Online-Beratung haben sich Schattenbeiträge herausgestellt. Schatten, auch »whisperings« genannt, können nur von autorisierten Personen, in diesem Fall der beratenden Institution, gelesen werden. So ist es auf einfache und effiziente Art und Weise möglich, direkt im Beratungsverlauf kollegiale, fachliche Beratung in Anspruch zu nehmen und Beratungsverläufe zu dokumentieren.

Ausblick Foren-Beratung ist inzwischen ein wenn auch nicht weit verbreitetes, doch etabliertes Medium der Beratung geworden. Abgesehen von der Entwicklung von eigener Foren-Software für dieses Feld von Online-Beratung und Initiativen zur Qualitätssicherung bedarf es in den nächsten Jahren sicherlich noch vertiefender Studien zu Zugänglichkeit, Wirkung und auch zu den Binnenprozessen innerhalb von Foren sowie einer vertiefenden Auseinandersetzung zu Methoden der Beratung, Moderation und zu Interventionen in Foren-Beratungsprozessen.

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Nicola Döring und Christiane Eichenberg

Klinisch-psychologische Interventionen mit Mobilmedien: Chancen und Grenzen

Vorbemerkungen Viele Projekte zeigen, dass sich das Internet zur Unterstützung und Begleitung psychosozialer Maßnahmen als produktiv erwiesen hat (»E-Therapy«, zum Überblick siehe Ott u. Eichenberg, 2003). Die Anzahl der Handy-Nutzer steigt stetig an, mittlerweile sind in Deutschland über 90 % der Bevölkerung per Mobiltelefon erreichbar. Vor dem Hintergrund des Trends der Mediatisierung in der Gesellschaft ist es naheliegend, dass auch zunehmend Mobilmedien im Rahmen von klinisch-psychologischen Interventionen (»M-Therapy«) eingesetzt werden (Döring, 2006). Ebenso wie Onlinemedien haben auch Mobilmedien potenziell sowohl salutogene als auch pathogene Potenziale. Mobilmedien können nicht nur sozialverträglich, psychologisch unterstützend und heilend wirken, sondern – je nach Nutzungsweise und Nutzungskontext – auch vorhandene Störungen verstärken oder neue Störungen entstehen lassen (zu psychologischen Aspekten der Mobilkommunikation siehe zusammenfassend Döring, 2005). Als Negativbeispiele zu nennen sind Handy-Stalking (Eytan u. Borras, 2005), Handy-Abhängigkeit (Park, 2005) und ein Zusammenhang zwischen intensiver Handy-Nutzung und gesundheitsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen wie zum Beispiel Rauchen und Alkoholkonsum (Leena, Tomi u. Ajra, 2005). Ziel dieses Beitrages ist es, die Potenziale und Grenzen einer mobilmedienbasierten »M-Therapy« – als Ergänzung und Erweiterung der internetbasierten »E-Therapy« sowie der herkömmlichen Face-to-FaceTherapie – zu erkunden. Dabei geht es nicht nur um Psychotherapie im engeren Sinne, sondern um das gesamte Spektrum klinisch-psychologischer Interventionen.

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Mobilmedien im klinisch-psychologischen Einsatz Mobilkommunikation ist ein Sammelbegriff für die Kommunikation über portable, drahtlos vernetzte Informations- und Kommunikationsgeräte. Neben dem Mobiltelefon gehören zu den Mobilmedien auch mobile Spielkonsolen, Handhelds und Notebooks. Mit diesen Endgeräten lassen sich eine Vielzahl von mobilen Diensten und Anwendungen im Alltag nutzen. Unter klinisch-psychologischer Intervention werden sämtliche Formen professioneller psychologischer Unterstützung bei der Bewältigung vorwiegend psychischer, aber auch sozialer und körperlicher Beeinträchtigungen und Störungen zusammengefasst. Klinisch-psychologische Intervention umfasst also nicht nur Psychotherapie im engeren Sinne, sondern auch psychologische Beratung, Krisenintervention, Selbsterfahrung und Trainings, Selbsthilfe, Etablierung sozialer Unterstützungssysteme und vieles mehr. Die oben genannten mobilen Dienste und Anwendungen lassen sich im klinisch-psychologischen Kontext einsetzen. Tabelle 1 zeigt anhand exemplarischer Beispiele aus der Fachliteratur, in welchen Handlungsbereichen Mobilmedien bereits zum Einsatz gekommen sind. Im Folgenden werden exemplarisch Projekte – und soweit vorliegend auch empirische Studien – vorgestellt, in denen verschiedene Mobilmedien zu psychosozialen bzw. -therapeutischen Zwecken verwendet wurden (für eine ausführliche Übersicht siehe Döring u. Eichenberg, 2007).

Handy Das Mobiltelefon ist das mit Abstand populärste Mobilmedium. Der klinisch-psychologische Einsatz des Mobiltelefons konzentriert sich bislang auf den Bereich der Diagnose sowie auf die Beratung und Therapie mittels Handy-Kurzmitteilungen (SMS: Short Messaging Service) und Mobiltelefonie. Der erste Bereich Diagnose impliziert die Erhebung subjektiver Selbstauskünfte (z. B. über ein digitales Tagebuch oder eine KurzmitteilungsAbfrage), kann aber auch objektive psychophysiologische Messungen umfassen. Ein Beispiel hierfür ist Vitaphone (www.vitaphone.de),

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Tabelle 1: Exemplarische Beispiele 1.

Diagnostik

Kopfschmerzpatienten wird zur Aufzeichnung von Symptomverlauf und Auslösefaktoren ein auf einem Handheld auszufüllendes Schmerztagebuch zur Verfügung gestellt, das zum Beispiel von Kindern gründlicher bearbeitet wird als ein äquivalentes Papier-Tagebuch (Palermo, Valenzuela u. Stork, 2004). 2.

Intervention

Prävention Grundschulkinder werden durch regelmäßige Handy-Kurzmitteilungen zur Kontrolle und gesundheitsförderlichen Gestaltung ihrer körperlichen Aktivitäten und ihres Zuckerkonsums motiviert, um Adipositas vorzubeugen (www.klinikum.uniheidelberg.de/index.php?id=7355). Beratung/Krisenintervention Menschen mit Fragen, Sorgen oder in aktuellen Krisensituationen können sich per Handy-Kurzmitteilung an Beratungs- oder Seelsorgeeinrichtungen wenden, was teilweise niederschwelliger ist als ein Anruf (Aebisch-Crettol, 2003). Selbsthilfe Menschen, die sich in einer Online-Selbsthilfegruppe engagieren, können sich mit einem entsprechenden Handheld unterwegs die aktuellen Aufenthaltsorte anderer Community-Mitglieder anzeigen lassen und sich spontan mit ihnen treffen. Psychotherapie Patienten mit Autofahr-Phobie wird im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Konfrontationstherapie die Möglichkeit geboten, während ihrer Alleinfahrten vom Auto aus per Mobiltelefon bei Bedarf mit dem Therapeuten oder anderen Vertrauenspersonen Kontakt aufzunehmen (Flynn, Taylor u. Pollard, 1992). Rehabilitation Patienten, die aufgrund von Gehirnverletzungen unter Gedächtnisstörungen leiden, werden in ihrer Alltagsbewältigung durch Handhelds unterstützt, die Erinnerungsund Überwachungsfunktionen übernehmen (Schulze, 2004). 3.

Evaluation (inkl. Planung, Dokumentation)

Um den Erfolg (bzw. auch Misserfolg) einer Intervention zu messen, ist es notwendig, den Behandlungsverlauf vor, während und nach der Intervention zu erfassen. Computerbasierte Systeme zur Therapieplanung, Dokumentation und Evaluation (z. B. das Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung, Fischer, 2000, www.koedops.de) erleichtern diese Prozesse enorm. Eine Anwendung, die die Dateneingabe durch Patienten und Datenauswertung aufseiten des Therapeuten über eine Webschnittstelle stationär und mobil (z.B. per Notebook oder PDA) erlaubt, ist Web-AKQUASI (Aktive Interne QUAlitätsSIcherung) (www. klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=7354).

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ein Handy, das mittels Elektroden im Gehäuse die Herzfrequenz misst, wenn man es an die Brust hält. Bei kritischen EKG-Werten löst es automatisch einen Notruf aus und übermittelt gleichzeitig den aktuellen Aufenthaltsort. Denkbar wäre, dass dieser Dienst auch in der Behandlung einer Herzphobie vorteilhaft eingesetzt werden könnte. Vorteile einer digitalen Diagnostik im Alltag sind die dadurch resultierenden Verlaufsdaten, die für die Therapieplanung und -evaluation sowie für Forschungszwecke genutzt werden können. Ein weiterer Bereich ist die Beratung und Therapie mittels HandyKurzmitteilungen. Geeignet erscheint dieses Potenzial vor allem für Erstkontakte und anschließende Weitervermittlung an einen geeigneten Therapeuten. Zudem können Kurzkontakte, in denen eine eng umrissene Problematik geklärt werden kann, per SMS stattfinden. So bieten einige Beratungseinrichtungen ergänzend zu Festnetz-Telefonaten und E-Mail- oder Chat-Kontakten neuerdings auch SMS-Beratung an, die allgemein gut angenommen wird. Das Schweizer »Sorgentelefon für Kinder« berichtet von einer steigenden Anzahl an SMS-Beratungen (http://www.sorgentelefon.ch/Jahresberichte/JB2006.pdf). Allerdings erscheint ähnlich wie bei der Online-Beratung per E-Mail ein Kanalwechsel sinnvoll, wie zum Beispiel zum Telefon, wenn eine aktuelle Krisensituation vorliegt (für SMS-Beratung in suizidalen Krisen siehe Aebischer-Crettol, 2003). Obwohl die begrenzte Zeichenzahl sicherlich ein Handicap der SMS-Beratung sein kann, erweist es sich gleichzeitig als Vorteil, dass bei SMS-Anfragen das Anliegen pointiert vorgebracht wird. Schließlich ist auch zu beachten, dass via schriftlicher HandyNachrichten Menschen mit Hör- und Sprachproblemen sich gleichberechtigt artikulieren können. Nicht zuletzt wird die SMS-Kommunikation auch im Alltag oft als soziale Nabelschnur empfunden: Ohne viele Worte kann man räumlich entfernte Beziehungspartner erreichen und durch zeitnahe Antwort deren soziale Präsenz spüren. Allerdings ist eine Psychotherapie allein auf SMS-Basis nicht sinnvoll; die SMS kann jedoch eine Brückenfunktion übernehmen. So konnten Bauer et al. (2003) zeigen, dass ein SMS-basiertes nachstationäres Betreuungsprogramm für Bulimiepatientinnen nicht nur gut angenommen und von den Betroffenen als hilfreich bewertet wurde, sondern damit ebenso eine Lücke im Versorgungsangebot im Zeitraum zwischen stationärer Behandlung und der Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie am Wohnort sinnvoll geschlossen werden kann.

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Der dritte Bereich ist die Mobiltelefonie-Therapie, die speziell geeignet erscheint für eine telepräsente Begleitung des Patienten bei einer verhaltenstherapeutischen in-vivo-Exposition. Als Beispiel kann hier die Behandlung einer Autofahr-Phobie genannt werden, bei der anstelle der gemeinsamen Fahrten des Patienten mit dem Therapeuten Alleinfahrten unternommen werden können. Hier soll die generelle Möglichkeit der Kontaktaufnahme per Telefon unterstützend wirken. Das Üben des Patienten kann somit zeit- und ortsunabhängig mit einem höheren Grad der Unabhängigkeit von dem Therapeuten geschehen. Auch bei anderen Phobien, wie zum Beispiel der Agoraphobie und der sozialen Phobie, kann eine Therapieergänzung durch Mobiltelefone hilfreich sein. Angstmindernd und die Bereitschaft, sich zu Beginn einer Behandlung den eigenen Ängsten im Alltag zu stellen, scheint die Möglichkeit einer instanten Kontaktaufnahme zu sein, ohne dass diese in Anspruch genommen wird (das Handy fungiert dann als Übergangsobjekt). Es ist jedoch bei der Indikation und therapeutischen Nutzung des Mobiltelefons zu beachten, dass eine Abhängigkeit vom Handy vermieden wird. Nicht für jeden Patienten ist ein Handy-Einsatz in der Therapie geeignet (z. B. wäre er bei Zwangserkrankungen vermutlich kontraindiziert). Zudem muss im Behandlungsplan eine systematische Reduktion der Handy-Unterstützung vorgesehen sein (siehe für ein entsprechendes Therapiekonzept und zwei Fallbeschreibungen Flynn, Taylor u. Pollard, 1992). Ein allgemeiner Vorteil der Nutzung der drei Bereiche der Mobiltelefonie ist, dass aufgrund deren Popularität eine Niederschwelligkeit in Bezug auf die Kontaktaufnahme für den Patienten gewährleistet ist. Die drahtlose Vernetzung ermöglicht es, jederzeit relevante Daten zu erfassen, Trainingseinheiten zu absolvieren oder Kontakt zum behandelnden Therapeuten aufzunehmen.

Mobile Spielkonsole Eine zusätzliche Möglichkeit zur Erweiterung von Therapien durch Mobilmedien bieten mobile Spielkonsolen. Diese sind vor allem bei Kindern beliebt, die meistens keinen eigenen Computer besitzen. Digitale Spiele können sowohl pädagogisch als auch psychologisch konstruktiv eingesetzt werden. Sie werden als »Serious Games« oder »So-

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cial Impact Games« (www.socialimpactgames.com) bezeichnet, wenn sie neben dem Unterhaltungsnutzen einen definierten weiteren Nutzwert haben sollen. Ein Vorteil ist hier ebenfalls die Orts- und Zeitunabhängigkeit. Digitale Spiele, die therapeutisch genutzt werden, müssen selbstverständlich dem Alter und der Entwicklungsphase des Kindes gerecht werden. Als Beispiel kann der»Glucoboy« genannt werden, ein Glukosemessgerät, das auf einen Nintendo-Gameboy aufgesteckt wird. »Glucoboy« wurde entwickelt, damit Kinder, die an Diabetes erkrankt sind, ihren Blutzuckerspiegel durch regelmäßiges Messen kontrollieren. Gute Messwerte werden mit Zusatzspielen, im Sinne verhaltenstherapeutischer Verstärkung, belohnt.

Handheld Handhelds sind nicht so weit verbreitet wie das Handy und haben eher Business-Charakter. Dies führt dazu, dass bei einem klinisch-psychologischen Einsatz die Patienten in der Regel erst mit einem Handheld ausgestattet werden müssen. Positiv ist, dass ein Handheld durch eine höhere Rechnerleistung breitere Anwendungsmöglichkeiten als beispielsweise ein Handy hat. Einsatzmöglichkeiten findet der Handheld in der Diagnostik – subjektive Selbstauskünfte werden hier über digitale Fragebögen oder Tagebücher erhoben (Kimmel, 1999). So fördert die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen DGBS e. V. mit ihrer Arbeitsgruppe »Neue Medien« das Projekt Lifechart (www.lifechart.de). Im Rahmen des Projektes wird ein Tagebuch-Instrument für PC und Handheld bereitgestellt, mit dem die Patienten binnen weniger Minuten ihren Tagesablauf, Schlafdauer, Medikamente, Depressions- und Maniesymptome usw. registrieren. Eine solche langfristige und detaillierte Dokumentation erlaubt es Patienten und behandelnden Ärzten bzw. Therapeuten, den Stimmungsverlauf im Alltag besser zu verstehen und mögliche Auslöser oder Früherkennungsmerkmale von Krankheitsphasen zu erkennen. Die Handheld-Diagnose ist wiederum nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung anderer Diagnoseformen (z. B. Gespräche mit Patienten) zu sehen. Im Rahmen der Rehabilitation kann der Handheld sinnvoll bei Patienten eingesetzt werden, die unter Gedächtnis- und/oder Orientie-

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rungsstörungen leiden. Hier stehen eine Reihe von Rehabilitationsprogrammen zur Unterstützung der kognitiven Kapazitäten zur Verfügung (siehe z. B. Hart, Buchhofer u. Vaccaro, 2004; Schulze, 2004). Als Beispiel genannt werden kann das System MEMOS (Mobile Extensible Memory & Orientation System; www.memos-online.de). Es läuft auf einem Handheld, der als externes Gedächtnis und Orientierungshilfe des Patienten fungiert. Vorteile des Programms sind, dass der Betreuungsaufwand reduziert wird und die Patienten selbstständiger agieren können. Erfolge bei der Rehabilitation sind im Rahmen einer Einzelfallstudie auch für die Handheld-Nutzung bei Jugendlichen mit Asperger-Syndrom belegt (Ferguson, Myles u. Hagiwara, 2005). Zudem können Handhelds zur Kommunikationsunterstützung von Personen mit Sprachstörungen genutzt werden (van de Sandt-Koenderman, Wiegers u. Hardy, 2005). Therapiekonzepte mit dem Handheld sind überwiegend verhaltenstherapeutisch orientiert und als Ergänzung einer Face-to-Face-Therapie gedacht. Patienten mit einer Panikstörung bewerteten die Kombination von Face-to-Face-Therapie und Handheld positiv und sie bewirkte Symptomverbesserungen (Meuret, Wilhelm u. Roth, 2001). Geeignet scheint die Therapiekombination auch für Patienten mit sozialer Phobie (für eine detaillierte Darstellung des Programms sowie eine Fallstudie siehe Przeworski u. Newman, 2004). Handheld-unterstützte Module für die Behandlung von Essstörungen existieren ebenso. Hier soll am Anfang der Therapie die Veränderungsmotivation unterstützt und am Ende dem Rückfall vorgebeugt werden (Norton et al., 2003). Allgemein positiv zu bewerten ist, dass Mobilmedien dadurch, dass sie zeit- und ortsunabhängig ständig verfügbar sind, einerseits durch Alarmfunktionen Zeitpunkte für die Beschäftigung mit dem Programm vorgeben und den Tag strukturieren können und andererseits Patienten in Abhängigkeit von ihrer aktuellen Situation spontan auf das Gerät zugreifen können. Schließlich scheinen Hausaufgaben durch interaktive mediale Anleitung und Dokumentation die Patienten besser zu motivieren, sofern sie – und die Therapeuten – der Technologie aufgeschlossen gegenüber stehen. Während einer viermonatigen multimodalen Gruppenintervention beantworteten adipöse Patienten täglich Fragen zu ihrem Essverhalten sowie zu ihrem psychischen und körperlichen Befinden auf einem Handheld. Die Analyse der aufgezeichneten Daten zeigte, dass

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die 35 Patienten während der Therapie ihre täglichen Essensmengen reduzierten, allerdings gegen Ende der Therapie wieder ansteigend größere Essensmengen zu sich nahmen. Der Umbruch war im Durchschnitt vier Wochen vor Ende der Therapie zu verzeichnen (Wild et al., 2007). Weitere Studien zum Einsatz des Handhelds bei diversen Störungsbildern, wie beispielsweise Phobien und Essstörungen, finden sich bei Marks et al. (2007).

Notebook Das Notebook bietet dieselben Möglichkeiten der klinisch-psychologischen Anwendungen wie der PC. Es stehen dieselben therapeutischen Computerprogramme und Online-Dienste wie am stationären Computer zur Verfügung (siehe zum Überblick z. B. Bobicz u. Richard, 2003). Leider liegen bislang keine Studien vor, die den Notebook-Einsatz im klinisch-psychologischen Bereich beschreiben und konzeptuell weiterentwickeln. Doch gerade die subtile und nachhaltige Integration der Mobilmedien in den Alltag ist besonders relevant für unser Verhalten und Erleben, sodass hier ein Forschungsdesiderat zu verzeichnen ist.

Chancen und Grenzen der M-Therapy Wenn Medien als erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten verstanden werden, zeigen sich nach Döring (2006) drei spezifische Funktionen von Mobilmedien für den Beratungskontext: − Relay-Funktion: impliziert, dass durch die Überwindung von zeitlichen und räumlichen Grenzen der Kreis der Ratsuchenden erweitert werden kann. − Semiotische Funktion: beschreibt die Erweiterung des Spektrums an Beratungsmethoden. Die einzelnen Themen der Beratungen verändern sich, es geschieht eine schnellere Fokussierung auf heikle Beratungsthemen. − Ökonomische Funktion: Standardisierungen verhelfen zu effizienterer und kostengünstigerer Beratungstätigkeit.

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Zusammenfassend lassen sich vier zentrale Vorzüge der Nutzung von Mobilmedien im klinisch-psychologischen Einsatzbereich benennen (Norton et al., 2003). Allerdings gehen diese Vorzüge mit Risiken einher. Die Grenzen der Mobiltherapie müssen erforscht, die Eignung für diverse Störungsbilder untersucht werden. Zudem sollten mögliche Risiken genauer erkundet werden, um diesen entgegenzuwirken und von den Vorteilen zu profitieren. Anreizeffekt und spezifische Leistungen von Mobilmedien: Mobilmedien haben für viele Menschen, gerade für die, die unter den Bedingungen der Mediengesellschaft sozialisiert wurden, einen größeren Anreiz- und Motivationscharakter als beispielsweise Selbsthilfematerialien in Papierform. Des Weiteren bieten beispielsweise Spielkonsolen zusätzliche Leistungen (z. B. hoher Unterhaltungswert). Grenzen, die hier benannt werden können sind, dass bestimmte Personengruppen der modernen Medientechnik gleichgültig, ablehnend und/oder ängstlich gegenüberstehen. Hier könnten gezielte Schulungen positiv wirken, um Barrieren abzubauen. Allerdings ist das Resultat abhängig von der Medienkompetenz des Therapeuten. Um Vertrauen und Motivation der Personen nicht zu schädigen, sollten nur ausgereifte Systeme ohne Bedienungsprobleme oder Systemfehler eingesetzt werden. Alltagsnahe und nachhaltige Diagnostik und Therapiedokumentation: Durch die Orts- und Zeitflexibilität der Mobilmedien lassen sich diagnostische Daten mit hoher Dichte im Feld erheben (ökologische Validität). Die Daten werden im Gerät gespeichert, analysiert und an einen Server übertragen: Eine effiziente und nachhaltige Datenerhebung ist gewährleistet. Dem Therapeuten können Datenqualität und Compliance zurückgemeldet werden, wie beispielsweise der Zeitpunkt und die Zeitdauer der Bearbeitung von Therapie-Modulen. Grenzen: Durch die starke Überwachung sind Reaktanzphänomene nicht ausgeschlossen. Zudem muss beachtet werden, dass je mehr Patientendaten gesammelt, übertragen und verwaltet werden, zuverlässiger Datenschutz umso virulenter wird. Dies betrifft die Handhabung des Endgerätes beim Patienten (z. B. Passwortschutz, kein Ausleihen an Dritte), die drahtlose Datenübertragung (z. B. Nutzung von Verschlüsselung) sowie die Datenverwaltung und Datensicherung auf dem Server der Therapeuten. Ausdehnung der therapeutischen Unterstützung über die Therapiestunde bzw. den Klinikaufenthalt hinaus in den Alltag: Ein flexibler Kontakt

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zum Therapeuten (in Selbsthilfe-Kontexten auch zu den anderen Betroffenen) ist möglich, der im Rahmen therapeutischer Vereinbarungen stattfindet. Des Weiteren können durch Therapie-Module Übungen im Alltag besser strukturiert und unterstützt werden. Grenzen sind, dass hier Gefahren der Medienabhängigkeit sowie der dysfunktionalen Entgrenzung von Patient-Therapeut-Kontakten möglich sind, die genauer zu untersuchen sind. Hinsichtlich der therapeutischen Ansätze scheint Mobilmedienunterstützung vor allem mit kognitiver Verhaltenstherapie kompatibel zu sein, die mögliche Erweiterung auf psychodynamische Ansätze wäre zu überprüfen. Therapie- und Kosteneffizienz: Wenn Mobilmedien in dem Sinne eingesetzt werden, dass Motivation gesteigert, Diagnostik präziser wird und Veränderungen im Alltag stärker unterstützt werden, sollte eine effizientere Therapie daraus resultieren, die mit weniger Präsenzsitzungen auskommt und somit Kosten einspart. Je nach Mobilmedium liegen die anteiligen und langfristigen Kosten für Geräteanschaffung und mobile Datenübertragung in der Regel unter den Kosten für therapeutische Präsenzsitzungen (Przeworski u. Newman, 2004). Für ein HandheldProgramm zur Gewichtsreduktion wurde zum Beispiel nachgewiesen, dass durch die Unterstützung von Mobilmedien mit weniger Face-toFace-Sitzungen gleiche Erfolge erzielt wurden wie durch eine herkömmliche Face-to-Face-Therapie (Agras et al., 1990). Durch kostengünstige Minimalintervention über Handy-Kurzmitteilungen können Versorgungslücken (z. B. zwischen Klinikaufenthalt und ambulanter Therapie) überbrückt werden. Grenzen: Für abschließende und störungs- sowie therapiespezifische Effizienzbewertungen sind weitere Studien (insbesondere auch Langzeitstudien) notwendig, um der Gefahr zu begegnen, dass es durch vorschnelle Umstellung auf mediale Interventionsformen zu Qualitätseinbußen kommt.

Fazit Der Einsatz von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien im Sozial- und Gesundheitswesen wird zunehmend selbstverständlicher, wobei der klinisch-psychologische Bereich dabei eingeschlossen ist (Newman, 2004). Mobilmedien gewinnen hier an

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N. Döring und C. Eichenberg – Klinisch-psychologische Interventionen

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Bedeutung, es existiert eine Fülle von Pilotprojekten mit Mobilmedien im gesamten Spektrum klinisch-psychologischer Interventionen. In Zukunft gilt es, diese neuen Möglichkeiten der »M-Therapy« – als Ergänzung und Erweiterung der »E-Therapy« sowie der herkömmlichen Face-to-Face-Therapie – wissenschaftlich und praktisch weiter zu entwickeln, zu evaluieren und bei positiven Evaluationsergebnissen dann auch zu veralltäglichen. Gerade die Angst vor Stigmatisierung aufgrund der Inanspruchnahme von psychotherapeutischer Hilfe kann reduziert werden, indem Betroffene erste positive Erfahrungen über den internet- oder mobilmedienvermittelten Kontakt zu professionellen Helfern machen (Marks et al., 2007). Des Weiteren können Mobilmedien im Bereich der Organisation, Verwaltung und Ausbildung im klinischen Bereich eingesetzt werden, um beispielsweise das Projektmanagement zu unterstützen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dysfunktionale und pathogene Muster der Mobilmediennutzung im Alltag zu diagnostizieren und zu behandeln, zum Beispiel, wenn Menschen Medien eskapistisch nutzen (Döring, 2006; Eichenberg, 2008). Wünschenswert wäre außerdem die Entwicklung neuer spezifischer Anwendungen, wie zum Beispiel therapeutisch wirksamer Handy-Spiele. Somit könnten Nutzungsmöglichkeiten der Geräte und die Effektivität der Therapie konsequent ergänzt werden.

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IV Methodische Ansätze in der Online-Beratung

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Birgit Knatz

Das Vier-Folien-Konzept

Das Vier-Folien-Konzept ist ein erprobtes Online-Beratungskonzept, welches aufzeigt, wie eine Erstanfrage per Mail beantwortet werden kann, um Kontakt mit dem Ratsuchenden aufzunehmen und ein Beziehungsangebot zu formulieren, so dass eine hilfreiche Beratung entstehen kann. Eine Beratung kann nur gelingen, wenn eine gute Beziehung die Basis bildet. Der Therapieforscher Wampold (2001) schreibt, dass Therapeuten, die auf den Kontakt setzen und nicht auf die Technik, die besseren Erfolge haben, da psychische Entwicklung Zeit braucht. In der Online-Beratung bemühen sich zwei Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen (Ratsuchende oder Ratsuchender und Beraterin oder Berater) mittels geschriebener Worte um Verständigung. Kenntnisse und Erfahrungen aus direkten Beratungsgesprächen lassen sich nicht eins zu eins auf die an die schriftliche Form gebundene OnlineBeratung übertragen. Das Fehlen der Sinnesmodalitäten bedarf bei Beraterinnen einer besonderen Fähigkeit: das Zwischen-den-Zeilen-Lesen. Es geht um Schreiben statt Sprechen und um Lesen statt Hören. Gerade kommunikative Menschen, die ihre Stärke im Sprechen mit einem leibhaften Gegenüber haben, können sich beim Verstehen und Verfassen von Texten schwer tun. Es ist ein Zeichen von beraterischer und medialer Kompetenz, hinter vordergründiger Information noch andere Dimensionen zu erkennen und darauf zu reagieren. Das Vier-FolienKonzept bietet eine praxisnahe, schrittweise Anleitung, Online-Beratungsanfragen inhaltlich zu erfassen und zu verstehen, um eine erste Antwort an den Ratsuchenden zu schreiben. Ziel ist es, einen Kontakt zu gestalten, der eine vorsichtige Annäherung formuliert, der Anliegen und Probleme benennt und zu weiteren Kontakten einlädt.

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

Die Sprache in den Beratungsanfragen per Mail »Die Sprache, die Menschen nutzen, um ihre eigenen Probleme schriftlich zu artikulieren, ist eine Sprache der Extreme. Sie unterliegt dem Zwang, sowohl faktische Wirklichkeiten – also Lebensumstände, Erlebnisse, Gegebenheiten – als auch emotionale Wirklichkeiten – Gefühle, Empfindungen und Meinungen – der unbekannten Leserin deutlich zu machen. Für die Zielsetzung, die faktischen Wirklichkeiten darzustellen, gelten folgende Notwendigkeiten: − die tatsächlichen Gegebenheiten klar zu beschreiben; − sachliche Verstehbarkeit zu ermöglichen; − emotionale Distanz zum eigenen Erleben herzustellen. Für die Zielsetzung emotionale Wirklichkeit gilt: − im Anliegen ernst genommen zu werden; − die Ernsthaftigkeit der Situation deutlich zu machen; − den Wunsch einer notwendigen Änderung zu transportieren; − Befindlichkeiten zu beschreiben; − Hilfeleistung zu erbitten« (Knatz u. Dodier, 2003, S. 95).

Eine Mail zu schreiben, stellt die Verfasserin vor die Schwierigkeit, sich und das Problem gegenüber einem potentiellen Leser zu positionieren. Die Schreiberin möchte die eigenen Lebensumstände, Erlebnisse, Gefühle, Empfindungen und Meinungen deutlich machen und gleichzeitig eine emotionale Distanz zum Erlebten herstellen, im Sinne: Wer schreibt, schaut sich selbst beim Denken zu. So bemühen sich Ratsuchende, ihre Lebensumstände klar zu beschreiben, mit dem Wunsch, verstanden zu werden und Unterstützung zu erfahren. Neben dem Informationstransfer in der Mail wirken auch die drei weiteren Anteile des Kommunikationsmodells (Schulz von Thun, 1981): die Selbstoffenbarung, die Beziehung und der Appell. Die Erfahrungen der webbasierten Mail-Beratung der TelefonSeelsorge in Deutschland zeigen, dass ein Teil der Ratsuchenden oft eine Situation überzogen darstellt, um ernst genommen zu werden. Andere beschreiben eine negativere Darstellung ihrer Lebenslage, um Anteilnahme zu wecken. Eine nächste Gruppe verharmlost ihren Text häufig dann, wenn sie Erfahrungen im Hinblick auf Hilfeeinrichtungen gemacht haben. Manche Mailende umgehen eine sprachlich ausgefeilte und ausführliche schriftliche Darstellung, indem sie die Quintessenz dessen, was sie momentan empfinden, in Fragen kleiden. Andere Mailende greifen auf Fremdtexte zurück und wieder andere verfassen selbst Gedichte. Die individuell möglichen Erfahrungen sind zahlreich und spiegeln

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B. Knatz – Das Vier-Folien-Konzept

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sich genau so vielfältig im dramaturgischen Aufbau einer Mail wider. Deshalb benötigen Online-Beraterinnen eine Lese-, Schreib- und Beratungskompetenz. Auch in der Verschriftlichung wird das Unbewusste in Szene gesetzt.

Lese-, Schreib- und Beratungskompetenz Lesekompetenz erfasst die Fähigkeit, geschriebene Texte in ihren Aussagen, ihren Absichten, ihrem Sinnzusammenhang und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Ebenso braucht ein Berater die Befähigung, Texte für unterschiedliche Belange sachgerecht zu nutzen. Lesekompetenz meint, die geschriebenen Worte aufzunehmen, zu erfassen und daraus ein Verständnis dessen zu erlangen, was die Verfasserin oder der Verfasser erzählen wollte. Bei der schriftlichen Kommunikation handelt es sich um eine zerdehnte Kommunikation, um eine Verständigung über Raum und Zeit hinweg. Es wird mit einem abwesenden, vielleicht erst einmal unbekannten Gegenüber kommuniziert. Das Verfassen eines Textes geschieht in einem eigenen Prozess, der sich über eine gewisse Zeit erstreckt und an dem unterschiedliche Teilhandlungen wie das Planen, das Formulieren, das Niederschreiben und das Überarbeiten beteiligt sind. Das Schreiben erfordert wegen der besonderen Rahmenbedingungen besondere Fertigkeiten, da der Text eine Wirkung erzeugen soll. Der Berater muss in der Lage sein, ein Beziehungsangebot schriftlich auszudrücken. Online-Beraterinnen und Berater sollten vertraut sein mit: − dem klientenzentrierten Konzept von Carl Rogers, − dem ressourcen-orientierten Ansatz in der Beratung, − den verschiedenen Grundsätzen der humanistischen Psychologie, − den wichtigsten theoretischen Inhalten der Kommunikationspsychologie und deren Handhabung. Außerdem sollten sie sich über die eigenen Einstellungs- und Reaktionsmuster bewusst sein. Die Online-Beratung erfordert eine angemessene Rollen- und Situationsdiagnose sowie das Verstehen der Beziehung zu den Beratungssuchenden in ihren unbewussten und bewussten Ebenen.

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

Das Vier-Folien-Konzept Ziel des Vier-Folien-Konzeptes ist es, eine Antwort auf die Beratungsanfrage zu formulieren, die es ermöglicht, ein Kontaktangebot an den Ratsuchenden schriftlich auszudrücken, eine vorsichtige Annäherung zu formulieren und Anliegen und Probleme zu benennen sowie zu weiteren Kontakten einzuladen.

Die erste Folie – Der eigene Resonanzboden In der ersten Folie, beim ersten Lesen, geht es darum, welche Gefühle und welche Resonanzen bei der Beraterin ausgelöst werden. Fragen wie: − Was ist das erste Gefühl, das Sie beim Lesen verspüren? − Welche Bilder und Fantasien sind in Ihnen beim Lesen der Mail entstanden? − Halten Sie das Problem für lösbar, auch per Mail? − Möchten Sie lieber an eine Kollegin, einen Kollegen verweisen? − Was würden Sie der Schreiberin, dem Schreiber spontan wünschen? − Können Sie sich vorstellen, mit dieser Ratsuchenden, diesem Ratsuchenden in Beziehung zu treten?

Die zweite Folie – Das Thema und der psychosoziale Hintergrund In der zweiten Folie geht es um den Inhalt und das Thema der Mail. Fragen wie: − Was ist das Thema der Mail? (Unterstreichen der Schlüsselwörter) − Bekommen Sie ein Bild von der Mailerin, dem Mailer und dem sozialen Kontext, in dem er/sie sich befindet? − Bekommen Sie genügend Fakten? (z. B. Alter, Geschlecht, Familienstand, . . . ) − Wo sehen Sie Stärken und Schwächen der Ratsuchenden?

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B. Knatz – Das Vier-Folien-Konzept

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Die dritte Folie – Diagnose Die dritte Folie fragt nach dem diagnostischen Blick des Beraters, also dem unbewussten Anteil des Ratsuchenden und dem professionellen Blick des Beraters darauf. Es geht darum, die unbewusst verschriftlichte Szene zu sehen, zu verstehen und sie diagnostisch einzuordnen. − Was ist das eigentliche Thema der oder des Ratsuchenden? − Was sind die Fragen oder Wünsche an Sie? − Ist das Ziel der oder des Ratsuchenden klar? − Was sind Ihre Hypothesen? − Welche Fragen haben Sie noch?

Die vierte Folie – Ihre Antwort Die vierte und letzte Folie ist die Intervention, die Antwort an die oder den Ratsuchenden. Sie ist folgendermaßen aufgebaut: − Anrede: Wenn möglich an den Stil des Ratsuchenden anpassen (z. B.: »Sehr geehrter Herr« oder »Liebe Magdalena« oder »Hallo Franz« oder »Hallo zurück«). − Einleitung: Vorstellen der Institution und der eigenen Person (»Ihre Anfrage ist bei uns in der . . . angekommen. Mein Name ist . . . , ich antworte Ihnen gerne«). − Auf generelle Fragen der oder des Ratsuchenden eingehen (»Unser Kontakt ist vertraulich …«, »Die Anonymität ist im Rahmen der Standards des Internet gewährleistet …«, »Ich bin Mitarbeiterin/Mitarbeiter der …«). − Positive Wertschätzung ausdrücken: Lob und Anerkennung ausdrücken, dass der oder die Ratsuchende sich dem Problem stellt und eine Problemlösung anstrebt (z. B.: »Ich finde es toll, dass Sie (du) den Mut gefunden haben (hast), uns zu schreiben. Wie ich lesen kann, ist es Ihnen (dir) nicht leicht gefallen . . . «). − Feedback: Mitteilen, was Sie sachlich und emotional verstanden haben (»Aus Ihren Zeilen konnte ich deutlich Ihre Verzweiflung, Wut, Trauer lesen . . . und ich kann mir vorstellen . . . «). − Mitteilen, was Sie nicht verstanden haben: Klären fehlender und unverstandener Dinge (»Mir ist nicht ganz klar, warum Sie (du) . . . «,

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

»Sind Sie eigentlich schon lange verheiratet?«, »Was hat Sie (dich) bewogen, nach . . . zu ziehen?«). Hypothesen und Vermutungen in Fragen kleiden (»Könnte es möglich sein, dass . . . «, »Ich vermute mal, dass . . . , liege ich damit richtig?«, »Wenn ich davon ausgehe, dass . . . , dann würde das bedeuten . . . , trifft das vielleicht zu?«, »Kann es sein, dass . . . , könnten Sie (könntest du) mir da zustimmen?«). Problemlösungswege aufzeigen und begründen: Hier ist es wichtig, Alternativen offen zu lassen (»Vielleicht sollten Sie (solltest du) mal versuchen . . . , denn ich glaube, …«, »Sollten Sie (solltest du) es schaffen . . . , dann . . . « , »Aber vielleicht wäre für Sie (dich) auch eine Möglichkeit, es zunächst mal . . . , denn …«). Nachfragen, ob dieser vorgestellte Weg gangbar ist (»Können Sie sich (könntest du dir) vorstellen, dies einmal zu versuchen?«). Einen Wunsch für die Ratsuchende oder den Ratsuchenden formulieren, zum Beispiel: »Ich wünsche Ihnen (dir), dass Sie (du) es schaffen (schaffst), mit Ihrer (deiner) Frau das Thema zu besprechen.« Angebot und Grenzen deutlich machen (»Ich bin bereit, mit Ihnen (dir) zusammen herauszuarbeiten, wie Sie (du) bezüglich Ihres (deines) Studiums zu einer Entscheidung kommen können (könntest) . . . «, »Was ich nicht leisten kann, ist, Ihre (deine) Panikattacken zu behandeln, dies erfordert sicherlich eine Behandlung durch einen Therapeuten vor Ort.«). Abschluss: Einladung zu einer Antwort (»Ich würde mich freuen, von Ihnen (dir) eine Antwort zu bekommen . . . «). Mitteilen der Rahmenbedingungen (»Ich werde mich bemühen, Ihnen innerhalb einer Woche wieder zu antworten«. Oder: »In der Regel antworte ich alle zehn Tage, ist dies o.k. für Sie (dich)?«). Grußformel (»Mit freundlichen (lieben) Grüßen«, »Bis dann«).

Sinnvollerweise lässt sich das Konzept an einem Fallbeispiel erschließen.

