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German Pages [300] Year 2006
Meinolf Peters
Psychosoziale Beratung und Psychotherapie im Alter
Mit einer Abbildung
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 10: 3-525-46259-X ISBN 13: 978-3-525-46259-1
© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundlagen – Anforderungen und Chancen ________
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Altern zwischen Abschied und Neubeginn – Identität im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altern – Unabänderliches Schicksal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Einfluss und Wandel gesellschaftlichen Alterns . . . . . . . Altern im Kontext lebenslanger Entwicklung . . . . . . . . . . . . . Die Nahwelt des älteren Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Anforderungen an Hilfesysteme – Vom Objekt zum Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zugangswege zum älteren Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychoanalytische Therapie – Das Unbewusste verstehen . . . Verhaltenstherapie – Die Funktionalität des Verhaltens verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemische Therapie – Lösungen ins Auge fassen . . . . . . . . . Gesprächspsychotherapie – Die Gefühle entfalten . . . . . . . . . Gruppentherapie – Die Sozialisation fördern . . . . . . . . . . . . . Paar- und Familientherapie – Beziehungen verbessern . . . . . Weitere Zugänge – Die Vielfalt nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratung und Psychotherapie – Abgrenzung und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von Beratung und Psychotherapie . . . . . . . . Zur differenziellen Indikation für Beratung und Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungspsychologischer Rahmen – Übergänge, Aufgaben und Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was heißt entwicklungsorientierte Beratung und Psychotherapie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Versorgungsrealität – Anspruch und Wirklichkeit ___
Inhalt
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Versorgungsangebote und ihre Inanspruchnahme – die »versprengten« psychisch kranken Älteren . . . . . . . . . . . In der Praxis des niedergelassenen Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . In der Alten- und Seniorenberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der psychologischen Beratungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Praxis des Psychotherapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der psychosomatischen Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In gerontopsychiatrischen Versorgungseinrichtungen . . . . . . In geriatrischen Akut- und Rehabilitationskliniken . . . . . . . . In der ambulanten und stationären Pflege . . . . . . . . . . . . . . . Versorgungsstrukturen – Inanspruchnahme, Defizite und Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Diskrepanz von Versorgungsbedarf und Versorgungsrealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für Fehlallokation und Nicht-Inanspruchnahme . . . Barrieren bei Älteren – Motivations- und Wissensdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrieren bei Helfern – Kompetenz- und Wissensdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftliche Barrieren – Sozialpsychologische und strukturelle Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenwärtige und notwendige Entwicklungen . . . . . . . . . . . Sind spezifische Angebote für Ältere erforderlich? . . . . . . . . .
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Klinische Praxis – Beziehung und Prozess__________
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Facetten der Beziehung zum älteren Menschen . . . . . . . . . . . Warum die Beziehung so wichtig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Fremde stehen sich gegenüber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Schwierigkeiten des Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Analyse des Gesprächsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . Gesprächs- und Kommunikationsverhalten Älterer . . . . Gespräche zwischen Jüngeren und Älteren . . . . . . . . . . . Die unbewusste Beziehungsdynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung – Gegenübertragung – Eigenübertragung
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Inhalt
Triebkonflikte und die umgekehrte Übertragung . . . . . . Narzissmus, Zeitlichkeit und Übertragung . . . . . . . . . . . Gegenübertragung – Die eigenen Gefühle reflektieren. . Eigenübertragung – Die eigene Geschichte kennen . . . . Die Kluft überwinden – Chancen der Begegnung . . . . . . . . . Aspekte des Beratungs- und Therapieprozesses . . . . . . . . . . Am Beginn des Prozesses – Einen Spannungsbogen aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Vorfeld – Einen Rahmen schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . Das Unbewusste erfassen – Szenisches Verstehen im Erstgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lebensgeschichte einbeziehen – Die biografische Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der objektivierende Blick – Aufgaben der Diagnostik . . Den Älteren verstehen – Einen Fokus bilden . . . . . . . . . . Den Weg abstecken – Indikationen, Ziele und Pläne . . . Den Prozess gestalten – Entwicklungen in Gang bringen . . . Den Prozess beginnen – Wie können Ältere motiviert werden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Dialog führen – Zum Lern- und Kommunikationsverhalten Älterer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen bewirken – Deuten, fördern und handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissen vermitteln – Die gerontagogische Komponente Den Blick nach außen richten – Notwendige Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Kreis erweitern – Zur Einbeziehung von Angehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Prozess beenden – Dem Abschied entgegen . . . . . . . . . . Die Trennung naht – Dauer und Abschluss . . . . . . . . . . . Der vorzeitige Abschied – Zum Scheitern des Prozesses Die Zeit danach – Nachbehandlung und weitere Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychosoziale Beratung und Psychotherapie in speziellen Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Da fing es an zu bröckeln . . . « – Zum Übergang in die nachberufliche Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 »Ich fühle mich so leer und kalt . . . « – Zur Wiedergewinnung verschütteter Ressourcen . . . . . . . . . . »Es ist mir zu eng dort . . . « – Ehekonflikte bei Älteren . . . . . »Da zerriss das Band . . . « – Liebe, Eifersucht und die Zeitlosigkeit der Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Er war doch bisher nicht so . . . « – Belastungen durch einen demenzkranken Angehörigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Jetzt tun wir nichts mehr . . . « – Eine verhängnisvolle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ich hatte einen wunderbaren Mann . . . « – Der Tod des Ehepartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ich halte es zu Hause nicht aus . . . « – Soziale Isolation und Einsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ich werde von Erinnerungen bedrängt . . . « – Zum Umgang mit der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ich will ja nichts sagen . . . « – Die Einengung des Lebens im betagten Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Es ist so laut hier . . . « – Sich im Heim zurechtfinden. . . . . . »Dann werde ich abgewiesen an der Himmelspforte . . . « – Die Angst vor Tod und Sterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis ________ 245 Was ist Qualitätssicherung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Beratung und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausbildung, Fortbildung und Supervision . . . . . . . . . . . . . . Ethische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burn-out und Selbstfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zukünftige Entwicklungen und Perspektiven _______ 263 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
Vorwort
Das Alter wird immer stärker zu einem öffentlichen Thema, wie erst jüngst der Bestseller von Schirrmacher (2004) über das Methusalemkomplott deutlich machte. Mit diesem Thema muss sich aber auch jeder Einzelne spätestens dann auseinander setzen, wenn er in das »Grenzland« eintritt, als das Tudor-Sandahl (2003) die Zeit zwischen 50 und 60 bezeichnet, in dem das Alter seinen Schatten vorauswirft. Manch einer mag dabei in Aufbruchstimmung geraten und auf neue Lebensmöglichkeiten hoffen, die sich ihm erschließen können, so wie es uns die unwürdige Greisin bei Brecht schon vor langer Zeit vorgemacht hat. Doch der Greisin war nur noch ein kurzes Leben beschieden und auch wir sollten die Begrenzung nicht übersehen, die dem dritten, erst recht aber dem vierten Alter innewohnt. Das Altern aber kann nur gelingen, wenn die doppelte Bedeutung, die jeder Grenze zukommt, in der Identität einen Platz findet. Auf der einen Seite bieten sich im Alter heute Möglichkeiten, wie sie niemals zuvor in der Geschichte bestanden haben, auf der anderen Seite hat das Leben eine nicht aus der Welt zu schaffende tragische Seite. Es gehört zu den fundamentalen Aufgaben des Alters, diese Seite des Lebens in die Identität aufzunehmen, ohne sich vom Leben abzuwenden. Der tragische Mensch, so Nietzsche, sei jemand, der in vollen Zügen lebt, der mit großer Leidenschaft Sandburgen baut und sich dabei ständig des unausweichlichen Nahens der Flut bewusst ist. Das flüchtige, illusionäre Wesen aller Form hindert ihn nicht, sich seiner Arbeit mit großer Leidenschaft zu widmen, sondern es verstärkt und bereichert sein Bemühen sogar. Die Aneignung des Alters beruht gerade darauf, das Leben weiterzuführen, aber dies in dem Bewusstsein seiner Grenzen und der näherrückenden Endlichkeit. Insofern ist der alternde Mensch dem »tragischen Menschen« bei Nietzsche vergleichbar. Es handelt sich um einen höchst prekären Aneignungs-
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Vorwort
prozess, der den älter werdenden Menschen unter den Bedingungen der postmodernen, globalisierten Welt mit immer komplexeren Anforderungen konfrontiert, die ihm mehr und mehr Identitätsarbeit abverlangen.Auf diese neuen Herausforderungen hat sich auch das Hilfesystem für ältere Menschen einzustellen. Wir stehen vor der Herausforderung, die etablierten Hilfen, wie sie in der Gerontopsychiatrie, der Geriatrie und der Pflege bereitgestellt werden, durch solche zu ergänzen, die den älteren Menschen vornehmlich bei der Bewältigung dieser neuen Anforderungen zu unterstützen vermögen. Hier aber liegt die große Aufgabe für die psychosoziale Beratung und Psychotherapie im Alter, ein Arbeitsfeld, das erst allmählich mehr zur Kenntnis genommen wird und Konturen erhält. Im Jahre 2004 erschien das erste Buch unter dem Titel »Klinische Entwicklungspsychologie des Alters. Grundlagen für psychosoziale Beratung und Psychotherapie«. Dieses – im Text nicht explizit zitierte Buch – und das vorliegende Buch entstammen der gleichen Idee und wurden vor dem gleichen Erfahrungshintergrund geschrieben, nämlich meiner therapeutischen Arbeit mit älteren Menschen, viele Jahre in der Rothaarklinik in Bad Berleburg, jetzt in meiner psychotherapeutischen Praxis und als Projektmanager und Supervisor im neu entstandenen Funktionsbereich Gerontopsychosomatik und -psychotherapie in der Klinik am Hainberg in Bad Hersfeld. Beide Bücher stehen in engem Bezug zueinander, ja sind als eine Einheit zu verstehen, in der dennoch unterschiedliche Blickrichtungen vorherrschen – so wie klinische Praxis, um die es in diesem Buch geht, und hintergründige Reflexion, die Schwerpunkt des ersten Buches war, in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen und sich wechselseitig befruchten sollten. Ich möchte erneut den Personen danken, die mir bereits bei der Erstellung des ersten Buches hilfreich zur Seite standen. Allen voran meiner Frau, der Diplom-Psychologin Gabriele Herkner-Peters, ohne die das Buch nicht hätte entstehen können, sowie meiner Tochter Lisa Peters, die mir bei den Korrekturarbeiten hilfreiche Dienste erwies. Danken möchte ich aber auch meinem Freund und Lehrer Prof. Hartmut Radebold, mit dem ich mich seit vielen Jahren eng verbunden weiß, unter anderem über das von ihm ge-
Vorwort
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leitete Lehrinstitut für Alterspsychotherapie und Beratung, in dem wir Kurse zu den in diesem Buch behandelten Themen anbieten. Hinzugekommen ist Herr Dr. Helmut Luft, Psychoanalytiker, langjähriger Klinikleiter und inzwischen selbst in einem betagten Alter – aber nicht nur aus persönlicher, sondern auch aus wissenschaftlicher Perspektive intensiv mit Altersfragen befasst. Er hat Teile des Manuskripts gegengelesen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Danken möchte ich auch den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich meine Erfahrungen in den von mir geleiteten Fortbildungsveranstaltungen und Seminaren (u. a. im Rahmen der Lindauer Psychotherapiewochen, der Deutschen Psychologen-Akademie, dem Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung, sowie verschiedenen Ausbildungsinstituten) reflektieren und diskutieren konnte. Schließlich möchte ich mich beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die freundliche und ermunternde Unterstützung bedanken. In besonderer Weise aber bin ich den Patienten zu Dank verpflichtet, die in diesem Buch zu Wort kommen und die mir Einblicke in ihr persönliches Altern erlaubt haben, gewissermaßen eine Binnensicht ermöglichten, die ich für mich selbst erst allmählich zu erahnen beginne, seit ich in das Grenzland eingetreten und schon ein Stück weit darin vorgedrungen bin.
Grundlagen – Anforderungen und Chancen
Altern zwischen Abschied und Neubeginn – Identität im Alter Altern – Unabänderliches Schicksal? Altern ist zunächst einmal ein biologischer Prozess, der den Körper zunehmend in das Blickfeld der Selbstaufmerksamkeit und der Selbstwahrnehmung rückt. Die altersbedingten Veränderungen werden sorgfältig registriert, manchmal bis hin zu hypochondrischen Befürchtungen, die am Beginn des Alters besonders ausgeprägt sind (Logsdon-Conradsen u. Hyer 1999). Körperliche Leistungseinbußen, Anzeichen körperlicher Krankheit und einsetzende Gebrechen werden Gegenstand der persönlichen Sorgen; die Erhaltung der Gesundheit wird im Alter zum wichtigsten Lebensziel. Auch wenn die Studien große Unterschiede im Tempo und der Art und Weise körperlichen Alterns erkennen lassen und darin, wie umfassend es von der Person Besitz ergreift und das Leben verändert, so kann doch niemand auf Dauer dem biologischen Altern entgehen. In den Ergebnissen der Berliner Altersstudie (Mayer u. Baltes 1995) wird sichtbar, dass das biologische Altern im letzten Lebensabschnitt nicht nur den Körper, sondern in geringerem Umfang auch die kognitiven Funktionen erfasst, und zwar bei allen, das heißt auch jenen, die über gut entwickelte kognitive Funktionen verfügen und geistig rege geblieben sind. Zwar bleibt das Funktionsniveau bei diesen Älteren auch jetzt deutlich über dem derjenigen, die geistig weniger aktiv waren, doch diese Funktionstüchtigkeit schützt nicht vor Abbau. Letztendlich müssen alle dem biologischen Alter Tribut zollen.
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Grundlagen – Anforderungen und Chancen
Das Alter konfrontiert den Einzelnen mit der Grenze des Lebens, die er nicht zu überschreiten vermag. Der Körper wird zum Entwicklungsorganisator dieses Lebensabschnittes (Heuft 1997), er ist es, in dem sich der Verlauf der Zeit manifestiert und der die Grenzen aufzeigt. Dem Menschen wird die eigene Endlichkeit vor Augen geführt, eine Erfahrung, mit der er sich meist nicht ohne weiteres abzufinden bereit ist. Das subjektiv erlebte Alter hinkt regelhaft dem kalendarischen Alter hinterher. Von jeher hat der Mensch sich gegen seine eigene Endlichkeit aufgelehnt und Anstrengungen unternommen, schon im Diesseits ein Stück Unsterblichkeit zu erlangen. Auch in früheren Zeiten haben sich die Menschen keineswegs mit der Aussicht auf Unsterblichkeit im Jenseits begnügt. Auf Kunstwerken verewigt zu sein, empfanden im Mittelalter viele als erstrebenswert, und auf dem Friedhof in der Nähe der Kirche begraben zu sein, um ihren Schutz zu genießen, ließ sich manch einer etwas kosten (Imhof 1988). Monumentale Bauwerke und Kostbarkeiten aller Art zeugen von der Hoffnung, dem Schicksal durch Anhäufung unermesslicher Reichtümer zu entgehen. Weltliche und religiöse Herrscher haben sich der Besitztümer des Volkes bemächtigt und Schlösser, Burgen und Kirchen errichtet, als ob sie die Phantasie hegten, den Garten Eden, der Unsterblichkeit verheißt, schon auf Erden errichten zu können (Elgeti 1999). Und auch heute wird Geld und Reichtum als phantasmatische Versicherung gegen den Tod angehäuft (Viderman 1996). Die Menschen klammern sich wie eh und je an ihr Leben, ja die Phantasien von Unsterblichkeit erhalten neue Nahrung durch die Anti-Aging-Medizin, die mit manchen Versprechungen oder den Verheißungen einer sprunghaften Verlängerung des Lebens aufwartet, die manche Altersbiologen in Aussicht stellen (Ernst 2004), als ob wir auf dem Wege seien, die Macht über den Tod zu gewinnen. Doch diese Verheißungen sind trügerisch – nicht nur, weil sie allzu optimistisch ausfallen, sondern auch, weil mehr Jahre nicht zwangsläufig mehr gesunde Jahre bedeuten. Die wachsende Langlebigkeit hat auch mehr gebrechliche und abhängige Jahre beschert, doch dies findet im Bewusstsein der Menschen wenig Platz, die Illusion von ewiger Jugend erweist sich immer wieder als mächtiger. Die negative Seite des Alters wird aus dem öffentlichen Leben
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verbannt und in Pflegeheime abgedrängt, während das Bild vom Alter allmählich vom Makel des Defizits befreit erscheint. Auf der einen Seite nimmt das »negative Alter« zu, so Tews (1993), steigen die »klassischen« Altersrisiken und kommen neue Probleme hinzu. Auf der anderen Seite hat sich ein anderes Alter herausgebildet, das sich unter anderem durch ökonomischen Wohlstand, Konsumund Freizeitorientierung auszeichnet. Dieses neue Altern prägt zunehmend die öffentliche Wahrnehmung. Damit ist jedoch eine Zweiteilung des Alters verbunden, wodurch etwas auseinander gerissen wird, was zusammengehört. In jedem Einzelnen wirkt die Spannung zwischen den Polen unvermeidlichen Abbaus einerseits und verbliebenen Entwicklungschancen andererseits. Dieser Konflikt ist für keine Lösung offen, wohl aber für eine Reifung hin zu einem Wissen vom Leben, das beide Seiten des Alters auszuhalten und zu verbinden vermag, ohne die Spannung gänzlich auflösen zu können. In einem solchen Entwicklungsschritt vollzieht sich die Aneignung des Alters, die dieses weder leugnet noch sich ihm fatalistisch ausliefert. In der gesellschaftlichen Zweiteilung des Alters spiegelt sich mithin auch eine Spaltung, die sich im Einzelnen vollzieht, wenn er diese Doppelgesichtigkeit nicht auszuhalten vermag.
Zum Einfluss und Wandel gesellschaftlichen Alterns Altern ist nicht nur ein biologischer, sondern auch ein kultureller und gesellschaftlicher Prozess. Zwar haben sich Philosophen und andere Gelehrte bereits früh mit dem Alter als existenzieller Situation befasst, das alltägliche Leben derer, die ein höheres Lebensalter erreichten, blieb davon jedoch weitgehend unberührt. In früheren Jahrhunderten markierte allein der biologische Abbau und die einsetzenden Gebrechen das Altsein; dieses war mit Invalidität gleichgesetzt und beschrieb mithin eine in der Regel kurze Phase ganz am Ende des Lebens. Der ältere Mensch war aufgefordert, selbst zu seinem Lebensunterhalt beizutragen, das heißt, er war in den normalen Arbeitsprozess integriert. Erst im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts – endgültig besiegelt mit dem Rentenversicherungsgesetz 1957 – wurden Altersgrenzen gesetzt, die einen
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Grundlagen – Anforderungen und Chancen
neuen, sozial abgesicherten Lebensabschnitt entstehen ließen. Indem die Älteren nun aus der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entlassen wurden, etablierte sich der Begriff des Ruhestandes, der zum Ausdruck brachte, dass der Ältere weitgehend auf ein passives Leben festgelegt war. Gegenwärtig nun erfährt dieser historisch noch relativ junge Lebensabschnitt erneut einen rapiden Wandel, und auch Ältere selbst haben sich aufgemacht, sich aus der ihnen auferlegten passiven Rolle zu befreien. Die strukturellen Veränderungen machen sich zunächst einmal an den Randmarken des Alters fest, die sich weiter verschieben. Neben einer Ausweitung nach oben durch die zunehmende Lebensverlängerung – heute haben Männer eine durchschnittliche Lebenserwartung von ungefähr 74, Frauen von 83 Jahren – sprechen Soziologen von einer Verjüngung des Alters (Tews 1993). Durch Vorruhestandsregelungen sind in jüngster Vergangenheit älter werdende Arbeitnehmer zunehmend früher in einen Lebensabschnitt katapultiert worden, in dem sie soziologisch als alt gelten, es aber weder ihrer körperlichen wie geistigen Verfassung noch ihrem Selbsterleben nach sind. Daraus resultiert nicht nur eine Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung, weil soziales und biologisches Altern weiter auseinander fallen. Aufgrund der weiteren Ausdehnung dieses Lebensabschnittes tritt das Alter selbst als gehaltvolle Erklärungskategorie weiter in den Hintergrund. Wir haben es zunehmend mit großen Unterschieden und Differenzierungsprozessen zu tun, die Soziologen von der Pluralität des Alters sprechen lassen (Backes 2002). Im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung haben sich nicht nur die Randmarken des Alters verändert,sondern auch dessen Binnenstruktur.Die Gegenwartsgesellschaft – mit Begriffen wie Dienstleistungsgesellschaft, Risikogesellschaft oder Erlebnisgesellschaft beschrieben – verändert das Leben der Menschen in nachhaltiger Weise, wie etwa an der Veränderung familiärer Beziehungen deutlich wird. Wir konstatieren heute allerorten eine abnehmende Bindekraft familiärer Beziehungen, die steigenden Scheidungsraten und Begriffe wie Lebensabschnittsgefährte oder Patchwork-Familie kennzeichnen eine neue Unübersichtlichkeit. Die naturwüchsige Abfederung durch soziale Milieus und familiäre Beziehungen ist infolge des Individualisierungsprozesses auch und gerade für Äl-
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tere eingeschränkt. Aufgrund der abnehmenden Kinderzahl stehen weniger erwachsene Kinder zur Verfügung, die sich um die alten Eltern kümmern können. Die wachsende Mobilität hat die räumlichen Abstände zwischen beiden vergrößert, wodurch sich Beziehungen zwar nicht auflösen, aber die Möglichkeiten zur alltäglichen Unterstützung doch eingeschränkt sind. Auch im Pflegefall wirken sich die Veränderungen aus. Zwar wird der größere Teil der Pflege im Alter immer noch von Familienangehörigen wahrgenommen, aber Untersuchungen zeigen eine aufgrund veränderter Einstellungen abnehmende Pflegebereitschaft (Blinkert et al. 2002). Dennoch wäre es falsch, Ältere allein als Opfer einer solchen Entwicklung zu sehen. Sie selbst haben veränderte Ansprüche an das eigene Leben und viele bevorzugen ein Leben in Selbständigkeit, so lange dies möglich ist. Veränderte Entwicklungsansprüche zeigen sich auch an der sogenannten »späten Scheidung«: Scheidungen nach der Silberhochzeit haben sich zwischen 1975 und 1993 verdoppelt. Im Jahre 1999 betrug die Ehedauer der Geschiedenen in 17,7 Prozent der Fälle bereits über 21 Jahre, und 9,3 Prozent der Scheidungen erfolgte nach der silbernen Hochzeit. Vielfach eröffnen sich dadurch neue Entwicklungschancen, doch die Verlierer – nicht nur in psychischer, sondern auch in materieller Hinsicht – sind zahlreich und nicht zu übersehen (Fooken 2002). Diese Veränderungen der familiären Beziehungen erhöhen den Individualisierungsdruck. Ältere stehen zunehmend vor der Aufgabe, ihre persönliche Identität im Alter zu überarbeiten, ob sie dies wollen oder nicht. Identitätsarbeit wird auch ihnen abverlangt, um mit Widersprüchen, Unsicherheiten und Brüchen im Leben zurechtzukommen (Keupp et al. 1999). Damit geht eine Suche nach Orientierung, nach Sinn, nach Nähe und Bindung einher. In einer Lebensphase, in der das Leben unwägbarer wird und daraus ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis erwächst, wird stattdessen ein erhöhter Selbständigkeitszwang erzeugt. Zwar hat auch der Ältere selbst heute vielfach ein erhöhtes Selbständigkeitsbedürfnis, doch er hat ebenso Bindungswünsche, die jedoch häufig schwer zu realisieren sind, jedenfalls dann, wenn Verluste das bisherige Lebensgefüge zunichte gemacht haben und ein Ungleichgewicht zwischen Autonomie und Abhängigkeit, Nähe und Distanz entstanden ist.
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Die späte Freiheit, von der Rosenmayr (1983) gesprochen hatte, wird dann zu einer zwiespältigen Erfahrung, der etwas Paradoxes anhaftet. Eine Patientin brachte ihr Gefühl wie folgt zum Ausdruck: »Und seit mein Mann tot ist, bleibt mir gar nicht anderes übrig, als mich an der Freiheit zu erfreuen, die ich jetzt habe.« Der Ältere steht dann vor der Aufgabe, sich die erzwungene »Freiheit« anzueignen und zur selbst gewählten zu machen. Teil dieses Aneignungsprozesses ist es, das soziale Netz durch die Entwicklung von Gleichaltrigenbeziehungen zu erweitern und zu ergänzen. Viele verharren in einer familienzentrierten Haltung; Untersuchungen belegen jedoch, dass diejenigen Älteren, deren soziales Netz familienzentriert bleibt, über die geringere Lebenszufriedenheit verfügen (Filipp u. Mayer 1999). Ein Scheitern an der beschriebenen Entwicklungsaufgabe führt rasch zur Chronifizierung von Krisenzuständen und Krankheiten mit den bekannten Folgen, zu denen auch eine exorbitante Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zählt. Diese werden hinterrücks zu sozialen Auffangnetzen umgemünzt, um drohender Einsamkeit zu begegnen. Ein oft einsetzender beschleunigter Altersabbau mündet in die zunehmende Abhängigkeit von Institutionen, die unsere Gesellschaft kaum mehr zu finanzieren vermag. Individualisierung und neue Formen der Institutionalisierung gehen Hand in Hand (Mader 1995).
Altern im Kontext lebenslanger Entwicklung Die Möglichkeit, aber auch der Zwang, das Leben im Alter selbst zu gestalten, ist eingebettet in ein Lebensganzes. Das vorangegangene Leben markiert die Grenzen und Spielräume für verbleibende Entwicklungschancen, die dadurch ungleich verteilt sind. Daraus resultiert womöglich eine zusätzliche Kluft zwischen dem Möglichkeitsraum und einer nur noch begrenzt zu gestalten Wirklichkeit. So ist die materielle Lebensbasis in hohem Maße durch die berufliche Entwicklung und die erreichte berufliche Position festgelegt und infolgedessen im Alter kaum mehr zu verändern; früh bestehende Benachteiligungen kumulieren im Lebenslauf. Manch einem bleiben deshalb die Möglichkeiten der Teilhabe an dem propagier-
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ten aktiven Alter, das doch bisher weitgehend als konsumorientiertes Alter lebbar ist, verschlossen (Böhnisch 1997). Er bleibt aufgrund eingeschränkten materiellen Spielraums von den »Best Agers« und den »Golden Consumers« ausgeschlossen (SchulteStrathaus 2004). Auch in anderer Hinsicht werden die Folgen eines belasteten oder durch mangelnde Selbstfürsorge geprägten Lebens im Alter präsentiert. Körperlicher Raubbau, der sorglose Umgang mit Risiken wie Rauchen oder Alkohol manifestieren sich in chronischen Krankheiten oder geschwächten Abwehrreaktionen, die im Alter rasch zu unüberwindbaren Einschränkungen führen.Das Versäumnis sportlicher Betätigung und regelmäßiger Bewegung zeigt erst im fortgeschrittenen Lebenslauf seine nachteiligen Folgen. Erst an zukünftigen Kohorten wird sichtbar werden, welche Folgen veränderte Essgewohnheiten und die weiter steigende Adipositas in späteren Jahren haben. Aber auch die kognitive Leistungsfähigkeit, die innere Flexibilität und eine erhalten gebliebene Neugier haben einen wesentlichen Einfluss darauf, welche Entwicklungsspielräume im Alter selbst wahrgenommen und genutzt werden können. Wenn die Gerontologie von einer vorhandenen Plastizität im Alter ausgeht, dann kann diese nicht unabhängig von der voraufgegangenen Entwicklung betrachtet werden (Kruse 1990, 2002). Neben diesen, sich im Lebenslauf kumulierenden Risikofaktoren sind Belastungen wie der Tod eines Elternteils, die Scheidung der Eltern bzw. Schutzfaktoren von Bedeutung. Folgt man den Ergebnissen der ELDERMEN-Studie (Heuft et al. 2000), so gibt es keinen linearen Zusammenhang zwischen Belastungen in früheren Lebensabschnitten und psychogener Belastung im Alter. Entscheidender ist das Verhältnis von fördernden und belastenden Erfahrungen, wobei das Überwiegen von Belastungen in zwei oder mehr Phasen die Wahrscheinlichkeit von psychogener Belastung im Alter erhöht. War dies allerdings nur in einer Phase der Fall, war das Belastungserleben sogar geringer als bei jenen, die nie stärker subjektiv belastet waren. Betrachtet man nun die Art der Belastungen genauer, so stößt man auf den Umstand, dass die heutige Generation der Älteren auf eine Vergangenheit zurückblickt, die durch die Schrecken des Krieges oder durch Flucht und Vertreibung, die sie als Kinder oder Jugendliche erlebt haben, geprägt ist. Vergangene
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Erfahrungen aber treten im Alter, wenn die Abwehr schwächer wird oder Verlusterlebnisse sie reaktivieren, erneut hervor, erschweren das Zurechtkommen im Alter und tragen zu unterschiedlichsten Symptombildungen bei (Radebold 2000b, 2003a). Die Aneignung des Alters ist dann durch Erlebnisse erschwert, die einer längst überwunden geglaubten Zeit angehören. Es sind aber nicht nur die Erfahrungen als solche, die den Menschen prägen und seine weitere Entwicklung beeinflussen, sondern auch die Art und Weise der Verarbeitung der Ereignisse, die seinem Leben ihren Stempel aufgedrückt haben, und der Lebensabschnitte, die er durchschritten hat. Im Alter steht, so Erikson (1973) in seiner viel zitierten Theorie, die Frage im Vordergrund, ob der Ältere in der Lage ist, sein Leben so, wie es gelebt wurde, anzunehmen, oder aber daran zweifelt und verbittert zurückblickt. Kann er seine Vergangenheit annehmen, führt dies zu einem Zustand der Integrität, die auch Weisheit umfasst, andernfalls droht ein Zustand der Verzweiflung. Wenn, wie oben ausgeführt, die Identitätsarbeit in der spätmodernen Gesellschaft mehr und mehr in den Vordergrund rückt, dann wird auch die von Erikson noch vor einem anderen gesellschaftlichen Hintergrund beschriebene Entwicklungsaufgabe umso bedeutsamer. In einer Situation, in der eine soziale und familiäre Einbettung, die dem Leben Kontinuität verleiht, nicht mehr wie selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, steht der Einzelne zunehmend vor der Aufgabe, inneren Zusammenhalt und Lebenssinn in sich selbst herzustellen. Dieser Notwendigkeit der Selbstvergewisserung und der selbstreflexiven Aneignung der eigenen Identität sehen sich ältere Menschen zunehmend gegenüber. Dabei wenden sie den Blick zurück und beleuchten die eigene Biografie noch einmal, um die eigene Identität in ein Lebensganzes einzubetten. Doch auch diese Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit bleibt nicht unberührt von der gesellschaftlichen Modernisierung. Wir konstatieren heute in manchen Bereichen einen Verlust an Vergangenheit, frühere Erfahrungen werden, beispielsweise im Berufsleben, entwertet, Traditionen gehen verloren und Erfahrungsbestände sind für Jüngere überholt und nutzlos geworden. Derjenige, der dennoch daran festhält, gilt rasch als skurril oder dem Altersstarrsinn verfallen. Derjenige hin-
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gegen, der sich dem Neuen unterwirft und dem Zeitgeist folgt, droht sich selbst fremd zu werden. Vielfach steht er vor der Wahl, mit der Zeit zu gehen und sich ihr zu öffnen oder aber draußen zu bleiben und einen Entfremdungsprozess in Kauf zu nehmen. Auch hier gilt es, Ambiguität auszuhalten, sich dem Neuen nicht völlig zu verschließen, aber auch die eigenen Erfahrungen wertzuschätzen und Kontinuität und Wandel miteinander zu verknüpfen.
Die Nahwelt des älteren Menschen Die Aufgabe des älteren Menschen, Identität angesichts eines fortschreitenden Abbauprozesses zu bewahren und Kontinuität trotz allem aufrechtzuerhalten, wird mit zunehmendem Alter immer schwieriger. Je mehr die Sinne beeinträchtigt und die Mobilität einschränkt wird, umso stärker zieht sich die Welt, in der sich der ältere Mensch bewegt, zusammen. Diese Nahwelt, in der sich das Leben mehr und mehr abspielt, umfasst eine soziale und eine dinglich-räumliche Dimension. Die soziale Dimension bezieht sich auf diejenigen Menschen, die verblieben sind und die im täglichen Leben des Älteren ihren Platz haben. Untersuchungen zeigen, dass die Annahme, Ältere seien überwiegend sozial isoliert, eher dem negativen Altersstereotyp zuzurechnen ist. Auch sie verfügen in der Regel über ein dichtes Netz sozialer Beziehungen und Kontakte, das sich erst im betagten Alter allmählich reduziert. Allerdings ist seit längerem ein Trend zu immer mehr Ein-Personen-Haushalten bei Älteren zu erkennen (Tews 1993). Doch das Alleinleben geht nicht notwendigerweise mit Einsamkeitsgefühlen einher. Vielmehr ist von entscheidender Bedeutung, ob es dem Älteren gelingt, erlittene Verluste zu verarbeiten und sich auf eine reduziertere soziale Welt einzurichten, das heißt die ihn umgebende und noch erreichbare Welt als die seine zu akzeptieren und in kompensatorischer Weise zu besetzen. Diese Nahwelt hat neben der sozialen auch eine räumlich-dingliche Seite, die zunächst in ihrer physikalischen Dimension in Erscheinung tritt. Die wachsende Bedeutung der dinglichen Nahwelt wurde in der »Umwelt-Gefügigkeits-Hypothese« von Lawton formuliert (vgl. Lehr 2000), die besagt, dass der Einfluss
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der Umgebung umso größer wird, je mehr die persönliche Kompetenz abnimmt. Demzufolge steige bei abnehmenden Fähigkeiten im Alter der Einfluss von Umweltgegebenheiten. Der ältere Mensch erlebe dadurch einen zunehmenden Umweltdruck, dem er sich anpassen müsse. Allerdings sind dabei nicht allein die Fähigkeitsdefizite der Älteren zu thematisieren, sondern auch eine allzu oft wenig altersfreundliche oder behindertengerecht gestaltete Umwelt, die eine ausreichende Passung verhindert. Dies wäre aber Voraussetzung, um auftretende Defizite kompensieren und eine Passung aufrechterhalten zu können. Die dinglich-räumliche Nahwelt tritt im Alter noch stärker als in jüngeren Jahren auch in ihrer psychologischen Dimension hervor. Die räumliche Umgebung und die darin enthaltenen Dinge und Gegenstände gewinnen an symbolischer Bedeutung und übernehmen eine das Selbst ergänzende und stabilisierende Funktion. Die eigene Wohnung und die nähere Umgebung, sei es das Dorf, der Stadtteil oder der begrenzte Wohnbezirk, werden zu der Welt, in der sich der Ältere noch selbständig bewegen kann, mit der er sich identifiziert und die somit ein wesentliches Fundament seiner Identität bildet. Die Nahwelt verschafft ihm ein Gefühl der Verwurzelung und Verankerung. Das sich in diesem begrenzten Raum abspielende Leben unterliegt noch der persönlichen Kontrolle, die dem älteren Menschen die Gewissheit von Autonomie bewahrt. Die eigene Wohnung vermittelt ein Gefühl von Sicherheit in einer Zeit, in der Krankheiten und Gebrechen die Unwägbarkeit des Lebens deutlicher vor Augen führen. Sie wird im regressiven Sinne als schützende Hülle empfunden, die ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Dieser Bedeutungszuwachs, den das »eigene Heim« gewissermaßen von innen erfährt, verhält sich reziprok zum Ausmaß, in dem sich die äußere Welt als nicht mehr erreichbar und verschlossen erweist. Der Wohnung selbst wie den Gegenständen, die sich in ihr angesammelt haben, kommt eine fundamentale identitätsstützende und -konturierende Funktion zu, die nur mit der in der Adoleszenz zu vergleichen ist (Habermas 1999). In ihr hat das gelebte Leben seine Spuren hinterlassen, Vergangenes und nicht mehr Erreichbares werden in ihr in symbolischer Form aufgehoben. Möbel, Erinnerungsstücke, Utensilien, Geschenke und
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Souvenirs bilden ein Reservoir an persönlichen Objekten, die das Abwesende und Vergangene verkörpern und die dazu beitragen, zeitliche wie räumliche Distanzen zu überwinden. Erinnerungsgegenstände verweisen auf das gelebte Leben, sie stellen Reliquien besonderer Lebensabschnitte oder Übergänge im Leben dar oder erhalten die Verbindung zu Verstorbenen aufrecht. Das Vergangene erscheint dabei häufig, aber nicht immer in idealisierter Form. Manchmal verbergen sich in Erinnerungsstücken gescheiterte Lebensentwürfe, persönliche Niederlagen oder unverwundene Enttäuschungen. Sie können aber auch auf das verweisen, was gegenwärtig nicht ohne weiteres zugänglich ist, beispielsweise auf die entfernt lebenden Kinder. Diese Welt der persönlichen Objekte verkörpert somit unterschiedliche Dimensionen der eigenen Identität und trägt zu deren Stabilität bei. Sie verschaffen sowohl ein Gefühl der Zugehörigkeit wie der Kontinuität in einer Zeit, in der diese zunehmend gefährdet ist. Auch wenn die gegenständliche Welt ein Ort des regressiven Rückzugs sein kann und der Übergang zum Pathologischen fließend ist, so kommt darin doch in erster Linie die Fähigkeit zur Sublimierung zum Ausdruck, die es ermöglicht, das, was nicht mehr zugänglich und unwiederbringlich verloren ist, in symbolischer Form zu bewahren. Die Gestaltung der sozialen wie dinglich-räumlichen Nahwelt ist zweifellos eine zentrale Aufgabe der sozialen Arbeit mit alten Menschen. Die darin enthaltene Problematik kommt in zugespitzter Form in Alten- und Pflegeheimen zum Ausdruck, in denen mancherorts immer noch die fundamentale Bedeutung der Nahwelt für die Identität des Älteren missachtet wird. Andererseits gibt es manche Entwicklung, die der Bedeutung persönlicher Orte und Objekte eher Rechnung trägt, wobei insbesondere die Differenzierung der Wohnmöglichkeiten für Ältere zu erwähnen ist. Das erst in jüngster Vergangenheit entstandene betreute Wohnen kommt dem am nächsten; so findet hier der ältere Mensch eine altersgemäß gestaltete Wohnwelt vor, die seinem Bedürfnis nach einem selbstgestalteten Leben ebenso Rechnung trägt wie der allmählich wachsenden Notwendigkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch auf der anderen Seite sind die fortbestehenden Mängel ebenso nicht zu übersehen. Das mancherorts zu beobachtende Dahinsie-
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chen in Pflegeheimen (Koch-Straube 1998) ist nicht zuletzt Ausdruck dieser Mängel. Auch Versuche, neue Wohnformen für Demente zu entwickeln, werden nur sehr zögernd umgesetzt, obwohl bereits deutlich geworden ist, dass manche Problemverhaltensweisen dementer Patienten unmittelbar mit einer nicht adäquat angepassten Umwelt zusammenhängen.
Neue Anforderungen an Hilfesysteme – Vom Objekt zum Subjekt Thomae (1983) zufolge ist Altern – wie gezeigt – nicht nur biologisches, sondern ebenso soziales, ökologisches, biografisches und epochales Schicksal. Es geht um das körperliche Altern, das die existenziellen Fragen des Lebens hervortreten lässt und das das Leben in seine zeitlichen und räumlichen Grenzen verweist. Es geht ebenso um das soziale und gesellschaftliche Altern, welches das Bild vom alten Menschen konstituiert, den Umgang mit ihm beeinflusst und dessen Entfaltungsmöglichkeiten absteckt. Und nicht zuletzt geht es um die eigene Biografie, die vor dem Hintergrund familiärer und epochaler Einflüsse die Identität des Älteren konturiert. Die vorausgegangenen Abschnitte sollten in aller Kürze die Ungleichzeitigkeiten, die Spannungen und Konflikte aufzeigen, in deren Rahmen sich der ältere Mensch seiner Identität vergewissern und sein Leben gestalten muss. Die sich daraus ergebenden Fragen und Probleme müssten in einem Altenhilfesystem aufgegriffen und in ihren vielfältigen Vernetzungen berücksichtigt werden. Wir haben es in der klinischen Arbeit mit älteren Menschen in der Regel mit höchst komplexen Situationen zu tun, die differenzielle, aber gleichzeitig vernetzte Behandlungsangebote und -strukturen erfordern, die bis heute nicht ausreichend entwickelt sind, obwohl Altenhilfe und Gerontopsychiatrie von ihren Anfängen an einen weiten Weg zurückgelegt haben. Ältere in früheren Jahrhunderten verbrachten die letzten Jahre ihres Lebens keineswegs immer – wie oft fälschlicherweise angenommen – im Schoß der Familie, sie lebten oft abgesondert und in großer Armut. Borscheid (1992) beschreibt in seiner umfassenden Analyse, dass Ältere überwiegend
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auf sich allein gestellt waren, ohne regelmäßige Hilfeleistungen von ihren Mitmenschen erwarten zu können. Dies betraf insbesondere ehemalige Angehörige des Militärs, Beamte und andere Bedienstete, das heißt all jene, die nicht in ländliche Strukturen eingebunden waren. Deshalb finden sich hier auch erste Vorläufer einer Altersabsicherung. Unterschlupf fanden sie allenfalls in den Spitälern, die als Vorläufer heutiger Altenheime zu betrachten sind. Erst die Herausbildung des Alters als eigenständige Lebensphase im vergangenen Jahrhundert hat in den zwanziger Jahren auch zur Ausbildung der stationären Altenpflege geführt. Unterbrochen durch die Zeit des Dritten Reiches setzte sich diese Entwicklung erst in der Nachkriegszeit fort (Belardi u. Fisch 1999). Das 1962 in Kraft getretene BSHG enthält Abschnitte über Altenhilfe und eine staatliche Verpflichtung hierzu. Ein staatliches Förderprogramm führte 1968 zur Errichtung erster ambulanter Modelleinrichtungen wie Altenbegegnungsstätten und -tagesstätten sowie Altenberatungsstellen. Das System der ambulanten und stationären Altenhilfe hat sich insbesondere nach Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes weiter ausdifferenziert. Parallel zum System der Altenhilfe hat sich die Gerontopsychiatrie als Spezialisierung innerhalb der Psychiatrie in den letzten 100 Jahren entwickelt. Auch diese Entwicklung verlief zunächst eher schleppend; in den zwanziger Jahren fand gerontopsychiatrisches Wissen erstmals Eingang in die psychiatrischen Lehrbücher, insbesondere nach der Entdeckung der Demenz durch Alzheimer. Eine Ausweitung gerontopsychiatrischer Angebote verbunden mit einem Wandel von reinen Verwahranstalten hin zu differenzierten Behandlungsansätzen erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg infolge der Reformbewegung in der Psychiatrie. Heute können ungefähr 80 Prozent aller psychiatrischen Krankenhäuser auf spezielle gerontopsychiatrische Angebote verweisen (Wormstall 2004). Altenhilfe und Gerontopsychiatrie haben sich somit als zwei komplementäre Säulen in der Versorgung insbesondere psychisch erkrankter und belasteter Älterer entwickelt. Innerhalb der hier versorgten und behandelten Patienten stellen die mit einer Demenz den größten Anteil. Da mit steigendem Lebensalter die Prävalenz der Demenzen rapide zunimmt und bei den über 90-Jähri-
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gen 40 Prozent beträgt, ist infolge der weiter steigenden Lebenserwartung auch mit einem weiteren Anstieg schwerer psychischer Erkrankungen wie beispielsweise Demenzen zu rechnen. Zunehmende Hochaltrigkeit und demografische Entwicklung werden beide Versorgungsbereiche vor zusätzliche Probleme stellen. Doch diese quantitative Zunahme verbindet sich mit einer qualitativen Veränderung. Die beschriebene Ausdehnung des Alters und die veränderten Anforderungen, das Leben im Alter selbst zu gestalten und Identitätsarbeit zu leisten, haben neue Anforderungen an Hilfesysteme für Ältere hervorgebracht. Die jungen Alten sind in der Regel weder hilfs- noch pflegebedürftig und verfügen noch über körperliche und geistige Ressourcen, um Defizite kompensieren zu können. Materiell sind sie besser abgesichert als jemals zuvor; die Armutsquote ist heute bei Älteren geringer als in anderen Risikogruppen. Doch der Übergang in die nachberufliche Zeit und die danach folgenden Veränderungen bleiben nicht ohne Identitätskrisen, biografische Brüche und Diskontinuitäten. Alte, überwunden geglaubte äußere wie innere Konflikte berechen erneut hervor und neue kommen hinzu. Somit hat sich eine Alterssituation konstelliert, die mit einem neuen Risikopotenzial verbunden ist. Es ist ein neuer Bedarf an Unterstützung und Hilfestellung entstanden, der von den traditionellen Angeboten der Altenhilfe oder des psychiatrischen Versorgungssystems nicht abgedeckt werden kann. »Geschlossene Hilfen« und manifeste Formen der Unterstützung, bei denen der Ältere das Objekt von Unterstützungsleistungen ist, erweisen sich vielfach als nicht mehr ausreichend. Vielmehr müssen neue, mehr subjektorientierte, innenweltbezogene Formen der Hilfe hinzukommen, und zwar nicht nur für die jungen, sondern auch für die betagten Alten. Wir stehen vor der Aufgabe, Angebote zu entwickeln und Mittel zu finden, ältere Menschen auf ihrem Weg begleiten und sie bei der Suche nach Lösungen unterstützen zu können, die sie aus sich selbst heraus nicht immer zu finden vermögen. Damit aber sind neue Anforderungen an Beratung und Psychotherapie gewachsen. Es ist somit nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ein neuer Hilfebedarf entstanden, auf den es mit entsprechenden Versorgungsangeboten sowie konzeptionell zu reagieren gilt.
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Zugangswege zum älteren Menschen Psychoanalytische Therapie – Das Unbewusste verstehen Die pessimistische Haltung Freuds im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten Älterer trug – wenn auch nicht allein – zu der zögernden Annäherung der Psychoanalyse an die Behandlung älterer Menschen bei. Optimistischer klingende Stimmen wie die von Grotjahn, der schon 1955 die Hoffnung äußerte, die mehr retrospektive Haltung Älterer in eine introspektive verwandeln und zum Ausgangspunkt für ein tieferes Verstehen werden lassen zu können, verhallten weitgehend ungehört. In den sechziger und siebziger Jahren ist dann allmählich eine intensivere Beschäftigung mit Patienten dieses Lebensalters zu erkennen (Radebold 1992, 1997). Einer rascheren Annäherung stand auch innerhalb der Psychoanalyse das lange Zeit vorherrschende Defizitmodell des Alters entgegen, in dem eine Regression infolge des Abbauprozesses als unvermeidlich galt und dadurch die Grenzen für einen psychotherapeutischen Zugang eng gezogen waren. Im Regressionsmodell wird zweifellos eine grundlegende Seite des Alters thematisiert, reduziert sich doch in dieser Zeit der triebhafte Charakter des Begehrens und müssen narzisstische Wünsche ebenso zurückgeschraubt werden wie Autonomiewünsche an Grenzen stoßen. Das menschliche Streben verliert seinen drängenden, expansiven Charakter und ist zunehmend von einer Stimmung des Abschieds und der Trauer umgeben, die sich in das Lebensgefühl älterer Menschen einmischen. Die Einsicht in die Unmöglichkeit der vollständigen Erfüllung verleiht dem Alter seinen »tragischen« Charakter, die sichtbar werdende Begrenztheit des Lebens rückt dessen existenzielle Dimension ins Bewusstsein. Es ist vor allem die Psychoanalyse, die vor dem Hintergrund einer skeptischen Sicht auf den Menschen die Unvollkommenheit und Unabgeschlossenheit des Lebens als spezifische Altersthematik aufgegriffen hat. Auch die Auffassung der Psychoanalyse, der zufolge Trennungen im Leben unvermeidlich, ja Voraussetzung für Weiterentwicklung sind, was
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auch in der Therapie eine wesentliche Thematik darstellt, prädestiniert sie geradezu für eine Hinwendung zur Altersthematik. Und doch kann auch die Psychoanalyse nicht darüber hinwegsehen, dass sich das Alter nicht in Abbau und Verlust erschöpft. Es geht nunmehr darum, die der Psychoanalyse eigene konfliktorientierte Sicht vom Menschen auch auf das Alter zu übertragen. Am Beginn des Lebens ist es der Widerspruch zwischen der Natur menschlichen Begehrens und den kulturellen Einschränkungen, der sich in den fundamentalen Konflikten von Kindheit und Jugend niederschlägt. Doch nun tritt die Natur selbst zu den lebenslang fortbestehenden psychosexuellen und narzisstischen Wünschen sowie denen nach Autonomie in Gegensatz. Ist es in den ersten Lebensabschnitten die biologische Ausstattung, die dem triebhaften Expansionsstreben zugrunde liegt und es vorantreibt, so tritt nun die biologische Seite diesem Streben in Gestalt des körperlichen Alterns entgegen. Am körperlichen Altern, das zum Entwicklungsorganisator dieses Lebensabschnittes wird (Heuft 1997), brechen sich die fortbestehenden Wünsche, Bedürfnisse und Entwicklungsambitionen, die nun nicht mehr nur gegen die lebenslang fortbestehenden inneren Konflikte, sondern zusätzlich gegen einen fortschreitenden Abbauprozess durchgesetzt werden müssen. Schließlich erscheint als weitere Barriere eine narzisstisch unterminierende Haltung von Seiten der Realität, die sich keineswegs altenfreundlich gebärdet. Diese mehrfachen Barrieren führen häufig dazu, dass sich Ältere dem Altersabbau überlassen und eigene Entwicklungschancen ungenutzt verstreichen. Das körperliche Altern, in dem die Endlichkeit des Lebens sichtbar wird, wird von einigen Autoren mit dem Todestrieb in Verbindung gebracht. Akzeptiert man dieses bis heute umstritten gebliebene Konzept Freuds als Repräsentanz der Endlichkeit und des Todes, gelangt man zu der Schlussfolgerung, dass der letzte Lebensabschnitt unter dem besonderen Einfluss des Widerspruchs von Lebens- und Todestrieb, von Eros und Thanatos steht. Sich dieser existenziellen Antinomie bewusst zu werden und die mit ihm verbundenen unbewussten Phantasien, Ängste, Wünsche und Hoffnungen aus der Verdrängung hervorzuholen, bietet die Chance, die tiefere Bedeutung des Alters zu erfassen und es sich aktiv anzu-
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eignen. Eine solche konfliktorientierte Sicht macht deutlich, dass die Entwicklungsmöglichkeiten im Alter keineswegs gänzlich verschlossen sind. Vielmehr zeigt sich die Reife der Ich-Organisation und des Selbst in der Fähigkeit, die narzisstischen Wünsche transzendieren, die triebhaften Bedürfnisse sublimieren und die Autonomiewünsche begrenzen und in symbolhafte Formen überführen zu können. Die Dialektik von Verlust und Gewinn, von Abbau und Entwicklung, von körperlichem Verfall und Lebenswillen, von Regression und Progression verleiht dem Alter sein besonderes Gesicht, in ihr vollzieht sich der Aneignungsprozess des Alters (Baltes 1991; Luft 2003; Peters 2002). Die psychoanalytische Therapie geht von einem solchen umfassenden, das Unbewusste einbeziehenden Verständnis vom Alter aus. Radebold hat zusammen mit einer älteren Patientin einen Behandlungsverlauf ausführlich beschrieben und einen tiefen Einblick in die psychoanalytische Arbeit mit älteren Menschen und den unbewussten Konflikten dieser Zeit gegeben (Radebold u. Schweitzer 2001). Dennoch wird eine Langzeitanalyse im klassischen Setting, wie sie hier beschrieben wird, in der klinischen Praxis eher die Ausnahme bleiben. Nicht jeder Ältere ist einem solchen vertiefenden Verständnis gegenüber aufgeschlossen, und manch einer ist damit überfordert und nicht in der Lage, von einem solchen Angebot zu profitieren. Zahlreiche Ältere sind von Deutungen, die den manifesten Sinn der Äußerungen in Frage stellen und die auf ein Verständnis des unbewussten Erlebens abzielen, irritiert und abgeschreckt. Sie erleben sich einer fremden, ängstigenden Welt gegenüber, die sie zudem mit dem Fremden in sich selbst, als das das Alter empfunden wird, zu konfrontieren droht. Aufgrund dieser Erfahrungen ist sorgfältig darüber zu entscheiden, wie dem einzelnen Älteren angemessen begegnet werden kann, und in den meisten Fällen sind Modifikationen erforderlich, wie sie auch in der Literatur zur psychoanalytischen Behandlung Älterer seit langem diskutiert werden (Radebold 1992; Newton et al. 1991). Häufiger kommen deshalb Kurz- oder Fokaltherapien zum Einsatz, die bereits Modifikationen vorsehen und vielfach für die Behandlung Älterer angemessener sind (Ermann 2004). Doch auch hier bleibt das psychoanalytische Verständnis des Beziehungsgeschehens als
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wesentliche Reflexionshilfe unverzichtbar. Gerade durch die Betonung des Beziehungsgeschehens liefert die Psychoanalyse einen unverwechselbaren Beitrag, dessen Bedeutung auch durch die Psychotherapieforschung unterstrichen wird (Berns 2004). Dennoch kann auch ein Blick auf andere Zugangswege hilfreich sein, die ein psychoanalytisch begründetes Vorgehen bereichern und erweitern können. Deshalb sollen weitere therapeutische Richtungen im Hinblick darauf betrachtet werden, welche Anregungen ihnen im Hinblick auf erforderliche Modifikationen und Erweiterungen entnommen werden können.
Verhaltenstherapie – Die Funktionalität des Verhaltens verbessern Ähnlich wie die Psychoanalyse hat sich auch die Verhaltenstherapie nur zögernd der Behandlung älterer Menschen angenommen. Die dabei zunächst im Vordergrund stehenden operanten Methoden hatten den Vorzug, die aktuelle Bezogenheit des Verhaltens zur Umwelt zu betonen. Ein verändertes Verhalten Älterer kann danach nicht ohne weiteres einem vermeintlichen Altersabbau zugeschrieben werden, sondern muss ebenso als in der Lebenswelt des älteren Menschen begründet gesehen werden. Das Fehlen diskriminierender Stimuli, die ein bestimmtes Verhalten anregen können, oder positiver Verstärker, die dieses Verhalten aufrechterhalten, können dann ebenso zur Erklärung herangezogen werden wie stattdessen erfolgende aversive Konsequenzen auf bestimmte Verhaltensäußerungen. Die verhaltenstherapeutische Sichtweise trägt also dem negativen Einfluss einer wenig altersfreundlichen, ja manchmal geradezu feindlichen oder verarmten Lebenswelt älterer Menschen Rechnung. In ausgeprägter Weise trifft eine solche Beschreibung natürlich auf Pflegeheime zu, in denen auch erste Anwendungen operanter Verfahren praktiziert wurden. Allerdings wurde dabei zugleich die problematische Seite sichtbar, die die Berichte aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen lassen, wirkt doch der Einsatz dieser Methoden wie eine Dressur zur Erzeugung gewünschten Verhaltens. Eine alleinige Außensteuerung des Ver-
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haltens und die Kontrolle über potenzielle Verstärker schafft eben auch Möglichkeiten der Machtausübung und Manipulation (Ritter-Vosen 1979). Die neuere Verhaltenstherapie weist demgegenüber ein nahezu unerschöpfliches Methodenarsenal auf, wobei meist unterschiedliche Ansätze zu komplexeren Programmen kombiniert werden. Exemplarisch hierfür kann das Programm zur Behandlung von Depressionen im Alter von Hautzinger (2000) angeführt werden. Zwar behalten die operanten Methoden auch in der neueren Verhaltenstherapie mit Älteren (»Verhaltensgerontologie«) einen Stellenwert (Haag u. Brengelmann 1991; Haag u. Bayen 1996; Maerker 2002a), jedoch stehen Selbstkontrolltechniken und Methoden der kognitiven Umstrukturierung im Vordergrund. Diese lassen ein verändertes Bild vom Menschen erkennen (Jaeggi 1975), indem nicht mehr nur allein die Außensteuerung des Verhalten betont wird, sondern auch dessen Selbststeuerung und Zielgerichtetheit (Linden u. Hautzinger 1996; Wilken 1998). Ausgehend von dem aus der griechischen Philosophie entnommenen Grundsatz, dass nicht die Dinge selbst den Menschen beunruhigen, sondern die Vorstellungen von den Dingen, befasst sich die neuere Verhaltenstherapie nunmehr auch in differenzierterer Weise mit der inneren Welt des Patienten. Besondere Bedeutung kommt nun den so genannten dysfunktionalen Kognitionen zu, die die Wirklichkeit verzerrt widerspiegeln, in denen negative Bewertungen überwiegen und die wenig zielgerichtet sind. Damit ist sowohl eine negative emotionale Befindlichkeit wie ein nicht adäquates Verhalten verbunden. Dysfunktionale Gedanken sind bei Älteren häufig anzutreffen. So bringen von Älteren häufiger verwandte »Soll-Sätze« eine normative Sicht zum Ausdruck, die die Flexibilität und Anpassung des Verhaltens erschweren. Häufig reagieren sie auf Verluste oder Kränkungen mit Übergeneralisierungen, denen ein allgemeines Empfinden von Wertlosigkeit und eine ausschließlich negativ getönte Zukunftssicht folgt. Peth (1974) hat die rational-emotive Methode von Ellis auf das Alter übertragen und eine Reihe von Mythen beschrieben, die als irrationale Auffassungen vom Alter in der Lerngeschichte erworben wurden. Hierzu zählt etwa die Vorstellung, Alter mit Krankheit gleichzusetzen und gewissermaßen als
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Krankheit anzusehen, oder aber die Vorstellung, Inaktivität automatisch als wertlos oder als Hinweis auf eine Abhängigkeit zu betrachten. Solche Überzeugungen als Teil eines negativen Altersstereotyps sind keineswegs gänzlich verschwunden. Zwar ist in der neueren Verhaltenstherapie das Moment der Übung erhalten geblieben, das am ehesten an die behavioristische Tradition erinnert, jedoch wird dem Dialog eine wesentlich größere Bedeutung beigemessen. Der Therapeut bedient sich einer aktiven Gesprächsführung, die auch einem zurückhaltenden älteren Patienten die von ihm gewünschte Orientierung und Sicherheit verschafft. Auch psychoanalytische Autoren haben wiederholt die Notwendigkeit einer aktiveren therapeutischen Technik bei Älteren hervorgehoben, um skeptische oder zurückgezogene Ältere in einen therapeutischen Prozess zu involvieren (Jovic 1995). An kognitiven Verzerrungen zu arbeiten, fällt manchen Älteren leichter, sind damit doch mehr Kontrollmöglichkeiten verbunden. Die direktivere Art und die stärkere Symptomorientierung der Verhaltenstherapie entsprechen zudem mehr den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Ärzten, Ältere finden somit im Verhaltenstherapeuten eher das ihnen Vertraute wieder. Die hohe Transparenz und Durchschaubarkeit, die der Therapeut in jeder Phase der Therapie herstellt, und sein eindeutiges Verhalten führen zu einer Erhöhung des Selbstkontrollerlebens, wodurch Abhängigkeitsängsten Älterer entgegengewirkt wird. Die psychoedukative Komponente der Verhaltenstherapie kann dazu beitragen, eine schicksalsbetonte oder auf das Körperliche bezogene Selbstsicht durch eine mehr psychologische Sicht zu ersetzen. Indem in einer Verhaltenstherapie immer wieder auf die situationsbezogene, handelnde Auseinandersetzung mit der Umwelt fokussiert wird, wird der für ältere Menschen höchst bedeutsamen Dimension der Gestaltung und des Zurechtkommens mit der äußeren Realität Rechnung getragen. Schließlich öffnet die enge Orientierung an experimenteller Forschung der Verhaltenstherapie eher den Blick für das veränderte Lernverhalten Älterer. Einige der Charakteristika verhaltenstherapeutischen Vorgehens können gleichwohl als relativ therapieunspezifisch interpretiert werden.Aktivität, Transparenz, Psychoedukation sowie die stärkere
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Berücksichtigung der äußeren Realität überschreiten nicht das Selbstverständnis eines psychoanalytischen Ansatzes, sondern können sinnvolle Modifikationen anregen. Bei denjenigen Älteren, die allein auf einer bewussten Ebene zu erreichen sind, können die Methoden der kognitiven Umstrukturierung hilfreich eingesetzt werden. Das jedoch, was jenseits der Rationalität liegt, die als das zentrale Movens der kognitiven Verhaltenstherapie gesehen werden kann (Jaeggi 1995), bleibt unverstanden. Die Zumutungen des Alters und deren tiefere Bedeutung, die den Älteren im Innersten berühren,beunruhigen und bedrängen,bleiben unberücksichtigt.Die symptomorientierte Begrenzung der Verhaltenstherapie verhindert es, einen weiter gefassten Blick für die altersspezifischen Besonderheiten zu entwickeln.
Systemische Therapie – Lösungen ins Auge fassen Der systemisch-lösungsorientierte Ansatz, der auf die Arbeiten von Erikson und Rossi (1981), Watzlawik et al. (1969) und nachfolgend DeShazer (1989) zurückgeht, ist jüngeren Datums und hat seinerzeit eine gänzlich neue Sichtweise in die Psychotherapie eingebracht. Er betont – gewissermaßen als Gegenentwurf zur Psychoanalyse – in besonderer Weise das Finden von Lösungen, das wichtiger sei als das Sprechen über Probleme. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel zunächst darin, eine andere Wirklichkeitskonstruktion anzuregen, wozu unterschiedliche Techniken eingesetzt werden. Das Reframing dient dazu, eine vermeintliche Unfähigkeit in eine Fähigkeit umzudeuten, während die häufig verwendete Form des »zirkulären Fragens« zum Perspektivenwechsel anregt und Beziehungsunterschiede deutlich machen soll, um erstarrte Sichtweisen aufzulockern und Verstrickungen aufzulösen. Die positive Konnotation kann dazu eingesetzt werden, ein Problem oder ein Symptom von seinen positiven Aspekten her zu beleuchten und als kontextgebunden zu betrachten, also es unter den Bedingungen, unter denen es aufgetreten ist, als die bestmögliche Lösung anzusehen. Einen positiv definierten Kontext, so die Annahme, kann man leichter verlassen, um sich für neue Lösungen zu öffnen. Die
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Wirklichkeitskonstruktion, die den Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, wird durch die Möglichkeitskonstruktion ergänzt, die den Bogen hin zur Zukunft verschiebt. Zukunftsfragen nehmen in der systemischen Therapie einen bereiten Raum ein (Penn 1986). Konditionalfragen (»Was wäre wenn . . . «), die Wunderfrage (»Wenn das Problem über Nacht verschwunden wäre, dann . . . «) oder das hypothetische Fragen nach Konsequenzen (»Wenn dieses oder jenes der Fall wäre . . . «) vermitteln den Eindruck einer eigenen Problemlösungs- und Entwicklungsfähigkeit. Damit wird gewissermaßen eine Metakommunikation über die gegenwärtig missliche Lage in Gang gebracht. Verbunden mit einer positiven Konnotation können Zukunftsfragen zum Ausprobieren neuer Lösungswege anregen (Übersicht van Schlippe u. Schweitzer 1999). Auch wenn bisher kaum Arbeiten zur Behandlung Älterer vorliegen – lediglich auf Familien angewandt (Weakland u. Herr 1984) – so wird doch rasch deutlich, dass der systemische Ansatz Themen aufgreift, die auch andere Ansätze nicht außer Acht lassen sollten. Die Orientierung an Ressourcen, das Reframing und die positive Konnotation sind nicht nur als Technik zu betrachten, sie bringen auch die Achtung vor der Abwehrleistung und den Ich-Fähigkeiten des Älteren zum Ausdruck. Der Widerstand des Klienten/Patienten wird dann in seiner schützenden Funktion sichtbar, weil er dazu dient, einen völligen Zusammenbruch oder ein Überschwemmtwerden von Gefühlen der Beschämung zu verhindern. Das systemische Fragen kann geeignet sein, einen Zugang zu Älteren zu gewinnen, die in negativer Selbstabwertung, Allgemeinaussagen und pessimistischen Zukunftsbetrachtungen verharren. Die Konstruktion bisher nicht gedachter Möglichkeiten kann einer fatalistischen Auffassung entgegenwirken und erstarrte Zukunftsvorstellungen auflösen, da das eigene Entwicklungspotential angesprochen wird. Zukunftsfragen schließen immer die Frage ein, wie jemand gern sein möchte. Eine solche Auseinandersetzung mit dem eigenen Idealbild aber greift eine zentrale narzisstische Thematik des höheren Lebensalters auf (Peters 1998, 1999). Die Vermeidung von Regression und die frühzeitige Orientierung hin auf Progression hebt die gesunden Ich-Anteile hervor und fördert eine güns-
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tige weiterer Entwicklung, eine Anregung, die auch in psychoanalytischen Arbeiten heute eher aufgegriffen wird (Morgenthaler 1991). Dennoch liegt die Gefahr ausschließlich lösungsorientierter Konzepte darin, die sinnhafte Bezogenheit des Menschen zur Welt und zu seinen Mitmenschen und die Bedeutung seines Erlebens zu unterschlagen. Eine Orientierung an pragmatisch gewonnenen Lösungen basiert auf einer positivistischen Sicht, die auch dem euphemistischen Bild vom aktiven Alter zugrunde liegt. Die dem Alter inhärente Frage einer neu anzueignenden Identität im Kontext von Kontinuität und Veränderung, die nur mit Blick auf die eigene Lebensgeschichte gewonnen werden kann, wird ausklammert. Damit aber kann ein tieferes, sinnvermittelndes Verständnis nicht gewonnen werden. Die einseitige Orientierung an einer positiv zu gestaltenden Zukunft unterschlägt das tragische Moment des älteren Menschen, dessen zukünftige Möglichkeiten begrenzt sind und übersieht die ambivalente Haltung zur Zukunft, die ja auch Endlichkeit bedeutet. Diese existenziellen Fragen vermag die systemische Therapie nicht zu erfassen. Die Ergänzung eines verstehenden Zugangs durch eine lösungsorientierte Perspektive, wie es Fürstenau (1992) in seinem entwicklungsfördernden Ansatz praktiziert, kann dem gegenüber eine sinnvolle Erweiterung darstellen. Das Sichtbarwerden neuer Möglichkeiten schafft oftmals erst die Voraussetzung, Begrenzungen und Verluste näher zu betrachten. Daraus kann sich eine dialektische Perspektive von Vergangenheit und Zukunft entwickeln, wie es Fischer (1998) in seiner dialektischen Psychoanalyse beschrieben hat.
Gesprächspsychotherapie – Die Gefühle entfalten Die Gesprächspsychotherapie hat insbesondere in Beratungseinrichtungen eine große Verbreitung gefunden und wird vermutlich auch in unterschiedlichsten Einrichtungen der Altenhilfe häufig angewandt. Dennoch liegen kaum Veröffentlichungen hierzu vor. Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie, sah in seiner Theorie keine Altersbegrenzung vor. Psychotherapie war für ihn
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ein Prozess zur Erkundung der eigenen Person, um ohne Selbsttäuschung und ohne Verzerrung mit seinem Erleben eins zu werden. Nicht die Problemlösung, sondern die Entwicklung und das Wachstum der eigenen Person ist das entscheidende Ziel der Gesprächspsychotherapie. Diese Auffassung gelte unabhängig vom Lebensalter des Klienten oder Patienten, so die wenigen vorliegenden Arbeiten, die sich mit der Gesprächspsychotherapie bei Älteren befassen (Bergeest u. Rönnecke 1979; Linster 1990, 1994). Auch ältere Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen könnten sich konstruktiv in Richtung mehr Selbstkongruenz verändern, weil auch sie sich aktiv mit dem eigenen gefühlsmäßigen Erleben auseinander setzen und sich in einem stetigen Prozess des Werdens befinden. Dabei geht es vornehmlich darum, das Verhältnis zwischen den vorhandenen und erreichbaren Möglichkeiten und den Grenzen der Lebenssituation auszuloten, das Gegebene zu erkennen und anzuerkennen und realisierbare Veränderungen anzustreben. Dadurch soll die notwendige Revision und Stabilisierung des Selbstbildes durch die Angleichung von Real- und Idealbild erreicht und die Inkongruenz im Erleben, die durch nicht integrierte Altersveränderungen entstanden ist, aufgehoben werden. Fokussiert wird somit auf das Selbsterleben des älteren Menschen, was der Betonung narzisstischer Probleme entspricht, die in psychoanalytischen Arbeiten hervorgehoben werden. Dem liegt ein Menschenbild zugrunde, das diesen in einem stetigen Prozess des Werdens sieht. Dadurch wird auch an den älteren Menschen eine Sichtweise herangetragen, die Veränderung und nicht Stillstand betont. Dieser Prozess des »Werdens der Person« und des wieder InGang-Kommens der Selbstaktualisierung vollzieht sich innerhalb der therapeutischen Beziehung und wird von der bekannten Grundhaltung des empathischen Verstehens, der Wertschätzung und Kongruenz getragen. Der Gesprächspsychotherapie liegt die Vorstellung der Gesundung des Menschen durch Beziehung zugrunde, innerhalb der Beziehung kann sich das Gute im Menschen entfalten. Linster (1990) ergänzt, dass die Beziehungserfahrung in der Arbeit mit Älteren noch wichtiger und der Berater/Therapeut mehr als sonst als reale Person gefordert sei, um dem Älteren, der sich durch Altersgebrechen und Verluste selbst entfremdet erlebt,
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kompensatorische Beziehungserfahrungen zu ermöglichen. Die Zuwendung zum Älteren werde dadurch gewissermaßen zu einer Form des »symbolischen Gebens«. Ältere, die verunsichert sind, reagieren sicherlich positiv auf eine solch zugewandte Haltung, wie sie der Gesprächspsychotherapeut an den Tag legt. Indem der Berater/Therapeut dem Älteren aus dessen »inneren Bezugsrahmen« zu verstehen sucht und gewissermaßen als narzisstischer Spiegel fungiert, wird seine Selbstachtung angehoben und die Selbstexploration angeregt. Er fühlt sich ermuntert, sich seinen Gefühlen gegenüber mehr zu öffnen, was manchen Älteren durchaus schwer fällt, haben viele es doch nicht gelernt, Gefühle offen zu kommunizieren. Oft genug haben sie diese auch aus ihrer Wahrnehmung verbannt, wenn die Zumutungen des Alters überhand zu nehmen drohten. Sich auf eine Auseinandersetzung mit dem selbstbezogenen Erleben einzulassen und Angst, Kummer, Trauer, Scham und Schuld, Enttäuschung und Verzweiflung wahrzunehmen und zu ertragen, kann einen Prozess der Selbstaktualisierung anregen. Eine dadurch zu erlangende größere Selbstkongruenz umfasst dann auch eine Aussöhnung mit den Begrenzungen des Alters. Das sich ein solcher Prozess bis in die Grenzbereiche des Lebens fortsetzen kann, wird etwa in den Gesprächen mit Sterbenden sichtbar, die Annemarie Tausch (1981), eine der führenden Vertreterinnen der Gesprächspsychotherapie in Deutschland, geführt hat. Zweifellos gelingt es Gesprächspsychotherapeuten durch eine zugewandte Haltung mühelos, eine Atmosphäre herzustellen, die als positive Übertragung bezeichnet werden kann. Damit wird ein angstfreies Klima geschaffen, das zur Belebung eines guten inneren Objektes beiträgt und zur Selbstöffnung ermuntert. Ein empathischer, wärmerer Therapiestil ist heute auch in der Psychoanalyse stärker verbreitet und sicherlich eine geeignetere Basis, Älteren zu begegnen, als ein mehr intellektueller, distanzierter Stil. Allerdings sollte die Gefahr der Tendenz Älterer zur Herstellung harmonischer, narzisstisch gefärbter Beziehungen nicht übersehen werden (Kipp u. Jüngling 2000). Anders als in der Gesprächspsychotherapie ist in der Psychoanalyse ein geeignetes Klima eher die Voraussetzung, sich den inneren Konflikten und Abgründen zu nähern und nach dem verborgenen Sinn zu fragen. Deswegen besteht hier
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auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Forcierung des expressiven Erlebens, das in der Gesprächspsychotherapie so in den Vordergrund gerückt wird. Obwohl dieses in der neueren Psychoanalyse in Folge der Affektforschung durchaus mehr Berücksichtigung findet, so wird doch stärker die Notwendigkeit betont, die weiteren Zusammenhänge der eigenen Befindlichkeit zu thematisieren und zu verstehen (Köhler-Weisker et al. 1993).
Gruppentherapie – Die Sozialisation fördern Indem der Einzelne sich im Gegenüber spiegelt und in diesem sein Alter Ego findet, haben Gruppen in Übergangsphasen wie der Adoleszenz großen Einfluss auf die Identitätsfindung und -anpassung. Auch im Alter können Gruppen die Sozialisation fördern und die Entwicklung einer altersentsprechenden Identität unterstützen. Sie bieten die Chance, ein nach Verlusten und Kränkungen oft erschüttertes Vertrauen in die Verlässlichkeit von Beziehungen und die eigene Beziehungsfähigkeit zurückzugewinnen und damit soziale Isolation und Einsamkeit zu überwinden. Gruppen können ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, das der im Alter virulent vorhandenen existenziellen Angst vor einer ultimativen Getrenntheit von anderen entgegenzuwirken vermag (Tschuschke 2002). Somit liegen Gründe vor, die zur Verbreitung von Gruppenarbeit und -therapie in der gesamten Alten- und Seniorenarbeit beigetragen haben. In Übersichten werden eine Fülle unterschiedlichster Gruppenansätze von therapeutischen Gruppen unterschiedlicher Orientierung über pädagogisch orientierte Gruppen mit einem eher übenden Charakter, spezifischen Gruppenangeboten für kognitiv beeinträchtigte Patienten und körperorientierte sowie kreative Gruppenmethoden aufgeführt (Radebold 1983; Bechtler 2000; Schneider u. Heuft 2001; Kipp u. Peters 2005). Gruppentherapeutische Wirkfaktoren wie Entlastung, Identifikation mit anderen oder Stärkung eines guten Objektes durch die Erfahrung von Gruppenzusammenhalt kommen auch hier positiv zum Tragen. Die empirischen Befunde bestätigen die Nützlichkeit der Gruppenarbeit mit Älteren (Schneider u. Heuft 2001).
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Trotz dieser unzweifelhaft positiven Wirkung, die durch Gruppenangebote erzielt werden kann, ist vor einer Idealisierung der Gruppenarbeit und Gruppentherapie zu warnen, wie sie sich mehr oder weniger offen durch die gesamte Literatur zieht (kritisch hierzu Trilling u. Peters 2005). Tatsächlich kann kritisch hinterfragt werden, ob nicht manchmal schlichte monetäre Überlegungen anstelle sorgfältiger Indikationsentscheidungen den Ausschlag zugunsten eines Gruppenangebots geben. Ältere selbst schätzen Gruppenangebote keineswegs immer in der Weise, wie es die umfangreiche Literatur glauben zu machen versucht. In einer eigenen empirischen Befragung wurden Patienten gebeten, verschiedene Behandlungselemente eines stationären Angebotes danach zu beurteilen, als wie hilfreich sie diese erlebt haben. Während bei Jüngeren die Gruppentherapie auf den oberen Rängen rangierte, stand sie bei den Älteren erst an achter Stelle (Peters et al. 2002). Allerdings ist hinzuzufügen, das es sich dabei um eine interaktionelle Gruppentherapie handelte, das heißt ein Angebot, das die Fähigkeit voraussetzt, das Beziehungsgeschehen im Hier und Jetzt zu reflektieren und daraus zu lernen. Auch die klinische Erfahrung zeigt, dass sich viele Ältere auf ein solches Angebot nur begrenzt oder gar nicht einlassen können. Führt man sich die lebensgeschichtlichen Hintergründe vor Augen, wird dies leicht verständlich. In der prägenden Zeit von Kindheit und Jugend war der Umgang in Gruppen und die Gestaltung von Gruppen eher durch ein autoritäres Klima geprägt. Im Vordergrund standen straff geführte oder geleitete Gruppen mit in der Regel klarer Aufgabenorientierung. Ein freierer Umgang miteinander und die offene Darstellung von Gedanken und Gefühlen war demgegenüber eher verpönt und allenfalls innerhalb der Familie erlaubt. Doch auch hier herrschte in der Regel ein Über-Ich-geprägtes, einschränkendes Klima vor, dass einen offenen Umgang miteinander erschwerte. Die Wirkungen dieser Sozialisation wird auch in der Tendenz Älterer zur Herstellung konfliktfreier Beziehungen sichtbar, was jedoch innerhalb von Gruppen auf Dauer schwer zu realisieren ist. Da ältere Patienten zudem meist narzisstisch verunsichert sind, kommt eine Scham- und Selbstwertproblematik hinzu, die das Bestreben verstärken, sich vor weiteren Kränkungen zu schützen. Ein solcher
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Schutz aber ist eher in Einzel- denn in Gruppenkontakten zu gewährleisten. Dieser Hintergrund macht verständlich, dass es vielen Älteren schwer fällt, sich in offenen Therapiegruppen zu bewegen und diese für sich zu nutzen. Es spricht somit manches dafür, eine sorgfältige Indikationsentscheidung darüber zu treffen, ob ein Gruppenangebot für den älteren Klienten/Patienten wirklich geeignet ist. Gruppen können auch bei Älteren eine hilfreiche, die Sozialisation fördernde Wirkung entfalten, wenn für eine Passung von individuellen Möglichkeiten und Erwartungen einerseits und Art des Gruppenangebotes andererseits Sorge getragen wird. Gruppen, die eine offene Kommunikation und eine hohe innere Selbstbeteiligung voraussetzen, sind nicht immer geeignet. Strukturierte oder aufgabenorientierte Angebote werden stattdessen von manchen Älteren leichter angenommen. So können auch skeptische Ältere meist ohne Probleme in ein Konzentrations- und Gedächtnistraining integriert werden (Hübner u. Peters 2002). Die Aufgabenorientierung entlastet von dem Druck zur Selbstöffnung, und doch können unspezifische Wirkfaktoren eines positiven Gruppenerlebens zum Tragen kommen. Auch eine themenzentrierte Gruppentherapie schafft einen schutzgebenden Rahmen und Möglichkeiten der Selbstdistanzierung, der es Älteren erleichtert, sich am Gruppengespräch zu beteiligen (Schmid-Furstoss 2000a, 2000b). Außerdem kann es hilfreich sein, neben einem Gruppenangebot begleitend Einzelgespräche zu führen, die den notwendigen Kränkungsschutz vermitteln, dessen manche Ältere bedürfen, sowie dem Bedürfnis entgegenkommen, in seiner Individualität anerkannt zu werden (Peters 2000).
