Handbuch Kunstmarkt: Akteure, Management und Vermittlung [1. Aufl.] 9783839422977

Der Kunstmarkt ist eine wichtige und besonders dynamische Teilbranche der Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit diesem Band

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German Pages 480 [477] Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeberin
Einführung
Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick
Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik
Geschichte und Ökonomie des Kunstmarkts – ein Überblick
Der Kunstmarkt: Die Perspektive der Kunstsoziologie
Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt
Kunstmarkt II: Akteure
Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler – aktuelle empirische Ergebnisse
Kunsthochschulen und Kunstmarkt: Funktionen und Wechselwirkungen
Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt
Der Kunstsammler. Kennertum und Leidenschaft
Komplizen – Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen
Distributionssystem und Ereignis: Die Auktion auf dem internationalen Kunstmarkt
Fluch oder Segen? Die Bedeutung der Kunstmessen für den internationalen Kunstmarkt
Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt
Zwischen Markt und Wissenschaft: Kunstsachverständige und Experten
Kunstmarkt und Kunstkritik: Komplizen, Konkurrenten, Kombattanten?
Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung
Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst
Kunstmarkt, Recht und Compliance – Gestaltungsprinzipien und Grenzen
Der Kunstmarkt und das Urheberrecht
Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen für den Kunstmarkt: Kunstraub/Raubkunst/ Beutekunst
Kunst und Steuern
Kunstvermittlung
Marketing für den Kunstmarkt
Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich – Grundlagen und Befunde
Der Kunstmarkt im Internet
Projektmanagement im Kunstmarkt. Das Beispiel Ausstellungsorganisation
Autorenverzeichnis
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Handbuch Kunstmarkt: Akteure, Management und Vermittlung [1. Aufl.]
 9783839422977

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Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt

Andrea Hausmann (Hg.)

Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Georg Löwen, Bielefeld, Larissa Eliasch, Paderborn Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck Print-ISBN 978-3-8376-2297-3 PDF-ISBN 978-3-8394-2297-7 EPUB-ISBN 978-3-7328-2297-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort der Herausgeberin | 9

E inführung Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick Andrea Hausmann | 13

K unstmark t I: G eschichte , S oziologie und P olitik Geschichte und Ökonomie des Kunstmarkts — ein Überblick Andrea von Hülsen-Esch | 37 Der Kunstmarkt: Die Perspektive der Kunstsoziologie Jörg Rössel | 57 Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt Monika Grütters | 75

K unstmark t II: A k teure Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler — aktuelle empirische Ergebnisse Marlies Hummel | 89 Kunsthochschulen und Kunstmarkt: Funktionen und Wechselwirkungen Peter M. Lynen | 113

Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt Ulli Seegers | 135 Der Kunstsammler. Kennertum und Leidenschaft Thomas Rusche | 151 Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen T homas Köhler | 167 Distributionssystem und Ereignis: Die Auktion auf dem internationalen Kunstmarkt Dirk Boll | 177 Fluch oder Segen? Die Bedeutung der Kunstmessen für den internationalen Kunstmarkt Gérard A. Goodrow | 199 Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt Friederike van Delden | 213 Zwischen Markt und Wissenschaft: Kunstsachverständige und E xperten Nils Büttner/Behrend Finke | 235 Kunstmarkt und Kunstkritik: Komplizen, Konkurrenten, Kombattanten? Stefan Lüddemann | 251

K unstmark t III: M anagement , R echt und V ermittlung Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst Olaf Zimmermann | 271 Kunstmarkt, Recht und Compliance — Gestaltungsprinzipien und Grenzen Peter M. Lynen | 287 Der Kunstmarkt und das Urheberrecht Stefan Haupt | 321 Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen für den Kunstmarkt: Kunstraub/Raubkunst/Beutekunst Ulli Seegers | 347

Kunst und Steuern Felix Ganteführer | 361 Kunstvermittlung: Voraussetzungen und zeitgemäßes Verständnis Maren Ziese | 381 Marketing für den Kunstmarkt Andrea Hausmann | 397 Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich — Grundlagen und Befunde Patrick Glogner-Pilz/Nora Wegner | 417 Der Kunstmarkt im Internet Hubertus Kohle | 439 Projektmanagement im Kunstmarkt. Das Beispiel Ausstellungsorganisation Barbara Alder/Linda Frenzel | 449 Autorenverzeichnis | 467

Vorwort der Herausgeberin

Der Kunstmarkt gilt als wichtige, besonders dynamische Branche der Kultur- und Kreativwirtschaft. Eine Vielzahl von Akteuren prägt diesen Markt und verfolgt dabei zum Teil sehr unterschiedliche Interessen. Ein erfolgreiches Agieren auf dem Kunstmarkt setzt ein fundiertes Verständnis der relevanten Rahmenbedingungen und Funktionsweisen voraus. Hierzu will das vorliegende Handbuch einen substanziellen Beitrag leisten. Gewonnen wurden Autoren aus Wissenschaft und Praxis, die in den verschiedenen Teilbereichen des Kunstmarkts über ausgewiesene Expertise verfügen. Im Hinblick auf die Inhalte des Handbuchs ist angestrebt worden, der Komplexität des Marktes möglichst umfassend gerecht zu werden. Die einzelnen Beiträge wurden dazu thematisch sorgsam aufeinander abgestimmt. Im Anschluss an einen Überblicksbeitrag wird in Teil I zunächst auf die Geschichte des Kunstmarkts eingegangen, bevor im Weiteren soziologische und kulturpolitische Aspekte beleuchtet werden. In Teil II werden die wichtigsten Akteure des Kunstmarkts näher vorgestellt. Teil III beschäftigt sich mit relevanten Problemstellungen des Kunstmarkts in den Bereichen Management, Recht und Vermittlung. Die Herausgeberin dankt allen Autorinnen und Autoren herzlich für ihre Mitwirkung und dem transcript Verlag für die engagierte Betreuung des Projekts. Sie würde sich freuen, wenn das Buch möglichst vielen Leserinnen und Lesern neue Einblicke und weiterführende Informationen zum Kunstmarkt geben würde. Düsseldorf und Frankfurt (Oder), im April 2014 Prof. Dr. Andrea Hausmann

Einführung

Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick Andrea Hausmann

1. E inführung Die Lektüre von Feuilletons und Kunstmagazinen lässt wenig Zweifel daran, dass Kunst, insbesondere zeitgenössische, trotz wirtschaftlicher Krisenzeiten weiterhin »en vogue« ist. So wird von Jahr zu Jahr eine beeindruckende Vielzahl an Ausstellungen, Messen und anderen Großveranstaltungen organisiert, die bei Besuchern, Medien und dem Fachpublikum regelmäßig auf hohe Nachfrage und begeisterte Rezeption stoßen. Und auch die spektakulären Preisrekorde beim traditionellen Auktionswettbewerb der großen Versteigerer in jedem Frühjahr und Herbst tragen mit zu dem Eindruck bei, dass der Markt, zumindest im Bereich der Meisterwerke, äußerst vital ist. Allerdings sind diese Erfolgsmeldungen nur die eine Seite der Medaille. Denn auf dem Kunstmarkt ist gleichzeitig ein Strukturwandel zu konstatieren, der kaum einen Marktteilnehmer unberührt lässt. So stehen beispielsweise im Kunsthandel selbst Traditionshäuser kurz vor der Schließung (oder haben diese bereits vollzogen) und viele Museen sehen sich angesichts zunehmend knapper Ressourcen immer weniger in der Lage, ihrem öffentlichen Auftrag nachzukommen. Aber nicht nur die Kunstvermittler sorgen sich um ihre langfristige Existenz- und Funktionsfähigkeit. Auch für die Kunst selbst und eine deutliche Mehrheit ihrer Produzenten bleiben die Rahmenbedingungen schwierig oder verschlechtern sich sogar. Eine situationsgerechte Einschätzung dieses hochspannenden, zwischen kunstbezogenen und ökonomischen Anforderungen oszillierenden Marktes ist nur möglich, wenn ein breiteres Verständnis für die wichtigsten Parameter, Akteure und Zusammenhänge vorliegt. Es ist Ziel dieses Beitrags, ein solches Verständnis zu fördern und damit gleichzeitig eine erste Grundlage für die Lektüre der weiteren Beiträge in diesem Handbuch zu schaffen, in denen ausgewiesene Experten den Kunstmarkt aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und analysieren.

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Einführung

2. L iter atur und B ezugsr ahmen In Abhängigkeit vom gewählten Veröffentlichungsorgan, der zugrundeliegenden Fachdisziplin und dem jeweiligen Grad an Forschungs- bzw. Praxisorientierung lässt sich eine Vielzahl an Ausarbeitungen ganz unterschiedlicher Natur zum Kunstmarkt finden. Die nachfolgende Kurzübersicht erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich auf eine Auswahl für in vorliegendem Kontext relevante Werke aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit. Neben den genannten Büchern steht eine Reihe an Fachzeitschriften zur Verfügung, die eine Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen auf dem Kunstmarkt ermöglichen (z.B. Art, Monopol, Kunstzeitschrift, Weltkunst). Im deutsch- und englischsprachigen Raum ist inzwischen eine Reihe von Monografien und Sammelbänden erschienen, die einen kompakten Überblick zu den zentralen Mechanismen des Kunstmarkts geben und in der Regel die Perspektiven mehrerer Akteure berücksichtigen (vgl. u.a. Herstatt 2007; Thornton 2008; Thompson 2008; Graw 2008; Boll 2011; Findlay 2012; Fleck 2013). Die Werke spiegeln in ihrer individuellen Schwerpunktsetzung typischerweise den beruflichen Hintergrund des Autors bzw. der Autorin wider (z.B. Kunstkritik, Auktionshaus, Galerie, Museum) und die Diskussionsführung ist durch den jeweiligen akademischen Background (z.B. Kunstgeschichte, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften) geprägt. Darüber hinaus finden sich Unterschiede im Hinblick auf Systematisierung, Struktur und (Populär-)Wissenschaftlichkeit. Während einige Werke einen systematischen, strukturierten Überblick ermöglichen, sind andere eher feuilletonistisch ausgerichtet und richten sich dezidiert an Kenner der Materie. Einen guten, wenngleich nicht mehr aktuellen Überblick zum Kunstmarkt bietet der Herausgeberband von Pues et al. (2002), der nicht nur die verschiedenen Marktteilnehmer in einzelnen Beiträgen thematisiert, sondern auch umfassend auf kulturpolitische, rechtliche und steuerliche Fragen eingeht; das vorliegende Handbuch verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Neben diesen eher übergeordnet ausgerichteten Werken finden sich weitere Publikationen, die jeweils einen bestimmten Aspekt des Kunstmarkts fokussieren und vertiefen. Hierzu gehört z.B. Weinhold (2005), die sich Fragen des Selbstmarketing und -management von Künstlern widmet, Zahner (2006), die sich am Beispiel der Karriere von Warhol mit Veränderungen in der Rezeption von Kunst auseinandersetzt, Frey (2011), der Fragen der Bewertung von Kunst behandelt, Jeuthe (2011), die sich mit der Preisentwicklung der modernen Kunst zwischen 1925 und 1955 beschäftigt oder Lynen (2013a-c), der wichtige Rechtsfragen im Kontext des Kunstmarkts diskutiert. Im Hinblick auf einen geeigneten konzeptionellen Bezugsrahmen für die Auseinandersetzung mit dem Kunstmarkt soll hier der Vorgehensweise wirtschaftswissenschaftlicher und (wirtschafts-)soziologischer Untersuchungen gefolgt werden, die sich in ihren Analysen insbesondere auch auf die Neue Institutionenökonomik beziehen und informationsökonomische Überlegungen anstellen (vgl.

Andrea Hausmann: Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick

z.B. Talkenberg 1992; Bonus/Ronte 2002; Stahl 2009; Frey 2011). Diese basieren auf folgenden Annahmen (vgl. Nelson 1970; Darby und Karni 1973): • Märkte sind üblicherweise durch Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern gekennzeichnet. Während der Anbieter besser über die Qualität seiner Leistungen informiert ist, hat der Nachfrager bessere Kenntnis hinsichtlich seiner Präferenzen und Zahlungsbereitschaft. Zum Abbau der hieraus resultierenden Unsicherheiten können von den Marktakteuren Maßnahmen der Informationssuche (»screening«) und der Informationsübermittlung (»signaling«) ergriffen werden. Grundsätzlich gilt, dass sich Informationsasymmetrien umso mehr auf das Verhalten der Akteure auswirken, desto komplexer die benötigten Informationen sind und desto schwieriger und teurer die Informationsbeschaffung ist. • Güter lassen sich hinsichtlich ihres Anteils an Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften unterscheiden und damit anhand des Aufwands für den Nachfrager, verlässliche Informationen über die Ware zu erhalten und seine Qualitätsunsicherheit zu reduzieren. Während die Qualität von Gütern mit einem hohen Anteil an Sucheigenschaften bereits vor dem Kauf ohne größeren Aufwand einschätzbar ist (z.B. Bekleidung), lassen sich Güter mit einem hohen Anteil an Erfahrungseigenschaften erst während oder nach dem Kauf bewerten (z.B. Weiterbildung). Güter mit einem hohen Anteil an Vertrauenseigenschaften können vom Nachfrager auch ex-post nicht oder nicht eindeutig beurteilt werden (z.B. operativer Eingriff). Wie hoch der Anteil einer Eigenschaft jeweils eingeschätzt wird, hängt ab vom Wissen und den Erfahrungen eines Nachfragers. Mit Blick auf das hier interessierende Thema lässt sich zum Vorliegen von Informationsasymmetrien und Gütereigenschaften Folgendes festhalten: Der Kunstmarkt ist durch ausgeprägte Intransparenz und erhebliche Informationsasymmetrien zwischen den einzelnen Marktteilnehmern gekennzeichnet. So besteht z.B. auf Seiten eines Sammlers Unsicherheit darüber, ob ein bestimmtes Werk seinen Preis wert ist und die von einem Kunsthändler oder Auktionshaus gemachten Angaben, z.B. hinsichtlich der Authentizität, dem Erhaltungszustand oder der Provenienz eines Objekts, auch tatsächlich stimmen; trotz der Möglichkeit, Zusatzinformationen einzuholen (z.B. über Sachverständige), muss der Sammler am Ende auf die Angaben der anderen Marktteilnehmer vertrauen. Aber auch der Kunstvermittler besitzt nur unvollständige Informationen über die Zahlungsbereitschaft seiner Kunden: Legt er einen zu hohen Preis fest, bleibt die Ware unverkauft; setzt er den Preis zu niedrig an, schöpft er die Zahlungsbereitschaft seiner Kunden nicht ab. Zudem kann es passieren, dass ein Kunde am Ende nicht zahlen kann (oder will), wie es z.B. Christie’s in einem aufsehenerregenden Fall mit dem chinesischen Sammler Cai Mingchao passiert ist (vgl. Altwegg 2013).

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Einführung

Damit es trotz dieser Unvollkommenheit des Marktes zu effizienten Transaktionen kommt, ist es wichtig, dass der besser informierte Akteur Maßnahmen des »signaling« ergreift, um schlechter informierte Marktteilnehmer über die Qualität der eigenen Leistung zu informieren und Vertrauen aufzubauen (vgl. Stahl 2009, S. 29). Aus Sicht der Kunstvermittler gehört hierzu z.B. • Investition in Kommunikationsmaßnahmen: Auktionshäuser nutzen z.B. aufwändig produzierte Kataloge oder die Verlautbarung neuer Rekorde in den Medien, um über ihre Leistungsfähigkeit zu informieren und sich in der Wahrnehmung potenzieller Einlieferer und Käufer als erfolgreicher Verkäufer zu etablieren. • Einholung von Expertenurteilen: Daneben fungieren Urteile von Experten als Signale zur Unsicherheitsreduktion. Allerdings müssen diese Experten glaubwürdig sein, was z.B. auf den Direktor eines anerkannten Museums oder einen renommierten Kritiker zutrifft. Darüber hinaus können die Entscheidungen anderer Kunden eine wichtige Orientierungsfunktion haben. Dies machen sich Auktionshäuser bei öffentlichen Bietgefechten zunutze, aber z.B. auch, indem sie im Vorfeld einer Versteigerung einen kleinen Kreis von potenziellen Käufern zu einer exklusiven Preview einladen. • Auf bau von Reputation: Die Reputation eines Kunstmarktteilnehmers spiegelt die Einschätzung anderer Akteure im Hinblick auf seine Zuverlässigkeit, Glaub- und Vertrauenswürdigkeit wider. So gilt ein Galerist, der mit namhaften Sammlern und renommierten Museen zusammenarbeitet, Mitglied im Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) ist oder durch die Einladung zur Teilnahme an einer bestimmten Kunstmesse demonstrieren kann, dass sein Geschäft und seine Ware die Qualitätskriterien des Ausrichters erfüllen (vgl. hierzu z.B. die Richtlinien zum Zulassungsverfahren der Art Cologne; AC 2013), als vertrauenswürdiger als Kollegen, die diese reputationsbildenden Maßnahmen nicht vorweisen können. • Gewährung von Garantien: Auktionshäuser nutzen z.B. das Instrument der Garantie, um potenzielle Verkäufer zu einer Einlieferung ihrer – in der Regel besonders wichtigen und teuren – Werke zu bewegen. Diese Vereinbarung garantiert dem Einlieferer einen Mindestzuschlagspreis; der Betrag, um den der Zuschlag die Garantiesumme übersteigt, geht in Teilen an den Auktionator. Wird das Werk unterhalb der Garantiesumme verkauft, trägt das Auktionshaus den Verlust; wird das Werk gar nicht verkauft, so geht es in das Eigentum des Auktionshauses über (vgl. ausführlicher Boll 2013, S. 142f.).

Andrea Hausmann: Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick

3. K onte x tfak toren des K unstmark ts Der Kunstmarkt ist der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und die Ware »Kunst« gehandelt wird. Das Geschäft mit Kunst hat dabei eine lange Tradition, bereits in der Antike ist ein reger Handel nachweisbar (vgl. hierzu von Hülsen-Esch in diesem Buch). Innerhalb des Kunstmarkts lassen sich verschiedene Sammelgebiete bzw. Teilmärkte unterscheiden. Abgrenzungskriterium hierfür stellt die Gattung (z.B. Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Antiquitäten) und/oder Epoche (z.B. Alte Meister, Klassische Moderne, Zeitgenossen) eines Kunstwerks dar. Gehandelt und vermittelt wird auf dem Kunstmarkt von sowohl kommerziellen als auch nicht-kommerziellen Akteuren, die z.T. sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen und Ziele verfolgen. Auf die sich hieraus ergebenden Spannungen und Herausforderungen wird bei der Darstellung der Akteure im nächsten Kapitel eingegangen. In quantitativer Hinsicht wird der Kunstmarkt – trotz der grundsätzlichen Schwierigkeit, das vorliegende Datenmaterial so auszuwerten, dass dieser Sektor ungeachtet der Heterogenität seiner Erscheinungsformen adäquat abgebildet wird – übereinstimmend zu den kleinsten Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft gezählt. Nach Angaben des jüngsten Monitorings zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland erwirtschaftete der Kunstmarkt in 2011 einen Umsatz von 2,4 Milliarden EUR, was einem Anteil von 1,5 Prozent des insgesamt in der Kultur- und Kreativwirtschaft erzielten Umsatzes entspricht (vgl. BMWi 2012, S.  34). Allerdings ist bei der Interpretation dieser Zahlen zu beachten, dass z.B. die großen, international operierenden Auktionshäuser und Galerien einen nicht unwesentlichen Teil ihres Umsatzes im Ausland erzielen und dort auch erfassen; kleinere Kunsthändler veröffentlichen wiederum ihre Umsatzzahlen nicht (vgl. Weinhold 2006, S. 50f.; Boll 2011, S. 12). Insgesamt wird die Zahl der Kunst verbreitenden Unternehmen (Galerien, Kunsthandel, Auktionshäuser) in Deutschland auf 1.700 geschätzt. Hinzu kommen 2.200 Antiquitätenhändler sowie 820 Museumsshops und kommerzielle Veranstalter von Kunstausstellungen. Die Mehrheit dieser Akteure fällt in die Kategorie Klein- und Kleinstunternehmen (vgl. BMWi 2012, S. 35 sowie auch Fesel 2009, S. 19). Im Hinblick auf die Marktdynamik zeigt ein Vergleich der Umsätze auf dem Kunstmarkt aus den Jahren 2009 bis 2011 einen überdurchschnittlichen Zuwachs von mehr als 12 Prozent – bei allerdings gleichzeitiger Stagnation der Anzahl an Kunsthandelsunternehmen, die zudem im Durchschnitt immer weniger Personal beschäftigen (vgl. BMWi 2012, S. 36). Hier könnte sich widerspiegeln, was von Experten seit Jahren prognostiziert wird (vgl. u.a. Lybke 2009, S. 30): Die Marktmacht der großen Auktionshäuser, deren Umsätze kontinuierlich steigen, geht zu Lasten von Galerien und Kunsthandlungen, die Mitarbeiter entlassen müssen, um wirtschaftlich zu überleben.

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Einführung

Der Kunstmarkt beschäftigte in 2011 rund 19.200 Personen und damit 1,7 Prozent der Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Gruppe der selbständigen bildenden Künstler stellt dabei mit 10.200 Personen die größte Gruppe der Erwerbstätigen im Kunstmarkt dar (53 Prozent); die restlichen 9.000 abhängig Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz in den Kunst verbreitenden Unternehmen (vgl. BMWi 2012, S. 34). Trotz seiner überschaubaren Größe gilt der Kunstmarkt als besonders wichtig für die Image- und Identitätsbildung der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft, »weil er noch immer als Sinnbild für eine originäre künstlerische Werkproduktion gelten kann, die sich im spannungsvollen Wechselspiel zwischen Künstler/-innen und Galeristen/Händlern erst im Markt realisiert« (BMWi 2012, S. 35). Wie andere Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft auch, wird der Kunstmarkt durch exogene Parameter beeinflusst. Nachfolgend sollen einige solcher (kultur-)politischen, (steuer-)rechtlichen und ökonomischen Einflussfaktoren skizziert werden (vgl. hierzu u.a. die Beiträge von Grütters, Zimmermann und Haupt in diesem Buch): • Mehrwertsteuer: Anders als z.B. beim Verkauf von Konsumartikeln, bei dem der volle Mehrwertsteuersatz von derzeit 19 Prozent erhoben wird, wurden beim Verkauf von Kunstwerken – ausgenommen Fotografie und Siebdruck – bislang nur 7 Prozent fällig. Dieser ermäßigte Mehrwertsteuersatz stellte in Deutschland viele Jahre ein wichtiges Instrument indirekter Kunstförderung dar, das von vielen Experten vehement verteidigt wurde (vgl. u.a. Pfennig 2012, S. 10). Doch da die EU eine solche Steuererleichterung nur für Verkäufe ohne Zwischenschaltung des Handels, d.h. direkt aus dem Künstleratelier an den Endkunden erlaubt, wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, auf das Deutschland mit einer Gesetzesänderung reagierte. So soll künftig eine Pauschalmargenbesteuerung für Kunstvermittler gelten, die 30 Prozent des Verkaufspreises mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt (vgl. BVDG 2012). • Urheberrecht: Das Urheberrecht dient dem Schutz der Kreativität und des Schaffens von Künstlern. Es gibt ihnen das Recht, zu bestimmen, ob und wie ein Werk veröffentlicht werden darf (§ 12 Abs. 1 UrhG) und sichert ihren Anspruch auf angemessene Vergütung für die Einräumung von Nutzungsrechten (§ 11 UrhG). Der Urheberschutz greift allerdings nur dann, wenn ein zu schützendes Werk der Literatur, Wissenschaft oder Kunst auf die geistigschöpferische Betätigung eines oder mehrere Urheber(s) zurückgeht (§ 2 Abs. 2 UrhG). Das Urheberrecht ist grundsätzlich durch ein Spannungsverhältnis gekennzeichnet zwischen einerseits den – wirtschaftlichen und ideellen – Interessen der Schöpfer kreativer Leistungen (Urheber) und den Interessen der Allgemeinheit. So sind im Urheberrecht auch Schranken der Verwertungsrechte des Urhebers bestimmt, wozu z.B. die Privatkopie eines urheberrechtlich geschützten Werkes für die nicht gewerbliche und nicht öffentliche Nutzung gehört (§ 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG).

Andrea Hausmann: Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick

• Folgerecht: In engem Kontext mit dem Urheberrecht steht das Folgerecht, das die prozentuale Beteiligung von Künstlern am Weiterverkauf ihrer Werke bis 70 Jahre nach ihrem Tod regelt. Ziel ist es, bildende Künstler an den Wertzuwächsen partizipieren zu lassen, die ihre Werke beim Weiterverkauf durch den Kunsthandel erzielen. Rechtsgrundlage stellt § 26 UrhG dar, die Durchsetzung des Rechtsanspruches setzt gemäß Absatz 6 die Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft (z.B. Bild-Kunst) voraus. Während das Folgerecht in Deutschland bereits seit vielen Jahren greift, war es in anderen Ländern lange Zeit unbekannt und gilt dort z.T. auch heute noch nicht. Der hierdurch entstandene Wettbewerbsnachteil für deutsche Kunstvermittler, die bei jedem Weiterverkauf eines Kunstwerks einen festgelegten Pauschalbetrag an die Verwertungsgesellschaften abführen müssen, induzierte Unternehmensabwanderungen in das von dieser Regelung befreite Ausland. Mittlerweile gilt das Folgerecht zumindest EU-weit, wenngleich noch nicht alle Mitgliedsstaaten die geltende Richtlinie umgesetzt haben. • Ausstellungsvergütung: Im Urheberrecht ist auch das Recht auf Ausstellung geregelt (§ 18 UrhG). In diesem Zusammenhang wird verschiedentlich eine Ausstellungsvergütung gefordert, d.h. eine finanzielle Beteiligung von Künstlern, deren Kunstwerke im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung gezeigt werden (vgl. BKK 2013; Geldmacher 2013, S. 17). Zu den positiven Effekten einer solchen Vergütung zählen die Befürworter, dass Künstler auf diese Weise an der Werkvermittlung von Museen und Ausstellungshäusern wirtschaftlich beteiligt würden; ähnlich wie z.B. Komponisten, die Tantiemen erhalten, wenn ihr Werk aufgeführt oder wiedergegeben wird. Allerdings weisen Kritiker darauf hin, dass sich durch die Erhebung einer solchen Vergütung die Kosten für die Durchführung von Ausstellungen erhöhen. Dies könnte ihrer Meinung nach dazu führen, dass Museen weniger Ausstellungen organisieren und Künstlern damit weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sich der Öffentlichkeit und potenziellen Käufern zu präsentieren. • Künstlersozialabgabe: Seit der Einführung der Künstlersozialversicherung sind freiberufliche Künstler, deren Jahreseinkommen mindestens 3.900 EUR beträgt, Pflichtmitglied in der Künstlersozialversicherung. Damit werden Künstler trotz ihrer Selbständigkeit in den Schutz der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen; wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer auch, zahlen sie nur den halben Sozialversicherungsbeitrag. Die andere Beitragshälfte wird zu rund 20 Prozent vom Bund und zu rund 30 Prozent von jenen Unternehmen getragen, die die künstlerischen Leistungen verwerten. Auch bei der Künstlersozialabgabe geht es in kulturpolitischer Hinsicht darum, die Position der freischaffenden Künstler zu stärken und sie besser gegen soziale und wirtschaftliche Risiken abzusichern. • Öffentliche Kulturfinanzierung: In 2009 hat die öffentliche Hand in Deutschland insgesamt 9,1 Milliarden EUR für Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt (vgl. SÄBL 20012, S. 12f.). Wenngleich damit ein Anstieg um 2,8 Prozent

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Einführung

gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden konnte, so ist die Zukunft der öffentlichen Kulturfinanzierung unsicher, wie sich am Beispiel des demografischen Wandels verdeutlichen lässt. Denn überall dort, wo die öffentlichen Haushalte aufgrund von Überalterung und Bevölkerungsrückgang weniger (Steuer-)Einnahmen verzeichnen werden, ist davon auszugehen, dass die »freiwillige Leistung« Kultur erhebliche Einschnitte erfahren wird. Dass sich dies v.a. auf die Situation der Künstler und nicht-kommerziellen Akteure auf dem Kunstmarkt auswirken wird, zeigt sich in nachfolgender Diskussion.

4. A k teure des K unstmark ts Nachfolgend werden ausgewählte Marktteilnehmer, die für die Funktionsfähigkeit des Kunstmarkts von wesentlicher Bedeutung sind, in komprimierter Form dargestellt; vertiefende Informationen finden sich in den Beiträgen dieses Handbuchs, auf die jeweils verwiesen wird. Die Reihenfolge, in der die Akteure paradigmatisch vorgestellt werden, orientiert sich an der Tatsache, dass – bei zeitgenössischer Kunst – zunächst ein Angebot (Kunstwerk) geschaffen und in den Markt mit entsprechenden Maßnahmen eingeführt werden muss, bevor weitere Transaktionen stattfinden können. An dieser Reihenfolge orientiert sich auch der Auf bau des vorliegenden Handbuchs; sie ist allerdings nicht als »allgemeingültig« zu verstehen, auch weil die Akteure in der Praxis oftmals gleichzeitig agieren. Prinzipiell gilt, dass die Teilnehmer unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, die jeweils die Funktionsfähigkeit des Marktes sichern helfen; allerdings überschneiden sich die Akteure in zunehmend mehr Aufgabenbereichen. Dabei wurde im Rahmen dieses Beitrags davon abgesehen, die einzelnen Akteure übergeordneten Kategorien zuzuordnen, wie es in der Literatur durchaus üblich ist, aber wenig einheitlich erfolgt. Dazu bergen die vorfindlichen Kategorisierungsversuche den Nachteil, nicht durchgängig schlüssig zu sein, was u.a. darin begründet liegt, dass die Akteure in der Regel mehr als eine Funktion auf dem Kunstmarkt ausüben.

Künstler Obwohl es offensichtlich scheint, soll es hier betont werden: Ohne Künstler gäbe es keinen Kunstmarkt. Denn nur mit der Schaffung eines Werks entsteht etwas, das auf dem Markt angeboten und nachgefragt werden kann. Obwohl die Künstler damit der Ausgangspunkt aller Marktaktivitäten sind, werden sie in der inneren Logik des Kunstmarkts oftmals nur als Ressource gesehen (vgl. Heinrichs 2006, S. 68). Tatsächlich findet sich auch in nur wenigen Veröffentlichungen, die mehr als einen Akteur fokussieren, eine Betrachtung der Situation von Künstlern, die über eine indirekte Diskussion hinausgeht (zu diesen Ausnahmen gehören Pues et al. 2002; Weinberg 2005; Fleck 2013). Wie stellt sich diese Situation nun kurz

Andrea Hausmann: Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick

gefasst dar? Eine Antwort hierzu muss zwei Extreme berücksichtigen. So gab es noch nie eine Generation von Künstlern, die bereits zu Lebzeiten derart hohe Preise auf dem Kunstmarkt erzielen konnte. Gerhard Richter (»Domplatz, Mailand«, 37,1 Mio. Dollar) und Jeff Koons (»Balloon Dog«, 58,4 Mio. Dollar) sind zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags die teuersten lebenden Künstler. Aber nicht nur bei diesen beiden Künstlern ist die Nachfrage – zumindest im Bereich der Spitzenwerke – größer als das Angebot. Nicht wenige Kunstwerke auf dem Markt für zeitgenössische Kunst sind schon verkauft, bevor die Farbe getrocknet ist oder sie überhaupt gemalt wurden (vgl. Hanstein 2009, S. 23). »Superstars« der Gegenwartskunst, wie derzeit u.a. Damien Hirst, die Rekordpreise erzielen, obwohl (auch) bei ihnen die Frage nach ihrem dauerhaften Beitrag für die Kunst keineswegs beantwortet ist (siehe hierzu u.a. Jones 2012; Spalding 2012), verfügen dabei häufig über ein Talent zur erfolgreichen Selbstvermarktung und die Fähigkeit, über spektakuläre Aktionen das Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Person und/oder Kunst längerfristig hoch zu halten (siehe auch Quadt 2002, S. 53f.). Für eine Mehrheit der Künstler sieht die Realität allerdings konträr hierzu aus. Sie können von ihrer Kunst in der Regel nur bedingt leben und finden prekäre Bedingungen vor (vgl. hierzu Hummel in diesem Buch): So lagen die durchschnittlichen Einkünfte aus dem Verkauf von Kunstwerken in 2010 bei 5.300 EUR, mit deutlichen Unterschieden zwischen weiblichen (Ø 3.300 EUR) und männlichen Künstlern (Ø 7.400 EUR) (vgl. zur problematischen Rolle und Stellung von Künstlerinnen bis in die Gegenwart Fleck 2013, S. 89ff.). Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überraschend, dass die Mehrheit der Künstler versucht, ihre Existenz durch Lehrtätigkeit an Akademien und zahlreiche andere, auch kunstferne Tätigkeiten zu finanzieren (vgl. auch Dangel/Piorkowsky 2006, S. 46ff.). Damit Künstler trotz eines (noch) fehlenden »return on investment« schöpferisch tätig sein können, sind sie auch auf die Unterstützung durch die Kulturpolitik und ihre Förderinstrumente angewiesen. Hierzu gehören Stipendien und Projektzuschüsse (z.B. Kunstfonds), Preise und sonstige Förderprogramme (z.B. »Kunst am Bau«) sowie auch die oben bereits erwähnte Absicherung durch die Künstlersozialkasse und das Urheberrecht. Dass diese Förderinstrumente enorm wichtig sind, um Barrieren für den Markteinstieg zu senken und Künstlern Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren und die eigene Handschrift zu finden, bestätigt sich in folgender Aussage einer Künstlerin: »Man muss Künstlern ermöglichen, Reserven zu bilden, eine Weile auch parallel zum Markt zu bestehen und ohne Existenzdruck leben zu können« (Kellndorfer 2009, S. 29).

Kunsthochschulen In engem Kontext mit der vorstehenden Akteursgruppe stehen die Kunsthochschulen als dem Ort der Ausbildung für die Mehrheit der bildenden Künstler. Das grundsätzliche Ziel der Hochschulen ist es, einen Freiraum zu schaffen, der die Entwicklung der künstlerischen Ausdrucksweise und Persönlichkeit der Studie-

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renden fördert. Dass die Erreichung dieses Ziels durchaus schwer zu fassen bleibt und sich der im Hochschulwesen üblichen Evaluationskriterien weitgehend entzieht, ist intendiert (vgl. hierzu Lynen in diesem Buch). Die Rektorin der Kunstakademie Düsseldorf, die US-amerikanische Künstlerin Rita McBride, antwortet in diesem Zusammenhang auf die Frage, nach der Bedeutung der Inschrift »Für unsere Studenten nur das Beste« am Eingang der Akademie: »Ich denke, den Studenten zuhören, sie zu fragen, was sie machen wollen und ihnen dann zu helfen, dass es so geschieht. Als Institution sollten wir versuchen herauszufinden, was die Studenten an Interessen haben, und sie dann unterstützen und ihnen den Mut zusprechen, diesen Interessen nachzugehen. Das Beste bedeutet nicht, dass wir Lehrer entscheiden, was sie wissen sollten oder nicht, sondern zu verstehen, was für die Studenten wichtig ist und dies dann mit ihnen zu entwickeln. Das Beste sollte von den Studenten kommen« (Smolik 2013). Allerdings ernten die Kunsthochschulen für ihre Marktferne auch immer wieder Kritik. Denn tatsächlich partizipiert nur ein sehr geringer Prozentsatz der Absolventen erfolgreich am Kunstmarkt (vgl. Schmidt-Wulffen 2009, S.  11; Eisenbeis 2009, S. 47). Liegt dies daran, dass eine Auseinandersetzung mit dem Kunstmarkt, seinen Mechanismen und Spielregeln nicht oder nicht ausreichend stattfindet? Kritiker weisen darauf hin, dass den angehenden Künstlern zu wenig vermittelt wird, wie ein künftiger Marktauftritt so gestaltet werden kann, dass sich nicht nur künstlerische, sondern auch ökonomische Ziele erreichen lassen. Absolventen wissen nicht genug darüber, wer die relevanten Vermittler und Käufer von Kunst sind, wie sich Verkaufspreise und Honorare berechnen und welche – auch nicht-künstlerischen – Maßnahmen zur Existenzsicherung ergriffen werden müssen (vgl. Geldmacher 2013, S. 17). Damit aber, so die Kritiker, erleben zu viele Künstler an der Schwelle von der behüteten Ausbildung zur rauen Wirklichkeit unangenehme Überraschungen, die sich durch eine weniger marktferne Ausbildung vermeiden ließen (vgl. z.B. Zimmermann 2002, S. 293).

Galerien und Kunsthandel Galerien gelten als die »Marktmacher der Kunst«: Ihr Aufgabenschwerpunkt liegt in der Entdeckung, Förderung und Etablierung von Künstlern – die Galerien sind verantwortlich für die Schaffung eines Absatzmarktes. Im Wesen der Galerie manifestiert sich das zwischen den beiden Polen »Kunst« und »Markt« entstehende Spannungsfeld. Denn die Galerie ist nicht nur der Kunst und ihren Produzenten verpflichtet, sondern sie ist gleichzeitig ein privatwirtschaftliches (Einzel-)Unternehmen, das sich finanziell selbst tragen muss und auf eine marktorientierte Ausrichtung angewiesen ist. Dass dieser Spagat nicht leicht ist und viele Galerien am Rande der Überlebensfähigkeit arbeiten, lässt sich anhand konkreter Zahlen belegen: So erzielte beispielsweise die Hälfte der 400 Berliner Galerien in 2009 einen Umsatz von weniger als 50.000 EUR, bei einem Drittel lag der Umsatz

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sogar unter 17.500 EUR (vgl. Kuhn/Baumann 2012 sowie zu Ergebnissen der aktuellen IFSE-Studie ausführlich Seegers in diesem Buch). Ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die Galerien vielerorts konfrontiert sind und die durch das Eindringen anderer Akteure (z.B. Auktionshäuser, Art Consultants) in angestammte Geschäftsbereiche nicht kleiner geworden sind, stellt ihre Arbeit den zentralen Impetus für den Kunstmarkt und seine Entwicklung dar. Für die Künstler ist die fachkundige Auf bau- und Vermittlungsleistung von Galeristen, die sich in zahlreichen Investitionen niederschlägt (Ausstellungsarbeit, Katalogproduktion, Messebeteiligung etc.), wesentlich für den Erfolg des eigenen künstlerischen und ökonomischen Werdegangs. Eine gute Galerie schafft es, jene Meinungsbildungsprozesse zu initiieren, durch die der Künstler und seine Kunst marktfähig gemacht werden (vgl. Weinhold 2005, S.  52). Aber auch andere Akteure profitieren von der Expertise und dem Netzwerk der Galerien, so z.B. die Sammler, die nicht nur bei dem Kauf einzelner Werke oder dem Auf bau ganzer Sammlungen betreut werden, sondern häufig auch Zugang zu einem exklusiven Kreis von Gleichgesinnten bekommen. Während die bisher beschriebenen Maßnahmen der Entdeckung und Förderung neuer Kunst auf dem sogenannten Primärmarkt stattfinden, werden dem Sekundärmarkt jene Aktivitäten zugeordnet, bei denen Werke bereits etablierter Künstler durch entsprechende Distributionsorgane vermittelt werden. Auf dem Sekundärmarkt agiert u.a. der Kunsthändler, der die Ware nicht mehr direkt aus dem Atelier bezieht, sondern z.B. von Auktionshäusern oder Sammlern. Gegenüber der Erst- bzw. Programmgalerie, die in der Regel mit Kommissionsware arbeitet, ist der Kunsthändler daher häufig nicht nur Besitzer, sondern auch Eigentümer seiner Ware, er verfolgt insgesamt ein anderes Geschäftsmodell. Die Grenzen zwischen Erst- und Zweitgalerien bzw. Kunsthändlern sind allerdings fließend.

Private Sammler und Corporate Collections Der Erfolg der Pionierarbeit eines Galeristen für seine Künstler drückt sich unter anderem darin aus, dass Sammler Interesse an den Werken zeigen und dazu bereit sind, (auch) Kunst zu kaufen, die sich noch nicht am Markt etabliert hat. Sammler sind damit für den Kunstmarkt von eminenter Bedeutung – obwohl sie, wie im Kontext der Museen noch zu zeigen sein wird, seine Funktionsfähigkeit gleichzeitig gefährden oder zumindest beeinträchtigen. Diese Dualität ihrer Rolle ergibt sich u.a. daraus, dass unterschiedliche Sammlertypen und Kaufmotive existieren. So wären die »New Yorker Rekordfieber« bei den Auktionshäusern Sotheby’s, Christie’s und Phillips de Pury im November 2012 und 2013 nicht ausgebrochen, wenn es nicht Menschen gäbe, die bereit wären, trotz oder gerade wegen der weltweiten Wirtschaftskrise (sehr) viel Geld für Kunst auszugeben (vgl. Mejias 2012). Diese Art von Sammlern – auch als Spekulanten oder Investoren bezeichnet – hat ihr Vermögen bereits zu einem Großteil in anderen Anlageformen

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gebunden und ist immer auf der Suche nach neuen attraktiven Renditequellen. Solche Sammler kaufen primär aus Ertragsgründen, verändern und liquidieren ihre Sammlung regelmäßig und sehen Kunst als ein Spekulationsobjekt wie Aktien, Immobilien oder Rohstoffe. Bei einer anderen Art von Sammlern steht die finanzielle Entwicklung ihrer Anschaffungen im Hintergrund, obwohl ein Wertzuwachs grundsätzlich intendiert ist. Im Vordergrund steht die persönliche Passion für z.B. einen bestimmten Künstler, eine Epoche oder Region. Dieser Sammlertyp zeichnet sich häufig dadurch aus, dass nicht in der Breite gekauft, sondern in der Tiefe gesammelt und eine Sammlung auch über Generationen hinweg aufgebaut wird (vgl. hierzu Rusche in diesem Buch). Wo die finanziellen Ressourcen vorhanden sind, wird zudem Wert auf eine wissenschaftliche Bearbeitung und Pflege der Sammlung gelegt, nicht selten durchgeführt von Kunsthistorikern renommierter Museen. Angesichts der Preisentwicklungen und des »Hype« auf dem Kunstmarkt ist allerdings die Frage, inwieweit dieser Typus von Sammlern – jedenfalls unterhalb der Ebene der Großsammler – künftig noch in der Lage sein wird, seiner Passion nachzugehen. Fest steht, dass es für einen funktionierenden Markt neben Spekulanten immer auch Sammler braucht, die sich ihrer Verantwortung für die Kunst bewusst sind und sie auch übernehmen wollen (vgl. Goodrow 2012; Fleck 2013, S. 75f.). Abschließend noch ein Wort zu den Unternehmenssammlern und Corporate Collections: Die Abgrenzung zum privaten Sammler kann insofern fließend sein, als ein Unternehmensinhaber zwar privat sammelt, aber diese Sammlung (auch) im Rahmen seiner geschäftlichen Aktivitäten nutzt, z.B. durch Einladungen zu Vernissagen. Dieses Potenzial für die Selbstpräsentation und Kundenbindung ist der zentrale Impetus von Corporate Collections. Darüber hinaus werden Unternehmenssammlungen als wichtiges Element der Corporate Identity verstanden und dienen in diesem Zusammenhang beispielsweise der Mitarbeitermotivation. Darüber hinaus geht es mit Blick auf die Share- bzw. Stakeholder eines Unternehmens auch um die Erzielung einer Rendite aus der Vermögensanlage »Kunst« (vgl. hierzu van Delden in diesem Buch).

Kunstmuseen, Kunsthallen, Kunstvereine Eng verwoben mit den vorstehend genannten Akteuren sind die Kunstmuseen, wobei hier insbesondere auf jene Institutionen abgestellt wird, die sich in öffentlicher Trägerschaft befinden. Diese Häuser sind einem Aufgabenkanon verpflichtet, wie er sich z.B. in den Statuten der ICOM findet: »A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment« (ICOM 2007 sowie für den deutschsprachigen Museumsbereich DMB 2012). Museen sind demgemäß nicht kommerziell ausge-

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richtet, sondern gehören zu jener Minderheit von Akteuren, deren wirtschaftliche Existenz nicht unmittelbar an den Markt gekoppelt ist. Diese Sonderstellung wird betont durch die ihnen in besonderem Maße zugeschriebene Orientierungsfunktion: Renommierte Museen können Kunst durch eine Ausstellung oder die Aufnahme in ihre Sammlung »sakralisieren«, ihre Entscheidungen gelten als wegweisend für andere Akteure und sie nehmen dergestalt erheblichen Einfluss auf den Wert von Kunst bzw. die öffentliche Wahrnehmung diesbezüglich. Dass die Museen in Deutschland Institutionen von maßgeblicher gesellschaftlicher Relevanz sind, lässt sich auch anhand der Besuchszahlen belegen, die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind und im Jahr 2011 rund 110 Millionen betrugen; knapp 17 Prozent hiervon entfallen auf die 668 Kunstmuseen (vgl. IFM 2013, S. 3 und 21). Von den derzeitigen »Überbietungsexzessen (…) des entfesselten Kunstmarkts« (Maak 2013) wird die Funktionsfähigkeit der Museen allerdings in verschiedener Hinsicht tangiert (vgl. Krempel 2013, S. 16; Fleck 2013, S. 69f. sowie auch den Beitrag von Köhler in diesem Buch). So ergeben sich zum einen mittelbare Auswirkungen insofern, als die Kosten für den Leihverkehr im Bereich der Meisterwerke aufgrund höherer Versicherungssummen für Transport und Präsentation kontinuierlich steigen. Zum anderen sind die Museen auch direkt betroffen, weil Werke im oberen Marktsegment, die die eigene Sammlung vervollständigen würden, aus Budgetgründen nicht mehr erworben werden können. Denn die Ankaufsetats vieler Häuser sind seit längerem schon eingefroren oder wurden gesenkt – ein Resultat der Bemühungen kommunaler Träger, Kosten einzusparen. Vor diesem Hintergrund ist es in den letzten Jahren zu einer vermehrten Partnerschaft mit Sammlern gekommen, die den Kunstmuseen temporär, langfristig oder sogar dauerhaft ihre Werke zur Verfügung stellen. Museen werden so in die Lage versetzt, Lücken im Bestand zu schließen. Wie bereits angedeutet, ist diese Partnerschaft jedoch ambivalent: Denn die Leihgaben können mit Konditionen verknüpft sein, die für die Museen unerquicklich sind (vgl. Grasskamp 2002, S. 62). So verlangen Sammler zuweilen, dass ihre Sammlung als Ganzes vom Museum übernommen und/oder ein festgelegter Prozentsatz dauerhaft in den Ausstellungsräumen gezeigt wird. Damit aber müssen unter Umständen auch solche Werke übernommen und ausgestellt werden, die einer objektiven kunsthistorischen Bewertung nicht standhalten und damit der Funktion von Museen nicht gerecht werden können (vgl. Heinrichs 2006, S. 82). Darüber hinaus ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass Sammler (auch) daran interessiert sind, den Wert ihrer Sammlung zu steigern. Und wie ginge das besser als durch die Anerkennung eines ehrwürdigen Hauses? Das Museum fungiert in solchen Fällen als »Wertsteigerungsmaschine« (Koldehoff 2013) mit angenehmen Rahmenbedingungen für den Sammler: Es fallen weder Lagerkosten noch Versicherungsprämien an, Maßnahmen der Konservierung und wissenschaftlichen Aufarbeitung werden aus dem Museumsbudget (und damit von der öffentlichen Hand) finanziert und am Ende steht das Recht, dass der solchermaßen auf be-

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wahrte Bestand »marktfrisch« teilweise oder zur Gänze jederzeit wieder vom Sammler auf dem Kunstmarkt veräußert werden kann (vgl. Fleck 2013, S. 71f. sowie zu kritischen Fällen der jüngeren Vergangenheit Wahl 2012; Koldehoff 2013). Als weitere Akteure sind im Kontext von Museen die Kunsthallen bzw. Ausstellungshäuser zu nennen, die sich gleichfalls in öffentlicher Trägerschaft befinden können, aber typischerweise nicht über eine eigene Sammlung verfügen, sondern Wechselausstellungen organisieren (z.B. Kunsthalle Düsseldorf); die Grenzen zwischen den beiden Organisationstypen sind allerdings fließend (z.B. Kunsthalle Bremen). Ebenfalls Erwähnung finden sollen die Kunstvereine, die auf Initiativen des Bürgertums zurückgehen und einst die Entwicklung des europäischen Kunstmarkts maßgeblich förderten (vgl. hierzu von Hülsen-Esch in diesem Buch). Diese Vereine stehen noch heute im Dienste der Vermittlung zeitgenössischer Kunst und organisieren zu diesem Zweck z.B. Ausstellungen, Künstlergespräche, den Verleih von Kunstwerken oder den Verkauf von Editionen an ihre Mitglieder.

Auktionshäuser Mit den Auktionshäusern steht neben den Galerien und Kunsthandlungen ein weiteres privatwirtschaftlich geführtes Distributionsorgan für Kunst zur Verfügung (vgl. hierzu Boll in diesem Buch). Grundsätzlich werden bei einer Auktion in einem öffentlichen Verfahren Güter an die jeweils Meistbietenden veräußert. Hierbei handelt es sich um eine uralte Geschäftsform, über die bereits im antiken Rom Kunstgegenstände aus Griechenland und seinen Provinzen verkauft wurden. Im 21. Jahrhundert sind die Auktionshäuser ein gewichtiger Teil des Sekundärmarkts: So erzielten die beiden unangefochtenen Marktführer und ewigen Rivalen Christie’s und Sotheby’s in 2011 einen Jahresumsatz von 6 bzw. 5 Milliarden Dollar (vgl. Thibaut 2012). Nur noch das Auktionshaus Phillips de Pury & Company spielt nachgeordnet eine ähnlich globale Rolle auf dem Markt. Darüber hinaus existieren verschiedene kleinere und mittelständische Auktionshäuser – in Deutschland etwa Van Ham und Lempertz in Köln; Villa Grisebach, Berlin; Ketterer, München –, die z.B. auf Objekte mit nationalem Interesse oder bestimmte Künstler, Genre und Epochen spezialisiert sind. Die Rolle der Auktionshäuser hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich gewandelt und die »big player« haben es dabei geschafft, ihre Marktmacht stetig auszuweiten. Wirkten sie früher vorrangig in der Funktion eines Großhandels für Galeristen und Kunsthändler, die sich auf Auktionen mit Ware versorgten, sprechen sie seit den 1970er Jahren direkt und mit wachsendem Erfolg private Sammler und Investoren an (vgl. Eisenbeis 2002, S. 370). Zudem erschließen die Auktionshäuser kontinuierlich neue Marktsegmente, wie z.B. die zeitgenössische Kunst, die bis zur Jahrtausendwende vorrangig ein Spielfeld der Galerien war. Hinzu kommt die stetige Erweiterung ihres Dienstleistungsangebots, das mittlerweile einem »Rundumsorglos-Paket« gleicht und sowohl für die Einlieferer als

Andrea Hausmann: Der Kunstmarkt. Einführung und Überblick

auch für die Bieter zahlreiche attraktive Services bereithält (Hotelbuchung, Vorschuss auf den Auktionserlös, Transport der Kunstwerke etc.). Zwangsläufig tangiert die wachsende Marktmacht der Auktionshäuser andere Akteure und sorgt v.a. bei den Galerien für anhaltende Existenzsorgen (vgl. Lybke 2009, S.  30; Thomas 2013). Die Unterschiede zwischen diesen beiden Akteuren könnten auch hinsichtlich ihres Marktgebarens nicht größer sein. Wo Galerien häufig einen zurückgenommenen Auftritt bevorzugen, soll das Auktionsgeschehen möglichst spektakulär und unterhaltsam ablaufen. Gern gesehen sind hochgradig öffentlichkeitswirksame Events, wie z.B. die im Frühjahr 2013 für die Umweltstiftung des Schauspielers Leonardo DiCaprio ausgerichtete Benefiz-Kunstauktion, die Sotheby’s neben einem geschätzten, der Stiftung zufließenden Versteigerungserlös von 40 Millionen Dollar auch reges Medien- und Publikumsinteresse einbrachte (vgl. Mejias 2013). Dass es insgesamt im Rahmen von Auktionen zuweilen weniger um die Kunst geht, als vielmehr (auch) um die Demonstration von Macht, Reichtum und exklusiver Lifestyles, bestätigt die folgende Beschreibung eines erfahrenen Auktionators über seinen Berufsstand: »Er führt in Versuchung, er spielt mit der Sammelleidenschaft seiner Gegenüber, spielt mit ihrer Kauflust, erspäht ihre Eitelkeiten, stachelt ihren Sammlertrieb an, um sie dann, wohl orchestriert, in einem Crescendo in einen Kaufrausch infernalischer Leidenschaft gegeneinander zum Höchstpreis zu steigern« (Rumbler 2002, S. 365).

Kunstmessen Kunstmessen sind regelmäßige, privatwirtschaftlich geführte und zeitlich begrenzte Präsentations- und Verkaufsveranstaltungen. Ihre Genese hing eng zusammen mit dem Wunsch der Galeristen, sich einen Ort zu schaffen, an dem das eigene Angebot einem breiteren (auch internationalen) Publikum gezeigt und die eigene Marktposition durch den direkten Vergleich mit der Konkurrenz besser eingeschätzt werden kann (vgl. hierzu Goodrow in diesem Buch). Mittlerweile erzielen nicht wenige Galerien den größten Teil ihres Jahresumsatzes auf Messen, was einige mit Blick auf die Kosten dazu veranlasst hat, den stationären Ausstellungsraum aufzugeben und als »nomadische Galerie« zu arbeiten. Auch andere Marktakteure, wie z.B. die Sammler, profitieren von der temporären Agglomeration relevanter Anbieter, verschafft sie ihnen doch einen schnellen, kostengünstigen Marktüberblick. Neue Kontakte, selbst zu internationalen Händlern können im Rahmen einer Messe unkompliziert und ohne zusätzlichen (Reise-)Aufwand geschlossen werden. Zudem eröffnet sich v.a. noch unerfahrenen Sammlern die Möglichkeit, fernab von der häufig bewusst sterilen Atmosphäre vieler Galerien erste Erfahrungen auf dem Markt zu sammeln. Messen bieten dem Kunstmarkt etwas, das in ähnlicher Weise von den Auktionshäusern bedient wird: das Zelebrieren eines (Groß-)Events mit besonderem Erlebniswert, der sich nicht nur auf die Messe selbst bezieht, sondern z.B. exklu-

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sive Previews und Vernissagen sowie ein passendes Rahmenprogramm umfasst. Diese besondere Atmosphäre und zeitliche Begrenztheit von Messen kann sich – ähnlich wie bei Versteigerungen – vorteilhaft auf die Kauflust von Sammlern auswirken. Das Messegeschäft ist allerdings durch einen intensiven (Verdrängungs-) Wettbewerb gekennzeichnet, so dass sich ein kontinuierliches Kommen, Gehen und Neuetablieren von Kunstmessen feststellen lässt (vgl. Kobel 2010). Langfristig im Markt bestehen können dabei nur jene Messen, die über eine tragfähige, eindeutige Marktpositionierung verfügen, wie es z.B. der TEFAF in Maastricht mit ihrem Fokus auf hochkarätige Kunst und Antiquitäten seit vielen Jahren gelingt. Ein nachhaltiger Erfolg von Messen stützt sich auf ein klares inhaltliches Profil, die Strenge von Zulassungskriterien und damit die Qualität des Ausstellerangebots.

Kunstberater Kunstberater (auch: Art Consultants) unterstützen Privatpersonen, öffentliche Institutionen oder Unternehmen z.B. bei der Akquise von Werken oder dem Aufbau und der Erweiterung von Sammlungen inklusive Sammlungsmanagement (vgl. hierzu van Delden in diesem Buch). Der Kunstberater soll dabei neutral und unabhängig agieren – so z.B. dann, wenn es beim Auf bau von Corporate Collections darum geht, den Einfluss durch persönliche Vorlieben einzelner kunstbegeisterter Führungskräfte zugunsten übergeordneter kunsthistorischer, aber auch ökonomischer Kriterien zu beschneiden – und arbeitet daher typischerweise ohne eigenen Ausstellungsraum und Bestand an Werken. Allerdings ist mit dem Begriff des Kunstberaters keine geschützte Berufsbezeichnung verbunden und so findet sich in der Praxis ein sehr heterogener Kreis an Personen, die in dieser Funktion tätig sind; hierzu gehören Galeristen und Kunsthändler, Künstler, eine Vielzahl an freiberuflichen Kunsthistorikern und Kuratoren, aber z.B. auch fachlich ausgewiesene Experten von Finanzinstitutionen.

Kunstexperten und Kunstsachverständige Kunstexperten werden immer dann von anderen Marktakteuren (z.B. Auktionshäusern, Sammlern) herangezogen, wenn es um spezifische Fragen geht, z.B. hinsichtlich der Echtheit, dem Erhaltungszustand oder der Datierung eines Kunstwerks. Sie können durch ihre Zu- bzw. Abschreibungen einen maßgeblichen Einfluss auf den Wert eines Kunstwerks und damit seine Bedeutung auf dem Kunstmarkt ausüben. Der Begriff und das Berufsbild des Kunstexperten sind dabei – ähnlich wie beim Kunstberater – nicht geschützt. Um als Kunstexperte anerkannt zu sein, ist es erforderlich, den eigenen Sachverstand zu einem Künstler, einer Epoche oder einem Sammelgebiet im Rahmen wissenschaftlicher Ausarbeitungen dargelegt und/oder im Rahmen langjähriger Praxis bewiesen zu haben (vgl. hierzu Büttner/Finke in diesem Buch). Allerdings kann es selbst inter-

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national renommierten Kunstexperten passieren, dass sie sich trotz aller Sorgfalt bei der Begutachtung irren und sogar Fälschungen aufsitzen, wie der spektakuläre Fall eines angeblichen, tatsächlich aber gefälschten Gemäldes von Max Ernst gezeigt hat (vgl. Dittmar 2013). Synonym zum Begriff des Kunstexperten wird häufig der des (Kunst-)Sachverständigen verwandt. Auch die Berufsausübung des Sachverständigen ist grundsätzlich nicht an Examina oder sonstige formale Kriterien geknüpft. Eine Ausnahme hiervon bilden »öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige«, die von den Industrie- und Handelskammern auf Sachkunde und Eignung geprüft sowie öffentlich bestellt und vereidigt werden.

Kunstkritiker Der kunsthistorische, ästhetische, aber auch ökonomische Wert von Kunst ergibt sich als ein Konsens von Experten und Kennern, der nicht diktiert werden kann und sich nur langsam auf baut (vgl. Bonus/Ronte 2002, S. 20). Zu den auf diesen Prozess einwirkenden Meinungsbildnern und Multiplikatoren gehören auch die Kunstkritiker, die Kunstwerke, aber ebenso Maßnahmen zu ihrer Präsentation und Rezeption sowohl für den inneren Kreis des Kunstmarkts als auch für eine größere Öffentlichkeit beschreiben, analysieren und bewerten (vgl. hierzu Lüddemann in diesem Buch). Veröffentlicht werden diese Betrachtungen und Diskurse z.B. in Fachzeitschriften, Kunstmagazinen, Ausstellungskatalogen oder Feuilletons von Zeitungen. Obgleich die Kunstkritik eine lange Tradition kennt und in der Vergangenheit auch erheblichen Einfluss auf den Kunstmarkt ausübte, ist mit Blick auf die Gegenwart festzuhalten, dass ihr Einfluss abgenommen hat und ihre Rolle angesichts einer eventorientierten Gesellschaft, eines prosperierenden und erfolgsverwöhnten Kunstmarkts und wachsender Überschneidungen mit Aktivitätsbereichen anderer Akteure (z.B. Kuratoren, Künstler) neu justiert werden muss (vgl. u.a. Rauterberg 2007).