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B. Knatz – Das Vier-Folien-Konzept

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Fallbeispiel »Betreff: immer abends. . . . . . immer abends bin ich allein mit meinem schmerz. immer dann fehlt mir jemand zum reden. reden über das, was keiner weiß. immer abends verfliegt mein lachen, immer dann seh ich keine hoffnung mehr. immer wenn ich schreie, hört es niemand. ich will nicht mehr. medis vom arzt wollen nicht helfen, therapieplatz erst nächstes jahr. verdammt wielange noch?? und warum? wenn gott will, dass ich so jung sterbe, warum hat mutter mich dann geboren? jede nacht ist so schwer, das dunkel erdrückt mich. jeden morgen sagen: ›durchhalten, auch dieser tag geht vorbei‹ und dann zieh ich das kostüm an, das mit dem lachen. am abend fällt es von allein ab, und mit ihm die tränen. nur der kummer bleibt, er steckt zu tief. ich weiß nicht mehr weiter. warum finde ich keine hilfe? verdammt warum? Steph«

Die erste Folie – Der eigene Resonanzboden Um die Mail in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen, ist es notwendig, sie sich auszudrucken. Es ist wichtig, ein physisch greifbares Produkt in Händen zu halten. Zudem ist nachgewiesen, dass beim Lesen vom Bildschirm, dem Scannen eines Textes mit den Augen, mehr als die Hälfte der Informationen nicht aufgenommen wird. Durch das Papier in den Händen wird ein Sinneskanal mehr angesprochen. In eine ausgedruckte Mail kann hineingeschrieben werden, Gedanken und Bilder können an der Seite aufgezeichnet und Schlüsselformulierungen oder wichtige Worte unterstrichen werden. Nun muss die Mail wirken, die Beraterin kann sich von den Wörtern des Ratsuchenden berühren lassen, sich erlauben, alle entstehenden Bilder und Fantasien wahrzunehmen, sich als Resonanzkörper zur Verfügung zu stellen. Dies erfordert auf der einen Seite eine innere Bereitschaft sich einzulassen und auf der anderen Seite eine beraterische Kompetenz, die eigenen Gefühle und Bilder zu verstehen und angemessen umzusetzen. Wenn Sie sich die Mailanfrage von »Steph« durchlesen, was kommen Ihnen für Bilder? Wen sehen Sie? Eine Frau oder einen Mann? Ein Mädchen oder einen Jungen? Erinnert Sie Steph an jemanden? Was löst die Mail in Ihnen aus? Wenn Sie sich diesen Fragen stellen und ihnen Raum geben, werden

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

Sie einen Zugang zu Steph bekommen. Im Sinne des Vier-Folien-Konzepts werden Sie nun die Mail ein nächstes Mal unter dem Fokus des Themas und dem psychosozialen Hintergrund der oder des Ratsuchenden lesen.

Die zweite Folie – Das Thema und der psychosoziale Hintergrund Was ist das Thema und der Inhalt der Mail? In welchem sozialen und kulturellen Kontext lebt Steph? Welche Sachinformationen stehen in der Mail? Was sind Zahlen, Daten, Fakten? Wo hat Steph Stärken und Schwächen? Eine Stärke liegt zum Beispiel in dem Umgang mit der Sprache, der Mailtext hat schon literarische Qualitäten. Dann besitzt Steph die Fähigkeit, sich neben den herkömmlichen Unterstützungsdiensten auch Hilfe via Internet zu suchen, das heißt sie/er kennt sich in diesem Medium aus. Außerdem kann der Mail entnommen werden, dass Steph tagsüber einer Tätigkeit oder einer Ausbildung nachgeht und die Wohnung verlässt (»›durchhalten, auch dieser tag geht vorbei‹ und dann zieh ich das kostüm an, das mit dem lachen. am abend fällt es von allein ab, und mit ihm die tränen«).

Die dritte Folie – Die Diagnose Die Diagnose erfordert die weitere Aufmerksamkeit der Beraterin. Was gibt Steph neben der reinen Information an Aussagen über sich selbst (Selbstoffenbarung) bekannt. Welche Fragen, Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen hat Steph an die Beratung (Appellebene)? Wie tritt Steph in Kontakt (Beziehungsebene)? Ist der Auftrag klar? Welche Fragen sind offen? Kommunikationstheoretisch (Schulz von Thun, 1981) enthält jede Nachricht vier Seiten: eine Seite, über die der Schreiber informieren will (Sachebene oder das Thema der Mail); die Seite, über die der Schreiber etwas von sich zeigt, preisgibt (Selbstoffenbarung); die Seite, auf welcher der Schreiber direkt oder indirekt einen Wunsch, einen Auftrag, einen Kontakt äußert (Beziehungsebene), und die Seite, die auffordert und zum Handeln anregt (Appellebene). Steph ist ein junger Mensch, höchstwahrscheinlich eine junge Frau,

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B. Knatz – Das Vier-Folien-Konzept

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der Schreibstil entspricht mehr dem einer Frau als dem eines Mannes, der psychisch erkrankt ist. So heißt es: »›durchhalten, auch dieser tag geht vorbei‹ und dann zieh ich das kostüm an, das mit dem lachen. am abend fällt es von allein ab, und mit ihm die tränen. Nur der kummer bleibt, er steckt zu tief.«

Mädchen verwenden häufiger als Jungen Wörter aus den Bereichen: − Personenbezeichnungen, überwiegend weibliche; − Tierbezeichnungen; − Angst und Trauer. Jungen verwenden häufiger Wörter aus den Bereichen: − Technik; − männliche Personenbezeichnungen (Richter u. Brügelmann, 1996). Aufgrund dieser Erkrankung war Steph schon in Behandlung, die Medikamente helfen ihr/ihm nicht, er/sie wartet auf einen Therapieplatz. In dieser Wartezeit sucht Steph weiter nach Hilfe und Unterstützung und gibt dabei nicht auf. Er oder sie hat eine besondere Affinität zum Schreiben, ist in der Lage, sich fast poetisch auszudrücken, kann die eigenen Gedanken, Empfindungen und Gefühle gut in Worten und Bildern beschreiben. Es scheint so, dass das Schreiben hilft, eine Entlastung schafft.

Die vierte Folie – Die Antwort der Beraterin Sie schreibt zeitversetzt, das heißt, sie weiß nicht, in welcher Stimmung die Ratsuchende ist, wenn sie ihre Antwort liest. Die Beraterin weiß nicht, ob die Mail authentisch ist, doch sie geht in ihrer Antwort davon aus. Sie nutzt ihren Resonanzboden und die Bilder, die in ihr entstanden sind. Obwohl im Internet ein eher salopper Stil herrscht, bleibt sie in ihrer Rolle als Beraterin der TelefonSeelsorge und antwortet entsprechend angemessen. Sie scheut sich nicht Fragen zu stellen, mit dem Wissen, dass diese für beide Seiten wichtig sind und Sicherheit geben. Sie beantwortet die Mail auf der Grundlage ihrer eigenen Lebenserfahrung und ihrer Professionalität und macht Steph ein Beziehungsangebot.

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

»Hallo Steph, Ihre Mail ist bei der Telefonseelsorge eingegangen. Ich heiße Petra und bin Mitarbeiterin der Telefonseelsorge. Ich finde es gut, dass Sie an die Telefonseelsorge geschrieben haben und ich antworte Ihnen gerne. Ich denke, dass Sie eine Hoffnung mit der Kontaktaufnahme verbinden. Die möchte ich gerne mit Ihnen klären. Eine Therapie können wir nicht leisten. Unsere Möglichkeiten liegen in der Beratung. Z. B. können wir überlegen und nachdenken, wie Sie die Zeit bis zum nächsten Jahr (Therapieplatz) gestalten wollen. Wie ich gelesen habe, fühlen Sie sich besonders am Abend einsam, allein und wie isoliert. Übrigens ist Mailen ja auch eine gute Möglichkeit, mit jemandem zu reden! Der Tag kann scheinbar auch nicht frei, unbeschwert und vor allen Dingen »stimmig« gelebt werden. Mir kam beim Lesen das Bild eines Clowns, der seine Rolle spielt, aber nicht wirklich zu erkennen ist. Zu spüren glaube ich auch eine Menge Wut und Verzweiflung und ich kann mir vorstellen, dass die Frage kommt: Warum gerade ich? Konkret schreiben Sie kaum etwas. Leben Sie allein, darf ich wissen, wie alt Sie sind, wollen Sie über Ihren Schmerz reden, von dem keiner weiß? Mir ist nicht klar, in welche Richtung Ihre Wünsche gehen. In Kontakt können wir nur kommen, wenn Sie etwas von sich mitteilen. Kann es sein, dass Ihnen genau das schwerfällt? Wenn Sie mir antworten möchten, antworte ich Ihnen möglichst innerhalb von acht Tagen. Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Licht in dem Dunkel und Erfahrungen, die Tage annehmbarer machen. Liebe Grüße von Petra.«

Die Antwort von Steph Ziel der ersten Antwort der Online-Beraterin war es, wie eingangs beschrieben, Kontakt mit der Ratsuchenden aufzunehmen, eine vorsichtige Annäherung, ein Beziehungsangebot zu formulieren, welches Anliegen und Probleme benennt und einladend für weitere Kontakte ist. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort der Ratsuchenden an die Beraterin zu betrachten. Steph antwortete der Online-Beraterin Petra innerhalb von einem Tag. Wie richtig vermutet, handelt es sich bei Steph um eine junge Frau (Stephanie), die zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme gerade 21 Jahre war, ihr Abitur mit Auszeichnung bestanden hatte und BWL studierte. Sie schrieb: »über die antwort habe ich mich gefreut und beim lesen ihrer mail fühle ich mich in guten händen. frauen können sowas meist eh besser. dass sie keine therapie leisten können, ist mir natürlich klar. ich erwarte auch kein wunder oder eine lösung für meine probleme, aber ein bisschen halt. manchmal reicht ein kleiner stubbs, um wieder mut zu haben und weiter zu machen. doch genau diesen stubbs bekommt man nur selten von jemanden. ist seltsam.«

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B. Knatz – Das Vier-Folien-Konzept

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Hier nimmt Stephanie den Kontakt und das Beziehungsangebot der Beraterin auf. Sie fühlt sich verstanden und eingeladen, mehr von sich zu schreiben, sie geht auf die Nachfragen ein. Zu ihrer momentanen Situation schreibt sie unter anderem Folgendes: »– behandlung bei einer neurologin wegen depression, bekomme antidepressiva, dennoch keine verbesserung – vor ca. zwei monaten erzählte ich ihr, dass ich mich selbst verletze, sie wollte die wunden sehen und schickte mich zu einem chirurgen zum nähen – seitdem pocht sie darauf, dass ich eine psychotherapie mache, bin auch bereit dazu, nur fehlt mir der elan – allgemein versuche ich, das, was mich bewegt zu ›verarbeiten‹ indem ich gedichte schreibe und auch auf einer seite im web veröffentliche.«

Hier geht sie auf die Fragen der Online-Beraterin ein, das heißt, sie fühlte sich mit der ersten Antwort verstanden und wertgeschätzt, so dass sie sich nun öffnet und sich traut, ihre Leidensgeschichte zu schildern. Weiter schreibt sie, »ich habe das tief von vor einigen tagen wieder etwas überwunden und bin nun auch im kopf klarer«. Damit macht sie die asynchrone Form der Mail-Beratung deutlich und auch die damit verbundene Chance. »Ich denke, das genügt erst einmal. ich finde jetzt keinen abschluss, weiß z.b. nicht, was ich mir als antwort erhoffe, vielleicht ist es auch das, dass ich mich einem neutralen menschen einfach mal mitteilen will. lg stephanie«

So endet die Antwort-Mail von Stephanie. Aus dem Mail-Kontakt entstand eine eineinhalbjährige Online-Beratung, die Stephanie dazu genutzt hat, zu sortieren, sich Luft zu verschaffen und sich eine geeignete Therapie zu suchen. Die ersten Therapiesitzungen wurden durch die Online-Beratung begleitet.

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Bettina Zenner und Ludo Gielen

Ein dialogischer Ansatz in der Online-Beratung

Vorbemerkungen Die dialogische Bewegung in der Therapie umfasst eine Gruppe von Therapeuten und Therapeutinnen, zu der unter anderen Tom Andersen, Harlene Anderson, Lynn Hoffman, Peggy Penn, Jaakko Seikkula und Peter Rober gehören. Sie sind inspiriert durch den sozialen Konstruktionismus und die Ideen von Bakhtin und Volosinov, den Begründern der dialogischen Theorie. Online-Beratung aus der Perspektive dialogischer Ansätze zu beschreiben, ist inspiriert durch die Praxis selbst. Gerade in der Auseinandersetzung und vertieften Beschäftigung mit Texten, also geschriebener Sprache, sowohl in der E-Mail- als auch in der Chat-Beratung, wird eindrücklich erlebbar, wie Sprache im Dialog Beziehung und Realität(en) stiftet. Klienten und Beraterinnen beginnen durch und über das Schreiben einen partnerschaftlichen Dialog, der durch die Anonymität und die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation unterstützt wird. Die Anonymität in der Online-Beratung fördert eine offene, neugierige Haltung zwischen Klienten und Beratern. Sie unterstützt damit eine mehr partnerschaftliche Beratungs-Beziehung, in der ein wechselseitiger Austausch zwischen den Gesprächspartnern möglich wird. Im Kontext der Anonymität (Schultze, 2007), in dem eine Reihe sozialer Statusmerkmale nicht in Erscheinung treten und die Beziehung beeinflussen, haben Klientinnen viel mehr noch als in der Face-to-Face-Beratung die Möglichkeit, ein von ihnen entworfenes Konstrukt von sich selbst (Identität) ins Gespräch zu bringen. Sie können entscheiden, von welchen Seiten sie in der Beziehung zur Beraterin sprechen, welche Stimmen sie laut werden lassen wollen. Ausgehend von dem Konzept der Mehrstimmigkeit (Bakhtin, 1984) können Berater nach noch anderen, möglicherweise leiseren Stimmen oder Aspekten des Selbst fragen. Klienten fühlen sich auf diese Weise eingeladen, über Seiten von sich zu

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

sprechen, die sie bislang nicht beachtet oder über die sie in Beziehungen mit anderen (noch) nicht gesprochen haben. Auf die bereits hier angedeuteten Ansätze der Mehrstimmigkeit und Reflexivität wird später noch näher eingegangen. Beraterinnen und Klienten erzeugen in einem wechselseitigen fortlaufenden Prozess des Schreibens – Lesens – Verstehens – Schreibens usw. einen gemeinsamen reflexiven (Schreib-Sprach-)Raum. Das heißt, sowohl Beraterin als auch Klientin sind im und durch das Schreiben in verschiedenen reflexiven Prozessen engagiert: in selbstreflexiven Prozessen, in denen sie sich sozusagen in einem inneren Dialog mit sich selbst, mit verschiedenen Aspekten/Stimmen ihres Selbst befinden und entscheiden, was und wie sie schreiben wollen, und in denen sie über die Bedeutungen des Geschriebenen, ihre Gedanken, Gefühle, Vorstellungen, Erinnerungen, Empfindungen usw. reflektieren sowie in einem wechselseitig reflexiven Austausch, in dem sie der Gesprächspartnerin gegenüber Teile dieses inneren Dialogs veröffentlichen und damit ausdrücken, wie sie das Geschriebene verstehen. Durch diesen Austausch im schreibenden Gespräch selbst entstehen wiederum neue Ideen und Sichtweisen, werden neue Bedeutungen gefunden/erfunden. Indem sich Beraterinnen und Klienten über das Schreiben in dieser Weise in einen gemeinsamen Erkundungsprozess begeben, engagieren sie sich in Dialogen bzw. dialogischen Gesprächen. Dialoge sind nach Anderson (1999) eine besondere Art von Gesprächen, in denen es darum geht, sich miteinander für einen Prozess des Verstehens zu engagieren, einen Lernprozess, wie der Gesprächspartner etwas Sinn verleiht und welche Bedeutung das Gesagte für ihn hat. Dialoge, auch und gerade schriftliche Dialoge, lassen Raum für möglichst viele Stimmen, die im und durch das Schreiben und Lesen bei beiden Gesprächspartnerinnen auftauchen. Wenn wir schreiben, sind wir zunächst unser eigener Zuhörer. Nur wenn wir aus dem Fluss unserer Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Vorstellungen usw. auswählen, können wir sie einem anderen, zum Beispiel einer Beraterin mitteilen. Peggy Penn (2001), die sich mit den Charakteristiken des Schreibens in der Therapie intensiv beschäftigt hat, versteht die schreibende Stimme als relativ frei: »The writing voice differs because it is relatively free at first from social restrictions and mores, and therefore not obedient to anyone« (Penn, 2001, S. 48). Ihrer Erfahrung nach beschreiben Klienten als häufigste Erfahrung, dass das Schreiben

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B. Zenner und L. Gielen – Ein dialogischer Ansatz

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ein Akt der Entdeckung ist. Klientinnen finden Dinge über sich selbst heraus, die sie vorher noch nicht von sich kannten, sie benutzen Worte und Beschreibungen, die sie bis dahin noch nicht benutzt hatten, und sie sprechen oft mit einer Stimme in einer Weise, die sich neu anfühlt. Penn betont auch, dass wir beim Schreiben an einen unbekannten Adressaten den anderen fiktionalisieren müssen, eine Geschichte über diese Person konstruieren müssen. Einer Beraterin zu schreiben, beinhaltet üblicherweise positive Vorerwartungen. Wir konstruieren unseren Zuhörer/ Leser als jemanden, der darauf wartet, von uns zu hören. Nach Penn ist das bedeutendste Charakteristikum des Schreibens, dass wir nicht von einer Situation oder einem Problem bestimmt sind und darauf reagieren, sondern mit dem Schreiben wieder Handelnde werden. Insbesondere die E-Mail-Beratung bietet sowohl dem Berater als auch der Klientin mehr Zeit, darüber nachzudenken, was und wie sie etwas schreiben möchten und schafft auf diese Weise reflexiven Raum, der für die Beratung genutzt werden kann. Um die Anwendung eines dialogischen Ansatzes in der Online-Beratung zu illustrieren, werden zunächst vier Hauptmerkmale dialogischer Therapie skizziert: − die Haltung des Nicht-Wissens (Harry Goolishian, Harlene Anderson), − reflexive Prozesse (Tom Andersen), − das Konzept der Mehrstimmigkeit oder Polyphonie (Michail Bakhtin), − das dialogische Selbst des Beraters (Peter Rober).

Die Haltung des Nicht-Wissens In dem von Harlene Anderson und Harold Goolishian (1992) entwickelten kollaborativen Ansatz nimmt die Haltung des Nicht-Wissens (»not knowing stance«) einen zentralen Platz ein. Den kollaborativen Ansatz beschreiben sie als eine philosophische Haltung – »a way of being«. Das bedeutet, das eigene Wissen als zu hinterfragendes und veränderbares anzunehmen, als ein Bündel von Ideen und Sichtweisen, die im sprachlichen Fluss sind und keine absoluten, zeitlich überdauernden Wahrheiten repräsentieren. Beraterinnen haben nach diesem Verständnis keinen Zugang zu privilegiertem Wissen: Sie sind ständig Lernende, die

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IV

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

sich mit den Klientinnen in einer Beziehung zwischen gleichberechtigten (Gesprächs-)Partnerinnen befinden. Klienten sind dabei die Autoren ihrer (Lebens- und Beziehungs-)Geschichte und Experten für ihr Leben, ihre Ziele und ihre Zukunft. Beraterinnen sind Co-Autorinnen, die sich als Expertinnen für den Gesprächsprozess verstehen, eine Atmosphäre schaffen und zu Gesprächen einladen, in denen neue Möglichkeiten im und durch das Gespräch entstehen.

Mit den Klienten sein (»withness process«) Eine nicht-wissende Haltung einzunehmen, bedeutet einerseits, neugierig, interessiert und offen dafür zu sein, was Klientinnen erzählen und wie sie selbst es verstehen. Damit Beraterinnen respektvoll zuhören und sich darauf einlassen können, wie genau Klientinnen das meinen, was sie erzählen, ist es notwendig, die eigenen Stimmen – Gedanken, Gefühle, Annahmen usw. – in den Hintergrund treten und leise werden zu lassen. Auf diese Weise gehen sie an der Seite der Klienten (»walking along with the client«) und begeben sich in einen Prozess des Mit-denKlienten-Seins (»withness process«), »[…] including ways of thinking with, talking with, acting with and responding with them« (Anderson, 2007, S.137).

Veröffentlichen (»going public«) Nicht-Wissen beinhaltet andererseits, dass Beraterinnen das eigene Wissen, also Erfahrungen, Vorurteile, Annahmen, Fragen, Ideen und innere Dialoge in das Gespräch mit Klienten einbringen, es zu einer bestimmten Zeit veröffentlichen (»going public«) und als Nahrung für das weitere Gespräch zur Verfügung stellen. Eine nicht-wissende Position einzunehmen bedeutet nicht, dass Beraterinnen nichts wissen oder ihr Wissen leugnen oder nicht nutzen sollten, was sie bereits wissen. Es bedeutet vielmehr, dass sie ihre Beiträge, seien es Fragen, Meinungen, Vorschläge, Ideen usw., in einer behutsamen Weise veröffentlichen. Sie beanspruchen keine Wahrheit, sondern bieten nur eine andere Perspektive an, die die Konversation und das gemeinsame Erkunden mit der Klientin bereichern kann. Wenn der Berater einige seiner inneren Stim-

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men veröffentlicht, kann das für seine Gesprächspartnerin den Raum für neue Sichtweisen und Geschichten öffnen, die noch nicht erzählt worden sind. »Man kann jede Frage stellen, jede Bemerkung machen, über alles reden. Wesentlich dabei ist die Haltung, der es entspringt – das Auftreten, der Ton und das Timing. Alle Fragen wie auch alle Bemerkungen, persönlichen Überlegungen oder Ansichten sollten am besten versuchsweise vorgebracht werden. Sich vorzutasten heißt nicht, vage zu bleiben, sondern dem anderen gegenüber aufgeschlossen zu sein und ihm Raum zur Mitwirkung zu geben. Werden Fragen in dieser Weise gestellt, bleibt es dem Klienten überlassen, ob er auf sie eingehen, sie umformulieren oder ignorieren will« (Anderson, 1999, S. 181 f.).

Es ist möglich, auch Hypothesen in einer kollaborativen Weise zu benutzen, indem Beraterinnen sie sorgsam als ein Thema der Konversation präsentieren, in einer Weise, dass Klienten sie als eine neue mögliche Perspektive sehen, worüber sie nachdenken, die sie anerkennen, der sie zustimmen oder die sie zurückweisen können. Fragen und Ideen der Berater sind beeinflusst durch das Gespräch und die Erzählungen von Klientinnen (konversationale Fragen), nicht durch eigene professionelle oder persönliche Sichtweisen. Anstatt in Entweder-oder-Kategorien zu fragen und zu sprechen, benutzen Beraterinnen eine Sprache der Möglichkeiten (Könnte es sein, dass …? Vielleicht könnte man …? Geht es dir möglicherweise um …?) Die Haltung des Nicht-Wissens ist oft kritisiert worden (z. B. Kaye, 1999; Larner, 1996), in der Weise, dass es unmöglich ist, dass Berater und Therapeutinnen nichts wissen oder Nicht-Wissen als Methode missverstanden wurde. Es soll an dieser Stelle nur betont werden, dass Nicht-Wissen kein theoretisches oder methodisches Modell von Therapie bedeutet. Vielmehr bezieht sich Nicht-Wissen auf eine Haltung des Mit-den-Klienten-Seins, die in Gesprächen mehr Gleichheit und weniger Hierarchie zwischen Beratern und Klienten ermöglicht.

Reflexive Prozesse Der Prozess der Beratung vollzieht sich in einem fortlaufenden wechselseitigen Zuhören und Reflektieren auf Seiten von Beraterinnen und Klienten. Dialogisch strukturierte Gespräche (»dialogical conversation«) sind durch ein wechselseitiges Erkunden gekennzeichnet:

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»Shared inquiry is the mutual process in which participants are in a fluid mode and is characterized by people talking with each other as they seek understanding and generate meaning; it’s an in-there-together, two-way, give-and-take, back-and-forth exchange« (Anderson, 2008, S. 9).

Das wechselseitige Erkunden umfasst sowohl einen Prozess des Mitden-Klienten-Seins als auch einen Prozess des Außenstehens (»outsiderness, aboutness«). Mit den Klienten zu sein betont mehr das rezeptive Zuhören, die Stimme der Klientin in den Mittelpunkt zu stellen, das aufzunehmen, was sie sagt und die eigenen Stimmen, Gedanken, Erinnerungen, Gefühle, Fragen, Hypothesen usw. still werden zu lassen. Für Tom Andersen schließen solche Prozesse des Miteinander auch die körperlichen Aktivitäten von Klientinnen ein. Obwohl es in der geschriebenen Kommunikation unmöglich ist, die Körpersprache der anderen Person im Moment des Schreibens zu registrieren, ist es trotzdem möglich, dem Körper zu einem geeigneten Zeitpunkt einen Platz im geschriebenen Austausch zu geben. Im Kontext eines längeren E-Mail-Kontaktes schrieb eine Frau: »Ich fühle so viel Schmerz.« Der Berater fragte sie: »Wo in Ihrem Körper fühlen Sie den Schmerz?« Sie antwortete: »In meinem Brustkorb und in meiner Lunge. Wenn der Schmerz zu stark ist, kann ich nicht mehr atmen.« Darauf antwortete der Therapeut: »Wenn Ihr blockierter Atem eine Stimme finden würde, was würde diese sagen?« Die Klientin antwortete dieses Mal: »Sie würde schreien und nach meiner Mutter rufen: ›Bitte akzeptiere und liebe mich und höre auf, mich ein Kind des Teufels zu nennen.‹«

Wenn sich die Beraterin in bestimmten Momenten eines Gesprächs entscheidet, offen auszudrücken, welche Fragen sie sich selbst stellt und worauf sie neugierig ist, um die Erfahrungen und Sichtweisen des Klienten besser zu verstehen, dann nimmt sie eine außenstehende Position gegenüber der Klientin und gegenüber sich selbst ein. Sie spricht über den Klienten, seine Erzählung und darüber, was in ihr selbst und im Gespräch geschieht. Im Abschnitt über das dialogische Selbst betrachten wir diese reflexiven Prozesse sowie den inneren Dialog des Beraters noch genauer.

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Das Konzept der Polyphonie Michail Bakhtin (1984) hat durch seine Beschäftigung mit Dostojewskis Romanfiguren das Konzept der Polyphonie begründet. Darin vergleicht er das Selbst mit einem polyphonen Roman, »worin das Selbst nicht aus einem einzelnen Wesen, einer Einzelstimme oder nur einer Position besteht, sondern diese mehrfach vorhanden sind« (Anderson, 1999, S. 263). Danach besteht das Selbst aus einer Vielzahl unabhängiger Stimmen, die sich im Dialog befinden.

Das dialogische Selbst der Beraterin Inspiriert durch Bakhtins Konzept des dialogischen Selbst als einer Polyphonie von inneren Stimmen wurde auch das Selbst des Beraters als ein innerer Dialog (Anderson, 1977) oder eine innere Konversation (Rober, 2002) beschrieben. Rober (1999) differenziert zwischen inneren Stimmen, die das erfahrende Selbst des Beraters und Stimmen, die sein professionelles Selbst (oder seine Rolle) reflektieren. Das erfahrende Selbst sind die Beobachtungen, aber auch die Erinnerungen, Bilder, Fantasien usw., die durch das aktiviert werden, was Klientinnen erzählen. Das professionelle Selbst ist das hypothetisierende des Beraters, das seine Fragen, Kommentare usw. vorbereitet. Der Berater nimmt dann sowohl eine außen stehende, reflektierende Position gegenüber der Erzählung der Klientin als auch gegenüber seinem eigenen erfahrenden Selbst ein. Er versucht, seinen eigenen Erfahrungen Sinn zu geben, indem er seine Beobachtungen und Eindrücke strukturiert und versucht zu verstehen, was in der Konversation abläuft. Nach Rober kann die innere Konversation von Beratern als Dialog zwischen dem erfahrenden Selbst und dem professionellen Selbst beschrieben werden (Rober, 2005). Das bedeutet, dass die Beraterin während oder nach einer Sitzung einen mentalen reflexiven Raum erzeugt, in dem sie über die Äußerungen der Klientin reflektiert, über ihre eigenen Erfahrungen und ihre Position in der Konversation sowie darüber, was sie als nächstes tun möchte. In ihrer inneren Konversation kann die Beraterin über Fragen nachdenken, die die dialogischen Aspekte der Konversation betreffen: Welche Stimmen sprechen (zum Beispiel eine traurige, eine verzweifelte oder eine wütende Stimme)? An wen richten sie sich? Welche Stimmen

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fühlen sich eingeladen zu regieren (zum Beispiel eine tröstende, eine beruhigende, eine interessiert nachfragende Stimme)? Welche Antwort und welche Rollen werden von mir erwartet? Bereichert es die Konversation, wenn ich diese Einladung akzeptiere oder sollte ich den Klienten in ein anderes Beziehungsszenario einladen?

Die Anwendung dialogischer Ansätze in einer geschriebenen Konversation mit Nathalie – ein Fallbeispiel Nathalie schreibt in ihrer ersten Mail: »Hallo, vor über einem jahr habe ich ca. 7 kg durch viel sport verloren, und ich habe seitdem meine periode nicht mehr. Ich wiege 51 bei 172 cm [. . . ] also ich verbiete mir nichts, wenn ich appetit drauf habe, nur softdrinks aus prinzip nicht. Meine frage ist, ist das gefährlich für den körper? Ich hatte schon panik, ich hätte eine essstörung, weiss, dass diese gedanken wahrscheinlich nur daher kamen, dass familie dachten ich sei krank [. . . ] ich bin aber zufrieden, insofern dies von denen auch akzeptiert wird.«

Die Beraterin fragt sich beim Lesen, welche Stimme der Klientin hier spricht. Sie hört an erster Stelle eine sorgenvolle Stimme, die fragt, was die Konsequenzen ihres Gewichtsverlustes sein könnten. Es scheint auch eine ängstliche Stimme zu geben, die sich fürchtet, vielleicht eine Essstörung zu haben. Diese Stimme ist jedoch fast unmittelbar gefolgt von einer beruhigenden Stimme (sie ist zufrieden mit sich selbst und weiß, dass sie nur wegen der Reaktion ihrer Familie über eine Essstörung nachdenkt). Und es gibt eine traurige Stimme, weil sie sich nicht von ihrer Familie akzeptiert fühlt. Die Beraterin fragt sich auch, welche Einladungen es gibt, in diesem Fall für sie. Sie stellt fest, dass sie selbst sorgenvoll wird, wenn sie Nathalies BMI (»body mass index«) kalkuliert, der sehr niedrig ist. Und weil sie selbst keine medizinische Spezialistin ist, bemerkt sie, dass sie darüber nachdenkt, ob sie Nathalie den Rat geben soll, einen Allgemeinmediziner zu konsultieren oder eine Gynäkologin. Diese Sorge ist Teil ihres erfahrenden Selbst. Die Beraterin fühlt eine Einladung von Nathalie, ihre Sorgen zu hören, ihre Angst und ihren Wunsch, als die akzeptiert zu werden, die sie ist, sie zu informieren und zu beruhigen. Dann beginnt die Beraterin darüber nachzudenken, welche Fragen sie fragt und welche Kommentare sie macht (was Teil ihres professionellen Selbst ist). Sie entscheidet, statt Nathalies Essver-

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halten zu erkunden, um herauszufinden, ob sie Symptome einer Essstörung hat oder nicht, bei Nathalies Anliegen zu bleiben – ihrer Furcht, als krank gesehen zu werden – und bei ihrem Wunsch, von ihrer Familie so akzeptiert zu werden, wie sie ist. Diese Entscheidungen der Beraterin im Hinblick darauf, welche Fragen sie fragen möchte, können folglich als das Ergebnis eines inneren Dialoges zwischen ihrem erfahrenden und ihrem professionellen Selbst gesehen werden. Die Beraterin schreibt zurück: »[. . . ] gewicht zu verlieren, kann viele gründe haben. es ist nicht notwendigerweise ein beweis für eine essstörung. gründe können zum beispiel sein: hochgradiger stress, weil sich jemand große sorgen macht oder sich zum beispiel sehr traurig fühlt, viel sport machen, gesunde essgewohnheiten (wie weniger fettreich zu essen) usw. welche möglichen gründe siehst du für deinen gewichtsverlust? ich verstehe auch, dass es wichtig für dich ist, von deiner familie als die akzeptiert zu werden, die du bist. ich frage mich, ob du dich im allgemeinen in deiner familie (durch deinen vater, deine mutter, deine geschwister) akzeptiert fühlst.«

Diese Fragen sind nicht durch theoretische Überlegungen inspiriert, sondern eher durch Nathalies Geschichte und die Konversation. Die Therapeutin ist gerade neugierig auf Nathalies eigene persönliche »Theorie« und ihre Gedanken. Und sie ist wirklich interessiert zu erfahren, in welchem Maße sich Nathalie durch ihre Familie akzeptiert fühlt. Daraus ergeben sich konversationale Fragen, die Beraterin bleibt und denkt mit Nathalie. Nathalie antwortet: »[. . . ] ich esse sehr gesund und achte auch darauf, aber ich achte bestimmt nicht auf jedes gramm, aber ich denke teilweise schon oft über das essen nach [. . . ] mir ist aufgefallen, dass ich oft ans essen denke, wenn mir langweilig ist, da ich zur zeit etwas rumschwimme, weil ich im studium verunsichert bin, ob es das richtige ist … naja, da kommt viel zusammen. Stimmungsschwankungen habe ich auch, ich habe auch schon über eine mögliche depression nachgedacht …«

Nathalie hat begonnen, über sich selbst nachzudenken, ihr innerer Dialog wurde stimuliert. Wir sehen auch, dass im Kontext ihrer Reflexionen andere Stimmen auftauchten wie zum Beispiel eine suchende/ zweifelnde Stimme (gelangweilt zu sein und nicht zu wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen soll; Fragen zu haben oder unsicher zu sein über ihre Ausbildungsmöglichkeiten), eine Stimme, überlastet zu sein (eine Menge kommt zusammen) und eine traurige Stimme (eine mögliche Depression). Mit anderen Worten, die Konversation wurde erweitert

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und bereichert und für mehrere neue Bereiche geöffnet, die gemeinsam erkundet werden können. Nachdem die Beraterin diese neuen Stimmen realisiert und über mögliche Fragen und Kommentare nachgedacht hat, die sie in einer sorgsamen Weise veröffentlichen möchte, mit Nathalie bleibend (»aboutness« und »withness« kombinierend), antwortet sie: »[. . . ] gibt es andere umstände, gedanken oder gefühle, andere als gelangweilt zu sein, die dich auch dazu bringen, an essen oder nahrung zu denken. du hast auch erwähnt, dass viel zusammen kommt. könntest du mir mehr über die verschiedenen dinge erzählen (abgesehen von der ungewissheit über deine ausbildung), was stressig war oder schmerzhaft oder schwierig für dich? und wenn du über eine mögliche depression sprichst, frage ich mich auch, wann und wie du zu dieser idee kamst?«

Nathalie antwortet: »[. . . ] die trennung meiner eltern vor 2 jahren hat mich sehr stark getroffen, mit meiner mutter habe ich noch kurz darüber geredet, und das nimmt mich sehr mit. Ich könnte schon heulen, wenn ich nur daran denke! Und seitdem geht es mir auch nicht mehr so gut. [. . . ] mein vater ist auch seit jahren depressiv, würde mich nicht wundern, wenn ich davon eine grosse scheibe abbekommen habe, weiterhin habe ich uni abgebrochen und arbeite nebenbei, also ist es oft langweilig, da denke ich mir, da kann ich wenigstens auf meine figur achten und gesund und gut essen, vielleicht dennoch zu übertrieben.«

Zum ersten Mal spricht Nathalie über die Trennung ihrer Eltern und der Wirkung auf sie (zumindest tiefe Traurigkeit). Das bis dahin noch nicht Gesagte wurde jetzt angesprochen. Die Beraterin fragt sich, welche Bedeutung diese Trennung für Nathalie hat. Hat Nathalie die Trennung noch nicht verarbeitet und wenn, aus welchen Gründen? Ist es in der Familie akzeptiert, Fragen, Gedanken und Gefühle auszudrücken, die sie im Hinblick auf die Trennung hat oder ist es ein Tabu? Hat sie Angst, dass sie eine depressive Störung von ihrem Vater geerbt haben könnte, sieht sie das als den Grund der Trennung und welche anderen Gedanken hat sie zu dem Ganzen? Denkt sie vielleicht, dass sie nicht genug getan hat, die Trennung zu verhindern? Das alles ist Teil des inneren Dialogs der Therapeutin. Die Beraterin ist auch fasziniert von der besonderen Beziehung zwischen dem Innen (zum Beispiel traurige, ängstliche oder Gefühl von Leere) und dem Außen (Aussehen, Figur). Wie würde Nathalie selbst die Beziehung zwischen dem Innen und Außen sehen?

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Die Beraterin kreiert einen reflexiven Raum, um über ihren eigenen inneren Dialog zu reflektieren und darüber, welcher Prozess schon im Austausch der E-Mails stattgefunden hat (hauptsächlich das vorher noch nicht erwähnte Thema der Trennung der Eltern). Die Beraterin schreibt: »Du erwähnst, wie sehr dich die trennung deiner eltern vor zwei jahren noch verfolgt (zusetzt) und dich noch heute sehr traurig macht. ich frage mich, welche fragen du noch hast im hinblick auf diese trennung und an wen? wenn deine traurigkeit eine stimme hätte, was würde sie sagen und zu wem? siehst du eine verbindung zwischen deiner traurigkeit und deinen gedanken an essen und nahrung? du hast auch erwähnt, dass deine gedanken an essen und nahrung mit momenten der langeweile gekoppelt sind. wie fühlst du dich dann, wenn du gelangweilt bist: fühlst du dich hauptsächlich einsam oder traurig oder leer oder irgendwie anders? angenommen du hättest mehr eine richtung und klarheit, was du mit deinem leben machen möchtest, meinst du, das würde einen unterschied machen? ich gebe zu, dass ich fasziniert bin von der verbindung, die du zwischen deiner inneren welt (zum beispiel deinen gefühlen der traurigkeit und der mangelnden ausrichtung) und deiner äußeren welt machst (deinem aussehen und deiner figur). wie siehst du eigentlich diese beziehung zwischen beiden (innen und außen)?«

Die Beraterin veröffentlicht wieder einige ihrer inneren Gedanken und Überlegungen. Aber sie tut es sehr sorgsam, mit einem aufrichtigen Interesse und einer aufrichtigen Sorge und nur mögliche neue Sichtweisen anbietend, ohne irgendeine Wahrheit zu beanspruchen. Diese Haltung, mit der Klientin zu sein und nicht zu wissen, ist keine Strategie. Obwohl die Fragen selbst inspiriert sind durch die bewussten Reflexionen der Beraterin, ist sie sehr einfühlsam und nimmt zur gleichen Zeit eine außenstehende Position gegenüber Nathalie und sich selbst ein. Die Beraterin führt einige Male eine Frage ein, die angemessen ungewöhnlich ist (nicht zu ungewöhnlich): »Siehst du eine Verbindung zwischen deiner Traurigkeit (über die Trennung ihrer Eltern) und deinen Gedanken an Essen und Nahrung/Lebensmittel, Ernährung?« Oder: »Wie siehst du eigentlich die Verbindung zwischen deiner inneren Welt und der äußeren?« Beide Fragen stehen im Zusammenhang mit dem, was Nathalie zuvor erzählt hat und sind deshalb nicht zu ungewöhnlich, führen aber trotzdem eine neue Idee ein.