Paar- und Familientherapie – Beziehungen verbessern Bei der Paar- und Familientherapie oder -beratung handelt es sich um eine Gruppe unterschiedlicher Verfahren, wobei die psychoanalytische und systemische Orientierung überwiegt. Arbeiten, die sich mit älteren Menschen und ihren Partnern oder ihrer Familie befassen, sind dennoch bisher die Ausnahme (Radebold 1982; Weakland u. Herr 1984; Riehl-Emde 2000, 2005; Schrader 2005;
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Vogt 2001, 2004; Willi 1991). Gemeinsam ist den unterschiedlichen Ansätzen, den Menschen nicht als Einzelwesen, sondern ihn in seinen sozialen Bezügen zu sehen. Da eine solche Sichtweise bei Kindern und Jugendlichen unmittelbar einleuchtet, haben familientherapeutische Ansätze hier auch zunächst Verbreitung gefunden. Folgt man dem Altersstereotyp, demzufolge Ältere introvertiert, zurückgezogen oder sozial isoliert sind, scheint die Übertragung einer solchen Sichtweise auf ältere Menschen nicht ohne weiteres auf der Hand zu liegen. Doch die Realität offenbart ein anderes Bild: Ältere leben entweder in ihrer Familie oder in enger Beziehung zu ihr. Aufgrund einer längeren Lebenserwartung lebt auch der Partner häufig noch und zu den Kindern besteht auch dann meist ein enger Kontakt, wenn diese in größerer Entfernung leben. Häufig haben zusätzlich andere Angehörige, zum Beispiel Geschwister, Nachbarn oder Freunde eine wichtige Funktion übernommen. Der ältere Mensch ist somit in der Regel in ein soziales Netzwerk eingebunden, das erst im betagten Alter dünner wird. Doch dieses Netzwerk ist unterschiedlich tragfähig, und oft sind es spannungsreiche und konflikthafte Beziehungen, die es brüchig werden lassen. Verluste, Krankheiten oder Gebrechen führen häufig zur Aktivierung alter oder zur Schaffung neuer Konfliktfelder. Die zunehmende Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit Älterer hat vielfach Spannungen im gesamten Familiensystem zur Folge, weil familiäre Grenzen ihre bisherige Gültigkeit verlieren und unsichtbare Bindungen erneut spürbar werden. Familientherapeutische Ansätze gehen davon aus, dass sich Familien oftmals dadurch stabilisieren, dass ungelöste Konflikte, Ängste oder abgewehrte Wünsche an einzelne delegiert und innerfamiliäre Beziehungen dadurch entlastet und stabilisiert werden. Auch ältere Familienmitglieder können im Familienverbund zur Projektionsfläche für ungelöste Familienkonflikte werden. Weakland und Herr (1984) arbeiten an Fällen heraus, dass ein Älterer ebenso zum Indexpatienten werden kann wie Kinder oder Jugendliche. Damit aber kann ein Ausgrenzungsprozess einhergehen, der bis zur frühzeitigen Heimeinweisung oder Krankenhausunterbringung führen kann, die oft nicht allein auf den Gesundheitszustand des Älteren, sondern auf eskalierende Beziehungskonflikte zurückzuführen
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sind. Auch das Ausmaß an Gewalt in Familien mit älteren Mitgliedern als Ausdruck sich aufladender aggressiver Spannungen wird neuerdings mehr zur Kenntnis genommen (Hirsch 2004). Ist die Krise oder das symptomatische Verhalten des älteren Menschen eng mit konflikthaften Paar- oder Familienbeziehungen verbunden, reicht eine Einzelbehandlung oder Therapie oft nicht aus, um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen. Dann sollten Paar-, Angehörigen- oder Familiengespräche geführt werden, um Regeln neu zu definieren, wie es an Wendepunkten im Leben erforderlich ist, Projektionen zurückzunehmen und Grenzen neu zu ziehen. Paarberatungen und -therapien sowie Angehörigengespräche scheinen allmählich mehr Akzeptanz zu finden, während Familientherapie und -beratung weiterhin die Ausnahmen sind (Riehl-Emde 2000; Johannsen 2004). Zeitpunkt und Wahl eines erweiterten Settings sollte sorgfältig abgewogen werden. So weist Reiter (1995) darauf hin, dass introvertierte depressive Patienten zunächst eher von einer individuell orientierten Therapie profitieren und Angehörigengespräche erst dann sinnvoll werden, wenn die akute Phase der Depression überwunden ist. In jedem Fall sollten Familiengespräche sorgfältig vorbereitet werden. Zu berücksichtigen ist bei der Wahl des Settings, dass die Zusammensetzung der »Familie« häufig nicht dem Normmodell entspricht. Es kann das ältere Ehepaar sein, in dem sich die Spannungen manifestieren. Ebenso häufig sind jedoch die erwachsenen Kinder, oder – besonders bei Alleinstehenden – andere Angehörige (Geschwister, Enkel usw.), Nachbarn, Freunde oder auch professionelle Betreuungspersonen involviert. Der Begriff Familie wäre demnach genau genommen durch das relevante soziale Netz des älteren Menschen zu ersetzen.
Weitere Zugänge – Die Vielfalt nutzen Zuvor wurden unterschiedliche therapeutische Zugangswege aufgezeigt, die in Beratung und Therapie den Weg zum älteren Menschen ebnen können. Alle aufgezeigten Wege haben ihre Berechtigung und lassen unterschiedliche Vorzüge erkennen. Keinem Ver-
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fahren kommt der alleinige Anspruch zu, positive Veränderungen bewirken zu können. Insofern sollten sorgfältig getroffene Indikationen über die Wahl des Verfahrens entscheiden. Gerade die Vielfalt der Ansätze schafft die Voraussetzung, der Unterschiedlichkeit des älteren Menschen Rechnung zu tragen. Dennoch liegen in einer psychoanalytisch orientierten Vorgehensweise besondere Chancen, auf der Basis eines psychodynamischen Verstehens einen vertiefenden Zugang zu den drängenden Fragen des älteren Menschen zu finden. Bereits Carl Gustav Jung (1930) hatte darauf hingewiesen, dass seine älteren Patienten meist nicht an einer abgrenzbaren neurotischen Erkrankung, sondern an Sinn- und Selbstwertproblemen leiden, und Pfeiffer (1976) schrieb bereits früh, dass Triebkonflikte durch solche abgelöst werden, die sich auf die Frage des Lebenssinns beziehen. Damit ist sicherlich nicht gemeint, dass Erstere unbedeutend werden, aber doch, dass sich eine existenzielle Dimension des Lebens mehr und mehr in den Vordergrund schiebt und dem Lebensgefühl des älteren Menschen seine besondere Prägung verleiht. Das psychoanalytische Denken selbst hat bereits eine Vielfalt von Ansätzen hervorgebracht, wie sie in den vier psychoanalytischen Schulen – der Triebpsychologie, der Ich-Psychologie, der Objektbeziehungspsychologie und der Selbstpsychologie – zum Ausdruck kommen. Pine (1990) hat in einer Arbeit untersucht, welche klinischen Fragen sich jenseits eines Theorienstreits daraus ableiten lassen und gezeigt, wie sich diese Fragen zu einem Gesamtbild ergänzen. Dennoch ist ein verstehender, auf das Unbewusste gerichteter Zugang bei vielen Älteren nicht ausreichend, und vielfach ist auch im Rahmen der psychoanalytisch orientierten Arbeiten auf notwendige Modifikationen hingewiesen worden (Jovic 1995).Um solche Modifikationen oder Erweiterungen inhaltlich auszugestalten und zu begründen, können andere Zugangswege hilfreich sein.Voraussetzung ist eine Offenheit und Bereitschaft, sich von anderen Ansätzen anregen zu lassen. Die bewährten therapeutischen Schulen sollten sich im Zuge einer solchen Erweiterung nicht in einer integrativen Psychotherapie auflösen, wie es Grawe et al. (1994) propagieren. Ein Berater oder Therapeut braucht eine professionelle Identität, die er sich durch die Identifikation mit einer thera-
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peutischen Schule verschafft, die seinen besonderen Fähigkeiten entgegenkommt und die mit seinem Menschenbild übereinstimmt, dadurch gewinnt er an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft (Jaeggi 1995). Eine sichere Identität aber ist nicht auf Abgrenzung angewiesen, sondern Voraussetzung, sich auch dem anderen zu öffnen und sich anregen zu lassen, das zu erkennen, was hilfreich zu sein verspricht, einem älteren Klienten/Patienten bestmöglich zu helfen. Damit verschafft sich der Berater/Therapeut die Flexibilität, die erforderlich ist, sich auf den einzelnen älteren Menschen individuell einstellen zu können. Die dargestellten Verfahren suchen jeweils den ihnen eigenen und durch ihr Menschenbild und ihre Theorie und Methodik vorgegebenen Zugang zum älteren Menschen. Die Einbeziehung unterschiedlicher Anregungen kann zu besonderen Akzentuierungen innerhalb eines psychoanalytischen Zugangs führen. Pointiert gesagt, bezieht sich dies auf die Ressourcenaktivierung, wie sie der systemische Ansatz hervorhebt, das Erleben und die Integration von Gefühlen, die die Gesprächspsychotherapie anstrebt, und die Zielgerichtetheit und Angemessenheit des Verhaltens und Denkens, das besondere Anliegen der Verhaltenstherapie. Schließlich ist die Wahl des Settings abzuwägen. Auch weitere, hier nicht näher dargestellte Möglichkeiten können in Betracht gezogen werden (Übersicht Hirsch 1990; Radebold et al. 1973; Petzold u. Bubolz 1979; Radebold u. Hirsch 1994; Heuft u. Teising 1999; Bäurle et al. 2000). So finden wir mit der Reminiszenztherapie oder Life-review-Therapie (Lohmann u. Heuft 1995) und der Biografie- oder Erinnerungsarbeit (Ruhe 2003; Osborn et al. 1997) weitere spezielle Ansätze für Ältere. Bei manchen kann das autogene Training eine wichtige Ergänzung sein oder den Einstieg in ein psychotherapeutisches Arbeiten erleichtern (Hirsch 1994a). Ein kreativtherapeutisches Verfahren (Tanz-, Musik-, konzentrative Bewegungstherapie usw.) kann ergänzend einbezogen werden (Muthesius u. Sonntag 2004; Bäurle et al. 2000; Bäurle et al. 2005), um Ressourcen und schöpferische Fähigkeiten zu mobilisieren.
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Beratung und Psychotherapie – Abgrenzung und Gemeinsamkeiten Zum Verhältnis von Beratung und Psychotherapie Beratung und Psychotherapie bilden zwei voneinander getrennte Säulen unseres Versorgungssystems; Erstere ist dem Sozial- und Fürsorgesystemen zuzuordnen, Letztere dem Gesundheitswesen. Doch trotz dieser rechtlichen Unterschiede, aus denen sich auch unterschiedliche Finanzierungsgrundlagen ergeben, sind beide Vorgehensweisen nicht so klar voneinander getrennt, wie es diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen vermuten lassen. Jedenfalls gilt dies, wenn ein Beratungsbegriff zugrunde gelegt wird, der mehr meint als den Ausgleich eines Informationsdefizits, die Weitergabe von Wissen oder das Erteilen eines Ratschlages. Im psychosozialen Kontext betrachten wir Beratung immer als eine Form der sozialen Begegnung, in der es um mehr als um Informationsweitergabe geht. Wenn also im Weiteren von Beratung die Rede ist, dann habe ich ein solch erweitertes Verständnis vor Augen, nämlich eine soziale Situation, in die zwei Personen involviert sind und in der nicht allein der Experte, sondern auch der Ratsuchende eine aktive Rolle einnimmt (Sander 2003). Inwieweit ein solches Verständnis von Beratung in der Beratungspraxis auch realisiert wird, wird danach zu prüfen sein. Bislang liegt weder ein einheitlicher Beratungsbegriff noch eine eigenständige Theorie von Beratung vor. Vielmehr beziehen sich vorliegende Beratungsansätze mehr oder weniger explizit auf die etablierten psychotherapeutischen Schulen. Die praktische Arbeit ist weitgehend auf »Versatzstücke« (Pfeffer 1980) aus diesen Schulen angewiesen; Lüders (1974) deklariert die Beratungsarbeit als eine »Bruchstückmethode«. Damit ist zunächst einmal eine negative Wertung vorgenommen, als ob es sich bei der Beratung um illegitime Kinder der therapeutischen Schulen handelt (Pfeffer 1980). Ist eine solche Wertsetzung aber gerechtfertigt? Um zunächst einmal diese Bruchstücke näher zu bestimmen, ist als Ausgangspunkt die Psychotherapie selbst zu wählen. Bereits Freud
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hatte sich mit dieser Frage befasst, als er auf die Notwendigkeit hinwies, die psychoanalytische Technik den neuen Bedingungen anzupassen. »Wir werden auch sehr wahrscheinlich genötigt sein, in der Massenanwendung unserer Therapie das reine Gold der Analyse reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion zu legieren« (Freud 1918, S. 249). Hierzu, so Freud, seien die notwendigsten und wirksamsten Bestandteile auszuwählen, welche das sein könnten, dazu schwieg er allerdings. Um einer Antwort näher zu kommen ist zunächst die Frage zu klären, was eigentlich Psychotherapie ist. Strotzka (1975) definiert diese als »einen bewußten und geplanten interaktionellen Prozeß zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen [. . . ] mit psychologischen Mitteln [. . . ] in Richtung auf ein definiertes [. . . ] Ziel mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens« (S. 4). Dem nun sei eine verbreitete Definition von Beratung, wie sie in dem Standardwerk von Dietrich (1983) zu finden ist, gegenübergestellt: »Beratung ist in ihrem Kern jene Form einer interventiven und präventiven helfenden Beziehung, in der ein Berater mittels sprachlicher Kommunikation und auf der Grundlage anregender und stützender Methoden innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes versucht, einem desorientierten, inadäquat belasteten oder entlasteten Klienten ein auf kognitiv-emotionale Einsicht fundierten aktiven Lernprozeß in Gang zu bringen, in dessen Verlauf seine Selbsthilfebereitschaft, seine Selbststeuerungsfähigkeit und seine Handlungskompetenz verbessert werden können« (S. 2). Nimmt man diese Definitionen zum Ausgangspunkt und versucht einen ersten Vergleich, so lassen sich doch einige Verschiebungen und Akzentsetzungen ausmachen: Während beide die Bedeutung von Interaktion oder Beziehung hervorheben, bezieht sich Beratung danach nicht allgemein auf psychologische Methoden, sondern akzentuiert die anregender und unterstützender Art. Beeinflusst werden soll nicht eine Verhaltensstörung oder ein Leidenszustand, sondern eine Belastung oder ein Zustand, der als Krise bezeichnet werden könnte. Damit ist eine Unterscheidungslinie gezogen, die etwa von Nestmann (2002) noch etwas klarer markiert wird: Beide, so Nestmann, sind hinsichtlich verschiedener Dimensionen unterschiedlich zu positio-
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nieren, etwa in der Weise, dass Beratung eher lebensereignisbezogen, netzwerkorientiert, präventiv, kurz und problemzentriert sei, während Therapie eher krankheitsbezogen, individuumsorientiert, kurativ, lang und krankheitsbewältigungsorientiert sei. Doch auch Nestmann zieht den Schluss, dass eigentlich von einem Überschneidungsmodell auszugehen sei und dass es um Fragen der Schwerpunktsetzung und Akzentuierung gehe, nicht jedoch um eine strikte Trennung. Ein Blick in die Praxis verdeutlicht, dass eine solche überhaupt nur auf theoretischer Ebene, ansonsten jedoch schwer möglich ist. Entsprechende Versuche setzen sich rasch dem Verdacht aus, berufspolitisch oder durch narzisstische Abgrenzungsbemühungen begründet zu sein. Zahlreiche psychotherapeutische Vorgehensweisen, etwa in psychosomatischen Kliniken, wären danach wohl eher als Beratungen zu deklarieren, während Untersuchungen an Klienten in Ehe- und Lebensberatungsstellen zeigen, dass die Mehrheit der Klienten Störungsbilder mit Krankheitswert aufweisen und in Beratungsstellen durchaus psychotherapeutisch gearbeitet wird (vgl. Borg-Laufs 2003). In der Diskussion um das Psychotherapeutengesetz wurde auch lange Zeit nicht in Frage gestellt, das Beratungsstellen zu den Anbietern ambulanter Psychotherapie zählen (Borg-Laufs 2003) und es wohl tatsächlich auch sind. Dass dort auch nichttherapeutische Angebote vorgehalten werden, widerspricht dem nicht, geschieht dies doch ebenso in stationären Einrichtungen. Der Versuch einer Abgrenzung von Psychotherapie und Beratung bleibt somit relativ unbefriedigend. Weder sind beide völlig gleichzusetzen, wie es etwa in der Gesprächspsychotherapie oder auch der systemischen Familientherapie geschieht, noch sind klare Unterscheidungskriterien zu finden. Wir sollten von einem Überschneidungsmodell ausgehen, in dem aber dennoch unterschiedliche Akzentsetzungen auszumachen sind. Die Entwicklung der modernen Psychotherapie führt vermutlich zu einer weiteren Einebnung vorhandener Unterschiede, geht sie doch mehr und mehr in Richtung einer spezifischen Ausrichtung an bestimmten Störungsbildern und Patientengruppen. Grawe et al. (1994) haben diesbezüglich den Begriff der differenziellen Psychotherapie eingeführt. Eine solche Ausdifferenzierung kennzeichnet etwa auch die
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Entwicklung in den psychosomatischen Kliniken, in denen sich mehr und mehr Konzepte für spezifische Indikationsgruppen etablieren (Peters 2000). Die Psychotherapie – jedenfalls in stationären Einrichtungen – präsentiert sich hier immer weniger schulenorientiert, sondern mehr störungsspezifisch ausgerichtet, wobei auch schulenübergreifende Gesichtspunkte zum Tragen kommen. Eine solche Ausdifferenzierung bringt Varianten von Psychotherapie hervor, die von dem nicht mehr zu unterscheiden sind, was vormals als Beratung deklariert wurde. Auch innerhalb der Psychoanalyse lässt sich eine parallele Entwicklung ausmachen.Wurden in der ersten Hälfte der siebziger Jahre differenzierte Beratungskonzepte auf psychoanalytischer Basis vorgelegt (Junkers 1973; Lüders 1974; Houben 1975), so hat eine Weiterentwicklung der Beratungskonzepte in der Folgezeit nicht stattgefunden. Stattdessen finden sich zahlreiche Arbeiten zur Fokal- und Kurztherapie (Klüwer 1995, Leuzinger-Bohleber 1985), die gewissermaßen das Überschneidungsfeld zwischen Beratung und Psychotherapie markieren. Auch innerhalb der Psychoanalyse hat somit eine zunehmende Ausdifferenzierung stattgefunden, die es erlaubt, sich besser auf die Behandlungserfordernisse spezifischer Patientengruppen einzustellen. Maßgeblich erscheinen mir nicht theoretische Differenzen und prinzipielle Unterschiede, sondern die alltägliche Praxis in Psychotherapie und Beratung sowie der Versuch, diese an den Belangen einer spezifischen Gruppe, nämlich der der älteren Klienten/Patienten auszurichten. Ich bin der Auffassung, dass bei dieser Gruppe Behandlungserfordernisse vorliegen, die eine flexible Ausrichtung und eine Offenheit voraussetzen, sich von unterschiedlichen therapeutischen Richtungen inspirieren zu lassen und wo es häufig erforderlich ist, unterschiedliche Hilfsangebote zu kombinieren. Notwendig wird eine solche Haltung auch aufgrund der Altersdifferenzierung, die zur Herausbildung unterschiedlicher Altersprofile und Alterstypen und damit zur Individualisierung des Alters geführt hat, die eine ebensolche Individualisierung von Psychotherapie und Beratung nach sich ziehen sollte.Auch andere Unterscheidungskriterien von Psychotherapie und Beratung relativieren sich bei dieser Klientengruppe, wie nachfolgend gezeigt werden soll. Schließlich ist ebenso von Bedeutung, in welchem institutionellen
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Kontext eine Psychotherapie oder Beratung stattfindet, wie in dem nachfolgenden Kapitel deutlich werden wird.
Zur differenziellen Indikation für Beratung und Psychotherapie Die Unterscheidung von Krise und Neurose wurde in der Vergangenheit häufig als differenzierendes Zuweisungskriterium zu einer Beratung oder Psychotherapie herangezogen (Houben 1975). Doch ist eine solche Unterscheidung heute noch hilfreich? Beide Begriffe sind, wie wir sehen werden, aus heutiger Sicht problematisch, was insbesondere für den Krisenbegriff gilt. Dieser ist zwar einer der am häufigsten verwandten, aber zugleich schillerndsten und am schwierigsten zu fassenden Begriffe in den Sozialwissenschaften, zumal er durch eine häufig anzutreffende populärwissenschaftliche Verwendung belastet ist, in der eine Krise in fast mystischer Weise verklärt und mit Wachstum in Zusammenhang gebracht wird. Ulich (1987) weist darauf hin, dass eine Krise für den Betroffenen eindeutig ein negativer Zustand ist, der nicht in einer bequemen Apologie beseitigt werden sollte. Was aber ist mit Krise überhaupt gemeint? Umgangssprachlich, so Ulich (1987), beschreibt der Krisenbegriff, dass »etwas nicht so läuft«, dass etwas Beunruhigendes, zugleich aber Vorübergehendes eingetreten ist, dem eine gewisse Dynamik innewohnt. Die Krise drängt gleichsam durch sich selbst zu einer Lösung oder Entscheidung, es hat sich etwas zugespitzt und steht vor einem Wendepunkt. Dem etymologischen Wortsinn nach stammt das Wort aus dem Griechischen und meint Trennung. Ein Wendepunkt im Leben beinhaltet also immer auch eine Trennung, so kann man folgern. Krisentheorien können auf eine lange Tradition zurückblicken und haben in präventiven, gemeindepsychiatrischen Ansätzen früh eine bedeutsame Rolle gespielt (Ulich 1987). Auch hier wurden Krisen als Perioden des psychischen Ungleichgewichts, als eine Unausgewogenheit von Anforderung und Bewältigungsmöglichkeit beschrieben. Im Hinblick auf präventive Möglichkeiten wurde dabei betont, dass Krisenperioden einen Zeitraum umfassen, in dem
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Personen besonders offen für Einflüsse von außen sind und kurzfristige Interventionen besonderen Erfolg versprechen. Innerhalb der Psychoanalyse hat Bauriedl (1985) eine Krise auf einen unausgetragenen Konflikt zurückgeführt, dem grundsätzlich eine Gegenläufigkeit innewohne. »Ich möchte etwas ändern, aber ich habe Angst vor der Veränderung«, so Bauriedl. Die innere Grundstruktur einer Krise ist somit dialektisch angelegt und beinhaltet häufig eine Entscheidungssituation. Auch Bauriedl betont die Wichtigkeit, die Krisensituation nicht nur als dysfunktionales Phänomen, als Entgleisung, Abweichung von der Normalität, also letztlich als Defekt wahrzunehmen, sondern auch in ihrem Veränderungspotential zu erkennen. Als weiteres Unterscheidungskriterium kann das Moment des Bewussten angeführt werden (Bauriedl 1985). Ein neurotischer Konflikt ist durch gegenläufige Tendenzen beschrieben, die so unvereinbar sind, das sie zumindest partiell ins Unbewusste abgedrängt wurden und nur über eine Symptombildung eine kompromisshafte Spannungsminderung erreicht wird. Demgegenüber ist der einer Krise zugrunde liegende Konflikt dem Bewusstsein weitgehend zugänglich. Von einer ganz ähnlichen Annahme geht auch das neuere Konzept des Aktualkonflikts aus (Heuft et al. 1997b), dass dem der Krise durchaus verwandt ist. Dieser ist nicht durch einen unbewussten Konflikt charakterisiert, sondern allein durch eine Überforderung der Ich-Möglichkeiten. Bereits Freud hatte den Begriff »aktual« für solche Konflikte verwendet, deren Ursachen rein aus der Gegenwart und nicht wie bei den Psychoneurosen aus der Vergangenheit des Patienten stammen. Auf dieses, zwischenzeitlich in Vergessenheit geratene Konzept wird hier nun zurückgegriffen. Klienten oder Patienten mit einem Aktualkonflikt sind dadurch charakterisiert, dass sich in ihrer Lebensgeschichte keine Phasen besonderer Auffälligkeit finden und ein sich wiederholendes Konfliktmuster, wie es für den neurotischen Konflikt kennzeichnend ist, fehlt. Das traditionelle Konfliktkonzept der Psychoanalyse wird dadurch um die Dimension der jeweiligen lebensgeschichtlichen Aktualität ergänzt und die manchmal verbreitete Tendenz korrigiert, alle auftretenden Problem- und Konfliktsituationen auf alte Kindheitskonflikte zurückzuführen (Fischer
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1998). Damit aber kommt dem Konzept eine besondere Relevanz bei der Erklärung zahlreicher psychischen Störungen älterer Menschen zu, denen keine neurotische Störung zugrunde liegt, sondern die allein auf die Belastungen des Alters zurückzuführen sind. Tatsächlich finden sich in der klinischen Praxis zahlreiche ältere Klienten und Patienten, bei denen sich in ihrer Lebensgeschichte keine Phasen besonderer Auffälligkeit finden und die nun unter der Belastung des Alters erstmals erkrankt sind. Wie ist nun der Zustand der Krise von dem des Aktualkonfliktes abzugrenzen? Beide Zustände beziehen sich auf ein Ungleichgewicht zwischen Person und Umwelt, individuellen Möglichkeiten und situativen Anforderungen. Die in der Krise noch zu erkennende Offenheit ist bei Vorliegen eines Aktualkonfliktes aber einer Geschlossenheit gewichen. Der Aktualkonflikt kann insofern als Verschärfung einer Krise in dem Sinn verstanden werden, das sich nun das Ungleichgewicht zuungunsten der Person verschoben hat. Damit ist eine Belastungssituation eingetreten, die zu einem Zustand mit Krankheitswert geführt hat. Das Individuum ist in seinen Bewältigungsmöglichkeiten eindeutig überfordert, während einer Krise potentiell ein entwicklungsförderndes Moment innewohnt. Der Begriff der Neurose schließlich, der häufig dem der Krise gegenübergestellt wird, ist in seinem Geltungsbereich ebenso eingeschränkt brauchbar wie der der Krise. Während er in den gegenwärtig gebräuchlichen Klassifikationssystemen (ICD und DSM) keine Verwendung mehr findet, kann er weiterhin als wichtiger psychodynamischer Erklärungsansatz herangezogen werden, so dass auch Heuft (Heuft et al. 2000) in seiner Typologie psychischer Symptombildung im Alter darauf zurückgreift. Er beschreibt damit neben dem Aktualkonflikt eine weitere Form der Symptombildung, die auf eine lebenslange neurotische Entwicklung zurückzuführen ist. Ein neurotischer Kernkonflikt, der aus nicht gelösten Kindheitskonflikten resultiert, kann entweder als chronifizierte neurotische Störung oder Persönlichkeitsstörung lebenslang fortbestehen oder aber eine Zeit lang kompensiert worden sein, um dann in der zweiten Lebenshälfte symptomatisch zu werden. Schließlich ist als dritter Typus der Symptombildung im Alter
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die Trauma-Reaktivierung einzubeziehen. Das Trauma-Konzept hat neuerdings eine große Aktualität gewonnen und beschreibt schwere Erlebnisse, die praktisch jeden Menschen nachhaltig belasten oder psychisch schädigen würden. Während akute Belastungen im Alter, die traumatisch wirken, mit dem Konzept des Aktualkonfliktes erfasst werden können, hebt Heuft als spezifische Form der Symptombildung bei älteren Menschen die Reaktivierung einer früheren Traumatisierung hervor (Heuft 1999). Diese kann lebenslang ohne nachhaltige Folgen geblieben sein, um dann im Alter angesichts erneuter Belastungen oder geschwächter Ich-Funktionen die bisher kontrollierten negativen Folgen zu zeigen. Dabei kommt es seltener zu einer posttraumatischen Belastungsstörung als vielmehr zu vielfältigen Symptombildungen, etwa einer Angststörung oder einer somatischen Reaktion. Dieser Typus ist deshalb von besonderer Aktualität, weil die früheren Traumata in der Regel mit der deutschen Geschichte in Zusammenhang stehen und auf Krieg und Kriegsfolgen zurückgehen. Wenn im Alter die Vergangenheit wieder näher rückt, werden alte »Wunden« häufig noch einmal aufgerissen (Radebold 2005).
Erwachsene
sehr alte
alte
Somatisierung eines neurotischen Konfliktes
Somatisierung eines Aktualkonfliktes
Somatisierung infolge Traumareaktivierung
mittlere Traumatisierung junge
Adoleszenz
neurotischer Konflikt
Kindheit
Abbildung 1: Typologie akuter psychosomatischer oder psychischer Symptombildungen im Alter
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Legen wir das von Heuft entwickelte Modell zugrunde, stehen uns drei Typen zur Verfügung, die zur Erklärung der Symptombildung herangezogen werden können (s. Abb. 1). Während bei einem neurotischen Konflikt das innere psychische Geschehen im Vordergrund steht und bei einer Traumatisierung der Ausgangspunkt im äußeren Geschehen liegt, füllt das Konzept des Aktualkonfliktes gewissermaßen eine Lücke zwischen beiden Ansätzen. Während ein neurotischer Konflikt oder eine Trauma-Reaktivierung eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich machen, ist bei Vorliegen eines Aktualkonfliktes die Indikation weniger eindeutig zu stellen. In der Regel wird eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich sein, bei nur geringfügiger Symptombelastung kann auch eine Beratung ausreichend sein. Bei Vorliegen einer Krise hingegen wird eine psychosoziale Beratung dann erforderlich sein, wenn die eigenen Kräfte für eine Selbstberatung oder die Ausnutzung des informellen Beratungspotentials im persönlichen Umfeld nicht mehr ausreichen, eine Lösung herbeizuführen.
Entwicklungspsychologischer Rahmen – Übergänge, Aufgaben und Konflikte Im letzten Abschnitt wurde deutlich, dass die Indikation für eine Beratung oder Psychotherapie nicht in der zu wünschenden Eindeutigkeit zu stellen ist. Dass wir es nicht mit einer klaren Unterschiedlichkeit, sondern einem fließenden Übergang zu tun haben, lässt sich auch an dem entwicklungspsychologischen Hintergrund aufzeigen, der ein gemeinsamer Rahmen beider Vorgehensweisen bildet. Die empirisch orientierte Entwicklungspsychologie hat sich zu einer Entwicklungspsychologie der Lebensspanne ausgeweitet, so dass sie nicht mehr nur die Entwicklungsprozesse in Kindheit und Jugend untersucht, sondern auch Veränderungen im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Die Psychoanalyse hat ebenso begonnen, sich für Entwicklungsprozesse im höheren Lebensalter zu interessieren und die Beschränkung überwunden, die Wurzeln für eine Symptombildung allein in den frühen Entwicklungsphasen zu suchen. Heute herrscht die Auffassung vor, dass die grundlegenden
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psychosozialen Konflikte – psychosexuelle Konflikte, narzisstische Konflikte und der Konflikt um Autonomie und Abhängigkeit – nicht mit dem Erreichen der Adoleszenz abgeschlossen sind, sondern lebenslang fortwirken und auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen immer wieder neu zu bearbeiten sind (Nemiroff u. Colarusso 1985; Pollock u. Greenspan 1998). Doch das Alter ist nicht nur eine Fortsetzung früherer Themen, sondern hat auch sein ganz eigenes Gesicht. Dieses hatte Erikson (1973) in seiner acht Stufen umfassenden psychosozialen Theorie einer lebenslangen Entwicklung zu beschreiben versucht, in der er die psychosoziale Aufgabe der zweiten Lebenshälfte mit der Polarität Generativität versus Stagnation und Integration versus Verzweiflung gekennzeichnet hat. Auch wenn diese Polaritäten Wesentliches erfassen, so sind sie doch zu global, als dass sie das Entwicklungsgeschehen im höheren Lebensalter ausreichend differenziert beschreiben könnten. Heute stehen weitere Konzepte zur Verfügung, die mit einem psychoanalytischen Verständnis durchaus verknüpft werden können. Entwicklung vollzieht sich nicht nur kontinuierlich, sondern unterliegt in bestimmten Abschnitten, die als Wendepunkte oder Übergänge gekennzeichnet werden können, einer Beschleunigung. Es handelt sich dabei um Abschnitte im Leben, die durch ein psychisches Ungleichgewicht und einen Wechsel in der Entwicklungsdynamik und -richtung gekennzeichnet sind. Der Begriff des Übergangs weist somit eine Nähe zum Begriff der Krise auf, vermeidet aber dessen negative Tönung. Gelegentlich war der Begriff der »normalen Krise« oder der »normativen Krise« vorgeschlagen worden, um zum Ausdruck zu bringen, dass in bestimmten Abschnitten im Leben ein Krisenerleben unumgänglich, ja entwicklungsnotwendig sei. Doch es ist eindeutiger, wenn der Begriff der Krise für einen Übergang reserviert wird, der nicht ohne weiteres gelingt, ansonsten aber den des Übergangs vorzuziehen (Olbrich 1981; Silbereisen u. Montada 1983). Solche Übergänge lassen sich im höheren Lebensalter durchaus ausmachen und nicht selten gehen sie mit einem krisenhaften Erleben einher. Eine Übergangsphase liegt am Beginn des Alters, wenn durch das Ausscheiden aus dem Beruf ein neuer Lebensabschnitt eingeleitet oder erstmals das Alter von seiner negativen Seite erfahren wird, sei es durch einset-
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zende Einschränkungen, Verluste oder Kränkungen. Der Ältere sieht sich dann erhöhten Anforderungen gegenüber, die eine innere und häufig auch äußere Umstellung verlangen. Gelingt dies, wird ein neues Gleichgewicht gefunden und es beginnt eine längere Zeit der Ausgeglichenheit und der wiedergefundenen Balance, die durch eine bei Älteren ja häufig erstaunliche Lebenszufriedenheit gekennzeichnet ist. Ein zweiter Übergang markiert den Beginn des eingeschränkten, abhängigen Alters, das heißt eine Zeit, die – folgt man den Ergebnissen der Berliner Altersstudie (Mayer u. Baltes 1996) – häufig in der Zeit zwischen dem 80. und 85. Lebensjahr beginnt. Jetzt setzt ein deutlicher spürbarer Abbauprozess ein, die Verlustseite des Alters wird nun unübersehbar. Dieser Übergang ins »vierte Alter« rückt Themen der bedrohten Selbstständigkeit und des größeren Angewiesenseins auf äußere Hilfen oder Pflegebedürftigkeit in den Vordergrund. Der letzte Lebensabschnitt schließlich ist dann durch das Thema Tod und Sterben, den abschließenden Übergang gekennzeichnet (Kruse 2005). Ein weiteres, dem Konzept des Übergangs verwandtes Konzept ist das der Entwicklungsaufgaben, ein Begriff, der auch in psychoanalytischen Arbeiten häufig herangezogen wird. Von ihm geht offensichtlich eine große Attraktivität aus, verspricht er doch eine lebensnahe und damit klinisch relevante Perspektive. Dennoch empfiehlt sich eine genauere Prüfung des Konzeptes. Ausgehend von dem Entwicklungsmodell Eriksons wurde es bereits in den vierziger Jahren von dem Pädagogen Havighurst formuliert (Oerter 1978). Größere Popularität erlangte es in den siebziger Jahren im Zusammenhang mit der Etablierung einer Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Es wird dazu verwendet, die Anforderungen zu beschreiben, die der Mensch in einem bestimmten Abschnitt seines Lebens zu bewältigen hat. Havighurst versteht unter Entwicklungsaufgaben jene »Aufgaben, die in einer bestimmten Lebensperiode des Individuums hervortreten und deren erfolgreiche Bewältigung zu seinem Wohlbefinden und zum Gelingen späterer Aufgaben führt, während ein Mißlingen zur Unzufriedenheit im Individuum, zu Mißbilligung durch die Gesellschaft und zu Schwierigkeiten bei späteren Aufgaben beiträgt« (Havighurst 1972, zit. nach Faltermeier et al. 1992, S. 46). Die jeweils charakteristi-
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schen Entwicklungsaufgaben in einer jeden Phase des Lebens bestimmen gewissermaßen die allgemeine Struktur des Lebenslaufs. Gerade darin liegt auch der klinische Wert des Konzeptes, erlaubt es doch die Verortung des Individuums im Lebenslauf. Worin bestehen nun die Entwicklungsaufgaben des höheren Lebensalters? Radebold (1992) sieht dieses durch folgende Anforderungen charakterisiert, wobei hier nur die Grobkategorien wiedergegeben sind (ausführlich bei Radebold 1992): – Reagieren auf den sich verändernden Körper (physische und psychische Anteile); – Umgehen mit den eigenen libidinösen, aggressiven und narzisstischen Strebungen; – Gestalten der intragenerativen Beziehungen; – Gestalten der intergenerativen Beziehungen; – Sich durch Beruf und Interessen stabilisieren; – Erhalten der sozialen Sicherheit/Versorgung; – Erhalten der eigenen Identität; – Einstellen auf die sich verändernde Zeitperspektive sowie auf Sterben und Tod. Auch wenn das Konzept durchaus Probleme aufweist wie etwa die Gefahr, Entwicklungsaufgaben als normative Vorgaben für eine »normale« Entwicklung zu betrachten (Peters 2002), so hat es doch eine Reihe von Vorzügen. Zwar birgt die Beschreibung des Alters als Aufgabe die Gefahr des Missverständnisses, es handele sich um eine rein kognitiv-rationale Anforderung, wo doch die ganze Person involviert ist. Der Vorteil liegt jedoch in der Überwindung einer schicksalbetonten Auffassung vom Alter. Dort, wo Aufgaben gestellt werden, sind auch Antworten möglich und ist beratendes oder therapeutisches Handeln überhaupt erst sinnvoll. Von Antworten zu sprechen – und dabei auch jene »Selbstheilungsversuche« einzubeziehen, die nicht der normalen, gesunden Entwicklung entsprechen, wie es Kipp und Jüngling (2000) vorschlagen – erkennt dem älteren Menschen nicht nur eine aktive Rolle zu, sondern fragt über eine Defizitperspektive hinaus nach seinen Kompetenzen und Ressourcen, die erforderlich sind, um individuelle Antworten finden zu können.
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Entwicklungsaufgaben können gewissermaßen als eine Taxonomie für die Probleme herangezogen werden, die Klienten und Patienten in eine Beratung oder Therapie führen, darin liegt ihr klinischer Wert. Damit aber lässt sich jenseits einer Diagnose oder Krankheit ein Verständnis vom Klienten oder Patienten gewinnen.
Was heißt entwicklungsorientierte Beratung und Psychotherapie? Der entwicklungspsychologische Hintergrund schafft eine gemeinsame Ausgangslage für Beratung und Psychotherapie. Damit entsteht kein gänzlich neuer klinischer Ansatz, wohl aber eine besondere Akzentuierung der oben dargestellten Zugangswege. Die an der empirischen Forschung orientierte klinische Entwicklungspsychologie hat sich seit geraumer Zeit mit der Entwicklung eines Konzeptes zur Entwicklungsberatung befasst (Brandstätter u. Gräser 1999; Gräser 1993). Dabei wird betont, dass die Wirksamkeit psychologischer Interventionen erhöht werden könne, wenn sie auf die in jeder Entwicklungsphase spezifische Sensitivität und Reagibilität Rücksicht nehme. Oerter (1999) nennt drei Gesichtspunkte entwicklungspsychologisch fundierter Intervention: Förderung der Prävention, Entwicklungsziele, die sich in Termini von Entwicklungsaufgaben definieren lassen sowie im Sinne eines ökologischen Ansatzes die Betonung eines entwicklungsfördernden Kontextes. Auch innerhalb der Psychoanalyse ist ein verstärktes Interesse an einer entwicklungsorientierten Ausrichtung der Therapie festzustellen (Fürstenau 1992; Settlage 1992; Greenspan 1997). Wie aber kann im Rahmen eines psychoanalytischen Ansatzes eine Entwicklungsorientierung realisiert werden? Die Psychoanalyse ist traditionsgemäß mehr an der Vergangenheit interessiert, im Rahmen ihrer genetischen Perspektive geht es um die Aufklärung der Entstehung von Problemen und Konflikten sowie die Frage, wie sich diese in der Gegenwart niederschlagen. Ziel der Therapie ist die Auflösung der Pathologie, so, wie sie sich in der Übertragungsbeziehung manifestiert und bearbeitet werden kann. Entwicklungsorientierte Autoren wenden nun ein, dass ne-
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ben der Auflösung der Pathologie mehr die Förderung des Entwicklungsprozesses und zukunftsorientierter Entwicklungstendenzen Berücksichtigung finden müsse. Als einer der Ersten hatte wohl Loewald (1986, Erstveröffentlichung 1960) eine Analogie zwischen therapeutischer Beziehung und Eltern-Kind-Beziehung hergestellt. Beides, so Loewald, sei jedoch nicht deckungsgleich, befasse sich der therapeutische Prozess doch mit der Pathologie, der Entwicklungsprozess mit Entwicklung. Beide Prozesse stünden in einer komplementären Beziehung zueinander und vollzögen sich parallel innerhalb der therapeutischen Beziehung. Dieser Gedanke wird neuerdings stärker aufgegriffen (Greenspan 1997; Hurry 2002). Fürstenau (1992) verweist darauf, dass die Bearbeitung und Auflösung der Pathologie allein oft nicht zu konstruktiver Weiterentwicklung führe, sondern deren Förderung und Ausgestaltung als Teil des therapeutischen Prozesses betrachtet werden solle. Die Perspektive eines doppelten Blickes, wie Fürstenau ihn empfiehlt, ist im Umgang mit Älteren hilfreich, geht es doch einerseits um Trennung und Ablösung, zum anderen aber um Neukonstruktion. Auch wenn Alter keine Pathologie ist, die es aufzulösen gilt, so geht es doch um die Einsicht, dass der bisherige Lebensentwurf nicht mehr tragfähig ist, weil die »schwindende« Zeit ihn unterhöhlt hat oder weil Verluste, Kränkungen, Gebrechen ihm entgegenstehen. Das Problem besteht darin, dass bisherige Bewertungsmaßstäbe ungültig geworden sind und neue an deren Stelle treten müssen. Die Stärke eines psychoanalytischen Vorgehens liegt mehr darin, den bisherigen Lebensentwurf, der sich über lange Zeit als tragfähig erwiesen hatte, nun aber aufgrund altersbedingter Veränderungen obsolet geworden ist, zu »dekonstruieren« und sich im Rahmen der Trauerarbeit, die Teil einer jeden Beratung und Therapie Älterer ist, von ihm in der bisherigen Form zu trennen. Kognitive und lösungsorientierte Therapeuten richten demgegenüber ihr Augenmerk stärker auf die Konstruktion eines veränderten Selbstund Weltverständnisses und modifizierter Bewertungsmaßstäbe. Es geht also um die Notwendigkeit einer »metakognitiven Umstrukturierung«, wie sie kognitive Therapeuten anstreben. Beides im Blick zu haben erfordert eine dialektische Entwicklungsarbeit, die sich in dem Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft,
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von Abschied und Neubeginn entfaltet (Fischer 1998; Peters u. Kipp 2002). Die entwicklungsorientierte Perspektive betont die lebensgeschichtliche Aktualität des symptomatischen oder krisenhaften Geschehens. Eine ausschließliche Fokussierung auf Übertragungsphänomene, wie sie ohnehin in Beratungen, aber auch Kurztherapie unterbleibt, ist dabei eher zu vermeiden, ist damit doch eine Abschwächung des lebensweltlichen Bezuges verbunden (Fischer 1998). Der psychoanalytischen Therapie wohnt die Tendenz inne, entwicklungs- und lebensweltliche Bezüge auf die »eigentlichen« zugrunde liegenden strukturellen Konflikte zurückzuführen, mit der Folge, dass das zuvor auslösende Ereignis in den Hintergrund tritt. Damit wird jedoch ein regressiver Prozess in Gang gesetzt, der bei Älteren mit Vorsicht zu handhaben ist. Zwar ist eine Regression in jeder Beratung und Therapie erforderlich, um Zugang zu Gefühlen und verborgenen Phantasien zu finden sowie verschüttete Ressourcen zu mobilisieren. Dennoch sollte bei Älteren eine unkontrollierte Regression verhindert werden. Morgenthaler (1991) empfiehlt, den Patienten als Partner zu sehen, der zwar Konflikte und Symptome zeige, aber dennoch so gesund wie möglich und nicht so krank wie möglich gesehen werden sollte. Regressive Wünsche sollten so weit zugelassen werden, dass eine emotionale Bewegung möglich ist, ohne dass diese jedoch die Funktionen des Ich dauerhaft beeinträchtigten. Wenn wir den entwicklungs- und lebensweltlichen Bezug des Klienten und Patienten im Blick behalten, um progressive Schritte zu fördern und konkrete Verhaltensänderungen zu bewirken, sind unter Umständen auch handlungsbezogene, soziale Interventionen erforderlich. Gerade der ältere Mensch ist auf die Erhaltung und Stärkung seiner sozialen Bezüge angewiesen, er braucht eine Umwelt, auf die er aktiv-gestaltend einwirken kann und die bei stärkeren Einschränkungen so angepasst ist, dass er seine Selbstständigkeit so lange als möglich aufrechterhalten kann. Wenn wir von Entwicklungsorientierung in der Beratung und Therapie Älterer sprechen, dann gehen wir nicht von Krankheiten oder Diagnosen aus, sondern von der Frage, wie sich der ältere Mensch mit den sich ihm stellenden Anforderungen auseinander
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setzt und wieweit es ihm gelingen kann, eine persönliche Antwort auf sie zu finden. Eine solche Antwort verlangt die Umstrukturierung der Muster seiner bisherigen inneren Welt. Er muss dabei mit der Ambivalenz und Ungewissheit dieses Lebensabschnittes umzugehen lernen, um seine Identität zwischen den Polen von Kontinuität und Veränderung neu zu finden und den Lebenssinn aufrechtzuerhalten oder neu zu schöpfen.
Versorgungsrealität – Anspruch und Wirklichkeit
Versorgungsangebote und ihre Inanspruchnahme – die »versprengten« psychisch kranken Älteren »Die somatisch versprengten psychisch kranken Älteren«, so überschrieb Schütz 1993 einen Vortrag, in dem er auf die unzureichende Versorgungslage dieser Patientengruppe hinwies und zugleich die daraus resultierende unzureichende Behandlung herausstellte. Indem er dem Adjektiv versprengt noch ein zweites, nämlich somatisch hinzufügte, wies er bereits auf den Weg hin, auf den die psychisch kranken Älteren geraten sind. In diesem Kapitel soll es darum gehen, sie »aufzuspüren«. Es werden einzelne Versorgungssegmente daraufhin untersucht, inwieweit diese von psychisch kranken oder belasteten älteren Menschen in Anspruch genommen werden und inwieweit das vorgefundene Behandlungsangebot angemessen ist. Im Vordergrund steht die Frage der Passung von Krankheitsbild und Patientencharakteristika auf der einen Seite und dem Behandlungsprofil der in Anspruch genommenen Einrichtung auf der anderen Seite. Beginnen werde ich mit dem niedergelassenen Arzt, dem in mancher Hinsicht eine »gatekeeper«-Funktion zukommt. Danach werden folgende Bereiche genauer betrachtet: Alten- und Seniorenberatungsstellen – psychologische Beratungsstellen – psychotherapeutische Praxen – psychosomatische Kliniken – psychiatrischer Versorgungsbereich – geriatrische Kliniken – Pflegesektor. Bei der Darstellung des Versorgungssangebots werden soziale, psychische und physische Belastungen berücksichtigt.
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Versorgungsrealität – Anspruch und Wirklichkeit
In der Praxis des niedergelassenen Arztes Hausärzten kommt eine zentrale Rolle in der Versorgung psychisch belasteter oder kranker älterer Menschen zu. Die Zahl der Hausarztbesuche steigt mit zunehmendem Alter stark an; während unter 60-Jährige durchschnittlich 6,4 Konsultationen im Jahr hatten, sind es bei über 60-Jährigen 13,4. Hierfür ist keineswegs allein die körperliche Morbidität verantwortlich, sondern auch die subjektive empfundene Gesundheit sowie die psychische Morbidität dieser Gruppe (Hessel et al. 2000; Fichter 1990). Der Hausarzt ist für die meisten die Person, der sie am ehesten ihre Sorgen und Nöte anvertrauen (Phillips u. Murrell 1994). Meist besteht bereits eine längere Beziehung, so dass eine Vertrauensbasis vorhanden ist, die es erleichtert, auch über Sorgen und Nöte zu sprechen, die über das Körperliche hinausgehen. Doch auf diese bedeutsame Aufgabe sind Hausärzte kaum vorbereitet, wie in der Literatur übereinstimmend festgestellt wird (Radebold 1989; Wolter-Henseler 2000). Obwohl der Allgemeinarzt rund 44 Prozent seiner gesamten Arbeitszeit mit geriatrischer Versorgung zubringt, 60 Prozent aller psychischen Erkrankungen bei Älteren feststellt und über 90 Prozent der als psychisch krank definierten Älteren behandelt (Walter et al. 1999; Lang 1999; Cooper u. Sosna 1983), spricht dies keineswegs für die Qualität der Versorgung, da gleichzeitig davon auszugehen ist, dass viele Erkrankungen unerkannt bleiben oder nicht optimal behandelt werden. Demenzen werden oft nicht oder zu spät erkannt, Depressionen werden zu ungefähr 40 Prozent übersehen (Heuft et al. 2000), und Alkoholabhängigkeit wird nur in 30 Prozent der Fälle festgestellt (Wolter-Henseler 1996). Selbst in den Fällen, in denen eine Diagnose richtig gestellt wird, folgt daraus nicht notwendigerweise auch eine adäquate Behandlung; das unzureichende Überweisungsverhalten an den Facharzt (Psychiater) ist vielfach belegt. In der Solinger Untersuchung von Wolter-Henseler (1996) hielten Hausärzte nur bei 25 Prozent der von ihnen als psychisch krank erkannten älteren Patienten eine Überweisung zum Psychiater für erforderlich, wobei eine negative Einschätzung der Behandlung durch diesen von Bedeutung war. Eine Überweisung an einen Psy-
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chotherapeuten wird noch seltener in Erwägung gezogen, und auch an Beratungsstellen wird von Ärzten nur selten verwiesen (Bracker 1982). Die Rolle als Case-Manager nehmen sie somit kaum wahr. Die folglich unzureichende Behandlung spiegelt sich in der Gabe von Psychopharmaka wider, die bei Älteren zu 60 Prozent von Allgemeinärzten und nur zu 20 Prozent von Fachärzten verordnet werden. Untersuchungen zeigen einen nur geringen Zusammenhang von psychiatrischem Krankheitsbild und verordneten Psychopharmaka (Helmchen et al. 1996). Nun kann aus dieser unzureichenden Situation keine generelle Kritik an den Hausärzten abgeleitet werden, tragen doch die Älteren selbst in einem erheblichen Maße zu ihr bei. Bekanntermaßen berichten sie dem Arzt oft eher die leichten Symptome als die Zeichen einer schwereren Störung. Dies dürfte nicht nur für körperliche, sondern auch psychische Anzeichen einer Erkrankung gelten, ja oft wird allein die körperliche Seite der Erkrankung geschildert, gewissermaßen als Appell, die Krankheit zu »verdinglichen« und darüber Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Bekannt ist auch, dass Ärzte bei Älteren eher als bei Jüngeren geneigt sind, körperliche Symptome als Anzeichen eines körperlichen Geschehens zu interpretieren. Verstärkt wird die Tendenz durch die Bedeutung, die ein älterer Mensch der Beziehung zum Hausarzt als oft langjährigem Verbündeten und Begleiter beimisst. Eigene unveröffentlichte Befunde ergaben, dass Arztbesuche und soziale Kontakte ebenso assoziiert sind wie der Konsum von Psychopharmaka und das Erleben sozialer Unterstützung. Eine solche Anbindung bleibt nicht ohne Wirkung auf den Arzt, erlebt er sich doch seinerseits dem Patienten gegenüber in der Rolle des Beschützers und Begleiters und aufgrund dessen in der Pflicht, auch weiterhin an seiner Seite zu bleiben. Dies mag nicht nur dazu führen, Symptome falsch zu deuten und dem Älteren die Kränkung einer psychischen Diagnose zu ersparen. Noch schwerwiegender dürfte die Hemmung sein, den Patienten zu einem psychiatrischen Kollegen oder Psychotherapeuten zu schicken. Das »Wegschicken« könnte eine weitere Kränkung bedeuten und die Angst hervorrufen, den Patienten zu verlassen. Daher unterbleibt dieser Schritt, um Schuldgefühlen zu entgehen (Peters 2000).
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Daraus folgt, dass psychiatrische Praxen von Älteren seltener konsultiert werden als zu erwarten. Entgegen den eindeutigen Befunden, denen zufolge die psychische Morbidität – jedenfalls für schwere Erkrankungen – aufgrund des Anstiegs der Demenzen deutlich zunimmt, steigt die Inanspruchnahme psychiatrischer Angebote ambulant wie stationär nicht an, sondern geht sogar zurück (Häfner 1992). Die Expertenkommission geht davon aus, dass von der Gesamtheit der 7 bis 8 Prozent dringend behandlungsbedürftigen psychisch kranken alten Menschen allenfalls ein Prozent adäquate fachärztliche Hilfe erhält, die Mehrheit der Betroffenen wird von psychiatrischen Versorgungsangeboten nicht erreicht. Die Versorgung der mit einer psychischen Störung alt gewordenen Patienten ist dabei in der Regel besser als der im Alter Neuerkrankten. Lediglich etwa 30 Prozent der alten Menschen mit hirnorganischen Störungen sind von einem Psychiater untersucht worden, mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil noch erheblich weiter ab (vgl. Wolter-Henseler 1996). Krauss (1989) stellt fest, dass der Nervenarzt in der Betreuung psychisch kranker älterer Menschen eine sehr untergeordnete Rolle spielt.
In der Alten- und Seniorenberatung Die Kommunen sind nach dem BSHG zur Altenhilfe verpflichtet. Sie sollen den älteren Menschen Hilfen bereitstellen, die zur Aufrechterhaltung eines selbständigen Lebens und zur Teilhabe an der Gemeinschaft erforderlich sind. Beratung ist genau so wie im Pflegeversicherungsgesetz vorgesehen.Diese ideelle Dimension ergänzt die materielle und praktische Unterstützung. Damit ist Beratung in einen engen Kontext von Auskunft, Vermittlung und konkreter Hilfestellung gestellt. Wie sich nun die Realität der Altenberatung darstellt oder entwickelt hat, lässt sich an einer bereits Ende der siebziger Jahre durchgeführten Untersuchung der Universität Kassel ablesen, in der weit über tausend Beratungseinrichtungen bundesweit angeschrieben wurden und in Hessen noch einmal über hundert Einrichtungen einer Intensivbefragung unterzogen wurden (Bracker 1982). Eine Studie des Landes Nordrhein-Westfalen
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kann als Vergleich herangezogen werden, wobei der Vergleich dadurch begrenzt ist, dass an Letzterer lediglich zehn Modelleinrichtungen teilnahmen (Heinemann-Koch u. Korte 1999). In der Erhebung in Nordrhein-Westfalen befand sich ebenso wie in der älteren Kasseler Studie der Großteil der Ratsuchenden in einem fortgeschritteneren Alter zwischen 70 und 85 Jahren, wobei die Mehrzahl bereits hilfs- oder pflegebedürftig war, jüngere Ältere kamen demgegenüber eher seltener. Die Mehrheit der Ratsuchenden war weiblich, nämlich 73 Prozent, davon etwa die Hälfte alleinlebend. Untere Einkommensgruppen waren deutlich überrepräsentiert. Obwohl inzwischen nicht mehr von Alten-, sondern von Seniorenberatung gesprochen wird, um das Stigma des »Altseins« zu beseitigen und die Eingangsschwelle zu verringern, hat sich die Gruppe derjenigen, die um Beratung nachsuchen, kaum verändert. Dennoch lassen sich auch einige Veränderungen ausmachen. In der Kasseler Studie wurden nur 3,3 Prozent der Beratungen von einer ausgesprochenen Altenberatungsstelle durchgeführt. Viele der Berater waren dementsprechend keine speziellen Altenberater mit entsprechender Qualifikation, häufig wurde nur eine geringe Wochenstundenzahl mit der Beratung Älterer zugebracht. Zu denken gibt auch, dass zahlreiche Beratungsstellen angaben, für die Altenberatung kein eigenes Zimmer zur Verfügung zu haben und dass sich mehrere Personen ein Zimmer teilen müssen. Dadurch waren kaum Voraussetzungen zur Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses gegeben, das aber erforderlich wäre, um über persönliche Themen sprechen zu können. Diese ungünstigen Rahmenbedingungen haben sich innerhalb von zwanzig Jahren verbessert. Jede größere Stadt verfügt heute über eine Einrichtung in kommunaler oder freier Trägerschaft, in der ältere Menschen um Beratung nachsuchen können. Größere Städte haben zum Teil ein spezielles Amt oder Büro für Senioren eingerichtet, das sich zweifellos besser auf die Belange Älterer einstellen kann (Belardi u. Fisch 1999). Sowohl die räumlichen Gegebenheiten wie auch die Qualifikation der dort tätigen Berater dürfte sich deutlich gebessert haben. In den von Heinemann-Koch und Korte untersuchten Einrichtungen waren ausschließlich Mitarbeiter mit mindestens Fachhochschulab-
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schluss (vor allem Sozialarbeiter) beschäftigt. Die Voraussetzungen für die Beratung haben sich somit verbessert, dennoch dürfte auch weiterhin in manchen Städten Seniorenberatung im allgemeinen Sozialdienst angesiedelt sein, der jedoch auf Jugend- und Familienhilfe spezialisiert ist. Keine Veränderungen waren bei den Beratungsanlässen und -themen zu erkennen, die sich unverändert vorrangig auf »geschlossene Hilfen« beziehen, das heißt auf Themen wie Heimunterbringung, Vermittlung von Kuren oder Ausflüge. Im Einzelnen ergab sich in der Kasseler Studie folgendes Bild, das sich in der Nordrhein-Westfalen-Erhebung nahezu unverändert wiederfindet: – Einkommens- und Finanzberatung (z. B. Erbe): 17,1 Prozent; – Wohnberatung (z. B. Wohngeld, Heimunterbringung): 10,9 Prozent; – Ernährungs- und Gesundheitsberatung (z. B. mobile Dienste): 10,0 Prozent; – Verbraucher- und Sicherheitsberatung: 1,1 Prozent; – Rechtsberatung: 5,9 Prozent; – Freizeit- und Bildungsberatung: 21,3 Prozent; – Lebensberatung: 10,2 Prozent. Angesichts der oben erwähnten Rahmenbedingungen muss es fast erstaunen, dass über diese Sachfragen hinaus dennoch zahlreiche persönliche Themen und Probleme zur Sprache kamen; die häufigsten waren: Kontaktarmut/Vereinsamung (29 Prozent), Partnerverlust (20 Prozent), Alterskrankheiten (20 Prozent), soziale Umwelt (18 Prozent) und psychiatrische Alterskrankheit (13 Prozent). Generationenprobleme, Älterwerden/eigener Tod, Partnerprobleme und seelsorgerische Probleme kamen hingegen seltener zur Sprache. Solche Themen werden in der Regel erst in einem sich entwickelnden Beratungsprozess angesprochen, zu dem es allerdings in der knapp bemessenen Zeit kaum kommt; in beiden Untersuchungen überwiegen Kurzkontakte. In der Erhebung von Heinemann-Koch und Korte beschränkten sich 50 Prozent der Beratungen auf einen Kontakt,der in der Regel nicht länger als zehn Minuten dauerte. Nur knapp zehn Prozent der Beratungen dauerten länger
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als eine Stunde. In solch kurzen Zeiträumen muss Beratung beschränkt bleiben auf Information, Auskunft und Vermittlung. Allerdings hatten die hier untersuchten Beratungsstellen auch keinen darüber hinausgehenden Beratungsanspruch. Diese Vorrangigkeit auf Sachberatung und konkrete Hilfen ist sicherlich durch die meist komplexen Problemlagen der alten Menschen begründet, die ein konkretes Eingreifen erforderlich machen. Interessant ist der Befund, dass durchschnittlich sechs verschiedene beteiligte Helfer koordiniert werden mussten, um ein Versorgungsnetz zu knüpfen. Der Akzent liegt somit auf dem Case-Management, eine psychosoziale Beratung ist nicht vorgesehen. Damit wird jedoch eine Beschränkung vorgenommen, die der tatsächlichen Problemlage kaum angemessen sein dürfte. So fällt auch an den Ergebnissen von Heinemann-Koch und Korte auf, dass nach Einschätzung der Beraterinnen und Berater ein Drittel der Ratsuchenden an Einsamkeit litt und weitere 34 Prozent zumindest gelegentlich Einsamkeitsgefühle hatten. Bei fast zwei Drittel der Ratsuchenden wurden familiäre Konflikte vermutet, häufig im Zusammenhang mit der Pflege. Schon Radebold et al. (1982) stellte in einer ebenfalls schon älteren Erhebung einen hohen Bedarf fest, über persönliche Fragen zu sprechen, die zunächst jedoch hinter Sachfragen verborgen blieben und häufig gar nicht zur Sprache kamen. Einige Beratungsstellen sind sich dieser Diskrepanz stärker bewusst und haben der psychosozialen Beratung bereits ein größeres Gewicht verliehen. Modellhaft ist die Beratungsstelle für ältere Menschen in Tübingen zu erwähnen, deren Beratungsangebot die psychosoziale Situation der Ratsuchenden einbezieht (Brock-Dautel 1983; Beratungsstelle 2003). Damit ist nicht nur eine andere Qualifikation der Mitarbeiter erforderlich, die Sachfragen auch in ihrer Funktion als »Türöffner« erkennen sollten. Es fällt zudem ein größerer personeller Aufwand an, weil sich der Beratungsprozess verlängert. Bislang sind Seniorenberatungsstellen allerdings personell deutlich schlechter als etwa Erziehungsberatungsstellen ausgestattet. Dem steht der im Vergleich zu anderen Versorgungssegmenten unbestreitbare Vorteil gegenüber, dass neben Einzelberatungen in der Regel Hausbesuche durchgeführt werden und damit auch jene Klienten eine Chance auf eine Beratung haben, die in ih-
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rer Mobilität eingeschränkt sind (Karl u. Nittel 1988). Außerdem gibt es zusätzlich oft gemeinwesenorientierte Angebote wie zum Beispiel Erzählcafés. Auch Öffentlichkeitsarbeit und Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Stellen nehmen einen relativ breiten Raum ein und sind im Sinne der Aufklärung sicherlich positiv zu werten. Inzwischen haben eine Reihe von Beratungsstellen ein ähnliches psychosoziales Beratungskonzept übernommen und sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Alten- und Seniorenberatungsstellen zusammen geschlossen.
In der psychologischen Beratungsstelle Die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme psychosozialer Beratung erhöht sich dann, wenn die aufzusuchende Stelle mit dem vermeintlichen Stigma alt assoziiert wird. Die Einrichtungen, die auf demente oder anderweitig psychiatrisch erkrankte Ältere oder auf pflegende Angehörige ausgerichtet sind, werden deshalb von den jungen Alten gemieden. Gerade sie, die sich auf dem Weg ins Alter befinden und auf diesem Weg in schwierige psychosoziale Konfliktlagen geraten, dürften kaum bereit sein, in der »klassischen Altenberatung« um Hilfe nachzusuchen. Bei ihnen geht es weniger um äußere Hilfen oder Sachberatung, sondern stärker um die Klärung und Bearbeitung innerer Konfliktlagen. Dieser Beratungsbedarf bildet sich mehr und mehr in allgemeinen Beratungsstellen, zum Beispiel in Ehe- und Lebensberatungsstellen oder Beratungsstellen von Pro Familia ab, die von dieser Gruppe zunehmend frequentiert werden. Es mehren sich die Hinweise, denen zufolge sich Beratungsstellen auf diese neue Klientel einzustellen beginnen. So haben Beratungsstellen von Pro Familia in Baden-Württemberg einen Arbeitskreis »Alter und Liebe« gegründet; bereits zwei Ausgaben des Pro-Familia-Magazins wurden dem Thema »Alter und Sexualität« gewidmet (1998, 2003). Aufgrund der personellen Ausstattung, die neben Sozialarbeitern auch Ärzte und Psychologen umfasst, die über therapeutische Kompetenz verfügen, besteht in den Beratungsstellen von Pro Familia sowie den Ehe- und Lebens-
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beratungsstellen eher die Chance, konfliktorientierte Beratungskonzepte zu realisieren. Im Vordergrund steht nicht die Vermittlung von Expertenwissen, sondern die Begleitung im Verstehensprozess bei der Bearbeitung von Konfliktsituationen sowie beim Aushalten von leidvollen Lebenswirklichkeiten und der Suche nach neuen Lebensperspektiven. An einer Untersuchung, an der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen sowie die Beratungsstellen von Pro Familia beteiligt waren (insgesamt 441 Beratungsstellen), betrug der Anteil der über 51- bis 60-Jährigen 7,1 Prozent und der über 61-Jährigen 2,0 Prozent (Klann u. Hahlweg 1994). Die Erhebung wurde 1993 durchgeführt. Interessant war, dass die Gruppe der Älteren in den Beratungsstellen mit konfessioneller Trägerschaft stärker vertreten waren, nämlich mit einem Anteil von 8,9 Prozent beziehungsweise 2,5 Prozent, wobei der Anteil in den Stellen mit katholischer Trägerschaft noch einmal höher lag als bei denen in evangelischer Trägerschaft. Dennoch kommen die Autoren zu der Feststellung, dass die älteren Ratsuchenden deutlich unterrepräsentiert sind. Gegenüber einer 1982 bis 1984 durchgeführten Erhebung ergab sich nahezu kein Unterschied, bei den über 60-Jährigen sogar eine Rückläufigkeit (Klann u. Hahlweg 1987). 2000–2001 schließlich ergaben sich in einer repräsentativen Erhebung an Beratungsstellen, die im Deutschen Arbeitskreis für Jugend-, Ehe- und Familienberatung zusammengeschlossen sind, folgende Zahlen: 11,6 Prozent der Ratsuchenden waren zwischen 51 und 60 Jahren alt, die Gruppe der über 60-Jährigen umfasste 2,6 Prozent (Klann 2002). Aus der Jahresstatistik der Beratungsstellen in katholischer Trägerschaft für 2003, in der 95000 Klienten erfasst sind, ging Folgendes hervor: 12 Prozent der Ratsuchenden waren 50 bis 60 Jahre alt, der Anteil derjenigen über 60 belief sich auf 6,2 Prozent (Klann, persönliche Mitteilung). Ein allmählicher Anstieg der Anzahl Ratsuchender ist also vornehmlich bei den jüngeren Älteren festzustellen. Der Beratung Älterer wird ein stetiges Wachstum vorausgesagt, wobei insbesondere bei angehenden Ruheständlern Unsicherheitsgefühle und Ängste zunehmen und einen Beratungsbedarf begründen (Tenzer 2003). Welche Älteren aber frequentieren bereits heute die Beratungsstellen?
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Eine detaillierte Aufschlüsselung der Untersuchung im Bistum Essen (Vogt 2001) zeigt, dass nur zwei Ratsuchende älter als 80 Jahre waren und auch die über 75-Jährigen nur noch in geringem Maß vertreten sind. Auffällig war der große Stellenwert der »ehelichen Probleme im Alter«, worunter die Anpassung an die psychischen, physischen und sozialen Veränderungen, die neue eheliche Rollenverteilung und die Balance von Nähe und Distanz zu zählen ist. Die hohe Bewertung des Bereichs »Entfremdung« bei Männern und Frauen zeigt dem Autor zufolge die unzureichende Schaffung einer gemeinsamen »inneren und äußeren Behausung« als Problem der veränderten Beziehung im Alter. Männer thematisieren dabei eher die sexuellen Probleme, Frauen eher die affektiven wie Niedergeschlagenheit und Stimmungsschwankungen.
In der Praxis des Psychotherapeuten Die häufig beschriebene Indikationszensur für psychotherapeutische Behandlungen Älterer besteht bis heute fort, wie in den neunziger Jahren durchgeführte Erhebungen belegen (Heuft et al. 2000). Alle vorliegenden Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Ältere in psychotherapeutischen Praxen deutlich unterrepräsentiert sind; über 60-Jährige machen dort kaum mehr als ein Prozent aus (DGPT 1989; Wolter-Henseler 1996; Linden et al. 1993). Auch die Untersuchung von Linden aus dem Jahre 1999 lässt keine Veränderung erkennen; nur 0,2 Prozent der Anträge für eine Verhaltenstherapie wurden für über 65-Jährige gestellt. Auf den ersten Blick betrachtet setzt sich dieses Bild auch in den nach der Jahrtausendwende publizierten Studien fort. Löcherbach (2000) zufolge verwenden Psychotherapeuten nur 1,1 Prozent ihrer Arbeitszeit auf die Behandlung von Personen zwischen 61 und 81; bei den behandelten Frauen waren 1,2 Prozent über 65 Jahre alt, bei den Männern nur 0,52 Prozent. In der Berliner Kammerstudie (Görgen u. Engler 2005), die diese Resultate bestätigt – allerdings lediglich die Angabe enthält, dass jeder Therapeut im Jahr durchschnittlich drei ältere Patienten behandelt –, wird die Gruppe der Älteren differenziert dargestellt: Danach sind es 80 Prozent Frauen und nur
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20 Prozent Männer, die eine Psychotherapie in Anspruch nehmen. 76,5 Prozent der behandelten Patienten waren zwischen 60 und 69 Jahre alt, 22,2 Prozent zwischen 70 und 79 und lediglich 1,4 Prozent über 80 Jahre alt. Aus dem bekannten Bild fallen die Befunde heraus, die Maerker aus der Züricher Altersstudie berichtet (Maerker et al. 2005), wonach ungefähr 5 Prozent der Älteren eine Psychotherapie absolviert hatten. Es handelt sich hier einerseits um eine großstädtische Klientel, zum anderen werfen die Befunde allerdings auch interessante Fragen nach historischen Einflüssen auf, die sich möglicherweise in der Schweiz weniger hemmend auswirken als hierzulande. Lassen sich dennoch positive Hinweise finden, die auf einen Anstieg der Inanspruchnahme in Deutschland schließen lassen? Die Auswertung von Gutachtenanträgen durch BolkWeischedel (2002) erbrachte einen Anteil von immerhin 3,2 Prozent über 60-Jähriger an der Gesamtzahl der Anträge, allerdings waren nur drei Anträge für über 80-Jährige darunter. Noch interessanter dürften die Befunde der Studie von Zepf et al. (2001) zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgungslage in der Bundesrepublik Deutschland sein. Auch darin findet sich – aufgeschlüsselt nach Bundesländern – nur ein Anteil von 2 Prozent über 64-Jähriger, aber ein Anteil von 11 Prozent für die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen. Hier nun scheint sich doch bei den jungen Alten, die einer neuen, anders sozialisierten Kohorte angehören, eine Trendwende anzudeuten. Allerdings ist damit die Indikationszensur keineswegs schon aufgehoben, bei den betagten Alten besteht sie unverändert fort. Wer behandelt nun Ältere, wovon hängt dieses ab und welches sind die therapeutischen Themen? Diesen Fragen ging Zank und Niemann-Mirmehdi (1998) in einer Befragung niedergelassener Psychotherapeuten nach. Zunächst fällt auf, dass von 549 angeschriebenen Therapeuten lediglich 151 antworteten, was einem Rücklauf von 28 Prozent entspricht. Das Interesse an der Fragestellung schien nicht sehr hoch zu sein, was schon ein Ergebnis für sich ist. Die Autoren vermuten selbst, dass es sich bei der so gewonnenen Stichprobe um eine positive Auslese handelt. Dennoch liefern die Ergebnisse interessante Hinweise: Von den 151 Befragten gaben zwei Drittel Psychotherapieerfahrungen mit über 60-Jährigen an,
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überwiegend mit Einzeltherapie. 76 Prozent der Behandlungen wurden von tiefenpsychologisch/psychoanalytisch orientierten Therapeuten durchgeführt, die 50 Prozent der Stichprobe ausmachten. Diese Gruppe von Therapeuten hatte somit wesentlich mehr Ältere behandelt als die Gruppe der Verhaltenstherapeuten. Gefragt wurde außerdem nach der Behandlungsindikation und auch hier zeigten sich bemerkenswerte Unterschiede. Die Verhaltenstherapeuten gaben überwiegend Angststörungen und Depressionen als Indikationen an, währenddessen die psychoanalytisch orientierten Therapeuten vielfach Schwierigkeiten bei der Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben wie Berentungskonflikte, Verlust- und Trennungserfahrungen nannten. Auch in der Analyse der Gutachtenanträge von Bolk-Weischedel (2002) spiegelten sich die altersspezifischen Konflikte wie beispielsweise Einsamkeit, eine ungünstige Lebensbilanz und die Auseinandersetzung mit körperlichen Gebrechen als Therapieanlässe wider. Die psychoanalytisch orientierten Therapeuten scheinen sich sensibler auf die alterspezifische Thematik einzustellen als Verhaltenstherapeuten, deren theoretische Konzepte im Wesentlichen altersunspezifisch sind. In einer zweiten Studie fragte Zank (2002) auch nach dem Interesse an der Behandlung Älterer und fand heraus, dass dieses recht verbreitet war. 73 Prozent der Befragten äußerten, dass sie gern Ältere behandeln würden. Nach ihrer Untersuchung nahm ein einziger Faktor Einfluss auf das Interesse an der Behandlung Älterer, nämlich die Tatsache, bereits Ältere behandelt zu haben. Diese Therapeuten zeigten sechs Mal häufiger Interesse an der weiteren Behandlung älterer Patienten als die ohne diese Erfahrungen. Man kann somit vermuten, dass Erfahrungen bestehende Vorbehalte zu korrigieren vermögen.
In der psychosomatischen Klinik Die Gerontopsychosomatik ist der jüngste Zweig im stationären Behandlungsangebot für ältere Patienten. Ausgehend von der Einführung des Begriffs (Heuft 1990) und dem Plädoyer von Lamp-
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recht (1990) für eine eigenständige Gerontopsychosomatik im stationären Rahmen als Ergänzung zum gerontopsychiatrischen und geriatrischen Behandlungsangebot haben sich einige psychosomatische Kliniken allmählich auf diese Gruppe besser eingestellt. Die Behandlungszahlen in den psychosomatischen Kliniken sind günstiger als im ambulanten Bereich. Eine Befragung aus dem Jahre 1994 (Lange et al. 1995) zeigte, dass der Anteil in den psychosomatischen Rehabilitationskliniken am höchsten liegt, nämlich für die Gruppe der 50- bis 59-Jährigen bei 25 Prozent am Gesamtklientel, bei den 60- bis 69-Jährigen bei 5,4 Prozent und den über 70-Jährigen bei 2 Prozent. In den psychosomatischen Universitätskliniken, den psychosomatischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern und den psychosomatischen Fachkliniken liegt der Anteil zwar bereits wieder deutlich niedriger, aber immer noch höher als im ambulanten Bereich. Eine Wiederholung dieser Befragung im Jahre 2001 ergab keinen Anstieg in dem dazwischen liegenden Jahrzehnt (Driesch et al. 2004). In der Gerontopsychosomatik geht es um die Entwicklung eines Behandlungsangebotes für die Gruppe der psychoneurotisch, psychosomatisch und psychoreaktiv erkrankten älteren Menschen. Die oben genannten Ergebnisse zeigen, dass es sich dabei vorrangig um Ältere im dritten Lebensalter handelt, noch ältere werden nur geringfügig häufiger behandelt als in ambulanten Praxen. Diese Vorrangstellung der Gruppe der jüngeren Älteren kann als Reaktion auf eine »Verjüngung« des Alters betrachtet werden; den Probleme des Übergangs in einen neuen Lebensabschnitt und dessen Gestaltung wird hier besonders Rechnung getragen. Allerdings kann die Vorbereitung auf das vierte Lebensalter bei den Patienten, die sich bereits auf ein höheres Lebensalter zubewegen, ebenso zentrales therapeutisches Thema sein. Dass über 75-Jährige seltener behandelt werden, hat keine prinzipiellen Gründe, sondern dürfte Ausdruck der Rahmenbedingungen sein, das heißt der meist wohnortfernen Unterbringung sowie einsetzender Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, auf die psychosomatische Kliniken bisher wenig vorbereitet sind. Aber auch der mangelnde Bekanntheitsgrad und die unzureichende Vernetzung stehen einer Ausweitung des Altersspektrums nach oben entgegen. Zudem macht sich bemerkbar,
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dass die Rentenversicherungsträger nur so lange zuständig sind, wie der Patient noch im Berufsleben steht, worauf die höheren Behandlungszahlen bei den jüngeren Älteren ebenfalls zurückzuführen sind. Behandlungskonzepte in einer psychosomatischen Klinik sind eindeutig psychotherapeutisch ausgerichtet und bauen auf den dort bereits etablierten allgemeinen Behandlungskonzepten auf. Grundlage ist das in den achtziger Jahren formulierte integrative Behandlungskonzept (Becker u. Senf 1988), das von einem psychoanalytischen Ansatz ausgehend das gesamte »soziale Feld« der Station in den Prozess des Verstehens und der Analyse der inneren Konflikte und der Objektbeziehungen des Patienten einbezieht. Die Eingrenzung auf einen Fokus hin hat eine motivierende, zielsetzende und auf die spezifische Altersthematik hin orientierende Funktion (Heuft u. Herpertz 1993; Peters 2000; Peters u. Gehle 2006). Neben die psychotherapeutischen Behandlungselemente treten eine Reihe ergänzender Behandlungsverfahren wie Kreativtherapie, Physiotherapie, Entspannungstherapie und Sporttherapie, so dass im Rahmen eines multimodalen Ansatzes der Problemvielfalt und der hohen Komorbidität bei Älteren Rechnung getragen werden kann. Eine spezifische Aufgabenstellung für die Gerontopsychosomatik liegt in der Früherkennung demenzieller Entwicklungen und der Diagnostik leichter kognitiver Beeinträchtigungen (Hübner u. Peters 2002).
In gerontopsychiatrischen Versorgungseinrichtungen Der gerontopsychiatrische Versorgungssektor befindet sich im Wandlungsprozess, angestoßen durch die Empfehlungen der 1986 eingesetzten Expertenkommission, die sich mit der psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgungssituation in Deutschland befasst hat. Bis heute liegt die Inanspruchnahme psychiatrischer und sozialpsychiatrischer Einrichtungen unter 10 Prozent (Wolter-Henseler 1996) und damit weit unterhalb des aufgrund der Gesamtzahl psychisch kranker Älterer zu erwartenden Wertes. Auch qualitative Veränderungen erfolgen
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nur langsam. Psychotherapeutische Behandlungsansätze haben in der Gerontopsychiatrie lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Dies hat sich bis heute nicht grundsätzlich verändert, obwohl eine größere Aufgeschlossenheit und ein gewachsenes Interesse unübersehbar ist (Bäurle et al. 2000). So werden Psychopharmakotherapie und Psychotherapie nicht mehr als sich gegenseitig ausschließend betrachtet, sondern deren Kombination gerade als Vorteil gesehen (Kurz u. Fuchs 1998). Dennoch spielen psychotherapeutische Angebote im Behandlungsalltag der meisten Kliniken weiterhin nur eine untergeordnete Rolle. Dies bestätigt eine Umfrage, in der nur ein Prozent aller Patienten in der Gerontopsychiatrie als so genannte Psychotherapiepatienten eingestuft wurden (Hirsch 1999b). Zwar bedeutet dies nicht, dass bei allen anderen Patienten psychotherapeutische Ansätze nicht zum Tragen kommen, es zeigt aber doch den untergeordneten Stellenwert der Psychotherapie in den gerontopsychiatrischen Abteilungen. Hierfür sind sicherlich unterschiedliche Gründe ausschlaggebend. Neben der fortbestehenden Dominanz biologischer Ansätze, wie sie sich etwa auch in bestehenden Forschungsschwerpunkten und Lehrbüchern widerspiegelt, ist auch die schlechte personelle Ausstattung gerontopsychiatrischer Abteilungen von Bedeutung (Seeger u. Wedel-Freudenberg 2000), die nur wenig Spielraum für psychotherapeutische Ansätze lässt. Anders stellt sich die Situation in den gerontopsychiatrischen Tageskliniken dar, die infolge der Empfehlungen der Expertenkommission mancherorts eingerichtet wurden und die als Bindeglied von stationärer und ambulanter Versorgung fungieren. Mit bisher 29 Kliniken kann von einer flächendeckenden Versorgung allerdings nicht gesprochen werden. In Tageskliniken wird den psychotherapeutischen Angeboten in der Regel ein größerer Stellenwert eingeräumt (Wolter 2004; Bäurle et al. 2000; Schmid-Furstoss 2000b, 2005). Dies hat auch damit zu tun, dass eher jüngere Älteren behandelt werden, die noch über größere Kompetenzen verfügen und in der Regel keine Patienten mit einer Demenz aufgenommen werden (Wächtler u. Block 1994). Ein zentraler Stellenwert wird in den Empfehlungen der Expertenkommission den gerontopsychiatrischen Zentren eingeräumt
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(Hirsch et al. 1999). Diese wurden als treibende Kraft in der gerontopsychiatrischen Versorgung einer Planungseinheit (kreisfreie Städte und Landkreise) konzipiert. Sie sollen eigenständige Einheiten darstellen, die in ihrem Kern eine Tagesklinik, einen ambulanten Dienst und eine Altenberatungsstelle umfassen. Dort, wo sie eingerichtet wurden, scheinen sie den bislang vorliegenden Ergebnissen der Begleitforschung zufolge diese Funktion auch zu erfüllen; beispielhaft wird das gerontopsychiatrische Zentrum in Gütersloh angeführt (Steinkamp u. Werner 1997). Die vorgesehene Altenberatung findet jedoch aufgrund bestehender Finanzierungsprobleme bisher nur sehr eingeschränkt statt und bleibt weitgehend auf eine Sachberatung und Information beschränkt. Das größte Problem liegt allerdings darin, dass die Einrichtung solcher Zentren sehr schleppend anläuft und bis 1998 lediglich sechs Zentren eingerichtet worden waren, so dass von einer flächendeckenden Versorgung nicht gesprochen werden kann. Schließlich sind mancherorts Gedächtnissprechstunden oder Memory Clinics zur Diagnostik und Früherkennung von Demenzen eingerichtet worden. Nach einer Untersuchung von Heuft et al. (1997a) an der Essener Memory Clinic litten 25 Prozent von 1000 Patienten, die unter dem Verdacht einer Gedächtnisstörung im Alter untersucht worden waren, tatsächlich unter einer Neurose, einer akuten Belastungsreaktion oder Persönlichkeitsstörung. Ein psychosoziales oder psychotherapeutisches Angebot kann den Betroffenen in diesen Einrichtungen allerdings nicht gemacht werden. Insgesamt lassen sich eine Reihe innovativer Entwicklungen ausmachen, die sich allerdings nur zögernd vollziehen und bislang nicht zu einem grundlegenden Wandel geführt haben (Bäurle et al. 2000; Wormstall u. Wilhelm 2003).