5. F a zit Es ist deutlich geworden, dass der Kunstmarkt aus der Verbindung der beiden Sphären »Kunst« und »Markt« erhebliche Spannung und Attraktivität bezieht. Die Verquickung dieser Bereiche derart, dass die wirtschaftlichen Interessen nicht zu Lasten der Kunst gehen, die Kunst aber gleichzeitig überlebensfähig bleibt, setzt entsprechende Rahmenbedingungen voraus und insbesondere eine engagierte Kulturpolitik. Wie oben herausgearbeitet wurde, hängt die Funktionsfähigkeit des Kunstmarkts von sehr unterschiedlichen Akteuren ab, die in engem, zum Teil kompatiblem, zum Teil aber auch ambivalentem oder konkurrierendem Verhältnis zueinander stehen. Hinzu kommen weitere Marktteilnehmer, die auf die Entstehung, Zirkulation, Präsentation und Rezeption von Kunst ebenfalls Einfluss nehmen, aber hier nicht alle im Detail vorgestellt werden konnten (z.B. Sponsoren

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und Mäzene, Großausstellungen wie die Biennale in Venedig und ihre Besucher). Deutlich wurde außerdem, dass sich die Parameter auf dem Kunstmarkt kontinuierlich verändern und dies sowohl exogen als auch endogen bedingt. Zwangsläufig kommt es hierdurch immer wieder zu einer Verschiebung von Kräfteverhältnissen, wie z.B. zwischen privaten Sammlern und öffentlichen Museen, Galerien und Auktionshäusern oder auch den Kunstzentren verschiedener Regionen und Länder. Aber auch dann, wenn sich der Stellenwert einzelner Akteure künftig (weiter) verschieben wird, bleibt festzuhalten, dass die jeweiligen (Kern-)Funktionen der Akteure nicht austauschbar sind. Damit bleibt der Kunstmarkt trotz Marktbereinigungen durch ein Zusammenspiel der genannten Teilnehmer konstituiert, das sich allerdings auch in Zukunft immer wieder neu definieren wird.

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

Geschichte und Ökonomie des Kunstmarkts — ein Überblick Andrea von Hülsen-Esch

Der Kunstmarkt ist keine Erfindung der Neuzeit: Bereits in der Antike gab es Kunstmärkte, so etwa im Mittelmeerraum, wo ein Handel zwischen ägyptischen und griechischen Kunsthändlern um 1500 v.  Chr. nachweisbar ist. Verkauft wurden beispielsweise Nachbildungen von Götterbildern, die Tempel und Altäre (auch im eigenen Haus) schmückten. Sammlungen von Kunstwerken entstanden dann ab der Zeit Alexanders d. Gr. in den Königshäusern Ägyptens und Pergamons; allerdings waren die versammelten Kunstgegenstände nicht selten Raubgut oder diplomatische Geschenke – von planvollen Sammlungen kann man erst in römischer Zeit sprechen, als die von Kriegszügen mitgebrachte Beute auf Märkten gehandelt wurde und somit auch in den Häusern der Patrizier in Rom repräsentative Sammlungen entstanden. In Rom gab es bereits eine Straße, in der sich spezialisierte Kunsthandlungen niederließen, auch wurde Kunst auf Auktionen gehandelt – allerdings nur neben anderen kaufmännischen Waren (Boll 2011, S. 14f.; Thurn 1994, S. 19-23; Reitz 1998, S. 12-19; Watson 1993, S. 77f.; Wilhelm 1990, S. 18).

W ertschät zung von K unst und K unsthandel im mit tel alterlichen I talien Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches und im Zuge der gänzlich anders gearteten Gesellschaftsstruktur im Mittelalter wurden die Kunstproduktion und der -verkauf in der Regel von einem zweiseitigen Verhältnis zwischen Auftraggeber und Künstler bestimmt; allerdings zeugen beispielsweise kostbare spätantike Reliquienbehältnisse aus Elfenbein im Norden davon, dass sie andernorts – etwa in Rom oder Ravenna – im Kunsthandel erworben worden sein müssen. Indizien für die Wertschätzung von Kunst im Mittelalter haben sich – neben der inschriftlich überlieferten Hochachtung vor Künstlern (noch vor der herausgehobenen Stellung eines Künstlers als ›Hofkünstler‹ im 15. Jahrhundert) – mit

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

Dokumenten, Briefen, Rechnungen, der Anzahl der Auftragsvergabe, oder auch in literarischen Notizen etwa Petrarcas oder Dantes erhalten. Aus solchen Details lässt sich mit aller Vorsicht eine besondere Wertschätzung von Kunstwerken rekonstruieren; die monetäre Bewertung wird jedoch erst seit dem 14. Jahrhundert auf den Kunstmärkten greif bar, die zu jener Zeit vor allem in Venedig und Paris florieren. Bereits der burgundische Herzog Jean de Berry ließ illuminierte Handschriften von einem Agenten in Venedig kaufen, die vielleicht einmal als Auftragswerk entstanden und jetzt wieder auf dem offenen Markt zu haben waren. Im 14. Jahrhundert treten die ersten laikalen Sammler hervor, die Agenten beispielsweise nach Venedig schicken, um dort für sie Tafelmalereien, Elfenbeinschnitzereien oder auch wundersame Objekte wie Straußeneier zu kaufen (Mariaux 2007, S.  350f. u. 354f.). Hauptabnehmer und -auftraggeber für Kunst in Italien waren im ausgehenden 14. und 15. Jahrhundert die Fürstenhäuser Oberitaliens, die in der Regel Künstler an ihren Hof banden, aber auch zahlreiche Kunstwerke erstanden (Guerzoni 1998, passim; Reitz 1998, S. 34-40). Aus dieser Zeit sind auch die ersten berufsmäßigen Kunsthändler dokumentiert, die vor allem die wachsenden fürstlichen Sammlungen belieferten und mit zeitgenössischer wie mit antiker Kunst handelten (Thurn 1994, S.  30; Reitz 1998, S.  40, 46f.). Sieneser und Florentiner Zunftmatrikel aus dem Spätmittelalter liefern reiches Quellenmaterial zu den eingetragenen Kunstmalern, die Rückschlüsse auf eine florierende Malereiproduktion und einen entsprechenden Kunsthandel zulassen; die Professionalisierung der künstlerischen Ausbildung in einer Akademie in Florenz seit 1562 bildet seitdem die Grundlage für eine Qualitätssicherung (Kubersky-Piredda 2005, S. 39-49 u. 55f.; Büscher 2002, passim). Die Frage der Werkstattorganisation und der Ausbildung der Künstler – und damit auch die Frage nach einer bewertbaren, sich in der Preisbildung manifestierenden Qualität – ist für viele Miniaturisten, Maler- und Bildschnitzerwerkstätten des 15. und 16. Jahrhunderts in Einzelstudien vertieft worden (Hülsen-Esch 2013, im Druck). Für die Bildschnitzer, etwa für Tilman Riemenschneider, geht man mittlerweile davon aus, dass die eigenhändige Entwurfszeichnung des verantwortlichen Meisters, die Visierung, bei Vertragsabschluss vorgelegen haben muss. Weitere Absprachen wurden schriftlich fixiert: Der verantwortliche Meister musste an dem Kunstwerk auch eigenhändig beteiligt sein, er durfte während der Zeit der Ausführung keine weiteren Aufträge annehmen und er musste sich genau an das halten, was er in der Zeichnung niedergelegt hatte. Dessen ungeachtet konnte der Künstler einen Großteil der Ausführungsarbeiten seiner Werkstatt überlassen (KaldenRosenfeld 2004, S. 69f.) – was der Qualität und Bewertung seiner Kunstwerke nicht schadete.

Andrea von Hülsen-Esch: Geschichte und Ökonomie des Kunstmarkts — ein Überblick

K unst- und K unstmark t zentren der F rühen N euzeit Neben Italien etablierten sich die südlichen Niederlande als weiteres Zentrum des Kunsthandels im 15. Jahrhundert; hier waren die Buchmalereiproduktion, die Tafelmalerei und die Schnitzwerkstätten Grundlage für einen blühenden Markt. Auch wenn die Verkäufe strengen Zunftbestimmungen unterlagen, waren Brügge, Gent und Antwerpen lebendige Handelszentren für einen weitreichenden Kunstexport (Blockmans 1998, passim, Martens 1998, passim, Gliesmann 2011, S. 26-31). Anders verhielt es sich in Spanien, wo sich ebenfalls schon früh ein lebhafter Kunsthandel auf Märkten und Messen feststellen lässt – hier sind es insbesondere die flämischen Kunstimporte, die den Markt beleben (Alvarez 1998). Ähnlich wie in Italien waren im 15. und 16. Jahrhundert auch in Spanien und Frankreich die Adels- und Königshäuser Hauptabnehmer der Kunstobjekte, die in ihrem Auftrag von Agenten gesucht und gekauft wurden. Nicht nur auf Märkten, Messen und in den meist an den Produktionsstätten angesiedelten Kunsthandlungen konnte man Kunstwerke erwerben, in Frankreich waren seit 1552 mit einem Edikt König Heinrichs II. auch staatlich reglementierte und autorisierte Auktionatoren für den Verkauf zuständig (Boll 2011, S. 15f.; Watson 1993; S. 79; Kubersky-Piredda 2013). Eine Erweiterung erfuhr der Kunstmarkt dann in den Niederlanden im 16. Jahrhundert: Die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Veränderungen in Europa führten dazu, dass die für ihre (religiöse) Toleranz bekannten Niederlande zum Zuwanderungsland für viele Migranten wurden. In der Folge und unter Nutzung der vielfältigen Kontakte entwickelten sich die Niederlande und die nordeuropäischen Länder zu einem der wichtigsten Wirtschaftsräume innerhalb Europas; zugleich führte der wirtschaftliche Aufschwung zu größerem Reichtum bei den Unternehmern, Kaufleuten, Reedern, im städtischen Patriziat und in der gehobenen bürgerlichen Mittelschicht. Die Vernetzung mit anderen Ländern ließ auch den Kunsthandel auf blühen: Agenten versorgten die kleinen Höfe der angrenzenden Länder, aber auch den schwedischen Königshof mit Luxusgütern und Gemälden, Skulpturen, Büchern und Münzen, wie es für den Kupferstecher und Agenten Michel le Blon (1587-1656) im Dienste des schwedischen Reichskanzlers Oxenstierna überliefert ist (Freist 2012, S. 1-21 u. 35-44; Noldus 2006, S.  55-58). In Stockholm wurde 1674 mit Auktionsverk das älteste, noch heute bestehende Auktionshaus gegründet, das von Beginn an – neben anderem – Kunst versteigerte (Boll 2011, S.  23). In den Niederlanden begünstigte der Calvinismus den bürgerlichen Kunstmarkt, da die Kirche als Auftraggeber weitgehend obsolet wurde und neue Sujets, wie z.B. Alltags- und Landschaftsdarstellungen in der Malerei, nunmehr auch ein bürgerliches und bäuerliches Publikum ansprachen. Der Kunstmarkt in der niederländischen Republik expandierte derart, dass man für den Zeitraum zwischen 1580 und 1800 von einer Produktion von ca. neun Millionen Gemälden ausgeht. Kunst war nicht mehr allein der adligen Oberschicht oder dem Patriziat vorbehalten, auch die bürgerlichen Häuser

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zierten Kunstwerke (Vermeylen 2003, S.  35-108). Erwerben konnte man diese in den Ateliers zahlreicher Künstler, in Ladengeschäften des Kunsthandels, auf Märkten und Auktionen, im Rahmen von Lotterien und auf einem fest etablierten Kunstmarkt in der Antwerpener Börse. Die »konstverkooper« waren Kaufleute und nicht selten Maler, der reißende Absatz unter anderem dem Umstand geschuldet, dass die Investition in Kunst als Ersatz diente für die fehlende Möglichkeit, in Land zu investieren (Alpers 1989, S. 204; Thurn 1994, S. 41-57; Boll 2011, S. 22). Die Bedeutung des Kunstmarkts findet seit Beginn des 17. Jahrhunderts indirekt in der Kunst selbst ihren Niederschlag: In den südlichen Niederlanden mit den Zentren Brüssel und Antwerpen wird mit dem Galeriebild die Malerei selbst zum Gegenstand des Bildes erhoben: Die Galeriebilder zeigen eine Versammlung berühmter Gemälde in einem reich ausgestatteten Raum, der Galerie – wobei es sich oftmals um eine fiktive Zusammenstellung von Gemälden handelte, die gleichermaßen den Reichtum, die Weltläufigkeit und die Bildung des Besitzers dokumentieren sollten. Damit werden die Kunstsammlungen als wesentliche Faktoren fürstlicher Repräsentation und als Dokumentation intellektueller Neugier manifestiert. Zugleich war damit der erste Schritt zu einer Veröffentlichung privater Sammlungen getan, die mit der bildlichen Wiedergabe bestimmter Gemälde auch einen Beitrag zu deren Wertsteigerung lieferten (Nicholls 2006, bes. S. 3-33).

N eue K riterien für die P reisbildung im 18 . J ahrhundert : D ie R olle F r ankreichs Sammlungen waren und sind ein Hort für die Auf bewahrung und Wertsteigerung von Kunstwerken, wobei es sich zumindest in der Frühen Neuzeit noch nicht um gattungsspezifische Sammlungen handelte. Sammlungen von Kunstobjekten kamen im Rahmen von Kunst- und Wunderkammern vor, und sie waren beschränkt auf einen kleinen Kreis hochstehender Adliger und einiger weniger Patrizier. Die auf dem Kunstmarkt angebotenen Gegenstände für diese Sammlungen umfassten weit mehr als die mit den heutigen Gattungen der Kunst – Malerei, Grafik, Skulptur, Goldschmiedekunst, Kunsthandwerk, Porzellan, Textilien, Buchmalerei – verbundenen Objekte. Eine besondere Rolle spielten Naturalien – Gesteinsarten, Muscheln, Skelette, Straußeneier etc. –, Münzen und Medaillen sowie Automaten als Werke der Ingenieurkunst (Beßler 2009 und Marx 2006, passim). Gattungsspezifische Sammlungen, also etwa Gemäldesammlungen, die dann beim Ableben des Sammlers auch für den Kunstmarkt relevant werden, tauchen erst ab dem 18. Jahrhundert aus dem Rahmen der Kunstkammer auf und lösen sich von dieser ab, was einerseits eng mit der Ausbildung einer ›Kennerschaft‹ sowie andererseits mit der allmählichen Etablierung einer ›Kunstkritik‹ zusammenhängt. Sind Fragen der Geschmacksbildung und Kennerschaft im 18. Jahrhundert noch eng mit der Möglichkeit verbunden, zu reisen (mit der

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sogenannten ›Kavalierstour‹ oder der ›Grand Tour‹) und die Kunstwerke in situ in Augenschein zu nehmen, geben die Erörterungen der Kunstkritik und literarische Beschreibungen mehr und mehr Kriterien an die Hand, um die Qualität von Gemälden vergleichend zu beurteilen (Zelle 2002, S. 220-224). Einen weiteren Anstoß zur komparativen Betrachtung von Gemälden gab der Maler und Kunsthändler Jean-Baptiste-Pierre Lebrun: Er reiste durch verschiedene europäische Länder mit dem Ziel, vergessene Künstler wieder zu entdecken, indem er die Qualität eines Gemäldes zum Kriterium auch für die marktrelevante Wertschätzung erhob. Damit wurde der Kunsthändler nicht nur zum Kenner, sondern darüber hinaus zum kunsthistorischen Forscher, der u.a. Hans Holbein und José Ribera dem Vergessen entriss – und die wieder entdeckten, günstig eingekauften Gemälde teuer weiter verkaufen konnte (Watson 1993, S. 90; Thurn 1994, S. 6466). Gleichzeitig wurden Privatsammlungen in Frankreich über Kunstführer, Almanache und enzyklopädische Artikel in den Dictionnaires in einem zuvor nicht gekannten Maße der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Michel 2002, S. 25f.). Hier spielten auch die Auktionskataloge, mit Hilfe derer die Sammlungen dann auf den Markt gebracht wurden, eine zunehmend große Rolle. Sie dienten dazu, Kriterien festzuhalten, anhand derer die Gemälde, Zeichnungen oder Druckgrafiken als authentisch beurteilt und im Wert geschätzt werden konnten. Dabei bezeichnete das Wort ›Gusto‹ in norddeutschen Auktionskatalogen die Malweise des Künstlers und erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Geschmack des Sammlers – womit die Kompetenz bezeichnet wurde, eine gute Sammlung zusammen zu bringen (Zelle 2002, S. 224-229). Festzuhalten bleibt, dass die ersten gattungsspezifischen Privatsammlungen wie die damit einhergehenden Auktions- und Sammlungskataloge im Falle der Versteigerung zu einem wesentlichen Faktor bei der Ausbildung des Kunstmarktes wurden. Die Auktionskataloge vermittelten die bislang nicht zugänglichen Kunstwerke schon im Vorfeld der Auktion an die Öffentlichkeit und entfachten Diskussionen unter Kunsttheoretikern und Kennern – was den Wert eines Gemäldes erheblich steigern konnte. Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Preisbildung von Kunst am Markt im 18. Jahrhundert ist die neue Öffentlichkeit, die mit der Institutionalisierung von öffentlichen Kunstausstellungen – etwa mit der festen Einrichtung der Kunstsalons in Paris ab 1737 – geschaffen wird (Zelle 2002, S. 218f.). Damit einher geht, wie oben erwähnt, eine neue literarische Gattung, die Kunstkritik, die eine öffentliche Diskussion über Kunst ermöglicht und damit auch die Rezipientenschaft erweitert (Kluge 2009 und Wrigley 1993, passim). Der traditionelle Auftraggeberkreis für Künstler/Kunst, Adel und Kirche, erweitert sich zunehmend um das Bürgertum; hinzu kommt die Produktion von Kunstwerken für einen anonymen Kunstmarkt, wie es sich sehr genau anhand der holländischen Genre- und Landschaftsmalerei nachvollziehen lässt. Dabei spielt der Pariser Kunstmarkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle: Paris war der Umschlagplatz für flämische Gemälde, ebenso wie für holländische, deutsche und italienische; die Kunden kamen aus Deutschland, England und Russland (Michel

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2002, S. 26). Das – aufgrund des Verkaufs bedeutender Privatsammlungen und guter Handelskontakte – steigende Angebot an nachgefragten Gemälden konnte dennoch nicht die Nachfrage befriedigen. Kunsthändler monieren in ihren Korrespondenzen, dass nicht die wirklichen »amants« (Liebhaber) Bilder kauften, sondern anonyme Personen, die keine wirkliche Leidenschaft für die Gemälde zeigten: Dadurch werde der Markt immer kälter und man müsse die Bilder »à prix fous«, zu einem verrückten Preis, kaufen. Das führte dazu, dass man mit dem fortschreitenden Jahrhundert immer höhere Preise für Gemälde zahlte (Michel 2002, S. 28f.). Vergleichbar ist diese Situation heute mit einer Aktienblase, die dann im übertragenen Sinne mit der französischen Revolution platzte. Die Öffnung des Marktes für andere Käufer, der öffentliche Diskurs um die Sammlungen sowie der Verkauf von ursprünglich elitären, nicht zugänglichen Sammlungen haben den Markt in Paris entscheidend beeinflusst. Allerdings spielten im Frankreich des 18. Jahrhunderts Auktionen, die staatlich reglementiert waren und sich nur sehr langsam verbreiteten, kaum eine Rolle; stattdessen trugen der Zwischenhandel und die Atelierverkäufe weiterhin entscheidend zum Kunstumsatz bei (Pomian 1987, passim; Joachimides 2008, S. 35-40).

D as A ufblühen des englischen K unstmark ts Die Entwicklung in England war von besonderer Bedeutung für den europäischen Kunstmarkt des 18. Jahrhunderts: 1688 wurden die von Oliver Cromwell verantworteten Importbeschränkungen für aus dem Ausland stammende Gemälde aufgehoben; daraufhin war ein Ansteigen der Bildungsreisen britischer Adliger in das kontinentale Europa zu verzeichnen, von denen sie Kunstwerke mitbrachten. Allerdings wird mittlerweile bezweifelt, dass die Zollbestimmungen tatsächlich in dem Maße gelockert wurden, wie es die Quellen suggerieren, denn die Auktionskataloge machen deutlich, dass vorwiegend englische Gemälde, die sich also auf dem heimischen Kunstmarkt befanden, in jenen ersten Jahren den Besitzer wechselten – auch wenn es zu dieser Zeit noch keine spezialisierten Kunst-Auktionatoren in England gab und die Gemälde oftmals noch zusammen mit Büchern, Drucken und Haushaltswaren angeboten wurden. Ein Umschlagplatz für Kunst mit der größten Dichte an Kunsthändlern war im 17. Jahrhundert Venedig; als »Agenten« fungierten oftmals auch Botschafter oder andere Abgesandte im europäischen Ausland, die besonders begehrte Maler durch ihre Orts- und Landeskenntnis oftmals zu einem besseren Preis besorgen konnten bzw. an seltene Gemälde aufgrund ihrer Beziehungen zu Adligen besser herankamen als die nur sporadisch im Land auftauchenden professionellen Kunsthändler (Watson 1993, S.  82f.; Thurn 1994, S.  37-40; Ormrod 2002, S.  20). Erst ab den 1730er Jahren steigt die Zahl der reinen Gemälde-Auktionen in England signifikant an, was damit zusammenhängt, dass ab dieser Zeit Privatsammlungen auf den Markt kamen, und dass sich erstmals internationale Kunsthändler niederließen, die in

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Europa ihre Ware im Auftrag für Sammler und auf eigene Rechnung kauften, diese Kunstwerke dann importierten und nebenbei teilweise selbst beträchtliche Gemäldesammlungen auf bauten (Ormrod 2002, S.  15-18). Diese Sammlungen wiesen die besonders geschätzten Protagonisten niederländischer, französischer wie italienischer Malerei auf – und das heißt, Maler des 16. und 17. Jahrhunderts (Veronese, Cortona, Tizian, Poussin, Rubens) – die im Gegensatz zur zeitgenössischen Malerei zu erheblich höheren Preisen versteigert werden konnten. Eine der bedeutendsten Gattungen für den Kunstmarkt im England des 18. Jahrhunderts war die Portraitmalerei, die mit einem standardisierten Repertoire an räumlichen Details – gebauschte Vorhänge, Säulen, Büsten, Andeutungen von kostbaren Schreibtischen – dem Dargestellten bildlich zu sozialem Prestige und einem repräsentativen Image verhalfen (Mannings 1985). Umschlagplatz für die Kunst in England waren die vielen Auktionen (zwischen 15 und 25 pro Jahr) sowie die zahlreich entstehenden shops in London. In diesem für den Kunstmarkt günstigen Klima wurde 1844 das Auktionshaus Sotheby’s durch Samuel Baker gegründet, wobei der Verleger und Schreibwarenhändler zunächst ausschließlich Bücher versteigerte. James Christie hingegen führte mit der Geschäftsgründung 1766 sogleich auch Kunstauktionen durch – er hatte Zugang zu der oberen Gesellschaftsschicht, die seine kostbaren Möbel und Gemälde kaufte und eine Auktion zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden ließen; beide Auktionshäuser konnten sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Kunstmarkt fest etablieren. Auch das dritte große englische Auktionshaus datiert aus der Zeit: Harry Phillips machte sich nach seiner Tätigkeit bei Christie’s 1796 selbständig. Neben diesen, heute noch existierenden, Unternehmen sind in London in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa 60 weitere Auktionatoren belegt (Pears 1988, S. 67-101; Watson 1993, S. 87-95, Thurn 1994, S. 68-71). Die Verteilung der Auktionen im Jahr auf zwei fixe Zeiträume, die noch heute zu finden sind – auf das Frühjahr und den Herbst –, ist den damaligen Anwesenheitszeiten des Adels in der Stadt geschuldet, da er den Sommer in der Regel auf den Landsitzen verbrachte (Boll 2011, S. 23). Die starke handelspolitische Position Englands führte dazu, dass sich der englische Adel und das vermögende Bürgertum als Käufer etablierten, während der italienische Adel verarmte und zunehmend verkaufen musste (Watson 1993, S.  83). Zu Einbrüchen im Kunstmarkt führten natürlicherweise die Kriege mit Spanien und Frankreich ab 1739, die das Reisen und den Handel gefährlicher machten und damit über erhöhte Beförderungs- und Versicherungskosten die Preise für importierte Kunst in gigantische Höhen trieben. Zugleich kamen durch die kriegerischen Handlungen die Niederlande als bevorzugter Umschlagplatz für europäische Kunst – auch für französische, italienische und flämische Malerei – zum Zuge, wodurch die holländische Malerei den englischen Markt zu erobern begann und in der Folge den Weg für die englische Landschaftsmalerei öffnete (Ormrod 2002, S. 21-23). Um die Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich auch in England die Arbeitsweise des Handels: wie in Frankreich wurden Experti-

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sen immer wichtiger, Zuschreibungen auf der Grundlage von Kennerschaft konnten die Verkaufserlöse vervielfachen. Arthur Pond, ursprünglich Kunstmaler und wie viele seiner Kollegen zugleich Kunsthändler, notierte auf der Rückseite der Gemälde, ob diese in seinen Augen von den angegebenen Künstlern stammten oder nicht. Diese Geschäftspraxis erhöhte das Vertrauen in seine Glaubwürdigkeit als Händler gegenüber der Konkurrenz – und führte in der Folge auch in England dazu, dass Kennerschaft und Echtheitszertifikate beim Verkauf wichtige Faktoren wurden (Watson 1993, S. 89f.). England und Frankreich hatten im 18. Jahrhundert mit ihren beiden Hauptstädten die wichtigsten Kunstmarktzentren in Europa ausgebildet, wobei die französische Revolution einen starken Ausschlag zugunsten Londons brachte, da viele Kunstsammlungen des französischen Adels – etwa die Sammlung Talleyrands – und auch sein beweglicher Besitz, wie zum Beispiel die Juwelen der Madame Dubarry, ab 1790 in London versteigert wurden (Thurn 1994, S. 58-74). Neben den Auktionshäusern profitierten die Kunsthändler von der politischen Entwicklung: Sowohl die Großhändler, die ihre Ware anderen Händlern oder über Auktionen feilboten, als auch die Einzelhändler mit eigenem shop, die in ihrem Angebot alte wie neue Kunst hatten und bereitwillig die aus Frankreich bei der Flucht mitgenommenen Kunstwerke verkauften (Boll 2011, S. 25f.).

K unstmark t zentren und neue V ertriebsformen im deutschen S pr achr aum Die deutschen Territorialstaaten hatten, bedingt durch die politische Struktur des Landes, keinen zentralen Kunstmarkt ausgebildet. Der Handel konzentrierte sich auf die großen Messe- oder Handelsstandorte wie Nürnberg, Frankfurt a.M., Leipzig und Hamburg. Als Kunsthändler etablierten sich zumeist die Künstler selbst, zudem traten bereits früh im 16. Jahrhundert spezialisierte Grafikhändler hervor, die beispielsweise in England erst um 1750 mit Arthur Pond anzutreffen sind. Die dezentralisierten Kunstmarktstandorte verhinderten gleichwohl nicht, dass auch in Deutschland Geschmackskriterien, Kennerschaft und die Kunstkritik den Kunsthandel ab den 1780er Jahren zunehmend bestimmten (Thurn 1994, S. 75-94). Dazu trugen in nicht unerheblichem Maße die Auktionskataloge bei, deren Beschreibungen Zuschreibungen und teilweise Urteile enthielten sowie zu Vergleichen in der Qualität anregten. Diese Auktionskataloge führten letztlich zu den heute für Auktionen üblichen Expertisen durch Fachleute: Als berühmtes Beispiel für das ausgehende 19. Jahrhundert kann die Tätigkeit des renommierten amerikanischen Kunsthistorikers Bernard Berenson gelten, der anlässlich einer Verkaufsausstellung von Gemälden italienischer Meister 1895 in London fast alle Zuschreibungen korrigierte und damit Sachkenntnis und Sorgfalt als unabdingbare Kriterien für die nähere Bestimmung eines Gemäldes in den Vordergrund stellte. Beruflich und finanziell sicherte er sich damit den Durchbruch, denn

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fortan war er als Experte für italienische Kunst bei dem erfolgreichen amerikanischen Kunsthändler Joseph Duveen für die Zertifikate zuständig – mit einer zehnprozentigen Gewinnbeteiligung vom Verkaufserlös (Thurn 1994, S. 112). Mit der ökonomischen Erstarkung des Bürgertums stieg der Absatz. Wichtig für die Entwicklung des europäischen Kunstmarkts war zudem die Gründung der ersten öffentlichen Museen und Kunstvereine in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die meisten Kunstvereine wurden zwischen 1800 und 1840 von den Künstlern selbst, von Intellektuellen und dem Bürgertum gegründet, mit dem Ziel, der Kunst durch die Ausstellung in eigenen Räumen eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen, die Künstler unabhängiger von Mäzenen zu machen und einen neuen Markt zu erschließen. Die neu entstehenden Kunstwerke sollten auch dem Bürgertum zugänglich werden und damit der bis dahin als Laien geltenden sozialen Gruppe zu der Möglichkeit des Sammelns verhelfen. Die Kunstvereine – wie auch die Geschichts- und Altertumsvereine – waren Ausdruck einer liberalen Gesinnung, die nach 1815 eine Form der legalen Bewegung gegen verkrustete ständische Strukturen darstellten. Kunstvereine wurden von Bürgern getragen, die damit einen Widerpart gegen das Ankaufsmonopol von Kunst durch den Adel und das Großbürgertum boten und die Sammelfreudigkeit in anderen Schichten steigerten. Zu den ältesten Kunstvereinen zählen die Albrecht-DürerGesellschaft in Nürnberg (1792), der Kunstverein in Hamburg (1817), der Badische Kunstverein in Karlsruhe (1818), der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen (1929) und der Kunstverein Bremen (1932). Im Anschluss daran bildeten sich in fast jeder größeren deutschen Stadt Kunstvereine als frühe Bürgerinitiativen für Kunst. Kunstvereine waren der Rechtsform nach Aktiengesellschaften oder Losvereine, was bedeutet, dass über den Erwerb von Aktien durch die Mitglieder das Kapital des Vereins gebildet wurde. Mit dem so vorhandenen Geld wurden Kunstwerke angekauft, die dann zumeist einmal im Jahr an die Mitglieder verlost wurden und damit den Bürgern zu Kunstwerken verhalfen, die sie im Kunsthandel niemals zu diesem Preis hätten erstehen können. Ein Teil der Kunstwerke verblieb dem Kunstverein und diente dem Auf bau der eigenen Sammlung (Vergoossen 2011 und Behnke 2001, passim; Meissner 1989, S. 30-33).

D er europäische K unstmark t seit dem 19. J ahrhundert Unbestritten waren die Metropolen London und Paris im 19. Jahrhundert führend im Kunsthandel; zugleich wurde mit der ersten Weltausstellung 1851 in London die Frühform der Kunst- und Antiquitätenmesse geschaffen, die mit der Spezialisierung in Kunst, Kunsthandwerk und Antiquitäten in der jährlich stattfindenden, weltweit größten Kunst- und Antiquitätenmesse TEFAF in Maastricht ihre heutige Form gefunden hat. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgte auch die Trennung der Kunsthändler in den »Antiquarius«, der bereits am Markt gehandelte Kunstwerke vertrieb, und in den »Modernus«, der mit zeitgenössischer Kunst

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handelte – eine Einteilung, die bis heute in der Ausdifferenzierung von Primärund Sekundärmarkt ihre Gültigkeit hat (Boll 2011, S.  26). Im ausgehenden 19. Jahrhundert war Paris das Zentrum der zeitgenössischen Kunst. Hier hatten die Impressionisten mit ihren die Malerei revolutionierenden Neuerungen in Paul Durand-Ruel einen Kunstvermittler gefunden, der 1869 in der Rue Lafitte seine Kunsthandlung mit neuer Gasbeleuchtung und moderner Hängung der Kunstwerke eröffnete. Er war bereit, für die anfänglich verpönte Kunst zu kämpfen und ihr zudem ab 1886 über seine New Yorker Dépendance den amerikanischen Markt zu erschließen. 1893 erhielt er mit Ambroise Vollard in der Pariser Rue Lafitte einen Konkurrenten und Mitkombattanten zugleich, 1901 folgte Berthe Weill mit der Eröffnung eines Ladenlokals; diese drei Kunsthändler vertraten die zeitgenössischen Maler in Paris, bis 1907 der in Stuttgart aufgewachsene DanielHenry Kahnweiler das Kleeblatt der Galeristen der Moderne komplettierte. Sämtliche Galeristen waren Ausstellungsmacher und Verleger zugleich; sie hatten ihre Künstlerkontakte und waren fester Bestandteil des Paris-Tourismus jener Zeit. Kahnweiler nahm aufgrund seiner Freundschaft zu Pablo Picasso und Juan Gris in den 1910er Jahren eine besonders herausragende Stellung ein. Er schuf ein Netzwerk von Galerien durch seine Verbindung mit Händlern in London und New York, Berlin und später auch in Düsseldorf. Neu an der Zusammenarbeit zwischen Galeristen und Künstlern war das Bestreben, den der Galerie verpflichteten Künstlern durch ein regelmäßiges monatliches Einkommen eine Grundversorgung zu ermöglichen und ihnen damit größtmögliche künstlerische Freiheit zu gewähren. Allerdings vertrat insbesondere Kahnweiler damit auch den Anspruch auf das Preismonopol für die Bilder der von ihm vertretenen Künstler (Thurn 1994, S. 139-156, Walter-Ris 2005, S. 16-19). Im Unterschied zum europäischen Ausland gab es in Deutschland für die Vermittlung zeitgenössischer Kunst um die Jahrhundertwende nicht ein Zentrum, sondern vier Städte, die für den Kunstmarkt von Bedeutung waren: München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin. Die polyzentrische Struktur des deutschen Kunstmarkts hat sich bis heute erhalten. In Deutschland spielten die Kunstakademien von München und Düsseldorf zwar für die Künstlerausbildung eine große Rolle – die Kunstvereine und Galerien verkauften dann die hier entstandenen Kunstwerke–, doch blieb der Handel mit Gemälden und Skulptur im Wesentlichen auf den Binnenmarkt beschränkt. Prägend für das Kunstgeschehen und den Kunstgeschmack im Berlin der Jahrhundertwende bis in die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren nach wie vor die öffentlichen Sammlungen (die Gemäldegalerie, die Nationalgalerie, das Kaiser-Friedrich- bzw. heutige BodeMuseum), die von eher konservativen Direktoren wie Harry Graf Kessler, Julius Meier-Graefe oder Hugo von Tschudi geleitet wurden, sowie die Kunstakademie, deren Direktor Anton von Werner den kaiserlichen Kunstgeschmack durchzusetzen versuchte. Dennoch gab es besonders im Kunsthandel Bemühungen, auch die Avantgarde nach Deutschland zu holen: In Berlin hatte der Kunsthändler Fritz Gurlitt (1854-1893) in seinem 1880 eröffneten Kunstsalon schon Ende des

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19. Jahrhunderts die französische Malerei des Impressionismus erstmals öffentlich in Deutschland ausgestellt, was dann nach der Jahrhundertwende durch den Galeristen Paul Cassirer fortgesetzt wurde. Allerdings blieben sie zunächst die einzigen und herausragenden Protagonisten in Berlin, die in größerem Umfang die avantgardistische Malerei ausstellten. Diese Situation empfanden die Künstler als unbefriedigend: Bereits 1892 tritt Der Verein Berliner Künstler mit einer Ausstellung von Bildern des Norweger Künstlers Edvard Munch hervor, die aufgrund ihrer ungewohnten Ausdruckskraft nach zwei Tagen geschlossen werden musste. Diese Schau wurde dann von dem Köln-Düsseldorf-Berliner Galeristen Eduard Schulte in die Räume seiner Berliner Dépendance übernommen – und er stellte sie danach in seiner Düsseldorfer Galerie aus, wo sie einen vergleichbaren Skandal wie in Berlin provozierte. Zugleich war mit der Ausstellung der Berliner Künstler die Initialzündung für Ausstellungsvorhaben von sich in verschiedenen Gruppierungen bzw. Sezessionen zusammenschließenden Künstlern gegeben, die zunehmend auf das Ausstellungsgeschehen Einfluss nehmen wollten und sollten. Dennoch war die ausländische Avantgardekunst bis 1910 in Berlin nur in begrenztem Umfang zu sehen (Hülsen-Esch 2013, S. 124-126).

D er deutsche K unstmark t in der ersten H älf te des 20 . J ahrhunderts Seit Beginn des 20. Jahrhunderts traten im Rheinland die Kunstvereine von Barmen, Düsseldorf und Köln mit Ausstellungen der zeitgenössischen Künstler und zum Teil auch der französischen Avantgarde hervor. Zwar kamen die westdeutschen Kunsthändler auch hinsichtlich ihrer internationalen Künstlerkontakte nicht an einen Ambroise Vollard oder einen Henry Kahnweiler heran – doch gab es durchaus gute Verbindungen etwa von Kahnweiler zu Alfred Flechtheim, dem Kunstliebhaber und ab 1913 Kunsthändler mit eigener Sammlung, der vom Rheinland aus die Achse Berlin – Düsseldorf – Paris bespielte und von dem Berliner Galeristen Paul Cassirer gefördert wurde. Diese auf ein großbürgerliches Publikum abzielenden Galerien wurden ergänzt durch Galerien wie diejenige von Herwarth Walden, »Der Sturm«, die in Berlin mit der deutschen, aber auch der russischen, tschechischen, französischen und ungarischen Avantgarde-Kunst vor dem Ersten Weltkrieg hervortrat. In München waren es 1904 die »Moderne Kunsthandlung« von Josef Brakl und vor allem die von seinem Teilhaber 1909 eröffnete »Moderne Galerie Thannhauser«, die als Förderer der jüngsten künstlerischen Entwicklungen sichtbar wurden. Neben Thannhauser, der mit seiner Galerie nicht nur für die Künstlergruppe Der Blaue Reiter, sondern auch für andere Künstlergruppen das Forum für die entscheidenden ersten Ausstellungen bot, etablierte sich zudem die »Neue Galerie – Hans Goltz« als Ort für die moderne Kunst. Nach dem Krieg kennzeichneten große Arbeitslosigkeit, Hungersnot und die Situation der Besetzung die Ausgangsbedingungen für die Kunstproduktion und den Kunst-

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handel. In Berlin intensivierte sich der Austausch mit russischen und südosteuropäischen Künstlern; rheinische Galeristen wie Flechtheim und die Brüder Karl und Josef Nierendorf, seit 1920 in Köln mit der Galerie Nierendorf Köln – Neue Kunst vertreten, gründeten Dépendancen in Berlin, organisierten nach dem Prinzip der Berliner Galerien zugleich Ausstellungen, Lesungen und Konzerte und gründeten einen eigenen Verlag. Kriegsreparationen, Inflation und in den 1930er Jahren das nationalsozialistische Regime mit seiner antisemitischen und antimodernen Kunstpolitik und den massiven Eingriffen in Sammlungsbestände durch Konfiszierung und Raub führten insgesamt jedoch zu erheblichen Einschränkungen im Kunsthandel (Walter-Ris 2005 und Hülsen-Esch 2012, passim; Meissner, 1989, S. 34-70; Lüttichau, 1989, S. 116-129). Dennoch verloren die expressionistischen Kunstwerke in dieser Zeit nicht an Wert – über den Verkauf von Gemälden aus Museumsbeständen, die getätigt wurden, um sie der Beschlagnahmung zu entziehen, lässt sich die Wertbeständigkeit der expressionistischen Malerei nachvollziehen (Jeuthe 2010, passim). Die Beschlagnahmung jüdischen Kunstbesitzes und die Entrechtung der jüdischen Konkurrenz organisierte der Kunsthandel selbst, noch vor der Verkündigung der Nürnberger Gesetze im September 1935: Unliebsamer deutscher Konkurrenz entledigte man sich durch ein neues Versteigerungsgesetz, das 1934 in Kraft trat. Demzufolge mussten Kunsthändler und -versteigerer nachweisen, dass es »ein Bedürfnis« auf dem Markt für ihr Unternehmen gebe. Die Genehmigung lag bei einem Sachverständigenkomitee der Industrie- und Handelskammer, dem im Falle Münchens der Kunsthändler und Auktionator Adolf Weinmüller angehörte. Er verfügte über gute Kontakte zur NSDAP und leitete von 1933 an den neu gegründeten Bund deutscher Kunstund Antiquitätenhändler e.V. Mitgliedschaft war Pflicht, um eine Versteigerungsoder Kunsthandelslizenz zu erhalten. Weinmüller lehnte Anträge so lange ab, bis er 1937 ein Monopol auf Kunstversteigerungen in München besaß; die enteigneten Sammlungen jüdischer Besitzer kamen bei ihm unter den Hammer. Das »Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller« wurde 1936 in München eröffnet, 1938 entstand eine Dépendance in Wien. Eine jüdische Kunsthandlung nach der anderen wurde ausgeschaltet, darunter das Auktionshaus Hugo Helbing, das zu den größten in der Weimarer Republik zählte. Weinmüller gilt als wichtigster Kunsthändler im Nationalsozialismus, der an zahlreiche NSDAP-Funktionäre verkaufte (Hopp 2012, passim). In den USA führte der »Verband amerikanischer Maler und Bildhauer« 1910 mit der Armory Show erstmals progressive amerikanische und ausländische Maler in einer Ausstellung zusammen; sie wurde bestückt von den Pariser Galeristen, einigen Berliner Kunsthändlern und der Münchener Galerie Thannhauser. Die dort getätigten Verkäufe waren der Beginn der Eroberung des amerikanischen Marktes durch die europäischen Künstler. Obgleich auch der amerikanische Kunstmarkt nach dem 25. Oktober 1929, dem »Schwarzen Freitag«, einen Einbruch erlitt, erholte er sich schneller davon, als es dem europäischen gelingen konnte.

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Sotheby’s und Christie’s begannen, andere Länder als Großbritannien oder die USA als Beschaffungs- wie auch als Absatzmärkte zu entdecken. Zur Aufbesserung der geringen Umsätze begann Sotheby’s, Privatkunden die Schätzung von Kunstwerken als Dienstleistung anzubieten und Haus-Versteigerungen durchzuführen. Nicht zuletzt durch diese Geschäftserweiterung konnte Sotheby’s erstmals mit dem Konkurrenten Christie’s hinsichtlich Umsatz und Gewinn gleichziehen. 1936 versuchte Alec Martin, Präsident von Christie’s, mittels einer Kampagne die Verkäufer von Kunstwerken unter Ausschluss des Kunsthandels als Mittler direkt an das Auktionshaus zu binden, wodurch er dem Handel beträchtliche Einkunftsmöglichkeiten entzog (Boll 2011, S. 29f.).

D er K unsthandel seit 1945 Der europäische Kunstmarkt blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geschwächt. Im Vergleich dazu hatte der amerikanische Markt seit dem vermehrten Import europäischer Kunst und noch mehr New York als Kunststadt durch die Emigration bedeutender Künstler einen erheblichen Aufschwung erfahren. Neben Peggy Guggenheim, Sammlerin und Galeristin, die die Avantgarde Europas mit derjenigen Amerikas zusammenbrachte, war es die 1957 von Leo Castelli eröffnete Galerie, die die künstlerische Avantgarde nach vorne brachten. Er war einer der wenigen Kunsthändler, die nach europäischem Vorbild den Künstlern ein monatliches Fixum zahlten. Castelli betreute in der Folge den Großteil der bedeutenden zeitgenössischen Künstler, von Robert Rauschenberg und Jasper Johns über Frank Stella und Cy Twombly bis zu Roy Lichtenstein (Watson 1993, S. 351-363). In Deutschland hatte der Handel mit zeitgenössischer Kunst einen mühsamen Neubeginn, nicht nur aufgrund der verheerenden wirtschaftlichen Situation insgesamt, sondern auch, weil viele zeitgenössische Künstler und Kunsthändler nach 1933 emigriert waren. Dennoch waren es die Galeristen, die unmittelbar nach Kriegsende mit großem Engagement Position bezogen für die Moderne sowie für die abstrakte Malerei, und die ihre Rolle als Vermittler zwischen Sammler und Künstler einerseits, aber auch zwischen den Institutionen Museum und öffentlicher Sammlung andererseits, sehr ernst nahmen. Bereits 1945/46 eröffneten in den Großstädten die ersten Privatgalerien, wie etwa die Galerie Gerd Rosen in Berlin, die surrealistische und abstrakte Kunst ausstellte, die Galerie Günther Franke in München, die Max Beckmann und die Expressionisten zeigte, die Galerien Dr. Werner Rusche und die moderne galerie von Erich MuellerKraus, nachrangig auch die Galerie »Der Spiegel« von Dr. Eva Stünke in Köln, die Positionen der abstrakten Malerei um Willi Baumeister, Ernst Wilhelm Nay und HAP Grieshaber präsentierten, der »Rheinische Kunstsalon Köln« von Aenne Abels und 1949 in Wuppertal Rolf Jährlings »Parnass« als ein Brennpunkt der künstlerischen Moderne, dem in den 1950er Jahren weitere Galerien im Rhein-

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land folgten (Wilmes 2012, S. 87-117; Fastert 2010, S. 226f.). Das Rheinland war ein Konzentrationspunkt für Künstlergruppen und Kunstbewegungen der Avantgarde, vom abstrakten Informel, das in Düsseldorf mit K.O. Götz, Norbert Kricke und Peter Brüning seinen Ausgangspunkt nahm, über die Gruppe 53 zur Fluxus- und ZERO-Bewegung Ende der 1950er Jahre. Die Galerien Schmela und Hans Mayer in Düsseldorf sowie die Galerien »Der Spiegel« von Hein Stünke und später diejenige von Rudolf Zwirner in Köln wurden als Zentren der Begegnung der Avantgarde-Kunst gattungsübergreifend – bildende Künstler, Performance, Musik – zu einem Ausgangspunkt für den internationalen Kunstmarkt (Wilmes 2012, S. 314-338, Thurn 1994, S. 214). Die Galerien erhielten im Laufe der 1960er Jahre wieder den Stellenwert, den sie auch um die Jahrhundertwende im Rheinland, in München und in Berlin schon einmal hatten: Sie sind Vermittler zwischen der Kunstproduktion und der Kunstrezeption durch Sammler, Kunstkritiker, Ausstellungsmacher, Museumsleute, Wissenschaftler und der ansässigen Bevölkerung. Im Mittelpunkt stand nicht zuvorderst der materielle Wert der Kunst, sondern die künstlerische Position wie auch die Qualität, die mittels der Vernissagen eine breite Vermittlung in die Gesellschaft erfuhren. Der reine Handel verblieb zunächst bei den Auktionshäusern und bei den Kunsthandlungen, die auch Antiquitäten verkauften. Allerdings begannen die Auktionshäuser in den 1970er Jahren, zeitgenössische Kunst zu versteigern; mit Einführung der Abendauktionen 20 Jahre später zeigte sich, dass die Versteigerung von Kunst auch zum gesellschaftlichen Ereignis geworden war. Durch den Verkauf von zeitgenössischer Kunst in den großen Auktionshäusern begaben diese sich auf das Terrain der Kunsthändler und Galeristen und verschoben damit das Kräftefeld auf dem Kunstmarkt. Als ebenfalls einschneidend für den Kunstmarkt erwies sich die Erfindung der Kunstmesse mit ihrer Konzentration auf zeitgenössische Kunst. Die Entwicklung der deutschen Kunstmessen nahm in den 1920er Jahren mit der Grassimesse in Leipzig als erste »Leistungsshow« für zeitgenössisches Kunstgewerbe ihren Ausgang, die Anfänge der Messe für Gegenwartskunst sind allerdings erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg anzusiedeln. Geburtsort der modernen Kunstmesse war Lausanne im Jahr 1965; wegweisend aber wurde die davon inspirierte erste deutsche Messe für zeitgenössische Kunst, organisiert von Hein Stünke und Rudolf Zwirner 1967: der Kölner Kunstmarkt. Diese Veranstaltung machte Köln in dieser Zeit zum Dreh- und Angelpunkt des deutschen Kunsthandels, da weder die Bundeshauptstadt Bonn noch Berlin oder München die Rolle einer »nationalen Kunstmetropole« einnahmen. Diese Messe wurde zur Keimzelle eines weltumspannenden Messe- und Marktbetriebes und zugleich der Beginn offensiver Kunstvermarktung (Wilmes 2012, S. 112, Zentralarchiv 2003, passim). Seit 1970 fand dann in Basel die ART Basel, seit 1973 in Paris die FIAC, seit 1988 als die größte Kunst- und Antiquitätenmesse weltweit die TeFaF in Maastricht, seit 2003 die Frieze Art Fair in London statt; als deutsche Kunstmesse konnte sich die Art Cologne seit 1989 dauerhaft in Köln etablieren. Wenngleich die »ART Cologne« in

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den 1990er Jahren als zu groß und unübersichtlich kritisiert wurde – das führte zunächst zu konkurrierenden Veranstaltungen mit limitierter Teilnehmerzahl, wie etwa der »Unfair« in Köln 1992 oder dem »European Art Forum« in Berlin 1996 –, konnte sich die ART Cologne als einzige deutsche Messe im internationalen Wettbewerb behaupten. Weltweit spielen – mit den Messen in Miami, Madrid, Moskau, Tokyo und Shanghai – Kunstmessen im globalisierten Kunstmarkt eine zunehmend wichtige Rolle für die strategische Positionierung der Künstler. Neben den Kunstmessen sind es vor allem Großveranstaltungen wie die zahlreichen Biennalen oder die documenta, die den Zustrom aktueller künstlerischer Positionen auf dem Markt befördern. Die seit 1955 in Kassel stattfindende documenta war ursprünglich konzipiert worden, um das Publikum nach der NS-Zeit wieder an die Kunst der Moderne heranzuführen – mittlerweile hat sie sich zur weltgrößten Ausstellung zeitgenössischer Kunst entwickelt (Schneckenburger, passim). Dabei war bereits bei der zweiten documenta dem Kölner Galeristen Hein Stünke erlaubt worden, als Gegenleistung für sein Engagement bei der Organisation der Ausstellung einen Verkaufsstand für Grafiken zu betreiben. Anlässlich der documenta 3 fertigten die Künstler Werke an, die der Veranstalter dann in Editionen verkaufte – eine Vermischung von Kunst und Kommerz, die auf harte Kritik stieß. Doch auch ohne diese direkte Verquickung bedeutet bis heute allein eine Teilnahme an der documenta einen immensen Prestigegewinn, der sich möglicherweise in einem anschließenden Markterfolg niederschlägt. Die documenta fungiert somit »als Nobilitierungsmaschine, Nachschublieferant und ›Förderkoje‹« (Beat Wyss, in: Graw 2008, S. 77). Noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte Kunst, die am Markt erfolgreich war, einen schlechten Ruf; am Kunstmarkt erfolgreichen Künstlern haftete gar ein zwiespältiges Image an – ein Bewertungsschema, das mit Adjektiven wie ›seriös‹ oder ›qualitativ hochwertig‹ bzw. mit dem Gegenteil einherging. Zu Beginn der 1980er Jahre geriet Kunst dann als eine Möglichkeit des Investments mehr und mehr in den Blick, der Kunstmarkt wurde zu einer außerordentlichen Wachstumsbranche, und Kunstrankings in den Medien dienten zunehmend als Orientierung für eine Anlage. Damit einher ging ein Strukturwandel, der den Markt zur normativen Instanz erhob (Graw 2008, S. 46-61). Neben dem Auktionsmarkt verzeichnen auch die Galerien, die Kunst- und Antiquitätenmessen, der Kunsthandel und die Kunstberater einen starken Aufschwung: Kunst ist zum Wirtschaftsfaktor geworden. Betrug in der Saison 1988/89 das auf Auktionen umgesetzte Volumen für die Bildende Kunst (Gemälde, Zeichnungen, Grafik, Skulpturen) bereits über 3 Milliarden Dollar (Herchenröder 2003, S. 10), so zeigt allein der im Jahr 2012 auktionierte Anteil an Kunst nach 1945 bzw. Gegenwartskunst mit 5,7 Milliarden Dollar, wie rasant die Steigerungsraten sind. Spielten in den 1970er Jahren und später immer noch bildungsbürgerliche Werte bei der Entscheidung für den Erwerb eines Kunstwerks eine Rolle, so erlangten in den Jahren danach Prestigegründe mehr und mehr Gewicht (vgl. ebd.). Kunst wurde zu einem Statussymbol, das Sammeln moderner Kunst zum Imagefaktor:

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Kunstwerke scheinen Aufschlüsse über die Interessen der Sammler oder Eigentümer zu geben und waren deshalb auch für den gezielten Einsatz in Unternehmen von zunehmendem Interesse (Mir 2013, passim (im Druck). Mehr und mehr wurde die Kunst zum Investitions- und Spekulationsgegenstand, was dazu führte, dass einige Marktbereiche – wie etwa die Impressionisten und die klassische Moderne – zu einem »Spielball der Investoren« wurden und der Preis vermeintlich als Indikator für die Güte, zumindest aber für die Beliebtheit der Kunstwerke galt. Es scheint für die derart nachgefragten Objekte keinerlei Preisschranken nach oben zu geben, wohingegen die nicht im Trend liegenden Kunstwerke nach wie vor zu stabilen Preisen zu erwerben sind (Herchenröder 2003, S. 122-172). Der Börsensturz von 1987, aber auch die Krisenjahre nach dem 11. September 2001 oder nach der Finanzkrise 2008 haben zwar kurzfristige Einbrüche auf dem Kunstmarkt gezeitigt, insgesamt jedoch das Vertrauen in die Investition von Kunst gestärkt: Mittelfristig blieb der erwartete negative Einfluss auf den Kunstmarkt aus und Kunstwerke sind inzwischen durch die anhaltenden Preissteigerungen zu Alternativanlagen geworden. Die Form des Kunstinvestments oder der »Kunstvermittlung im Kapitalsektor« hat neue Berufsbilder auf den Markt gebracht, wie etwa denjenigen des »Art Consultant«, zu deren erfolgreichen Repräsentanten der Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach oder auch der New Yorker Larry Gagosian gehören. Sie kaufen selbst Kunst im großen Stil an, um sie zu einem geeigneten Zeitpunkt weiter zu verkaufen, beraten Sammler und stellen Kunstportfolios zusammen, die, wie bei einem Aktienportfolio eine solide Anlage darstellen (Thurn 1994, S. 236-238; Herchenröder 2003, S. 22f.). Dabei lässt sich seit der Jahrtausendwende beobachten, dass der Umschlag neuester Kunst nicht nur mit der Präsenz global agierender Kunstvermarkter (Großgaleristen) in ein neues Stadium eingetreten ist: Rund 600 Auktionshäuser weltweit gehören nicht mehr ausschließlich dem Sekundärmarkt an, da sie zunehmend atelierfrische Ware anbieten. Schließlich stellen Kunstplattformen im Internet Verbindungen zu neuen Käufergruppen her, deren Einfluss auf den Kunstmarkt bislang noch nicht abzusehen ist (Blomberg 2005, S. 19-23). Neben dem Kunsthandel klassischen Stils haben sich insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neue Formen des Umgangs mit Kunst etabliert, die durch eine globale mediale Vermittlung der zur Verfügung stehenden Kunst zum durchschlagenden Erfolg verhelfen – wobei die Qualität des Kunstwerks nicht in jedem Falle ausschlaggebend ist. Zu allen Zeiten hat es Massenware und Repliken auf dem Kunstmarkt gegeben; die Quellen zur Geschichte der Kunst wie des Kunsthandels zeigen aber durch die Jahrhunderte, dass für einen langfristigen Erfolg bis heute die Kriterien für Qualität und Echtheit eines Kunstwerks ausschlaggebend sind.

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Der Kunstmarkt: Die Perspektive der Kunstsoziologie Jörg Rössel

1. E inleitung Das Spektrum der Kunstsoziologie reicht von Arbeiten, die spezifische künstlerische Entwicklungen aus Prozessen des gesellschaftlichen Strukturwandels herleiten, über sozialwissenschaftliche Analysen des Inhalts von ästhetischen Objekten und deren ästhetische Bewertung bis hin zu empirischen Untersuchungen der Produktion, Distribution und Rezeption von Kunstwerken (Müller-Jentsch 2012; Otte 2012). In diesem Beitrag soll die Perspektive einer empirisch-analytischen Soziologie der Kunst im Zentrum stehen. Diese will soziale Prozesse im Feld der Kunst auf empirischer Grundlage systematisch beschreiben und auf einer theoretischen Basis erklären (Otte 2012). Das bedeutet zugleich, dass Fragen nach guter Kunst oder der ästhetischen Qualität von Kunst nicht zu den Gegenständen dieser soziologischen Perspektive gehören. Die empirisch-analytische Soziologie konzentriert sich allein auf die empirische Untersuchung von Kunst, wobei häufig quantitative Daten verwendet werden, da nur diese eine systematische Prüfung von soziologischen Theorien ermöglichen. Dabei liegt der Forschung zumeist ein Prozessmodell zugrunde, das die Produktion, die Vermittlung (Distribution, Kritische Bewertung, Präsentation, Wertzuschreibung) und die Rezeption von Kunst betrachtet. In soziologischen Untersuchungen stehen häufig Fragen der sozialen Ungleichheit im Zentrum, sei es die soziale Ungleichheit der Rekrutierung von Künstlern, die Ungleichheit zwischen Künstlern auf dem Arbeitsmarkt oder die Ungleichheiten der Partizipation und Rezeption von künstlerischen Gütern und Dienstleistungen. Die empirisch-analytische Perspektive kann dabei auf keinen normativen oder objektiven Begriff von Kunst zurückgreifen, sondern muss die Abgrenzung ihres Gegenstandes dem Feld selbst entlehnen. Hier sollen alle Güter und Dienstleistungen als Kunst verstanden werden, die primär unter ästhetischen Gesichtspunkten hergestellt werden (Rössel/Otte 2010). Ästhetische Gesichtspunkte spielen auch bei vielen anderen Gütern und Dienstleistungen eine wichtige Rolle.