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Nathalies Antwort: »Ja, ich fühle mich sehr oft leer [. . . ], aber das gefühl stört mich extrem [. . . ] und ich weiss auch nicht, was ich mit meinem leben anfangen soll. [. . . ] ja, ganz bestimmt denke ich, wenn ich eine beschäftigung oder etwas hätte, dass mich komplett einnimmt, würde ich nicht soviel übers essen und figur usw. nachdenken! aber das komische ist auch einfach, das ich mich für nichts faszinieren kann. [. . . ] Mit meinem eltern kann man schon über die trennung reden, es ist zwar kein tiefgreifendes gespräch, besonders mit meiner mutter. Sie sagt, das ist jetzt so gekommen, so ist der lauf der dinge und fertig. Mein papa ist da schon offener und redet mehr. Mit meinen geschwistern wird NICHT darüber geredet. Mit meiner kleinen schwester schon ein bisschen, weil sie sehr traurig war, aber mein bruder (ein jahr älter, 22) hat kein wort darüber verloren, er ist nicht der typ, traurig und rührselig zu werden. Wie meine mutter, immer die härte und kälte zeigen zu müssen. Auch wenn das gründe für meine unzufriedenheit sind, wie kann einen das so herunterziehen? Andere familien gehen auch auseinander, und nicht jeder wird traurig und leer wie ich. Ich weiss auch nicht, ob das die gründe sind. Jedoch kann ich mir beim besten willen nichts anderes vorstellen.«

Obwohl es für die Beraterin so aussehen könnte, dass Nathalie ihre Fragen nicht in direkter Weise beantwortet, tut sie es indirekt. Somit haben diese Fragen es Nathalie ermöglicht, einige wichtige Dinge zu klären. Eine bedeutsame Verlagerung in der Konversation fand statt. Während die Beraterin Nathalies Sätze liest, hat sie folgende Gedanken (ihr professionelles Selbst): Diese Familie scheint so mit Emotionen umzugehen, dass sie sie so weit wie möglich ignorieren. Emotionen zu zeigen, scheint als Schwäche gesehen zu werden (im Falle des Vaters sogar als eine Krankheit?). Nathalie ist unzufrieden mit der Tatsache, dass eine tiefergehende Konversation über emotionale Ereignisse unmöglich ist, weder mit ihrer Mutter noch ihrer Schwestern oder wenigstens mit ihrem Bruder. Aber es kann bezweifelt werden, ob sie das sozial konstruierte dominante Narrativ der Familie realisiert. Nathalie hat nicht gelernt, welche Wirkung Emotionen haben können, wenn man Probleme hat, sie zu akzeptieren und sie zuzulassen und wenn man nicht über sie sprechen kann. Eine neue Realität wurde konstruiert: Der Gegenstand der Konversation hat sich verlagert von der Frage, ob sie eine Essstörung hat, zu der Frage, wie sie beeinflusst ist durch die Trennung ihrer Eltern und durch die Tatsache, dass Dialoge über diese Trennung nicht möglich sind, und wie sie das herunterzieht.

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Schlussbemerkung Dieses Beispiel aus einer E-Mail-Beratung illustriert, wie eine nichtwissende Haltung der Beraterin dazu beiträgt, dass sich Beraterin und Klientin in einem Prozess des Miteinander engagieren. Zwischen Beratern und Klienten entfalten sich in diesem Miteinandersein Dialoge, die gekennzeichnet sind durch das gemeinsame Erkunden dessen, was die Klienten beschäftigt, um ihre Situation aus der Perspektive der Klienten zu verstehen, das heißt, aufmerksam auf die Stimmen zu hören, die Klienten in ihren Texten, manchmal auch zwischen den Zeilen, ausdrücken. Ein weiteres Kennzeichen dieser Dialoge ist das Mitteilen von Ideen und Sichtweisen, die hervorgehen aus Dialogen der Berater mit sich selbst, also zwischen eigenen inneren Stimmen, die durch das Gespräch ausgelöst wurden, sowie aus den Reflexionen über die Erzählung der Klienten und das Gespräch selbst. Das Veröffentlichen von Fragen und Ideen zu einem bestimmten Zeitpunkt kann neue Stimmen in das Gespräch einladen und diese laut werden lassen, über die bislang noch nicht gesprochen wurde. Dabei bleibt die Konversation offen für das, was sich aus dem Gespräch heraus an Fragen und neuen Ideen ergibt, ohne auf ein bestimmtes Ziel oder beabsichtigtes Ergebnis hinzuwirken.

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Claudia Beck

Die systematische Metaphernanalyse in der Online-Beratung

In dem folgenden Beitrag wird thematisiert, wie die systematische Metaphernanalyse für die Online-Beratung nutzbar ist. Nach einer kurzen disziplinären Verortung des Ansatzes und des Forschungsstandes wird der Metaphernbegriff, wie er für diesen Ansatz gebraucht wird, definiert. Anschließend wird das Vorgehen zur systematischen Metaphernanalyse dargestellt. Alle Ausführungen werden mit Beispielen veranschaulicht, um möglichst praxisnahe Hinweise zu geben. Der Leser soll nach diesem Beitrag eine Vorstellung haben, was die Hauptinhalte der Metaphernanalyse sind, welche Form von Interventionen sie ermöglicht und welches Vorgehen zur Arbeit mit Metaphern notwendig ist. Zur weiteren Vertiefung wird im letzten Teil weiterführende Literatur benannt.

Die Metapher – Bedeutung in der Beratung In der Beratung erhalten Sprache und Erzählung seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend Aufmerksamkeit (Engel u. Sieckendiek, 2004). Dass Beratung zu großen Teilen aus Sprache und Erzählung besteht, ist nicht neu. Dass diese voller Metaphern sind – sprachliche Vergleiche, die Eigenschaften einer Sache auf eine andere übertragen – ist hingegen eine Tatsache, die sich spätestens seit der Publikation von Lakoff und Johnson (1980) zur »Konstruktion und zum Gebrauch von Sprachbildern« zunehmend etabliert hat. Anhand in der Beratung verwendeter Metaphern sollen Verhandlungen über Bedeutungen oder konstruierte Realitäten möglich werden, die wiederum Interventionen zur Verhaltensänderung zulassen: Die systematische Metaphernanalyse als Zweig der qualitativen Sozialforschung ist der Versuch, omnipräsente Sprachbilder therapeutisch verwertbar zu machen (Niedermair, 2001). Jeder, der kommuniziert, verwendet Metaphern. Eine Sache wird

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Methodische Ansätze in der Online-Beratung

durch eine andere erklärt, indem Eigenschaften übertragen werden, es werden Ähnlichkeiten im Sinne eines Vergleiches hergestellt: Wir gehen auf andere zu, knüpfen Kontakte, verteidigen unseren Standpunkt, sind von Bemerkungen anderer getroffen, schieben den Gedanken beiseite, werden von Gefühlen überschwemmt oder haben keine Zeit zu verschenken. Der wissenschaftliche Metaphernbegriff nach Lakoff und Johnson (2003), auf welchen sich diese Ausführungen beziehen, behandelt Metaphern nicht als rein künstlerische Beschreibung einer Sache, welche grundsätzlich auch nicht-metaphorisch beschreibbar wäre. Dem konstruktivistischen Paradigma folgend, bleibt die Metapher zwar ein Vergleich von verschiedenen Sachverhalten, erhält jedoch eine »wesentliche wirklichkeitsstrukturierende Rolle« (Lakoff u. Johnson, 2003, S. 11). Eine Metapher kann immer nur durch eine alternative Metapher ersetzt werden, nicht-metaphorische Beschreibungen sind nicht möglich. Metaphern als beraterisches Werkzeug zu nutzen, ist in Face-to-FaceSituationen bereits gängige Praxis. Aber auch in der Online-Beratung ist diese Form der Beratung gewinnbringend einsetzbar. Metaphern sind ein in jeder Form des Sprachgebrauchs auffindbares Merkmal (Schoenke, o. J.): In wissenschaftlichen Texten, in der Alltagssprache und auch in textbasierten Kommunikationsformen via Internet, die zusätzlich durch Sound-, Aktionswörter und Emoticons ergänzt wird. Die schriftlich fixierte Erzählung, wie sie beispielsweise in E-Mails vorkommt, dient als Basis für eine Analyse und daraus resultierende Erkenntnisse. OnlineBeratung kennt keinen Kontext – vor allem bei anonymen Anfragen. Umso wichtiger ist es, methodisch fundiert vorzugehen, um verlässliche Ergebnisse zu erhalten, mit denen gearbeitet werden kann.

Die Metapher – Darstellung einer Interpretation Im ersten Schritt ist es notwendig, zu verstehen, welche Ausdrücke als Metapher zu sehen sind und als was diese zu sehen sind. Bei der Identifikation der Metaphern gilt es zu beachten, dass es sich jeweils um Interpretationen handelt, die subjektiven Charakter haben können. Eine nützliche Unterstützung bieten die wortwörtliche Wahrnehmung einer Beschreibung oder ein etymologisches Wörterbuch. Sind metaphorische Wendungen identifiziert, können diese zu metaphorischen

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C. Beck – Die systematische Metaphernanalyse

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Konzepten zusammengefasst werden, indem ein bestimmter Zielbereich unter der Formel »Ziel = Quelle« zusammengefasst wird. Für das Leben (als Zielbereich) beispielsweise sind folgende Konzepte denkbar (Leben = X): − Das Leben ist ein Weg: einen Lebenslauf schreiben, der berufliche Werdegang, nicht weiter wissen, neben der Spur sein, ein Ziel verfolgen, am Lebensende sein, in einer Sackgasse stecken, bewandert sein. Wie geht es dir? − Das Leben ist ein Kampf: sich durchboxen, sich durch den Tag schlagen, sich im Leben behaupten, sich persönlich angegriffen fühlen, Situationen entschärfen. − Das Leben ist ein Gebäude: ein Leben aufbauen, eine Zukunft sichern, Bildung ist mein Fundament im Leben, ein stabiles Leben haben, die Zukunft verbauen, meine Welt ist eingestürzt. − Das Leben ist ein Auf und Ab: mit seinem Leben geht es bergab, er ist auf der Spitze seiner Karriere, auf die Welt kommen, unter der Erde liegen, abstürzen. Das menschliche Leben kann als Weg, als Kampf, als Gebäude oder als Auf und Ab begriffen werden. Andere Möglichkeiten wären beispielsweise die Verwendung von Metaphern aus dem Glücksspiel (Gewinner und Verlierer), dem Pflanzen- und Tierreich (persönliches Wachstum und Reifung) oder Gefäßmetaphern (erfülltes Leben). Durch diese metaphorischen Konzepte gestaltet der Sprecher – in der Regel unreflektiert – einen bestimmten Erfahrungsbereich. Es geht dabei nicht nur um einen einfachen, sprachlichen Vergleich, in dem eine Sache durch eine andere beschrieben wird: Übertragen wird ein kognitives Konzept auf ein anderes (Wie denkt jemand?), welches eine Handlung strukturiert (Wie handelt jemand, der so denkt?) und sich erst zuletzt als sprachliche Metapher zeigt. »Unser alltägliches Konzeptsystem, nachdem wir sowohl denken als auch handeln ist im Kern grundsätzlich metaphorisch« (Lakoff u. Johnson, 2003, S. 11). Das bedeutet konkret, dass jeder die Welt kognitiv so erlebt und danach handelt, wie er sich sprachlich ausdrückt. Umgekehrt ist damit über Sprache ein Zugang zu kognitiven Mustern möglich. Die Quellbereiche der Metaphern entstammen meist einem konkret-erfahrbaren Bereich, wie beispielsweise unserer Bewegung im Raum (Nähe – Distanz, oben – unten, schnell – langsam). Anhand des metaphorischen Konzeptes »Das Leben ist ein

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Weg« soll im Folgenden veranschaulicht werden, welche Interpretationen anhand von Metaphern möglich werden. Das Leben ist ein Weg Das Konzept »das Leben ist ein Weg« verweist auf eine in sich kohärente Denkart: Betont wird stets die Prozesshaftigkeit einer Sache. Dabei kann es gut gehen oder schlecht laufen. Sich nicht zu bewegen, wird in diesem Konzept als negativ bewertet: Man steckt in einer Sackgasse, bleibt auf der Strecke, man weiß nicht mehr weiter, wird von etwas aus der Bahn geworfen oder ist am Ende seiner Weisheit. Dieser Bewertung folgend, ist Stillstand kein attraktiver Zustand: Bewegt man sich nicht vorwärts, findet auch keine Entwicklung statt. Man tritt gewissermaßen auf der Stelle. Noch schlimmer ist es, wenn man sich wieder am Anfang befindet oder zurückgeblieben ist. Im metaphorischen Konzept des Weges können außerdem Geschwindigkeiten, Distanzen oder Richtungen ausgedrückt werden: Jemand kann auf der Überholspur leben und seine Mitstreiter weit hinter sich lassen. Man kann seinem Leben eine Richtung geben oder abgelenkt werden, Gefahr laufen zu versagen, einen Karrieresprung machen (wobei hier gleichzeitig eine positiv bewertete Bewegung nach oben stattfindet), einen falschen Weg wählen oder nie etwas erreichen.

In sich ist dieses metaphorische Konzept schlüssig: Vorwärtsbewegung ist gut – noch besser, wenn diese schnell ist. Stillstand oder Rückwärtsbewegung sind negativ, ebenso langsame Bewegungen (wie beispielsweise der Müßiggang). Wie das Beispiel zeigt, geht es bei der Metaphernanalyse erst zweitrangig um semantische Inhalte, der Fokus liegt auf dem pragmatischen (funktionellen) Gehalt: Wie handeln Subjekte mit Metaphern in ihrer Sprache und welche Sinnstrukturen, Formen der Konstruktion von Wirklichkeit, Handlungs- und Beziehungsmuster werden dadurch erkennbar? Im oben dargestellten Konzept des Lebens als Weg wird deutlich, welche Handlungsalternativen positiv und welche negativ werden: Wer ständig auf der Überholspur lebt und Müßiggang nicht als Erholungsphase wertschätzen kann, läuft Gefahr, sich irgendwann gehetzt zu fühlen, oder hat möglicherweise Schwierigkeiten damit, problematische Situationen durchzustehen oder auszusitzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder Mensch stets ein Konglomerat verschiedener metaphorischer Konzepte vereint: Der vielfältige Gebrauch von Metaphern ist ein Indikator für psychosoziale Integrität (Schmitt, 2003).

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C. Beck – Die systematische Metaphernanalyse

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Wie erkennt man metaphorische Konzepte? – Die systematische Metaphernanalyse Eigentlich ist schon das alltägliche Meinen und Verstehen von Metaphern eine Metaphernanalyse (Niedermair, 2001). Eine verlässliche Methodik lässt allerdings mehr metaphorische Konzepte gewinnen als ein reiner Bezug auf willkürlich ausgewählte Metaphern (Schmitt, in Vorb.). Wichtig ist es, sich nicht von einzeln auftretenden metaphorischen Redewendungen leiten zu lassen, sondern metaphorische Konzepte zu bilden. Die narrative Erzählform gerade bei der E-Mail-Beratung macht dieses systematische Vorgehen besonders gut möglich. Der Text liegt bereits schriftlich vor, kann bearbeitet werden und die asynchrone Kommunikation lässt genügend Zeit für eine gründliche Analyse. Um valide Ergebnisse zu bekommen, hilft die von Schmitt (2003) vorgestellte Heuristik. Die Schritte, durch die einzelne metaphorische Wendungen zu metaphorischen Konzepten zusammengefügt werden können, lauten im Einzelnen: − Definition des Zielbereichs: Zuerst muss der Zielbereich der Metaphernanalyse bestimmt werden. Was ist das Thema, das der Klient bearbeiten möchte? Das können beispielsweise soziale Beziehungen sein, der Umgang mit psychiatrischen Erkrankungen oder ein bestimmtes, selbst vorgebrachtes Problem (Schmitt, 2003). Diese Fragestellung muss möglichst präzise sein und kann gegebenenfalls durch kommunikative Validierung in Form einer Ziel-/ bzw. Arbeitsvereinbarung mit dem Klienten ausgehandelt werden. − Sensibilisierung des Beraters: Eine möglichst heterogene, unsystematische Sammlung von Metaphern zum Zielbereich, wie sie in der Alltagssprache oder Fachliteratur verwendet werden, soll im zweiten Schritt den kulturellen Möglichkeitsraum dokumentieren. Damit kann sich der Berater selbst für metaphorische Konzepte innerhalb des Zielbereichs sensibilisieren und eigene blinde Flecken wahrnehmen (Schmitt, 2003). Der Berater ist bei der Analyse von Metaphern in Texten seinen eigenen Vorannahmen und Vorurteilen (individuell – schichtspezifisch – kulturell – professionell) unterworfen. Was wird als Metapher identifiziert und als was wird die Metapher gesehen? Welche Metaphern gelten als relevant? Wie werden die metaphorischen Konzepte gebildet? Die Arbeit mit Metaphern bleibt inter-

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pretativ – um Willkür zu vermeiden, ist es notwendig, sich weitestgehend von solchen Vorannahmen zu befreien. − Untersuchung des Textes: Am Material, in diesem Fall dem Text des Klienten, wird untersucht, »in welchen Metaphern der Zielbereich präsent wird« (Schmitt, 2003), das heißt, welche Metaphern zur Erklärung des im ersten Schritt festgelegten Sachverhaltes genutzt werden. − Bilden von metaphorischen Konzepten: Im vierten Schritt werden Metaphern, welche ihren Quell- und Zielbereich teilen, als metaphorisches Konzept unter der Gleichung »Ziel ist Quelle« geordnet. Dies geschieht so lange, bis jede gefundene metaphorische Formulierung einem Konzept angehört. Einzelne metaphorische Redewendungen lassen sich in aller Regel auf wenige, bündelnde Konzepte zurückführen (Schmitt, 2003). − Optional – Methodentriangulation: Um möglichst valide Ergebnisse zu erhalten, ist kann eine weitere sozialwissenschaftliche Methode ergänzend angewendet werden. Da die Arbeit mit Metaphern in der Alltagssprache für Klienten ungewöhnlich ist, führt sie auf deren Seite häufig zunächst zu Irritationen. Es ist ratsam, im Vorhinein auf die Arbeit an den Metaphern hinzuweisen, da nicht jeder sofort für diese Methode offen ist (von Bebenburg, 2008).

Metaphern als Handwerkszeug in der Beratung Die Verwendung eines bestimmten metaphorischen Konzeptes stellt vonseiten des Senders einen Sinnvorschlag darüber dar, in welcher Weise er etwas erlebt. Ein häufig wiederkehrendes metaphorisches Konzept weist darauf hin, wie das Verständnis von etwas ist. Wertschätzender Umgang mit den metaphorischen Konzepten der Klienten ist unabdingbar. Der Sinnvorschlag des Klienten, den er durch die verwendeten metaphorischen Konzepte vorgibt, soll hinterfragt werden: Was bedeutet es für diesen Menschen? Welche Auswirkungen hat das auf ihn und sein Befinden? Welche Möglichkeiten bleiben, um seine Situation zu verändern? Es gilt zu rekonstruieren, wie sich jemand seine Welt vorstellt: Welche Aspekte werden hervorgehoben, welche verborgen? Die letzte

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Frage zielt auf die Erörterung des von Lakoff und Johnson eingeführten Begriffspaares »highlighting« (beleuchten) und »hiding« (verbergen): Ein Konzept wird immer nur partiell durch ein anderes strukturiert. Es werden immer nur bestimmte Aspekte einer Sache betont, während andere Aspekte in den Hintergrund treten oder ausgeblendet werden (Lakoff u. Johnson, 2003). Durch die Untersuchung des ausdruckserweiternden Gehalts einer Metaphorik, lassen sich Stärken und Ressourcen erkennen, gedachte Grenzen hingegen werden durch den ausdrucksverringernden Anteil einer Metaphorik deutlich (Schmitt, 2003). Wenn unbewusste, kognitive Sinnstrukturen gespiegelt, ausdifferenziert oder hinterfragt werden, kann dies letztendlich zu Verhaltensoder Wahrnehmungsveränderungen führen. Formen des Wandels sind dabei: − Der Wandel innerhalb eines metaphorischen Konzeptes: Das Umdeuten von Metaphern beziehungsweise Reframing gibt es sowohl in der kognitiven Verhaltenstherapie als auch in systemischen Ansätzen. Wird beispielsweise Prozesshaftigkeit als gut und zum Leben gehörend bewertet, entspricht der Tod als Pendant dem Empfinden von Ruhe und Pause, ähnlich dem Schlafen. Fühlt man sich vom »Tempo des Lebens« (ich werde ständig überrannt, so kann das nicht weitergehen, …) überfordert, so kann die Möglichkeit des Suizides zur Problemlösung forciert werden. Der permanente Stress durch die stetige Erfahrung, zu langsam zu sein, fördert die Resignation. Eine Möglichkeit wäre, die Leistung eines Menschen zu würdigen, der bewusste Pausen einlegt – sich nicht treiben lässt, sondern beispielsweise Müßiggang pflegt und das Leben ausbremst, um mit seinen Ressourcen haushalten zu können. − Der Ersatz metaphorischer Konzepte durch neue: Hier ist das Anbieten gänzlich neuer metaphorischer Konzepte gemeint, welche bisher vom Klienten gar nicht gewürdigt werden (beispielsweise das Leben nicht als Weg, sondern als Gebäude zu begreifen). Die Wirkung dieser Möglichkeit sollte jedoch nicht überschätzt werden: Der Wandel innerhalb eines vorhandenen metaphorischen Konzeptes führt zu einer wirkungsvolleren Problembearbeitung (Schmitt, in Vorb.). Vorschläge zur Intervention – das Aushandeln von Bedeutungen Eve klagt über starke Stimmungsschwankungen, unter denen ihre schulischen Leistungen gelegentlich leiden. Diese unstete Stimmung wird im Folgenden zum

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Zielbereich der Beratung bestimmt und metaphorischen Konzepten zugeordnet. Zu Beginn jeder E-Mail beschreibt Eve, wie es ihr zum jeweiligen Zeitpunkt geht (Zielbereich). Dazu nutzt sie überwiegend das Oben-unten-Schema und das Weg-Schema (Quellbereiche). Die Analyse ergab folgende metaphorische Konzepte: – Das Leben ist ein Auf und Ab. »heut bin ich mal wieder an nem absoluten tiefpunkt« »und dann hör ich mir natürlich auch noch die ganze zeit musik an, die eher nicht dazu beiträgt die stimmung zu heben« »hoffe bloß, dass das meine stimmung nicht noch weiter senkt, sondern endlich mal wieder hebt . . . « »hatte mich so gefreut das meine stimmung (seit ich hier schreib) einigermaßen immer gleich geblieben ist und jetzt . . . total im keller.« – Das Leben ist ein Weg. »Hi. glaube, noch tiefer gehts echt nicht . . . « »Hi! Mir gehts wieder besser.« »eigentlich gehts mir mal wieder besser (zum glück).« »kann mir einfach nicht vorstellen, dass es mir auch mal wieder richtig gut gehen könnte.« »ich will leben, ich würde so gerne leben!!! aber es geht einfach nicht« »Ich will nicht mit der Masse gehen« »aber das mit dem vertrauen geht bei mir halt nur ganz langsam« »dadurch das man sich bei mir nie Sorgen machen musste, das ich mal nicht durchkomm« »was machen die schon groß für mich? außer mich immer weiter an die Klippe zu treiben« »naja, versuch inzwischen das ganze nicht mehr so an mich ranzulassen . . . ich weiß ja, das sie es nicht so meint« Die beiden Konzepte fasst die Beraterin in einem Bild zusammen, resümiert das Lebensgefühl von Eve und bietet ein konkretes Bild an. Gleichzeitig hinterfragt sie, ob dieses Bild für Eve so stimmig ist. »Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dass dein Leben dir gerade wie eine Achterbahnfahrt vorkommt. Du düst den Berg hoch mit einem Affenzahn und schnupperst ein wenig von der guten Luft da oben, dann fliegst du im freien Fall wieder ein gutes Stück runter.« Sie formuliert die Beschreibungen von Eve in ein konkretes Bild aus, welches sowohl Geschwindigkeit, Vorwärtsbewegung, Höhen und Tiefen sowie die mangelnde Kontrolle verdeutlicht. Sie bleibt damit innerhalb der metaphorischen Konzepte, die Eve eingebracht hat. Eve antwortet auf die kommunikative Validierung: »Der vergleich mit achterbahn trifft wirklich ins schwarze!!« In einer späteren E-Mail nimmt sie nochmals konkret Bezug auf den Vergleich: »seit freitag hat die achterbahn mal beschlossen, ein bisschen an der sonne zu parken ;).« Das Bild beschreibt die starken Gefühlsschwankungen von Eve, die sie weder kontrollieren, beeinflussen noch erklären kann, und veranschaulicht, wie diese Gefühlsschwankungen sie beherrschen. Aus einer fahrenden Achterbahn kann man nicht aussteigen, im Gegenteil: Man ist sogar noch festgegurtet. Eine Achterbahn bewegt sich sehr schnell, hoch und runter, im Kreis oder macht vielleicht Über-

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schläge. Sie selbst erscheint in ihrer eigenen Konzeptualisierung von Emotionen passiv und nicht fähig, etwas zu verändern. Fragen, die man an Eve richten kann, sind beispielsweise, ob sie in der Achterbahn gut durch einen Gurt gesichert ist oder ob sie Angst hat, irgendwann einmal aus dem Wagen zu fallen (Kontrollverlust). Empfindet sie die Sicherung der Achterbahn als Einengung, fühlt sie sich gefangen in dem Wagen (empfundene Enge im Handlungsraum)? Wie könnte man ihr mehr Freiheit ermöglichen, ohne ihre Sicherheit zu gefährden? Sitzen in der Achterbahn noch mehr Menschen oder ist sie allein (Unterstützung durch soziale Kontakte)? Kann sie die Achterbahn in irgendeiner Weise dazu bringen, zu stoppen bzw. zu parken (bspw. durch den Kontakt zu einem Aufseher, diese Rolle könnte ihre Therapeutin übernehmen). Oder verfügt die Achterbahn über eine Art Notschalter (Kontrollmöglichkeit)? Man könnte versuchen, Eve einen solchen Notschalter zu verschaffen, beispielsweise durch Imaginationsübungen, die ein kontrolliertes Aussteigen aus konflikt- oder stressbeladenen Situationen ermöglichen. Spiegelt sich die kreisförmige Linie, die eine Achterbahn in der Regel nimmt, in dem Erleben von Eve? Das heißt, kommt es zu einer phasenartigen Wiederholung? Wie könnte man die Route der Achterbahn beeinflussen (beispielsweise durch Weichen) und wie kann Eve selbst aktiver eingreifen? (Beck, 2007).

Potenziale der Metaphernanalyse in der Online-Beratung Wie das Beispiel zeigt, kann das konkrete Ausformulieren einer Metapher (Das Leben ist wie eine Fahrt in einer Achterbahn.) auf Grund der Homologie von Denken, Sprechen und Handeln in verändertem Denken und veränderten Handlungsoptionen resultieren (Schmitt, 2000a). Die therapeutische Arbeit erfolgt somit durch die Verhandlung darüber, wie etwas ausgedrückt werden kann und welche Bedeutungen dies jeweils hat. Mit metaphorischen Konzepten verbinden sich immer implizite Gliederungen und Werte, welche ins Bewusstsein gerückt und ausdifferenziert werden können. Im Vergleich zum kulturellen Möglichkeitsraum bleibt die Chance, Fehlen bestimmter Metaphoriken zu erkennen und rückzumelden (Schmitt, 2003). Anhand der Untersuchung des ausdruckerweiternden Gehaltes (»highlighting«) einer Metaphorik lassen sich Stärken und Ressourcen herausarbeiten. Die Untersuchung des ausdrucksverringernden Gehalts (»hiding«) einer Metaphorik lässt Arbeit an der erkenntnisverhindernden Funktion zu. Welche Zusammenhänge eine Metaphorik ausblendet, verdeutlicht gleichzeitig ihre Grenzen. Eine weitere Möglichkeit ist es, Konflikte innerhalb einer Metaphorik zu untersuchen. Am oben genannten Beispiel von Eve wurde in der Be-

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ratung deutlich, dass sie versucht, ein Gefühl von Freiheit zu erlangen, indem sie sich selbst begrenzt und reglementiert, obwohl metaphorisch vielmehr ein Loslassen vonnöten ist: »Ich halte meine gefühle eigentlich immer und überall zurück«, »weil ich da keinen festen tagesablauf mehr hab…«. Den kreativen Umgang mit Problemen oder Situationen kann der Berater fördern, indem er die Metaphern der Klienten würdigt und weiterentwickelt, statt sie zu verwerfen und gänzlich neue anzubieten. Handlungsmuster gründen in metaphorischen Konzepten (beispielsweise sich vor anderen Menschen zu verschließen, da man kämpferische Auseinandersetzungen und Verletzungen fürchtet). Der Horizont von Handlungsmöglichkeiten wird durch die Ausdifferenzierung metaphorischer Konzepte sowie das Hinterfragen von Wertungen erweitert. Lösungen werden zunächst im Rahmen der Metapher durch Ausdifferenzieren, Dekonstruieren oder Utilisieren gesucht. Erst im zweiten Schritt erfolgt eine Rückübersetzung in die Situation (von Bebenburg, 2008). Es stellt sich demnach zunächst die Frage: »Wie handelt jemand, der in diesen Bildern denkt?« Diese Rekonstruktion erlaubt Prognosen für bestimmte Handlungsdispositionen (Schmitt, 2003). Werden die gegebenen Handlungsoptionen als problematisch wahrgenommen, bietet die gemeinsame Arbeit an den verwendeten metaphorischen Konzepten die Chance, neue zu entdecken oder bestehende anders zu bewerten. Es stellt sich demnach die Frage, wie jemand, der in diesen Bildern denkt, anders handeln könnte. Damit kann die individuelle Wahrnehmung modifiziert und es können problematische oder ineffektive Verhaltensmuster beeinflusst und verändert werden.

Weiterführende Literatur Vertreter, die sich damit beschäftigen, dem der kognitiven Linguistik entsprungenen Ansatz der Metaphernanalyse für die Sozialwissenschaften zu adaptieren, sind beispielsweise Schmitt (2003), Buchholz (1996) und Schachtner (1999). Die Grundlage für die Arbeit mit Metaphern ist die Veröffentlichung von Lakoff und Johnson »Leben in Metaphern – Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern« (2003). Für beratend Tätige hilfreiche Orientierung bieten die im Folgenden genannten Metaphernanalysen: Rudolf Schmitt hat allgemein die

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»Metaphern des Helfens« (1995), Frank Nestmann »Die alltäglichen Helfer. Theorien sozialer Unterstützung und eine Untersuchung alltäglicher Helfer aus vier Dienstleistungsberufen« (1988) untersucht. In den Ausführungen wird vor allem auf die vorherrschenden Konzepte und blinden Flecken verwiesen. Gisela Brünner und Gisela Gülich (2002) haben die Sprache in Krankheitsdarstellungen untersucht (»Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache in Krankheitsdarstellungen«). Mit den Metaphern des Depressionserlebens hat sich Judith Barkfeldt in ihrer Publikation »Bilder aus der Depression. Metaphorische Episoden über depressive Episoden« (2003) auseinandergesetzt. Publikationen zu Metaphern des Alkoholkonsums sind ebenfalls von Rudolf Schmitt vorhanden: »Ein guter Tropfen, maßvoll genossen, und andere Glücksgefühle. Metaphern des alltäglichen Alkoholgebrauchs und ihre Implikationen für Beratung und Prävention« (2002) und »Nüchtern, trocken und enthaltsam. Oder: Problematische Implikationen metaphorischer Konzepte der Abstinenz« (2002). Eine Metaphernanalyse zum suizidalen Erleben ist in der Diplomarbeit »E-Mail Beratung suizidaler Jugendlicher – Metaphorische Konzepte von Leben und Tod« (2007) zugänglich, die von der Autorin dieses Artikels verfasst wurde.

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Florian Klampfer

Online-Supervison im Gruppenchat – Eine Herausforderung für Supervisor und Supervisanden Vorbemerkungen Während die Aufgaben der Face-to-Face-Supervision klar beschrieben sind, nämlich sich mit den Beziehungen und Konflikten im Spannungsfeld von Person, Rolle, Klienten und Institution zu befassen, ist der Begriff der Online-Supervision in der Fachwelt bislang noch nicht definiert. Kritische Stimmen hinterfragen, wie dies anfangs auch bei der Online-Beratung der Fall war, inwieweit durch eine lediglich schriftbasierte Form, also ohne die Möglichkeit von Mimik und Gestik, Klienten-Berater-Prozesse supervidiert werden können. Generell kann Supervision mit Einzelnen, Teams oder Subsystemen in Organisationen stattfinden. Im Rahmen dieses Artikels wird speziell die Online-Supervision in Form des Gruppenchats näher betrachtet, die besonderen Herausforderungen und Spezifika der Gruppensupervision beleuchtet und die Chancen herausgestellt, die durch Fallbesprechungen innerhalb des Chats entstehen. Anhand von Beispielen aus Supervisionschats wird im Folgenden gezeigt, inwieweit spezifische Probleme und Fragestellungen aus der Chat-Beratung aufgegriffen werden können, wie sich diese Problemstellungen häufig direkt abbilden und welche Möglichkeiten es gibt, methodisch fundiert zu arbeiten. In den anonymisierten Beispielen kannten sich die Gruppen bereits, sodass ein reales Bild der Berater untereinander bestand. Inwieweit es einer anonymen Chatgruppe möglich ist, sich fachspezifisch zu öffnen, oder ob die Anonymität sogar von Vorteil ist, bleibt fraglich.

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Methodische Ansätze in der Online-Beratung

Vorteile der Supervision in Form des Gruppenchats Zunächst einmal bietet der Gruppenchat besondere Vorteile, die natürlich auch auf Online-Supervisionsgruppen Auswirkungen haben: »Niemand dominiert – mehrere können sprechen« (Petzold, 2002). Im Face-to-Face-Gruppenprozess fällt es Supervisanden oftmals schwer, konträre Gefühle zu den von anderen Teilnehmerinnen bereits geäußerten zu zeigen. Beispielsweise berichtet Teilnehmer X seine Ohnmachtsgefühle bei einem suizidalen Klienten. Teilnehmer Y spürt hingegen vor allem Wut über das grenzüberschreitende Verhalten des Klienten. Im Chat kann durch das parallele Schreiben ein umfassendes Emotionsspektrum aufgezeigt werden. So bilden sich, für alle sichtbar, in einem größeren Ausmaß Anteile des Prozesses zwischen Klient und Berater ab, als dies in Face-to-Face-Gruppen der Fall ist. Andererseits wird durch diese gleichzeitige Beitragsmöglichkeit die Supervisionsleitung gefordert, das Gespräch gut zu strukturieren.

Möglichkeit anonymer Beiträge Inwieweit Anonymität in einem Gruppenchat möglich ist, hängt davon ab, wie sich die Gruppe organisiert und definiert: Als geschlossene Gruppe, die auch face-to-face voneinander weiß, oder als Beraterinnen, die sich im Chat zur Supervision treffen, ohne sonst miteinander zu arbeiten. Beides bietet Vor- und Nachteile. Sicherlich können Supervisionsteilnehmerinnen, die in der Gruppe nicht bekannt sind, deutlicher eigene Probleme oder Fragen formulieren. Sie haben jedoch durch den ausschließlich schriftbasierten Kontakt auch weniger Sicherheit, wie die Gruppe mit dem eigenen Anliegen umgeht. Bei einer Arbeitsgruppe, in der es auch Face-to-Face-Kontakte gibt, wird das reine schriftliche Bild häufig durch das direkte Bild, welches von der Beraterin im Face-toFace-Kontakt vorhanden ist, beeinflusst.

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Keine Notwendigkeit, sich direkt auf Beiträge zu beziehen Chat-Supervision ermöglicht oftmals mehr als der Face-to-Face-Kontakt das freie Assoziieren, ohne sich verpflichtet zu fühlen, direkt auf das vorher Gesagte einzugehen. Chatteilnehmerinnen erleben sich mutiger – beispielsweise im Unterbrechen oder Nachfragen – als im Faceto-Face-Kontakt, wie überhaupt Rückmeldungen im Chat klarer und leichter zu formulieren sind.

Redezeit kann gleich verteilt werden Während im Face-to-Face-Kontakt die Leitung hauptsächlich Verantwortung trägt, dass alle Teilnehmerinnen ihren Platz bekommen, tun dies die Teilnehmer im Chat selbst, indem sie ihre Gedanken, Gefühle und Hypothesen zur Verfügung stellen. Eine Wortmeldung oder Ankündigung ist hier nicht notwendig. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit sich hier die Schnellschreiber mehr Raum verschaffen können.

Weitere Vorteile Als sinnvoll und hilfreich hat sich der Ausdruck eines Chatprotokolls erwiesen, wodurch jedes Gruppenmitglied nochmals im Einzelnen die zusammengetragenen Gefühle, Ideen und Interventionen der Gruppe nachvollziehen kann. Als weiterer Vorteil kann die örtliche Unabhängigkeit genannt werden. Berater treffen sich ortsübergreifend in der virtuellen Gruppe, ohne den sonst anfallenden Fahrtaufwand. Besonders interessant ist dies für Mitarbeiterinnen aus Einrichtungen, bei denen es im Team keine Austauschmöglichkeit oder keine Erfahrung im Bereich der Online-Beratung gibt. Zudem können sich gerade bei weniger gängigen Problemstellungen Berater fachübergreifend und bundesweit zusammenschließen. Stellvertretend sei hier ein Projekt der Betriebskrankenkassen erwähnt (www. portal-gesundheitonline.de).

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Spezifische Anforderungen an die Supervisionsgruppe Leitung In der Face-to-Face-Supervision hat die Leitung unter anderem dafür zu sorgen, dass alle Teilnehmer gleichermaßen ihren Platz haben und zu Wort kommen, um damit auch diejenigen zu unterstützen, denen es eher schwerer fällt, sich im Gruppenprozess zu behaupten. In der Chat-Supervision haben die Teilnehmer die Möglichkeit, parallel zu schreiben, ohne ihre Beiträge vorher ankündigen zu müssen. Der Leitung fällt hier die Aufgabe zu, die Beiträge zu strukturieren, zu sortieren und zu bündeln. Doppelte Beiträge werden zusammengefasst, Rückmeldungen, die sich nicht auf die aktuelle Fragestellung beziehen, zurückgestellt, um so den Fokus immer wieder auf das Aktuelle zu lenken. Hierzu ist manchmal ein deutliches »STOP« vonnöten, da schreibende Teilnehmer häufig aktuelle Beiträge übersehen und weiterschreiben. Auf der anderen Seite hat die Gruppe immer wieder die Möglichkeit, direkt zu erspüren, wie sich ein bestimmtes Verhalten oder bestimmte Themen der Klientinnen anfühlen. Hier ist es die Aufgabe der Leitung, sich zurückzuhalten, um dieses Erleben nicht zu stören. Die Leitung ist gefordert, zwischen den Zeilen zu lesen, Nonverbales sowie Gefühle und Stimmungen, die nicht durch Gesten und Blicken angezeigt werden, wahrzunehmen und rückzumelden.

Teilnehmer Eine Eigenart des Chats liegt in der Reduktion auf eine schriftbasierte Kommunikation. Alles, was im Face-to-Face-Kontakt durch Blicke und Gesten abgemildert, unterstützt oder verstärkt werden kann, ist hier nicht möglich. Somit stellt die Online-Supervision eine erhöhte Anforderung an die Abstraktionsfähigkeit der Supervisanden.

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Spezifische Merkmale der Online-Supervision Übereinstimmung der Kommunikationsebenen Jede Intervention entsteht immer in einem Kontext. Es hat sich als hilfreich erwiesen, die eigene Arbeit mit demselben Medium zu betrachten, mit dem auch beraten wird und nicht auf eine andere Ebene zu wechseln.

Schriftbasierte Emotionalität In der Supervision wird mit Gefühlen und Resonanzen der Teilnehmer gearbeitet. Ehe es im Gruppenchat zur Niederschrift kommt, durchlaufen die Gefühle bereits mehrere Distanzierungsstufen: die des Benennens, des Schreibens und danach noch die des Lesens. Somit entsteht die Gefahr der Verzerrung. Es stellt sich dabei die Frage, inwieweit eine geschriebene emotionale Äußerung bei den Lesenden etwas anderes bewirkt und auslöst als eine verbale und nonverbale Mitteilung.