In geriatrischen Akut- und Rehabilitationskliniken Die in den letzten Jahren stark geförderten und ausgebauten internistisch-geriatrischen Akut- oder Rehabilitationskliniken behandeln akute oder chronische körperliche Krankheiten älterer Menschen, bei denen in der Regel von einer erheblichen psychischen
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Komorbidität auszugehen ist. Die Studien haben einen Wert von rund 30 Prozent ermittelt (Schneider et al. 1997; Schmeding-Kludas et al. 2000), bei Schlaganfallpatienten liegt er sogar noch darüber (Ostermann 1997). Ein erhöhter Depressionswert erhöht das Risiko, anschließend in eine Pflegeheim überwiesen zu werden. Auch Patienten internistischer Abteilungen in Akutkrankenhäusern, in denen zu über 50 Prozent über 65-jährige Patienten behandelt werden und die insofern partiell immer geriatrische Abteilungen sind, weisen eine ähnlich hohe psychische Komorbidität auf (Arolt u. Driessen 1997). Auch liegen hier zu einem erheblichen Teil Alkoholprobleme vor, die jedoch selten erkannt werden (Helmchen u. Kanowski 2001). In einer ähnlich angelegten Studie von Bickel et al. (1993), der auf vergleichbare Prävalenzzahlen kam, wurde zusätzlich der Langzeitverlauf untersucht. Es zeigte sich poststationär auch bei funktionellen psychischen Störungen ein erheblicher Anstieg in der Mortalitätsrate wie auch bei den Heimeinweisungen. Die Versorgungssituation kompliziert sich zusätzlich durch die Tatsache, dass der Einweisungsgrund häufig nicht eindeutig in einer somatischen Erkrankung zu suchen ist, sondern in einer psychosozialen oder familiären Konfliktlage begründet ist. Immerhin diagnostizierten Arolt und Driessen (1997) bei 13 Prozent als Erstdiagnose eine Depression. Auch in internistischen oder geriatrischen Abteilungen besteht nachweislich ein erheblicher psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlungsbedarf (Arolt u. Driessen 1997). Folglich wird immer wieder die stärkere Einbeziehung psychotherapeutischer Behandlungsansätze in die geriatrische Behandlung (Görres 1992; Vogel 1997; Schmeding-Kludas 1997; Nehen 1998) und ganzheitliche Behandlungsansätze für die geriatrische Rehabilitation unter Einschluss psychosozialer Beratung und Psychotherapie gefordert (Rönnecke 1990). Dennoch spielen entsprechende Angebote im Alltag geriatrischer Kliniken nur eine untergeordnete Rolle, und auch die Inanspruchnahme eines psychiatrischen Konsiliar-/Liaisondienstes liegt lediglich bei durchschnittlich 1 bis 4 Prozent der Patienten mit psychischer Komorbidität (Heuft u. Schneider 2001; Wetterling u. Junghanns 2000; Wolter-Henseler 1996). Zwar werden in den meisten geriatrischen Kliniken Psychologen einbezo-
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gen, überwiegend sind diese jedoch für die neuropsychologische Diagnostik und entsprechende Trainingsprogramme zuständig. Eine darüber hinausgehende Psychotherapie findet nur in Ausnahmefällen statt, obwohl Konzepte für entsprechende Behandlungen, beispielsweise für gruppentherapeutische Angebote nach einem Schlaganfall, vorliegen (Görres 1988; Sprung-Ostermann et al. 1985).
In der ambulanten und stationären Pflege Pflegesituationen gehen häufig mit einer psychischen Störung einher. Seitz (1988) berichtet von 13,3 Prozent eines Pflegeklientels, bei denen eine psychiatrische Diagnose vorlag, weitere 30 Prozent aber als psychisch auffällig zu bezeichnen waren. Dabei dürfte es sich eher um konservative Schätzungen handeln, andere Untersuchungen kommen zu weitaus höheren Zahlen (Nißle 1998). Die psychosoziale Betreuung dieser Älteren durch Sozialstationen ist trotz guter Erfahrungen, die in Modellprojekten gesammelt wurden (Stuhlmann 1993), bisher kaum Realität geworden (Helmchen u. Kanowski 2001). Eine größere Rolle spielen die sozialpsychiatrischen Dienste, deren Klientel zu ungefähr einem Viertel das 65. Lebensjahr überschritten hat (Gollmer u. Eikelmann 1993; WolterHenseler 1996). Hier stehen Beratungen, Kriseninterventionen und Nachsorge nach Klinikaufenthalten im Vordergrund. Eine ambulante gerontopsychiatrische Pflege ist bisher ebenfalls unzureichend entwickelt, meist wird diese von Sozialstationen mitgeleistet, die nur wenig darauf vorbereitet sind. Selbst Ältere mit einer psychiatrischen Diagnose werden nicht regelmäßig psychiatrisch oder psychosozial behandelt (z. B. Seitz 1988). Für den Heimsektor schätzt Häfner (1986) den Anteil der Bewohner mit psychischen Störungen auf 42 Prozent. Zu unterscheiden ist dabei zwischen gerontopsychiatrischen Pflegefällen und psychischen Auffälligkeiten, die sich in Folge der Pflegebedürftigkeit entwickelt haben. Der Anteil der ersten Gruppe dürfte aufgrund einer abnehmenden Inanspruchnahme gerontopsychiatrischer Einrichtungen und einer daraus erfolgenden Verschiebung
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in den Bereich der stationären Pflege sogar zugenommen haben (Jaeger 1987; Gutzmann 2001). Da ein Anstieg des Eintrittsalters in Pflegeheimen zu verzeichnen ist (Mautner et al. 1993), spricht manches für ein weiteres Anwachsen der Gruppe, die auf die Pflegesituation und den Umgebungswechsel mit einer psychischen Erkrankung reagieren. Nach neuesten Angaben beträgt die Depressionsprävalenz bei Heimbewohnern ungefähr 40 Prozent (Helmchen u. Kanowski 2001). Psychosoziale Hilfe für die Gruppe älterer Menschen ist schon deshalb eingeschränkt, weil vom Tag der Heimaufnahme der Krankheitsbegriff entfällt (nach RVO). Das Schwergewicht in der stationären Altenhilfe liegt somit auf Pflege und allgemeiner Betreuung, nicht jedoch auf Behandlung und Rehabilitation. Entsprechend schlecht ist die psychiatrische Versorgung. So berichtet Schütz (1993) Befunde, denen zufolge nur 11 Prozent der Bewohner von einem Psychiater behandelt wurden und auch nur dann, wenn sie schon vor der Einweisung von behandelt worden waren. Infolge der Pflegegesetzgebung befindet sich der Pflege- und Heimsektor in einem Veränderungsprozess; optimistischere Einschätzungen sehen eine Entwicklung vom Pflegeheim als »totaler Institution« hin zum modernen Dienstleistungsunternehmen. Manche neueren Befunde sprechen allerdings eher gegen einen grundlegenden Wandel; so fand der medizinische Dienst in Hessen erst jüngst, dass häufig sogar die Grundbedürfnisse wie Essen und Trinken nicht ausreichend befriedigt werden. Auch die Versorgung und Behandlung psychischer Erkrankungen dürfte sich nicht entscheidend gebessert haben, wurde doch die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung alter Menschen in Institutionen im Pflegeversicherungsgesetz gewissermaßen »vergessen« (Heuft u. Schneider 2001). Zwar schreibt die Heimpersonalverordnung einen festgeschriebenen Anteil an ausgebildeten Altenpflegekräften vor, die kompetent sind, eine psychosoziale Basisversorgung zu gewährleisten, die Realität dürfte jedoch häufig anders aussehen. Zu den Aufgaben heimeigener Sozialdienste gehören zwar auch psychosoziale Beratung und Gruppenangebote, doch auch die Sozialdienste sind dünn besetzt und haben zahlreiche andere Aufgaben zu erfüllen. Zudem sind Sozialarbeiter, die entsprechende Auf-
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gaben qualifiziert wahrnehmen könnten, in Heimen unterrepräsentiert. Die Pflegegesetzgebung hat zudem dazu beigetragen, gerade deren Stellung zu schwächen (Belardi u. Fisch 1999). Psychosoziale Beratungskonzepte für die Pflege, wie sie etwa jüngst KochStraube (1998) oder Ehlers (2003) vorgelegt haben, dürften nur sehr eingeschränkt die Realität der Heime widerspiegeln, eine psychotherapeutische Unterstützung, die wesentlich durch die personale Begegnung und das stützende Gespräch gekennzeichnet sein müsste, so Wojnar und Bruder (1995), ist erst recht nicht auszumachen. Eine Zusammenarbeit mit niedergelassenen Psychotherapeuten findet praktisch nicht statt (Görgen u. Engler 2005).
Versorgungsstrukturen – Inanspruchnahme, Defizite und Erfordernisse Zur Diskrepanz von Versorgungsbedarf und Versorgungsrealität Der Bedarf an psychologischer Beratung und Psychotherapie bei alten Menschen ist unbestritten, gleichwohl in seinem Umfang schwer einzuschätzen. Nach epidemiologischen Befunden leiden etwa 25 Prozent der über 65-Jährigen an psychischen Störungen. Die Prävalenz der Demenzen steigt mit dem Alter rapide an, aber auch die Depressionshäufigkeit steigt an, obwohl dies häufig bestritten wurde (Welz 1994; Bickel 1997). Insgesamt ist wohl auch von einem Anstieg an funktionellen psychischen Störungen auszugehen, was sich insbesondere an der hohen Zahl subdiagnostischer Syndrome zeigt, die in der Berliner Altersstudie mit 33 Prozent um etwa ein Viertel höher lag als die spezifische diagnostizierte Gesamtmorbidität (24 Prozent). Bei Depressionen beispielsweise fand sich eine Prävalenz von 9 Prozent, aber zusätzlich 24 Prozent, die an einer subdiagnostischen depressiven Symptomatik litten (Helmchen et al. 1996). Vernachlässigt wurden in der Vergangenheit häufig auch die funktionellen Körpersymptome, zu denen bei-
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spielsweise auch die Insomnia (Schlafstörung) zählt, über die etwa 50 Prozent der Patienten in Allgemeinarztpraxen klagen. Trotz zahlreicher somatischer Ursachen sind auch psychische Aspekte dabei von erheblicher Bedeutung. Bezieht man auch die leichten Beeinträchtigungen ein, weisen 57 Prozent der Patienten zumindest einzelne Symptome auf. Nun ist zu bedenken, dass bei schweren psychischen Störungen Psychotherapie nicht die primäre Indikation darstellt. Zwar wird heute die Bedeutung von Psychotherapie etwa bei Demenzen höher eingeschätzt als noch vor einigen Jahren (Hirsch et al. 1994a), dennoch kann darin eher eine begleitende Maßnahme gesehen werden. Doch auch bei jenen Störungen, bei denen Psychotherapie als Mittel der Wahl anzusehen ist, lassen sich Prävalenzzahlen nicht einfach in einen Beratungs- oder Behandlungsbedarf übersetzen, da auf die Inanspruchnahme gesundheitlicher und sozialer Einrichtungen zahlreiche Einflüsse einwirken. Auch wenn sich der tatsächliche Bedarf nur schwer quantifizieren lässt, ist doch eindeutig von einem hohen, zu einem erheblichen Teil aber nicht abgedeckten Beratungs- und Behandlungsbedarf auszugehen. Bereits die Psychiatrie-Enquete 1975 hatte einen erheblichen Beratungs -und Psychotherapiebedarf bei Älteren festgestellt, allerdings ohne hierzu Bedarfszahlen festzulegen. Allein Dilling (1981) hat Zahlen vorgelegt, die allerdings auf Schätzungen beruhen und schon älteren Datums sind. Dennoch bieten sie Anhaltspunkte. Für die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen schätzt er den Bedarf auf 19 Prozent, für die über 65-Jährigen auf 7 Prozent ein, wovon 5 Prozent kurzfristig zu beraten und 2 Prozent langfristig zu behandeln seien. Der Beratungsbedarf ist danach höher einzuschätzen als der nach Behandlung.Vergleicht man diese Zahlen allerdings mit den Prävalenzzahlen etwa zur subdiagnostischen Symptomatik, scheinen sie zu niedrig zu liegen. Der Bedarf an allgemeiner psychiatrischer Hilfestellung schätzt er bei beiden Altersgruppen bei 13 Prozent. Es fehlt eine fundierte Bedarfsberechnung. Die vorherige Analyse einzelner Versorgungssegmente hat gezeigt, dass die tatsächliche Inanspruchnahme psychosozialer Hilfen vom angenommenen Bedarf eklatant abweicht. Radebold et al. (1982) zitiert eine Befragung im Saarland, der zufolge zwar 32 Pro-
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zent der Älteren äußerten, gern von einer Beratung Gebrauch machen zu wollen, aber nur 2,8 Prozent dies tatsächlich auch taten. Von einer ähnlichen Diskrepanz ist auch in der psychotherapeutischen Versorgung auszugehen. Die unzureichende Versorgungssituation führt dazu, dass psychisch kranke Ältere überproportional andere Versorgungseinrichtungen frequentieren; insbesondere findet – so zeigten die vorherigen Abschnitte – eine Verschiebung von psychosozialen oder psychotherapeutischen Angeboten hin zu organmedizinisch ausgerichteten Versorgungsstrukturen statt. Eine überproportionale Inanspruchnahme der Hausärzte sowie internistischer und geriatrischer Abteilungen oder Kliniken spiegelt das vorhandene Missverhältnis wider. Man kann somit von einer hohen Fehlbelegungsrate ausgehen. Selbst dann, wenn die Zunahme somatischer Erkrankungen eine höhere Inanspruchnahme plausibel macht, kann doch von einer erheblichen Schieflage ausgegangen werden. Daraus folgen inadäquate Behandlungen, die erhebliche Kosten verursachen. Die Behandlung von Depressionen im Alter macht dies noch einmal deutlich: Von den 133 in der Berliner Altersstudie diagnostizierten depressiv erkrankten älteren Menschen (über 70 Jahre) erhielten nur 10 Prozent ein Antidepressivum, während in großer Zahl Benzodiazepine und Schmerzmittel verordnet wurden. Keiner dieser älteren Menschen erhielt eine psychotherapeutische Behandlung (Linden et al. 1996). Eine durch psychosoziale Faktoren bedingte Verlängerung der Liegezeiten in Allgemeinkrankenhäusern sowie eine raschere Wiederaufnahmerate ist hinreichend belegt (Heuft u. Schneider 2001). Damit aber sind gleich mehrere Folgen und Probleme verbunden: – Die Patienten erfahren keine nachhaltige Besserung, die Demoralisierung setzt sich fort mit der Folge einer fortschreitenden Chronifizierung und weiteren Inanspruchnahme von gesundheitlichen Leistungen. – Eine weitere Folge besteht in einer großen Belastung für die Angehörigen, die in der Versorgung psychisch kranker Älterer ohnehin die größte Last tragen. – Ärzte geben immer wieder an, nicht zu wissen, wie sie mit psychisch erkrankten Älteren umgehen sollen, insbesondere Hausärzte fühlen sich überfordert.
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– Schließlich entstehen enorme Kosten dadurch, dass körpermedizinisch versorgte Patienten in der Regel wesentlich höhere Kosten verursachen als psychosozial oder psychotherapeutisch behandelte Patienten. Durch eine nichtadäquate Behandlung wird diese unnötig in die Länge gezogen und bleibt ineffektiv, wodurch weitere Kosten entstehen (Lamprecht 1996). Die Folgen einer unzureichenden Behandlung psychisch kranker älterer Menschen zeigen sich also auf mehreren Ebenen. Welches sind nun die Gründe für diese eklatanten Versorgungsmängel? Diese sind auf verschiedenen Ebenen zu suchen: Bei den Klienten und Patienten selbst, bei den Beratern und Therapeuten und schließlich auf gesellschaftlicher Ebene.
Gründe für Fehlallokation und Nicht-Inanspruchnahme Barrieren bei Älteren – Motivations- und Wissensdefizite Psychisch kranke Ältere suchen selten aus eigener Initiative einen Psychiater oder Psychotherapeuten auf. In einer eigenen Untersuchung fanden wir, dass Ältere in einer psychosomatischen Klinik zu zwei Dritteln fremdmotiviert waren, jüngere Patienten aber nur zu einem Drittel (Peters u. Lange 1994). In einer späteren Untersuchung haben wir die Psychotherapiemotivation älterer Patienten untersucht und fanden unsere Annahme, dass Ältere eine geringer ausgeprägte Psychotherapiemotivation als jüngere Patienten aufweisen, bestätigt (Peters et al. 2000). Die Unterschiede können wie folgt beschrieben werden: Ältere halten es eher für eine Frage des Charakters und des Willens, Probleme selbst zu lösen; sie denken seltener, dass ihre Erkrankung mit seelischen Schwierigkeiten in Verbindung steht, vielmehr nehmen sie körperliche Vorgänge wie Verschleißerscheinungen oder Vererbung als Ursache einer Erkrankung an. Sie verspüren weniger einen seelischen Leidensdruck, haben seltener den Wunsch, in Gesprächen ihre Probleme zu bearbeiten, und sind eher geneigt, ihre Hilflosigkeit zu verleugnen. Die Ergebnisse einer Gruppenbildung zeigten, dass mit stei-
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gendem Alter die Anzahl der geringmotivierten Älteren steigt; sie betrug bei den über 65-Jährigen 40 Prozent. Die Ergebnisse konnten von Zank (2002) bestätigt werden: Mit zunehmendem Alter äußerten die Befragten in einem erheblichen Maße Vorbehalte und Ängste im Hinblick auf eine psychotherapeutische Behandlung. Sie bevorzugten in eindeutiger Weise ein medizinisches Modell zur Erklärung ihrer Erkrankung, wodurch ihnen die Verantwortung für die Entstehung und Lösung ihrer Probleme entzogen ist. Bei der Suche nach den Gründen für die Zurückhaltung vieler Älterer können folgende Aspekte genannt werden: – Psychotherapie ist für Ältere wenig bekannt, gehört sie doch erst sei zwei bis drei Jahrzehnten zu den anerkannten und etablierten Behandlungsverfahren. Fichter (1990) fand eine geringere Informiertheit über entsprechende Möglichkeiten. – Sozialisationserfahrungen haben zur Entwicklung eines ÜberIch und Ich-Ideals geführt, das die offene Selbstdarstellung und Äußerung von Gefühlen erschwert. – Die Inanspruchnahme ist durch ein erhebliches Missverhältnis zwischen Männern und Frauen gekennzeichnet. Männer sind in noch viel höherem Maß unterversorgt als Frauen. – Ergebnisse einer Studie von Zivian et al. (1994) zeigten, dass Ältere selbst der Ansicht sind, dass ihre Altersgruppe weniger von einer Psychotherapie profitieren kann als jüngere. Sie haben ein negatives Altersstereotyp internalisiert, was die Inanspruchnahme eines solchen Behandlungsverfahrens erschwert. – Altern geht oft mit schweren Kränkungen und Demütigungen einher. Die daraus resultierenden Schamgefühle, das Gefühl »das Gesicht verloren zu haben« und nach einem erfahrungsreichen Leben dieses nicht mehr im Griff zu haben, erzeugt eine ablehnende Haltung im Sinne eines Kränkungsschutzes, das heißt der Vermeidung von Scham. – Schließlich werden Ältere häufig fremdmotiviert (Peters u. Lange 1994), sei es durch die eigenen Kinder oder aber durch den behandelnden Arzt. Daraus aber kann eine Gegenmotivation erwachsen, die der Inanspruchnahme eines therapeutischen Angebotes entgegensteht. – Auch praktische Gründe dürften bei eingeschränkter Mobilität
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eine Rolle spielen. Die ausschließliche Komm-Struktur in der psychotherapeutischen Versorgung kommt als Barriere in Betracht (Görgen u. Engler 2005). Trotz der hier berichteten Befunde sollte die negative Einstellung der Älteren nicht verallgemeinert werden. Immerhin zeigte sich in unseren Befunden (Peters et al. 2000), dass auch bei den über 65Jährigen 60 Prozent als motiviert oder aber ambivalent motiviert eingestuft worden waren. Weiter war in nahezu allen erhobenen Skalen die Streuung in der Gruppe der älteren Patienten größer als in der Gruppe der Jüngeren, das heißt, Ältere untereinander unterscheiden sich in ihrer Einstellung zur Psychotherapie stark, so dass die Motivation jedes einzelnen älteren Patienten sorgfältig zu prüfen ist. So wird auch verständlich, dass in der Literatur gelegentlich äußerst positive Einschätzungen bezüglich der Behandlungsmotivation Älterer zu finden sind, etwa wenn davon gesprochen wird, dass Ältere angesichts ihrer begrenzten Lebenszeit ihre letzte Chance erblicken und daraus eine besonders günstige Behandlungsmotivation erwachse. Auch King (1980) hat beschrieben, wie die Angst vor den Verlusten des Alters eine positive Motivation begünstigen kann. Die Verlustangst schaffe eine größere Drucksituation und lasse die Behandlungsbereitschaft wachsen. Tatsächlich scheint dies auf manche Ältere zuzutreffen, die eine große Offenheit und Aufnahmebereitschaft an den Tag legen, oder auf andere, die rasch dazu bewogen werden können, ihre Gegenmotivation zu überwinden und sich auf eine Behandlung einzulassen.
Barrieren bei Helfern – Kompetenz- und Wissensdefizite Schneemann hat 1987 eine Arbeit mit dem Titel »Über die Gerontophobie der Ärzte« veröffentlicht. Er analysiert die Abneigung vieler Ärzte, auf gerontopsychiatrischen oder geriatrischen Stationen zu arbeiten und führt diese auf existenzielle Ängste zurück, die mit dem Siechtum und der Todesnähe der dortigen Patienten zu tun hätten. Auch wenn Schneemann eine sehr pointierte Formulierung gewählt hat, so bestätigen doch eine Reihe von Studien eine stereo-
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type Alterswahrnehmung nicht nur bei Ärzten, sondern auch bei anderen Berufsgruppen, die mit Älteren arbeiten (Filipp u. Mayer 1999). Häufig zeigt sich ein – oft verstecktes – Desinteresse an der Arbeit mit älteren Patienten, Ärzte verbringen weniger Zeit mit ihnen, sprechen bei ihnen seltener persönliche Belange an und werden von unabhängigen Beurteilern als weniger respektvoll, engagiert und geduldig eingeschätzt. Subtile Diskriminierungen kommen zum Ausdruck, wenn sich der Arzt, falls Angehörige anwesend sind, mehr an diese wendet. Kränkere – auch körperlich kränkere – ältere Menschen rufen weniger Sympathie hervor und werden negativer wahrgenommen (Ford u. Sbordone 1980; James u. Haley 1995; Hall et al. 1993). Geringfügige Manipulationen in der Altersvariablen können ausreichen, dass andere Diagnosen gestellt werden. Symptome beispielsweise, die bei jüngeren als Hinweis auf eine Depression gedeutet werden, werden bei Älteren als Zeichen einer Demenz interpretiert. Auch das eigene Lebensalter scheint vor einer Altersdiskriminierung nicht zu schützen: Je älter Ärzte waren, desto kürzer war die mit Älteren zugebrachte Konsultationsdauer. Auch längere Berufserfahrung schützt nicht vor einer altersstereotypen Wahrnehmung. Professionelle Helfer sind also nicht vor der Übernahme eines vereinfachenden Altersstereotyps geschützt. Filipp und Mayer (1999) berichten über Befunde, die einen Zusammenhang zwischen negativer Einstellung zum Alter und der eigenen Angst vor dem Alter bei Krankenschwestern belegen. Dieser Zusammenhang zu persönlichen Befindlichkeiten dürfte sicher auch bei anderen Berufsgruppen bestehen. Die Angst vor Tod und Sterben, über die Schneemann berichtet, ist ja durchaus ernst zu nehmen. Damit ist nicht nur das zweifellos bedrohliche Todesthema selbst berührt, sondern auch die narzisstische Kränkung, die mit dem Erleben der Grenzen des beruflich Machbaren verbunden ist. Auch andere Gefühle können eine Abwehrreaktion auf Seiten des Helfers auslösen. So können beispielsweise überwunden geglaubte Ablösungskonflikte aktualisiert, schamvoll wiedererlebt werden und einen erneuten regressiven Druck erzeugen. Der Therapeut oder Berater kann sich unversehens erneut in eine ödipale Auseinandersetzung verstrickt sehen, die ihn mit Wünschen nach Zuneigung, aber auch
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Konkurrenz und Rivalität konfrontiert, verbunden mit der dem älteren Patienten zugeschriebenen phantasierten Macht, die einst die Eltern innehatten (Radebold 1992). Schließlich kommen im Hinblick auf die Behandlungsfähigkeit Älterer sowie auf mögliche therapeutische Erfolge angesichts vorhandener Multimorbidität Bedenken ins Spiel. Auch das fehlende Ansehen bei Kollegen, die einer solchen Behandlung skeptisch gegenüberstehen, kann eine Zurückhaltung begründen. All diese Faktoren gefährden den Narzissmus des Therapeuten, so dass die Ablehnung, ältere Patienten in Behandlung zu nehmen, als narzisstische Abwehr zu verstehen wäre (Levin 1977; Peters 1997). Die Beratung und Therapie Älterer erfordert demnach spezifische Kompetenzen, die häufig nicht vorhanden sind. Erforderlich sind sowohl persönliche Kompetenzen, die nur im Rahmen von Supervision und Selbsterfahrung erworben werden können, als auch ein spezifisches gerontologisches und geriatrisches Wissen. Letzteres wird bisher in der Ausbildung nur unzureichend vermittelt (Heuft u. Schneider 2001) und ist auch nur unzureichend vorhanden, wie Zank (2002) in einer Befragung an niedergelassenen Psychotherapeuten ermittelt hat. Brendebach und Piontkowski (1997) wiesen erst jüngst nach, dass Allgemeinärzte keineswegs über mehr Wissen zum Thema Alter verfügen als die Allgemeinbevölkerung. Gerontologisches Wissen ist im Hinblick auf die Diagnostik erforderlich, aber auch, um den Vorbehalten Älterer begegnen zu können, sich von jüngeren Therapeuten behandeln zu lassen (Gatz et al. 1985). Das Wissen um die Lebensumstände und Lebenserfahrungen älterer Menschen, um körperliche Alterungsvorgänge und kognitive Veränderungen ist Voraussetzung, diesem Misstrauen begegnen zu können und das Vertrauen der Älteren zu gewinnen. Das Wissen um altersbedingte Veränderungen beeinflusst auch die Interpretation mancher Verhaltensweisen, die wir bei Älteren häufiger wahrnehmen. So erscheinen diese uns gelegentlich als betulich, umständlich und langsam, was uns ungeduldig machen kann. Die Ungeduld kann durch das Wissen gemildert werden, dass der Ältere dadurch das Nachlassen der Sinnesleistungen und die Verlangsamung der kognitiven Prozesse auszugleichen versucht. Es ist auch kaum denkbar, über die Sexualität mit älteren
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Menschen zu sprechen, wenn kein Wissen um die Veränderungen der Sexualität im Alter vorhanden ist. Manchmal geht es aber auch um ganz konkretes Verhalten, etwa dann, wenn einer Hörbeeinträchtigung dadurch begegnet wird, dass der Berater oder Therapeut nun durch besonders lautes Sprechen das Defizit zu kompensieren versucht, was rasch ein gereiztes Klima schafft. Das Wissen darüber, das ein Hörverlust besonders im oberen Frequenzbereich beginnt, könnte dazu Anlass geben, anstatt laut zu sprechen die Stimme zu senken, um in unteren Frequenzbereichen zu sprechen, wo die Verständigung leichter gelingt. Aber auch die Kompetenzen und Ressourcen Älterer sollten bekannt sein, um einen älteren Menschen in all seiner Differenziertheit wahrnehmen zu können.
Gesellschaftliche Barrieren – Sozialpsychologische und strukturelle Defizite Klient/Patient und Berater/Therapeut begegnen sich nicht in einem kontextfreien Raum, vielmehr sind beide Teil eines gesellschaftlichen und sozialpsychologischen Umfeldes. In den Problemen ihres Umgangs miteinander spiegeln sich auch Barrieren wider, die Teil des gesellschaftlichen Umgangs mit Alter und Älteren sind. Die Gruppe der Älteren war bislang im gesellschaftlichen Leben marginal, vielfach ausgegrenzt und stigmatisiert. Das negative Altersstereotyp unterminierte das Selbstbewusstsein der Älteren und verwehrte ihnen die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe. Die Auflösung eines negativen Altersstereotyps wird zwar seit längerem konstatiert, allein der Nachweis dafür fehlt. Ältere werden inzwischen dort, wo es von gesellschaftlichem Nutzen ist, etwa als Konsumenten, durchaus positiver gesehen. Wo dieser Nutzen weniger eindeutig zu erkennen ist, wirkt allerdings unverändert ein Negativstereotyp nach. Dieses beschreibt Ältere als träge, starrsinnig, unflexibel und sexuell desinteressiert. Außerdem wird Alter häufig mit Krankheit gleichgesetzt (Lehr 2000). Zivian et al. (1994) hat in einer Befragung Menschen unterschiedlichen Alters danach befragt, welchen Nutzen Psychotherapie bringen kann. Es zeigte sich, dass der Nutzen, den Ältere aus einer solchen Behandlung zie-
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hen können, wesentlich geringer eingeschätzt wird als den, den jüngere dabei haben, eine Einstellung, die auch von den Älteren selbst geteilt wurde (siehe oben). Sie identifizieren sich also mit einem gesellschaftlich verbreiteten Altersstereotyp, was sich negativ im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Psychotherapie auswirkt. Auch Professionelle werden Opfer eines solchen Vorurteils, was besonders dann verhängnisvoll wird, wenn sie Entscheidungen über Versorgungsleistungen treffen. Anträge auf eine Behandlung in einer psychosomatischen Klinik oder Anträge auf Verlängerung der Behandlung werden von den medizinischen Diensten wesentlich häufiger abgelehnt als bei jüngeren Patienten. Man könnte meinen, dass der therapeutische Nihilismus, den Lehr (1979) beklagte, in manchen Bereichen unverändert fortbesteht, auch wenn er durch wissenschaftliche Befunde und klinische Erfahrungen längst wiederlegt ist. Vorurteile haben hier konkret fassbare Folgen und tragen zur desolaten Versorgungslage bei. Die vorherige Analyse der einzelnen Versorgungssegmente kann durchaus als Beleg für eine sozial- und gesundheitspolitisch wirksame Diskriminierung – bei der Diskriminierung Älterer spricht man auch von »Ageism« – interpretiert werden. Besonders eklatant ist zweifellos die Situation in den Pflegeheimen, in denen praktisch keine professionelle psychosoziale oder psychotherapeutische Betreuung stattfindet, und oft herrscht noch die Meinung vor, diese mache in Pflegeheimen auch keinen Sinn, obwohl gegenteilige Erfahrungen längst vorliegen (Wojnar u. Bruder 1995). Das Netz von Beratungsstellen für Ältere ist wesentlich schlechter ausgebaut als für andere Altersgruppen, und die Versorgungsangebote der Gerontopsychiatrie, die eine Verbesserung darstellen, sind weit davon entfernt, flächendeckend ausgebaut zu sein. Helmchen und Kanowski (2001) kommen in ihrer Expertise zum 4. Altenbericht der Bundesregierung zu dem Schluss, dass psychisch kranke Ältere in der Konkurrenz um diagnostische und therapeutische Chancen gegenüber Jüngeren in der Regel benachteiligt sind, eine Tendenz, die sich unter den gegenwärtigen Ressourcenknappheit eher noch verschärft.
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Gegenwärtige und notwendige Entwicklungen In der Psychiatrie-Enquete aus dem Jahr 1975 wurden in der Versorgung psychisch kranker Älterer folgende Mängel festgestellt: Platz- und Bettenmangel, zu schmal gefächerte Angebote, stationäre Zentrierung, fehlende Durchlässigkeit, mangelnde Integration, zu starke Zentrierung auf hirnorganische Erkrankungen, fehlende Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachleute. Die vorherige Analyse hat gezeigt, dass zwar Verbesserungen zu verzeichnen sind, von einer grundlegenden Veränderung und Behebung der Mängel jedoch nicht die Rede sein kann. Was müsste geschehen? Die Problemvielfalt und -kumulation im Alter macht es erforderlich, eine dementsprechende Vielfalt auch an Versorgungs- und Behandlungsmöglichkeiten bereitzustellen und diese auf das Ziel der Erhaltung von Selbständigkeit hin zu bündeln und zu koordinieren (Wolter-Henseler 2000). Auf dieses Ziel hin sind alle Interventionsmaßnahmen auszurichten, die von der Optimierung von Entwicklungsbedingungen über die Geroprophylaxe und Prävention, die Therapie und Rehabilitation bis hin zum Zurechtkommen bei irreversiblen Problemsituationen reichen, um die Palette an Interventionsmöglichkeiten in der Terminologie von Lehr (1979) zu beschreiben. Diesen Ansprüchen kann das Versorgungssystem bis heute jedoch nicht genügen. Die Zentrierung auf hirnorganische Erkrankungen und somatische Versorgungseinrichtungen ist weiterhin unverkennbar, während psychosoziale und psychotherapeutische Angebote weiterhin unzureichend ausgebaut sind oder in Anspruch genommen werden. Ebenso wichtig wie der weitere Ausbau einzelner Segmente ist die bessere Vernetzung und Koordination innerhalb des gesamten Versorgungssystems. Das Knüpfen von Versorgungsketten schafft erst die optimale Voraussetzung zur bestmöglichen Versorgung psychisch kranker oder von psychischer Krankheit bedrohter älterer und alter Menschen (Blessen-Reisen 1997; Paech 2001; Heuft u. Senf 1998a). Diese Forderung ist bis heute nur unzureichend realisiert (Heuft u. Schneider 2001). Positive Entwicklungen sind dennoch nicht zu übersehen. Im »Leitfaden für die ambulante und teil-
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stationäre gerontopsychiatrische Versorgung« (Hirsch et al. 1999) sind Anforderungsprofile entwickelt worden, die – so ist zu hoffen – zukünftig stärker zum Tragen kommen werden. Den gerontopsychiatrischen Zentren kommt zweifellos eine wichtige koordinierende Funktion zu, die sie jedoch erst dann ausreichend wahrnehmen können, wenn sie flächendeckend eingerichtet sind. Doch diese Entwicklungen beziehen sich auf psychiatrisch erkrankte und pflegebedürftige ältere Menschen. Die große Gruppe der psychoneurotisch, psychoreaktiv und psychosomatisch erkrankten Menschen findet in den Versorgungssegmenten, wie sie in dem Leitfaden dargestellt werden, kein adäquates Behandlungsangebot vor. Auch die noch größere Gruppe mit einer subdiagnostischen Symptomatik, die sich in einer psychosozialen oder Lebenskrise befinden und deshalb als Risikogruppe zu betrachten ist, dürfte damit kaum erreicht werden. Insbesondere an diese beiden Gruppe aber müsste sich ein adäquates psychotherapeutisches und Beratungsangebot richten. Anzustreben wäre dann weiterhin die Verknüpfung mit komplementären Angeboten der offenen Altenhilfe, die ja gleichermaßen einen Wandlungsprozess durchläuft (Amann 1994; Schweppe 1996). Gerade hier können Entwicklungsräume geschaffen werden, die zu erschließen dann unter anderem Aufgabe von Psychotherapie und Beratung wäre. Eine solche Integration ist besonders auch unter präventiven Gesichtspunkten wünschenswert. Doch auch die anderen, bereits diskutierten Barrieren müssten überwunden werden. Hierfür scheinen die Zeichen günstiger zu stehen als für eine Verbesserung des Versorgungsnetzes, der in Zeiten restriktiver Gesundheits- und Sozialpolitik enge Grenzen gesetzt sind. So ist zu erwarten, dass nachrückende Kohorten an Beratern und Therapeuten mehr Aufgeschlossenheit für die psychischen Probleme und Konflikte Älterer aufbringen werden; die Befragungsergebnisse von Zank (2002; siehe oben) können als positives Zeichen interpretiert werden. Auch allmählich verbesserte Fortbildungsangebote können als Beleg gelten. Auf der anderen Seite mehren sich aber auch die Hinweise, dass die Älteren selbst zukünftig eine größere Bereitschaft an den Tag legen werden, entsprechende Angebote wahrzunehmen und für sich zu nutzen, ja
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möglicherweise sogar einzufordern. Nachrückende Kohorten sind anders sozialisiert und betrachten entsprechende Angebote als selbstverständliche Möglichkeit, die sie nicht mehr von vornherein auszuschließen bereit sind.
Sind spezifische Angebote für Ältere erforderlich? Bei Überlegungen zur Besserung der derzeitigen Situation stellt sich die grundlegende Frage, inwieweit alterspezifische Angebote sinnvoll sind oder ob auf diese verzichtet werden kann oder sogar sollte. In der Gerontopsychiatrie werden ältere Menschen zu etwa zwei Drittel in spezifischen Abteilungen und zu etwa einem Drittel in der allgemeinen Psychiatrie mitversorgt (Helmchen u. Kanowski 2001). In der Einrichtung gerontopsychiatrischer Tageskliniken sowie geriatrischer Kliniken wird ein Trend hin zu spezifischen Bereichen sichtbar. In den psychosomatischen Kliniken ist dieser Trend bisher weniger eindeutig zu erkennen. Auch im Beratungsbereich erleben wir zwei Entwicklungen, einerseits die Einrichtung spezifisch ausgerichteter Alten- und Seniorenberatungsstellen, auf der anderen Seite die stärkere Nutzung allgemeiner Beratungsstellen durch Ältere. Welche Überlegungen lassen sich nun ins Feld führen? Für die Einrichtung altersspezifischer oder altershomogener Angebote wird insbesondere von ärztlicher Seite argumentiert, dass damit die besten Voraussetzungen für eine optimale Behandlung geschaffen werden, da das erforderliche Fachwissen bereitgestellt werden kann. Tatsächlich müssen ja spezifische diagnostische Probleme oder die unterschiedliche Wirkungsweise von Psychopharmaka bei älteren Menschen berücksichtigt werden. Damit werden spezifische Kenntnisse notwendig, die eher in spezifischen Abteilungen bereitgestellt werden können. Doch kritische Fragen stellen sich unter Einbeziehung soziologischer Überlegungen. Wird nicht durch die Schaffung von »Schutzzonen« der Diskriminierungsverdacht erhärtet und die Ausgrenzung des Alters dokumentiert? Und widerspricht eine solche organisatorische Absonderung nicht den Interessen der Älteren an Kontinuität und Integra-
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tion? Die letzterer Argumentation zugrunde liegende Annahme, die Aufhebung von Altersgrenzen diene der gesellschaftlichen und kulturellen Integration des Alters, kann jedoch keineswegs als erwiesen gelten. Aus diesem Argument folgt vielmehr ein Infragestellen der Altenarbeit und alterspezifischer Angebote. Mir scheint, dass solche pauschalen Argumente der Differenziertheit der Frage kaum gerecht werden. Soziale »Schutzzonen« und altershomogene Gruppen schaffen bessere Voraussetzungen, gemeinsame biografische Erfahrungen und die aktuelle Alterssituation zu bearbeiten. Alltagspraktische und emotionale Erlebnisse können wechselseitig besser verstanden werden, was identitätsfördernde Bedingungen schafft. Die Entwicklung eines Altersgruppenbewusstseins kann sowohl im Hinblick auf die personale Identität wie auf die gesellschaftliche Integration des Alters positive Wirkungen haben (Zeman 1997). Unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten kommt in identitätsrelevanten Entwicklungsphasen insbesondere Gleichaltrigen die Rolle des Alter Ego, das heißt eines Spiegels zu, der dazu dient, das eigene Ich wahrzunehmen, das Selbstwertgefühl zu regulieren und eine altersentsprechende Identität zu bilden (Peters 1995). Insofern haben altershomogene Gruppen eine entscheidende entwicklungsfördernde Funktion. Ein entscheidenderes Argument von soziologischer Seite bezieht sich auf die Folgen der Modernisierung des Alters, die dazu führt, dass sich Altersgrenzen auflösen oder doch fließend werden. Dies kommt einerseits in der Verjüngung des Alters zum Ausdruck, zum anderen aber auch in der Abgrenzung von drittem und viertem Alter, wofür allerdings keinerlei soziale Regelung oder Statuspassage erkennbar ist. Vielmehr bestätigt die Gerontopsychologie eine abnehmende Bedeutung des chronologischen Alters. Somit erscheint die Festlegung von Altersgrenzen für ein alterssegregierendes Versorgungssegment zunehmend willkürlich. Die Gerontopsychiatrie scheint darauf bislang am wenigsten zu reagieren, in der Gerontopsychosomatik ist die Altersgrenze eher nach unten verschoben – ebenso wie in der offenen Altenhilfe, die sich zunehmend auch an die jungen Alten wendet und diese einzubeziehen versucht. Es gibt für die Frage keine endgültige und klare Lösung. Für manche Bereiche ist eindeutig festzustellen, dass altershomo-
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Versorgungsrealität – Anspruch und Wirklichkeit
gene Zonen unumgänglich, ja vorteilhaft sind, beispielsweise für Demente, die kaum in heterogen zusammengesetzte Gruppen zu integrieren sind (Wächtler u. Herber 1993). Zweifellos handelt es sich bei Dementen um eine Extremgruppe, so dass dies nicht mit gleicher Eindeutigkeit in Bezug auf andere Gruppen gilt. Möglicherweise ist eine Mischung von altershomogenen und altersheterogenen Angeboten anzustreben, wie es in psychosomatischen Kliniken schon praktiziert wurde. So berichtet Peters (1995) von Erfahrungen mit einem Mischkonzept; es wurden Stationen eingerichtet, auf denen etwa zur Hälfte ältere und zur Hälfte jüngere Patienten behandelt wurden, so dass eine Altersmischung erhalten blieb. Innerhalb der Station wurden jedoch auch altershomogene Angebote etabliert (Gesprächsgruppe, Kreativtherapiegruppe), um einen Rahmen für altersspezifische Themen zu schaffen, die intragenerationellen Beziehungen zu fördern und die innere Anpassung an das höhere Lebensalter zu verbessern. Eins haben die klinischen Erfahrungen mit großer Eindeutigkeit gezeigt: Ein Minoritätenstatus, sei es der älteren oder der jüngeren Patienten, ist auf jeden Fall zu vermeiden. In einem Behandlungssetting, in dem vereinzelte ältere unter überwiegend jüngeren Patienten sind, wird eine äußerst ungünstige Behandlungsbedingung in Kauf genommen, den die Älteren durch Rückzug oder durch eine Orientierung am Ober- oder Chefarzt zu kompensieren versuchen, von dem sie dann die gewünschte Unterstützung und den erforderlichen Schutz erhoffen (Peters u. Lange 1994; Peters 1995).
Klinische Praxis – Beziehung und Prozess
Facetten der Beziehung zum älteren Menschen Warum die Beziehung so wichtig ist Die Psychotherapieforschung belegt, dass die Beziehung zwischen Patient und Therapeut der am besten erforschte generelle Wirkfaktor ist und über alle Therapieverfahren hinweg in erheblichem Maß das Therapieergebnis bestimmt. Diese Wirkung kann auf mehrere Komponenten zurückgeführt werden (Berns 2004): – Arbeitsbündnis: Dieses Konzept entstammt der Psychoanalyse; heute werden oft andere Begriffe wie etwa der der hilfreichen Beziehung verwendet. Gemeint ist das Gefühl des Vertrauens in die Beziehung, die Verlässlichkeit der Zusammenarbeit und die Einschätzung, in etwas für die eigene Person Bedeutsames involviert zu sein. – Überzeugungskraft: Wirksam wird hier das Vertrauen des Therapeuten selbst in die Wirksamkeit der von ihm durchgeführten Therapie. – Therapeutenpersönlichkeit: Schließlich sind die persönlichen Eigenschaften des Therapeuten von erheblichem Einfluss auf das Therapieergebnis. Dabei kommt es vor allem darauf an, ob der Patient die Persönlichkeit des Therapeuten als zu ihm passend erlebt. Der Stand der Psychotherapieforschung zeigt eindeutig, dass die Wirkung dieser Faktoren größer ist als diejenige, die durch spezifische Faktoren zustande kommt – ein Befund, der gegen eine einseitige Betonung spezifischer Therapietechniken oder starrer Therapiemanuale spricht. Entscheidend für das Gelingen der thera-
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Klinische Praxis – Beziehung und Prozess
peutischen Beziehung ist die Frage der Passung (Strauß 1998). Je kreativer der Therapeut sich auf die spezifischen Besonderheiten seines Patienten einzustellen vermag, seine Behandlungstechnik den individuellen Gegebenheiten anpasst und mehr den Patienten als seine eigenen, eventuell idealisierten Behandlungstechniken im Auge hat, desto eher ist ein positives Ergebnis zu erwarten. Im Rahmen einer solchen Beziehung kann sich der Patient verstanden und akzeptiert fühlen, er erlebt eine narzisstische Aufwertung und das wiederum bewirkt eine größere Aufnahmebereitschaft. Außerdem schöpft er neue Hoffnung, die entscheidend dazu beiträgt, einen Veränderungsprozess in Gang zu bringen, stärkt sie doch den Willen und die Bereitschaft, eine Krise zu überwinden und Veränderungen herbeizuführen. Eigene Untersuchungsbefunde zeigen, dass Ältere diese Beziehung in stationären Behandlungen als noch wichtiger einschätzen als jüngere Patienten (Peters et al. 2002). Darüber hinaus fanden wir ein durchgängiges Muster, dem zufolge Ältere nicht nur die Beziehung zum Bezugstherapeuten ganz besonders wertschätzen, sondern auch in anderen Bereichen dyadische Beziehungen bevorzugen. Sie schätzen besonders die Beziehung zur Schwester oder die physiotherapeutischen Anwendungen, die immer als Einzelanwendungen durchgeführt werden, das heißt innerhalb einer dyadischen Beziehung stattfinden. Ein solcher Befund sagt noch nichts darüber aus, wie eine solche Beziehung beschaffen ist, was zu diesem positiven Erleben beiträgt und ob Berater/Therapeuten die Einschätzung teilen. Vielmehr finden sich in der Literatur als auch in unserer eigenen klinischen Praxis zahlreiche Hinweise darauf, dass diese Beziehung einige Besonderheiten aufweist und die positive Einschätzung von Beratern/Therapeuten keineswegs vorbehaltlos geteilt wird. Es gibt immer wieder Erfahrungsberichte, denen zufolge sich Jüngere rasch aus der Beziehung zurückziehen. In einer eigenen Untersuchung in einer psychosomatischen Klinik fanden wir, dass diejenigen älteren Patienten, die mit einer psychotherapeutischen Erwartungshaltung in die Klinik gekommen waren, weniger Therapie und mehr physiotherapeutische Anwendungen erhielten als diejenigen, die eine körperorientierte Erwartung hatten oder Ruhe und Erholung in den Vordergrund stellten. Diese
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Befunde lassen sich in der Weise verstehen, dass dort, wo eine intensive Konfrontation mit der Erfahrung und dem Erleben des Alters droht, eine Distanz geschaffen wird, um dieser Konfrontation auszuweichen (Peters et al. 2002). Wir finden also ein durchaus widersprüchliches Bild, dass näher beleuchtet werden soll.
Zwei Fremde stehen sich gegenüber Eine positiv erlebte Beziehung entsteht meist nicht spontan und wir sollten die Gründe kennen, die die Entwicklung eines emotionalen Kontaktes erschweren oder erleichtern können. Dabei müssen wir die besondere Situation ins Auge fassen, die bei der Begegnung des älteren Patienten mit dem in der Regel deutlich jüngeren Berater/Therapeuten entsteht. Gehen wir von der Frage der Passung aus, die wesentlich zum problemlosen Gelingen des Dialogs und der Entwicklung der Beziehung beiträgt, dann lässt sich im Hinblick auf die Begegnung zwischen jüngerem Berater/Therapeuten und älterem Klienten/Patienten die These von der initialen Nicht-Passung postulieren. Ich meine, dass auf mehreren Ebenen eine Barriere besteht, die diese Nicht-Passung begründet. Was ist damit gemeint? 1. Emotionale Barriere: Die emotionale Barriere beruht auf der kulturübergreifend wirksamen und im Inzesttabu begründeten Generationenschranke. Mit dieser, vermutlich am tiefsten in der Persönlichkeit verankerten Schranke hat sich insbesondere die Psychoanalyse intensiv beschäftigt. Mit der Auflösung des Ödipuskomplexes, so die Annahme, wird die Generationenschranke im Kind errichtet und zu einem konstituierenden Element der primären Beziehungen. Deren Überschreitung ruft fortan Scham- und Schuldgefühle hervor (Sies 1995). Auf die Wirkung dieser Schranke ist aber auch die emotionale Hemmung zurückzuführen, mit Älteren über intime und sexuelle Themen zu sprechen. 2. Kommunikative Barriere: Untersuchungen zu sozialen Netzwerken zeigen, dass diese fast ausschließlich altersgruppenhomogen organisiert sind. Menschen aller Altersgruppen kommunizieren
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Klinische Praxis – Beziehung und Prozess
überwiegend mit Angehörigen der gleichen Altersgruppe. Selbst innerhalb der Familien bestehen enge Beziehungen eher zwischen unmittelbar benachbarten Generationen, während die Kontaktdichte zwischen Großeltern und Enkelkindern deutlich geringer ist, zumal dann, wenn die Enkelkinder selbst das Erwachsenenalter erreicht haben. In noch höherem Maß gilt die Altersgruppenhomogenität außerhalb der Familie: Nicht verwandte Personen im sozialen Netzwerk sind überwiegend im gleichen Alter (Filipp u. Mayer 1999). Nach den Ergebnissen von Williams und Giles (1996) führten Jüngere nur 4,5 Prozent ihrer Gespräche mit Älteren. Damit entfällt aber auch die Möglichkeit der Korrektur einer altersstereotypen Wahrnehmung durch direkten Kontakt. 3. Entwicklungsbezogene Barriere: Des Weiteren begründet die unterschiedliche Stellung im Lebenszyklus Distanz. Jüngere und Ältere betrachten das Leben nicht nur aus unterschiedlichen zeitlichen Perspektiven, woraus sich unterschiedliche Blickwinkel, Sichtweisen und Wertungen ergeben. Aus den unterschiedlichen Orten auf dem Lebenskontinuum, an dem sich beide befinden, resultieren auch unterschiedliche Entwicklungsaufgaben. Dem Älteren stellen sich zum Teil völlig neue Aufgaben, beispielsweise die Auseinandersetzung mit dem körperlichen Altern, die er nie zuvor am eigenen Leib erlebt hat und in die sich der Jüngere nur begrenzt einfühlen kann. 4. Generationsbezogene Barriere: Hinzu kommt, dass die Vergangenheit des Älteren nicht die Vergangenheit des Jüngeren ist. Die Zeit, die ihn geprägt hat, ist in vielerlei Hinsicht eine andere gewesen als die, die den jüngeren Therapeuten prägte. Die dadurch bedingte Barriere beruht auf dem Umstand, dass beide unterschiedlichen Generationen angehören, was insofern von Bedeutung ist, als dass jede Generation sich mit »ihrer Zeit« identifiziert, um sich im Zeitfluss zu verorten und als historische Wesen zu begreifen (Reulecke 2002). Diese Zuordnungsbedürfnisse, die auch dazu führen, sich von anderen Generationen mit anderen Erfahrungstatbeständen abzugrenzen, schaffen eine generationsspezifische Identität, die vielfach mit unterschiedlichen Gewohnheiten, Verhaltensstilen oder Normen, Vorlieben
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und Einstellungen verbunden ist. Man könnte die daraus erwachsene Nicht-Passung als kulturspezifische Distanz bezeichnen, da beide nicht auf vergleichbare Lebenserfahrungen und kulturelle Hintergründe als Verständigungsbasis zurückgreifen können. 5. Soziologische Barriere: Schließlich ist eine vielfach gegebene soziologische Barriere zu nennen. Der jüngere Therapeut sitzt dem älteren Patienten als Akademiker mit entsprechendem Status, Einkommen, Lebensgewohnheiten und Redeweisen gegenüber. Daraus kann Fremdheit erwachsen, die eine Verständigung erschwert. Manchmal verstärken sich Ängstlichkeit und Unterwürfigkeit, aber auch Neid, wenn der Patient selbst aus einem anderen sozialen Milieu stammt und möglicherweise nie in seinem Leben die Chance hatte, in ein vergleichbares Milieu aufzusteigen. Die Bildungsbenachteiligung älterer Frauen wirkt sich hier besonders aus, und viele von ihnen bringen – oft verbunden mit einem Gefühl des Bedauerns und der Wehmut, aber auch des Neides – nicht verwirklichte Wünsche nach Bildung und Ausbildung zum Ausdruck. Fallvignette 1: Eine 78-jährige Patientin hatte bereitwillig zugestimmt, am Konzentrations- und Gedächtnistraining teilzunehmen, und arbeitete hier mit großem Eifer mit. Sie konkurrierte unverhohlen mit den anderen Teilnehmern und freute sich über ihre Leistungsfähigkeit. Erst nach längerem Zögern nahm sie auch an der Gruppentherapie teil. Doch ihre Ambivalenz hatte sich nicht wirklich aufgelöst, vielmehr fühlte sie sich von der jungen Gruppentherapeutin rasch missverstanden. Diese Gefühle äußerte sie nicht, sondern brachte sie indirekt zum Ausdruck, indem sie die Gruppe immer wieder mit der Begründung verließ, zur Toilette zu müssen. Die Therapeutin reagierte darauf zunehmend ungehalten und wies sie schließlich deutlich zurecht, woraufhin die Patientin tief gekränkt reagierte und nun endgültig nicht mehr an der Gruppe teilnehmen wollte. Sie fühlte sich nicht nur zurechtgewiesen, sondern auch unverstanden, weil sie doch nun einmal ihr Wasser nicht so lange halten könne.
In der geschilderten Szene vermischen sich einige der genannten Faktoren: Die Patientin stimmt einer Teilnahme an der Gruppentherapie zu, obwohl sie nicht davon überzeugt ist. Sie denkt vermutlich, der Anweisung der Therapeutin Folge leisten zu müssen
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und erlaubt sich nicht, ihre diskrepante eigene Auffassung zu äußern. Die Einschränkungen des Über-Ich und die Konfliktscheu verbergen aber womöglich auch den Neid auf die jüngere Therapeutin, der andere Entwicklungsmöglichkeiten offen standen als ihr selbst, zumal sie sich ja durchaus als leistungsorientiert darstellt. Es entsteht ein verborgener Unmut, der sich in dem wiederholten frühzeitigen Verlassen der Gruppe äußert. Die altersbedingten körperlichen Beschwerden verschaffen ihr einen Vorteil, und sie kann diese nutzen, ihren eigenen Ärger in der Therapeutin zu induzieren, die ihn offen äußert. Nun fühlt sie sich als Opfer, und diese Rolle verschafft ihr eine Handlungsmöglichkeit, die ihrem Selbstbild entsprach. In ihrer Empörung über das Nicht-verstanden-Werden durch die jüngere Therapeutin, die ihrem Urteil nach nichts vom Älterwerden weiß, findet sie die Legitimation, sich zurückzuziehen. So kann sie die Einschränkung, die ihr das Über-Ich setzt, umgehen. Erst jetzt kann sie für sich eine Entscheidung treffen, die ihr ein Gefühl von Eigenständigkeit, aber auch Überlegenheit verschafft. Aber auch die Therapeutin vermag die Distanz nicht zu überbrücken. Sie lässt sich zu einem Agieren verleiten, das nicht allein auf die Projektion der Patientin zurückzuführen ist, sondern auch auf dem Unverständnis für die altersbedingten Beschwerden sowie der Scheu, diese rechtzeitig anzusprechen. Nun spiegelt sich in den Barrieren eine tatsächlich gegebene Distanz wider, die Coupland (Coupland et al. 1991, zit. nach Thimm 2000) als eine kulturelle Trennlinie bezeichnet hat, die zwischen Älteren und Jüngeren zu überwinden sei, um eine befriedigende Kommunikation zu ermöglichen. Zu den tatsächlich gegebenen Unterschieden treten die Phantasien über die jeweilige andere Generation, die sich auf beiden Seiten in stereotypen Bildern manifestieren. Diese tragen durch ihrer Vereinfachung und Reduzierung auf wenige Merkmale zur Reduktion von Unsicherheit bei. Der Ältere selbst findet dann in einer irritierenden Situation mehr Orientierung in dem Bild von »der Jugend«, während der Berater/ Therapeut eine stereotypisierende Wahrnehmung dazu benutzen kann, sich in einer auch ihn verunsichernden Situation zu distanzieren. Nun ist aus der sozialwissenschaftlichen Forschung bekannt, das Vorurteile nur so lange wirksam sind, wie in allgemei-
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ner Form von der anderen Generation gesprochen wird. Geht es hingegen um konkrete Beziehungen und Erfahrungen mit Mitgliedern der anderen Generation, verlieren sie rasch ihre Wirksamkeit und es tauchen die persönlichen inneren Bilder auf, die auf die Beziehung einwirken. Die folgenden Abschnitte sollen diese Zusammenhänge deutlicher werden lassen.
Von den Schwierigkeiten des Dialogs Zur Analyse des Gesprächsverhaltens Die im letzten Abschnitt herausgestellten Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren haben immer wieder eine teils überzogen geführte Diskussion um einen Generationenkonflikt oder sogar Generationenkrieg entfacht. Zweifellos ist die Frage der Generationenfolge und der Umgang der Generationen miteinander eine der fundamentalen Fragen kulturellen Zusammenlebens. In einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft, wie wir sie gegenwärtig erleben, zählt das Verhältnis der Generationen zueinander sicherlich zur Grundlage gesellschaftlicher Kontinuität und Stabilität. In einer sich ausdifferenzierenden Kommunikationsgesellschaft ist auch dieses Verhältnis weniger durch gesellschaftliche Normen und Regeln bestimmt, sondern hängt in stärkerem Maß von einer gelingenden Kommunikation ab. Gehen wir nun davon aus, dass Kommunikationssituationen, in der zwei ungleiche Partner zusammenkommen – sei es im Hinblick auf Geschlecht, Macht oder Fähigkeiten – störanfälliger sind, so ist dies auch im Miteinander von älteren und jüngeren Menschen zu erwarten. In ungleichen Dyaden, so die Annahme, kommt es leichter zu Kommunikationskonflikten und geht es stärker um das Aushandeln der Situationsdefinition sowie die Darstellung und den Schutz der eigenen Identität. Hierzu trägt bei, dass Alter nicht nur als biologische Kategorie zu verstehen ist, sondern auch als Identitätskategorie, die nicht ohne Einfluss auf den Verlauf des Dialoges bleibt und deren Bedeutung ausgehandelt wird. Hinzu kommt, dass sich Kommunikationsbedürfnisse und -fähigkeiten im Alter verändern.
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Die große Bedeutung der Kommunikation spiegelt sich jedoch bisher in der Literatur nicht wider; in den einschlägigen Veröffentlichungen zur Beratung und Psychotherapie Älterer finden sich hierzu keine Ausführungen. Es gibt lediglich eine Untersuchung, die auf die Bedeutung dieses Themas auch für Beratungssituationen aufmerksam macht und die Vermutung nahe legt, dass der Dialog zwischen Jüngeren und Älteren auch in professionellen Situationen konfliktträchtig ist. In einer Studie zur Inanspruchnahme sozialer Dienste durch Ältere konnte Garms-Homolova (1988) zeigen, dass der ältere Ratsuchende und der Berater oftmals Schwierigkeiten haben, zu einer gemeinsamen Definition der Situation zu gelangen. Während der Ältere sich häufig noch unsicher ist, ob er tatsächlich bereit ist, Hilfe zu akzeptieren, gehen Berater oft davon aus, das sogleich ein Beratungsprozess beginnen kann. Wie Garms-Homolova aufzeigt, entsteht damit eine Asynchronizität, die das In-Gang-Kommen eines sinnvollen Beratungsprozesses erschwert. Diese Gedanken sind jedoch nicht weiterverfolgt worden. Zwar befasst sich die Psychotherapieforschung zunehmend mit den Mikroprozessen, die sich auf der nonverbalen Ebene der therapeutischen Beziehung vollziehen, wobei Ältere noch nicht in diese Untersuchungen einbezogen worden sind (Streek 2004). Nun hat sich vornehmlich in den USA und Großbritannien eine Forschungsrichtung entwickelt, die sich mit der alltäglichen Kommunikation zwischen Älteren und Jüngeren befasst – die gerontologisch-psychologische Linguistik. Hierzulande findet diese Forschungsrichtung erst allmählich ein größeres Echo, das allerdings die psychotherapeutische und beratende Arbeit bisher nicht erreicht hat (Thimm 2000; Fiehler u. Thimm 1998; Fiehler 2001; Mayer 2002). Vornehmlich wurden außerfamiliäre Dialoge untersucht, die zwischen sich bislang fremden jüngeren und älteren Frauen geführt wurden. Neuerdings wird aber auch die innerfamiliäre Kommunikation untersucht, wobei Übereinstimmungen, aber auch Abweichungen zur außerfamiliären Kommunikation gefunden wurden (Mayer 2002). Man könnte nun einschränken, dass in einem professionellen Kontext andere Verständigungsmuster vorherrschen als in der Alltagskommunikation und daher Ergeb-
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nisse dieser Forschungsrichtung nicht relevant sind. Gehen wir allerdings davon aus, dass sich Beratung und Therapie in sprachlicher und nichtsprachlicher Kommunikation vollzieht, so wird zumindest deutlich, dass die Frage, wie sich Jüngere und Ältere verständigen, von hoher Bedeutung sein muss. Hinzu kommt, dass sich im Erstkontakt ebenfalls zwei bislang völlig fremde Menschen begegnen und deswegen doch eine gewisse Nähe zu den untersuchten Alltagssituationen besteht. Zumindest kann ein Verständnis der Schwierigkeiten, die sich in dieser Situation herausstellen, die Chancen verbessern, sich besser auf einen gelingenden professionellen Dialog einzustellen.
Gesprächs- und Kommunikationsverhalten Älterer Das Gesprächs- und Kommunikationsverhalten verändert sich im Alter (Filipp u. Mayer 1999). Nonverbal ist eine Abnahme der Spontaneität und Responsivität in Mimik und Gestik zu verzeichnen, so dass das Ausdrucksverhalten älterer Menschen schwerer zu interpretieren ist als das jüngerer. Hierzu kann auch die veränderte Oberflächenstruktur des Gesichts, das heißt die Faltenbildung, beitragen. So zeigen Untersuchungen, dass von Älteren ausgedrückte Emotionen häufiger inkorrekt eingeschätzt werden. Auch eine reduzierte Mobilität und Motorik engt die Bandbreite des Ausdrucksverhaltens wie auch die Kontrolle über Haltung und Distanz in interpersonellen Situationen ein. Außerdem ist eine Verlangsamung des Augenkontaktes und eine Reaktionsverlangsamung insgesamt zu beobachten. Letzteres kann die Sensibilität für soziale Signale verringern, Ersteres kann beim Gegenüber fälschlicherweise als Kommunikationsabbruch interpretiert werden. Mit paraverbaler Kommunikation sind die nichtinhaltlichen sprachlichen Merkmale des Gesprächsverhaltens gemeint. Während die Stimmhöhe bei Frauen konstant bleibt, wird die Stimmlage bei Männern ab dem 65. Lebensjahr höher. Frequenzschwankungen vermitteln den Eindruck einer zitternden oder unsicheren Stimme. Des Weiteren ist eine Verringerung der Sprechgeschwindigkeit, eine Zunahme der Frequenz und Dauer von Pausen, häu-
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figere Unterbrechungen im Wortfluss, mehr Wiederholungen von Wörtern oder Satzteilen, eine disrhythmische Sprechweise und eine weniger präzise Artikulation festzustellen. Auch diese Veränderungen können zu Fehlinterpretationen führen. Betrachtet man die Gesprächsinhalte genauer, so fällt immer wieder die Neigung Älterer auf, Themen in Erzählform zu transportieren. Es ist auch Teil des Altersstereotyps – gewissermaßen ein positiver Aspekt –, dass Ältere als gute »Geschichtenerzähler« gelten. Erzählungen stellen für Ältere eine wesentliche und vertraute Form der Kommunikation dar, die sie nutzen, um ihre Identität darzustellen. Die Erzählungen Älterer weisen jedoch einige besondere Merkmale auf, so eine häufig zu beobachtende konkretistische Sprechweise, das heißt, sie berichten den Hergang des Erlebten detailgetreu. Als Grund für diesen Konkretismus sieht Schachtner (1988) die historische Zeit, in der die Älteren sozialisiert wurden. In der Lebensweise, die sie geprägt hat, musste die bedeutsame Wirklichkeit nicht als etwas Abstraktes imaginiert werden, wie es heute mehr und mehr von uns verlangt wird. Die Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung erfordert eine durch Unmittelbarkeit geprägte Beziehung und verlangt einen direkten Umgang. Die dadurch begründete andere Wirklichkeitserfahrung spiegelt sich dann Schachtner zufolge in der Form eines Erzählens, das in konkretistischer Weise die Wirklichkeit wiedergibt. Des Weiteren ist häufiger ein gesteigerter Redefluss und eine Weitschweifigkeit in der Erzählungen zu beobachten, die zudem häufig weniger kohärent sind (Filipp u. Maier 1999). Besonders die Weitschweifigkeit, die möglicherweise auf eine verminderte kognitive Kontrolle zurückgeht und für die Thimm (2000) folgendes Beispiel gibt, fordert dem Zuhörer oft einiges an Geduld ab. Fallvignette 2: Eine 74-jährige Sprecherin antwortet auf die Frage, wie häufig sie ihre Tochter sehe, wie folgt: »Ich war nur zweimal dort unten, sie ist erst seit drei Jahren dort. Mit dem Flugzeug dauert es nur eine Stunde und 23 Minuten, aber sie hat gesagt: ›Warum zum Teufel kommst du nicht?‹ So habe ich mir ein Ticket besorgt und bin am nächsten Tag geflogen und weil ich auch Geburtstag hatte, da hatte ich 12 kleine Rosen aus meinem Garten in einer Blumenvase. Und ich bin noch einmal zurück und habe gesagt: ›Kriegen wir Rentner keine Verbilligung?‹ Und sie hat gesagt:
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›Natürlich meine Liebe.‹, und hat 90 DM von meiner Rechnung abgezogen [. . . ]«
Auch bei der Themenwahl zeigen sich einige Besonderheiten. So ist in zahlreichen Arbeiten eine thematische Vergangenheitsorientierung nachgewiesen worden, (»Ich bin seit 15 Jahren Witwe.«) die viel stärker dann zum Tragen kommt, wenn Ältere mit Jüngeren sprechen, hingegen weniger, wenn sie mit anderen Älteren sprechen. Willliams und Giles (1996) sehen darin die Etablierung einer historischen und lebensweltlichen Trennlinie zwischen einer jüngern und einer älteren Person. Altersrollenbezeichnungen (»Ich habe schon drei Enkel und zwei Urenkel.«) sind ebenso häufig wie Formulierungen, die gewissermaßen aus einer Endposition heraus entstehen, in der sich der Ältere nicht mehr als in einer Entwicklung begriffen sieht (»[ . . . ] aber meine schönste Zeit war bei der Post, das kann ich sagen.«). Besonders häufig ist eine Bezugnahme auf das eigene Lebensalter. Alle Untersuchungen bestätigen, dass Ältere immer wieder ihr Alter zum Gesprächsgegenstand machen, entweder direkt durch Nennung des Alters oder indirekt durch Hinweise auf zeitliche Aspekte in Form autobiografischer Schilderungen oder auf gesellschaftliche, kulturelle oder soziale Veränderungen. Häufig wird auch das Alter der jüngeren Gesprächspartnerin thematisiert und damit die Altersdifferenz hervorgehoben. Situationen wie diese wird jeder in der ein oder anderen Art kennen: Alt: Jetz müsse Sie sich aber grad mit so ’ner Alten unterhalten, gell? (lachend). Jung: Hab ich nix dagege (lacht etwas). Alt: Ich bin achtundsiebzig. Wie alt sind Sie? Jung: Ich bin, äh (räuspert sich), immer Schwierigkeiten. Ich wer achtundzwanzig (leicht lachend). Alt: Ha, jetzt kö, denke Se mal, Sie könnte ja meine Enkelin sein. Jung: Meine Oma ist vierundachtzig.
Die Äußerung der Älteren enthält eine generelle Abwertung von älteren Menschen, die sich als Distanzierung von der eigenen Altersgruppe deuten lässt, aber auch eine negative Selbsteinschätzung im Sinne von: »Ich bin alt und daher keine interessante Partnerin für
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eine jüngere Frau.« Auf der anderen Seite reagiert die jüngere Gesprächsteilnehmerin mit einer deutlichen Verunsicherung, als ob sie sich unter einem Rechtfertigungsdruck fühlt, und weist auf die Oma hin, als ob sie verdeutlichen möchte, doch etwas vom Alter zu verstehen, um der Distanzierung etwas entgegenzusetzen und das Vertrauen ihrer Gesprächspartnerin zu gewinnen. Eine weitere Besonderheit im Gesprächsverhalten älterer Menschen sind die so genannten Schmerzlichen Selbstenthüllungen. Damit ist das Mitteilen von belastenden Lebensereignissen und -erfahrungen wie etwa Tod eines Angehörigen, schwere Erkrankungen oder Probleme innerhalb der Familie gemeint (»Mein Mann ist also an und für sich viel zu früh verstorben, ich bin schon fünfundzwanzig Jahre allein mit den Kindern.«). Die Untersuchungen zeigen, dass solche Selbstenthüllungen von Älteren meist spontan ausgehen. Diese Besonderheiten des Gesprächsverhaltens Älterer können zweifellos dialogerschwerend wirken. So wird davon ausgegangen, dass die Thematisierung des eigenen Lebensalters oder des Alters der jüngeren Gesprächspartner mehr psychologische Distanz schafft und der Sicherung der eigenen Identität dient. Sie beinhalten aber auch einen Appell an die Höflichkeitsnorm der Jüngeren (fishing for compliments), als ob sie deren Respekt herausfordern möchten. Die Nennung des eigenen Alters scheint im hohen Alter zu einer positiven Identitätsmarkierung zu werden. Die schmerzvollen Selbstenthüllungen werden von Jüngeren meist als unangemessen und normverletzend erlebt, erfolgen sie in der Regel zu einem als unpassend empfundenen Zeitpunkt im Gesprächsverlauf. Bei den jüngeren Gesprächspartnern entsteht das Gefühl, sie selbst seien nicht speziell gemeint, an die sich die Mitteilung richtet, sondern als ob der Ältere eine beliebige Person suche, um über seine Probleme sprechen zu können. Es wird Gebrechlichkeit herausgestellt, was eine Zuweisung von Überlegenheit und Dominanz an die Jüngeren beinhaltet, aber doch auch der Verschleierung der eigenen Dominanz dient. Die vorliegende Literatur durchzieht die Auffassung einer egozentrischen Sprechweise bei älteren Menschen (Thimm 2000).
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Gespräche zwischen Jüngeren und Älteren Geht man von den zuvor berichteten Befunden aus, überrascht es nicht, dass jüngere Menschen sich überwiegend unzufrieden mit Gesprächen zeigen, die sie mit älteren Menschen geführt haben. Sie äußerten sich zufriedener über Gespräche, die sie mit Gleichaltrigen geführt hatten. So beklagten sie sich darüber, dass Ältere oberflächliche Gespräche bevorzugen würden. Außerdem wurden Ältere als dominanter und bestimmender wahrgenommen und Jüngere hatten das Gefühl, Ältere gingen zu wenig auf sie ein, zeigten sich desinteressiert oder hörten nicht zu. Zu diesen Ergebnissen fanden Williams und Giles (1996), dass die befragten Jüngeren auch von Gesprächen mit Älteren, die zu ihrer Zufriedenheit verlaufen waren, weil sie sich gleichberechtigt gefühlt und den Eindruck gewonnen hatten, Ältere seien aufgeschlossen und interessiert, mit »gemischten Gefühlen« erlebten, manchmal überwog sogar ein ängstliches Gefühl. Diese Befunde können zunächst einmal als Reaktion auf den ausgeprägten Selbstbezug in der Sprechweise Älterer verstanden werden. Demgegenüber sind Gespräche zwischen jüngeren Erwachsenen stärker durch eine gemeinsame Gesprächssteuerung und Themenwahl sowie ein wechselseitiges Eingehen auf das Gegenüber gekennzeichnet. Gesprächssituationen mit Älteren sind hingegen durch deren Dominanz geprägt. So vereinigte in einer Einzelfallauswertung durch Thimm die ältere Gesprächsteilnehmerin nahezu viermal mehr Wörter auf sich als die jüngere Frau. Auch in zahlreichen anderen Parametern fanden sich signifikante Unterschiede. So zeigte die ältere Frau etwa elf unterstützende Rückmeldungen gegenüber 79 bei der jungen Frau. Weiter fiel eine stockende Redeweise der älteren Frau auf; sie machte häufiger kürzere Pausen, wies eine hohe Anzahl an Wortabbrüchen auf und holte anders als die Jüngere sehr häufig Luft. Die in paraverbalen Merkmalen zum Ausdruck kommende zögerliche Sprechweise wirft die Frage auf, wie die Dominanz der Älteren zu bewerten ist. Thimm (2000) plädiert für eine interaktive Sichtweise, das heißt, sie sieht die Kommunikationsweise der Älteren nicht allein als Eigenschaft der Person, sondern als ein Phäno-
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men, das durch den Kontakt mit einem jüngeren Gesprächspartner produziert und teilweise auch durch diesen gefördert wird. Hierfür spricht auch, dass manche der beschriebenen Phänomene in Gesprächen unter gleichaltrigen Älteren nicht zu beobachten sind. Es handelt sich also um eine dynamische Situation, in der sich beide Gesprächspartner, Jung und Alt, wechselseitig beeinflussen, wobei die Altersdifferenz eine zentrale dynamische Einflussgröße darstellt. Die Theorie der wechselseitigen kommunikativen Anpassung bietet nun folgende Erklärung für diese dynamischen Prozesse an. Gespräche zwischen den Generationen, sofern sie außerhalb der Familie stattfinden, werden maßgeblich von Erwartungen und Stereotypien bezüglich gruppenbezogener Verhaltensweisen gelenkt. In der erstmaligen Begegnung mit einem Älteren werden diese anhand einfacher Merkmale (graue Haare, faltige Haut, Gebrechlichkeit) als Mitglied einer sozialen Gruppe kategorisiert und damit ein generalisiertes Altersbild aktiviert. Dieses nun bezieht sich auch auf die Erwartung eingeschränkter sozialer und kommunikativer Fähigkeiten der Älteren. Sie gelten als selbstbezogen, an den Interessen Jüngerer wenig interessiert, vergesslich, in ihrer Aufnahmefähigkeit und auch in anderen kognitiven Funktionen eingeschränkt. An diesem Bild richten die Jüngeren ihr Verhalten aus, was zu einer Überangepasstheit führt, die auf die Herstellung von Übereinstimmung zielt und die vermeintlichen Defizite des Älteren zu kompensieren sucht. Überangepasste Strategien auf Seiten der Jüngeren wären beispielsweise eine Beschränkung auf alterstypische Themen, eine Vereinfachung der Sprechweise oder eine erhöhte Lautstärke. Auch das besondere Bemühen um Toleranz und Rücksichtnahme gehört dazu. Die Jüngeren gaben an, sich mehr darum bemüht zu haben, auf den Älteren einzugehen und höflich zu sein. Eine besondere Form der Überanpassung ist das so genannte Patronisieren, das heißt eine herablassende Bevormundung. Hiermit ist die Verwendung eines vereinfachten Vokabulars gemeint, zum Beispiel die Verwendung von Diminutiva, eine vereinfachte Grammatik, besondere Anredeformen wie die Verwendung kindlicher Ausdrücke und eine spezifische Themensteuerung, etwa eine eingeschränkte Themenwahl, übertriebene Positivbewertung und mehr Ober-
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flächlichkeit. Im Patronisieren schlägt das submissive Verhalten der Jüngeren gewissermaßen in eine besondere Form der Kontrolle um. Dies ist auch bei der so genannten sekundären Babysprache (»secondary baby talk«) der Fall (Überblick Filipp u. Mayer 1999), die besonders im institutionellen Kontext zu beobachten ist. Erwachsene pflegen im Umgang mit Babys ein vereinfachte (reduzierte grammatikalische und linguistische Komplexität und Redundanz, Verlangsamung) und durch andere Intonationsmuster gekennzeichnete Sprechweise, die sich auch im Umgang mit pflegebedürftigen älteren Menschen einstellt. Damit sind überfürsorgliche Entlastungs- und Hilfsangebote verbunden, die zur Unterstützung abhängiger Verhaltensweisen beitragen. Baltes (Zank u. Baltes 1998) hat dieses Muster in ihren Untersuchungen in Pflegebeziehungen gefunden und als »Abhängigkeits-UnterstützungsMuster« bezeichnet. Ein solches Verhaltensmuster ist relativ unabhängig von tatsächlich vorliegenden Einschränkungen. Eine eindeutige Zuweisung dominanten Verhaltens zum Älteren und submissiven Verhaltens zum Jüngeren wäre also zu einfach, die dynamischen Zusammenhänge scheinen sehr viel komplexer zu sein. Zumindest in einem Situationskontext, in dem sich der Jüngere durch eine bestimmte Rolle oder eine Institution gestärkt sieht, kann das Dominanzverhältnis umkippen. Eine ähnliche Beziehungsumkehr findet häufig auch dann statt, wenn Töchter ihre alten Eltern pflegen. Man könnte vermuten, dass sich die Jüngeren in einem Anpassungsdilemma befinden. Sie haben den Eindruck oder die Erwartung, der Ältere interessiere sich nicht sonderlich für sie, sehen sich aber gleichzeitig einem Anpassungsdruck ausgesetzt, der zunächst eine Überanpassung erzeugt. Doch diese Überanpassung ist mit Unzufriedenheit verbunden, so dass sie in ein kontrollierendes Verhalten im Sinne des Patronisierens umschlägt oder aber dazu führt, die Situation zu verlassen und den Kontakt abzubrechen. Dass auch therapeutische Gespräche Momente des Patronisierens aufweisen können, zeigt folgendes Beispiel. Fallvignette 3: Die 89-jährige Patientin war nach dem Tod des Ehemannes vereinsamt. Sie litt an einer schweren Depression und verhielt sich im Gespräch überwiegend passiv. Das Therapeutenverhalten war nun durch eine
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erhöhte Aktivität gekennzeichnet, als ob dadurch das Defizit der Patientin ausgeglichen werden sollte. Der Therapeut saß manchmal vorgebeugt im Sessel, damit die Patientin ihn besser versteht, obwohl es keinen Hinweise auf Schwerhörigkeit gab. Es fiel auch eine veränderte Sprechweise auf, als ob der Therapeut sich nur durch Vereinfachung verständlich machen könne, um dann aber bald erschöpft aufzugeben. Erst später war es dem Therapeuten möglich, sich anders auf die Patientin einzustellen.