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Aber selbst der Mantel aus der Haute Couture Schneiderei soll neben seiner ästhetischen Funktion auch die Nacktheit des Körpers bedecken und eventuell auch die Person wärmen und gehört daher nicht zur Sphäre der Kunst. Damit ist auch zu berücksichtigen, dass die empirisch-analytische Perspektive keine normative Unterscheidung von Hochkultur oder Populärkultur vornimmt. Diese kann allenfalls aus den Bewertungen der Akteure im Feld selbst rekonstruiert werden. In diesem Beitrag geht es nicht um Kunst im Allgemeinen, sondern um Kunstmärkte im Besonderen. Aspers und Beckert verstehen unter dem Begriff des Marktes eine soziale Struktur zum Tausch von Gütern und Dienstleistungen: »Sie stellen eine soziale Struktur und institutionelle Ordnung zum Tausch von Rechten an Gütern und Leistungen dar, die es ermöglicht, diese Rechte zu bewerten, zu erwerben und zu veräußern« (Aspers/Beckert 2008: 225). Diese Definition verweist darauf, dass in der Soziologie der Markt als ein soziales Phänomen betrachtet wird, das in unterschiedliche strukturelle, kulturelle und institutionelle Kontexte eingebettet ist. So ist die monetäre Bewertung von Kunstwerken auf eine vorgängige Zuschreibung von symbolischem Wert im Feld der Kunst selbst angewiesen (Beckert/Rössel 2013). Diese wird primär von den Akteuren des Kunstfeldes selbst, wie Galeristen, Kritikern, Kuratoren, Kunsthistorikern und Künstlern vorgenommen. Daher soll dieser Beitrag mit der Darstellung einer soziologischen Perspektive auf das Kunstfeld beginnen, da diese für eine soziologische Betrachtung des Kunstmarktes grundlegend ist (Abschnitt 2). In diesem Kontext sollen auch die zentralen Akteure im Kunstfeld eingeführt werden, wobei vor allem die Nachfrage nach künstlerischen Gütern und Dienstleistungen in den Blick genommen werden soll (Abschnitt 3).1 Vor diesem Hintergrund soll die Frage der Preisbildung auf dem Kunstmarkt und die dabei entstehenden Verteilungsungleichheiten gesondert betrachtet werden (Abschnitt 4 und 5).

2. D ie Theorie kultureller P roduk tionsfelder Betrachtet man die Kunst als eine eigenständige Sphäre der Gesellschaft (vgl. Müller-Jentsch 2012), in die der Kunstmarkt eingebettet ist, benötigt man theoretische Grundlagen für die Beschreibung und Erklärung der Prozesse in diesem gesellschaftlichen Bereich. An dieser Stelle werde ich mich vor allem auf den Symbolischen Interaktionismus und die Feldtheorie von Pierre Bourdieu beziehen, die die Sphäre der Kunst aus einer handlungstheoretischen Perspektive analysieren (vgl. auch Rössel 2009a). 1 | Dabei soll sowohl der Kauf von Kunstwerken auf dem Markt, wie auch der Besuch von Museen berücksichtigt werden. Im Sinne der obigen Definition von Aspers und Beckert (2008) ist der Besuch eines Museums selbstverständlich auch eine Transaktion auf dem Kunstmarkt, da eine Person für das Recht auf das Betrachten von Kunstwerken eine bestimmte Summe bezahlt.

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

Im Kontext des Symbolischen Interaktionismus sind für die vorliegende Fragestellung vor allem Howard Beckers Arbeiten zur Welt der Kunst einschlägig (Becker 1982). Eine soziale Welt ist durch zwei Merkmale charakterisiert: erstens durch die Existenz arbeitsteiliger sozialer Beziehungen bei der Herstellung ihrer typischen Produkte. So benötigt auch der scheinbar dem Modell des kreativen Genies entsprechende Maler dennoch ein Geschäft für Malerbedarf, das die entsprechenden Farben und Leinwände zur Verfügung stellt. Damit das hergestellte Objekt tatsächlich als Kunstwerk anerkannt wird, bedarf es freilich noch der Präsentation durch einen Galeristen, der Wertschätzung von Kritikern, Kuratoren und gegebenenfalls auch durch Museumsbesucher und Sammler. Kunstwelten sind also durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure bevölkert, die nicht zwangsläufig alle selbst Kunst produzieren. Dabei sind die Beziehungen zwischen den Beteiligten in einer sozialen Welt zweitens durch Konventionen, also durch ausgehandelte Regeln und Vereinbarungen koordiniert. So ist den Künstlern bekannt, welche Größe Kunstwerke für ein Museum nicht überschreiten dürfen und welche Art von Kunstwerken an einem bestimmten Punkt der künstlerischen Entwicklung als hoffnungslos veraltet gelten werden. Die Konventionen sind auch für die Nachfrager, also vor allem Sammler, Galerien- und Museumsbesucher von besonderer Bedeutung, da sie die Grundlage für das Verständnis von Kunstwerken darstellen. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Grenzen von Kunstwelten nicht einfach gegeben sind, sondern zwischen den beteiligten Akteuren genauso wie die Konventionen ausgehandelt werden. Was als Kunst betrachtet wird und damit auch die Grenze der Kunstwelt selbst wird von den wichtigen Akteuren in dieser Welt festgelegt. Damit werden aber zentrale Fragen der Bewertung von Kunstwerken nicht in Austauschprozessen auf dem Markt beantwortet, sondern in der Interaktion von Akteuren in der Kunstwelt. In der Konzeption der Kunstwelten von Becker bleiben allerdings die strukturellen Positionen der beteiligten Akteure weithin unberücksichtigt, so dass Fragen von unterschiedlicher Deutungs- oder Durchsetzungsmacht, die für die Analyse der Entstehung von Ungleichheiten oder Preisen eine wichtige Rolle spielen, kaum gestellt bzw. analysiert werden können (Bourdieu 1999: 327-328). Das zentrale Merkmal sozialer Felder in der Theorie von Pierre Bourdieu ist gerade ihre objektive Struktur, die durch die Verteilung von zentralen Ressourcen bedingt ist und das Verhalten der Akteure in einem Feld strukturiert (Bourdieu/Wacquant 1996: 124-147). Dabei berücksichtigt Bourdieu vor allem die Ausstattung der Akteure mit drei Typen von Ressourcen: ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital (Fröhlich 1994: 34-37; Bourdieu 1983). Als soziales Kapital bezeichnet er die formalen und informalen Beziehungsnetze von Personen, die für den Erwerb anderer Kapitalsorten von Relevanz sein können. Schließlich differenziert er das kulturelle Kapital in drei Formen aus: erstens das institutionalisierte Kulturkapital in Form von Bildungstiteln, zweitens das objektivierte Kulturkapital in Form von Gegenständen (Bilder, Bücher, Musikinstrumente, Partituren) und drittens das inkorporierte Kulturkapital. Letzteres meint einverleibte Fähigkeiten, Dispositionen und

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Fertigkeiten, welche eine Person z.B. zur Rezeption von Kunstwerken befähigen; dabei bezieht sich Bourdieu vor allem auf Werke der klassischen Hochkultur, die er als legitime Kultur bezeichnet (Bourdieu 1982: 16, 40). Vor allem das kulturelle Kapital kann unterschiedliche feldspezifische Ausprägungen annehmen (Rössel 2009b). Die Ausstattung mit unterschiedlichen Formen von Kapital ermöglichen den Akteuren den Zugang zum und Einflusschancen im Feld. Daher werden diese Felder von Bourdieu immer auch als Machtstrukturen und Konfliktfelder betrachtet. Die Akteure setzen ihre Ressourcen strategisch ein, um ihre Position im Feld zu verbessern und um damit auch die Definition der Grenzen des Feldes zu bestimmen. Die jeweils gültige Definition des »wahren Künstlers oder Schriftstellers« stellt sich als das Ergebnis der bisherigen Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren im jeweiligen Feld dar (Bourdieu 1999: 355). Für die Kunstsoziologie stellt sich damit auch die Frage, wer aus wissenschaftlicher Perspektive eigentlich als Künstler zu betrachten ist. Eine einfache Übernahme der im Feld verwendeten Klassifikationen wäre mit einer klaren Positionierung zugunsten der dominanten Akteure verbunden (Karttunen 1998). Typischerweise greifen daher sozialwissenschaftliche Studien auf unterschiedliche Kriterien zurück: die auf künstlerische Arbeit verwendete Zeit, das daraus bezogene Einkommen, die Reputation als Künstler (sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter den Künstlerkollegen), die Mitgliedschaft in Künstlergruppen, die künstlerische Ausbildung und die Selbstbezeichnung als Künstler (Karttunen 1998: 5). Besonders häufig wird das letztgenannte Kriterium herangezogen, wobei aber selbst diese Klassifikation Personen ausschließt, die zwar künstlerische Werke produzieren, sich aber nicht als Künstler bezeichnen. Die Entscheidung für eines oder mehrere dieser Kriterien wird allerdings deutlichen Einfluss auf das Ergebnis einer empirischen Studie über Künstler haben. Ein zentrales Merkmal von Kunstwerken, das von Bourdieu eher am Rande thematisiert wird, ist die Unsicherheit über ihren Erfolg oder ihre Qualität (Hawly-Dolan 2011; Sagalnik/Watts 2009; Menger 2006; Beckert/Rössel 2013; Lutter 2013). Insbesondere der künstlerische, aber auch der ökonomische Erfolg eines Künstlers lassen sich kaum vorhersagen. Der Erfolg im Bereich der Produktion künstlerischer Güter und Dienstleistungen ist zudem häufig extrem ungleich verteilt (siehe Abschnitt 5). Daher nutzen zahlreiche Künstler zusätzliche Strategien, wie Unterstützung durch andere Familienmitglieder, andere Erwerbstätigkeiten, die zum Teil auch eine inhaltliche Verbindung mit der künstlerischen Tätigkeit aufweisen, um sich zu finanzieren (Menger 2006). Neben dieser ungleichen Verteilung der Erfolgschancen von Künstlern wurde in den wenigen empirischen Studien über die soziale Herkunft von Künstlern zudem nachgewiesen, dass selbst die Chance Künstler zu werden, sozial recht ungleich verteilt ist. Eine umfassende Studie über die soziale Herkunft von bildenden Künstlern in Schweden zeigt sehr deutlich, dass diese ganz überwiegend aus den oberen sozialen Klassen stammen und hier insbesondere aus den Gruppen, die stärker mit kulturellem als ökonomischem Kapital ausgestattet sind (Gustavsson/Melldahl 2010).

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

Auch für die Rezipienten und Konsumenten von künstlerischen Gütern und Dienstleistungen ist es ausgesprochen schwierig, deren Qualität einzuschätzen. In einem aufschlussreichen Experiment haben Hawley-Dolan und Winner (2011) abstrakte Gemälde von Künstlern einerseits und Tieren und Kindern andererseits als Stimuli verwendet. Diese wurden Laien und Kunststudierenden zur Beurteilung vorgelegt. Es gab kaum Unterschiede in den Bewertungen der beiden Gruppen, wobei beide knapp zwei Drittel der vorgelegten Kunstwerke den richtigen Produzenten zugeordnet haben. Dieser Wert unterscheidet sich zwar statistisch signifikant von einer zufälligen Beurteilung (50 % korrekte Zuordnungen), zeigt aber doch deutlich die erhebliche Unsicherheit von Personen bei der Beurteilung von zeitgenössischer Kunst auf. Plattner (1996) bezeichnet daher auch die Käufer von zeitgenössischen Kunstwerken als »confused consumers«, die sich in der Regel an den Qualitätsurteilen von Akteuren aus dem Kunstfeld orientieren müssen, um überhaupt wirtschaftliche Transaktionen vornehmen zu können. Die Felder der kulturellen Produktion weisen zumeist eine zweipolige Struktur auf: Während sich auf dem einen Pol die Akteure befinden, die in stärkerem Maße am kommerziellen Erfolg und am Gewinn von ökonomischem Kapital orientiert sind, findet man am anderen Pol diejenigen Akteure, die ihre Zielsetzungen stärker an kulturellen Kriterien festmachen (Bourdieu 1999: 227-229). Dabei bedeutet aus Bourdieus Perspektive die Orientierung am kommerziellen Gewinn, dass die jeweiligen Akteure sich nur bedingt den feldinternen kulturellen Kriterien unterwerfen und sich in stärkerem Maße an externen Kriterien orientieren (Bourdieu 1999: 227-229; 346). Die eingeschränkte – an den internen Kriterien des kulturellen Feldes orientierte – Produktionsweise zielt dagegen auf das hochgebildete Publikum, im Extremfall nur auf die künstlerischen Kollegen als Bezugsgruppe; ihre Rezeption ist im Vergleich zu kommerziellen Produkten voraussetzungsvoll, weil sich der Inhalt nur reflexiv zur Geschichte des Feldes verstehen lässt (Bourdieu 1999: 237). In diesem Subfeld geht es also primär um den Erwerb von symbolischem Kapital nach den feldinternen Kriterien. Dieses kann je nach Feld mit einer unterschiedlichen Verzögerung in ökonomisches Kapital transformiert werden (vgl. Beckert/Rössel/Schenk 2013). Die Felder der kulturellen Produktion weisen eine Vielzahl von institutionalisierten Rollen auf, die an der Herstellung der Aura eines Kunstwerkes beteiligt sind (Bourdieu 1999: 270-279; 360-365): diese reichen von den Entdeckern oder dem Galeristen eines Nachwuchskünstlers, über die Kritiker bis hin zu den Entscheidungsträgern in Museen und in der Kulturpolitik. Eine Vielzahl von empirischen Studien zur bildenden Kunst, aber auch in anderen Kunstsparten zeigt diese Zusammenhänge sehr deutlich (Braden 2009; Lang/Lang 1988; Velthuis 2004). Nicht zuletzt ist die Konsekration eines Künstlers bzw. von dessen Werk vom Bildungssystem abhängig. Erst wenn die Objekte eines bildenden Künstlers (oder in anderen Kunstsparten: die Romane eines Schriftstellers oder die Werke eines Komponisten) in das Curriculum der Schulen aufgenommen wurden, sind sie endgültig im Pantheon der Klassiker angekommen (Bourdieu 1999:

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

237). Die Aufnahme in kunsthistorische Überblickswerke oder in Lehrbücher hängt allerdings wiederum von der vorgängigen Konsekration der Kunstwerke im Feld der Kunst selbst ab (Braden 2009; Verbord/van Rees 2008). Über die Bildungseinrichtungen und die auf die Kunst bezogenen Öffentlichkeiten wird auch die entsprechende Nachfrage nach Kunst hergestellt, auf der einen Seite in Form von Kunstinteressierten, die die Museen und Galerien bevölkern und auf der anderen Seite in Form von Sammlern und Kunstkäufern, die Kunstwerke auf dem Kunstmarkt im engeren Sinne erwerben. Folgt man der Theorie der Kunstrezeption von Bourdieu, so ist ein angemessenes und damit auch genussbringendes Verständnis von Kunstwerken nur dann möglich, wenn eine Person über das entsprechende Wissen über die bei der Produktion relevanten Codes und Konventionen verfügt. Für viele Personen der unteren und mittleren sozialen Klassen stellen Werke der zeitgenössischen Kunst insofern eine Quelle von Verwirrung und Missverständnis dar, als sie zumeist ihr alltägliches Wissen nutzen, um diese Kunstwerke zu entschlüsseln (Bourdieu 1970). Dies führt dazu, dass Personen aus den unteren und mittleren sozialen Klassen Kunstwerke vor allem dann als schön empfinden, wenn sie Dinge darstellen, die selbst als schön betrachtet werden können, wie eine attraktive Frau oder ein Sonnenuntergang (Bourdieu 1982; Bourdieu et al. 1981). Die formalen und stilistischen Aspekte eines Kunstwerks, die aus der Stellung seines Produzenten in der Geschichte des künstlerischen Feldes erwachsen, bleiben diesen Betrachtern verborgen. Bourdieu spricht hier auch vom Gegensatz zwischen einem Substanz- und einem Formgeschmack. Damit verlieren Angehörige der unteren und mittleren Klassen typischerweise auch das Interesse und die Motivation zur Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst, da diese meist als verstörend und wenig interessant wahrgenommen wird (Bourdieu 1970). Ganz offensichtlich ist die Grundlage für eine angemessene Kunstwahrnehmung, die dem Betrachter auch einen Kunstgenuss verschafft, die Verfügung über ausreichende ästhetische Kompetenz bzw. kulturelles Kapital, was eine grundlegendere Dekodierung eines Kunstwerks erlaubt (Rössel 2009b). Neben der wiederholten Beschäftigung mit Kunstwerken sind die wichtigsten Quellen für das hier benötigte kulturelle Kapital einerseits das Bildungssystem und andererseits das kulturelle Klima im Herkunftshaushalt. Dagegen spielt für die Sammler und Käufer von Kunst, neben ihrem durch Bildung gestützten Verständnis für Kunst, vor allem die Ausstattung mit ökonomischen Ressourcen eine zentrale Rolle (Bourdieu 1982: 212).

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

3. D ie N achfr age nach künstlerischen G ütern und D ienstleistungen : S ammler und A usstellungsbesucher Neben der klassischen Musik gehört die bildende Kunst laut Bourdieu zu den Bereichen der sogenannten legitimen Kultur, die am stärksten klassifizierende Wirkungen haben (Bourdieu 1982: 36-38). Dies zeigen auch vergleichende Studien über die Besucherstruktur unterschiedlicher Arten von kulturellen Veranstaltungen. Generell kann festgestellt werden, dass höher gebildete Personen bei kulturellen Veranstaltungen aller Art etwas überrepräsentiert sind, dies gilt insbesondere für den Besuch von Einrichtungen der klassischen Musik oder der bildenden Kunst (Rössel/Hackenbroch/Göllnitz 2005, vgl. auch Rössel 2009a). Im Hinblick auf die historische Entwicklung der Besucherstruktur in den vergangenen Jahrzehnten sprechen die vorliegenden Studien sogar eher für eine zunehmende Elitisierung des Publikums derartiger Veranstaltungen und nicht für einen Prozess der Inklusion breiterer Bevölkerungsschichten (Rössel/Hackenbroch/Göllnitz 2005; Keuchel 2005). Man kann also erstens davon sprechen, dass der Besuch von Kunstmuseen in hohem Maße vom kulturellen Kapital, hier gemessen durch die formale Bildung, der Akteure abhängt und zweitens konstatieren, dass sich dies im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte auch nicht verändert, sondern eher verschärft hat. Um diese Thesen an einem prominenten Beispiel zu illustrieren, wurden in Tabelle 1 Daten zu den Besucherstrukturen einer Auswahl von Kunsthäusern, einer Auswahl von Museen mit anderen Schwerpunkten und der MoMA Ausstellung in Berlin vergleichend gegenübergestellt. Es handelt sich um eine der meistbesuchten Kunstausstellungen Deutschlands, die mit sehr großem Aufwand beworben und von der angenommen wurde, dass sie der Kunst neue Gruppen von Interessenten gewonnen habe. Betrachtet man allerdings die Angaben in Tabelle 1, so wird deutlich, dass die Kunstmuseen und die MoMA-Austellung in ihren Besucherstrukturen überraschend ähnlich sind. In beiden sind hochgebildete Personen deutlich überrepräsentiert und Frauen stärker als im Bevölkerungsdurchschnitt vertreten. Andere Museen mit einem nichtkünstlerischen Sammlungsschwerpunkt haben dagegen eine Besucherstruktur, die stärker dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht (Rössel/Hackenbroch/Göllnitz 2005: 231; Kirchberg 2005: 266).

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Tabelle 1: Soziale Struktur der Museumsbesucher MoMA-Austellung

Kunstmuseen

Andere Museen

Alter

46

41

37,5

Frauenanteil

65

54

50,5

Arbeiter

---

3

6,5

Selbständige

---

12,5

8,5

Hauptschule

3,8

7

11

Hochschule

51,9

51,5

31

1

17

16

N

An dieser Stelle stellt sich natürlich die Frage, wie es zu der geringen Nachfrage der wenig gebildeten Bevölkerungsgruppen nach den Angeboten der Museen kommt, da ja zumindest formal keine Zugangsbeschränkungen für diesen Bereich existieren. Eine erste wirtschaftswissenschaftliche Hypothese könnte sich auf den Eintrittspreis als Barriere beziehen. Tatsächlich kommt Kirchberg auf der Basis von Umfragedaten zu dem Ergebnis, dass die Eintrittspreise von Museen als die subjektiv bedeutsamste Barriere angesehen werden (Kirchberg 1998; Hummel et al. 1996). Eine Untersuchung aus dem Bereich der Musik, die einem Experimentum Crucis nahekommt, nährt allerdings Zweifel an der Bedeutung der Eintrittspreise als zentraler Barriere für den Besuch von Kunstmuseen. In dieser Studie wurden die Besucherstrukturen gewöhnlicher klassischer Konzerte mit den Besucherstrukturen einer Konzertreihe verglichen, die mit einem minimalen Eintritt verbunden war. Dabei wurde deutlich, dass der Eintrittspreis überhaupt keinen Effekt auf die Besucherstruktur hatte (Rössel 2005: 309), d.h. in Konzerten mit minimalem Eintritt gab es eine genauso große Überrepräsentation von hochgebildeten Personen, wie in Konzerten mit normalen Eintrittspreisen. Daher kann an der Bedeutung des Eintrittspreises als Barriere für den Besuch von Kunstmuseen durchaus gezweifelt werden. Welche Faktoren können die größere Nachfrage von hochgebildeten Personen nach den Angeboten von Kunstmuseen dann erklären? Eine sehr instruktive Studie zu diesem Thema wurde von Kleinalstede (2005) durchgeführt, die die Besuchsmotivationen und -barrieren im Publikum von Kunst- und Naturkundemuseen systematisch verglichen hat. Dabei wurde deutlich, dass eine Orientierung am so genannten Formgeschmack stark mit der Vorliebe für Kunstmuseen korreliert, während eine Orientierung an stärker inhaltlich ausgerichteten Formen des Geschmacks einen positiven Einfluss auf die Vorliebe für Technik- und Naturkundemuseen hat (Kleinalstede 2005: 109). Dagegen gibt es eine Reihe von starken Barrieren, die manche Menschen vom Besuch von Kunstmuseen abhalten, dazu gehört die wahrgenommene Unverständlichkeit der dortigen Ausstel2

2 | Die Angaben stammen aus: Schuck-Wersig/Wersig 2004.

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

lungsstücke und ihrer Präsentation, die ungemütliche Leere der Räume und die gezwungene Atmosphäre sowie die Vorstellung, dass solche Museen vor allem etwas für gebildete Personen sind. Auch in Kirchbergs vergleichender Studie über den Besuch von Kunst-, Geschichts- und Technikmuseen haben sich ähnliche Faktoren als Barrieren speziell für Kunstmuseen erwiesen: Die Befragten gingen im Falle von Kunstmuseen überdurchschnittlich häufig davon aus, dass sie in ihrer Freizeit besseres zu tun hätten, dass ein Besuch dort ermüdend, anstrengend und langweilig sei, und dass man schlussendlich nicht versteht, um was es dort geht (Kirchberg 2005: 292). Diese Forschungsergebnisse unterstützen im hohen Maße die Theorie der Kunstrezeption von Pierre Bourdieu: Personen ohne entsprechende Ausstattung mit kulturellem Kapital haben wenig Gefallen an den formalen Experimenten in der Kunst, fühlen sich von der strengen und ernsthaften Atmosphäre der meisten Museen und der damit verbundenen Anstrengung der Dekodierung von Kunstwerken nicht angezogen. Im nächsten Schritt treten wir allerdings in einen anderen Bereich des Kunstfeldes ein: den Kunstmarkt im engeren Sinne, auf dem Kunstwerke als ökonomische Güter gehandelt werden. Im Anschluss an Bourdieu lässt sich für dieses Teilsegment des Kunstfeldes die Hypothese formulieren, dass hier vor allem Personen aktiv sind, die sowohl über umfangreiches kulturelles Kapital, als auch über umfangreiches ökonomisches Kapital verfügen. Auch für den Genuss und die Aneignung käuflich erworbener Kunstwerke ist inkorporiertes kulturelles Kapital notwendig, für deren ökonomische Aneignung dagegen vor allem ökonomisches Kapital. Während in Museen die Eintrittspreise meist keine signifikante Barriere für den Besuch darstellen, ergibt sich im Falle des Marktpreises für Kunstwerke eine ganz andere Situation, egal ob es sich um einen Verkauf in einer Galerie oder um eine Auktion handelt. Dies illustriert auch Bourdieus Studie »Die feinen Unterschiede«, die zeigt, dass der Besitz von Gemäldesammlungen vor allem eine Eigenschaft von Unternehmern ist (Bourdieu 1982: 212). Ähnlich wie im vorhergehenden Abschnitt soll nun auf der Basis von vorgängiger Forschung betrachtet werden, aus welchen sozialen Gruppen sich Käufer und Sammler von Kunst rekrutieren. David Halle (1993) hat in 160 Haushalten der amerikanischen Arbeiter, Mittel- und Oberklasse eine vollständige Erhebung aller von den Bewohnern präsentierten Bilder durchgeführt, von Familienfotografien, über religiöse Kunst bis hin zu Werken der zeitgenössischen Kunst. Dabei kommt er zu relativ eindeutigen Ergebnissen, was den Besitz von Kunstwerken angeht. So finden sich Bilder, die einem namentlich genannten Künstler zugeordnet werden können, vor allem in den Haushalten der oberen Mittelklasse und der Oberklasse (Halle 1993: 214), auch abstrakte Kunst, Kunstwerke aus Stammesgesellschaften und gemalte Portraits finden sich mit je einer Ausnahme ausschließlich in der oberen Mittelklasse und der Oberklasse (Halle 1993: 94, 123, 149, 218-219). Diese Studie lässt sich durch zwei weitere Studien ergänzen. So analysiert Kern (2004) die Sozialstruktur von 60 in Kunstvereinen organisierten Sammlern in Köln. Diese sind überwiegend männlich (87 %), hoch-

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gebildet (80  % mit Hochschulabschluss), verdienen überdurchschnittlich gut (51 % über 6000 € im Monat, 20 % mehr als 15000 € im Monat). Von den Sammlern sind 76 % als Selbständige bzw. freiberuflich tätig. Darüber hinaus werden diese Resultate durch eine ältere Befragung der Besucher der Kunstmesse ART COLOGNE von 1995 gestützt. Unter den Personen, die sich selbst als Sammler bezeichnet haben, finden wir einen deutlichen Überschuss von Männern (69,9 %), die relativ gut verdienen (29,5  % mit Einkommen über 7500 DM), hoch gebildet sind (58,9 % mit Universitätsabschluss), zu einem hohen Anteil selbständig oder freiberuflich tätig sind (45,2 %); von diesen Befragten haben auch tatsächlich 26,4 % ein Kunstwerk auf der ART COLOGNE gekauft. Ganz offensichtlich entspricht die hier befragte Personengruppe in hohem Maße den Hypothesen der soziokulturellen Klassentheorie von Pierre Bourdieu. Wir haben es mit Personen zu tun, die sowohl eine umfangreiche Ausstattung mit kulturellem als auch mit ökonomischem Kapital besitzen. Dies zeigt deutlich, dass der Zugang zum Kunstmarkt im engeren Sinne, nicht allein von der ökonomischen Ressourcenausstattung, sondern auch vom kulturellen Kapital der Personen abhängig ist. Wie sieht es nun aber mit der Motivation für den Kauf von Kunstwerken aus? Eine erste Vermutung könnte auf den Investitionscharakter von Kunst zielen. In den oben schon genannten Studien über Sammler wird allerdings deutlich, dass für diese der Investitionscharakter von Kunst ein untergeordnetes Motiv ist (Kern 2004; Bundesverband Deutscher Galerien 1996). Allerdings darf man nicht übersehen, dass es selbstverständlich Kunstsammler gibt, die ein nicht unerhebliches Investitionsmotiv haben, dies gilt nicht zuletzt für die sogenannten »corporate collections«, also für die von großen Unternehmen angelegten Sammlungen (Moulin 1987: 97-101; Plattner 1996: 189-190; Behnke 2007). Insgesamt kann aber dem Investitionsmotiv keine ausschließliche Rolle zugesprochen werden, da andere Wertanlagen zumeist höhere Renditen erzielen (Frey/Eichenberger 1995). Daneben kann man noch zwei weitere zentrale Motive für den Kauf von Kunstwerken benennen: Erstens ist dies die ästhetische Freude an Kunstwerken (Kern 2004; Bundesverband Deutscher Galerien 1996). Dabei hat dieses ästhetische Interesse durchaus unterschiedliche Ausprägungen, die von der intellektuellen Herausforderung, über die Passung in den Lebensstil bis hin zur Dekorierung der eigenen Wohnung reichen (Bundesverband Deutscher Galerien 1996: 26-28). In ökonomischen Studien werden die psychischen Gewinne aus Kunstwerken auf fast 30 % von deren Wert geschätzt (Atukeren/Seçkin 2007). Dieses ästhetische Motiv ist bei den Kunstsammlern auch in einer umfassenden Kenntnis und Suche nach Informationen über Kunst fundiert (Bundesverband Deutscher Galerien 1996: 15-16). Nicht nur kennen sich Kunstsammler überdurchschnittlich gut in der Kunstszene aus, sie suchen auch aktiv in Museen, bei Galeristen und in Kunstzeitschriften nach weiteren Informationen. Zweitens kann noch ein Prestige- und Distinktionsmotiv ausgemacht werden, das wiederum in ausgesprochen verschiedenen Formen auftauchen kann: dieses reicht vom ostentativen Konsum eines Bildes, das vor allem anzeigt, dass man sich ein besonders teures Kunst-

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

werk leisten kann, über die eigene Darstellung als kunstverständige Person bis hin zur Distinktion innerhalb der Kunstwelt selbst. Damit ist das Bedürfnis vieler Sammler gemeint, selbst direkten Zugang zu den Künstlern zu haben und sich in der Förderung und Entdeckung neuer Künstler hervorzutun (Bundesverband Deutscher Galerien 1996: Grafik 16; 26-28; Moulin 1987: 91-96; Kern 2004: 39ff.). Damit wird aber deutlich, dass die Motivation für den Kauf von Kunstwerken sich nicht allein auf ökonomische Motive zurückführen lässt, sondern zu einem nicht unerheblichen Teil auch von der Fähigkeit, Kunst zu verstehen und zu genießen abhängt, letztlich also von der Ausstattung der Akteure mit kulturellem Kapital.

4. P reisbildung auf dem K unstmark t Ein theoretischer Ausgangspunkt für die Erklärung der Preisbildung auf dem Kunstmarkt besteht in der Problematik der Ungewissheit (Beckert/Rössel 2013). Ungewissheit entsteht auf dem Kunstmarkt daraus (siehe Abschnitt 2), dass sich weder aus den Herstellungskosten noch aus objektivierbaren Funktionen des Kunstobjektes allein Anhaltspunkte für die Qualität des Kunstwerks und damit für einen angemessenen Preis ableiten lassen. Kunstwerke können zur Einschätzung des Preises nicht mit Produkten anderer »Hersteller« gleicher »Qualität, Größe und Machart« verglichen werden und aufgrund ihrer fehlenden ökonomischen Funktion auch nicht in ein Verhältnis zu Substitutionsprodukten gesetzt werden. Es entfallen objektivierbare Orientierungen der Einschätzung von Preisen, die auf anderen Gütermärkten in der Regel vorhanden sind. Auf dem Kunstmarkt sind die Marktteilnehmer prinzipiell unsicher, ob die zu kaufenden Werke überhaupt von künstlerischem Wert und damit auch von langfristigem ökonomischem Wert sind (Moulin 1987; Janssen 2001: 327, 335). Damit gehen die Nachfrager mit dem Kauf ein kaum kalkulierbares Risiko für ihre Investition ein. Wirtschaftssoziologische Arbeiten (Fligstein 1996) weisen darauf hin, dass für Produkte, deren Eigenschaften durch fundamentale Ungewissheit charakterisiert sind, kein Markt mit stabiler Nachfrage entstehen kann. Märkte bedürfen »stabiler Welten« (Fligstein 1996) um das notwendige Vertrauen in prinzipiell riskante Transaktionen herzustellen. Die entscheidenden differenzierbaren Eigenschaften eines Kunstwerks sind daher nicht solche, die materielle Aspekte des Werks oder allgemeine ökonomische Bedingungen betreffen, sondern symbolische Anerkennungen im Kunstfeld, mit denen Reputation aufgebaut wird. Will man verstehen, wie sich Kunstmarkt und Kunstpreise konstituieren, so muss man sich jenen Institutionen und Mechanismen zuwenden, die durch Reputationsverteilung Strukturen symbolischer Anerkennung schaffen. Die zentrale These einer kunstsoziologischen Erklärung der Entstehung von Preisen auf dem Kunstmarkt ist also, dass die symbolische Bewertung von künstlerischen Gütern und Dienstleistungen im Kunstfeld die Grundlage für die Preisbildung bei Kunstwerken ist. Dies kann in einer Reihe von Studien nachgewiesen werden

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(zusammenfassend Beckert/Rössel 2013). Die Relevanz der symbolischen Bewertung wird insbesondere deutlich in Untersuchungen, die die Verknappung des Angebots von Kunstwerken durch den Tod eines Künstlers untersuchen. Grundsätzlich müsste dieser eine verknappende Wirkung auf das Angebot haben und damit einen positiven Effekt auf den Preis. Wie Ursprung und Wiermann (2011) aber zeigen können, gilt dies nur bei Künstlern mit einer gewissen Reputation im Kunstfeld. Dies zeigt sehr deutlich, dass nicht die Verringerung des Angebots an Kunstobjekten an sich einen Einfluss auf den Preis hat, sondern nur die Verknappung des Angebots an Objekten, die im Kunstfeld als authentische Kunstwerke hoher Qualität konsekriert wurden. Dieser Zusammenhang zwischen symbolischer Bewertung im Kunstfeld und Preisbildung auf dem Kunstmarkt wird allerdings in verschiedenen Teilen des Kunstmarktes unterschiedlich vermittelt. Velthuis (2004) zeigt in seiner Studie über Galeristen in New York und Amsterdam, dass diese in ihren Preisfestsetzungen ausgeprägten Regeln folgen: typischerweise starten sie für alle von ihnen vertretenen Künstler mit relativ niedrigen Preisen, die dann schrittweise entsprechend den Karrierefortschritten des Künstlers gesteigert werden. Weiterhin werden die Werke eines Künstlers entsprechend ihrer Größe bewertet, d.h. es werden keine Unterschiede zwischen Werken unterschiedlicher Qualität gemacht. Schließlich existiert ein deutliches Tabu, das die öffentlich sichtbare Senkung von Preisen in Reaktion auf mangelnde Nachfrage verbietet. Kunsthändler, die auf dem sekundären Kunstmarkt tätig sind und Auktionshäuser sind an diese informellen Regeln nicht gebunden, so dass sich deutliche Unterschiede in der Preisfestsetzung zwischen Galerien einerseits und Auktionen andererseits zeigen (Hutter et al. 2007). Beckert und Rössel (2013) können darüber in einem Vergleich von Galerie- und Auktionspreisen nachweisen, dass erstens die Preise in Galerien stärker zwischen den Künstlern und nicht ihren Werken differieren, wogegen die Auktionspreise zwischen den einzelnen Kunstwerken variieren. Damit wird die These von Velthuis unterstützt, dass Galerien typischerweise keine Unterschiede zwischen mehr oder weniger hochwertigen Kunstwerken des gleichen Künstlers machen. Darüber hinaus zeigt die Studie von Beckert und Rössel (2013) auch, dass im Fall der Auktionspreise die tatsächliche künstlerische Reputation der Künstler von zentraler Bedeutung ist, während im Falle der Galeriepreise das künstlerische Alter den stärksten Einfluss auf den Anstieg der Preise aufweist. Damit können die hier betrachteten soziologischen Studien des Kunstmarktes verdeutlichen, dass erstens die Preise für Kunstwerke ganz zentral von der symbolischen Anerkennung der Künstler und ihrer Werke im Kunstfeld abhängig sind, dass aber zweitens die Vermittlung zwischen symbolischer Anerkennung und Preisbildung selbst noch einmal in kulturelle und institutionelle Regelungen eingebettet ist.

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

5. U ngleichheiten des E rfolgs : S uperstars Ein auffälliges Merkmal von Märkten für künstlerische Güter und Dienstleistungen ist die ausgesprochen ungleiche Verteilung von Erfolg und damit auch von Einnahmen aus der Erwerbstätigkeit (Haak 2008; Menger 2006; Keuschnigg 2012; Menny 2012; Keuschnigg 2012; Sagalnik/Watts 2009). Auch bei den Verkaufspreisen für Kunstwerke lassen sich ähnliche Ergebnisse feststellen. Zwar liest man in den Medien häufig von den extrem hohen Auktionsergebnissen für einzelne Kunstwerke. Diese sind jedoch nur der Gipfel einer typischerweise ausgesprochen linkssteilen Verteilung (Caves 2000: 78-83). Um dies zu illustrieren, wurden hier drei Datensätze mit Preisen für Kunstwerke des 20. Jahrhunderts ausgewertet, erstens der frei zugängliche Auktionspreisindex des Auktionshauses Nagel in Stuttgart, zweitens Auktionspreise für die laut »Capital Kunstkompass« international renommiertesten Künstler aus dem deutschsprachigen Raum und schließlich ein Datensatz mit Listenpreisen von Galerien in Leipzig, der Werke von Künstlern der alten und neuen Leipziger Schule enthält (vgl. Beckert/Rössel 2013; Rössel 2009a). Für alle drei Datensätze wurden die Quartile berechnet, d.h. es wurde betrachtet, unter welchem Preis 25, 50 und 75 % der berücksichtigten Kunstwerke liegen. Darüber hinaus wurde auch der höchste Preis in Tabelle 2 berücksichtigt, der beim Auktionshaus Nagel bei 210000 € lag, bei den Leipziger Galerien bei rund 33000 € und bei den international agierenden Künstlern bei über 2,7 Millionen €. Schaut man auf die Quartile, so wird deutlich, dass von den beim Auktionshaus Nagel versteigerten Werken der Kunst des 20. Jahrhunderts erstaunliche 75  % höchstens 1400 € kosten, von den Gemälden und Skulpturen in den Leipziger Galerien immerhin noch 50  % mit höchstens 1276 € zu Buche schlagen und dann auch von den international renommierten Künstlern noch 25 % der Auktionspreise bei bis zu 1784 € liegen. Auch Menny (2012) berichtet in einer Auswertung von Auktionspreisdaten von einer sehr hohen Ungleichheit zwischen den Verkaufspreisen für Kunstwerke. Der Gini-Index der Ungleichheit, der zwischen 0 und 1 variieren kann, liegt für diese Preisdaten bei über 0,8. Dies ist ein erstaunlicher hoher Wert, wenn man ihn z.B. mit der Ungleichheit der Einkommensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland vergleicht, die einen Gini-Index von ca. 0,3 aufweist (Rössel 2009c).

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Tabelle 2: Preise für Kunst des 20. Jahrhunderts NAX

Internationale Auktionen

Galeriepreise Leipzig

100 %

210000

2743230

33163

75 %

1400

36556

3214

50 %

450

7919

1276

25 %

200

1784

561

N

6256

1331

556

Wie kann aber diese extrem hohe Ungleichheit auf den Märkten für künstlerische Produkte erklärt werden? Eine wirtschaftswissenschaftliche Erklärung stammt von Rosen (1981, zitiert nach Keuschnigg 2012). In seiner Theorie geht er davon aus, dass die Konsumenten über die Qualität der künstlerischen Produkte erstens vollständig informiert sind, zweitens sich immer für die höchste Qualität entscheiden und drittens zahlreiche künstlerische Produkte mit geringen Kosten vervielfältigt werden können. So würden die Nachfrager sich im Falle von zwei Musikern A und B, die sich in der musikalischen Qualität ihrer Produkte nur geringfügig unterscheiden, vollständig für Tonträger des etwas besseren Musikers A entscheiden, während Musiker B leer ausgehen würde. Rosens Modell ist allerdings kritisiert worden, weil es von einer vollständigen Informiertheit der Konsumenten ausgeht. Alternative Modelle basieren dagegen auf der Annahme, dass die Käufer von künstlerischen Produkten nicht vollständig über deren Qualität informiert sind und sich daher an den Einschätzungen anderer Personen orientieren. Daraus können sich Informationskaskaden ergeben, die dafür sorgen, dass bestimmte Produkte zu Bestsellern werden oder im Falle von bildender Kunst, besonders hohe Preise erzielen und andere künstlerische Angebote kaum nachgefragt werden bzw. nur relativ geringe Preise erzielen (für einen Überblick und empirische Beispiele: Keuschnigg 2012). Sagalnik und Watts (2009) haben diese Thesen mit experimentellen Methoden für den Bereich der Musik nachdrücklich untermauern können. Dabei zeigte sich auch, dass Qualitätsunterschiede nur einen geringen Einfluss auf den tatsächlichen Erfolg von Musikstücken hatten. Menny (2012) kann diese These auch in einer Arbeit über den Kunstmarkt bestätigen. Diese zeigt, dass die Signale anderer Konsumenten für die Preisbildung auf dem Kunstmarkt wichtiger sind als die Popularität und die Qualität von Künstlern bzw. ihren Kunstwerken. Die empirischen Studien über die Wirkung von Informationskaskaden berücksichtigen allerdings überwiegend nicht die hier in den Vordergrund gestellte Rolle des Kunstfeldes. Häufig bilden sich Konsumenten ihre Meinung nicht in erster Linie auf der Grundlage der Beobachtung des Verhaltens anderer Konsumenten, sondern anhand von Informationen über die Bewertungen von einflussreichen Akteuren des Kunstfeldes, wie sie in Abschnitt 2 dargestellt wurden. Deren Urteile 3

3 | Zugriff am 11.9.2007.

Jörg Rössel: Der Kunstmarkt. Die Perspektive der Kunstsoziologie

können sich in ähnlicher Weise verstärken, wie dies in den Informationskaskadenmodellen behauptet wird (Beckert/Rössel 2013).

6. Z usammenfassung Die empirisch-analytische Kunstsoziologie beschäftigt sich mit der empirischen Beschreibung und theoretischen Erklärung von Regelmäßigkeiten im Bereich der Produktion, Vermittlung und Rezeption von künstlerischen Produkten und Dienstleistungen. Dabei betrachtet sie die »Kunst« als eine eigene gesellschaftliche Sphäre, als ein Kunstfeld. Die Akteure in diesem Feld sind in unterschiedlichem Maße mit verschiedenen Ressourcen ausgestattet, die es ihnen erlauben Werke zu produzieren, die von anderen einflussreichen Akteuren im Feld als Kunstwerke symbolisch gewürdigt werden. Sowohl die monetäre Bewertung von Kunstwerken, wie auch ihre Rezeption setzen also die Prozesse der Interpretation, Klassifikation und Bewertung voraus, die im Kunstfeld stattfinden. Daher kann in empirischen Studien regelmäßig festgestellt werden, dass sowohl Personen, die Kunst als Rezipienten in Museen nachfragen, als auch Personen, die Kunst als Käufer auf dem Kunstmarkt im engeren Sinne nachfragen über ein entsprechendes kulturelles Kapital verfügen, das ihnen die Decodierung von künstlerischen Bedeutungen und symbolischen Zuschreibungen ermöglicht. Im Sinne der neueren Wirtschaftssoziologie sorgt das Kunstfeld zudem für eine Einbettung wirtschaftlicher Transaktionen auf dem Kunstmarkt im engeren Sinne. Erst die symbolische Bewertung und Herstellung von Reputation für einzelne Künstler und ihre Werke ermöglicht die ökonomische Bewertung von künstlerischen Objekten. Die Vermittlung zwischen den im Kunstfeld geäußerten symbolischen Evaluationen und den Marktpreisen hängt ferner von der institutionellen Einbettung verschiedener Marktsegmente ab. Während in Galerien relativ einheitliche Preise für Werke eines Künstlers verlangt werden, findet in Auktionen eine Bewertung der Kunstwerke von Fall zu Fall statt, so dass auch Preisdifferenzen für Werke ein und desselben Künstlers möglich sind. Derartige Prozesse der symbolischen Bewertung haben einen selbstverstärkenden Charakter und können daher auch zu ausgesprochen asymmetrischen Ergebnissen führen, so dass Märkte für künstlerische Produkte und Dienstleistungen häufig große Ungleichheiten zwischen den Marktergebnissen unterschiedlicher Angebote und Künstler aufweisen.

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Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt Monika Grütters

V om W ert der K unst und K ultur Deutschland war zuerst eine Kultur- und dann eine politische Nation. Nationale Identität wächst vor allem aus dem Kulturleben eines Landes. Dazu gehört nicht allein das kulturelle Erbe, so eindrucksvoll und schützenswert es auch ist. Dazu gehört auch das Neue, die Avantgarde. Auch für sie gilt die Grundlage staatlicher Daseinsfürsorge für Kultur und Wissenschaft, die in Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes formuliert ist: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.« Das können sie jedoch nur, wenn der Staat ihre Freiheiten schützt, sie unabhängig macht von Zeitgeist und Geldgebern. Kunst und Kultur brauchen Freiraum, um sich entfalten zu können. Aus unserer jüngeren Geschichte mit zwei Diktaturen haben wir gelernt: Meinungsfreiheit und öffentliche Kritik sind konstitutiv für eine Demokratie. Das heißt, wir müssen die Kreativen und die Intellektuellen immer wieder ermutigen, kritisch und widerspenstig Grenzen auszuloten. Nonkonformismus im besten Sinne ist hier gefragt. Deshalb pflegt Deutschland nicht nur seine kulturellen Institutionen, sondern fördert mehr als fast jedes andere Land der Welt seine Künstler. Sie sind die Vordenker, die Avantgarde im besten Sinne. Die einschlägigen Instrumente der Anerkennung ihrer Rolle für die Gesellschaft sind die Künstlersozialkasse, das Urheberrecht – und die ermäßigte Umsatzsteuer auf Kulturgüter. Doch diese Ein- und Ansichten gelten nicht jedem, sie gelten nicht überall – im Gegenteil: Wir müssen sie immer wieder verteidigen. Es gehört wohl zu den vornehmsten Pflichten der Kulturpolitik, das Bewusstsein für den Wert von Kunst und Kultur immer wieder neu zu schärfen.

M ehrwertsteuer — mehr als M ark t Nachdem die EU Deutschland im Jahr 2012 wieder einmal eine Diskussion um die Mehrwertsteuer, diesmal die Sätze für Kunstgegenstände, aufgezwungen hat-

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te, zeigte die heftig geführte Debatte, dass es nur vordergründig um Finanz- oder Rechtspolitik geht. Im Gegenteil: Im Kern sind gerade diese Instrumente von zentraler kulturpolitischer Bedeutung. Die Kultur und die Kulturpolitik in Deutschland waren also einmal mehr gefordert, ihr Selbstverständnis zu verdeutlichen und die Existenzgrundlagen der Künstler in Deutschland zu verteidigen. Der ermäßigte Steuersatz war und ist für viele Kultursparten ein wesentliches Instrument indirekter Kulturförderung, der allen Nutzen bringt: den Künstlern, die ihre Werke verkaufen, dem Kunstmarkt, der die Arbeiten vermittelt und handelt, und den Kulturnutzern, denen eine preiswertere Teilhabe am kulturellen Leben ermöglicht wird. Die drohende Erhöhung der Umsatzsteuer für Kunstwerke wäre ein Rückschlag, und er träfe nicht zuletzt die öffentlichen Museen, die ohnehin nur über geringe Ankaufetats verfügen. Hinzu kommt, dass die Mehrwertsteuer eine Verbrauchssteuer ist. Kunstwerke werden aber nicht im herkömmlichen Sinne »verbraucht«, sondern sie sind Kulturgüter, Anschauungsobjekte, individuell hergestellte Originale, die unter großem Aufwand geschaffen wurden, die gepflegt und oft generationenübergreifend erhalten werden. Der Konsumbegriff ist hier also völlig fehl am Platz. Nach der EU-Intervention war es unabwendbar, dass Deutschland den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für den Handel mit Kunstgegenständen auf den normalen Satz würde anheben müssen. Die Kulturpolitiker haben gekämpft und gefordert, die wahrscheinlich zu erwartenden Steuermehreinnahmen auch wieder dem Kunstsektor zu Gute kommen zu lassen, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche nicht entscheidend zu schwächen und die Auswirkungen auf Kunst und Künstler aufzufangen. Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen sind wichtig, wenn die Kulturpolitik glaubwürdig bleiben will. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Galerien haben wir im Bundestag daher die Einführung einer Margenbesteuerung – möglichst mit dem Ziel der Pauschalmarge – und den Erhalt der Differenzbesteuerung durchgesetzt. Alternativ wären die Erhöhung des Bundeszuschusses bei der Künstlersozialkasse und die Anhebung von Ankaufstiteln für die vom Bund geförderten Institutionen eine Forderung gewesen. Konsequent wäre jetzt auch eine Erhöhung des Etats der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft – denn schließlich kann der Staat nun mit ca. 2 % zu erwartenden gesteigerten Steuereinnahmen rechnen. Die Vermittler, die Galerien, sind mittelständische Unternehmen. Sie sind aber ebenso Kunstsachverständige und Kunstförderer, tragen erheblich zur kulturellen Bildung bei und kümmern sich oft jahrelang um Künstler, ehe diese wahrgenommen und anerkannt werden. Von der Arbeit der Galerien profitieren auch Museen, Institutionen und die Wissenschaft. Mit ihren zahllosen Ausstellungen und Publikationen leisten sie nachhaltige Vermittlungsarbeit für die Kunst. Dass Deutschland und besonders Berlin eine hohe Anziehungskraft auf Kreative aus aller Welt ausüben, hat nicht zuletzt mit diesen Rahmenbedingungen zu

Monika Grütters: Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt

tun. Die internationale Vitalität bezieht die Stadt zu einem Großteil bekanntlich aus der Kunstszene, ihrem Ruf als vielfältiger, intensiver Produktionsort. Maßgebliche Änderungen der Rahmenbedingungen für die Kunstproduktion träfen also auch den Lebensnerv unserer Hauptstadt.

A chtung : A usstellungsvergütung Neben den aktuellen Turbulenzen um die Mehrwertsteuer beschäftigt sich die Politik in Sachen Kunst auch immer mal wieder mit einem anderen Thema: dem Für und Wider einer Ausstellungsvergütung. Zuletzt waren es die Grünen, die sich einer Forderung des BBK anschlossen. Sie wollen eine »verpflichtende Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen in die Förderkriterien für die aus dem Einzelplan 04 (des BKM) finanzierten oder bezuschussten Institutionen oder Projektträger«. Sie waren der Meinung, dass »mit der Aufnahme einer pauschalierten Ausstellungszahlung in die Förderkriterien für die aus dem Etat des BKM finanzierten oder bezuschussten Institutionen und Projektträger, welche Ausstellungen ausrichten, der Bund eine Zahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen für die öffentliche Ausstellung ihrer Werke ermöglichen kann, soweit sich die Werke im Eigentum der Künstlerin oder des Künstlers befinden«. Dies, so Ihr Antrag, sei ein »Signal gegen die bestehende Gerechtigkeitslücke« … Eine »Gerechtigkeitslücke« kann ich nicht erkennen – wir alle wissen, dass es sehr erfolgreiche Maler und Bildhauer gibt, ebenso wie arme Poeten und nur wenige wohlhabende Musiker. Richtig ist: Der bildende Künstler lebt im Gegensatz zu anderen Künstlern vom Verkauf seiner Werke, der Autor vom Vertrieb, der Musiker von Aufführungen. Erfolgreich verkaufen kann ein Künstler dann, wenn er zuvor bekannt gemacht wurde – z.B. durch Ausstellungen in Museen, Kunstvereinen, Galerien etc. Das bringt dem Künstler eine große Öffentlichkeit und bestenfalls Anerkennung eines Werkes. Und während die einen bei Lesungen, die anderen bei Konzerten eine direkte Vergütung erhalten, lebt der bildende Künstler lediglich vom Verkauf seiner Werke (bzw. von der Nutzung der Abbildungen). Die nun erneut geforderte Ausstellungsvergütung soll dazu dienen, bildenden Künstlern auch aus der Ausstellung ihrer Werke einen wirtschaftlichen Nutzen zukommen zu lassen – auf dass sich ihre wirtschaftliche Lage verbessere. Mal abgesehen davon, dass auch eine Ausstellungsvergütung die schwierige wirtschaftliche Situation der Künstler nicht auffangen würde, wäre die Ausstellungsvergütung so nur eine verkappte zusätzliche Sozialleistung. Aber mit welcher Berechtigung eigentlich? Wenn auch in verschiedenen Systemen, so arbeiten und leben doch alle Künstler vom selben Prinzip: vom Verkauf ihrer kreativen Arbeit – indem sie sie aufführen (Bühne, Musik) oder ihr Kunstwerk ein Publikum (Kompositionen, Theaterstücke) oder neue Besitzer (Bildende Kunst) findet.

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Die soziale Absicherung aller (!) Künstler in Deutschland aber unterstützt der Staat mit der Künstlersozialkasse – einer Anerkennung, die die Gesellschaft den besonderen Erfordernissen diesem uns allen in Deutschland so wichtigen Berufsstand zollt. Bei der Ausstellungsvergütung blicken viele auf das schwedische Modell, das 2009 in Kraft trat. Aber hat dieses schwedische Modell die ökonomischen Verhältnisse der Künstler oder deren Möglichkeit, ihre Werke auszustellen, tatsächlich positiv verändert? Nicht, dass wir wüssten. Zu bedenken ist aber sehr wohl, was für dramatische Konsequenzen so etwas für die Museen in Deutschland hätte: Forderungen nach einem Vergütungsanspruch für die öffentliche Ausstellung bildender Kunst gibt es schon lange; ebenso lange lehnen fast alle im Kunstbetrieb Verantwortlichen diese Forderung ab. Die Museen haben ja ein großes Interesse an Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Sie verleiht den Häusern Lebendigkeit und Aktualität. Umgekehrt wissen natürlich auch die Künstler um die Vorteile einer Ausstellung in diesen Institutionen. Gerade Ausstellungen ihrer Werke in öffentlichen Museen sind für die Künstler wie ein Ritterschlag, die Arbeiten erfahren eine enorme Wertsteigerung. Die Schattenseite: durch Ausstellungsvergütungen werden Ausstellungen für die Veranstalter erheblich teurer, in der Folge planen die Museen weniger Ausstellungen, oder man greift gleich auf die (freien) Werke zurück, für die keine Gebühr bezahlt werden muss – und das geht letztlich zulasten der Künstler, weil sie noch weniger Präsentationsmöglichkeiten bekommen. In fast allen Fällen werden Ausstellungen nicht einmal kostendeckend durchgeführt. Künstler an Ausstellungseinnahmen zu beteiligen, würde in vielen Fällen den finanziellen Ruin der Veranstaltungen bedeuten, und das wäre dann das endgültige Aus einer wirksamen Kunst- und Künstlerförderung. Die meisten Museen verfügen ohnehin kaum noch über große Ausstellungsetats. Ihr Budget für Ausstellungen müsste also entsprechend erhöht werden. Im Jahr 2009, in dem die Übereinkunft in Schweden in Kraft trat, erhielten deshalb sowohl das Moderna Museet als auch Riksutställningar einen Sonderzuschuss, um diese Vergütungen überhaupt zahlen zu können (allerdings auch nur rund 97000 Euro). Aus langjähriger, persönlicher Erfahrung als Ausstellungsmacherin kann ich nur ganz nüchtern feststellen, dass die Mehrzahl der (Kunst-)Museumsbesucher immer noch viel weniger an Werken zeitgenössischer Künstler, vielmehr an Werken der Alten Kunst oder der Klassischen Moderne interessiert ist – und diese fielen ohnehin nicht unter die Ausstellungsvergütung. Für Werke zeitgenössischer Künstler müssen wir das Publikum zunächst begeistern. Kuratierung der Ausstellung, Transport der Werke, Schreiner-, Maler- und Reinigungsarbeiten, Restaurierung, Beschriftung, Beleuchtung, Bewachung, Heizung und Klimatisierung, Herstellung von Katalogen, Plakaten, Einladungskarten, deren Versand, Kosten für die Eröffnung etc. Sämtliche dieser Kosten übernehmen wir als Aussteller bereits. Und dann auch noch Vergütung zahlen?

Monika Grütters: Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt

Natürlich könnte man die Künstler an dem Gewinn, der mit der Präsentation ihrer Kunstwerke erwirtschaftet wird, beteiligen – wenn es denn einen gäbe. Doch wer vom Erlös profitieren will, muss sich normalerweise auch an den entstehenden Kosten beteiligen. Doch diese übertreffen in fast allen Fällen den Gewinn eines Ausstellungsprojektes. Hinzu kommt, dass der Kunstmarkt dieses Geschäft betreibt, in Galerien und auf Messen. Museen haben einen anderen Auftrag. Die Auswirkungen auf die private Kunstförderung und Ausstellungstätigkeit wären verheerend, da sich die Kosten nicht über die Eintrittsgelder auf die Besucher verlagern lassen. Die bildende Kunst wird über den Verkauf verwertet. Wer glaubt schon, dass ein Künstler, dessen Werke nicht gekauft werden, gegen Vergütung ausgestellt würde? So gesehen käme am Ende eine Ausstellungsvergütung vor allem einem sehr kleinen Kreis etablierter Künstler zugute. Österreich jedenfalls hat die Ausstellungsvergütung zurückgenommen; 1996 eingeführt, wurde sie schon 2000 wieder abgeschafft: Dort gibt es keine Ausstellungsvergütung für urheberrechtlich geschützte Werke der bildenden Kunst mehr. Die Ausstellungsvergütung führte nämlich prompt zu einer Benachteiligung lebender Künstler und wirke sich am Ende sogar nachteilig für den gesamten Kunststandort Österreich aus. Wichtiger ist es, die Chancen für Künstler, überhaupt ausstellen zu können, zu verbessern – nicht, sie gesondert zu vergüten. Es braucht mehr Ausstellungsmöglichkeiten für jüngere bildende Künstler, weitere Fördermöglichkeiten auch des Staates, Projektzuschüsse, Atelierförderung oder Arbeitsstipendien wie z.B. aus der Stiftung Kunstfonds, der Villa Massimo etc. sowie endlich wieder größere Ankaufsetats für die Museen – und hier sind einmal mehr auch die Länder und Kommunen gefragt.

K ünstlersozialversicherung — aus R espek t vor D eutschl ands K re ativen Die Künstlersozialversicherung ist eine einmalige kultur- und sozialpolitische Errungenschaft, die wesentlich zur kulturellen Vielfalt in Deutschland beiträgt. Sie eröffnet den selbständigen Künstlerinnen und Künstlern den Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und setzt damit das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturstaat in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht konkret um. Bereits 2007 war die Künstlersozialversicherung durch ein Reformgesetz auf festere finanzielle Grundlagen gestellt worden. Die Reform war erforderlich, da der von den Verwertern zu zahlende Abgabesatz stark angestiegen war. Schon 2005 hatten daher am gemeinsamen Runden Tisch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien mit Experten Modelle zur mittel- und langfristigen Sicherung der Künstlersozialversicherung entwickelt.