Deutliches Feedback In der Chat-Supervision erfolgt häufig ein sehr klares Feedback. Würde man dieses auf eine Face-to-Face-Runde übertragen, könnte es ziemlich heftig wirken. Im Chat scheint dies eher möglich, ja sogar notwendig zu sein. Auch erlebe ich es immer wieder, dass sich Chatteilnehmer viel früher trauen, jemanden zu unterbrechen, wenn sie etwas nicht verstehen, als dies im Face-to-Face-Kontakt üblich ist.

Schriftbasierte Falldarstellung Jede Kollegin, die einen Fall einbringt, macht sich natürlich Gedanken zu folgenden Punkten: − Weshalb bringe ich den Fall ein? − Was ist mir unklar? − Was möchte ich von der Gruppe?

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Methodische Ansätze in der Online-Beratung

Bereits bei der Fallschilderung bekommt die Supervisandin im Faceto-Face-Kontakt nonverbale Rückmeldungen durch den Kollegenkreis, sei es durch zustimmendes Nicken oder ablehnendes Kopfschütteln, mitfühlende Gestik, Stirnrunzeln oder verwirrte Mimik. Von diesen nonverbalen Rückmeldungen greifen Supervisanden bereits bewusst oder unbewusst etwas auf. Somit üben die Teilnehmer bereits bei der Falldarstellung Einfluss auf Schwerpunkte und Akzente der Darstellung aus. Aber auch die Supervisandin selbst ergänzt und bereichert die Darstellung eines Klienten durch eigene Mimik und Gestik. In einer Online-Supervision hingegen erfolgt die Fallbesprechung schriftreduziert, wodurch häufig eine unverfälschtere Darstellung ermöglicht wird. Die Gruppe arbeitet also lediglich mit den Informationen und den Eindrücken, die der Klient beim Berater oder bei der Beraterin hinterlassen hat und welche nun, sozusagen eins zu eins, an die Gruppe weitergeleitet werden. Folgendes Chatbeispiel soll dies verdeutlichen. 16:41:01 beraterin_ella: frau mitte fünfzig, vor einem halben jahr für ungefähr 6 kontakte ganz viele baustellen, die heftigste für mein Dafürhalten 16:41:52 beraterin_ella: schwere alkohlerkrankung des mannes und völligen kontaktabbruch zur erwachsenen tochter – von seiten der tochter – mutter litt wie hund 16:42:33 beraterin_ella: daneben noch außenbeziehungen, eigene depression . . . plötzlich von ihr abbruch, ich wusste nicht warum 16:43:15 beraterin_ella: nun meldet sie sich wieder, sehr wütend – sie habe damals abgebrochen, da es unverschämt von mir gewesen sei, eine verbindung herzustellen zwischen 16:45:01 beraterin_ella: den alkohlexzessen ihres ehemannes und ihrer tochter, die keinen kontakt mehr will – ich hatte das als frage formuliert, für mein dafürhalten vorsichtig und trotzdem 16:46:05 beraterin_ella: hat mich die vehemenz ihrer antwort getroffen – ich hätte gerne von euch ne rückmeldung, wie das auf euch so wirkt und so . . .

Im Chat findet also die Schriftdarstellung ohne jegliche nonverbale Rückmeldungen der Gruppe und ohne eigene nonverbale Äußerungen der Supervisandin statt. Dies ermöglicht ihr, ganz bei sich und den eigenen Gefühlen in Bezug auf den Fall zu bleiben.

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Spiegelung des eingebrachten Themas in der Online-Besprechung – Methodik in der Supervision In der Online-Supervision bilden sich durch mehrperspektivische Blicke eines erweiterten Profikreises nochmals die Themen und Schwerpunkte des Beratungsprozesses ab und diese spiegeln häufig auch die Themen der Klientin und der Beraterin wider. Durch das Lesen ist es oftmals einfacher, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Anhand der Themen Druck, Chaos/Verwirrung und Grenzüberschreitung, welche im Chat sicherlich als so genannte Dauerbrenner gelten, möchte ich zum einen die Spiegelung des besprochenen Themas innerhalb der Gruppe aufzeigen als auch auf die methodischen Möglichkeiten der Leitung eingehen.

Druck Druck entsteht häufig dadurch, dass Berater das Gefühl haben, schnell handeln zu müssen. Hier ein Auszug eines Supervisionschats, wo sich die Beraterin selbst unter Druck gesetzt fühlt und dies der Gruppe schildert: 11:02:04 beraterin_andrea: ich fühle mich in der chatberatung häufig unter druck gesetzt, habe das gefühl, dass ich auf fragen sofort reagieren muss. 11:02:32 florian_klampfer: wie gehen sie denn im gespräch mit dem klienten damit um? 11:03:01 berater_peter: gibt’s denn bestimmte klienten, wo du dich besonders unter druck gesetzt fühlst? 11:03:05 beraterin_eva: manchmal mache ich mir den druck ja auch selber, oder? 11:03:10 beraterin_johanna: hast du schon mal probiert direkt anzusprechen, wie sehr du dich unter druck gesetzt fühlst? 11:03:19 berater_thomas: ich finds hilfreich, meine eigenen gefühle, also auch, wenn mir etwas zuviel wird, auszusprechen. kannst du dir das vorstellen? 11:03:52 beraterin_andrea: S T O P ! ! ! 11:03:59 florian-klampfer: das war eindeutig! was passiert denn hier gerade?

Bei diesem Beispiel bildet sich das, was die Beraterin Andrea als Thema einbringt, nämlich der Druck, den Chat-Beratung ausüben kann, direkt

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Methodische Ansätze in der Online-Beratung

im Supervisionsgeschehen ab. Nachdem der Beraterin eine Frage gestellt wurde, spitzt sich der Druck durch weitere Fragen der Gruppenteilnehmer zu, ohne dass der Supervisor zunächst eingreift (Schiepek, 1999). An dieser Stelle setzt Andrea eine deutliche Grenze, womit sie gleichzeitig eine von vielen Möglichkeiten selbst ausprobiert, adäquat damit umzugehen. Im nächsten Beispiel wird dem Berater sehr plastisch deutlich gemacht, wie Druck durch User ausgeübt werden kann: 16:53:08 beraterin_anna:

ja, okay, zeigt ja, unter was für einem druck der klient ist . . . wir dürfen uns den druck nur nicht zu uns in die bude holen . . . ist doch einfach, oder?:-) 16:54:55 florian_klampfer: na ja, ich find das ganz schön schwierig 16:55:04 berater_jochen: was meint ihr eigentlich mit druck? 16:55:14 florian_klampfer: hallo!!!kann mir denn hier keiner helfen!!! !ey!!! mir geht’s sauschlecht!!!!! hallo!!!!! 16:55:58 beraterin_anna: @florian, du hast die großbuchstaben vergessen, die machen noch mehr druck! 16:56:10 beraterin_anna: HEY!!IST DA NIEMAND!!!!WARUM ANTWORTEST DU NICHT??????? 16:56:33 florian_klampfer: LASST MICH ALLE IN RUHE!!!!! 16:57:10 berater_jochen: kapier langsam . . . :-(

Hier gibt es für den Berater Jochen vonseiten des Supervisors eine direkte Demonstration, was mit Druck, den User im Netz aufbauen können, gemeint ist. Die Leitung wechselt bewusst in die Rolle des druckausübenden Klienten (von Schlippe, 1998).

Chaos/Verwirrung 10:04:13 beraterin_petra:

10:04:25 florian_klampfer: 10:05:01 berater_mark: 10:05:19 beraterin_andrea: 10:05:20 berater_mark: 10:05:34 beraterin_magda: 10:05:35 florian_klampfer:

ja! Genau das passiert mir auch im chat, nämlich, dass klienten soviel auf einmal bringen. Ich komme dann häufig mit dem lesen überhaupt nicht nach . . . zielt ihr anliegen auf struktur im chatgespräch? wieviel zeit haben wir denn heute? ja, genau! ich müsste nämlich um 11:00 uhr weg . . . vom letzten mal war auch noch das thema »umgehen mit suizidandrohungen« dran, oder? stop, bitte eins nach dem anderen, jetzt war erstmal Andrea dran! Dann schauen wir, was als nächstes kommt, ok?

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F. Klampfer – Online-Supervison im Gruppenchat

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10:05:44 beraterin_petra: danke! 10:05:59 florian_klampfer: petra, ist das, nämlich das sortieren nach prioritäten, schon eine möglichkeit für sie?

In diesem Beispiel wird die Beraterin Petra mit einem unstrukturierten Chatverlauf konfrontiert, wie er auch bei Klientenkontakten häufig vorkommt. Die Aufgabe des Supervisors besteht hier im Strukturieren, um so selbst zum Modell für gelingende Chat-Beratungen zu werden.

Grenzüberschreitung Mehrfach wurde bereits benannt, dass die Chance, sich im Chat schneller zu öffnen, häufig von den anderen Teilnehmern als Grenzüberschreitung wahrgenommen wird. Im Folgenden geht es um einen Klienten, der bereits von einer Kollegin beraten wurde, die den Kontakt mit ihm aber nicht fortsetzen möchte, worauf sich der Klient an eine andere Kollegin wandte. Versuche, einen Arbeitsauftrag mit dem Klienten zu etablieren, scheiterten. Zudem schickt er immer wieder Mails, die in einer sehr stark sexualisierten Sprache abgefasst sind. 09:53:46 florian_klampfer: ihre frage war, was mache ich mit dem klienten? 09:54:01 beraterin_manuela: genau! 09:54:33 florian_klampfer: na, vielleicht geht’s erstmal um die frage, was macht der klient mit ihnen? Bei ihm scheints da was zu geben, was einen dranbleiben lässt, oder?

Da in meiner Resonanz als Supervisor der Klient als sehr machtvoll erlebt wird, beantworte ich die Frage der Beraterin Manuela zunächst nicht direkt, sondern formuliere die Frage um. Obwohl sich schon an dieser Stelle deutlich zeigt, dass es wichtig wäre, hier eine klare Grenze zu setzen, ist genau dies offensichtlich das Problem für die Beraterin. Nachdem insgesamt fast 45 Minuten über den Klienten geschrieben wurde, bleibt in dieser Supervisionssitzung die Bereitschaft, sich mit diesem Klienten intensiv zu beschäftigen, weiterhin aufrecht.

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10:32:28 beraterin_magda: 10:33:01 beraterin_manuela: 10:33:13 beraterin_manuela: 10:33:29 florian_klampfer: 10:34:01 beraterin_manuela: 10:34:28 florian_klampfer: 10:36:50 beraterin_manuela: 10:37:01 florian_klampfer: 10:37:13 beraterin_manuela: 10:37:29 florian_klampfer: 10:38:10 beraterin_manuela: 10:38:48 beraterin_manuela: 10:38:59 florian_klampfer:

Methodische Ansätze in der Online-Beratung

ich würde ihm kein futter mehr geben, sondern ne grenze ziehen. Punkt! mir ist wichtig, dass die grenze auch wertschätzend und nicht ärgerlich rüberkommt den ärger würde ich gerne mit mir alleine ausmachen wieso das? na, professionell fände ich dies sonst nicht Ok, dann machen wir hier nen punkt! weiss noch nicht . . . ups, noch mehr raum für den grenzüberschreitenden klienten? nein, aber wenn mir gleich noch ne frage kommt? wiederholt sich da bei ihnen was, was auch der klient tut? oh gott, das finde ich jetzt aber nicht nett!! ich denke, ich hab verstanden . . . :-(( jetzt brauch ich erst mal nen cafe!! *ne runde cafe schmeisst . . . *

Normalerweise hole ich mir als Leitung die Rückmeldung, ob der Supervisand satt ist. Durch ein bewusst eingesetztes flapsiges »Ok, dann machen wir hier nen Punkt« wird versucht, die grenzüberschreitende Art, wie sich der Klient Raum nimmt und wie sich dies auf die Beraterin überträgt, der Beraterin zu spiegeln. Eine Methode, die ich nur mit sehr vertrauten Gruppen anwende (Palazzoli, 1975).

Weitere chatspezifische Situationen Neben den fachlichen Anforderungen im Beratungschat werden Beraterinnen in der Online-Beratung mit onlinespezifischen Fragestellungen konfrontiert, beispielsweise mit technischen Problemen: Ein Klient kommt nicht in das virtuelle Beratungszimmer oder verlässt während des Gespräches an einer entscheidenden Stelle den virtuellen Raum. Allerdings bleibt oftmals ungeklärt, ob es sich tatsächlich um technische Probleme handelt oder ob möglicherweise dem Ratsuchenden etwas zu nah war, sodass er aus Ärger, Angst oder Unsicherheit den Raum verlässt. Wenn dies auch im Supervisionschat passiert, spüren die Teilnehmer sehr schnell, welche Gefühle dies auslösen kann, nicht zu wissen, warum jemand den Chat verlassen hat.

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F. Klampfer – Online-Supervison im Gruppenchat

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Fazit Eine Online-Supervision für Fälle aus der Online-Beratung ist sinnvoll, zumal die auftauchenden Fragestellungen mithilfe desselben Mediums besprochen werden, in dem sie auch entstanden sind. Angefangen von der schriftkommunizierten Falldarstellung, dem reduzierten Gefühlsausdruck bis hin zu den Interventionen bietet dieses Medium vielfältige und onlinespezifische Arbeitsmethoden. Die Herausforderung für den Supervisor besteht unter anderem darin, ein gutes Maß für den Anteil an Eigenverantwortung der Gruppe, die ihr eigene Resonanzen ermöglicht, zu finden, andererseits aber dort zu strukturieren und zu bündeln, wo dies methodisch sinnvoll und für den Prozess notwendig ist. Zuletzt geht es auch darum, nicht Gesagtes und noch Offenes zu erspüren und der Gruppe zur Verfügung zu stellen. Die Teilnehmer werden durch die rein schriftbasierte Form herausgefordert, die eigenen Gefühle trotz der benannten Distanzierungsstufen wahrzunehmen und in der Folge beschreiben zu können. Somit stellt die Online-Supervision eine eigenständige und hilfreiche Möglichkeit dar, Online-Beratung kontextnah zu betrachten und konstruktiv zu hinterfragen.

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Mario Lehenbauer und Birgit U. Stetina

Interaktive Programme und virtuelle Simulationen

Vorbemerkungen Das Internet. Scheinbar unendliche Weiten. Die Anzahl der Webseiten und der Nutzer steigt ständig. In Deutschland waren beispielsweise 1997 nur 6,5 % der Bevölkerung online, 2007 waren es schon 62,7 %, wobei die Zuwachsraten mittlerweile damit erklärt werden, dass hauptsächlich Frauen und Menschen über 50 das Internet für sich entdecken (ARD/ ZDF Onlinestudie, 2008). Zu Beginn des Internets herrschten statische Webseiten vor, die nur eine einseitige Informationsweitergabe an den User erlaubten. Web 2.0 wurde zu einem Schlagwort dafür, dass Inhalte zunehmend von Usern selbst aufbereitet interaktiv ins Netz gestellt werden können und dass eine zunehmende soziale Vernetzung über das Internet stattfindet (z. B. über www.youtube.com, www.facebook.com, www.xing.com, www.myspace.com). Dieser Entwicklung kann und soll sich die psychologische Behandlung und Beratung nicht verschließen. Mittlerweile werden mit Web 3.0 Seiten im Internet bezeichnet, die dem User dreidimensionale Umgebungen eröffnen – virtuelle Simulationen der realen Welt. Für die Online-Beratung spielt diese Entwicklung eine große Rolle, da mit diesen Optionen Beratung in einem nahezu realen Kontext, im Sinne einer Face-to-Face-Intervention, ermöglicht wird. Bevor weitergehende Überlegungen zu diesem Thema vorgestellt werden, ist es zunächst notwendig, virtuelle Simulationen genauer zu definieren. Was ist der Unterschied zwischen virtuell und real? Als virtuell kann etwas bezeichnet werden, das zwar nicht in der realen Welt existiert, aber in seinem Wesen oder in seiner Wirkung gleich einer real existierenden Sache ist. »Second Life« (www.secondlife.com) lässt sich als Paradebeispiel für eine populäre virtuelle Simulation anführen. Es wird eine künstliche dreidimensionale Umgebung geschaffen, in der sich User mittels Avatar (eine persönliche virtuelle Figur, deren Aussehen individuell bestimmt werden kann) bewegen – dieses Eintauchen

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und das Gefühl eines Spielers, in einer virtuellen Welt zu sein, kann als Immersion (aus dem Lateinischen »immersio« für Eintauchen, Einbetten) bezeichnet werden. Die Immersion, dieses Gefühl des Eintauchens, hängt von der Art der virtuellen Umgebung ab (Bartle, 2004). In Second Life ist es unter anderem möglich, Grundstücke zu kaufen, Häuser zu bauen und mit Waren zu handeln. Einige reale Firmen eröffneten bereits eine virtuelle Dependance, so beispielsweise Adidas (es können Schuhe für den Avatar aus der aktuellen Kollektion gekauft werden), BMW und Sony BMG Music Entertainment, um nur einige zu nennen. Zahlreiche Menschen verdienen sich ihr Geld in dieser virtuellen Welt als Grundstücks- und Hausmakler oder Anbieter diverser Waren (Bekleidung, Haushaltswaren, Möbel, Alltagsgegenstände und so weiter) – natürlich alles virtuell und nicht real existierend. Die Immersion, das Gefühl des realen Eintauchens in die virtuelle Welt, wird so bestmöglich unterstützt. Interaktive Programme via Internet lassen zu, dass ein User entweder mit dem Computer (beziehungsweise einem speziell entwickelten Programm) oder einem anderen Menschen über das Medium Internet interagiert. In der psychologischen Beratung oder Behandlung kann der Psychologe durch dieses Programm ersetzt werden – mit allen Vorund Nachteilen, die dabei entstehen können. Mit Hilfe von Computerprogrammen lassen sich entsprechend zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen speziell kognitive und lerntheoretische Interventionstechniken umsetzen (z. B. Comer, 2001; Ott, 2003). Der größte Vorteil einer Anwendung interaktiver Programme bei psychischen Störungen (beispielsweise Depression, Soziale Phobie, Essstörungen usw.) ist die Niederschwelligkeit. Problemgruppen können so über das Internet aufgrund der Anonymität besser erreicht werden. So wird in anonymer Form bereits Psychotherapie über Second Life angeboten. Neben der Niederschwelligkeit zeichnet sich das Setting in einem interaktiven Programm je nach Ausmaß der notwendigen Interaktion und Kommunikation durch ähnliche Kennzeichen wie andere Online-Interventionen aus. In jedem Fall ist die Möglichkeit zur Anonymität zu nennen (z. B. Sassenberg u. Jonas, 2007; Tanis, 2007), durch die sich auch interaktive Programme und Simulationen auszeichnen. Die Anonymität des Netzes wird vielfach von Personen mit tiefgreifenden (psychischen und anderen) Problemen zur Vermeidung von Stigmata und Vorurteilen gewählt (Griffiths, Lindenmeyer, Powell, Lowe u. Thorogood, 2006). Eine wei-

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tere Besonderheit aller Online-Settings ist die Distanz und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme ohne reale Begegnung. Eine Kommunikation kann trotz physischer Isolierung stattfinden, und zwar mit (je nach Setting) zeitlicher und jedenfalls geografischer Autonomie (Ahern, Kreslake u. Phalen, 2006; Sassenberg u. Jonas, 2007). Zusätzlich zeichnen sich alle Online-Settings durch eine besondere zeitliche Variabilität aus, die für alle Beteiligten relativ einfach nutzbar ist. So können bei Bedarf flexible Änderungen von wöchentlichen zu täglichen oder selteneren Terminen erfolgen, die zusätzlich verschiedene Optionen der OnlineInterventionen beinhalten können (z. B. Chat und E-Mail). Eines der möglicherweise hervorstechendsten Kennzeichen von Online-Settings ist jenes der Kompatibilität (je nach Problemlage auf unterschiedliche Art und Weise). Online-Interventionen haben keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit. Derartige Interventionsformen sind üblicherweise nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung und Erweiterung herkömmlicher Interventionsformen gedacht (Döring, 2003). Der Einsatz virtueller Welten kann als zusätzlicher Baustein einer herkömmlichen Behandlung gesehen werden, setzt allerdings bestimmte technische Kenntnisse des Klienten oder Patienten voraus. Es können psychoedukative Elemente eingebaut und einzelne verhaltensorientierte Interventionen gesetzt werden. Weiterhin sind derartige Programme ideal für Menschen, die aufgrund örtlicher (so gibt es in ländlichen Gebieten kaum psychosoziale Angebote) oder zeitlicher (Zeitdruck aufgrund von Arbeit, Familie) Gegebenheiten selten Gelegenheit für eine psychologische Beratung oder Behandlung finden. Als klarer Nachteil erweist sich der Wegfall der menschlichen Interaktion mit der Psychologin beziehungsweise dem psychologischen Berater. Einzelne Gesten, die Mimik oder der Tonfall, die im Gespräch mit Klientinnen bedeutsam sein können, fehlen in interaktiven Computerprogrammen, somit können sie keinesfalls als vollständiger Ersatz einer professionellen Behandlung oder Beratung gesehen werden. Vielmehr sollte die Chance solcher Programme im Internet im Erreichen breiter Bevölkerungsgruppen gesehen werden. User können sich über einzelne Krankheitsbilder informieren, gegebenenfalls Selbsthilfe-Programme durchführen, und – sollte keine Linderung eintreten – Hinweise für weiterführende professionelle Beratung erhalten. Aufgrund der relativ schnellen Expansion von Online-Interventionen und fehlender evidenzbasierter Forschung gibt es trotz rasender

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Entwicklung des Forschungsgebietes nach wie vor eine unzureichende Anzahl von Wirksamkeitsstudien, um eine globale Aussage über Online-Interventionen insgesamt machen zu können. Es sieht eher so aus, dass je nach Problembereich Online-Elemente gut oder auch weniger gut geeignet sein können. In einem von Ott (2003) erstellten Überblick über die Wirksamkeit der Internet-Beratung werden 30 Wirksamkeitsstudien erwähnt, von denen 26 (86,7 %) positive Effekte der internetbasierten Interventionen nachweisen. Besonders geeignet für Online-Beratung scheinen Störungen zu sein, wie Panik-, Ess- und Posttraumatische Belastungsstörungen, substanzbezogene Störungen sowie psychische Probleme aufgrund körperlicher Erkrankung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Griffiths und Christensen (2007). Online-Module können eine gute Ergänzung herkömmlicher Behandlung sein, dies setzt aber ein sehr gutes Wissen des Beraters über das jeweilige Programm voraus. Übliche Techniken, die in diesen Studien angewendet werden, sind aus dem Spektrum der kognitiv-behavioralen Ansätze. Erste Wirksamkeitsstudien deuten auf positive und ermutigende Ergebnisse hin. Obwohl es wie angeführt mittlerweile zahlreiche Studien und Programme gibt, die für eine Effektivität der jeweiligen Anwendung sprechen, existieren kaum Anlaufstellen im Internet, die über solche Programme informieren. Betroffene Personen erhalten noch immer keine adäquate psychologische Behandlung, die auch das Internet mit einbezieht. Wünschenswert wäre es, ein zentrales Portal zu schaffen, das über aktuelle Angebote und die Qualitätssicherung von interaktiven Inhalten im Internet aufklärt. Ein derartiges Projekt für Österreich (beziehungsweise auch für den deutschsprachigen Raum) wird derzeit an der Lehr- und Forschungspraxis des Ordinariats Klinische Psychologie an der Fakultät für Psychologie in Wien geplant (siehe dazu später Projekt SKY).

Entwicklungen im Bereich interaktive Programme und Simulationen im Beratungs- und Behandlungskontext Eines der ältesten interaktiven Programme namens ELIZA stammt von Joseph Weizenbaum und wurde 1966 entwickelt (abrufbar auf deutsch und englisch bspw. über www.med-ai.com/models/eliza.html.de). Es basiert auf gesprächstherapeutischen Elementen nach Carl Rogers und

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wandelt Aussagen der Klienten in eine Frage um. In Versuchen stellte sich heraus, dass sich Probanden durch dieses Programm gut verstanden fühlten und auch nach dem Hinweis, dass es sich um ein Computerprogramm handelt, meinten, dass Empathie vorhanden war. Die »Accelerated Recovery Centers« (eine Vereinigung zur Bekämpfung von Alkoholismus, www.iwanttostopnow.com) verbinden die Behandlung von alkoholabhängigen Menschen mit virtuellen Programmen. Der Zugang ist dabei streng geregelt, um die Anonymität zu gewährleisten. Nur Psychologen der »Accelerated Recovery Centers« können Klienten für einen Besuch freischalten (Spiegel-Online, 19.06.2008). Die Behandlung findet über Second Life statt, dabei kommunizieren der Klient und der Berater über einen Avatar in einem speziellen Behandlungszimmer. Obwohl es dazu noch keine empirischen Studien gibt, empfinden die Teilnehmerinnen es als äußerst hilfreich, örtlich ungebunden anonym mit einem Therapeuten kommunizieren zu können. Ein größeres, elf Standorte in sieben Länder umspannendes Forschungsprojekt ist »M.I.N.D Labs« (Media, Interface, and Network Design Labs). Neben technologischer Forschung werden hier auch systematisch die Auswirkungen virtueller Umgebungen auf die menschliche Psyche untersucht. So lässt sich beispielsweise Expositionstherapie mittels virtueller Simulation bei Panikstörungen oder Agoraphobie durchführen (Botella, Villa, Garcia-Palacios, Quero, Banos u. Alcaniz, 2004). Selbsthilfe mittels interaktiver Programme basiert hier auf kognitiv-lerntheoretischen Ansätzen, Effektivitätsstudien zeigen Erfolge bei Anwendern dieser Programme (Banos, Quero, Perpina u. Fabregat, 2004). MoodGym ist ein interaktives Programm aus Australien. Basierend auf kognitiven und lerntheoretischen Verfahren werden Interventionen gegen Depression angeboten. Mehrere Module stehen dabei zur Verfügung, Ziel ist eine kognitive Umstrukturierung bei dysfunktionalen depressiven Denkweisen. Mittlerweile gibt es über 200.000 registrierte User, die Wirksamkeit wurde bereits in dutzenden Studien untersucht und bestätigt. Je mehr Module absolviert werden, desto höher ist die Wirksamkeit (Christensen, Griffiths u. Korten, 2002; Christensen, Griffiths, Groves u. Korten, 2006; Griffiths u. Christensen, 2007). Weitere gut dokumentierte Studien stammen aus Schweden. Die Forscher schufen ein internetbasiertes Selbsthilfeprogramm, zusätzlich

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gab es beispielsweise in einer Studie wöchentlichen Kontakt mit dem Psychologen über E-Mail. Das Programm, basierend auf kognitiven und lerntheoretischen Gesetzmäßigkeiten, bestand aus 186 Seiten, gegliedert in neun Module (daraus ergab sich die Dauer der Behandlung von neun Wochen). Es zeigte sich eine signifikante Verminderung sozialer Ängste, des Vermeidungsverhaltens und depressiver Züge, weiterhin nahm die Lebenszufriedenheit signifikant zu (Carlbring, Furmark, Steczko, Ekselius u. Andersson, 2006). Nach verschiedenen Vergleichsstudien unterscheiden sich auch Präventionsprogramme im Internet kaum von herkömmlichen realen Programmen (Andersson u. Carlbring, 2006; Andersson et al., 2006). Allerdings ist bei zahlreichen Untersuchungen die hohe Ausfallsrate an Klienten ein Problem. Teilnehmerinnen fühlen sich bei Programmen im Internet offenbar weniger an die Behandlung gebunden. Carlbring und Kollegen (2007) berichten hier über Erfolge bei internetbasierter Behandlung mit Telefonsupport bei Sozialphobie. Dabei wurde wieder ein Behandlungsprogramm, bestehend aus 186 Seiten und neun Modulen, im Internet angeboten. Zusätzlich gab es wöchentlichen Telefonsupport durch Psychologen. Es ergaben sich insgesamt wieder signifikante Verbesserungen der sozialen Ängstlichkeit, des Vermeidungsverhaltens und von depressiven Zügen. Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass mehr Teilnehmerinnen das Programm beendeten (93 % in dieser Untersuchung im Vergleich zu 62 % in vorherigen Studien) (Carlbring et. al., 2007). Insgesamt weisen die Studien gute bis sehr gute Erfolge beim Einsatz neuer Medien in der Behandlung sozialer Ängste auf (Carlbring u. Anderson, 2004; Carlbring, Furmark, Steczko, Ekselius u. Anderson, 2006). Weitere signifikante Verbesserungen ergaben sich auch bei Panikstörungen (Carlbring, Ekselius u. Andersson, 2003; Carlbring et al., 2005; 2006). In einer Übersicht vieler Therapieprogramme, die online stattfinden, lassen sich folgende Gemeinsamkeiten finden: Sie basieren hauptsächlich auf kognitiven und lerntheoretischen Interventionstechniken. Zu Beginn führt ein psychoedukativer Teil in Entstehungsursachen, Erklärungsmodelle und Prävalenzraten des betreffenden Krankheitsbildes ein. Danach kommen auf kognitiven und lerntheoretischen Verfahren basierende Interventionstechniken zum Einsatz (z. B. kognitive Umstrukturierung, Veränderung dysfunktionaler kognitiver Schemata, Entspannungsverfahren u. a.). Ideal ist eine Einbettung von Exposi-

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tionsverfahren in vivo. Dadurch wird verhindert, dass Teilnehmer die Intervention nur im Internet durchführen. Zielführend ist es, erworbene Fähigkeiten auch im realen Leben anzuwenden. Abschließende Teile beinhalten Informationen über eine Beibehaltung der Fortschritte. Um ein Commitment der Teilnehmer zu fördern, bietet sich telefonischer Support an. So können hohe Abbruchraten verhindert werden. Empfehlenswert ist es, Behandlung via Internet mit Face-to-Face-Sitzungen zu kombinieren. Problembereiche betreffend hat sich gezeigt, dass neben diversen Beratungsthemen, wie zum Beispiel Paarberatung, die online besonders stark vertreten sind, auch bestimmte Störungsbereiche, die in den Bereich der Angststörungen fallen, besonders effektiv mit der Unterstützung interaktiver Programme behandelt werden können. Zur mediengestützten Anreicherung und Erweiterung verschiedener Interventionen werden mittlerweile einige computergestützte Maßnahmen, besonders in der Expositionsarbeit, als Bestandteil einer Behandlung angewendet. So werden an der Universität Osnabrück die Möglichkeiten zur Unterstützung der Behandlung von Zwangsstörungen mit Hilfe von computerangeleiteten Expositionsübungen untersucht. Im so genannten Anti-Zwangs-Training kann der virtuelle Co-Therapeut Brainy neben einer klassischen Verhaltenstherapie Einsatz finden. Brainy bietet unter anderem Anleitungen zu regelmäßigen Expositionsübungen gegen den Zwang. Der Einsatz wurde bisher zwar erst durch Einzelfalluntersuchungen in der ambulanten Psychotherapie untersucht. Die Ergebnisse scheinen allerdings vielversprechend, denn es wurde besonders die motivierende Wirkung des real wirkenden Co-Therapeuten von den Patienten betont (Seebeck, 2006). Es verwundert, dass das Potenzial des Internets noch nicht genügend genutzt wird, da online breite Bevölkerungsschichten erreicht werden können, die sonst aufgrund finanzieller oder örtlicher Gegebenheiten nicht in der Lage wären, adäquate psychologische Beratung und Behandlung in Anspruch zu nehmen. Vor allem im Sinne der Prävention könnten derartige virtuelle Simulationen beispielsweise verhindern, dass sich der Schweregrad einer psychischen Beschwerde zum Schlechteren wendet. Wie die konkrete Planung eines interaktiven Selbsthilfeprogramms im Internet aussehen könnte, wird nachfolgend dargestellt. Im Rahmen der Sparkling-Science-Förderung des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft wird vom Verein Komm-Mit-Ment und der Lehr-

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und Forschungspraxis des Ordinariats Klinische Psychologe an der Fakultät für Psychologie in Wien im Rahmen von Schul-Kooperationen ein virtuelles Selbsthilfemodul für massiv schüchterne und sozial gehemmte Schüler(innen) (und Erwachsene) geschaffen. So soll im Sinne der Prävention soziale Phobie möglichst verhindert sowie Schüchternheit vorgebeugt und verringert werden.

Online-Selbstsicherheitstraining (Projekt SKY: Selbstsicher, Kompetent – For the Youth!) Eine aktuelle Studie der Autoren zeigte, dass schüchterne Menschen und Sozialphobiker verstärkt im Internet anzutreffen sind (20 % der Internetstichprobe litten an Sozialphobie gegenüber 6–8 % in der Normalbevölkerung) (Lehenbauer, 2006). Obwohl diese Erkenntnisse noch in einer laufenden Untersuchung überprüft werden, steht bei allen Einschränkungen von Online-Designs trotzdem eindeutig fest, dass die vorgefundene Prävalenz in keinem Fall der Normalbevölkerung entspricht. Die Fragen für folgende Studien, die sich daher stellen, sind unter anderem: Sind Personen mit sozialen Problemen mehr online als andere Menschen? Nehmen Personen mit Sozialphobie ungern an Studien teil (was die geringe Prävalenz in der Normalbevölkerung erklären würde)? Leiden signifikant mehr jüngere als ältere Menschen an Sozialphobie? Einem Großteil der Menschen, die an sozialer Angst, Schüchternheit oder auch nur sozialer Hemmung leiden, kommt nicht oder zu spät die nötige Unterstützung zu. Auch der Gang zu einem Professionisten des Gesundheitssystems (Mediziner, Psychologen, Psychotherapeutinnen) erfolgt, wenn überhaupt, sehr spät. Das Internet bietet die hervorragende Möglichkeit, mittels interaktiver Programme Risikogruppen frühzeitig zu erreichen. Der Gedanke lag nahe, ein Selbsthilfemodul basierend auf lerntheoretisch-kognitiven Gesetzmäßigkeiten zu programmieren. Somit wurde das Projekt »SKY: Selbstsicher, Kompetent – For the Youth!« ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projekts wird eine Plattform www.selbstsicherheit.at geschaffen. Über diese Plattform werden allgemeine Informationen über interaktive Programme und Qualitätssicherung derartiger Seiten angeboten, weiterhin ist das Selbsthilfemodul über diese Plattform abrufbar. Dieses Modul wird in enger Kooperation mit Schülern und Schüle-

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rinnen der Partnerschulen entwickelt, um eine höchstmögliche Akzeptanz in der Zielgruppe zu gewährleisten. Es wird ein genaues Behandlungsmanual (gegliedert in ca. 8 Submodule) erstellt. Die Dauer von 14 bis 16 Wochen (mit ungefähr einer Einheit pro Woche) entspricht der einer klassischen klinisch-psychologischen Behandlung. Um Aussagen über Behandlungseffekte treffen zu können, ist eine Einteilung in Versuchsgruppen notwendig. Versuchsgruppe eins erhält das virtuelle Selbstsicherheitstraining über das Modul, Versuchsgruppe zwei dasselbe Training, allerdings offline und face-to-face mit Klinischen Psychologen. Versuchsgruppe drei besteht aus einer Mischform, Userinnen erhalten die Möglichkeit, neben dem virtuellen Training noch eine Einheit mit Psychologinnen chatten zu können (so sollen auch das Commitment und die Ausfallsrate gegenüber Versuchsgruppe eins untersucht werden). Die Kontrollgruppe besteht aus Personen der Warteliste. Es kommen psychologische Diagnostika zum Einsatz, um den Grad der Schüchternheit und Sozialphobie zu erheben. Insgesamt finden vier Erhebungszeitpunkte statt (vor Trainingsbeginn, nach zirka sieben Wochen, nach Ende des Programms und drei Monate nach Ende des Programms). Die Submodule des Online-Programms lehnen sich eng an aktuelle kognitive und lerntheoretische Verfahren an, die derzeit in der klinischpsychologischen Behandlung eingesetzt werden (state of the art). Bei der Durchsicht entsprechender Fachliteratur wird schnell klar, dass verhaltenstherapeutische und kognitive Techniken die Methode der Wahl bei sozialen Phobien sind (Albano, 2000; Beiglböck, Feselmayer u. Honemann, 2006; Fehm u. Wittchen, 2005; Fennel, 1999; Heimberg et al., 1990; Katschnig, Demal u. Windhaber, 1998, Müller, 2002; Stangier, Clark u. Ehlers, 2006). Interventionen finden zum Beispiel über Hausübungen, Arbeitsblätter und Instruktionen für ein Aufsuchen gefürchteter Situationen statt. Dem entsprechend sind Submodule zu folgenden Themen geplant: Psychoedukation (Informationen über soziale Ängste, Entstehungs- und Erklärungsmodelle, Prävalenzraten); Entspannungsverfahren wie beispielsweise Progressive Muskelentspannung nach Bernstein und Borkovec (2003) oder Autogenes Training; Exposition (nach Ruhmland und Margraf, 2001): besitzt bei einer sozialen Phobie die höchste Effektgröße hinsichtlich Behandlungserfolg und wird im Sinne der systematischen Desensibilisierung nach Wolpe (1974) durchgeführt; Ableitung eines persönlichen kognitiven Modells, analog zu

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Beck (1999) und Clark und Wells (1995); Training der Selbstsicherheit und abschließend Informationen über eine Beibehaltung der Fortschritte, wie von Fennel (1999) und Stangier, Clark und Ehlers (2006) empfohlen. Die Module werden zielgruppengerecht gestaltet. Geplant sind virtuelle Avatare, die durch die Module führen und jeweils unterschiedliche Ansichtspunkte ein- und derselben Situation repräsentieren (Teilnehmern soll damit verdeutlicht werden, dass eine Situation von zwei oder mehreren Seiten gesehen werden kann). Das Programm wird von Herbst 2008 bis Frühjahr 2010 stattfinden. Erste empirische Ergebnisse sind im zweiten Halbjahr 2009 zu erwarten, Informationen über dieses Programm lassen sich bei den Autoren anfordern.

Fazit und Ausblick Bisherige Erkenntnisse sprechen für einen Einsatz virtueller Simulationen und interaktiver Programme als Baustein in der klinisch-psychologischen Behandlung und Beratung. Um einer hohe Abbruchquote entgegenzuwirken, sollten diese Programme mit der Möglichkeit einer persönlichen Kontaktaufnahme zu den psychosozialen Beraterinnen (beispielsweise über E-Mail, Telefonsupport oder persönlichen Kontakt) kombiniert werden. Es zeigt sich, dass so die Hemmschwelle für ein Aufsuchen psychologischer Beratung Face-to-Face gesenkt werden kann. Im psychoedukativen Sinn können Informationen über verschiedenste psychische Krankheiten angeboten werden und in welchem Ausmaß sie in der Bevölkerung anzutreffen sind. Dieses Wissen könnte entstigmatisierend wirken. Das Internet ist ständig im Auf- und Umbruch. Herrschten früher zweidimensionale Webseiten vor, die sich auf Informationsweitergabe beschränkten, so ist derzeit eine Entwicklung in Richtung dreidimensionale Online-Anwendungen zu beobachten. Es bleibt ein spannendes Feld, das auch immense Auswirkungen auf die Beziehung Klient und Beraterin haben wird. Angehörige psychosozialer Berufe können und sollen sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Wünschenswert wäre es, dass User mehr Informationen über Qualitätssicherungsrichtlinien psychologischer Angebote im Internet bekommen, um professionelle von unseriösen Inhalten unterscheiden zu können. Insgesamt spricht

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einiges dafür, interaktive Programme und virtuelle Simulationen auch in der klinisch-psychologischen Behandlung und Beratung einzusetzen. Allerdings sollten derartige Anwendungen wissenschaftlich evaluiert und überwacht werden.