Das beschriebene Verhaltensmuster des Therapeuten scheint automatisch in Gang gesetzt worden zu sein. Eine depressive, ansonsten aber kaum eingeschränkte und körperlich bewegliche ältere Patientin aktivierte im Therapeuten eine negative Erwartung bezüglich ihrer kommunikativen Fähigkeiten. Die Passivität und Schweigsamkeit der Patientin führt er eher auf altersbedingte Einschränkungen als auf die Depression zurück. Die vermeintlichen Defizite werden nun durch eine Überkompensation im Sprechverhalten ausgeglichen, allerdings ohne Erfolg. Man kann vermuten, dass ein solches Verhalten das Selbstwertgefühl der Patientin zusätzlich vermindert und sie sich weiter zurückzieht, wodurch sich die Depression eher verstärkt. Der Therapeut wiederum realisiert alsbald die Vergeblichkeit seiner Bemühungen, was häufig zum Kontaktabbruch führt. So sind die Kontakte, die Psychiater mit älteren Patienten haben, deutlich kürzer als die mit jüngeren. Aber nicht nur die Jüngeren, sondern auch die Älteren sind einem Anpassungsdruck ausgesetzt. Allerdings ist ihr Verhalten eher durch eine Unteranpassung gekennzeichnet, wie in ihrem egozentrischen Sprechverhalten deutlich wird, wenn sie die eigenen Themen in den Vordergrund rücken, unvermittelt schmerzvolle Lebensereignisse berichten oder ihr Alter thematisieren. Was aber geschieht nun auf Seiten der Älteren? Übereinstimmend wird davon ausgegangen, dass durch dieses Verhalten mehr psychologische Distanz hergestellt wird, so dass der Eindruck entsteht, als ob sie sich in einer Defensive wähnten, der sie durch Distanz zu entkommen suchen. Hier wird nun vermutet, dass sie spüren, dass die Jüngeren ein negatives Altersstereotyp hegen und sich dann gemäß dieses Stereotyps verhalten. Dies impliziert nun gleichzeitig eine angenommene Überlegenheit des Jüngeren im Hinblick auf dessen Leistungsfähigkeit, Flexibilität oder Lernvermögen. Hierzu könnte
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auch die Annahme von mehr gesellschaftlicher Macht gehören, die sie selbst verloren haben. Potentiell sind Ältere damit einer identitätsgefährdenden Situation ausgesetzt, die ein entsprechend defensives, identitätsschützendes Verhalten in Gang setzt. Die schon erwähnten Autoren gehen davon aus, dass die Kommunikation Älterer mehr emotions- und identitätsregulierende Funktion gewinnt. De Beauvoir (1972) sah das Alter als ein Geheimnis, dessen man sich schämt und über das zu sprechen sich nicht schickt, das also eine Tabuzone darstellt, wo sprachliche Vermeidungsregeln in Kraft treten. Diese Aussage hat sicherlich weiterhin Bedeutung und wird etwa bestätigt durch die Abgrenzung, die Ältere auch sprachlich zur gleichen Altersgruppe herstellen (Thimm 2000). Doch in der Begegnung mit Jüngeren scheinen sie die Flucht nach vorn anzutreten. Was geschieht hier? Wir kennen aus der Psychoanalyse aus anderen Zusammenhängen das Phänomen, dass eine Situation, die nicht zu vermeiden ist, oft nur dadurch bewältigt werden kann, dass sich der Betroffene mit ihr identifiziert. Durch eine solche Identifikation aber gelingt es, Passivität in Aktivität umzukehren. Indem sich der Ältere mit den vermeintlichen Altersmerkmalen identifiziert, befreit er sich aus einer defensiven Haltung. Diese Verwandlung kann dann zu dem beschriebenen dominanten Kommunikationsverhalten beitragen. Er befreit sich aus einer identitätsgefährdenden und schambesetzten Situation und verwandelt diese so, dass sich eher der Jüngere in seiner Identität gefährdet sieht und ein Beklemmungsgefühl erlebt, wenn er sich unverhofft mit vom Älteren berichteten Schicksalsschlägen konfrontiert sieht.
Die unbewusste Beziehungsdynamik Übertragung – Gegenübertragung – Eigenübertragung Die Kommunikation zwischen Menschen findet auf zwei Ebenen statt, einer verbal-symbolischen und einer nonverbalen oder paraverbalen Ebene. Die zweite Ebene findet erst allmählich mehr Beachtung in der Psychotherapieforschung und der Psychoanalyse
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und wird in ihrer Bedeutung im Hinblick auf Veränderungsprozesses erkannt (Streek 2004). Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die nonverbale und paraverbale Ebene, die ja nur sehr eingeschränkt der bewussten Steuerung unterliegen, eng mit dem unbewussten Geschehen verknüpft sind. Es wäre zweifellos aufschlussreich, genauer zu erfahren, wie die so ungleiche Beziehung zwischen Jüngeren und Älteren in therapeutischen oder Beratungssituationen ausgehandelt und reguliert wird, zumal dabei ja auch der Körper von wesentlicher Bedeutung ist. Wir könnten dadurch auch weiteren Aufschluss über die unbewusste Ebene der Beziehung gewinnen, die wir mit Hilfe der Konzepte Übertragung, Gegenübertragung und Eigenübertragung verstehen können. Wie können nun diese etablierten Konzepte zum besseren Verständnis der Beziehung beitragen? Die genannten Konzepte beziehen sich auf die unbewussten Bilder und Affekte, die auf die Beziehung beider Einfluss nehmen. Mit Übertragung war ursprünglich die Beobachtung gemeint, dass Erfahrungen mit früheren Bezugspersonen in der therapeutischen Beziehung wiederholt werden, also in der Person des Therapeuten Züge früherer Beziehungspersonen, meist Vater oder Mutter, erblickt werden. Im Laufe der Zeit hat sich dieses Verständnis allerdings als zu eng erwiesen, so dass das Konzept heute wesentlich weiter gefasst wird. Heute wird beispielsweise berücksichtigt, dass Teile des Selbst auf die Person des Therapeuten übertragen werden können. Was damit genau gemeint ist, möchte ich später erläutern. Gegenübertragung schließlich meint die Reaktion des Therapeuten auf diese Übertragung. Allerdings können nicht alle Gefühle, Phantasien oder Verhaltenstendenzen des Therapeuten auf die Gegenübertragung zurückgeführt werden. Vielmehr können diese auch mit der Geschichte des Therapeuten selbst zu tun haben. Um die Bedeutung dieser Thematik in der Arbeit mit älteren Menschen hervorzuheben, hat Heuft (1990) das Konzept der Eigenübertragung formuliert.
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Triebkonflikte und die umgekehrte Übertragung In ihren Anfängen war die Psychoanalyse eine Triebpsychologie, die sich mit der psychosexuellen Entwicklung des Menschen befasste. In nicht gelösten Triebkonflikten wurde die vorrangige Ursache für psychische Störungen und die Wurzel für die unterschiedlichen Übertragungsphänomene gesehen. Je nachdem, in welcher Entwicklungsphase die Fixierungsstellen als Ausdruck ungelöster Konflikte liegen, werden in der Beziehung zum Analytiker orale Versorgungswünsche, anale Macht- beziehungsweise Unterlegenheitsphantasien oder ödipal-libidinöse Wünsche wiederbelebt. Diese Überlegungen auf das Alter zu übertragen, schien zunächst abwegig, ging man doch lange Zeit von einer Involution, das heißt Rückbildung der Triebkräfte aus. Da das Fortbestehen von Triebwünschen im Alter – ungeachtet dessen, ob Sexualität tatsächlich praktiziert wird – allmählich mehr Akzeptanz gefunden hat, kann auch die Beziehung zum älteren Patienten unter Übertragungsgesichtspunkten betrachtet werden. Der Therapeut muss nunmehr in Augenschein nehmen, dass er in der Therapie Älterer zum Objekt triebhafter Wünsche werden kann. Dabei ist jedoch folgende Besonderheit zu beachten (Radebold et al. 1973; Radebold 1992): Als regelhafte Übertragungskonstellation wird diejenige bezeichnet, die unbewusst in der Begegnung eines jüngeren Patienten mit einem zumindest gleichaltrigen, in der Regel aber deutlich älteren Psychotherapeuten geschaffen wird. Die Altersdifferenz stellt dabei ein unübersehbares Übertragungsangebot dar, das zur Aktivierung von Mutter- oder Vaterbildern führt. In der Behandlung Älterer kehrt sich diese Differenz jedoch in der Regel um, das heißt, der Therapeut ist meist deutlich jünger als der ältere Patient, wodurch ein anderes Übertragungsangebot entsteht. Übertragungsobjekte sind die eigenen Kinder, so dass der Therapeut in der Position des Sohnes oder Tochter wahrgenommen wird. Die Übertragungsbeziehung, die immer eine unbewusste Beziehung ist, spiegelt dann die Hoffnungen, Enttäuschungen oder Wünsche wider, die die Beziehung zu den eigenen Kindern in der Vergangenheit geprägt haben oder weiterhin prägen.
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Fallvignette 4: Ein 74-jähriger männlicher Patient hatte nach der Berentung eine Hirschzucht aufgeben müssen, weil die Behörden der Ansicht waren, dass er zu viele Tiere auf engem Raum gehalten habe. Den Rechtsstreit über diese Frage hatte der Patient verloren. In der Folge hatte er nicht die Zahl der Tiere auf das akzeptable Maß reduziert, sondern verärgert alle Tiere abgeschafft, und konnte danach mit seinem Leben nichts mehr anfangen. Von seinem Sohn, der ihn beruflich weit überflügelt hatte, sich aber wenig um ihn kümmerte, war er enttäuscht. In der Behandlung fand er bald allerlei Anlässe, sich zu beschweren. Terminverwechselungen gaben ihm Anlass, Vorschläge über computergesteuerte Terminsteuerung zu machen, wie er überhaupt manches an der Organisation zu bemängeln hatte. Die Wut über die erlittene Niederlage in dem Rechtsstreit, die ihm Jüngere in Ausübung ihrer Macht zugefügt hatten, war unübersehbar und setzte sich in der Beziehung zum männlichen Therapeuten fort, den er immer wieder kritisierte und ihm das Gefühl der Unzulänglichkeit vermittelte.
Diese Umkehrung der Übertragung kann auf unterschiedlichen psychosexuellen Niveaus stattfinden. Stehen ödipale Wünsche im Vordergrund, wird auch der Therapeut als libidinös begehrtes Objekt erlebt, den es zu »umgarnen« oder – symbolisch gesehen – zu verführen gilt oder zu dem intensive Gefühle von Neid, Eifersucht und Rivalität entstehen. Stehen anale Konfliktanteile im Vordergrund, wird der Patient die verlorene elterliche Macht und Überlegenheit wiedererleben und beanspruchen und den Therapeuten in der Rolle des Unterlegenen und Abhängigen wahrnehmen, so wie der geschilderte Patient das Gefühl der Unterlegenheit in der Beziehung zum jüngeren Therapeuten umzukehren versuchte. Bei oralen Themen wird sich der Patient nur schwer mit der Rolle dessen anfreunden können, der etwas annimmt und der sich versorgen lässt. Er wird auch gut gemeinte Angebote und Ratschläge immer wieder zurückweisen und »ausspucken«, da er sich nach wie vor in der Rolle dessen wähnt, der den Jüngeren zu versorgen hat und nicht umgekehrt. Fallvignette 5: Eine 84-jährige, sehr vitale Patientin war durch den Stiefsohn schwer gekränkt worden, der sie um eine größere Summe Geld betrogen hatte. Zudem war sie auch von ihrem Mann enttäuscht, weil dieser nicht entschieden genug für sie Partei ergriffen hatte. Sie verhielt sich nun den jüngeren Therapeutinnen gegenüber freundlich und zuvorkommend,
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ohne jedoch über die Kränkung näher ins Gespräch kommen zu wollen. In der themenzentrierten Gruppentherapie war sie lebhaft beteiligt, ohne viel von sich zu berichten. Bald verkündete sie uns, nach drei Wochen abreisen zu wollen, sie vermisse ihren Frühstückstisch und ihre Katze, auch gehe es ihr deutlich besser. Sie schien sich allein oder mit Gleichaltrigen auf der Station mit ihrem Problem befasst zu haben, ohne die Therapeuten einzubeziehen. Das hinter einer freundlichen Fassade verborgene Misstrauen kam am Ende in einer Stationsversammlung zum Ausdruck. Sie bedankte sich für die Behandlung, wir sollten aber doch den Koch einmal zu ihr schicken, der koche das Gemüse so weich und ertränke es dann in dicker Soße, wie es »anno dazumal« gemacht worden sei, sie wolle ihn einmal über modernes Kochen aufklären. In dieser Äußerung offenbart sie, dass sie von Jüngeren enttäuscht ist und diese doch eigentlich von ihr lernen könnten, eine Äußerung, die zweifellos auch auf Therapeuten zu beziehen war.
In dem gegebenen Beispiel überwiegen Übertragungsanteile, die auf die Enttäuschung über den Stiefsohn zurückzuführen sind. Zwar entwickelt sich keine ausgesprochen negative Übertragung, die zu einer Ablehnung der jüngeren Therapeuten geführt hätte, aber doch eine Zurückhaltung und ein verdecktes Misstrauen, das eine Vertiefung der therapeutischen Behandlung verhinderte. Indirekt teilte sie auch mit, sich nicht ausreichend versorgt zu fühlen und zu den Jüngeren nicht viel Vertrauen zu haben. Eigentlich, so die Botschaft, stehe doch die Versorgung ihr, der Älteren, zu. Radebold (1992) geht nun davon aus, dass diese Form der umgekehrten Übertragung besonders am Beginn einer Behandlung zum Tragen kommt und sich im Lauf der Zeit die regelhafte Übertragung durchsetzt, in der der Therapeut unabhängig von seinem Alter in eine Elternübertragung rückt. Häufig besteht jedoch die anfängliche umgekehrte Übertragung parallel dazu fort. Indem somit unterschiedliche Übertragungsanteile aus unterschiedlichen Lebensphasen gleichzeitig auftauchen können, wird die Beziehung facettenreicher, aber auch schwieriger zu entschlüsseln (Hinze 1987).
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Narzissmus, Zeitlichkeit und Übertragung Narzisstische Probleme, das heißt solche, die das Selbst und das Selbstwertgefühl betreffen, haben im Alter einen besonderen Stellenwert. Sich häufende Verluste und zunehmende Gebrechen stellen das Selbstwertgefühl auf eine schwere Probe und das bisherige Selbst in Frage. Die narzisstischen Probleme lassen sich auf die zunehmende Spannung zwischen Ich und Ich-Ideal zurückführen, wobei der Begriff des Ich hier vereinfachend mit dem des Selbst gleichgesetzt werden kann. Durch die zunehmenden Einschränkungen entfernen wir uns von dem Bild, das wir stets angestrebt haben und das unsere idealisierten Ziele und Werte umfasst. Dieses Ich-Ideal gerät nun unter einen Veränderungsdruck und durchläuft normalerweise einen Transformationsprozess, in dessen Folge es den veränderten Möglichkeiten wieder besser angepasst ist (Peters 1998, 1999). Konflikte in diesem Bereich spiegeln sich auch in der therapeutischen Beziehung, in der es um Fragen des Selbstwertes, der Selbstachtung, der Kränkung und Wertschätzung geht. Sie wird, kurz gesagt, narzisstischer (Kipp 1992). Viele Patienten kommen mit einer als unerträglich empfundenen Kluft zwischen Ich und Ich-Ideal in die Behandlung oder Beratung, die sie allerdings nicht als solche wahrnehmen. Sie sind an Grenzen gestoßen, haben Kränkungen erlitten oder Einschränkungen erfahren, die sie als Verletzung ihres Selbst empfinden. Manche haben eine schleichende Entfernung von ihrem Idealbild erlebt, die sie als zunehmende Selbstentfremdung erfahren, ohne bislang in der Lage gewesen zu sein, ihr IchIdeal zu modifizieren. Eine solche Diskrepanz zwischen Ich und Ich-Ideal wird mit Scham als Minderung des Selbstwertes empfunden. Die Scham ist in der Behandlung Älterer von größter Bedeutung und beeinflusst auch die therapeutische Beziehung wesentlich. Scham kann in der Begegnung mit dem Patienten ganz in den Vordergrund rücken, so dass der Ältere schüchtern, zurückgezogen und gedemütigt wirkt, so, als möchte er sich im Boden verkriechen. Scham ist ein Gefühl, das sich ausbreitet, das anstecken wirkt, so dass der Betrachter in seinen Bann gezogen wird und sich seinerseits beschämt fühlt.
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Fallvignette 6: Ein 57-jähriger Mann wurde mit Magengeschwüren, Depression und Schuppenflechte aufgenommen. Es handelte sich um einen ausgesprochen kleingewachsenen Mann, der im Erstkontakt eine sehr verkrampfte Sitzhaltung einnahm, immer vorn auf der Sitzkante saß, sehr bedrückt und verzweifelt wirkte, dabei aber auch sehr unterwürfig, irgendwie treuherzig. Ich hatte gleich das Gefühl, es handele sich um einen Mann, auf den man sich hundertfünfzigprozentig verlassen könne. Gleichzeitig wirkte er aber auch sehr ängstlich, auffallend waren seine Hände, die stark zitterten. Unter diesem Zittern litt er ganz besonders, weil er glaubte, dadurch könnten alle gleich sehen, wie es um ihn stehe. Er führte dies auch als Begründung an, dass er sich seit etwa einem Jahr ganz zurückgezogen habe und kaum noch einen Menschen sehe. Auch in dem Erstgespräch schien er sich am liebsten ganz klein machen zu wollen, als wolle er sich verkriechen. Er schien unfähig, das Geschehene zu begreifen und sich auf eine veränderte Zukunft einzustellen, sondern war gefangen in dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Entsetzens, das seine Gegenwart ganz ausfüllte. Damit aber zog er mich rasch in seinen Bann und weckte mein Mitgefühl und eine beschützende Haltung.
Das Zittern der Hände kann auch als Ausdruck seiner Enttäuschung und Wut verstanden werden, die er in Bezug auf seinen Chef empfand. Ärger und Wut allerdings sind Gefühle, deren Ausdruck sich viele Ältere nicht erlauben, auch wenn sie häufig eine nicht zu übersehende Rolle spielen. Sie finden oftmals einen indirekten Ausdruck in Form von Unzufriedenheit, Klagen oder Unmutsäußerungen, aber auch besonderer Bedürftig- oder betonter Hilflosigkeit, die über das objektiv begründete Maß hinausgeht. Dann fühlt sich der andere gequält und überfordert und verspürt seinerseits den Ärger, der auf die Enttäuschungswut, die Verbitterung und den Groll zurückzuführen ist, den der Klient nicht zu äußern vermag. Dahinter kann eine Enttäuschung über eine bestimmte Person, häufig die eigenen Kinder, oder aber ein innerer Konflikt liegen, der mit einer Enttäuschung und der Scham über sich selbst zu tun hat. Es handelt sich dann um die Anklagen des Ich-Ideals gegen das Ich, das sich dessen Ansprüchen als nicht mehr gewachsen erweist. Diese auf die eigene Person gerichteten Anklagen können nach außen gerichtet werden, angeklagt wird dann nicht mehr das eigene Ich, sondern der Berater/Therapeut, in den das versagende Ich verlagert wird. Das Gefühl der Scham über
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das eigene Versagen oder über die eigene nicht mehr vorhandene Leistungsfähigkeit wird vermieden. Stattdessen fühlt sich der Berater beschämt, der nunmehr das Gefühl entwickeln kann, seinerseits versagt zu haben und dem Älteren nicht gerecht zu werden. Fallvignette 7: Die 64-jährige Patientin leidet an einer chronischen lymphatischen Leukämie, der Ehemann ist Alkoholiker, die Ehe durch eine unerträgliche Destruktivität gekennzeichnet, die sich jetzt im Alter und unter der tödlichen Bedrohung zu einem mörderischen Kampf zugespitzt hat. Die adipöse, etwas gedrungen wirkende Frau mit großer, schwarzrandiger Brille und dunklen Brillengläsern droht den Therapeuten, sie habe eine große »Schnute«. In der Stationsversammlung bringt sie gleich ungeschminkt ihre Unzufriedenheit mit der Behandlung zum Ausdruck, obwohl sie erst gerade angereist war, und wirft den Therapeuten vor, sie hätten keinen »Pfeffer im Arsch«. Offensichtlich geht sie gleich in die Offensive, um ihr eigenes Selbst aufzuwerten und der Scham angesichts eines gescheiterten Lebens zu entgehen. Die Therapeuten reagierten zunächst mit betroffenem Schweigen, als ob sie sich einen Moment prüfen mussten, um sich nicht mit den Vorwürfen zu identifizieren.
Wie zahlreiche psychoanalytische Konzepte impliziert auch der Übertragungsbegriff eine zeitliche Dimension, weil etwas, das in der Vergangenheit erlebt wurde, in der Gegenwart wiederholt wird. Da sich nun im höheren Lebensalter die Erfahrung von Zeitlichkeit und damit auch Endlichkeit immer mehr aufdrängt, erhebt sich die Frage, ob sich Konflikte mit dieser existenziellen Dimension des Lebens auch in der Übertragungsbeziehung wiederfinden. Die in der Beziehung zum Therapeuten/Berater bestehende Altersdifferenz verweist auf Zeitlichkeit und darauf, dass beide, Therapeut und Patient, sich in unterschiedlichen Abschnitten des Lebenszyklus befinden. Der Patient wird damit konfrontiert, dass für ihn bereits mehr Lebenszeit vergangen ist, dass er viel Vergangenheit in sich, aber wenig Zukunft vor sich hat – so wie bei der folgenden Patientin. Fallvignette 8: Die jüngere weibliche Therapeutin fühlte sich in der Behandlung einer 69-jährigen, intellektuellen Frau, die keine Kinder, ja nie eine Beziehung gehabt hatte, unwohl und empfand Schuldgefühle angesichts des Bildes ihres kleinen Sohnes, das an der Pinnwand in ihrem
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Zimmer hing, als ob sie der Patientin damit deren »Defizit unter die Nase halte«. Die weibliche Therapeutin konfrontierte die Patientin so mit ihrer »narzisstischen Wunde«. Durch das Bild des kleinen Sohnes an der Pinnwand wurde ihr Mutter-Sein deutlich, während die Patientin selbst bis ans Ende ihres Lebens hatte warten müssen, um eine größere Nähe zu ihrer eigenen Mutter erfahren zu dürfen, was ihr erst zuletzt in der Pflege der Mutter, die jetzt verstorben war, gelungen war. Die Jugend der Therapeutin schließlich verhieß Zukunft, und diese konnte sich in ihrem Sohn fortsetzen und war dadurch schier unbegrenzt. Für die Patientin schmolz jedoch die Zukunft dahin und war voller Ungewissheiten. Ihr Vorhaben, in einem geplanten Buch etwas Bleibendes zu schaffen, um dem Dahinschwinden der Zeit etwas entgegenzusetzen, wollte einfach nicht gelingen. Schließlich war die Therapeutin nicht nur junge Mutter, sondern auch junge Frau, die durch das Bild zu erkennen gab, eine erotische Beziehung zu einem Mann zu haben – ein Teil der weiblichen Identität, den die Patientin früh aus ihrem Leben ausgeschlossen hatte. Diese persönlichen Merkmale der Therapeutin mussten somit in der Patientin einerseits Phantasien, Wünsche und Ambitionen ansprechen, die nicht Teil ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens waren und die in ihrer Konflikthaftigkeit jetzt wieder in ihr Bewusstsein drängten, aber aufgrund ihres Alters doch keine Zukunft mehr haben konnten. Man könnte sagen, dass die Therapeutin sie auf schmerzliche Weise mit Zeitlichkeit, Vergänglichkeit und Tod konfrontierte.
Wir sehen an dem Beispiel, dass die Wahrnehmung des Verlustes an Zeit eine Konfrontation mit der eigenen vergangenen und versäumten Jugend beinhaltet. Die eigenen Lebensträume und -pläne können noch einmal erinnert werden, so wie die Patientin durch die Jugend der Therapeutin sowie deren Mutter-Sein an die eigene nicht gelebte Weiblichkeit erinnert wurde. Ein solches Erinnertwerden kann zu einem schmerzlichen Prozess des endgültigen Abschiednehmens und der Trauer führen, kann aber auch heftige Neidgefühle hervorrufen. Der Widerstand eines Patienten, sich auf eine Therapie einzulassen, kann ebenso in der Abwehr begründet liegen, sich mit diesen schmerzlichen Gefühlen zu konfrontieren. Der Therapeut/Berater als zeitliches Objekt muss in diesem Fall eher vermieden oder gar bekämpft werden. Die Konfrontation mit Zeitlichkeit verweist auf die begrenzte Zukunft und die Endlichkeit des Lebens. Viele älter werdende Menschen sehen sich ihrer eigenen Zeitlichkeit und Sterblichkeit
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ausgeliefert, ohne diese Erfahrung akzeptieren zu können. Die Bindung an ein allmächtiges Objekt kann dann als ein Versuch verstanden werden, der verrinnenden Zeit etwas entgegenzustellen. Unbewusst knüpft damit der Patient an eine Zeit an, in der die Elternimagines unbegrenzten Schutz und unendliche Zukunft versprachen. Werden diese Wünsche nach einem Halt gebenden, mächtigen Objekt in die therapeutische Beziehung hineingetragen, avanciert der Therapeut zum idealisierten, allmächtigen Objekt. Manchmal tauchen dabei geradezu mythische Bilder auf, sind doch Idealobjekte nicht der Zeitlichkeit ausgesetzt. Da sie außerhalb der Zeit stehen, kommt ihnen Unsterblichkeit zu. Sich dem Idealobjekt zu unterwerfen, verknüpft sich dann mit der Hoffnung, der Zeit ebenfalls zu entkommen und an der Unsterblichkeit teilzuhaben. Fallvignette 9: Der 64-jährige Patient kam mit einem labilen Hypertonus, der schwer einzustellen war, erheblichen depressiven Verstimmungen und subjektiven kognitiven Einbußen zur Behandlung. Immer wieder stellte er seine Angst vor einem Schlaganfall und vor dem Tod in den Vordergrund, um doch 40 Zigaretten am Tag zu rauchen. Im Kontakt war seine Verzweiflung, seine Angst und sein Insuffizienzgefühl zu spüren. Er sei in dritter Generation selbständiger Schreinermeister gewesen, habe den Betrieb jedoch verkauft, weil ihm sein Neurologe wegen der Gefahr eines Schlaganfalls dazu geraten hatte. Der Vater war mit 64 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben, so dass er fürchtete, das gleiche Schicksal zu erleiden, zumal er sich als unfähig erwiesen hatte, das Erbe des Vaters weiterzuführen. Mir als männlichem Abteilungsleiter begegnete er mit großen Respekt, war dann jedoch enttäuscht, als ich mich in der Stationsversammlung mitten in den Kreis setzte, hatte er doch erwartet, dass ich an einem Pult in der Mitte stünde, um zu den Patienten zu sprechen. Ich hatte damit die Erwartung des Patienten enttäuscht, dass er mich als väterliches Objekt erleben könnte, der ihm sein Versagen verzeiht, ihn zu beruhigen und ihm seine Todesamgst zu nehmen vermag.
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Gegenübertragung – Die eigenen Gefühle reflektieren Die modere Psychoanalyse befasst sich mit den bewussten und unbewussten Prozessen, die sich zwischen Patienten und Therapeuten/Berater vollziehen. War in der traditionellen Auffassung seine Haltung durch eine manchmal recht rigoros verstandene Abstinenz gekennzeichnet, die ihm eine strikte Zurückhaltung auferlegte, wird er heute stärker als Mitakteur in einer zwischenmenschlichen Beziehung gesehen. Eine solche Veränderung in der Sicht der therapeutischen Beziehung führt fast zwangsläufig zu einer aktiveren, beziehungsorientierteren Haltung, wie sie auch für die therapeutische Arbeit mit Älteren immer wieder gefordert wurde. Innerhalb dieser Auffassung hat nun auch das Konzept der Gegenübertragung, das die emotionalen Reaktionen des Analytikers auf die Übertragung des Patienten beschreibt, einen noch größeren Stellenwert erlangt. Um welche Reaktionen kann es sich dabei nun handeln, und wie kann der Berater/Therapeut damit umgehen? Gehen wir von der umgekehrten Übertragung aus, bei der der Berater/Therapeut wie beschrieben in der Position des Kindes, das heißt des realen oder phantasierten Sohnes oder der Tochter wahrgenommen wird, dann ist damit für ihn eine irritierende und verunsichernde Beziehungssituation beschrieben. Diese, so Hinze (1987), mache ihm mehr zu schaffen als dem Klienten/Patienten. Der Therapeut sei in der Begegnung mit Älteren einem starken regressiven Sog ausgesetzt, sich nicht reflektierend mit dieser Gegenübertragung auseinander zu setzen, sondern sich mit ihr zu identifizieren. Er werde leicht dazu verleitet, die ihm angetragene Rolle des Kindes zu übernehmen, um gewissermaßen in einer Kollusion mit dem Patienten eine tiefergehende und möglicherweise konfliktreichere Analyse zu umgehen. Eine solche Kollusion kann auch dazu führen, den drängenden Forderungen des Patienten nachzugeben, um ihn nicht zu frustrieren und sich seinen Ärger zuzuziehen. Die Bereitschaft des Arztes, rasch Verordnungen oder Verschreibungen auszustellen, kann mit dem Gefühl verbunden sein, den »Eltern« nicht widersprechen oder ihnen nichts abschlagen zu dürfen. Damit kann sich jedoch ein Gefühl des Unbehagens einstellen, der Macht der Eltern nachzugeben, die man doch abge-
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schüttelt zu haben glaubte. Doch auch in anderen Versorgungskontexten kann ein Therapeut durch eine Identifikation mit der ihm angetragenen Rolle unfrei in seiner Haltung werden und die notwendige Distanz verlieren. Er fühlt sich vielleicht in der Rolle des idealen Sohnes oder der Tochter narzisstisch aufgewertet und entwickelt das Gefühl, die Anerkennung zu finden, die ihm die eigenen Eltern versagt haben. Eine Identifikation mit der Rolle des Kindes kann also eine neutrale Haltung untergraben und ein Mitagieren zur Folge haben. Eine Identifikation mit der Gegenübertragung kann aber auch im Rahmen einer narzisstischen Übertragung erfolgen. Der Berater/Therapeut kann sich mit dem beschädigten Selbst des Patienten identifizieren und sich seinerseits als insuffizient erleben, so, als ob er dem Älteren nicht angemessen helfen könne. Dadurch kann eine Hemmung in ihm entstehen, sich in der erforderlichen Weise abzugrenzen. Er entwickelt stattdessen möglicherweise ein ausgeprägtes Mitleid und Fürsorge und engagiert sich bis zur Selbstaufgabe. Diese Beziehungsdynamik lässt sich wie folgt verstehen: Der Berater/Therapeut identifiziert sich mit dem entwerteten Selbst des Klienten/Patienten, das auf ihn projiziert wurde. Die Diskrepanz zwischen Ich und Ich-Ideal, die der Klient/Patient in sich nicht zu dulden vermag, entsteht nun im Berater/Therapeuten, der nicht mehr seinen professionellen Grundsätzen folgt. Sich nun seinerseits seinem beruflichen Ich-Ideal entfernt zu sehen, geht für ihn mit einem Gefühl des Unbehagens einher. Der Therapeut kann sich ebenso mit dem Ich-Ideal des Patienten identifizieren, wenn dieses auf ihn projiziert wurde. Er kann das damit verbundene Gefühl der besonderen Wertschätzung und Bewunderung genießen. Doch er sieht sich möglicherweise auch der besonderen Erwartung gegenüber, den Älteren nicht zu enttäuschen. Damit kann ein Unbehagen verbunden sein, dass er gern ablegen möchte. Fallvignette 10: Ein Therapeut, der für seine strengen Grundsätze im Hinblick auf Abstinenz und Neutralität bekannt war und einen distanzierten Umgang mit den Patienten pflegte, übernahm eine Vertretung in einer Gruppe älterer Patienten. Auch in dieser Gruppe verhielt er sich seinen Grundsätzen gemäß. Man könnte sein Verhalten auch als Schutz verstehen, von den Älteren in stärkerem Maß berührt zu werden. Doch die
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Gruppe entfaltete eine Macht und einen Einfluss, der er nicht zu widerstehen vermochte, so dass er mehr und mehr in eine intensivere Beziehung hineingezogen wurde. Die Gruppe schien ihn als ihren Sohn zu adoptieren und zu erziehen. Diesem Sog vermochte er sich auf Dauer nicht zu entziehen. Am Ende der Vertretungszeit ließ er sich sogar dazu verleiten, allerlei zusätzliche Anwendungen für die Patienten zu organisieren und sich damit zur Übernahme einer Aufgabe veranlassen, die gar nicht in seiner Verantwortung lag.
Um sich aus diesen Verstrickungen zu befreien, können wir nun zwei gegensätzliche Reaktionsweisen beobachten. Der Berater/ Therapeut begrenzt den Kontakt und vermeidet es, eine intensivere Beziehung entstehen zu lassen oder zieht sich rasch aus der Beratung/Therapie zurück. Eine andere Reaktionsweise kann in der Identifikation mit der Macht der professionellen Rolle bestehen. Im Sinne einer Reaktionsbildung kann er sich aus dem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit befreien und sein Selbstwertgefühl in entschlossenem, häufig destruktiv gefärbtem Handeln wiederherstellen. Hierfür finden wir Beispiele aus unterschiedlichen Handlungskontexten, man denke nur an die häufige Krankenhausunterbringung Älterer, die nicht durch eine Krankheit begründet sind, oder Heimeinweisungen, die aus nicht gelösten Beziehungskonflikten heraus erfolgen. Das hohe Maß an inadäquater Behandlung psychisch kranker Älterer dürfte durchaus in Zusammenhang mit unerkannt gebliebenen emotionalen Verwicklungen stehen. Ein therapeutisch konstruktiver Umgang mit Gegenübertragungsgefühlen erfordert zunächst einmal, diese zu registrieren und zuzulassen, ohne dass daraus unmittelbar Handlungen resultieren. Der Berater/Therapeut sollte deswegen über eine differenzierte Gefühlswahrnehmung und Selbstreflexionsfähigkeit verfügen. Die wahrgenommenen inneren Reaktionen können für ihn zu einem wichtigen Erkenntnismittel werden, indem er versucht, seine Gefühle mit den inneren Konflikten des Klienten/Patienten zu verknüpfen. Die Betonung der intersubjektiven Basis des Geschehens kann helfen, auf diese Konflikte zu fokussieren (Treunerniert 1996; Thomä 1999). Dies ist aber in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Beratungs- oder Therapieprozess sinnvoll.
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Eigenübertragung – Die eigene Geschichte kennen Ob sich eine intensivere Beziehung zum älteren Menschen entwickelt, hängt nicht nur vom Älteren, sondern ebenso vom Berater/Therapeuten ab. Die Bedeutung der Gegenübertragung wurde schon herausgestellt, doch die Person des Helfers ist auch in einer Weise involviert, die mit seinem persönlichen Erfahrungshintergrund verknüpft ist. Der von Heuft (1990) geprägte Begriff der Eigenübertragung meint alle innerseelischen Konflikte und Einstellungen des Behandelnden, die seine Empathiefähigkeit einschränken und damit den Behandlungsprozess behindern. Fallvignette 11: Der 75-jährige Mann kam mit einer Zwangsstörung und verschiedensten körperlichen Diagnosen in die Klinik. Zu Hause lebte er völlig isoliert und zurückgezogen, schwelgte jedoch in seinen Phantasien von weiten Reisen nach Frankreich, wobei er davon träumte, auf dem Kanal DuMidi zu fahren und den schönen Mädchen zuzuwinken. Er schien an einem Selbst festzuhalten, dass mit den alters- und krankheitsbedingten Einschränkungen kaum mehr in Übereinstimmung zu bringen war. Bald berichtete er, nach der Gesellenprüfung gleich zum Wehrdienst eingezogen worden zu sein. 1944 sei er in französische Kriegsgefangenschaft geraten und habe an verschiedenen Stellen schwere Arbeit leisten müssen. Über diese Darstellung geriet er bald mit männlichen Mitpatienten in Konkurrenz, und in ihren Schilderungen wirkte es, als ob es um heroische Leistungen gegangen sei. Das nach außen zur Schau gestellte Größenselbst hatte offensichtlich einen kompensatorischen Charakter, um die Dürftigkeit des gegenwärtigen Daseins zu überdecken. Fallvignette 12: Die 75-jährige Patientin kam mit einer depressiven Störung, einer somatoformen Störung sowie einer Medikamentenabhängigkeit in die Klinik. Im Laufe der Behandlung schilderte sie ihre Erlebnisse, die mit der Flucht aus Ostpreußen verbunden waren. Der Vater war überzeugter Nazi gewesen und habe eine höhere Position bekleidet, 1945 seien sie geflohen, nachdem der Großvater bereits von den Russen erschossen worden war. Bei bis zu 20 Grad minus hätten sie kilometerweit laufen müssen, hinter sich Maschinengewehrfeuer. Häufig habe die Mutter den Vater angebettelt: »Ach, erschieße uns doch . . . « Sie sei zehn Jahre alt gewesen, alt genug, um alles mitzubekommen, aber nicht alt genug, es zu verarbeiten. Sie habe viele Leichen gesehen, verwirrte und vergewaltigte Frauen, eingefrorene und ertrunkene Menschen, als sie über das gefrorene Haff
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geflüchtet seien. Sie hätten Phosphorbombenangriffe beobachtet, bei denen Menschen zu Hunderten verbrannt seien, überall auf dem Eis hätten Leichen gelegen. Jetzt, im Alter, fühle sie sich von den Erinnerungen zunehmend bedrängt.
Im ersten Fall fühlte ich mich durch die Art der Schilderung abgestoßen, ich merkte, dass ich den Patienten noch der Generation der Täter zuordnete, obwohl er sehr jung war, als er in den Krieg gegangen war. Doch es fiel mir schwer, ihm angesichts dessen mit größerer Nachsicht zu begegnen, hatte er doch nach meinem Eindruck die vielen Jahre dazwischen nicht genutzt, mehr Distanz zu den Ereignissen zu gewinnen und seine eigene Verantwortung und Schuld anzuerkennen. Ich mochte ihm nicht durchgehen lassen, dass er diese Erinnerungen jetzt benutzte, um sein Größenselbst zu stützen und eine völlige Dekompensation zu verhindern. Doch eine solche innere Verurteilung, die einer empathischen Haltung natürlich entgegensteht, kann mit dem eigenen familiären Hintergrund zu tun haben. Mein Vater war nur unwesentlich älter als der Patient gewesen und ebenfalls in jungen Jahren – dazu freiwillig – in den Krieg gezogen. Was wusste ich darüber, was er erlebt hatte, wie er damals dazu gestanden hatte und ob es ihm als älterer Mann gelungen war, sich einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen oder ob er das Erlebte verklärte? Mochte ich ihm zugestehen, dass er aufgrund seiner Jugend und aufgrund familiärer Konflikte, die ihn veranlasst hatten, sich mit 17 Jahren zum Kriegsdienst zu melden, auch Opfer war, oder sah ich in ihm auch eher jemanden der Tätergeneration? Er war verstorben, bevor ich mich selbst mehr für diese Fragen zu interessieren begonnen hatte. In der Behandlung Älterer, die noch aktiv am Krieg teilgenommen haben, sind wir unweigerlich mit der eigenen Familiengeschichte konfrontiert und wir müssen uns Fragen stellen, denen wir vielleicht bislang ausgewichen sind. In der zweiten Patientin jedoch wird ein Generationenwechsel sichtbar. Es sind immer weniger die Angehörigen der Generation der Täter, die heute als Ältere in Behandlung kommen, sondern zunehmend diejenigen, die zu den damaligen Opfern zählten, die Krieg und Vertreibung als Kinder oder Jugendliche miterleben mussten (Radebold 2000b, 2003a). Auch dabei bin ich allerdings
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möglicherweise mit meiner eigenen Familienbiografie konfrontiert, mit meiner eigenen Stellung in der Aufeinanderfolge der Generationen und mit meinen Identifikationen mit Opfern und Tätern. Sich seiner eigenen politischen Biografie bewusst zu werden, stellt sich als Aufgabe, um nicht in einer die Behandlung blockierenden Empathiehemmung, aber um ebenso wenig in der Identifikation mit dem Opfer zu erstarren. Doch die Eltern und Großeltern weisen nicht nur eine politische Biografie auf, sie sind gleichermaßen diejenigen, bei denen wir erste Erfahrungen mit Alter und Älterwerden gemacht haben. Welches bewusste, aber sicher auch teilweise unbewusste Bild vom Alter haben wir dabei gewonnen? Hat sich uns ein Defizitbild eingeprägt, in dem wir Ältere als asexuelle Wesen sehen, die jenseits von »Gut und Böse« ihren Lebensabend in kontemplativer Zurückgezogenheit und Anspruchslosigkeit verbringen, oder haben wir positive Vorbilder, die uns ein hoffnungsvolleres Bild vermittelt haben? Fallvignette 13: Mein Bild vom Alter war lange Zeit von meiner Großmutter geprägt, die ich nur in Schwarz gekleidet, die Haare zu einem Dutt zusammengebunden in Erinnerung habe. Sie war eine in sich gekehrte, verbittert wirkende Frau, die nach außen hin keine Ansprüche mehr stellte, dabei aber nicht mit sich ausgesöhnt war, sondern mürrisch und abweisend den Tag ohne erkennbare Interessen und innere Beteiligung»absaß«, zumal sie an einer starken Sehbehinderung litt. Von der Familie war sie eher geduldet und wurde nur wenig einbezogen, wofür lange zurückliegende Konflikte verantwortlich waren. Ich war der Lieblingsenkel, dem sie sich von Zeit zu Zeit vertrauensvoll zuwandte, damit ich ihr die Barthaare schneide. Dieser Aufgabe entledigte ich mich ohne Widerspruch, aber mit angehaltenem Atem und innerem Widerwillen. Dennoch fühlte ich mich auch aufgewertet, ich fühlte mich mit ihr, die in der Familie eine Außenseiterin war, verbunden, als ob ich gewissermaßen das Bindeglied zur Kernfamilie darstellte. Ich gewann dadurch eine höchst zwiespältige Haltung zum Alter, einerseits ein »dunkles« Bild, das keine Lebensfreude mehr ausstrahlte, andererseits aber auch eine Sensitivität für die Ausgrenzung des Alters. Beide Großväter waren früh verstorben, so dass ich sie nicht kennen lernen konnte. Doch einer der Großväter, der an den Folgen von Kriegsverletzungen verstarb, wurde mir immer als sehr ähnlich beschrieben, von ihm gewann ich ein sehr positives Bild, das ich allerdings nie
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überprüfen konnte. Da auch mein Vater bereits mit 62 Jahren verstarb, habe ich lange Zeit kein positives männliches Modell für das Alter gefunden, erst später fand ich dies in meinem Schwiegervater. Doch ich glaube, dass die Suche nach positiven Vorbildern, die das mir vermittelte positive Bild des Großvaters bestätigen könnte, für mich ein wichtiges Motiv ist, mich mit dem Alter zu befassen.
Unser persönliches Bild vom Alter, das wir immer wieder auf unsere älteren Patienten zu projizieren geneigt sind oder das wir zu korrigieren versuchen, gewinnt eine neue Bedeutung, wenn wir selbst beginnen, uns mit dem eigenen Älterwerden auseinander zu setzen. Auf die Fünfzig zuzugehen oder dieses Alter bereits überschritten zu haben, weckt in den meisten Menschen allmählich das Bewusstsein des eigenen Älterwerdens, macht uns langsam sich vollziehende körperliche Veränderungen bewusst, führt uns die verrinnende Zeit vor Augen und fördert eine Auseinandersetzung mit unseren eigenen Lebenszielen. Wir stehen nun selbst vor der Aufgabe, eine Haltung zum näher rückenden Alter zu gewinnen. Verschließen wir uns diesen Fragen, weil die Angst vor Abhängigkeit, Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit im Alter im Vordergrund steht, werden wir auch in dem Umgang mit unseren Patienten blockiert sein. Wir sind dann kaum frei, sie in ihrem Schmerz und ihrer Trauer zu begleiten, sondern könnten geneigt sein, ihnen allzu schnell mit einem Bild vom aktiven und kompetenten Alter zu begegnen. Andererseits sollten wir uns ebenso davor hüten, uns allein mit der Verlustseite zu identifizieren und die Entwicklungsmöglichkeiten zu übersehen. Nur wenn wir selbst eine Haltung der Gelassenheit zu finden vermögen, die es uns erlaubt, die negativen Erfahrungen des Alters im Sinne einer »positiven Resignation« hinzunehmen, wie Strotzka (1975) es einmal formulierte, ohne jedoch eine zugewandte und hoffnungsvolle Lebenseinstellung aufzugeben, kann es uns gelingen, auch bei unseren Patienten beide Seiten zu sehen – das heißt die Verlustseite, aber ebenso das Entwicklungspotential dieser Zeit.
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Die Kluft überwinden – Chancen der Begegnung Ich habe in den vergangenen Abschnitten dem Beziehungsgeschehen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl ich versucht habe, einige durchgängige Muster herauszustellen, lässt sich die Beziehung doch keineswegs auf einen Nenner bringen. Vielmehr sind viele Facetten, unterschiedliche Varianten und Verlaufsformen zu beobachten. Wir müssen erkennen, welche Trennlinie zu überwinden ist, um Kommunikation und Beziehung zu ermöglichen. Dies wurde sowohl bei einer Außenbetrachtung deutlich, bei der es um das Kommunikationsverhalten ging, als auch bei einer Innenbetrachtung, bei der die Übertragungsbeziehung im Vordergrund stand. Obwohl sich beide Ebenen wechselseitig beeinflussen, könnte man doch auch behaupten, dass das Kommunikationsverhalten Ausdruck innerseelischer Vorgänge ist, mithin auch des Übertragungsgeschehens. Zwar können auch von Beginn an Übertragungsreaktionen dominieren (initiale Übertragung), wahrscheinlicher ist es jedoch, dass zunächst gerade die stereotypen Bilder und erst allmählich die individuellen inneren Bilder Einfluss auf die Art des Umgangs miteinander nehmen. Man konnte vielleicht zuvor den Eindruck gewinnen, als sei die Kluft so groß, dass eine gelingende Kommunikation und eine konstruktive Beziehung kaum möglich ist. Doch eine solche Schlussfolgerung wäre fatal und zudem falsch, wie die folgenden Beispiele zeigen, die das Gegenteil belegen. Fallvignette 14: Die 80-jährige depressive und kachektische alte Dame (BMI 14) schilderte, als Kind immer zur Ordnung ermahnt worden zu sein, wenn ein Arzt zum Hausbesuch kam. Ein Onkel sei Amtsarzt gewesen, er sei immer in die gute Stube geführt worden, und vor einem Besuch habe es immer Verhaltensanweisungen gegeben. Ihnen sei aufgetragen worden, im Keller die Likörflasche zu holen, damit er angemessen versorgt sei. Doch es schien nicht allein ein Klima der Unterordnung vorgeherrscht zu haben, sondern ebenso eine besucherfreundliche Atmosphäre, die in einem zugewandten Familienklima entstehen konnte und das auch sie weitertrug. Sie zeigte sich schon in einem der Behandlung vorausgehenden Telefonat dankbar für jede Zuwendung und kam voller Vertrauen in die Klinik. Sie war bescheiden und anspruchslos und gewann ihr Gegen-
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über rasch durch das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, durch ihre Freundlichkeit und durch etwas Koketterie. Diese Haltung schien auf frühen Erfahrungen zu basieren, die eine behütete Welt erkennen ließen, in der sie aufgewachsen war. Ihre beginnende Demenz führte nun allerdings dazu, dass diese Seite ihrer Primärpersönlichkeit noch stärker zum Tragen kam. Sie vertraute jedem wahllos und öffnete auch zu Hause jedem die Tür. Fallvignette 15: Die 72-jährige Patientin, die an einer schweren Depression und verschiedensten körperlichen Erkrankungen litt, hatte keinerlei Erfahrung mit Psychotherapie, auch hatte sie die zahlreichen Kontakte zu Hause kaum dazu genutzt, sich zu entlasten und Unterstützung zu verschaffen. Still hatte sie ihr Leid ertragen, das der alkoholkranke Ehemann ihr antat, der mehrfach alkoholisiert die Wohnung demoliert und sie früh mit anderen Frauen betrogen hatte; stets hatte sie sich vor ihn gestellt und den Schein einer intakten Familie nach außen hin aufrechterhalten. Sie schien zunächst irritiert und doch konnte sie sich auf einen vorsichtigen, sich allmählich jedoch entwickelnden Kontakt zur Therapeutin einlassen. Obwohl sie ein schwierige Kindheit durchlebt hatte, hatte die Mutter doch immer zu ihr gestanden. Das hier gewachsene Vertrauen konnte sie offenbar in die therapeutische Beziehung einbringen. Obwohl sie aus einfachen Verhältnissen kam, strahlte sie etwas »Feines« aus und war sehr geschmackvoll gekleidet. In diesem Äußeren schien sich auch ein inneres Potential zu manifestieren, so dass die Therapeutin rasch Phantasien darüber entwickelte, wie die Patientin ihr Leben anders gestalten könnte. Es wurde somit eine emotionale Begegnung möglich, die die Patientin schließlich zu der erstaunten Äußerung veranlasste: »Das man das hier einfach so alles aussprechen kann.« Sie war darüber erleichtert und konnte die sich entwickelnde Beziehung nutzen, über ihr Leid und das, was sie in ihrem Leben versäumt hatte, zu sprechen und auch die schmerzvollen Gefühle, die damit verbunden waren, zuzulassen und zu ertragen, um dann für sich andere Vorstellungen von ihrem Leben zu entwickeln.
Doch nicht alle älteren Patienten vermögen auf Erfahrungen zurückzugreifen, die die Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung erleichtern. Manche bleiben zurückgezogenen und verharren in einer ängstlichen, ja manchmal geradezu verstummten Haltung, viele flüchten sich auch in ein Gespräch, das mehr ver-
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birgt als es offen legt. Sie scheinen keineswegs bereit oder willig zu sein, den Therapeuten/Berater spontan als hilfreiches Objekt zu erleben. Doch in einer sich entwickelnden, sich als zuverlässig erweisenden Beziehung können verinnerlichte gute Erfahrungen rasch reaktiviert werden und zur Rückgewinnung von Vertrauen führen. Auf dieser Grundlage kann dann die therapeutische Beziehung aufbauen. Insbesondere bei der zweiten Patientin wird deutlich, bei der die Therapeutin nicht nur deren Defizite wahrnahm, sondern auch ein Gespür für ihre verschütteten Wünsche entwickelte. Diese Einfühlung trug zu einer Atmosphäre von Anerkennung bei, durch die sich die Patientin wiederum ermutigt fühlte, sich freier und offener zu äußern und mehr Vertrauen zu entwickeln. In dem Maß, in dem Vertrauen geschaffen werden kann, können Kommunikationsstrategien fallengelassen werden, die vornehmlich dem Schutz der eigenen Identität dienen. Freud (1912) hatte in diesem Zusammenhang von der mild positiven Übertragung gesprochen, die Grundlage einer jeden Behandlung sein müsse, später wurden andere Konzepte wie das der hilfreichen Beziehung formuliert. Eine positive Übertragung, so Freud, schaffe eine Bindung an den Arzt und damit die Grundlage, auf der sich die »anstößige« Übertragung – womit vor allem die libidinöse Übertragung gemeint war – entfalten und bearbeitet werden könne. Doch eine solche positive Übertragung sollte auf beiden Seiten entstehen, also auch auf Seiten des Therapeuten. Er sollte bereit und in der Lage sein, die Kluft zu überwinden, indem er die Bereitschaft und Offenheit entwickelt, die Beziehung zum Klienten/Patienten zu vertiefen. Die Bereitschaft hierzu hängt sicherlich von zahlreichen Einflüssen ab, etwa auch von der Frage der Freiwilligkeit, mit Älteren zu arbeiten, was in Kliniken oft nicht ohne weiteres gegeben ist. Doch noch entscheidender sind die persönlichen Motive. Dabei dürfte von Bedeutung sein, in seiner eigenen Geschichte auf positive Erfahrungen mit Älteren zurückgreifen zu können. Damit ist nicht gemeint, dass diese Erfahrungen ausschließlich positiv sein sollten, aber die negativen Erfahrungen sollten nicht völlig überwiegen und das Bild des Alters prägen. Finden sich in der eigenen Lebensgeschichte positive Erfahrungen
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mit Älteren, kann leichter ein Altersbild gewonnen werden, das den Zugang zu älteren Klienten/Patienten vereinfacht. Das Alter ist dann nicht mehr nur das Fremde, das Unbehagen weckt, sondern etwas, mit dem bereits Nähe-Erfahrungen gemacht wurden und auf das man mit Neugierde und Gelassenheit zugehen kann, um die Distanz zu überwinden. Gelingt dies, können wir Entdeckungen machen, die auch unser eigenes Leben bereichern, so wie das Fremde, wenn wir es zulassen, fast immer bereichernd ist.
Aspekte des Beratungs- und Therapieprozesses Am Beginn des Prozesses – Einen Spannungsbogen aufbauen Im Vorfeld – Einen Rahmen schaffen Psychosoziale Beratung und Psychotherapie findet in einem definierten örtlichen, zeitlichen und situativen Rahmen statt. Diese äußeren Faktoren bedürfen bei Älteren einer besonderen Beachtung. Lage und Erreichbarkeit sind dann von Bedeutung, wenn die Mobilität eingeschränkt ist oder die Älteren auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Eine ausreichende Beschilderung oder ein Lageplan sind nicht nur für Beratungsstellen und niedergelassene Psychotherapeuten, sondern vor allem auch in stationären Einrichtungen zur Orientierung hilfreich. Kliniken sind häufig so verwinkelt und verschachtelt, dass Älteren eine Orientierung in den ersten Tagen meist noch schwerer fällt als anderen Patienten. Zu beachten ist ebenfalls, ob die Behandlungsräume über Treppen zu erreichen sind oder ein Aufzug für gehbehinderte Ältere zur Verfügung steht; eine ebenerdige Unterbringung schafft für viele Erleichterung. Schließlich ist die Frage der Raumgestaltung, der Farbgebung und der Möblierung zu beachten; beispielsweise sollten Sessel zur Verfügung stehen, die auch für ältere Menschen geeignet
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sind.1 Diese äußeren Faktoren tragen durchaus zur Schaffung von Behaglichkeit und eines als zuverlässig erlebten Rahmens bei. Auch zeitliche Aspekte definieren den Rahmen. Indem den Ratsuchenden frühzeitig die Dauer des Erstkontaktes mitgeteilt wird – üblicherweise ist von 50 Minuten auszugehen – wird nicht allein eine Information, sondern auch eine Botschaft vermittelt. Zunächst steht die äußerliche, struktur- und damit haltgebende Funktion des zeitlichen Rahmens im Vordergrund. Ältere sind es gewohnt, dass ihnen bei ihren Hausärzten in der Regel nur wenig Zeit eingeräumt wird und sie ihr Anliegen rasch vorbringen müssen. Die Mitteilung des Zeitrahmens entlastet demnach von Zeitdruck und schafft einen Raum, der zwar auch Ängste hervorrufen kann, aber zugleich auffordert, über Kummer und Sorgen zu sprechen. Der zeitliche Rahmen berührt bei Älteren das wichtige Thema Zeit. Dem älteren Menschen steht einerseits nach dem Ausscheiden aus dem Beruf ein ausgeweitetes Zeitkontingent zur Verfügung, andererseits sind sie jedoch mit der schwindenden Lebenszeit konfrontiert. Diese Ambivalenz wird durch den zeitlichen Rahmen der Beratung/Therapie implizit thematisiert, indem einerseits die Botschaft vermittelt wird, Zeit zu haben, andererseits deren Begrenzung eine symbolische Bedeutung für Trennung und Abschied zu kommt. Der äußere Rahmen bleibt also nicht allein äußerlich, sondern spricht eine unbewusste oder vorbewusste Thematik des älteren Menschen an. Der situative Rahmen markiert einen Raum, der sich rasch mit Phantasien, Ängsten und Hoffnungen anfüllt. Meist haben bereits zuvor verschiedene Kontakte zum Therapeuten/Berater selbst, zu einer Sekretärin oder anderen Mitarbeitern stattgefunden, die ein dynamisches Geschehen in Gang gebracht haben. Auch ein vorausgehender schriftlicher Kontakt kann die Erwartungshaltung und Übertragungsbereitschaft des Patienten beeinflussen. Manche Klienten/Patienten wurden bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Einrichtung behandelt oder beraten und bringen damit einen Erfahrungshintergrund mit, der gleichfalls nicht ohne Einfluss auf
1 Anregungen sind der Broschüre des KDA (Kuratorium Deutscher Altershilfe) (2004) zu entnehmen.
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die jetzige initiale Erwartungshaltung bleibt. Argelander (1970) hat das Geschehen, das einem Erstgespräch vorausgeht, als »Vorfeldphänomene« bezeichnet, denen bereits Hinweise auf die unbewusste Konfliktdynamik zu entnehmen sind. Fallvignette 16: Die 64-jährige Patientin war bereits ein Jahr zuvor behandelt worden und hatte vor Ende der regulären Behandlungszeit die Klinik einige Tage früher verlassen, um das bei ihr ganz im Vordergrund stehende Thema des Abschieds zu umgehen. Sie hatte damals bei den Behandelnden einigen Ärger hinterlassen, weil ihr Aufbruch unvermittelt und umgehend erfolgt war. Nun wollte sie wiederkommen und bat mich am Telefon, die gleiche Therapeutin, das gleiche Zimmer und den gleichen Platz am Essenstisch zu bekommen. Letzteres konnte ich ihr nicht garantieren, doch die beiden ersten Anliegen sagte ich ihr zu, dabei übersehend, dass das damalige Zimmer eigentlich zu einer anderen Station gehörte. Der Ärger war damit vorprogrammiert. Doch das Thema der Auseinandersetzung mit Zeit und Vergänglichkeit, das heißt auch mit Abschied, war bereits präsent. Ihr Versuch, die Zeit anzuhalten, so als sei seit der letzten Behandlung keine Zeit vergangen oder als könne diese ohne weiteres überbrückt werden, hatte es wieder eingeführt.
Meist liegen im Vorfeld schon Berichte vorausgegangener Behandlungen oder Gutachten vor. Das Lesen dieser Befunde vor dem Erstkontakt kann dazu dienen, erste Orientierungspunkte zu finden und sich selbst Sicherheit zu verschaffen. Häufig werden schriftliche Berichte vor dem Erstkontakt deshalb nicht zur Kenntnis genommen, um den Klienten/Patienten vorbehaltlos kennen lernen zu können. Zu bedenken ist allerdings, das manche Ältere die Unkenntnis der Vorbefunde als Nachweis von Desinteresse des jüngeren Beraters/Therapeuten verstehen. Um diese Kränkung aufzufangen, kann es ratsam sein, die Berichte vorher zur Kenntnis zu nehmen oder aber zu erklären, warum man sie erst nach dem Gespräch lesen wird. Damit wird gleich zu Beginn Transparenz hergestellt, die vertrauensbildend wirkt. Wenn – wie bei Frau S. – der Klient/Patient ohnehin auf eine Bestätigung seiner skeptischen Haltung aus ist, wird auch ein solcher Umgang das Misstrauen möglicherweise nicht auflösen.
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Fallvignette 17: Die 69-jährige Frau S. kam mit einer erheblichen Kachexie nach langem Zögern und voller Skepsis in die Behandlung, um auf die Eingangsfrage der Therapeutin, was sie zu uns führe, zunächst mit der Gegenfrage zu antworten, ob sie denn nicht die Unterlagen gelesen habe. Als die jüngere Therapeutin dies mit dem Hinweis verneinte, es seien kaum Unterlagen vorhanden, mochte sie dies nicht als Begründung akzeptieren, vielmehr schien sie sich in ihrer Skepsis bestätigt zu fühlen und brach die begonnene Behandlung nach wenigen Tagen ab.
Schließlich wird durch die Begrüßung und Verabschiedung ein sozialer Rahmen für jede einzelne Stunde geschaffen. Streek (2002) bezeichnet Begrüßung und Verabschiedung als Grenzereignisse, die zwischen sozialem Alltag und therapeutischem Raum angesiedelt sind. Einerseits grenzen sie beides voneinander ab, andererseits bilden sie eine Klammer, indem die Bereitschaft und der Wille zur gemeinsamen Arbeit bekundet und die Gewissheit der gemeinsamen Beziehung erneuert wird. Meist spielen sich rasch flüchtige Rituale ein, die der Berater/Therapeut dennoch reflektieren sollte. Der Handschlag, ein wechselseitiger Blickkontakt und ein angedeutetes Lächeln lassen ein Gefühl der Anerkennung entstehen. Ältere legen meist mehr Wert auf formelle Höflichkeitsrituale und erwarten etwa, dass man ihnen in den Mantel hilft. Eine solche kleine Handlung wird möglicherweise als Test im Hinblick auf die Anpassungsbereitschaft des Beraters/Therapeuten registriert. Ein »Wir« am Ende der Stunde (»Wir sehen uns nächste Woche wieder.«) betont das Gemeinsame und verweist auf die Kontinuität der Beziehung. Das Bringen zur Tür lässt ein Gefühl des Begleitetwerdens entstehen, dem unbewusst eine über eine flüchtige Geste hinausgehende symbolische Bedeutung zukommen kann. Es handelt sich also um kleine, flüchtige Gesten und Handlungen, die dennoch dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, das für eine konstruktive Beratung/Therapie erforderlich ist.
Das Unbewusste erfassen – Szenisches Verstehen im Erstgespräch Erstgespräche mit Älteren sind bisher nur selten eingehender beleuchtet worden (Kipp 2004), erst neuerdings liegen auch von psy-
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choanalytischer Seite einige Veröffentlichungen hierzu vor (Hinze 2004; Radebold 1992; Peters et al. 2004). Dabei zeigt sich, dass es lohnenswert ist, psychoanalytische Überlegungen zum Erstgespräch bei Älteren nutzbar zu machen. Ein gänzlich offen gehaltenes Interview, wie es in der Psychoanalyse häufig praktiziert wird und in dem der Analytiker weitgehend zurückhaltend bleibt, um den spontanen Angebotes des Klienten/Patienten zu folgen (Laimböck 2000; Eckstaedt 1991), wird bei Älteren in der Regel ungeeignet sein. Eine aktive, strukturierende Haltung des Therapeuten wird hingegen eher geeignet sein, die anfängliche Angst nicht allzu sehr ansteigen zu lassen und für ein geeignetes Klima zu sorgen, welches eine positive Übertragung als Grundlage der Behandlung entstehen lässt. Doch auch bei einem strukturierteren Interview ist es hilfreich, mit dem »dritten Ohr« zu hören, also nicht allein auf den Inhalt dessen, was gesagt wird, sondern auch auf das, was sonst noch geschieht, zu achten. Das Erstgespräch dient also nicht allein der Informationsgewinnung, sondern kann darüber hinaus als Möglichkeit gesehen werden, einen ersten Einblick in die unbewusste Dimension des psychodynamischen Konfliktes des Klienten/Patienten zu gewinnen. Fallvignette 18: Die 74-jährige Frau A. war von ihren vier Kindern enttäuscht, voller Verbitterung und Verachtung sprach sie von ihnen, ohne einen Zusammenhang zu ihrem eigenen Leben zu sehen; Schuldgefühle wurden verleugnet. Sie handarbeitete für Lepra-Kinder in Indien, von denen sie Dankbarkeit erfuhr, so konnte sie ihr Ideal als »gute« Mutter retten und es vor Enttäuschung schützen. Auch in der Behandlung gab sich die Patientin als moralisch überlegen, festen Grundsätzen gehorchend – was sie nicht abhielt, sich bei einer Abschiedsfeier hemmungslos zu betrinken – und rasch mit Vorwürfen antwortend, wenn etwas nicht in ihrem Sinne geregelt wurde. In der Klinik schaffte sie es, unangemeldet in meinem Zimmer aufzutauchen und mich dazu zu bringen, sie nicht sofort hinauszuschicken. Das Gespräch bezog sich dann auf Belangloses, was mich zunehmend stutzig machte, die Dringlichkeit, die sie zunächst vorgegeben hatte, war nicht zu erkennen. Es ging eher um einen demonstrativen Akt der Handlungsfähigkeit und der Abwehr von Hilfsbedürftigkeit. Auf ihr Handeln angesprochen gab sie stolz zu verstehen, auch zu ihrem Hausarzt immer ohne vorherige Terminabsprache zu gehen und es immer zu schaffen, ins Sprechzimmer vorgelassen zu werden.
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Die beschriebene Patientin inszeniert eine Szene, die nicht durch das Gesagte bestimmt wird, sondern durch ihr Verhalten. Sie konstelliert eine Situation, in der sie nicht diejenige ist, die um Hilfe bittet, sondern die, die das Handeln bestimmt. Das Beispiel macht ein zentrales Anliegen des psychoanalytischen Erstgesprächs deutlich, das sich darauf richtet, die sich im Gespräch entfaltende Szene zu erfassen, in der der Klient/Patient seinen inneren Konflikt und seine Objektbeziehungen zur Darstellung bringt. Argelander (1970) geht davon aus, dass die Szene im Laufe des Gesprächs eine Gestalt gewinnt, die sich aus objektiven, subjektiven und situativen Informationen zusammensetzt und ein integriertes Bild der Persönlichkeit des Klienten/Patienten entstehen lässt. Diese essentielle psychoanalytische Haltung ist auch im Erstgespräch mit einem älteren Patienten von grundlegender Bedeutung (Radebold 1992). Die Eingangsszene kann besonders aufschlussreich sein; die Art und Weise, wie der Gesprächstermin zustande kommt, das Verhalten bei Betreten des Behandlungszimmers, die Form der Begrüßung und die Gestaltung der anfänglichen Szene sollten aufmerksam registriert werden. Manche Klienten blicken anfangs ängstlich um sich, andere schauen sich forsch im Zimmer um, und manche ergreifen gleich die Initiative. Diese Eingangshaltung setzt sich in der Art und Weise der Gesprächseröffnung und des Eingangsdialogs fort. Manche Klienten beginnen von sich aus und dominieren den Dialog, vielleicht um die Situation kontraphobisch zu bewältigen, Gefühle von Hilflosigkeit oder Unterlegenheit zu kontrollieren oder, wie Frau A., die Macht des Alters zu demonstrieren. Letztere zwang damit den Therapeuten eine Begegnung auf, die diesen unfrei machte und Sympathie für den Sohn entstehen ließ, über den sie sich heftig beklagte. Manche älteren Klienten/Patienten schildern zunächst ihre körperlichen Beschwerden, so wie sie es von ihren Arztbesuchen gewohnt sind, um mehr Sicherheit in einer sie irritierenden Situation zu gewinnen. Möglicherweise ist damit aber auch ein Test verbunden, um zu prüfen, ob der jüngere Berater/Therapeut für die Sorgen und den Kummer, den der Körper macht, offen ist. Andere flüchten sich in weitschweifige Erzählungen, die mehr verbergen als sie offen legen.
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Fallvignette 19: Die 69-jährige Frau K. blickte auf eine desolate Kindheit und Jugend mit einem aggressiven, alkoholisierten Vater und einer überforderten, stets leidenden Mutter zurück. Der zwei Jahre jüngere Bruder war im Alter von 18 Jahren erschlagen worden, ein Verbrechen, das nie aufgeklärt wurde. Später hatte Frau K. immer wieder in männlichen Objekten Halt gefunden. Aus erster Ehe hatte sie einen Sohn und aus der zweiten Ehe einen Stiefsohn; nach dem Tod des Mannes hatte sie erneut einen Partner kennen gelernt und lobte nun alle drei Männer in höchsten Tönen. Gleich im ersten Gespräch zeigte sie ein Foto von der Hochzeit des Stiefsohnes, um mir damit das Bild einer harmonischen, konfliktfreien Familie zu vermitteln, das ich nicht in Frage stellen sollte. Im Umgang mit mir legte sie eine große Freundlichkeit und Zuvorkommenheit an den Tag, so dass ich mich sogleich in diese symbiotische Verbundenheit hineingezogen fühlte. Im zweiten Gespräch brachte sie mir ein Geschenk mit, das ich nicht ablehnen, aber auch nicht annehmen wollte. Ich schilderte ihr meine zwiespältigen Gefühle und schlug ihr vor, dass ich es beiseite legen und bei ihrer Abreise öffnen werde.
Der Eingangsdialog ist hier mit einem Handlungsdialog verknüpft, der einen Blick in die unbewusste Gefühlswelt der Patientin erlaubt. Das angebotene Geschenk offenbarte etwas von ihrem Harmoniebedürfnis, von dem ich mich sogleich angezogen fühlte. Ich gewann den Eindruck, dass sie sich nur in völliger Konflikt- und Aggressionsfreiheit vor den bedrohlichen Objekten sicher fühlen könne. Doch sie fühlte sich dadurch auch eingeengt und unfrei, ein Gefühl, das sie nicht abschütteln konnte, und dass sie rasch auch in mir induziert hatte. Die unbewusste Absicht des Geschenks war sicherlich, eine freundliche Beziehung herzustellen und Aggressionen abzublocken. Es kam somit sogleich ein emotionaler Kontakt zustande, der sich nicht allein im bewussten, sondern eher in gefühlsbetonten Vorstellungsbildern vollzog. Das Zustandekommen eines solches Kontaktes wird von Dantelgraber (1982) als positive Indikation für eine tiefenpsychologische Behandlung gewertet. In jedem Erstgespräch ist auch das Lebensalter in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Manchmal wird es offen angesprochen, indem der Berater/Therapeut danach fragt, aber häufig thematisiert der Ältere ebenso wie in Alltagssituation sein Alter selbst, manchmal auch eher indirekt. Andererseits hatte ich bereits die Häufigkeit so genannter schmerzvoller Selbstenthüllungen erwähnt,
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also die rasche Preisgebe von Verlusten, von Einsamkeit oder von Gebrechen. Diese Form der Selbstenthüllung in einer Beratungssituation kann nicht immer als Offenheit und Anzeichen für eine positive Therapiemotivation interpretiert werden. Die genannten Autoren sehen darin eher ein Mittel der Distanzierung von ihren jüngeren Gesprächspartnern, indem der unterschiedliche Erfahrungshintergrund betont wird (Kruse u. Thimm 1997). Sowohl die Thematisierung des Alters als auch die schmerzvollen Selbstenthüllungen dienen dem Schutz der eigenen Identität und resultieren aus der Furcht vor Schamgefühlen und Bloßstellung. Das Lebensalter des Klienten/Patienten ist jedoch noch in anderer Weise von Bedeutung. Das kalendarische Alter lässt nicht nur Vermutungen über zu bewältigende Entwicklungsaufgaben entstehen, sondern erlaubt auch den Rückschluss auf das Geburtsjahr und damit auf die historische Zeit, in der der Patient aufgewachsen ist. Sich dies für einen Moment zu vergegenwärtigen, kann zum Verständnis des Klienten/Patienten beitragen. Wir sollten aber auch eine dynamische Sicht zum Tragen bringen und das imaginäre, also innere Alter einbeziehen, über das der Klient/Patient zwar Auskunft geben kann, das sich aber auch auf eine unbewusste Dimension bezieht (Stroeken 1993). Bewusst kann er Auskunft darüber geben, wie alt er sich fühlt. Doch das Unbewusste enthält eine Vorstellung vom eigenen Alter, die möglicherweise vom bewusst erlebten Alter abweicht und Auskunft über sein inneres, erlebtes Alter gibt. Diese unbewusste Dimension des imaginären Alters hat sich meist in bedeutsamen Lebensphasen gebildet, die das Lebensgefühl geprägt haben und an dem der Klient innerlich festhält. Meist können wir das imaginäre Alter nur aufgrund unsere eigenen Phantasien erschließen. Wir können uns dabei die Frage nach seiner Ausstrahlung und persönlichen Wirkung stellen und ob wir ihn uns in einem anderen Lebensabschnitt, zum Beispiel als Jugendlicher oder jungen Erwachsenen vorstellen können. Diese Phantasien stellen Hypothesen über das Lebensgefühl des Klienten/Patienten dar, die uns zu einem vertieften Verständnis führen können.
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Die Lebensgeschichte einbeziehen – Die biografische Anamnese Die in der Begegnung gewonnen Eindrücke werden durch die Lebensgeschichte des Klienten/Patienten ergänzt und erweitert. Gelingt es, den Älteren zu Erzählungen zu veranlassen, über die meist ein dialogischer Kontakt hergestellt werden kann,taucht darin meist auch bald die Vergangenheit auf. Erzählungen stellen für Ältere eine wesentliche und vertraute Form der Kommunikation dar, die sie nutzen, ihre Identität darzustellen. Der implizit enthaltene Verweis auf ihre Lebenserfahrung bildet einen Identitätsschutz in einer ansonsten verunsichernden Situation. Die Erzählung dient aber ebenso der Reorganisation der Lebensgeschichte, indem sie das Erlebte bündelt und in eine verstehbare Form bringt, die der Selbstvergewisserung dient. Auf dieses vertraute Terrain ziehen sich viele Ältere rasch zurück. Dennoch können wir der erzählten Vergangenheit vieles entnehmen. Auch wenn die Erzählung keineswegs der historischen Wahrheit entspricht, so ist sie doch immer eine Antwort auf das Erlebte, dem in der Erzählung eine Gestalt gegeben wird (Boothe 1994). In ihnen sind verwehrt gebliebene Lebensträume und -schicksale ebenso verborgen wie nicht in Erfüllung gegangene Wünsche. Lebensbegleitende Ängste und charakteristische Abwehrformen lassen sich ebenfalls in ihnen ausmachen. Fallvignette 20: Die 79-jährige Frau B. wirkte stets heiter und erzählte gern von früher. So erzählte sie von Erlebnissen mit dem Vater, der mit den Kindern im Winter auf dem Pferdeschlitten gefahren war, und vermittelte damit ein sehr anschauliches Bild ihrer Kinderwelt. Sie tat dies in einer Interesse weckenden, einnehmenden Art und Weise. Dadurch gelang es ihr, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen und ihr Gegenüber für sich zu gewinnen. Die schon deutliche Demenz hatte eine freundliche Unbekümmertheit zum Vorschein gebracht, die ihr dazu verhalf, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu erhalten und sich vor einer Lebenswirklichkeit zu schützen, die ernste Fragen etwa im Hinblick auf ihre weitere Wohnsituation aufwarf.
Die biografische Anamnese wird entweder bereits im Erstgespräch oder aber in den nachfolgenden Gesprächen erhoben werden. In Kliniken wird gelegentlich eine strukturierte Anamnese durch das Pflegepersonal oder auch in schriftlicher Form erhoben, der The-
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rapeut kann dann ergänzend darauf Bezug nehmen (Kipp u. Jüngling 2000). Das Konzept der Entwicklungslinien von Nemiroff und Colarusso (1985), die sich auf Anna Freud beziehen, kann als Ordnungsrahmen zugrunde gelegt werden. Sie beschreiben folgende 10 Entwicklungslinien: (1) Intimität, Liebe und Sexualität, (2) Körper, (3) Zeit und Tod, (4) Beziehung zu Kindern, (5) Beziehung zu Eltern, (6) Mentoren-Beziehung, (7) Beziehung zur Gesellschaft, (8) Arbeit, (9) Spiel, (10) Finanzen. Jede dieser Entwicklungslinien ist durch phasenspezifische Entwicklungsaufgaben gekennzeichnet, die nicht auf die Kindheit begrenzt sind, sondern über den gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet werden müssen. Fallvignette 21: Die 74-jährige Frau K. litt seit der Aufgabe ihrer Landarztpraxis, die sie zuletzt völlig überfordert hatte, unter einer wiederkehrenden schweren Depression sowie kognitiven Einbußen, die ein erhebliches Ausmaß erreicht hatten. Eine eingehende Demenzdiagnostik war jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen, zudem gab es auch seit Jahren keine Progredienz. Frau K. war eine auch körperlich eingeschränkte ältere Dame, die im Laufe der Behandlung aber eine zunehmend »freche«, forsche und zupackende Seite an den Tag legte. So konnte man sich gut vorstellen, wie sie viele Jahre in einer Landarztpraxis aufgegangen war, was sie zudem nicht daran gehindert hatte, vier Kinder zu bekommen. Den ersten Sohn hatte sie bewusst unehelich gewollt, und es wurde bald deutlich, dass dabei die Beziehung zum Vater eine große Rolle gespielt hatte. Dieser hatte vor ihr die Arztpraxis betrieben, war jedoch erst aus dem Krieg gekommen, als sie neun Jahre alt gewesen war. Er sei als verstörter, verschlossener Mann aus Stalingrad heimgekehrt und habe in all den Jahren nie darüber gesprochen. In der Zeit seiner Abwesenheit hätten sie in einer Frauengemeinschaft mit Mutter und Großmutter gelebt und das Leben gut gemeistert. Die Mutter hatte einen Freund, und eigentlich sei für den Vater gar kein Platz mehr bei seiner Rückkehr gewesen. Dieser hatte die Frauengemeinschaft mit Argwohn betrachtet und ihr, der Tochter, gegenüber eine große Strenge an den Tag gelegt. In dieser Frauenwelt jedoch hatte sie ihre Stärke gewonnen. Die Beziehung zum Vater war zeitlebens ambivalent geblieben und von unausgesprochenen Wünschen und Enttäuschungen geprägt. Vor einiger Zeit nun hatte sie Briefe des Vaters an die Mutter auf dem Dachboden gefunden, die sie nun mit Mühe lese. Darin komme seine Liebe zu ihr, der Tochter, zum Ausdruck, was ihr sehr wehtue und ein schmerzliches, wehmütiges Gefühl in ihr wachrufe.
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Bei Frau K. wird deutlich, wie ihre Entwicklung durch die strenge, ihre Zuneigung nicht erwidernde Haltung des Vaters geprägt wurde. Als eine Demonstration ihrer Enttäuschung und ihres Trotzes, dass man auf Männer auch verzichten kann, bekam sie gegen die erbitterten Einwände des Vaters ihr erstes Kind. Aus dieser Erfahrung schöpfte sie die Kraft und Entschlossenheit, die ihr heutiges Auftreten prägen, die es ihr aber auch ermöglichten, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und ganz in ihrem Berufsleben aufzugehen. Diese Entwicklung ist nicht von den zeitgeschichtlichen Umständen losgelöst zu verstehen. So ist ihre Entwicklung durch die kriegsbedingte Abwesenheit des Vaters und die erfolgreiche Selbstorganisation der Frauen maßgeblich geprägt gewesen. Viele der heute Älteren waren direkt von oft traumatisch wirksamen Ereignissen im Zusammenhang mit Krieg, Not und Vertreibung betroffen, die erst jetzt stärker ins Bewusstsein rücken (Radebold 2000b, 2003a, 2005). Die Erfassung früher Traumata und Verluste ist unerlässlich, weil sie häufig im Alter erneut aktiviert werden und einen bestimmenden Einfluss auf das Krankheits- oder Krisengeschehen nehmen. Oft sind es nicht einmalige Traumata, sondern kumulative traumatische Erlebnisse, die die Verarbeitungskapazitäten des kindlichen Ich überschritten haben. Dennoch sollte bei Älteren keinesfalls nur die Entwicklung in den ersten Lebensabschnitten betrachtet werden. Wie an Frau K. zu ersehen, wird der weitere Lebensweg wesentlich durch Lebensentscheidungen ihres frühen Erwachsenenlebens beeinflusst. Inzwischen liegen klinische und empirische Hinweise vor, denen zufolge die Entwicklung im Alter besonders durch den Verlauf der Adoleszenz beeinflusst wird (Hinze 2002; Fooken 2002). Auch später durchlebte Krisen, Krankheiten oder andere prägende Erlebnisse können entscheidende Hinweise auf die Ich-Funktionen, die Bewältigungskompetenzen und die Beziehungsfähigkeit geben. Nicht zuletzt sind auch die gelungenen Entwicklungsschritte mit besonderem Augenmerk auf die verschütteten Ressourcen, die möglicherweise erneut aktiviert werden können und zur Bereicherung des Lebens im Alter beitragen können, zu erfassen. Überstandene Krisen und bewältigte Schwellensituationen, die im Lebenszyklus zu überwinden sind, geben wichtige Hinweise auf die Ich-
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Funktionen und die gesunden Ich-Anteile. Diese Fähigkeiten sind erforderlich, konfliktfreie Sphären zu schaffen und rascher zu einem inneren Gleichgewicht zu kommen. Deutlich wird dies in Interessen und Hobbys, denen jemand nachgeht, in sozialen, künstlerischen und sportlichen Aktivitäten, die der Betreffende für sich entwickeln konnte. Häufig sind diese im Lauf der Zeit oder infolge der akuten Krise verloren gegangen. Um so wichtiger ist es, diese Ressourcen wieder aufgreifen zu können, zumal sich zeigt, dass es im Alter nur in Ausnahmefällen möglich ist, gänzlich neue Aktivitäten zu entwickeln. Das Anknüpfen an Ressourcen, die im bisherigen Leben zur Verfügung gestanden haben, ist wesentlich erfolgversprechender.