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

Die anschließende Gesetzesreform hatte vor allem zwei Anliegen zur finanziellen Stabilisierung: die abgabepflichtigen Verwerter der künstlerischen Leistungen möglichst vollständig zu erfassen und die Versicherten stärker als bisher hinsichtlich ihres Einkommens zu überprüfen. Durch diese Reform konnte eine Absenkung des Beitragssatzes der abgabepflichtigen Verwerter der künstlerischen Leistungen erreicht werden. Künstlerinnen und Künstler ordnen ihren Lebensstil oft der künstlerischen Betätigung unter, ein anderer, oft unkonventioneller Rhythmus bestimmt ihr Dasein. Das darf nicht zu ihrem Nachteil, noch weniger aber zur Existenzgefährdung werden. So sind Kreative zumeist nicht in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Vielmehr werden sie häufig projektbezogen engagiert, zum Beispiel für die Produktion eines Films. Häufig sind diese Beschäftigungen sogar auf so kurze Zeiträume befristet, dass die Betroffenen zwar Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, allerdings in den allermeisten Fällen die erforderlichen Vorbeschäftigungszeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld I nicht erreichen können. Mit Änderungsgesetz zum SGB III, das dieser Besonderheit Rechnung trägt, konnte für die soziale Sicherung von Kulturschaffenden in der Film- und Fernsehbranche viel erreicht werden. Zwar hat sich das Gesetz bewährt, aber notwendig war doch eine präzisere Definition der »kurzen Befristung«, die mit Wirkung zum August 2013 nun in Kraft ist. Damit können noch mehr Künstler und Kreative von der gesetzlichen Regelung profitieren – weitere Verbesserungen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Neben dieser Neuregelung, durch die die Koalitionsfraktionen die soziale Absicherung von Kultur-, Film- und Fernsehschaffenden mit befristeten Arbeitsverträgen deutlich verbessern konnten, haben wir in der 17. Wahlperiode außerdem den Versichertenkreis durch die Schärfung des Publizistenbegriffes gerechter gestaltet. Für die nächsten Regierungsjahre stellt sich nun erneut die Herausforderung, den Beitragssatz zu stabilisieren. Deshalb werden im Moment unterschiedliche Modelle der Prüfung durch die Rentenversicherung durchaus kontrovers verhandelt. Dabei zahlt der Großteil der abgabepflichtigen Arbeitgeber die Künstlersozialabgabe laufend und in korrekter Höhe. Schon deshalb lassen sich nicht auf Dauer unbegrenzt zusätzliche Einnahmen aus Betriebsprüfungen generieren. Eine Garantie, dass der Beitragssatz allein durch Prüfungen stabilisiert wird, gibt es also leider nicht. Weil aber auch klar ist, dass es neben ehrlichen abgabepflichtigen Unternehmen auch solche gibt, die ihren Pflichten nicht nachkommen, setzen wir auf eine stärkere Prüftätigkeit durch die Rentenversicherung. Hier gilt es, auf Verwaltungsebene zwischen Künstlersozialkasse und Rentenversicherung einen machbaren Weg zu finden, bei dem sich die Bürokratie für mittelständische und kleine Betriebe in Grenzen hält. Bei aller Komplexität der Rechtslage sollte nie

Monika Grütters: Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt

vergessen werden, dass eventuelle neue Weichenstellungen nicht zu Lasten der sozialen Lage der Künstler und Kreativen gehen dürfen. Will Deutschland das Merkmal Kulturnation tatsächlich mit Leben füllen, dann muss alles dafür getan werden, dass die Künstlersozialversicherung als wichtiges Element der sozialen Absicherung der Künstler und Publizisten weiterhin stabil bleibt.

U rheberrecht — geistige L eistung als L ebensgrundl age Die Enquete-Kommission hat dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung empfohlen, erneut zu prüfen, »mit welchen Regelungen und Maßnahmen im Urhebervertragsrecht eine angemessene, an die wirtschaftlichen Verhältnisse angepasste Vergütung für alle Urheber und ausübenden Künstler erreicht werden kann, da die bisherigen Regelungen im Urhebervertragsgesetz unzureichend sind«. Das Urheberrecht ist kulturpolitisch von großer Bedeutung. Denn es sichert den Kreativen die Beteiligung an der Wertschöpfung, die aus ihrem kreativen Schaffen und ihren Werken gezogen wird. Es ist die Entlohnung für ihre kreative Leistung und erbrachte Arbeitszeit. Damit bildet es die Grundlage der Kulturund Kreativwirtschaft und ist Garant der kulturellen Vielfalt. Mit ausgewogenen Schranken trägt es auch den Interessen der Öffentlichkeit nach Zugang zur Kultur und zu Information Rechnung. Die neuen technischen Möglichkeiten, ganz besonders die fortschreitende Digitalisierung, eröffnen große Chancen, bergen aber auch Risiken. Deshalb muss die kulturpolitische Sichtweise vehement in urheberrechtliche Gesetzesinitiativen eingebracht werden. Ein wesentlicher Meilenstein war schon 2002 das »Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern«, das selbständigen Autorinnen und Autoren, Künstlerinnen und Künstlern erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung einräumt. Auch in die Vorbereitungen zum »Ersten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft« (sogenannter »Erster Korb«), mit dem der Gesetzgeber zwingende europa- und völkerrechtliche Vorgaben umgesetzt hat, war der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in großem Maße eingebunden. Gleiches gilt für das »Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft« (»Zweiter Korb«), mit dem das Urheberrecht 2008 weiter an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft angepasst wurde. Diese Novelle hat für rechtliche Klarstellung bei der zulässigen Privatkopie gesorgt und ein neues System der Aushandlung der Pauschalvergütung eingeführt. Zudem wurde mit der Neuregelung die Einräumung von Rechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten möglich. Die Einführung einer sog. Bagatellklausel haben Kulturpolitiker im Parlament verhindert. Ursprünglich war

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

vorgesehen, Urheberrechtsverletzungen mit geringem Unrechtsgehalt von der Straf barkeit auszunehmen. Genau das aber hätte zu einer weiteren Entwertung des geistigen Eigentums geführt. Zum 1. September 2008 konnte mit dem »Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums« der urheberrechtliche Auskunftsanspruch wirksam umgestaltet werden. Dadurch wurde die Rechtsdurchsetzung gerade im Online-Bereich deutlich vereinfacht. In der Praxis hat sich dieser Auskunftsanspruch bewährt und in vielen Fällen den Umweg über die folgenträchtige Einleitung eines Strafverfahrens zur Identitätsermittlung entbehrlich gemacht. Dies ist übrigens im Interesse sowohl der Rechteinhaber als auch der Nutzer. Auch in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode sind Reformen des Urheberrechts auf den Weg gebracht worden. Ein großer Fortschritt ist die endlich gefundene Regelung für eine Nutzung sogenannter verwaister und vergriffener Werke. Von verwaisten Werken spricht man, wenn deren Urheber nicht bekannt oder nicht auffindbar sind. Bislang können diese Werke nicht digitalisiert und zugänglich gemacht werden, da die erforderliche Zustimmung des Urhebers oder Rechteinhabers nicht eingeholt werden kann. Vergriffen sind Werke, die vom Verlag nicht mehr geliefert werden können. Zur Lösung dieses Problems gibt es jetzt ein Gesetz, das auch der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Nutzung verwaister Werke dient. Die Neuregelung gestattet den Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, verwaiste und vergriffene Werke aus ihren Beständen zu digitalisieren und über das Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dadurch können diese Werke auch in digitale Online-Bibliotheken wie die Deutsche Digitale Bibliothek und ihren europäischen Partner EUROPEANA eingebunden werden. Teilweise ist das Urheberrecht heute schon europaweit harmonisiert, viele Entwicklungen werden auf europäischer Ebene angestoßen. Auch die europäischen Aktivitäten begleiten Kulturpolitiker eng und bringen sich ein.

K ulturelle A usnahme oder L iber alisierung des M ark tes Europa und die Vereinigten Staaten verhandeln über ein Freihandelsabkommen. Davon versprechen sich viele sehr viel: Aufschwung, Millionen neue Jobs. Kulturschaffende und Kulturpolitiker befürchten einen großen Verlust – an Vielfalt. Warum soll die Kultur beim Freihandelsabkommen ausgenommen sein? Was also soll diese »kulturelle Ausnahme«? Kulturverantwortliche treten überall einer neuen Liberalisierungsverpflichtung der Kultur entgegen, weil sie Sorge haben, dass anderenfalls unsere einzigartige kulturelle Vielfalt auf dem Spiel stünde. Deutschland ist nicht ohne Grund 2005 dem Unesco-Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt beigetreten. Das war unser Bekenntnis zur besonderen Schutzbedürftigkeit des Kultur-

Monika Grütters: Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt

und Medienbereichs. In den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen muss das erneut zum Ausdruck kommen. Selbstverständlich stehen auch die Kulturpolitiker hinter einem transatlantischen Freihandelsabkommen. Dessen Vorteile liegen auf der Hand. Aber bei der Kultur geht es gerade einmal um zwei Prozent des Handelsvolumens. Diese zwei Prozent herauszunehmen, muss möglich sein. Denn hier geht es vor allem um den immateriellen Wert, für den die Kulturnation Deutschland eintreten muss. Deutschland ist das Land mit der höchsten Theaterdichte der Welt, pro Jahr werden zehnmal mehr Besucher in den Museen gezählt als alle Bundesligaspiele zusammen haben. Es sind keine fiskalpolitischen Kleinigkeiten, die es zu verteidigen gilt, es geht ums große Ganze, um die Identität der Kulturnation Deutschland. Die Vielfalt des Angebots und der Meinungen ist nur möglich, weil wir unsere Kultur staatlicherseits schützen und auskömmlich finanzieren, sie unabhängig machen vom Zeitgeist und von privaten Geldgebern. Die Buchpreisbindung halte ich für sehr gefährdet. Diese sichert die Vielfalt, indem sie es Verlagen ermöglicht, weniger publikumsträchtige, aber qualitätsvolle Titel und Literatur durch Bestseller querzufinanzieren. Die Folgen, die ein Einwirken von Amazon oder anderer großer Händler auf die Buchpreisbindung hätte, sind evident: Viele Verlage müssten dichtmachen, was ein unwiederbringlicher Verlust an geistiger Kraft wäre. Denn die deutsche Literaturlandschaft ist sowohl nach Anzahl und Vielfalt der erhältlichen Titel als auch mit Blick auf das engmaschige Netz stationärer Buchhändler weltweit einzigartig. Bei uns kommt auf 1000 Einwohner eine Erstveröffentlichung eines Verlages, nirgendwo gibt es so viele Literaturhäuser, Bibliotheken, Buchverlage, Buchhandlungen und Festivals wie in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker. Das kommt nicht von ungefähr, sondern ist heute auch das Ergebnis von Rahmenbedingungen, die vom Gesetzgeber bewusst zur Stärkung der Kulturlandschaft und des Buchmarktes geschaffen wurden. Die Buchpreisbindung ist sicher das prominenteste Instrument. Noch steht die Buchpreisbindung in Deutschland auf einem festen Fundament und wird nicht durch die großen Online-Händler unterlaufen. Erst kürzlich wurde auch seitens des Parlaments der Vorstoß unternommen, das Buchpreisbindungsgesetz dahingehend zu modifizieren, dass seine Geltung für den E-Book-Bereich noch einmal ausdrücklich klargestellt wird und nicht durch online-Anbieter wie Amazon unterlaufen werden kann. Die abwartende Haltung des Wirtschaftsministeriums, man müsse kein Gesetz ändern, ehe ein erkennbarer Schaden eingetreten sei, ist nicht sehr überzeugend. Große internationale Anbieter sollten die Kulturpolitik gar nicht erst vor sich her treiben, das Heft des Handelns gehört in die gestaltende Hand des Bundestages – deshalb bleibt das Thema weiter auf der Agenda. Und noch ein weiterer Bereich wird durch eine zu dominante Position des Marktes bedroht: die Filmförderung. Eine ähnliche Filmförderung gibt es in den Vereinigten Staaten zwar auch. Aber wenn unter dem Diktat eines Frei-

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Kunstmarkt I: Geschichte, Soziologie und Politik

handelsabkommens die großen amerikanischen Filmproduzenten Zugang zur deutschen Filmförderung hätten, würden sie kleine deutsche Produzenten existentiell bedrohen. Also: Entweder ändert man die Filmförderrichtlinien, indem man die Produzenten auf regionale Bezüge verpflichtet – oder man formuliert eben gleich eine kulturelle Ausnahme, auch für den audiovisuellen Sektor. Gerade der Film hat Frankreich zu seinem energischen Einschreiten zu Beginn der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA bewegt, denn in Frankreich wird der Film noch stärker als in Deutschland als nationales Kulturgut begriffen. Die Franzosen vertreten ihren Standpunkt der kulturellen Ausnahme übrigens im Einklang mit ihren Wirtschaftspolitikern. Zwar waren die Franzosen schon immer national orientierte Etatisten. Aber auch uns Deutschen geht es um unser Selbstbewusstsein als Kulturnation. Als solche wird Deutschland in der ganzen Welt wahrgenommen. Unsere Kulturförderung hat auch mit unserer bitteren jüngeren Geschichte zu tun. Sie zieht eine Lehre aus zwei deutschen Diktaturen, die lautet: Kritik und Meinungsfreiheit sind konstitutiv für eine Demokratie. Kreative und Intellektuelle sind das Korrektiv einer Gesellschaft. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen. Deshalb gibt es in Deutschland diese auskömmliche Kulturfinanzierung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ auftreten können. Wir haben es mit zwei gänzlich verschiedenen Gesellschaftsmodellen zu tun: Während Deutschland die Freiheit seiner kulturellen Avantgarde und den Schutz des kulturellen Erbes mit einer staatlichen Finanzierung von zirka 87 Prozent sicherstellt und 13 Prozent aus privater Hand kommen, ist das in den Vereinigten Staaten genau umgekehrt. Entsprechend stellt sich die ästhetische Vielfalt dar. Wir haben mehr zu verteidigen als einzelne Aspekte unserer Filmförderung. Und noch etwas ist nicht verhandelbar: Unserer Kultur in Deutschland wohnt auch ein nachhaltiges Gedenk-Konzept inne. Das alles wäre nicht möglich, wenn es wie in den Vereinigten Staaten vor allem nach den Interessen privater Geldgeber ginge. Unser Primat der Freiheit der Kunst wollen wir nicht gefährden. In Bezug auf das Freihandelsabkommen befinden sich die Partner in einer Vorphase zur Aufnahme der Verhandlungen. Man kann nur hoffen, dass der Doppelcharakter der kulturellen Güter und Dienstleistungen als Wirtschaftsgüter, aber auch als Träger gesellschaftlicher Werte anerkannt wird und dass die »kulturelle Ausnahme« bis zum Schluss besteht und es nicht nur ein taktisches Spiel ist. Den geradezu klassischen Konflikt zwischen Wirtschaftsinteressen da und der Verteidigung immaterieller Werte hier halten die Kulturverantwortlichen aus. Ich bin zuversichtlich: Am Ende wird die Vernunft siegen und die Wertegemeinschaft gegenüber den merkantilen Interessen in den Vordergrund stellen.

Monika Grütters: Kulturpolitische Strategien für den Kunstmarkt

E ntscheidend sind die W erte Zunächst aber muss die Debatte geführt werden – auch und gerade in Europa – über die Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Kultur ist keine Ausstattung, die eine Nation sich leistet. Kultur ist eine Vorleistung, die allen zugute kommt. Sie ist kein dekorativer Luxus, sondern sie ist vor allem Ausdruck von Humanität. Es geht also nicht um gesellschaftliche oder gar fiskalpolitische Kleinigkeiten, sondern es geht ums Ganze. Es geht um das Wesen, um die Identität der Kulturnation Deutschland heute.

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Kunstmarkt II: Akteure

Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler — aktuelle empirische Ergebnisse Marlies Hummel

Seit 1994 veranlasst der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) Umfragen zur wirtschaftlichen und sozialen Situation von bildenden Künstlerinnen und Künstlern. Die jüngsten empirischen Ergebnisse, die im Folgenden vorgestellt werden, beruhen auf der vom BBK im Frühjahr 2011 durchgeführten schriftlichen Befragung.1 An dieser Umfrage beteiligten sich insgesamt 1.175 Personen, die zum überwiegenden Teil (89 %) im BBK Mitglied sind. Etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Umfrageteilnehmerinnen und ‑teilnehmer gehören außerdem gleichzeitig ein bis zwei anderen (auch lokalen oder regionalen) Künstlervereinigungen an.

1. B esonderheiten nach A lter und G eschlecht Der Teilnehmerkreis umfasste alle Altersgruppen, mit ausgeprägten Schwerpunkten zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr. Besonders stark (mit 29 % aller Antworten) war dabei die Gruppe der 55- bis unter 65-Jährigen vertreten (vgl. Abbildung 1). Dass auch Gruppen mit höherem Lebensalter stark vertreten sind, darf nicht verwundern. Es ist vielmehr als Indiz dafür zu werten, dass die Umfrage wichtige Aspekte der speziellen beruflichen Situation zutreffend abbildet. Denn die lebenslange Herausforderung künstlerischen Schaffens (häufig allerdings auch unter dem Druck schwieriger Einkommensverhältnisse) bildet eine Voraus-

1  |  Für die ausführlichen Ergebnisse vgl. Marlies Hummel, Die wirtschaftliche und soziale Situation bildender Künstlerinnen und Künstler. Zusatzaspekt: Migration und Intergation. Ergebnisse der BBK-Umfrage 2011. Expertise im Auftrag des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), Königswinter im August 2011, in: Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) (Hg.), Die wirtschaftliche und soziale Situation bildender Künstlerinnen und Künstler, Berlin-Bonn 2011.

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Kunstmarkt II: Akteure

setzung für aktives Schaffen auch über die übliche Pensions- und Rentengrenze hinaus. Abbildung 1: Zusammensetzung des Teilnehmerkreises der BBK-Umfrage 2011 nach Alter und Geschlecht (insgesamt 1.175 Teilnehmer)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Im Kreis der Antwortenden war – anders als in den früheren Umfragen des BBK – das weibliche Geschlecht stärker repräsentiert (52,5 % des Befragungskreises). Dies ist vor allem auf die Gruppe der aktiven jüngeren Künstlerinnen zurückzuführen: In allen Altersklassen unter 55 Jahren haben sich die Frauen (zumindest wenn man nach ihrem Anteil an den Antworten dieser Altersklassen urteilen will) einen festen Platz im Berufsleben erobert. In den reiferen Altersklassen sind indes immer noch die Männer in der Überzahl.

2. B esonderheiten nach dem F amilienstand Die Mehrzahl der bildenden Künstlerinnen und Künstler teilen ihr Leben mit einem Partner oder mit einer Partnerin, sei es mit Trauschein (55,2 %) oder ohne (15,3 %). Alleine wohnen und leben 29 % der Umfrageteilnehmerinnen und ‑teilnehmer (vgl. Abbildung 2). Charakteristisch für die persönliche Situation ist darüber hinaus, dass rund 70 % der Künstlerinnen und Künstler Kinder haben, wobei dem Altersauf bau des Befragungskreises entsprechend der Nachwuchs vielfach bereits erwachsen ist.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Abbildung 2: Familienstand der Umfrageteilnehmer/innen nach Geschlecht (Anteile in %)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

3. A usbildung und A rbeitsschwerpunk te 3.1 Ausbildung Eine Analyse des Teilnehmerkreises zeigte, dass viele Wege zur Erreichung des Berufsziels führen können (vgl. Tabelle 1). Unter den weit über 1.700 (Mehrfach-) Nennungen nahm die Ausbildung an einer Kunstakademie/Kunsthochschule (58 %) den ersten Rang ein, gefolgt von Fachhochschulen (20,1 %) und sonstigen (nicht-künstlerischen) Hochschulen (10,6  %). Außerdem berichteten viele über eine weitere, zusätzliche Ausbildung. Besonders häufig, vor allem von den Männern, wurde eine abgeschlossene Lehre genannt. Anschauliche Beispiele für andere Ausbildungsmöglichkeiten lieferten die Kommentare der Künstlerinnen und Künstler. Sie reichten von handwerklichen Abschlüssen (z.B. Meisterbrief als Kunstglaser oder Goldschmiedin) über Ausbildungen als Industrial-Designer oder Grafik-Designer bis hin zu verwandten akademischen Abschlüssen, z.B. als Architekt/in, Kunsthistoriker/in. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler benannten pädagogische Ausbildungen für das Unterrichtsfach Kunst oder ein Studium in anderen künstlerischen Disziplinen, z.B. in Musik oder darstellender Kunst. Wichtig waren auch Kurse, die bei anderen Künstlern absolviert wurden. Fast 20 % aller Umfrageteilnehmer/innen bezeichneten sich als Autodidakt/ in. Frauen sind im Übrigen weniger häufig Autodidakten.

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Kunstmarkt II: Akteure

Tabelle 1: Ausbildungswege bildender Künstler/innen (Mehrfachnennungen möglich) Ausbildungswege Kunstakademie/ Kunsthochschule Fachhochschule entsprechender Prägung Autodidakt/in Noch im Studium Nicht-künstlerisches Hochschulstudium Abgeschlossene Lehre Andere Ausbildung keine Angabe

Nennungen der Umfrageteilnehmer/innen nach Geschlecht Männlich Weiblich Insgesamt a) Anzahl  %b) Anzahl  %b) Anzahl  %b) 338

60,8

341

55,3

681

58,0

98

17,6

138

22,4

236

20,1

125 3

22,5 0,5

109 2

17,7 0,3

234 5

19,9 0,4

53

9,5

72

11,7

125

10,6

152

27,3

120

19,4

272

23,1

81

14,6

122

19,8

203

17,3

8

1,4

10

1,6

18

1,5

a) Enthält auch Antworten von Personen, die keine Angabe zum Geschlecht gemacht haben b) Meldungen abgegeben von  % der Teilnehmer/innen des jeweiligen Geschlechts Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Auswertungen M. Hummel

3.2 Arbeitsschwerpunkte Die Arbeitsschwerpunkte der bildenden Künstlerinnen und Künstler sind vielfältig (vgl. Tabelle 2). Das am häufigsten benannte Gebiet ist die Malerei (Meldungen durch rund 72 % aller Teilnehmer/innen). Mit weitem Abstand folgen dreidimensionale Kunst (37,8 %), Druckgrafik (24,5 %), Installationen (23,7 %) sowie Kunst im öffentlichen Raum (18,5  %) und Kunst am Bau (16,8  %). Video/Neue Medien (12,3 %) und Kunsthandwerk/Angewandte Kunst (ebenfalls 9,4 %) waren weitere wichtige Arbeitsschwerpunkte. Das Bühnenbild (2,6 %) war demgegenüber eher nachgeordnet. Unter der Rubrik »andere künstlerische Form« wurden vielfältige Aktivitäten gemeldet, insbesondere Fotografie, aber auch Design in den verschiedensten Ausprägungen. Die Künstlereigenschaft wird bei 82,3  % der Befragten vom Finanzamt akzeptiert. Bei etwa der Hälfte dieser Künstlerinnen und Künstler war dafür die Mitgliedschaft im BBK hilfreich.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Tabelle 2: Arbeitsschwerpunkte bildender Künstler/innen (Mehrfachnennungen möglich) Arbeitsschwerpunkte Malerei/ Grafik Druckgrafik Dreidimensionale Kunst Installation Video/Neue Medien Kunst am Bau Kunst im öffentlichen Raum Bühnenbild Kunsthandwerk/angewandte Kunst andere künstlerische Form

Meldungen der Umfrageteilnehmer nach Geschlecht Männlich Weiblich insgesamt a) Anzahl

 %

Anzahl

 %

Anzahl

 %

385

69,2

465

75,4

851

72,4

158

28,4

130

21,1

288

24,5

222

39,9

220

35,7

444

37,8

116

20,9

162

26,3

279

23,7

71

12,8

73

11,8

145

12,3

121

21,8

75

12,2

197

16,8

135

24,3

82

13,3

217

18,5

14

2,5

14

2,3

28

2,4

51

9,2

60

9,7

111

9,4

143

25,7

152

24,6

295

25,1

a) Enthält auch Antworten von Personen, die keine Angabe zum Geschlecht gemacht haben Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Auswertungen M. Hummel

3.3 Ausstellungstätigkeit Nahezu alle Umfrageteilnehmer verfügen über eine reiche Erfahrung bei Einzelausstellungen und bei Gruppenausstellungen. Jede/r Umfrageteilnehmer/in kann im Durchschnitt insgesamt rund 20 Einzelausstellungen und 49 Gruppenausstellungen vorweisen (vgl. Tabelle 3). Die Meldungen für die letzten fünf Jahre zeigen, dass die Künstlerinnen und Künstler in diesem Zeitraum durchschnittlich rund 5 Einzelausstellungen sowie rund 12 Gruppenausstellungen durchgeführt haben.

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Kunstmarkt II: Akteure

Tabelle 3: Einzel- und Gruppenausstellungen sowie andere künstlerische Präsentationen nach Geschlecht und Alter (Durchschnittliche Anzahl in den jeweiligen Teilnehmergruppen) Einzel- und Gruppenausstellungen sowie andere künstlerische Präsentationen Darunter: Einzelausstellungen Geschlecht insgesamt  und Alter

Darunter: Gruppenausstellungen

insgesamt

in den letzten 5 Jahren

insgesamt

49,0

in den letzten 5 Jahren 11,9

Insgesamt

71,5

20,1

4,9

Darunter: Männlich Weiblich

  81,1 62,9

 

 

 

 

22,9 17,6

5,2 4,7

55,1 43,4

11,9 11,9

Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Auswertung M. Hummel 

Nach den Meldungen der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer wird die rege Ausstellungstätigkeit allerdings nur in sehr seltenen Fällen mit einem Ausstellungshonorar belohnt. Nur 18,8  % der Künstlerinnen und Künstler berichteten, dass sie in den letzten fünf Jahren eine Ausstellungsvergütung erhalten haben.

4. A rbeitsumfeld und A teliersituation Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer (präzise: 49,8 %) lebt in Großstädten. Die übrigen Teilnehmer ziehen die Ruhe des ländlichen Raums vor (20,9 %) oder haben sich in kleinen bzw. mittelgroßen Städten (zusammen 28,3 %) niedergelassen (vgl. Tabelle 4). Bei der Abwägung der Vorteile der Großstadt (Nähe zu Berufskollegen, professionellen Vermarktern und Ausbildungseinrichtungen) gegen die Nachteile (schwierige Ateliersituation, z.T. höhere Mieten) entscheiden sich im Übrigen vor allem die Jüngeren, und hier insbesondere die Frauen, für die Großstadt, wobei sie – im Vergleich zu den Männern – eine besondere Präferenz für Großstädte über 500.000 Einwohner haben.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Tabelle 4: Räumliches Umfeld der Umfrageteilnehmer/innen (Meldungen in % der Umfrageteilnehmer/innen)

  Räumliches Umfeld

Alle Teilnehmer

  Ländlicher Raum Kleinstadt unter 30.000 Einwohnern Mittelgroße Stadt mit 30.000 bis unter 100.000 Einwohnern Großstadt mit 100.000 bis unter 500.000 Einwohnern Großstadt mit 500.000 und mehr Einwohnern Keine Angabe Insgesamt Nachrichtlich: Großstädte insgesamt

Darunter: Männlich Weiblich

20,9 11,2

 % 20,3 13,7

21,4 9,1

17,1

16,0

18,0

27,6

28,2

27,1

22,2 0,9 100 49,8

21,2 0,5 100 49,4

23,2 1,3 100 50,3

Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Berechnungen M. Hummel

Das durchschnittliche Atelier aller Umfrageteilnehmer misst rund 61 qm. Die Streuung um diesen Mittelwert ist groß. Es treten starke Abweichungen nach oben bzw. unten auf: Mehr als die Hälfte aller bildenden Künstlerinnen und Künstler arbeiten in Ateliers mit weniger als 60 qm; mehr als jede/-r Dritte muss mit weniger als 40 qm auskommen. Wenige Glückliche haben Ateliers von über 150 qm gefunden, überwiegend im ländlichen Raum oder in mittelgroßen Städten. Vor allem in den kleineren Ateliers wird die Raumnot als besonders einschränkend empfunden. Die monatliche »Warmmiete« für ein Atelier (Kaltmiete plus Heizung und sonstige Nebenkosten) ist ein entscheidender Kostenfaktor für die Künstlerinnen und Künstler. Sie entscheidet darüber, ob die Anmietung eines Ateliers überhaupt ins Auge gefasst werden kann bzw. ob ein Atelier in einer bestimmten (Wunsch-) Größe angemietet werden kann. Die Umfrage ergab, dass rund 46 % der Umfrageteilnehmer/innen monatliche Beträge unter 200 € aufwenden, 16 % sogar nur Beträge unter 100 €. (vgl. Abbildung 3). Die Mehrzahl der Künstler/-innen muss aber tiefer in die Tasche greifen, wobei sogar Mieten bis zu 500 € (und mehr) keine Seltenheit sind.

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Kunstmarkt II: Akteure

Abbildung 3: Atelierkosten des Teilnehmerkreises nach Geschlecht (Meldungen in %)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

5. E inkommenssituation Die Einkommenssituation der Künstlerinnen und Künstler ist nach wie vor diffizil. Ausschließlich vom Verkauf von Kunstwerken zu leben, ist für die Mehrzahl nur schwer möglich. Sie sind auf zusätzliche Einnahmen angewiesen, z.B. aus Lehrtätigkeit oder aus anderen künstlerischen Aktivitäten. Häufig erfahren sie außerdem Unterstützung durch Familie, Freunde und Kollegen. In der Umfrage meldete mehr als jede/-r Zweite, dass Einnahmen aus Lehrtätigkeit erzielt wurden bzw. dass Einkünfte aus weiteren (künstlerischen und nicht-künstlerischen) Quellen zum Lebensunterhalt genutzt werden. Außerdem erzielte jede/-r Vierte Vergütungen von der VG Bild-Kunst.

5.1 Einkünfte aus dem Verkauf von Kunstwerken In der Umfrage wurde auch um Angaben zu den Einkünften aus den Verkäufen von Kunstwerken gebeten. Dies bedeutet, dass Auskünfte über den Betriebsüberschuss (= Betriebseinnahmen abzüglich Betriebsausgaben) eingeholt wurden. Rund 80 % aller Umfrageteilnehmer/innen waren bereit, für die Jahre 2008 bis 2010 Angaben zu machen. Für das Jahr 2010 ließen sich aus den Meldungen über 5 Mio. € Einkünfte aus dem Verkauf von Kunstwerken errechnen (vgl. Tabelle 5). Die durchschnittlichen Einkünfte betrugen 5.347 €, mit starken Unterschieden zwischen Künstlerinnen (3.325 €) und Künstlern (7.443 €).

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Tabelle 5: Einkünfte aus dem Verkauf von Kunstwerken 2008-2010 nach Geschlecht Gegenstand der Nachweisung Meldungen nach Geschlecht Männlich Weiblich Insgesamt a) Einkünfte aller Teilnehmer/ -innen Männlich Weiblich Insgesamt a) Durchschnittliche Einkünfte Männlich Weiblich Insgesamt a) Entwicklung der durchschnittlichen Einkünfte Männlich Weiblich Insgesamt a)

2008 450 461 912

2009

2010

Anzahl 456 483 941

459 483 944

3.692.000 1.814.000 5.511.000

€ 3.422.000 1.690.000 5.135.000

3.416.000 1.606.000 5.047.000

8.205 3.936 6.043

€ 7.505 3.499 5.457

7.443 3.224 5.346

100 100 100

2008=100 91,5 88,9 90,3

90,7 81,9 88,5

a) Enthält auch Meldungen von Personen ohne Angabe zum Geschlecht Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Die Meldungen für die vorangegangenen Jahre zeigten, dass die jüngsten Rezessionsjahre in den Einkünften der Umfrage­teilnehmer/innen tiefe Spuren hinterlassen haben: Kauf­zurückhaltung bei den privaten Käufern auf der Einnahmenseite, sprunghaft angestiegene Energiepreise (Stichworte: Heizkosten, Kraftstoff für Fahrten zwischen Atelier und Wohnung) auf der Ausgabenseite führten zu Einbrüchen bei den Einkünften. Hinzu kamen in Zeiten der Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung – wie unten gezeigt wird – auch Diskontinuitäten bei den Ankäufen bzw. bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand. Die Gesamtsituation im Jahr 2010 ist im Vergleich mit der Situation des Jahres 2008 weniger günstig: Die durchschnittlichen Einkünfte aus dem Verkauf von Kunstwerken im Jahr 2010 erreichten nur 88,5 % des Niveaus der Einkünfte aus dem Jahr 2008 (vgl. Tabelle 5). Besonders stark war der Einbruch im Jahr 2009, als die durchschnittlichen Einkünfte gegenüber dem Vorjahr um 9,7  % zurückgingen (von 100 Indexpunkten auf 90,3 Indexpunkte).

5.2 Ankäufe/Aufträge der öffentlichen Hand und anderer Einrichtungen Die Gesamtsumme aus Ankäufen und Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand, die die Künstler/innen gemeldet haben, beläuft sich im Jahr 2010 auf 1,4

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Kunstmarkt II: Akteure

Mio. €, weitere 0,2 Mio. € Ankäufe durch andere Einrichtungen (Museen, Stiftungen etc.) kommen zu dieser Summe hinzu (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Einnahmen der Umfrageteilnehmer/innen aus dem Ankauf von Werken und aus Aufträgen zu Kunst am Bau/Kunst im öffentlichen Raum 2008-2010 Ankäufe und Aufträge

2008

2009 € 438.494 798.434

2010

Ankauf von Werken durch die öffentliche Hand 339.285 304.800 Auftrag zu Kunst am Bau/Kunst im öff. Raum 902.800 1.108.450 Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand insgesamt 1.242.085 1.236.928 1.413.250 Ankauf von Werken durch andere Einrichtungen 106.570 124.940 221.370 Summe 1.348.655 1.361.868 1.634.620 nachrichtlich Ankäufe durch die öffentliche Hand u. andere Einrichtungen 445.855 563.434 526.170 a)  % Ankauf von Werken durch die öffentliche Hand 27,3 35,5 21,6 Auftrag zu Kunst am Bau/Kunst im öff. Raum 72,7 64,5 78,4 Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand 100 100 100  %b) Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand 92,1 90,8 86,5 Ankauf von Werken durch andere Einrichtungen 7,9 9,2 13,5 Summe 100 100 100 Entwicklung (2008=100) Ankauf von Werken durch die öffentliche Hand 100 129,2 89,8 Auftrag zu Kunst am Bau/Kunst im öff. Raum 100 88,4 122,8 Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand 100 99,6 113,8 Ankauf von Werken durch andere Einrichtungen 100 117,2 207,7 Summe 100 101,0 121,2 nachrichtlich Ankäufe durch die öffentliche Hand u. andere Einrichtungen 100 126,4 118,0 a) in % aller Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand b) in % aller Ankäufe und Aufträge Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Mit 1,1 Mio. € stammt der Löwenanteil der Mittel, die die Umfrage­teilnehmer/ -innen von der öffentlichen Hand erhalten haben, aus Aufträgen zu Kunst am Bau/Kunst im öffentlichen Raum. Ankäufe durch die öffentliche Hand haben im Vergleich dazu weniger Gewicht und fallen im Jahr 2010 überdies noch niedriger aus als im Jahr 2008.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Gemessen an den Beträgen, die die Umfrageteilnehmer/innen im Jahr 2010 erhalten haben, erweisen sich die Kommunen als wichtigster Nachfrager nach künstlerischen Leistungen: Mehr als zwei Drittel der Ankäufe und Aufträge der öffentlichen Hand wurden aus kommunalen Kassen bezahlt, die Finanzierungsanteile aus Länderhaushalten bzw. aus dem Bundes­haushalt waren dementsprechend schwächer ausgeprägt. In der aktuellen Expertise konnte belegt werden, dass die befragten Künstlerinnen und Künstler – nach einem kurzen Rückgang im Jahr 2009 – im Jahr 2010 wieder steigende Einnahmen aus öffentlichen Kassen zu verzeichnen hatten. Triebfeder der Entwicklung waren die Kommunen (und Landkreise), wo sich die Konjunktur-/Investitions­programme der öffentlichen Hand – ganz offensichtlich über die Kunst am Bau – besonders positiv auswirkten.

5.3 Einkünfte aus künstlerischer Lehrtätigkeit Über die Hälfte (präzise: 51,4 %) der bildenden Künstlerinnen und Künstler erzielen Einkünfte aus Lehrtätigkeit, die sie zum überwiegenden Teil regelmäßig ausüben. Vor allem die Frauen (56,6 %) berichten häufig über eine Lehrtätigkeit (zum Vergleich: Männer: 45,9 %). Sie sind in besonderem Maße an Einrichtungen der Kinder- und Jugendausbildung, vom Kindergarten über die Grund- und Hauptschule bis hin zum Gymnasium, engagiert und geben ihr Können und ihre Erfahrung an Jugendkunstschulen, Volkshochschulen sowie in privaten Kunstkursen weiter. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sind sie weniger stark im Hochschulbereich aktiv (für die Details vgl. Tabelle 7). In den unterschiedlichen Aktionsfeldern dürften auch die Unterschiede in den Organisationsformern der Lehrtätigkeit begründet sein. Generell lässt sich festhalten, dass nahezu 17 % der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer die Lehrtätigkeit in einer festen Anstellung ausüben, weitere 7  % stehen in einem zeitlich befristeten Arbeitsverhältnis. Fast 64 % arbeiten auf Honorarbasis und/ oder in einer anderweitig selbst organisierten Form (rund 30 %). Gerade bei den Künstlerinnen ist – wegen der oben beschriebenen speziellen Aktionsfelder – der Anteil an den Arbeiten auf Honorarbasis (66,5 %) bzw. selbst organisierter Lehrtätigkeit (36,4 %) stärker ausgeprägt als bei ihren männlichen Kollegen (60,0 % bzw. 26,3 %), die statt dessen einen höheren Anteil an befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen melden.

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Kunstmarkt II: Akteure

Tabelle 7: Organisationsformen, zeitlicher Umfang und Umfeld der Lehrtätigkeit bildender Künstler/innen (Mehrfachnennungen möglich)

Formen/Umfang/Umfeld der Lehrtätigkeit Organisationsformen Festanstellung Befristete Anstellung Auf Honorarbasis Selbst organisiert Zeitlicher Umfang Regelmäßig Gelegentlich Umfeld der Lehrtätigkeit Akademie Fachhochschule Gymnasium Grund- oder Hauptschule Kindergarten Jugendkunstschule Volkshochschule Private Kunstkurse Sonstiges Nachrichtlich: Lehrtätigkeit insgesamt

Meldungen der Umfrageteilnehmer/innen nach Geschlecht Männlich Weiblich Insgesamt a) b) b) Anzahl  % Anzahl  % Anzahl  % b) 48 21 153 67

18,8 8,2 60,0 26,3

54 23 232 127

15,5 6,6 66,5 36,4

102 44 385 194

16,9 7,3 63,7 32,1

  154 77

 

  222 106

 

60,4 30,2

63,6 30,4

  376 183

62,3 30,3

24 32 45 43 9 23 66 86 67

9,4 12,5 17,6 16,9 3,5 9,0 25,9 33,7 26,3

27 22 65 66 20 39 75 141 131

7,7 6,3 18,6 18,9 5,7 11,2 21,5 40,4 37,5

51 54 110 109 29 62 141 227 198

8,4 8,9 18,2 18,0 4,8 10,3 23,3 37,6 32,8

255

(45,9)

349

(56,6)

604

(51,4)

 

a) Enthält auch Antworten von Personen, die keine Angabe zum Geschlecht gemacht haben b) Meldungen in % der jeweiligen Umfrageteilnehmer/innen mit Lehrtätigkeit. – Werte in Klammern: in % der Umfrageteilnehmer/innen des jeweiligen Geschlechts Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Berechnungen M. Hummel

Unter der Rubrik »Sonstiges« konkretisierten sehr viele Künstlerinnen und Künstler ihre Lehraktivitäten. Im akademischen Umfeld wurden Universitäten und pädagogische Hochschulen benannt. Bei den handwerklich orientierten Ausbildungswegen wurden Berufsschulen und Berufsfachschulen, (z.B. Berufsfachsschule für Holzbildhauerei München) besonders hervorgehoben. Die Lehrtätigkeiten können zeitlich begrenzt, wie z.B. »Sommerakademien« oder »Kunstwochen«, oder auf Dauer angelegt sein. Sie richten sich an Jung und Alt, wie die Beispiele »KIK – Künstler arbeiten mit Kindern« oder die Seminare »Kunstwissenschaft für Senioren« zeigen. Sie finden in Kultureinrichtungen (z.B.

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»Kulturverein«, »Kunstforum«), in Erwachsenenbildungseinrichtungen oder in Wirtschafts­einrichtungen (»Handwerkskammer«) statt. Sie können darauf abzielen, ein breiteres Publikum an die bildende Kunst heranzuführen, z.B. im Rahmen der Museumspädagogik, oder weiterreichende sozialtherapeutische Ziele zu verfolgen, z.B. im Rahmen einer Rekreativ-Therapie in einer Rehabilitations­k linik oder in anderen Einrichtungen des Sozialwesens.

Weitere Einkünfte aus aktiver Tätigkeit In der BBK-Umfrage 2011 wurde ausführlich um Informationen zu weiteren Einkünften gebeten, konkret zu Einkünften aus künstlerischer Lehrtätigkeit, aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit, aus Vergütungen der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst (VG Bild-Kunst) sowie Einkünften anderer Art. Dabei wurde verdeutlicht, dass diese Einkünfte wichtige Ergänzungen zu den Einkünften aus dem Verkauf von Kunstwerken/Aufträgen bilden. Außerdem konnte gezeigt werden, dass die »Mischstruktur«, die für die Finanzierung des Lebensunterhalts bildender Künstlerinnen und Künstler erforderlich ist, bis in die Struktur der (gegenwärtigen und zukünftigen) Altersbezüge hinein wirkt.

5.4 Einkünfte aus anderen Tätigkeiten Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit und aus Vergütungen der VG Bild-Kunst Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit können aus vielfältigen Quellen fließen. Wie oben bei den Ausführungen zu »anderen künstlerischen Arbeitsschwerpunkten« ausgeführt, sind in diesem Zusammenhang Einkünfte aus Fotografie und Design (Grafik-Design, Foto-Design, Textil-Design) besonders wichtig. Bedeutung als ergänzende Einnahmequelle haben auch »Angewandte Kunst« und »Kunsthandwerk«. Darüber hinaus nutzen die Künstlerinnen und Künstler ihre spezielle fachliche Qualifikation, um sie für andere fruchtbar zu machen, wie die Beispiele »künstlerische Beratung« oder »künstlerisches Projektmanagement«, »Kuratorin, Direktorin Künstlerhaus« belegen. Sie arbeiten zudem auch in benachbarten künstlerischen Bereichen (»Theaterplastik«, »Bühnen-/Kostümbildnerin am Theater«) und finden ein »Zubrot« bei einer Nebentätigkeit als »Bildjournalist« oder bei Aktivitäten in »Film, Fernsehen« oder in der »Werbung«. Weitere Quellen für Einkünfte haben sie im »digitalen Gestaltungsbereich« entdeckt, z.B. bei »Web-Design« und »Motion Grafics, Animation«. Insgesamt bestätigten 261 Befragte (= 22,2  % aller Untersuchungsteilnehmerinnen und -teilnehmer), dass sie – zusätzlich zum Verkauf von Kunstwerken und zu Einnahmen aus Lehrtätigkeit – Einkünfte aus anderen bild-künstlerischen Tätigkeiten haben (vgl. Tabelle 8).

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Tabelle 8: Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit, aus Vergütungen der VG Bild-Kunst und Einkünfte anderer Art nach Geschlecht 2008-2010 (Meldungen der Umfrageteilnehmer/innen)

Einkünfte Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit

Einheit Anzahl  %b)  %c)

Vergütungen von der VG Bild-Kunst

Anzahl  %b)  %c) Anzahl  %b)  %c)

Einkünfte anderer Art

Meldungen WeibInsgeMännlich lich samta) 117 144 261 21,0 23,3 22,2 44,8 55,2 100 142 25,5 46,7 283 50,9 46,1

162 26,3 53,3 329 53,3 53,6

304 25,9 100 614 52,3 100

Nachrichtlich: Alle Umfrageteilnehmer/innen

Anzahl 556 617 1.175  %c) 47,3 52,5 100 a) Enthält auch Meldungen von Personen ohne Angabe zum Geschlecht b) In % aller Meldungen der Umfrageteilnehmer/innen des jeweiligen Geschlechts c) In % aller Meldungen mit positiven Antworten zur jeweiligen Einkunftsart Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Berechnungen M. Hummel

Da die Frauen – aufgrund ihrer niedrigen Durchschnittseinkommen aus dem Verkauf von Kunstwerken – Anreize haben, ihre künstlerischen Neigungen und Fähigkeiten auch in anderen Feldern einzusetzen, ist ihr Anteil an den Nennungen über »Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit« höher als der Anteil der Männer. Die Frage: »Erhielten Sie in den Jahren 2008 bis 2010 Vergütungen von der VG Bild-Kunst?« wurde von 304 Teilnehmerinnen und Teilnehmern bejaht. Damit kam jedes vierte Mitglied des Berichtskreises in den Genuss von Vergütungen der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, wobei im Hinblick auf die Nennungen keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede zu verzeichnen sind.

Einkünfte anderer Art Mehr als die Hälfte (52,3 %) aller Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer berichtete, dass sie Einkünfte aus anderen, nicht-künstlerischen Quellen hatten. Auch hier ist wiederum ein erhöhter Anteil der Frauen zu konstatieren, der mit der schwierigeren Situation beim Verkauf von Kunstwerken und möglicherweise auch mit der schwierigeren Situation bei den Einnahmen aus Lehrtätigkeit (Stichworte: höherer Anteil an selbst organisierten Lehrtätigkeiten) zusammenhängen kann (vgl. Tabelle 8 für die Details).

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Hinter dem Stichwort »andere Einkünfte« verbergen sich verschiedene Sachverhalte. Personen, die das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben, sind in der Umfrage stark vertreten. Sie meldeten ihre Altersbezüge (»Rente« bzw. »Pension«) als »andere Einkunftsart«. Diesem Aspekt wird weiter unten gesondert nachgegangen. Im Zentrum des Interesses stehen an dieser Stelle Personen, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Personen im »erwerbsfähigen Alter«). Ihre Aktivitäten reichen von Minijobs, d.h. geringfügigen Beschäftigungen mit einer monatlichen Verdienstgrenze bis zu 400 € »ohne künstlerischen Anspruch« bis hin zu festen Beschäftigungsverhältnissen auf 20- oder 30-Stunden-Basis, die ebenfalls fachfremd sein können (z.B. Halbtagssekretärin) oder aber kunstbezogen (z.B. Kunsttherapeut). Andere Künstler/innen wählen eine (weitere) selbstständige Arbeit, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Auch hier ist das Spektrum sehr breit. Es reicht vom Führen eines »Geschäftes für Galeriebedarf/Einrahmungen« über »Kunstberatung bei Firmen« bis hin zum »Möbelbau/Schreinern« oder zum »Betreiben einer Schlosserei«. Wenige Glückliche haben ein kleines Vermögen ererbt und können mit Zinsen und Mieteinnahmen ihre künstlerischen Einkünfte auf bessern. Kunstpreise und Stipendien, auch in der Form von Atelierstipendien, eröffnen weitere Spiel­ räume. Wichtig sind ebenfalls Sponsoren wie die Beispiele »Publikationshilfen«, »Ankäufe« bzw. »Materialspenden der Industrie« zeigen. Zahlreiche Umfrageteilnehmer/innen werden von ihren Partner/innen unterstützt oder von Verwandten, die teilweise liebevoll als »Oma & Co« bezeichnet werden. In mehreren Fällen wurden die Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II (ALG II, Hartz IV) als »andere Einkünfte« gemeldet. Einige jüngere Umfrage­ teilnehmerinnen und -teilnehmer berichteten in diesem Zusammenhang auch über das sogenannte »Einstiegsgeld«, das als Zuschuss zu ALG II gezahlt werden kann, wenn die betreffende Person sich selbstständig machen will. Einige Bezieher von Arbeitslosengeld I (ALG I) hatten zusätzlich Gründungszuschüsse in Anspruch genommen.

5.5 Zusammensetzung des Gesamteinkommens Von hohem Interesse ist die Zusammensetzung des Gesamteinkommens. Die Künstlerinnen und Künstler wurden im Fragebogen um Auskunft darüber gebeten, wie sich ihre Einkünfte zusammensetzen. Dabei sollten die Anteile folgender Kategorien angegeben werden: • Verkauf von Kunstwerken/Aufträge, • Einkünfte aus künstlerischer Lehrtätigkeit, • Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit,

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Kunstmarkt II: Akteure

• Stipendium, • Einkünfte aus nichtkünstlerischer Tätigkeit, • Andere Einkünfte oder Zuwendungen. Eine Auswertung dieser Angaben zeigt ein interessantes Bild (vgl. Abbildung 4). Die zentralen Aktivitäten, der Verkauf von Kunstwerken und die Durchführung von Aufträgen für künstlerische Werke, bilden für rund 10  % der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer, die bereit waren, ihre Einkommen aufzuschlüsseln, die alleinige Einkommens­quelle. Abbildung 4: Anteile der Verkäufe/Aufträge am Gesamteinkommen des Teilnehmerkreises nach Geschlecht (Segment 1: hohe Anteile)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Weitere 10 % ergänzten ihre Einkünfte aus weiteren Quellen, wobei der Verkauf von Kunstwerken zwischen 70 % und 99 % ihres Gesamteinkommens ausmachte. Weiteren rund 10 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmern gelang es, über Verkäufe und Aufträge zwischen 50 % und 69 % ihres Gesamteinkommens zu bestreiten. Fasst man diese drei Gruppen zusammen, so lässt sich festhalten, dass rund 30 % (präzise: 32 %) der Künstlerinnen und Künstler mehr als die Hälfte ihres Einkommens durch den Verkauf von Werken und durch Aufträge sicherstellen konnten. Zwischen den Männern und den Frauen zeigen sich dabei deutliche Unterschiede: So schafften es 40 % der Männer, mindestens die Hälfte ihres Einkommens durch Verkäufe/Aufträge zu sichern, bei den Frauen lag diese Quote nur bei rund 23 %.

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Abbildung 5: Anteile der Verkäufe/Aufträge am Gesamteinkommen des Teilnehmerkreises nach Geschlecht (Segment 2: niedrige Anteile)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Umgekehrt lässt sich festhalten, dass viele Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer keine Einkünfte (mehr) aus dem Verkauf von Werken und aus Aufträgen erzielen: 14 % der Antworten bezifferten den entsprechenden Anteil mit 0 %. Weitere 17 % erreichten durch kleinere Verkäufe/Aufträge, dass sie zumindest bis zu 10 % ihre Einkommens sichern konnten. Und nochmals weitere 17 % konnten einen Anteil der Verkäufe/Aufträge in Höhe von 10 bis unter 20 % realisieren. In der Summe bedeutet dies, dass bei fast 50 % der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern mit Angaben zu ihrer Einkommensstruktur der Anteil der Verkäufe/Aufträge unter 20 % am Gesamteinkommen liegt (vgl. Abbildung 5). Auch in dieser Segmentierung zeigt sich wiederum eine geschlechtsspezifische Ausprägung, bei der die Frauen einen geringeren Anteil am Gesamteinkommen aus Verkäufen/Aufträgen verzeichnen. Konzentriert man sich auf die gesamten Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit (d.h. Verkauf von Kunstwerken und Aufträge, Einkünfte aus künstlerischer Lehrtätigkeit sowie Einkünfte aus anderer bild-künstlerischer Tätigkeit), so zeigt sich die Kernkompetenz des Befragungskreises: Mehr als die Hälfte der Künstlerinnen und Künstler gründen ihre Einkommen ausschließlich auf bild-künstlerische Tätigkeiten. Insgesamt 72 % aller Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer erzielen mit bildkünstlerischer Tätigkeit einen entsprechenden Einkommensanteil von 50 % und mehr (vgl. Abbildung 6). Auch hier zeigen sich wiederum geschlechtsspezifische Unterschiede. Bedingt durch die stärkeren Aktivitäten der Frauen in der Lehrtätigkeit sind die Differenzen aber weniger stark ausgeprägt als beim Verkauf von Werken.

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Kunstmarkt II: Akteure

Abbildung 6: Anteile der künstlerischen Einkünfte am Gesamteinkommen des Teilnehmerkreises nach Geschlecht (Segment 1: hohe Anteile)

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Personen, die einen deutlich niedrigeren Anteil der bild-künstlerischen Tätigkeiten an den Gesamteinkommen gemeldet haben, sind vielfach der Gruppe der Altersrentnerinnen und -rentner zuzuordnen (sie haben ihre Altersbezüge den »anderen Einkünften« zugeordnet); teilweise gehören sie aber auch zu denjenigen, die auf Sonderformen öffentlicher Unterstützung angewiesen sind.

5.6 Altersbezüge der Umfrageteilnehmer/innen Fast ein Drittel Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer (32,4 %) bezieht eine Rente oder Pension (vgl. Tabelle 9). Bedingt durch das höhere Lebensalter der männlichen Teilnehmer, ist der Anteil der Personen mit Altersbezügen dort besonders ausgeprägt (35,8 % gegenüber 29,5 % bei den Frauen). Um erfahren zu können, aus welchen Quellen die Altersbezüge stammen, wurde eine Frage nach der überwiegenden Herkunft der Rente/Pension gestellt. Die Ergebnisse passen sehr gut zu den Aussagen, die oben zur Zusammen­ setzung der Einkommen des Befragungskreises erarbeitet wurden.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Tabelle 9: Meldungen der Umfrageteilnehmer/innen über die Herkunft ihrer Altersbezüge Die Altersbezüge stammen

Meldungen in %a) Männlich Weiblich

Insgeüberwiegend aus… samt Künstlerischer Tätigkeit 66,0 48,2 57,5 Davon freiberuflich 35,8 26,9 31,6 freiberufliche künstlerische Tätigkeit 30,2 18,8 24,8 freiberufliche künstlerische Lehrtätigkeit 5,6 8,1 6,8 Davon: abhängig beschäftigt 30,2 21,3 26,0 Abhängige künstlerische Lehrtätigkeit 19,1 15,7 17,5 Abhängige anderer künstlerische Tätigkeit 11,2 5,6 8,5 Nichtkünstlerischer Tätigkeit 34,0 51,8 42,5 freiberuflicher nichtkünstlerischer Tätigkeit 8,4 7,1 7,8 abhängiger nichtkünstlerischer Tätigkeit 25,6 44,7 34,7 nachrichtlich: Teilnehmer/innen mit Altersbezügen (Anzahl) 199 182 381 - (In % aller Teilnehmer/innen) 35,8 29,5 32,4 - (In % aller Teilnehmer/innen mit Altersbezügen) 52,2 47,8 100 a) in % aller Meldungen der Teilnehmer/innen mit Altersbezügen Quelle: BBK-Umfrage 2011; eigene Berechnungen M. Hummel

Die Mehrheit aller Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer (57,5 %) bezieht – wie es bei Mitgliedern des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler zu erwarten ist – ihre Alterseinkünfte überwiegend aus künstlerischer Tätigkeit. Dies gilt in besonderem Maße für die männlichen Kollegen (66,0  % der Meldungen aller männlichen Umfrageteilnehmer mit Altersbezügen). Nach den Meldungen der Künstler lassen sich drei künstlerische Hauptquellen der Altersbezüge ausmachen: Erstens die freiberufliche künstlerische Tätigkeit (30,2  %), zweitens eine sog. abhängige künstlerische Lehrtätigkeit z.B. als angestellter oder verbeamteter Dozent/Lehrer (19,1  %) und drittens eine sog. andere abhängige künstlerische Tätigkeit (11,2 %), z.B. als angestellter Grafik-Designer. Den Frauen gelingt es weniger häufig, ihren Lebensabend durch frühere künstlerische Aktivitäten abzusichern: Weniger als die Hälfte (präzise: nur 48,2  %) der Frauen erhalten eine Rente oder Pension aus überwiegend künstlerischen Aktivitäten. Ihre Altersbezüge zeigen im übrigen ein anderes Profil als die der Männer. An erster und zweiter Stelle stehen zwar ebenfalls die freiberufliche künstlerische Tätigkeit und eine abhängige künstlerische Lehr­tätigkeit, die aber beide weniger häufig benannt werden (26,9 % bzw. 15,7 %). An dritter Stelle folgt die freiberufliche künstlerische Lehrtätigkeit (8,1 %), die – wie oben gezeigt

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– auch bei den aktiven Künstlerinnen mit Lehrtätigkeit ein besonderes Gewicht hat. Bei den Frauen sichern vielfach nichtkünstlerische Einkünfte den Lebensabend finanziell ab (51,8  % der Meldungen aller Künstlerinnen mit Altersbezügen), und zwar überwiegend aus abhängiger nichtkünstlerischer Tätigkeit (44,7 %). Die häufig sehr niedrigen Arbeitseinkommen aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit führen demnach vor allem bei den Frauen dazu, dass später im Alter – wie bereits im aktiven Berufsleben – eine Absicherung aus anderen Quellen erfolgen muss. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Altersbezüge aus freiberuflicher künstlerischer Tätigkeit bei rund einem Viertel der Antwortenden (24,8 %) die Hauptquelle der Altersversorgung bilden, gefolgt von Renten und Pensionen aus (abhängiger plus freiberuflicher) Lehrtätigkeit (24,3 %) sowie abhängiger anderer künstlerischer Tätigkeit (8,5 %). Ein Blick auf die Verteilung der monatlichen Renten/Pensionen bestätigt das Bild von der schlechteren Einkommenssituation älterer Künstlerinnen (vgl. Abbildung 7). Im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen erhalten sie in viel stärkerem Maß niedrige Renten. Vor allem in den unteren Klassen bis zu einer monatlichen Rente von 400 €, eine Größenordnung, die in die Nähe des »Grundbedarfs« reicht, sind die Frauen überproportional vertreten. In den höheren Größenklassen sind vor allem die Männer besser repräsentiert. Abbildung 7: Monatliche Altersbezüge bildender Künstler/innen 2011 nach Geschlecht

Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

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6. W eitere R ahmenbedingungen für künstlerisches S chaffen 6.1 Soziale Sicherung: das KSVG und freiwillige Altersvorsorge Bereits in den beiden vorangegangenen Umfragen waren die Konsequenzen von Hartz IV für die künstlerischen Schaffensbedingungen hervorgehoben worden. Dieses Thema wurde in der jüngsten Umfrage um besondere Aspekte der sozialen Sicherung ergänzt, sei es im Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) oder bei der freiwilligen Vorsorge für das Alter (Stichwort: Riester-Rente). Besonders wichtig sind die Ergebnisse zur Künstlersozialversicherung: Seit der Novellierung der Künstlersozialversicherung im Jahr 2007 wird von der KSK intensiver überprüft, ob die Voraussetzungen der Versicherungspflicht vorliegen. Hierzu wird eine jährlich wechselnde Stichprobe in Höhe von mindestens 5 % der Versicherten durchgeführt, die klären soll, ob die Versicherten angemessene Einkommensmeldungen abgegeben haben und ob das Mindesteinkommen in Höhe von 3.900 € erreicht wurde. Seit der ersten Stichprobe im Herbst 2007 dürften nunmehr rund 40 % aller Versicherten überprüft worden sein. Unter den Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern findet sich diese Quote wieder: 232 Künstlerinnen und Künstler beantworteten die Frage: »Wurden sie von der KSK schon einmal überprüft?« mit »Ja«. Damit sind 41,0 % aller Personen des Befragungskreises, die in der KSK versichert sind, bereits überprüft worden. Das Ergebnis der Überprüfung war überwiegend positiv: Nur 10,5 % der männlichen Versicherten gaben an, dass sie in der Folge nicht mehr über die KSK versichert werden, 78,1 % blieben weiterhin in der KSK versichert. Bei den weiblichen Versicherten war hingegen der Anteil derjenigen, die in der KSK verbleiben konnten, deutlich niedriger (64,7 %) und der Anteil derjenigen, die aus der KSK ausscheiden mussten, signifikant höher (20 %), was mit Sicherheit auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Frauen häufiger als die Männer das Mindestarbeitseinkommen nicht erreichen. Bemerkenswert sind auch die Ergebnisse zur privaten Altersvorsorge: Exakt 189 Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer (=16,1 %) haben sich entschlossen, einen Vertrag für eine Riester-Rente abzuschließen. Bereinigt man um die Anzahl derjenigen Personen, die Altersbezüge erhalten, so erhöht sich dieser Anteil auf 23,8 %. Die Frauen waren an dieser Vorsorgeform besonders interessiert, während die Männer eher Zurückhaltung übten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Künstlerinnen und Künstler ihre Vorsorge für das Alter vernachlässigen: 75,4 % der Männer und 65,7 % der Frauen im aktiven erwerbsfähigen Alter sorgen durch andere Maßnahmen für eine verbesserte Einkommenssituation im Alter.