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V

Zielgruppenspezifische Online-Beratung

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Sandra Gerö und Bettina Zehetner

Frauenspezifische Online-Beratung

Unter frauenspezifischer Online-Beratung wird gesellschaftspolitisch engagierte, feministische Beratung von Frauen und Mädchen über das Internet verstanden. Die Geschichte und Eckpfeiler der frauenspezifischen Grundhaltung können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden. Wir verweisen hier auf Zusammenfassungen feministischer Gendertheorien (z. B. Hofmann, 2004). Vorbemerkt sei allgemein, dass im Kontext frauenspezifischer Angebote von einem Ungleichgewicht der Geschlechterverhältnisse ausgegangen wird. Wenn nicht geschlechtssensible Konzepte, etwa durch Aufwertung der Frauen zugeschriebenen (feminin konnotierten) Begriffe oder durch das Aufbrechen starrer Rollenstereotypien, dagegen wirken, wird dieses Ungleichgewicht im sozialen Kontext auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich reproduziert. Eine frauenspezifische Grundhaltung bedeutet also, die Probleme der Frauen, die Beratung suchen, vor dem gesellschaftlichen Hintergrund und unter der Annahme einer strukturellen Benachteiligung beziehungsweise einer fragwürdigen Normalität von Frauen zu sehen. Daraus ergibt sich die politische Relevanz von frauenspezifischer Beratung. Da geschlechterspezifische gesellschaftliche Strukturen sich auch in Technologieprodukten abbilden und Software nicht gender-frei ist, kommt softwareunterstützte frauenspezifische Beratung nicht umhin, sich auch mit den Zusammenhängen zwischen Genderidentität und Technik/Technologie beziehungsweise den Rollenbildern in diesem Bereich zu befassen. So steht sie im Spannungsfeld zwischen im weitesten Sinne sozialen Inhalten (feminin codiert) und technischer Vermittlung (maskulin codiert) und erhebt Anspruch auf frauenspezifische Grundlagen der Beratung einerseits und andererseits genderkompetente Mediennutzung, die über eine bloße Nutzungskompetenz vorgegebener Strukturen hinaus eine Teilhabe an der technischen Umsetzung bedeutet (Schelhowe, 2006).

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Den inhaltlichen Anspruch stellen wir im ersten Teil des Artikels dar, der sich mit den allgemeinen Zielen und Prinzipien frauenspezifischer Beratung befasst. Danach wird auf die Genderrelevanz der Mediennutzung im frauenspezifischen Kontext eingegangen. Abschließend beschreiben wir die durch das neue Medium entstandenen Chancen und Besonderheiten der frauenspezifischen Beratung, wie sie über das Internet stattfinden kann, und bringen dazu Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum.

Grundsätze und Ziele frauenspezifischer Beratung Mögliche Ziele frauenspezifischer Beratung sind: − Veränderung und Erweiterung der Perspektive, um selbstbestimmt und selbst verantwortlich zu handeln; − größere Entscheidungs- und Entfaltungsspielräume nutzen; − der Fremd- und Selbstentwertung entgegenwirken; − konfliktfähiger werden; − Abgrenzung üben; − sich von Selbstüberforderung und dem Anspruch, es allen recht machen wollen, zu entlasten; − widerständiger gegen destruktive und krank machende Bedingungen vorgehen können. Im Folgenden werden die Grundsätze frauenspezifischer Beratung kurz dargestellt (Zehetner, 2007).

Frauen beraten Frauen Frauen können frauenspezifische Erfahrungen besser – oft sogar ausschließlich wie bei körperbezogenen Themen oder sexueller Gewalt – verstehen und kommunizieren. Eine Frau als Beraterin kann als positive weibliche Identifikationsfigur erlebt werden. Austausch und Networking via Internet mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen kann auch Frauen mit stark eingeschränkter Mobilität, wenig zeitlichen Ressourcen oder sozialen Ängsten einen Ausweg aus der Einsamkeit bieten.

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Ganzheitlichkeit, Multiperspektivität Eine ganzheitliche Haltung bezieht möglichst viele Aspekte des weiblichen Lebenszusammenhangs in die Beratung mit ein. Die Frau wird nicht über einzelne Funktionen (als Mutter, Ehefrau, Patientin etc.) definiert und nur in Teilaspekten behandelt, sondern in ihrer psychischen, körperlichen, sozialen und ökonomischen Situation wahrgenommen. Die Zusammenhänge und Wechselwirkungen dieser Ebenen werden zum Thema gemacht. Im Herstellen des gesellschaftlichen Zusammenhangs, in dem die Frau lebt, zeigt sich: Das Private ist politisch. Auch in Liebesbeziehungen bilden sich die gesellschaftlichen Bedingungen ab. Feministische Beratung greift Themen auf, die sich aus sozialpolitischen Veränderungen ergeben, und entwickelt entsprechende Angebote, zum Beispiel Gruppenangebote, die der zunehmenden Armut, Armutsgefährdung und der neoliberalen Individualisierung entgegentreten. Wesentlich ist auch das Einbeziehen der strukturellen Benachteiligung von Frauen und des Machtungleichgewichts zwischen den Geschlechtern (Gewalt, Lohnschere, Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit usw.), das von persönlicher Versagens- oder Schuldzuschreibung entlasten kann. Ein nicht-pathologisierender Zugang und ein feministisches Gesundheits- und Krankheitsverständnis zeigen den Zusammenhang zwischen diskriminierenden gesellschaftlichen Bedingungen und dadurch entstehenden Anpassungs- und Konfliktlösungsproblemen von Frauen auf und wollen dieses Verhalten in seiner Sinnhaftigkeit verstehen, anstatt dieses Verständnis mit krankheitswertigen Diagnosen zu blockieren. Die frauenspezifische Haltung in der Beratung ermöglicht die Analyse von Symptomen wie depressivem Verhalten, psychosomatischen Reaktionen oder auch erlernter Hilflosigkeit auf ihre verursachenden und der Gesellschaft dienlichen Aspekte hin.

Frauenzentriertheit, Parteilichkeit Frauenzentrierte Beratung unterstützt die Frau in dem, was sie will. Die Beraterin vertritt die Interessen der Frau, ohne sich mit ihnen zu identifizieren: Man kann in diesem Zusammenhang von differenzierter Parteilichkeit sprechen.

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Zur Identitätsklärung trägt bei, sich Anforderungen von außen und nicht erfüllbare Rollen(vor)bilder bewusst zu machen und diesen eigene Vorstellungen entgegenzusetzen. Die Ambivalenz zwischen den widersprüchlichen Anforderungen an die Frau heute – fürsorgliche Mutter und verfügbare Partnerin, sich ihre Attraktivität bis ins hohe Alter bewahrend, nebenbei erfolgreich im Beruf – zwingt Frauen in einen fast unlösbaren Spagat, all diesen Ansprüchen zu genügen. Die Beraterin respektiert die Werte der Klientin und kann alternative Möglichkeiten aufzeigen. Ziel ist die Stärkung ihrer eigenständigen Urteilskraft, ihrer Unabhängigkeit von normierenden Fremdbewertungen und die Fähigkeit, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

Empowerment, Autonomie, Freiwilligkeit Die Beratung soll die Wahrnehmung der eigenen Gestaltungsfähigkeit als Alternative zur Opferhaltung und das Nutzen der eigenen Ressourcen und Kompetenzen fördern. Die Frau selbst ist die Expertin für ihre Situation und entscheidet darüber, welches Angebot sie in Anspruch nehmen und wie sie die Beratung nutzen will.

Anonymität Geschützt durch die Anonymität fällt es vielen Frauen leichter, scham-, angst- oder schuldbesetzte Themen anzusprechen.

Medienbezogene Genderkompetenz (E-Gender) Während die vielzitierte Digitale Kluft zwischen den Geschlechtern sich inzwischen verringert und in fast allen Einkommensgruppen der Anteil der Internet-Nutzerinnen zugenommen hat, zeigen sich nun geschlechtsspezifische Unterschiede in Zusammenhang mit anderen Faktoren wie Einkommen, Herkunft und Alter: Je geringer der Bildungsgrad, desto weiter geht die Schere bezüglich Internet-Nutzung zwischen Frauen und Männern auf. Ebenso sind Frauen über fünfzig Jahre pro-

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zentual deutlich seltener im Internet vertreten als ihre männlichen Altersgenossen ((N)ONLINER Atlas, 2007). Europaweit ist jedoch nach wie vor die Tendenz zu beobachten, dass Männer über bessere Computer- und Internet-Kenntnisse verfügen als Frauen und diese auch häufiger zum Einsatz bringen (Eurostat, 2008). Gender-Studies im IT-Bereich befassen sich aber nicht nur mit der Häufigkeit der Internetnutzung, sondern auch mit den inhaltlichen Qualitäten. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen einen anderen Medienhabitus aufweisen, sich in Medien anders inszenieren und über andere Kompetenzen verfügen als Männer (Treibel u. Maier, 2006). Frauen kommunizieren zum Beispiel lieber semi- oder nicht-öffentlich, das heißt, es ist für frauenspezifische Angebote wichtig, verschiedene Kommunikationskanäle (z. B. Chat, Forum, E-Mail) zur Verfügung zu stellen (Meßmer u. Schmitz, 2007). Viele geschlechtsspezifische Unterschiede scheinen durch die Identifizierung von Technik/Technologie/Computern als männliche Domäne beziehungsweise durch einseitige Förderung und Vorbildwirkung der Eltern bereits im Kindes- und Jugendalter zu entstehen. Wolf (2007) fasst zusammen, dass trotz ungefähr gleichhäufiger Nutzung bei Jungen und Mädchen Unterschiede im selbstbewussten Umgang mit Computern beobachtet werden, Jungs ihre Kenntnisse häufig überschätzen, Mädchen hingegen öfter Angst haben, Fehler zu machen. Auch inhaltliche Unterschiede in der textbasierten Kommunikation konnten gefunden werden. Frauen schreiben und erhalten tendenziell lieber längere E-Mails, sie legen Wert auf passende Grußworte und beurteilen die Länge von Sätzen in E-Mails anders als Männer (Stokar von Neuforn u. Drinck, 2007). Frauenspezifische Online-Beratung bedeutet als gender-sensible Beratung also, die Erreichbarkeit über das Internet, die Medienkompetenzen und Interessen ihrer jeweiligen Zielgruppe im Beratungsangebot mit zu bedenken. Es geht nicht darum, vermeintliche Defizite von Frauen im Umgang mit neuen Medien zu beheben, sondern »gefordert wird vielmehr eine selbstverständliche Berücksichtigung der Lerninteressen, Erfahrungen und Perspektiven von Frauen und Männern« (Thoma, 2004, S. 78). Weiterhin gilt es, sich bewusst zu machen, dass nicht nur die Nutzung tendenzielle Geschlechtermerkmale aufweist. Die Objektivität von Software ist ein Mythos, denn ihre Entwicklung passiert im sozialen Kon-

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text und ist geprägt von Standpunkten, Interessen und Machtstrukturen (Maass, Rommes, Schirm u. Zorn, 2007). Daher ist es für frauenspezifische Beratung auch notwendig, die Gestaltung der Benutzerinnenoberfläche, sozusagen das virtuelle Beratungszentrum, entsprechend zu bedenken. Frauenspezifisch bedeutet dabei, nicht in traditionelle Rollenzuschreibungen zu verfallen und Vorurteile zu reproduzieren (z. B.: Webseiten für Mädchen sollten rosa sein). Vielmehr können Erfahrungen aus monoedukativen Angeboten (von Gehlen u. Tinsel, 2006) aufgegriffen und durch die Wertschätzung der Medienproduktion und -nutzung im Rahmen eines virtuellen Beratungsangebots abseits von Rollenklischees die Stärkung von Identität, Selbstvertrauen und nicht zuletzt aktiver (Lebens-)Mitgestaltung erreicht werden. Online-Beratungsangebote, die sich an Frauen richten, können durch die Mediennutzung Freiräume jenseits vorgegebener Rollenmodelle eröffnen und die Selbstbestimmung erhöhen. Gewonnene Kompetenzen können perspektivisch aus dem virtuellen in den realen Erfahrungsraum übergehen (Stauber u. Kaschuba, 2006). Durch den aktiven Einsatz von Medien entsteht informelles Lernen, das zur Selbstwirksamkeit beiträgt, je mehr der Computer nicht nur genutzt, sondern gestalterisch eingesetzt wird (z. B. in Mädchenprojekten, Homepage-Gestaltung, Foren, Chaträumen). Die Möglichkeit zur eigenen Mitgestaltung der virtuellen Räume erhöht ganz nebenbei die Medienkompetenz, stärkt das Selbstbewusstsein und »macht auch einfach Spaß« (Wiesner et al., 2003, S. 11). Nicht zuletzt zeigen gendersensible Überlegungen den Einfluss von räumlicher und zeitlicher Einschränkung, die weibliche Lebenszusammenhänge auf die Nutzung virtueller Angebote haben: Online-Beratung kann mittels asynchroner Medien auch außerhalb regulärer Öffnungszeiten stattfinden, zum Beispiel abends, wenn die zu betreuenden Angehörigen versorgt sind und Frauen mit Haushaltspflichten Zeit für sich finden (Wiesner et al., 2003). Eine für alle Frauen passende Gestaltung von Benutzungsoberfläche beziehungsweise Software-Funktionalität kann es nicht geben, aber beim Design sollte die Beratungssituation von Frauen für Frauen im Hinblick auf die spezifische Zielgruppe mit einbezogen werden. Besonders sensible Themen wie Beratung bei Gewalterfahrungen bedürfen zum Beispiel eines niederschwelligeren Zugangs und erhöhter Sicherheit, um sekundäre Viktimisierung zu vermeiden. Für manche ist das

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Internet das einzige Medium, in dem sie Kontakt und Austausch über ein für sie schwieriges Thema zulassen können oder wollen, somit hat Online-Beratung durch ihre Türöffnerfunktion auch eine stark präventive Wirkung.

Virtuelle Frauenräume: Durch das Internet entstandene neue Möglichkeiten frauenspezifischer Beratung Das Internet bedeutet die Erweiterung und laufende Neuentwicklung von Kommunikationsstrukturen. Welche neuen Frauenräume eröffnet die Beratung im Internet, welche Möglichkeiten ergeben sich aus der Verwendung diverser Medien und der spezifischen Kommunikationsformen speziell für Frauen? Traditionelle, durch gesellschaftliche Regeln aufgestellte Grenzen der Kommunikation werden durch die Möglichkeit zur Anonymität und Pseudonymität zum Teil aufgehoben und selbst extreme strukturelle Benachteiligung von Frauen (hinsichtlich Mobilität und Abhängigkeit in der Familienstruktur) beziehungsweise Formen häuslicher Gewalt (Freiheitsentzug, Dokumentenunterdrückung, verwehrter Zugang zum Familienkonto etc.) können für die Dauer der Beratung im Internet kompensiert werden. Selbst in einer Situation also, die es Frauen erschwert oder unmöglich macht, sich Hilfe zu holen, kann frauenspezifische Online-Beratung eine neue Möglichkeit darstellen, sich über die eigenen Rechte zu informieren, beraten zu lassen und Vorbereitungen für Änderungen im Lebenszusammenhang zu treffen. Als besonders deutliche Beispiele dafür seien frauenspezifische Online-Beratungsangebote zum Thema Zwangsheirat genannt: Das »Mädchenhaus Bielefeld«, das Online-Beratung in Form von Gruppen- und Einzelchat sowie webbasierte E-Mail-Beratung zum Schutz vor Zwangsheirat anbietet (www.zwangsheirat-nrw.de), oder »Papatya« aus Berlin (www.papatya.org), die ebenso webbasierte E-Mail-Beratung und Einzelchat in ihrem Angebot haben, ermöglichen Mädchen und jungen Frauen, die außerhalb ihrer Familien keinen Kontakt pflegen dürfen, sich über ihre Rechte zu informieren, ohne das Haus zu verlassen. Das heißt, dass sich frauenspezifische Beratung aus dem Face-toFace-Bereich auch genau in den Themenkreisen ins neue Medium ver-

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lagert hat, wo sie spezielle Aufgaben im Sinne des frauenzentrierten Ansatzes – wie sie im ersten Teil beschrieben wurden – erfüllen kann. Als eine unpersönliche Form der Beratung kann das Zur-VerfügungStellen von Informationen, in diesem Fall von frauenrelevanten Informationen, angesehen werden. Eine besonders vielfältige Zusammenstellung bietet dabei beispielsweise die österreichische Frauenratgeberin (www.frauenratgeberin.at), die von der Frauensektion des Bundeskanzleramtes in Wien herausgegeben wird. Auch feministische Frauennetzwerke verwenden das Internet hauptsächlich für das Sammeln, Zusammenstellen und Finden von Informationen zu frauenspezifischen Themen (Carstensen u. Winker, 2007). Zum Beispiel das Netzwerk »baff – beruflich aktive Frauen in Franken« (www.baff-frauennetz.bnv-bamberg.de). Dieses deklariert unter anderem folgende Ziele, die im weitesten Sinne auch persönlichkeitsfördernd sind: – »berufliche Kontakte und Verbindungen knüpfen und ausbauen [. . . ] – uns gegenseitig unterstützen – uns in unseren Qualitäten und unserem Selbstverständnis als beruflich aktive Frauen bestärken – uns weiterbilden durch Vorträge, Seminare und Schulungen von Netzwerkfrauen und externen Fachfrauen [. . . ] – uns mit anderen Netzwerken austauschen [. . . ]«

Ein anderes Beispiel für Netzwerke ist das deutsche »webgrrls.de – Business-Netzwerk für Frauen in Neuen Medien« (www.webgrrls.de), das bereits seit den neunziger Jahren existiert, für Informationssammlungen das »FFBIZ – Frauenforschungsbildungs- und -informationszentrum e. V.« (www.ffbiz.de), das neben einem eigenen Archiv auch Auftragsrecherchen zu frauen- und geschlechterforschungsbezogenen Themen und Vermittlung wissenschaftlicher und feministischer Kontakte weltweit anbietet. Frauenspezifische Beratungsstellen im Internet sind häufig Mischformen von allgemeiner Information zu frauenspezifischen Themen bei gleichzeitiger Möglichkeit zur persönlichen Online-Beratung. Ein Beispiel für ein umfassendes Online-Beratungsangebot auf mehreren Kanälen und zusätzlichen umfangreichen Informationsseiten hat die Wiener Beratungsstelle »Frauen beraten Frauen« (www.frauenberatenfrauen.at ) ins Netz gestellt, die neben Chat- und E-Mail-Beratung auch konkrete aktuelle Information zu frauenrelevanten Themen anbietet.

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Dazu gehören zum Beispiel auch Informationen zur rechtlichen Situation in Lebensgemeinschaft und Ehe sowie zu Trennung und Scheidung. Mittlerweile geben fast alle Beratungsstellen, die über eine Website verfügen, auch eine E-Mail-Adresse als Kontakt an. Uneindeutig ist leider oftmals, ob es sich dabei um ein Online-Beratungsangebot handelt oder nicht. Nur wenige schaffen hier Klarheit, zum Beispiel die »Frauenberatungsstelle Frauen helfen Frauen – Beckum e.V.« (www.frauenberatung-beckum.de): »Sie haben die Möglichkeit, Informationen per E-Mail zu erfragen; wir bieten auf diesem Weg jedoch keine Beratung an.« Solche und ähnliche Angaben entsprechen zwar allgemeinen, nicht nur für Frauen relevanten Qualitätskriterien für Online-Beratungsangebote (Gerö, 2005), sind aber im Sinne von Transparenz, eigener Entscheidungsfindung und Angebotswahl gerade auch für frauenspezifische Angebote wichtig und erwähnenswert. Besondere Angebote, die sich an Mädchen richten, setzen auf Prävention und räumen ihren Nutzerinnen virtuelle Mädchenräume ein (girls only). Ein Beispiel ist das »Mädchenhaus Heidelberg e. V.« (www. maedchenhaus-heidelberg.de). Eine wichtige Rolle bei den Mädchenportalen spielt die Bildung einer Community, die sich gegenseitig stützt und mit- und voneinander lernt. Dazu gehören beispielsweise das deutsche »LizzyNet« (www.lizzynet.de) oder das österreichische Mädchenprojekt »Mona-Net« (www.mona-net.at), die beide mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Informations- und Partizipationsangeboten für Mädchen aufwarten. Wie bereits erwähnt, kann und soll Software an die individuellen Bedürfnisse der entsprechenden Zielgruppe angepasst werden. Unterschiedliche Funktionen können zum Empowerment beitragen, indem die Ratsuchenden dabei unterstützt werden, die bevorzugte Form der Kommunikation selbst zu wählen. Dies geschieht beispielsweise, indem sie untereinander (semi-öffentlich) Kontakt aufnehmen oder unwillkommene Beiträge ausblenden (blockieren) können. Weiterhin sind Schutzmöglichkeiten für besonders sensible Zielgruppen im frauenspezifischen Kontext notwendig, wie zum Beispiel die obligatorische Moderation von Chats und Foren, etwa durch die Funktion des Nicht-öffentlich-Schaltens von Forum-Beiträgen, wenn sie zu privat werden. Als Beispiel für zielgruppenspezifische Softwarefunktionen sei der

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

»Chat des Frauennotrufs der Stadt Wien« (www.wien.gv.at/menschen/ frauen/servicestellen/chat/) genannt, in dem von Gewalt betroffene Frauen beraten werden. Dem Sicherheitsgefühl der Chatterinnen dient hier, dass die eingeloggten Frauen per Knopfdruck direkt mit der Moderatorin in Kontakt treten können, ohne dass dies im Haupt-Chatfenster (öffentlich) angezeigt wird. Mit Carstensen und Winker (2007) sei besonders hervorgehoben, dass das Internet nicht gegeben ist, sondern offen für Interpretationen und Veränderungen, und Frauen diese Chance nutzen können und sollen, um ihre Seite der Welt abzubilden und es so gestalten, dass es ihren Bedürfnissen entspricht.

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Josef Lang

Paarberatung online

Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft. Viele Optionen gibt es bei der Partnersuche, bei der Gestaltung von Partnerschaft und auch bei der Suche nach Paarberatung. Das Internet stellt sich als Option dar, die zeitgemäß, stets verfügbar, in ständiger Entwicklung begriffen und gefragt ist. Eine wachsende Anzahl von Paaren hat sich über das Internet kennen gelernt. Sie sind noch mehr als viele andere gewohnt, ihre Liebe oder Beziehung mit Hilfe von E-Mail, VoIP, SMS, Chat oder Webcam zu finden oder zu pflegen, insbesondere jüngere Paare in Ausbildung oder Fernbeziehungen (Döring 2003, 2004; Yuan Yao, 2008). So ist es nicht erstaunlich, wenn Jahr für Jahr die Anzahl von Frauen und Männern zunimmt, die zu Fragen der Partnerschaft bei virtuellen Beratungsstellen Information oder Rat suchen. Das Kapitel begrenzt sich auf spezifische Aspekte von Paarberatung online. Andere Teile dieses Handbuches erörtern generelle Aspekte der Online-Beratung wie computergestützte Kommunikation, Formen von Beratung im Internet, Möglichkeiten und Grenzen, Sicherheits-, Rechtsund Ausbildungsfragen, Fertigkeiten des Lesens und des Schreibens, alles Inhalte, die auch für Paarberatung online relevant sind. Bei der Paarberatung online begleitet man ein Paar oder ein Gegenüber, das nicht als individuelle Person beraten sein will, sondern als Partner einer Paarbeziehung. Häufig wird die Beziehung Thema, dank der Initiative eines der beiden Partner. Es geht um die Paaridentität (Maier, 2008) und nicht um ein Einzelanliegen des Klienten. Diese Gegebenheit verändert die Perspektive, die Methodik und die Interventionsmöglichkeiten wesentlich. Wie bei allen Spezialfragen sind auch bei der Paarberatung spezifische Kenntnisse zum Verhalten von Menschen in der Dynamik einer Partnerschaft gefragt. »Der Mensch ist das unbekannte Wesen. Noch unbekannter ist das Paar« (Fellmann, 2005, S. 17).

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

Umschreibung und Eingrenzung Eine Durchsicht der Veröffentlichungen zum Thema Paarberatung online macht deutlich, dass es um ein bisher eher vernachlässigtes Feld der Online-Beratung geht. Es gibt zwar viele Anbieter, darunter auch große Institutionen, die Paarberatung online praktizieren. In Statistiken steht Beziehungs- und Paarberatung nicht selten an erster Stelle. Einen Hinweis auf eine Spezialisierung gibt es nicht, auch nicht in Ausbildungsprogrammen (z. B. wienXtra, 2008). Paarberatung online nennen wir jede Form intendierter psychologischer Beratung im virtuellen Raum, welche das Paarsystem mit seiner Dynamik im Fokus hat, auch wenn das Paar möglicherweise nur mit einer Person repräsentiert ist. Beziehungs- oder Paarberatung im weiteren Sinn meint eine OnlineBeratung, bei welcher eine Person ein persönliches Thema im Blick auf die Partnerschaft bearbeitet, in welches der Partner (zurzeit) nicht einbezogen ist, von welcher er aber betroffen ist. In beiden Fällen ist eine Beraterin gefragt, welche systemisches Denken zur Sprache bringt. Die folgende Darstellung begrenzt sich im Wesentlichen auf E-Mail- und Chat-Beratung. Außer Acht bleiben die SMS-Beratung sowie Foren und Informationsseiten mit Hinweisen für Paare, die eine präventive Zielsetzung verfolgen oder als Peer- und Gruppenberatung zur Klärung von Paarfragen beitragen. Inwieweit die Videokonferenz für Paarberatung geeignet ist, bleibt offen. Die Website www.paarberatung.ch hat drei Jahre lang E-Mail-, Chat- und Video-Beratung angeboten. Nachgefragt wurden nur die beiden Erstgenannten, vor allem die E-Mail-Beratung (Lang 2002, 2005). Ob sich die Nutzung mit der Ausbreitung von Webcams und Breitbandzugängen ändern wird, wird sich zeigen.

Geschichte und Praxis heute Man kann sagen, dass die Geschichte von Paarberatung online de facto parallel zur Geschichte der Online-Beratung verläuft. Die allererste Online-Beratungsfrage, die am 17.09.1986 an »Uncle Ezra« von der Cornell Universität gestellt wurde, lautete: »Dear uncle Ezra. My girlfriend is frigid, what can I do?« Die Antwort des Beraters macht deutlich, dass er die Frage als Paarthema verstanden hat: »Maybe she’s chilly from her contact with you. Seriously, most cases of ›frigidity‹ have little to do with biology, and much more to do

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J. Lang – Paarberatung online

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with inexperience and incomplete communication between lovers . . . « (Uncle Ezra, 1986).

Das Beispiel veranschaulicht, wie Online-Beratung und Paarberatung online von Beginn an nicht unterschieden wurden, es zeigt zudem, dass das Spezialgebiet der Sexualberatung in vielen Fällen im Rahmen der Paarberatung gefragt ist. Der jüngste Jahresbericht der Beratungsstelle »Dargebotene Hand« (2008) weist 13 % der Online-Anfragen als Paarprobleme aus, bei der deutschen Telefonseelsorge waren es im Jahr 2006 20,3 % (Westphal, 2007). Einen guten Überblick über die Entwicklung der Paarberatung online, mit Verweis auf die theoretischen Vorläufer und auf die Entwicklung von Online-Beratung generell, findet sich bei Jedlicka (2001), der Forschungsarbeiten zur Thematik von Paarberatung online publiziert hat. Einen Einblick in die Praxis von Paarberatern online geben die Antworten auf die 27 Interviewfragen von Rehring (2006), die Darstellungen von Westphal (2007), Zimmermann (2004) oder Lang (2001, 2005). Die Antworten bei Rehring geben einen Hinweis auf die Variationsbreite von Paarberatung online. Ausgewählte Angebote in deutscher Sprache, die den Kriterien der Autoren genügt haben, wurden schon von Eichenberg und Laszig (2003) vorgestellt. Die Zahl der Angebote wird jährlich größer. Allein auf der Plattform www.das-beratungsnetz.de finden sich gegenwärtig 63 Angebote unter dem Suchbegriff Beziehungs- und Partnerschaftsprobleme, die meisten davon mit E-Mail- und Chat-Beratung, (Stand am 25.4.2008). Bei der Domain www.beranet.de erscheint »die meistgenutzte Systemlösung für Online-Beratung im deutschen Sprachraum«: 136 Institutionen nutzen zurzeit dieses webbasierte Beratungssystem, dabei ein gutes Dutzend zum Thema Paar- und Familienberatung (Stand am 25.04.2008). Andere Anbieter haben eigene Lösungen entwickelt. So findet sich unter dem Namen Theratalk® ein Paarberatungsangebot des psychologischen Institutes der Universität Göttingen, das seit Jahren zum Thema forscht und publiziert. Die Site, die sich 1998 als erstes deutschsprachiges Angebot auf Paarberatung online spezialisiert hat, findet sich unter dem Domainnamen www.paarberatung.ch. Die Nutzer unterscheiden sich je nach Anbieter. Angebote von Institutionen scheinen mehr Frauen und jüngere Leute anzusprechen als jene privater Anbieter (Rehring 2006). Bei www.paarberatung.ch liegt der Altersdurchschnitt der Männer bei 34,5 Jahren, jener der Frauen bei 31 Jahren (Standardabweichung beider Gruppen bei 9.00). In 66 %

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

der Fälle hat die Frau die Initiative zur Online-Beratung ergriffen. In den letzten sieben Jahren ist der Altersdurchschnitt um ca. fünf Jahre angestiegen. Alle Themen, die in der Face-to-Face-Beratung von Bedeutung sind, kommen auch in der Online-Paarberatung zur Sprache. Online kaum behandelbar sind nach Jedlicka Themen, bei denen es um Suizid, Mord oder Missbrauch geht. Barak (2007a) richtet sein Angebot im Gegensatz dazu gerade auf suizidale Klienten aus.

Chancen und Gefahren Eine umfassende Auseinandersetzung mit Vor- und Nachteilen der Online-Beratung leistet Caspar (2004). Was die Paarberatung online betrifft, scheint zusätzlich eine Gefahr darin zu liegen, dass Partner mit ihrer Selbstdiagnose schnell und gern die Ursache von Schwierigkeiten beim Partner lokalisieren. Der Therapeut kommt in die Versuchung, den Klienten zu verstehen und seine Not empathisch zu spiegeln. Bliebe es bei dieser Reaktion, dann würde er das Zusammenspiel der Partner und des Paares mit seiner Umgebung übersehen. Die Chance besteht aber, dass sich zunächst nur ein Paarteil entwickelt und sich dadurch auch etwas im Beziehungssystem verändert. Wenn ein Tänzer anders tanzt, wird der Tanzpartner den Schritt ebenfalls ändern.

Leitlinien und Methoden Der theoretische Hintergrund der Beraterin wird ihre Denk- und Vorgehensweise prägen. Systemtheorie, kognitive Verhaltenstherapie, Schreibtherapie oder lösungsorientierte Therapierichtungen stellen Methoden zur Verfügung, die je nach Fragestellung übernommen oder für die Internet-Beratung adaptiert werden können. Jedlicka (2001) berichtet: »The counseling methods used depended on the presenting problems. We remained flexible throughout without becoming committed to any one theoretical perspective.« Ob eines der Phasenmodelle, die für die Paarberatung oder für Online-Beratung entwickelt wurden, bei Paarberatung online mit Erfolg angewendet werden kann, ist weiter zu prüfen. Die Ratsuchenden sind trotz sorgfältiger Beratungsplanung selbst am Steuer und beenden ein

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J. Lang – Paarberatung online

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Schreibgespräch, wann sie wollen. In solcher Selbstkontrolle liegt aber auch eine der Stärken der Online-Beratung. Sie lässt Raum für dieses Grundbedürfnis und erhöht das Selbstwertgefühl. Die Kehrseite davon zeigt sich in vorzeitigen Abbrüchen, die trotz Planung und Phasenmodellen nicht verhindert werden können. Bei der Umsetzung von Leitlinien und Methoden für die Paarberatung online wird sich der Berater an Haltungen und Interventionsstrategien orientieren, die er aus der Face-to-Face-Beratung kennt. Er wird Informationen geben, wo solche gefragt sind, gegebenenfalls auch solche psychoedukativer Art, die Verhaltens- oder Denkanregungen enthalten. Positive Ansätze werden verstärkt sowie Ressourcen erkundet, um sie im Beratungsprozess zu aktivieren. Fragen verschiedenster Art dienen der Klärung von Sachverhalten, der Standortbestimmung, der Durchleuchtung von Zusammenhängen, der Entscheidungsfindung oder auch der Öffnung für alternative Sichtweisen. Immer achten Online-Berater darauf, dass die Antwort möglichst präzise auf den Textinhalt, die Textgestalt und die darin fass- oder konstruierbaren Personen zugeschnitten ist, auch so, dass Ausdrücke und Metaphern, die in der Anfrage benutzt wurden, wieder verwendet werden. Wie einzelne Interventionen auf Therapieschulen abgestützt aussehen können, veranschaulicht Westphal (2007), wenn er auf Interventionen wie Skalierungsfrage, Wunderfrage, Reframing, Hypothetisieren und viele andere zu sprechen kommt. Zirkuläres Fragen ist auch dann möglich, wenn ein einziger Partner die Beratung in Anspruch nimmt. Er wird beispielsweise gefragt, was er denke, was der abwesende Partner an dieser Stelle sagen würde. Man bittet ihn, seine Annahme zu überprüfen und in der nächsten Mail die Antworten zu referieren – oder noch besser: Der Partner möge seine Sicht selber darstellen und senden. Zum Arsenal der Techniken gehören Wege, welche die zunächst abwesende Person einzubeziehen suchen. Eichenberg und Laszig (2003) erwähnen die Methode der Bahnung bei Paaren mit großen Konflikten. Sie zielt dahin, dass Paare die Affektkontrolle wiedererlangen, sodass konstruktive Gespräche bei einer Begegnung wieder möglich werden. Es geht nicht bloß um Methoden und Fertigkeiten, vielmehr zählen Grundhaltungen des Beraters zu den wesentlichen Voraussetzungen gelingender Online-Beratung. Empathie und Respekt zählen ebenso dazu wie die Ausrichtung darauf, dass Selbstbewusstsein und Selbstwert der Partner und des Paares gestärkt werden. Ausrichtung nach

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

berufsethischen Leitlinien, die sich bis hinein in die Gestaltung der Homepage zeigen, sind wegleitend. Zentral ist das Bemühen, eine vertrauensvolle Offenheit zu erreichen. Im Beratungsprozess entscheidet sich, ob das Vorschussvertrauen, das Klientinnen meistens entgegenbringen, vertieft werden kann, sodass aus dem Kontakt eine Beratungsbeziehung wird. Empirische Ergebnisse zu vertrauensfördernden oder -mindernden Elementen finden sich bei Dzeyk (2006). Grundsätzlich ist die Frage offen, wie weit neue theoretische Modelle und methodische Wege entwickelt werden müssen oder wie weit Bekanntes aus der Faceto-Face-Beratung verwendet werden kann. Was die Therapiebeziehung betrifft, vertreten Knaevelsrud, Jager und Maercker (2004, S. 182) zusammenfassend folgende Meinung: »Die Frage, ob man bezüglich der therapeutischen Beziehung im Internet eine neue Therapietheorie entwickeln muss, lässt sich aufgrund der derzeitigen Studienlage bei weitem noch nicht sicher beurteilen.«

Die Autoren referieren eine Statistik, die für eine tragfähige therapeutische Beziehung im Internet spricht. Barak macht aber darauf aufmerksam, dass Beziehung und Emotionen im Internet, er spricht von »phantom emotions«, auf objektiv nicht vorhandenen Grundlagen beruhen und mit Wunschdenken verbunden sind (Barak, 2007b). Barak sieht darin eine spezielle Möglichkeit, diese Gegebenheit im Sinne der Übertragung nutzbar zu machen. Die Autoren von Theratalk® wiederum vertreten die Ansicht, dass die Methoden für Paarberatung online neu entwickelt und erforscht werden müssen. Anderer Meinung sind Stofle und Chechele, die Faceto-Face-Fertigkeiten und Techniken mit Erfolg auf Interaktionen online adaptiert haben (Stofle u. Chechele, 2004).

Diagnose und Tests Informationen zur Beziehungssituation (Art der Beziehung und ihre Dauer, Alter der Partner, Anzahl der Kinder, Wohnregion, Kultur/Land bei bikulturellen Paaren) sind unverzichtbar für die Einschätzung einer Beziehung. Phasentheorien – man denke etwa an das Sieben-PhasenModell von Dechmann und Ryffel (2001) – erlauben erste Hypothesen. Text und Form der E-Mail geben Aufschluss oder doch Hinweise zur

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Paarsituation. Der Text als ganzer kann dem Berater bei Beachtung der Regeln der Hermeneutik über die Intuition und Projektion hinaus das Kernanliegen deutlich machen. Eine sorgfältige Lektüre durch eine erfahrene Paarberaterin, die sich regelmäßig mit Supervision oder Intervision rückversichert, gekoppelt mit intuitiv-bewusster Deutung, bereitet den Boden für eine hinreichend gute Einschätzung der Schwierigkeiten des Paares und wird so zur Grundlage für Hypothesen, welche die Basis für weiterführende Fragen und öffnende Hinweise darstellen. Im Schreiben entsteht nicht nur ein Text, durch den sich Menschen begegnen, im Text drückt die Person ihre Eigenart aus. »A great deal of a person’s mental state is expressed in one’s writing through style, format, selection of specific words, and general structure«, schreibt Barak (2005, S. 507). Barak hat mit linguistischen Analysen suizidale Klienten von anderen Ratsuchenden diagnostisch herausfiltern können (Barak, 2005). Auch Suler glaubt, dass man mit Sprachanalysen Persönlichkeitstypen erkennen kann (2003, Version 1.6). Zur Prävention oder zum Einstieg in die Paarberatung online eignen sich Beziehungstests, wie sie bei einigen Internetangeboten zu finden sind. Abbildung 1 zeigt eine von acht grafischen Ausgaben eines Testergebnisses von www.paartest.com, ein Test, der im Jahr 2007 mehr als 30.000 mal eingesandt wurde (Lang, 2008). Die Paare erhalten als Rückmeldung Grafiken und Kommentare. Solche Instrumente wird man nicht als diagnostisch im strengen Sinn des Wortes bezeichnen, sie geben dem Paar aber eine Art Spiegel, regen zum Paargespräch an und eignen sich als Einstieg zu einer Beratung.

Abbildung 1: Grafischen Ausgabe eines Paartestergebnisses

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

Wirksamkeit der Paarberatung online Es gibt wenige Untersuchungen zur Wirkung von Paarberatung online. Nachbefragungen zur Online-Beratung generell umfassen meist auch den Bereich der Paarberatung. Sie belegen eine gute Akzeptanz und beachtliche Wirkungen (Hirsch u. Schneider, 2003). Spezifisch auf Paarberatung ausgerichtet sind die Arbeiten von Beer und Breuer (2003). Die Autoren berichten von der Wirksamkeit der Paarberatung online, die gleich hoch oder sogar höher ausfällt als die damit verglichenen Paarberatungen Face-to-Face. 63 % der Männer, die sich vor der Therapie als unglücklich beschrieben haben, beschreiben sich nach der Online-Beratung als glücklich, bei den Frauen sind es 55 %, das sind mehr als nach einer Face-to-Face-Beratung, wo 59 % der Männer und 52 % der Frauen eine positive Veränderung erfahren haben (Beer u. Breuer, 2003). Andere Untersuchungen von Beer und Breuer (2004) richten sich auf die Wirksamkeit der Angebote zu Fragen der Sexualität in Partnerschaften. Mit der Rückmeldung von Fragebogenergebnissen von erfüllten, erfüllbaren und nicht erfüllbaren sexuellen Wünschen werden den Paaren Perspektiven geöffnet. Es wird berichtet, dass bei den Männern 36 %, bei den Frauen 40 % »ungenutzter Reserven« gefunden wurden. Zwischen 60–70 % der Ratsuchenden schätzen solche Information als »nützlich für das Sexualleben« ein. 20 % der Frauen und 23 % der Männer, die vor dem Test mit der Sexualität unzufrieden waren, bezeichnen sich nachher als zufrieden. Die erste Forschungsarbeit zu Paarberatung online wurde nach Mallen (2004) von Sander (1996) durchgeführt. Er hat eine vor Ort arbeitende Paargruppe in eine Gruppentherapie mit Chat umgewandelt. Die Ergebnisse waren nicht sehr positiv. Eine Untersuchung, die im Jahr 2004 begonnen und in Phasen fortgesetzt wird, untersucht den Einfluss von Paarberatung online auf die Einschätzung von Selbstwirksamkeit der beratenen Partner, das heißt den Glauben, selbst an der Beziehung etwas verändern zu können. Vorläufige Resultate belegen die intendierte Wirkung. Die Werte beim Effektstärkemaß liegen bei fünf von acht Fragen zwischen 0.6 und 0.33, dazu zählen eine positivere Sicht der Beziehung heute als vor der Beratung sowie das Gefühl, selbst etwas zur Veränderung der Paarsituation beitragen zu können.