Der objektivierende Blick – Aufgaben der Diagnostik Wir stehen im Erstgespräch vor der Aufgabe, uns einerseits in den Patienten/Klienten einzufühlen, uns für einen Moment mit ihm zu identifizieren und eine Vorstellung von seinem inneren Erleben zu gewinnen. Andererseits müssen wir uns aber wieder distanzieren. Nur wenn wir im Wechselspiel wieder einen Schritt zurücktreten, gewinnen wir den erforderlichen Abstand, der eine objektivere Sicht auf den Patienten/Klienten ermöglicht. Diese rational-distanzierte Haltung werden wir auch nach dem Gespräch einnehmen, um das Gehörte und Erlebte im Hinblick auf die diagnostischen Fragen zu ordnen. Die Aufgaben der gerontopsychologischen Diagnostik lassen sich in folgenden Schwerpunkten zusammenfassen (Fleischmann u. Oswald 2001; Gunzelmann u. Oswald 2002): Statusdiagnostik, Kompetenzdiagnostik, Früherkennung kritischer Entwicklungsverläufe und Beurteilung von Folgen im Sinne von nicht vorhandenen Fähigkeiten oder Handicaps. Letztere sind für die Rehabilitation von besonderer Bedeutung. Fallvignette 22: Die 65-jährige Frau A. kam nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie, wo sie kurze Zeit wegen eines Suizidversuchs behandelt worden war, in die Klinik. Nach einem Streit mit der Tochter, die ihr am nächsten stand, war sie gleich zweimal hintereinander vor ein Auto gelaufen. Doch die Palette ihrer Diagnosen und Probleme war lang: Sie hatte in er-
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heblichem Maß getrunken, es lag der Verdacht auf Tranquilizerabusus vor, und Frau A. hatte immer wieder depressive Phasen durchzustehen. Hinzu kamen etliche körperliche Diagnosen (Z. n. apoplektischer Insult, Herzrhythmusstörungen, WS-Syndrom, Z. n. Bandscheibenprolaps, chronisches Schmerzsyndrom). Lebensgeschichtlich beschrieb sie eine unglückliche Kindheit; der Vater war verstorben, als sie elf Jahre alt war, sie hatte früh in der Gaststätte der Mutter mitarbeiten müssen. Diese Situation hatte sie früh in eine Ehe mit einem 23 Jahre älteren Mann getrieben. Dieser hatte sie viel geschlagen, trotzdem hatte sie vier Kinder geboren, von denen eines gestorben war, ein anderes schwerbehindert und eine drittes heroinabhängig, allein die schon erwähnte Tochter hatte ihr Leben im Griff, sie war die größte Stütze der Patientin. Die Situation hatte sich jetzt durch den Schlaganfall des Ehemannes zugespitzt, nachdem er zum Pflegefall geworden und seit kurzem in einem Pflegeheim untergebracht worden war. Sie war vom Vormundschaftsgericht zur Betreuung des Ehemannes bestellt worden, was sie aufgrund der komplizierten Beziehung zu ihm, den sie immer wieder hatte verlassen wollen, in große innere Konflikte stürzte. Das Ehepaar hatte eine Landwirtschaft betrieben, sie sprach sogar von einem Gutshof, der nun leer stand, nachdem sie in eine eigene Wohnung gezogen war. Frau A. stand vor der Aufgabe, diesen Hof zu veräußern oder zu verpachten. Wir gewannen im Stationsalltag zunehmend den Eindruck, dass sie dieser Situation kaum mehr gewachsen schien. Zwar war sie stets korrekt, ja elegant gekleidet und sichtlich um ein selbstbewusstes und kompetentes Auftreten bemüht. Doch im Kontrast dazu stand unsere Beobachtung erheblicher Defizite und einer raschen Überforderung. Wir vermuteten kognitive Einbußen aufgrund des Schlaganfalls oder als Folge des Alkoholkonsums. Ein testpsychologische Untersuchung objektivierte diesen Eindruck, auch eine veranlasste Computer-Tomografie erbrachte Hinweise auf eine Atrophie, so dass klar wurde, dass sie den Aufgaben, die sich ihr stellten, nicht gewachsen war.
Zunächst einmal ist das Erstgespräch selbst der Ort diagnostischer Erkenntnisse. Die Frage nach Symptomen, Beschwerden sowie deren Folgen, ergänzt durch die Frage nach Kompetenzen, wird immer ein wesentlicher Teil im Erstinterview sein. Allerdings werden wir unsere diagnostischen Schlussfolgerungen nicht allein auf die Auskünfte gründen, die der Ältere uns erteilt. Das Erstgespräch bietet Gelegenheit, diese Auskünfte in der Gesprächssituation selbst zu überprüfen oder zu ergänzen. Durch die Beobachtung des
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Klienten/Patienten gewinnen wir ein unmittelbares Bild von seiner Persönlichkeit, seinen Einschränkungen, aber auch Möglichkeiten. In einer stationären Behandlung kann dieses Bild durch Beobachtungen im Stationsalltag ergänzt werden. Oftmals gelangen wir dadurch zu einer anderen Einschätzung der Beschwerden und Symptome, die der Ältere selbst in seiner Schilderung häufig abschwächt. So war es auch bei Frau A., die ihre Defizite überspielte und ihre Scham darüber zu verbergen suchte. Schließlich verkompliziert sich die Situation durch die enge Verflechtung psychischer, sozialer und körperlicher Prozesse, die den Alternsprozess kennzeichnen. Das hohe Ausmaß an komorbiden Störungen oder die Problemkumulation, wie sie beispielsweise bei Frau A. anzutreffen ist, führt zu einer oft schwer zu durchschauenden Situation. Der Prozess der klinischen Urteilsbildung ist also mit erheblicher Unsicherheit behaftet und wir sind gut beraten, unterschiedliche Quellen heranzuziehen. Die ergänzende Einbeziehung fremdanamnestischer Informationen, sei es von Angehörigen oder insbesondere auch von den behandelnden Ärzten, die den Älteren meist schon lange kennen, ist somit meist unverzichtbar. Als weitere Quelle für diagnostische Informationen können psychologische Testverfahren eingesetzt werden, für zunehmend mehr Testverfahren liegen inzwischen auch Normwerte für Ältere vor (Übersicht Gunzelmann 2005). Folgende Verfahren können zur Erfassung von Beschwerden, Symptomen sowie Persönlichkeit und Selbstbild verwendet werden: – NAI (Nürnberger Alters-Inventar):enthält Kurzfragebögen zum Altersbild, Lebenszufriedenheit usw. (Oswald u. Fleischmann 1995). – Gießen-Test: Selbstbildfragebogen, der sechs Skalen zur Beschreibung des Selbstbildes auf psychodynamischer Basis umfasst (Beckmann et al. 1983; Normwerte für Ältere Gunzelmann et al. 2002). – SF-36: Fragebogen, der den Gesundheitszustand und die Gesundheitswahrnehmung in 36 Items erfasst und auch für Ältere geeignet ist (Bullinger u. Kirchberger 1999). – SCL-90: Symptom-Checkliste von Derogatis, die neun Skalen zur Erfassung der psychischen Symptomatik enthält (deutsche Version Franke 1995; Normwerte für Ältere Hessel et al. 2001).
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– Gießener Beschwerdebogen: erfasst auf fünf Skalen die körperlichen funktionellen Beschwerden (Brähler u. Scheer 1995; Normwerte für Ältere Gunzelmann et al. 1996). – GDS (Geriatric Depression Scale): 30 Items umfassende Skala zur Abschätzung einer Major Depression (deutsche Version Bach et al. 1995). Zur Aufgabe der Statusdiagnostik gehört bei Älteren auch die Einschätzung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit. Zwar tritt von vielen Älteren beklagte Vergesslichkeit meist im Rahmen einer Depression auf, dennoch ist damit der Beginn einer demenziellen Entwicklung keineswegs ausgeschlossen. Können solche Einbußen im Kontakt beobachtet werden, wie es bei Frau A. der Fall war, ohne dass der Klient/Patient sie selbst benennt, sind diese Hinweise besonders ernst zu nehmen. In neuerer Zeit ist die Früherkennung demenzieller Prozesse zu einem bevorzugten Forschungsthema geworden und die leichten kognitiven Beeinträchtigungen, das heißt Einbußen, die unterhalb einer Demenz bleiben, als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. Es liegen ausreichend Befunde vor, die ein deutlich erhöhtes Risiko nachweisen, nachfolgend an einer Demenz zu erkranken (Zaudig 1995). Zur Abklärung solcher Defizite können heute zunächst psychologische Testverfahren eingesetzt werden; erst wenn sich hier Anhaltspunkte für Defizite zeigen, sollte eine eingehendere Demenzdiagnostik durchgeführt werden, bevorzugt in den vielerorts eingerichteten Gedächtnissprechstunden. Folgende Tests für ein Kurzscreening oder für eine umfangreiche neuropsychologische Diagnostik kommen in Frage: – MMS (Mini-Mental-State): sehr grobes, verbreitetes Kurzscreening zur Abschätzung einer Demenz, das eher zur Verlaufsdiagnostik geeignet ist (Folstein et al. 1990), heute allerdings stark kritisiert wird (Wegener 2003). – SIDAM: strukturiertes Interview für die Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ, der Multi-Infarkt- (oder vaskulären) Demenz und Demenzen anderer Ätiologie (Zaudig u. Hiller 1996). – NAI (Nürnberger Alters-Inventar): enthält Kurzfragebogen und Tests zur Abklärung der kognitiven Leistungsfähigkeit wie den
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Zahlen-Verbindungs-Test oder den Zahlen-Symbol-Test (Oswald u. Fleischmann 1995). – Wechsler-Gedächtnistest: umfangreiche Batterie von Tests insbesondere zur Prüfung des episodischen Gedächtnisses; die älteste Gruppe, für die Normwerte vorliegen, ist die von 65 bis 74 Jahren (Hörting et al. 2000). Die Schwierigkeiten in der Bewertung der gewonnenen Informationen und der Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind, sind aber noch auf ein anderes Problem zurückzuführen. Im ärztlichen und psychotherapeutischen Bereich müssen die diagnostischen Informationen anhand der vorliegenden Klassifikationssysteme (ICD, DSM) verschlüsselt werden. Dabei stehen wir vor dem Problem, dass diese Systeme zu wenig auf Ältere bezogen sind, so dass es oft schwer fällt, ausreichend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer bestimmten Diagnose zu finden (Maerker 2002b). So ist etwa nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich verschiedene Störungen im Alter wandeln und eher somatisch ausdrücken können, wie beispielsweise Depressionen oder Ängste, aber auch Persönlichkeitsstörungen, deren Erscheinungsformen sich ebenfalls wandeln (Heuft 2001; Abrams 2000). Diese Problematik wird jetzt zur Kenntnis genommen, so dass auf eine baldige Lösung zu hoffen ist. Vorerst ist der Diagnostiker darauf angewiesen, sein Wissen um die Krankheitsbilder Älterer zugrunde zu legen und die Klassifikationssysteme flexibel anzuwenden (hierzu ausführlicher Maerker 2002b). Auch für eine psychosoziale Beratung oder Therapie ist eine sorgfältige körperliche Diagnostik im Vorfeld unerlässlich. Die Abgrenzung einer organmedizinischen von einer psychosomatischen oder psychischen Symptomatik ist im Einzelfall oft schwer zu treffen. Körperliche Erkrankungen können sich in einer Art und Weise äußern,dass sie bei Unkenntnis als Ausdruck eines psychischen Problems fehlgedeutet werden können. Häufig ist kaum zu entscheiden, ob ein geschildertes Symptom psychischen oder körperlichen Ursprungs ist. Schwindel kann beispielsweise im Rahmen von Panikattacken auftreten, aber ebenso als vom Ohr ausgehender Schwindel diagnostiziert werden, der auf eine altersbedingte Ver-
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änderung des Vestibularsystems zurückgeht. Ein medizinisches und geriatrisches Grundwissen ist deshalb auch für den Berater/Therapeuten unerlässlich, um Krankheitsbilder einschätzen, Vorbefunde verstehen und mit ärztlichen Kollegen kommunizieren zu können. Für die Durchführung einer Beratung oder Therapie sind allerdings meist die Krankheitsfolgen, das heißt die funktionellen Einschränkungen, wichtiger als die Krankheit selbst. Einige Skalen dienen der Abschätzung der funktionellen Einschränkungen sowie der Pflegebedürftigkeit: – Geriatrisches Basisassessment: umfasst die zwei nachfolgend aufgeführten und weitere Skalen und Kurztests zur Erfassung des körperlichen, kognitiven und psychischen Zustands (Arbeitsgruppe Geriatrisches Assessment 1995). – ADL-Skalen: erfassen den Bereich der unmittelbar auszuführenden Alltagstätigkeiten (activities of daily living) (Maerker 2002b). – Barthel-Index: Screening zur Erfassung körperlicher Einschränkungen und Hilfsbedürftigkeit (Mahoney u. Barthel 1965; vgl. Sommeregger 2003). – PBV-Skala: Kurzskala zur Erfassung der Pflegebedürftigkeit und Pflegeversorgung (Linden et al. 1998). Schließlich ist als weitere Ebene die soziale Diagnostik von Bedeutung. Für deren exakte Beschreibung kann das ICIDH-2 (neuerdings ICF) herangezogen werden. Diese von der WHO verabschiedete Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Beeinträchtigung eines Menschen geht von einem Behindertenbegriff aus, der auf ein Zurechtkommen in der sozialen Realität abzielt. Er berücksichtigt Krankheitsfolgen, die sich in einer Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe eines Menschen in einem Lebensbereich niederschlagen. Für diese Formen der Beeinträchtigung liegt eine umfangreiche Taxonomie vor. Auch wenn dieses Modell von Behinderung von großem Wert ist, so hat es doch bislang nicht die Verbreitung gefunden wie die auf die Krankheit selbst bezogenen Klassifikationssysteme (ICD und DSM). Es wird sich zeigen, ob dieses System in Zukunft nicht doch mehr Bedeutung erlangen wird, weil sich die Auffassung von Behinderung als Nicht-Passung
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von Person und Umwelt gut auf ältere Menschen übertragen lässt. Vorerst wird die soziale Diagnostik meist beschreibend bleiben und sich auf die sozialanamnestischen Angaben stützen. Zur Unterstützung können folgende Fragebögen eingesetzt werden: – Situation und Lebenszufriedenheit im Alter (Adler et al. 2000). – Soziale Aspekte bei Diagnostik und Therapie hochbetagter Patienten (Nikolaus et al. 1994).
Den Älteren verstehen – Einen Fokus bilden Im letzten Abschnitt wurde das objektivierende, distanzierende Vorgehen beschrieben, das erforderlich ist, um Informationen zu sammeln und diese zu einer Diagnose zusammenzuführen. Aus einer solchen Statusdiagnostik lassen sich jedoch nur begrenzt Veränderungsmöglichkeiten ableiten. Diese sind eher aus einer psychodynamischen Betrachtungsweise zu gewinnen. Gleichermaßen stehen wir vor dem Problem, die Fülle des Materials, das sich uns zu Anfang darbietet, zu reduzieren und einen Schwerpunkt festzulegen. Nichts anderes ist zunächst einmal mit Fokus gemeint, der einem Brennglas gleich den Arbeitsschwerpunkt heraushebt. Wie aber kann ein solcher Fokus gefunden werden? Hierfür finden sich in der Literatur zur Fokal- oder Kurztherapie sowie zur fokusorientierten Beratung unterschiedliche Vorschläge (Grünzig u. Meyer 1978). Auf der einen Seite ist damit eine möglichst genaue Beschreibung und Eingrenzung des Symptombereichs oder des Problems auf phänomenologischer Ebene gemeint. Auch wenn dies zunächst selbstverständlich erscheinen mag, so zeigt sich doch, dass gerade bei Älteren oft eine Vielzahl von Symptomen und Problemen vorliegt, die nicht alle gleichzeitig betrachtet werden können, so dass ein Schwerpunkt gesetzt werden sollte. Eine entgegengesetzte Auffassung darüber, worauf sich ein Fokus beziehen sollte, wurde insbesondere von Klüwer (1995) vertreten. Er ist der Auffassung, dass im Fokus die zentrale unbewusste Dynamik des Patienten erfasst sein sollte, das heißt, hier sollte eine Hypothese über die unbewusste Ebene der Motivationen und Bedeutungen formuliert werden. Lachauer (1992) hat nun den Vorschlag ge-
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macht, beide Positionen zu verbinden. Er nennt zwei Zentrierungsschritte: Im ersten Schritt wird auf die wichtigsten Symptome und bewusst wahrgenommenen Probleme zentriert, im zweiten auf die unbewusste Dynamik. Der Fokus solle dann eine Verbindung zwischen dem aktuellen Hauptproblem sowie den unbewussten Hintergründen herstellen. Lachauer schlägt hierzu eine »weil«-Formulierung vor, das heißt, im zweiten Satzteil wird eine erklärende Hypothese über das im ersten Satzteil benannte Problem formuliert. Die getroffene diagnostische Aussage oder Ortung des aktuellen Entwicklungsstandes des Klienten/Patienten wird also hypothetisch zu ergründen versucht. Das Wörtchen »weil« kann dabei sowohl die Frage nach dem erklärenden »Warum« als auch die nach dem »Wozu« beantworten. Einerseits kann es auf die biografische Vergangenheit (»weil damals«) zurückführen, es kann auf Probleme in der Gegenwart (»weil jetzt«) aufmerksam machen, oder es kann auf die Zukunft (»weil in Zukunft«) verweisen. Hier geht es also um gefürchtete Folgen oder noch nicht vermutete Möglichkeiten. Die Nützlichkeit einer solchen Fokusformulierung liegt auf der Hand. Der Inhalt des ersten Satzteils kann gut mit dem Klienten/Patienten besprochen werden und somit zur Entwicklung und Festigung der Behandlungsmotivation und des Behandlungsbündnisses beitragen. Der zweite Satzteil enthält eine Arbeitshypothese und gibt eine Suchrichtung an. Er übernimmt eine orientierende Funktion und dient als technisches Hilfsmittel, um die Fülle des Materials selektiv zu sichten. In Institutionen kann ein Fokus die Zusammenarbeit und Koordination unterschiedlicher therapeutischer Ansätze erleichtern. Allerdings werden sicherlich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. In einer Beratung, bei der Sach- oder Entscheidungsfragen im Vordergrund stehen, wird unter Umständen der erste Teil des Fokus mehr Beachtung finden, in einer Psychotherapie, in der es mehr um das unbewusste Erleben geht, mehr der zweite Teil. Allerdings sollte weder in dem einen noch in dem anderen Fall der jeweils andere Teil des Fokalsatzes völlig außer Acht bleiben.
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Fallvignette 23: Das Gespräch mit der 71-jährigen Frau W. begann mit der Suche nach dem richtigen Sitzplatz. Der von mir angebotene Sessel war ihr zu tief und unbequem, mit dem Finger auf meine Schreibtischstuhl deutend fragte sie, ob sie dort sitzen könne. Doch dann hätte sie nicht nur auf meinem Stuhl Platz genommen, sondern auch höher gesessen als ich, was ich zu verhindern suchte. So bot ich ihr einen Platz auf meiner Couch an, die fester ist und auf der man weniger einsinkt, wo ich aber mit ihr auf gleicher Höhe sitze. Diese anfängliche Szene hatte in mir zunächst ein Gefühl erhöhter Achtsamkeit geschaffen, dass sich im Gespräch fortsetzte und verständlicher wurde. Frau W. zeigte keinen sichtbaren Leidensdruck und schilderte sehr beherrscht, dass vor einem dreiviertel Jahr an einem einzigen Tag zunächst ihr Mann und dann eine Tochter verstorben war, der sie besonders nahe stand. Sie war in die Klinik gekommen, weil sich die Umwelt große Sorgen um ihren Zustand machte und eine suizidale Gefahr wahrnahm, die von ihr selbst nicht zur Kenntnis genommen wurde. Ihre Trauer schien in einer Phase der Betäubung stecken geblieben zu sein, die ihr die Wahrnehmung des Geschehenen ersparte. Hierzu trug auch bei, dass sie mit dem Schwiegersohn, der im gleichen Haus wohnte, nach dem Tod der Tochter in einen heftigen Streit verfallen war. Es ging um das Erbe der Tochter, um angeblich gestohlenem Schmuck bzw. um Geld, das dieser entwendet habe. Sie ging morgens aus dem Haus und kam erst spät wieder, um ihm nicht zu begegnen. Diese heftige Auseinandersetzung schien zur Abwehr der Trauer beizutragen, so wie die Eingangsszene dazu geeignet war, die Oberhand und die Kontrolle über mich zu gewinnen. Lebensgeschichtlich schilderte sie, dass der Vater im Krieg war und sie mit 7 Geschwistern mehr oder weniger als Straßenkind aufgewachsen war. Auch ihr Mann schien wenig Einfluss auf sie gehabt zu haben, und sie hatte sich ihrer Unabhängigkeit und Beweglichkeit immer wieder durch intensiven Sport, den sie getrieben hatte, vergewissert. Sein Tod schien sie weniger berührt zu haben, während der Verlust der Tochter, mit der sie eine enge Beziehung verband, sie hart getroffen hatte. Ich fühlte mich zunächst einmal in meine Schranken verwiesen, um ihre Abwehr nicht zu gefährden, mit der sie sich schützte. Dahinter spürte ich jedoch ihr Leid, dass sie selbst nicht wahrzunehmen vermochte, da es sie zutiefst bedrohte. So, wie sie mit dem Schwiegersohn um das Erbe der Tochter kämpfte und dieser Kampf ihr half, den traumatischen Verlust zu überdecken, so rangelte sie auch mit mir um die Kontrolle über die Situation.
Zunächst einmal lässt sich die Fülle der Verluste und die zu vollziehende Trauerarbeit als Problem der Patientin beschreiben. Doch
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dies wäre noch relativ unspezifisch, man könnte das Problem auf die angespannte Beziehung zum Schwiegersohn eingrenzen, immerhin ist dadurch das Alltagsleben der Patientin deutlich beeinträchtigt. Er dient ihr als Projektionsobjekt, in ihm scheint sich das Gefühl des Bedroht- und Verfolgtseins zu konkretisieren, um es dort bekämpfen zu können. Doch welche psychodynamische Hypothese könnte damit verbunden werden? Im Erstgespräch entstand der Eindruck, dass sie sehr um Kontrolle bemüht ist, was in der Beziehung zum Therapeuten, in der Auseinandersetzung mit dem Schwiegersohn als auch in ihrer Selbstbeherrschung deutlich wurde, mit der sie das Geschehene schilderte. Indem sie um Kontrolle kämpft, kann sie sich kraftvoll fühlen und muss die Trauer und den Verlust nicht spüren. Sie gewinnt dadurch das Gefühl, dem Schicksal entgegenzutreten und ihm nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Dahinter könnte die Angst stehen, von der Trauer völlig überwältigt zu werden, wenn sie in diesem Bemühen nachlässt. Der Fokus könnte lauten: »Der Schwiegersohn ist für mich wie ein rotes Tuch, weil ich einen Drang verspüre, zu kämpfen, denn ich habe Angst, sonst von der Trauer überwältigt zu werden und dem dann aufkommenden Gefühl völlig ausgeliefert zu sein. Kämpfen gibt mir das Gefühl, das Leben kontrollieren zu können und nicht der Willkür des Schicksal ausgeliefert zu sein.« Eine psychodynamische Hypothese, wie sie im zweiten Halbsatz formuliert wird, kann aus einer Zusammenschau der lebensgeschichtlichen Hinweise, des Eindrucks aus der unmittelbaren Begegnung mit dem Patienten sowie der diagnostischen Befunde gewonnen werden. Besonders aufschlussreich ist häufig die Identifizierung der auslösenden Situation, die in zeitlich engem Zusammenhang zum Beginn der Krise oder Erkrankung steht. In dieser Situation kulminierte eine Entwicklung, verdichtete sich der innere Konflikt und überschritt eine Schwelle, die zur Dekompensation führte. Oft wird diese nicht vom Klienten/Patienten benannt, so dass wir darauf angewiesen sind, sie aus der Gesamtdarstellung zu erschließen. Schlüsselworte, also besonders markante, auffallende Formulierungen, sind oft als Hinweise zu verstehen und bieten Anknüpfungspunkte, in denen sich das Verdrängte andeutet. Es ist aber nicht immer die offensichtliche Situation, die eine krank-
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heitsauslösende Wirkung hat. Manchmal sind es die scheinbaren Nebensächlichkeiten, denen in der Psychodynamik eine große Bedeutung zukommt, so wie bei dem folgenden Patienten. Hier ist es weniger der Tod der Ehefrau, den er nicht zu bewältigen vermag, sondern danach offensichtlicher werdende Entwicklungsängste und -hemmungen, die in einer scheinbar alltäglichen Situation virulent werden. Fallvignette 24: Der 59-jährige Herr B., Berufsmusiker, hatte vor 3 Jahren seine Frau verloren. Er sei immer ein unsicherer, zögerlicher Mensch gewesen, seine Frau hingegen sei entscheidungsfreudig gewesen und habe zu Hause den »Taktstock« in der Hand gehabt. Nach ihrem Tod habe er sich vorgenommen, sich nicht mehr so »deckeln« zu lassen, sondern mehr eigene Stärke zu entwickeln. Er hatte bereits bald nach dem Tod seiner Frau eine neue, sehr viel jüngere Lebensgefährtin gefunden, wofür ihm von den eigenen Töchtern Vorhaltungen gemacht wurden. Den zwölfjährigen Sohn der Lebensgefährtin erlebte er als schwierig, ihn ärgerte es beispielsweise, wenn dieser bis spätabends fernsah und die Mutter ihn gewähren ließ. So suchte er die Konfrontation mit dem Jungen, um sich seiner neuen Durchsetzungsfähigkeit zu vergewissern. Dieser ließ sich davon wenig beeindrucken, wodurch sich Herr B. umso mehr verunsichert fühlte und rasch zu der Vorstellung Zuflucht suchte, doch eigentlich ein gutmütiger und nachsichtiger Mensch zu sein. Er litt nicht in erster Linie am Tod seiner Frau, sondern daran, dass danach entstandene Entwicklungsambitionen nicht ohne weiteres zu realisieren waren, wie die kleine Szene offenbarte. Vielmehr sah sich Herr B. unverhofft mit seiner eigenen neurotischen Gehemmtheit konfrontiert, die er doch nach dem äußeren Verlust zu überwinden gehofft hatte.
Nun lässt sich einwenden, dass wir uns mit den bisherigen Überlegungen zur Formulierung eines Fokus zu sehr auf die konfliktbelasteten oder pathologischen Bereiche der Persönlichkeit des Klienten/Patienten konzentrieren. Die Literatur zur Behandlung Älterer durchzieht nämlich die Forderung, die gesunden Anteile nicht außer Acht zu lassen und vorhandene Ressourcen zu fördern. Wir sollten immer das Ziel der gesunden Weiterentwicklung des Patienten im Auge haben, und zwar auch dann, wenn es uns vornehmlich um die Konfliktklärung geht. Fürstenau (1992) hat diesen Gedanken explizit in seine Überlegungen einbezogen. Er
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schlägt eine bifokale Orientierung vor und meint damit, neben dem konfliktorientierten Fokus, wie oben beschrieben, einen zweiten Fokus zu formulieren, der auf die Entwicklungsziele des Klienten/Patienten gerichtet ist. Die therapeutische Arbeit wäre dann als ein Oszillieren zwischen beiden Foki gekennzeichnet und gewissermaßen als dialektische Aufgabe zu verstehen. Der Berater/Therapeut sollte diesbezüglich einen »doppelten Blick« entwickeln, also einerseits die Pathologie des Klienten/Patienten im Auge haben, aber ebenso die gesunden, entwicklungsbezogenen Anteile (Morgenthaler 1978; Fischer 1998; Peters 2002).
Den Weg abstecken – Indikationen, Ziele und Pläne Zur Abklärung der Indikation werden die auch für andere Altersgruppen gültigen Indikationskriterien herangezogen und durch einige weitere Aspekte ergänzt. Das Alter allein gibt dabei nur wenige Hinweise, zeigt doch die gerontologische Forschung, dass die Unterschiedlichkeit Älterer nur in kleinerem Ausmaß durch das chronologische Alter zu erklären ist. Wichtiger sind der Gesundheitszustand (Multimorbidität), die Intaktheit der Ich-Funktionen, das Vorliegen eines kognitiven Abbaus sowie eine erhalten gebliebene Flexibilität und Plastizität. Von besonderer Bedeutung ist auch die Dauer der Krise oder Erkrankung. Schon Abraham, Psychoanalytiker und Zeitgenosse Freuds, hatte darauf hingewiesen, dass das Alter der Neurose wichtiger sei als das Alter des Patienten (Abraham 1919; vgl. auch Radebold 1990). Entscheidend wird sein, ob es uns gelingt, Voreingenommenheiten zu überwinden und individuelle Indikationsentscheidungen zu treffen. Wir sollten dabei der großen Unterschiedlichkeit älterer Menschen Rechnung tragen, um zu einer Passung zwischen Klient/Patient und Angebot zu gelangen. Der Berater/Therapeut sollte sich flexibel auf die individuellen Möglichkeiten des Klienten/Patienten einstellen. Dies betrifft sowohl sein eigenes therapeutisches oder Beratungshandeln als auch die Auswahl geeigneter Behandlungsmaßnahmen. Eine wesentliche Frage richtet sich darauf, ob eine konfliktbearbeitende Beratung/Therapie indiziert ist. Ältere erscheinen häufig
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anfangs durchaus interessiert und motiviert, doch diese Motivation basiert eher auf der Erwartung konkreter Hilfe und Unterstützung. Sie verbinden mit Beratung/Therapie meist nicht die Vorstellung einer Bearbeitung von Konflikten. Dem liegt nicht allein eine Unkenntnis über die Arbeits- und Wirkungsweise von Psychotherapie zugrunde, sondern auch eine bei Älteren geringere Bereitschaft, über Konflikte zu sprechen (Lehr 2000). Empirische Studien zeigen eine stärkere affektive Kontrolle sowie die Tendenz zur Bagatellisierung negativer Aspekte in zwischenmenschlichen Beziehungen, um möglichen unliebsamen Auseinandersetzungen vorzubeugen (Magai u. Passman 1998). Stattdessen bringen sie ihren Unmut eher indirekt zum Ausdruck. Eine solche Konfliktbereitschaft oder -scheu sollte als Indikationskriterium mit herangezogen werden. Hinzu kommt, dass sie die Gründe ihrer Erkrankung weniger im Zusammenhang mit Konflikten als vielmehr im Rahmen eines »medizinischen Modells« sehen, das heißt auf einen krankhaften Prozess zurückführen. Häufig wird dabei auch das Alter selbst im Sinne einer Selbststereotypisierung als erklärende Größe herangezogen (Filipp u. Mayer 1999). Diese Überlegung ist insbesondere im Hinblick auf die Frage von Belang, ob eine Gruppentherapie indiziert ist. Eine solche Indikation sollte nur dann gestellt werden, wenn eine hinreichende Bereitschaft und Fähigkeit vorhanden ist, sich mit anderen auseinander zu setzen. Insbesondere in Institutionen werden Gruppentherapien oft bedenkenlos verordnet (Trilling u. Peters 2005). Dabei wird aber übersehen, dass viele Patienten nicht in der Lage sind, mit den damit verbundenen Anforderungen umzugehen. Strukturiertere Angebote, etwa Trainingsprogramme, sind für diese Patienten oft geeigneter. Des Weiteren ist die Indikation eng mit den Behandlungszielen verknüpft, die am Ende eines diagnostischen Prozesses zu formulieren sind. Dieser Aufgabe wird zunehmend mehr Bedeutung beigemessen (Heuft 1998). In der Behandlung Älterer geht es doch vielfach zunächst darum, Patienten für eine Behandlung zu gewinnen. Dabei kann die motivationsfördernde Wirkung von Zielen und der positive Einfluss im Hinblick auf die Entwicklung des Arbeitsbündnisses ausgenutzt werden. Aufgrund der begrenzten Lebenszeit haben Ältere ein Interesse, zu wissen, worauf sie sich ein-
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lassen und was von einer solchen Behandlung zu erwarten ist. Doch Ziele, die diese Funktion erfüllen, sollten Resultat eines gemeinsamen Such- und Klärungsprozesses sein. Dass die dabei geforderte Einfühlung des jüngeren Beraters/Therapeuten in die Situation des Älteren misslingen kann, zeigten Langkafel et al. (1997). Sie fanden bei einer Untersuchung von Therapiezielen, dass die Älteren selbst mit ansteigendem Alter mehr körperbezogene Ziele formulierten, was aufgrund des voranschreitenden Alterns auch plausibel ist. Demgegenüber wurden von den Therapeuten jedoch weniger körperbezogene Ziele formuliert, je älter die Patienten waren. Die Autoren ziehen daraus den Schluss, dass sich der jüngere Therapeut offenbar nicht in die Bedeutung des körperlichen Alterns hineinzuversetzen vermag, ja davon möglicherweise eine Bedrohung ausgeht, der er durch Verleugnung zu entgehen versucht. Dieser Befund ist deshalb so bedeutsam, weil die Übereinstimmung von Erwartungen und Zielen für den weiteren Prozess und das zu erwartende Ergebnis von erheblichem Einfluss ist, wie die Psychotherapieforschung überzeugend gezeigt hat (Strauß 1998). Es bedarf deswegen einer eingehenden Diagnostik – einschließlich einer Beziehungsdiagnostik – um zu Zielen zu kommen, die den Prozess tatsächlich befördern können. Nur dann können sie dazu beitragen, den Möglichkeitsraum zu öffnen und im Klienten/Patienten ein Hoffnungspotential zu wecken. Um welche Ziele kann es bei Älteren gehen? Natürlich geht es um individuelle Ziele, die die persönliche Situation des Klienten/Patienten widerspiegeln (Heuft 1998). Diese sollten im engen Bezug zur gefundenen psychodynamischen Hypothese und zum formulierten Fokus stehen. Soweit die Ziele im Kontext einer Entwicklungsaufgabe angesiedelt sind, bietet gerade dieses Konzept eine hilfreiche Orientierung. Therapieziele können dann in Form von Entwicklungsaufgaben beschrieben werden, die gewissermaßen als Taxonomie hierfür betrachtet werden können. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die therapeutische Zielvorstellung sowohl eine Auseinandersetzung mit Defiziten und altersbedingten Einschränkungen als auch mit Fähigkeiten und Ressourcen umfassen sollte – das heißt, es sollten Gewinne und Verluste berücksichtigt werden. Indem beides im therapeutischen Prozess zu einer inte-
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grierten Gestalt zusammenwachsen kann, entsteht ein neues inneres Gleichgewicht. Bei der Therapiezielformulierung ist immer wieder kritisch zu fragen, ob sich in ihnen normative Wertungen und vorgefertigte Altersbilder wiederfinden. Überragende und übergeordnete Bedeutung kommt zweifellos dem Ziel der Selbstständigkeit und Autonomie zu, was auch in den gesetzlichen Grundlagen der Rehabilitation und Pflege zum Ausdruck kommt. Doch in einer Beratung/Therapie stellt sich das Problem manchmal etwas anders dar. Die Autonomie ist im hohen Alter durch Gebrechen und chronische Erkrankungen in besonderer Weise bedroht, so dass manche Ältere, wie um dem vorzubeugen, ihre Unabhängigkeit besonders betonen. Die Autonomie in Beratung und Therapie zu fördern und Vorsorge zu treffen, dass der Ältere so lange wie möglich in Selbständigkeit leben kann, ist zweifellos ein übergeordnetes Ziel. Manchmal gefährdet eine unbeirrte und starrsinnige Betonung dieser Selbständigkeit diese selbst. Hörgeräte oder Gehhilfen werden häufig deswegen abgelehnt, weil sie eine vermeintliche Abhängigkeit zum Ausdruck bringen. Die Einschränkungen in realistischer Weise zur Kenntnis zu nehmen und zu lernen, die erforderliche Hilfe anzunehmen, ist oft jedoch notwendig, um ein selbständiges Leben zu erhalten. Hilfen abzulehnen und allein die Unabhängigkeit zu betonen, wird oftmals mit Stärke, Jugendlichkeit und Aktivität verknüpft. Entsprechend wird es hoch bewertet, spiegeln sich darin doch auch Werte unserer Gesellschaft wider, denen gegenüber sich der Ältere als defizitär erlebt. Das Ziel der Behandlung muss dann eher darin bestehen, diesen Aspekt eines jugendzentrierten, idealen Selbst zu überprüfen und die Abhängigkeitsscham zu überwinden, um die entlastende Hilfe und Unterstützung annehmen zu können. Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass der Ältere nicht nur einen Wunsch nach Selbständigkeit hat, sondern ebenso nach Bindung, Nähe und sozialer Bestätigung. Häufig ist es deshalb wichtiger, die soziale Einbindung und Beziehungskompetenz des älteren Menschen zu verbessern. Das in der Familientherapie verwendete Konzept der »relationalen Autonomie« sieht diese in einen Kontext von Beziehungen eingebettet und lässt sich gut auf ältere Menschen beziehen.
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Fallvignette 25: Die 78-jährige Frau P. kam aus einer geriatrischen Klinik in die gerontopsychosomatische Rehabilitation. Sie war wegen eines Schmerzsyndroms, einer Gangunsicherheit und erheblicher Gewichtszunahme behandelt worden. Frau G. hatte zeitlebens allein gelebt, nie eine längere Beziehung gehabt und war als Zahntechnikerin einem angesehenen und lukrativen Beruf nachgegangen. Sie war viel gereist und ihre Unabhängigkeit entsprach ihrem Selbstkonzept, an dem sie bis jetzt unbeirrt festhielt. Trotz der Gangunsicherheit lehnte sie einen Rollator ab und auch andere Hilfen wies sie immer wieder zurück. So war mit ihr verabredet, dass sie nach einer Anwendung in der Physiotherapie abgeholt wird. Dessen ungeachtet trat sie den Weg allein an, stürzte an der nächsten Treppe, zog sich dabei Schürfwunden und Rippenbrüche zu und befand sich danach in einer akuten Verwirrtheit. Erst nach diesem Erlebnis war sie bereit, mehr Hilfe anzunehmen und ihre eigene Haltung zu hinterfragen.
Den Prozess gestalten – Entwicklungen in Gang bringen Den Prozess beginnen – Wie können Ältere motiviert werden? Die Einschätzung der Motivation des Klienten/Patienten ist sicherlich eine wichtige Aufgabe im Erstgesprächs, deren Förderung kann sich jedoch unter Umständen über einen längeren Zeitraum hinziehen. Vornehmlich geht es darum, einen skeptischen älteren Klienten/Patienten für eine Beratung oder Therapie zu gewinnen und in ihm die Bereitschaft zu fördern, sich zu öffnen und auf einen Selbsterfahrungsprozess einzulassen. Dies hat zur Voraussetzung, Motivation weniger als Eigenschaft der Person denn als ein Prozessmerkmal zu sehen, das sich entwickeln kann. Der Klient/ Patient ist sich keineswegs immer hinreichend über die eigene Motivation im Klaren. Seine verbale Bekundung im Hinblick auf sein Interesse an einer Beratung/Therapie ist zwar ernst zu nehmen und gibt wichtige Aufschlüsse, dennoch spielen oft weitere Aspekte eine Rolle. Handelt es sich um eine akute Krise, liegt die Antwort auf die Frage, warum der Klient/Patient jetzt kommt, auf der Hand. Oft aber ist dem bereits ein längerer Prozess vorausgegangen, so dass gerade die Antwort auf diese Frage wichtige Aufschlüsse im Hinblick auf die Motivation und einen sich möglicherweise zuspitzen-
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den Konflikt gibt. Zunächst gilt es, den Zuweisungskontext genauestens nachzuvollziehen, das heißt zu klären, wer die Beratung/ Therapie angeregt und unter Umständen beantragt hat. Dabei ist von besonderem Interesse, inwieweit der Ältere selbst beteiligt war oder ob er sich geschickt oder gar gedrängt fühlt (Peters 2000). Die gesamten Umstände sollten genauestens zur Sprache kommen und die einer skeptischen Einstellung zugrunde liegenden Bedenken, Ängste oder Schamgefühle so gut wie möglich verstanden werden. Die Frage, ob der Klient/Patient gern gekommen ist, enthält die Erlaubnis, das eigene Unbehagen und die Skepsis zu äußern. Indem wir versuchen, die Gründe zu verstehen, die einer mangelnden Motivation oder einer Gegenmotivation zugrunde liegen, haben wir die Chance, diese aufzulösen. Für die klinische Arbeit ist eine weitere Unterscheidung hilfreich, die Argelander (1970) getroffen hat. Er beschreibt, wie auf der bewussten Ebene ganz andere Kräfte wirksam sein können als auf der unbewussten Ebene. Wir sollten deshalb eine Einschätzung auf zwei Ebenen vornehmen: Einer »guten« bewussten Motivation, also einer scheinbaren Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Mitarbeit, kann eine »schlechte« unbewusste Motivation entgegenstehen, die die Behandlung zum Scheitern bringen kann. Umgekehrt kann einer »schlechten« bewussten Motivation eine »gute« unbewusste Motivation entgegenstehen, die sich im Lauf der Behandlung durchsetzt. Natürlich ist die Situation einfacher, wenn beides übereinstimmt. Finden wir auf beiden Ebenen eine »schlechte« Motivation vor, dürfte eine Behandlung schwierig werden oder kaum möglich sein, liegt auf beiden Ebenen eine »gute« Motivation vor, ist das Gegenteil der Fall. Die klinische Erfahrung zeigt, dass bei Älteren im Gegensatz zu Jüngeren die Gruppe derer größer ist, die mit einer skeptischen Einstellung und mit Vorbehalten kommen, unter der jedoch eine latente »gute« Motivation vorhanden ist, die es freizulegen und zu wecken gilt (Peters et al. 2000). Fallvignette 26: Die im Folgenden geschilderte 78-jährige Patientin war mit der Diagnose einer Polyneuropathie (entzündliche Erkrankung der peripheren Nerven) mit phobischer Gangstörung aufgenommen worden, die laut neurologischem Befund durch die Polyneuropathie nicht ausreichend zu erklären sei. Deshalb war eine psychosomatische Behandlung
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veranlasst worden, der die Patientin ohne eigene Überzeugung zugestimmt hatte. Mit Hilfe eines Rollators war sie in der neurologischen Klinik mobilisiert worden, diesen brachte sie auch mit in die Klinik. Wir lernten eine etwas korpulente, pessimistische und dysphorisch gestimmte Patientin kennen, die den Eindruck erweckte, als verspreche sie sich nicht viel von der Behandlung. Im Erstgespräch erfuhr die aufnehmende Therapeutin von ihr, dass sie sich vor zehn Jahren einer Hüftgelenksoperation hatte unterziehen müssen, die komplikationsreich verlaufen war. Seitdem sei sie am Stock gegangen und habe Probleme beim Treppensteigen. Seit zwei Jahren nun hatte sie zunehmend Ängste beim Gehen sowie Schmerzen in den Beinen verspürt, was ihre Selbständigkeit mehr und mehr einschränkte. Sie hatte sich daraufhin von der Umwelt weitgehend zurückgezogen – in der Angst lebend, bettlägerig und pflegebedürftig zu werden. Am Ende des Gesprächs überraschte sie die Therapeutin mit der Bemerkung: »Müssen Sie das wirklich alles wissen?«
Die Patientin hatte keinerlei Erfahrungen mit oder Kenntnisse über Psychotherapie, so dass sie in eine für sie völlig neuartige und befremdliche Situation geriet. Die überraschende Äußerung am Ende des Gesprächs, warum denn die Therapeutin das alles wissen müsse, kann als vielschichtiger Kommentar zu dieser Situation gelesen werden (vgl. auch Peters et al. 2004). Zunächst einmal scheint die Äußerung ein Unbehagen zum Ausdruck zu bringen, so als fühle sie sich bedrängt und als widerstrebe es ihr, derartig viel von sich preiszugeben. Dennoch fühlte sich die Therapeutin nicht in Frage gestellt, sondern entwickelte zusätzliche Neugier und Interesse an der Patientin, was sie auch in einer freundlich-zugewandten Reaktion auf die obige Äußerung zum Ausdruck brachte. Diese Gegenübertragung lässt vermuten, dass die Aussage noch anders gelesen werden kann und einen weiteren, verborgenen Sinn enthält. So könnte sie auch als Frage danach verstanden werden, was hier eigentlich mit ihr geschieht; vielleicht auch als Missfallenskundgebung darüber, ohne weitere Aufklärung mit vielen Fragen konfrontiert und in eine Situation hineingezogen zu werden, die sie nicht selbst gewählt hatte. Dann ließe sich die Äußerung als Ausdruck des Wunsches lesen, mehr an der Gestaltung der Situation beteiligt zu werden, sich aus einer passiven Rolle befreien zu wollen, um sich gleichberechtigt erleben zu können. Weiter ließe
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sich mutmaßen, dass sie eigentlich keine grundlegenden Bedenken hat, sich zu offenbaren, ja dass sie darin für sich vielleicht sogar eine Chance sieht, aber um mehr Kontrolle über die Situation bemüht ist. Auch war davon auszugehen, dass es für die Patientin wie für viele Ältere keineswegs selbstverständlich ist, in derartiger Weise über sich zu sprechen, zumal zu einer Jüngeren. Dann aber lässt sich ein weiterer latenter Sinngehalt der Äußerung vermuten: Ist hier wirklich der Ort, an dem ich alles erzählen kann, kann ich der Therapeutin das anvertrauen und interessiert sie das tatsächlich? Man könnte darin eine versteckte, ängstliche Neugier vermuten, die zunächst auf Seiten der Therapeutin sichtbar wurde, bei der Patientin vorerst hinter einer missmutigen Fassade verborgen blieb. Der weitere Verlauf der Behandlung zeigte, das diese Neugier auch in der Patientin geweckt werden konnte. Dazu trug besonders die Tanztherapie bei, in der sie ihre Beziehung zum Körper verbessern und verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen konnte. Auch die Angst vor Abhängigkeit hatte sich reduziert, so dass sie sich bereits nach Möglichkeiten der Unterstützung erkundigt hatte. Es scheint, dass sich bei dieser Patientin die gute unbewusste Motivation im Laufe der Behandlung durchsetzte und die anfänglich Skepsis verdrängte. Franz (1997) hat in seiner Studie dem Faktor Kränkungsschutz eine besondere Bedeutung für die Entwicklung einer Psychotherapie- oder Beratungsakzeptanz zugesprochen. Der Schutz der narzisstischen Abwehr und die Sicherheit, nicht bloßgestellt zu werden, schaffe das Gefühl, vor Demütigung geschützt zu sein. Viele Patienten erleben es als beschämend, nach einem selbstständig geführten, unabhängigen Leben auf äußere Hilfe angewiesen zu sein. So war es bei Frau W., die dieses Gefühl hinter einer mürrischen und scheinbar desinteressierten Haltung verbarg. Fallvignette 27: Die 74-jährige Frau W. war bereits zweimal wegen schwerer Depressionen in der Psychiatrie behandelt worden, von dort aus war ihr eine Behandlung in der Rehabilitationsklinik nahegelegt und auch beantragt worden. Sie fühlte sich gezwungen und gab mürrisch zu verstehen, dass sie höchstens eine Woche bleibe. Zu den Mitpatienten fand sie zunächst keinerlei Kontakt, obwohl sie häufig angesprochen wurde und viele Angebote erhielt. Es zeigte sich, dass sie in ihrem Leben viel herumge-
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kommen war, sie hatte mehrere Jahre in Paris zugebracht, erst später ein Lehramtsstudium absolviert; eine längere Beziehung war sie nie eingegangen. Erst nachdem das Geschicktwerden zu ihrem Autonomiebedürfnis in Beziehung gesetzt und die damit verbundene Kränkung vor diesem Hintergrund verstanden werden konnte, fühlte sie sich wertgeschätzt und frei genug, sich auf eine intensive Behandlung einzulassen.
Den Dialog führen – Zum Lern- und Kommunikationsverhalten Älterer Das Lern- und Kommunikationsverhalten Älterer weist einige Besonderheiten auf, die den Umgang störanfälliger machen und Fortschritte behindern können. Die gerontologische Forschung hat längst das Vorurteil widerlegt, dass das Lernvermögen im Alter deutlich eingeschränkt ist. Allerdings gibt es eine Reihe von Unterschieden zwischen jüngeren und älteren Menschen, die der Berater/Therapeut in seinem Umgang mit dem Älteren und den Anforderungen, die er an ihn stellt, berücksichtigen sollte. Sich auf die Ergebnisse der Lernforschung stützend hat Lehr (2000) einige im Hinblick auf Interventionen relevante Faktoren zusammengestellt. – Zu schnelles Sprechen behindert Ältere mehr als Jüngere. Bei Eliminierung des Zeitfaktors nivellieren sich Altersunterschiede in der Lernleistung. – Bei Älteren sind in der Regel mehr Wiederholungen nötig, um den gleichen Stand zu erreichen. – Schlechtere Lernleistungen bei Älteren sind oft nicht Zeichen beeinträchtigter Lernprozesse, sondern von Unsicherheit, die einer Reproduktion des bereits Gelernten entgegensteht. Lernprozesse bei Älteren sind insgesamt störanfälliger. – Ältere lernen leichter, wenn der gebotene Lehrstoff übersichtlich gegliedert ist, also einen geringeren Komplexitätsgrad aufweist. – Die Aufmerksamkeitsspanne ist bei Älteren reduziert. – Ältere haben mit Jüngeren vergleichbare Lernleistungen, wenn ihnen sinnvolles Material angeboten wird, bei sinnlosem Material fällt ihre Lernleistung ab. Daraus folgt die Notwendigkeit
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von Transparenz und der Erläuterung, warum etwas gelernt werden soll. – Die Lernleistung Älterer wird weniger durch den Altersfaktor, sondern stärker durch andere Faktoren beeinflusst: den Begabungsfaktor; das »Aus-der-Übung-sein«, sich mit Neuem zu befassen; Gesundheitsbeeinträchtigungen, die Lernen behindern sowie den Motivationsfaktor, das heißt eine fehlende innere Bereitschaft. – Lernen ist zunächst nur in dem Bereich effektiv, in dem es stattgefunden hat, die Transferleistung ist geringer. Die genannten Faktoren sollten im Hinblick auf einen gelingenden Dialog beachtet werden. Dies gilt nicht nur für ambulante Angebote, sondern auch für Institutionen, in die Ältere aufgenommen werden sollen. Dort summieren sich am Anfang zahlreiche negative Faktoren: Verunsicherung durch die neue Umgebung, eine Fülle neuer Informationen gleichzeitig, ein hoher Komplexitätsgrad der Informationen und unter Umständen eine geringe Transparenz. Demzufolge ist es sinnvoll, Informationen nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich zu übermitteln und für einen klar strukturierten und gegliederten Ablauf zu sorgen. Ein altersgerechter Rahmen erleichtert den Anfang und verhindert emotionale Spannungen oder gar einen Rückzug, durch den sich der Ältere vor der Scham zu schützen sucht, die er als Folge seiner Schwierigkeiten, sich nicht zurechtzufinden, fürchtet. Die Rahmenbedingungen vermitteln aber auch eine implizite Botschaft, der Ältere entnehmen, ob sie sich aufgenommen und integriert erleben können, oder ob sie unerwünscht sind und auf mangelndes Interesse stoßen. Die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen ist ein erster Schritt hin zu einem gelungenen Dialog. Doch damit sind lediglich Voraussetzungen geschaffen, was ist darüber hinaus zu beachten, um die Schwierigkeiten, die den Alltagsdialog zwischen Jüngeren und Älteren oftmals kennzeichnen, zu vermeiden? Ryan et al. (1995) haben einige Schlussfolgerungen aus der bereits dargestellten Kommunikationsforschung im Hinblick auf eine gelungene Kommunikation in einem professionellen Kontext gezogen.
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– Vermieden werden sollte eine stereotype Wahrnehmung des Älteren. Nur dann können die individuellen Fähigkeiten, Erwartungen und Ressourcen des Patienten ins Blickfeld rücken und ein überangepasstes Verhalten – vor allem der sekundäre »Babytalk« – vermieden werden. Überangepasstes Verhalten kann zu einer Minderung des Selbstwertgefühls des Klienten/Patienten, aber ebenso zu Unzufriedenheit beim Behandelnden führen. – Das Interesse und die Bereitschaft des Beraters/Therapeuten, den Kontakt zu vertiefen, sollte ersichtlich werden, eine Haltung völliger Anonymität ist wenig förderlich. Eine empathische, nichtdirektive Gesprächshaltung trägt zur Entwicklung des Kontaktes bei. Fragen sollten hingegen auf ein Minimum reduziert werden, weil sie von dem ausgehen, was der Fragende hören möchte. Sie können den Älteren veranlassen, die Informationen zu liefern, die der Fragesteller schon implizit vorgibt, um dessen Akzeptanz zu finden. Dann schaffen sie ein Klima der Unterlegenheit, und unbewusst kann sogar ein Gefühl entstehen, wie ein Kind behandelt zu werden (Giordano 2000). Eine Haltung des Respekts dem Älteren gegenüber ist aber unerlässlich. – Ältere neigen zwar in Alltagssituationen zu unterangepasstem Verhalten, in hierarchischen Situationen scheuen sie sich jedoch häufig, ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen zu äußern oder aktiv an der Entscheidung über die zu wählende Therapie mitzuwirken. Sie sollten deshalb ermuntert werden, Fragen zu stellen und eigene Vorstellungen zu äußern. Außerdem sollten ihnen ausreichend Informationen angeboten werden, um die Meinungsbildung zu unterstützen. Der Ältere ist dann nicht mehr Objekt unseres Handelns, sondern Partner in einem gemeinsamen Prozess. – Indem sich der Berater/Therapeut um eine individuelle Wahrnehmung bemüht, erhält der Ältere die Chance, seinerseits ein defensives Kommunikationsverhalten zu reduzieren. Er kann damit seine Kompetenzen zum Tragen bringen, muss aber auch eventuelle Defizite nicht leugnen. Eine solche Feed-back-Schleife erhöht nicht nur die Zufriedenheit des Klienten/Patienten, sondern auch die des Beraters/Therapeuten.
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Beispielhaft wird ein Dialogausschnitt vorgestellt, in dem das Lebensalter thematisiert wird. P: »Also, Sie sind ja noch sehr jung.« B/T: »Ja, der Altersunterschied ist sicherlich recht groß, und vielleicht sind Sie da unsicher, ob ich Sie wirklich in dem verstehen kann, was Ihnen zu schaffen macht.« P: »Na ja, vom Älterwerden sind Sie ja noch weit entfernt.« B/T: »Sie fragen sich, ob wir hier die Distanz überwinden können, die unser unterschiedliches Lebensalter schafft.«
Berater/Therapeuten fühlen sich durch die Thematisierung des Lebensalters häufig verunsichert, sie haben das Gefühl, als ob dadurch ihre Kompetenz angezweifelt wird, und reagieren manchmal auch barsch oder verärgert. Sie kommen in Rechtfertigungsnöte oder pochen auf ihre Professionalität (»Ich habe schon so viele Ältere gesehen.«). Wenn wir jedoch genau hinschauen, ist es die Unsicherheit des Klienten/Patienten, die dieser zum Ausdruck bringt und die vom Berater/Therapeuten in dem kurzen Dialogausschnitt angesprochen wird. Er nimmt dieses Gefühl ernst, leugnet keineswegs die Relevanz des kalendarischen Lebensalters und bringt implizit seine Bereitschaft zum Ausdruck, die Distanz zu überwinden. Der Blick wird dadurch auf mögliche Beziehungswünsche und -ängste, aber auch auf die Frage nach der Bedeutung des Älterwerdens gerichtet. Es gibt keine eindeutigen Regeln, wie Jüngere mit Älteren kommunizieren sollten. Ein gelingender, Vertrauen schaffender Dialog kann sich dann entwickeln, wenn der Klient/Patient den Berater/ Therapeuten als »wirkliches Gegenüber« erlebt. Damit meint Winnicott (1984), dass der Therapeut sich innerlich berühren lässt, erreichbar und in der Lage ist, in »annehmender Passivität«, so Winnicott, die Gefühle von Schmerz, Angst, Scham und Hilflosigkeit zu ertragen. Indem er diesen Gefühlen nicht ausweicht, sondern sie aushält und in sich aufnimmt, kann er sie stellvertretend für den Klienten/Patienten verarbeiten. In dieser Modellfunktion erweist sich der Berater/Therapeuten als abgegrenzt und in sich gefestigt und ermöglicht es dem Klienten/Patienten, sich seinerseits diesen Gefühlen zu stellen, um sie ertragen und verarbeiten zu lernen.
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Nur so kann es gelingen, dass die schmerzvollen Erfahrungen in das eigene Selbst integriert werden, werden doch solche Erfahrungen dann belastend, wenn sie keinen angemessenen Ort in der inneren Welt finden können, weil sie unfassbar und unbegreiflich scheinen (Auchter 1995).
Veränderungen bewirken – Deuten, fördern und handeln Ich habe bereits eingehend erörtert, wie die Beziehung zwischen Berater/Therapeuten und Klienten/Patienten zum Gelingen der Beratung/Behandlung beiträgt. Indem wir uns um einen reflektierten Dialog bemühen, sorgen wir für die Entstehung einer positiv erlebten Beziehung. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für einen Veränderungsprozess geschaffen, der jedoch allein daraus noch nicht zustande kommt. Hierzu bedarf es zusätzlich der methodenspezifischen Interventionstechniken. Nur wenn beides zusammenwirkt, wird es zu den gewünschten Veränderungen kommen. Fallvignette 28: Die 65-jährige Frau G., die wegen Angstzuständen und Panikattacken behandelt wurde, hatte in der Klinik an einem Schwimmkurs teilgenommen und auf diesem Wege Schwimmen gelernt. Nun berichtete sie, am letzten Sonntag die Messe besucht zu haben. In einer Kirche aber war vor fünf Jahren erstmals eine Angstattacke aufgetreten, kurz nachdem die Mutter verstorben war. Zu dieser hatte sie zeitlebens eine schwierige Beziehung. Die Mutter war sehr fromm gewesen und hatte die letzten Jahre ihres Lebens ein einem Altenheim verbracht, das einem Kloster angegliedert war. Frau G. berichtete, sie habe sich in der Messe an den äußersten Rand der Bank gesetzt, dabei aber zunächst nicht bedacht, dass ja weitere Leute kommen könnten. Die ersten habe sie vorbeigelassen, als dann die nächsten kamen, sei sie einfach weitergerückt und habe sich gesagt: Da paddelst du da oben (gemeint ist die Klinik) im Wasser herum, da wirst du es wohl auch in der Kirche aushalten. Die Patientin konnte der Messe bis zum Ende angstfrei beiwohnen. Sie hatte offenbar die Erfahrung des Schwimmens übertragen und in sich das Vertrauen schaffen können, auch in anderen Situationen nicht unterzugehen. Auch hatte sie die Erfahrung gemacht, im Alter Neues erlernen zu können, und dadurch eine selbstbewusstere und aktivere Haltung entwickelt.
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Bei Frau G. war offensichtlich ein Prozess in Gang gekommen, der zu einer Verinnerlichung der Erfahrungen geführt hatte, die sie in der Klinik hatte machen können und die sie in andere Situationen einzubringen vermochte. Das neu entstandene Vertrauen zu sich ermöglichte ihr einen Schritt, der ihr zuvor nicht gelungen war. Doch ein solcher Schritt der Verinnerlichung basiert nicht allein auf einer emotionalen Erfahrung, sondern auch auf der damit verknüpften Auseinandersetzung mit den inneren Konflikten. So hatte Frau G. sich intensiv mit dem Tod der Mutter und der ambivalenten Beziehung zu ihr beschäftigt und dadurch aus der pathologischen Trauerreaktion herausgefunden. Es hatte also bereits ein innerer Prozess stattgefunden, der sich auf der Basis einer hilfreichen Beziehung entwickelt und zu neuem Vertrauen zu sich selbst und zu anderen geführt hatte. Wie aber kann eine solche Auseinandersetzung vorangebracht werden? Das wichtigste Mittel in der psychoanalytischen Therapie, Veränderungen herbeizuführen, ist die Deutung. Deuten heißt, auf etwas hinzuweisen, das bisher am Rande des Blickfeldes lag. Dadurch wird zusammengefügt, was bisher getrennt war, einzelne Elemente werden zu einem Gesamtbild integriert, dieses Gesamtbild wiederum lässt einzelne Elemente in neuem Licht erscheinen. In diesem Prozess wird den Dingen eine neue oder doch veränderte Bedeutung verliehen. Im psychotherapeutischen Kontext gewinnen Deutungen ihre spezifische Bedeutung dadurch, dass sie sich auf psychische Prozesse, Konflikte, Gefühle oder Phantasien beziehen, um diese der bewussten Reflexion zu unterziehen. Deutungen dienen also dazu, verborgene Bedeutungen zu erhellen, damit Veränderungen möglich werden. Psychische Veränderungen beruhen nach diesem Verständnis auf einer Veränderung von Bedeutungen. Beziehen sich die Deutungen nun auf die psychischen Inhalte selbst, spricht man von Inhaltsdeutung, wird hingegen in der Deutung die Übertragungsbeziehung angesprochen, von Übertragungsdeutung. Beide, Inhalts- und Übertragungsdeutung, können sich sowohl auf das gegenwärtige Erleben als auch auf einen biografischen Kontext beziehen (Überblick Thomä u. Kächele 1985). So fruchtbar die Arbeit mit Deutungen sein kann, ist doch zu berücksichtigen, dass viele Ältere es kaum gewohnt sind, ihre Ge-
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fühle und Phantasien genauer zu beobachten und über innerseelische Zusammenhänge nachzudenken. Werden diese nun angesprochen, reagieren manche zwar erleichtert, dass etwas Worte findet, das sie bisher nur erahnten, doch manch einer reagiert auch irritiert oder gekränkt und kann nur schwer den Sinn und Nutzen einer Äußerung verstehen, die auf etwas abzielt, dass außerhalb seines bisherigen Wahrnehmungshorizontes liegt. Dies ist besonders dann zu erwarten, wenn wir unsere Deutungen auf die Beziehung selbst richten. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Bedeutung, die wir der Beziehung selbst beimessen, keineswegs von den Älteren geteilt wird. Für sie steht im Vordergrund, eine Entlastung von Symptomen oder Problemen zu erfahren, sich besser zu fühlen und mit dem Leben wieder besser zurechtzukommen. Es ist also ein behutsamer und sorgfältiger Umgang mit dieser Art der Interventionstechnik erforderlich, um die Neugier auf sich selbst zu wecken. Keineswegs sollte jeder Gedanke, der dem Therapeuten einfällt, gleich in eine Deutung umgesetzt werden. Vielmehr kommt es ganz wesentlich auf den richtigen Zeitpunkt der Deutung an. Nur wenn der Patient die innere Bereitschaft und Offenheit besitzt, eine Deutung aufzunehmen, kann sie hilfreich werden. Außerdem sollte sie immer so formuliert sein, dass sie als Angebot zu verstehen ist, ein Problem zu betrachten, keineswegs aber als Feststellung. Aber noch aus einem anderen Grunde ist ein zurückhaltender Umgang mit Deutungen empfehlenswert, wurde diese Interventionstechnik doch in einem bestimmten Behandlungssetting, nämlich der hochfrequenten Psychoanalyse, entwickelt. Auch wenn sie sich in diesem spezifischen Setting besonders bewährt hat, so ist daraus nicht zu schließen, dass ihr in einem anderen Setting der gleiche Stellenwert zukommt. Eine liegend durchgeführte Psychoanalyse wird für Ältere nur in wenigen Fällen in Frage kommen, in der Praxis des Psychotherapeuten hat sich die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mehr und mehr als Standardverfahren etabliert. Ging man lange davon aus, dass es sich dabei gewissermaßen um eine »kleine« Analyse handelt, wird heute die Eigenständigkeit dieses Verfahrens mit einer eigenen Behandlungstechnik betont. Wenn wir die immer wieder gestellte Forderung ernst nehmen, aktiver auf Ältere zuzugehen und sie direk-
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ter anzusprechen, um sie in einen therapeutischen Prozess zu involvieren (Radebold u. Schlesinger-Kipp 1982), dann finden wir hier eine Reihe von Anregungen, die diese Forderung mit Inhalt füllen (Ermann 2004). Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie arbeitet zwar auch mit Deutungen, die Behandlungstechnik geht jedoch weit darüber hinaus, so dass wir ein größeres Arsenal an Möglichkeiten vorfinden und eine größere Flexibilität an den Tag legen können, die es erleichtert, auch solche Patienten zu erreichen, die ansonsten kaum von einem solchen Vorgehen profitieren könnten. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist durch ein aktiveres Ansprechen und Zugehen auf den Patienten gekennzeichnet. Das Prinzip der Abstinenz, das vom Therapeuten Zurückhaltung hinsichtlich eigener Interessen und Stellungnahmen verlangt, wird durch eine selektive Abstinenz ersetzt, das heißt, der Therapeut gibt sein Interesse am Patienten und dessen Entwicklung deutlicher zu erkennen. Auch kann er in begrenztem Maße eigene Gefühle oder Einstellungen zu erkennen geben. Ein solcher modifizierter Umgang mit der Abstinenzregel wurde schon lange zuvor für den Umgang mit Älteren gefordert, weil eine zu strikt eingehaltene Abstinenz von Älteren rasch als Ablehnung verstanden werden kann (Thilo 1979). Der Therapeut tritt somit weniger als Übertragungsobjekt, sondern mehr als sozialer Partner in Erscheinung. Das bedeutet nicht, dass Übertragung nicht stattfände, und es ist unerlässlich, diese immer wieder zu verstehen und zu reflektieren. Doch in der Handhabung bestehen keine Unterschiede zu Übertragungen, die sich im alltäglichen Leben vollziehen. Die sogenannten Außenübertragungen (vgl. Mertens 1990), die manche Alltagsbeziehung so konfliktreich werden lässt, sind vielmehr für die unmittelbare therapeutische Arbeit noch wichtiger als die Übertragungsbeziehung, die sich innerhalb der Therapie entwickelt. Diese wird weder gefördert, noch tritt sie sonst in besonderer Weise in den Vordergrund. Trotzdem bleibt sie ein wichtiges Erkenntnismittel, explizit angesprochen und gedeutet wird sie aber erst dann, wenn eindeutige Übertragungsreaktionen sichtbar werden und diese den Fortgang der Therapie behindern. In der Fülle der Interventionsmöglichkeiten, die in einer tiefen-
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psychologisch fundierten Psychotherapie angewandt werden und die über Deutungen weit hinausgehen, zeigt sich ein gewisser Eklektizismus (Ermann 2004), der in Beratungssituationen sicherlich noch ein Stück weiter gehen wird als in Therapieprozessen. Ermann führt folgende Interventionsmöglichkeiten an: Nachfragen, Klärungen, Ermutigung, Grenzsetzung, Ratschläge, Vorschläge und Anleitung. In dieser Breite werden auch die Grenzen zu anderen Therapieschulen durchlässiger, wie insbesondere bei Fürstenau (1992) deutlich wird, der diese Interventionsmethoden vorschlägt: – Akzeptieren, Bestätigen; – Verstärken, Bekräftigen, Ermuntern; – Beschreiben, Fokussieren, konfrontierendes Hervorheben, Akzentuieren, Modellieren; – In-den-Zusammenhang-Stellen, Umdeuten, Interpretieren; – Deklarieren einer Werthaltung; – Aufgaben-Stellen; Veranlassen, etwas Bestimmtes zu tun; Fragen. Zum Teil lassen sich in diesen Kategorien Interventionsformen erkennen, wie sie in der kognitiven Verhaltenstherapie – etwa dem Sokratischen Dialog – zur Anwendung kommen (Wilken 1998), zum Teil aber auch – und darauf bezieht sich Fürstenau vornehmlich – in der systemisch-lösungsorientierten Beratung und Therapie (van Schlippe u. Schweitzer 1999). Diese Interventionsformen sind geeignet, Veränderungs- und Entwicklungsprozesse direkt zu fördern und zu unterstützen. Die Regression wird dadurch auf ein Maß begrenzt, wie es zur Wahrnehmung innerseelischer Prozesse erforderlich ist. Von Beginn an wird eine progressive, entwicklungsfördernde Orientierung beibehalten, eine Haltung also, die darauf abzielt, zu Lösungen zu kommen. Es wird nicht allein auf die Pathologie und die zugrunde liegenden Konflikte fokussiert, sondern darauf geachtet, die gesunden Anteile stärker zu fördern. Auch innerhalb einer psychoanalytisch orientierten Psychotherapie werden heute in stärkerem Maß die progressiven Entwicklungsschritte gefördert, indem etwa durch positive Deutungen produktive Ich-Prozesse oder der fruchtbare Gebrauch von Objekten hervorgehoben wird (Treuerniet 1994).
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Verbunden damit ist die Notwendigkeit, gewonnene Einsichten oder ein modifiziertes Lebenskonzept in die alltägliche Lebenswelt zu transferieren. In der stationären Behandlung ist dies integraler Bestandteil; dem Patienten bietet sich hier ein soziales Feld mit hohem Aufforderungscharakter, in dem er leichter zu motivieren ist, neues Verhalten auszuprobieren. In der Beratung spielt eine solche Dimension ebenfalls eine Rolle. Lüders (1974) hat vorgeschlagen, aus Erkenntnissen Projekte im Sinne von Verhaltensentwürfen zunächst in der Vorstellung zu entwerfen. Dabei bietet sich die Möglichkeit, darauf bezogene Ängste zu eruieren, vorhandene Ressourcen zu mobilisieren und die Folgen zu bedenken. Folgte man Lüders, handelt es sich immer um Beziehungsversuche, bei denen der Klient/Patient sich entweder in einer aktiven Beziehungsgestaltung erprobt, Nähe herstellt und erlebt, oder aber Distanz zu ertragen und auf Bedürfnisbefriedigung zu verzichten lernt. Es handelt sich um Selbstversuche, um die Fähigkeiten des Ich auszuloten und zu testen, was ihm zuzumuten ist. Beispielsweise kann es darum gehen, dass sich der Ältere um neue Beziehungen bemüht und die bislang aufrechterhaltene Nähe zu den eigenen Kindern oder zum Ehepartner reduziert. Zweifellos bergen solche Versuche Risiken, und oftmals werden Widerstände sichtbar, die zuvor verborgen geblieben waren, nun aber vielleicht umso effektiver bearbeitet werden können. Die Veränderungen der Realität, die bei erfolgreichen Versuchen entstehen, sollten aber im Voraus bedacht werden.
Wissen vermitteln – Die gerontagogische Komponente Das Alter konfrontiert mit neuartigen Situationen, unbekannten Aufgaben und zuvor nicht erfahrenen Belastungen. Ein natürlicher Lernprozess unterbleibt oftmals, weil sich der Einzelne nicht mehr selbstverständlich in einem sozialen Bezugssystem eingebettet weiß, der ein naturwüchsiges Hineinwachsen in einen neuen Lebensabschnitt gewährleistet oder doch erleichtert. Unverzichtbares Wissen und notwendige Erfahrungen werden nicht mehr selbstverständlich tradiert, und Vorbilder, die Orientierung hätten ver-
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mitteln können, waren häufig nicht vorhanden. Indem ein solcher kontinuierlicher Prozess, den Lebenszyklus zu durchschreiten, außer Kraft gesetzt ist, findet auch keine Vorbereitung auf den neuen Lebensabschnitt statt. Das Alter hat dann den Ratsuchenden oft unverhofft erreicht und vor Probleme gestellt, auf die er in keiner Weise eingestellt war und für die er nicht ohne weiteres Lösungen zu finden vermag. In einer solchen Situation ist es ratsam, dieses Gewahrwerden des Alters aufzugreifen und die anstehenden Entwicklungsaufgaben genauer in Augenschein zu nehmen. Ein solcher Prozess der Auseinandersetzung umfasst auch den Erwerb von Wissen über die Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, und über Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Erst daraus resultiert die Möglichkeit der reflektierten Aneignung und Gestaltung des zukünftigen Lebens. Wissen kann dazu geeignet sein, in Krisensituationen, die oft Entscheidungssituationen sind, das Finden individuell passender Lösung zu erleichtern. Der Erwerb von Wissen kann dann eine notwendige und sinnvolle Ergänzung in Beratung und Therapie darstellen. Gerontagogik als die Pädagogik des Alters unterscheidet sich von der Pädagogik anderer Lebensphasen, geht es doch nicht um einen erzieherischen Einfluss, sondern vielmehr um eine Förderung der persönlichen Weiterentwicklung. Gerontagogik zielt auf die Unterstützung selbstgestalteter, aktiver Lernprozesse (Petzold 1985; Hoffmann-Gabel 2003; Maier u. Schmitt 1998). Insofern steht nicht die einfache Vermittlung von Wissen im Vordergrund, vielmehr soll dieses im Rahmen eines weiter gefassten Lernprozesses zugänglich gemacht werden. Traditionelle Kurse zur Altersvorbereitung, in denen allein Wissen vermittelt wird, haben sich als wenig geeignet erwiesen (Rosenmayr 1981). In einem stationären Setting können entsprechende edukative Einheiten eingeplant und in einer didaktischen Form gestaltet werden, die Ältere aktiv einbezieht. In Einzelberatungen oder -therapien kann Wissen an den Stellen vermittelt werden, an denen im Rahmen des Therapieprozesses der notwendige Selbstbezug gegeben ist und Wissensinhalte somit leichter aufgenommen und auf die eigene Situation bezogen werden können. An geeigneter Stelle kann auch Literatur empfohlen werden, die über Altersveränderungen informiert oder in eher
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literarischer Form die Selbstreflexion anregt (Bobbio 1997; Schönfeld 1997; Steinfeld 2001; Schlaffer 2003). Fallvignette 29: Der 59-jährige Patient befand sich in einer ausweglosen Situation. Seine Ehe war gescheitert, ohne dass er sich zu trennen vermochte, und beruflich befand er sich in einer Sackgasse, so dass er die baldige Berentung anstrebte. Er sah keine Zukunft für sich und war emotional unausgeglichen. In einem Gruppengespräch ging es um das Älterwerden. In einem regen Austausch sagte er, er wisse manchmal nicht, wohin er gehöre; er sei nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, manchmal fühle er sich wie damals als Jugendlicher, irgendwie dazwischenstehend.
Die Identitätskrise, in der sich der Patient aufgrund seiner persönlichen Situation befand, war in die Krise des Übergangs zum Alter eingebettet. Somit bot sich die Gelegenheit, die Bedeutung dieses Überganges zu reflektieren und zu bewältigende Entwicklungsaufgaben näher zu beleuchten. Über körperliche und kognitive Veränderungen sind oft wenige Kenntnisse vorhanden, notwendige Umstellungen in der Partnerschaft einschließlich der Veränderungen in der Sexualität sind ebenso häufig wenig bekannt. Entsprechendes Wissen kann eine Ich-stärkende Funktion haben und dem Patienten helfen, aus seinem »Moratorium« herauszufinden, um sich aktiver auf den neuen Lebensabschnitt hinzubewegen und sein Selbstbild zu modifizieren. Die Aufklärung über Risikofaktoren, über den Einfluss von Sport und Bewegung oder von Ernährung kann einer schicksalsergebenen Haltung entgegenwirken und das Gefühl der eigenen Einflussnahme stärken (Biener 1990). Mit dem Übergang in das vierte Alter, in dem Gebrechen und Einschränkungen meist zunehmen, stellen sich neue Fragen, mit denen der Patient in die Behandlung kommt. Gesundheitsbezogene Fragen wie auch Fragen nach möglicher Unterstützung und Unterbringung bei einsetzender Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit werden jetzt noch dringlicher gestellt. Die Angst vor dem Altenheim beruht häufig auf einer heute nicht mehr realitätsgerechten Sicht über unterschiedliche Wohnmöglichkeiten im Alter. Rechtliche Fragen, etwa im Zusammenhang mit Erbschaftsangelegenheiten oder Patientenverfügungen, erfordern häufig eine sachbezogene Beratung und die Vermittlung von Informationen. Doch
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neben diesen Fragen nach der konkreten Lebensgestaltung ist der Berater manchmal auch mit grundlegenden Fragen nach dem Lebenssinn und nach Tod und Sterben konfrontiert. Bei solchen Themen, die ansonsten in Beratungen kaum zur Sprache kommen, kann es erforderlich werden, aus der Anonymität der Beraterrolle herauszutreten und Stellung zu beziehen.
Den Blick nach außen richten – Notwendige Kooperationen Anlässe für Beratungen oder Kurztherapien gehen oft auf einen konkret fassbaren Konflikt mit der äußeren Realität zurück. Eine Reihe der von Fürstenau (1992) (siehe oben) aufgeführten Interventionsmöglichkeiten zielen auf die Auseinandersetzung mit dieser äußeren Realität ab. Dabei kann es darum gehen, mehr Flexibilität in der Interpretation der Realität zu erreichen und für diese unterschiedliche Deutungsmuster einzuführen. Insbesondere in einer angespannten Situation besteht die Tendenz, Geschehnisse subjektiv zu interpretieren und sich auf eine einmal gewonnene Sichtweise zu fixieren. Dann ist es notwendig, diese eingeengte und manchmal einseitige Realitätswahrnehmung aufzulockern und den Blick für neue Handlungsmöglichkeiten zu öffnen. So mag sich ein Älterer darüber beklagen, dass sich niemand um ihn kümmert, obwohl er regelmäßige Kontakte hat. Diese Wahrnehmungsverzerrung hat zwar in der Regel auch psychodynamische Gründe, dennoch sollte nicht darauf verzichtet werden, eine Wahrnehmungskorrektur herbeizuführen. Die Lebensrealität Älterer birgt jedoch häufig Schwierigkeiten, die allein durch eine veränderte Wahrnehmung nicht zu überwinden sind. Oft ist die Situation durch hohe Problemkumulation und eine größere Anzahl komorbider Erkrankungen gekennzeichnet. Diese soziale und körperliche Realität ist eng mit der psychischen Realität verknüpft, so dass ein weiter gefasstes Behandlungskonzept nötig ist. Schon Freud (1937) hatte darauf hingewiesen, dass in einem akuten krisenhaften Zustand alles Interesse des Ich von der schmerzhaften Realität in Anspruch genommen ist, das sich dann der Analyse verweigert. Solche krisenhaften Zuspitzungen
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können sowohl im sozialen Umfeld wie in Form körperlicher Erkrankung erfolgen. Günstige Voraussetzung bieten dann stationäre Behandlungen, etwa in einer psychosomatischen Klinik, in der die Behandlungsprogramme multimodal ausgerichtet sind und die psychotherapeutische Behandlung durch eine körpermedizinische und psychiatrische Mitbehandlung sowie durch sozialberatende, psychoedukative und rehabilitationsspezifische Angebote ergänzt wird (Peters 2000). In der ambulanten Praxis kann eine solche Kombination nur über Versorgungsketten hergestellt werden, die der komplexen Situation des älteren Menschen gerecht werden. Dies setzt für den Berater/Therapeuten die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ebenso voraus wie eigene Kenntnisse, um eine solche Kooperation zum rechten Zeitpunkt in die Wege leiten und sinnvoll gestalten zu können. Die Zusammenarbeit mit Ärzten ist erforderlich, wenn eine hohe körperliche Komorbidität (Multimorbidität) vorliegt oder eine psychopharmakologische Mitbehandlung erfolgt, die manchmal erst veranlasst werden muss. Grundkenntnisse in Psychopharmakologie und den Besonderheiten in der Anwendung bei Älteren sollten demnach auch beim Berater/Therapeuten vorhanden sein. Dies ist auch zu empfehlen, um die Wirkung von Medikamenten einschätzen zu können, sowie darauf hinzuwirken, die Compliance zu verbessern, wenn die verordneten Medikamente nur widerwillig eingenommen werden. Manchmal sucht der Ältere im Berater/ Therapeuten einen Verbündeten für eine Legitimation, die Medikamente abzusetzen. Psychopharmakologische Kenntnisse sind erforderlich, um selbst eine Einschätzung vornehmen zu können, auch wenn für die Verordnung allein der Arzt zuständig ist. Der Berater/Therapeut sollte in der Lage sein, zu erkennen, ob der Ältere unterdosiert, überdosiert oder falsch eingestellt ist. Eine voreilige Annahme, Ältere würden in der Regel überdosiert behandelt, ist nachweislich falsch. Bekannt ist allerdings, dass zahlreiche Ältere – meist von ihren Hausärzten verordnet – Benzodiazepine einnehmen, die ein hohes Abhängigkeitspotenzial aufweisen, obwohl neuere Antidepressiva die gleiche Wirkung haben, mit denen jedoch nicht das Risiko einer Abhängigkeit verbunden ist. Die Berliner Altersstudie hat gezeigt (Steinhagen-Thiessen u. Borchelt
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1995), dass ebenso viele ältere Patienten unter- wie überdosiert waren; von den depressiven Älteren erhielten nur 10 Prozent Antidepressiva. Eine enge Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern ist erforderlich, wenn eine äußere Notlage besteht, die nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Erhaltung der Selbstständigkeit gefährdet. Je nach Regressionszustand übernimmt der Sozialarbeiter eine HilfsIch-Funktion, um die soziale und materielle Realität in der notwendigen Weise berücksichtigen zu können (Radebold 1979; Karl 1993). Manchmal gilt es, ein ausgedünntes soziales Netz zu verstärken, wenn der Ältere dies aus eigener Kraft oder eigenem Antrieb nicht mehr schafft. Hilfen zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) können erforderlich sein, die der Ältere selbst bislang nicht in Anspruch genommen hat, obwohl sie ihm zugestanden hätten. Auch die Feststellung einer Pflegestufe, eventueller Betreuung oder Wohnberatung mit daraus folgender notwendiger Wohnraumanpassung sind häufige Fragestellungen. Unter Umständen steht aber auch ein Wechsel in ein betreutes Wohnen oder eine Pflegeeinrichtung zur Diskussion. In all diesen Fällen ist eine Sozialarbeiterin des Sozialamtes, eines anderen sozialen Dienstes oder einer Seniorenberatungsstelle hinzuzuziehen, die die Aufgabe des Case-Managements übernehmen kann und mit der es zu kooperieren gilt (Wendt 1997). Manchmal gehören zu der zu knüpfenden Versorgungskette weitere Disziplinen wie Ergotherapie oder Physiotherapie. Wir stoßen immer wieder auf Ältere, bei denen die soziale Situation vor der oder parallel zur psychosozialen Beratung oder Psychotherapie verändert werden sollte. Fallvignette 30: Die 63-jährige Frau F. kam in einem verwahrlosten Zustand in die Klinik. Die Haare waren lang, strähnig und ungewaschen, die Kleidung ungepflegt. Im Kontakt war sie befangen und distanziert, ihr Ausdrucksverhalten war spärlich und stumpf, die Schwingungsfähigkeit war weitgehend aufgehoben. In den ersten Tagen war sie auf konkrete Anleitung und Unterstützung angewiesen. Zu Hause war bereits eine Betreuung eingerichtet worden, der sogleich aufgenommene Kontakt mit der betreuenden Sozialarbeiterin offenbarte die desolate Situation: Sie lebte zurückgezogen und verwahrlost in ihrer Wohnung, die sie nicht mehr aufräumen und sauber halten konnte, Kontakte bestanden keine mehr. In die-
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sen Rückzug hatte sie sich nach ihrer Scheidung vor einigen Jahren und dem kurz danach erfolgten Tod der Mutter begeben. Ziel war nun zunächst, diesen regredierten Zustand aufzuheben. Vom Pflegepersonal wurden Maßnahmen zur besseren Körperpflege eingeleitet und ein Frisörbesuch organisiert. Das veränderte Aussehen setzte neue Kräfte in Frau F. frei und es wurden Ressourcen sichtbar, die – unterstützt durch eine psychopharmakologische Behandlung – zu einer erstaunlichen Veränderung der Patientin beitrugen. In mehreren, parallel zur psychotherapeutisch-psychosomatischen Behandlung geführten Gesprächen mit der betreuenden Sozialarbeiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes wurde die weitere Lebenssituation geplant, ein Umzug vorbereitet, die finanzielle Situation geklärt und Möglichkeiten der sozialen Einbindung gefunden.