6.2 Künstlerförderung und Aspekte der Kultur wirtschaftsförderung Außerdem wurden der Kulturförderung, insbesondere durch Maßnahmen der Künstlerförderung, aber auch durch Maßnahmen der Kulturwirtschaftsförde-

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rung wie der »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung« vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet. Es zeigte sich, dass fast jede/r dritte Umfrageteilnehmer/in im Laufe der Schaffensperiode ein oder mehrere Stipendien erhalten hat. Außerdem wurde deutlich, dass die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft nur wenig bekannt ist. Deshalb verwundert es nicht, dass die Nachfrage nach Leistungen des »Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativ­w irtschaft« und der Regionalbüros gering ausfällt.

6.3 Migration und Integration Welche Rolle die Kultur und das künstlerische Schaffen im Bereich der bildenden Künste für das Zusammenleben und -arbeiten und den wechselseitigen Ideenaustausch spielen, war ein Zusatzaspekt, der in der BBK-Umfrage gesondert erfasst wurde. Ein zentrales Ergebnis der Künstlerbefragung bestand darin, dass die Kunst im Urteil der Künstlerinnen und Künstler einen besonderen Beitrag zu Integration leisten kann und offensichtlich auch leistet, da sich die Künstlerinnen und Künstler mit Migrationshintergrund im Wesentlichen als gleichgestellt und sehr gut akzeptiert fühlen. Dass im BBK eine besondere Integration stattfindet, die sämtliche Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Arbeit in den Gremien einbindet, verdient hervorgehoben zu werden.

7. W ünsche nach einer V erbesserung der R ahmenbedingungen Anders als in den vorangegangenen Umfragen des BBK wurde in der Umfrage des Jahres 2011 gezielt nicht nach Einflussfaktoren auf die wirtschaftliche Entwicklung der Umfrageteilnehmer/innen gefragt, sondern vielmehr nach den Faktoren, die wichtig für die weitere künstlerische Tätigkeit sind. In dieser Differenzierung, aber möglicherweise auch in jüngeren Erfahrungen der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern während der vergangenen 3 Jahre, sind neue Akzente festzustellen, die bemerkenswert sind.

Marlies Hummel: Zur Situation der bildenden Künstlerinnen und Künstler

Tabelle 10: Einflussfaktoren der künstlerischen Entwicklung im Urteil der Umfrageteilnehmer/innen Einflussfaktoren Einflussfaktoren mit herausragender Bedeutung Starke Künstlervertretungen Schutz des Urheberrechts Kulturfreundliches Steuerrecht Angemessener Atelierraum Verfügbarkeit von Ausstellungsräumen

Insgesamt Männlich Weiblich Meldungen über eine herausragende Bedeutung in %a) 76,0 71,9 79,7 75,1 73,9 76,3 74,7 74,1 75,4 71,4 68,7 73,7 69,6 63,7 75,0

Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst Künstlersozialversicherung

57,7 54,4

58,1 52,9

57,4 55,8

Nähe zu professionellen Vermarktern Nähe zu Berufskolleg(inn)en Zusammenarbeit mit Berufskolleg(inn)en

40,1 33,8 27,2

36,9 30,4 25,2

42,9 36,8 28,8

Nähe zu anderen Ausbildungseinrichtungen Nähe zu Kunsthochschulen

9,3 8,9

7,0 7,4

11,2 10,0

a) in % aller Meldungen der jeweiligen Umfrageteilnehmer/innen, die eine Bewertung »unerlässlich« oder »sehr wichtig« abgegeben haben Quelle: BBK-Umfrage 2011, eigene Berechnungen M. Hummel

Die Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer messen einer starken Vertretung ihrer Interessen besondere Bedeutung zu (vgl. Tabelle 10). Dieser Wunsch nach Interessenvertretung führt sogar die Rangskala derjenigen Faktoren an, deren Bedeutung als unerlässlich bzw. sehr wichtig eingeschätzt wird. Aus vielen Antworten wurde darüber hinaus klar, dass die Künstlerinnen und Künstler mehr gesellschaftliche Anerkennung suchen. Sie wünschen sich, »dass künstlerisches Schaffen mehr Anerkennung findet« und fordern deshalb eine »höhere Gewichtung von Kunst bereits in den Schulen«. Ihre Forderungen nach mehr Anerkennung richten sich an Politiker aller Ebenen, des Bundes, der Länder und der Kommunen und an Ämter aller Art (z.B. auch an das Finanzamt). Außerdem erwarten sie von den Medien eine ausführlichere Berichterstattung über das »Kunst- und Kulturgeschehen«. Sie verstehen »Kunst als Lebenselixier und nicht als Standortfaktor«. Der Schutz durch das Urheberrecht sowie ein kulturfreundliches Steuerrecht, d.h. die rechtlichen Rahmenbedingungen, nehmen ebenfalls eine heraus­ragende Stellung ein. Angemessener Atelierraum und die Verfügbarkeit von Ausstellungsräumen, d.h. die räumlichen Voraussetzungen für die Schaffung von Werken und

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ihrer öffentlichen Ausstellung, werden in vergleichbarer Weise als unerlässlich bzw. sehr wichtig beurteilt. Die Leistungen der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst und der Künstlersozialkasse folgen ebenso wie die Faktoren »Nähe zu professionellen Vermarktern«, »Nähe zu Berufskolleg(inn)en« und Möglichkeiten zur »Zusammen­arbeit mit Berufskolleg(inn)en«. Am unteren Ende der Prioritätenliste stehen die Nähe zu anderen Ausbildungseinrichtungen, die zwar zusätzliche Einnahmen aus Lehrtätigkeit ermöglichen können, gleichzeitig aber – wegen des begrenzten Zeitbudgets – auch die zeitlichen Spielräume für eigene künstlerische Aktivitäten einschränken, sowie Kunsthochschulen, die nach Einschätzung vieler Umfrage­teilnehmer/innen für ihre weitere künstlerische Tätigkeit nicht relevant sind. In einer gesonderten Rubrik wurden die Künstler/innen um Auskunft dahingehend gebeten, welche sonstigen Faktoren für ihre künstlerische Arbeit wichtig sind. Einige von ihnen plädieren für ein künstlerisches »Grundeinkommen«, das ihnen die Freiheit und die Zeit lässt, kreativ zu arbeiten. Andere fordern eine verbesserte »regionale Künstlerförderung (Ateliers, finanzielle Förderung)«, mehr öffentliche Ankäufe und einen Ausbau der »Kunst am Bau/Kunst im öffentlichen Raum«. Von zentraler Bedeutung ist besonders für die Frauen eine Verbesserung der Ausstellungsbedingungen. Konkret werden hier zusätzliche räumliche »Ausstellungsmöglichkeiten« gefordert mit »Ausstellungsvergütungen und angemessenen Ausstellungs­rahmen­bedingungen (Transportkostenübernahme, Versicherung)«. Darüber hinaus wünschen sich Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer eine vermehrte »Teilhabe an Gruppenausstellungen (z.B. im BBK)«. Besonders wichtig ist vor allem für die Frauen – wie bereits oben bei der Analyse der Ateliersituation gezeigt – eine größere Verfügbarkeit von erschwinglichen Atelierräumen und eine bessere Zusammenarbeit mit Galeristen oder »eine städtische oder staatliche Galerie, wo Kunstwerke zum Verkauf angeboten werden können«. Auf der Wunschliste stehen auch mehr »Informationen über künstlerische Wettbewerbe in der Region und überregional«, »Informationen über finanzielle Unterstützung bei z.B. der Erstellung von Katalogen« sowie (mehrfach genannt) »freier Eintritt in Museen für Künstler« oder »unentgeltlicher Zugang zu Ausstellungen und Museen«. Für ihre künstlerische Entwicklung wünschen sich viele ganz konkret einen »Dialog unter Künstlern«, – einen »Austausch Alt-Jung als gleichberechtigte Partner«, vor allem aber auch »einen Austausch mit Künstlern aus anderen Ländern,« die Pflege von »Netzwerken, die tatsächlich unterstützen mit Hang zur Überregionalität/Internationalität« oder ganz allgemein »bessere internationale Kontakte mit internationalen Künstlern«. Damit eröffnet sich für den Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, an den große Erwartungen gestellt werden, ein reiches Aktionsfeld.

Kunsthochschulen und Kunstmarkt: Funktionen und Wechselwirkungen Peter M. Lynen

1. Z um W esen und den A ufgaben der K unsthochschulen im H inblick auf den K unstmark t Wenn im Folgenden von Kunsthochschulen die Rede ist, sind in einem engeren Sinne die Hochschulen für Bildende Kunst einschließlich der »neuen« Medien (Foto, Film, Computerkunst) gemeint, von denen einige nach wie vor als »Kunstakademien« namentlich auftreten. Der Begriff »Kunsthochschulen« wird zudem in einem weiteren und alle Künste umfassenden Sinne verwendet, der die Musikhochschulen und die der Darstellenden Kunst gewidmeten Institutionen der »higher education«, also des tertiären Bildungsbereichs, einschließt. Dieser erweiterte Begriff betrifft vor allem die Hochschulgesetzgebung und die hochschulpolitische Zuordnung, dass es sich bei den Kunsthochschulen in diesem übergreifenden Sinne um eine besonders zu charakterisierende dritte Hochschulart neben den Universitäten und den Fachhochschulen handelt. Es wird in diesem Beitrag auch überwiegend von der deutschen Situation ausgegangen, die zusammenfassend vor allem durch zweierlei gekennzeichnet ist: Zum einen handelt es sich regelmäßig (mit Ausnahmen, z.B. von einigen privaten, aber staatlich anerkannten Kunsthochschulen) um von der öffentlichen Hand getragene Einrichtungen und gleichzeitig um – mit wichtigen Selbstverwaltungsrechten ausgestattete – Körperschaften des öffentlichen Rechts, welche ganz überwiegend von den Ländern finanziert werden. Insoweit geht es um ca. zwei Dutzend Kunsthochschulen,1 die nicht nur in den meisten deutschen Flä-

1  |  Sowohl die HRK als alle deutschen Hochschulen umfassende Hochschulrektorenkonferenz als auch die besonderen Konferenzen der Rektoren und Präsidenten der Hochschulen für bildende Kunst einerseits und der Musikhochschulen anderseits führen dementsprechende Statistiken, vgl. z.B. www.hrk.de.

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Kunstmarkt II: Akteure

chenstaaten, sondern auch in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg vertreten sind. Zum anderen sind die deutschen Kunsthochschulen überwiegend eigenständige und unabhängige Organisationen und nicht als Fachbereiche oder Institute integrierte Bestandteile anderer Institutionen (Universitäten oder Fachhochschulen), obwohl auch diese Hochschulen über künstlerisch ausgerichtete Studiengänge verfügen können. Diesbezüglich sind ebenfalls gewichtige Ausnahmen festzustellen (Kunsthochschule Mainz als Teil der Johannes Gutenberg Universität, Kunsthochschule Kassel als Teil der Universität Kassel, Bauhaus-Universität Weimar mit künstlerischen und anderen Studiengängen). Auch gibt es zwei Kunsthochschulen (Bremen, Universität der Künste Berlin), die nicht die Trennung von Kunst und Musik in unterschiedlichen Hochschulen vollziehen, sondern beides unter einem Hochschuldach (freilich in verschiedenen Fachbereichen) beherbergen. In Österreich ist die Situation mit je drei eigenständigen, aber staatlich getragenen Universitäten der Bildenden Kunst und der Musik diesem deutschen Regelfall vergleichbar. In anderen Staaten innerhalb und außerhalb Europas sind die institutionellen Bedingungen indes deutlich andere, sowohl was die Aufteilung in staatliche und private Hochschulen als auch, was die Frage »institutionelle Eigenständigkeit versus Eingliederung in größere universitäre Einheiten« angeht. Hier sind eher private Kunsthochschulen oder solche als unselbständige oder nur teilautonome Abteilungen bzw. »schools« größerer staatlicher oder privater Universitäten anzutreffen. Auch gibt es im nicht deutschsprachigen Ausland häufiger Institutionen, die gleichzeitig Studiengänge in Kunst und Musik anbieten, sich also als Hochschulen der Künste insgesamt präsentieren. Ein weiterer – und auch international übergreifender – Befund ist, dass künstlerische Studiengänge nicht allein mit einer allgemeinen Hochschulreife (Abitur, Matura etc.) studierbar sind, sondern grundsätzlich einer studiengangsbezogenen künstlerischen Eignungs- und Eingangsprüfung unterliegen. Dies ist nicht identisch mit dem Erfordernis eines Numerus clausus (der hinzutreten kann), weil es nicht um die Festsetzung von Studienplätzen im Sinne »objektiver Zulassungshindernisse« geht, die der Bewerber nicht beeinflussen kann, sondern um die Prüfung von Begabung und konkreten studiengangsbezogenen Eingangsvoraussetzungen im Sinne »subjektiver Zugangsvoraussetzungen«, welche vom Bewerber prinzipiell erfüllbar sind. Fazit ist, dass auch die deutschen staatlichen Kunsthochschulen seit jeher ihre Studierenden »selbst« mittels solcher Prüfungsverfahren auswählen, was profilbildende Wirkungen zeitigen und zu einem gesteigerten »in-put« der Studienanfänger führen kann. Die Studierendenzahlen sind aufgrund dieser Verfahren geringer als diejenigen der wissenschaftlichen Hochschulen. Die Betreuungsrelationen (Zahlenverhältnis der Lehrenden zu den Studierenden) sind regelmäßig deutlich besser. Damit stehen auch Kleingruppenveranstaltungen und nicht die Großvorlesung im Zentrum des Studiums an Kunsthochschulen.

Peter M. Lynen: Kunsthochschulen und Kunstmarkt — Funktionen und Wechselwirkungen

Entwicklung der Kunsthochschulen Die Kunsthochschulen als eigener Typus künstlerischer Einrichtungen berufen sich auf Traditionen, die im deutschsprachigen Raum bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Damit sind sie nach den Universitäten, aber vor den Musikhochschulen und lange vor den Fachhochschulen, die zweitälteste Gruppe der tertiären Bildungseinrichtungen. Stärker als das 17. wies diesbezüglich das 18. Jahrhundert eine beachtliche Gründungswelle an Kunstakademien auf, die quantitativ und qualitativ keineswegs hinter den modernen Gründungsaktivitäten der deutschen Bundesländer im 20. Jahrhundert zurückstand. Dabei hoben sich im ausgehenden und aufgeklärten Absolutismus etliche Residenzstädte und Fürstenhöfe dadurch hervor, dass nicht nur Kunstsammlungen, sondern auch Akademien der Mal-, Bildhauer- und Zeichenkunst, auch der Baukunst, errichtet und unterhalten wurden.2 Der seinerzeit als wichtig erachtete Zusammenhang zwischen dem Sammeln sowie Präsentieren einerseits und den Herstellungsprozessen von Kunst anderseits manifestierte sich damals in engen Verbindungen der museal-ausstellenden (»Galerie«) und der akademisch-ausbildenden (»Schule«) Institutionen, was bis zu Personalunionen auf der Leitungsebene führte.3 Nicht alle dieser Einrichtungen bestehen bis heute fort, aber manche beziehen nicht nur ihre institutionellen Traditionen aus dieser Zeit und berufen sich auf solche Gründungsdaten, sondern erhalten auch das Selbstverständnis, dass es weniger um das Lehren »über« Kunst geht, sondern dass es sich um die Produktion »von« Kunst mittels der Förderung und Unterstützung des künstlerischen Nachwuchses und um die Beantwortung der Fragen handelt, ob und wie Kunst einerseits gelehrt oder beeinflusst und anderseits gelernt oder übernommen werden kann.4 Mit den Anforderungen der zeitgenössischen Kunst und den international ausgerichteten Aktivitäten der heutigen Kunsthochschulen lassen sich diese Traditionen durchaus in Einklang bringen. Im 19. Jahrhundert nach den Befreiungskriegen erfassten in Deutschland, auch über Preußen hinaus, die Humboldt’schen Reformen des Bildungswesens nicht nur die Universitäten, sondern auch die Kunstakademien. Dies geschah zwar eher indirekt und ist auch nicht mit der Person Wilhelm von Humboldt unmittelbar verbunden, sondern beruht stärker auf Gedanken seiner Zeitgenossen, weil sich das Konzept Humboldts ausgehend von Berlin zunächst nur auf die 2 | S. Nikolaus Pevsner, Die Geschichte der Kunstakademien, 1940 in englischer Sprache, deutsche Ausgabe München 1986. 3  |  Als Beispiel kann der Künstler Lambert Krahe genannt werden, der unter Kurfürst Karl Theodor in Düsseldorf Direktor der Gemäldegalerie und Gründungsdirektor der Kunstakademie im ausgehenden 18. Jahrhundert war. 4 | Dazu ausführlicher Peter M. Lynen, Kunst ist nicht lehrbar – oder doch? Reflexionen über ein Paradoxon, Rede zur Semestereröffnung an der Kunsthochschule Mainz am 16.04.2012, Mainz 2012.

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Kunstmarkt II: Akteure

Universitäten und die Wissenschaften bezog.5 Dass aber auch Kunsthochschulen einerseits auf (künstlerische) Berufe vorbereiten, sich anderseits ebenfalls nicht als überwiegend utilitaristisch ausgerichtete Institutionen verstehen, sondern besonders den Eigengesetzlichkeiten zweckfreier Kunstausübung, Forschung und Bildung unterliegen, fand seit dieser Zeit nicht nur Ausdruck in Stellungnahmen und Statuten, sondern prägte maßgeblich und langjährig die hochschulische Praxis. Dabei wurde das besondere Charakteristikum der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden an Kunsthochschulen vor allem durch die von diesen Personen wechselseitig unternommenen kreativen Beteiligungen an selbstbestimmten Gestaltungsprozessen – d.h. an der konkreten Arbeit an Kunstwerken der Studierenden und auch der Lehrenden – konstituiert. Dies äußerte sich besonders im »Meister-Schüler-Verhältnis« und der Zuordnung der Studierenden in künstlerische Klassen. Derartige Strukturen blieben im 20. Jahrhundert zwar nicht unumstritten, fanden aber bis heute Eingang in die Hochschulgesetzgebung6 und prägen auch faktisch nach wie vor die Strukturen von Kunsthochschulen sowie deren Berufungspraxis. Man beruft ausübende und möglichst hervorragende Künstler, die ihre eigene Vorstellungswelt und Kunstausübung in die Lehre einbringen und unterstützend an der künstlerischen Entwicklung der Studierenden mitwirken sollen. Was in den Wissenschaften die »Einheit von Forschung und Lehre« bedeutet, besteht hier als untrennbarer Zusammenhang zwischen Kunstausübung und Lehre.7 Ein Künstlerprofessor geht weniger von vorab definierten Lehrprogrammen und pädagogisch-didaktischen Zielsetzungen aus als vom konkreten Werk oder einem spezifischen künstlerischen Projekt und den jeweils an diesbezüglichen Entstehungsprozessen beteiligten Individuen. Lehre und Studium weisen damit erhebliche individuelle und fallbezogene Anteile auf und unterliegen persönlichen Prägungen unter dem Ziel der »Förderung von Künstlerpersönlichkeiten«.8 5  |  Dazu ausführlicher Peter M. Lynen, Stetigkeit und Wandel. Zur Verfassungsgeschichte der Kunstakademie Düsseldorf, in: Jahreshefte der Kunstakademie Düsseldorf, Band 1, 1988, S. 257-296. 6  |  Vgl. § 50 Abs. 2 Sätze 1 und 2 KunstHG NRW, die sogar eine sog. Legaldefinition des Begriffes Klassenprinzip enthält: »In den künstlerischen Fächern können die künstlerische Lehre und das künstlerische Studium in Künstlerklassen nach den Prinzipien von Gruppen- sowie Einzelunterrichts sowie des Projektbezugs in der schöpferischen Begegnung von Lehrenden und Studierenden (Klassenprinzip) konzentriert werden. Der Besuch der Künstlerklasse setzt das Einverständnis der Professorin oder des Professors voraus; auf das Einverständnis der oder des Studierenden soll[…]hingewirkt werden.« 7 | Dazu ausführlicher Peter M. Lynen, in: Leuze/Epping: Hochschulgesetze NRW, Kommentar, Loseblattsammlung, 8. Lfg. (November 2009) § 3 KunstHG, RdNr. 1-12 zu den Aufgaben der Kunsthochschulen. 8  |  Vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 KunstHG: »Ziele der künstlerischen Lehre und des künstlerischen Studiums sind die Entwicklung von Künstlerpersönlichkeiten, die Stärkung künst-

Peter M. Lynen: Kunsthochschulen und Kunstmarkt — Funktionen und Wechselwirkungen

Heutzutage sind »die Kunsthochschulen« (auch die im obigen »engeren« Sinne als Hochschulen der bildenden Kunst) indes nicht als vollständig homogene Gruppe mit einem überregional identischen Selbstverständnis anzusehen, sondern bilden eine diversifizierte Landschaft, wie das im tertiären Bildungsbereich auch sonst und zunehmend seit einigen Jahrzehnten der Fall ist. Die – auch von den staatlichen Trägern und der Hochschulpolitik postulierte – Profilbildung unterstreicht dies. Dabei kann man zusammenfassend drei Gruppen der Hochschulen für bildende Kunst ausmachen, die insbesondere für das Verhältnis dieser Hochschulen untereinander und auch bezüglich der Kulturwirtschaft und der externen Kulturbetriebe bedeutsam sind:

(a) Die »klassischen« Kunstakademien 9 Diese lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie Studienangebote der freien bildenden Kunst (Malerei, Bildhauerei, Freie Grafik) vorsehen (oft nicht in getrennten Studiengängen nach solchen Sparten, sondern als »freie Kunst« insgesamt) und damit Beruf und Berufung des bildenden Künstlers (als eines selbständigen Unternehmers) im Fokus haben. Insoweit gehört freilich auch die Lehrerausbildung (Kunsterzieher an allgemeinbildenden Schulen) zum traditionellen Profil dieser Akademien, obwohl es sich dort um pädagogische Berufe im Angestellten- oder Beamtenverhältnis handelt. Denn solche Studiengänge stehen in dieser Hochschulgruppe unter dem Verständnis, dass auch die Kunsterziehung verlangt, dass der Unterrichtende von der eigenen Erfahrung des Kunstschaffens ausgeht und nicht nur »über« Kunst vermittelnd doziert. Beide Gruppen von Studiengängen folgen daher mehr oder weniger dem Leitbild des Künstlers als eines Schöpfers persönlicher Werke, der möglichst selbstbestimmten Intentionen des künstlerischen Ausdrucks und seiner Berufung folgt. Das zu erarbeitende Werk und die jeweils eigenständige Künstlerpersönlichkeit des künstlerischen Nachwuchses stehen im Vordergrund der hochschulischen Bemühungen und nicht die jeweils möglicherweise in Frage kommenden »Märkte« oder beruflichen Tätigkeitsfelder. Dennoch können Teilgebiete des Marktgeschehens (dazu später) auch in dieser Hochschulgruppe nicht völlig ausgeblendet werden.

lerischer Fähigkeiten, die Vermittlung künstlerischer und kunstbezogener Kenntnisse und Fertigkeiten und unter Berücksichtigung der Anforderungen und Veränderungen in der Berufswelt und der fachübergreifenden Bezüge die Vorbereitung auf künstlerische und kunstvorbereitende Berufe.« 9 | Als Beispiele können in NRW die Kunstakademien in Düsseldorf und in Münster genannt werden.

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Kunstmarkt II: Akteure

(b) Die Kunsthochschulen mit angewandten Künsten 10 Diese Hochschulen bieten im Hinblick auf die unter (a) erwähnten Studiengänge zusätzlich, überwiegend oder sogar ausschließlich Curricula an, die sich auf angewandte Künste beziehen (angewandte Grafik, Design mit verschiedenen gegenstandsbezogenen Bereichen, visuelle Kommunikation mit unterschiedlichen Ausgestaltungen, weitere gestalterisch oder restaurierend ausgerichtete Angebote). Damit können definierbare Produkt- und Projektbezüge bereits im Mittelpunkt des Studiums und der Lehre stehen, welche eher zu zweckgerichteten Überlegungen und diesbezüglichen programmatischen Gestaltungen führen können. Während der unter (a) genannte Bereich in einer gewissen Wettbewerbsund Abgrenzungssituation mit (einigen) Universitäten steht (vor allem in Bezug auf die künstlerischen Lehramtsstudiengänge), zeigen sich hier Überschneidungen und Konkurrenzen vor allem mit den Fachhochschulen, welche (oft) die früheren Werkkunstschulen übernommen haben. Der Praxis- und Marktbezug ist konkreter und kann sich auf besondere Teilmärkte der Kulturwirtschaft (z.B. des Teilmarkts »Design«) beziehen.

(c) Die Kunsthochschulen mit besonderer medialer Ausrichtung 11 Diese Hochschulen haben sich besonders darauf eingestellt, dass die Kunst den Wandel medialer Ausdrucksformen sowohl übernimmt als auch gestaltet und beeinflusst. Insoweit zeigen sich insbesondere Konkurrenzen mit den Hochschulen für darstellende Künste, welche überwiegend den Musikhochschulen zugerechnet werden. So kann es Studiengänge im Film-, Foto-, Ton- und Bildbereich in beiden Gruppen (Kunst- und Musikhochschulen) geben, wozu Überschneidungen und Kooperationen mit Fachhochschulen und Universitäten – besonders in Richtung von Ingenieurausbildungen – kommen können. Auch hier ist die eher als beim Typ a mögliche Marktorientierung durch bestimmte Tätigkeits- oder Anwendungsbereiche (innerhalb der Medien) gekennzeichnet: Wenn z.B. eine Filmhochschule oder eine Kunsthochschule für Medien diesbezügliche Entwicklungs- und Produktionsbereiche in ihrem Studienprogramm abdeckt, zeigt sich damit ein besonderer Praxisbezug, der sich auch mit dem entsprechenden Marktgeschehen auseinanderzusetzen hat. Diese drei Untergruppen der Kunsthochschulen sind eher idealtypisch zu verstehen. In der Praxis kommen Mischformen vor, wobei allerdings zu verzeichnen ist, dass sich die Gesamtprägungen im Sinne dieser Modelle durchaus auch auf die Studienangebote auswirken können, die auf den ersten Blick aus dem Rahmen dieser drei unter (a) bis (c) genannten Gruppierungen fallen.12 Z.B. wird eine 10  |  Als Beispiel kann die Hochschule für Gestaltung Offenbach genannt werden. 11  |  Als Beispiel kann in NRW die Kunsthochschule für Medien Köln genannt werden. 12  |  Z.B. gibt es an der Kunstakademie Düsseldorf einen Studiengang Architektur unter

Peter M. Lynen: Kunsthochschulen und Kunstmarkt — Funktionen und Wechselwirkungen

Kunsthochschule mit überwiegenden Angeboten der angewandten Kunst nach dem Modell (b) möglicherweise den Kunstbezug und Anforderungen der Praxis anders gewichten als eine Hochschule, welche sich den freien Künsten nach dem Modell (a) vorrangig verpflichtet fühlt, auch wenn die jeweilige Hochschule sich zusätzlich dem diesbezüglich »anderen« Angebot mit speziellen Curricula widmet. Denn es gibt z.B. auch Angebote der freien Kunst an stärker angewandt orientierten Hochschulen und angewandte Angebote an Kunstakademien. Die Profilbildungen der Kunsthochschulen zeitigen demnach durchaus unterschiedliche und auch individuelle Züge. In der Konferenz der Rektoren und Präsidenten der deutschen Kunsthochschulen13 zeigen sich folgerichtig dazu einerseits die gemeinsamen Charakteristika als Hochschulen der bildenden Kunst, anderseits werden die unterschiedlichen und ortsbezogenen programmatischen, strukturellen und personenbezogenen Ausprägungen deutlich. Das kann je nach Gegenstand der Erörterungen zu Konsensen oder Dissensen innerhalb solcher Konferenzen führen. Unterschiede können deshalb auch bestehen hinsichtlich der praktischen Umsetzungsmöglichkeiten in künstlerisch-technischen Einrichtungen (Werkstätten). Vielfalt, Ausstattung, Organisation und personelle Zusammensetzung dieser Werkstätten sind nicht an allen Hochschulen gleich. Meist wird die Lehre hier nicht durch Professoren ausgeübt, sondern ist dem akademischen »Mittelbau« zugeordnet. In diesem Zusammenhang sind über die künstlerischen und künstlerischangewandten Disziplinen hinausgehend die Wissenschaften (Kunst- und Medienwissenschaften) nicht nur an den Universitäten beheimatet, sondern auch an den Kunsthochschulen. Auch diesbezüglich gibt es kein einheitliches Bild, sondern ein breites Spektrum, welches über die Gewährung und Ausübung des Promotions- und Habilitationsrechts sowie dementsprechende personelle und sonstige universitätsadäquate Ausstattungen in den kunstbezogenen Wissenschaften (auch innerhalb eigener Fachbereiche) an einigen Kunsthochschulen bis zu denjenigen reicht, die eher von einem additiven »Theorieangebot« und einzelfallbezogenen sowie lediglich ergänzenden Studienanteilen ausgehen. Auch sind diesbezügliche Kooperationen mit Universitäten möglich. Dadurch ergeben sich auch verschiedene Ausprägungen des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft sowie der Förderung künstlerischer Entwicklungsvorhaben und der Forschung14 innerhalb der jeweiligen Hochschulen. Jedenfalls sind an Kunsthochschulen dem Titel »Baukunst«. Dies zeigt exemplarisch die im obigen Text erwähnte Verbindung des allgemeinen »freikünstlerischen« Profils mit den Notwendigkeiten eines »angewandt«künstlerischen Studiengangs. 13 | Vgl. Bericht über die Konferenz deutscher Kunsthochschulen vom 17.-19.05.2013 unter http://hellelife.de. 14  |  Ausführlicher dazu Peter M. Lynen, in: Forschung & Lehre, März 2011: Die Verleihung des DR. art. und Dr. mus. Ein Bärendienst für Kunst und Wissenschaft.

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Kunstmarkt II: Akteure

Lehrende anzutreffen, die unterschiedlichen Einstellungskriterien (künstlerischer oder wissenschaftlicher Art) unterliegen, was auch hochschulrechtlich seinen Ausdruck findet.15 Hinsichtlich der »Bologna-Reform« mit der Umstellung früherer Studiengänge auf das heutige Bachelor-Master-System zeigten sich die Kunsthochschulen insoweit sperrig,16 als sie dezidiert auf unterschiedliche Ausgangslagen, besondere Traditionen und spezifische Studienziele sowie kunstadäquate Lehr- und Prüfungsmethoden hinwiesen. Es wurde auch betont, dass ein besonderes Verhältnis zur beruflichen Praxis und den relevanten Märkten bestünde und sich daraus konkrete Konsequenzen ergeben müssten. Als Ergebnis dieser Meinungsbildung kann nicht von einer gesamtdeutschen und umfassenden Einführung dieses Systems auf alle Kunsthochschulen und deren Studiengänge gesprochen werden,17 wie das für die Hochschulprüfungen an Universitäten und Fachhochschulen der Fall ist. Allerdings ist inzwischen eine große Zahl der Länder und der Kunsthochschulen grundsätzlich den »Bachelor-Master«-Kategorien gefolgt und das Bologna-Modell deutscher Prägung hat sich als Regelfall aufgrund des hochschulpolitischen Drucks auch hier weitgehend durchgesetzt. Es sind aber gleichzeitig auf diesem Feld gewichtige Ausnahmen festzustellen. Insbesondere sind traditionelle Studienverläufe, Abschlüsse, Bezeichnungen und Ehrungen (wie die Ernennung zum »Meisterschüler«) erhalten geblieben. Diesbezüglich konnte wenigstens ein Teil der Kunsthochschulen seine besonderen Lehrveranstaltungsformen und die Offenheit künstlerischer Curricula (z.B. das Atelierstudium und die Zuordnung zu Künstlerklassen) »retten«, Tendenzen der »Verschulung« entgegenwirken und erreichen, dass die Einheit künstlerischer Studien nicht modular zerstückelt und innerhalb eng definierter Kurse mit »credit points« abgeprüft wird. Das betrifft besonders Kunsthochschulen nach dem obigen Typ (a). Auch an dieser Stelle zeigt sich die Differenzierung innerhalb der Kunsthochschullandschaft. Am Rande sei bemerkt, dass dieses Beharren auf besondere künstlerische Strukturmerkmale das hohe internationale Ansehen (bei hochschulbezogenen Differenzierungen) dieser deutschen Kunsthochschulen, welche insgesamt über beachtliche Prozentzahlen ausländischer Lehrender und Studierender bei einer hohen Zahl von jährlichen Studienbewerbungen aus dem Ausland verfügen, nicht verringert, sondern erhalten und eher gesteigert hat.. 15  |  Vgl. § 29 KunstHG NRW, der in Abs. 1 und 2 deutlich zwischen den künstlerischen und wissenschaftlichen Professoren hinsichtlich der Einstellungsvoraussetzungen differenziert. 16  |  Vgl. politik und kultur, Zeitung des Deutschen Kulturrats, Nr. 01/07 (Jan/Febr. 2007), S. 15-18 mit mehreren Artikeln und Stellungnahmen zum Bologna-Prozess an Kunsthochschulen einschließlich einer Erklärung der damaligen Vorsitzenden der Rektorenkonferenz der Kunsthochschulen, Karin Stempel (S. 15, 16). 17  |  In NRW sind die Kunsthochschulen im Bezug auf die Studiengänge der freien bildenden Kunst per Gesetz von der Bologna-Reform ausgenommen; in Bezug auf andere künstlerische Studiengänge sind weitere Ausnahmen möglich. Vgl § 52 Abs. 4 Satz 2 KunstHG NRW.

Peter M. Lynen: Kunsthochschulen und Kunstmarkt — Funktionen und Wechselwirkungen

Fazit dieses Abschnittes ist, dass man zwar auf einige kunsthochschulübergreifende Prinzipien zurückgreifen kann, aber auch die jeweilige Kunsthochschule mit dem ihr eigenem Profil zu prüfen hat wenn man ihr »Wesen« genauer erkunden und beschreiben will.

2. Z um W erk - und W irkbereich der K ünste und zu G edanken des W e t tbewerbs Die Unterscheidung zwischen dem Werk- und dem Wirkbereich der Künste stammt zwar aus der verfassungsrechtlichen Diktion und Beurteilung des Grundrechts der Kunstfreiheit,18 ist aber auch für das Verhältnis der Kunsthochschulen zum Kunstmarkt von Bedeutung. Mit dem Werkbereich ist die Gesamtheit der Entstehungsprozesse künstlerischer Produkte gemeint, mit dem Wirkbereich die Gesamtheit der Vermittlungsprozesse. Im Werkbereich sehen wir den Künstler im Atelier bzw. unmittelbar bei der künstlerischen Arbeit. Er und sein Werk stehen im Fokus dieses Bereichs. Der Wirkbereich ist dagegen nicht nur eine Domäne des Künstlers selbst, sondern umfasst darüber hinaus Intentionen und Tätigkeiten aller Personen und Institutionen, welche an der Verbreitung, Ausstellung, Veröffentlichung und Vermittlung von Kunst teilhaben (Galeristen, Verlage, der Kunsthandel auf dem primären und dem sekundären Kunstmarkt, urheberrechtliche Verwertungen etc.). Das bezieht sich zum einen auf die grundrechtliche Gewährleistung, da die Kunstfreiheit insoweit weit über eine »Künstlerfreiheit« hinausgeht und sich außer den »Produzenten« von Kunst auch auf die Vielzahl der Personen erstreckt, die Kunst verbreiten und vermittelnd in Bezug auf alle Formen von Kunstwerken tätig werden, z.B. durch die große Bandbreite von Veröffentlichungs- und Verbreitungsmöglichkeiten. Auch ein Verleger oder ein Galerist kann sich auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen. Das »Kunstschaffen« und die »Kunstvermittlung« sind verfassungsrechtlich grundsätzlich gleichermaßen geschützt. Zum anderen prägt der Zusammenhang beider Bereiche die berufliche Praxis, das Marktgeschehen und die Verbindung der Subsysteme von Kunsterzeugung und Kunstvermittlung. Damit verdeutlicht sich ein unterschiedlicher Ansatz zwischen den Kunsthochschulen und dem Kunstmarkt: Die Kunsthochschulen fühlen sich zunächst vorrangig dem Werkbereich und der ideellen sowie bildungsbezogenen Unterstützung des künstlerischen Nachwuchses verpflichtet. Ihre Vermittlungsaspekte beziehen sich primär auf Bildung, Lehre und Studium, nicht auf Verbreitung und Veräußerung der erzielten Ergebnisse. Der Markt hingegen ist ein Forum für den Wirkbereich und die materielle sowie kommerzielle Bewertung, Verbreitung und Verteilung künstlerischer Leistungen und Produkte. Seine Vermittlungsprozesse unterliegen primär materiellen und wirtschaftlichen Zielen und Strukturen. Na18  |  Grundlegend dazu ist die Mephisto-Entscheidung des BVerfG. Vgl. BverfGE 67, 213.

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Kunstmarkt II: Akteure

türlich braucht der Markt das Werk und ist auch in der Lage, werkbezogene Entstehungsprozesse zu beeinflussen, so wie die Hochschulen nicht nur dem Werk, sondern auch dessen Wirkung verpflichtet sind und diese zu erreichen oder zu stärken trachten. Auf Letzteres wird noch zurückzukommen sein. Eine solche Aufgabenzuordnung ist daher mit fließenden Grenzen sowie Wechselwirkungen versehen und beinhaltet keineswegs eine apodiktische Zweiteilung. Die jeweilige Schwerpunktsetzung indes überhaupt nicht wahrzunehmen, zu untersuchen, zu würdigen und – auch in der Praxis – zu beachten, stellt aber eine Quelle von Missverständnissen und Vorurteilen dar.

Wettbewerb Wettbewerb ist damit ein bestimmendes Prinzip für beide Bereiche. Auch hier zeigen sich indes unterschiedliche Ansätze, Schwerpunkte und Maßstäbe. Der Wettbewerb auf dem Markt ist ein anderer als der Wettbewerb innerhalb der Kunsthochschulen und derjenige zwischen diesen. Die Konkurrenzverhältnisse der Hochschulmitglieder untereinander beginnen hinsichtlich der Studierenden bereits bei den oben erwähnten Auswahlprozessen vor Beginn des Studiums. Der Prozentsatz derjenigen Studienbewerber, die in dem Sinne Erfolg haben, dass sie zum Studium zugelassen werden, bewegt sich – bei örtlichen Unterschieden – im ein- bis kleinen zweistelligen Bereich (von deutlich unter 10 % bis gelegentlich ca. 20 %), d.h. die große Mehrzahl der Studienbewerber wird von den Kunsthochschulen abgewiesen. Wenn man bedenkt, dass heute die meisten erfolgreichen Künstler eine Hochschulausbildung durchlaufen haben und der künstlerische Autodidakt eine zwar noch nicht völlig ausgestorbene Spezies darstellt, aber doch zur seltenen Ausnahmeerscheinung geworden ist, wird die den Markt beeinflussende Bedeutung dieser hochschulischen Selektionsverfahren deutlich. Man kann zwar nicht sagen, dass jeder, der zum künstlerischen Studium zugelassen wird, später beruflich reüssieren wird. Insoweit finden von diesen Verfahren getrennte markttypische und im Einzelfall schlecht prognostizierbare Mechanismen statt, die ebenfalls nur zu sehr kleinen – leider meist nur einstelligen – Prozentsätzen der Absolventen als »erfolgreiche Künstler« führen.19 Umgekehrt lässt sich aber feststellen, dass die beruflichen Chancen der nicht zum Studium Zugelassenen auf den kunstbezogenen Märkten und überhaupt im künstlerisch-professionellen Bereich gegen Null tendieren. Diese Personengruppe wird heutzutage auf die Bereiche der Liebhaberei und von Amateuren verwiesen. Das gilt nicht nur in den Systemen des Steuerrechts und der Künstlersozialversicherung, sondern auch in denen von Markt und Gesellschaft insgesamt.

19  |  Vgl. Hans Peter Thurn, Künstler in der Gesellschaft, eine empirische Untersuchung, Opladen 1985.

Peter M. Lynen: Kunsthochschulen und Kunstmarkt — Funktionen und Wechselwirkungen

Den Hauptmaßstab für solche Entscheidungen im jeweiligen Wettbewerb bildet an den Kunsthochschulen indes nicht die (zu vermutende) Marktfähigkeit der Bewerber, sondern deren künstlerische und diesbezüglich studiengangsbezogene Befähigung. Man prüft, ob die Bewerber sich für das beantragte künstlerische Studium eignen und trifft damit eine gewisse Prognose über den angestrebten Studienerfolg, nicht aber über mögliche Erfolgschancen auf dem Markt. Entsprechend den oben erwähnten Eingruppierungen der Kunsthochschulen geht es dabei um ein Spektrum von Begabung und Fertigkeiten, deren Verhältnis die jeweilige Hochschule festlegt. Daher können Bewerber durchaus sehr unterschiedliche Erfolge an den verschiedenen Hochschulen haben und man kann nicht von einem einheitlichen Maßstab der Begabungsfeststellung reden. Es macht auch wenig Sinn und hat kaum Erfolg, sich bei der ablehnenden Entscheidung einer Hochschule darauf zu berufen, dass man woanders als geeignet angesehen worden ist oder bereits Erfolge vorweisen konnte. Die heutige hochschulpolitische Tendenz zur »Anrechnung von Leistungen« findet hier ihre Grenzen. Insoweit kann z.B. gelegentlich »Technik« und »Perfektion« sogar hinderlich sein (vor allem in den Studiengängen der freien Kunst), weil dadurch auf eine mangelnde Entwicklungsfähigkeit und Offenheit geschlossen wird. Das Konfliktpotenzial zwischen »Künstlerpersönlichkeit« und »Berufsvorbereitung« zeigt sich bereits an dieser Stelle. Innerhalb der Kunsthochschule erhalten die aufgenommenen Studierenden sodann Freiräume (bei Differenzierungen gemäß den oben skizzierten Untergruppen a-c) unter der Erwartung, dass sie selbst diese zu begreifen und ebenso individuell wie kraftvoll auszufüllen haben. Der oben erwähnte Widerstand gegen die Bologna-Reform und damit verbundene »Verschulungen« künstlerischer Studiengänge bezog sich insbesondere darauf, dass man begründet befürchtete, derartige Freiräume nicht mehr anbieten und garantieren zu können. Der Künstler »in Einsamkeit und Freiheit« ist Fiktion und Postulat zugleich. Die Kunsthochschulen (in unterschiedlicher Ausprägung gemäß den Teilgruppen a-c) halten aufrecht, dass man Künstlerpersönlichkeiten zwar durchaus fördern kann und soll, deren Entwicklung aber einen wesentlich von den Studierenden selbst zu gestaltenden und zu verantwortenden Prozess darstellt. Diesbezüglich sind diese keineswegs »Kunden«, wie hochschulpolitisch gelegentlich unterstellt wird, sondern wesentliche Mitproduzenten des Produkts Studium. Anderseits sind Kunsthochschulen keine »Elfenbeintürme«, die sich gegen Strömungen und Entwicklungen der Gesellschaft und des Kunstbetriebs abschotten können. Dies ist nicht erst durch Joseph Beuys und dessen Topos der »sozialen Plastik« deutlich geworden.20 Der Wettbewerb zwischen Künstlern und das Streben nach Anerkennung finden somit »intra« und »extra muros« der Kunsthochschulen statt. Sie können innerhalb einer Künstlerklasse oder in Studierendengruppen mittels hoch20  |  Vgl. Joseph Beuys, Jeder Mensch ein Künstler – Auf dem Weg zur Freiheitsgestalt des sozialen Organismus.

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schulinterner Kriterien beginnen und im Kunstbetrieb sowie dem Kunstmarkt außerhalb der Hochschulen unter marktbezogenen Kriterien enden. Die Hochschulen können im besten Fall einen geschützten und künstlerischen Idealen gewidmeten »Freiraum« (mit Ateliers, Werkstätten, kunstpraktischen und kunstwissenschaftlichen Angeboten der Lehrenden, auch mit dem Austausch der Studierenden untereinander) bilden, der auf Zeit den Studierenden ermöglicht, eigene Entwicklungen zu erkennen, zu formen und zu stärken. Dieser Vorzug wird von nicht wenigen Absolventen der Kunsthochschulen hervorgehoben und auch Jahre nach Verlassen der Hochschule gewürdigt. Insoweit kann die Hochschule den künstlerischen »Blick nach innen« in Bezug auf kunstbezogene Potenziale stärken, ohne die Außenwelt aussperren zu können oder zu wollen. Sie kann sich als Hort der Künstlerförderung in einem stärker ideellen und bildungsbezogenen als materiellen und marktbezogenen Sinne verstehen. Das wird auch seitens der Kunsthochschulen und deren Vertretern ausdrücklich gefordert, ohne dass man diesbezüglich von einem völlig umfassenden Konsens ausgehen kann.

Kunsthochschulen als Teil des (öffentlichen) Kunstbetriebs Repräsentanten und Mitglieder von Kunsthochschulen vertreten daher zum Verhältnis von Werk- und Wirkbereich durchaus unterschiedliche Ansichten. Das kann man beispielhaft am Stellenwert von Ausstellungen als einer typischen Aktivität für den Wirkbereich festmachen. Die Kunsthochschulen sind längst nicht ausschließlich Ausbildungsstätten und Orte der Kunstausübung, Lehre und Forschung, sondern haben sich auch als Teil des (öffentlichen und staatlich geförderten) Kulturbetriebs etabliert.21 Die eine gesamte Kunsthochschule betreffenden »Rundgänge« als große und regelmäßig wiederkehrende Ausstellungs»events« mit bis zu fünfstelligen Besucherzahlen in wenigen Tagen sowie eine Vielzahl von kleineren Ausstellungen, welche einzelne Klassen, Studierendengruppen, spezifische Projekte und auch andere Gruppen von Hochschulmitgliedern betreffen können, haben ein erhebliches Ausmaß angenommen. Dies wird ggf. begleitet durch Vortragsveranstaltungen, Kataloge und weitere Veröffentlichungen, welche von den Hochschulen produziert oder gefördert werden. Solche breit aufgestellten Aktivitäten und Projekte gehen weit über »Öffentlichkeitsarbeit« als Sekundäraufgabe von Hochschulen hinaus und reichen deutlich in den marktbezogenen Bereich künstlerischer Produktionen. Bei den oben unter (b) und (c) genannten Hochschulgruppen (z.B. denen mit Filmproduktionen) wird das gelegentlich noch offensichtlicher. Es handelt sich durchaus um den Wirkbereich der Kunst als Teil der Kunstausübung, die insoweit auch eine primäre Hoch21  |  Am Rande sei bemerkt, dass dies an den Musikhochschulen nicht anders ist, deren Veranstaltungswesen quantitativ und qualitativ mit öffentlichen Konzerthäusern Schritt hält.

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schulaufgabe darstellt. Die Verbindung mit hochschuleigenen Sammlungen und musealen Möglichkeiten, die ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kann nicht nur die oben geschilderten Tradition aus der Entstehungszeit von Kunstakademien aufgreifen, sondern auch diesem erweiterten Aufgabenverständnis Rechnung tragen. Eine derartige Entwicklung wird nicht nur begrüßt, sondern auch kritisch gesehen. Dabei geht es vor allem um die Fragen, inwieweit das Marktgeschehen aufgrund solcher Ausstellungs-, Veröffentlichungs- und Produktionsaktivitäten die Hochschule und ihre »eigentliche« Aufgabenerfüllung zu beeinflussen in der Lage ist und sein darf. Ursprünglich hatten Ausstellungen der Hochschulen vor allem den doppelten Zweck der hochschulinternen Leistungsschau einerseits (Vergleich der Künstlerklassen und der Studierenden als Gesamtheit) und denjenigen der hochschulexternen Information der Öffentlichkeit anderseits (als Präsentation einer öffentlichen Einrichtung über die von ihr und in ihr erzielten Ergebnisse). Es ging also zum einen um den hochschulinternen Wettbewerb und zum anderen um die Referenz des Geleisteten nach außen, auch im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit. Wenn die Ziele von Ausstellungen und anderen Hochschulproduktionen nun darüber hinausgehen und diesen mehr und mehr kommerzielle und Karrieren fördernde Bedeutungen zuwachsen sowie dadurch bei den Studierenden früh (bereits von Beginn des Studiums an) marktkonformes Verhalten erzeugt oder verstärkt wird, wird es aus der Sicht der Hochschulen, deren Aufgabenzuweisungen und gerechtfertigten Traditionen problematisch. Dies gilt umso mehr, wenn Marktteilnehmer (Galeristen, Kunsthändler) gezielt und recht unverblümt die Hochschulen aufsuchen, zu beeinflussen versuchen und insbesondere ihre eigenen Wertmaßstäbe mit Zukunftswirkungen aufzustellen oder durchzusetzen anstreben bzw. den Nachwuchs »entdecken« und »vermarkten« wollen. All das geschieht auch in der Tat bei allerdings örtlich erheblichen Unterschieden. Die Kunsthochschulen sind indes kein unselbständiger Bestandteil des Kunstmarktes, ihr primärer Bildungs-, Kultur- und Kunstauftrag ist ein anderer. Hier zeigen sich sowohl Wechselwirkungen zwischen Markt und Hochschule als auch deren grundsätzliche Aufgabentrennung. Dennoch gehört es auch zu den Aufgaben der Kunsthochschulen, nicht nur derartige Mechanismen des Wirkbereichs zu bedenken und zu untersuchen, sondern auch den Studierenden Möglichkeiten zu eröffnen, sich den Anforderungen des Wirkbereichs zu stellen und dahingehende Fragen auf einem adäquaten Hochschulniveau (also durch Lehre, Studium und Forschung) zu beantworten. Dies umfasst das Ziel, den Absolventen künstlerischer Studiengänge diesbezüglich nützliche Kenntnisse zu vermitteln und ihre Fähigkeiten auch auf diesem Feld zu stärken. Dahingehend gibt es inzwischen Angebote, vor allem unter den Stichworten Kunst- und Kulturmanagement, die auch an Kunsthochschulen und in Ergänzung künstlerischer Studiengänge bestehen.22 Dies betrifft das Span22 | Vgl. www.ciam-koeln.de

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nungsfeld zwischen Beruf und Berufung, dem sich jeder Künstler auf seine Weise stellen muss und auf das noch im folgenden Abschnitt einzugehen ist. Wettbewerb findet auch zwischen den Kunsthochschulen selber statt. Das ist nicht nur hochschulpolitisch gewollt,23 sondern äußert sich beispielhaft in den bereits erwähnten studentischen Aufnahme- und den professoralen Berufungsverfahren. Es geht durchaus um die Frage, wer »die besten Köpfe« gewinnen kann und wie diese zum Hochschulerfolg beitragen. Dass sich der Vergleich von Institutionen, Leistungen und Ergebnissen auf künstlerischen Gebieten den bereits entwickelten und auf Universitäten und Fachhochschulen zugeschnittenen Verfahren der Evaluation, des Controlling, der leistungsbezogenen Mittelvergabe und Besoldung sowie der Qualitätssicherung weitgehend entzieht und besondere kunstadäquate Maßstäbe und Methoden erfordert, bedeutet nicht, dass kein Wettbewerb stattfände, sondern nur, dass er spezifischen Bedingungen unterliegt, die es zu beachten, zu untersuchen und zu gestalten gilt.24

3. Z um W esen und den A ufgaben des K unstmark ts im H inblick auf die K unsthochschulen Der Kunstmarkt und die Kreativwirtschaft stellen einen von drei Sektoren des Kunst- und Kulturgeschehens dar (Staat, Markt und dritter Sektor),25 welche alle für Kunst und Künstler von Bedeutung sind und die zwar ebenfalls fließende Grenzen enthalten, dennoch aber zunächst getrennt voneinander darzustellen sind.

Der staatliche Sektor Der erste und staatliche Sektor der Förderung der Künste durch die öffentliche Hand (in Deutschland auf den Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden) ist für die Kunsthochschulen nicht nur deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie ihm (meist) selber als (von den Bundesländern getragenen) Einrichtungen der tertiären Bildung mit den bereits beschriebenen zusätzlichen Aufgaben kultureller Betriebe angehören. Denn es kommt hinzu, dass die anderen Institutionen des öffentlichen Kulturbetriebs (Museen, Kunsthallen, Kommunen und Länder) für den Erfolg der (zeitgenössischen) Kunst und denjenigen ihrer Schöpfer von maßgeblichem Einfluss sind: Wer eine Einzelausstellung in einem wichtigen Mu23  |  Wettbewerb und Profilbildung gehören seit Jahren zu den wichtigsten Schlagworten der Hochschulpolitik, was auch in den Hochschulen selber »angekommen« ist. 24  |  In NRW werden beispielsweise die Kriterien der leistungsbezogenen Mittelvergabe, wie sie für die Universitäten und Fachhochschulen gelten und dort auch angewendet werden, für die Kunsthochschulen (zu Recht) nicht verwandt, da sie den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen. 25  |  Insoweit ist auf die anderen Beiträge dieses Buchs zu verweisen.

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seum oder sogar in mehreren renommierten öffentlichen Ausstellungsbetrieben durchführen konnte oder an für bedeutend erachteten Gruppenausstellungen teilnahm, muss sich kaum noch um seine künstlerische Anerkennung Sorgen machen. Der Erfolg der Künstler und auch des künstlerischen Nachwuchses wird nicht nur durch den kommerziell ausgerichteten Markt bestimmt, sondern auch in hohem Maße durch den öffentlichen Kulturbetrieb. Die Hassliebe von Kuratoren und Künstlern hat hier einen wesentlichen Ursprung. Man ist aufeinander angewiesen, muss aber die jeweils wichtigen »claims« immer wieder abstecken. Auch an dieser Stelle kommt das Verhältnis von Werk- und Wirkbereich erneut zur Geltung. Der Künstler will sein Werk zwar präsentieren, aber doch im Wesentlichen aus sich selbst heraus sprechen lassen oder er hat eigene – ggf. werkbezogene – Vorstellungen über die Art und Weise der Präsentation. Der Kurator will Zusammenhänge herstellen und Sichtweisen eröffnen und sieht darin seinen eigenständigen – einerseits künstlerisch schöpferischen, anderseits wissenschaftlich fundierten – Beitrag und die Rechtfertigung für seine Stellung im Kulturbetrieb. Dabei können kunstbezogene und außerkünstlerische Motive sowie die jeweiligen Kommunikationsbeziehungen (einschließlich möglicher Verpflichtungen innerhalb der Strukturen von Kunstbetrieben) eine Vielfalt von Verbindungen eingehen. Kunstimmanente und außerkünstlerische Motive (z.B. kulturpolitischer oder wirtschaftlicher Art) können zusammenfließen und tun dies auch nicht selten sowie mit mehr als nur marginaler Wirkung. Wer den Kulturbetrieb kennt, wird das mit eigenen Erfahrungen bestätigen.

Kunst als Wert und Ware An dieser Stelle ist auf die Doppelnatur von Kunst als Wert und Ware hinzuweisen. Dies sind die zwei Seiten der Münze Kunst. Die kulturelle und die wirtschaftliche Bedeutung von Kunst beeinflussen sich gegenseitig. Nicht nur juristisch kann man von »wertbildenden Faktoren« sprechen, die zwar nicht den Preis einer Ware darstellen, aber deutlich beeinflussen können.26 Man kann zwar nicht eine dieser beiden Kategorien des »Werts« und der »Ware« einem der drei Sektoren der Kunstförderung mit Ausschließlichkeitscharakter zuweisen, weil beide Seiten sich gegenseitig beeinflussen und auch in allen drei Sektoren des Kulturgeschehens von Bedeutung sind. Kunst unterliegt Tauschverhältnissen und multiplen Kommunikationsstrukturen,27 die sich nicht sektoral einengen lassen. Dennoch lässt sich tendenziell ausmachen, dass Kunst als Wert im ersten Sektor kulturstaatlicher Bemühungen einen besonderen Stellenwert hat. Jedenfalls handelt es sich um ein wichtiges – auch verfassungsrechtlich fundiertes – Postulat, 26  |  Ausführlicher zur Kunst als Wert und Ware Peter M. Lynen, Kunstrecht 1: Grundlagen des Kunstrechts, § 1 VII, S. 42-46. 27  |  Vgl. Hans Peter Thurn, Kunst und Geld: ein gleichwertiger Tausch? In CIAM – das zweite Jahr, Düsseldorf, Köln 2008, S.13-33.

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dass die Förderung der öffentlichen Hand einem Kulturauftrag des Staates – bei großen Gestaltungsspielräumen – unterliegt.

Der Sektor der Kultur- und Kreativ wirtschaft Die Kultur- oder Kreativwirtschaft als zweiter Sektor steht im Vordergrund nicht nur dieses Beitrags, sondern dieses Buches insgesamt. Daher soll an dieser Stelle nur kurz darauf hingewiesen werden, dass man diesen Bereich heute in ein Dutzend Teilmärkte (Musikwirtschaft, Buchmarkt, Markt der Bildenden Kunst mit seinem Primär- und seinem Sekundärmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt der Darstellenden Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt, Software/Games-Industrie und die sonstigen Bereiche) unterteilt, welche zusammengenommen von nicht unerheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung sind, aber kein in sich geschlossenes, sondern ein diversifiziertes Marktgeschehen umfassen. In Bezug auf die Kunsthochschulen können nicht nur der primäre und sekundäre Kunstmarkt als Markt der bildenden Kunst, sondern auch die anderen Teilmärkte mehr oder weniger relevant werden, wobei diesbezügliche Wechselwirkungen von der Ausrichtung der jeweiligen Hochschulen – s. oben die drei Gruppen unter 1 (a) bis (c) – abhängen. So ist offensichtlich, dass eine Kunsthochschule mit Studienangeboten im Design, der Architektur oder der Innenarchitektur mit den jeweiligen Teilmärkten und der diesbezüglichen beruflichen Praxis in Beziehung steht, während für eine Hochschule mit Studienangeboten der freien Kunst der primäre Kunstmarkt zunächst die wesentliche Anlaufstelle ihrer Absolventen darstellen wird. Demnach sind auch die Markt- und Praxisbezüge der einzelnen Kunsthochschulen nicht miteinander identisch. Diese Erwägungen zusammenfassend kann man darauf abheben, dass es im Marktgeschehen, nicht aber in der Hochschulwirklichkeit, fokussiert um die Seite »Kunst als Ware« unter den Bedingungen von Angebot und Nachfrage geht. Die wertenden Gesichtspunkte erhalten auf dem Markt eine warenbezogene Ausrichtung.