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Insgesamt kann man den Stand der Wirkungsforschung mit folgendem Zitat zusammenfassen: »Nachdem bereits die Wirksamkeit der Online-Therapie für Partnerschafts-Probleme in mehreren Studien belegt wurde, sollen in der Zukunft die genauen Wirkmechanismen der Paartherapie näher erforscht werden« (Beer u. Breuer, 2008).

Angefügt sei noch der Hinweis, dass die Wirksamkeit auch belegt ist, wenn nur ein Partner in Therapie ist.

Weitere ausgewählte Charakteristiken Viele Angebote sind bis heute kostenlos oder bitten um Spenden, andere haben fixe Honorare, verrechnen nach Aufwand oder verkaufen Pakete. Man kann große Preisunterschiede beobachten. Sichere Datenübermittlung und -aufbewahrung ist eine undiskutable Forderung, die nicht von allen Anbietern erfüllt wird. Die Zeitspanne bis zur ersten Antwort soll bekannt und kurz sein. Folgekontakte wurden wie folgt berichtet: 44,1 % schreiben eine einzige Mail; 20,5 % haben einen Folgekontakt; 10,6 % zwei Folgekontakte; 13,5 % 3–5 Folgekontakte; 6,1 % 6–10 Folgekontakte; 5,2 % über 10 Folgekontakte (Westphal, 2007). Der Zeitaufwand für eine umfassende Antwort – und eine solche ist erwünscht (Gehrmann u. Klenke, 2008) – liegt nach Erfahrung und Schätzung zwischen 30 und 60 Minuten. Allparteilichkeit ist bei Online-Beratung noch aufmerksamer zu beachten als in Paargesprächen face-to-face, insbesondere auch dann, wenn phasenweise das Gespräch nur mit einer Person stattfindet. Eine Regel kann sein, die Mail so abzufassen, dass sie auch der Partner lesen kann. Dadurch kann das Paargespräch neue Impulse erhalten.

Ausbildung und Supervision Einige Anbieter vor allem in den USA offerieren Paarberatung online seit über zehn Jahren. Dazu zählt Jedlicka. Er vertritt die Ansicht, dass Paarberatung online spezielle Fertigkeiten erfordere. Er hat ein Konzept zur Supervision von Onlinepaarberatern über das Internet entwickelt. Weil Onlineberater innerhalb von 2–3 Tagen antworten, ist Supervisi-

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

on in der Praxis des Supervisors nicht regelmäßig machbar, meint er (Jedlicka u. Jennings, 2002). Ob in dieser oder jener Form: Ausbildung, Supervision oder Intervision ergeben zusammen mit der Praxiserfahrung face-to-face die nötigen Kompetenzen zur Durchführung einer Paarberatung online.

Abschließende Bemerkungen Manche Fragen sind heute offen. So bleibt ungenügend geklärt, wie weit Paarberatung online ein Spezialfeld der Online-Beratung darstellt, das als solches gesonderter Bearbeitung bedarf. Hier wird die Ansicht vertreten, dass mit Paarberatung eine Sonderform von Online-Beratung vorliegt, die sich auf die Homepagegestaltung ebenso wie auf die methodischen Vorgehensweisen, die Zielsetzungen oder die Strategien auswirken muss. Insbesondere bleibt zu prüfen, welche Methoden und Interventionsmöglichkeiten, welche die Paarforschung entwickelt hat, für die Paarberatung online von Nutzen sind. Wie schon erwähnt werden dazu divergierende Ansichten vertreten. Der Artikel vertritt die Überzeugung, dass jede Form von OnlineBeratung in mancher Hinsicht anders ist als eine Face-to-Face-Beratung, so auch die Paarberatung online. Das bedeutet, dass Paarberater ausgebildete Paarberater sein sollen, dass sie aber auch ausgebildete Online-Berater sein müssen, die um die spezifischen Eigenheiten der Internet-Beratung wissen. Forschungsarbeiten sind erwünscht, welche in Kenntnis der Theorien der Online-Beratung und der Paartherapie kreative Interventionen für die Paarberatung online entwickeln und ihre Wirkungen messen. »Gute Ehen zu fördern ist ein lohnendes Ziel, und wir können dazu beitragen, dass viele Ehen besser funktionieren, als dies gegenwärtig der Fall ist [. . . ], in der sich wandelnden Welt von heute sind Ratgeberbücher, die alles über einen Kamm scheren, und oberflächliche Rezepte von geringem Wert für ehelichen Erfolg. [. . . ] Aber Soziologen und Psychologen haben einige wenige allgemeine Prinzipien gefunden, die zum Gelingen der meisten Formen der modernen Ehe beitragen« (Coontz, 2006, S. 457 f.).

Die Prinzipien der Paarforschung mit denen der Internetkommunikation zum Wohl von Paarbeziehungen umzusetzen, das ist Ziel und Anspruch von Paarberatung online.

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Werner Bock

Zielgruppenspezifische Online-Beratung bei www.aidshilfe-beratung.de

»Heute könnte ich die ganze Welt umarmen. Nach 12 Wochen Warten habe ich vorgestern einen HIV-Test machen lassen: NEGATIV!!! Ich möchte mich zum Schluss bei Ihnen bedanken, für Ihre Ratschläge, aufmunternden Worte, dafür, dass Sie mich begleitet haben in dieser Zeit. Das wollte ich Ihnen noch als Rückmeldung geben. Außerdem noch, dass es mich beeindruckt, mit welchem Einfühlungsvermögen Sie E-Mail-Anfragen beantworten, das finde ich richtig gut!«

Dies schreibt uns ein schwuler Mann, der sich an die Online-Beratung der Aidshilfen (www.aidshilfe-beratung.de) gewandt hat, nachdem er mehrere ungeschützte Sexualkontakte hatte und der sein HIV-Risiko abklären wollte. Online-Beratung hat sich auch im Bereich der HIV- und Aids-Beratung in den letzten Jahren neben der persönlichen und der telefonischen Beratung etabliert und ist zu einer selbstverständlichen Beratungsmöglichkeit geworden. Beratung im Internet ist ein zeitgemäßes Angebot, das veränderten Bedürfnissen und Gewohnheiten von Ratsuchenden Rechnung trägt. Verändert hat sich aber auch die Krankheit selbst: Bis Mitte der neunziger Jahre führte eine HIV-Infektion oft zu massiven gesundheitlichen Problemen, zur Ausbildung aidsspezifischer Symptome und nicht selten zum Tod. Heute ist eine HIV-Infektion eher als chronische Erkrankung zu sehen, die zwar immer noch nicht heilbar, zumindest aber doch in den meisten Fällen mit Medikamenten behandelbar ist.

HIV-Beratung auf dem Weg ins Netz Aidshilfen in Deutschland leisten bereits seit 25 Jahren Aufklärung und Beratung zu HIV und Aids. Derzeit leben in Deutschland ca. 59.000 Menschen mit HIV/Aids, eine relativ kleine Zahl, geht man von 82 Millionen Einwohnern aus. Damit steht Deutschland im europäischen Ver-

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

gleich recht gut da. Das ist sicherlich auch ein Erfolg der bisher geleisteten Präventionsarbeit, die in Deutschland von zwei Trägern geleistet wird: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist zuständig für die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung, die Deutsche AIDS-Hilfe e. V. betreibt zusammen mit den regionalen Aidshilfen zielgruppenspezifische Präventionsangebote. Das Risiko einer HIV-Infektion ist nicht für die gesamte Bevölkerung gleich groß. Es gibt besonders von HIV gefährdete und betroffene Gruppen: 65 % der HIV-Neudiagnosen betreffen heute Männer, die Sex mit Männern haben. Sie stellen somit die größte Gruppe dar. Über heterosexuellen Geschlechtsverkehr infizieren sich 17 %, 11 % der Neudiagnosen betreffen Migrant(inn)en, die aus Gebieten mit besonders hoher HIV-Verbreitung kommen. 6 % stecken sich über intravenösen Drogengebrauch mit dem HI-Virus an (vgl. www.rki.de). Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. 2007 bekamen 2.752 Personen in Deutschland ihr HIV-positives Testergebnis mitgeteilt. Grund genug für die Aidshilfen, neue Wege der Prävention und Beratung zu gehen. Das Internet spielt hierbei eine immer wichtigere Rolle. Längst ist es nicht mehr nur Informationsmedium, es wird auch zur Anbahnung von (Sex-)Kontakten genutzt. Gerade in der schwulen Szene machen Kontaktseiten im Internet schwulen Kneipen und Treffpunkten Konkurrenz. So sind etwa bei »Gayromeo« (www.gayromeo. com), einem der größten schwulen Portale im Netz, an einem Samstagabend deutschlandweit über 35.000 User online. Ein Nutzerprofil bei »Gayromeo« zu haben, gehört für schwule Männer schon fast zum Standard. Das Profil ist eine Art Visitenkarte, meist mit Bild. Der User macht darin Angaben zu seiner Person und nicht selten auch über seine sexuellen Vorlieben. Orientierung an der Lebenswirklichkeit der Zielgruppen ist für die Arbeit von Aidshilfen immer ein wichtiger Grundsatz gewesen. Wenn sich deren Lebenswirklichkeit also immer mehr ins Netz verlagert, muss die Aidshilfe mitgehen und dort neue Angebote schaffen. Neben Informationen rund um HIV und Aids auf der Internetseite www. aidshilfe.de und speziellen Präventionsprofilen auf schwulen Portalen ist seit Oktober 2005 die Online-Beratung der Aidshilfen unter www. aidshilfe-beratung.de im Netz. Im Verbund mit dem Dachverband der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. bieten 32 Beraterinnen und Berater aus 24

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regionalen Aidshilfen Beratung zu allen Fragen rund um HIV, Hepatitis und sexuell übertragbaren Erkrankungen an. Bis Mai 2008 wurden über 7.200 Anfragen bearbeitet.

Chancen der Online-Beratung Die Vorteile einer Beratungsstelle im Netz liegen auf der Hand: User können ihre Fragen jederzeit hinterlegen. Der Zugang zur Online-Beratung ist ohne großen Zeitaufwand von jedem Ort aus möglich. Unsere Evaluation belegt, dass die Internet-Beratung sowohl von Usern aus großen Städten als auch von Menschen aus ländlichen Regionen genutzt wird. Jede vierte Anfrage kommt aus Orten mit weniger als 10.000 Einwohnern. Neben der guten Erreichbarkeit ist die Anonymität der Beratung ein großer Pluspunkt. Studien belegen, dass in der Internet-Beratung Schwellen gesenkt werden, wenn es um Themen geht, die mit starken Scham- und Peinlichkeitsgefühlen besetzt sind (van Well, 2000). Unsere Erfahrungen aus der Praxis bestätigen dies. Die Anonymität des Internets erleichtert es Ratsuchenden, offen über ihre Fragen zu sprechen. Es entsteht so die paradoxe Situation einer Nähe durch Distanz. Diese Distanz bewirkt, dass die Ratsuchenden auch über gesellschaftlich tabuisierte Themen, wie zum Beispiel Prostitution, »unsafe sex« oder ungewöhnliche Sexpraktiken kommunizieren können. Für die Beratung zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen stellt dies einen entscheidenden Vorteil dar. Erst eine möglichst genaue Schilderung einer potenziellen Risikosituation ermöglicht es dem Berater, eine gute Einschätzung über ein tatsächliches Risiko abzugeben.

Unser Verständnis von (Online-)Beratung Die Aidsprävention in Deutschland basierte von Anfang an auf einem ganzheitlichen Ansatz, der verschiedene Präventionskonzepte miteinander verknüpfte. Wichtig für unser Verständnis von Beratung ist unter anderem das Lebensweisenkonzept. Dieses plädiert für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensstile und berücksichtigt soziale Werte und

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Normen dieser Gruppen sowie deren Sprache und Umgangsformen. Sensibilität für die Zielgruppen und deren Partizipation sind wichtig für eine wirksame und nachhaltige HIV-Prävention. Wir akzeptieren, dass Menschen schwul sind, fixen, auf den Strich oder ins Bordell gehen oder wechselnde Sexualpartner haben (Deutsche AIDS-Hilfe e. V., Handbuch für Berater/innen). Früheren Präventionsstrategien lag das Bild des prinzipiell und stets vernünftig handelnden Menschen zugrunde, der in jeder Situation Nutzen und Risiken seiner Handlungen Kraft seines Verstandes zu kalkulieren vermag. Lebensweisenakzeptanz beinhaltet aber immer auch die Akzeptanz der Unvernunft. Dies meint die Einsicht, dass Menschen sich nicht ausschließlich nach rationalen Kriterien verhalten, sondern viele andere Einflussgrößen eine Rolle spielen. In der Beratung zu HIV gibt es oft ein Spannungsfeld zwischen den Polen Erhaltung der Gesundheit einerseits und Liebe, Lust, Ekstase andererseits. Beraterinnen müssen sich dieses Spannungsfeldes bewusst sein. In der Beratung geht es vornehmlich darum, wie wir Menschen darin unterstützen können, eventuelle Risiken besser managen zu können. Letztlich muss jeder Mensch für sich selber entscheiden, wie viel Sicherheit er für sich braucht und wie viel Risiko er bereit ist einzugehen. Dabei spielt Information eine wichtige Rolle, aber auch Empowerment. Wir wissen, dass Safer Sex nicht immer gelingt und dass Menschen in ihren Bemühungen auch scheitern. Berater sollten also nicht nur das grundsätzliche Bemühen um Safer Sex würdigen, sondern auch Verständnis für die Bedingungen des Scheiterns zeigen. Als Reichtum erleben wir in der Online-Beratung die große Vielfalt unseres virtuellen Teams. Die 32 Beraterinnen und Berater kommen aus großen und kleinen Aidshilfen aus ganz Deutschland, wo sie hauptoder ehrenamtlich tätig sind. Da sie selber hetero, schwul, lesbisch, bisexuell, HIV-positiv und HIV-negativ sind, spiegeln sie die Lebenswelt unserer Ratsuchenden wider. In der Ausbildung der Berater und Beraterinnen werden neben fundierten fachlichen Informationen zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten auch immer wieder eigene Haltungen zu bestimmten Themen (z. B. Homosexualität oder Prostitution) reflektiert.

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Nutzer/innen und Themen Das Internet wird verstärkt von jungen – und somit sexuell aktiven Menschen – genutzt. Etwa ein Drittel der Ratsuchenden bei www.aidshilfe-beratung.de sind jünger als 25 Jahre, weitere 50 % sind zwischen 25 und 39 Jahre alt. Untersuchungen belegen, dass schwule Männer das Internet überdurchschnittlich häufig nutzen (Weatherburn, Hickson u. Read, 2003). Im Sinne der Erreichung dieser Gruppe verspricht das Internet somit ein nahezu ideales Medium für die HIV-Beratung zu sein. Unsere Evaluation bestätigt dies. Über 70 % der Anfragen kommen von Männern. Fast 27 % unserer User bezeichnen sich selber als homosexuell, weitere 10 % als bisexuell. In der Telefonberatung liegt der Wert für beide Gruppen nur bei 20–25 %. Etwa jede zehnte Anfrage kommt von Menschen, die HIV-positiv sind, 6 % der Anfragen kommen von Angehörigen von Menschen mit HIV. Fragen zu Übertragungswegen und zum HIV-Test spielen in einem Großteil der Anfragen (ca. 60 %) eine Rolle. Die User nutzen die Internet-Beratung, um eine Einschätzung ihrer ganz persönlichen (Risiko-)Situation zu erhalten. Die Beratung im Internet stellt somit eine individuelle und maßgeschneiderte Ergänzung zu kurzen, massenmedialen Präventionsbotschaften dar. Drei Viertel der Anfragen sind mit einer Antwort zu bearbeiten, aus jeder vierten Anfrage ergibt sich ein längerer Beratungskontakt.

Spezielle Nutzergruppen

MSM In Fachkreisen hat sich das Kürzel MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) etabliert. Damit sind ausdrücklich auch Männer gemeint, die zwar Sex mit Männern haben, sich aber selber nicht als schwul oder bisexuell bezeichnen würden. In der Online-Beratung erleben wir immer wieder, dass Fragen zu HIV für den User ein Einstieg sein können, das Thema Homosexualität/ Bisexualität zu thematisieren. Oft stecken hinter übertriebenen Ängsten

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vor einer Ansteckung Probleme des Users mit seiner eigenen Sexualität. Er bestraft sich oft selbst durch eine übersteigerte Angst vor einer HIVInfektion und sühnt sozusagen dafür unbewusst für seine Homosexualität, die in seinen Augen negativ besetzt ist Berater müssen solche Dynamiken kennen und eine Sensibilität für Botschaften zwischen den Zeilen entwickeln. Sie sind oftmals die ersten Ansprechpartnerinnen für Menschen, die auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sind und die zum ersten Mal über diese Gefühle sprechen können. Rückmeldungen von Usern bestätigen, wie befreiend es für sie ist, über diese Themen schreiben zu können, ohne bewertet oder verurteilt zu werden. Angst vor HIV und Aids ist nach wie vor ein Hindernis, das den Weg zu einem schwulen Coming-out erschwert. In der Beratung ist es deshalb wichtig, über HIV-Risiken zu informieren, andererseits aber auch übersteigerte Ängste zu relativieren. HIV ist sicherlich ein Thema, das in einem schwulen Leben eine Rolle spielt, aber nicht unbedingt ein schwules Leben überschatten muss. In den Köpfen vieler Ratsuchender sind Assoziationen zu HIV/Aids noch immer schwere Krankheit, Leiden und Tod. Dem gilt es ein realistisches Bild entgegenzusetzen. Der Ratsuchende soll befähigt werden, für sich entscheiden können, wie viel Sicherheit er braucht und wie viel Risiko er einzugehen bereit ist. Oft reagieren Menschen mit großer Verunsicherung bis hin zur Panik, wenn sie mit einer Person Sex hatten und erst danach erfahren, dass ihr Sexpartner HIV-positiv ist. Panik besteht in solchen Situationen oft auch dann, wenn Safer Sex praktiziert wurde und somit gar kein relevantes HIV-Risiko vorhanden war. Obwohl HIV in der schwulen Szene immer wieder Thema ist, löst der erste tatsächliche Kontakt mit einem HIV-Positiven immer noch bei vielen Menschen Unsicherheit und Ängste aus. Viele Fragen ergeben sich auch beim Thema Partnerschaft mit einem HIV-Positiven. Neben der Angst vor Ansteckung spielt das Thema Zukunft eine Rolle. Auch hier wird deutlich, dass die Bilder und Vorstellung von einem Leben mit HIV eine große Rolle spielen. Oft wird HIV noch immer eher mit Krankheit und einem frühen Tod als mit einem glücklichen Altern verbunden. Hier drückt sich aus, dass es ein einheitliches Bild von einem Leben mit HIV nicht gibt. Es gibt sehr viele verschiedene Lebenswirklichkeiten. In der Beratung kann es deswegen

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auch keine Patentlösungen geben. Die individuelle Situation des Ratsuchenden muss betrachtet und mit ihm zusammen müssen Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden.

Freier Dass Prostitution weit verbreitet ist, ist bekannt. Sich als Freier zu outen, ist allerdings eines der letzten großen Tabus unserer Gesellschaft. Im privaten Kontext können Probleme, die sich nach dem Besuch von Prostituierten ergeben, kaum besprochen werden. Daraus folgt, dass Freier automatisch in der professionellen Beratung landen, wenn sie ein Gesprächsbedürfnis haben. Der Gang zu einer Prostituierten kann vom Freier durchaus auch konflikthaft erlebt werden. Anfragen von Freiern beschäftigen uns in 5 % der E-Mails. Für Beraterinnen ist es wichtig, sich über die eigene Haltung zum Thema Prostitution klar zu sein, da es dazu sehr kontroverse Meinungen gibt. In der Online-Beratung erleben wir den Freier als Ratsuchenden, der ein Anrecht auf Beratung hat. Oft haben wir mit Freiern zu tun, die auf einen Bordellbesuch mit Ängsten, Schuldgefühlen und Straffantasien in Bezug auf HIV reagieren. Selbst wenn in den uns beschriebenen Situationen kein HIV-Risiko bestanden hat, konstruieren Freier häufig Szenarien, bei denen ihrer Meinung nach doch eine Übertragung hätte stattfinden können, zum Beispiel kleinste Pickel oder Hautrisse, die Eintrittspforte für das HI-Virus sein könnten, oder mögliche Spermareste anderer Freier auf Handtüchern oder Papiertaschentüchern. Nach dem Bordellbesuch werden körperliche Anzeichen wie Husten, Pickel oder Rötungen sofort als Anzeichen einer HIV-Infektion interpretiert. Berater müssen hier sensibel sein, da diese Phänomene meistens damit zu tun haben, dass sich Freier den Gang ins Bordell nicht verzeihen können und sich selbst unbewusst mit der Angst vor HIV und Aids bestrafen. Die Beraterinnen müssen solche Dynamiken erkennen. Oftmals ist es hilfreich, statt auf immer neue Symptome oder konstruierte Ansteckungswege der Ratsuchenden einzugehen, Schuldgefühle und Selbstbestrafungsfantasien zu thematisieren.

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

Aids-Ängstliche und Aids-Phobiker Immer wieder ist zu hören, dass Menschen mit dem Thema HIV/Aids zu leichtfertig umgehen und sich nicht schützen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die übersteigerte Ängste vor einer HIV-Infektion haben und deren Lebensqualität darunter ernsthaft leidet. Aids-Ängstliche können ein reales Infektionsrisiko nur schwer von einem irrealen unterscheiden und haben oft ein Informationsdefizit. Sie sind in der Regel aber sachlichen Argumenten zugänglich. Im Gegensatz dazu können Aids-Phobiker das eigene Verhalten nicht mehr auf rationaler Ebene reflektieren. Das Ausmaß der Angst steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung. Sie werden so stark von ihren Ängsten beeinflusst, dass es zu Zwangshandlungen und Zwangsgedanken kommt. Aids-Phobiker sind oft überzeugt, dass sie HIV-infiziert sind und entwickeln in manchen Fällen körperliche Symptome, die einer akuten HIV-Infektion ähnlich sind. HIV-Tests, die dem Ratsuchenden bestätigen, dass er nicht HIV-positiv ist, werden von Aids-Phobikern schlichtweg angezweifelt. Sie misstrauen Beratern, die sie vom Gegenteil überzeugen wollen, unterstellen Lügen oder falsche Rücksichtnahme. Hier kommt die Online-Beratung an ihre Grenzen. Für Beraterinnen ist es wichtig, Phobien zu erkennen und den Ratsuchenden therapeutische Hilfe zu empfehlen.

HIV-Positive Etwa jede zehnte Anfrage kommt von Ratsuchenden, die HIV-positiv sind. Online-Berater sind oft die ersten Ansprechpartner nach einem HIV-positiven Testergebnis. Ein solches Ergebnis bedeutet meist erstmal einen Schock und wirft eine Menge Fragen auf. Was bedeutet ein HIVpositives Ergebnis konkret? Muss ich sofort mit einer medikamentösen Therapie beginnen? Wie lange kann ich als Positiver noch leben? Wie werden meine Familie und Freunde reagieren? Soll ich es überhaupt erzählen? Werde ich als Positiver jemals wieder einen Partner finden? Der Ratsuchende ist in der ersten Zeit meist sehr überfordert, ebenso Freunde, die ins Vertrauen gezogen werden. In dieser Zeit spielen unterschiedlichste Emotionen eine Rolle: Angst, Wut, Trauer, Scham. Hier kann eine professionelle Beratung sehr unterstützend sein. Zunächst

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geht es darum, Raum für die Fragen des Ratsuchenden zu geben, ihn aber auch emotional zu unterstützen. Aus solchen Anfragen entstehen oft längere Beratungskontakte. Bei Bedarf werden dem User Kontakte zu regionalen Aidshilfen vermittelt. An den Anfragen in unserer virtuellen Beratungsstelle ist aber auch abzulesen, dass eine HIV-Infektion mittlerweile zu einer ganz normalen Krankheit geworden ist, mit der man lange leben kann. Anfragen zum Thema HIV und Beruf, Altersvorsorge oder Versicherungen für HIVPositive spielen zunehmend eine Rolle. Online-Beratung kann hier nur begrenzt direkt Hilfestellung geben, aber an regionale Aidshilfen und andere kompetente Stellen weiterverweisen.

Fazit Der Exotenstatus der Internet-Beratung ist überwunden. Innerhalb weniger Jahre hat sich Online-Beratung mehr und mehr professionalisiert und ist zu einer etablierten Beratungsform geworden. In Aidshilfen wurde diese Entwicklung deutlich durch den Aufbau eines bundesweiten Beratungsportals www.aidshilfe-beratung.de und durch neue Ausund Weiterbildungsmöglichkeiten für Online-Berater. Diese müssen mit der Beratungsform Mail-Beratung vertraut sein, fundierte Kenntnisse zum Thema HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten haben und nicht zuletzt Zielgruppen und deren typische Problemlagen kennen. Unsere Erfahrungen sind positiv: Das Angebot der Beratung im Internet wird gut genutzt. Es gelingt uns sehr gut, für die HIV-Prävention wichtige Zielgruppen zu erreichen. Die Anonymität des Internets erleichtert es den Usern, über heikle Themen offen zu sprechen. Dies ist ein großer Vorteil, wenn es um die Einschätzung eines tatsächlichen oder vermeintlichen HIV-Risikos geht. Vom Schritt in die virtuelle (Beratungs-)Welt des Internets profitieren nicht nur die Ratsuchenden, sondern auch die beteiligten regionalen Aidshilfen und die Beraterinnen. Die große Anzahl der Anfragen gibt einen guten Überblick über Themen und Fragestellungen in der HIVPrävention. Wir haben damit ein Ohr ganz nah an der Basis. Erkenntnisse aus der Online-Beratung haben wiederum Auswirkungen auf die Arbeit der Aidshilfen vor Ort.

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Zielgruppenspezifische Online-Beratung

Der fachliche Austausch der 32 Onlineberater aus 24 regionalen Aidshilfen führte zu einer Steigerung der Beratungsqualität, die über die Internetberatung hinausgeht. Diskussionsthemen im virtuellen Team werden über die Vernetzung auch an regionale Teams weitergegeben. Natürlich hat Beratung im Internet auch Grenzen. Manchmal macht es Sinn, Ratsuchende an lokale Aidshilfen oder andere Einrichtungen zu verweisen, wo sie ganz praktische Unterstützung erfahren können. Wir verweisen auch, wenn ein spezialisierteres Wissen notwendig ist, zum Beispiel bei medizinischen Themen. Online-Beratung kann hier aber für den Ratsuchenden zumindest Türöffner zu weiteren Hilfsangeboten sein. So lange die Zahl der HIV-Neudiagnosen weiter steigt und HIV/ Aids nicht heilbar ist, ist Präventionsarbeit und Beratung wichtig und notwendig – vor Ort und im Netz.

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Qualitätsstandards der Online-Beratung

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Petra Risau

Die Wahl der Technik Standards und Anforderungen an technische Lösungen zur Online-Beratung

Vorbemerkungen Die Bereitstellung von Online-Beratungsangeboten ist, bedingt durch die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien, auch an die Schaffung von technischen Voraussetzungen und Standards gebunden. Die Wahl der Technik (Hardware, Software, Netze) hat dabei eine direkte Auswirkung auf die Qualität der Beratung selbst, da die Beratungsverläufe und Interventionsmöglichkeiten von der verwendeten Technik mitbestimmt werden (Wenzel, 2006). So müssen unter anderem technische Sicherheitsstandards berücksichtigt werden. Oberstes Kriterium bei der Online-Beratung ist die Einhaltung aktueller Datenschutzrichtlinien (der jeweiligen Länder), wonach so wenig Daten wie möglich zu erheben und verschlüsselt zu senden sind sowie von den Möglichkeiten der Anonymisierung und Pseudonymisierung Gebrauch zu machen ist (Bundesdatenschutzgesetz, 1990; Weichert, 2005). Um Ratsuchenden einen niedrigschwelligen Zugang zur Online-Beratung zu ermöglichen, sind weitere Kriterien, wie beispielsweise die Bedienungsfreundlichkeit (»usability«) des verwendeten technischen Systems, erforderlich. Dies gilt ebenso für die Beraterinnen, die ein intuitiv zu bedienendes System mit einem vielfältigen Funktionsumgang für die Online-Beratung und deren speziellen Anforderungen benötigen. Doch womit sollen Beratungseinrichtungen ihre Beratungsarbeit im Internet realisieren und welche technischen Voraussetzungen sind zu berücksichtigen? Aus der bisherigen Online-Beratungspraxis lassen sich unter anderem folgende Anforderungskriterien an eine OnlineBeratungssoftware ableiten:

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− Datensicherheit und Klientenschutz, − benutzerfreundliche Oberfläche für Klientinnen und Berater, − Möglichkeit der Qualitätssicherung durch integrierte Auswertungsund Statistiktools mit Klientenverwaltung, − Möglichkeit individueller und bedarfsgerechter Statistik, − modulare Struktur zur Weiterentwicklung der Software. Einige der oben beschriebenen Anforderungen an eine technische Lösung zur Online-Beratung werden in diesem Beitrag näher beleuchtet.

Datensicherheit und Klientenschutz am Beispiel der webbasierten Beratung Der obligatorische E-Mailbutton zur Kontaktaufnahme genügt den Anforderungen an eine kompetente Online-Beratung schon lange nicht mehr. Die Mehrzahl aller Beratungseinrichtungen ist bereits mit einer eigenen Webpräsenz im Netz vertreten und erhält über den normalen E-Mailkontakt nicht nur Informations-, sondern zunehmend auch Beratungsanfragen. Hier stellt sich sehr schnell die Frage nach dem Datenschutz und dem Sicherheitsstandard bei der Datenübertragung. So ist gerade die Mail-Beratung unter Verwendung von klassischen E-Mailprogrammen für die Online-Beratung höchst kritisch zu betrachten. Der Versand einer E-Mail erfolgt unverschlüsselt und passiert auf dem Weg vom Sender zum Empfänger mehrere Stationen durch das Internet, auf denen diese Beratungsanfragen mit einfachen technischen Mitteln von Dritten abgefangen werden können. So werden E-Mails in Datenpaketen über verschiedene Server und Rechner transportiert, wo Kopien davon abgelegt werden können oder gar die gesamte Mail mit allen Inhalten von Außenstehenden abgefangen werden kann, bevor sie den Adressaten erreichen. Beratende, aber auch Ratsuchende erhalten bei der Korrespondenz beiderseits die jeweilige Mailadresse des Gegenübers und speichern zudem die Inhalte der E-Mail-Beratungen auf dem eigenen Rechner, wo sie theoretisch auch von Unbefugten gelesen werden können, sobald diese Zugang zum Rechner haben. Häufig wird auch der heimische PC von der gesamten Familie genutzt und er verschafft damit Einblicke in die Aktivitäten aller Familienmitglieder (Risau, 2008).

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Des Weiteren muss auch aufseiten der Beratenden mit den über das Internet empfangenen Anfragen sensibel umgegangen werden. So sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Beratungsanfragen und Falldokumentationen, auch wenn sie digital erfolgen, mittels Passwort geschützt werden. Das von der gesamten Beratungsstelle gemeinschaftlich genutzte E-Mailprogramm kann diese Anforderungen nicht erfüllen. Dass Versenden einer E-Mail ist auch nach Datenschutzrichtlinien ein ungenügender Schutz vor Fremdzugriff, vergleichbar mit dem Versenden einer Postkarte. In Deutschland und Österreich haben die Datenschutzbeauftragten eindeutig Stellung gegen unverschlüsselte, psychosoziale Online-Beratung bezogen (Weichert, 2005). Eine sichere Alternative bietet hier die SSL-Verschlüsselung, welche zwischen Absender und Empfänger einen sicher verschlüsselten Datenkanal schafft, wie dieser vergleichbar auch beim Online-Banking eingesetzt wird. Dabei verbleiben alle Daten und Korrespondenzen auf einem zentralen Rechner und können dort erst mit einem passwortgeschützten Account gelesen und beantwortet werden. Über einen Account verfügt im Rahmen der Online-Beratung nur der Ratsuchende und die jeweilige beratende Person. Bei dieser so genannten webbasierten Beratung werden die Beraterinnen nur über den Eingang einer neuen Anfrage informiert. Um den betreffenden Text zu lesen, muss sich der Empfänger mit Username und Passwort authentifizieren und erhält erst dann Zugang auf die Inhalte. Damit bietet die webbasierte Beratung ein Maximum an Sicherheit und Diskretion. Ratsuchende sollten selber entscheiden können, ob sie per Mail in ihrem Postfach eine Benachrichtigung erhalten möchten, wenn eine Antwort des Beraters vorliegt. Aus Datenschutzgründen sollte die SSL-Verschlüsselung bei allen angebotenen Online-Beratungsarten (E-Mail, Einzel-, Gruppenchat, Foren-Beratung) gewährleistet sein. Die Einrichtungen kids-hotline (D), Partypack (D) und ChEck iT (A) haben diese Empfehlung auf Basis bereits bestehender Konzepte im Rahmen ihrer länderübergreifenden Kooperation auch in dem Leitfaden »Standards für Online-Beratung« aufgenommen: »Im Interesse der Ratsuchenden sowie der beratenden Personen wird aus Gründen des Datenschutzes und der Datensicherheit der Einsatz einer webbasierten Beratungssoftware und die Benutzung von verschlüsselten Übertragungsmethoden empfohlen. Von einer Beratung über einen wechselseitigen eMail-Kontakt muss abgeraten werden, [. . . ]« (Weissenböck, Ivan u. Lachout, 2006, S. 21).

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Anforderungen an die Chat-Beratung Viele Chats sind für ein diskretes und konzentriertes Beratungsgespräch oft wenig geeignet, da die Chat-Kommunikation über das Netz häufig, ähnlich wie bei der E-Mail-Kommunikation, unverschlüsselt erfolgt. Dabei gilt der SSL-Sicherheitsstandard auch für die Chat-Beratung, damit auch diese Form der Beratung diskret und vertraulich erfolgen kann. Darüber hinaus verfügen nur sehr wenige Chats über Ausstattungen wie virtuelle Sprechzimmer, die den notwendigen vertraulichen Rahmen für ein Einzelgespräch bieten, wie sie zum Beispiel für die psychosoziale Beratung erforderlich ist. Da Chats je nach Zielgruppe und Beratungsschwerpunkt unterschiedlich und flexibel eingesetzt werden, sollte ein System diesen vielfältigen Anforderungen Rechnung tragen. »Zu erwähnen sind hier die Möglichkeit, terminbasierte Einzel- und Gruppenchatberatung anzubieten, über Chatprotokolle Beratungsverläufe abrufen sowie Smilies, Akronyme, Textbausteine, Dokumente und Verlinkungen direkt in den Chat einfügen zu können, grafische Textauszeichnung zu ermöglichen, Hilfsmittel für eigene Aufzeichnungen (wie z. B. einen virtuellen Notizblock) und die Möglichkeit einer direkten statistischen Verarbeitung zur Verfügung zu haben« (Hintenberger, 2006, S. 11).

So kann beispielsweise auch das Angebot des Gruppenchats nach Zielgruppe und Beratungskontext variieren und unterschiedlich gestaltet werden. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den Gruppenchat anzubieten beziehungsweise einzusetzen: − moderiert oder unmoderiert, − für eine geschlossene oder für eine offene Gruppe, − Gruppenchat mit einem Experten (Themenchat). Entsprechende Steuerungs- und Moderationsfunktionen sind von daher für die Beraterinnen nötig, damit sie gegebenenfalls störende, aggressive oder beleidigende User aus dem Chat-Raum verweisen und im Notfall einen Nicknamen sperren können. Ebenso sollten die Beratenden die Rechte besitzen, weitere Beratungsfunktionen wie Flüsteroptionen, Kurznachrichten, Visitenkarten, Gastzugang je nach Kontext und Zielgruppe ein- beziehungsweise auszuschalten. Bei einem Themenchat mit ausgewiesenen Fachkräften empfiehlt es sich, dass ein Moderator im Vorfeld alle eingehenden Fragen einsehen kann, bevor diese an die Expertin durchgestellt und öffentlich gesendet

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werden. Dopplungen, unangemessene Fragen und Verstöße, zum Beispiel gegen die Chatiquette (Umgangsformen im Chat), werden damit verhindert. Auch sollte die Teilnehmeranzahl eines Chats individuell variierbar sein. Für die Online-Beratung empfiehlt es sich, dass die Beraterinnen über ein eigenes virtuelles Sprechzimmer (separater Chatroom) verfügen und zwischen einem Gruppenraum (für die Gruppenchats) und ihrem eigenem Sprechzimmer für die vertrauliche Einzelchat-Beratung wechseln können. Die rein textbasierte Chat-Kommunikation kann durch Video, Whiteboard oder einer Tonspur ergänzt und sinnlich bereichert werden (Lindauer, 2003). Ebenso kann auch ein Audio- oder Videochat den reinen Textchat ersetzen. Im Rahmen der psychosozialen Online-Beratung arbeiten allerdings die wenigsten Berater mit videogestützten Chats. Da sie den Ratsuchenden die Möglichkeit bieten wollen, anonym bleiben zu können und die Vorzüge der textbasierten Kommunikation für ihre Beratung nutzen, ist der videogestützte Chat kaum im Einsatz. So führt nach Döring (2003) gerade der Mangel an Information (Aussehen, sozialer Status, Stimmlage), den die Beratenden von den Ratsuchenden haben, zu einem positiven Effekt in der Beratungsbeziehung, da die Beraterinnen nicht durch Äußerlichkeiten des Ratsuchenden voreingenommen sind (Döring, 2003).

Anforderungen an die Foren-Beratung Die Kommunikation und Beratung in Foren sollte aus Datenschutzgründen selbstverständlich auch SSL-verschlüsselt erfolgen. Eine differenzierte Berechtigungsstruktur muss vorhanden sein, die definiert, wer unter anderem Beiträge eröffnen, einstellen, lesen, beantworten, editieren und löschen kann. Ebenso sollten Foren nach Themen und Unterthemen einteilbar sowie zeitlich begrenzbar und steuerbar sein. Moderatoren haben so die Möglichkeit, Threads (Diskussionsbeiträge) bei Bedarf zu schließen, sodass keine neuen Beiträge mehr verfasst und eingestellt werden können. Ebenso sollten Beraterinnen entscheiden können, welche Foren sie öffentlich ausweisen, also ihren Ratsuchenden zugänglich machen, und welche sie nur intern, für die eigene Kommunikation und den Austausch untereinander, nutzen möchten.