Den Kreis erweitern – Zur Einbeziehung von Angehörigen Zu Beginn einer Beratung oder Therapie sollten die sozialen Beziehungen des Klienten genauestens erfasst werden, um abschätzen zu können, wie tragfähig und stabil oder lückenhaft, brüchig oder konfliktreich diese sind. Danach kann entschieden werden, ob und zu welchem Zweck Angehörige einbezogen werden sollten. Hierfür lassen sich drei Gründe anführen. Der erste Grund zeigt sich bereits bei der Aufnahme, wo es häufig sinnvoll ist, die Angaben des Klienten/Patienten fremdanamnestisch zu ergänzen oder zu überprüfen. Dies kann beispielsweise bei beklagten oder zu vermutenden kognitiven Einbußen ratsam sein, die häufig aufgrund einer »Demenz-Angst« fehlinterpretiert werden. In diesem oder in ähnlichen Fällen kann – mit Einverständnis des Patienten – ein Gespräch oder ein Telefonat zur Ergänzung des Bildes oder zur Abklärung diagnostischer Hypothesen geführt werden. Der zweite Grund, der im Lauf der Beratung oder Therapie Anlass geben kann, Angehörige zu Gesprächen einzuladen, ist in besonders belastenden und konfliktreichen Beziehungen zu sehen. Paarkonflikte können sich im Alter zuspitzen und eine Einbeziehung des Partners sinnvoll machen, eine ungewöhnliche Konstellation fand sich bei dem nachfolgend geschilderten Ehepaar.
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Fallvignette 31: Die 69-jährige Frau B. und der 74-jährige Herr B. schilderten, erst seit drei Jahren überaus glücklich verheiratet zu sein; immer wieder schauten sie sich während des Gesprächs an und fassten sich an die Hand. Sie hatten sich bereits als Jugendliche gekannt und zueinander hingezogen gefühlt, dann jedoch kriegsbedingt aus den Augen verloren. Schließlich hatte jeder sein eigenes Leben geführt, doch nachdem beide verwitwet waren, hatten sie im höheren Alter erneut zueinander gefunden. Herr B. litt an Prostatakrebs, und Frau B. fühlte sich so voller Angst und hatte so weit an Gewicht verloren, dass sie einen bedrohlichen Zustand erreicht hatte. Ich hatte die Phantasie, dass es sie gemeinsam mit ihren Mann in den Tod zog.
Herr und Frau B. wollten sich nicht trennen lassen und nur gemeinsam in die Klinik kommen. Nur unter dieser Voraussetzung bestand die Chance, Grenzen zu ziehen und die symbiotische Verschmelzung rückgängig zu machen. Bei anderen, alleinstehenden oder auch im Familienverband lebenden Älteren ist häufig die Sorge, die sich die Familie um den Älteren macht, ausschlaggebend für die Einleitung einer Therapie. Es besteht keineswegs immer ein Defizit an Unterstützung, sondern manchmal auch ein Übermaß, das die Abhängigkeit des Patienten unnötig verstärkt, anstatt mehr Selbstständigkeit zu fördern. Manchmal stellen Angehörige aus Unkenntnis, Unsicherheit oder auch aus Abwehrgründen, wenn Konflikte nicht deutlich werden sollen, zu viel Unterstützung bereit. Dahinter können sich Schuldgefühle, Wiedergutmachungswünsche oder die Hoffnung verbergen, nun doch noch die zuvor vermisste Anerkennung zu finden. Nicht zuletzt deshalb fühlen sich die erwachsenen Kinder, die die alten Eltern versorgen und sich um sie kümmern, oft abgelehnt. Angehörigengespräche können diese Beziehungsmuster aufdecken, sie eventuell korrigieren und eine realistischere Wahrnehmung der Möglichkeiten und Einschränkungen des Älteren zu gewinnen. Die verbesserte Wahrnehmung der Gedanken und Gefühle des anderen erlaubt dann eine bessere Regulation des eigenen Verhaltens und eine klarere Definition der unterschiedlichen Rollen in der Familie. Oft geben offene oder verdeckte Konflikte Anlass, eine Therapie einzuleiten, etwa dann, wenn sich ein Elternteil nach dem Tod des Partners hilfesuchend und übermäßig klammernd an die erwachsenen Kinder wendet, die
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sich dadurch überfordert fühlen. Häufig eskalieren allerdings in dieser Situation schon lang andauernde Beziehungskonflikte (Radebold u. Schlesinger-Kipp 1983). Häufig sind es dann unbewusst wirksame Delegationen oder Behandlungsaufträge, denen der Berater/Therapeut folgen soll (Weakland u. Herr 1984). Fallvignette 32: Der 76-jährige Herr B. wirkte körperlich sehr hinfällig. Vor einigen Jahren hatte er einen Schlaganfall erlitten, jetzt litt er an einer koronaren Herzerkrankung. Dennoch stand im Moment keine akute Erkrankung im Vordergrund, sondern es war der Eindruck entstanden, dass er sich hilflos gab und unentwegt Kontakt zu anderen suchte. Dieses hilflos-abhängige Verhalten hatte sich nach dem Tod der Ehefrau, die alles für ihn erledigt habe, vor einem halben Jahr verstärkt. Er berichtete, dass er ein Fuhrunternehmen betrieben hatte, das jetzt seine beiden »Jungs« weiterführten. Da er über dem Büro in einer Wohnung lebte, konnte er jeden Morgen zunächst einmal in den Betrieb gehen und nach dem Rechten sehen. Einerseits hatte diese Wohnlage so nah an seinem Lebenswerk eine narzisstisch stabilisierende Wirkung, andererseits nutzte er zweifellos die Situation, ständig im Kontakt mit anderen zu sein, weil er das Alleinsein nicht aushielt. Doch die »Jungs« waren davon weniger begeistert, völlig entnervt lieferten sie den Vater in der Klinik ab. Er habe zu Hause seiner Frau gewissermaßen einen Altar errichtet, damit sei jetzt Schluss. Kaum war der Vater aus dem Haus, hatten sie den Altar abgebaut. Sie lieferten ihn mit dem Kommentar ab, der Vater habe nichts und sei völlig gesund. Diese Situation wurde zunächst mit Herrn B. in vorsichtiger Weise besprochen, um Einsicht in die Schwierigkeiten herzustellen. In einem Angehörigengespräch ging es dann um Umgehensweisen und allgemeine Regeln des Zusammenlebens. Von Herrn B. wurde dabei erwartet, sich nicht mehr einzumischen, sondern die Selbstständigkeit seiner Söhne zu respektieren, andererseits wurde festgelegt, in welchem Zeitraum er sich in dem Betrieb aufhalten durfte und wie sich die Söhne um ihn kümmern sollten.
Ein Gespräch mit Angehörigen kann besonders zum Ende der Beratung/Therapie erforderlich sein, um das weitere Vorgehen mit den betroffenen Bezugspersonen zu besprechen. Eine solche Abstimmung mit den Angehörigen ist unbedingt erforderlich, um nicht gegen das System zu arbeiten. Es geht schließlich auch darum, das Unterstützungspotential und die -bereitschaft abschätzen zu können und die erforderliche Hilfe zu koordinieren. Dabei
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kann es sinnvoll sein, vorgesehene professionelle Helfer einzubeziehen, damit alle Beteiligten an einem gemeinsamen Tisch zusammenkommen und die professionelle und familiäre Hilfe aufeinander abstimmen können. Fallvignette 33: Die 76-jährige Frau U. kam aus dem Akutkrankenhaus, in dem sie aufgrund eines akuten Verwirrtheitszustandes, dem Verdacht einer Tablettenüberdosierung und verschiedenster körperlicher Erkrankungen gewesen war, in die Klinik. Sie war zunächst nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen oder allein ihr Zimmer zu verlassen. Bald erfuhren wir, dass sie aus einer desolaten Lebenssituation eingeliefert worden war. Allein eine Nachbarin und eine Enkelin kümmerten sich um sie, zu dem geistig behinderten Sohn hatte sie zuletzt den Kontakt verloren. In der Vorgeschichte lag eine langjährige Medikamentenabhängigkeit vor. Sie lebte allein in ihrer Wohnung, die jedoch weitgehend zugemüllt war. Frau U. stabilisierte sich bald körperlich und lernte wieder selbständig laufen, außerdem wurde sie sozial aktiver und fasste neuen Lebensmut. Da die Situation dennoch instabil war, fand eine große Konferenz statt, um das weitere Vorgehen zu klären: An dem Gespräch nahm von Klinikseite das Pflegepersonal, der Bezugstherapeut sowie die Sozialarbeiterin teil. Neben der Patientin waren von ihrer Seite die Enkelin und die Nachbarin sowie ein Rechtsanwalt anwesend, der bereits vor längerem die Betreuung in finanziellen Angelegenheiten übernommen hatte. Des Weiteren wurde ein sozialpsychiatrisch ausgerichteter Pflegedienst hinzugezogen, der vor allem die Medikamenteneinnahme überwachen und die Grundpflege übernehmen sollte. In dem Gespräch wurde ein Konzept abgesprochen, das weiterhin ein selbständiges Wohnen ermöglichen und eine Unterbringung in einem Pflegeheim verhindern sollte.
Den Prozess beenden – Dem Abschied entgegen Die Trennung naht – Dauer und Abschluss Beratung und Therapie können in der Dauer sehr variieren. Immer dann, wenn sich der Prozess über eine gewisse Zeit hingezogen hat und eine Beziehung entstanden ist, muss die Trennung frühzeitig angesprochen und reflektiert werden. Die Versuchung ist groß, dieses Thema, das archaische Verlustängste berühren kann (Luft
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2005a), auszuklammern, um sich in einer Phantasie von Unendlichkeit zu flüchten. Zeit, Endlichkeit, Abschied und Trauer sind Themen, die das bewusste oder vorbewusste Erleben des älteren Menschen beschäftigen und die in jeder Beratung/Therapie exemplarisch erlebbar werden. Die Verleugnung der Trennung bis kurz vor dem Ende kann aus einer gemeinsamen unbewussten Vermeidung der Wahrnehmung von Zeitlichkeit resultieren. Plotkin (2000) berichtet aus einer Befragung von Psychoanalytikern, in der ausnahmslos alle angaben, dass ihnen die Beendigung der Analyse bei älteren Menschen schwerer falle als bei Jüngeren. Diese Schwierigkeit mag mit einer besonderen Verantwortung gegenüber Älteren und Schuldgefühlen zu tun haben, die »Eltern« wegzuschicke und sie ihrem Schicksal zu überlassen, ja damit unbewusst vielleicht dem Tod preiszugeben. Doch es kann auch eine Reaktion auf die Anhänglichkeit des Älteren sein, die es schwer macht, ein Ende festzulegen. Im Erleben der Älteren selbst gewinnt die Beziehung zumindest dann, wenn sich der Therapieprozess über eine längere Zeit erstreckt hat, meist eine besondere Bedeutung – was umso eher der Fall ist, je mehr das soziale Netz bereits ausgedünnt ist. Das erinnert an die lang dauernde Beziehung mancher Älterer zu ihrem Arzt, die vielfältige Funktionen erfüllt und die sie nutzen, ein verborgenes Kontaktbedürfnis zu befriedigen. In eine ähnliche, Lebenssinn ersetzende Form der Beziehung kann auch ein Berater/Therapeut hineingezogen werden. Anders verhält es sich in stationären Behandlungen, wo aufgrund der Kürze der Behandlungszeit meist kein so intensiver Kontakt zustande kommt. Die Trennung von zu Hause fällt vielen Älteren schwer, weil sie eine enge Bindung zur gewohnten Umgebung entwickeln und die verbliebenen Bezugspersonen eine besondere Bedeutung erlangen. Außerdem kann die Angst hinzukommen, die angestammte, vielleicht ohnehin gefährdete Position in der Familie zu verlieren, so wie bei dem nachfolgend geschilderten Patienten. Diese Besonderheiten führen zu einer im Vergleich zu jüngeren Patienten meist kürzeren stationären Behandlungsdauer bei Älteren (Peters et al. 2002). Über die Behandlungsdauer im ambulanten Bereich liegen bisher keine Daten vor.
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Fallvignette 34: Der 63-jährige Herr H. litt unter starker innerer Unruhe, die ihn nicht schlafen ließ; das Krankheitsbild sprach für eine agitierte Depression. Seit einer Prostataoperation vor fünf Jahren war er impotent. Der Ausbruch der Erkrankung fiel zeitlich mit der Übergabe des landwirtschaftlichen Betriebes an seinen Sohn vor einem Jahr zusammen. Herr H. hatte sich vorgestellt, nun Zeit für Reisen zu haben, doch seine Frau war dazu nicht zu bewegen. Sie fuhr lieber über Land, um Eier zu verkaufen, und fand darin offenbar ihre Aufgabe und ihre sozialen Kontakte. Herr H. schämte sich seines Zustandes und hatte sich aus dem Dorf, in dem er lebte, weitgehend zurückgezogen; die Messe besuchte er nur noch im Nachbardorf. In der Klinik konnte er sich nicht einleben, er war unruhig, und es entstand der Eindruck, dass ihn die Sorge, nun vollständig seinen Platz zu Hause zu verlieren, mehr und mehr umtrieb. Schon jetzt schien das Leben dort ohne ihn seinen Gang zu nehmen und er fühlte sich nicht mehr gebraucht. Diese zunehmende Sorge trieb ihn bald wieder nach Hause.
Der bevorstehende Abschied muss auf jeden Fall rechtzeitig angesprochen werden, um die Ablösung allmählich vorzubereiten und zu vermeiden, eventuell vorausgegangenen schmerzlichen Verlusten einen neuen hinzuzufügen. Bei Älteren spielen in besonderer Weise Geschenke eine Rolle, denen Berater/Therapeuten in der Regel eher skeptisch gegenüberstehen. Im Normalfall sollten sie von Älteren angenommen werden, da eine Ablehnung als Kränkung und persönliche Zurückweisung erlebt wird. Ein Geschenk kann vielschichtige Funktionen in der Trennungssituation übernehmen. So ist es nicht nur Ausdruck der Dankbarkeit für die erfahrene Hilfe, sondern kann dem Älteren das Gefühl vermitteln, etwas zurückzugeben. Nach der erfahrenen Hilfe und der dadurch bedingten Unausgewogenheit von Geben und Nehmen kann so die Balance in der Beziehung wiederhergestellt werden. Der Ältere kann sich aus einem Gefühl der Unterlegenheit und Abhängigkeit von einem Jüngeren befreien und für sich das Gefühl gewinnen, nichts schuldig geblieben zu sein. Schließlich kann ein Geschenk aber auch das Gefühl der Trauer erträglicher werden lassen und die Trennung erleichtern, weil etwas Bleibendes hinterlassen wird, das die Endgültigkeit des Abschieds abmildert. Dabei ist zu bedenken, dass in dem Abschiedsprozess – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – all die Gefühle geweckt werden können, die mit einem
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Trauerprozess verbunden sind. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass frühere Trennungen erneut erinnert und schmerzlich erfahrene Verluste noch einmal erlebt werden. Ebenso wird die letzte Trennung, auf die der ältere Mensch hinlebt, nämlich der Tod, unbewusst angesprochen. Den Prozess des Abschieds durchzuarbeiten und in der Dialektik von Vergangenheit und Zukunft, von erlebten und zukünftigen Erfahrungen, zu verstehen, gewinnt somit eine über das Ende der Beratung oder Therapie hinausgehende Bedeutung.
Der vorzeitige Abschied – Zum Scheitern des Prozesses In der Psychoanalyse wird der Verlauf einer Behandlung, in der es zu keinem Fortschritt oder gar zu einem vorzeitigen Abbruch kommt, als negative therapeutische Reaktion beschrieben. In diesem Zusammenhang wurden eine Reihe von Einflüssen diskutiert, die eine Beratung oder Therapie zum Scheitern bringen können und von denen einige für die Arbeit mit Älteren eine besondere Bedeutung haben. Jede Veränderung im Leben geht auch mit Angst einher, jeder Entwicklungsschritt erfordert den Abschied von einem Lebensabschnitt und ein Hineinwachsen in zukünftiges Leben. Die Angst vor Abschied und Veränderung kann einen Fortschritt behindern und zu einem Festhalten an einengenden und belastenden Lebensverhältnissen führen. Auch das Negative kann ein Gefühl der Sicherheit, der Zuverlässigkeit und der Kontinuität verschaffen. Sich auf Veränderungen einzulassen, erfordert hingegen Abschied, Trennung und manchmal die Überwindung von Schuldgefühlen, die die eigene Entwicklung behindern. Ein solcher Schritt fällt Älteren oftmals schwer, da Bindungen bereits lebenslang bestehen und der ältere Mensch mit seinen äußeren Lebensverhältnissen, und seien sie noch so kläglich, oft fest verschmolzen ist. Sich auf Neues einzulassen, erfordert eine gewisse Risikobereitschaft und Neugier, die – so zeigt die gerontologische Forschung – im Alter geringer wird (Filipp 1996). Wir wissen heute um die Unterschiedlichkeit Älterer. So, wie wir auf diejenigen treffen, die sich bis ins hohe Alter Offenheit und Lernbereitschaft erhalten
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haben, finden wir die Älteren, die sich verschlossen haben und deren Abwehr so verkrustet ist, dass sie kaum mehr zu durchdringen ist. Diese Älteren weisen in ihrer Persönlichkeit eine Starre und Festgelegtheit auf, die umgangssprachlich als Altersstarrsinn – erstarrter Sinn – beschrieben wird. Wir müssen somit in Rechnung stellen, dass unsere Angebote auch scheitern oder die Erfolge doch bescheiden bleiben können. Wichtiger als diese überdauernden Widerstände sind die dynamischen Faktoren, die zum Scheitern führen können. Wir finden Ansatzpunkte, wenn wir versuchen, die Kränkungen und Ängste, die den Älteren davon abhalten, unser Angebot konstruktiv zu nutzen, und die Einflüsse, die ihn zur Zurückweisung und Entwertung unserer Bemühungen führen, zu verstehen. Die Lebensphase, in der sich ein älterer Mensch befindet, erfordert die Auseinandersetzung mit Zeit, und vielen Bemühungen liegt der unbewusste Wunsch zugrunde, das Voranschreiten der Zeit zu verhindern. Sich auf Veränderung und Entwicklung einzulassen bedeutet, den Verlauf der Zeit und damit auch den Tod anzuerkennen. Die Kluft zwischen dem chronologischen und dem imaginären Alter wird in der zweiten Lebenshälfte immer größer, und es dauert bis in die Mitte der siebziger Jahre, bis ältere Menschen bereit sind, sich selbst als alt zu bezeichnen (Kohli u. Künemund 2000). Ältere Menschen unterliegen der Tendenz, ihr Alter vor sich herzuschieben: Alt sind die anderen, nicht sie selbst. Das negative Altersbild erschwert zweifellos die aktive Aneignung des eigenen Lebensalters, es räumt dem Älteren wenig Spielraum ein, sich weiterzuentwickeln. Identifiziert sich der Ältere mit ihm, wird er sich eher in eine Haltung des Verzichts und des Rückzugs einrichten. Ein solches Bild erhält eine wichtige Funktion in der Identität des älteren Menschen, eine Distanzierung davon kann mit Schuld- und Schamgefühlen einhergehen. Meist trifft ein negatives Altersbild aber bereits auf ein negatives Selbstbild, an das sich der Ältere gebunden fühlt. Auch vergangene Bindungen und Loyalitäten können dazu beitragen, Veränderungen zu verhindern. So mag sich ein älterer Mensch nach dem Verlust seines Lebenspartners diesem doch über den Tod hinaus verbunden fühlen, so dass ihm eine Neugestaltung seines Lebens, ja vielleicht sogar ein Weiterleben nicht möglich ist; das
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Nachsterben des überlebenden Ehepartners ist dafür ein Beleg. Damit sind im Älteren Kräfte wirksam, die ihn an einer vergangenen Identität festhalten lassen, Kräfte, die gegen den Erfolg einer Therapie arbeiten, die dann gewissermaßen versandet und ins Leere läuft. Ein besonderes Rückzugsfeld bietet älteren Menschen der Körper, zu dem sie ein ambivalentes Verhältnis haben. Einerseits sind sie mehr mit dem alternden Körper beschäftigt und schenken ihm eine fortwährende Beachtung, andererseits erleben sie ihn als bedrohliches, ja feindseliges Objekt, das sie zu verlassen droht. In der Beratung/Therapie wird es erforderlich sein, dieses Verhältnis zum Körper zu verstehen. Viele Ältere bringen gerade das Körperliche bereits im Erstkontakt ein, der Körper wird zum »Testfeld« für die Beziehung. Fühlen sie sich hier nicht angenommen, kann die Beziehung rasch scheitern. Das Körperliche kann zum unüberwindbaren Hindernis werden, wenn der Körper zum medizinischen Objekt deklariert wurde, um das sich bereits verschiedene Ärzte bemüht haben. Ein dadurch unterstütztes Machbarkeitsdenken kann die Illusion genährt haben, das Alter sei abwendbar und die Wunden, die der alternde Körper bereits davongetragen hat, seien wieder rückgängig zu machen. Das medizinische Denken und die Fixierung auf medizinische Objekte – Hirsch (1994b) versteht darunter beispielsweise Ärzte, Untersuchungen und Medikamente –, die als mächtig phantasiert werden, werden durch immer wieder geweckte Hoffnungen auf eine »Reparatur« des Körpers verstärkt. Die Rückzugsmöglichkeit auf den Körper bietet dann einen Schutz, an dem Angebote, die das Erleben und Verhalten ansprechen, abprallen. Fallvignette 35: Bei dem 79-jährigen Patienten war vor fünf Jahren ein bösartiger Tumor an der Stimmlippe entfernt worden, danach sei ein Zwerchfellbruch festgestellt worden. Doch seit einem Jahr hatte er, ausgelöst durch eine Halsinfektion, dauerhafte Schmerzen, körperliches Missempfinden und Angst- und Panikattacken. Sein Denken war ganz auf diese körperlichen Missempfindungen eingeengt, immer wieder verlangte er neue Untersuchungen und neue Medikamente, die alle keine Linderung brachten; längst war von einer Benzodiazepinabhängigkeit auszugehen. Es gelang nicht, den Wahrnehmungshorizont zu erweitern und nach anderen
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Bedeutungen zu fragen. Den Tod seiner Frau vor einem Jahr habe ihm nichts bedeutet. Er lebte seit längerem mit seiner deutlich jüngeren Lebensgefährtin zusammen, die ihn jedoch zu verlassen drohte, weil sie sich durch ihn zunehmend eingeengt fühlte. Aus Unterlagen über seine Biografie ging hervor, dass er als 18-Jähriger der Waffen-SS beigetreten war und an der Belagerung Leningrads teilgenommen hatte, auch darauf war er nicht ansprechbar. Das, was ihn innerlich bedrängte, fand in sein Denken keinen Eingang und blieb somit der Phantasie des Therapeuten überlassen. Die Behandlung verlief weitgehend erfolglos.
Eine Behandlung kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn der Klient/Patient in seinen Übertragungswünschen Resonanz findet. Damit ist nicht gemeint, auf alle seine Wünsche einzugehen, wohl aber ihn in seinem Kummer, seinen Sorgen und seinem Wunsch, sich zu schützen, anzunehmen. Der Prozess scheitert, wenn der Berater/Therapeut nicht die hierzu erforderliche Empathiefähigkeit und -bereitschaft aufbringt. Ein solches Empathiedefizit korrespondiert oft mit einer eigenen Übertragungshaltung, die in die Begegnung mit dem Älteren hineinwirkt. Ängste vor dem Älterwerden können durch eine forcierte Betonung von Autonomie kompensiert werden, die auch an den Älteren herangetragen werden, durch die dieser sich jedoch überfordert fühlt. Außerdem können eigene unbewusste Wünsche nach idealen Eltern wirksam werden, nach denen der Berater den älteren Klienten formen möchte. Auch dann wird sich der Ältere nicht verstanden fühlen und sich zurückziehen. Selbst wenn die erforderliche Empathie vorhanden ist, kann sich der Berater einem Übertragungsanliegen gegenübersehen, das zur vorgefundenen Behandlungsrealität – insbesondere dem Alter des Beraters – in einem so krassem Gegensatz steht, dass eine damit verbundene Enttäuschung manchmal nicht aufgefangen werden kann. Fallvignette 36: Die 78-jährige Frau I. kam aus einer Universitätsklinik, an die sie sich wegen des dort tätigen berühmten Professors gewandt hatte. Sie schilderte, bereits in den 50er Jahren eine Psychotherapie bei einem damals berühmten Psychiatrieprofessor absolviert zu haben, obwohl dieser normalerweise keine ambulanten Patienten behandelt hatte. Einmal, so erzählte sie stolz, habe er sie sogar zum Essen eingeladen. Frau I. wollte, um aus einer unglücklichen Ehe zu entkommen, jetzt eigentlich zu-
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sammen mit einer Freundin ins betreute Wohnen ziehen. Der Umzug stand unmittelbar bevor, als die Freundin an Alzheimer erkrankte. Enttäuscht hatte Frau I. ihre Pläne aufgegeben und sich stattdessen im Haus eine eigene Wohnung im oberen Stockwerk eingerichtet und sich eine sündhaft teure Hi-Fi-Anlage gekauft. Damit hatte sie sich eine narzisstische Ersatzwelt geschaffen, während ihr die Angebote der Klinik als wertlos erschienen. Der jüngere männliche Therapeut blieb ebenso bedeutungslos wie der Ehemann. Enttäuscht reiste sie nach etwa zwei Wochen wieder ab.
Bei manchen Patienten wird die Ablehnung destruktiv aufgeladen und führt zu heftigen und kränkenden Entwertungen. In diesem Zusammenhang ist in der Psychoanalyse der Begriff des »destruktiven Narzissmus« verwendet worden. Damit verbunden sind Gefühle von Neid, Wut und Enttäuschung oder das Gefühl, zu kurz gekommen und um das eigene Leben betrogen worden zu sein. Das Destruktive wird dann auf den Berater/Therapeuten gerichtet, der nun nicht mehr als hilfreiches Objekt erlebt werden kann und entwertet wird. Zwar ist dadurch das eigene Selbst kurzfristig geschützt, doch längerfristig geht es daran zugrunde, weil die destruktiven Anteile die positiven immer mehr überlagern. Fallvignette 37: Die 63-jährige Frau R., die mit einer Depression und einer Angststörung in die Klinik kam, hatte bereits vor sieben Jahren eine Tochter infolge einer Krebserkrankung verloren. Vor einem dreiviertel Jahr war der Ehemann bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Die junge Frau, die den Unfall verursacht hatte, habe sich nie entschuldigt, bewege sich jetzt in ihrem Ort, als ob nichts geschehen sei. Frau R. hatte einen Traum gehabt, in dem sie eine junge Frau erwürgt hatte; morgens seien ihre Hände noch ganz steif gewesen, sie sei sehr erschrocken. Die jüngere weibliche Therapeutin geriet rasch in eine ausgeprägte negative Übertragung, die hier mobilisierte Enttäuschung, Wut und Neidgefühle ließen sich nicht bearbeiten und versetzten die Patientin in große Unruhe und Angst. Frau R. brach die Behandlung ab, auch einen vorgeschlagenen Therapeutenwechsel konnte sie nicht mehr akzeptieren.
Die geschilderte Patientin wirkte am Beginn der Behandlung durchaus motiviert. Sie schilderte, bereits an Trauerseminaren teilgenommen zu haben, die ihr sehr geholfen hätten, sie war also schon mit der Arbeit in Gruppen und der Auseinandersetzung mit
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Gefühlen vertraut. Dennoch entwickelte sich rasch eine Übertragung, die durch ihr traumatisches Erlebnis geprägt war und die Behandlung zum Scheitern brachte.
Die Zeit danach – Nachbehandlung und weitere Versorgung In der Vorbereitung des Beratungs- oder Therapieendes ist es wichtig, den Klienten auf die Anpassungskrise einzustellen, die häufig nach einer stationären Behandlung auftritt und auch nach Abschluss einer Beratung oder ambulanten Therapie zu erwarten ist. Leikert und Ruff (2003) fanden in ihrer Untersuchung nach der Entlassung aus einer psychosomatischen Klinik einen phasischen Verlauf. Zunächst tritt eine poststationäre Krise ein und erst danach ist zu ersehen, ob gefundene Einsichten im häuslichen Leben noch einmal durchgearbeitet und konstruktiv genutzt werden können. Bei Älteren ist zu berücksichtigen, dass Transferleistungen – so die Lernpsychologie – weniger gut sind und eine erreichte Besserung und gefundene Lösungen störanfälliger sind, beispielsweise durch neue Krankheiten oder Verluste. In unserer eigenen Untersuchung fanden wir in der poststationären Phase bei Älteren mehr negative kritische Lebensereignisse als bei Jüngeren, die tatsächlich das erzielte Behandlungsergebnis gefährdeten (Peters et al. 2002). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Älteren nicht sich selbst zu überlassen und wie bei Jüngeren darauf zu vertrauen, dass er schon seinen Weg gehen wird, sondern vorzusorgen und ihn einzubinden, um die Stabilität des Erfolges zu sichern. Eine Weitervermittlung sollte in möglichst verbindlicher Form geschehen, allgemeine Empfehlungen werden in der Regel kaum umgesetzt, wie entsprechende Untersuchungen zeigen (Franz et al. 1999). Zu warnen ist davor, den Patienten oder Klienten allein in die Obhut seines Hausarztes zu entlassen, auch wenn diese wichtige und dauerhafte Beziehung keineswegs gefährdet werden darf. Es geht darum, den Hausarzt nicht mit Erwartungen zu überfrachten, die dieser nicht erfüllen kann und die zudem auch unter Kostengesichtspunkten nicht unterstützt werden sollten. Zudem trägt eine Arztbeziehung in der Regel nicht dazu bei,
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die Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Patienten zu stärken. Deshalb sind zusätzlich andere sozialintegrative Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Fallvignette 38: Der 60-jährige Herr B. wirkte, als ob er kurz vor dem Zerplatzen stehe. Er wirkte ungepflegt, gestikulierte wild und brach immer wieder in Schweiß aus. Er war voller Überzeugung zur Polizei gegangen, weil schon der Vater Offizier gewesen war, und zeigt sich nun tief enttäuscht. Zuletzt war er wegen angeblicher rechtsradikaler Äußerungen, die er abstritt, degradiert worden. In der Behandlung fand er den erforderlichen Abstand, die Enttäuschung, Wut und Verzweiflung noch einmal zu erleben und das Gewesene durchzuarbeiten, um dann immer freier zu werden, die vor ihm liegende Zeit nach der jetzt bevorstehenden Pensionierung zu gestalten. Er hatte Ideen, Ziele und Pläne und stellte schon während der Behandlung den Kontakt zu einer Tochter wieder her, der vor Jahren abgerissen war.
Entscheidend für die Stabilität des Klienten/Patienten wird sein, ob der Ältere auf bestehende und tragfähige Beziehungen zurückgreifen kann, ob er einen neuen Lebenssinn gewinnen und eine Aufgabe finden konnte, die auch seinem Alltag eine Struktur verleiht. Die Entwicklung der »antizipatorischen Kompetenz« (Pohlen u. BoltzHolzherr 2001), wie sie bei Herrn B. gelang, kann als wichtige Aufgabe einer Beratung/Therapie verstanden werden. Sie soll den Älteren dazu befähigen, sich in eine vor ihm liegende Zukunft zu projizieren und Ziele und Pläne zu entwerfen. Die Projekte haben einen zukunftsweisenden, sozialintegrativen Charakter und sollen geeignet sein, zu einer Bereicherung des Alltagslebens und zur Steigerung von Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit beizutragen. Die Durchführung liegt in der Hand des Älteren selbst, der sich nach einer eingehenden Vorbesprechung informiert, Kontakte knüpft, Termine vereinbart oder einen Kennenlern-Besuch unternimmt – also all die Schritte unternimmt, die erforderlich sind, um neue Anbindung herzustellen. Ist jedoch der Ältere allein dazu nicht in der Lage, sollte es als eine Aufgabe – vielleicht in Zusammenarbeit mit einem Sozialarbeiter – gesehen werden, ihn aktiv zu unterstützen; gelegentlich ist es auch erforderlich, einen solchen Kontakt für den Patienten herzustellen. Die weiteren Maßnahmen können nun in zwei Richtungen ver-
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laufen: Sind weitere Hilfen erforderlich, greifen die Möglichkeiten des Gesundheits- und Beratungswesens, die in vorherigen Kapiteln beschrieben wurden. Kann beispielsweise ein Patient nach einer stationären Behandlung nicht ohne weiteres in die häusliche Umgebung entlassen werden, kommt übergangsweise eine Tagesklinik in Betracht, vielleicht ist auch eine dauerhafte Betreuung, etwa durch einen sozialpsychiatrischen Dienst, erforderlich. Manche Alten- oder Seniorenberatungsstellen übernehmen eine betreuende und koordinierende Funktion. Hier sind Kenntnisse und Erfahrungen gefragt, über die der Sozialdienst in einer Klinik und auch Therapeuten in der Regel verfügen, so dass eine solche Entscheidung nach sorgfältiger Prüfung getroffen werden kann. Anders verhält es sich jedoch, wenn dieses Versorgungssegment nicht ins Auge gefasst wird, sondern wenn der Ältere besser sozial integriert werden und seine Entwicklung gefördert werden soll. Dann müssen Möglichkeiten gefunden werden, wie er in sinnstiftender Weise seine Kompetenzen einbringen kann. Die soziale Altenarbeit oder Seniorenarbeit bietet heute vielfältige, häufig wenig bekannte Angebote, die sinnvolle Ergänzungen für die Zeit danach darstellen. Fallvignette 39: Die 67-jährige Frau W. litt an Depressionen und verschiedensten körperlichen Erkrankungen, unter anderem an einer erheblichen Schwerhörigkeit. Im Besonderen bedrückte sie die schwierige häusliche Situation. Die erwachsene, aber geistig behinderte Tochter lebte im Haushalt und konnte zwar einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, hatte aber Alkoholprobleme. Mit der Mutter ging sie fordernd, aggressiv und rücksichtslos um, ohne dass diese sich wehren konnte, auch von ihrem Mann erhielt sie keine Unterstützung, vielmehr halte dieser noch zur Tochter. Einmal in der Woche war sie zur Caritas gegangen, wo ein Altennachmittag mit Gesprächen, Kaffeetrinken und anderen Beschäftigungen stattfand. Dies sei ihr einziger Außenkontakt gewesen, sie sei sehr gern dorthin gegangen. Diese Gruppe war aber eingestellt worden. Frau W. war nun erleichtert, dass die Sozialarbeiterin ihr vor Ort eine neue Gruppe vermitteln konnte, der sie sich anschließen wollte. Außerdem wurde mit der Hausärztin Kontakt aufgenommen, damit diese vor Ort die Möglichkeiten einer Familienbetreuung abklären könnte.
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Diese Angebote können zu drei Gruppen zusammengefasst werden: – Offene Altenhilfe: Hierbei handelt es sich um den traditionellen Teil der Angebote von Altentagesstätten oder Altenclubs. Meist werden dort Treffen an Nachmittagen angeboten, die durch Kaffee und Kuchen sowie Handarbeiten und Basteln ausgefüllt sind, hinzu kommen Diavorträge, andere Vorträge oder Gesprächskreise und gemeinsame Fahrten. Die Inanspruchnahme dieser Angebote ist rückläufig, weil sie die jüngeren Älteren nicht mehr in der gleichen Weise ansprechen wie traditionell orientierte ältere Menschen. Diese Form der Altenhilfe geht von einem traditionellen Altenbild aus, in dem Alter als Ruhestand oder, wie Zeman (1997) kritisch anmerkt, als überlanger »Feierabend« und reine Freizeitveranstaltung gesehen wird. Auch wenn eine Diskussion um eine Modernisierung der Altenhilfe und Seniorenarbeit begonnen hat, so wird doch diese Form der Altenarbeit vermutlich ihren Stellenwert für traditionell orientierte Ältere behalten, so wie auch Frau W. hier einen geeigneten Rahmen fand. – Soziale Altenarbeit: Für neuere Ansätze der Altenarbeit hat sich der Begriff der sozialen Altenarbeit etabliert (Schweppe 1996). Zeman (1996, 1997) sieht als Bestimmungsstück der modernen Alten- oder Seniorenarbeit das qualifizierte Bemühen, Menschen vor und jenseits der Ruhestandsgrenze zu einer autonomen Gestaltung ihres Lebens anzuregen und sie dabei sozial und kulturell zu unterstützen. Zu erwähnen sind etwa das Modellprojekt »Seniorenbüros« und »Seniorengenossenschaften«, die »Initiative zweite Lebenshälfte« in Baden-Württemberg (Kruse u. Schmitt 1998), zahlreiche Initiativen wie »Senioren helfen Senioren« sowie Selbsthilfegruppen (Übersicht Karl 1995). Es handelt sich um ein weites Feld von Angeboten, deren Etablierungsgrad allerdings noch unzulänglich ist. – Geroprophylaxe/Altenbildung: Die Vermittlung von Kenntnissen und Wissen ist nicht nur als Teil der Beratung/Therapie zu verstehen (siehe oben), sondern stellt auch eine Möglichkeit dar, Sinnerfüllendes zu tun und die soziale Einbindung zu verbessern. Traditionelle Ansätze der Vorbereitung auf das Alter in
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Form von Vorträgen werden heute allerdings kritisch gesehen, haftet ihnen doch etwas Künstliches an und dient eher dem »Stopfen von Sinnlöchern«, wie Rosenmayr (1981) kritisch angemerkt hat. Heutige geragogische Angebote folgen einem ganzheitlichen Ansatz und unterstützen eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Älterwerden. Etabliert hat sich die Seniorenuniversität, deren positive Wirkung auch in der Begleitforschung erwiesen ist, aber auch Kurse und Seminare an Volkshochschulen, Familienbildungsstätten und Akademien. Auch kreativitätsfördernde Angebote wie etwa Schreibwerkstätten können eine sinnvolle Ergänzung darstellen (Platta 2002b).
Psychosoziale Beratung und Psychotherapie in speziellen Konfliktlagen Die folgenden Beratungs- und Therapiefälle sollen die bisher entwickelten Grundlagen weiter veranschaulichen. Die Mehrzahl dieser Fälle entstammt meiner Arbeit auf der Station für ältere Patienten in einer psychosomatischen Klinik – zunächst in der Rothaarklinik in Bad Berleburg, danach in der Klinik am Hainberg in Bad Hersfeld. Hier wird zwar, legt man die formalen Kriterien zugrunde, Psychotherapie durchgeführt, doch bei genauerer Betrachtung enthält diese in erheblichem Umfang Beratungselemente. Einige der Fälle stammen jedoch auch aus anderen Praxisfeldern, in denen ich tätig war oder tätig bin, das heißt aus meiner Tätigkeit als Psychotherapeut in eigener Praxis, aus einer Supervisionstätigkeit in der geriatrischen Klinik im Bürgerhospital Friedberg und gelegentlichen Beratungen in einem Pflegeheim. Zu den aufgegriffenen Entwicklungsaufgaben und -konflikten sind jeweils umfassende Ausführungen im vorausgegangenen Buch zu finden (Peters 2004a). Bei der Analyse der Fälle können natürlich immer nur einige Aspekte des psychodynamischen und entwicklungspsychologischen Hintergrundes aufgegriffen und näher beleuchtet werden. Es ist nur ein kurzer Blick auf den Therapie- oder Beratungspro-
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zess möglich. Auch erforderliche konkrete Hilfestellungen, Aufklärung und Information sollen in einem psychodynamischen Kontext betrachtet werden, insofern geht es auch um die Betonung einer multidisziplinären Perspektive.
»Da fing es an zu bröckeln . . . « – Zum Übergang in die nachberufliche Zeit Im Übergang zum Alter muss die bisherige Identität überarbeitet und der veränderten Lebenssituation und der fortgeschrittenen Position im Lebenszyklus angepasst werden. Mit diesem Prozess der inneren wie äußeren Neuorientierung ist häufig ein krisenhaftes Erleben verbunden, geht es doch um eine komplexe Aufgabe des Abschiednehmens und der Aneignung eines neuen Lebensabschnittes. Ein krisenhafter Verlauf wird wahrscheinlicher, wenn das Ausscheiden aus dem Berufsleben konfliktreich verläuft oder gar unfreiwillig frühzeitig erfolgt. Ein darauf abgestimmtes Programm zur besseren Bewältigung wurde von Langmaack (1997) vorgelegt. Häufig ist die Einbeziehung der individuellen Psychodynamik erforderlich, so dass eine psychosoziale Beratung oder Psychotherapie notwendig wird, wie bei dem folgenden Fall. Fallvignette 40: Der 58-jährige Herr H. war Leiter einer großen sozialen Einrichtung. Er hatte gerade seine Altersteilzeit angetreten und noch ungefähr zwei Jahre Arbeitszeit vor sich. Doch zuletzt hatte er sich der Arbeit kaum mehr gewachsen gefühlt. Obwohl eigentlich selbstbewusst, entscheidungsfreudig und führungsstark, war er plötzlich von Unsicherheitsgefühlen geplagt, er schob anstehende Entscheidungen auf die lange Bank und ging Kollegen aus dem Weg. Manchmal, so schilderte er, verkrieche er sich regelrecht in seinem Zimmer. Seine Stellvertreterin, die auch seine Nachfolgerin werden solle, erlebte er zunehmend als Bedrohung. Seine Zukunfts- und Versagensängste hatten manchmal sogar Suizidgedanken zur Folge. Nach fünf probatorischen Sitzungen wurde mit dem Patienten eine tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie über 50 Sitzungen vereinbart. Im Lauf der Therapie berichtete er, dass bereits sein Vater einen sozialen Beruf ausgeübt hatte und Leiter einer großen Einrichtung gewesen
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war. Die Familie lebte immer auf dem Gelände dieser Einrichtung, so dass Arbeit und Privatleben nie klar getrennt waren. Da der Vater im Krieg gewesen sei, habe er die ersten fünf Jahre seines Lebens allein mit der Mutter verbracht. Er sei mit ihr wie in einem »Knäuel« verbunden gewesen und habe ebenso viel Liebe wie Schläge erhalten. Der Vater, den er zunächst nur aus Erzählungen kannte, sei ihm in dieser Zeit wie eine große, leuchtende Kraft erschienen. Umso größer war dann die Enttäuschung, als dieser aus dem Krieg zurückkehrte und wegen einer Lungentuberkulose in den ersten Jahren viel Zeit im Krankenhaus verbrachte. Er habe Bilder von der ersten Begegnung im Kopf, von seinem Entsetzen und seiner Äußerung, dass der doch wohl nicht immer hier bleibe. Der sechs Jahre jüngere Bruder habe es viel leichter gehabt, die Zuneigung des Vaters zu gewinnen, während er selbst immer ein Kind der Mutter geblieben sei. Nach der schulischen Ausbildung ergriff Herr H. den gleichen Beruf wie der Vater. Er habe diesen eher als Berufung empfunden. Die Berufsauffassung des Vaters, der viel Wert auf Repräsentation und Selbstdarstellung gelegt hätte, habe ihm dabei nicht als Vorbild gedient, vielmehr habe er von Beginn an eine andere Berufsauffassung entwickelt, die besonders durch eine Nähe zu den Menschen geprägt gewesen sei. Vor etwa 20 Jahren habe er die Leitung der Einrichtung übernommen, aus der er jetzt bald ausscheiden werde. Inzwischen hatte er auch seine Frau geheiratet, die eigentlich die Freundin eines Freundes gewesen sei. Sie seien oft zu dritt zusammen gewesen, bis der Freund bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Dieses Schicksal habe sie aneinander gebunden, Liebe sei erst später daraus entstanden. Gemeinsam hätten sie drei Söhne bekommen und als Familie in der Einrichtung gewohnt, die er dann leitete. Er sei somit ständig dort präsent gewesen, sei immer noch einmal abends durch die Gänge geschlendert, um nach dem Rechten zu sehen. Doch vor zehn Jahren habe es einen Bruch gegeben, als seine Frau, die bis dahin ebenfalls in der Einrichtung gearbeitet habe, diese Stelle aufgegeben habe, ohne ihn vorher darüber zu informieren. Zwei Jahre später hätten sie dann ein eigenes Haus bezogen. Bei dem Auszug aus der Einrichtung habe er das Gefühl gehabt, seine Heimat zu verlieren, damals habe es »angefangen zu bröckeln«. Seit dieser Zeit auch leide er an Asthma. Seine Frau habe eine andere Ausbildung begonnen, in der sie sich weiterentwickeln konnte. Schließlich verließ sie für zwei Jahre die Familie, um an einem anderen Ort zu arbeiten, es sei als probeweise Trennung zu verstehen gewesen. Die Selbstentwicklung seiner Frau hatte ihn sichtlich irritiert und seine Selbstzweifel genährt. Auch wenn sich die Beziehung danach wieder stabilisiert hatte, so setzte sich das Gefühl der Verunsicherung
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und die Zweifel an seiner Identität im beruflichen Bereich fort. Er hatte die Einrichtung stets in einer Weise geführt, bei der die Schaffung eines angenehmen, harmonischen Klimas im Vordergrund stand. Seine ständige Präsenz, seine persönliche Ausstrahlung und seine kommunikativen Fähigkeiten hatten das ihre dazu getan. Er genoss bei Mitarbeitern und Bewohnern hohes Ansehen und erfuhr viel Zuneigung und Dankbarkeit. Doch nun sah er sich zunehmend Forderungen nach mehr Effizienz gegenüber, ein neues Programm zur Qualitätssicherung sollte eingeführt werden und weitgehende Strukturreformen waren geplant, bei der nicht nur seine Art der Führung der Einrichtung in Frage stand, sondern auch seine Position als Leiter, dessen Vollmachten und Zuständigkeiten beschnitten werden sollten. Die zunehmenden Selbstzweifel führten dazu, dass er nicht nur in Frage stellte, den jetzigen Umstellungen gewachsen zu sein, sondern auch bisherige berufliche Leistungen und seine Identität in Zweifel zog. In einem Traum, den er schilderte, verlor er die Gruppe, mit der er unterwegs war und geriet in ein Labyrinth, in dem er zunächst Tiere in Käfigen vorfand. Je mehr er sich in dem Labyrinth verlor, desto gefährlicher wurde es, schließlich begegnete er einem frei laufenden Krokodil und einem Löwen. Er geriet zunehmend in Panik, bis er die Gruppe, mit der er unterwegs war, wiederfand, um dann zu merken, dass er zu dieser keinen Zugang mehr fand.
Herr H. durchlief eine Identitätskrise, wie sie häufig im Übergang zum Alter auftritt. In dieser Krise kumulierte eine sich bereits seit längerem vollziehende Entwicklung, die durch die Selbstentwicklung seiner Frau in Gang gebracht worden war. Es habe etwas zu bröckeln begonnen, so beschrieb er sein damaliges Gefühl, in dem sich die allmähliche Auflösung der einstmals so geschlossenen Welt ausdrückte, in der er zeitlebens geborgen gelebt hatte. Die enge Verbundenheit mit dieser Welt hatte seine Identität getragen und ihr Stabilität verschafft, schließlich war es auch die Welt des Vaters gewesen, mit dem er sich auf diese Weise identifizierte. Das gemeinsame Wohnen und die geteilten Überzeugungen und Werte hatten dieser Welt einen festen Rahmen verliehen. Darunter verborgene Selbstzweifel, die auch mit der Ambivalenz in der Beziehung zur Mutter zu tun hatten, wurden durch das Ansehen und die Wertschätzung, die er stets erfuhr, überlagert. Diese Selbstzweifel hatten ihren Kern in der frühen Entwicklung, in der er – bedingt durch die
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zeitgeschichtlichen Umstände – nicht aus der engen Verbundenheit mit der Mutter herausfand, um seine Identität stärker auf der Identifikation mit einem leibhaftig anwesenden und erreichbaren Vater aufzubauen. Für die Mutter blieb er das bevorzugte Objekt, das ihr über die Entbehrungen und den Verzicht hinwegzuhelfen hatte, um dann doch bei der Rückkehr des Vaters zu erfahren, nur Stellvertreter gewesen zu sein. Diese Erfahrung setzte sich fort, als er den tödlich verunglückten Freund ersetzte und seiner Frau über die Trauer hinweghalf. Die Selbstzweifel beruhten auch hier auf der unbewusst wirksamen Frage, ob er selbst gemeint war oder aber derjenige, den er ersetzte. In der Einrichtung, die er leitete, setzte sich ein Leben in einer engen, verschmolzenen Welt fort, die jedoch nun zu bröckeln begann. Seine Frau stellte dieses Lebenskonzept durch ihre eigenen Ansprüche weiter in Frage, und nun vertieften sich seine Selbstzweifel, weil Männer, die ihm übergeordnet waren, seine Position streitig machten, so wie seinerzeit der Vater ihm die Position bei der Mutter streitig gemacht hatte. Der ödipale Konflikt erfuhr somit eine Neuauflage und löste erneut die Angst aus, in die zweite Reihe versetzt zu werden, verbunden mit einem Gefühl der Erniedrigung und Demütigung. Von außen besehen war der Patient einer Situation ausgesetzt, wie sie in der heutigen Zeit allgegenwärtig ist. Die gesellschaftliche Modernisierung hält in vielen Bereichen Einzug und hat zur Folge, dass bisherige Konzepte und Strukturen in Frage gestellt und der Wert gesammelter Erfahrungen in Zweifel gezogen wird. Der rapide Wandel des Arbeitsleben führt zu weitgehenden Umstrukturierungen und wachsenden Effizienzforderungen, die besonders bei vielen älteren Arbeitnehmern Existenzängste, Entwertungsgefühle und persönliche Krisen hervorrufen. Die Folgen sind bei Älteren oft tiefgreifender, weil diese in langen Jahren eine fest in der Persönlichkeit verankerte Identifikation mit ihrem Beruf und ihrem Arbeitsplatz aufgebaut haben, die nun in Frage gestellt wird. Die Fundamente eines narzisstischen Gleichgewichts geraten dadurch ins Wanken, die Entwertung der gesammelten Erfahrungen und die Unterhöhlung des erworbenen Ansehens ruft vielfach eine Identitätskrise hervor. Tiefgreifende persönliche Krisen mit Symptombildung entwickeln sich jedoch besonders dort, wo eine le-
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bensgeschichtlich verwurzelte Vulnerabilität vorhanden ist, auf die die gegenwärtige Entwicklung trifft. Bald entwickelte sich mit Herrn H. eine konstruktive therapeutische Arbeit, getragen von einer sich festigenden therapeutischen Beziehung. In jungen Jahren habe er von einem Freund folgende Rückmeldung bekommen: Er sei wie ein Kapitän, der ein Schiff durch dichten Nebel zu steuern habe und nach der richtigen Richtung suche. Sieht man in diesem Bild eine Übertragungsanspielung, offenbart sich der Wunsch, einen Steuermann oder Navigator zu haben, der hilft, sich zu orientieren und die Richtung zu finden. Stellt man allerdings in Rechnung, dass der Kapitän der Chef ist, dann liegt darin auch ein Moment einer umgekehrten Übertragung. Doch im Lauf der Zeit schien sich mehr und mehr eine geschwisterliche Übertragung einzuspielen, so wie sie häufig in der Behandlung Älterer zum Tragen kommt. Herr H. hatte sich immer mehr Nähe und Verbundenheit mit dem Bruder gewünscht, doch die Beziehung blieb von Distanz und Rivalität geprägt. Dieser Wunsch nach brüderlicher Nähe setzte sich in der Übertragung immer stärker durch. Diese Nähe erlaubte es ihm, sich mit dem aufgebrochenen ödipalen Konflikt, in dem er sich in seiner Position bedroht und in seinem Ansehen in Frage gestellt sah, zu beschäftigen. Seine Gefühle von Selbstzweifel und Minderwertigkeit konnte er allmählich überwinden und beginnen, sich offensiv mit der gegenwärtigen beruflichen Situation zu befassen. Er begann, seine Rolle wieder aktiver auszufüllen und sich mit den sich anbahnenden Veränderungen angstfreier auseinander zu setzen. Dabei bezog er durchaus eine kritische Position, ohne sich aber zu verweigern. Vielmehr versuchte er, die Entwicklung mitzugestalten, um gleichzeitig auf das hinzuweisen, das verloren zu gehen drohte. Gleichzeitig war er in der Lage, seiner Nachfolgerin mehr Aufgaben überlassen, sich selbst allmählich zurückziehen, was mit zunehmender Gelassenheit, wenn auch immer wieder begleitet von Gefühlen der Trauer, geschah. In der Therapie rückte allmählich die Frage in den Vordergrund, wie er dem kommenden Lebensabschnitt gegenüberstehe, mit welchen Gefühlen er diesem entgegengehe und wie er diesen zu gestalten gedenke. Er berichtete von einem Kollegen, der bereits in
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Rente sei, um sich von ihm sogleich abzugrenzen; so wie dieser gedenke er den neuen Lebensabschnitt keineswegs zu gestalten. Auch mit den Rentnern im grauen Blouson, mit Plastiktüte und Hund an der Leine wollte er keinesfalls zu tun haben. Es mangelte ihm so wie vielen älter werdenden Menschen an Vorbildern für ein sinnerfülltes Alter. Es fehlen sowohl persönliche Vorbilder als auch ein kulturell geformtes Bild, das eine Neuausrichtung der Identität erleichtern und eine neue Identifikation unterstützen könnte. Eines Tages dann betrat Herr H. das Behandlungszimmer und berichtete, dass er sich ein Motorrad gekauft habe. Er empfand Erleichterung, einen Schritt in eine Zukunft getan zu haben, die die Chance der »späten Freiheit« bot. Der Patient war ausreichend sozial eingebunden und verfügte über vielfältige Hobbys, das Ziel war somit nicht vorrangig die Mobilisierung von Ressourcen, sondern die Entwicklung einer positiven Identifikation mit dem neuen Lebensabschnitt und die Konturierung einer veränderten Identität. Das Ausscheiden aus dem Beruf erlebte er schließlich in großer Gelassenheit und konnte in Ruhe und Zuversicht in den neuen Lebensabschnitt hineingehen. Nach dem Ausscheiden trat er zunächst einen längeren Urlaub an, um dann mit der Idee aufzuwarten, eine Männergruppe innerhalb der kirchlichen Seniorenarbeit zu gründen. Ich machte ihn auf das von der Bundesregierung geschaffene Programm des Seniorentrainers aufmerksam, das ihm eine Vorbereitungsmöglichkeit bieten würde.
»Ich fühle mich so leer und kalt . . . « – Zur Wiedergewinnung verschütteter Ressourcen Die Aneignung der »späten Freiheit« und die Gestaltung des Alters setzt die Nutzung und Entfaltung vorhandener Ressourcen voraus. Häufig werden die individuellen Möglichkeitsräume im mittleren Lebensalter durch berufliche und private Pflichten eingeengt. Doch können die subjektiven Spielräume und kreativen Ressourcen auch konfliktbedingt verschüttet sein, so wie bei der folgenden Patientin.
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Fallvignette 41: Die 60-jährige Frau T. litt unter zunehmenden depressiven Verstimmungszuständen, die sich vor allem in Interessen- und Antriebslosigkeit sowie in Appetitlosigkeit mit deutlichem Gewichtsverlust zeigte. Sie wirkte in der Erscheinung sehr hager und schilderte sich selbst als rasch genervt. Außerdem beschrieb sie ein Entfremdungsgefühl anderen Menschen gegenüber; sie empfinde sich leer und gefühllos, wie abgeschnitten von anderen. Begegnungen erlebe sie wie verordnet, ohne eigene innere Beteiligung. Dieses Abgekapseltsein war in der Vergangenheit erträglich gewesen, da sie seit Jahren eine ambulante Therapie machte, in der sie sich lebendig fühlte. Die Therapie habe für sie die Bedeutung gehabt, den »gefühlsmäßigen Draht« zur Welt aufrechtzuerhalten. Doch nun ginge diese Behandlung zu Ende, jedenfalls hatte der Therapeut das angekündigt. Durch diese bevorstehende Trennung sah sie sich offensichtlich bedroht, so dass sich ihr Befinden so weit verschlechterte, dass eine stationäre Behandlung erforderlich wurde. Anlass für den Beginn der ersten Therapie war der Tod ihres Mannes gewesen, also ebenfalls eine Verlust- und Trennungssituation. Frau T. hatte ihren 20 Jahre älteren Mann gegen alle Ratschläge geheiratet, es hatte sie etwas zu ihm hingezogen, das sie nicht zu erklären vermochte. Lebensgeschichtlich könnte von Bedeutung sein, dass sie ihren leiblichen Vater nie kennen gelernt hatte. Erst spät hatte sie die Suche nach ihm begonnen und herausgefunden, dass er bereits verstorben war. So blieb die Sehnsucht nach einem positiven väterlichen Objekt bestehen. Mit anderen Männern in ihrem Leben hatte Frau T. hingegen vornehmlich schlechte Erfahrungen gemacht: Ein Freund ihres Bruder habe sie sexuell missbraucht und der Stiefvater, obwohl wohlhabend, habe sie sehr kurz gehalten und ihr das gewünschte Medizinstudium verwehrt. Die Hoffnung, dass nun ihr Ehemann dem ersehnten, positiven Bild entsprechen könne, erfüllte sich nicht. Erst spät erfuhr sie, dass er noch verheiratet war und bereits drei Kinder hatte, als sie ihn kennen lernte. Schließlich war er vor sieben Jahren an Krebs verstorben, nachdem sie ihn längere Zeit gepflegt hatte. Erst nach seinem Tod erfuhr sie, dass er ihr Schulden hinterlassen hatte, die sie bis heute abzahlte. Doch noch schlimmer war für sie gewesen zu erfahren, dass er eine Freundin und mit dieser ein Kind hatte. In diesem Moment zerbrach für sie eine Welt, und zu dieser Welt hatte die Musik gehört. Diese hatte für Frau T. zeitlebens eine große Bedeutung gehabt, ja im Mittelpunkt gestanden und ihr auch in schwerer Zeit Trost verschafft. Sie hatte in einem Chor gesungen und nicht nur Cello, sondern auch noch andere Instrumente gespielt. Doch nun hatte sie das Gefühl, dass alles Kreative und alles Gefühlvolle in ihr abgestorben war. Sie schaffte die Instrumente
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auf den Dachboden, wo sie sich bis heute befanden, als ob sie sich davor schützen müsse, von etwas Gefühlsbetontem berührt zu werden und Gefahr zu laufen, dass ihre Wunden dabei aufgerissen würden. In ihrem Erleben setzte eine Erstarrung ein, sie verlor den emotionalen Zugang zur Welt und fühlte sich wertlos und schuldig.
Im Übergang zum Alter stellt sich die Frage, auf welche Ressourcen der Einzelne zurückgreifen kann, um den neuen Lebensabschnitt zu gestalten. Die Freizeitforschung hat ermittelt, dass nur wenige Ältere dabei völlig neue Fähigkeiten oder Interessen entwickeln, in der Regel werden die Fähigkeiten, über die jemand verfügt, weitergeführt und verstärkt genutzt. Die soziale Altenarbeit bringt immer mehr Angebote hervor, die es Älteren erlauben, ihre Fähigkeiten einzubringen, weiterzuentwickeln oder Neues hinzuzulernen. Doch viele werden durch diese Möglichkeiten nicht erreicht oder nehmen sie von sich aus nicht in Anspruch. Die geschilderte Patientin bietet ein Beispiel, wie an Bruchstellen in der individuellen Biografie Fähigkeiten verloren gehen können und ein solcher Verlust zu einer inneren Verarmung und einer Beschneidung von Ressourcen führt. Auch wenn es gelungen sein sollte, diese Brüche notdürftig zu kitten, so werden sie doch oft erneut sichtbar, wenn bisherige, sinnstiftende Lebensbereiche oder Beziehungen entfallen, wie es beim Übergang ins Alter der Fall ist. Jetzt droht die Leere, die der frühe Bruch hinterlassen hat. Bei Frau T. hatte die vor zwei Jahren erfolgte Pensionierung als Lehrerin bereits eine erste Leerstelle hinterlassen. Auch die Beziehung zum männlichen Therapeuten hatte offenbar mehr die Leere kompensiert als zu einer inneren Veränderung geführt. Doch nun hatte der Therapeut das baldige Ende der Therapie angekündigt und die Wiederholung des Verlassenwerdens durch Männer schien sich fortzusetzen, wodurch sich ihre Angst vor einem erneuten Durchbruch der inneren Leere erhöhte. Die Beziehung zum Therapeuten hatte ihr Halt gegeben, und sie konnte sich in ihr auch lebendiger fühlen. Es war ihr jedoch nicht gelungen, sich über diese Insel hinaus zu öffnen und ihr Vertrauen in diese Welt zu erneuern. So blieben die Musikinstrumente auf dem Dachboden verstaut und ihr inneres Erleben wie abgestorben, als ob sie sich nur dadurch vor erneuter Enttäuschung, Demütigung und
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Kränkung, aber auch Gefühlen der Abscheu und der Wut schützen konnte. Sie schien seinerzeit die Entwertung, als die sie die damaligen Erlebnisse empfunden hatte, durch Identifikation in ihr eigenes Selbst übernommen und dadurch in eine Selbstentwertung umgewandelt zu haben. Indem sie das zunächst passiv Erlebte nun selbst vollzog, konnte sie eine zumindest partielle Selbstkontrolle zurückerlangen und sich aus der ohnmächtigen Wut befreien. Doch damit verzichtete sie auf eine bereichernde, sinnstiftende und das eigene Selbst erweiternde Ressource, wie sie die Musik darstellt. In einer Broschüre hat Radebold (2003b) die Bedeutung der Gartenarbeit für das Älterwerden hervorgehoben, weil diese neben der körperlichen Betätigung in idealer Weise den Trauer- und Abschiedsprozess fördert, das sinnliche Erleben ebenso wie das Eingebundensein in einen jahreszeitlichen Rhythmus vertieft, der über die individuelle Existenz hinausweist, aber auch, um immer wieder neues Leben entstehen zu lassen. Am Beispiel der Gartenarbeit zeigt sich besonders gut, wie kreative Betätigungen infolge ihrer vielfältigen Funktionen eine wertvolle Ressource im Hinblick auf ein sinnerfülltes Alter bilden. So offenbart sich auch in der Musik eine schöpferische, beziehungsfördernde Kraft, die das Leben erweitert. Die »gutartige Regression« im Schonraum der Musik und anderer kreativer Tätigkeiten kann genutzt werden, das Selbst immer wieder zu erneuern und zu erweitern und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer überindividuellen Existenz zu erlangen (Rauchfleisch 1996; Platta 2002a). Doch diese Quelle war für Frau T. versiegt, und in der therapeutischen Einzelbeziehung war es nicht gelungen, sie wieder zum Sprudeln zu bringen. Wenn eine verbale, konfliktorientierte Arbeit wie in diesem Falle allein keinen Zugang zu den verschütteten Ressourcen herzustellen vermag, kann ein kreativtherapeutisches Verfahren eine sinnvolle und vielleicht sogar notwendige Ergänzung darstellen (Krebs-Roubicek 1995). Eine stationäre psychotherapeutisch-psychosomatische Behandlung bietet die Möglichkeit, beide Angebote zur Verfügung zu stellen und zu verknüpfen (Peters 2000). In der Musiktherapie, an der Frau T. teilnahm, gelang es ihr, nach anfänglichem Zögern und großer Zurückhaltung erste Erfahrungen mit dem Klang eines In-
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strumentes zu machen. Diese Klänge fanden in ihr einen zunehmend breiteren Resonanzboden, und im Zusammenspiel mit anderen gewannen sie eine zusätzliche kontaktfördernde Bedeutung. Parallel hierzu wirkte sie in anderen Begegnungen offener und lebhafter, sie schien aufgeschlossener zu werden und zu einem mehr von Gefühlen getragenen Umgang mit der Welt zurückzufinden.
»Es ist mir zu eng dort ...« – Ehekonflikte bei Älteren »Was hält Paare zusammen«, fragt Willi in einem Buchtitel (Willi 1991), und untersucht die inneren und äußeren Einflüsse, die einer Ehe Stabilität und Kontinuität verleihen. Diese ist nur zu erlangen, wenn eine Erstarrung vermieden und die notwendige Flexibilität erhalten bleibt, die für Neuanpassungen erforderlich ist. Eine solche Neuanpassung wird auch im Übergang ins höhere Lebensalter notwendig, soll das dyadische Selbst nicht zerfallen. In den psychologischen Beratungsstellen bilden Paarkonflikte in mehr als 50 Prozent der Fälle den Anlass, um eine Beratung nachzusuchen (Vogt 2004). Fallvignette 42: Frau B. hatte als 60-Jährige erstmals an einer schweren Depression gelitten und soziale Ängste entwickelt, die sie von ihrer Umwelt abschnitten und derentwegen sie stationär in der Psychiatrie behandelt worden war. Dem war der Tod des Vaters, den sie zuletzt gepflegt hatte, der Tod des krebskranken Schwagers sowie der Umzug in einen anderen Stadtteil vorausgegangen. Insbesondere ihr Ehemann, pensionierter Beamter, fühlte sich in der neuen Wohnung unwohl, was er ihr zum Vorwurf mache. Die Wohnung sei kleiner, man könne sich weniger zurückziehen als in der alten Wohnung. Ihr sei es erschwert, die sozialen Kontakte, etwa zur Kirchengemeinde, aufrechtzuerhalten. Dennoch pflege sie diese alten Kontakte weiter, auch wenn es mehr Mühe koste, und sei bestrebt, neue Kontakte aufzubauen, um sich in der neuen Umgebung einzuleben. Sie sei immer die Agilere gewesen, die die Außenkontakte hergestellt habe und vielfältigen Aktivitäten nachgegangen sei. So verbringe sie viel Zeit damit, Stoffbilder zu kreieren, die sie auch schon ausgestellt habe. Die bevorstehende eigene Berentung in einigen Monaten erlebe sie mit großer Sorge. Ihr Mann sei nach seiner Pensionierung noch inaktiver geworden, er lebe sehr zurückgezogen, mache ihr Vorwürfe und klammere sich sehr an sie;
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die intime Beziehung sei in dieser angespannten Situation zum Erliegen gekommen. Sie seien immer schon sehr unterschiedlich in ihren Interessen gewesen und sie sei stets ihren eigenen nachgegangen. Ihr Mann hingegen sei immer der Unselbständigere und Abhängigere gewesen, was sie sogleich mit dem Hinweis entschuldigte, dass er als Adoptivkind aufgewachsen sei. Immer wieder kreisten die Gespräche um einen möglichen erneuten Wohnungswechsel, zu dem sich jedoch keiner entschließen könne. Die Wohnung erschien als Projektionsfläche für den ungelösten Paarkonflikt.
Steigende Scheidungsraten auch in lang dauernden Ehen sind Ausdruck der Schwierigkeiten, die mit dem Übergang in die Zeit der »nachelterlichen Gefährtenschaft« verbunden sind. Willi (1991) hat beschrieben, wie in der Langzeitbeziehung die Liebe immer mehr zur Rahmenbedingung wird, in welcher sich die Partner autonom bewegen, aber doch untergründig aufeinander bezogen bleiben. Der Partner ist nicht mehr vornehmlich Zielpunkt des Handelns, sondern vielmehr in die Zielsetzungen des eigenen Handelns einbezogen. Liebe wird mehr und mehr zur geteilten Lebensgeschichte und aus der zu gestaltenden Zukunft entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit. Doch dieser Rahmen, der das dyadische Selbst definiert, muss spätestens dann neu gefasst werden, wenn die äußeren Aufgaben und Pflichten mehr und mehr entfallen und ein neuer ehelicher Lebensabschnitt neue Anforderungen stellt. Das Bild der inneren und äußeren Behausung, das Sicherheit und Geborgenheit schafft und nun neu zu definieren ist, entlastet die Partner in ihrer direkten Beziehung zueinander und setzt Kräfte für Aktivitäten in anderen Interessenbereichen frei. Dieses Bild der Behausung kann sinnbildlich gemeint sein, aber auch auf die Wohnung projiziert werden, an der sich unterschiedliche Auffassungen manifestieren können, so wie es bei Herrn und Frau B. der Fall ist. Durch den Auszug der zwei Töchter, den bereits erfolgten beziehungsweise bevorstehenden Wegfall des Berufes sowie mehrere Todesfälle sind beide mehr und mehr auf sich verwiesen. Sie sind zunächst mit ihrer Unterschiedlichkeit konfrontiert und über die nur begrenzt vorhandenen Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten erschreckt. Sie stoßen nun gewissermaßen auf eine Distanz, die durch die zuvor bestehende geteil-
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te Lebenswelt überdeckt worden war, so wie manche älter werdenden Ehepaare auf »Unerledigtes« aus der Vergangenheit stoßen. Daraus erfolgen Suchbewegungen mit dem Ziel, eine neue geteilte Welt zu schaffen. Doch diese lässt sich auch mit dem Bezug einer kleineren Wohnung, die einen Neuanfang erleichtern und eine kleinere, enger gefasste und damit überschaubarere und leichter zu handhabende Welt schaffen sollte, nicht lösen. Vielmehr verstärken sich Polarisierungstendenzen; die Regressionsneigung von Herrn B. nimmt weiter zu, er zieht sich mehr und mehr in eine passiv-abhängige Position zurück, so wie manche Männer nach dem Auszug der Kinder die frei gewordene Nische besetzen (Gutman et al. 1980). Das geteilte Selbst scheint sich mehr und mehr aufzulösen und in zwei getrennte Narzissmen zu zerfallen, was beide jedoch als Bedrohung erleben. Der äußere Lebensrahmen hatte sich aufgelöst und das bisherige kollusive Zusammenspiel von aktiver Außenorientierung von Frau B. und häuslicher Zurückgezogenheit und Verbundenheit von Herrn B. war daraufhin aus dem Gleichgewicht geraten. Die neue Wohnung konnte diesen Zerfall nicht kompensieren. In mehreren Paargesprächen wurde aber nicht nur die Unterschiedlichkeit beider deutlich, sondern auch die Verlustängste, die sie zu großer Vorsicht im Umgang miteinander veranlassten. Beide waren durchaus zueinander hin orientiert, die gegenseitige Zuneigung war nicht gänzlich erloschen. Die Möglichkeit, über die unterschiedlichen Ängste zu sprechen, löste die Erstarrung und reduzierte die allzu große Vorsicht. Die Angst von Frau B. vor zu großer Nähe und Abhängigkeit und ihr Unmut, sich in ihrem Unternehmungsgeist und in ihren kreativen Interessen mehr und mehr eingeschränkt zu fühlen, aber auch die Schuldgefühle, die sie empfand, ihren Wünschen nachzugehen, führten zu einer Offenheit, die auch Herrn B. ermutigten, über seine Angst, verlassen zu werden, zu sprechen. Die Gespräche förderten eine Dialogbereitschaft, die sie bisher nicht gekannt hatten. Sie pflegten einen sehr rücksichtsvollen und durch Besorgnis gekennzeichneten Umgang miteinander. Dieses Gefühl der Besorgnis und der Verantwortung für den anderen schützte sie vor den zerstörerischen Folgen der Am.bivalenz, die Beziehungen kennzeichnet und die in Zeiten des
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Umbruchs stärker hervortritt. Außerdem schien ein Gefühl von Dankbarkeit vorzuherrschen, das Kernberg (1998) als Ausdruck einer reifen Beziehung betrachtet und das hilft, Ambivalenz auszuhalten. Sie schienen durchaus bereit, eine vertrauensvolle Abhängigkeit zu entwickeln, die ein wesentliches Fundament der lang dauernden Ehe ist, sich aber gleichermaßen die Freiheiten einzuräumen und die Eigenarten zu respektieren, die beide voneinander unterschied, um eine neue Balance von Nähe und Distanz zu finden. Der begonnene Dialog sollte in einer Beratungsstelle fortgeführt werden, um zu einer Neudefinition ihrer Beziehung zu gelangen und zu neuer Verbundenheit zu finden. Die sich abzeichnende größere Aufgeschlossenheit von Ehe- und Lebensberatungsstellen und deren wachsende Bereitschaft, sich auf diese neue Klientel einzustellen, schafft Möglichkeiten, die allmählich mehr genutzt werden (Vogt 2004). Neben einem Beratungsangebot ist zweifellos auch ein präventives Angebot sinnvoll, in dem vorbereitend oder begleitend Veränderungsnotwendigkeiten in der alternden Ehe thematisiert werden. Erste Angebote dieser Art werden von Beratungsstellen, Volkhochschulen oder Akademien unterbreitet (Vogt 2001).
»Da zerriss das Band . . . « – Liebe, Eifersucht und die Zeitlosigkeit der Gefühle Die Zeitlosigkeit des Unbewussten, von der Freud (1915) ausgegangen war, beinhaltet auch eine Zeitlosigkeit unbewusster Konflikte und damit verbundener, im Lebenslauf wiederkehrender Gefühle. Lebensgeschichtlich weit zurückreichende Konflikte können gerade im Alter erneut aufbrechen und in gefühlsbetonte Verwicklungen führen, die eine Psychotherapie oder psychosoziale Beratung erforderlich machen. Fallvignette 43: Die 76-jährige Frau U. schilderte wiederkehrende schwere Depressionen, die erstmals vor 30 Jahren aufgetreten waren, als sie sich von ihrem Mann trennte. Dieser war Amerikaner und nach der Geburt ihres ältesten Sohnes schizophren geworden. Um eine bessere Behandlung zu erhalten, seien sie mit ihm in die USA gezogen, als er jedoch nach der Ge-
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burt des zweiten Sohnes erneut erkrankte, sei sie mit beiden Kindern nach Deutschland zurückgekehrt. In dieser Zeit sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden, danach noch ein weiteres Mal. In jedem Winter habe sie eine depressive Zeit durchlebt, jetzt habe sie sich jedoch erstmals auch im Sommer nicht erholt. Da sich die behandelnde Psychiaterin keinen anderen Rat wusste, sei sie vier Wochen in der Psychiatrie gewesen und dort erstmals auch medikamentös behandelt worden, obwohl sie dies bislang immer abgelehnt habe. Dies sei für sie eine schreckliche Erfahrung gewesen; bei der Entlassung habe sie zusätzlich eine blutende Magenschleimhautentzündung gehabt. Nun war sie auf eigenen Wunsch in die psychosomatische Klinik gekommen. Frau U. wirkte sehr differenziert und interessiert, lobte einerseits unser Prospektmaterial in höchsten Tönen, um aber zwischen den Zeilen auch ihre Skepsis und ihr Misstrauen anklingen zu lassen. Bald gab sie zu verstehen, dass sie oft für überheblich gehalten werde, dies kränke sie jedes Mal und sie gebe sich viel Mühe, nicht aufzufallen, kleide sich bewusst schlicht, um nicht als etwas Besonderes zu gelten. Die Patientin hatte offenbar körperlich keinerlei Einschränkungen, wie auch die medizinische Untersuchung bestätigte, sie war sehr beweglich, zugewandt und hatte sich eine jugendliche Ausstrahlung bewahrt. Die jetzige depressive Episode sei vergangenen Winter durch ein Zerwürfnis mit ihrer Schwester und der Nichte ausgelöst worden. Beide stünden ihr sehr nahe, die Schwester habe sie nach ihrer Rückkehr aus den USA aufgenommen und aufgefangen. Deren Familie sei auch zu ihrer Familie geworden, obwohl sie häufig ein Ressentiment auf Seiten ihres Schwagers beobachtet habe, der ihre Beziehung zu seiner Frau mit Argwohn betrachtet habe. Beide seien Ärzte, lebten in einem sehr vornehmen Milieu und hätten beide Dünkel, wie Frau U. mit einer abweisenden Handbewegung verächtlich anmerkt. Nun sei der Schwager vor einiger Zeit verstorben, ein Verlust, der ihr nicht viel zu schaffen mache. Doch danach wurde deutlich, was bisher offenbar verborgen geblieben war, nämlich die Demenzerkrankung der Schwester. Dies habe sofort alle Kräfte in ihr mobilisiert, um sich um die Schwester zu kümmern. Doch auch die Tochter, also ihre Nichte, die immer eine unterkühlte Beziehung zu ihrer Mutter hatte, sah nun offenbar die Chance, eine neue Nähe zu dieser herzustellen. Vielleicht, so Frau U., ging es der Tochter aber auch darum, ihre Überlegenheit zu demonstrieren und die Mutter ihre Abhängigkeit spüren zu lassen, so wie diese zuvor ganz von ihrem Mann abhängig gewesen war, den Frau U. als sehr beherrschend beschrieb. Die Tochter sei jetzt gewissermaßen in die Rolle ihres Vaters geschlüpft, so merkte sie bitter und enttäuscht an. Plötzlich entstand also eine Situation, in der zwei Frauen um eine dritte rivali-
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sierten. Die sich entwickelnde Spannung, wer nun für die Versorgung der Schwester/Mutter zuständig sei, wuchs allmählich bis zu einer Eskalation an, in der die Nichte offen und in drastischer Weise ihre Ansprüche kundtat und sie, Frau U., heftig in ihre Schranken verwies. Sie fühlte sich zutiefst verletzt und ausgegrenzt, ihre Phantasie, dass dies auch ihre Familie sei, war zerstört, das Band zerrissen. Zwar gab es danach sporadisch Kontakt zur Schwester und zur Nichte, aber nur selten. Die Depression ließ sich jetzt nicht länger zurückhalten und wuchs bald über die normale Winterdepression hinaus. Frau U. war auf einem großen Gutshof in Ostpreußen aufgewachsen und schilderte eine glückliche Kindheit. Insbesondere den Vater habe sie verehrt, aber auch die große Schwester sei für sie von Beginn an besonders wichtig gewesen. Diese Welt wurde mit Kriegsbeginn zerstört, der Vater kam wie vier Brüder im Krieg ums Leben, Frau U. selbst wurde mehrfach von russischen Soldaten vergewaltigt. Sie ging später ins Ausland, um ein Sprachenstudium zu absolvieren, während die Schwester Medizin studierte. Einmal habe diese sich einen groben Scherz erlaubt und ihr per Post einen abgetrennten Finger geschickt, den sie im Pathologiekurs entwendet hatte. Später habe sie auf Drängen der Schwester zwei Abtreibungen vorgenommen, die diese selbst durchgeführt habe. Doch sie habe das Leben auch von der leichten Seite zu nehmen gewusst, viele Männerbekanntschaften gehabt und es geschafft, in hervorragende berufliche Stellungen zu gelangen, die ihr Zugang zu gehobenen Gesellschaftsschichten verschafften, obwohl sie die Abschlussprüfung ihres Studiums nicht bestanden hatte. Als sie nach der gescheiterten Ehe nach Deutschland zurückgekehrt war, habe sie wiederum auf Vermittlung der Schwester die Leitung einer großen Einrichtung übernommen. Eine längerfristige Beziehung sei sie nicht mehr eingegangen, wohl aber zahlreiche Affären auch zu hochgestellten Persönlichkeiten.