Beschäftigungsverhältnisse Aus der Sicht der Kunsthochschulen und des künstlerischen Nachwuchses zeigt sich im Bezug auf die freie bildende Kunst ein dramatisches Gefälle der selbständigen Erwerbsmöglichkeiten mit einem großen Bereich von Niedrigsteinkommen, einem nur schwach ausgeprägten Mittelstand und einer zahlenmäßig sehr kleinen Oberschicht an Höchstverdienenden.28 Nicht zuletzt das System der Künstlersozialversicherung spiegelt diese Sachverhalte wider.29 Die Kunsthoch28  |  Vgl. Thurn (Fn. 19) S. 26-34. 29  |  Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz mit seinen Unter- und Obergrenzen soll

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schulen haben wenig Einfluss auf diese Gegebenheiten, die durch Qualitätsanforderungen der künstlerischen Ausbildung kaum veränderbar sind. So entsteht der Eindruck, dass diese Kunsthochschulen für die »Erwerbs-« oder »Arbeitslosigkeit« produzieren (bei durchschnittlich mehreren hundert Studierenden pro Kunsthochschule). Dem Vorwurf kann man nur entgehen, wenn man auf die Unterschiede zwischen Hochschulbildung und Marktgeschehen verweist. Die Verantwortung der Kunsthochschulen umfasst nicht, externe Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten auf einem freien Markt zu schaffen, sondern nur, auf Risiken und Sachverhalte hinzuweisen und ihre Studierenden darauf kenntnisreich einzustellen. In erster Linie sind sie Bildungseinrichtungen und nicht der verlängerte Arm des Arbeitsmarktes. Dieser Aspekt wird zwar oft betont, kommt in der Diskussion aber auch nicht selten zu kurz. In den anderen Bereichen außerhalb der freien bildenden Kunst, die von den Kunsthochschulen mit Studiengängen betreut werden, kann man von einem zweigeteilten Beschäftigungsmarkt ausgehen. Es gibt einen »echten« Arbeitsmarkt mit Stellenangeboten und unselbständigem Arbeitseinkommen. Dieser ist geprägt durch weitgehend klare arbeits- und sozialrechtliche Strukturen bis hin zu Tarifverträgen und Arbeitgeber- sowie Arbeitnehmervertretungen. Tendenziell nimmt indes in künstlerisch geprägten Bereichen der »freie« Markt selbständiger Tätigkeit (auch zu Lasten des Arbeitsmarkts und Stellenangebots) zu, der wesentlich ungesicherter und einzelfallbezogener ist. Was oben für den Bereich der freien Kunst gesagt wurde, lässt sich auf Tätigkeitsfelder der angewandten Kunst (auch der Musik und darstellenden Kunst) – tendenziell zunehmend – übertragen.

Berufsfähigkeit und Berufsfertigkeit Damit rückt aus der Sicht der Kunsthochschulen insbesondere die Kategorie »Anforderungen der beruflichen Praxis« in den Fokus. Diesbezüglich unterscheiden sich die Kunsthochschulen zunächst nicht grundsätzlich von den anderen Institutionen des tertiären Bildungsbereichs. Denn es geht generell um das Spannungsfeld von »Berufsfähigkeit« versus »Berufsfertigkeit«. Seitens der Berufswelt werden nicht selten konkrete Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten gefordert, welche die Hochschulen in dieser Dichte und Konkretisierung nicht anbieten (können oder wollen). Nicht nur die Universitäten, sondern auch die Kunsthochschulen können sich dabei auf zweierlei berufen: Ihren besonderen Bildungsauftrag einerseits und den wichtigen Sachverhalt anderseits, dass sich berufliche Anforderungen an die Absolventen im Laufe eines Berufslebens stark gerade für die Künstler als freie Unternehmer, die sich eine angemessene Versorgung nicht selbst leisten können, ein hinreichender Versicherungsschutz geschaffen werden. Zum Künstlersozialversicherungsrecht vgl. Peter M. Lynen, Kunstrecht 2: Schwerpunkte des Kunstgewährleistungsrechts, § 8 Künstlersozialversicherungsrecht.

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verändern und es wichtiger ist, über ein solides Fundament an Bildung, Wissen und Können zu verfügen, als sich in aktuellen und schnelllebigen Einzelfragen der Praxis zu erschöpfen. Die Besonderheit der Kunsthochschulen hinsichtlich dieses Fragenkomplexes besteht darin, dass die künstlerischen Eigengesetzlichkeiten und Ziele nicht identisch sind mit den wissenschaftlichen. Auch wird erneut das Spannungsfeld zwischen Beruf und Berufung deutlich, mit dem sich vor allem der freie Künstler als selbständiger Unternehmer auseinanderzusetzen hat. Er muss einen eigenen Weg finden, wie er sich den Anforderungen der Kunst und denen des Marktes stellt, sie in einen für ihn akzeptablen Ausgleich bringt und dabei seine künstlerischen Ideale hinreichend erhält. Das ist ein schwieriger und prinzipiell das gesamte Künstlerleben umfassender Prozess. Derzeit spiegelt sich im tertiären Bildungsbereich die Tendenz wider, Studienangebote zu erstellen, die sich auf konkrete Tätigkeitsfelder bis hin zu beruflichen »Nischen« (an der Größe der Berufsangebote gemessen) ausrichten. Mit dem Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes30 kann hiervor nur gewarnt werden. Auch die Kunsthochschulen sind besser beraten, wenn sie sich auf ihre inhaltliche Kompetenz als Stätte künstlerischer Bildung beziehen, was keinesfalls ausschließt, praxisbezogen zu denken und die Aspekte der Umsetzung, Vermittlung und des Transfers künstlerischer Ideen und Ziele maßgeblich in Lehre und Studium zu berücksichtigen. Tagesaktualitäten und Forderungen, kleine, abgegrenzte und hochschulferne Tätigkeitsfelder marktkonform zu bedienen, sollten sie jedoch nicht hinterherlaufen.

4. Z u den S takeholdern in K unsthochschulen und auf dem K unstmark t Die an den Kunsthochschulen Lehrenden haben zwar – wie bereits erwähnt – regelmäßig selbst ein Studium absolviert, sind danach aber in den künstlerischen Fächern meist nicht unmittelbar »im System« Hochschule und in dadurch geprägten Lauf bahnen auf ihre Positionen als Hochschullehrer gekommen, wie das an Universitäten und in wissenschaftlichen Fächern meist (mit Ausnahmen, wie den Ingenieurwissenschaften) der Fall ist. Von einem Künstler wird erwartet, dass er sich (nach dem Studium) in der Welt der Kunst einen »Namen gemacht« und eine Stellung erworben hat, die von besonderem Wert ist. Diesbezügliche Wertmaßstäbe und Erfolgskriterien sind nicht primär materieller Art, wenngleich der künstlerische und der wirtschaftliche Erfolg Hand in Hand gehen können. Daher ist es keineswegs der Markt allein, der maßgeblich dazu beiträgt, ob ein Künstler an einer Kunsthochschule lehrende Positionen erreicht. Es ist auch nur am Rande 30  |  Interview von Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands zum Bologna-Prozess und dem »Wildwuchs« an Studiengängen in der Süddeutschen Zeitung vom 7.7.2013.

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die »pädagogische Eignung«, obwohl dies seit langem von der Hochschulpolitik gefordert wird und auch längst in hochschulrechtlichen Normen verankert ist. In der Praxis ist nach wie vor entscheidend, ob die »artistic community«, vertreten durch die Mitglieder der zuständigen Hochschulorgane, der jeweiligen Person den künstlerischen Stellenwert zuerkennt, den die zu besetzende Position und Funktion aus Sicht der Fachleute erfordert. Die Regel, dass erstklassige Personen (Künstlerinnen und Künstler) eher erstklassige Leute nach sich ziehen, weil sie die künstlerische Auseinandersetzung auf gleicher Augenhöhe nicht nur nicht scheuen, sondern gerade beabsichtigen, während Zweitklassige eher zu Drittklassigen neigen, damit sie im eigenen Hause erstklassig bleiben, ist nicht von der Hand zu weisen. Leider begegnet man in der Praxis nicht nur der erstgenannten Entscheidungsstruktur. Verfahren, die versuchen, externen Sachverstand in solche Entscheidungsfindungen zu bringen, können flankierend nützlich und empfehlenswert sein, ändern aber grundsätzlich nichts an derartigen Sachverhalten. Auch ein externer Gutachter wird darauf abstellen, ob und in welchem Verhältnis zu den Konkurrenten von einem Bewerber künstlerische Leistungen erbracht worden sind, die als hervorragend zu werten sind. Auch diesbezüglich wirkt sich die Ausrichtung der Kunsthochschule nach den oben skizzierten Modellen unter 1. (a) bis (c) aus. Bei einem freien Künstler kommt es weniger auf den Stellenwert im Kunstmarkt (im engeren Sinne) an als auf den innerhalb des gesamten Kunstbetriebs (auch und insbesondere des öffentlichen). Wird der kommerzielle Erfolg unter dem Kriterium der Kunst als Wert eher kritisch gesehen (z.B. bei »Kitschverdacht«), wird er bei Berufungsentscheidungen weniger zielführend sein. Es ist anderseits kein Hindernis, wenn sich solche wirtschaftlichen Erfolge mit den kulturellen Wertschätzungen decken (z.B. hinsichtlich der Aufnahmen von Werken eines Künstlers in öffentliche und private Sammlungen von Bedeutung und Bekanntheit). Insoweit sind Kunstkompasse und ähnliche Rankingmethoden (abgesehen von deren Gehalt an Objektivität) nicht von unmittelbarer Wichtigkeit für Berufungsentscheidungen, können aber indizierende Wirkungen aufweisen und fallbezogene Begründungen erleichtern. Auch kann sich vice versa die Stellung als Lehrender (Professor) an einer Kunsthochschule als karrierefördernd in den drei Sektoren der Kunstförderung auswirken, obwohl hier oft auf Titel und Hochschulzuordnungen nominell verzichtet wird. Dennoch werden die damit verbundenen Anerkennungen und auch die Wirkungen als Hochschullehrer von der community und den Stakeholdern des Kulturbetriebs durchaus wahrgenommen. Wechselwirkungen bestehen also auch hier. Der Satz, dass nichts erfolgreicher sei als der Erfolg, bildet ein durchaus zutreffendes Motto. Da von Personen, die in der künstlerischen Lehre tätig sind, erwartet wird, dass sie aus ihrer künstlerischen Arbeit heraus lehren, sind diese weiterhin in und für den Kulturbetrieb aller drei Sektoren tätig. Ein Künstlerprofessor kann daher weiterhin Akteur auf dem Kunstmarkt sein und verliert dieses Merkmal nicht automatisch durch Eintritt in eine Kunsthochschule. Das betrifft nicht nur

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die Hochschullehrer der freien Kunst, sondern bezieht sich auch auf weite Teile der angewandten Kunst, also prinzipiell auf alle drei Gruppen, die oben unter 1. (a) bis (c) genannt worden sind. An dieser Stelle soll nicht auf die recht schwierige und komplexe Problematik der Unterscheidung zwischen Hauptamt und Nebentätigkeit und andere beamten- und angestelltenrechtliche Fragestellungen (im öffentlichen Dienst) eingegangen werden, was diesen Beitrag sprengen würde.31 Es ist hier lediglich darauf zu verweisen, dass künstlerische Hochschullehrer nach wie vor im Kulturbetrieb der drei Sektoren beruflich tätig und wirksam sein können, was auch kein »Ausrutscher« oder »Ausnahmefall« ist, sondern systemimmanente Bedeutung hat. Unabhängig von der Rechtslage sind die betroffenen Personen gehalten, Interessenkonflikte zu minimieren. Der Wettbewerb, dem sie »draußen« ausgesetzt sind, ist – wie bereits ausgeführt – ein anderer als der hochschulinterne. Das gleiche gilt für die zu erfüllenden Aufgaben. Hochschulaufgaben und Marktgeschehen sind zweierlei. Dadurch ergibt sich durchaus ein unterschiedliches Rollenverständnis, dem Künstlerprofessoren – mehr oder weniger gleichzeitig – ausgesetzt sein können und das sie auch selbst gestalten müssen. Dies ist vielen Mitgliedern dieses Personenkreises auch keine unbekannte oder unbewusste Größe. Gelegentlich kommt in diesem Zusammenhang vor, dass ein erfolgreicher Künstler und Künstlerprofessor seine Lehrtätigkeit wieder aufgibt, weil er diese Doppelrolle als zu belastend empfindet. Problematisch kann die Vermischung dieser unterschiedlichen Rollen dann werden, wenn Interessenvertreter der Künstler »draußen« (z.B. Galeristen) innerhalb der Hochschulen Einfluss gewinnen wollen. Diesbezüglich sind nicht nur die einzelnen Mitglieder der Hochschulen und ihrer Gruppierungen (Gruppe der Professoren), sondern auch die Hochschulrepräsentanten und das -management (die Hochschulleitung) aufgefordert, solche Interessenteilungen zu erkennen, durchzusetzen und das Marktgeschehen so weit wie möglich aus der Hochschule zu halten. Die anderen Stakeholder des Kunstmarkts sollten derartige hochschultypische Anforderungen und Gegebenheiten bestenfalls verstehen und akzeptieren, wenigstens zur Kenntnis nehmen und befolgen. Das geschieht naturgemäß in örtlich unterschiedlicher Weise und unter verschieden ausgeprägtem Verständnis. An Universitäten spielen derzeit die Fragen eine große Rolle, wie das Verhältnis der Grundlagenforschung zu dem der angewandten Forschung mit Drittmittelförderung, insbesondere im Zusammenhang mit Transferleistungen und Aufträgen aus Wirtschaft und Industrie, zu gestalten ist und welchen Abhängig-

31  |  Ausführlicher dazu: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, Ein Handbuch für die Praxis, 2. Aufl. Heidelberg 2011. Dort insbesondere: Christina Lux-Wesener, Manuel Kamp, Die Kooperation des Wissenschaftlers mit der Wirtschaft und das Nebentätigkeitsrecht der Professoren, S. 331-369. Zu den Kunsthochschulen: Peter M. Lynen, S. 88-93 und S. 106-109.

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keiten man hier begegnen muss.32 An Kunsthochschulen findet diese Debatte bisher weniger und unter anderen Vorzeichen statt. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen ist das Auftrags- und Drittmittelangebot traditionell klein. Das trifft vor allem auf die Kunsthochschulen gemäß dem oben unter (a) erwähnten Typ zu, während die Kunsthochschulen der Teilgruppen (b) und (c) schon eher zur Erfüllung derartiger Anforderungen in der Lage sind. Zum anderen geht es grundsätzlich (mit Ausnahmen) nicht um Forschung, sondern um künstlerische Entwicklungsvorhaben oder um Aufträge der Kunstausübung. Fragen der Unabhängigkeit und des Einflusses auf die Aufgabenerfüllung der Kunsthochschulen können sich dann freilich analog der universitären Problemstellung ergeben. Auch zeigt sich hier gleichermaßen das Phänomen, dass damit betraute Hochschulmitglieder gleichzeitig zu Stakeholdern des Hochschulsystems einerseits und des Marktgeschehens anderseits werden.

5. Z usammenfassende S chlussfolgerungen Kunsthochschulen und Kunstmarkt sind unterschiedliche Gebilde. Sie folgen anderen Prinzipien, Zielen sowie Methoden und zeitigen verschiedene Ergebnisse. Die Kunsthochschulen sind aufgabenorientiert ausgerichtet mit einer (in Deutschland) starken Profilierung als Teil des staatlichen Bildungswesens einerseits und des öffentlichen Kulturbetriebs anderseits. Die Hochschulen und ihre Mitglieder unterliegen insoweit nicht der wirtschaftsbezogenen Privatautonomie wie der Markt, sondern berufen sich auf die der Kunst innewohnende Eigengesetzlichkeit und auf die grundrechtliche Verbürgung der Kunstfreiheit als Grundlagen ihrer Autonomie. Die Aufgabenorientierung der Kunsthochschulen ist normativ verankert und muss im öffentlichen Interesse stehen. Obwohl diese Institutionen – auf das Management bezogen – zunehmend auch ökonomische Kriterien aufweisen (im Rahmen des öffentlichen Haushaltswesens mit Budgetierungen oder Globalhaushalten unter den Geboten der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und auch unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Methoden), sind sie im Kern keine gewinnorientierten Unternehmungen. Sie sollen zwar ökonomisch verantwortungsvoll handeln und mit ihren Ressourcen (aus Steuermitteln) wirtschaftlich umgehen, verfolgen aber nicht primär umsatzbezogene Ziele, sondern unterliegen der Gemeinnützigkeit im Rahmen ihres gesetzlichen und gemeinwohlorientierten Aufgabenprofils. Diesbezüglich sind insbesondere verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche sowie satzungsbezogene Bindungen des (Kunst-)Hochschulrechts im Sinne von Rahmenbedingungen verbindlich. Das »Mission Statement« der Kunsthochschulen wird dadurch und durch Spielräume der Selbstverwaltung – auch 32 | Vgl. Fn 31, S. 332 RdNr. 3 und 4 zu den verschiedenen Interessen der Kooperationspartner.

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als Leitbildfestlegungen – gebildet. Öffentliche Bildungszwecke werden aufrecht erhalten, wobei es unterschiedliche Profilbildungen an den Kunsthochschulen und ihren Untergruppen gibt. Dies bezieht sich insbesondere auf das Spannungsfeld zwischen der »Entwicklung von Künstlerpersönlichkeiten« einerseits und der »Vorbereitung auf künstlerische Berufe« anderseits. Die Antinomie zwischen »Berufung« und »Beruf« beginnt nicht erst nach dem Studium, sondern prägt auch das Leben und den Wettbewerb an einer Kunsthochschule sowie denjenigen von diesen Institutionen untereinander. Im Zuge der heutigen Hochschulreformen nehmen einige Kunsthochschulen durchaus »konservative« Positionen ein, die sich dadurch auszeichnen, dass man ausdrücklich nicht utilitaristischen und vorgegebenen, sondern »zweckfreien« und kunstimmanenten Zielsetzungen und Methoden folgt, die weder politischen noch wirtschaftlichen Anforderungen oder Vorgaben unterliegen dürften. Andere – vor allem diejenigen mit anwendungsbezogenen künstlerischen Studiengängen – beziehen sich stärker auf jeweils anzutreffende Märkte und Praxisfelder, werden aber ebenfalls dadurch beeinflusst, dass sie die Besonderheiten kunstbezogener Entwicklungen zu beachten und zu pflegen haben. Der Markt ist für die Kunsthochschulen ein Beschäftigungs- und Arbeitsmarkt einerseits und das Feld für den Kunsthandel und die Kreativwirtschaft in den unterschiedlichen Bereichen und Sparten andererseits. Dabei umfasst »Markt« aus der Sicht der Kunsthochschulen und ihrer Mitglieder nicht nur die Kreativwirtschaft sowie den primären und sekundären Kunstmarkt im engeren Sinne, sondern erstreckt sich auch auf den öffentlichen Kulturbetrieb und den dritten Sektor. Die »Karriere« sowie die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten von Hochschulabsolventen und -mitgliedern beziehen sich auf alle drei Sektoren sowie deren Austauschbeziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen. Die Absolventen und Mitglieder der Kunsthochschulen finden den Markt nicht nur vor, sondern verändern ihn auch durch ihre Arbeit im Spannungsfeld von Kunst als Wert und Ware. Sie können gleichzeitig aktive Stakeholder in beiden Bereichen sein. Insbesondere viele Hochschullehrer kommen als ausübende Künstler aus der Praxis des öffentlichen und privaten Kulturbetriebs und finden auch nach der Berufung dort wesentliche Entfaltungsmöglichkeiten. Sie füllen Doppelpositionen und Doppelrollen aus, was durchaus zu wichtigen Wechselwirkungen führt. Im öffentlichen und auch von ihnen selbst betonten Erscheinungsbild tritt indes nicht selten die Rolle als Hochschullehrer (Beamter oder Angestellter, auch bei »Vollzeitverträgen«) hinter diejenige des schaffenden Künstlers zurück, welche auf den Kunstmärkten im Vordergrund der Wahrnehmung und Beurteilung steht. Die Doppelrolle wird zum einheitlichen künstlerischen Image verwandelt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Wechselwirkungen zwischen Kunsthochschulen und Kunstmarkt beachtlich und stärker sind, als dies vielfach wahrgenommen wird.

Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt Ulli Seegers Der Beruf des Galeristen sei der Traumjob im Kunstbetrieb, titelte eine Wochenzeitung im Herbst 2012 (Die Zeit, 20.09.2012). Die Mischung aus intellektuellem Glamour und unternehmerischer Risikobereitschaft sei es, die den Galeristen zur heimlichen Leitfigur des Betriebs mache. Grundlage der großen Attraktivität des Galeristenberufes ist die einzigartige Verbindung von inhaltlicher und kommerzieller Vermittlung von Kunst, die in Form eines selbstständigen Handelsunternehmens zudem ein flexibles und individuell gestaltbares Format darstellt. Der offene Begriff von dem, was eine Galerie ist oder sein kann, ist allerdings häufig auch der Grund für vielerlei Missverständnisse seitens der beteiligten Akteure. Tatsächlich bildet der ›Galerist‹ keine geschützte Berufsbezeichnung, so dass das Tätigkeitsfeld nicht klar umrissen ist. Ebenfalls vielfältig und heterogen ist der Ruf, der dem Galeristen/der Galeristin vorauseilt: Während die einen in ihm/ ihr als visionärem Entdecker zeitgenössischer Kunst den Dreh- und Angelpunkt des gesamten Kunstmarktes erkennen, verbinden die anderen eher einseitige Exklusivverträge und spekulative Preistreiberei auf Kosten der Künstler mit dem Berufsstand. Der Konnex zwischen intellektuellem Anspruch und Marktpräsenz, zwischen Kunst und Kommerz erscheint auf diese Weise gleichwohl faszinierend wie janusköpfig. Er bestimmt das Berufsbild jedoch von Anfang an, wie das Beispiel des Ahnvaters aller modernen Kunsthändler und Galeristen, Paul Durand-Ruel (1831-1922), zeigt. »Ein echter Kunsthändler muss gleichzeitig auch ein aufgeklärter Kunstliebhaber sein, der, wenn nötig, bereit ist, sein unmittelbares geschäftliches Interesse seiner künstlerischen Überzeugung zu opfern, und lieber gegen Spekulanten kämpft, als dass er sich an ihren Machenschaften beteiligt.« (Zit.n. Thurn, 1994, 105) Während die italienische galleria seit dem 16. Jahrhundert als langer, lichtdurchfluteter Bogengang eine Raumform bezeichnet und sich die Galerie im Kontext des Museumbaus seit Anfang des 19. Jahrhunderts auf einen kabinettähnlichen Architekturtypus bezieht (bzw. teilweise sogar synonym für das Museum verwendet wird), wird der Begriff im Zusammenhang mit bildender Kunst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als privatwirtschaftlich geführtes Geschäft verstanden, in dem zeitgenössische Kunstwerke ausgestellt, vermittelt und ver-

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kauft werden. Hintergrund ist die Entstehung autonomer Kunst, die den Künstler fortan dazu zwingt, unabhängig von Auftraggebern aus Aristokratie oder Klerus selbst eine Öffentlichkeit und einen Absatzmarkt für die eigenen Werke zu generieren. Die Selbstvermarktungsstrategien der Künstler und die Entwicklung einer breiten bürgerlichen Käuferschicht bilden den Hintergrund eines tiefgreifenden Wandels von der Auftragskunst hin zu einem offenen und dynamischen Markt für die nunmehr ›freie‹ Kunst. Die Notwendigkeit der Erschließung alternativer Vertriebswege manifestiert sich historisch an der 1884 in Paris gegründeten Künstlervereinigung Société des Indépendants, die auf die steigende Zahl der von der Jury des Salon de Paris zurückgewiesenen Künstler mit einem eigenen Salon des Indépendants antwortete. Anders als noch beim Salon des Refusés von 1863, eine von Napoléon III. selbst initiierte Parallelveranstaltung zum offiziellen Salon der Académie des Beaux-Arts, waren die ausstellenden Künstler nunmehr gänzlich unabhängig von der Anerkennung staatlicher Institutionen. Vor dem Hintergrund eigener Existenzsicherung traten die zeitgenössischen Künstler in den direkten Wettbewerb um die öffentliche Aufmerksamkeit und um die besten Absatzchancen. Das Auf begehren der Künstler der Moderne gegen den Ausschluss von öffentlichen Ausstellungsmöglichkeiten ruft auch die ersten Galeristen auf den Plan der Geschichte, die wie Louis Martinet den von staatlicher Seite nicht anerkannten Künstlern nunmehr selbst Möglichkeiten zur Präsentation ihrer Werke gaben. Als Prototyp eines risikobereiten Kunsthändlers gilt der bereits zitierte Durand-Ruel, der sich unter großem persönlichen und finanziellen Engagement der Vermarktung des dem Kunstgeschmack des Second Empire völlig zuwider laufenden Impressionismus verschrieben hatte und damit den Klagen vieler moderner Künstler begegnete, es gäbe für ihre innovative Kunst keine Vermittler. Überzeugt von der künstlerischen Qualität der impressionistischen Werke – von einflussreichen Kritikern als »Machwerke von Wahnsinnigen« tituliert (zit.n. Thurn, 1994, 107) –, propagierte er in eigenen Räumlichkeiten die neue Kunst wider den restaurativen Zeitgeist. Wirtschaftliche Schwierigkeiten bis zur Verschuldung waren die Folge, bis dass sich 1886 eine Ausstellungsmöglichkeit in New York ergab, die für den Galeristen und die gezeigten Impressionisten zu einem großen (Verkaufs-)Erfolg wurde. Eine eigene Galerie-Dependance an der Fifth Avenue erschien damit lukrativ. Die Kunst des französischen Impressionismus wurde damit über den Umweg Amerika auch in Frankreich bekannt. Für den transatlantischen Austausch hilfreich war eine französisch-amerikanische Kunstschrift, die Durand-Ruel unter dem bezeichnenden Titel L’Art dans les Deux Mondes herausgab. Auf diese Weise zeigt gleich einer der ersten Protagonisten des neuen Berufsstandes, worauf der galeristische Erfolg gründet: kennerschaftliches Kritikvermögen, finanzielle Ausdauer, internationale Vernetzung und kreative Kommunikationsstärke. Ein ausgesprochen lebendiges Galeriewesen ist seit der Jahrhundertwende zu beobachten. Zweifellos zählen Ambroise Vollard, Daniel-Henry Kahnweiler, Herwarth Walden, Heinrich Thannhauser, Paul Cassirer und Alfred Flechtheim

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

zu den wegweisenden Galeristen am Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie alle unterhalten repräsentative Räumlichkeiten, die an die veränderten Bedürfnisse für die ästhetische Erfahrung moderner Kunst angepasst sind: optimale Ausleuchtung durch Oberlicht oder künstliche Lichtquellen, einreihige Hängung mit genügend Abstand zwischen den Werken, Bibliotheken und Leseräume voller Informationen über die Künstler, allgemeine Trends und den Markt. Es werden Vorträge zur aktuellen Kunstentwicklung gehalten, Dichterlesungen veranstaltet und Konzertabende durchgeführt. In gewisser Weise treten die privaten Galerien damit die Nachfolge der bürgerlichen Salons an. Es erstaunt daher nicht, dass viele der neuen Unternehmungen den Begriff ›Kunstsalon‹ sogar im Namen tragen (vgl. Kunstsalon Cassirer). Zentral für die sich zusehends etablierende Galeriearbeit ist dabei der Einsatz für und die Zusammenarbeit mit zumeist noch unbekannten, jüngeren Künstlern, die der an Kunstakademien normativ gelehrten Kunstauffassung kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Neben das Entdecken und Ausstellen zeitgenössischer Kunst tritt die aktive inhaltliche Vermittlung neuer ästhetischer Positionen an ein breiteres Publikum in der Hoffnung, diese irgendwann auch verkaufen zu können. Mit den Abstraktionsbewegungen moderner Kunst geht sui generis eine erhöhte Kommentarbedürftigkeit einher, weshalb der Galerist nicht nur publizistisch aktiv werden muss (z.B. durch die Herausgabe eines Ausstellungskatalogs), sondern auch einführende Texte veröffentlichen und erläuternde Ansprachen halten muss. Das Verlegen von Mappenwerken oder günstigen Editionen erreicht eine größere Sammlerschaft als teure Unikate, weshalb sich dieses Medium gerade für die Popularisierung noch wenig bekannter Kunst anbietet. Das Schalten von Inseraten und das Lancieren redaktioneller Beiträge und Besprechungen in einschlägigen Zeitschriften bilden weitere Aufgaben des Galeristen, um über die zu schaffende Öffentlichkeit langfristig auch einen Markt für die bislang unbekannten Künstler zu erzielen. Im Gegensatz zum Kunsthändler, der in einem bereits existierenden Wettbewerbsumfeld als An- und Verkäufer etablierter Positionen und schon auf dem Markt befindlicher Werke agiert, muss ein Galerist also zunächst einen Markt auf bauen und erste Preise setzen. Ihm kommt im Primärmarkt daher die ungleich schwierigere und kostspieligere Aufgabe zu, eine Nachfrage für sein Angebot erst durch vielerlei Aktivitäten zu generieren. Der Kunsthändler hingegen kann, die erfolgreiche Galeriearbeit quasi voraussetzend, eine im Sekundärmarkt existierende Nachfrage durch passgenaue Angebote bedienen. Der Wiederverkauf von Kunstwerken bedarf dabei keinerlei Rücksprache mit dem Künstler, findet er doch ohne dessen direkte Beteiligung statt. Da der Kunsthändler die Werke damit nicht aus dem Atelier bezieht, stellen sich hier zwangsläufig Fragen der Authentizität und Provenienz. Der Versuch einer exakten Trennung zwischen Primärmarkt und Sekundärmarkt bzw. zwischen Galerie und Kunsthandel scheint dabei zeitweilig in Klischees abzudriften, wenn es heißt, ein Kunsthändler sei ein »geschickter und berechnender Geschäftsmann«, wohingegen ein Galerist vor allem ein »Liebhaber«

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der Kunst sei, »glühender Bekenner, Verfechter und Propagandist seiner Überzeugung, nicht selten […] bis zum Ruin« (zit.n. Walser/Wittenbrink, 1989, 9f.). Hier der wahre Connaisseur, dort der schnöde Mammon. Die Sphären von Kunst und Ökonomie jedoch lassen sich kaum sauber trennen, vielmehr bestimmt gerade ihre Verbindung beiderlei Geschäftsmodell. Bereits Pierre Bourdieu hat die Selbststilisierung des Galeristen treffend dekonstruiert: »Die charismatische Vorstellung der ›großen‹ Galeristen oder Verleger als inspirierte Entdecker, die, geleitet von ihrer interesselosen und irrationalen Leidenschaft für ein Werk, den Maler oder Schriftsteller ›gemacht‹ oder ihm ermöglicht haben, sich selbst zu machen, indem sie ihn in schweren Stunden durch den Glauben, den sie in ihn gesetzt haben, unterstützen und von materiellen Sorgen befreien – diese Vorstellung ist eine Verklärung der wirklichen Funktionen« (Bourdieu, 1999, 272). Diese nämlich bestünden gerade darin, »das Produkt der künstlerischen Herstellung auf den Markt der symbolischen Güter« zu tragen und »durch seine Ausstellung, Veröffentlichung oder Inszenierung diesem eine um so bedeutendere Konsekration« zu sichern, »je arrivierter und anerkannter er selbst ist« (Bourdieu, 1999, 271). Der Galerist bringt sein »symbolisches Kapital« ein und übernimmt auf diese Weise eine »symbolische Bürgschaft« für das Werk, mehr noch: Neben den materiellen Herstellungsakt des Künstlers tritt die symbolische »Produktion des Kunstwerks« durch den Galeristen (Bourdieu, 1999, 275). Der Kunstmarkt erscheint als ein Ort, an dem symbolisches Kapital durch die Arbeit des Galeristen in ökonomisches Kapital übersetzt wird. Soverstanden erfährt die im Primärmarkt behauptete spezifische Verbindung von symbolischem und materiellem Wert erst im Sekundärmarkt eine Verifizierung oder Falsifizierung. Der Galeriemarkt ist als Handelsplatz mit Vertrauensgütern und intransparenten Werten naturgemäß ein unsicherer Markt. Folglich bildet das Vertrauen in die Expertise des Galeristen die Basis seines Geschäftserfolgs. Ist dieses Vertrauen erschüttert, kollabiert das Wertesystem des Behauptungsmarktes. Anders als in anderen Märkten kommt damit vor allem der Auf bau- und Vermittlungsarbeit des Galeristen eine entscheidende Rolle zu. Aus unternehmerischer Perspektive ist die ausschließliche Konzentration einer Galerie auf den Primärmarkt ein risikoreiches Unterfangen, da es an die zehn Jahre dauern kann, bis die Gewinnzone erreicht wird. Die meisten Galerien agieren daher neben dem zeit- und kostenintensiven Marktauf bau für junge Künstler auch als Kunsthändler im Sekundärmarkt, indem sie nicht nur den Rück- und Wiederverkauf von Werken der von ihnen vertretenen Künstler besorgen, sondern sich auch im traditionell händlerischen An- und Weiterverkauf von etablierten Positionen betätigen. Viele erfolgreiche Galeristen praktizieren damit Mischformen aus Aktivitäten im Primär- wie im Sekundärmarkt. Laut einer zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Beitrags noch unveröffentlichten Branchenumfrage, die das Berliner Institut für Strategieentwicklung (IFSE) im Frühjahr 2013 unter 800 Galerien durchgeführt und bereits im Mai 2013 vorab in einigen Städten vorgestellt hat, bestehen die durchschnittlichen Galerie-Aktivi-

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

täten zu über 80 % aus Verkäufen im Primärmarkt, der damit mit Abstand den wichtigsten Bereich ausmacht. Der restliche Umsatz resultiert aus Verkäufen im Sekundärmarkt, Provisionsgeschäften mit Kollegen, Beratung im Kunstbereich, dem Verlegen von Kunstpublikationen bzw. dem Kuratieren von Ausstellungen in externen Institutionen. Der BVDG hat als berufsständische Interessensvertretung diesem Umstand unlängst mit der Erweiterung seiner Mitgliederstruktur um »Kunsthändler« Rechnung getragen. Verstand sich der neu titulierte Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V. bis 2012 gemäß Satzung noch als ein »Zusammenschluss von Galeristen und Editeuren, die hauptberuflich und überwiegend mit der bildenden Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts handeln«, so wurde nun nicht nur der Personenkreis, sondern auch der Gegenstandsbereich (Handel mit »bildender und/oder angewandter Kunst«) massiv vergrößert. Zweifellos bildet das spartenübergreifende Cross over gegenwärtig einen Trend, der auch auf Kunstmessen erkennbar ist und der auf die zunehmende LifestyleVermarktung der Kunst im Kontext von Mode und Design antwortet. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das veränderte Selbstverständnis des Verbandes zwei letztlich doch sehr unterschiedliche Interessen und Tätigkeitsfelder zu amalgamieren sucht, wodurch die großen Differenzen zwischen Primär- und Sekundärmarkt eingeebnet scheinen. Dabei geht es in Zeiten der zunehmenden Grenzverschiebung vor allem durch die Ausweitung des Auktionshandels auf den Primärmarkt gerade nicht um die vordergründige Dichotomie zwischen Kunst und Ökonomie, sondern vielmehr um die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Galerist und Künstler, die von jeher die Basis des galeristischen Geschäftserfolgs bildet, während der Kunsthändler in keiner Weise auf die Produzentenseite rekurrieren und auf gänzlich andere Beschaffungsquellen setzen muss. Dieser Umstand ist auch vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung des Galeriewesens von besonderer Bedeutung, steht doch gerade die begriffliche und inhaltliche Trennung von Galeriearbeit und Kunsthandel für die Professionalisierung des Kunstmarktes und die Ausdifferenzierung verschiedener Berufsbilder (vgl. Zwirner, 2000, 56). In der unmittelbaren Nachkriegszeit konzentrierte sich der Kunsthandel auf den Verkauf von Werken der klassischen Moderne. Damit stand zunächst der Anschluss an die im Nationalsozialismus verfemte, verbotene und zerstörte Kunst der Moderne im Vordergrund. Die Neu- und Umverteilung von Tausenden von teils aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmten, teils aus überwiegend jüdischen Privatsammlungen verfolgungsbedingt entzogenen Bildwerken kurbelte den Markt zusätzlich an, wovon Händler wie Roman Norbert Ketterer in Stuttgart besonders profitierten. Schnelle Preissteigerungen der unterbewerteten modernen Kunst waren Ausdruck des wiedererwachten Interesses, so dass es bereits Ende der 1940er Jahre (Galerie Der Spiegel/Dr. Eva und Hein Stünke, Köln; Galerie Rudolf Springer, Berlin; Galerie Otto Stangl, München; Galerie Parnass/Rolf Jährling, Wuppertal u.a.), vor allem aber in den 1950er Jahren zu einer Reihe von Galeriegründungen kam (Galerie 22/Jean-Pierre Wilhelm, Düsseldorf; Galerie

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Alfred Schmela, Düsseldorf; Galerie Otto van de Loo, München; Galerie Rudolf Zwirner, Essen/Köln u.a.). War der Kunsthandel bis 1933 sehr auf Berlin zentriert, zeigt sich ab 1945 eine starke Drift ins Rheinland, das in den 1960er Jahren mit Köln als »heimliche Hauptstadt des Kunsthandels« (zit.n. Herzog, 2010, 120) angesehen wird. Und eine weitere Veränderung wird zusehends erkennbar: Während die Kunsthändler und Galeristen der Nachkriegszeit wichtige Pionierarbeit als Vermittler moderner Kunst und beim Wiederauf bau der Infrastruktur des Kunstbetriebs leisteten, konzentriert sich die Galeriearbeit mit den offenen Werkbegriffen der Postmoderne auf die unmittelbar zeitgenössische Kunst. Mit dem Niedergang des Informel und der École des Paris sowie dem kontinuierlichen Aufstieg der New York School und der Pop Art nach der zweiten Documenta 1959 entwickelte sich die Galerie vom bloßen Ausstellungs- und Verkaufsraum hin zu einem künstlerischen Ereignisraum, den die Künstler fortan zum integralen Bestandteil ihrer Kunst machten, indem sie Bezug auf die spezifische räumliche Umgebung nahmen (vgl. Yves Kleins Ausstellung Le Vide in der Pariser Galerie Iris Clert, 1958). Mit der Vermittlung zeitgenössischer Kunst war im Gegensatz zum rein händlerischen Kunstgeschäft demzufolge auch die Notwendigkeit verbunden, adäquate Räumlichkeiten für den künstlerischen Produktionsprozess zur Verfügung zu stellen. Die veränderten Produktionsweisen zeitgenössischer Künstler bei gleichzeitigem Fehlen einer Sammlerschaft für die avancierte Kunst der Gegenwart motivierten die Galeristen, die sich 1966 in Köln rund um Hein Stünke und Rudolf Zwirner zum Verein progressiver deutscher Kunsthändler zusammengetan hatten, zu einer völlig neuen Vermarktungsform für Kunst, nämlich zur Gründung der ersten Messe für zeitgenössische Kunst. Die Idee jedoch, Kunst wie Obst auf den Markt zu tragen und auf kleinen Ständen dicht gedrängt feilzubieten, musste bei den arrivierten, traditionsreichen Kunsthändlern, allen voran beim hochbetagten Daniel-Henry Kahnweiler, auf vehemente Ablehnung stoßen: Das stille Einvernehmen des klassischen Kunsthandels bezüglich der Wahrung der Aura des Einzelwerks sowie der Diskretion hinsichtlich der Kunden schien durch die Galeristen der zweiten Generation jäh aufgekündigt. Die Erkenntnis, dass Kunst Ware sei und auch als solche präsentiert werden könne, führte auf diese Weise bei manchem zu einem Schock. Die Galeristen hingegen fühlten sich nicht zuletzt durch die neue Ästhetik der künstlerischen Avantgarde (vgl. Andy Warhols Konsumästhetik) bestätigt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Galerie im Gegensatz zum Kunsthandel unmittelbar mit den Künstlern zusammenarbeitet, deren Produktionsprozesse in mehrfacher Hinsicht aktiv und längerfristig begleitet und ihre Arbeiten in eigenen Ausstellungsräumen sowie durch Messeteilnahmen einer größeren Öffentlichkeit präsentiert, inhaltlich vermittelt, dokumentiert und verkauft. Bis 2012 zählte daher auch die regelmäßige Öffnungszeit der Galerie (mind. 20 Stunden/Woche) sowie die kostenlose Zugänglichkeit von mindestens vier Ausstellungen p.a. zu den Voraussetzungen einer BVDG-Mitgliedschaft. Und nicht von ungefähr gibt der Galerienverband seit Mitte der 1990er Jahre Empfehlungen für die erfolgreiche Zusammenarbeit

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

zwischen Künstlern und Galeristen heraus, die nicht zuletzt der Erkenntnis geschuldet sind, dass »eine Künstlerkarriere […] heute ohne die Mitwirkung einer ambitionierten Galerie nicht mehr vorstellbar« ist (Sturm, 2011, 57). Die Galeriearbeit basiert auf drei Säulen: das Verhältnis zum Künstler, zum Kunden und zum Kollegen. Grundlegend ist dabei zunächst die konzeptionelle Ausrichtung und Positionierung der Galerie im Markt. Handelt es sich um eine junge Szenegalerie mit jungen Künstlern und überschaubaren Kosten, um eine mittelständische, regional engagierte Galerie, um eine spezialisierte Nischengalerie oder um eine global agierende Megagalerie mit mehreren internationalen Dependancen, die teilweise auch im Franchise-System geführt werden? Je nach Geschäftsmodell ergeben sich besondere Standortfaktoren. Eine Erst- oder Avantgardegalerie, die sich vor allem für die Förderung junger Kunst einsetzt, wird eher ein kostengünstiges, kreativ-unkonventionelles Umfeld wählen (eine besondere Sogwirkung besitzt seit den 2000er Jahren der Ostteil Berlins). Diese sogenannten Pilotgalerien, die sich begrifflich auf den 1963 im schweizerischen Lausanne stattgefundenen »1er Salon international de Galeries-pilotes« zurückführen lassen, setzen unabhängig von bereits bekannten Künstlern und erprobten Marktstrategien auf das ästhetische (und finanzielle) Risiko. Die spezialisierte Programmgalerie zeichnet sich dagegen nicht notwendig durch Unangepasstheit aus, sondern durch die Konzentration auf eine klar definierte Stilrichtung (z.B. Informel oder Konkrete Kunst) oder eine bestimmte Gattung bzw. Technik (z.B. Skulpturen oder Medienkunst). Häufig vertritt die Programmgalerie durch die Betonung der inhaltlichen Ausrichtung ein besonders ambitioniertes Konzept, wodurch nur eine bestimmte und überschaubare Zahl an Künstlern Aufnahme findet. Seit den 2000er Jahren jedoch findet sich die Unterteilung in Pilot- oder Programmgalerie zusehends eingeebnet im übergreifenden Begriff der Projektgalerie (vgl. Schmid, 2007, 22ff). Die begriffliche Unschärfe ist dabei intendiert und entspricht dem zeitgenössischen Primat umfassender Flexibilität. So kann ein Projekt letztlich jede Aktivität der Galerie bezeichnen, sei es die Verwirklichung einer besonders aufwendigen oder innovativen Präsentationsidee oder aber das gängige Sammleressen in stilvollem Ambiente. Das Selbstverständnis der Galerie bildet die Basis ihres individuellen Profils, das sich nicht nur an der Auswahl der vertretenen Künstler ablesen lässt, sondern auch am Standort. Ist die Galerie an einem der drei großen deutschen Galerien-Cluster mit kunstaffinem Umfeld und gut situierter Sammlerschaft ansässig, also in Berlin, im Rheinland oder in München? Welchen Charakter haben Lage, Architektur und Einrichtung? Auch die räumliche Erscheinungsweise einer Galerie ist historisch bedingt und unterliegt immer neuen Moden. Während es für die Galeristen der 1950er Jahre nicht unüblich war, ihr Unternehmen in ihrem eigenen Wohnhaus zu führen (z.B. Leo Castelli, New York), bildete in den 1960er Jahren die Ladengalerie einen zweckmäßigen Ort, um die zuvor im Atelier ausgesuchten Werke gut sichtbar auch für Laufkundschaft an der Wand oder auf dem Sockel zu platzieren. Ende der 60er Jahre ergab sich durch die neuen, riesigen Bildformate und sperrigen

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Objekte die Notwendigkeit, einen spezifischen Galerieraum zu schaffen. Die veränderte Kunstproduktion erforderte damit einen neuen Architekturtypus: die Loft-Galerie. In New York wurde bereits seit den 1940er Jahren leerstehender Lager- und Industrieraum zu Wohnzwecken umgebaut. Die günstigen, da improvisierten Wohnungen umfassten häufig die gesamte Fläche einer Etage, wodurch sich hallenartige Ausstellungsflächen ergaben. Spätestens ab den 1970er Jahren wurden sie zum Vorbild für (teure) Galerieneubauten in Europa, da sie multifunktionale, bisweilen museale Möglichkeiten zur Präsentation, Lagerung und Beleuchtung der Kunstwerke sowie die Realisierung neuer Kunstformen wie raumgreifende Performances und Installationen gewährten (z.B. Rudolf Zwirner, Köln). Der Lofttypus als professioneller Galerieraum wurde zum Vorläufer der Galerie als »white cube«, wie Brian O’Doherty den weiß gestrichenen Galerieraum als ideologisch neutralen Rahmen einer vermeintlich autonomen Kunst charakterisierte. Das Ausstellungskonzept »Weißer Würfel« fokussierte das separierte Einzelwerk und sollte in keiner Weise von der Kunst ablenken. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Kunstwerk ohne Kontext ästhetisch eher isoliert erscheint und in seinen vielfältigen Entstehungs- und gesellschaftlichen Wirkungszusammenhängen neutralisiert wird. Gegenwärtig erscheinen daher beinahe alle Umgebungen als potentielle Galeriestandorte. Dies kann in Lofttradition eine denkmalgeschützte Industriehalle mit über 5.000 qm Fläche sein (vgl. die neuen Räume der Galerie Thaddaeus Ropac in Paris-Pantin), ein spektakulärer Neubau direkt gegenüber der Museumsinsel an der Spree, der die Galerie wie eine Zweigstelle der Berliner Museen erscheinen lässt (vgl. Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin) oder auch eine säkularisierte Kirche (vgl. Jablonka Galerie Böhm Chapel in Hürth bei Köln oder Galerie Johann König in St. Agnes, Berlin-Kreuzberg). Doch feiert auch das Konzept der Ladengalerie momentan ein Revival, wenn ein vorübergehender Leerstand in einem Shopping Center mitten in der Fußgängerzone der Kölner Innenstadt kurzerhand als Galerieraum genutzt wird und in überaus dichter Hängung kein Zweifel am Warencharakter der Kunstwerke gelassen wird (vgl. Galerie Nagel Draxler und Galerie Fiebach, Minninger). Laut Angaben des BVDG gibt es in Deutschland etwa 1.000 seriös arbeitende Galerien, davon allein ca. 400 in Berlin. Die IFSE-Studie hingegen korrigiert die Zahl aufgrund selbst aufgestellter Galerie-Charakteristika auf nurmehr etwa 700 Galerien. Die durchschnittliche Größe einer Galerie, die zur Hälfte als Einzelunternehmen geführt wird (ein Viertel als GbR und ein Achtel als GmbH), beträgt dabei nicht mehr als 160qm. Zentral ist die Auswahl der von der Galerie vertretenen Künstler. Laut IFSEStudie liegt die durchschnittliche Zahl bei 16 Künstlern pro Galerie, die zu 37 Prozent aus der Region stammen. Art, Umstand und Kriterium der Entdeckung einer für die Galerie interessanten künstlerischen Position sind dabei denkbar unterschiedlich. Für einige Galeristen bieten sich die alljährlichen Rundgänge der Akademien an, bei denen die Kunststudenten und Absolventen ihre Werke erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Daneben sind die internationalen perio-

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dischen Großausstellungen wie die Documenta in Kassel oder die vielen Biennalen, die mittlerweile auf allen Kontinenten stattfinden, zu nennen. Sie alle bieten wichtige Orientierungshilfen für aktuelle Trends und neue künstlerische Entwicklungen. Die Gründe, die den einzelnen Galeristen zur Zusammenarbeit mit einem bestimmten Künstler bewegen, sind jedoch individuell verschieden. Für den einen bedeutet das Neue oder Authentische ein wichtiges Auswahlkriterium (wobei auch hier zunächst zu klären wäre, was darunter verstanden wird), für den anderen stehen das Modische und leicht Vermarktbare im Vordergrund. Sicher ist, dass Künstler und Galerist in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, weshalb hier das Bild eines Tandems bemüht werden kann. Jede Seite weiß, dass sie der anderen einen wesentlichen Teil ihrer Einkünfte verdankt. Nicht von ungefähr sind viele professionelle Kooperationen zwischen Künstlern und Galeristen auf der Grundlage außerkünstlerischer Aktivitäten entstanden bzw. führten zu einer lebenslangen Freundschaft, die über eine Geschäftsbeziehung weit hinausgeht. Der Galerist Erhard Klein beispielsweise hat in seiner knapp 40-jährigen Galerietätigkeit immer wieder betont, dass er mit »seinen« Künstlern auch auf dem Fußballplatz oder im Konzert Spaß haben müsse. Was Wunder, dass sich das freundschaftlich-familiäre Verhältnis der Geschäftspartner in diesem Fall auch durch die programmatische Verbindung von Wohnhaus und Galerie ausdrückte. Der Galerist als Freund des Künstlers ist sicher ein Idealbild der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Dass es auch andere, distanziertere Modelle gibt, die anstelle eines stillen Einvernehmens unter Freunden auch klarer Regeln und Absprachen bedürfen, zeigen die vom Galeristenverband herausgegebenen und zuletzt 2010 aktualisierten »Grundsätze für der Zusammenarbeit von Künstlern und Galerien«. Da die wenigsten Galeristen die Werke der ausgestellten Künstler ankaufen und das Galeriegeschäft überwiegend ein Kommissionsgeschäft ist, bei dem der Galerist (Kommissionär) im eigenen Namen, aber auf Rechnung des Künstlers (Kommittent) tätig wird, werden seitens des Verbandes schriftliche Vereinbarungen empfohlen. So sollten die von beiden Seiten zu unterschreibenden vertraglichen Grundlagen vor allem Angaben zu beiderlei Rechten und Pflichten beinhalten (u.a. zur Häufigkeit, Dauer und Umfang von Ausstellungen, Preisgestaltung, Provisionen, Rabatte, Abrechnungszeitraum und -modus, Atelierverkäufe, Versicherung, Abbildungen und Bildrechte, Kataloge, Dokumentation und Archivierung). Während bislang eine paritätische Aufteilung des angesetzten Verkaufspreises als Grundlage des Kommissionsgeschäftes galt (»50 %-Regel«), sieht der BVDG durch die in den letzten Jahren gestiegenen Messekosten, aggressive Rabattforderungen von Sammlern, bei Werken mit hohen Produktionskosten oder der Herausgabe von Editionen die Notwendigkeit zu Sonderregelungen, die eine Aufteilung des Verkaufspreises im Verhältnis von 60 % für die Galerie und 40 % für den Künstler im Einzelfall rechtfertigen könnten. Da für den Auf bau einer Künstlerkarriere immer auch Partnergalerien wichtig sind, die in anderen Landesteilen oder im Ausland zumeist einmalig Ausstellungen durchführen, ist die Erstgalerie naturgemäß an der Ausweitung der Bekanntheit »ihres« Künst-

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lers interessiert und arbeitet konstruktiv mit diesen Zweitgalerien zusammen. Laut BVDG-Empfehlung stehen ihr dafür bis zu 15 % der Erlöse aus Verkäufen in Partnergalerien zu. In jedem Fall deutlich wird durch die Empfehlungen des Berufsverbands, dass die Galerie ein komplexes Arbeitsfeld mit sehr individuellen Ausprägungen darstellt, weshalb alle Beteiligten gut beraten sind, sich über die gewünschte Art der Zusammenarbeit im Vorfeld der Unternehmung gründlich auszutauschen. Deutlich wird auch, dass im Primärmarkt sowohl die Gewinnmargen als auch durch eine mehrjährige Anschubfinanzierung die Risiken höher sind als im Sekundärmarkt. Neben der Investition in den künstlerischen Nachwuchs und dem Handel mit etablierter Kunst ist es die Verwaltung des Nachlasses eines zu Lebzeiten vertretenen Künstlers, was der Galerie auch zukünftig Möglichkeiten zur Refinanzierung der getätigten Kosten verschafft (vgl. Galerie David Zwirner in New York, die die Nachlässe von Dan Flavin, Donald Judd und Jason Rhoades betreut). Der Gesamtumsatz im weltweiten Kunstmarkt lag 2012 bei 43 Milliarden EUR, davon entfielen nur etwa 2  % auf den deutschen Markt (vgl. McAndrew, 2013, 13). Der BVDG geht von 700 Millionen EUR Umsatz im deutschen Kunsthandel insgesamt aus – eine im internationalen Vergleich verschwindend kleine Summe. Neben dem dominierenden Auktionshandel entfallen laut IFSE nur etwa 250 Millionen EUR auf den Galeriemarkt, wobei die Hälfte dieses Umsatzes von einigen wenigen Topgalerien erwirtschaftet wird. So machen laut BVDG nur etwa 60 von den 1.000 Galerien in Deutschland einen Umsatz von mehr als 1 Million EUR. Gemäß der IFSE-Branchenumfrage im Frühjahr 2013 verteilen sich die Jahresumsätze der Galerien folgendermaßen: 32 % der Galerien setzen bis zu EUR 50.000 um, 54 % EUR 50.000-500.000 und nur 14 % über EUR 500.000, wobei Umsatzzahlen im Galeriebereich sicher wenig aussagekräftig sind für die Bewertung von Wirtschaftlichkeit und Überlebensfähigkeit, da die Umsätze zumeist durch den Faktor 2 (Kommissionsgeschäft) geteilt und teilweise hohe Produktions- oder Messekosten berücksichtigt werden müssen. Aus der Umfrage geht auch hervor, dass knapp die Hälfte des durchschnittlichen Umsatzes mit Werken des unteren Preissegments (bis EUR 5.000) und nur unter 10 % des Umsatzes mit Werken von über EUR 50.000 erlöst werden. Etwa ein Drittel des Jahresumsatzes wird von den Galerien durchschnittlich auf zwei Kunstmessen erwirtschaftet und weniger als 10 % über das Internet erzielt. An dieser Stelle jedoch gilt es, den wenig repräsentativen Charakter der IFSE-Umfrage herauszustellen, denn andere Marktbeobachter gehen bei 6-8 Messeteilnahmen im Jahr von bis zu 80 Prozent des Jahresumsatzes einer Galerie aus, der auf den Messen gemacht wird (vgl. Schmid, 2007, 106). Zweifellos ist gegenwärtig ein klarer Trend zu mehr Messebeteiligungen zu konstatieren. In Ermangelung statistischer Erhebungen oder exakter Bestandsaufnahmen jedoch greifen wir erneut auf das IFSE-Stimmungsbild zurück: Im bundesweiten Durchschnitt werden in einer Galerie jährlich 5,8 Ausstellungen gezeigt. Diese über 4.000 Galerieausstellungen in Deutschland werden von ca. anderthalb Millionen Besuchern gesehen – Tendenz deutlich ab-

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

nehmend, wie seit einigen Jahren am spürbaren Besucherrückgang festzustellen ist. Die meisten der befragten Galerien beschäftigen 2-5 Mitarbeiter, keine mehr als 19, weshalb eine Vielzahl der Galeriebetriebe als Kleinst- oder Kleinunternehmen zu klassifizieren ist. IFSE schätzt die Zahl der Arbeitsplätze in Galerien bundesweit auf etwa 2.700, knapp die Hälfte davon entfallen allein auf Berlin. Subsumiert werden hier neben den Inhabern und den sozialversicherungspflichtigen Angestellten auch freie Mitarbeiter und Praktikanten. Zu den Umsatzzahlen gehört abschließend auch ein Blick auf die Kundenstruktur. Bundesweit stammen 38 % der Galeriekunden aus der Region, 45 % aus BRD und 17 % aus dem Ausland. Im Vergleich der Bundesländer zeigen sich hier jedoch deutliche Unterschiede: In Baden-Württemberg werden mehr als 60 % mit regionalen Sammlern erwirtschaftet, in Berlin nur 22  %. Je höher das Umsatzvolumen, desto internationaler setzt sich für die jeweilige Galerie die Käuferschaft zusammen. Etwa 15 % der Werke werden an Unternehmen verkauft. Über 30 % des Umsatzes wird mit Kunden gemacht, die schon länger als 5 Jahre von der Galerie betreut werden. Auch dies unterstreicht die Wichtigkeit, dass Galerien ihre langjährigen Investitionen auch über einen langfristigen Zeitraum zurückverdienen können. Zudem muss der Galerist die äußerst unterschiedlichen Motive für den Kunstkauf erkennen und die jeweiligen Kundenbedürfnisse berücksichtigen. So wollen die einen aus konkretem Kunstinteresse gezielt ihre Sammlung erweitern, andere kaufen Werke als Dekoration oder zu Repräsentationszwecken für das Eigenheim, weitere investieren in Kunst als Kapitalanlage mit hoher Renditeerwartung, wieder andere, um sich in der Art Community Anerkennung zu verschaffen oder um vom kurzweiligen Lifestyle der unzähligen Art Partys unterhalten zu werden. Ein Ergebnis der IFSE-Studie ist die zunehmende Erosion der Mittelschicht im deutschen Galeriewesen. Die Welt der Galeristen ist extrem gespreizt, wenn ein zweistelliger Prozentsatz einen Jahresumsatz von unter 17.500 EUR angibt und damit in ähnlich prekären Verhältnissen arbeitet wie die meisten Künstler, andererseits aber einige wenige internationale Topgalerien wie Larry Gagosian oder White Cube/Jay Jopling weltweite Netzwerke auf bauen und fortlaufend neue Märkte erschließen. Häufig greifen sie dabei direkt auf die Vorarbeit von kleinen und mittleren Galerien zurück, indem sie die zu Erfolg gekommenen Künstler für sich abwerben und global vermarkten. Ein Beitrag über Galerien darf einen weiteren, für den stark diversifizierten Kunstmarkt höchst wichtigen Galerientypus nicht unerwähnt lassen: die Produzentengalerie. Hintergrund ist hier der Gedanke, dass sich Künstler ohne Zwischenhändler selbst vermarkten (z.B. Produzentengalerie, Hamburg). Für die digitale Welt erschlossen hat diese Form der Direktvermarktung der britische Werbeunternehmer Charles Saatchi, der im Internet auf der Plattform Your Gallery eine kostenlose Präsentationsmöglichkeit für Künstler anbietet, durch die die Produzenten direkt mit den Käufern in Kontakt treten können. Damit verlieren die herkömmlichen Galerien, die als vermittelnde Dienstleister zwischen Künstler und Sammler tätig sind, ihre Funktion. Allerdings hat sich das »demokratische« Mitmachmodell als wenig erfolg-