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Zugang für Ratsuchende Die im Internet abgebildete Informationsdichte führt häufig zur Desorientierung des Benutzers, hervorgerufen durch mangelhaft strukturierte und intransparente Beratungsangebote. Durch die Verknüpfung aus Webpräsenz und internetbasierter Beratung lassen sich (regionale) Angebote für alle Ratsuchenden transparent und jederzeit verfügbar im Netz darstellen. Mit der Systemlösung www.beranet.de ist es beispielsweise möglich, das virtuelle Beratungsangebot beziehungsweise die virtuelle Beratungsstelle direkt auf der eigenen Homepage einzubinden. So können auch regionale Klienten über die Beratungsstelle angesprochen und betreut werden. Ebenso ist es möglich, dass sich mehrere Beratungseinrichtungen zusammen schließen und eine virtuelle Beratungsstelle betreiben, so wie dies auch die Deutsche Aidshilfe (www.aidshilfe-beratung.de) umgesetzt hat (Bock u. Lemmen, 2007). Denkbar ist auch, dass sich mehrere einzelne Beratungsstellen auf einem gemeinsamen Beratungsportal zusammen finden, wie zum Beispiel bei dem Online-Beratungsangebot der Katholischen Bundeskonferenz der Ehe-, Familien- und Lebensberatung (www.katholische-beratung.de). So können regionale, fachlich orientierte oder bundesweite Beratungsangebote etabliert werden. Die Beratung erfolgt jedoch immer über die individuelle Beratungsstelle. Durch die modulare Struktur eines Systems, wie zum Beispiel beranet.de, kann eine virtuelle Beratungsstelle mehrfach ausgewiesen beziehungsweise verklinkt werden, sodass die Ratsuchenden vielfältige Zugangswege zur Online-Beratung erhalten.

Authentizität, Glaubwürdigkeit und Außenwirkung eines Online-Beratungsangebotes Einrichtungen, Träger, Verbände oder psychosoziale Einzelpraxen sollten ihre Webseite, über die die Online-Beratung angeboten wird, klar, übersichtlich und zielgruppenorientiert gestalten und soweit möglich, die Kriterien der Barrierefreiheit für den Internetauftritt berücksichtigen, um einen möglichst niedrigschwelligen Zugang mit hoher Reichweite für Ratsuchende zu ermöglichen. Webseiten sollten also technisch und auch sprachlich so barrierefrei wie möglich gestaltet sein, damit

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Menschen mit Behinderungen wie Sehbehinderte oder Blinde ebenso Zugang zu Informationen aus dem Netz erhalten. Denn barrierefreies Webdesign bedeutet barrierefreie Kommunikation. So können sich bei einer barrierefreien Webseite zum Beispiel Blinde die Seiten über ein entsprechendes Programm (Screenreader) vorlesen lassen. Für öffentlich geförderte Einrichtungen ist die Barrierefreiheit in Deutschland bereits Verpflichtung. Auch in Österreich und in der Schweiz gilt für die Internetseiten staatlicher Einrichtungen der Grundsatz der Barrierefreiheit. Die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem deutschen Behindertengleichstellungsgesetz (BITV) schafft hier bundesweite Grundlagen (Bundesdatenschutzgesetz 2002). Auf Landesebene regeln Gleichstellungsgesetze Näheres. Zur Ansprache der Zielgruppe über das Netz empfiehlt es sich, das eigene Beratungsprofil detailliert auszuweisen, damit die Ratsuchenden wissen, wer sie berät. Da es leider auch schwarze Schafe im Netz gibt, ist es für eine Beratungseinrichtung nur von Vorteil, wenn sie ihre Seriosität und Qualifikation durch Ausweisung des Einrichtungsnamens, Logos und Vorstellung der Mitarbeiterinnen in den Vordergrund stellt, damit sie glaubwürdig und vertrauensvoll von Ratsuchenden eingestuft werden kann. Informationen über die eigenen Beratungsangebote und -termine sollten zielgruppenorientiert auf der Webseite sichtbar sein. Den Ratsuchenden sollte allerdings die Möglichkeit gegeben werden, anonym bleiben zu können, damit sie niedrigschwellig und unter einem von ihnen selbst gewählten Nicknamen schnell und zeitnah Beratung in Anspruch nehmen können (webbasierte Beratung). Ebenso sind folgende wichtige Informationen öffentlich für die Ratsuchenden auf der Webseite des Online-Beratungsangebotes klar auszuweisen: Die eigenen Nutzungsbedingungen, das Impressum, die Reaktionszeit für die Beantwortung von Anfragen, Informationen darüber, welche Daten wie lange und zu welchem Zweck gespeichert werden, wie die Datenübertragung stattfindet und welche Risiken eventuell damit verbunden sind. Viele Beratungseinrichtungen verweisen in ihren Nutzungsbedingungen auch darauf, wie sie mit konkreten Suizidankündigungen und der Ankündigung einer Straftat umgehen, sodass Ratsuchende darüber informiert sind, wie die Beratungseinrichtung in diesem Falle reagiert. »Da wir bei der deutlich geäußerten Ankündigung einer Suizidabsicht den gesetzgeberischen Anforderungen im Hinblick auf den Tatbestand unterliegen (§ 323c

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– Unterlassene Hilfeleistung) und uns gegebenenfalls strafbar machen, wenn wir nach einer entsprechenden Ankündigung nichts unternehmen, sehen wir uns gezwungen, bei deutlich formulierter Suizidabsicht die Behörden einzuschalten. Das Gleiche gilt im Falle einer Fremdgefährdung und für die Ankündigung einer Straftat« (Gegen Vergessen – für Demokratie e. V., 2008, Online-Beratung: www. online-beratung-gegen-rechtsextremismus.de).

Detaillierte Informationen zum Datenschutz und zur Datensicherheit sind ein wesentlicher Glaubwürdigkeitsfaktor bei der Beurteilung eines Internetangebotes. So hat Waldemar Dzeyk (2006) in seiner Untersuchung Folgendes nachgewiesen: »Die höchsten Glaubwürdigkeitswerte wurden den Seiten-Varianten mit folgenden Glaubwürdigkeitshinweisen zugesprochen: ›hohe Qualifikation des Therapeuten‹, ›detaillierte Informationen zum Datenschutz und zur Datensicherheit‹, ›vollständige Kontaktinformationen‹. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass eine positive Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Online-Therapieangebotes insbesondere davon abhängt, ob die User/innen den Eindruck gewinnen, dass der Therapeut/ die Therapeutin kompetent beziehungsweise qualifiziert ist und detailliert darüber Auskunft geben kann, welche Vorkehrung er/sie zur Gewährleistung des Datenschutzes und der Datensicherheit getroffen hat, und ob die User/innen den Eindruck haben, dass ihnen vollständige Kontaktinformationen vorliegen« (Dzeyk, 2006, S. 343).

Ein Online-Beratungsangebot wird also nur dann wahrgenommen, wenn es entsprechend der Beratungsinhalte auch als vertrauenswürdig eingestuft wird. Wenzel (2006) unterstreicht diese Aussage und macht deutlich, was Dzeyk experimentell nachgewiesen hat: »[. . . ], dass entsprechend der vorher gefassten Hypothese eine Beratungsseite signifikant als vertrauenswürdiger eingestuft wird, wenn sie auf der »Datenschutz- und Sicherheitsseite« detailliertere Informationen zur Verfügung stellt und nicht nur pauschale. Demgegenüber konnte kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden, indem ein Foto auf der Startseite des Beraters angeboten wurde, obwohl in Fachkreisen häufig vermutet wird, dass ein Foto die Vertrauenswürdigkeit eines OnlineBeratungsangebots deutlich erhöhen würde« (Wenzel, 2006, S. 3).

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Beratungsdokumentation, Auswertungs- und Statistiktools Positive Erfahrungen machen Einrichtungen damit, den Ratsuchenden zu Beginn der Kontaktaufnahme die Wahlmöglichkeit zu geben, freiwillig Angaben zu ihrer Person zu machen, beispielsweise zum Alter, Geschlecht, Beratungsanlass. Diese Informationen sind für den Beratungsverlauf in der Regel sehr nützlich und können anschließend von den Beratenden dokumentiert werden. Ratsuchende sind durchaus bereit, insbesondere dann, wenn die Angaben auf freiwilliger Basis beruhen, den Beraterinnen auf diesem Weg etwas über sich und ihre Lebenssituation mitzuteilen. Wichtig ist in diesem Fall wieder, dass die Ratsuchenden über die Nutzungsbedingungen informiert werden, was mit ihren Daten geschieht und zu welchen Zwecken die Daten statistisch ausgewertet werden. Ebenso müssen sie die Nutzungsvereinbarungen akzeptieren oder ablehnen können. Hilfreich ist es, wenn Berater ihre Online-Beratungskontakte digital, das heißt mit Unterstützung von Auswertungs- und Statistiktools schnell und einfach dokumentieren und quasi per Mausklick zeitnah auswerten können. Sie erhalten damit einen differenzierten Überblick über ihre eingesetzten Beratungsressourcen, über erreichte Zielgruppen und deren Beratungsanlässe, bevorzugte Beratungsarten und Dauer des Kontaktes. Damit lassen sich wiederum passgenaue Beratungsangebote für die jeweilige Zielgruppe ableiten und weiterentwickeln. Um die Klientinnen umfassend und nachhaltig betreuen zu können, bieten einige integrierte Online-Beratungssysteme auch so genannte virtuelle Klientenmappen an. Hier werden alle Vorgänge den Klienten betreffend zusammengeführt. Beraterinnen verschaffen sich so einen schnellen Überblick, wie viele und welche Beratungen in Anspruch genommen wurden. Einige Systeme ermöglichen es darüber hinaus, nicht nur die einzelnen Online-Beratungen (wie Einzel-, Gruppenchat, Foren und E-Mail) zu erfassen, sondern zusätzlich alle Beratungsarten (auch Face-to-Face- und Telefonberatung) mit einem System zu dokumentieren und zu verwalten. So haben Berater beispielsweise die Möglichkeit, auf einen Blick zu überprüfen, ob die Klientin bereits von der Einrichtung betreut wird, wie der bisherige Beratungsverlauf war und wie viele Beratungen schon erbracht wurden. Für Beratungseinrichtungen bietet eine digitale Statistik mit Exportfunktion unter anderem folgende Vorteile:

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− Eine zeitnahe Auswertung und leistungsgerechte Dokumentation der gesamten Beratungsarbeit zur effektiven Qualitätssicherung ist gewährleistet. − Erkenntnisse über Nutzung und Effektivität der Beratung sind jederzeit abrufbar (Controlling). − Der Beratungsprozess wird durch zusätzliche Informationen über die ratsuchende Person (anonyme Zielgruppenerfassung) deutlich unterstützt. − Ein genaueres Wissen über die Zielgruppe kann als Basis für Bedarfsanalysen und Entscheidungen über weitere Angebote dienen. − Für Mittelgeber und Beratungsstellen entsteht ein klarer Mehrwert durch Zeitersparnis und Transparenz der Beratungsleistung.

Ausblick Der Einsatz spezieller Beratungssoftware kann die Online-Beratung deutlich unterstützen und die Beraterinnen bei der Beantwortung von Anfragen, Durchführung von Chats, der Dokumentation und Auswertung von Beratungskontakten wesentlich entlasten. Was die Kosten angeht, sollte sich eine Beratungseinrichtung im Vorfeld genau überlegen, welche Anforderungen sie an eine technische Lösung hat und ob es bereits Standardlösungen auf dem Markt gibt, die gegebenenfalls über ein Lizenzmodell verfügen und bei denen Anschaffungs- und Entwicklungskosten wegfallen sowie eine technische Weiterentwicklung gewährleistet ist. Die Entwicklung einer eigenen technischen Lösung für die Online-Beratung ist in der Regel sehr kostenintensiv und die Software muss häufig auf dem eigenen Server installiert werden, sodass auch regelmäßige Wartungsarbeiten anfallen, die meist von einer einzelnen Beratungseinrichtung nicht oder nur schlecht zu realisieren sind. Eine integrative Lösung beziehungsweise ein integriertes System für die Online-Beratung bietet sich hier an. Die Berater haben die Möglichkeit, je nach Zielgruppe und Beratungsschwerpunkt, unterschiedliche Beratungsangebote wie webbasierte Mail-Beratung, terminbasierte Einzelchat-Beratung, moderierte Gruppenchats und Foren-Beratung einzusetzen. Zusätzlich sollte das System noch Unterstützungstools für die Beratungsarbeit bereitstellen, beispielsweise die Möglichkeit bieten,

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Textbausteine anzulegen, sich mit den Kollegen intern und geschützt auszutauschen, Moderatorenfunktionen sowie Auswertungs- und Statistiktools zu nutzen. Durch die Einhaltung der bereits im Beitrag genannten Kriterien kann die Online-Beratung dann auf technisch hohem Niveau erfolgen und allen am Beratungsprozess beteiligten Personen die erforderliche Sicherheit bieten, damit letztlich nicht die Technik, sondern vielmehr die Beratung im Fokus steht.

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Franz Eidenbenz

Standards in der Online-Beratung Von der virtuellen zur definierten Qualität

Online-Beratung wird über das Internet abgewickelt, einem Informations- und Kommunikationsträger mit sehr widersprüchlichen Eigenschaften und Inhalten. Um die unbestrittenen Vorteile, die das neue Medium mit sich bringt, von Wildwuchs, Illegalität und Scharlatanerie abzugrenzen, sind fachlich begründete Vorgaben für psychologische Berater oder Therapeutinnen wichtig. Indem diese Fachleute Qualitätsstandards und Transparenz einhalten, kann bei ratsuchenden Menschen Vertrauen in eine effektive, neue Beratungsform aufgebaut werden. Für die Nutzer wird es dadurch einfacher, ein fachlich fundiertes Angebot zu erkennen, auch wenn letztlich dadurch Missbräuche nicht verhindert werden können. Für die Anbieter wiederum können Standards Chancen und Grenzen der neuen Beratungsform aufzeigen. Die praktisch tätige Beraterin und der Berater können dadurch eigene Grenzen erkennen und den eigenen Weiterbildungs- oder Supervisionsbedarf abschätzen, um selber fachliche Unterstützung beizuziehen. Die inzwischen zahlreich vorhandenen Qualitätsstandards im Bereich der Online-Beratung weisen auf eine schnell voranschreitende Professionalisierung in diesem Bereich hin. Eine gute Zusammenstellung von Standards aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum ist auf der Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Online-Beratung (ÖGOB) zu finden (www.oegob.net). In Deutschland bestehen Richtlinien zur Anerkennung von OnlineBeraterinnen der Deutschen Gesellschaft für Online-Beratung (DGOB, www.dg-online-beratung.de). Eine Grundausbildung im psychosozialen Bereich und eine spezifische Weiterbildung von 102 Stunden mit ähnlichen Inhalten wie im unten beschriebenen Kompetenzprofil sind hier Voraussetzung für die Anerkennung.

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Explizit ist Selbsterfahrung sowohl in Face-to-Face-Beratung als auch solche in medienbasierter Beratung Bedingung zur Anerkennung durch die DGOB. Zusätzlich werden auch die Aspekte Auftragsklärung und Contracting als wichtige Bestandteile hervorgehoben. In Österreich wurden im Jahr 2005 Internetrichtlinien für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen veröffentlicht (www.bmgfj.gv.at), die Kriterien zur Ausgestaltung der psychotherapeutischen Beratung via Internet beinhalten. In den Richtlinien werden neben der Verpflichtung zum Erwerb spezifischer Kenntnisse und Erfahrungen in der psychotherapeutischen Beratung via Internet weitere Rahmenbedingungen formuliert, die jedoch ausschließlich Psychotherapeuten betreffen. Im folgenden Artikel werden inhaltliche Standards auf drei Ebenen betrachtet, vor allem anhand von Konzeptionen, die in der Schweiz entwickelt wurden: − Kompetenzen der Online-Berater, − formale Qualität der Angebote, − integrative, inhaltliche und Prozessqualität. Die Betrachtung und der Miteinbezug der verschiedenen Ebenen sollen zum Ziel haben, die Qualität der Online-Beratung insgesamt zu fördern und den Klienten, Ratsuchenden oder Kundinnen ein kompetentes, fachlich hochstehendes Angebot zu garantieren. In der Schweiz wurden 2003 erstmals Qualitätskriterien durch den Fachverband der Schweizer Psychologen veröffentlicht. Die Kommission für Online-Beratung (KFOB) der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) hat in zwei Etappen Kriterien zur Förderung der Qualität der Online-Beratung erarbeitet. Zentrale Punkte dieser zwei Schriften sollen hier hervorgehoben werden. Das 2003 publizierte »Kompetenzprofil der psychologischen OnlineBerater« wurde durch Fachpersonen, die in diesem Bereich aktiv sind, erarbeitet (Andermatt, Flury, Eidenbenz, Lang u. Theunert, 2003). 2006 kamen »Qualitätskriterien für psychologische Angebote im Internet« (Berger, Egli, Eidenbenz, Flury-Sorgo, Lang u. Volkart, 2006) dazu. Die Kriterien haben bis heute empfehlenden Charakter und sollen von den Mitgliedern des Berufsverbandes in Selbstverantwortung respektiert werden. Auch wenn die Kriterien für Psychologinnen formuliert wurden,

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können sie für andere Berufsgruppen einen Modellcharakter haben und entsprechend adaptiert werden, wie dies zum Beispiel für das ECoaching in einer Diplomarbeit von Siegrist (2006) umgesetzt wurde.

Kompetenzprofil für Online-Berater(inn)en Um eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, wurde zu Beginn des Kompetenzprofils »Grundsätzliches zur Psychologischen Online-Beratung« formuliert und damit die »Psychologische Online-Beratung« definiert. Ziel war es dabei, eine Form zu finden, die trotz der dynamischen Entwicklung der neuen Medien ihre Gültigkeit nicht innerhalb kürzester Zeit wieder verliert. »Psychologische Online-Beratung ist eine aktive, helfende Begegnung resp. Beziehung zwischen einem/einer Ratsuchenden und einer/einem psychologischen BeraterIn. Sie findet virtuell im Internet mittels dessen spezifischen Kommunikationsformen (E-Mail, Chat, Forum etc.) statt, wobei die KlientInnen Ort und Zeitpunkt der Problemformulierungen selber bestimmen. Sie hat zum Ziel, bei den KlientInnen kognitiv-emotionale Lernprozesse anzuregen, damit die Selbststeuerungs- und Handlungsfähigkeit wieder erlangt oder verbessert werden kann. Psychologische Online-BeraterInnen stützen ihre Beratung auf anerkannte psychologisch-beraterische Methoden und halten sich an medienspezifisch erweiterte berufsethische Standards (Schweigepflicht, Datenschutz, Erkennbarkeit der Beraterkompetenz u.a.)« (Andermatt et. al., 2003).

Im Weiteren wurden im ersten Kapitel Formen der Kommunikation, des Kontakts und die Charakteristika der Psychologischen Online-Beratung beschrieben, um eine klare Ausgangslage zu schaffen. Dabei möchte ich auf einen Aspekt hinweisen, der einen wesentlichen qualitativen Unterschied zur Face-to-Face-Beratung ausmacht, da er die Beziehungsbalance zwischen Berater und Ratsuchenden mit beeinflusst: »Der Klient bestimmt den Ort, den Zeitpunkt und die Struktur der Beratung. In den meisten Fällen kann er entscheiden, ob er seine Identität bekannt geben will oder nicht. Er bewegt sich in einem spezifischen Ausdrucksraum und ist dank der Eigenheiten der virtuellen Kommunikation – im Vergleich zu herkömmlichen Beratungsformen – freier und ungehemmter im Ausdruck. Er ist in der Beziehungsund Prozessgestaltung autonomer und unabhängiger« (Andermatt et. al., 2003).

Als wesentliche qualitative Aspekte werden grundsätzliche fachliche Voraussetzungen und Erfahrungen, wie zum Beispiel »ein Jahr Erfahrung in psychologischer Face-to-face-Beratung« und »Selbsterfahrung

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in realer und virtueller Beratung« gefordert. Die Selbsterfahrung, die in herkömmlichen Beraterausbildungen eine selbstverständliche Forderung darstellt, ist sehr hilfreich für die virtuelle Beratungsarbeit. Bereits in den ersten Ausbildungskursen 2003 am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) in Zürich und im ersten Lehrgang Online-Beratung (2004) des wienXtra-instituts für freizeitpädagogik (ifp, mit anderen Kooperationspartnern) wurde auf diesen Aspekt Wert gelegt. Dabei faszinierte jeweils die Möglichkeit, zu irgendeiner persönlichen Fragestellung anschließend über einen schriftlichen Text als Antwort zu verfügen. »›Psychologische und kommunikative Skills‹, wie die Beurteilung der Indikation, Triagekompetenz, die Fähigkeit, Hypothesen zur Problematik zu bilden und, Übertragungsphänomene zu erkennen sowie konstruktiv damit umzugehen, werden als Voraussetzungen für einen fachlich kompetenten Online-Berater angesehen. Als weitere Anforderungen sind neben der Zeitrahmentransparenz das Kennen von Qualitätsstandards in virtueller Beratung und die Bereitschaft zu Intervision oder Supervision sowie kontinuierlicher Fortbildung im Bereich der Online-Beratung zu nennen. Neben den ausformulierten Rahmenbedingungen und rechtlichen Aspekten, auf die ich hier nicht eingehen werde, widmet sich ein eigener Punkt der Berufsethik im Speziellen der internetspezifischen Ethik: ›Psychologische Online-BeraterInnen sind sich bewusst, dass im Internet ethisch und juristisch relevante Grenzüberschreitungen stattfinden (wie z. B. Kinderpornografie, andere Formen sexuellen Missbrauchs, Rassismus und Aufrufe zu Gewalt). Sie praktizieren eine Kultur der Netzkommunikation, die berufsethischen Standards entspricht und welche die gesetzlichen Bestimmungen respektiert‹« (Andermatt et al., 2006).

Qualitätskriterien für psychologische Angebote im Internet Bei der 2006 erarbeiteten Publikation geht es nicht nur um Online-Beratung, sondern generell um Angebote von Psychologen im Netz. Da in der Regel die Homepage die Ausgangslage für die psychologische Beratung im Netz bildet und damit den wichtigen Ersteindruck vermittelt, soll auch diese Qualitätsstandards erfüllen. Ziel war es, Leitlinien zur Verfügung zu stellen, die Psychologinnen helfen sollen, ihre Angebote kompetent, informativ und benutzerfreundlich im Netz darzustellen (Dzeyk, 2006). Die Leitlinien beziehen sich einerseits auf die Präsentation des Angebots im Sinne eines elektronischen Praxisschildes und andererseits

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F. Eidenbenz – Standards in der Online-Beratung

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auf die psychologische Online-Beratung. Dabei muss eine Homepage mit Online-Beratungsangebot zusätzlichen Anforderungen genügen. Anbieter sollen klar identifizierbar (Name, Adresse, Telefon, E-Mail) sein. Die Berufsorganisationen, welcher die Anbieterinnen angehören, muss inklusive Link vermerkt sein. Das Angebot ist möglichst transparent im Sinne einer allgemein verständlichen Beschreibung der Angebote darzustellen und sollte realistische Zielsetzungen enthalten. Auch die fachspezifischen Kompetenzen der Anbieter, das heißt Ausbildung, Werdegang und Erfahrungen, müssen ersichtlich sein. Um einfach zu klären, ob die Kriterien erfüllt werden, wurde eine integrierte »Checkliste für Homepages von PsychologInnen« erarbeitet, die eine Selbstprüfung benutzerfreundlich ermöglicht. Analog zu den Qualitätskriterien ist sie in zwei Teile gegliedert: einerseits für Homepages und andererseits für die Erweiterung mit dem Angebot der Online-Beratung.

Qualitätskriterien für Homepages von Psychologen (Checkliste) Die Homepage enthält ehrliche, sachliche und verhältnismäßige Angaben unter Berücksichtigung von berufsethischen Grundsätzen (Tabelle 1): Tabelle 1: Checkliste 1 für Homepages 2.1. Identifikation der AnbieterInnen:

‰

Name, Adresse, Telefon, E-Mail

‰

Berufsorganisationen, welchen die AnbieterInnen angehören (inkl. Links )

‰

2.2. Transparenz des Angebots:

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Allgemein verständliche Beschreibungen der Angebote

‰

Realistische Ziele für eine Beratung

‰

2.3. Fachspezifische Kompetenzen der AnbieterInnen:

‰

Ausbildung und Werdegang

‰

Wenn Psychologinnen oder psychosoziale Institutionen zusätzlich über

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Qualitätsstandards der Online-Beratung

ihre Homepage Online-Beratung anbieten, sind weitere Kriterien zu erfüllen. Primär geht es darum, das spezifische Angebot zu beschreiben: »Die angebotenen Schwerpunktthemen sind ausführlich und allgemein verständlich dargestellt« und Kontraindikationen sollen aufgeführt werden: »Vorsicht ist bei virtuellen Beratungen v.a. bei allen akuten Krisen (Suizidalität, Gewalt etc.) geboten. Für Notfallsituationen, die einer unverzüglichen Hilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit bedürfen, sind auf der Homepage Links auf die offiziellen Notfallnummern anzugeben.«

Im Weiteren gelten als Qualitätskriterien des Angebots klar formulierte Rahmenbedingungen, Hinweise zur Vertraulichkeit und zur Daten(un-) sicherheit. Zwei weitere erwähnenswerte Punkte betreffen die Verlinkung zu anderen Webseiten: Einerseits wird auf die Wichtigkeit der Verlinkung aufmerksam gemacht, da sie den Bekanntheitsgrad erhöht und eine gute Positionierung bei Suchmaschinenergebnissen ermöglicht, und andererseits ist es selbstverständlich, dass psychologische Online-Berater nur Links aufführen, die den beschriebenen ethischen Richtlinien standhalten. Angeregt wird schließlich, auf der Homepage auch eine Beschwerdeinstanz anzugeben.

Erweiterte Qualitätskriterien für Anbieter(innen) psychologischer Online-Beratung (Checkliste) Wenn Psychologen oder psychosoziale Institutionen zusätzlich über ihre Homepage Online-Beratung anbieten, gelten außerdem folgende Kriterien (Tabelle 2 u. 3): Tabelle 2: Checkliste 2 für Homepages 3.1. Spezifische Angebote:

‰

Themen der Onlineberatung

‰

3.2. Grenzen und Kontraindikation:

‰

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F. Eidenbenz – Standards in der Online-Beratung

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Hinweis, dass Onlineberatung in akuten Krisen ungeeignet ist

‰

Notfallnummern für Krisensituationen

‰

3.3. Rahmen und Setting:

‰

Zeitrahmen für eine Antwort

‰

Kosten und Art der Bezahlung

‰

3.4.Vertraulichkeit, Schweigepflicht:

‰

Hinweis über Vertraulichkeit und Schweigepflicht

‰

3.5. Datensicherheit:

‰

Hinweis auf Risiken der Datenübertragung

‰

Maßnahmen zur Datensicherheit

‰

3.6. Gütesiegel, Qualitätsdeklaration:

‰

Hinweis auf Erfüllung der Qualitätskriterien

‰

Tabelle 3: Checkliste 3 für Homepages 5.1. Berufsordnung:

‰

Berufsordnung

‰

5.2. Links:

‰

Ethik für Links

‰

5.3. Werbeschränkung:

‰

Transparenz gewährleistet

‰

keine gesundheitsschädigende Werbung

‰

Gütesiegel oder Qualitätsdeklaration Im Jahr 2001 hat der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. ein Gütesiegel eingeführt, welches den Ratsuchenden im Internet beim Auffinden qualitativ hochwertiger Beratungen helfen soll. Es ist noch unklar und umstritten, ob sich Gütesiegel im Internet generell durchsetzen werden.

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VI

Qualitätsstandards der Online-Beratung

In der Schweiz wurde bislang ein anderer Weg beschritten, indem Psychologen im Sinne einer Selbstdeklaration aufgefordert sind, wenn sie die beschriebenen Qualitätskriterien gemäß Checkliste erfüllen, dies auf ihrer Homepage zu vermerken: »Diese Homepage erfüllt die Qualitätskriterien der FSP für psychologische Angebote im Internet.« Weiter zu erwähnen wäre, dass auch für die Informationsbeschaffung im medizinisch-sozialen Bereich ein Gütesiegel geschaffen wurde, das auf Antrag verliehen werden kann. Die 1995 gegründete Stiftung »Health On the Net« hat einen Verhaltenskodex ausgearbeitet, um die Standardisierung der im World Wide Web zur Verfügung stehenden Informationen zu unterstützen. Der »HONcode« definiert Regeln und grundlegende ethische Standards, um sicherzustellen, dass Nutzer die Quellen und grundlegenden Intentionen von Homepages kennen (www.hon.ch). Mit diesen Kriterien sind allerdings noch kaum Inhaltsund Prozessqualität definiert. Gemeinsam mit Josef Lang ist im Rahmen von verschiedenen Ausbildungskursen das Bedürfnis entstanden, ein Arbeitsinstrument zu schaffen, das der Reflexion über Online-Beratungsprozesse dient. Schritt für Schritt haben wir die im folgenden dargestellten Arbeitsunterlagen entwickelt, die wir als Qualitätssicherungsmodell (IQSM) verstehen.

Integratives Qualitätssicherungsmodell (IQSM) nach Eidenbenz und Lang Das Ziel des Modells ist es, dem angehenden oder erfahrenen Berater ein Instrument zur Verfügung zu stellen, das ein systematisches Vorgehen ermöglicht und neben inhaltlichen und beziehungsspezifischen auch unbewusste Aspekte mit einbezieht. Der Beratungsprozess kann dabei in fünf Phasen reflektiert werden. Im Ausbildungssetting haben wir noch einen weiteren Schritt integriert. Die Kursteilnehmerinnen schätzen sich dazu nach einer formulierten Frage selbst ein. Mit integrativ ist gemeint, dass verschiedene Therapie-/Beratungsansätze ins Modell eingegangen und die Beratungsschritte in einen Prozessablauf eingebunden sind. Vor allem den lösungsorientierten, den systemischen und den kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansatz erachten wir als geeigneten

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F. Eidenbenz – Standards in der Online-Beratung

Ausgangspunkt für eine reflektierte Online-Beratung. Vor diesem Hintergrund sind Fragen zu den Ressourcen und zum Kontext besonders bedeutungsvoll. Der beratenden Fachperson soll in der ersten Phase bewusst werden, welche Informationen ihr für eine Antwort zur Verfügung stehen und welche nicht.

Erste Phase Die Anfrage des Ratsuchenden wird mittels untenstehendem Fragebogen eingeschätzt (Tabelle 4). Fragen zur virtuellen Beziehungsgestaltung, zum Leidens- oder Problemdruck sind formuliert und werden mittels Skalen eingestuft. Die Emotionalität des Ratsuchenden und auch des Beraters und die Projektionen des Ratsuchenden werden eingeschätzt, um eine erweiterte Reflexionsbasis zu schaffen. Damit können Übertragungsphänomene mit einbezogen werden, die bei der Online-Beratung eine ebenso wichtige Rolle spielen können, wie im Face-to-Face-Setting. Der konstruktive Umgang mit den unbewussten Anteilen muss als wesentlicher Qualitätsfaktor mitberücksichtigt werden. Insofern sind auch Super- und Intervision, die in den Richtlinien gefordert werden, bedeutungsvoll. Das Modell kann auch in diesem Zusammenhang nützlich sein.

Einschätzungen des Ratsuchenden Die folgenden Skalen sollen die Beraterin bei ihrer Einschätzung und der präzisen Erfassung der Fragestellung unterstützen. Die Beraterin soll sich ihrer emotionalen Reaktionen (oder auch dem Ausbleiben derselben) und der Frage bewusst sein, welche Informationen über die Klientin vorliegen und welche nicht. Tabelle 4: Einschätzung des Ratsuchenden Felder 1–4 ankreuzen

1

Emotionalität Welche Emotionen nehme ich wahr? Qualität der Gefühle?

nüchtern

2

3

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4 emotional

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Nähe oder Distanz Wie nahe oder distanziert erlebe ich das virtuelle Gegenüber? (Anrede, Formulierungen) Dringlichkeit Wie dringlich ist die Anfrage? Problemdruck/Leidensdruck Wie hoch schätze ich den Druck ein? Fragestellung Wie verständlich, klar, diffus ist die Frage? Informationen zur Person Wie viele Informationen bekomme ich zur Person? Geschlecht, Stand, Arbeit, Funktion? Informationen zum Kontext Wie viele Hinweise bekomme ich zum Umfeld? Ressourcen Hinweise zu Ressourcen und wie schätze ich sie ein? Projektion Erwartungen und Projektionen des Klienten Eignung Setting Schätze ich die Frage als geeignet für Online-Beratung ein?

Qualitätsstandards der Online-Beratung

distanziert

nahe

niedrig

hoch

niedrig

hoch

diffus

klar

wenige

viele

wenige

viele

niedrig

hoch

niedrig

hoch

wenig

gut

Die Frage zur Eignung des Settings ist ein wesentliches Qualitätskriterium. Diese Einschätzung muss über das weitere Vorgehen mitentscheiden. Sie ist auch abhängig von der Erfahrung des Beraters.

Zweite Phase In diesem zweiten Schritt entwirft die Beraterin einen Plan, wie die Anfrage oder allenfalls auch weitere Anfragen, beantwortet werden können. Dabei geht es nicht darum, dass die Beraterin genau dem unten beschriebenen Vorgang folgen muss. Vielmehr soll sie sich zu den

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einzelnen Punkten Gedanken machen und sich bewusst eine Strategie zurechtlegen. Vor allem bei unerfahrenen Beraterinnen besteht ein Problem darin, dass sie auf jede formulierte Frage eine Antwort schreiben möchten. Obwohl die Ausführlichkeit grundsätzlich geschätzt wird (Gehrmann u. Klenke, 2008), bestimmen sie allein jedoch nicht die Qualität. Notwendig ist es, einen Hauptaspekt (Fokus) zu finden und herauszugreifen, auf den der Berater eingehen möchte, um die Antwort zu verdichten. Das bedeutet auch, dass andere Punkte in den Hintergrund treten müssen und nur angeschnitten oder weggelassen werden. Die Antwort soll Ressourcen mitberücksichtigen, eine neue Perspektive eröffnen, Sachinformationen liefern und ein weiterführendes Angebot enthalten.

Strategie Online-Berater Folgende Fragen sollen helfen, einen Vorgehensplan und eine Systematik bei der Beantwortung der Fragestellung zu entwickeln: 1. Fokus: Welches ist der Hauptpunkt, auf den ich achten möchte? 2. Priorität: Welchen Aspekt oder Punkt werde ich nicht prioritär berücksichtigen oder weglassen? 3. Ressourcen: Was will ich positiv verstärken? 4. Informationen: Welche Sachinformationen möchte und kann ich vermitteln? 5. Perspektive: Welche weiterführenden Fragen könnte ich formulieren? 6. Angebot: Welche Angebote empfehle ich (Mail, Links, Adressen etc.)?

Dritte Phase Nach der Beantwortung der Anfrage, aber noch vor dem Versenden der Antwort, ist es sinnvoll, sich mit untenstehenden Fragen auseinanderzusetzen. Es kann auch sinnvoll sein, diese Fragen am Ende eines längeren Mail-Dialogs zu beantworten, um den Beratungsfall als Ganzes einzuschätzen (Tabelle 5). Der erste Teil reflektiert die Belastung des Beraters, der zweite Teil den Beratungsprozess und er schafft damit eine Ausgangslage für die

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Qualitätsstandards der Online-Beratung

Förderung der Selbststeuerung des Beraters. Dabei werden auch Abgrenzungsfragen und die Psychohygiene thematisiert. In diesem Zusammenhang skaliert der Berater Fragen zur subjektiven Belastung, Übertragung, Antwortlänge, Zufriedenheit und Selbstsicherheit.

Reflexion des Beraters Es handelt sich um ein Refl exionsinstrument zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung der eigenen Beratungs- und der Prozesskompetenz. Tabelle 5: Reflexion des Beraters Felder 1–4 ankreuzen

1 2 Intensität/Belastung einfach

3

Anforderung Routineantwort – große Herausforderung Belastung wenig Fragestellung belastend für Berater Gegenübertragung wenig eigene Emotionen Gedanken über negativ Ratsuchenden Selbsteinschätzung zu kurz genau richtig Länge meiner Antwort niedrig Zufriedenheit Einschätzung Beratungsprozess nie Klient meldet sich wieder – online Klient meldet sich wieder – Telefon Klient kommt oder geht in Face-to-Face-Beratung Selbstsicherheit Super-/Intervision Gerne hätte ich diesen Fall in der Supervision oder mit einem Kollegen besprochen. – Ich habe mich bei der Antwort kompetent und selbstsicher gefühlt.

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4 schwierig

sehr intensiv positiv

zu lang hoch sicher

Selbstkompetenz

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F. Eidenbenz – Standards in der Online-Beratung

Welche Aspekte waren für mich am wichtigsten? Worauf bin ich eingegangen und worauf nicht? Warum diese Gewichtung?

Vierte Phase Dieser Feedbackfragebogen (Tabelle 6) wurde im Ausbildungssetting oft angewendet, vor allem weil er mit der angeregten Beratungsstrategie verknüpft ist. Gleichzeitig ist er eine gute Möglichkeit, den Beratungsprozess in der Praxis in einer Kurzform zu evaluieren, um für die weitere Beratungsarbeit daraus zu lernen. Dabei war es uns wichtig, eine Frage zu formulieren, die sozusagen den Tonfall oder paraverbale Anteile mitberücksichtigt. Da in vielen Settings die Online-Beratung als Einstieg für eine Faceto-Face-Beratung genutzt wird, ist die Frage nach der Weiterführung des Kontakts auch auf einer anderen Ebene für einen zukünftigen Beratungserfolg bedeutungsvoll und wichtig.

Feedback des Klienten »Lieber Ratsuchender, Sie haben von unserer Online-Beratung Gebrauch gemacht und konnten Erfahrungen mit einer noch relativ neuen Beratungsform sammeln. Wir möchten aus Ihren Erfahrungen lernen und bitten Sie deshalb folgenden Fragebogen zu beantworten und zu retournieren. Besten Dank für Ihre Mitarbeit« Tabelle 6: Feedback des Klienten Felder 1–4 ankreuzen

1 sehr

2

3

Mit der Beratung bin ich grundsätzlich zufrieden.

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4 wenig

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Qualitätsstandards der Online-Beratung

sehr

wenig

sehr

wenig

sehr

wenig

sehr

wenig

sehr

wenig

sehr

wenig

ja

nein

Der Berater/die Beraterin hat mein Anliegen verstanden. Der Berater/die Beraterin nahm meine Frage ernst. Die Beratung war hilfreich zur Klärung meines Anliegens. Die Antwort hat mir eine neue Perspektive ermöglicht. Erkenntnisse konnte ich in meine Praxis umsetzen. Der Berater/die Beraterin hat die richtigen Worte gewählt, den richtigen Tonfall getroffen. Bei diesem Berater/dieser Beraterin würde ich mich wieder melden. online Telefon Face-to-Face-Beratung Weitere Rückmeldungen:

Fünfte Phase Folgende Aussagen dienen der Förderung der Beratungsqualität und der Entwicklung der Beratungskompetenz. Sie sollen selbstreflexiv Korrekturen des Vorgehens anregen und sind somit als Herausforderung für eigene Lernprozesse gedacht.

Evaluation der Beraterin/des Beraters Als Online-Berater ziehe ich folgende Konsequenzen aus den Rückmeldungen und meiner Erfahrung:

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F. Eidenbenz – Standards in der Online-Beratung

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1. Ich achte in Zukunft noch mehr darauf, dass . . . 2. Ich werde zusätzlich bedenken, dass . . . 3. Ich werde es unterlassen, . . . 4. Ich nehme mir vor, . . . 5. Ich habe gelernt, . . . Das beschriebene Modell soll die Online-Beraterin darin unterstützen, Beratungskompetenz permanent weiterzuentwickeln und die Lernmöglichkeiten in der Zusammenarbeit mit den Ratsuchenden zu nutzen.