Frau U. trug einen neurotischen Kernkonflikt in sich, der in Zeiten des Übergangs oder der außergewöhnlichen Belastung aufbrach und aktualisiert wurde. Er führte zu einem krisenhaften Erleben, verbunden mit einer erneuten depressiven Episode. Jedoch verfügte Frau U. über ausreichende Ich-Fähigkeiten und gute Selbst- und Objektbilder, so dass sie diesen Kernkonflikt über weite Strecken ihres Lebens gut zu kompensieren vermochte. Die Psychiatrieeinweisung in der krisenhaften Zuspitzung hatte die Situation verschärft und erst danach war die somatoforme Störung aufgetreten, weil sich Frau U. in der dortigen Umgebung wahrscheinlichvöllig
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fehl am Platze gefühlt hatte. Bei Frau U. wäre es sinnvoll gewesen, sogleich die Indikation zu einer Fokaltherapie zu stellen. Diese ist dann angezeigt, wenn die Problematik eingrenzbar ist, wie es hier in zweierlei Weise möglich war: Zum einen liegt keine nennenswerte psychische oder körperliche Komorbidität vor, auch befindet sich Frau U. nicht in einer problematischen sozialen Lebenslage. Ausgehend von der auslösenden Situation lässt sich die psychologische Konfliktthematik eindeutig eingrenzen und fokussieren.Wir finden hier ein ödipales Konfliktmuster, wie es häufig ein Leben lang fortbesteht und immer wieder neu zu bearbeiten ist. In diesem Konflikt wird eine Geschwisterliebe und -rivalität um ein drittes Objekt deutlich. Liebe und Zuneigung, Eifersucht und Kränkung, Zurückweisung und Ausgeschlossensein waren an dem vorherrschenden Gefühlskonflikt beteiligt.Dieses zuletzt genannte Gefühl bildet eine Kernerfahrung im ödipalen Dreieck. Die Erfahrung des Ausgeschlossenseins, die Frau U. hier erlebte, konfrontierte sie mit ihrer eigenen Endlichkeit und begrenzten Lebensdauer; eine Erfahrung, die im Alter von 76 Jahren eine nachhaltigere Wirkung als in jüngeren Jahren hinterlässt. Diese symbolische Erfahrung verbindet sich mit der konkreten Verlusterfahrung, die mit dem Zerbrechen der Beziehungen verbunden war, die ihr die eigene Familie ersetzt hatten. Die Schwester hatte sie trotz aller widerstreitenden Gefühle von Liebe, Neid und Eifersucht stets als enge Vertraute erlebt. Sie beneidete die Schwester um Wohlstand und Familie, aber auch die Schwester, so lässt sich schließen, neidete ihr das freie, unabhängige Leben. Schließlich war die Schwester diejenige, die die Verbindung zur frühen Vergangenheit und der glücklichen Kindheit aufrecht erhielt, in der Beziehung zu ihr lebte die eigene so schmerzlich vermisste Familiengeschichte fort. Die zeitlebens fortbestehende Sehnsucht nach der Geborgenheit der frühen Kindheit, die jetzt im Alter größer wurde, fand hier einen Resonanzboden. Die Familie der Schwester war wohlhabend und lebte in einem großen Haus mit ansehnlichem Garten, auch darin fand Frau U. die frühe Vergangenheit in Ostpreußen aufgehoben.Schließlich war die Nichte für sie wie eine Tochter gewesen, der gegenüber sie sich generativ zeigen konnte und die für sie Zukunft verkörperte, so wie eigene Kinder die Fortdauer des Lebens und damit ein Stück Un-
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sterblichkeit symbolisieren. Indem diese Beziehungen zerbrachen, verlor Frau U. gleichzeitig die Repräsentanten ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft, sie war somit aus der Kontinuität des zeitlichen Erlebens herausgerissen und musste diese jetzt gewissermaßen in sich selbst wieder aufrichten. In der stationären Kurztherapie entfaltete sich dieser »Dreieckskonflikt« rasch auch in der Übertragung. In der Gruppentherapie, der Frau U. zunächst sehr skeptisch gegenüberstand, fühlte sie sich von einer Mitpatientin ähnlich dominiert wie von der Schwester, verbunden aber auch mit Bewunderung für das resolute Auftreten, während sie sich mit einer zweiten Patientin verbündete. In dieser Dreiersituation entfalteten sich die ihr vertrauten Gefühle von Zuneigung, Unterlegenheit und Eifersucht. Der männliche Einzeltherapeut bildete eher einen Gegenpol mit einer erotischen Übertragungskomponente; früh berichtete sie von ihren Affären, und nicht ohne Wehmut und Stolz schilderte sie eine letzte Beziehung zu einem verheirateten 20 Jahre jüngeren Mann, als sie sich bereits im Alter von 65 bis 69 Jahren befand. Das Alter von Frau U. konnte man gut und gern auf 65 Jahre schätzen, als ob ihr inneres Alter eng mit dieser Szene verknüpft wäre. Indem sich diese Szene in der Übertragung in symbolischer Form wiederholte, konnte sie die Trauer über das verlorene Liebesleben zulassen, aber nicht begleitet von einem Gefühl der Bitterkeit, sondern eher der Dankbarkeit. Der versöhnliche Rückblick auf ein erfülltes Liebesleben verlieh ihrer Identität mehr Stabilität, wodurch sie sich weniger auf ihre »Ersatzfamilie« angewiesen fühlte. Noch etwas anderes schien in diesem Übertragungsgeschehen von Bedeutung gewesen zu sein, nämlich ein Moment der Trauer über den Abschied von ihrem ältesten Sohn, der erst kurz zuvor in die USA – gewissermaßen zu seinem Vater – zurückgekehrt war. Die nun gewachsene Stabilität schien sie zu ermutigen, sich intensiver mit den konflikthaften Verstrickungen auseinander zu setzen. Die Gefühle der Enttäuschung und der Kränkung, aber auch des Grolls und der Rache wurden nun deutlicher, während die Depression immer mehr zurücktrat. Wie triumphierend verkündete sie nun zunächst in der Gruppe, das sie die wichtigen Dinge in der Einzeltherapie bespreche, um dadurch die anderen eifersüchtig zu
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machen, die sich ihrerseits entwertet fühlten. Das Gefühl der Unterlegenheit gegenüber der Schwester hatte sich hier gewandelt, so wie sie sich vermutlich überlegen gefühlt hatte, wenn sie der Schwester von ihren Affären berichtete. Die Bearbeitung dieses reinszenierten Konflikts trug zu einer sichtlichen Entspannung der Beziehungen zu den »Geschwistern« bei. Frau U. wirkte nun lebendiger, sie fühlte sich selbst empathischer und anderen zugewandter und hatte gelernt, sich mit den Mitpatienten wohl zu fühlen, mit denen sie nun viel Zeit verbrachte. Außerdem schmiedete sie Pläne, die vernachlässigten Kontakte zu den Freundinnen wieder aufzunehmen, aber auch den Kontakt zur Schwester und zur Nichte nicht vollends abbrechen zu lassen. Vielmehr schien allmählich die Bereitschaft zu wachsen, den Groll zu überwinden und ihnen zu verzeihen. Dennoch hatte sie ein wenig Angst vor zu Hause und wünschte eine Begleitung, um für Rückfälle gewappnet zu sein. Sie erhielt die Empfehlung, sich an eine Ehe- und Lebensberatungsstelle in ihrer Nähe zu wenden, die sich mit der Beratung Älterer befasste.
»Er war doch bisher nicht so . . . « – Belastungen durch einen demenzkranken Angehörigen Die Entwicklung einer Demenz stellt zweifellos eine der schwierigsten Belastungen für Betroffene, aber auch die Angehörigen dar. Die Besonderheit dieser Situation besteht in den dramatischen Veränderungen, denen alle Beteiligten ausgesetzt sind. Die Veränderungen erfassen im Zuge des Krankheitsprozesses alle Bereiche des Lebens und der Persönlichkeit, so dass ein umfassendes Hilfsangebot erforderlich wird. In kaum einem anderen Bereich liegt inzwischen eine so umfangreiche Literatur für Betroffene vor (Käsler-Heide 2000), es ist ein Versorgungsnetz entstanden, das von Alten- und Angehörigenberatungsstellen über Angehörigen- und Selbsthilfegruppen bis hin zu ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen reicht (Bruder 1998). Deren Inanspruchnahme erfolgt allerdings nicht immer so, wie es für eine optimale Hilfe sinnvoll wäre, viele nehmen vorhandene Hilfsmöglichkeiten nicht oder
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zu spät wahr oder sind gar nicht über bestehende Möglichkeiten informiert. Vetter et al. (1997) fanden, dass 60 Prozent der Angehörigen Demenzkranker keine Kenntnis über entsprechende Hilfsangebote hatten. Doch häufig sind Hilfen erforderlich, die über Information und konkrete Unterstützung hinausgehen und die es erforderlich machen, die psychodynamische Dimension einzubeziehen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Krankheit auf eine auch zuvor schon konfliktreiche Beziehungsstruktur trifft. Fallvignette 44: Die 62-jährige Frau F., von kräftiger Gestalt mit rot gefärbten Haaren und zupackendem Auftreten, litt an Asthma bronchiale und zuletzt an depressiven Verstimmungen. Wegen des Asthmas war sie bereits vor einigen Jahren in einer psychosomatischen Klinik behandelt worden, danach habe sie eine ambulante Psychotherapie absolviert und sich deutlich besser gefühlt. Frau F. machte für das Asthma ihren Mann verantwortlich, den sie aus Liebe geheiratet habe, bei dem sie sich dann jedoch mehr und mehr eingeengt fühlte. Er sei sieben Jahre älter als sie, mit Gleichaltrigen habe sie nichts anfangen können, nach allem, was sie mitgemacht habe. Sie stellt sich gleich im ersten Gespräch als Kriegskind vor. Der Vater sei aus dem Krieg heimgekehrt, als sie vier Jahre alt war. Sie habe Angst vor diesem unbekannten Mann gehabt und sich gewehrt, als er sie auf den Arm nehmen wollte. Dies habe er ihr zeitlebens verübelt. Die Mutter erkrankte, als sie neun Jahre alt war, so dass Frau F. zeitweise von der Schule befreit war, um im Haushalt zu helfen. Als sie 14 war, verstarb die Mutter, was den Vater nicht hinderte, bald die Familie zu verlassen. Als sie ihm nach einiger Zeit gefolgt sei, habe er sie sexuell missbraucht. Durch ihren Mann sei endlich mehr Stabilität in ihr Leben eingekehrt. Doch auch er habe Besitzansprüche gestellt und seine Zurückgezogenheit habe keineswegs zu ihrer Lebenslust gepasst. Wenn sie unterwegs gewesen sei, habe er unentwegt angerufen und sie für jede Minute zur Rede gestellt, die sie zu spät gekommen sei. Es habe ihr immer mehr die Luft genommen, darauf sei das Asthma zurückzuführen. Vor zehn Jahren habe sie sich scheiden lassen wollen, dann aber doch nicht den Mut gefunden. In der Psychotherapie habe sie sich mehr Freiraum erkämpft, der nun jedoch wieder zunichte gemacht werde, weil ihr Mann an der Alzheimer’schen Erkrankung leide. Nach langem Drängen sei er endlich zum Arzt gegangen und die Diagnose sei zweifelsfrei gestellt worden. Dennoch habe er keine Krankheitseinsicht, nehme jetzt auch die Tabletten nicht mehr, die ihm verordnet worden waren. Sie müsse sich mehr und mehr auf die Zeit der Vergangenheit einstellen, in der er sich gerade befinde. Er spreche
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immer mehr über die Kriegszeit, was sie schon nicht mehr hören könne, und habe begonnen, Panzer zu sammeln, für die er teilweise viel Geld ausgebe. Er vergesse alles, manchmal erkenne er sie für Augenblicke nicht wieder, wie sie gefasst, ja fast gelassen berichtete. Er kontrolliere sie jetzt noch stärker, von Nachbarn wisse sie, dass er immer wieder aus der Haustür schaue, wenn sie weg sei, um auf ihre Rückkehr zu warten. Er hänge an ihr wie eine Klette, werde immer mehr zum Kind. Die Sexualität sei zum Erliegen gekommen, manchmal umklammere er sie jedoch von hinten und umfasse ihren Busen, was sie nur widerwillig geschehen lasse. Er mache auch Fotos von ihrem Busen, die er sich anschaue, wenn sie nicht zu Hause sei. Sie fühle sich immer mehr im Konflikt, wenn sie sich mit ihren Freundinnen treffe und ihrem Hobby, dem Sammeln von Puppen, nachgehe.
Frau F. hatte ihren Mann bewegen können, sich so weit einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, dass über die Diagnose Gewissheit bestand, was wir in einem Telefonat mit dem behandelnden Psychiater bestätigt fanden. In vielen Fällen aber sind Angaben über die Demenz von Angehörigen zu misstrauen. In manchen Fällen handelt es sicher eher um akute Zustände von Verwirrtheit oder zeitweiliger Vergesslichkeit, die zu einem chronischen Geschehen umgedeutet werden. Das Etikett »verwirrt« oder »dement« ist dann eher als ein Versuch der Pathologisierung vor dem Hintergrund eines Beziehungskonfliktes oder eines familiendynamischen Prozesses zu verstehen, in dem einem älteren Mitglied die Sündenbock-Funktion zugeschrieben wird. Es sollte also sichergestellt werden, dass die Diagnose überprüft und begründet ist. Bei Frau F. nun fiel auf, dass sie trotz der schwerwiegenden Diagnose mit wenig Anteilnahme über die Erkrankung ihres Mannes sprach. Wie war diese Reaktion zu verstehen? Manches wies auf die Zuspitzung eines seit langem bestehenden Ehekonfliktes hin. War sie ursprünglich die Beziehung zu ihrem Mann eingegangen, weil sie sich davon Sicherheit und Orientierung versprach, fühlte sie sich im Lauf der Zeit zunehmend eingeengt. Zusätzlich dürfte von Bedeutung gewesen sein, dass sie sich durch die Eroberung eines deutlich älteren Mannes, gewissermaßen eines väterlichen Ersatzobjektes, aufgewertet gefühlt hatte, als ob dadurch die Kränkung, die sie durch den Vater erlitten hatte, kompensiert worden war. Doch sie war eine vitale Frau und verspürte das Verlangen, Freiheit
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zu genießen und etwas zu erleben; sie war in mehreren Vereinen aktiv und bekleidete dort verschiedene Ämter und organisierte Gruppenreisen, die sie auch leitete. Für sie wie für viele Ältere stellen Reisen als kontrollierte und begrenzte Formen des In-die-WeltHinaustretens eine sublimierte Form der Triebbefriedigung dar, hier konnte sie ihre Kompetenz und ihre Organisationsfähigkeiten unter Beweis stellen. Der Unmut der Patientin entzündete sich nun mehr und mehr daran, ihren Mann als denjenigen zu erleben, der diesem Unternehmungsgeist im Wege stand. Die Hoffnung, dem Leben nach der Berentung noch einmal eine neue Dynamik verleihen zu können, wurde durch die Erkrankung des Mannes jäh gebremst, der zuvor bestehende Konflikt spitzte sich dadurch weiter zu. Das klammernd-abhängige Verhalten ihres Mannes verstärkte sich nun weiter, fast möchte man meinen, die Erkrankung sei ihm zur Hilfe gekommen, seine Frau zu binden. Auf der anderen Seite konnte man meinen, Frau F. sehe unbewusst die Chance der Befreiung aus einer Beziehung, aus der sie sich sonst nicht zu lösen vermochte. Man könnte somit von einer Rollenumkehr sprechen, wie sie von Gutman et al. (1981) im Anschluss an C. G. Jung als häufiges Veränderungsmuster in der zweiten Lebenshälfte beschrieben hatten. Doch der Machtzuwachs, den Frauen dabei erleben, ist häufig mit inneren Konflikten verbunden, stoßen die Selbstentwicklungswünsche doch auf innere Verbote des Über-Ich und die Inhalte des Ich-Ideals, die auf die Fürsorge für andere gerichtet sind (Peters 1999). Diese Werte und Verbote werden im Krankheitsfall natürlich in besonderer Weise aktiviert, zumal dann, wenn eine soziales und familiäres Umfeld verstärkend darauf einwirkt. Frau F. aber lebte in einem engen, kleinstädtischen Milieu und fühlte sich dadurch einer erheblichen sozialen Kontrolle ausgesetzt. So lebte sie auch mit dem Pflichtgefühl, der Pflege ihres Mannes nicht entkommen zu können. Diese zugespitzte Situation schaffte einen Spannungszustand und beförderte ein Aggressionspotential. Frau F. bezeichnete ihren Mann als aggressiv, was sie bei ihm bisher nicht gekannt habe. Dasjenige Verhalten, das sie als aggressiv schilderte – wenn er beispielsweise sagt, sie habe Alzheimer, nicht er, wenn sie etwas vergessen hat –, wirkte jedoch eher als Ausdruck von Hilflosigkeit und
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Überforderung. Obwohl aggressives Verhalten Dementer häufig auf eine Überforderung oder die fortschreitende Regression zurückzuführen ist, durch die es zu einer Triebentmischung und einem direkteren Ausdruck von Aggressionen kommt, schien die Etikettierung des Verhaltens ihres Mannes als aggressiv doch eher Ausdruck einer Projektion zu sein. Der Vorwurf, er sei für ihr Asthma und für die jetzige Krise verantwortlich, ist zweifellos aggressiv getönt, eine Gefühlsfärbung allerdings, die hinter einer Opferhaltung verborgen blieb. Die Etikettierung des Verhaltens ihres Mannes als aggressiv legitimierte die Opferhaltung und eine daraus folgende Distanzierung von der Beziehung. Eine Beratung oder Psychotherapie sollte zunächst auf diesen Beziehungskonflikt fokussiert werden, um die angedeuteten unbewussten Zusammenhänge bewusst zu machen und reflektieren zu können, ohne allerdings die zugrunde liegenden lebensgeschichtlichen Erfahrungen – insbesondere mit dem eigenem Vater – einbeziehen zu können, was nur in einer längeren Psychotherapie möglich wäre. Für den Berater oder Therapeuten ist es wichtig, in einer neutralen Position zu verbleiben und sich selbst von der normativen Vorstellung zu befreien, die zur Pflege eines Demenzkranken verpflichtet. Die nicht realisierten Entwicklungswünsche von Frau F. sind ebenso zu respektieren, so dass ein Weg zu suchen ist, in dem beide Seiten Berücksichtigung finden. Die Pflegegesetzgebung zielt darauf ab, einen solchen Ausgleich zu fördern und zu unterstützen, indem ein Pflegemix von professioneller und familiärer Pflege angestrebt wird. Solche, bislang allerdings nur wenig realisierten Pflegemodelle sind geeignet, auch die Wünsche und Belastungsgrenzen der pflegenden Angehörigen zu berücksichtigen. Neben der Bearbeitung des Beziehungskonfliktes bestand ein wichtiger Schritt darin, Frau F. umfassender zu informieren und Hinweise zu geben, wie ein Case-Management aussehen könnte. Zu diesem Zweck war eine Anbindung an eine Angehörigen- und Altenberatungsstelle sinnvoll, in der sie sowohl umfassend zu den zahlreichen Möglichkeiten der ambulanten und stationären Pflege wie auch zu juristischen Fragen beraten werden kann, beispielsweise zur Frage der Betreuung und der eingeschränkten Geschäftsfähigkeit. Weiter besteht hier auch die Möglichkeit, psychosoziale
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Entlastung und Unterstützung zu erfahren, etwa durch Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Eine solche Unterstützung sollte sich sowohl auf Fragen des Umgangs mit dem fortschreitenden Krankheitsprozess und den sich daraus ergebenden Verhaltens- und Persönlichkeitsänderungen (Grond 1984) als auch auf Fragen der Selbstfürsorge und des Selbstschutzes beziehen.
»Jetzt tun wir nichts mehr ...« – Eine verhängnisvolle Entwicklung Der Verlauf des Altersprozesses ist nicht schicksalhaft vorherbestimmt, sondern wesentlich durch die eigene Haltung und Lebensführung beeinflusst. Doch viele älter werdende Menschen blenden das näher rückende Alter aus, sie sind nicht informiert und richten ihre Lebensführung nicht danach aus, so lange wie möglich gesund zu bleiben, um Gebrechlichkeit und chronische Erkrankungen zu vermeiden. Präventionsmöglichkeiten werden von ihnen nicht wahrgenommen, zumal diese nach wie vor wenig etabliert sind und oft über das Projektstadium nicht hinauskommen (Kruse 2002). Rasch kommt eine verhängnisvolle Kette in Gang, wie bei dem nachfolgenden Paar. Fallvignette 45: Ein älteres Ehepaar, Herr und Frau S., hatte beschlossen, es sich nach der Berentung gut gehen zu lassen. Darunter verstanden sie ein Leben, in dem man sich so wenig wie möglich anstrengt, sich passiv treiben lässt, konsumiert und unentwegt Zerstreuung und Unterhaltung sucht. Sie nahmen sich vor, sich im wahrsten Sinne des Wortes zur Ruhe zu setzen. Ihre Auffassung vom guten Leben war eine fast karikaturhafte Überzeichnung einer wohlstandsgesättigten Lebensweise. Sie waren einfache Leute, verfügten über keine besondere Schulbildung und über keine qualifizierte Berufsausbildung, sondern hatten als ungelernte Arbeiter ihren Lebensunterhalt verdient. Immerhin hatte ihr Einkommen ausgereicht, sich ein kleines Häuschen zu bauen, das sie zu zweit bewohnten. Sie waren kinderlos geblieben, und auch eine geplante Adoption war gescheitert. Zwar hatten Neffen und Nichten in früheren Jahren eine Ersatzfunktion übernommen, doch es blieb ein Gefühl der Benachteiligung und des Neides spürbar, das sich gelegentlich in einem angespannten Umgang mit
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den Geschwistern und anderen Verwandten entlud. Sie hatten offenbar das Gefühl, das ihnen das Leben etwas vorenthalten hatte, was gerade in der ländlichen Umgebung, in der sie lebten, das Ansehen schmälerte und als Makel erlebt wurde. Ihr entwickeltes Lebenskonzept, geprägt durch das Bestreben, es sich gut gehen zu lassen, so wie sie es verstanden, stellte möglicherweise einen diesbezüglichen Kompensationsversuch dar. Es gelang ihnen nicht, ihr Leben anderweitig mit Sinn zu füllen als mit dem, den eine konsumorientierte Wohlstandsgesellschaft zur Verfügung stellt. Doch diese Lebensweise erfüllte sie mit Stolz angesichts einer nun scheinbar erreichten Kompensation ihres Unterlegenheitsgefühls. Zunächst ging dieses Konzept auch auf. Sie fuhren des Öfteren in den Urlaub, waren auch sonst viel unterwegs und ließen keine Gelegenheit verstreichen, Abwechslung, Unterhaltung und Zerstreuung zu suchen. Von den Verwandten wurden sie immer mehr mit Argwohn, mit Sorge, aber vielleicht auch Neid betrachtet; es wurde beobachtet, das sie kein Café ausließen und auch vor größten Portionen beim Mittagessen nicht zurückschreckten. Außerdem schienen sie alles darangesetzt zu haben, sich möglichst wenig selbst zu bewegen. Hatte der Bus, mit dem sie einen Ausflug machten, erst sein Ziel erreicht, steuerten sie sogleich das nächstgelegene Café an. Auch sonst war Bewegung etwas, das nicht in ihr Lebenskonzept passte, schließlich war das Auto ihr Statussymbol. Die Konsequenz war eine kontinuierliche Gewichtszunahme. Beide wirkten mehr und mehr aufgeschwemmt, Gicht, Arthrose und andere chronische Krankheiten machten ihnen zunehmend zu schaffen. Herr und Frau S. führten darüber eine große Klage, fühlten sich erneut vom Leben betrogen, was jedoch zu einer weiteren Distanzierung der Verwandtschaft führte. Korrigierende Einflüsse nahmen damit weiter ab, die erfahrene Distanz führte vielmehr zu einer weiteren Verfestigung ihrer Haltung, die orale Befriedigung ersetzte manches und diente zudem als Trostspender. Als beide in der Mitte der 70er waren, dekompensierte das System. Herr S. hatte inzwischen eine Herzerkrankung und eine Lungenerkrankung mit schwerer Dyspnoe entwickelt und war bereits mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert worden, während sie sich nur noch unter Mühen selbst fortbewegen konnte. Nach einem Sturz von Frau S. fühlte er sich völlig hilflos und überfordert und verständigte eine Verwandte, die sich auch kümmerte. Beide Ehepartner fanden sich rasch im Krankenhaus wieder. Sie zeigte sich völlig verwirrt, und auch er war kaum Herr der Lage und konnte sich seiner Hilflosigkeit nur durch ein unwirsches, aggressives Verhalten erwehren. Während des Krankenhausaufenthaltes wurde das Ausmaß des Problems deutlich. Das Haus war völlig verwahrlost, aufgrund einer schon
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länger bestehenden Inkontinenz der Ehefrau lag ein beißender Uringeruch im Haus. In allen Ecken fand sich schmutzige Wäsche, im Kühlschrank seit Jahren abgelaufene Lebensmittel. Die Entwicklung nahm ihren Lauf: Herr und Frau S. erhielten einen Betreuer und wurden in ein Pflegeheim eingewiesen. Sie konnte sich nur noch in einem Rollstuhl bewegen, war weiterhin phasenweise verwirrt, fand sich jedoch nach kurzer Zeit dennoch mit dem Leben im Heim ab, während er mit sich und dem Schicksal haderte und dagegen ankämpfte, sich dabei aber jegliche Sympathien verdarb. Eine Verwandte, die sich längere Zeit kümmerte und die von Frau S. bei Aufnahme in das Krankenhaus im Zustand der Verwirrtheit als ihre Tochter bezeichnet wurde, zog sich bald zurück, fühlte sie sich doch allzu sehr vereinnahmt und sah sich nun ihrerseits heftigen Entwertungen ausgesetzt. Es wurde immer einsamer um beide. Herr S. verstarb nach wenigen Monaten, einige Tage nachdem er dem Verkauf des Hauses zugestimmt hatte. Sie regredierte immer weiter und ging im Zustand zunehmender Verwirrtheit einem raschen Abbau entgegen. Frau S. verstarb einige Monate später.
Auf den ersten Blick betrachtet könnte man annehmen, dass beide ihr Alter genossen. Ohne Frage ist Genuss eine wichtige Dimension, die häufig bei der Forderung nach einem aktiven Alter verloren zu gehen droht (Rosenmayr 1996). In diesem Fall jedoch verhalf der Genuss offenbar dazu, ein hintergründiges Gefühl der Leere auszufüllen, schaffte aber keinen neuen Lebenssinn. Ein kulturell etabliertes Bild vom Alter als »wohlverdienter Ruhestand« wurde hier in eine individuelle Entwicklung eingebaut und dadurch in pathologischer Weise verzerrt. Es verschaffte der Pathologie gewissermaßen eine innere wie äußere Legitimation und Realitätsangepasstheit. So nahm die Entwicklung des Ehepaares einen verhängnisvollen, im Rückblick abzusehenden Verlauf, der als »Regression ins Alter« beschrieben werden kann (Plassmann 1997). Das Leben reduzierte sich zunächst auf eine orale, bald aber auch anale und urethrale Stufe des Daseins, als Schmutz, Dreck und Vermüllung überhand nahm. Für diesen Weg ins Alter finden sich in der Lebensgeschichte des Paares einige Anhaltspunkte. Herr S. wurde als Jüngster lange von der Mutter, die früh ihren Mann verloren hatte, verwöhnt, auch haftete ihm zeitlebens der Vorwurf an, nicht allzu arbeitsam zu sein. Frau S. hingegen galt als die Tatkräftigere, bei der jedoch der Eindruck entstand, dass sie ein lebensgeschichtlich be-
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gründetes und durch die ungewollte Kinderlosigkeit verstärktes Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren suchte. Sie umgab sich gelegentlich mit einem Nimbus des Geheimnisvollen und Erhabenen, um andere neugierig zu machen und auf diese den Argwohn und den Neid zu projizieren, den sie selbst in sich trug. Das Gefühl, sich jetzt im Ruhestand mehr als andere leisten zu können und auf der »Sonnenseite« des Lebens zu stehen, wertete sie in ihrem eigenen Erleben weiter auf. Zusätzlich war das nun praktizierte Lebenskonzept vermutlich auch geeignet, Gegensätze in der Ehe zu überbrücken und der Beziehung eine neue Basis zu verleihen. Doch der beschrittene Weg ins Alter führte in eine Sackgasse. Da keine Kinder vorhanden waren, fehlte ein mögliches Korrektiv im Hinblick auf die einseitige Lebensführung, aber auch eine anderer, sinnstiftender Lebensinhalt. Das Verhältnis zu den Verwandten, zu denen zuvor ein regelmäßiger Kontakt bestanden hatte, war zunehmend distanziert; alle betrachteten die Entwicklung mit zunehmender Sorge, aber auch Argwohn, niemand fühlte sich aufgefordert, einzugreifen. Aber auch die professionellen Helfer, mit denen Herr und Frau S. in Kontakt kamen, also der Hausarzt, Krankenhausärzte und das Pflegepersonal in der geriatrischen Klinik fühlten sich bald zurückgestoßen und demotiviert. Herr S. wurde mehrfach während der Krankenhausaufenthalte aufgeklärt und zu einer Veränderung seiner Lebensweise aufgefordert,so zum Beispiel das Rauchen aufzugeben und seine Gewohnheit zu ändern, nur Cola zu trinken. Doch diese Aufklärung erreichte ihn nicht, er fühlte sich angegriffen und wies alle Ratschläge unwirsch zurück. Seine Aggressivität wurde unberechenbar und war bei allen gefürchtet, doch sie entsprang seiner völligen Hilflosigkeit und Überforderung und wirkte wie ein Aufbegehren gegen ein Schicksal, das er als ungerecht empfand. Das Umfeld erwies sich als zunehmend überfordert, mit diesem Verhalten umzugehen. Weder der Sozialdienst im Krankenhaus noch ein psychiatrisch ausgerichteter ambulanter Pflegedienst wurden einbezogen. Der Umgang mit schwierigen älteren Menschen verlangt jedoch eine psychosoziale Kompetenz, die oftmals nicht zur Verfügung steht oder auf deren Einbeziehung aus Unwissenheit verzichtet wird. Ein Beratungsansatz hätte nur dann erfolgversprechend sein können, wenn es gelungen wäre, zunächst
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einmal das Verhalten von Herrn S. zu verstehen. So hätte die aggressive Ablehnung und Verweigerung als Schutz vor dem kränkenden und ängstigenden Eingeständnis verstanden werden müssen, das Verhängnis aufgrund eines verfehlten Lebenskonzeptes selbst herbeigeführt zu haben. Auch das Gefühl, vor den argwöhnischen Verwandten, die es ja schon lange hatten kommen sehen, als gescheitert dazustehen, begründet eine solche Schutzreaktion. Herr S. fühlte sich mit seiner Ehefrau völlig überfordert und zunehmend hilflos, worauf er mit wachsender Aggression reagierte. Die Spannung zwischen beiden spitzte sich immer mehr zu und es kam zu lautstarken Auseinandersetzungen. Doch auch dieses Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit vermochte Herr S. sich nicht einzugestehen. Sein Verhalten könnte also als Schamabwehr verstanden werden, die der Aufrechterhaltung des Ehrgefühls und dem Schutz des Selbstwertes diente. Nur die Einbeziehung dieser psychodynamischen Hintergründe hätte eine Chance eröffnet, für eine andere Lebensführung zu motivieren. Es stellt sich bei diesem Fall die grundlegende Frage, wie ein Altenhilfesystem ausgestaltet und welche Kompetenzen vorhanden sein müssten, um eine solch verhängnisvolle Entwicklung verhindern zu können. Erster möglicher Zugriffspunkt ist die Zeit des Übergangs zum Alter, in der ein nachberufliches Lebenskonzept geformt wird, das bei dem geschilderten Ehepaar auf einem verengten und einseitigen Altersbild beruhte. Gerade in dieser Zeit werden Weichen gestellt, die durch präventive Angebote beeinflusst werden können. Ein im positiven Sinne verstandenes aktives Altern, eine gesunde, ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung gehören zur Voraussetzung für ein gesundes Altern (Biener 1990). Nachgewiesenermaßen verlängert eine entsprechende Lebensführung zwar das Leben nur unwesentlich, aber die Wahrscheinlichkeit, chronische Krankheiten zu entwickeln, kann deutlich verringert werden. Die Wirksamkeit präventiver Angebote ist jedoch begrenzt, und Bevölkerungskreise mit Bildungsdefiziten werden von diesen Angeboten kaum erreicht, obwohl gerade hier eine höhere Anzahl von Risikofaktoren zu erkennen sind (Kruse 2002). Selbst dann ist keine Gewähr dafür gegeben, dass Betroffene zu einer gesünderen Lebensführung finden. Tief in der
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Persönlichkeit verankerte Einstellungen und Gewohnheiten lassen sich kaum ohne weiteres beeinflussen. Eine solch verhängnisvolle Entwicklung wie die beschriebene könnte nur aufgehalten werden, wenn Versorgungsketten bestünden, die wie selbstverständlich greifen, wenn die Möglichkeiten einer Einrichtung wie hier der geriatrischen Klinik überschritten sind. Die mit sehr großem Erfolg erprobten präventiven Hausbesuche, die von einem umfassenden Verständnis von Gesundheitsberatung ausgehen und notwendige Interventionen rechtzeitig veranlassen können, wären eine geeignete Methode, eine solch verhängnisvolle Entwicklung abzufangen (von Rentelen-Kruse et al. 2003). Doch eine lückenlose Versorgungskette ist bislang nicht geknüpft.
»Ich hatte einen wunderbaren Mann . . . « – Der Tod des Ehepartners Der Tod des Ehepartners gehört zu den Verlustereignissen im höheren Lebensalter, die eine grundlegende Neuausrichtung und -anpassung des Lebens verlangen. Dennoch gelingt in den meisten Fällen die Trauerarbeit, so dass nach einer geraumen Zeit das Leben in neue Bahnen gelangt. Trauerberatung oder Trauerselbsthilfegruppen können den normalen Trauerprozess unterstützen (Worden 1999). Manchmal kommt dieser Prozess jedoch ins Stocken, in solchen Fällen pathologischer Trauer ist eine eingehendere Beratung oder Psychotherapie erforderlich. Fallvignette 46: Die 64-jährige Frau R. wurde mit dem Bild einer depressiven Episode, einer somatoformen Funktionsstörung und einem Pruritus genitalis behandelt. Sie schilderte ein Gefühl von »Watte im Kopf«, sei vergesslich geworden, fühle sich völlig ausgelaugt und breche oft unvermittelt in Tränen aus. Sie war seit drei Jahren verwitwet, zusätzlich war im Jahr zuvor der Vater verstorben, dem sie sich stärker als der Mutter verbunden gefühlt hatte. Ihr Mann war bei einem tragischen Badeunfall ums Leben gekommen. Sie waren im Urlaub auf ihren Wunsch hin an den Strand gegangen und sie habe ihren Mann und ihren Sohn animiert, baden zu gehen. Doch sie habe den Wellengang unterschätzt, ihr Sohn habe sich in letzter Sekunde retten können, aber ihr Mann, obwohl ein guter Schwim-
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mer, sei vor ihren Augen ertrunken. Die Schuldgefühle angesichts dieses Unfalles ließen sie nicht los und anfangs habe sie oft Suizidgedanken gehabt. Manchmal habe sie abends im Bett das Gefühl gehabt, ihr Mann sitze neben ihr im Bett oder spreche zu ihr. Auch am Anfang der Ehe, so berichtete Frau R., habe sie manchmal ähnliche Ängste erlebt und sich gefürchtet, wenn sie allein zu Hause war. Doch ihr Mann sei wunderbar gewesen, er habe ihr alle Ängste genommen und sie hätten eine äußerst harmonische Ehe geführt. Sie habe sich absolut gleichberechtigt gefühlt, im Gegensatz zu ihren Erfahrungen in der Kindheit, als sie sich gegenüber der Schwester benachteiligt fühlte, die Abitur machen durfte, was ihr vorenthalten wurde. Doch im Lauf der Behandlung wurde deutlich, dass Frau R. seit über 20 Jahren an depressiven Verstimmungen litt und mit etwa 40 Jahren bis auf 40 Kilogramm abgemagert war. Diese verborgene Seite wurde zunächst nicht angesprochen. Seit dem letzten Todestag gehe es ihr erneut schlechter. Die Beziehung zu den Schwiegertöchtern sei sehr angespannt, dadurch könne sie sich auch den Söhnen nicht so nahe fühlen, wie sie es sich eigentlich wünschen würde. Ein Sohn sei zu den Zeugen Jehovas übergetreten, auch sie überlege, diesen Schritt zu gehen.
Partnerverlust im Alter führt den Untersuchungen zufolge weniger häufig zu pathologischen Trauerreaktionen als ein Todesfall im jüngeren Alter (Worden 1999). Hierzu mag beitragen, dass der Tod des Partners im höheren Lebensalter ein erwartbares,das heißt »normatives« Lebensereignis darstellt, diese aber weniger nachhaltige negative Folgen haben als nichtnormative Lebensereignisse, so die Befunde der Bewältigungsforschung. Hinzu kommt, dass nach einem langen Zusammenleben der Verlust nicht vollständig ist, ist doch vieles vom Verstorbenen verinnerlicht worden, das ebenso erhalten bleibt wie das gemeinsam Geschaffene. Andererseits sollten jedoch nicht die Einflüsse unterschätzt werden, die den Partnerverlust im höheren Alter zu einem einschneidenden Lebensereignis werden lassen. Die größere gegenseitige Abhängigkeit nach langer Ehe, das häufigere Vorkommen mehrerer Verluste zur gleichen Zeit, nachfolgende Einsamkeit einschließlich des Fehlens körperlicher Nähe oder die insgesamt eingeschränkteren Möglichkeiten, den Verlust zu kompensieren, können zu einer dauerhaften Veränderung des Lebensgefühls und zu einer pathologischen Trauer führen.
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Von besonderem Einfluss sind zweifellos auch die Umstände des Todes, der besonders dann schwerer zu verarbeiten ist, wenn er plötzlich und unerwartet eingetreten ist. Schließlich hat die Art der Beziehung einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf des Trauerprozesses, wobei hier das Paradoxon gilt, dass die Trauer umso komplikationsloser erfolgt, je ambivalenzfreier die Beziehung war. Die Ehe von Frau R. aber war keineswegs frei von ambivalenten Gefühlen, und auch die Umstände des Todes hatten dazu geführt, dass sie diesen als traumatisch erlebt hatte. Halluzinationen und Wahrnehmungsverzerrungen, wie sie Frau R. beschreibt, gehören zur normalen Trauer. Waren die Todesumstände traumatisch, kommen Intrusionen als Element einer posttraumatischen Belastungsstörung hinzu, die, so die neuere Diskussion, manchmal bei Trauerreaktionen diagnostiziert werden sollte (Kersting et al. 2001). Frau R. schilderte, immer wieder die Unglückssituation vor Augen zu haben und sich von diesen Erinnerungen bedrängt zu fühlen. Beide Bedingungen hatten zu einer pathologischen Trauer geführt, die in der Phase des sehnsuchtsvollen Herbeiwünschens des Verstorbenen stecken geblieben war. Offensichtlich konnte Frau R. die Trauer eine Zeit lang durch eine verstärkte Hinwendung zu einem Ersatzobjekt, als das wie bei Frau R. bevorzugt die eigenen Kinder gewählt werden, vermeiden. Doch die Schwiegertöchter scheinen dies zunehmend verhindert zu haben, so dass sie diese als Rivalinnen erlebte, die ihr den Zugang zu den Söhnen versperrten, so wie sie in der Kindheit die Schwester als Rivalin erlebt hatte. Dadurch war sie jetzt wieder verstärkt auf die nicht vollzogene Trauer zurückgeworfen. In einer längeren Psychotherapie würde diese ödipale Thematik sicherlich einen größeren Raum einnehmen, im Rahmen einer stationären Kurztherapie schien es jedoch sinnvoller, auf die Verlustthematik zu fokussieren. Zur Therapie und Beratung Trauernder liegen eine Reihe von Konzepten und Ansätzen vor (Worden 1999; Maerker 2002c; Jerneizig et al. 1991). Dabei wird die Notwendigkeit betont, als ersten Schritt den Verlust zu aktualisieren, um die Realität des Todes anerkennen zu können, um dann in einem zweiten Schritt die zahlreichen und unterschiedlichen Gefühle, die nach einem Verlust auftreten – Traurigkeit, Hilflosigkeit, Angst oder Schuldgefühle –
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ausdrücken zu können. Im alltäglichen Leben ist die Möglichkeit hierzu aufgrund der Distanz, die viele Mitmenschen Trauernden gegenüber wahren, oft nur sehr eingeschränkt gegeben. Hierzu trägt ein Gefühl des »Unheimlichen« bei, das viele im Umgang mit Trauernden empfinden, weil, so Freud (1919), der Tod frühe archaische Trennungs- und Verlustängste aktiviert. Aus dieser Distanz resultiert auch das häufige Einsamkeitserleben Trauernder. Im Zusammenhang mit den Gefühlen rückt noch einmal die Beziehung zum Verstorbenen sowie die Erinnerungen an ihn ins Blickfeld. Dadurch wird auch die kognitive Unterscheidungsfähigkeit zwischen der eigenen Person und dem Verstorbenen verbessert und die emotionale Ablösung angebahnt. Schließlich gilt es, das Leben ohne den Verstorbenen neu zu ordnen. Eine Psychotherapie ist dann erforderlich, wenn es zu einem pathologischen, chronischen oder verzögerten Trauerprozess gekommen ist, wie es bei Frau R. der Fall war. Bei ihr schien ein Schuldgefühl, das auch bei normaler Trauer auftritt, einen breiten Raum einzunehmen und die Trauerarbeit zu erschweren. Sie trug zweifellos eine Mitschuld am Tod ihres Mannes, schließlich hatte sie ihn und den Sohn zum Baden aufgefordert und offensichtlich den Wellengang unterschätzt.Doch es waren auch unglückliche Umstände, die zu dem tragischen Unfall beitrugen, so dass es wichtig war, die Umstände des Todes realistisch einzuschätzen, um den Teil ihrer realen Mitschuld herauszuarbeiten und das Schuldgefühl darauf zu begrenzen. Häufig vermischt sich eine reale Schuld mit einem anderweitig, lebensgeschichtlich begründeten Schuldgefühl. Die Differenzierung von Schuld und Schuldgefühl ist dann ein unerlässlicher Therapieschritt (Hirsch 1997). Wut und Groll, die zum normalen Erleben eines Trauerprozesses gehören, können nur schwer zugelassen werden, wenn ein Schuldgefühl im Vordergrund steht, auch dadurch kann ein Trauerprozess einfrieren. Des Weiteren war die Frage zu klären, was Frau R. veranlasst haben mag, die Situation falsch einzuschätzen. Über die unbewussten Beweggründe lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Von Bedeutung schien die idealisierende Beziehung zum Ehemann zu sein, eine Idealisierung, die ohnehin auch als Abwehr zwiespältiger Gefühl zu verstehen war, jedenfalls schien darauf die
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nicht unproblematische Geschichte ihrer Beziehung hinzuweisen. Diese Idealisierung könnte jedoch in der Unglücksituation dazu beigetragen haben, seine Fähigkeiten zu überschätzen und die Gefahr des Wellenganges zu unterschätzen. Ob sich darin ein unbewusster Trennungs- oder Todeswunsch manifestiert, mag dahingestellt bleiben. Hinzu kommt allerdings, dass einem idealisierten Objekt unbewusst die Eigenschaft der Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit zugeschrieben wird. Indem sich der Ehemann der stürmischen Brandung nicht gewachsen zeigte, hatte sich das idealisierte Objekt als verletzlich und sterblich erwiesen. Damit war etwas zerstört, auf dass Frau R. als Ergänzung ihres als unzulänglich empfundenen Selbst angewiesen zu sein meinte.Durch den Tod des Mannes war sie nun auf ihr eigenes Selbst zurückgeworfen und an die eigene Sterblichkeit erinnert. Indem Frau R. die Trauer nicht voranschreiten ließ, vermied sie jedoch diese Konfrontation mit Sterblichkeit. Auch in der Hinwendung zur Religion kam dieses fortbestehende Bedürfnis nach einem narzisstischen, unsterblichen Objekt zum Ausdruck. Allerdings sollte aus der Art der Objektbeziehung nicht auf eine einseitige Abhängigkeit vom Ehemann geschlossen werden, schließlich erweitert die Projektion des Ich-Ideals auch die Möglichkeiten, dieses zu kontrollieren und damit besondere Erwartungen an den anderen zu verknüpfen. So wirkte Frau R. im Umgang keineswegs zurückhaltend oder unsicher, vielmehr gewann sie auf Station bald eine zentrale Position und manch einer fühlte sich von ihr bevormundet. Auf dieser Grundlage der projektiven Identifikation kann auch der vermeintlich Unterlegene Macht und Einfluss über andere gewinnen. Die Differenzierung und Entwicklung des eigenen Selbst, das in der Lage ist, auf ein idealisiertes Objekt zu verzichten, bildete insofern eine zukunftsorientierte, entwicklungsfördernde Aufgabe in der Therapie. Frau R. musste lernen, andere Beziehungen für sich zu nutzen und wertzuschätzen, zumal die Möglichkeiten insbesondere älterer Frauen, einen neuen Partner zu finden, erheblich reduziert sind. Eine solche zukunftsorientierte Aufgabe konfrontiert also auch mit den Grenzen des Alters. Das Ziel musste darin bestehen, auf die begrenzteren Möglichkeiten des höheren Lebensalters bezogene Entwicklungsräume zu schaffen. Ihre religiöse
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Überzeugung und kirchliche Anbindung konnte dabei durchaus als Ressource aufgefasst werden, die bei vielen Älteren unmittelbare Anknüpfungspunkte bietet. Die kirchliche Seniorenarbeit umfasst vielfältige Angebote; so finden im Rahmen der Familienbildungsstätten Kurse, Gesprächskreise und Aktivitätsgruppen statt, die von Älteren zunehmend frequentiert werden.
»Ich halte es zu Hause nicht aus ...« – Soziale Isolation und Einsamkeit Für Ältere, die auf eine lebenslang eingeschränkte Entwicklung zurückblicken und in ihrer Persönlichkeitsstruktur Defizite aufweisen, die sie nie dauerhaft zu kompensieren vermochten, stellt das Alter eine besondere Bürde dar. Brechen jetzt stabilisierende äußere Strukturen weg, kann dieser Lebensabschnitt rasch zu einer schwer zu ertragenden Last werden. Dann sind Menschen dauerhaft auf äußere Unterstützung angewiesen, so wie die folgende Patientin. Fallvignette 47: Die 65-jährige Frau M. kam nach zwei Psychiatrieaufenthalten auf die gerontopsychosomatische Station; die Behandlung dauerte nur drei Wochen, dann hielt sie es nicht mehr aus. Nach einem Jahr kam Frau M. jedoch wieder und blieb sechs Wochen. Bei der Erstaufnahme machte sie einen äußerst unbeholfenen, ängstlichen, zum Teil desorientierten Eindruck, und ihre Ausdrucksmöglichkeiten waren begrenzt. Die Kleidung zeugte von eingeschränkten materiellen Möglichkeiten, Frau M. hatte einen altmodischen, unvorteilhaften Haarschnitt, ein herunterhängendes Lid als Folge einer Netzhautablösung verstärkte den Eindruck großer Hilflosigkeit. Sie schilderte, an Weinanfällen zu leiden, die sie nicht stoppen könne, besonders abends, wenn sie zu Hause sei. Nachts werde sie von Panikanfällen geschüttelt und höre dann die Stimme ihres verstorbenen Mannes. Ihren Haushalt schaffe sie kaum mehr, da sie es tagsüber in der Wohnung nicht aushalte, sie gehe morgens aus dem Haus und laufe ziellos in der Stadt umher, um nicht allein zu Hause sein zu müssen. Zweimal täglich besuche sie das Grab ihres Mannes und verbringe zwischendurch einige Zeit in einem Patientencafé der nahe gelegenen Psychiatrie. Die in der Psychiatrie verordnete neuroleptische und antidepressive Medikation hatte Frau M. wieder abgesetzt, weil sie aufgrund einer seit zwei
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Jahrzehnten überwundenen Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sehr skeptisch war. Frau M. war allein mit der bestimmenden und harten Mutter aufgewachsen. Der Vater fiel im Krieg, als sie fünf Jahre alt war; zu dieser Zeit wurde die Schwester geboren, die im Alter von eineinhalb Jahren von Russen erschossen wurde. Vom Großvater mütterlicherseits sei sie sexuell missbraucht worden. Frau M. heiratete und hatte aus dieser Ehe einen Sohn und eine Tochter, zu denen nur ein spärlicher Kontakt bestand. In zweiter Ehe hatte sie einen ehemaligen Alkoholiker geheiratet, der ihr geholfen habe, ihre Alkoholsucht ebenfalls zu besiegen. Sie hätten alles gemeinsam gemacht und sich gegenseitig Halt verschafft. Es habe aber ebenso heftigste Auseinandersetzungen bis hin zu Handgreiflichkeiten gegeben, auch sie selbst habe in große Wut geraten können und dann Gegenstände nach ihm geworfen. Vor zehn Monaten war ihr Mann verstorben, ein Verlust, über den sie nicht hinwegkam. Sie wurde von Angstzuständen überwältigt und klammerte sich an das verlorene Objekt. Auch in der Klinik entwickelte sie immer wieder Angst- und Panikattacken, insbesondere nachts meldete sie sich häufig bei den Nachtschwestern, weil sie nicht allein sein konnte. Tagsüber ließ sie die Zimmertür auf, um das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein.
Symptomatisch lag zwar bei der Patientin eine schwere Depression sowie eine Angst- und Panikstörung vor, jedoch hatte sich diese auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung bei schwacher Ich-Struktur entwickelt. Das Borderline-Konzept ist in der vorliegenden Form nur selten auf ältere Patienten anzuwenden, doch sind Bestrebungen erkennbar, es für Ältere zu modifizieren und dabei in Rechnung zu stellen, dass bei ihnen weniger extravertierte und agierende Äußerungsformen zu erwarten sind als bei Jüngeren (Abrams 2000). Bezieht man diese Überlegungen mit ein, kann bei Frau M. die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit zeitweise psychotischem Erleben gestellt werden. Der offenbar rasche Wechsel zwischen symbiotischer Nähe und durch aggressive Formen der Auseinandersetzung hergestellter Distanz in der Ehe spiegelte die mangelnde Objektkonstanz und die unklar differenzierten Selbst-Objektgrenzen wider, Defizite mithin, die bei einer schweren Störungen zu erwarten sind (Mentzos 1991). Dieses Wechselspiel, in dem sie sich vermutlich mit ihrem Mann ergänzt hatte, hatte ihr zu einer gewissen Stabilität verholfen, während sie
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sich nun schutzlos einer existenziellen Angst vor Ich-Verlust ausgeliefert sah. Nach dem Tod des Mannes hatten die akustischen Halluzinationen vor diesem Hintergrund die Funktion, diese fundamentale Angst zu binden und das verlorene Objekt nicht gänzlich untergehen zu lassen. Wie kann nun bei einer solchen Patientin eine Beratung oder Psychotherapie aussehen? Zweifellos gehört Frau M. zu denen, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung und schwacher Ich-Funktion auch dauerhaft auf eine äußere Anbindung und auf die Installierung von Hilfs-Ich-Funktionen angewiesen sind. Die therapeutische Unterstützung der Trauerarbeit, wie sie bei der zuvor vorgestellten Patientin möglich war, ist hier kaum angezeigt. Frau M. verfügt nicht über die Ressourcen, die für eine Trauerarbeit erforderlich sind, um das verlorene Objekt zu internalisieren und sich äußerlich von ihm zu lösen. Somit wäre es auch kaum sinnvoll, sie in der Absicht, ihre Selbstständigkeit und Abgrenzungsfähigkeit zu fördern, von den Friedhofsbesuchen abbringen zu wollen. Vielmehr waren diese Besuche als tagesstrukturierende Maßnahmen zu unterstützen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Ältere sich bei ihren regelmäßigen Grabbesuchen den Friedhof als kommunikativen Raum erschließen. Eine solche Zielsetzung könnte auch hier eine vorsichtige Öffnung herbeiführen, ohne dass ein Bruch droht, der die Patientin vollends dekompensieren ließe. Die Nähe zum verlorenen Objekt bleibt somit in konkreter Form zumindest vorläufig erhalten. Die weitere Einbindung der Patientin sollte von dem Ziel ausgehen, Strukturen und HilfsIch-Funktionen zu installieren, die das verlorene Objekt ersetzen und die es ihr erlauben, ihre Impulse zu steuern, die Angst zu binden und das alltägliche Leben zu bewältigen. Dabei sollte sie aber motiviert und ermutigt werden, an der Herstellung eines solchen Lebensrahmens aktiv mitzuarbeiten, damit sie diesen als ihren eigenen und etwas selbst Geschaffenes erleben kann. Erst ein solch strukturierter Lebensrahmen könnte ihr zu neuem Halt und zu einer besseren Stabilität verhelfen, nur dann könnte sie auch den Verlust ihres Mannes angstfreier realisieren. Mit dem Besuch des Patientencafés hatte sie bereits selbst einen Schritt in diese Richtung getan, daran sollte angeknüpft werden. Eine weitere Integra-
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tion in ambulante psychiatrische Strukturen konnte eine solche Stabilisierung langfristig gewährleisten. Ziel musste dabei sein, eine beratende Beziehung mit regelmäßigem, niederfrequentem Kontakt zu etablieren, in der eine günstige Übertragungsbeziehung die Identifikationsbereitschaft erhöht und die Fähigkeit zur Alltagsbewältigung unterstützt wird. Damit kann das Ziel verbunden werden, Frau M.s Abwehr zu verbessern und ihr ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, was sie braucht, damit sie lernt, für die notwendige Hilfe auch selbstverantwortlich zu sorgen. Im Rahmen einer solchen Beziehung würde auch neu über die Möglichkeit einer psychopharmakologischen Behandlung nachgedacht werden können. Um eine solche Anbindung und Betreuung anzubahnen, wurde ein Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst hergestellt. Dieser hat die Möglichkeit, ältere Patienten sozialarbeiterisch und psychiatrisch zu betreuen, sie im Bedarfsfall auch zu Hause aufzusuchen sowie die soziale Integration, beispielsweise über die Einbindung in Patiententreffs, zu verbessern. In der ersten Behandlung hielt es die Patientin nur drei Wochen in der Klinik aus, die Trennung vom Ehemann versetzte sie in immer größere Unruhe. Als sie nach einem Jahr erneut in die Klinik kam, was ihr eigener Wunsch gewesen war, zeigte sich, dass sie etwas von der Zuwendung und dem beschützenden Rahmen, den sie erfahren hatte, verinnerlicht hatte. Sie wirkte jetzt etwas gefestigter, die Anbindung an den sozialpsychiatrischen Dienst hatte ihr mehr Sicherheit gegeben. Sie besuchte zwar weiterhin zweimal täglich das Grab ihres Mannes, doch diese Besuche schienen nicht mehr den gleichen Stellenwert zu haben wie zuvor. Dieses Mal konnte sie sechs Wochen bleiben, mehr Kontakte zu Mitpatienten knüpfen und an mehr Behandlungen teilnehmen.
»Ich werde von Erinnerungen bedrängt . . . « – Zum Umgang mit der Vergangenheit Im Alter rückt die Vergangenheit wieder näher, so sagt der Volksmund. Auch wenn daraus nicht geschlossen werden kann, dass Ältere vornehmlich in der Vergangenheit leben, so ist nicht von der
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Hand zu weisen, dass die erinnerte Vergegenwärtigung der eigenen Lebensgeschichte wesentlichen Einfluss auf die Bildung der Altersidentität nimmt. Doch diese Erinnerungen können auch zur Belastung werden, wenn traumatische Erfahrungen durchbrechen, in das gegenwärtige Leben hineinragen und es belasten. Fallvignette 48: Die 79-jährige Frau R. wurde wegen Ängsten, ständiger Unruhe und einer somatoformen Störung des oberen Gastrointestinaltraktes in die Klinik aufgenommen. Sie hatte über 20 Kilogramm abgenommen und war deswegen bereits auf einer internistischen Station untersucht worden, ohne dass ein körperlicher Befund erhoben werden konnte. Die Zugabe von Fresubin habe ihr geholfen, das Gewicht nicht weiter sinken zu lassen. Die jetzige Erkrankung war ausgebrochen, als ihr Mann im Krankenhaus lag und sich kurzfristig in einem lebensbedrohlichen Zustand befand. Doch bereits zuvor waren Ereignisse eingetreten, die Frau R. mit ungewohnter Ambivalenz erlebt hatte. Ihr Mann war Förster gewesen und musste nach der Pensionierung das Forsthaus verlassen. Dies war beiden zunächst sehr schwer gefallen, doch sie hatte sich in dem neuen Haus bald eingelebt, ja hatte es sogar genossen, es nach ihren Vorstellungen gestalten zu können. Nun waren sie auf Familienbeschluss hin in den Anbau gezogen, damit ihre Tochter samt Familie das Haus bewohnen konnte. Das war ihr nicht recht gewesen, doch sie hatte schließlich nachgegeben, weil sie im Hinblick auf das Alter ihre Tochter in der Nähe haben wollte. Dass sie jetzt auch die Enkelkinder betreute und für sie kochte, erfüllte sie mit spürbarem, aber kaum geäußertem Unmut. Ihre Ambivalenz kam am stärksten in der Beziehung zu ihrem Mann zum Ausdruck. Sie hatte ihn zeitlebens als starken Mann gesehen, der die Familie dominierte, während sie selbst immer sehr ängstlich gewesen war und beispielsweise nie den Mut aufbrachte, allein einen Waldspaziergang zu unternehmen. Doch sie hatte unter seiner Dominanz auch gelitten, und nun im Alter schien sie sich gestärkt zu fühlen, während er Beruf und Försterhaus aufgeben musste und damit die Insignien seiner Macht verloren hatte. Herr R. versuchte seine Position zu verteidigen und die alte Macht zurückzugewinnen, indem er sich mit der Tochter zusammenschloss, um den Umzug zu beschließen. Frau R. vermochte ihrem Unmut darüber nicht Ausdruck zu verleihen. Die Möglichkeit seines Todes jedoch, als er im Krankenhaus lag, hatte ihre Ambivalenz ins Unerträgliche gesteigert. Einerseits brauchte sie ihn als beschützendes Objekt, andererseits wünschte sie sich die Befreiung von seiner Dominanz. Noch etwas anderes kam hinzu, was die Wahl eines beschützenden Ob-
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jektes als Ehepartner wesentlich beeinflusst hatte und die Bindung an ihn begründete. Sie war in den Kriegswirren traumatischen Erfahrungen ausgesetzt gewesen und hatte auf der Flucht aus Ostpreußen Dramatisches erlebt. Nicht nur die unerträgliche Kälte von minus 20 Grad, vor allem die vielen Leichen, die verwirrten und vergewaltigten Frauen und eingefrorene und ertrunkene Menschen, die sie bei der Flucht über das gefrorene Haff gesehen hatte, blieben ihr zeitlebens in Erinnerung. Die Mutter habe das Ziel nicht erreicht, sie sei von Bombensplittern getroffen worden, und auch der Vater sei auf der weiteren Flucht ums Leben gekommen. Sie sei bei einem Onkel im Westen aufgewachsen. Die Dominanz und der gradlinige Lebensstil des Ehemannes hatten ihr zeitlebens die Sicherheit gegeben, derer sie bedurfte, um diese traumatischen Erlebnisse kontrollieren zu können. Mit der Unsicherheit, die jetzt in ihr Leben eingekehrt war, war auch diese Abwehr geschwächt worden. Sie fühlte sich ständig von den traumatischen Erinnerungen bedrängt und empfand sie als große Belastung.
Frau R. gehört zu jener Generation, die die Kriegszeit als Kinder erlebt hat. Da die Vergangenheit im Alter wieder näher rückt, werden auch die Erinnerungen an Krieg und Vertreibung wieder wachgerufen. Infolge einer geschwächten Abwehr, häufig begründet durch Veränderungen der äußeren Lebenssituation oder kognitive Abbauprozesse, werden wie bei Frau R. die frühen traumatischen Erfahrungen erneut aktiviert (Heuft 1999). Die aktuelle Diskussion um die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen hat zur Entwicklung spezifischer therapeutischer Strategien geführt, die im Prinzip auch bei Älteren anwendbar sind (Hyer 1999). Nicht immer kommt es bei einer Trauma-Reaktivierung zu dem voll entwickelten Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (Teegen u. Meister 2000), häufiger noch sind es einzelne Symptome eines solchen Krankheitsbildes oder aber andere Symptome wie Ängste, Depressionen oder Körperbeschwerden, die in Erscheinung treten. In diesen Fällen ist sicherlich die zugrunde liegende Traumatisierung nicht ohne weiteres zu erkennen, dennoch sollte die Möglichkeit einer solchen Verursachung bei dieser Altersgruppe immer in Betracht gezogen werden. Die Ergänzung der Psychogenese durch eine psychohistorische Sichtweise sollte deshalb selbstverständlich werden. Bei Frau R. führte nun der aktuelle Konflikt zur Reaktivierung
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vergangener Traumata, was sich in den wiederkehrenden Intrusionen äußerte, aber auch in der Gewichtsabnahme zum Ausdruck kam. Man könnte darin gewissermaßen ein Verbindungsglied zu den traumatischen Erfahrungen sehen, schien es doch, als ob sie wieder den ausgemergelten Körper zur Zeit der Flucht annahm. Ebenso kam darin eine doppelte Botschaft zum Ausdruck, die sich auf die aktuelle Situation bezog. Zum einen diente die besorgniserregende Gewichtsabnahme der Darstellung ihrer Hilfsbedürftigkeit und Ohnmacht und kam damit einem Appell an die beschützenden Objekte gleich, deren Verlust sie fürchtete. Zum anderen kam darin aber auch ein Vorwurf zum Ausdruck, um den anderen mitzuteilen, was ihr angetan worden ist. Eine andere Form der Auseinandersetzung schien ihr nicht zur Verfügung zu stehen, so wie viele Ältere nur einen eingeschränkten Zugang zu ihren Gefühlen, insbesondere zu Ärger und Wut haben und sich Konfliktsituationen nicht zu stellen vermögen (Peters 2005). Neben Sozialisationserfahrungen sind hierfür auch traumatische Erfahrungen verantwortlich, die zeitlebens zu einer »Abdichtung« des Gefühlslebens führen können. Frau R. zeigte Zurückhaltung und Skepsis gegenüber der behandelnden Therapeutin im Sinne einer umgekehrten Übertragung. Darin kam ein Gefühl des Unmuts gegenüber der Tochter zum Ausdruck, durch die sie sich verdrängt fühlte. Frau R. hegte die unbewusste Annahme, dass die junge Therapeutin ebenso über ihre Wünsche hinweggehen und sich ihre Zurückhaltung zunutze machen könnte. Diese Skepsis verband sich mit der Sorge, die Therapeutin könne vielleicht auch kein rechtes Interesse an lange zurückliegenden Ereignissen entwickeln oder diese nicht nachvollziehen. Der Aufbau einer tragfähigen, vertrauensvollen Beziehung bildet den ersten wichtigen Schritt zur Behandlung traumabedingter Störungen (Reddemann 2001, 2004; Maerker u. Müller 2004). Die bereits geschilderten Möglichkeiten zum Aufbau einer solchen Beziehung bedürfen somit einer besonderen Beachtung. Eine solche Auseinandersetzung mit den frühen Traumata sollte also keineswegs vorbehaltlos forciert werden, vielmehr ist eine Konfrontation damit nur auf dem Boden einer sicheren Beziehungsbasis und eines angemessenen Erregungsniveaus vorzunehmen. Besonders
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hilfreich können vorgeschaltete Phantasieübungen sein, wie sie etwa Reddemann (2001) vorschlägt. Die Methode des »sicheren Ortes« gehört heute zu den Standardmethoden in der Behandlung traumabedingter Störungen. Damit soll ein gutes inneres Bild im Patienten verankert werden, das bei der Konfrontation mit den traumatischen Erfahrungen zur Verfügung steht und verhindern soll, dabei von Ängsten überschwemmt zu werden. Zu empfehlen ist somit ein nur vorsichtig konfrontierendes Vorgehen mit dem Ziel, die abgespaltenen Erlebnisse allmählich näher in Augenschein zu nehmen, verstehbar zu machen und in eine kontinuierliche Lebensgeschichte einzubetten. Frau R. fasste bald Vertrauen zur behandelnden Therapeutin und nutzte die Möglichkeit, über die sie bedrängenden Erlebnisse zu sprechen. Diese gewannen dadurch für sie selbst allmählich mehr Konturen, sie konnte sie besser einordnen und ihr Erleben mit Sinn versehen. Durch diesen Integrationsprozess fühlte sie sich sicherer und gewann mehr Abstand zu den sie zuletzt bedrängenden Bildern. Das Gefühl der Unruhe und Angst wurde fassbarer und dadurch erträglicher, so dass sie sich bald verstärkt der gegenwärtigen Lebenssituation und dem Konflikt des Ausgeschlossenseins aus der Vater-Tochter-Dyade sowie dem ambivalenten Erleben gegenüber dem Ehemann befassen konnte.
»Ich will ja nichts sagen . . . « – Die Einengung des Lebens im betagten Alter Im betagten Alter schränken sich die Lebensmöglichkeiten allmählich ein, das körperliche Altern stellt auch in Beratung und Psychotherapie eine mehr und mehr zu berücksichtigende Dimension dar, wie an der folgenden Patienten deutlich wird. Fallvignette 49: Die 84-jährige Frau T. hatte nach dem Tod ihres Mannes vor 18 Jahren eine juckende Hauterkrankung entwickelt (Prurigo nodularis), die zunächst wieder abgeklungen war, ihr aber erneut zu schaffen machte; sie war deswegen bereits mehrfach stationär in einer dermatolgischen Klinik behandelt worden. Manchmal, so schilderte sie peinlich berührt, leide sie unter einem solch extremen Hautjucken, das sie sich blutig
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kratze. Hinzu kamen verschiedene körperliche Erkrankungen (unter anderem eine bradykarde Herzrhythmusstörung nach Implantation eines Herzschrittmachers) und zuletzt eine zunehmend ängstlich-depressive Stimmung. In der Lebensgeschichte fanden sich keine Besonderheiten, was durchaus zur Zurückhaltung der Patientin passte, ihr Leben schien ebenso unauffällig verlaufen zu sein, wie sie uns jetzt unauffällig und zurückhaltend begegnete. Ihr Lebenskonzept folgte der Vorstellung, im Hintergrund zu bleiben und in einer gewissen Ergebenheit ihre Pflicht zu erfüllen. Sie schien erfüllt von einem Ethos der Bescheidenheit, der bei manchen Älteren anzutreffen ist. Diese sind durch eine Sozialisation geprägt, die insbesondere bei Mädchen Unterordnung und Demut zu besonderen Werten hat werden lassen. Frau T. schildert die Atmosphäre in der Herkunftsfamilie als harmonisch, zu den Geschwistern habe sie zeitlebens eine gute Beziehung gehabt. Sie war die jüngste von drei Töchtern, die beiden Schwestern waren bereits verstorben. Der Tod der älteren Schwester an der Alzheimer’schen Erkrankung sei für sie besonders schrecklich gewesen. Im Zusammenhang mit diesen Todesfällen war auch die Hauterkrankung erneut aufgetreten. Diese Verlusterlebnisse und das Gefühl, nun allein zurückgeblieben zu sein, lagen der ängstlich-depressiven Stimmung zugrunde. Im Kontakt wirkte Frau T. bescheiden, fast devot. Sie war stets bemüht, niemandem Umstände zu machen oder zur Last zu fallen. Dass ihr Sohn sich wenig um sie kümmerte, obwohl er ganz in der Nähe wohnte, berichtete sie eher mit Unbehagen, so, als ob sie ihn damit bloßstelle. Auch als sie erzählte, dass während der Behandlungszeit eine große Familienfeier stattfinde, aber niemand sich bereit erklärt habe, sie zu holen, wirkte sie nicht vorwurfsvoll, sondern traurig. Sie machte einen verlassenen, vergessenen Eindruck. Diese vorsichtige, bescheidene Haltung war sicherlich Ergebnis ihrer Sozialisation und Teil ihrer Persönlichkeit, aber doch auch noch anders begründet. Auf der Station fiel auf, dass sie oft unbeholfen wirkte, Termine vergaß und rasch überfordert war. Wir hatten zunehmend den Eindruck, dass sie sich durch ihre Vergesslichkeit verunsichert und auch bedroht fühlte, so dass sie sich mehr und mehr in ihre eigene Wohnung zurückgezogen hatte. Außerdem fiel uns auf, das sie deutliche Höreinbußen aufwies, aber über kein Hörgerät verfügte. Wir stießen auf Defizite, die uns aufmerken ließen.
Frau T. befindet sich in einem Lebensalter, in dem ein deutlich erkennbarer und oft auch folgenreicher Abbauprozess einsetzt, wie die Berliner Altersstudie ermittelt hat (Mayer u. Baltes 1996). Die
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zunehmende Gebrechlichkeit hatte ihre Lebensmöglichkeiten allmählich eingeschränkt. Hinzu kam die Häufung von Verlusten, die das Lebensgefühl veränderten, ihr Vertrauen in die Welt erschüttert und die Lebensfreude beeinträchtigt hatten. Doch neben dem Lebensalter ist auch der Einfluss eines konflikthaften Geschehens von vornherein in Betracht zu ziehen. Allein Verluste und Abbauprozesse im Auge zu haben, birgt die Gefahr einer Unterschätzung der Möglichkeiten der Patientin. Eine angemessenere Sicht lässt sich nur bei Berücksichtigung der engen Verquickung unterschiedlicher Einflüsse gewinnen, so dass einfache Erklärungen im Sinne eines schicksalhaften Verlaufs zu kurz greifen und der Komplexität keineswegs gerecht werden. Zunächst einmal ist die Hauterkrankung psychosomatisch zu betrachten. Psychosomatische Erkrankungen bei Älteren wurden bislang wenig zur Kenntnis genommen, erst neuere Untersuchungen zeigen das große Ausmaß an funktionellen und somatoformen Störungen (Gunzelmann et al. 1996). Das Hautjucken, das jeweils auf Verluste folgte, hatte offenbar eine Entlastungsfunktion im Zusammenhang mit der Verarbeitung dieser Verluste. Man könnte vermuten, dass angesichts der Verluste die Beziehung des Selbst zum eigenen Körper gefestigt und so ein inneres narzisstisches Gleichgewicht notdürftig aufrechterhalten wurde. Gleichzeitig war damit ein Rückzug von der äußeren Welt der Objekte verbunden. So hatte Frau T. sich zunehmend in ihre Wohnung zurückgezogen, die sie jetzt mehr und mehr als ihre Schutzburg empfand, so wie bei vielen Älteren die Welt allmählich auf die eigene Wohnung zusammenschrumpft. Dieser Rückzug war einerseits eine Reaktion auf die eingetretenen Verluste, aber gleichzeitig auch als Reaktion auf die Enttäuschung zu verstehen, dass ihr die verbliebenen Bezugspersonen, also der Sohn und dessen Familie, nicht mehr Zeit und Aufmerksamkeit zur Verfügung stellten. Doch die Gefühle von Enttäuschung und Groll über die Vernachlässigung hätte sie nicht offener zeigen können, dies hätte nicht ihrer Persönlichkeit entsprochen. Sie hatte es nie gelernt, sich offen auseinander zu setzen, auch ihre Ehe war in voller Harmonie verlaufen. Wie bei vielen Älteren finden wir hier Werte und tief in der Persönlichkeit verankerte Eigenschaften, denen im Ich-Ideal und Über-Ich ein hoher
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Stellenwert zukommt. Sie sind Ausdruck einer Zeit, in der sich die primäre Sozialisation im Rahmen autoritärer, hierarchischer familiärer Strukturen vollzog und insbesondere Mädchen wenig Entwicklungsspielraum bot. Diesen Werten entsprechen zu können, verschafft Älteren durchaus ein Gefühl innerer Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Doch sie werden zum Hemmnis, wenn Gefühle von Enttäuschung und Groll kaum zu vermeiden sind. Einerseits drängen diese hervor, andererseits würde deren offener Ausdruck wie ein eigenes Versagen erlebt werden. Im Alter kann diese Hemmung sogar dann weiter verstärkt werden, wenn sich der ältere Mensch auf die verbliebenen Objekte trotz allem angewiesen fühlt und er die Angst hegt, sie bei einer offenen Auseinandersetzung vollständig zu verlieren. Das war zweifellos bei Frau T. der Fall, und auch uns begegnete sie mit einer gewissen Unterwürfigkeit, so, als ob sie von der Annahme ausging, nur so unsere Zuneigung gewinnen zu können. Doch nun schien diese Haltung und der vollzogene Rückzug nicht mehr auszureichen, das bestehende, wenn auch fragile Gleichgewicht trug nicht mehr, weil zunehmend eine kognitive Beeinträchtigung und andere Gebrechen hinzukamen und eine neue Bedürftigkeit schufen. So wurde im Lauf der Zeit deutlich, dass Frau T. ihre Tabletten (sie nahm Marcumar, das eine regelmäßige Einnahme verlangt) nicht regelmäßig einnahm, auch andere alltägliche Dinge wollten ihr nicht mehr gelingen. So hatte sie schon einmal den Herd angelassen, sie habe es einfach vergessen. Wir führten eine testpsychologische Untersuchung zur Überprüfung der kognitiven Einbußen durch und kamen zu der Diagnose einer leichten kognitiven Beeinträchtigung. Es gehört zu den vordringlichen diagnostischen Aufgaben im Umgang mit Älteren, die Möglichkeit eines solchen Abbaus einzubeziehen und diagnostisch abzuklären. Zur vorläufigen Aufrechterhaltung ihrer Selbstständigkeit mussten mehrere Schritte eingeleitet werden. Zum einen musste regelmäßig ein Pflegedienst bestellt werden, um die Medikamenteneinnahme zu überwachen, zum anderen war eine Beratung bei einem sozialen Dienst erforderlich, um Möglichkeiten der Wohnraumanpassung wie beispielsweise die Anschaffung eines Herdes mit Selbstabschaltungsfunktion abzuklären. Eine bessere
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Anpassung der Wohnung war durchaus geeignet, ihre Selbständigkeit noch eine Weile zu erhalten. Schließlich wurde für Frau T. Kontakt zu einer Altentagesstätte hergestellt, um die soziale Einbindung zu verbessern. Längerfristig war sicherlich die Alternative des betreuten Wohnens in Erwägung zu ziehen, doch vorerst war sie dazu nicht zu motivieren. Kontinuität und Beständigkeit hatten in ihrem Leben einen so hohen Stellenwert eingenommen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, ihre Wohnung aufzugeben. Diese war auch ein Raum der Erinnerung und hielt die Verbindung mit der Vergangenheit und den geliebten und verstorbenen Angehörigen aufrecht. Die angespannte Beziehung zum Sohn wurde trotz der Zurückhaltung von Frau T. immer offensichtlicher. Gewiss, sie klagte nicht, und was sie fühlte und dachte, war oft nicht ohne weiteres zu erkennen. Aber dennoch war es verwunderlich, dass dem Sohn die Einschränkungen nicht aufgefallen waren und auch die Schwerhörigkeit bisher unbehandelt geblieben war. Wir schickten die Patientin sogleich zum Akustiker und sie erhielt noch während des Aufenthaltes in der Klinik Hörgeräte, wodurch die Kommunikation deutlich erleichtert war. Sie zeigte immer wieder ihre Dankbarkeit für die erfahrene Hilfe, was den Umgang mit ihr erleichterte. Mit dem Sohn suchten wir telefonisch Kontakt aufzunehmen, was sich als äußert mühselig erwies. Es waren mehrere Telefonanrufe erforderlich, bei denen der Eindruck entstand, dass er sich verleugnen ließ und sich seiner Verantwortung zu entziehen suchte. Als dann ein Gespräch zustande kam, nahm er unsere Schilderung der Einschränkungen eher lapidar auf; ihm sei es auch schon aufgefallen, dass sie vieles vergesse und manches nicht höre, aber so sei es eben bei alten Menschen. Wir verstanden seine lapidare Reaktion auch als Abwehr seiner Schuldgefühle, sich seiner Verantwortung entzogen zu haben. Als er seine Mutter bei Beendigung der Behandlung abholte, erklärte er sich zu einem gemeinsamen Gespräch bereit, in dem er eine größere Bereitschaft erkennen ließ, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Es entstand der Eindruck, dass sich Frau T. vor dem Hintergrund der allmählich spürbar werdenden Einschränkungen und Gebrechen und dem Näherrücken des Todes in ihrer Suche nach mehr Schutz und Si-
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cherheit mehr und mehr auf den Sohn verlassen hatte und in ihm das rettende Objekt zu erblicken hoffte. Doch dieser Erwartungshaltung hatte der Sohn sich entzogen. Er schien sich von der altruistischen Haltung der Mutter abzugrenzen und andere Werte besetzt zu haben, die ihm mehr Unabhängigkeit verschaffen. Möglicherweise war dies Ausdruck seiner Abgrenzungsbemühungen von einer Mutter, die Individuationsbemühungen kaum unterstützt haben dürfte. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass eine eher hedonistische Haltung, wie sie der Sohn an den Tag legte, in der heutigen Gesellschaft zunehmend verbreitet ist und sich die Pflegebereitschaft der Kinder zukünftig deutlich verringern wird, wie neuere Untersuchungen zeigen (Klie u. Blaumeister 2002). Aufgrund dieser postmodernen Einstellungen wird eine stärkere Abgrenzung und eine Vermeidung der Übernahme von Hilfs- und Pflegemaßnahmen mit weniger Schuldgefühlen verbunden sein. Zukünftig wird mehr Motivationsarbeit vonnöten sein, familiäre Hilfeleistungen zu aktivieren.
»Es ist so laut hier ...« – Sich im Heim zurechtfinden Der Abschied vom bisherigen Leben, der Übergang ins Heim und das Sich-Einleben in der neuen Umgebung stellt wohl einen der am meisten ängstigenden und belastenden Einschnitte im Leben dar, die ein älterer Mensch zu bewältigen hat. Der Anstieg der Mortalität nach der Heimeinweisung ist statistischer Niederschlag der Schwierigkeiten, die mit dieser Zäsur verbunden sind. Es gehört ohne Frage zu den vordringlichen, aber weitgehend vernachlässigten psychosozialen Beratungsaufgaben, einen älteren Menschen auf diesen Übergang vorzubereiten und ihn dabei zu begleiten. Fallvignette 50: Bei der 87-jährigen Frau G. aus finanziell gut situierten Verhältnissen war ich vom Sohn, der sich sehr um die Mutter kümmerte, gebeten worden, einige begleitende Gespräche mit ihr zu führen, obwohl sie selbst dem nur unwillig zugestimmt hatte. Vor etwa einem Jahr war ihr Mann verstorben, danach hatte sie eine schwere depressive Krise erlebt, sie litt an einem Parkinsonsyndrom und war wegen paranoider Ängste mehrere Wochen stationär in der Psychiatrie behandelt worden, von dort aus
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war sie in die Senioren- und Pflegeanlage eingewiesen worden. Hier war sie zunächst im Pflegetrakt untergebracht, gleichzeitig hatte der Sohn jedoch eine Seniorenwohnung in der gleichen Anlage angemietet, in der auch schon einige ihrer Möbel untergebracht waren. Ziel des Sohnes war es, seine Mutter so weit zu stabilisieren, dass sie in der Lage war, diese Wohnung beziehen und dort in weitgehender Selbständigkeit leben zu können. Zunächst wirkte Frau G. völlig apathisch und sprach kaum. Im zweiten Gespräch begann sie, sich über das Heim zu beklagen, es sei so laut und mittags würden die Teller so voll gemacht, dass ihr der Appetit vergehe. Des Weiteren beklagte sie, nicht allein gehen und sich nicht allein anziehen zu können, ihre Finger seien so steif und unbeweglich. Trotz dieser beginnenden Beschäftigung mit ihrer Situation wirkte sie weiter deprimiert, sie war aus dem Bett gefallen und hatte sich wehgetan; sie habe sich wohl zu viel vorgenommen. Immer wieder beklagte sie sich darüber, dass der Sohn zu viel von ihr erwarte, als ob sie mich teste, ob ich ähnlich viel von ihr erwarte. Im nächsten Gespräch nach einer urlaubsbedingten Pause fand ich sie zunächst nicht, bis ich feststellte, dass sie in die größere Wohnung umgezogen war. Als ich diese gefunden hatte, kam sie mir nach meinem Anklopfen im Laufschritt an der Tür entgegen, offensichtlich war sie sehr mobil geworden. Auch im Kontakt wirkte sie völlig verändert, erstmals gestaltete sie das Gespräch aktiv mit. Sie habe eine sehr nette Person gefunden, mit der sie sich unterhalten könne, außerdem habe sie Freude an der Ergotherapie und könne hier ihr Interesse an der Kunst einbringen. Sie berichtete mir jetzt viel aus ihrem Leben, über ihr Interesse an der Kunst und von den Plänen, sich die geliebten Kunstbände aus ihrem Haus zu holen. Ich führte noch zwei Gespräche mit ihr, in denen sie unverändert agil wirkte. Nach einigen Monaten berichtete mir der Sohn, dass es ihr weiterhin gut gehe, sie mit Freunden Kontakt habe und mit diesen wieder die alten Kartenrunden aufgenommen habe. Sie sei aber nicht in der Wohnung geblieben, sondern in das Pflegezimmer zurückgezogen – direkt neben dem Schwesternzimmer. Dieses habe sie persönlich eingerichtet, und dort fühle sie sich wohl.