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reich herausgestellt. Offenbar lebt der Handel mit Kunst gerade von der selektiven Filterfunktion der »Galerien als Gatekeeper des Kunstmarkts« (Alemann, 1997), was auch Bourdieus Theorie stützt. Der Kunstbetrieb funktioniert nicht massentauglich wie die Musikindustrie, sondern ist ein elitäres Geschäft, das maßgeblich von einem kleinen, aber mächtigen Kreis von Akteuren bestimmt wird, die über große Künstlerkarrieren entscheiden. Bei dem Versuch, den Kunstverkauf direkt über das Internet abzuwickeln, war bislang noch niemand richtig erfolgreich (vgl. auch die erste Online-Kunstmesse VIP Art Fair), selbst wenn es immer wieder neue digitale Unternehmungen gibt, die wie Contemporary Art Daily (CAD) auch verstärkt auf die Vernetzungsfunktion sozialer Medien setzen. Dass die weißen Webseiten in vielerlei Hinsicht die weißen Wände als Verkaufsformat ergänzen können, ist mittlerweile offensichtlich. Dass der digitale Kunstkauf die Bedeutung der ästhetischen Erfahrung bei der Kaufentscheidung überrunden wird, erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Vorreiter wie Hans Neuendorf, der sein traditionelles Galeriegeschäft zugunsten einer Internetplattform zur Auf bereitung von Informationsdaten zum Kunsthandel (ArtNet) aufgegeben hat, bilden bislang die Ausnahme. Die Galerie erfüllt als zentrale Vermittlungsstätte im Kunstbetrieb eine grundlegende kulturelle Funktion. Sie fungiert als eine privatwirtschaftlich organisierte, erste Qualitätskontrolle, die neue Werte schafft und dafür Öffentlichkeit herstellt. Galerien produzieren symbolisches Kapital und künstlerische Bedeutung, so dass ihnen eine ganz wesentliche gesellschaftliche Aufgabe zukommt. Nicht von ungefähr wird mit dem Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels (ZADIK) in Köln auch institutionell der Tatsache Rechnung getragen, dass Galerien immer auch Kunstgeschichte schreiben. Die Entwicklung der Kunst erscheint ohne die Geschichte des Kunsthandels einseitig und verkürzt. Die Förderung der Galerien durch die Schaffung adäquater rechtlicher Rahmenbedingungen, die es den Galeristen in Deutschland erlauben, auch international wettbewerbsfähig zu bleiben, ist daher angezeigt. Tatsächlich herrschen durch unterschiedliche Besteuerungen von Kunst (die MwSt. soll gemäß einer EU-Verordnung 2014 auf 19 % angehoben werden), durch die Künstlersozialabgabe in Höhe von 4,1 % auf alle Transaktionen der Galerie (diese »Verwerterabgabe« soll laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014 auf 5,2 % erhöht werden) sowie durch das Folgerecht, das allen Künstlern bis 70 Jahre nach ihrem Tod eine Teilhabe am Wiederverkauf ihrer Werke garantiert (4  % vom Verkaufspreis ohne MwSt. bei Werken zwischen 400-50.000 EUR) recht unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen. Die Schweiz und die USA bieten aufgrund anderer Rahmenbedingungen weitaus lukrativere Standortbedingungen für den Handel mit Kunst, weshalb nicht zu übersehen ist, dass viele Galerien dorthin abwandern resp. dort eine Filiale eröffnen. Seit den 1960er Jahren hat der Kunstmarkt eine enorme Vergrößerung, Beschleunigung und Globalisierung erfahren. Immer mehr Akteure agieren auf einem sich weiter dezentralisierenden Markt: Mehr Wettbewerber mit mehr Wer-

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

ken konkurrieren immer schneller um die Gunst von mehr Sammlern in mehr Ländern. Die Sparte der zeitgenössischen Kunst macht dabei längst das größte Marktsegment aus. Der Handel mit Gegenwartskunst birgt große Chancen, weshalb auch diejenigen Sammler zugenommen haben, die spekulativ kaufen und Kunst als Investitionsgut sehen, das bis zur erhofften Wertsteigerung verwaltet und gemanagt wird. Dabei ist eine starke Konzentration auf die bekannten Künstler zu erkennen, während weniger bekannte kaum nachgefragt werden. Auf einem Markt, der das Kunstwerk primär als Investitionsobjekt betrachtet, haben sich die Preise stark auseinander entwickelt. Neue Sammler aus China, Russland und den arabischen Emiraten unterstützen diese Spekulationsspirale. Wenngleich der Kunstmarkt insgesamt durch seine immense Erweiterung unübersichtlicher geworden ist, zeigen sich die Sammler durch im Internet jederzeit abruf bare Preisdatenbanken besser informiert. Die erhöhte Transparenz ist damit ein weiteres Merkmal einer stark veränderten Marktsituation, die viele traditionelle Galerien zusehends unter Druck setzt. In Anbetracht einer zunehmenden Konkurrenz durch den Auktionshandel im Primärmarkt, der traditionellerweise durch den Galeriesektor geprägt ist, fürchten nicht wenige Galeristen den Bedeutungsverlust. In Form von sogenannten Private sales unabhängig von oder im Nachgang der Auktion übernehmen Auktionshäuser immer mehr Aufgabengebiete der Galerien. Die beiden Marktführer Christie’s und Sotheby’s unterhalten mittlerweile sogar eigene Galerien, um den Markt auch auf Messen bedienen zu können (vgl. Haunch of Venison bzw. Noortman Master Paintings). Oblag die Preisgestaltung traditionell den Galeristen, wird sie heute zunehmend von Auktionshäusern diktiert. Zudem verfolgt der Auktionshandel durch den völligen Verzicht auf die Zusammenarbeit mit den Künstlern oder auf inhaltliche Vermittlung der Werke ein viel kostengünstigeres Geschäftsmodell, mit dem Galeristen naturgemäß nicht konkurrieren können. Die Ausweitung des Auktionsgeschäftes auf den Bereich der zeitgenössischen Kunst seit Mitte der 1970er Jahre (vgl. die wegweisende Versteigerung der Pop Art-Sammlung von Robert C. Scull 1973 bei Sotheby’s, New York) und zunehmend auch auf den Primärmarkt stellt für viele Galerien daher ein substantielles Problem dar. So bringen seit dem Frühjahr 2013 mehr und mehr Galeristen ihren Unmut über das veränderte Marktumfeld zum Ausdruck, das unlängst einige sogar zur Aufgabe der Galerietätigkeit bewogen hat (vgl. Galerie Jérôme de Noirmont, Paris; Nicole Klagsbrun Gallery, New York; Galerie Klosterfelde, Berlin). Dass dies auch alteingesessene Galerien betrifft, zeigt das Beispiel der traditionsreichen Agnew’s Gallery, die seit über 200 Jahren in London als Familienunternehmen geführt worden ist. Die Schere geht gegenwärtig stark auseinander, wenn sich eine deutliche Vergrößerung bei den internationalen Großgalerien abzeichnet und eine stetige Verkleinerung bei den Mittelständlern. Wie in anderen Branchen (vgl. Buchmarkt) führt diese Spreizung auch im Kunstmarkt zu Monopolisierungen (Ketten bzw. Franchise-Unternehmen). Damit stellt sich für viele Galeristen verstärkt die bange Frage, ob sich die Investition in eine Vergrößerung der Aus-

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stellungsfläche, in die Erhöhung der Galeriestandorte und des Lagerbestandes sowie in den Ausbau von Personal und Künstlervertretungen lohnt (vgl. Galerie Max Hetzler in Berlin, die für 2014 die Eröffnung eines neuen Standorts in Paris angekündigt haben). Die zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags neu entflammte Debatte über die Zukunft der Galerien führt neben apokalyptisch klingenden Vorhersagen des »Todes der Galerieausstellung« (vgl. den New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz: Death of the Gallery Show, New York Magazine, 08.04.2013) auch zur Suche nach neuen Geschäftsmodellen, die den Herausforderungen eines veränderten Marktes mit Reformwillen begegnet. Diese könnten beispielsweise in internationalen Zusammenschlüssen von einzelnen Galerien bestehen, so dass die beteiligten Galeristen durch eine weltweite Vernetzung ihre Künstler auch im Ausland präsentieren können, ohne durch hohe Kosten für zusätzliche Infrastrukturen belastet zu werden. Die Entwicklung vom kompetitiven Einzelkämpfer hin zu einem kooperativen Umgang mit Kollegen zeigt sich längst auch an gemeinsamen Messeständen oder Ausstellungsprojekten. In einer globalisierten Kunstwelt reicht es in der Tat nicht mehr, große Räume anzumieten und repräsentative Kataloge zu produzieren. Ein anderes neues Modell ist gegenwärtig in einer Art der nomadischen Galerie zu erkennen. Charakteristisch für diese Geschäftsidee ist der Verzicht auf eigene Räume an einem festen Standort zugunsten von sporadischen Ausstellungen an wechselnden Orten (vgl. Galerie Aline Vidal, Paris). Vidal verbindet dabei den Gedanken des für den jeweiligen künstlerischen Produktionsprozess optimalen und hier sogar extra dafür ausgewählten »Galerieraums« mit einer ökonomischen Senkung von Fixkosten, die mit dem dauerhaften Unterhalt adäquater Galerieräumlichkeiten notwendig verbunden sind. Neben diese Art von »reisender Galerie« tritt ein Galeriemodell, das sich wie ein Kuckuck in ein anderes Unternehmen einnistet – zum Nutzen für beide Seiten. So führt die Galerie Nagel Draxler seit einiger Zeit in einem Kölner Reisebüro regelmäßig Kunstausstellungen durch. Die Kostenersparnis des einen verbindet sich dabei für den anderen mit der Erweiterung der Kundenkartei um eine kaufkräftige und reiselustige Klientel. Hier wie dort werden durch das Internet und soziale Netzwerke in kürzester Zeit Informationen zu den aktuellen Ausstellungen und Projekten gepostet, so dass die Galerie trotz ihrer räumlichen Wechselbewegungen präsent und erreichbar bleibt. So sind es wieder die Bereiche der Kommunikation und des direkten Austausches mit dem Künstler, der kennerschaftlichen Beratung und der Expertise, die sich als Stärken des Galeristen erweisen und ihn im Gegensatz zum schnelllebigen und schwer kalkulierbaren Auktionsgeschäft als langfristigen Partner qualifizieren. Der Galeriemarkt ist kein homogenes Feld, sondern eine äußerst amorphe Branche mit höchst volatilen Entwicklungen und Schwankungen, die sich gegenwärtig spürbar im Umbruch befindet. Damit sind neue Chancen wie neue Risiken verbunden. Trotz durchwachsener Konjunkturaussichten scheint die Stimmung unter den deutschen Galeristen jedoch nicht allzu schlecht. Laut IFSE-Umfrage gehen mehr als die Hälfte der befragten Galerien davon aus, dass der Umsatz im

Ulli Seegers: Galerien und ihre Bedeutung im Kunstmarkt

Vergleich zum Vorjahr stabil bleiben wird, fast ein Drittel erwartet sogar Umsatzsteigerungen mit Zuwächsen von 10 bis 30 Prozent. »Solange es Galerien gibt«, meint der Maler Günter Umberg, »wandeln sie sich« (zit.n. Schmid, 2007, 23).

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Der Kunstsammler. Kennertum und Leidenschaft Thomas Rusche »Der Kunstbesitz ist so ziemlich die einzige anständige und von gutem Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren. […] Die großen Meister geben dem Besitzer von ihrer Würde ab, erst scheinbar, schließlich aber auch wirklich.«1

Nicht jeder Kunstsammler muss leidenschaftlich und kenntnisreich sein; nicht jeder erwirbt das Erbe seiner Väter, um es zu besitzen. Sammlerdynastien sterben aus und werden heute kaum mehr begründet. Wer möchte schon im Museum seiner Vorfahren leben? Die eigenen vier Wände dem heutigen Zeitgeist entsprechend einzurichten oder mit Kunstwerken Sozialprestige zu erringen, vielleicht mit Kunstbesitz auch das Investmentportfolio abzurunden, sind heute verbreitete Motive des Kunstsammelns. Bleibt da noch Raum für Kennertum und Leidenschaft? Kann Kunstsammeln zur kulturellen Sinnstiftung und persönlichen Selbstvergewisserung beitragen?

1. J agen und S ammeln Der Mensch ist von alters her ein Jäger und Sammler, da er sonst nicht überleben könnte. Vorräte anzulegen und für dürre Jahreszeiten vorzusorgen ist ihm ein natürliches Bedürfnis, die Ungewissheit zukünftiger Ereignisse lässt ihn vorsorgen und die Vorratskammern füllen. Was aber ist in der heutigen Zeit das Überlebensnotwendige, auf das wir nicht verzichten können? Welche Vorräte müssen wir anlegen, um unsere Existenz abzusichern? Welche Bedeutung haben Kunstwerke in diesem Kontext für die Zukunft unseres Lebens? Ist es überhaupt sinnvoll, Kunst zu sammeln? Was sammelt sich überhaupt in einem Leben an Dingen an? Welche Einstellung haben wir zu diesen (Fund-)Stücken aus der Vergangenheit?

1  |  Friedländer, Max Jakob, Von Kunst und Kennerschaft, Frankfurt a.M. 1955, S. 1.

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Blicken wir in unsere Vorratskeller oder auf die Dachböden, mögen diese gut gefüllt sein − aber brauchen wir all das hier Verwahrte wirklich zum Überleben, oder ist es nur Ballast, der verstaubt? Sollte man nicht den bestsellerträchtigen Lebensführungsratgebern folgen und sich von allem befreien, was sich angesammelt hat, um unbelastet von der Geschichte die Zukunft zu gestalten; frei werden wie ein Jesuit, der seine ganze Habe in ein kleines Köfferchen packen könnte, um jederzeit aufzubrechen? Vorräte anzulegen scheint sich in unserer Wohlstandsgesellschaft ohnehin zu erübrigen. Auch hohe Festtage mit Familie, Verwandten und Freunden zu Gast lassen uns heute kein eigenes Schwein mehr schlachten. Die Zeit der großen Speisekammern ist vorüber, die Lebensmittelvorräte stellt der Supermarkt für uns sicher. Im übertragenen Sinn wird Kunst in den großen und kleinen Museen dieser Welt bevorratet, ist jederzeit und für jedermann − oftmals sogar eintrittskostenfrei − zugänglich. Warum also selber Kunstwerke sammeln? Nur selten drohen Ereignisse über uns hereinzubrechen, die – um dieses Bild erneut aufzugreifen − den besorgten Kleingeist zu Hamsterkäufen verleiten. Der Großteil der Bevölkerung bleibt von den Krisenmeldungen zumeist unberührt und verfolgt die Panikkäufe ein wenig irritiert in den Nachrichten. In schlechten Zeiten wird man indes auch von Kunst nicht satt. Warum also sammeln, Liquidität binden und Geld für etwas ausgeben, dessen Werthaltigkeit gerade in Krisenzeiten Gefahr läuft, sich sehr unvorhersehbar zu entwickeln? Ist nicht das gut gefüllte Bankkonto das beste Ruhekissen? Nicht mehr die vollen Scheunen, sondern pralle Konten erweisen sich als scheinbar kluge Zukunftsvorsorge. Die jederzeitige Zahlungsfähigkeit ist bekanntlich die wichtigste Voraussetzung, um in der Wirtschaftsgesellschaft alles Lebensnotwendige jederzeit und überall erwerben zu können. Wohl deshalb bekennt sich der Stargalerist Judy Lybke ganz offen dazu keine Kunst, sondern Geld zu sammeln. Zu Hause bleiben seine Wände leer, und so hängen die Bilder von Neo Rauch und David Schnell nur in der Galerie; dort verführen sie den Kunden, sein Geld in Kunst zu tauschen und das Bankkonto des Galeristen anzufüllen.

2. E rben und E rwerben Dass Bargeld wichtiger ist als alte Bilder, Schweineställe oder Ziegenböcke, wussten bereits die westfälischen Bauern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zu jener Zeit fuhr mein Urgroßvater Heinrich Rusche (1875-1961) mit seiner vom Vater geerbten Postkutsche durch das heimatliche Münsterland, um Kötter und Gutsbesitzer besser anzuziehen: Kleine und große Bauern, Handwerker und Landadel – sie alle gaben meinem Vorfahren für die erworbene Kleidung lieber ihr Gerümpel her als das liebe Geld. So begann Heinrich Rusche aus dem alten Eisen barocke Herdplatten auszusortieren, mit denen seine Kunden die Jauchegruben abdeckten, und kletterte bis auf Heuschober, um dort verstaubte Himmelbetten

Thomas Rusche: Der Kunstsammler. Kenner tum und Leidenschaf t

aus dem 18. Jahrhundert zu entdecken. Nach Hause kam er nicht nur mit Herdplatten und Himmelbetten, Zinnpötten und Kupferformen − neben Tierknochen für seine Seifenfabrik ließ er sich auch mit alten Bildern bezahlen, die von den fortschrittlichen Gehöftbesitzern oft als unmodern empfunden wurden. Abends wartete seine Frau Bernadine mit ihren vielen Kindern ungeduldig auf die Heimkehr des Familienvaters: Und wieder brachte er wenig Geld nach Hause, dafür umso mehr von dem alten, unverkäuflichen Hausrat, der die hungrigen Kinder jedoch kaum satt machte. Umso erfreulicher, dass sich aus dem seinerzeit ambulanten Geschäft ein florierendes Textilunternehmen entwickeln sollte, von dem die Familie bis heute auskömmlich lebt. Das älteste Kind des Firmengründers, Anton Rusche (1903−1964), erbte schließlich von seinem Vater nicht nur die textile Seele und den Sinn fürs Geschäft, sondern auch die Liebe zu den Altertümern. Sein Vater Heinrich übergab ihm alles, was er im Laufe der Jahrzehnte auf dem Lande eingesammelt hatte und Anton erwarb dafür am Oelder Markt ein altes münsterländisches Kaufmannshaus. Bis unters Dach mit Kunst und Antiquitäten ausgestattet, wurde es bald zum Treffpunkt für Liebhaber alter schöner Dinge aus nah und fern. Anton Rusche selbst konzentrierte sich in den Jahren bis zu seinem frühen Tode auf die alte Malerei. Auf seinen monatelangen Kunstreisen erwarb er neben einer Kopie der Saskia von Rembrandt einen Christenkopf, vermeintlich von Andrea del Sacchi (tatsächlich wohl flämisches 17. Jahrhundert), sowie ein Madonnenbild aus dem Umkreis von Raffael (identifiziert als Pieter van der Werff). Egon Rusche (1934−1996) wiederum, Antons ältester Sohn, wird in dieser dichten Atmosphäre der Kunstleidenschaft groß und entschloss sich als junger Erbe 1964, nicht nur das Textilunternehmen zu übernehmen, sondern auch die Sammeltradition der Familie in nächster Generation weiterzuführen. Wie seinem Vater lagen ihm die alten Bilder besonders am Herzen. Mit dem geerbten Gemäldebestand reiste er im VW-Bulli bis nach München, um den Kenner der italienischen Renaissance- und Barockkunst Hermann Voss (1884−1969) zu treffen: Bereits an der Pforte zu dessen Studierzimmer wurde er jedoch nach einem flüchtigen professoralen Blick abgewiesen: Das Gemäldekonvolut strotzte nicht gerade vor Qualität. Das Schicksal wollte es, dass Egon Rusche noch einen weiteren Termin in München verabredet hatte, zu dem er tags darauf den Niederländer-Experten Walther Bernt traf. Jenem war Egon Rusches Oelder Privatadresse in der Ennigerloher Straße bereits bestens bekannt, da er während der Kriegszeit auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Gemäldesammlung des Industriellen Werner Habig betreut hatte. Wohl auch aus diesem biografischen Grund wurde mein Vater von Walther Bernt herzlich empfangen, der von da an bis zu seinem Tode jede Sammlungserwerbung begutachtete. Bernt empfahl meinem Vater überdies, sich beim Kunstsammeln nicht zu verzetteln oder wie seine Vorfahren nur anzusammeln, sondern für seine Kollektion einen klaren Fokus zu entwickeln. Egon Rusche hörte auf diesen Rat des legendären Fachmannes und konzentriert sich fortan auf das Goldene Zeitalter der niederländischen Male-

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rei des 17. Jahrhunderts, umfasst dieses regional wie kunstgeschichtlich nicht nur das heutige Holland und Belgien, sondern auch die westfälischen Künstler − insbesondere des heimischen Münsterlandes −, das mit Utrecht zur Zeit des Barock einen katholisch geprägten Kulturraum bildete. Mein Vater nahm mich bereits in frühester Kindheit mit in die Museen, Galerien und Auktionshäuser. Ich genoss es, in seinen weißen Porsche 911 zu steigen, um ihn nach Amsterdam und Münster, Antwerpen und Köln zu begleiten. Ein Schlüsselerlebnis für mein junges Sammlerleben – von meinem Taschengeld erwarb ich zunächst alte Druckgrafiken – war die Begegnung mit dem holländischen Sammler F. C. Butôt, dessen Gemälde 1972 im Landesmuseum Münster ausgestellt wurden. Butôt hatte sich auf die »goede onbekenden« − die guten Unbekannten – spezialisiert; also keine zweitklassigen Werke großer Namen wie Rembrandt, Rubens oder van Dyck, sondern die besten Bilder der weniger bekannten Künstler, der sogenannten Niederländischen Kleinmeister des 17. Jahrhunderts. Bald darauf folgten wir einer Einladung Butôts in sein Haus nach St. Gilgen am Wolfgangsee und konnten das erste Gemälde von ihm erwerben. Bis zu seinem Tode wurden an die 30 Gemälde aus der Sammlung Butôt übernommen, die heute zum Kernbestand unserer Alten Meister gehören. Der gemeinsame Austausch mit wichtigen Sammlern der Vätergeneration wie F. C. Butôt, Familie Girardet, Willem Russel, Carl Schünemann und der Wetzlar-Familie hat mir schon in jungen Jahren gezeigt, wie selbstverständlich passioniertes Kunstsammeln zum Leben gehören kann. Leider ist in der Welt der Alten Meister die mir bekannte nächste Sammlergeneration nicht so reich nachgewachsen. Die Erben können mit dem Besitz ihrer Vorfahren oftmals wenig anfangen und tun sich schwer mit den dunklen Bildern einer vergangenen Zeit, die mit der heutigen scheinbar nichts mehr zu tun hat. Mich hingegen hatte die Begeisterung für die Alten Meister gepackt; ich bin bis heute nicht nur von ihrer künstlerischen Qualität, sondern auch von ihrer konzeptionellen Relevanz für die Kunst des 21. Jahrhunderts überzeugt. So habe ich seit dem Tode meines Vaters ein Drittel des heutigen Sammlungsbestandes erworben, nachdem wir zuvor ein Drittel gemeinsam zusammengetragen hatten, uns dabei auf das erste Drittel des von unseren Vorfahren hinterlassenen und vom Vater erweiterten Urbestandes stützend. Auch heute jage ich weiter nach Alten Meistern; jede Neuerwerbung sollte qualitativ so hochrangig sein, dass diese das Niveau des gesamten Konvoluts anhebt und den Bestand relevant ergänzt. Vier Generationen meiner Familie leben nun schon von der Mode und für die Kunst. Die fünfte Generation läuft sich warm; möge sie das Erbe der Väter erwerben, besitzen – und fortführen. Bereits seit den 1980er-Jahren wird die SØR Rusche Sammlung von dem international renommierten Kunsthistoriker Prof. Dr. Hans-Joachim Raupp, Universität Bonn, im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts begleitet.2 2 | Vgl. Raupp, Hans-Joachim (Hg.), Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts der SØR Rusche Sammlung, Band 1: Portraits, Münster/Hamburg/London 1995; Band 2: Genre,

Thomas Rusche: Der Kunstsammler. Kenner tum und Leidenschaf t

Eine daraus entstandene fünf bändige Veröffentlichung dokumentiert den publikationswürdigen Bestand unserer Porträts, Genrestücke, Landschaften, Seestücke, Stillleben, Tierstücke und Historienbilder; Doubletten sowie kunsthistorisch relativierte und problematisch erhaltene Bilder haben wir zwischenzeitlich veräußert. Der qualitative Kernbestand unserer Gemälde von 1600-1700 wurde 2008 in der Kunsthalle Rotterdam mit großer Publikumsresonanz ausgestellt.3

3. S ammeln , um einzurichten Erben ist gut und schön, aber will man im Museum seiner Vorfahren leben und deren antiquierten Stil weiterpflegen? Was nimmt man beim Auszug aus dem Elternhaus mit? Woran hängt das Herz und was lässt man getrost zurück? Während meiner Internats- und Studienzeit in Büren und Fribourg begleitete mich zum Beispiel ein goldgerahmter Kunstdruck des Isenheimer Altars, den mir meine Großmutter Johanna zur Ersten Heiligen Kommunion geschenkt hatte. Er wirkte in meiner Studentenbude merkwürdig aus der Zeit gefallen und war umgeben von Druckgrafiken, die ich in meiner Kindheit gesammelt hatte. Im Internat waren eher Plakate von Hardrock-Gruppen angesagt und meine studentischen Kommilitonen standen mehr auf Porträts von Nietzsche, Derrida und Foucault. Dagegen erschien mein Isenheimer Altar manchen meiner Kameraden als echte Zumutung, die schwarz-weiße Komposition der Druckgrafik schlicht langweilig. Das Einrichten der eigenen Räume ist oft vom Zeitgeschmack geprägt oder von stilistischen Erwartungen des nächsten Umfeldes. Dennoch ermöglicht es gerade deshalb eine bewusste Auseinandersetzung mit dem, was mir persönlich wichtig, schön und heilig ist. Wenn ich mich dabei nicht von den modischen Avancen des Zeitgeistes beirren lasse und meinen persönlichen Stil finde, kann hierin ein erster Schritt zur Sammlung liegen. Zwar ist die Einrichtung als ›dritte Haut‹ für das Wohlbefinden nicht ganz so wichtig wie unsere ›zweite Haut‹, die Kleidung, doch sollte man keinesfalls unterbewerten, auf welchen Möbeln man sitzt, von welchen Tischen man isst und mit welchen Bildern man sich umgibt. So schreibe ich diese Zeilen an einem englischen Mahagonisekretär aus der Zeit um 1820; mein Papier liegt auf einer goldgeprägten, olivgrünen Lederplatte voller alter Wasser- und Tintenflecke. Vor mir blicke ich auf Bilder von Jonathan Meese, daneben ein Christenkopf von Marlene Dumas. Diese Umgebung tut mir gut, stimuliert mich und bringt meine Gedanken zum Fließen – ich fühle mich wohl, wie in meiner längst verwaschenen SØR-Jeans und dem lässigen Baumwollshirt auf meiner Haut. Auch wenn mir die Frage »Gefällt dir das?« angesichts eines 1996; Band 3: Landschaften und Seestücke, 2001; Band 4: Historien und Allegorien, 2010; Band 5: Stilleben und Tierstücke, 2004. 3  |  Bok, Jan Marten (Hg.), At Home in the Golden Age. Masterpieces from the Collection SØR Rusche, Ausstellungskatalog Kunsthalle Rotterdam, Zwolle 2008.

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Kunstwerkes meist zu banal erscheint, ist sie für die Bekleidung der Haut wie für die Einrichtung eines Hauses mehr als erlaubt. An ihr schult sich das Urteilsvermögen und ihre Beantwortung befreit von Moden und Meinungen anderer. Oftmals jedoch fragt sich der moderne Konsument nicht wirklich, was ihm gefällt, sondern wird von milliardenschweren Werbebudgets der Marketingindustrie verführt, die mal dies, mal jenes als begehrenswert erscheinen lassen. Wie kann ich meinen persönlichen Geschmack so bilden, dass ich unabhängig vom saisonalen Modediktat der hektisch wechselnden In- und Out-Listen meinen Stil in Kleidung und Einrichtung auszuprägen vermag? Wie kann ich ganz eigene Vorlieben entwickeln, die meiner Persönlichkeit entsprechen, die mir auf den Leib geschneidert und deshalb authentisch sind? Ein solcher Spiegel des eigenen Selbst sollte auch die Einrichtung der häuslichen Umgebung sein, in der ich lebe. Wenn diese jedoch weniger von mir und mehr vom Innenarchitekten geprägt wird, der in Galerien angesagte Kunst und aus den Designerkollektionen Musthave-Möbel aussucht, vergebe ich eine Chance der individuellen Stilentwicklung. Manchmal sind es auch Eindrücke in Restaurants und Hotels, bei Freunden oder in Museen, die stilistische Impulse für die Hauseinrichtung geben können. Ich erinnere mich noch, als wäre es heute gewesen: Mein Vater erwarb gerade zu der Zeit der Erweiterung meines Elternhauses ein Genrestück von Hendrik Gerritsz. Pot (um 1580-1657) mit reich ausgestattetem Interieur und markantem, schwarz-weißem Schachbrettmarmor. Eben diesen Bodenbelag verbaute er nicht nur in seinem Privathaus, sondern seit diesem Tage auch in allen SØR-Häusern. Was meinem Vater damals nicht bewusst war: in der Szene des scheinbar harmlosen Genrestücks wird eine Hure gerade von ihrem Freier begutachtet, der die Kupplerin bezahlt. Ironie aber wahr: Alle SØR-Geschäfte und unser Privathaus sind nach dem Geschmack eines holländischen Luxusbordells des 17. Jahrhunderts eingerichtet! Verbreitet ist die Anspruchsmentalität, zum Einzug in die neuen vier Wände gleich alles komplett und fertig einzurichten. Sammeln und Einrichten hingegen ist ein Prozess, der Zeit braucht. Er setzt die Fähigkeit voraus, Leere ertragen zu können. Leere, die mit jedem neu erworbenen Kunstwerk in Fülle umschlägt. Jedes hinzukommende Bild oder Möbelstück wurde in meiner Kindheit zu Hause begrüßt wie ein neuer Mitbewohner; und wie einem guten Freund wurde ihm die Ehre des besten Platzes erwiesen. Nach dem idealen Ort haben wir denn auch für jedes Möbelstück und für jedes Bild gesucht, es hin und her getragen, von Raum zu Raum, Maß genommen, ausprobiert und die unterschiedlichen Ensemblewirkungen erspürt. Wenn es dann seinen Platz gefunden hatte, wurde eine gute Flasche Wein geköpft und genossen. Sammeln ist Leben in Fülle. Erst wenn die Anzahl der zusammengetragenen Kunstobjekte die Dimensionen der eigenen Behausung sprengt und der Mensch weitere Werke erwirbt, ist ein neuer Sammler geboren. Sammeln als Einrichten stellt somit nur den ersten Schritt einer Sammlerkarriere dar, die so richtig erst beginnt, wenn die Wände voll sind und trotzdem weitergesammelt wird.

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4. K unstsammeln aus S ozialprestige »Was hast du denn da hängen, ist das wirklich ein Richter – ein Daniel oder gar ein Gerhard?« …

Künstler, die zu Marken geworden sind, sprechen immer mehr Menschen an. Ist ein Name erst allgemein bekannt und sind seine Werke wiedererkennbar wie die von Jeff Koons oder Damian Hirst, können sie von Großgaleristen international platziert und Hand in Hand mit potenten Investoren der Konsumgüterindustrie vermarktet werden. Hilfreich und kaum zufällig ist es dabei, wenn Megasammler zugleich venezianische Kunstpaläste und weltweit agierende Auktionshäuser besitzen, in denen die Kunst zur Schau gestellt und zu Markte getragen wird. Weltbekannte Konsumkünstler gestalten neuerdings gar die Kollektionen und Geschäfte von Pariser Luxushäusern, Louis-Vuitton-Taschen à la Murakami hängen an den sonnengebräunten Armen der Damen, die abends vorm Warhol zum Champagner bitten. Kunst als Markenware, Künstlernamen als Markenzeichen, das hat es bereits zu den goldenen Zeiten von Rembrandt, Rubens und davor gegeben. Schon damals haben sich Päpste und Kardinäle, Fürsten und Patrizier vom Ruf der Raffaels locken lassen. Wohl zu keiner Zeit aber war der prestigeträchtige Wettlauf um die Kunst so ausgeprägt, beschleunigt und grenzenlos wie in unserem konsumistischen Medienzeitalter. Das Sammeln großer Künstlernamen wird zudem leicht gemacht. Es müssen nicht gleich Millionen sein, um einen Gerhard Richter zu besitzen: In Editionen in mehr oder weniger großen Auflagen vermarktet, können sich viele vieles leisten, nur wiedererkennbar muss es sein, ebenso wie das Hermès-Carrée oder das Gucci-Signet. Für jeden Geschmack und Geldbeutel hat sich in London und Paris, New York und Berlin eine Galeristenszene etabliert, auf deren Vernissagen sich die Rotwein trinkende Möchtegern-Prominenz und Bier saufenden, schwarz gekleideten Szenegänger mit dem Rücken zu den Kunstwerken bestens amüsieren. Gerade auch die Auktionshäuser haben in den letzten Dezennien ein Feuerwerk der Eitelkeiten entfacht. Waren die OMP-Auktionen (Old Master Paintings) meiner Kindheit noch zurückhaltende Veranstaltungen für die »most distinguished gentlemen«, kracht es auf den Vernissagen der Contemporary-Art-Auktionen besonders heftig. So wie es zum guten Ton gehört, die jüngste mediengehypte Sonderausstellung längst gesehen zu haben und dabei die nicht minder hochkarätig bestückte ständige Ausstellung im selben Museum links liegen zu lassen, folgt die KunstSchickeria dem internationalen Messekalender und wird, mit VIP-Angeboten geködert, um die ganze Welt geflogen. Dabei verrinnt die Lebenszeit auch in dieser glitzernden Bussi-Bussi-Gesellschaft unaufhörlich – allein die Kunst wird es überleben: Vita brevis, ars longa. Angehalten wird das Vergnügungsrad nur durch die drei D’s: death, depth und divorce. Doch: Was des einen Leid, ist des anderen Kaufmannsglück. Gerade die

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Auktionshäuser verdienen am Tod, an der Überschuldung und den Scheidungen großer SammlerInnen, die frische Ware provisionsträchtig in den Markt spülen. Mein Vater stand noch über Erden, da erreichte uns der rührselig verfasste Brief eines Auktionators, der meiner Mutter seine Dienste antrug, und schon so manche Karriere eines Sammlers wurde mit einer großen Gedächtnisauktion post mortem bekrönt. Oftmals ziehen die Erben das Bargeld einer sperrigen Sammlung vor und mehren lieber mittels eines opulent gestalteten Auktionskataloges mit Familienwappen, Erinnerungsfotos und Anekdoten den Nachruhm des Verschiedenen und zugleich ihr eigenes Konto.

5. K unstsammeln als I nvestment Das Kunstsammeln kennt nicht nur die weiche Münze der gesellschaftlichen Anerkennung, sondern auch die harte Prägung des Geldwertes. Kunst steht nicht nur für den Genuss des Betrachtens, sondern auch für monetär messbare Fakten des Erwerben-Könnens und Erlöse-Erzielens. Getrieben durch die Nachrichtenflut neuer Auktionsrekorde drängen immer mehr Spekulanten auf den Kunstmarkt. Sie hoffen auf den schnellen Gewinn in einem Markt, der nur eine Richtung kennen möchte: nach oben. Auch in Anlegerkreisen solider, konservativer Kaufleute verführen Inflationsgefahr und Niedrigzinsen zu einer Flucht in Sachwerte. Kunst erscheint als das neue Gold mit innerem Wert und beständiger Bedeutung. Der Fall der Mauer, der den Anfang einer weltpolitischen Zeitenwende markierte, hat dem Kunstmarkt nicht nur verschollene Ware zugeführt, sondern auch die kaufkräftigen Eliten Osteuropas, die in den Galerien, Auktionshäusern sowie in den Modehäusern der Luxusmarken die Nachfrage ebenso entfachen wie kapitalstarke Emire und Asiaten, die vor den Chanel-Läden Schlange stehen, um schwarz-goldene Täschchen zu erwerben. Während Altmeistersammler das Kabinettstück preisen, bevorzugt die zeitgenössische Szene große Formate. Riesige Wandflächen schreien in himmelhohen Ausstellungshallen der White Cubes nach ebenso ausladenden Großformaten.4 Dabei entspricht die Faustformel des Kunsthandels, »Höhe + Breite x Faktor« der Grundregel jedes Metzgers: »Je größer die Wurst, desto teurer der Preis.« Künstler und Galeristen ermessen buchstäblich an den Quadratzentimetern eines Werkes dessen Wert. Die Gleichung »Je größer, desto teurer« geht jedoch auf Dauer nicht auf. Auf dem Sekundärmarkt der Händler und Auktionshäuser mendelt sich der Größenfaktor während der Jahrzehnte zunehmend aus; die singuläre Qualität eines Werkes wird mit der Zeit wichtiger als seine schiere Größe. Auch die Verwertbarkeit, Lagerung und Transportfähigkeit ist bei einem Kleinformat eher gegeben als bei einem ›großen Schinken‹, wie die Überformate von Altmeistersammlern verächtlich genannt werden. 4  |  Vgl. Gisbourne/Meyer/Wieser, Bildgewitter, S. 5 ff.

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Ubiquität (Allgegenwart) und Fungibilität (Austauschbarkeit) sind neben der erwarteten zukünftigen Preisentwicklung weitere wichtige Kriterien eines Kunstinvestments. So wurde beispielsweise die niederländische Malerei seit ihrem Entstehen im 17. Jahrhundert weltweit gesammelt und nicht nur der russische Zarenhof sandte eigens Aufkäufer nach Holland. Die »Ausbreitung und Nachwirkung der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts«5 ist kunst(markt-)historisch einzigartig. Heute gibt es auf allen Kontinenten wohl kaum ein Kunstmuseum mit Beständen alter Meister ohne die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Sie blieb kein regional begrenztes Randphänomen der Kunstgeschichte wie zum Beispiel die Düsseldorfer oder Münchner Schule des 19. Jahrhunderts, sondern markiert eine wirkungsgeschichtlich singuläre Entwicklungsepoche für die figurative, narrative Malerei. Die Allgegenwärtigkeit der niederländischen Barockmalerei seit der Zeit ihres Entstehens hat ihr zu großer Fungibilität verholfen: Da sie immer und überall geschätzt wurde (und wird), kann sie auf den Kunstmärkten mit kaum einer Einschränkung in Geld gewandelt werden. Diese generelle Umtauschbarkeit alter Meisterwerke in Finanzwerte darf zwar nicht über zyklische Bewertungsschwankungen hinwegtäuschen, die auch Bilder einzelner Künstler wie zum Beispiel Rembrandt, Vermeer oder die einzelner Künstlergruppen wie der Leidener Feinmalerei oder der Utrechter Carravagisten im Laufe der letzten 350 Jahre erlebt haben. Doch trotz dieser Varianzen ist der Altmeistermarkt weitgehend stabil. Werke erstklassiger Qualität, Erhaltung und Provenienz sind durch eine kontinuierliche Preisentwicklung gekennzeichnet. Ganz anders ist der Markt der zeitgenössischen Kunst aufgestellt. Fragen der Erhaltung und Provenienz stellen sich nicht, wenn das Werk beim Primärgaleristen erworben wird; stammt das Bild frisch aus dem Künstleratelier, ist auch die Echtheitsfrage beantwortet, die bei Alten Meistern angesichts der langen Fälscher- und Kopistentradition ständig im Raume steht. Umso schwieriger ist bei der zeitgenössischen Kunst hingegen die Qualitätsfrage zu beantworten sowie die Prognose einer zukünftigen Wertentwicklung.

6. S ammeln aus K ennerschaf t Nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunstszene habe ich im Jahre 2005 anlässlich eines Rundgangs durch die Düsseldorfer Kunstakademie meine erste Arbeit eines jungen Künstlers erworben. Im Gegensatz zu dem sich ausdünnenden Markt der Alten Meister wächst die zeitgenössische Kunst jeden Tag nach, wie die frischen Früchte eines Baumes. Mit meinen 5 | Vgl. das gleichnamige Standardwerk des holländischen Kunsthistorikers Horst Gerson, der im Oelder Elternhaus ein gern gesehener Gast war: Gerson, Horst, Ausbreitung und Nachwirkung der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Amsterdam/Israel 1983.

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über sechzig SØR-Häusern habe ich, wie mein Vater zu sagen pflegte, »an vielen Stellen wenig zu tun«, und nutze gern die Gelegenheit, in Kunststädten wie Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Stuttgart und Berlin durch die Akademien und Galerien zu schlendern. Gerade die Internationalität der Weltkunststadt Berlin ist für mich unglaublich inspirierend. Dankbar bin ich, dort so bedeutenden Kunsthistorikern wie Katja Blomberg und Mark Gisbourne begegnen zu dürfen, die meinen Blick für die Qualität der zeitgenössischen Kunst schulen und schärfen. Was aber sind Qualitätskriterien, um ein zeitgenössisches Kunstwerk beurteilen zu können? Woran kann ich erkennen, ob ein junger Akademieabsolvent in den Kunstolymp aufgenommen oder zu lebenslangem Taxifahren verurteilt ist? »Form und Farbgebung, Tonalität und Lichtführung, Komposition und Stilistik, Pinselführung und Sujetbeherrschung, Innovationsgrad und Traditionsroutine« − der Kriterienkatalog eines Kunstkenners der Alten Meister ist für die Beurteilung zeitgenössischer Kunst nur von begrenzter Relevanz. Schon in jungen Jahren legte mir mein Vater Max Friedländers Standardwerk Von Kunst und Kennerschaft aufs Nachttischchen.6 Meine stilkritische Bildung, befördert durch unzählige Studienaufenthalte im RKD (Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie), Den Haag, in der Witt Library, London, sowie der Frick Art Reference Library, New York, wird durch die Dekonstruktion der Malerei im letzten Jahrhundert ebenso herausgefordert wie durch die Konzeption der sogenannten Bad Paintings unserer Zeit. Klassische Qualitätskriterien der stilkritischen Gemäldekunde alter Zeiten erscheinen für die Werke von heute obsolet. So musste ich als Novize auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst mühsam erlernen, dass ›gut malen zu können‹ nunmehr keine notwendige und erst recht keine hinreichende Voraussetzung für große Kunst darstellt. Vielmehr weiß ich mich der Verkaufstaktik kurzsichtiger Galeristen und Künstler immer besser zu erwehren, die mir ihre Werke mit dem Argument andienen wollen, sie seien doch so »gut gemalt« wie meine Alten Meister. Zugleich betone ich voller Überzeugung, dass ›gut malen zu können‹ durchaus kein Ausschlusskriterium für große Kunst im 21. Jahrhundert bedeutet. Was ist es aber dann, wenn nicht allein die malerische Qualität der Bilder? Der Kunstmarkt kennt darauf eine klare Antwort: Er verlangt vom Künstler eine eigenständige, entschieden ausgeprägte und möglichst innovative Handschrift, die ihn von anderen Künstlern seiner Zeit und möglichst auch von denen historischer Epochen unterscheidet. Kohärenz, Konsistenz und Konsequenz in der Verfolgung eines künstlerischen Leit- und Lebensthemas, das auch angesichts der Biografie und Persönlichkeit überzeugt, weil es authentisch ist und nicht aufgesetzt wirkt, gilt vielen Marktbeobachtern als der geradlinige Weg zum großen Erfolg.

6  |  Vgl. M. J. Friedländer (wie Anm. 1). Mehrere Fehlgutachten zu unseren Gemälden haben mich allerdings an seiner Kennerschaft zweifeln lassen.

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Nach einer Korrespondenz zwischen Kunstwerk und Künstlerpersönlichkeit zu fragen, ist für den Altmeistersammler zunächst ungewohnt. ›Seine‹ Künstler kennt er bestenfalls aus dürren Lexikoneinträgen, nur wenige Biografien liefern wie Caravaggio, Rembrandt und Vermeer den Stoff für opulente Spielfilme. Was uns diese bereits vor Augen führen, sind die existenziellen Brüche und das oftmals leidvolle Ringen um Ausdruck und Form, Ruhm und Erfolg. Dieses Suchen, Kämpfen und Verzweifeln, das Verwerfen und Neuansetzen scheint mir der wahre Ausdruck einer künstlerischen Existenz zu sein, die sich eben nicht vorschnell den Markterfordernissen einer einheitlichen Stilistik anpasst, die umso verkäuflicher wird, je wiedererkennbarer sie ist.7 Dieses immer wieder beschworene Qualitätskriterium der Wiedererkennbarkeit scheint mir eine Geißel des zeitgenössischen Kunstbetriebes zu sein. Sie führt geradezu zu einer ›Qualzüchtung‹ von Künstlern, von denen ihre Galeristen einfordern, Kunstwerke mit verkäuflichen wiedererkennbaren Merkmalen zu produzieren. Bewusst werden dafür Störungen des Entwicklungsprozesses der Künstler in Kauf genommen; die Rute des kommerziellen Markterfolges trifft unerbittlich. Gerade angesichts des wirkmächtigen Dreigestirns aus Galerist, Marktsystem und Künstler leidet der einfühlsame Sammler mit, wenn die Kunstproduktion zum Korsett wird, das dem Künstler die Luft zum freien Atmen nimmt. Sein Schaffensprozess benötigt angesichts der physischen und psychischen Ausdauerbelastung einen kreativen Freiraum, der ihm eine zweite Luft für den nächsten Entwicklungsschritt verschafft. Ein solcher kann nur gelingen, wenn sich der Künstler von der Last des beständigen, allseitigen Erwartungsdrucks befreien kann. Der Markt toleriert den Wandel einer künstlerischen Handschrift überdies nur dann, wenn ein signifikanter Innovationsschub erkennbar ist. Abwägende Seitwärtsschritte sind verpönt und werden als Stillstand abgetan, der Rück-Blick eines Künstlers auf die großen Vorfahren seiner Zunft wird allzu oft als RückSchritt disqualifiziert. Und dennoch: Es gibt sie, die zeitgenössischen Künstler, die kreative Innovationskraft beweisen und zugleich Reminiszenzen riskieren, sich Auszeiten gönnen und ihre Handschrift variieren. Beispielhaft kommt mir das Selbstporträt Rembrandts in den Sinn, das Matthias Weischer 2005 mit Blick in den Rückspiegel der Kunstgeschichte zu malen wagte und das in seiner holländisch anmutenden Tonalität die braun-in-braun gemalte ›Stube‹ vorwegnimmt, die Weischer auf der Höhe seines innovativen Schaffens zeigt. 8 Wir alle stehen auf den Schultern von Riesen. Nicht nur die Künstler, gerade auch die Sammler sollten die Großmeister der Kunstgeschichte kennen, um die Zeitgenossen besser verstehen und einordnen zu können. Dabei wird sich erst in den nächsten Jahrzehnten, langsam, aber unaufhaltsam ein kunsthistorisch vali7  |  Gisbourne, Mark; Rusche, Thomas; Schmidt, Hans-Werner (Hg.), Paule Hammer. Barocke Begegnungen − Künstlermonografien der SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin, Bielefeld 2013. 8  |  Vgl. SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin, Sonderdruck Kunstmagazin, S. 5.

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der Kriterienkanon zur Beurteilung der Kunst des 21. Jahrhunderts herausbilden. Zu dieser Kanonisierung trägt der kenntnisreiche Sammler im Hier und Heute bei – durch seinen intuitiven Blick und die analytische Prüfung der Werke, die er auswählt und zusammenführt und seiner intimen Kunstfamilie sowie einer breiten Öffentlichkeit zur betrachtenden Auseinandersetzung empfiehlt.

7. S ammeln zur kulturellen S innstif tung Die fundamentale Bedeutung der Kultur für den Menschen, ohne die er im Unterschied zum Tier nicht existieren kann, äußert sich insbesondere in den kreativen Ausdrucksformen von Architektur, Film, Literatur, Mode, Musik, Tanz, Theater und den bildenden Künsten (Malerei, Bildhauerei, Grafik). Diese kulturellen Leistungen sind mehr als ein schönes Dekor des menschlichen Lebens, sie sind Seismografen des Zeitgeschehens und bilden eine notwendige Voraussetzung für das menschliche Überleben überhaupt. In unserer heutigen Welt, bestimmt von ökonomischen Diktaten und knapper Kassen, wird diese anthropologisch notwendige Dimension der Kultur oftmals übersehen. In der Debatte um öffentliche Etats erscheint mitunter der Sozialbereich als existenziell, das Kulturbudget hingegen als überflüssig. Die Vernachlässigung der Kultur beginnt so bereits im Grundschulunterricht; oftmals werden die schönen Musen von den sogenannten harten Kernfächern an den Rand des Lehrplanes gedrängt. Die fehlende Basisbildung in Kunst und Musik erschwert die kulturelle Sozialisation des jungen Menschen, die sich heute zumeist in der virtuellen Welt des World Wide Web vollzieht. Wenn dann zu Hause die Wände leer sind, die Hausmusik verstummt ist und die Möbel aus dem Kaufhaus stammen, entsteht ein kulturelles Vakuum, das durch den medienmultiplizierten Konsumismus kraftvoll ausgefüllt wird. So werden die Shoppingmalls zu Kathedralen eines mammonistischen Götzendienstes: »Immer mehr Geld für immer mehr Konsum« wird zum Lebensmotto unserer kulturvergessenen Zeit. Wer in seiner konsumistischen Biografie die Basisbedürfnisse befriedigt, Prada und Gucci satt, den Weinkeller voll, die Jagd in Namibia und die Yacht im Hafen hat, mag nach Sozialprestige streben, das ihm nur mehr die Warhols dieser Welt verschaffen können. So reisen die Großwildjäger der Kunst mit ihren Yachten nach Venedig, ankern vor den Giardini, nehmen die Beute ins Visier, um kurz nach der Biennale auf der Kunstmesse in Basel schließlich abzudrücken und das letzte noch in Zürcher Tresoren gelagerte Bargeld für die Markenartikel des Kunstbetriebes einzulösen. Das verspricht nicht nur Prestige, sondern auch finanziellen Zugewinn, denn die Jäger stürzen sich auf das Wenige, das alle wollen, sie kaufen das Gehypte und bestätigen sich damit gegenseitig − die Großsammler dieser Welt mit ihren immer gleichen Ansammlungen der Glamourkunst von Damian Hirst bis Jeff Koons. Eine solch selbstreferenzielle Weise zu sammeln setzt keine Kennerschaft voraus. Steigende Preissignale genügen als Anreiz. Diese systematische Selbstbestä-

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tigung heizt die Marktdynamik an, die Preisspirale scheint solange nur eine Richtung zu kennen, wie immer neues Kapital in die glamouröse Markenware fließt. All das wird von der breiten Öffentlichkeit staunend verfolgt. Auch die Feuilletons der anspruchsvollen Weltpresse huldigen den Akteuren und geben der Kunstmarktberichterstattung einen immer breiteren Raum. Kaum eine Kunstmesse oder Kunstauktion ohne Vor- und Nachbesprechung, die sich im Wesentlichen auf die erwarteten und erlösten Spitzenpreise beschränkt. Die hohen Summen sprechen für sich und auch die Kunstkritik vermag es angesichts fehlender objektiver Kriterien kaum, dagegen zu argumentieren. Selbst wenn der Kaiser nackt ist, applaudieren die Claqueure unverdrossen weiter und rühmen dessen prachtvolle Kleider. Nun mag man darüber streiten, ob dieses kapitalistische Kunstkonsumsystem aus dem Gleichgewicht geraten kann, ob eine platzende Blase oder eher eine Kernschmelze droht. Mir erscheint beides in unseren Zeiten des billigen Geldes bis auf Weiteres unwahrscheinlich. Offensichtlich mutet es mir jedoch an, dass diese Art von Kunst als Konsumdekor der Schönen und Reichen das kulturelle Vakuum unseres Lebens und der Gesellschaft nicht füllen kann. Vielmehr pervertiert der Konsumismus das menschliche Streben nach Sinnhaftigkeit und Lebenserfüllung und befördert Magersucht, Suizid und Burnout, während das kapitalistische Rad der leeren Verheißungen immer weiter angetrieben wird. Angesichts der Sinnkrise unserer Zeit ist es wahr und traurig zugleich, konstatieren zu müssen: Auch die finanzkapitalistisch angeheizte Kunstindustrie gaukelt vor, dass sich der Sinn des Lebens in immer mehr Geld und Konsum erfüllt und am Ende der Pyramide aller Lusterfüllung die weichgespülten Ejakulate aus Murakamis Werkstatt auf uns warten. Aber wen soll dieser unfruchtbare Samen befriedigen und beglücken? Wen oder was soll diese Reklamekunst zum Leben erwecken? Oder ist die Implosion jeder Sinnhaftigkeit genau das Proprium der Zeitgeistkunst, weil sie uns als jetztgeschichtliches Dokument eben diese Sinnentleerung vor Augen führt? Das Streben nach Sinn charakterisiert den Menschen ebenso wie sein künstlerisches Ausdrucksvermögen. Erst in kultureller Praxis kann sich beides entfalten. Angesichts der persönlichen, sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gilt es, Sinn zu konstituieren, der die Verheißungen des mammonistischen Konsumismus relativiert und zu einer verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung unserer Erde ermutigt. Die Welt ist gebrochen, die Schöpfung leidet, Menschen werden gefoltert und versklavt oder sterben noch immer in Massen schlicht vor Hunger. Kunst erfüllt einen Sinn, wenn sie dem Menschen die ungeschminkte Realität seines Lebens, der (Welt-)Gesellschaft sowie der bedrohten Umwelt vor Augen führt, dabei Missstände nicht nur beklagt und voyeuristisch ausschlachtet, sondern aufzeigt, wozu der Mensch als sinnsuchendes, zur Kultur befähigtes Wesen berufen ist: sich über den Schmutz und Dreck, über alle Brutalität und Gewalt des Lebens und subversiver gesellschaftlicher Systeme zu erheben und Wege zu suchen, um im Hier und Jetzt unseres bedrängten Da-

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seins trotz aller Rückschläge dem Schönen und Guten zum Erfolg zu verhelfen. Hier berühren sich Ethik und Ästhetik als anspruchsvolle Schwesterdisziplinen eines sinnerfüllten Lebens und können das konzeptionelle Rüstzeug für eine verantwortungsvolle Zukunftsgestaltung bereitstellen. In diesem Sinne erscheint es mir möglich, dass auch der Kunstsammler als sensibler Mitmensch voller Compassion zur kulturellen Sinnstiftung beiträgt. Als konkretes Projekt möchte ich auf die Ausstellung Schöne Landschaft – Bedrohte Natur verweisen, in der Landschaftsbilder zeitgenössischer Kunst der SØR Rusche Sammlung im Dialog mit Alten Meistern gezeigt werden.9 Unter der Schirmherrschaft des international renommierten Umweltpolitikers Klaus Töpfer lenken die Werke namhafter Künstler den Blick und damit auch das Herz und den Verstand des Betrachters auf die Schönheit unserer bedrohten Umwelt. Die Kunst verleiht hier der stummen Natur eine Stimme. Sie schreit, fordert Schutz und Gehör für die ungeborenen Generationen, die morgen in der von uns ausgebeuteten Welt menschenwürdig leben wollen. Wenn Erkennen und Übernahme dieser Zukunftsverantwortung durch die Ausstellung Schöne Landschaft – Bedrohte Natur befördert wird, weil sie Menschen für die Bedrohung der Schöpfung sowie des Schönen und Guten in ihr sensibilisiert und zu Bekenntnis und Engagement auffordert, dann macht Kunstsammeln wahrlich Sinn.

8. K unstsammeln als S elbst vergewisserung Große Kunst gefällt selten auf den ersten Blick, vielmehr irritiert sie und bedrängt uns mit Fragen: Was ist dir im Leben wirklich wichtig? Wer bist du? Wer möchtest du sein? Kunstsammeln kann einen Weg ebnen, aus dem Hamsterrad des erfolgsorientierten Reproduzierens der eigenen Lebensverhältnisse auszusteigen und immer öfter so zu leben, wie man das schon immer wollte. Aber wie wollen wir denn eigentlich leben, angesichts des Erfolgsdrucks im Beruf und der Erwartungshaltungen unserer Familie, Freunde und Kollegen? Wie können wir leben, mit Blick auf unsere finanzielle und gesundheitliche Konditionierung, durch Eros versucht und von Thanatos bedroht?10 Das Sammeln von Kunst ermöglicht einen reflexiven Freiraum der Selbstvergewisserung. Kunst ist nicht nur eine Schule des Sehens, sondern auch eine Schule des Denkens. Kunst eröffnet einen philosophischen Seitwärtsblick auf das tägliche Tun und Streben. Die intentio directa, die sich im tätigen Vollzug meiner 9  |  Rusche, Thomas u.a. (Hg.): Schöne Landschaft – Bedrohte Natur. Alte Meister im Dialog mit zeitgenössischer Kunst. Landschaftsbilder aus der SØR Rusche Sammlung Oelde/ Berlin, Bielefeld 2013. 10 | Vgl. Bleyl, Matthias; Gisbourne, Mark; Rusche, Thomas; Schmidt, Hans-Werner; Ullrich, Wolfgang (Hg.), Eros und Thanatos. Zeitgenössische Kunst der SØR-Rusche-Sammlung im Dialog mit alten Meistern, Leipzig 2012.

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Berufs, Familien- und Karrierepläne konkretisiert, fordert die reflexive Einstellung der intentio obliqua heraus, die mich nicht nur am Silvesterabend zum kritischen Hinterfragen meines Sprechens, Handelns und Strebens einlädt. Diese dialektische Sicht auf das Leben wird mir durch die intensive Begegnung mit den Kunstwerken meiner Sammlung erleichtert. So wie die christliche Lebensführung das Abendgebet kennt und die ignatianische Gewissenserforschung empfiehlt, darf sich jeder Mensch im Spiegel seiner selbst betrachten. Der innere Dialog wäre jedoch nicht möglich, ohne die vielen Dialoge, die wir mit anderen führen und in denen unser Gegenüber seine Sicht auf die Dinge schildert, Fingerzeige gibt, Fragen stellt und Ausrufezeichen setzt. Im Diskurs tauschen wir Perspektiven des Lebens aus und klären miteinander, was uns wichtig und hilfreich ist, grundsätzlich formuliert: was gelten soll. Dieser Gedankenfluss des logon didonai ist ein bereicherndes Geben und Nehmen von Argumenten. Im Dialog artikuliert sich die Hoffnung auf den »zwanglosen Zwang des besseren Argumentes«11 , das mich die Welt bzw. die verhandelte Sache in der Welt besser verstehen lässt. Auch die Kunst ist ein solcher Dialogort. Durch das Bild tritt der Künstler mit mir in Austausch: Wenn ich den Blick öffne für sein Werk, es eindringlich betrachte und immer wieder auf mich wirken lasse, wenn ich auch nach einer längeren Unterbrechung das betrachtende Zwiegespräch wieder aufnehme, verändert sich etwas in mir. Wie der »Sprechakt« eines Menschen, so löst der »Bildakt« eines Kunstwerkes »eine Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln [… aus], die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und auch hörenden Gegenüber entsteht«. 12 Wenn ich mich auf die kraftvolle Sprache der Bilder in meiner Umgebung einlasse, wenn ich nicht voller Lebenshektik an ihnen vorbeilaufe, sondern aufmerksam hinschaue, dann eröffnet sich ein Resonanzraum in mir, den die Kunstwerke zum Schwingen bringen können. Diese bereichernden wie intensiven Begegnungen mit meinen Kunstwerken ermutigen mich zum Leben und begleiten mich durch die Höhen und Tiefen des Daseins. Angetrieben von der Suche nach Wahrheit und Ewigkeit, berührt von Passion und Vanitas.