Fazit und Ausblick Die vorgeschlagenen Qualitätsstandards umfassen drei Aspekte, welche die inhaltliche Qualität der Online-Beratung sichern sollen. Damit wurden Grundlagen für eine weitere Diskussion von Qualitätsmerkmalen geschaffen. Online-Beratung ist nach wie vor eine relativ junge Disziplin und wird in sehr unterschiedlichen institutionellen und privaten Rahmenbedingungen durchgeführt. Die berufspolitischen und gesetzlichen Voraussetzungen führen zu unterschiedlichen Entwicklungen des neuen Berufsfeldes, die auch die Qualitätsstandards mit beeinflussen. Hinzu kommt, dass aufgrund der hoch dynamischen Entwicklung die Zukunft der neuen Medien schwer abschätzbar ist. Verschiedene Technologien werden zunehmend miteinander verknüpft werden, sodass sich in Zukunft Ratsuchende jederzeit und überall mittels Schrift, Bild und Ton synchron oder asynchron beraten lassen können. Die Erlebnismöglichkeiten in virtuellen Welten führen möglicherweise dazu, dass das Angebot der Online-Beratung auch direkt in diesen Welten zu finden sein wird. Aktuelle und zukünftige Forschung sowie die Entwicklungen der Mediengesellschaft als Ganzes müssen bei der weiteren Diskussion von Qualitätsstandards der Online-Beratung mit berücksichtigt werden, um wirksame und qualitativ hochstehende Formen der Online-Beratung zu fördern.

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Qualifizierung für Online-Beratung

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Stefan Kühne

Aus- und Weiterbildung in der Online-Beratung

Vorbemerkungen Wie die in diesem Band versammelten Beiträge zeigen, hat sich die Online-Beratung in den letzten zehn Jahren zu einem eigenständigen Feld der Beratung entwickelt. Dies ist parallel zu den bestehenden Beratungsangeboten geschehen, die Online-Beratung hat diese damit nicht verdrängt, sondern vielmehr ergänzt. Zahlreiche Beratungsstellen arbeiten erfolgreich mit unterschiedlichen Zielgruppen und die theoretische Fundierung dieser Form der Beratung schreitet ebenso voran, wie die wissenschaftliche Wirkungsforschung zur Online-Beratung. Wie sieht es hingegen in den Bereichen der Aus- und Weiterbildung für die beratenden Berufe aus? Es kann festgestellt werden, dass das Thema Online-Beratung bislang nur sehr zögerlich Einzug in die verschiedenen Lehrpläne der Ausbildungen und Studiengänge gefunden hat. Auch auf dem freien Markt der Bildungsanbieter sind spezifische Weiterbildungsangebote bisher nur spärlich vorhanden. Zwar finden immer wieder einzelne Seminare oder Module im Rahmen eines Studiums statt, größere Ausbildungseinheiten, wie sie seit 2008 an der Georg-Simon-Ohm Hochschule in Nürnberg entwickelt werden, sind an den Universitäten und Fachhochschulen allerdings noch selten. Im Bereich der innerbetrieblichen Weiterbildung gibt es dagegen schon viele Beispiele, so haben zum Beispiel die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (www.bke.de), die Katholischen Ehe-, Familienund Lebensberatungsstellen (www.katholische-eheberatung.de) und die Kinderschutz-Zentren (www.kinderschutz-zentren.org; Reiners, 2005) schon seit vielen Jahren Weiterbildungen für ihre Mitarbeiter entwickelt, um sie für die Arbeit im Feld der Online-Beratung zu qualifizieren. In den im Jahr 2007 beschlossenen Rahmenbedingungen für Online-

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VII

Qualifizierung für Online-Beratung

Beratung der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen (KBK-EFL) gibt es einen ausführlichen Abschnitt zu den Anforderungen zur Fortbildung in Internetberatung, der exemplarisch die Bandbreite und Voraussetzungen beschreibt, die qualifizierte Mitarbeiter für die Online-Beratung haben sollen. »Die Beratungsleistungen im Internet von Beratungsstellen der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung werden nur von nach diesen Anforderungen zur Fortbildung in Internetberatung qualifizierten Berater(inne)n angeboten« (www. katholische-eheberatung.de).

Einzelne Angebote in der Aus- und Weiterbildung haben Vorbildfunktion, wie zum Beispiel das seit vielen Jahren bestehende Portal von Josef Lang in der Schweiz (www.onlineberatungen.com) oder auch der Lehrgang [online.beratung] am wienXtra-institut für freizeitpädagogik in Wien (www.ifp.at). In Deutschland existieren ebenfalls mit dem von Birgit Knatz und Bernhard Dodier geleiteten Institut für OnlineBeratung (www.schreiben-tut-der-seele-gut.de) und dem Ausbildungskonzept von Firmen wie Learnconnect (www.learnconnect.de) gute Beispiele. Sie zeigen, dass sowohl im Non-Profit-Bereich wie auch im kommerziellen Bildungsmarkt die ersten Angebote verfügbar sind.

Online-Trainer/E-Coach/Online-Beraterin Verschiedentlich wurde bereits auf die Nähe der Kompetenzen von Online-Trainerinnen zu den geforderten Kompetenzen von OnlineBeraterinnen hingewiesen (Kühne, 2005; Geißler, 2008). Beide Arbeitsbereiche haben überwiegend mit textbasierter Kommunikation zu tun. So sind zum Beispiel die Fähigkeiten, einen Chat oder ein Forum moderieren zu können, und auch das Wissen um die besonderen Strukturen der virtuellen Gruppendynamik für beide Arbeitsbereiche sehr wichtig. Dadurch, dass E-Learning bereits seit vielen Jahren angewendet wird, gibt es hier einen fachlichen Vorsprung in Theorie und Praxis, den sich die Aus- und Weiterbildung für Online-Beratung nutzbar machen kann. Klassiker des E-Learnings wie zum Beispiel das Modell der E-Moderation von Gilly Salmon (2000) können nicht zuletzt für die Foren-Beratung eine wichtige Basis der Moderation sein. Andere Konzepte, wie E-Tutorinnen-Ausbildungen, können gut in Workshops und Seminare für angehende Online-Beraterinnen integriert werden, denn die Theo-

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S. Kühne – Aus- und Weiterbildung

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rie und Praxis der Online-Kommunikation, wie sie für die E-Tutoren entwickelt und angewendet wird, ist für Online-Berater als Handwerkszeug sehr nützlich (Rautenstrauch, 2001; Busch u. Mayer, 2002). So lesen sich zum Beispiel die Basisqualifikationen, die Tele-Tutoren nach Rautenstrauch (2001) haben sollten, wie eine Beschreibung der Kompetenzen, die auch von Online-Beraterinnen verlangt werden: »Zu den Kommunikationskompetenzen für Tele-TutorInnen sind im Einzelnen zu zählen: Die Kommunikation mittels der verschiedenen Kommunikationsdienste, das Wissen über Merkmale, Besonderheiten und Potenzial asynchroner und synchroner Kommunikationsmöglichkeiten im Netz sowie deren angemessene Handhabung, im Hinblick auf deren Kommunikationsfunktion und sozialen Besonderheiten. Das Wissen über Normen und Regeln der Netzkommunikation (Netiquette) und die spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten computervermittelter Kommunikation« (Rautenstrauch, 2001, S. 83).

Natürlich können diese Kompetenzen nur als Grundlage gesehen werden, eine Ausbildung in einem beratenden Beruf ist die andere wichtige Voraussetzung, um als Online-Beraterin arbeiten zu können.

Konzeptionierung von Weiterbildungen für Online-Beraterinnen Wie bei jeder Planung von Bildungsangeboten im Bereich der Erwachsenenbildung ist es auch bei spezifischen Fortbildungsangeboten für die Online-Beratung zunächst wichtig, den Bedarf zu erheben und daraufhin ein Ziel für die Weiterbildung zu formulieren. Darüber hinaus ist zu beachten, für welche Zielgruppe und/oder für welche Beratungsstelle das Angebot geplant wird. Eine Weiterbildung für eine Beratungsstelle, die nur webbasierte E-Mail-Beratung anbietet beziehungsweise anbieten möchte, wird in Teilen anders konzeptioniert sein als für eine andere Stelle, die ihr Angebot nur auf den Bereich der Einzelchat-Beratung fokussiert. Der im Jahr 2003 in Wien entwickelte Lehrgang [online.beratung] hatte dazu im Vorfeld eine Erhebung unter Online-Beraterinnen durchgeführt, um neben der Theorie auch ein möglichst praxisnahes Curriculum zu entwickeln. Nach dem Pilotlehrgang 2004 konnten die sieben Module erfolgreich bis ins Jahr 2007 fortgeführt werden. Die insgesamt

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VII

Qualifizierung für Online-Beratung

160 Unterrichtseinheiten des Lehrgangs verteilten sich dabei auf diese Themen: 1. Psychologie des Internets, 2. Online-Kommunikation, 3. Online-Beratung (E-Mail, Chat, Foren), 4. Rechtliche Voraussetzungen für Online-Beratung, 5. Technische Voraussetzungen für Online-Beratung, 6. Projektmanagement, 7. Qualitätsmanagement. Damit ist ein breites Spektrum an Themen benannt, die für die Qualifizierung von Online-Beraterinnen eine Rolle spielen. Neben den Besonderheiten der Sozialpsychologie des Internets (Döring, 2003) sind es vor allem die Themen Online-Kommunikation und Online-Beratung, die wichtige Kompetenzen für die Beratungsarbeit vermitteln. Dabei können die Ausbildungsinhalte gut aufeinander aufbauen, denn eine Erweiterung der Kompetenzen in der Online-Kommunikation ist für die Arbeit in Online-Beratungskontexten eine Grundvoraussetzung. Je nach Vorwissen der Teilnehmerinnen wird es mehr oder weniger nötig sein, auch Bereiche des Projektmanagements und der Qualitätssicherung in der Konzeptionierung zu bedenken. Sehr wichtig ist es, Fragen nach rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären (Haftung, Datenschutz) und auch die technischen Grundlagen von Online-Beratung in Form von Seminaren und Workshops aufzubereiten und als qualifizierende Maßnahme anzubieten. Im rechtlichen Bereich gibt es noch eine Vielzahl an Grauzonen und Beratungsstellen sollten sich bei diesen Fragen absichern. Bei technischen Grundlagen für Online-Beratung sollten sowohl die Tools, mithilfe derer beraten werden soll (z. B. eine Beratungsplattform), als auch die Funktionsweise des Internets behandelt werden. Bei der Planung einer Weiterbildung zur Online-Beratung ist es zudem wichtig, dass schon im Vorfeld der Planung überlegt wird, mit welchen Widerständen bei den Teilnehmern gerechnet werden muss, sodass diese Hürden gut vorbereitet genommen werden können (Gerö, 2008). Denn durch die Kombination der Technik (Computer, Internet, Tools) mit dem Fachwissen der Beratungsarbeit kann es bei manchen (zum Teil auch sehr erfahrenen) Beratern zu Unsicherheiten kommen, ob denn die Herausforderung des neuen Mediums gemeistert werden kann. Diese Unsicherheiten können in der Weiterbildung in Form ei-

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nes Widerstandes von Teilnehmerinnen oder auch der ganzen Gruppe sichtbar werden.

Sinnvoller Einsatz von E-Learning-Einheiten Viele der oben genannten Weiterbildungsangebote haben neben den klassischen Seminarangeboten des Face-to-Face-Trainings auch Komponenten des E-Learnings in ihre Angebote integriert. Diese BlendedLearning-Konzepte haben sich als sinnvoll erwiesen, denn neben den Themen, die im Seminarraum gut vermittelt werden können, hat sich gezeigt, dass es für die Teilnehmerinnen eine wichtige Lernerfahrung ist, sich in virtuellen Räumen zu bewegen (z. B. auf einer virtuellen Lernplattform) und auf die im Rahmen des Lehrgangs geschriebenen Probeantworten auf E-Mail-Anfragen ein direktes Feedback der anderen Teilnehmer und der Trainer zu bekommen. Auch die Moderation eines Beratungschats oder eines Beratungsforums kann mithilfe einer Lernplattform praxisnah trainiert werden. Durch diese Einbindung von virtuellen Lernräumen kann die Praxis des Schreibens in Beratungskontexten ausprobiert werden. Die Teilnehmerinnen haben außerdem die Möglichkeit, sich im geschützten Rahmen der Weiterbildung über ihre Erfahrungen auszutauschen, wie etwa zu der Wirkung von Texten der Klienten auf die Beraterinnen (und umgekehrt) oder auch zu den Themen Projektion, Zeitgefühl und NäheDistanz-Empfindungen. Tabelle 1 zeigt das Verhältnis der Präsenzseminare zu den Unterrichtseinheiten, die über eine Lernplattform abgewickelt werden, am Beispiel des Kurzlehrgangs Online-Beratung (Wien, 2008/2009). Deutlich wird dabei, dass es in den Bereichen Online-Kommunikation und Online-Beratung eine starke Verlagerung des Unterrichts auf eine Lernplattform (Moodle) gibt. Durch diese Gewichtung wird eine hohe Praxisrelevanz erreicht, denn die Teilnehmerinnen sind damit automatisch Teil einer virtuellen Community und können auf einer Metaebene reflektieren, was die Besonderheiten einer virtuellen Gruppendynamik sind. Diese Erfahrung hat sich als hilfreich erwiesen, um die psychologischen Eigenschaften der Online-Kommunikation besser verstehen zu können.

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VII

Qualifizierung für Online-Beratung

Tabelle 1: Kurzlehrgang Online-Beratung 2008–2009 Unterrichtseinheiten

davon Präsenz

Einführung Online-Beratung

11 UE á 50 Min.

11 UE

Kommunikation online

31 UE á 50 Min.

8 UE

23 UE

Theorie und Praxis der OnlineBeratung

48 UE á 50 Min.

28 UE

20 UE

Rechtliche Grundlagen

4 UE á 50 Min.

4 UE

Qualitätssicherung

8 UE á 50 Min.

8 UE

Module

Gesamt

102 UE

59 UE

davon online

43 UE

Textkompetenz und Kontextkompetenz Online-Beratung ist eine Beratungsform, die in den allermeisten Fällen schriftbasiert abläuft, akustische (z. B. VoIP) oder optisch unterstützte Online-Beratungsangebote (z. B. Video-Chat) gibt es wenige. Als eine wichtige Voraussetzung für Online-Berater kann daher der souveräne Umgang mit Schriftsprache formuliert werden. Die Fähigkeit, eigene Gedanken klar und prägnant zum Ausdruck bringen zu können, ist dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, mit den Texten anderer verständnisvoll umgehen und darauf reagieren zu können. Es ist noch keine Qualifikation für Online-Beratung, wenn jemand seit vielen Jahren im Berufsalltag mit E-Mails arbeitet und daher glaubt, dass er dadurch die Befähigung erlangt hat, auch E-Mail-Beratung anbieten zu können. Dazu braucht es mehr: etwa das Wissen um eine theoretische Fundierung der Online-Beratung (s. dazu die Beiträge von Brunner und Benke in diesem Band) und die Kenntnis über unterschiedliche Medien und Methoden (s. dazu die Teile III und IV in diesem Band). Aus den Rückmeldungen von Teilnehmerinnen verschiedener Lehrgänge hat sich herauskristallisiert, dass es eine wichtige Lernerfahrung war, im Rahmen der Lehrgangsgruppe Feedback auf die eigenen Texte zu bekommen. Oftmals konnte beobachtet werden, dass die Einschätzungen zu der Wirkung eigener E-Mails sehr weit von dem entfernt

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S. Kühne – Aus- und Weiterbildung

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lagen, was der Autor beim Schreiben der Nachricht intendiert hatte. Diese Feedbackübungen dienen dazu, das Bewusstsein für die eigenen geschriebenen Texte zu stärken und sich der möglichen Wirkungen, die Texte sowohl beim Empfänger als auch beim Sender auslösen können, klarer zu werden. Eine weitere Kompetenz, die sich in Fortbildungen für OnlineBeraterinnen findet, ist die Kontextkompetenz. Zu dem Kontext einer Nachricht (z. B. in einem Beratungsforum) gehört etwa die Beoachtung, wann der Beitrag geschrieben wurde (Tag, Uhrzeit), ob der Nickname des Users vielleicht schon etwas über den User aussagt und ob der User schon in anderen Kontexten im Forum aufgefallen ist (vielleicht ist es jemand, der schon in anderen Beiträgen Fragen gestellt hat oder unterstützend tätig gewesen ist, wie es bei der Peer-to-Peer-Beratung oft zu beobachten ist). Dazu ist es auch nötig, den Stil des Textes wahrzunehmen und Formatierungen oder andere schriftsprachliche Besonderheiten zu registrieren. Ohne aus diesen Kontexten zu viel Informationen herauslesen zu wollen (und damit unter Umständen zu viel zu projizieren), können sie doch dazu dienen, sich ein Bild beziehungsweise einen Eindruck von dem User zu machen, der die Anfrage gestellt hat. Als Kontextkompetenz gilt auch das Wissen über Besonderheiten der einzelnen Beratungsmedien. So können bei zeitversetzten (asynchronen) Kommunikationsformen, wie bei der Mail-Beratung, oftmals Stunden oder sogar Tage zwischen dem Verfassen der Nachricht durch den Klienten und dem Lesen der Nachricht durch den Berater vergehen. Es liegt dem Berater also ein sprachlicher Ausdruck des Klienten vor, der mit der aktuellen Situation, in der sich der Klient befindet, nicht mehr ident sein muss. Dies gilt es bei der Antwort mit zu berücksichtigen, die Anfrage der Klientin muss also innerhalb eines Kontexts betrachtet werden.

Einschulung und Technik Neben der Methodik der Online-Beratung ist es für Beraterinnen notwendig, sich gut mit der Technik auszukennen, die für die Beratung eingesetzt werden soll. So kann es sein, dass sich ein Klient über einen anderen Kommunikationskanal (z. B. Telefon oder E-Mail) meldet, weil er

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VII

Qualifizierung für Online-Beratung

ein technisches Problem hat, den Beratungschat zu betreten. Hier sollte der Berater Unterstützung anbieten können. Die jeweiligen Anbieter von Beratungssoftware bieten aus diesem Grund zu den Produkten Einschulungen und fortlaufenden Support an. Eine Beratungssoftware ist ein nicht unwesentlicher Teil des Beratungssettings und die Verantwortung für die Auswahl, Gestaltung und Funktionsweise des Settings liegt bei der Beraterin beziehungsweise bei der jeweiligen Institution, die Online-Beratung anbietet.

Ausblick Es sei festgehalten, dass die Aus- und Weiterbildung für Online-Beraterinnen in einem professionellen Beratungskontext stets eine Grundausbildung der Berater voraussetzt. So ist es sinnvoll, wenn sich Sozialarbeiter, Psychotherapeutinnen und Psychologen sowie andere beratende Berufe, basierend auf dem gelernten Fachwissen zur Beratung, mit den besonderen Möglichkeiten und Methoden der Online-Beratung durch Weiterbildungen vertraut machen. Während einerseits die im Studium behandelten Theorien und Beratungskonzepte nur bedingt auf die Online-Beratung übertragen werden können, so bleibt es doch wichtig zu bemerken, dass es auch für die Online-Beratung ein professionelles Setting für die Arbeit mit Klienten braucht: »KundInnen von Online-Beratung sind im Kontakt ebenso zu respektieren und wertzuschätzen wie Kontakte via Telefon oder Face-to-Face-Kontakte. Nur weil die Anfragenden nicht sichtbar und hörbar sind, sondern sich ›nur‹ online, digital und virtuell an eine Beratungsstelle wenden, sind diese Anfragen und die Absender dennoch absolut gleichwertig zu behandeln. Online-Beratung ist eine reale Beratung im virtuellen Raum« (Kühne, 2006, S. 5).

Die Deutsche Gesellschaft für Online-Beratung (DGOB) hat aus gutem Grund in den Richtlinien zur Anerkennung als Online-Beraterin DGOB festgeschrieben, dass die Bereitschaft zur fortlaufenden Weiterbildung vorausgesetzt wird (www.dg-online-beratung.de). Sich rasch verändernde technische Möglichkeiten und fortschreitende methodische Entwicklungen werden den Bereich der Online-Beratung auch in den nächsten Jahren nachhaltig verändern. Online-Beraterinnen sind aufgefordert, sich diesen Veränderungen zu stellen und mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten. Wie schwer dies sein kann, zeigt

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S. Kühne – Aus- und Weiterbildung

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das Beispiel der E-Mail-Beratung, denn immer noch wird von vielen Beratungsstellen Beratung unverschlüsselt angeboten, wo webbasierte und verschlüsselte E-Mail-Beratung schon lange Standard sein sollte. Derzeit gibt es noch kein vom Gesetzgeber geschütztes Berufsbild Online-Berater/Online-Beraterin und es ist fraglich, inwieweit sich Gütesiegel und Zertifizierungen durchsetzen werden. Der Markt ist sehr unübersichtlich und unseriöse sowie fachlich nicht ausreichend qualifizierte Online-Beratungsangebote sind auch im deutschsprachigen Raum anzutreffen. So ist es für Klienten zunehmend schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen, da von der esoterischen Energieberatung online bis hin zur professionellen Paarberatung jedes Angebot nur einen Mausklick entfernt ist und die Qualität auf den ersten Blick oftmals nur schwer einzuschätzen ist. Doch diese unseriösen Beispiele dürfen nicht abschrecken, sie machen vielmehr deutlich, dass sich die Ausbildungsträger (z. B. Universitäten, Fachhochschulen) und Weiterbildungsanbieter dem Themenfeld der Online-Beratung stärker annehmen müssen. Der steigenden Nachfrage nach professioneller Beratung im Internet muss Rechnung getragen werden. Dies kann am besten dadurch geschehen, dass es gute Qualifizierungsmöglichkeiten gibt, die Mitarbeiterinnen auf die spannende Arbeit als Online-Beraterinnen vorbereitet.

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Die Autorinnen und Autoren

Claudia Beck, Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (FH), war zunächst in der Jugendbildungsarbeit und ist seit Anfang 2007 im Ambulanten Betreuten Wohnen tätig. Diplomarbeit zum Thema E-Mail-Beratung suizidaler Jugendlicher & Metaphernanalyse (2006). Karlheinz Benke, Mag. Dr. MAS, ist Reformpädagoge, zertifizierter Berater online und offline (Supervisor, Coaching, Organisationsberatung, Wirtschaftsmediation), Sozialzentrumsleiter und Trainer. Lehraufträge »Online-Beratung« bzw. »Lebensraum Virtualität – Virtuelle Räume«. Redaktionsmitglied e-beratungsjournal.net. Autor: »Online-Beratung und das Ich: Bild, Bilder und Abbilder im virtuellen Raum« (2007). Werner Bock, Diplom-Sozialpädagoge (FH), systemischer Berater und Therapeut, ist fachlicher Leiter der virtuellen Beratungsstelle www.aidshilfe-beratung.de. Alexander Brunner, Dr., Studium der Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Geschichte sowie Kommunikationswissenschaften in Klagenfurt und Wien, ist Berater und Trainer, Fachbereichsleiter Jugend bei wienXtra und Obmann der Österreichischen Gesellschaft für Online-Beratung (ÖGOB). Forschungsschwerpunkte im Bereich Geschichte der Sozialpädagogik, Bildungssoziologie, Beratungstheorie, Online-Kommunikation und Online-Beratung. Nicola Döring, Dr. phil. habil., Studium der Psychologie, Promotion und Habilitation in Berlin, Tätigkeit an verschiedenen Universitäten, ist Professorin für Medienkonzeption und Medienpsychologie an der Technischen Universität Ilmenau. Arbeitsschwerpunkte: Psychologische und soziale Aspekte der Onlineund Mobilkommunikation, Lernen und Lehren mit neuen Medien, Forschungsmethoden und Evaluation. Christiane Eichenberg, Dr. phil., Diplom-Psychologin, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie der Universität Köln. Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin mit tiefenpsychologischem Schwerpunkt am Institut für Psychotherapeutische Forschung, Methodenentwicklung und Weiterbildung in Köln. Forschungsschwerpunkte: Klinische und sozialpsychologische Aspekte des Internet. Lehr-, Forschungs- und Publikationstätigkeit. Franz Eidenbenz, lic. phil., Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, ist in eigener psychologisch-psychotherapeutischen Praxis in Zürich und Affoltern a. A. tätig und gilt als Experte für Online-Sucht und für psychologische Fragen im Zusammenhang mit neuen Medien. 2001 Studie zu konstruktivem vs. problematischem Internetverhalten in der Schweiz (in Kooperation mit der Humboldt Universität Berlin).

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Emily Engelhardt, M. A., Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie in Kiel, ist Leiterin der kids-hotline, verantwortlich für die Beratungsstelle und Hochschulkooperationen. Seit 2008 Lehrtätigkeit an der Georg-Simon-OhmHochschule Nürnberg. Sandra Gerö, Mag., ist Klinische und Gesundheitspsychologin in freier Praxis (Schwerpunkte: Traumatherapie, Migration, Gender Equality, Leben mit Kindern), Trainerin und E-Trainerin, Supervisorin und Coach sowie Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Online-Beratung, Mitglied des Leitungsteams der Fachsektion »Traumapsychologie« des Berufsverbands Österreichischer Psychologen und Psychologinnen. Ludo Gielen, Psychotherapeut im Center for Mental Health Care VAGGA in Antwerpen, ist als Organisationsberater, Trainer und Supervisor von Psychotherapeuten sowie in eigener Praxis mit Schwerpunkt Paartherapie tätig. Triz Heider, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Studium der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, ist in der Online-Beratungsstelle kids-hotline tätig und für den Aufgabenbereich »Konzept und Technik« verantwortlich. Diplomarbeit: »Der Chat als ergänzendes Instrument in sozialpädagogischer Onlineberatung«. Gerhard Hintenberger, Mag., ist Psychotherapeut und Supervisor in freier Praxis, Lehrtherapeut und Lehrbeauftragter für Integrative Therapie an der DonauUniversität Krems, Gründer und Mitherausgeber e-beratungsjournal.net und Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Online-Beratung (ÖGOB). Er ist Mitglied im Fachausschuss Online-Beratung der Katholischen Bundeskonferenz für Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Florian Klampfer, Diplom-Betriebswirt (FH), Diplom-Sozialpädagoge (FH), ist Freier Mitarbeiter beim Berliner Krisendienst, Fallgruppenleiter und OnlineSupervisor bei der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin, Referent für OnlineBeratung bei beranet.de sowie Systemischer Familientherapeut in freier Praxis. Birgit Knatz, Diplom-Sozialarbeiterin, ist Supervisorin, Online-Beraterin, Fundraiserin, Leiterin der TelefonSeelsorge Hagen-Mark, Initiatorin des Projektes »TelefonSeelsorge im Internet« sowie Redaktionsmitglied des e-beratungsjournal.net. Buchveröffentlichung »Hilfe aus dem Netz. Praxis und Theorie der Beratung per E-Mail« (2003), Gründung der deutschen Gesellschaft für OnlineBeratung (DGOB) (2004). Stefan Kühne, Diplom-Erwachsenenbildner, Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Bonn, ist Gründer und Mitherausgeber des e-beratungsjournal.net und stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Online-Beratung (ÖGOB) sowie Leiter der wienXtra-jugendinfo. 2003 bis 2007 Leiter des Lehrgangs Online-Beratung am wienXtra-institut für freizeitpädagogik. Vorträge und Workshops zu den Themen »Online-Beratung«, »Jugendliche und Neue Medien« sowie zur Kulturgeschichte der Sexualität. Josef Lang, Dr. phil., lic. theol., Gründer von www.paarberatung.ch (1998) und www. onlineberatungen.com (2003), war Dozent für Beratungspsychologie in Kyoto von 1991–1995 und Leiter der Interkonfessionellen Eheberatungsstelle Baden (CH) von 1995–2005. Er ist tätig in eigener Therapie- und Paarberatungspraxis, Referent bei Kursen zum Thema Online-Beratung und Autor zahlreicher Artikel

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Die Autorinnen und Autoren

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zu den Themen Partnerschaft und Online-Beratung sowie des Buches »Wertschätzen und Abwerten. Vitamin und Virus einer Paarbeziehung« (2005). Mario Lehenbauer, Mag., Klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe, ist Projektkoordinator und -mitarbeiter bei wissenschaftlichen Projekten und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Lehr- und Forschungspraxis der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Gesundheit und Neue Medien (E-Health, speziell E-Interventionen), Kontinuum Schüchternheit – Soziale Phobie. Petra Risau, Diplom-Pädagogin, ist Projektleiterin der Online-Beratungsportale beranet.de und das-beratungsnetz.de in Berlin (zone35), Lehrbeauftragte für das Modul Online-Beratung im berufsbegleitenden Master-Studiengang zur Beratungswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg sowie Redaktionsmitglied des e-beratungsjournal.net. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung und Konzeptionierung virtueller Beratungsangebote für den psychosozialen, gesundheitlichen und Bildungsbereich, Qualifizierung und Support von Online-Berater(inne)n, Fachreferentin. Birgit U. Stetina, Mag. Dr., Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, ist Organisatorische Leiterin der Lehr- und Forschungspraxis, Projektleiterin, -koordinatorin und -mitarbeiterin bei wissenschaftlichen Projekten und Lehrbeauftragte der Universität Wien, der Fakultät für Psychologie, des Kontaktstudiums AAT an der EFH Freiburg und des Instituts für Weiterbildung der EFH Freiburg. Forschungsschwerpunkte: Gesundheit und Neue Medien (E-Health), MenschTier-Beziehung und tiergestützte Intervention. Bettina Zehetner, Mag., Philosophin, ist psychosoziale Beraterin (Schwerpunktthemen Trennung, Gewalt, Laufbahnberatung) im Verein »Frauen beraten Frauen«. Fortbildungstätigkeit zu Gesprächsführung, Scheidungsbegleitung, Telefonberatung, Gestaltung von Erstkontakten und Online-Beratung, Universitätslektorin für feministische Theorie und Praxis am Institut für Soziologie Universität Wien. Bettina Zenner ist Systemische Therapeutin in eigener Praxis, Koordinatorin für die Online-Beratung in der Diözese Freiburg, Geschäftsführerin im Fachausschuss Online-Beratung der katholischen Bundeskonferenz für Ehe-, Familien- und Lebensberatung (KBK) und Redaktionsmitlied des e-beratungsjournal.net.

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Stichwortverzeichnis

Akronyme 52, 71, 204 Aktionsphase 74 Anonymität 13, 22, 36, 38, 48, 49, 59, 60, 62, 63, 74, 78, 109, 117, 143, 144, 156, 159, 172, 175, 191, 197, 205, 207 Barrierefreiheit 206 Beratungssoftware 82, 89, 201, 203, 210 Chat-Beratung 8, 17, 29, 31, 54, 55, 59, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 94, 117, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 151, 152, 157, 173, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 186, 204, 205, 209, 215, 232, 233, 234, 236, 238 computervermittelte Kommunikation (CvK) 7, 8, 13, 22, 29, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 41, 43, 48, 79, 233 Cybersex 43 Cyberspace 17, 19, 20, 21, 32, 39, 44, 54 Datenschutz 67, 89, 99, 202, 203, 208, 215, 219, 234 E-Moderation 84, 232 Emoticons 29, 33, 35, 52, 70, 132 Enthemmung 36, 49 Expertenchat 77 Face-to-Face-Beratung 22, 27, 28, 29, 33, 34, 36, 73, 74, 78, 87, 117, 182, 183, 184, 186, 188, 214, 215, 224, 225, 226 Face-to-Face-Kommunikation 18, 34, 35, 42, 69, 70, 72 Foren-Beratung 8, 23, 29, 51, 55, 59, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 174, 177, 180, 203, 205, 209, 210, 232, 234 Gruppenchat 76, 77, 143, 144, 147, 203, 204 Gütesiegel 219, 220, 239 Initialphase 74 Integrationsphase 75 Integratives Qualitätssicherungsmodell 220

interaktive Programme 156, 155 Internetkompetenz 66, 67 Interventionsstrategie 8, 23, 72, 183 Kanalreduktion 33, 52, 53, 59, 61, 72, 74 Kompetenzprofil 213, 214, 215 Kontextkompetenz 236, 237 Lesekompetenz 66, 107 Mail-Beratung 8, 54, 55, 59, 60, 61, 62, 64, 66, 73, 106, 115, 119, 129, 135, 175, 176, 180, 197, 202, 210, 233, 236, 237, 239 Medienwahl 32, 33 Metaphernanalyse, systematische 8, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 139, 140, 183 Mobilkommunikation 91, 92 Mobiltelefonie-Therapie 95 M-Therapy 91, 98, 101 Neuorientierungsphase 76 Nickname 54, 55, 63, 204, 207, 237 Niederschwelligkeit 60, 61, 62, 95, 156 Online-Kommunikation 33, 37, 38, 39, 43, 44, 45, 47, 49, 51, 53, 55, 67, 79, 233, 234, 235 Online-Supervision 143, 144, 146, 147, 148, 149, 153 Paarberatung online 9, 161, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 239 Pseudoanonymität 55 Qualitätsstandards 164, 177, 213, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 227 Rahmentheorie 44 Selbsthilfegruppen 79, 80 SMS-Beratung 94, 180 Vier-Folien-Konzept 8, 105, 108, 112 Virtualität 17, 18, 42, 47, 52 virtuelle Identität 48, 50 virtuelle Welten 17, 157 Web 2.0 48, 53, 155 Weiterbildung 9, 213, 231, 232, 233, 234, 235, 238

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Wenn Sie weiterlesen möchten ... Christoph Schmidt-Lellek (Hg.) / Ferdinand Buer Life-Coaching Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit

Führungspersonen und Fachleute sind heute mit sehr unterschiedlichen, häufig widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert, so dass es ihnen oft schwer fällt, in ihrer Arbeit einen tieferen Sinn zu erblicken. Burnout und Selbstzweifel sind keine Seltenheit. Hier ist professionelle Unterstützung und Motivation gefragt. Mit diesem Werk wird Orientierungswissen – sowohl theoretisches als auch konkretes Erfahrungswissen – bereitgestellt, um explizit Fragen der Ethik und Lebensgestaltung von Coaching-Klienten aufgreifen zu können. Um auf solch zentrale Themen wie Sinnsuche, Glücklichsein, Verantwortungsübernahme und Arbeits- und Lebensgestaltung vorzubereiten, werden vielfältige Quellen aus den Sozialwissenschaften, den Geisteswissenschaften, der Philosophie sowie den Berufsfeldern Coaching, Supervision, Psychotherapie und Counselling herangezogen. Verschiedene Verfahren und Techniken des Life-Coaching, mit denen wichtige Lebensthemen aufgegriffen und bearbeitet werden können, werden fallorientiert vorgestellt. Berater, Supervisoren, Psychotherapeuten, Trainer und Weiterbildungsdozenten werden durch dieses Buch angeregt, ihren Blick für existenzielle Dimensionen des Coachingprozesses zu schärfen. Es verrät, wie man gemeinsam mit den Klienten einen bejahenswerten Lebens- und Arbeitsstil entwickelt und somit nachhaltige Wirkungen in der Beratung von Fach- und Führungskräften erzielt.

Rudolf Stroß Die Kunst der Selbstveränderung Kleine Schritte – große Wirkung

Wer möchte nicht gern glücklicher und erfolgreicher sein? Der Wunsch nach Selbstveränderung kann viele Gründe haben, persönliche oder berufliche. Ist der Entschluss einmal gefasst, stellt sich die Frage nach der Umsetzung. Wie können die ersten Schritte aussehen? Wie bleibt man am Ball? Wie geht man mit Rückschlägen um? Rudolf Stroß erläutert unterhaltsam und anschaulich Grundlagen, Gestaltung und Grenzen von Selbstveränderungsprozessen und gibt konkrete Tipps und Anregungen, wie man seinem Leben eine neue Richtung geben kann. Praxiserprobte Übungsaufgaben und zahlreiche Beispiele gelungener Selbstveränderung ergänzen den Strategienund Methodenteil. »Noch ein Buch zum Thema ›Du kannst, wenn Du willst!‹ und ›Everything is possible!‹? Wie schon so viele andere, die dann doch nicht auch nur annähernd das gehalten haben, was der Titel in Aussicht stellte? Es gelingt dem Autor rasch, diese anfänglichen Bedenken zu zerstreuen.« Jörg Fengler, Coaching-Magazin

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Familien- und Elternberatung Haim Omer / Arist von Schlippe Autorität ohne Gewalt Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. »Elterliche Präsenz« als systemisches Konzept Vorwort von Reinmar du Bois. 6. Auflage 2008. 214 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-01470-7

Sanfte Überzeugungskraft benötigen Eltern in der Erziehung. Vor allem aber müssen sie da sein – elterliche Präsenz, das neue Konzept in der Erziehungsberatung.

Arist von Schlippe / Michael Grabbe (Hg.) Werkstattbuch Elterncoaching Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis 2007. 292 Seiten mit 4 Abb. und 6 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49109-6

Das Coachingkonzept Haim Omers zu elterlicher Präsenz und gewaltlosem Widerstand wird inzwischen in verschiedenen Zusammenhängen angewandt und etabliert sich.

Herbert Scheithauer / Heike Dele Bull fairplayer.manual Förderung von sozialen Kompetenzen und Zivilcourage – Prävention von Bullying und Schulgewalt 2008. 160 Seiten mit zahlr. Abb. und 1 DVD, DIN A4, gebunden ISBN 978-3-525-49136-2

Gewalt gehört vielerorts zum schulischen Alltag, aber auch auf der Straße und zu Hause findet aggressives Verhalten statt. Umso bedeutender ist Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen.

Matthias Franz PALME – Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter Geleitet von Erzieherinnen und Erziehern Unter Mitarbeit von Tanja Gertheinrichs, Jörn Güttgemanns, Daniela Rentsch. 2008. 449 Seiten mit 25 Abb., 3 Tab. und einer CD, gebunden ISBN 978-3-525-40405-8

Alleinerziehende Mütter reagieren aufgrund von Stress und Überforderung häufig mit seelischen Belastungen, was auch die Bindung zu ihrem Kind beeinträchtigen kann. PALME hilft solchen Entwicklungen vorzubeugen.

Martin Baierl Herausforderung Alltag Praxishandbuch für die pädagogische Arbeit mit psychisch gestörten Jugendlichen 2008. 448 Seiten mit 54 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-49134-8

Bulimie, Suizidgefährdung, Schizophrenie, Drogenmissbrauch bei Jugendlichen – Pädagogen stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Dieses Buch informiert, instruiert und macht Mut.

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Zum Weiterlesen empfohlen Helga Brüggemann / Kristina EhretIvankovic / Christopher Klütmann Systemische Beratung in fünf Gängen Ein Leitfaden 2. Auflage 2007. 150 Seiten mit 16 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-49096-9

Das kompakte Praxishandbuch führt in die systemische Beratung ein anhand eines übersichtlichen FünfPhasen-Modells und zahlreicher Fallbeispiele. 25 Praxiskarten 2. Auflage 2007. ISBN 978-3-525-49097-6

Praktische Handreichung für die systemische Beratung nach dem übersichtlichen Fünf-Phasen-Modell. Buch und Karten zusammen zum Vorzugspreis ISBN 978-3-525-49098-3

Silke Heimes Kreatives und therapeutisches Schreiben Ein Arbeitsbuch 2008. 132 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40412-6

Schreiben ist eine wunderbare Methode, Gedanken zu ordnen und Gefühle zu klären. Es ist eine Entdeckungsreise zu sich selbst, die heilsam sein kann.

Rainer Schwing / Andreas Fryszer Systemisches Handwerk Werkzeug für die Praxis 3. Auflage 2009. 352 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-45372-8

Systemisches Handwerk ist lernbar. Erforderlich sind strukturiertes Vorgehen, vielfältige methodische Kenntnisse und theoretisches Hintergrundwissen – dies alles mit streng praxistauglicher Ausrichtung bietet der »Werkzeugkoffer« von Schwing und Fryszer. »Das Buch ist praxisnah, spannend und sehr lebendig geschrieben. Von daher habe ich das Buch mit großem Vergnügen gelesen und kann es allen, die an Fragen zur systemischen Beratung und Therapie interessiert sind, sehr empfehlen.« Peter Bünder, Sozial Extra

Petra Rechenberg-Winter / Esther Fischinger Kursbuch systemische Trauerbegleitung 2008. 230 Seiten mit 8 Abb. und 1 Tab. sowie 1 CD, gebunden ISBN 978-3-525-49133-1

Ob ein zur Adoption freigegebenes Kind, der Tod eines geliebten Menschen, eine Trennung oder Scheidung – wie kann man Betroffenen Kraft und Mut zu Abschied, Trauer und Neubeginn geben?

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