Der Übergang ins Heim wird in den wenigsten Fällen in ausreichendem Maß vorbereitet und psychosozial begleitet. Das Problem liegt aber nicht allein an fehlenden Angeboten, sondern ist auch darin begründet, dass in vielen Fällen der Schritt nicht freiwillig, absehbar und damit prinzipiell planbar, sondern aus einer Notsituation heraus unter Handlungsdruck erfolgt. Die Mehrzahl der Heimeinweisungen erfolgt aus dem Krankenhaus, ohne dass der
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Ältere noch einmal in seine Wohnung zurückkehren kann, so dass nur ein begrenzter Spielraum besteht, den Pflegebedürftigen vorzubereiten. Dennoch wird unter den gegebenen Umständen der vorhandene Spielraum oft nicht ausgeschöpft. Zudem ist in der Wahrnehmung Älterer das Bild vom Heim trotz eines inzwischen sehr viel differenzierteren Angebotes allein vom Pflegeheim geprägt, eine einseitige Wahrnehmung mithin, die eine frühzeitige Beschäftigung mit einer altersgerechten Wohnform eher im Weg steht. Dennoch dürfen die Unzulänglichkeiten der Ausstattung und der Lebensumstände im Pflegeheim nicht bagatellisiert werden. Die Unzulänglichkeiten, die die Vorbereitung betreffen, setzen sich im Heim in unzureichender psychosozialer und psychotherapeutischer Begleitung im Hinblick auf die Verarbeitung der erlebten Zäsur und der inneren wie äußeren Anpassung an die neue Lebensumwelt fort, auch wenn eine verbesserte Ausbildung des Pflegepersonals und inzwischen gültige Richtlinien für eine Mindestausstattung von Heimen neuere Ansätze haben entstehen lassen. Doch die Mängel sind weiterhin unübersehbar. Die Reaktion vieler Älterer auf die neue Umgebung ist ein Rückzug in Schweigen, so wie Frau G. mich schweigend empfing und zunächst nicht gewillt war, dieses Schweigen aufzugeben. Dieser Rückzug ist gleichzeitig eine Hinwendung zum Tod, so wie Freud (1913) Stummheit als Symbol des Todes beschrieben hatte. Manche Ältere ziehen sich ganz in die Welt des Schweigens zurück, als ob sie damit selbst die Brücke zum Tod schlagen. Auch Frau G. verharrte zunächst in dieser Weltabgewandtheit, in der sie kaum erreichbar war. Doch in den weiteren Gesprächen öffnete sich allmählich eine Tür, sie berichtete mir von ihrem Sturz und den Schmerzen, die dieser zur Folge hatte, und offenbarte damit eine auf ihren Körper bezogene sorgenvolle Haltung. Sie erklärte ihren Sturz damit, dass sie wohl zu schnell aufstehen wollte, und es kam zu einem Gespräch über ihren Impuls, aufzustehen, der ja mit einem Schritt zurück ins Leben zu tun hatte, sowie dem Scheitern, als ob doch die Kräfte gesiegt hatten, die dem entgegenstanden. Daran schloss sich ein Gespräch darüber an, was sie von ihrem Körper erwarten konnte und wie sie es vermeiden kann, sich zu überfordern, mithin
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eine zentrale Thematik des Alters. Allmählich reduzierte sich ihre Skepsis, die auf dem Gefühl beruhte, ihr Sohn habe sie abgeschoben. In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Sohn ließ sich dieses Misstrauen weiter abbauen. Nun beklagt sie sich darüber, wie laut es im Speisesaal sei und dass die Teller viel zu sehr gefüllt würden. Diese Klagen offenbarten, wie fremd und verloren sie sich fühlte und wie sehr sie die Geborgenheit ihres Zuhauses vermisste. Damit begann eine innere Auseinandersetzung, in der sie zwischen der neuen und der verlorenen Lebenswelt oszillierte und einerseits begann, Abschied zu nehmen, andererseits aber eine Suche einsetzte, sich die neue Lebenswelt anzueignen. Diese Suche konkretisierte sich in den Überlegungen, ob das Einzelzimmer im Pflegebereich oder die Wohnung im betreuten Wohnen die geeignetere Wohnform darstellte. Ihr innerer Raum öffnet sich allmählich weiter, indem sie begann, über ihr bisheriges Leben zu sprechen, um sich dieses in symbolischer Form wieder aneignen und einen Lebenssinn zurückgewinnen zu können. Diese Suche wurde begleitet von der Scham darüber, dass ihr dieses frühere Leben aus den Händen geglitten war und sie sich dieses nun mühsam neu aneignen musste. Das Schamgefühl und die Skepsis, ob ich mich in ihre Welt hineinversetzen kann, begleiteten uns durch die weiteren Gespräche. Die Welt des Schweigens ließ sie damit jedoch hinter sich, und sie machte sich auf den mühsamen Weg, ein Stück ihres verlorenen Lebens zurückzugewinnen. Es war keine Flucht in die Vergangenheit, sondern Voraussetzung dafür, sich der bisherigen Lebensgeschichte und ihrer Persönlichkeit zu vergewissern, um vor dem Hintergrund dieser Selbstvergewisserung in die Gegenwart eintreten zu können. So setzte sie sich nun damit auseinander, was aus der bisherigen Wohnung im Heim Platz finden könnte und welche Wohnform für sie die geeignetste sei. Dass sie sich letztendlich für den kleineren Wohnraum im Pflegebereich entschied, in dem weniger persönliche Gegenstände einen Platz finden konnten, könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie sich hier, gleich neben dem Schwesternzimmer, angesichts der durchlebten paranoiden Ängste sicherer fühlte, sie hatte damit eine neue Balance von Selbstständigkeit und Sicherheit gefunden. Zwei Jahre später verstarb sie während einer Reise an einem von ihr sehr geliebten Ort.
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»Dann werde ich abgewiesen an der Himmelspforte . . . « – Die Angst vor Tod und Sterben Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben gehört zu den unumgänglichen Therapie- und Beratungsthemen in der klinischen Arbeit mit älteren Patienten. Das Thema kann so lange verdrängt werden, wie der Zeitpunkt nicht absehbar ist, tritt jedoch eine todbringende Krankheit auf, wird eine Auseinandersetzung unvermeidlich. Damit kommt eine existenzielle und häufig auch religiöse Dimension ins Spiel. Fallvignette 51: Die 66-jährige Frau A. litt an einer schweren Depression und einer ängstlichen Persönlichkeitsstörung; in Vorbefunden war sogar von einer dauerhaften Persönlichkeitsänderung bei Extrembelastung die Rede. Vermutlich waren in letzter Zeit auch leichte kognitive Einbußen hinzugekommen. Vor sieben Jahren wurde bei Frau A. eine Sklerodermie diagnostiziert, die ständig voranschritt. Einschränkungen waren bereits festzustellen, so litt Frau A. unter erheblicher Mundtrockenheit. Durch das weitere Austrocknen der inneren Organe, das die Erkrankung kennzeichnet, würde sich das körperliche Leiden verstärken, die Lebenserwartung war auf wenige Jahre reduziert. Hinzu kam neben zahlreichen weiteren Krankheiten – insgesamt 17 Diagnosen – eine schwere Osteoporose, die zur Verabreichung von Polamidon geführt hatte; hier war inzwischen von einer Abhängigkeit auszugehen. Das Krankheitsbild war so fortgeschritten, dass sie in ihren alltäglichen Fähigkeiten bereits erheblich eingeschränkt war. Im Kontakt wirkte Frau A. nicht nur deutlich vorgealtert, sondern auch sehr brüchig und durchlässig. Im Erstgespräch entstand rasch eine große emotionale Intensität, über die sie kaum Kontrolle zu haben schien. Ihre Lebensgeschichte lag bald wie ein offenes Buch vor mir, in dem man beliebig blättern konnte. Sie schilderte folgende Lebensgeschichte: Die Mutter sei gewalttätig gewesen, habe sie vernachlässigt und hinter die fünf Jahre jüngere Schwester zurückgesetzt. Es sei öfter vorgekommen, dass die Mutter unter der Androhung, sich das Leben zu nehmen, im Schlafzimmer verschwand und die Tür hinter sich verschloss. Sie selbst habe dann voller Schuldgefühle und Angst vor der Tür gestanden und gegen diese geschlagen, um die Mutter von ihrem Plan abzuhalten. Der Vater habe sie hingegen gemocht, ohne dass er sich allerdings gegen die Mutter habe durchsetzen können. Bereits mit 14 war sie aus dem Haus gegangen, hatte zunächst bei einer Ärztin gelebt, dort für wenig Geld gearbeitet und auf
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einer Liege im Untersuchungszimmer neben den Urinflaschen übernachtet. Danach hatte sie im Krankenhaus gearbeitet, dort Diakonissen kennen gelernt, die in ihr den Plan hatten entstehen lassen, selbst ins Kloster zu gehen, was sei dann mit 19 getan habe. Zunächst habe sie in einem Waisenhaus gearbeitet, sei dort aber überfordert gewesen. Sie sei wieder weggeschickt worden, um sich zu besinnen, dann jedoch ins Kloster zurückgekehrt und Diakonisse geworden. Sie habe nun zunächst mit geistig behinderten Kindern gearbeitet, als sie auch dort überfordert war, habe sie in einem Altenheim gearbeitet. Das Klosterleben sei hart gewesen, sie habe auf vieles verzichten müssen, habe sich auch dort benachteiligt gefühlt, die kleinste Zelle bekommen und unter den ständigen Intrigen gelitten. Als sie 46 Jahre alt war, habe sie im Altenheim einen deutlich älteren Mann kennen gelernt, der dort in einer Erschöpfungssituation Hilfe suchte, nachdem seine Frau nach 29 Jahren Pflege gestorben sei. Das habe ihr imponiert. Es habe sich eine Beziehung entwickelt, die schließlich darin mündete, dass sie mit ihm über Nacht aus dem Hinterausgang des Klosters floh. Drei Jahre hatten sie gemeinsam verbracht, dann verstarb ihr Mann, noch heute bezeichnet sie diese Jahre als ihre glücklichsten. In die Nähe der Mutter und der Schwester zurückgekehrt, fühlte sie sich von diesen weiter gedemütigt. Vor drei Jahren habe sie ihre Putzstelle aufgegeben und lebe sehr zurückgezogen, gehe manchmal in den Bibelkreis, sie lese und male, so wie der Vater gemalt habe.
Die progressive Sklerodermie ist eine Erkrankung, bei der zunächst die Haut, dann aber auch mehr und mehr die inneren Organe austrocknen. Die damit verbundenen zunehmenden Einschränkungen, die bei Frau A. schon das Essen und Trinken erschwerten, führen schließlich zum Tod. Die Lebenserwartung ist auf wenige Jahre begrenzt und Frau A. blickte einem qualvollen Tod entgegengehen. Diese Realität war ebenso unumstößlich wie schwierig zu ertragen, sowohl für die Patientin wie für den Behandelnden. Ältere Menschen haben mehr Angst vor dem Sterben als vor dem Tod, so alle Befunde zu dieser Frage, dies umso mehr, wenn der Zeitpunkt und der Verlauf des Sterbens so absehbar ist wie in diesem Falle. Doch Frau A. hatte ebenso Angst vor dem Tod, für den sie sich nicht reif fühlte. Zunächst war die Frage zu stellen, welche Folgen die unheilbare Erkrankung für die Patientin hatte. Wahrnehmbar war ihre Affektlabilität und ihre offensichtlich gelockerte und labilisierte Abwehr,
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was dazu führte, dass sie von schmerzlichen Erinnerungen an ihre Vergangenheit immer wieder überschwemmt wurde. Die leidvollen und traumatischen Erfahrungen waren sehr nahe und beherrschten immer wieder ihr gegenwärtiges Erleben. In diesem labilisierten Zustand schien sie darum bemüht zu sein, nach Sicherheit zu suchen, etwas zu finden, was ihr angesichts einer bedrohlichen Zukunft Halt und Orientierung verleihen konnte. Sie hatte ein Bild gemalt, das ein Mädchen mit einer Taube in der Hand zeigte. Dieses Bild des Getragen- und Gehaltenwerdens brachte auch eine Übertragungsanspielung zum Ausdruck, nämlich die Hoffnung, im Behandelnden ein mächtiges Objekt zu finden, das sie schützt und bis an die Himmelspforte begleitet. Warum suchte sie nach einer solchen Entlastung, welche Angst veranlasst sie dazu? Im Vordergrund ihres Erlebens steht ihr Gefühl, versagt zu haben, also jenes narzisstische Gefühl, welches das eigene Selbst betrifft und sich darauf bezieht, Ansprüchen und Erwartungen nicht genügt zu haben. Ihre Lebensgeschichte und ihre Auffassung von Religion brachten zum Ausdruck, dass in ihrem Wertesystem Demut, Bescheidenheit, Genügsamkeit und Triebverzicht einen hohen Stellenwert einnahmen. Dieser Teil des Ich-Ideals stand unter der strengen Überwachung des Über-Ich, so dass Abweichungen kaum geduldet werden konnten, sie befürchtete, in diesem Fall von Gott abgewiesen zu werden, weil sie sich als nicht würdig erwiesen hatte. Da sie jedoch das Gefühl hatte, im Leben zu kurz gekommen zu sein und mit ihrem jetzigen Schicksal haderte, entstand ein Spannungsverhältnis zum Ich-Ideal, was die Angst hervorrief, nicht reif zu sein für Gott und an der Himmelspforte abgewiesen zu werden. In ihrer religiösen Vorstellung hatte sie sich Gott gegenüber bereits einmal als untreu erwiesen, als sie damals wegen eines Mannes das Kloster verlassen hatte, jetzt haderte sie erneut mit ihm, indem sie sich über das ihr auferlegte Schicksal beklagte. Doch sie war auch nicht bereit, ihr damaliges Tun zu bereuen, und stand loyal zu ihrem Mann, ja hoffte, im Jenseits wieder mit ihm vereint zu werden. Damit befand sie sich in einem Dilemma von Scham- und Schuldgefühlen. In der Begegnung mit ihr entstand manchmal das Gefühl, einem Sog ausgesetzt zu sein und in eine Tiefe des Lebens mitgerissen zu
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werden, die Unbehagen und Angst auslöste. Eine gute Zusammenarbeit im Team erscheint in diesen Fällen unerlässlich, um verschiedene Seiten sehen zu können. So sahen andere Teammitglieder auch Fähigkeiten bei der Patientin. In einer stationären Behandlung spiegelt sich beides oft in unterschiedlichen Beziehungen wider, indem Übertragungsanteile aufgespalten werden. Hier schien durch diese Spaltung der unversöhnliche Gegensatz von Leben und Tod auseinander gerissen zu werden, um den Tod vom Leben fern zu halten. Doch beides gehört zusammen, auch wenn es in dieser zugespitzten Form schwer zu ertragen ist und alle bedroht. Die Zusammenarbeit im Team kann dazu beitragen, das zusammenzufügen, was untrennbar zusammengehört. Dann können auch die Ressourcen zum Vorschein kommen, die Frau A. zur Verfügung standen, ihren Weg zu gehen. Sie verfügte nur über wenige Kontakte und klagte über ihre Einsamkeit, zuletzt hatte sie die Wohnung nur sehr selten verlassen können. Bereits jetzt war eine Situation eingetreten, die ein professionelles Unterstützungssystem erforderlich machte. Wir knüpften deshalb einen Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst, der sie gleich nach ihrer Entlassung aufsuchen würde. Dabei musste es um konkrete Hilfen wie Leistungen zum Lebensunterhalt, von Pflegeleistungen, Möglichkeiten der sozialen Integration sowie mittelfristig um die Frage der Wohnform gehen. In enger Abstimmung mit dem behandelnden Hausarzt sollte aber auch eine psychosoziale und seelsorgerische Betreuung gefunden werden, um der religiösen Einstellung der Patienten Rechnung zu tragen. Doch Frau A.s Angst und ihr Einsamkeitsgefühl waren nicht nur von äußeren Bedingungen abhängig. Winnicott (1958) hatte beschrieben, dass ein gutes Objekt, mit dem eine innere Zwiesprache zu halten ist, das Gefühl der Einsamkeit aufhebt. Verfügte sie über ein solches Objekt? Es fiel auf, dass es ihr in ihrem Leben immer wieder gelungen war, Menschen für sich zu gewinnen, eine Fähigkeit, die sie in der Beziehung zum Behandelnden einbrachte und die ihr auch dazu verhalf, den Oberarzt für sich zu gewinnen, der sie seit Jahren behandelte. Ihren ehemaligen Chef hatte sie beauftragt, ihre Beerdigung und ihre Hinterlassenschaft zu regeln. Aber auch in früheren Zeiten ließen sich ähnliche Beispiele finden. Vor
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Klinische Praxis – Beziehung und Prozess
dem Hintergrund dieser Fähigkeit stand die Person des Vaters, der ihr emotional nahe stand, hier war eine Ressource angelegt, die es zu stärken galt. Ein solch gutes Objekt konnte aber nur dann mehr zum Tragen kommen, wenn es gelang, die Strenge des Über-Ichs zu mildern und dieses zu beschwichtigen. Damit war auch eine Überprüfung ihres Gottesbildes verbunden, um zu erkennen, dass Gott nicht nur der strafende Gott ist, der ihr Entsagung und Aufopferung abverlangt, sondern auch der gütige, verzeihende Gott. Diese religiöse Dimension könnte auch im Rahmen einer seelsorgerischen Betreuung vertieft werden, die dann auch dazu genutzt werden könnte ihr zu verdeutlichen, dass das bei Ordenseintritt abgelegte Gelübde keine neue Weihe ist. Sich der Liebe, Güte und Sorge Gottes anzuvertrauen und aus dieser Liebe zu leben, geschieht in der Taufe, symbolisiert durch das Taufwasser. Damit verbunden ist das Bild Gottes als guter Hirte, wie in Psalm 23 beschrieben, aber auch der im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11–32) zum Ausdruck gebrachte Hinweis, dass der Mensch nicht aus seinen Werken und Vorleistungen, sondern allein aus seinem Glauben in die richtige Beziehung zu Gott gelangt und einen gnädigen Gott findet. Die weitere Vertiefung dieser seelsorgerischen Dimension würde Frau A. dazu verhelfen, ihren Glauben zu festigen, der unverzichtbarer Bestandteil ihrer Identität war, um auf dieser Grundlage ihre letzte Wegstrecke mit mehr Gelassenheit gehen zu können.
Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
Was ist Qualitätssicherung? Qualitätssicherung ist im Gesundheitswesen seit 1989 gesetzlich vorgeschrieben und heute im stationären Bereich fester Bestandteil der klinischen Arbeit, während ambulant die Entwicklung weniger rasch vorangeschritten ist. Hier stellt das Gutachterverfahren bei der Beantragung einer Psychotherapie eine seit langem etablierte Maßnahme zur Sicherstellung von Qualitätsstandards dar. Infolge des gestiegenen Kostendrucks hat aber im gesamten Sektor sozialer und gesundheitlicher Einrichtungen der Druck zugenommen, Abläufe zu optimieren, systematisch zu planen und zu dokumentieren und sich insgesamt um eine stärkere Kundenorientierung zu bemühen. Auch im Beratungswesen haben Maßnahmen zur Qualitätssicherung Einzug gehalten, eine Entwicklung, die sicherlich dann beschleunigt werden würde, wenn es, wie in einer Initiative mehrerer Verbände angestrebt, zu einem Beratungsgesetz kommen sollte. Die Qualitätsstandards der Bundesarbeitsgemeinschaft für Altenberatungsstellen (BAGA) bilden eine erste Grundlage für die Alten- und Seniorenberatung. Für den stationären Bereich liegen mehrere Qualitätssicherungsprogramme vor. Das PsyBado wurde von zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften entwickelt und hat eine entsprechend große Verbreitung gefunden (Heuft u. Senf 1998b). Dieses Programm wurde auch für die Arbeit mit Älteren adaptiert (Heuft 1998). Es umfasst neben einer Basisdokumentation auch spezifische Erhebungsinstrumente, beispielsweise den Beeinträchtigungs-Schwere-Score (BSS), der im Hinblick auf die Anwendung bei älteren Patienten adaptiert wurde (Schneider et al. 1997). Der Therapieerfolg wird nicht nur an standardisierten Instrumenten, sondern vor allem anhand individueller Therapieziele beurteilt.
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
Eine Veränderungsdokumentation wird sowohl aus Sicht des Patienten wie aus Sicht des Therapeuten vorgenommen. Qualitätssicherung beschränkt sich nicht auf die quantitative Erfassung von Daten, sondern hat sich zum Qualitätsmanagement weiterentwickelt, das unterschiedlichste Maßnahmen zur kontinuierlichen Überprüfung und Sicherung von Qualitätsstandards umfasst. Qualitätssicherung ist ein Bestandteil der Außendarstellung und auch Legitimationsnachweis, der infolge gestiegenen Kostendrucks und verschärfter Legitimationszwänge oft einseitig in den Vordergrund rückt. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass Qualitätssicherung in viel umfassenderem Sinne zu verstehen ist und ebenso die interne Reflexion und Weiterentwicklung im Hinblick auf Konzepte, Angebote und Abläufe umfasst. Auch die Erstellung von Behandlungsleitlinien resultiert aus diesem Prozess. Allerdings liegen diese bisher nur für die Behandlung von Demenzen vor, nicht jedoch für die allgemeine Behandlung Älterer. Inhaltlich befasst sich die Qualitätssicherung mit folgenden Bereichen: – Strukturqualität: Die Strukturqualität definiert sich über die personelle und räumlich-materielle Ausstattung einer Einrichtung, den Ausbildungsstand und die Qualifikation der Mitarbeiter sowie deren Unterstützung durch Supervision und Fortbildungsmöglichkeiten. – Prozessqualität: Die Prozessqualität ist am schwierigsten operational zu erfassen und bezieht sich auf die Abläufe innerhalb einer Behandlung. Hierzu gehört auch die Frage nach der Verweildauer sowie die Menge und Art verabreichter therapeutischer Leistungen. Das Ergebnis, demzufolge Ältere nicht nur seltener eine Psychotherapie erhalten, sondern innerhalb einer Einrichtung auch weniger therapeutische Leistungen bekommen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Prozessqualität und verweist auf deren hohe praktische Relevanz (Peters et al. 2002). – Ergebnisqualität: Die Ergebnisqualität kann im Rahmen der Evaluationsforschung bereits auf eine längere Tradition zurückblicken, obwohl auch hier die Arbeit mit Älteren seltener Gegenstand der Forschungsbemühungen war (siehe unten). Unter dem Gesichtspunkt einer verbesserten Kundenorientierung
Ergebnisse von Beratung und Therapie
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wird heute der Patientenzufriedenheit als Ergebniskriterium ein wesentlich größeres Gewicht beigemessen. Im Weiteren sollen einige Aspekte der qualitativen wie quantitativen Qualitätssicherung näher betrachtet werden.
Ergebnisse von Beratung und Therapie Radebold hat in dem zusammen mit einer Patientin verfassten umfangreichen Behandlungsbericht »Der mühselige Aufbruch« einen detailreichen und in vielfacher Hinsicht exemplarischen Einblick in die psychoanalytische Behandlung einer älteren Patientin vermittelt (Radebold u. Schweitzer 2001). Solche ausführlichen Kasuistiken sind unverzichtbar, auch wenn in Zeiten gestiegener Legitimationszwänge qualitative Ergebnis- und Verlaufsberichte allein nicht mehr ausreichen. Gefordert sind quantitative Studien, die den Nachweis der Effektivität von Beratungen und Therapien älterer Menschen zu erbringen vermögen. Während die Psychotherapieforschung im Allgemeinen die Phase der Legitimationsforschung, also des Nachweises ihrer Effektivität, hinter sich gelassen hat und sich vornehmlich mit Behandlungsprozessen befasst, gilt dies bislang nicht für die Behandlung älterer Menschen. Hier sind auch weiterhin Studien gefordert, die den Nachweis ihrer Effektivität unter Beweis stellen. Im Beratungssektor fehlen Evaluationsstudien mit mehreren Messzeitpunkten weitgehend. Katamnestische Angaben zum Erfolg von Beratungen, wie sie in der Studie zur Seniorenberatung erhoben wurden, sind sicherlich zurückhaltend zu bewerten, auch wenn hier Klienten und Berater mit einem hohen Prozentsatz das Erreichen der Ziele bestätigt und eine große Zufriedenheit mit der Beratung dokumentiert wird (Heinemann-Koch u. Korte 1999). In der Evaluationsstudie von Vogt (2004) werden sehr positive Ergebnisse zur Paarberatung berichtet. Nicht nur die Problembelastung innerhalb der Ehe hat sich deutlich verringert, auch in anderen Aspekten wie der Freizeitgestaltung wurden gleichermaßen Ver-
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
besserungen festgestellt. Die Zufriedenheit mit dem Beratungsverlauf und -ergebnis ist bei den Ratsuchenden sehr hoch. Auch zur Psychotherapie Älterer liegt nur eine begrenzte Anzahl von Studien vor, die heutigen methodischen Standards entsprechen (Heuft u. Marschner 1994; Heuft et al. 2000; Heuft u. Schneider 2001). Die genannten Autoren kommen in ihrer Übersicht zu dem Schluss, dass bisherige Studien keinen grundsätzlichen Unterschied in der Effektivität ambulanter Psychotherapie bei Älteren oder Jüngeren erkennen lassen. Außerdem konnte kein Unterschied zwischen kognitiv-behavioraler und psychoanalytisch orientierter Gruppentherapie gefunden werden (Gallagher u. Thompson 1983). Aufschlussreich ist auch die einzige im deutschen Sprachraum vorliegende Metaanalyse von Pinquart (1998), der zufolge allerdings die Effektstärken für kognitive Verhaltenstherapie unterhalb der bei jüngeren Patienten gemessenen liegen. Allerdings erhalten Ältere weniger Therapiesitzungen, obwohl die Befunde zeigen, dass sie länger brauchen, um die gleichen Ergebnisse zu erzielen (Knight 1988). Pinquart weist ebenso wie Heuft auf die große Heterogenität der Befunde hin, was einerseits auf methodische Probleme zurückgeführt wird, aber auch auf die interindividuelle Variabilität, die mit steigendem Lebensalter immer weiter zunimmt. Aus diesem Grunde sind differenzielle Analysen erforderlich. Diese zeigen einen geringfügig besseren Effekt bei dyadischen Interventionen im Vergleich zu Gruppenangeboten. Die stärksten Veränderungen wurden in der Selbstachtung, dem Erleben von Einsamkeit, der Kontrollüberzeugung und der Lebenszufriedenheit gefunden. Auch der Ausbildungsstand des Therapeuten ist danach von Bedeutung; bei therapeutischer Zusatzqualifikation und Erfahrungen in der Altenarbeit verbessern sich die Ergebnisse. Im Einzelnen werden diese Ergebnisse berichtet: – Psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen zeigen Verbesserungen, die Effektstärken liegen im Schnitt allerdings um 0.1 bis 0.2 unter denen bei anderen Altersgruppen gemessenen. – Die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie ist klarer belegt als die der psychodynamischen Therapie; zu Letzteren liegen nur wenige Studien vor. In der Studie von Gallagher und Thompson
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(1984) wurden Verhaltenstherapie und psychodynamische Therapie bei depressiven älteren Patienten miteinander verglichen, ohne dass ein Unterschied in den Ergebnissen festzustellen war. – Einzeltherapien erwiesen sich im Vergleich zu Gruppentherapien als effizienter. – Es konnte sogar ein größerer Effekt bei Heimbewohnern festgestellt werden. – In der fremdbeurteilten Depressivität waren die Effekte in den älteren Stichproben (>70 Jahre) geringer als bei den jüngeren. Auch bei den ältesten Gruppen traten jedoch mittlere Effektstärken von etwa .60 auf. Für den Bereich der stationären Psychotherapie kann bislang lediglich auf die Qualitätssicherungsstudie von Heuft (1998) sowie auf die Berleburger Studie zurückgegriffen werden (Lange et al. 2001; Peters et al. 2000; Peters et al. 2002). In der Studie von Heuft, die sich auf ein psychoanalytisch-fokaltherapeutisch ausgerichtetes stationäres Konzept bezog, wurde der Behandlungserfolg in erster Linie anhand des Erreichens von Therapiezielen definiert. Bei älteren Patienten ist die Anzahl interaktioneller Therapieziele deutlich geringer, wohingegen körperbezogene Ziele ansteigen, was sich aber nicht in den Therapiezielen wiederfand, die die Therapeuten formulierten. Außerdem geben Ältere generell weniger Therapieziele an als jüngere Patienten. Hinsichtlich des Haupttherapieziels sehen Ältere dieses als signifikant weniger erreicht an als jüngere Patienten, während Therapeuten keinen Unterschied zwischen beiden Gruppen sehen. Dieses Ergebnis ist einerseits im Hinblick auf die therapeutische Beziehung zu bewerten, aber auch darauf, dass die älteren Patienten deutlich kürzer behandelt wurden. In der Berleburger Studie wurde ein psychoanalytisch orientiertes, stark gruppentherapeutisch ausgerichtetes stationäres Behandlungskonzept überprüft, indem allein durch die Zusammenlegung der älteren Patienten das Behandlungssetting verändert wurde; weitere Modifikationen für die untersuchte Altersgruppe unterblieben zunächst, das heißt, sie wurden ansonsten genauso wie jüngere Patienten behandelt. Die Behandlungseffekte waren zunächst enttäuschend (Lange et al. 2001). Davon ausgehend, dass mit stei-
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
gendem Lebensalter die interindividuelle Variabilität zunimmt – was sich bei Heuft ebenso wie in den Eingangsbefunden abbildete –, wurden in einem zweiten Auswertungsschritt Untergruppen gebildet (Clusteranalyse), um dann für diese Untergruppen die Effekte zu berechnen. Nun zeigte sich ein deutlich verändertes Bild: Für akut belastete sowie neurotische Patienten fanden sich nun mittlere bis starke Effekte. Für körperlich sehr belastete Patienten sowie solche, die sich als weitgehend unauffällig darstellten, konnten nur schwache Effekte nachgewiesen werden. Weitere Analysen ließen zahlreiche Rückschlüsse über zugrunde liegende Prozesse und Bedingungen für zufrieden stellende Behandlungsergebnisse zu (Peters et al. 2000, 2002; Peters u. Hübner 2002), so dass von der Studie wichtige Impulse ausgingen, die in der Folgezeit zu einem wesentlich spezifischer gefassten gerontopsychosomatischen Behandlungskonzept führten (Peters 2000). Die Vorschläge zur Qualitätssicherung erbrachten daraufhin sich stetig verbessernde Behandlungsergebnisse mit zuletzt beachtlichen Resultaten im Bereich mittlerer bis starker Effekte; im Depressions-Inventar von Beck lagen diese bei 1.3 (Peters 2004b). Damit ist der Nachweis erbracht, dass eine konsequente Konzeptentwicklung zu Behandlungsergebnissen führt, die mindestens die Effektstärken aufweisen, wie sie bei jüngeren Patienten zu erzielen sind. Trotzdem fehlt weiterhin eine Multicenterstudie, um diese Befunde abzusichern. Eine solche Studie, an der mehrere Einrichtungen mit unterschiedlichen Behandlungsansätzen zu beteiligen wären, würde es erlauben, nach differentiellen Bedingungen zu suchen und die kostenrelevanten Aspekte genauer zu erfassen. In der heutigen Zeit wird nur dadurch der letztgültige Nachweis zu erbringen sein, dass eine solche Behandlung auch im Alter sinnvoll ist. Bislang liegt eine schon ältere, aber kaum zur Kenntnis genommene Studie aus den USA vor, die anhand von Krankenversicherungsunterlagen den Kostenreduktionseffekt nach ambulanter Psychotherapie untersuchte und diesen auch bei älteren Patienten für erwiesen hält. Den dort berichteten Ergebnissen zufolge ist der Einspareffekt bei Älteren sogar höher als bei Jüngeren (vgl. Lamprecht 1996).
Ausbildung, Fortbildung und Supervision
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Ausbildung, Fortbildung und Supervision Das zentrale Merkmal der Strukturqualität bezieht sich auf den Ausbildungsstand der Mitarbeiter und die spezifische Qualifikation zur Behandlung Älterer. Eine unzureichende spezifische Qualifikation kann als ein Hauptgrund für unbefriedigend verlaufende Behandlungen betrachtet werden. Über das mangelnde gerontologische Wissen und eine stereotypisierende Wahrnehmung Älterer, vor der auch Professionelle nicht gefeit sind, wurde bereits berichtet (vgl. Filipp u. Mayer 1999). Folglich wurden insbesondere in den USA Fort- und Weiterbildungsprogramme vorgelegt, um das Wissen zu erweitern und Einstellungsmodifikationen zu erzielen. Der Erfolg dieser Programme ist allerdings begrenzt (Filipp u. Mayer 1999), weil eine Vermittlung von Wissen zu Ich-fern ist, als dass darüber Einstellungsveränderungen und Veränderungen im Umgang mit Älteren zu erreichen wären. Programme, die einen Übungsteil umfassen oder Praktika einschließen, scheinen größeren Erfolg zu haben (Deary et al. 1993). Als standardisiertes Programm liegt in Deutschland lediglich das in der Arbeitsgruppe um Baltes entwickelte Programm für Altenpfleger vor (Neumann et al. 1993), das neben der reinen Wissensvermittlung auch die Förderung der kommunikativen und Verhaltenskompetenz umfasst. Die Autoren berichten von einem Anstieg selbstständigkeitsfördernden Verhaltens bei den Pflegekräften sowie einem Anstieg selbständigen Verhaltens bei den Bewohnern (Zank u. Baltes 1998). Im Hinblick auf die Ausbildung von Beratern und Therapeuten geht es nun weniger um die Entwicklung standardisierter Programme als darum, Ausbildungsinhalte und -konzepte zu entwickeln, die auf die Behandlung und Beratung Älterer vorbereiten. Inzwischen liegen Curricula mit möglichen Fortbildungsinhalten vor, die insbesondere von Hirsch (1999, 2000) erarbeitet wurden2. Er berücksichtigt in seinem detaillierten Weiterbildungsplan folgende Themenbereiche: – Grundlagenkenntnisse in sozialer Gerontologie, der Geronto2 Neuerdings liegt ein umfassendes Fortbildungscurriculum der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGG) vor.
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
psychologie – insbesondere der Entwicklungspsychologie vom mittleren bis zum hohen Lebensalter – sowie in der Gerontosoziologie und -pädagogik; Basiswissen in Geriatrie und Gerontopsychiatrie; Psychotherapeutische Methoden und deren Anwendung »gerontologisiert«, das heißt nicht defekt- oder reduktionistisch orientiert; Kenntnisse über mögliche inter- und intraindividuell sehr unterschiedliche spezifische Problemfelder und Besonderheiten Älterer, die aufgrund ihrer Auswirkungen in der psychotherapeutischen Behandlung zu berücksichtigen sind; Kenntnisse über unterschiedliche Behandlungs-, Beratungs-, Rehabilitations- und Versorgungsangebote für ältere Menschen insbesondere in der eigenen Region; Kenntnisse der Tätigkeit der verschiedenen in der Altenarbeit tätigen Berufsgruppen; Reflexion der eigenen Situation als Behandelnder unter Berücksichtigung der Beziehungs-Asymmetrie; Erste Behandlungen unter qualifizierter Supervision; Kenntnisse in der gerontologischen Evaluation und Überprüfbarkeit des therapeutischen Handelns.
Supervision und Balint-Gruppen sind unverzichtbare Bestandteile in der Arbeit mit Älteren. Nur in der konkreten Anleitung und Reflexion der Behandlungserfahrungen kann das erworbene Wissen auch zur Anwendung gelangen und mit dem konkreten therapeutischen und beratenden Handeln verknüpft werden (Hirsch 1993). Allein eine solche Verknüpfung kann auch zu Einstellungsveränderungen führen. Die altersstereotype Wahrnehmung, die auch bei professionellen Helfern zu finden ist, kann so durch eine eher individuelle Wahrnehmung ersetzt und die Kompetenz im Umgang mit Älteren erhöht werden. Als weiteren, für die Entwicklung beruflicher Kompetenz unerlässlichen Baustein empfiehlt Radebold (2000a) die themenzentrierte Selbsterfahrung. In der Arbeit mit Älteren ist die Person des Beraters/Therapeuten in besonderer Weise beteiligt. Die prägenden Erfahrungen mit Älteren in der eigenen Kindheit sind dabei ebenso von Bedeutung wie gegenwär-
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tige Erfahrungen mit den eigenen, älter werdenden oder schon verstorbenen Eltern sowie die Konfrontation mit dem eigenen näher rückenden Alter bei älteren Beratern/Therapeuten. Daraus resultieren vielfältige persönliche Berührungspunkte, die in die Wahrnehmung des Älteren und den Umgang mit ihm einfließen können. Dieser persönliche Bezug kann dazu führen, die Behandlung Älterer als besonderes belastend zu erleben, jedoch liegt darin auch die Chance, diese Arbeit in besonderer Weise als persönliche Bereicherung zu empfinden. Dieses Involviertsein sollte im Rahmen einer themenzentrierten Selbsterfahrung reflektiert werden, zumal in der regulären Selbsterfahrung, die Bestandteil jeder Weiterbildung ist, ein solcher Altersbezug kaum einmal thematisiert wird. Diese Grundlagen sind bisher aber nur unzureichend umgesetzt. Dennoch lassen sich einige Tendenzen aufzeigen, die auf eine Veränderung der jetzigen Situation hindeuten. Das Bild hat sich in zweierlei Hinsicht gewandelt. – Zunächst einmal bestehen heute eine Reihe von Fortbildungsmöglichkeiten für diejenigen, die bereits im Berufsleben stehen und sich nun spezifische Kenntnisse für die Arbeit mit Älteren aneignen möchten. Hierzu zählen die regelmäßig stattfindenden Fachtagungen in Kassel, Münster und Münsterlingen/Schweiz als auch die umfassenden Fortbildungskurse und -seminare, die am Institut für Alterspsychotherapie und Beratung in Kassel angeboten werden. Diese umfassen die Wissensvermittlung, Supervision und themenzentrierte Selbsterfahrung (Leitung Prof. Dr. H. Radebold) und entsprechen somit am ehesten den genannten Kriterien. In bestehenden berufsbegleitenden Ausbildungen wird inzwischen häufiger das Thema Alter berücksichtigt, so an einigen Ausbildungsinstituten für psychologische Psychotherapeuten. Auch die Deutsche Psychologen Akademie des BDP bietet inzwischen entsprechende Kurse an. Die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGG) plant derzeit die Einrichtung eines eigenen Fortbildungsinstitutes, um angehenden oder in der Gerontopsychiatrie tätigen Psychiatern entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten anzubieten. Außerdem greifen Fortbildungsstätten für Berater das Thema Alter vermehrt auf (Evangelisches Zentralinstitut in
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
Berlin), auch wenn in dem Grundlagenpapier des Deutschen Arbeitskreises für Jugend-, Ehe- und Familienberatung das Thema Alter nicht vorkommt (vgl. Klann 2002). – Auch die Ausbildungsgänge im Grundberuf berücksichtigen das Thema Alter heute stärker. So ist die Entwicklungspsychologie des Alters regulärer Bestandteil des Psychologiestudiums, und in Fachhochschulstudiengängen für Sozialarbeiter/Sozialpädagogen ist Altenarbeit/Gerontologie in Lehrveranstaltungen immer häufiger Thema (Hedtke-Becker u. Schmidt 1995). Für Psychologen wie für andere Berufsgruppen bieten einige Universitäten Aufbaustudiengänge an (Heidelberg und Erlangen für Psychologen, Kassel für Sozialarbeiter), die auf die Arbeit mit älteren Menschen vorbereiten. Die inzwischen nicht nur für Ärzte, sondern auch für Psychologen festgeschriebene Verpflichtung zur Fortbildung wird sicherlich die Nachfrage nach Fortbildung insgesamt und – so ist zu erwarten – auch die Bereitschaft erhöhen, spezifische Kurse und Seminare zum Thema Alter zu belegen, zumal mancherorts aufgrund der steigenden Nachfrage Älterer nach Beratung und Therapie zusätzlich einen Fortbildungsdruck erzeugt wird.
Ethische Fragen Der psychosozialen Beratung und Psychotherapie liegen besondere ethische Prinzipien zugrunde, die Maßstab unseres Handelns sein sollten, denn auch daran bemisst sich die Qualität der Arbeit. Dass dies bei Älteren in besonderer Weise zu gelten hat, lässt sich auf mehrere Gründe zurückführen. Die Gruppe der betagten Alten ist bis in die heutige Zeit hinein eine gesellschaftlich diskriminierte Gruppe, was in extremer Form am Zustand vieler Pflegeheime sichtbar wird. Immer wieder wurden in der Vergangenheit Missstände aufgedeckt, und es ist noch nicht allzu lange her, dass es vorkam, dass sich zwei Ältere in einem Altenheim ein Bett teilen mussten. Wenn der Medizinische Dienst in Hessen erst neuerdings fest-
Ethische Fragen
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stellt, dass in zahlreichen Heimen selbst die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Essen und Trinken keineswegs immer gewährleistet ist, dann wird deutlich, dass eklatante Versorgungsmängel nicht vollständig überwunden sind. Menschen aber, die der Gefahr gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind, bedürfen unseres besonderen Schutzes, auch wenn in den Versorgungsbereichen Beratung/Psychotherapie das ethische Prinzip der Nichtschädigung weniger offensichtlich zutage tritt oder verletzt wird. Dennoch ist diesbezüglich der Blick immer wieder kritisch zu erweitern, und wir sollten uns nicht allzu leichtfertig distanzieren. So ist in der Psychotherapie die übermäßige Pathologisierung auch unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten (Kottje-Birnbacher u. Birnbacher 1999). Eine Sicht, die Alter mit Krankheit gleichsetzt, bringt eine solche Pathologisierung zum Ausdruck und begünstigt einen Negativismus im Hinblick auf Behandlungsmöglichkeiten. Der inzwischen nicht mehr verwendete Begriff der Involutionsdepression kann als Beispiel angeführt werden. Wenn Ältere ein therapeutisches oder anderweitig psychosoziales Angebot nur eingeschränkt erhalten, dann ist damit auch das Prinzip der Gerechtigkeit berührt, das besagt, keinen Patiententypus zum Schaden eines anderen zu bevorzugen (Ehl 2004). Nach wie vor gibt es Therapeuten, die prinzipiell keine Älteren in Behandlung nehmen, und auch Altersgrenzen zur Aufnahme in eine psychosomatische Klinik sind noch nicht überall aufgehoben. Das Prinzip der Nichtschädigung berührt auch den Umgang mit der Schweigepflicht. Grundsätzlich unterliegen helfende Berufe der Schweigepflicht, doch sollten wir kritisch prüfen, ob wir dies bei Älteren immer einhalten, etwa dann, wenn Angehörige drängende Fragen stellen. Die Praxis zeigt, dass nicht selten Auskünfte erteilt werden, die bei Jüngeren nur mit vorheriger Einverständniserklärung gegeben würden. Diese sollte auch bei Älteren immer eingeholt werden. Dennoch kommen wir auch hier wiederum in Grenzbereiche, wenn kognitive Einschränkungen vorliegen und das Urteilsvermögen des Patienten eingeschränkt ist. Im Zweifelsfall sollte dann aber ein gemeinsames Gespräch geführt werden, an dem Angehörige wie der Patient selbst beteiligt sind.
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Qualitätssicherung in der klinischen Praxis
Das übergeordnete Prinzip der Nichtschädigung verlangt auch, alle Formen bewusster oder unbewusster Instrumentalisierung des Patienten zu vermeiden, womit sexuelle, emotionale oder finanzielle Motive gemeint sind (Kottje-Birnbacher u. Birnbacher 1999). In der Altenarbeit ist in diesem Zusammenhang besonders an das Thema der Gewalt gegen Ältere zu denken, dass erst neuerdings aus dem Tabubereich hervorgeholt und zumindest in Fachkreisen mehr zur Kenntnis genommen wird. Durch die verdienstvollen Arbeiten von Hirsch (Hirsch et al. 2000; Hirsch 2004) ist das Ausmaß an Gewalt gegen Ältere sowohl in Familien als auch in Pflegeheimen sichtbar geworden. Auch wenn offene Formen von Gewalt im Bereich von Beratung und Psychotherapie kaum vorkommen dürften, so wird doch das Spannungspotential deutlich, das sich im Umgang mit Älteren aufbauen kann. Manche Krankenhauseinweisung oder Unterbringung in einem Altenheim dürfte nicht zuletzt auch auf eine konflikthafte emotionale Beziehung zwischen dem Behandelnden und Patient zurückzuführen sein. Ein Spannungspotential kann auch bei Beratern/Therapeuten zu einem Gegenübertragungsgefühl führen, das sich in diesem Behandlungsrahmen in subtilerer Weise Ausdruck verschaffen kann. Ein des Öfteren zu beobachtender paternalistischer Kommunikationsstil, der auf Ausübung von Macht gründet, könnte etwa in dieser Weise gedeutet werden. Neben den ethischen Prinzipien der Nichtschädigung und der Gerechtigkeit sind in der Arbeit mit Älteren auch Autonomie und Fürsorge von Bedeutung (Ehl 2004). Ältere sind aufgrund ihres körperlichen Zustandes häufig in besonderer Weise auf andere angewiesen, was notwendig macht, ihnen mit Fürsorge zu begegnen. Damit konkurriert eventuell das Prinzip der Achtung ihrer Autonomie, die eine Förderung der Selbständigkeit und Respektierung der Unabhängigkeit verlangt. Beides gegeneinander abzuwägen ist bei eingeschränkten Älteren eine äußerst schwierige Aufgabe, die besondere Verantwortung, aber auch entsprechende Kenntnisse verlangt. Sich diese anzueignen, kann dann als Teil unserer ethischen Verantwortung betrachtet werden. Nur wenn beide Prinzipien in gleicher Weise beachtet werden, können wir dem Patienten wirklich gerecht werden (Frommer u. Frommer 1999). Die Beach-
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tung nur eines Prinzips kann im Extremfall an die Grenze zum Missbrauch führen, etwa dann, wenn dem Älteren so viel Fürsorge zuteil wird, dass seine Autonomie weiter geschwächt und seine Abhängigkeit unnötig verstärkt wird. Das oberste Ziel gilt der Förderung des Wohlbefindens des Patienten. Diesem kommen wir dann am besten nahe, wenn wir die Individuations- und Autonomiebestrebungen ebenso beachten wie die Bindungs- und Integrationswünsche und den Patienten dazu befähigen, beides selbst wahrzunehmen und miteinander zu verbinden. Eine besondere Verantwortung entsteht auch dann, wenn kognitive Einschränkungen infolge von Demenz oder dem bei Älteren häufig übersehenen und unterschätzten Delir auftreten, welche die Auffassungsgabe, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit einschränken. Dann kann eine vom Vormundschaftsgericht ausgesprochene Betreuung unumgänglich werden. Das Betreuungsrecht wurde im Jahre 1992 neu gefasst und hat die vormals bestehende Pflegschaft und Vormundschaft abgelöst. Im Rahmen des neuen Betreuungsrechts werden dem Betreuten wesentlich größere Rechte eingeräumt, es ist auf bestimmte Aufgaben beschränkt und immer zeitlich befristet. Dennoch ist mit der Entscheidung über die Einrichtung einer Betreuung beziehungsweise der Begutachtung über die Betreuungsnotwendigkeit und der Ausübung einer Betreuung immer eine besondere ethische Verantwortung verbunden (Wetterling et al. 1997). In Beratung und Therapie können Probleme im Zusammenhang mit einer Betreuung durchaus zum Thema werden, und meist spielen neben den Defiziten des Betreuten angespannte Beziehungen zwischen Betreutem und Betreuer oder Angehörigen, die die Betreuung veranlasst haben, eine große Rolle. Eine hohe faktische, aber oft auch symbolische Bedeutung kommt der Fahrtüchtigkeit zu, besonders wenn man bedenkt, dass im höheren Alter das Risiko steigt, selbst Hauptverursacher eines Unfalls zu werden (Mix et al. 2004). Allgemeine rechtsgültige Vorschriften bestehen nur eingeschränkt, und nur das Vorliegen geistiger Mängel kann zu einer gutachterlichen Abklärung der Fahrtüchtigkeit führen, die häufig erst dann veranlasst wird, wenn es zu Zwischenfällen gekommen ist. In Beratung und Therapie kann die Frage der Fahrtüchtigkeit durchaus kritisch thematisiert werden, um den Äl-
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teren zur Selbstprüfung zu motivieren und zur Ausübung von Selbstverantwortung zu veranlassen. Ältere Menschen können auf eine lange Lebenserfahrung zurückblicken und haben eine Lebensleistung erbracht, deren Anerkennung Grundlage einer jeden Beratung und Therapie ist. Besondere Verantwortung ist dann gefordert, wenn der Ältere in Grenzsituationen gelangt ist, die möglicherweise einschneidende Veränderungen im Hinblick auf die Lebenssituation oder -lebensführung verlangen oder das Thema Sterben und Tod berühren. Existenzielle Situationen implizieren ethische Fragen, auf die wir vorbereitet sein sollten.
Burn-out und Selbstfürsorge Befassen wir uns mit Qualitätssicherung, dann kann auch das Wohlbefinden und die berufliche Zufriedenheit des Beraters/Therapeuten nicht unbeachtet bleiben. Das Burn-out-Syndrom, das einen spezifischen, auf den Beruf bezogenen Zustand der Erschöpfung und des Ausgebranntseins beschreibt, hat in jüngster Zeit zunehmend Aufmerksamkeit erfahren. Hierzu mag die Zunahme an Belastungen beigetragen haben, die aus den begrenzteren Ressourcen im Sozial- und Gesundheitsbereich resultieren. Knappere personelle und materielle Spielräume und unsichere Arbeitsplätze führen zu einer erhöhten Stressbelastung. Doch es sind nicht nur diese verstärkt wirksamen äußeren Faktoren, die zum Burn-out beitragen, sondern auch die spezifischen beruflichen Anforderungen, die sich in der Arbeit mit Älteren stellen sowie die persönlichen Eigenarten, auf denen die besondere Motivation für diese Arbeit beruht. Zu den spezifischen Anforderungen gehört die Konfrontation mit existenziellen Themen wie Hinfälligkeit, Tod und Sterben sowie die beschriebenen Besonderheiten in der Beziehung zum älteren Menschen. Zusätzliche Belastungen entstehen dann, wenn sich der jüngere Berater/Therapeut durch einen älteren Menschen nicht anerkannt und als zu jung abgelehnt fühlt oder aber ihn der Neid des Älteren auf die vermeintlich besseren Lebens-
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chancen trifft. Zur Abwehr der daraus resultierenden Verunsicherung wird oft ein erhöhtes Engagement und eine ausgeprägte Fürsorge für den älteren Menschen an den Tag gelegt. Unterstützt wird dieses Engagement durch eine besondere Identifikation mit einem Ich-Ideal, das einen ausgeprägten Altruismus und Aufopferungsbereitschaft verlangt und die notwendige Abgrenzung erschwert. Schmidbauer (1977) hatte in seinem Buch »Die hilflosen Helfer« darin ein besonderes Motiv gesehen, einen helfenden Beruf zu ergreifen. In der Arbeit mit Älteren verbindet sich dieses Motiv häufig mit der unbewussten Hoffnung, sich als idealer, nicht enttäuschender Sohn oder Tochter zu erweisen und die erhoffte elterliche Anerkennung zu erfahren. Das besondere Engagement, das rasch zur Erschöpfung führt, ist oft bereits erstes Anzeichen eines beginnenden Burn-out-Prozesses und Ausdruck des Versuchs, diesem entgegenzuwirken. Diese Phase geht meist mit deutlichen Anzeichen von Unzufriedenheit, Gereiztheit, Konflikten mit Kollegen sowie der Unfähigkeit, abschalten zu können, einher. Der erhöhten Anstrengung folgt zunehmender Überdruss an der Arbeit und allmählicher Rückzug ins Private. Ein solcher Prozess ist in der Altenpflege, die mit besonderen Belastungen verbunden ist, häufig anzutreffen und führt zu einer eingeschränkten Verweildauer im Beruf von durchschnittlich kaum mehr als fünf Jahren (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW 1992). Auch wenn für andere Berufsgruppen keine Zahlen hierüber vorliegen, so vermutete Radebold (1988) doch einen ähnlichen Rückzug in therapeutischen Berufsgruppen. Dieser dürfte häufiger heimlich erfolgen und hinter einer Versetzung oder einer Bewerbung in einen anderen Bereich verborgen bleiben; ein solcher »legaler« Rückzug steht Altenpflegern nicht offen, da sie in dem einzigen Beruf tätig sind, der allein auf die Arbeit mit Älteren vorbereitet. Wird ein Burn-out-Prozess deutlich, ist es für Gegenmaßnahmen oft schon zu spät. Coaching oder Supervisionsangebote stehen zudem nicht immer zur Verfügung oder sind bereits dem Rotstift zum Opfer gefallen. Angesichts erschwerter Bedingungen im Sozial- und Gesundheitswesen geraten häufiger auch ganze Einrichtungen und Institutionen in eine Krise und sind von einem
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kollektiven Burn-out bedroht. Institutionelle Supervision oder Organisationsberatung sind in diesen Fällen Möglichkeiten, Fehlentwicklungen aufzuhalten, Ohnmacht und Hilflosigkeit zu begrenzen und eigene Handlungsspielräume zu erkennen. Doch oft sind einmal in Gang gekommene individuelle wie kollektive Burn-outProzesse schwer aufzuhalten. Aus diesem Grund sind präventive Maßnahmen umso dringlicher geboten. Aus- und Fortbildung sowie Supervision sind zweifellos wichtige Instrumente, die erforderliche Reflexions- und Handlungskompetenz zu erzeugen, um sich selbst die Zufriedenheit am beruflichen Tun zu erhalten. Gussone und Schiepek (2000) haben den Begriff der Selbstfürsorge als Gegenbegriff zum Burn-out eingeführt. Sie stützen sich dabei auf einen zentralen Begriff der Philosophie der Lebenskunst, die bereits in der Antike entworfen wurde und durch den Philosophen Foucault eine Renaissance erfahren hat (Schmid 1998, 2000). Es geht dabei weniger um spezielle Techniken, sondern um Selbsterkenntnis und Sorge um sich selbst. Die Selbsterkenntnis soll dazu führen, sich nicht allein von fremden Anforderungen und Normen leiten zu lassen, die der eigenen Person keinen Raum zur Entfaltung lassen. In der Arbeit mit Älteren könnte dies als Anregung verstanden werden, die Motive des Helfens zu überprüfen. Häufig sind diese in der eigenen Lebensgeschichte begründet, ohne dass der Einzelne sich selbst darüber ausreichend Rechenschaft abgelegt hat. Nur wenn diese Motive hinreichend bewusst geworden sind, lässt sich der Abstand herstellen, der zur Schaffung eines eigenen Handlungsspielraumes unerlässlich ist. In der Arbeit mit Älteren spielen Motive der Fürsorge und Opferbereitschaft, die die Sorge um sich selbst rasch als egoistisch erscheinen lassen können, eine wichtige Rolle. Zwar sind diese Motive als Teil unserer christlichen Kultur von besonderem Wert, aber sie können auch dazu verleiten, die eigenen Grenzen nicht rechtzeitig zu berücksichtigen, Forderungen von Patienten über Gebühr nachzugeben oder unzumutbare Arbeitsbedingungen länger zu erdulden, als es für das eigene Wohlbefinden zuträglich ist. Erst ein Prozess der Selbsterkenntnis öffnet den Blick, auch für sich selbst zu sorgen und auf das eigene Befinden zu achten. Es geht jedoch nicht nur um die Motive des Helfens, sondern
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auch um das, was die tägliche Arbeit ausmacht. Die Arbeit mit Älteren lenkt die Aufmerksamkeit des Helfers immer wieder auf die grundlegenden Fragen des Lebens. Derjenige, der ständig mit existenziellen Fragen konfrontiert wird, der wieder und wieder Fragen nach dem Sinn des Lebens, Enttäuschung über das Leben oder einem Lebensüberdruss begegnet, wird sich diese Fragen früher oder später auch selbst stellen. Er wird nicht umhinkommen, auch seine eigene Lebensführung auf den Prüfstand zu stellen und sich mit seiner eigenen Lebenszufriedenheit zu befassen. Die Arbeit mit Älteren wirft mithin Fragen auf, denen sich jeder Mensch stellen sollte, denen er aber oft genug ausweicht. In der Anregung, den eigenen Lebensentwurf zu hinterfragen und zu überprüfen, ob er den eigenen Vorstellungen und Wünschen ausreichend Rechnung trägt, liegt die Chance der Arbeit mit Älteren. Viele Ältere haben Beachtliches erreicht und ein anregendes Leben gelebt. Sie haben Mut bewiesen und Erfahrungen gesammelt, von denen sie auch im Alter zehren können und die ihnen helfen, die Zumutungen des Alters zu ertragen und zu meistern. Sich davon anregen zu lassen und zu lernen, kann eine bereichernde Erfahrung darstellen. Aus seinem beruflichen Tun einen solchen Gewinn für das eigene Leben zu ziehen, bietet wohl den größten Schutz vor Burn-out. Nur wenn dies gelingt, kann der pessimistischen Äußerung Freuds (1937), der zufolge das Regieren, Erziehen und Analysieren zu den drei »unmöglichen« Berufen zählt, in denen die Überforderung bereits im Ansatz angelegt sei, entgegengetreten werden.
Zukünftige Entwicklungen und Perspektiven
Es ist unbestritten, dass sich die psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung älterer Menschen zukünftig verändern wird, ob die Entwicklung aber – wie zu wünschen ist – eindeutig in Richtung einer Normalisierung geht, ist keineswegs ausgemacht. Von Normalisierung möchte ich dann sprechen, wenn das Alter als Personenmerkmal keine Rolle mehr spielt und ältere Menschen ebenso Zugang zu Versorgungseinrichtungen und -angeboten haben wie andere Altersgruppen auch. Manches spricht dafür, dass es sich um einen schwierigen, konfliktreichen Prozess handeln wird. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass zukünftig nicht mehr die Generation der (Kriegs-)Täter, sondern die der Opfer in Behandlung kommen wird, ja gegenwärtig schon kommt. Die bisherige Zurückhaltung oder gar ablehnende Haltung der Berater und Psychotherapeuten gegenüber einer Behandlung Älterer dürfte auch darin begründet liegen, dass dabei die Erfahrungen mit einer Generation zugrunde gelegt wurden, die eine historische Schuld auf sich geladen hatte. Sich auf eine Beziehung mit Opfern einzulassen, ist allemal leichter, als sich mit Patienten zu befassen, die zumindest in der Phantasie der Generation der Täter zugerechnet wurden. Wir begegnen jetzt Menschen, die diese historischen Ereignisse als Kinder oder Heranwachsende erlebt haben. Häufig waren diese Erlebnisse mit traumatischen Erfahrungen verbunden, die jetzt im Alter erneut wachgerufen werden und in zahlreichen Beratungen und Psychotherapien eine nicht unerhebliche Rolle spielen (Radebold 2000b, 2005). Doch der Generationenwechsel geht weiter. Die Generation der 68er befindet sich schon im Grenzgebiet zwischen mittlerem und höherem Lebensalter, sie stehen an der Schwelle zum Alter. Schon bald wird sie das Gros derer stellen, die als Ältere in den Beratungsstellen, Praxen und Kliniken behandelt werden. Damit kom-
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men Menschen in ein höheres Lebensalter, die andere generationsspezifische Erfahrungen mitbringen als die vorausgehenden Generationen. Psychotherapie ist ihnen weniger fremd, und häufig haben sie schon eigene Erfahrungen in früheren Behandlungen oder Selbsthilfegruppen sammeln können. Wir können in Zukunft somit von einer verbesserten Akzeptanz entsprechender Angebote ausgehen und die neuesten Zahlen zur Inanspruchnahme scheinen dies zu bestätigen. Zukünftige Klienten/Patienten werden sich vermutlich auch in der Beratung oder Psychotherapie selbst anders verhalten und eine größere Ungezwungenheit und Offenheit an den Tag legen. Außerdem hat sich diese Generation schon eher auf ein lebenslanges Lernen eingestellt, wodurch therapeutisch angestoßene Lernprozesse leichter in Gang kommen können. Viele der Angehörigen dieser Generation verfügen auch über eine differenziertere Sprache, um Innerseelisches auszudrücken, und mehr Konflikttoleranz, die eine konfliktorientierte Beratung/Psychotherapie erleichtert und zu einer reibungsloseren Passung zu den Einstellungen der Behandelnden führen. Die Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten könnte aber noch durch etwas anderes verändert werden, wird doch die Identität der zukünftigen Älteren schon Momente einer postmodernen Identität aufweisen, die weniger am chronologischen Alter orientiert ist. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die Bedeutung des chronologischen Alters nachlässt, dass Altersgrenzen sich auflösen oder doch an Bedeutung verlieren und Anzeichen einer alterslosen Gesellschaft auszumachen sind. Schon heute erleben wir in der Wirtschaft einen Abschied vom Senioritätsprinzip, wonach Gehalt, Status, Sicherheit und Prestige eines Arbeitnehmers mit den Jahren selbstverständlich steigen (Niejahr 2004). Soziologen weisen darauf hin, dass sich generative Positionen zunehmend flexibel gestalten, man spricht bereits von »Multigenerativität« (Lüscher u. Schultheis 1993). Gemeint ist damit, dass der Vielfalt an Identitätsangeboten in der heutigen Gesellschaft eine Vielfalt an Generationszugehörigkeiten entspricht, die weniger am chronologischen Alter orientiert sind. Eine so verstandene Generativität geht nicht allein von einer kumulierten Lebenserfahrung aus, die erst mit einem höheren Lebensalter erworben werden kann, sondern von
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der Weitergabe von Wissensbeständen, die nicht altersgebunden sind. Zwar bleibt die auf Lebenserfahrung beruhende Generativität erhalten, erfährt aber tendenziell eine gesellschaftliche Entwertung und wird durch andere, konkurrierende Wissensbestände relativiert. Wie auch immer man diese Entwicklung bewerten mag, stellt sich doch die interessante Frage nach den Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es spekulativ, von sich zukünftig verringernden Diskrepanzen, die bislang aus der Altersdifferenz in der therapeutischen Beziehung resultieren, auszugehen. Dennoch können wir vermuten, dass ein größerer Spielraum entsteht, Beziehungen auszuhandeln, weil Identitäten weniger in festgefügten generativen Positionen verankert sind. Auch wenn diese Überlegungen hypothetisch bleiben, so kann aus dem Gesagten doch der vorläufige Schluss gezogen werden, dass sich die Barrieren im Hinblick auf das Zustandekommen eines therapeutischen Kontraktes aufgrund der beschriebenen Veränderungen verringern werden. Doch neben diesen positiven Entwicklungen sollten andere nicht übersehen werden, die ein solch optimistisches Szenario als fraglich erscheinen lassen. Die 68er-Generation geht nahtlos in die Generation der Babyboomer, das heißt der nach 1950 Geborenen über, die, wie Schirrmacher (2004) sie kennzeichnet, dem Schoß der Sicherheit entstammt und gefüttert und genährt wurde wie niemals eine Generation zuvor. Wie das dadurch geprägte Lebensgefühl sich auswirken wird, wenn es darum geht, die Zumutungen des Alters zu bewältigen, und welche Ansprüche diese Generation an den Tag legen wird, vermag heute niemand vorherzusagen. Und noch eins kommt hinzu: Während die Generation, die sich heute in einem höheren Lebensalter befindet, oft einschneidende und traumatische Erfahrungen mit Not, Leid, Sterben und Tod – oft im Zusammenhang mit Krieg und Vertreibung – gemacht hat, verfügt die Generation der Babyboomer über keine solche Erfahrungen. Wie sich dies auf die unumgängliche Einsicht in die Endlichkeit des Lebens, den Umgang mit dem Verlust des Partners, dem Sterben der Gleichaltrigen oder der eigenen Hinfälligkeit und Vergänglichkeit auswirkt, bleibt vorerst offen. Schließlich handelt es sich auch um die Generation, die am lautesten nach dem ewigen Leben ruft
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oder doch zumindest nach den Tricks Ausschau hält, wie das Leben zu verlängern sein könnte. Wird daraus ein umso größerer Bedarf an professioneller Unterstützung resultieren? Oder kommt es zu einer Abwehrreaktion, die auf der Verfestigung des Gefühls ewiger Jugendlichkeit basiert und die eine Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Alters erschwert und allein den Wunsch nach AntiAging gelten lässt? Letzteres könnte dazu führen, dass die Beratungsstellen, Praxen und Kliniken leer bleiben. Noch eine andere, wahrscheinlichere Abwehrreaktion könnte die Türen erneut verschließen. Nicht nur das Denken, Fühlen und Handeln zukünftiger Älterer wird sich von dem heutiger unterscheiden, auch der zahlenmäßige Umfang dieser Bevölkerungsgruppe wird rapide ansteigen. Damit sind wir bei der Frage, wie sich die demographische Entwicklung auswirken wird. Diese ist durch zweierlei gekennzeichnet: Die starken Kohorten der Babyboomer-Generation führen zu einer dramatischen Veränderung des Altersquotienten, das heißt des Verhältnisses von 65-Jährigen und Älteren zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Hinzu kommt die weitere Verlängerung der Lebenszeit von derzeit 74 Jahren bei Männern und 83 Jahren bei Frauen. Prognosen gehen von einer weiteren Steigerung der Lebenserwartung von ungefähr drei Monaten pro Jahr aus; schon heute haben mehr als die Hälfte der Neugeborenen gute Chancen, ihren hundertsten Geburtstag zu erleben (Vaupel 2004). Wie wird sich diese Entwicklung auf die psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung älterer Menschen auswirken? Prognostiziert wird ein deutlicher Anstieg des Versorgungsbedarfs. In den USA wird ein Anstieg von 6,3 (1990) über 8 (2010) auf 15 Millionen (2030) gerontopsychiatrischen Behandlungsfälle (ohne Demenzen) vorhergesagt (Gutzmann 2001). Doch ob aus dem Bedarf auch eine Inanspruchnahme resultiert, bleibt offen. Die enormen Probleme für das Sozial- und Gesundheitswesen beschäftigen uns schon heute tagtäglich. Die Diskussion um vorenthaltene medizinische Leistungen in England mag ein Beginn gewesen sein, und auch bei uns sind ähnliche Tendenzen nicht von der Hand zu weisen. Gelegentlich wird das Problem unverhohlen ausgesprochen. In einer Arbeit von Callahan aus den achtziger Jahren mit
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dem Titel »Grenzen setzen. Medizinische Ziele in einer alternden Gesellschaft« beschäftigt sich der Autor mit der Unfinanzierbarkeit des Alters in einer alternden Gesellschaft. Seine Ausführungen gipfeln in der Aussage, dass eine Lebensspanne von 65 Jahren ausreichend sein sollte, um seine Lebensziele zu erreichen, dann aber solle es eine Pflicht zum Tode geben. So wie einst die Kriegsfreiwilligen den Tod fürs Vaterland in Kauf nahmen, so könnte es bald – folgt man diesem Autor – darum gehen, die Gesellschaft von der Last des Lebens zu befreien und freiwillig in den Tod zu gehen. Zweifellos ist diese eine überzogene Vision, aber die Richtung ist markiert. Schon heute kursieren Schätzungen, dass ein 14 Tage früheres Abstellen der Apparate in der Intensivmedizin das gesamte Gesundheitssystem sanieren würde (Schirrmacher 2004). Die Diskussion darüber, welche medizinischen – und damit auch psychotherapeutischen Leistungen – für ältere Menschen noch bezahlt werden sollten, wird nicht aufzuhalten sein, und die Verweigerung entsprechender Versorgungsleistungen für Ältere kann nicht ausgeschlossen werden. Doch wie weit eine solche Diskussion – dass sie geführt wird, ist nicht zu verhindern – auch die Versorgungsrealität verändern wird, bleibt abzuwartenden. Schließlich wird die Gruppe der älteren Menschen in der Gesellschaft eine Majorität stellen und damit über entsprechenden Einfluss und Macht verfügen. Verteilungskonflikte werden kaum ausbleiben, doch wie diese ausgehen werden, ist heute nicht abzusehen. Nicht zuletzt wird die Entwicklung – die im Sozial- und Gesundheitswesen auch nicht völlig parallel verlaufen muss – davon abhängen, wie sich die alternde Gesellschaft insgesamt entwickeln wird, ob sie es schafft, das Alter mehr zu integrieren und damit Generationen- und Verteilungskonflikte zu entschärfen, oder ob ein Zustand der Anomie eintreten wird, der unübersehbare Spannungen schafft. Doch das skizzierte – positive oder negative – Szenario einer allmählichen Ausweitung, Normalisierung und Verbesserung der Akzeptanz der Beratung und Psychotherapie Älterer hat noch eine andere Kehrseite, die bis heute unverändert fortbesteht und für die bislang keine Veränderung in Sicht ist. Betrachtet man die Altersstruktur bislang behandelter Älterer, so wird ersichtlich, dass es sich dabei – bis auf wenige Ausnahmen – um Ältere des so ge-
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nannten dritten Alters, also um junge Alte handelt. Diejenigen jedoch, die sich im vierten Alter befinden, dessen Beginn ab etwa dem 80. bis 85. Lebensjahr angenommen wird und in dem Abbauprozesse deutlicher hervortreten, bleiben bisher und vermutlich auf eine nicht absehbare Zeit ausgeschlossen. Die Vorbehalte gegenüber der Psychotherapiefähigkeit Älterer haben sich bei genauerem Hinsehen keineswegs aufgelöst, sie wurden vielmehr auf das betagte Alter verschoben; die Ausgrenzung und Stigmatisierung des Alters setzt sich hier fort. Die Gegenwartsgesellschaft hat das Alter zweigeteilt: Das aktive und kompetente Alter wird zunehmend gesellschaftlich integriert und gewissermaßen gesellschaftsfähig, mit diesen Älteren tun auch wir uns leichter. Das gebrechliche, abhängige Alter wird hingegen weiterhin ausgegrenzt. Leiden, Sterben und Tod finden keinen Platz in einer Gesellschaft, die von der Hast eines immer schnelleren Lebens und der Phantasie der Unsterblichkeit beseelt ist. Wir sollten kritisch zur Kenntnis nehmen, dass in unserem psychotherapeutischen Denken Werte wie Autonomie und Selbstverwirklichung einen hohen Stellenwert einnehmen, die in dieser Gesellschaft eine ebenso hohe Wertschätzung erfahren. Vielleicht, so könnte man kritisch fragen, wenden auch wir uns leichter denjenigen Älteren zu, auf die wir diese Wertvorstellungen noch ungebrochen übertragen zu können glauben. Die existenziellen Fragen von Ausgeliefertsein, Hinfälligkeit und Vergänglichkeit bleiben hingegen aus dem öffentlichen Leben und meist auch aus unserem Denken ausgeschlossen, davon ist die Psychotherapie nicht auszunehmen. Wir sollten uns aufgefordert fühlen, unsere Identifikation mit einer Gesellschaft, die für das gebrechliche Alter keinen Platz hat, immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, um für die grundlegenden Fragen des Lebens offen zu bleiben. Es sollte zu einer Kultur humanen Alterns dazugehören, auch die betagten Alten in die psychotherapeutische Versorgung einzubeziehen. Nicht nur die Solidarität zwischen den Generationen sollte dazu auffordern, sondern auch das Bewusstsein, dass die Jungen von heute die Alten von morgen sind. Wir sollten es als unsere persönliche Angelegenheit betrachten, uns vorwagen an die Grenzen des Lebens, an der die gebrechlichen Alten angekommen sind, um sie auf ihrer letzten Weg-
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strecke zu begleiten. Wir werden dadurch eine persönliche Bereicherung erfahren und angeregt werden, eine andere und vielleicht tiefere Sicht auf unser Sein zu gewinnen, die uns Distanz und Gelassenheit zu den Zwängen und Anforderungen des Alltags finden lässt. Wir selbst haben damit die Chance, zu einem authentischeren Leben zu finden – diese Chance sollten wir nutzen.
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Meinolf Peters Klinische Entwicklungspsychologie des Alters Grundlagen für psychosoziale Beratung und Psychotherapie Mit einem Vorwort von Hartmut Radebold Ältere Menschen, die sich in einer psychosozialen Krise befinden oder eine psychogene Krankheit entwickelt haben, machen einen zunehmenden Anteil der Patienten in psychotherapeutischen Praxen, psychosomatischen Kliniken und Beratungsstellen aus. Dadurch wächst der Bedarf an Wissen über Krankheitsbilder, aber auch über die Sorgen, Nöte und Hoffnungen dieser Patienten. Das Alter stellt eine Lebensphase dar, die jeden Menschen mit neuen Anforderungen konfrontiert. Das schließt die Chance, sich neue Entwicklungsräume zu erschließen, ebenso ein wie die Gefahr des Scheiterns. Die sich neu etablierende klinische Entwicklungspsychologie befasst sich mit den Störungen, die auftreten, wenn die anstehenden Entwicklungsaufgaben nicht bewältigt werden können. Meinolf Peters untersucht, wie sich Patienten mit einer psychogenen Symptomatik mit diesen Entwicklungsaufgaben auseinander setzen, und verweist auf psychotherapeutische Möglichkeiten für ältere Menschen. »Wem Begriffe wie ›Slowing-with-Age-Phänomen‹, ›Altersradikalität‹, ›kosmischer Narzissmus‹ oder ›Anniversary-Identifikation‹ noch fremd sind, mag als ärztlicher oder Psychologischer Psychotherapeut erkennen, dass er mit dieser Monografie manche interessante Weiterbildungsstunde verbringen wird – auch wenn er diese Weiterbildung nur als (demnächst) Alternder in eigener Sache betreibt.« Gereon Heuft, Deutsches Ärzteblatt »Kurzum: Selten habe ich ein Fachbuch so gern, so leicht und mit so viel Gewinn gelesen wie dieses. Das Buch ist Pflichtlektüre für Gerontopsychiater/-psychologen, Gerontologen und Geriater.« Dirk K. Wolter, Dr. med. Mabuse
Hartmut Radebold Abwesende Väter und Kriegskindheit Fortbestehende Folgen in Psychoanalysen Die psychoanalytische Behandlung 45 bis 60-jähriger, die während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, erlaubt eine Systematisierung der Langzeitfolgen traumatischer Erfahrungen und vaterlosen Aufwachsens. Dabei bleibt der Autor als Therapeut und Wissenschaftler nicht aus dem Spiel.
Erik Wenglein (Hg.) Das dritte Lebensalter Psychodynamik und Psychotherapie bei älteren Menschen In diesem Buch werden die epidemiologischen und psychosozialen Aspekte des Alterns ausgebreitet und Fragen der Beziehung zwischen älterwerdenden Therapeuten und ihren Patienten behandelt. Psychoanalytische Dimensionen und therapeutische Grenzsituationen verdeutlichen die Gefährdungen, aber auch mögliche Hilfen zur Sinnfindung im Alter. Mit Aufsätzen von: Raymond Battegay, Wenda Focke, Arno Hellwig, Rolf D. Hirsch, Gabriele Maier, Martin Teising, Rainer Welz, Erik Wenglein, Manfred Wolfersdorf.
Leopold Rosenmayr Altern im Lebenslauf Soziale Position, Konflikt und Liebe in den späten Jahren Generationskonflikte gibt es schon immer in der menschlichen Kultur. Aber noch niemals wurden sie von den Jüngeren so unbekümmert geführt, und noch niemals konnten die Alten so mächtig dagegenhalten. Wohin das führen wird? Die »neuen Alten«, ausgestattet mit besten Qualifikationen und Erfahrungen, mit Kaufkraft, mit nie geahnter Gesundheit und Initiative, schließlich mit der Macht ihrer schieren Zahl, werden sich einmischen. Sie werden gesellschaftlich bedeutsamer, als das Greisentum je war, sie werden arbeiten, kämpfen, lieben, und sie werden unsere Gesellschaft bunter machen. Dieses Buch ist eine Anstiftung dazu.
Älter werde ich stets, niemals doch lerne ich aus (Solon) Ulrike Lehmkuhl (Hg.) Die Bedeutung der Zeit Zeiterleben und Zeiterfahrung aus der Sicht der Individualpsychologie Beiträge zur Individualpsychologie, Band 30. 2005. 262 Seiten mit 22 Abb. und 10 Tab., kartoniert ISBN 3-525-45011-7 Zeit kann sehr verschieden definiert werden. Zeiterfahrung ist sehr individuell und nur begrenzt verallgemeinerbar. Therapeuten und Berater versuchen in diesem Band, Zeiterfahrung aus Sicht der Individualpsychologie darzustellen. An dem Diskurs, den Sigmund Freud bereits in seiner Abhandlung »Das Unbehagen in der Kultur« als ambivalente Gefühlslage beschrieb, da die neu gewonnene Verfügung über Zeit und Raum uns nicht glücklicher gemacht habe, beteiligen sich Autoren anderer Therapieschulen und Professionen. Einhundert Jahre später stellt Karlheinz Geißler fest, dass wir zu einem guten Leben viele unterschiedliche lebendige Zeitformen brauchen. Diesen spannenden Erfahrungen von Zeit stellen sich die Autoren und Autorinnen des Bandes.
Karl König Kleine Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters 1995. 117 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-01718-9 Wie wichtig die Prägungen in der Kindheit für das Leben des Menschen sind, wissen wir heute. Aber es ist ein großer – und bequemer – Irrtum zu meinen, damit wäre schon alles entschieden. Der Psychoanalytiker Karl König eröffnet hier eine Sichtweise, in der die Chancen wie auch die Risiken in der Lebensgestaltung des Erwachsenen neu vermessen werden. Jenseits der Dreißig können wir nicht mehr andere Menschen werden. Aber wir können dem Leben Richtung geben; wir können Gefahren meiden, die in uns stecken, und wir können Möglichkeiten ergreifen, die wir zuvor nicht gesehen haben. Die Karten werden nicht mehr neu verteilt. Man kann sie jedoch anders spielen. Und es geht, das erkennen erst Erwachsene, nicht um ein Spiel, es geht ums ganze Leben.
Beraten und begleiten Udo Rauchfleisch Arbeit im psychosozialen Feld Beratung, Begleitung, Psychotherapie, Seelsorge
Karin Wilkening / Roland Kunz Sterben im Pflegeheim Perspektiven und Praxis einer neuen Abschiedskultur
2001. 224 Seiten, kartoniert ISBN 3-8252-2272-1
2., aktualisierte Auflage 2005. 272 Seiten mit 3 Abb. und 2 Tab., kartoniert. ISBN 3-525-45631-X
Das Buch ist eine Einführung in die Arbeit mit Klientinnen und Klienten in allen psychosozialen Arbeitsfeldern. Der Autor behandelt im ersten allgemeinen Teil die Grundsätze und Ziele der Gesprächsführung und der Zusammenarbeit mit Dritten und grenzt die Interventionsformen Beratung, Begleitung, Psychotherapie und Seelsorge gegeneinander ab. Im zweiten speziellen Teil wird die Arbeit mit verschiedenen Klientengruppen dargestellt, zum Beispiel: Krisenintervention, depressive Menschen, Klienten in psychosozialen Notlagen, Opfer politischer Verfolgung und Folter, Menschen in höherem Lebensalter, Süchtige, chronisch Kranke, Menschen mit homosexuellen und bisexuellen Orientierungen. Die abschließenden Kapitel thematisieren die Arbeit von Ehrenamtlichen und die Persönlichkeit und Psychohygiene der professionellen Helfer.
Fast jede und jeder dritte Hochaltrige stirbt in Alten- oder Pflegeheimen unter Verhältnissen, die unseren Vorstellungen vom Leben und seinem Ende nicht entsprechen. Wie kann »gutes Sterben« im Heim aussehen? Welche Möglichkeiten des Miteinander müssen hier verwirklicht werden? In einer mit vielen konkreten Beispielen versehenen Übersicht auf die im Heim ein- und ausgehenden Akteure, ihre mögliche Einbindung in den Prozess der Sterbevorbereitung, Sterbebegleitung und Verabschiedung vom Heimeinzug bis zur Bestattung wird ein Netzwerk Abschiedskultur entwikkelt. Im letzten Teil des Lehrbuchs werden anhand beispielhafter Einrichtungen praxiserfahrene Vorschläge und grenzüberschreitende Denkanstöße zur Verwirklichung dieser Abschiedskultur in Heimen als Alternativen zu einer neuen Euthanasiebewegung vorgestellt