L iter atur Bleyl, Matthias; Gisbourne, Mark; Rusche, Thomas; Schmidt, Hans-Werner; Ullrich, Wolfgang (Hg.): Eros und Thanatos. Zeitgenössische Kunst der SØR-RuscheSammlung im Dialog mit alten Meistern, Leipzig 2012. 11 | Habermas, Jürgen, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M. 1984, S. 161. (Siehe Anmerkung im Literaturverzeichnis zum Jahr) 12 | Bredekamp, Horst, Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010, S. 52.

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Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen Thomas Köhler »Das Eigentliche des Archivs ist seine Lücke, sein durchlöchertes Wesen.«1

Setzt man den Begriff des »Archivs« mit »Museum« gleich, so wird das Diktum Georges Didi-Hubermanns zu einer Zustandsbeschreibung der Kunstmuseen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Das »durchlöcherte Wesen« der Kunstmuseen und ihrer Sammlungen stellt die Institutionen vor die grundsätzliche Frage, ob und wie sie ihre überkommenen Aufgaben, den Ausbau und die Vermittlung ihrer Bestände, überhaupt noch leisten können. Wie kann trotz der zahlreichen Lücken, die dem Prinzip Museum immanent sind, noch eine repräsentative Sammlungstätigkeit aufrechterhalten werden? Die wenigsten Häuser verfügen über einen regulären Ankaufsetat und wenn, dann sind die zur Verfügung gestellten Summen vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf dem internationalen Kunstmarkt meist nur eine zu vernachlässigende Größe. Verlangt sind also Modelle, die die Museen in die Lage versetzen, Sammlungsbestände zu arrondieren und in die Zukunft hinein zu sammeln. Galeristen und Privatsammler sind in den letzten 20 Jahren zu wichtigen Partnern der Museen geworden. Ohne die Vermittlung der Galeristen, ohne deren Engagement und Unterstützung bei der Produktion von Ausstellungen, könnte manches Projekt in den Museen nicht umgesetzt werden. Diese Praxis versetzt die Museen in eine konfliktgeladene Situation. Einerseits wird ihnen Dynamik und Erfindungsreichtum abverlangt, auf der anderen Seite werden sie beeinflussbar durch den Kunstmarkt und geraten in den Verdacht, ein Schaufenster der Galeristen zu werden. Ähnlich spannungsvoll ist das Verhältnis der Museen zu den Privatsammlern. In der Regel gelangen Werke aus Privatsammlungen, wenn sie nicht an eigenen Orten gezeigt werden, nur als temporäre Leihgabe in die Museen. Spektakuläre Fälle wie jener am Kunstmuseum Bonn durch den Abzug der Sammlung Hans Grothe oder jener im Museum für 1  |  Georges Didi-Hubermann, Das Archiv brennt, Berlin 2007, S. 7.

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Moderne Kunst in Frankfurt durch den Verlust der Sammlung Bock 2 wurden medial zwar begleitet, jedoch vermochten es diese Verluste nicht wirklich, auf die lamentable Situation der Museen aufmerksam zu machen. Die Sammler gerieten in den Ruf, Leihgaben gezielt an Museen zu geben, um eine Wertsteigerung der Werke auf dem Kunstmarkt zu erreichen. Die Museen wiederum gerieten in den Verdacht, Teil eines konspirativen Systems aus Sammlern, Galeristen und öffentlichen Institutionen zu sein. Leider sind die zuvor genannten Beispiele nicht die einzigen, an welchen sich der Konflikt manifestiert. Bei Robert Fleck heißt es hierzu: »In jenen Teilen Europas, in denen die Kunstmuseen von Seiten der öffentlichen Hand kurzgehalten werden, haben private Sammlungen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts eine zusätzliche Macht gewonnen, die ihnen gleichsam kampflos zufiel. Während man die Museen und Kunsthallen in die wirtschaftliche Selbständigkeit entließ und ihnen weniger als die Hälfte ihres Haushalts als staatlicher Zuschuss zur Verfügung steht, erzielten private Investoren auf den Finanzmärkten wie auf dem Kunstmarkt so hohe Gewinne, wie zuletzt nur in der Gründerzeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damit hat sich das Machtverhältnis zwischen privaten Sammlungen und öffentlichen Museen nachdrücklich verschoben.«3 Nach wie vor streben die Privatsammler nach bürgerlicher Repräsentation im musealen Kontext. Beide Seiten könnten trefflich davon profitieren, begegneten sich die Partner auf Augenhöhe. Dies ist oft nicht der Fall. Überdies ist seit etwa 15 Jahren die Tendenz zu erkennen, dass Privatsammlungen oft in eigenen Gebäuden oder im semiprivaten Kontext der Sammler gezeigt werden. Halböffentliche Räume sind so entstanden, die – anders als die öffentlichen Sammlungen – den Grad an Öffentlichkeit kontrollieren und dosieren können. Wohnung und Ausstellungsraum gehen hierbei oft ineinander über und verbinden sich zu einem repräsentativen Gesamtensemble. Historisch ist hierin ein Rückgriff auf die Ursprünge des Museums zu sehen. Sammelte der Souverän in seiner Kunstkammer zunächst zum privaten Ergötzen, so wandelte sich sein Anspruch zunehmend und das »Zur-Schau-Stellen« wurde zum wesentlichen Faktor der Selbstdarstellung. Es gibt auch eine Reihe von sehr produktiven Komplizenschaften, die die 2  |  »Was also, wenn der private Leihgeber plötzlich verkauft, wie Hans Grothe, der 2001 mit einem Auktionator durch das Bonner Kunstmuseum schritt und Bilder aussuchte, die der Direktor des Hauses, Dieter Ronte, dann gleich transportfähig verpacken konnte? Offener Protest ist da kaum laut geworden. Öffentliche Museen sollten sich glücklich schätzen, wenn sie eine hochkarätige Privatsammlung beherbergen und präsentieren dürfen. Hatte man in Bonn mit Hans Grothe noch einen Leihvertrag auf 30 Jahre abgeschlossen, gibt man sich in Berlin inzwischen mit sieben Jahren für die öffentliche Präsentation der FlickCollection zufrieden.« Katja Blomberg, Wie Kunstwerte entstehen, Hamburg 2005, S. 167.  3  |  Robert Fleck, Das Kunstsystem im 21. Jahrhundert. Museen, Künstler, Sammler, Galerien, Wien 2013, S. 69, 70.

Thomas Köhler: Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen

Idee des Museums, des Sammelns und der Vermittlung vorangetrieben und befördert haben. Die Sammlung eines Museums als Speicher von Kunst- und Kulturgeschichte repräsentiert jedoch nur einen Teil der Aufgaben. Komplementär zur eigentlichen Betreuung einer Sammlung ist stets auch die Ausstellungstätigkeit eines Museums zu sehen. Die Beziehungen zu Privatsammlern und den Protagonisten des Kunstmarktes erhält auch vor diesem Hintergrund eine weitere Bedeutungskomponente. »Bereits in den sechziger und siebziger Jahren sind die Wechselausstellungen – im Gegensatz zum Primat der Sammlung im Museumsgedanken der Aufklärung – zu den entscheidenden Anziehungspunkten der Museen geworden«, 4 konstatiert Fleck in seiner 2013 erschienenen Publikation. Die Museen erwerben zwar nur noch in begrenztem Umfang Kunstwerke, sind aber dennoch prestigeträchtige Orte für die Präsentation von Kunst. Überdies sind temporäre Ausstellungen von essentieller Bedeutung für die Wahrnehmung und den finanziellen Erfolg der Häuser. Die Ökonomisierung der Kunst ist zum zentralen Kriterium der Museumsarbeit geworden. Wenn sich Museen dieser Ökonomisierung widersetzen, bedrohen sie ihre Existenz und müssen um ihren Fortbestand fürchten. Sammlungspräsentationen sind in diesem System nur schwer in den Medien zu platzieren und daher können diese kaum die Attraktivität einer Wechselausstellung entwickeln. Die Berichterstattung der Medien konzentriert sich auf die Ausstellungen und zwingt so die Häuser, sich der Medienrealität anzupassen. Dass Museen einmal als Ort der Reflexion und Kontemplation und weniger der Sensation gedacht wurden, verliert dabei jegliche Bedeutung.5 Nicht alle Museen qualifizieren sich jedoch in diesem System. Die Lage in einer Metropole vergrößert die Chance eines Hauses als »Mitspieler« akzeptiert zu werden, denn Künstler und Galeristen sind sich der Reichweite und des Prestiges eines jeden Museums wohl bewusst. Nicht jeder darf mitmachen. Die Berlinische Galerie ist ein Bürgermuseum. Im Jahr 1975 gegründet, hatte man sich für das neue Museum eine ganz spezielle Mission erdacht: »Kunst, die in Berlin entstanden ist.« Die neue Institution war zunächst ein Verein, dessen Erfolg zur Gänze vom privaten Engagement des Vorstands und der Mitglieder abhing. Mit Hilfe von Mitteln der Deutschen Klassenlotterie, durch Spenden und Schenkungen konnte eine multidisziplinäre Sammlung aufgebaut werden, die heute ihre gesicherte Position innerhalb der Berliner Museumslandschaft innehat. Das war nicht immer so. Nach der Wiedervereinigung wurde die Rolle der Berlinischen Galerie im Kontext der Nationalgalerie und dem Stadtmuseum diskutiert und ernsthaft in Frage gestellt.6 War das Haus überhaupt nötig, seine 4  |  Robert Fleck, Das Kunstsystem im 21, Jahrhundert. Museen, Künstler, Sammler, Galeristen, Wien 2013, S. 35. 5  |  Vgl. Hans Belting, Szenarien der Moderne. Kunst und ihre offenen Grenzen, Hamburg 2005, S. 241ff. 6 | Vgl.: Matthias Flügge, Michael Freitag, Stefan Richter, Angelika Stepken (Hg.), Zur Lage der Kunst in Berlin, Dresden/Berlin 1994. Hier findet sich das Gutachten zur Situ-

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spezielle Aufgabe im wiedervereinigten Berlin noch gültig und zukunftsfähig? Über den Ausbau des Sammlungsbestandes konnten daher auch politisch Fakten geschaffen werden, die nicht zu ignorieren waren. Das Sammeln und die Erweiterung der Sammlung war von der Museumsleitung auch als existentielle Maßnahme zum Prinzip erhoben worden. Ein umfangreicher Sammlungsbestand konnte nicht einfach aufgeteilt und zerschlagen werden. Das Wachstum der Sammlung wurde zu einem konstituierenden Moment der Museumsarbeit. Heute verfügt die Berlinische Galerie über fünf Hauptabteilungen: Die Bildende Kunst verwaltet einen Bestand von circa 5000 Gemälden und Skulpturen, die Fotografische Sammlung verfügt über 200.000 Arbeiten und die Grafische Sammlung hat 15.000 Arbeiten in ihrer Obhut. Darüber hinaus existieren in der Architektursammlung 4000 Entwurfskartons, 30.000 Pläne und Zeichnungen, 2500 Architekturmodelle, 80.000 Fotografien und in den Künstlerarchiven verwahrt man mehrere Nachlässe, die etliche Regalmeter in Anspruch nehmen. In seiner nun fast vierzigjährigen Geschichte hat das Kunstmuseum des Landes Berlin zu keinem Zeitpunkt über einen Ankaufsetat verfügt. Ohne die Lottomittel, Leihgaben, Schenkungen und Nachlässe hätte dieser beachtliche Bestand nicht gesammelt werden können. Die Gründung der Berlinischen Galerie stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Situation der Künstler in der geteilten Stadt nach 1961. Eine international vielbeachtete Kunsthochschule bildete Künstler und Künstlerinnen aus, die in der Stadt jedoch praktisch keine Galerien und auch keine Sammler vorfanden. Die Museumsgründung sollte hier einen Akzent setzen und ein Forum nicht nur für die Kunst der Klassischen Moderne bieten, sondern auch den in der Stadt tätigen Künstlern eine Möglichkeit geben, ihre Arbeiten öffentlich zu präsentieren. Diese historische Grundvoraussetzung sowie die ursprüngliche Rechtsform der Berlinischen Galerie als Verein implizierten eine große Nähe zu Privatpersonen, darunter auch zu einigen der wenigen Berliner Galeristen, zu den Künstlern selbst und auch zu den Privatsammlern, die das Berliner Kunstgeschehen durch ihre Sammlungstätigkeit abzubilden versuchten. Maßgebliche Neuerwerbungen waren der Berlinischen Galerie seit 1998 faktisch nicht mehr möglich. Eine der wenigen Erwerbungen der letzten Jahre stellt das Bild von Georg Baselitz Ein Moderner Maler – Remix aus dem Jahr 2005 dar. Der damalige Direktor der Berlinischen Galerie, Jörn Merkert, hatte das Bild auf der Vernissage einer Baselitz-Ausstellung in der Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin gesehen. Es handelte sich um die Remix-Version eines von Baselitz bereits im Jahr 1966 ausgeführten Bildes, welches 1991 mit Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin erworben werden konnte. Bei Merkert entstand ation der Bildenden Kunst in Berlin, erstellt im Auftrage des Senators für Kulturelle Angelegenheiten Berlin Ulrich Roloff-Momin von Wim A. L. Beeren und Kasper König. Beide plädieren für einen kompletten Neuanfang der Berlinischen Galerie und bezeichnen sie als »marginales Museum«. S. 124.

Thomas Köhler: Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen

sogleich die Idee, zu dem historischen Werk aus der Berliner Zeit des Künstlers dieses Beispiel aus seiner neuen Werkgruppe zu erwerben, um beide Bilder in der Sammlungspräsentation nebeneinander ausstellen zu können. Der Künstler wollte das Bild eigentlich für seinen privaten Bestand behalten, willigte jedoch schließlich ein. Er wollte das Bild jedoch nicht direkt an das Museum verkaufen, sondern bestand darauf, den Erwerb über seine Galerie abzuwickeln. Merkert machte sich mit unerschöpflicher Energie daran, für den aufgerufenen Kaufpreis Sponsoren zu gewinnen. Zu seiner ersten Verbündeten wurde die Kulturstiftung der Länder, die die Wichtigkeit des Werkes für die Sammlung anerkannte und sich nach erfolgter Antragstellung dazu bereit erklärte, ein Drittel des Kaufpreises beizusteuern. Der Prozess der Mittelakquise dauerte schließlich zwei Jahre und außer der Kulturstiftung der Länder, die maßgeblich die Suche nach potentiellen Unterstützern unternommen hatte, fanden sich als weitere Partner der Staatsminister für Kultur und Medien und die Deutsche Bahn AG, die zu dritt den Ankauf stemmten. Ein Kraftakt für alle Beteiligten, der vor Augen führt, dass die Erweiterung von Sammlungen mit historischen Positionen – und als solche hat Baselitz zu gelten – vor dem Hintergrund der Preisentwicklung auf dem Kunstmarkt für die Museen fast unmöglich geworden ist. Immerhin hatte man aus der freien Wirtschaft ein Unternehmen gewinnen können. Aus heutiger Sicht mutet die ganze Akquise wie ein Husarenstück an und es erscheint mehr als fraglich, ob man heute für einen vergleichbaren Erwerb die drei Partner wieder zusammen bekäme. Die Berlinische Galerie muss als Landesmuseum seit ihrer Gründung Ausstellungsprojekte ausschließlich mit Hilfe von Drittmitteln realisieren. Das Haus verfügt nicht über ein separates Budget für Ausstellungen. Selbst bei der Unterstützung durch Sponsoren kommt es immer wieder zu Finanzierungsengpässen, die kreativ behoben werden müssen. Als produktiv hat sich hierbei die Partnerschaft mit den Galerien der Stadt erwiesen. Im folgenden Abschnitt möchte ich einige Projekte beschreiben, die nur durch die maßgebliche Unterstützung von Galerien umgesetzt werden konnten. Anlässlich der Verleihung des Vattenfall Kunstpreises Energie an den Berliner Gregor Hildebrandt im Jahr 2008 in Cottbus entstand die Idee, die Ausstellung auch in der Berlinischen Galerie zu präsentieren. Die Realisierung der Ausstellung erfolgte mit denkbar knappem Budget. Als erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers in der Stadt, in der er lebt und arbeitet, sollte sie dennoch größte Stringenz und Ortbezogenheit erkennen lassen. Hauptmaterial der Arbeiten von Gregor Hildebrandt sind bespielte Bänder von Audio- und Videokassetten, die er in akribischer Detailarbeit Zeile für Zeile nebeneinander auf eine Leinwand klebt oder gelegentlich auch als weitgespannte, schwarz-flirrende Membrane frei im Raum montiert. Bei den alten Magnetbändern handelt es sich um Relikte des analogen Medienzeitalters, die Hildebrandt selbst aus unzähligen Musik- und Videokassetten gezogen hat. Der für die Ausstellung vorgesehene Raum sollte auf besondere Weise neu gefasst und definiert werden. Die herausgelösten Ma-

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gnetbänder wurden in Epoxid gegossen, auf dünne Holzplatten geklebt und zerschnitten, um dann als eine Art Magnetband-Fischgrätparkett nach klassischem Muster im ganzen Raum verlegt zu werden. Wer die Ausstellung betrat, setzte seine Füße bereits auf Hildebrandt. Der Besucher wandelte auf einer Tonspur, als habe der Klang von vorgestern sich mineralisch am Boden abgelagert. Die Herstellung des Parketts war sehr personen- und materialintensiv. Gemeinsam mit der den Künstler betreuenden Galerie verfiel man auf die Idee, dieses vorzufinanzieren, um dann durch den Verkauf der einzelnen Parkettbestandteile das Parkett als Partikel einer Künstleredition zu refinanzieren. Jedes einzelne Parkettstück wurde zu einem verkäuflichen Relikt der Ausstellung und wurde vom Künstler signiert. Vergleichbar ist diese Idee mit den von den Kunstvereinen herausgegebenen Editionen. Über die Kunstwerke und deren Erwerb erfolgt eine Bindung an die Institution, wie sie enger nicht sein könnte. Der Kreis der Kunden der Galerie konnte so zu einem Kreis von Freunden des Museums gemacht werden. Der Kunstpreis Vattenfall Contemporary ist das Nachfolgeprojekt des Vattenfall Kunstpreis Energie und wird seit dem Jahr 2009 an der Berlinischen Galerie verliehen. Der Preis, der von Unternehmen und Museum neu konzipiert wurde, ist mit einem Preisgeld, einer Ausstellung und einem entsprechenden Produktionsbudget verbunden. Dennoch geschieht es immer wieder, dass Künstler etwas umsetzen wollen, das die vorhandenen Mittel nicht zulassen. Hierbei haben sich Kooperationen mit den Galerien der Künstler als probates Mittel erwiesen. Angela Bulloch konsultierte während der Recherche zu ihrem Ausstellungsprojekt7 die Sammlungen und die Archive der Berlinischen Galerie. Hierbei stieß sie auf das Manifest der so genannten Novembergruppe, verschiedene Arbeiten von Hannah Höch sowie Zeichnungen von El Lissitzky. Eine Auswahl von Elementen aus den Werken der Sammlung wurde von ihr in eine raumgreifende Wandarbeit integriert. In Erweiterung des Konzeptes der Künstlerin hatte diese auf Grundlage der für das Museum ersonnenen Motivik eine Plakatkampagne erdacht, die die Ausstellung aus dem institutionellen Kontext heraus in die Stadt tragen sollte. Um eine entsprechende Häufigkeit und Dauer im Stadtraum Berlins zu erreichen, sollten zehn Plakate entworfen und über die Laufzeit der Ausstellung im urbanen Raum plakatiert werden. Obwohl nicht budgetiert, konnte aufgrund eines speziellen Arrangements mit der Galerie der Künstlerin nicht nur die Projektidee umgesetzt, sondern auch die Sammlung des Museums um Werke der Künstlerin erweitert werden. Die zehn Motive wurden vom Museum für die Galerie als Edition in einer festgesetzten Auflagenhöhe produziert und in der Galerie zum Kauf angeboten. Über die Erlöse des Verkaufs konnten nicht nur die Produktionskosten getragen, sondern auch die Gebühren für die Plakatierung finanziert werden. Als Gegenleistung für die Übernahme der Produktionskosten

7 | Angela Bulloch, Information, Manifesto, Rules, and other Leaks, Ausstellung in der Berlinischen Galerie vom 29. April bis zum 29. August 2011.

Thomas Köhler: Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen

durch die Institution erhielt die Berlinische Galerie einen kompletten Satz der Künstleredition für ihre Sammlung. Ein integraler Bestandteil der künstlerischen Produktion gelangte so doch noch zur Umsetzung. Die Galerie war bei der Realisierung der ganzen Ausstellung ein wichtiger Partner und Komplize. Das Museum konnte so eine Komponente der Ausstellungsidee umsetzen und überdies die Sammlung erweitern, die Galerie konnte neben dem kommunikativen Nutzen durch die Präsentation in einer öffentlichen Institution auch noch einen gewissen Umsatz generieren. Seit dem Jahr 2000 befindet sich die About Change Collection der Sammlerin und Unternehmerin Christiane zu Salm zu großen Teilen in Berlin. Folgte die Sammlerin zunächst bei ihren Erwerbungen keinem bestimmten Konzept, kristallisierte sich alsbald der Wunsch heraus, zeitgenössische Formen der Collage zusammenzutragen. Über die Bestände von Hannah Höch und Raoul Hausmann, die sich im Bestand der Berlinischen Galerie befinden, existiert also eine inhaltliche Verbundenheit zu den von der Privatsammlerin erworbenen Werken. Nach einer Reihe von Gesprächen zwischen der Sammlerin und der Museumsdirektion entstand die Idee, drei Projekte gemeinsam zu realisieren. Zunächst ein internationales Symposium, welches die unterschiedlichen Facetten der zeitgenössischen Collage untersuchen sollte. Das Museum stellte den Veranstaltungsort, die Technik, einen Adressverteiler sowie Personal zu Verfügung. Die Sammlerin, die an allen Planungen und inhaltlichen Diskussionen beteiligt war, kam für die Reise- und Übernachtungskosten sowie die Honorare und gemeinsamen Essen auf. Die Berlinische Galerie und die Privatsammlerin luden gemeinsam ein und kommunizierten die Veranstaltung auch gemeinsam. Die Gestaltung folgte streng den Regeln der Corporate Identity des Museums, allerdings war das Logo der Privatsammlung gleichranging vertreten. Die Veranstaltung war für die Teilnehmer nach Anmeldung kostenfrei und innerhalb weniger Tage ausgebucht. International bekannte Redner konnten so in die Berlinische Galerie eingeladen werden, deren Honorare das Museum allein nie hätte auf bringen können. Durch das elaborierte Programm der Veranstalter und die eingeladenen Redner erreichte die Berlinische Galerie ein neues Publikum. Durch die akademische Ausrichtung des Programmes war Manifesto Collage nicht nur für Studierende interessant, sondern auch für Fachkollegen und Kunstliebhaber. Der kommunikative Mehrwert für beide Partner war enorm. Christiane zu Salm konnte sich über distinkte Inhalte in der Öffentlichkeit vorstellen und das Museum machte sich in vielen Kreisen der Stadt bekannt, die das Haus bis dato nicht beachtet hatten. Die zweite Komponente der Kooperation bestand aus einer Publikation,8 die etwa ein Jahr nach dem Symposium erschien und zu welcher in der Berlinischen Galerie eine Ausstellung gleichen Titels konzipiert wurde. Diese trug das dialogische Prinzip von Tagung und Publikation in den Raum und ex8  |  Christiane zu Salm (Hg.), Manifesto Collage, Über den Begriff der Collage im 21. Jahrhundert, Nürnberg 2012.

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emplifizierte es anhand von Werkbeispielen aus der Museumssammlung und der About Change Collection. Auf der Tagung waren renommierte Kunsthistoriker wie Horst Bredekamp, Werner Spies, Peter Stohler und Matthias Winzen vertreten, Künstler wie Martha Rosler und Oliver Laric sowie die Musikwissenschaftlerin Heidy Zimmermann und der Schriftsteller und Literaturkritiker Ernest Wichner. Die Publikation, deren Umsetzung zunächst ungewiss war, gab auch den Wissenschaftlern des Hauses die Möglichkeit, sich dem Thema der Tagung in einem Aufsatz anzunähern. Die Publikation, ebenso wie die Tagung und die Ausstellung, war also Ergebnis einer echten Kooperation. In dem Dreiklang von Tagung, Publikation und Ausstellung sahen sich sowohl die Privatsammlung als auch das öffentliche Museum gleichermaßen repräsentiert. Christiane zu Salm, die ihren Ausstellungsraum 2010 aufgegeben hatte, verlagerte ihre Aktivitäten in eine bereits existierende Institution, welche wiederum bei der Realisierung auf die finanziellen Mittel der Sammlerin vertrauen konnte. Keine der drei Komponenten hätte ohne das private Engagement Christiane zu Salms umgesetzt werden können. Die Kulturstiftung der Länder verfügt über einen aktiven jungen Freundeskreis, der es Volontären an Museen nicht nur ermöglicht, zur Kunstmesse nach Basel zu reisen, um dort an einem exklusiven Programm teilzuhaben, sondern er fördert auch deren kuratorisches Fortkommen. Eine der wissenschaftlichen Volontärinnen der Berlinischen Galerie, Christina Landbrecht, konnte so im Jahr 2011 nach Basel reisen. Zudem wurde auch ihr vorgeschlagenes Ausstellungsprojekt vom Förderverein der KSL zur Unterstützung ausgewählt. Durch die Volontärin wurde der amerikanische Soundkünstler Ari Benjamin Myers ausgewählt, der für das Museum eine ortsspezifische Arbeit konzipieren sollte. Die Fördersumme des Jungen Fördervereins der Kulturstiftung der Länder war in der Höhe von 3000 Euro als Anschubfinanzierung zu verstehen. Aus dem Budget der Berlinischen Galerie wurde für die Umsetzung eine Summe von 5000 Euro zugeschossen. Werbung und umfassende kommunikative Maßnahmen waren in diesem begrenzten Rahmen kaum möglich. Hier nun kam die Galerie des Künstlers ins Spiel. Offensiv wurde in allen ihren Medien auf das Ausstellungsprojekt der Berlinischen Galerie hingewiesen, handelte es sich doch um die erste institutionelle Einzelpräsentation des Künstlers. Die Eröffnung koinzidierte mit dem Gallery Weekend und wurde von den Veranstaltern auch in die Kommunikation desselben eingebunden. Der Empfang im Museum wurde von der Galerie finanziert. So konnte zu diesem wichtigen Termin im Kontext des Gallery Weekends ein gesellschaftlicher Rahmen geschaffen werden, der sowohl dem Museum als auch der Galeristin und dem Künstler genützt haben. Die Berlin Art Week, letzten Endes eine Marketing- und Kommunikationsidee der Berliner Galerien, fand erstmals im Jahr 2012 statt. Ausgehend von der, von den Galerien nun schon zum 5. Mal organisierten abc, art berlin contemporary, kam es durch Unterstützung der Wirtschaftssenatorin und der Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten zu einer in Berlin noch nie dagewesenen Verbrüde-

Thomas Köhler: Komplizen — Galeristen und Privatsammler als Partner der Kunstmuseen

rung des Handels mit den nicht-kommerziellen Institutionen der Stadt. Gemeinsame Druckerzeugnisse wurden entworfen, eine koordinierte Terminplanung versucht und ein ambitioniertes Veranstaltungsprogramm gedruckt. Nach dem Wegfall der Berliner Kunstmesse, des Art Forum Berlin, schien es nötig, dem schwächelnden Kunstmarkt der Stadt durch einen Zusammenschluss der Akteure auf die Beine zu helfen. Eine vor wenigen Jahren noch undenkbare Allianz wurde eingegangen. Möglichst attraktiv sollte das Programm sein, um Sammler aus aller Welt nach Berlin zu locken. Es war schnell klar, dass dies nur mit Hilfe der Institutionen erreicht werden konnte, die Gegenwartskunst ausstellen und sammeln. Das Art Forum Berlin konnte und sollte nicht wiederbelebt, sondern eine der Stadt Berlin angemessenere Form der Präsentation von Kunst gefunden werden: Die abc im improvisiert instandgesetzten Bahngebäude und darum herum die großen und weniger großen Institutionen der Stadt. Ungleiche Partner hatten sich zusammen gefunden. Die Galeristen auf der einen Seite, die oft äußerst erfolgreich international tätig sind, die Museen und Institutionen auf der anderen Seite, die für den Kunstmarkt letztlich praktisch ohne Bedeutung sind. Die Privatsammlungen erscheinen da als »missing link« zwischen den beiden Akteuren, denn »das Museum war stets die krönende Instanz, die einem Kunstwerk Wertbeständigkeit verlieh, indem sie es in den sicheren Hafen angesehener Schatzhäuser einlaufen lies«9. So wurden auch die Privatsammler zu einem wesentlichen Bestandteil der Kommunikation der Berlin Art Week. Der Effekt für die Museen und Ausstellungsinstitute war schwer messbar. Sicherlich war der kommunikative Gestus ein durchweg positiver, in den Besucherzahlen hat sich dies, wenigstens im Fall der Berlinischen Galerie, nicht niedergeschlagen. Dem Haus war es dennoch wichtig, ausgeweitete Öffnungszeiten anzubieten, um zu manifestieren, dass man bei der gemeinsamen Anstrengung gerne seinen Beitrag leisten möchte. Es bleibt abschließend zu konstatieren, dass die Partnerschaften zwischen Händlern, Privatsammlern und Museen keineswegs Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit sind. Schon im 19. Jahrhundert sind ähnliche Allianzen zu finden. Wenn ein Museum heute mit einer Galerie oder einer privaten Kunstsammlung kooperiert, so ist dies nicht nur den prekären Rahmenbedingungen der öffentlichen Häuser geschuldet, sondern auch eine Möglichkeit für die Institutionen, temporär mit höherer Geschwindigkeit zu navigieren. Will man Ausstellungslabor sein und zugleich für die Museumsewigkeit10 handeln, sind diese Allianzen offenbar im Koordinatensystem von Wirtschaft, Stadtmarketing und Eventkultur unverzichtbar geworden. Die Institutionen müssen es aber als Teil ihrer Aufgabe begreifen, just diese Wechselbeziehungen immer wieder kritisch zu hinterfragen.

9  |  Blomberg, S. 167. 10  |  Vgl. Anke ten Heesen, Theorien des Museums, Hamburg 2012, 125ff.

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L iter atur Belting, Hans: Szenarien der Moderne. Kunst und ihre offenen Grenzen, Hamburg 2005. Blomberg, Katja: Wie Kunstwerte entstehen, Hamburg 2005. Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993. Danto, Arthur C.: Kunst nach dem Ende der Kunst, München 1996. Fischer, Cornelia: Partner oder Kontrahenten, Eine rechtliche Untersuchung der Zusammenarbeit öffentlicher Museen und privater Kunstsammler, Baden-Baden 2012. Fleck, Robert: Das Kunstsystem im 21. Jahrhundert. Museen, Künstler, Sammler, Galeristen, Wien 2013. Flügge, Matthias/Freitag, Michael/ Richter, Stefan/Stepkenm Angelika (Hg.): Zur Lage der Kunst in Berlin, Dresden/Berlin 1994. Groys, Boris: Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters, München 1997. Huber, Hans Dieter u.a.: Kunst des Ausstellens. Beiträge, Statements, Diskussionen, Ostfildern bei Stuttgart 2002. O’Doherty, Brian: In der weißen Zellen, Inside the White Cube, Hg. Von Wolfgang Kemp, Berlin 1966. Manfred, Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt 1999 ten Heesen, Anke: Theorien des Museums, Hamburg 2012.

Distributionssystem und Ereignis: Die Auktion auf dem internationalen Kunstmarkt Dirk Boll

1. E inführung Seit es Kunstmärkte gibt, wird die Distribution von Kunstwerken, aber auch die Außenwahrnehmung dieser Märkte maßgeblich von dem System »Kunstauktion« bestimmt. Und obgleich sich die Strukturen der Kunstmärkte – gerade im Vergleich zu anderen ökonomischen Systemen – seit der Antike nur geringfügig und meist technologisch bedingt verändert haben, so hat sich in der vergangenen Dekade vor allem die Auktionswelt dynamisch entwickelt und hergebrachte Funktionszuweisungen grundsätzlich in Frage gestellt. Nach wie vor treibt Konkurrenz der Bieter den Preis, und doch beruht der Erfolg der Auktion auf vielen Faktoren. Diese Betrachtungen in ihren sachlichen Kontext zu stellen, darf einen Gesichtspunkt nicht verbergen: Die sinnliche Faszination, die von der Auktion seit Jahrhunderten ausgeht. Die rituelle Dramaturgie dieses im Grunde archaischen Wettstreits hält immer wieder Momente bereit, die dem Mitwirkenden den Atem stocken lässt und auch den Unbeteiligten in Bann schlägt. Ausgerechnet diese Dimension des Themas wird hier nur nüchtern gestreift in der Hoffnung, dass Berufenere hierfür auch künftig Worte, Töne und Bilder finden, die uns bewegen.

1.1 Die globalisierten Kunstmärkte Ursprünglich waren Kunstauktionen ein reiner Zwischenhandel und bildeten die wichtigste Einkaufsquelle für den Kunsthandel. Spätestens seit den 1980er Jahren war bei den Auktionshäusern eine generelle Strukturentwicklung sichtbar, nachdem man erkennen musste, dass die limitierte Zahl von Kunstwerken expansive Beschaffungs- und Absatzplanungen behindert. Da Umsatzsteigerung nicht durch eine Erhöhung der Zahl der vermittelten Objekte zu erzielen ist, kann sie nur durch Ausweitung der Nachfrage und der damit verbundenen Erhöhung des Preisniveaus erreicht werden. Man erkannte damals, dass dafür die stärkere

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Kunstmarkt II: Akteure

Beteiligung von Direktkunden an Auktionen nötig ist. Die verstärkte Konkurrenz der Bieter steigert seither das Preisniveau; zudem sind die Direktkunden – anders als der Kunsthandel – bei der Erfüllung ihres Kaufwunsches nicht an die Voraussetzung gebunden, durch einen marktgerechten Zuschlagspreis auch einen Weiterverkauf mit Gewinn sicherzustellen. Aber auch durch den gesellschaftlichen Wandel und das allgemein gestiegene Interesse an Kunst verzeichnet man deutlich mehr Kunden – die großen Auktionshäuser schätzen, dass sich die Zahl aktiver Bieter in Auktionen während der vergangenen 30 Jahre verzwanzigfacht hat. Neben dieser stark angestiegenen Gesamtzahl von aktiven Kunstmarktteilnehmern war auch der Auftritt immer neuer Käufergruppen die Basis für den Boom der letzten Dekade: Russischen, chinesischen und indischen Sammlern folgten Käufer aus der Golfregion und weiteren asiatischen Staaten wie zum Beispiel Korea. Man kann feststellen, dass die Auktionshäuser in den vergangenen 30 Jahren den Wandel vom Groß- zum Einzelhandel vollzogen haben und dadurch mit dem Kunsthandel in einen Verdrängungswettbewerb eingetreten sind (Lacey, 1998, 341; Saatchi, 2008, 133f.).

1.2 Eine kurze Geschichte der Kunstauktion Die Anfänge von Kunst und ihrer Wertschätzung durch den Menschen liegen weit zurück. Sucht man die Wurzeln heutiger Distributionssysteme, so findet man den frühesten Kunstmarkt im antiken Rom. Durch die hohe Wertschätzung vor allem der griechischen Kunst entstand eine Sammelkultur, die sich von der Darstellung militärischer Erfolge gelöst hatte. Zur Bedienung dieser Nachfrage etablierte sich bald ein begrenzter Kunstmarkt. Neben Kunsthändlern ist auch ein Auktionator bekannt: Lucius Caecilius Iucundus, dessen Auktionsrechnungen 1845 in Pompeji ausgegraben wurden. Handelsware der Auktionen dieser Zeit waren jedoch vor allem Lebensmittel, Sklaven und Bräute, eher seltener Kunstgegenstände oder Hausrat (Thurn, 1994, 14f.; Reitz, 1998, 14, 17; Wilhelm, 1990, 18f.). Obwohl im Mittelalter wie auch in der Renaissance Kunsthändler als Agenten großer Sammler auftreten, und obgleich 1674 mit Auktionsverket in Stockholm das erste der heute noch bestehenden Auktionshäuser gegründet wird, findet die Erfindung der spezialisierten Kunstauktion erst im London des 18. Jahrhunderts statt. Als ein europäisches Kunstmarktzentrum befriedigte der dortige Kunsthandel nicht nur die Nachfrage des Königshofes, sondern auch die Sammelleidenschaft des Grand-Tour-geschulten Adels. 1766 gründete James Christie in London sein Unternehmen, welches sich auf Werke der Bildenden und Angewandten Kunst spezialisierte – das erste echte »Kunstauktionshaus« der Welt. Christie war nicht nur ein charismatischer Auktionator, sondern zudem mit einflussreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens befreundet – von führenden Künstlern bis hin zum Prince of Wales. Seine Geschäftsräume in der mondänen Pall Mall wurden rasch zum Treffpunkt der gesellschaftlichen Elite und zum Ort des geistigen Austausches – in Zeiten, in denen Kunstbetrachtung im öffentlichen Raum

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kaum möglich war. Sein Beispiel machte Schule: Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts waren allein in London ca. 60 weitere Auktionatoren tätig. Schon 1744 war mit Sotheby’s das zweite der heute noch bestehenden großen Auktionshäuser gegründet; Sotheby’s versteigerte jedoch bis ins 20. Jahrhundert ausschließlich Bücher (Powell, 1999, 8; Lacey, 1998, 38ff.; Thurn, 1994, 59, 71; Wilhelm, 1990, 31). Der Standort London wurde über die folgenden 150 Jahre durch diverse Ereignisse gestärkt. Die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege förderten den Kunsthandelsplatz London erheblich, verkauften doch hier die vom europäischen Kontinent emigrierten Adligen ihren einzigen beweglichen Besitz, ihre Kunstwerke sowie Schmuckstücke und lose Edelsteine. Vor allem aber die Reform des britischen Erbrechts durch den »Settled Lands Act« 1882, der dem Erben erstmals erlaubte, Gegenstände aus der Nachlassmasse herauszulösen und einzeln zu verkaufen, führte in London zu einer Welle von Sammlungsversteigerungen höchster Qualität (Robertson, 2005, 47ff.; Thurn, 1994, 67; Watson, 1992, 42ff.). Mit dem Beginn der Moderne wurde Paris zu deren wichtigstem Marktplatz, was jedoch ohne Einfluss auf die Landkarte der Auktionshäuser blieb. Die französischen Auktionsunternehmen waren durch ein Edikt aus dem Jahr 1552 staatlich reglementiert: Auktionen durften nur von Huissiers-Priseurs (Gerichtsvollzieher-Versteigerer) durchgeführt werden, die wiederum als Einzelunternehmer nur limitierte Möglichkeiten besaßen, ihren Einflussbereich auszudehnen. Der freie Markt in Frankreich endete zudem vollständig mit der deutschen Besatzung. Durch die Emigration bedeutender Künstler wurde New York als neuer, internationaler Marktplatz für zeitgenössische Kunst bestätigt. Im Nachkriegseuropa fanden die ersten Auktionen moderner Kunst in Stuttgart statt, wo Roman Norbert Ketterer im »Stuttgarter Kunstkabinett« von 1946 bis 1962 Werke des Deutschen Expressionismus versteigerte. Auch wenn sich das Auktionsangebot auf dem Kontinent behutsam der Zeitgenossenschaft näherte, Impulse für die weitere Entwicklung gab der Londoner Markt. 1957 wurde mit der Versteigerung der Sammlung Weinberg durch Sotheby’s erstmals eine Auktion professionell als Event vermarktet – sogar die Queen wurde geladen und erschien unter großer Anteilnahme der Medien zur Vorbesichtigung. Ein Jahr später verkaufte dasselbe Unternehmen elf impressionistische Gemälde aus der Sammlung Goldschmidt. Es war der erste »Evening Sale« der Geschichte. Das in Abendgarderobe erschienene Publikum wurde beim Bieten zudem erstmals durch einen in Farbe gedruckten Katalog unterstützt. Steigende Preise bewegten unterdessen immer mehr Eigentümer von Kunstwerken zum Verkauf. Hinzu kam das steigende Interesse japanischer Sammler an impressionistischer Kunst. Der Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war der Weltrekordpreis von US$ 82,5 Mio für das »Porträt des Dr. Gachet« von Vincent van Gogh im Mai 1990 bei Christie’s in New York. Stagnierende Wirtschaftsdaten in Japan als Vorboten der Asienkrise oder steuerpolizeiliche Untersuchungen von Kunstkäufen waren erste Anzeichen, dass der

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Boom seinen Höhepunkt überschritten hatte. Spekulative Investoren zogen ihre Gelder vom Kunstmarkt ab. Im Sommer 1990 brach der Markt für Impressionisten zusammen (Guilbaut, 1997, 71ff.; Herbert, 1990, 19; Ketterer, 1988, 206ff.; Koldehoff, 2009, 172ff.; Saltzmann, 2000; Watson, 1992, 412f.). Es dauerte beinahe eine Dekade, bis sich das Preisniveau wieder stabilisiert hatte. Als Folge des gesamtgesellschaftlich gestiegenen Interesses an zeitgenössischer Kunst übernahm diese – überhaupt erst seit Mitte der 1970er Jahre auf Auktionen zu finden – rasch die Rolle der Marktlokomotive. Höhepunkt dieser Entwicklung waren die 1990er Jahre, als Kunst und Lifestyle, als autonomes Werk und populäre Werbe- und Warenästhetik zusammenfließen. Um bedeutende Werke wird auf der öffentlichen Bühne der Auktion gestritten, Sieger brüsten sich mit Käufen: Auch deswegen werden 1994 die Abendauktionen für Kunst nach 1945 eingeführt. Höhepunkt der Entwicklung war die Auktion von Werken Damian Hirsts im September 2008 bei Sotheby’s. Ein Meilenstein der Marktgeschichte, ausgerichtet von einem direkt (und damit unter Umgehung des Galeriesystems) einliefernden Künstler. Erst die globale Finanzkrise 2008 beendete den Höhenflug von Preisen, vor allem von zeitgenössischer Kunst. Seither agiert der Käufer selektiver, was die Auktionsmärkte stärker denn je teilt: Rekordpreise für Meisterwerke (das Motto der Epoche), starke Qualitätsauslese sowie ein generell konservativeres Angebot kennzeichnen die Sekundärmärkte des frühen 21. Jahrhunderts (Dossi, 2007, 36ff., Graw, 2009, 41ff.; Herchenröder, 1990, 40; Moore, 2009, 99; Muir, 2009, 179ff.; Ullrich, 2000).

2. D ie S truk tur des D istributionssystems 2.1 Die Auktion und ihr Umfeld Die Auktion ist diejenige Form des Warenabsatzes, die innerhalb eines versammelten oder via technischer Hilfsmittel präsenten potentiellen Käuferkreises zu einer bestimmten Zeit an einem festgelegten Ort unter einheitlicher Leitung den öffentlichen Verkauf einer Sache organisiert. Charakteristikum einer Auktion ist, dass die Ware zum höchstmöglichen Preis unter dem Wettbewerb zwischen den bietenden Kaufinteressenten verkauft wird. Auf dem Auktionsmarkt stehen den beiden Marktführern Christie’s und Sotheby’s eine Vielzahl von eher national positionierten Häusern gegenüber, die zwar auch international tätig sind, aber signifikant weniger Objekte vermitteln. Ein Großteil aller Neuentwicklungen in diesem Geschäftsbereich wurde von einem dieser beiden Häuser erstmals eingeführt, sie stehen exemplarisch für die Entwicklungsgeschichte des modernen Auktionshauses. Gleichwohl bietet die Globalisierung die Basis für das internationale Agieren mittlerer und kleiner Unternehmen, die mittels Internet nicht nur weltweit Einlieferungen einwerben wie auch Käufer für Objekte finden, sondern auch Nischen besetzen und kommerziell erfolgreich bewirtschaften können, die

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für die beiden Multis nicht interessant sind: In kleineren Sammelgebieten sind Rekordpreise in der Provinz regelmäßig die Folge (Drinkuth, 2003, 8, 14, 45, 69; Herchenröder, 2000, 58).

2.2 Auktionsformen Güter werden über Märkte zugeteilt, wobei das Verhältnis von Angebot und Nachfrage die Preise bestimmt. Handelt es sich bei den Gütern nicht um solche, die in größerer Zahl zur Verfügung stehen, sondern um Einzelstücke, herrscht zwischen Anbieter und Nachfrager eine asymmetrische Informationsverteilung, da nur jeder einzelne Nachfrager seine private Zahlungsbereitschaft kennt, der Anbieter sich jedoch auf Erfahrungen und Vermutungen über die maximale Zahlungsbereitschaft der Nachfrager beschränken muss. Der Anbieter hat prinzipiell zwei Möglichkeiten, den Absatz zu organisieren: Als Monopolist kann er das einzelne Gut einpreisen und auf den Nachfrager warten, der das Stück zum festgelegten Preis erwirbt, oder aber den Wettbewerb zwischen den Nachfragern nutzen und die Kaufpreisbestimmung der Abgabe von Preisofferten der Käufer überlassen. Die erste Alternative wird vom Handel angewendet, die zweite von der Auktion (Bonus/Ronte, 1997, 164; Kräkel, 1992, 8). Bei der Auktion konkurrieren die einzelnen Käufer, die Bieter, miteinander, indem sie Preisangebote abgeben. Der Käufer und der endgültige Kaufpreis werden nach Abgabe der Gebote über ein vorher (in den Bedingungen des Auktionshauses festgelegtes) Regelwerk ermittelt. Für die Kunstauktion hat sich die Englische Auktion durchgesetzt. Hierbei werden von den Bietern offen sukzessiv höhere Gebote genannt, bis ein Gebot von keinem Bieter mehr überboten wird. Der Verkäufer kann den Ausgangspunkt der Gebote durch einen Mindestpreis, das Limit, festlegen (Fackler/Konermann, 2004, 10; Kräkel, 1992, 42, 95). Heute können Bieter auch am Telefon oder im Internet mitbieten, oder ein schriftliches Gebot abgeben. Der Zuschlag erfolgt allerdings nicht zwingend in der Höhe des Gebots. Das schriftliche Gebot ist vielmehr ein Auftrag an den Auktionator, für den abwesenden Bieter mitzubieten (Gem. §662 BGB). Somit erhält der schriftliche Bieter den Zuschlag, sobald der letzte Mitbieter aus dem Wettbewerb aussteigt, zu dem dessen Gebot um einen Bietschritt überschreitenden Betrag, solange dieses noch vom schriftlichen Gebot gedeckt ist.

3. J uristische R ahmenbedingungen Die juristischen Rahmenbedingungen des Auktionsmarkts werden von den nationalen Gesetzen vorgegeben. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gilt zudem das den nationalen Vorschriften übergeordnete Gemeinschaftsrecht. Hinzu kommen internationale Schutzvorschriften und Konventionen sowie die Erbschafts- und Steuergesetzgebung.

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3.1 Das deutsche Versteigerungsrecht In der Auktion tritt der Auktionator als Vertreter des Eigentümers auf und fordert die konkurrierenden Interessenten zur Abgabe von Geboten auf. Bei diesen Geboten handelt es sich um Angebote zum Abschluss eines Kaufvertrages. Wird ein höheres Angebot abgegeben, erlischt das niedrigere. Der Auktionator ist nicht verpflichtet, ein Angebot anzunehmen (gem. §145, 156 S. 2 BGB; Jauernig, 2011, 110). Wer als Auktionator unter welchen Umständen und in welcher Form verkaufen darf, regeln die Versteigerungsverordnung (VerstV) und die Gewerbeordnung (GewO). Besonders sachkundige Versteigerer können sich auf Antrag öffentlich bestellen und vereidigen lassen (gem. §34 b Abs. 5 GewO; Fackler/Konermann, 2004, 14). Relevant wird die Bestellung und Vereidigung vor allem beim Eigentumsübergang: Erfolgt der Zuschlag durch einen derart qualifizierten Versteigerer, tritt ein Eigentumsübergang auch an sogenannten »abhandengekommenen« Sachen ein, das heißt an gestohlenen, geraubten oder unterschlagenen Dingen, an denen sonst durch Kauf oder Tausch kein Eigentum erlangt werden kann (gem. §§935 Abs. 1; 1006 Abs. 1 BGB). Der Versteigerer stellt sich dem Bieterkreis folglich nicht in erster Linie als Vertreter des Eigentümers der Waren, sondern als neutrale Instanz dar; gegenüber dem Eigentümer ist er Treuhänder an den eingelieferten Sachen. Die VerstV regelt den Ablauf der Auktion und ist nach deren Chronologie aufgebaut. Gem. §1 VerstV darf der Versteigerer aufgrund eines schriftlichen Versteigerungsauftrags tätig werden, in dem nicht nur die Waren und die Versteigerung, sondern auch die Konditionen des Verkaufs genau bezeichnet sein müssen. Die Versteigerung selbst erfolgt dann unter vorher zu publizierenden Versteigerungsbedingungen. Diese bestimmen unter anderem die Zuschlagerteilung, die Gebührenstruktur und die Zahlungsmodalitäten. Die Bedingungen werden Teil des Kaufvertrages, da sie sowohl im Katalog abgedruckt wie auch am Versteigerungsort ausgehängt werden.

3.2 Rechtsgrundlagen der Internetauktion Die Vorschriften der Versteigerungsverordnung definieren eine Auktion als eine reale Handlung. Als in den 1990ern zunehmend Internet-basierte Verkaufsplattformen den Begriff »Auktion« für ihre Tätigkeit zu verwenden begannen, wurde die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf virtuelle Auktionen zum Thema. Das Grundproblem der Verortung, also welche Rechtsordnung für ein globales Internetprogramm einschlägig ist, wurde durch die E-Commerce-Richtlinie der EUKommission gelöst. Hiernach gilt die Rechtsordnung eines Staates für alle auf dem Staatsgebiet eingespeisten Programme, sowie für Seiten, die in inhaltlichem Bezug zum Staat stehen. Dieser inhaltliche Bezug ist als Zuschnitt des Angebots auf ein nationales Publikum zu verstehen. Indiz hierfür ist in erster Linie die gewählte Sprache. Bei Internet-Auktionen folgte aus der Argumentation, dass sie

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unabhängig von ihrem Einspeisungsort unter nationale Rechtsordnungen fallen, der Verstoß derartiger Auktionen gegen die nationalen Versteigerungsverordnungen. Diese gehen international von einer realen Auktion und dem körperlichen Vorhandensein eines Auktionators aus. Daher sind Internetauktionen nicht Auktionen im Sinne der nationalen Versteigererverordnungen, sondern »Geschäfte im Fernabsatz«. Es ist allgemein anerkannt, dass der Kaufvertrag mit dem Mausklick zustande kommt. Als Nachweis des Geschäftsabschlusses gilt nur ein (Papier-)Dokument oder aber konkludentes Verhalten, zum Beispiel die Zahlung des Kaufpreises (Boese, 2000, m.w.N; Kienle, 1998, 86).

3.3 Rechtswidrige Praktiken Ein ebenso unorthodoxer wie untrüglicher Hinweis auf die Resistenz eines bestimmten Allokationsprinzips ist dessen missbräuchliche Praxis. Die häufigsten Fälle sind der Händlerring sowie die angeräumte Auktion. Das Erreichen des Auktionsziels, nämlich das Hochtreiben des Preises durch die Gebote mehrerer Interessenten, kann durch eine Absprache der Teilnehmer verhindert werden. Verabreden sich Käufer, in der Auktion nicht miteinander zu konkurrieren, um so gegenüber dem Verkäufer und Auktionator einen Vorteil zu erlangen, spricht man von einem Ring. Nach der eigentlichen Auktion treffen sich die Mitglieder des Ringes, um die vom Ring ersteigerten Lots erneut, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zu versteigern. Von dem nun erreichten Preis wird der Einkaufspreis abgezogen und der Rest unter den Mitgliedern aufgeteilt. Die Bildung eines Ringes ist nur nach dem britischen Auktionsgesetz verboten und mit einer Höchststrafe von sechs Monaten Gefängnis belegt (Artale, 1997, 3ff., 103, 105; Cassady, 1967, 42; Stechl, 1995, 30). Eine besonders beliebte, aber auch in Deutschland rechtswidrige Praxis ist die Auflösung eines »angeräumten« Inventars im Wege einer Versteigerung. Ausgangspunkt ist ein Haus in Alleinlage, das zum Verkauf steht. Nach der Anmietung wird das Haus neu eingerichtet, das heißt vom Keller bis zum Dach vollgestellt mit Möbeln, Teppichen, Gemälden, aber auch persönlichen Gegenständen wie Schmuck, Handtaschen, Koffern etc. Bei diesen Dingen handelt es sich um Ware von Großhändlern. In der Folge wird dann die Auflösung einer Villa angekündigt und im Wege der Versteigerung vorgenommen. Verkaufte Ware wird ersetzt. Dieses System arbeitet so lange, bis das regionale Käuferinteresse nachlässt – das Haus ist genauso voll wie zu Beginn (Fackler/Konermann, 2004, 59f.).

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4. K unst werke als A uk tionsgut 4.1 Produkteigenschaften Nahezu alle Sammelgebiete haben dieselben Maßstäbe zur Preisbildung. Dies ist in erster Linie Qualität: Exzeptionell hohe Preise werden nur dann erzielt, wenn Außergewöhnliches geboten wird. Ganz generell kann festgestellt werden, dass sich der Kunstkäufer verstärkt dem Einzelobjekt zu- und von der Vorstellung des Ensembles abwendet. Dies bedeutet, dass der Sammler stärker Epochen, Techniken und Gebiete mischt. Hierdurch steigt die Nachfrage nach Werken höchster Güte – wer nur ein Kunstwerk einer Epoche oder eines Œuevres erwirbt, möchte ein exemplarisches. In der Folge sinkt die Nachfrage für Objekte nur mittlerer Qualität, die vom Ensemble-Sammler auch aus Gründen der Vollständigkeit und ihrer Wirkung im Zusammenspiel mit anderen Werken dieser Epoche gekauft wurden. Abgesehen von der Qualität gibt es wertbildende Eigenschaften, die für alle Sammelgebiete Geltung haben und nachfolgend dargestellt werden.

4.1.1 Authentizität Zunächst muss das Kunstwerk selbstredend authentisch sein. Dieser Nachweis kann leichter erbracht werden, wenn sich für den bestimmten Künstler ein Spezialist oder ein Expertenkomitee herausgebildet hat, das heißt Forschung, Museen, Handel und Auktionen sich darauf geeinigt haben, dass ein bestimmter Experte oder ein Komitee zur Zeit die besten Kenntnisse in der Beurteilung von Werken des Künstlers hat. Gibt es diesen Spezialisten, dann müssen alle Werke vorgelegt werden, bevor man sie auf den Markt bringen kann. Die Authentizität ist allerdings auch für Experten nicht immer einfach festzustellen; die Stilkritik wie die Naturwissenschaft fungieren dabei als Hilfswissenschaften der Kunstwissenschaft. Das bedeutet, dass das Werk nach kunsthistorischen Kriterien einem Künstler zugeschrieben wird, und diese Zuschreibung in der Folge auch stilkritisch und materialkritisch überprüft wird. Daneben kann die Provenienz die Originalität beweisen oder zumindest indizieren. Kann die Stilkritik ein Werk zuschreiben, so kann die Materialanalyse nur »abschreiben« – denn der Nachweis, dass das Material aus der Epoche ist, bedeutet nicht, dass es vom Künstler verarbeitet wurde, umgekehrt aber bedeutet ein zu junges Material, dass das Objekt später gefertigt wurde und daher nicht authentisch sein kann. Aber auch als Mittel der Hilfswissenschaft sind die naturwissenschaftlichen Methoden unter Experten umstritten. So werden vor allem Methoden heftig diskutiert, die zur Altersbestimmung mit der Messung von Strahlung arbeiten (C-14- und Thermoluminiszenz-Methode). Kritiker wenden ein, durch das Ionisieren könnte man Objekte derart verstrahlen, dass ihr eigenes Strahlenbild verfälscht würde. Das Alter von Metallen, und zwar vor allem der seit der Antike für Skulpturen benutzten Bronze, ist naturwissenschaftlich generell

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nicht feststellbar – sofern der Gießer eine Legierung verwendet hat, welche in der Epoche, in der verbriefte Originale hergestellt wurden, üblicherweise verwendet worden war. Ist das Alter des Materials festzustellen, z.B. durch die Messung von Restfeuchtigkeit, bleibt die Frage, wann die Bearbeitung des Materials erfolgte. Relativ leicht sind Spuren an Leinwand und Spannrahmen, Nachlassstempel oder Ausstellungsetiketten zu identifizieren – und entsprechend auch zu fälschen. Beim materiellen Bildauf bau ist der Experte gefragt, der sich mit der technischen Seite der Malerei auskennt, d.h. dem Auf bau des Gemäldes von der Grundierung bis zum Pinselstrich. Technische Hilfsmittel wie die Beschau durch Binokular oder Mikroskop geben Aufschluss über die Pigmentbeschaffenheit. Pigmente erkennt und unterscheidet auch die Röntgenfluoreszenzanalyse. Eine Durchleuchtung mit Infrarotlicht zeigt die mittleren Malschichten, die mit Röntgenstrahlen die Grundierung. Skulpturen und zusammengesetzte Objekte werden ebenfalls geröntgt, sofern man nicht sogar eine Computertomografie erstellt. Denn eine Analyse von Konstruktion des Objekts sowie von der Wandstärke lässt Rückschlüsse auf den Entstehungszeitraum zu (Czichos, 2002, 14ff.; 36f; Hahn/Czichos, 2011).

4.1.2 Knappheit Wichtiger Preisfaktor ist die Knappheit der Ware, denn der überall problemlos erhältliche Gegenstand entwickelt nicht denselben Reiz wie ein Einzelstück. Speziell bei Auktionen setzt ein reges Bietverhalten des Publikums die Einzigartigkeit des Stückes voraus; ansonsten kann der Interessent auf ein identisches, späteres Lot ausweichen. Die Knappheit hat ihre Gründe nicht nur in der begrenzten Zahl von Objekten, die geschaffen wurde, sondern auch in deren Reduzierung durch natürlichen Verfall oder Gewalteinwirkungen durch Kriege und Naturkatastrophen. Silbergegenstände wurden in Notzeiten eingeschmolzen, in Münzen gegossen und geprägt. Zudem haben Veränderungen in der Kunst immer auch auf Kosten des Bestandes stattgefunden. So zerstörte das Mittelalter die antike Kunst, der Goldschmied der Renaissance schmolz die mittelalterliche Goldmünze ein, zur Erstellung eines klassizistischen Interieurs wurde der Rokokostuck abgeschlagen. Der Ökonom Joseph Schumpeter entwickelte schon in den 1930er Jahren den Begriff des »Prozesses der schöpferischen Zerstörung« (Schumpeter, 1997, 64ff.).

4.1.3 Marktfrische Ein Zauberwort der Auktionswelt: Je länger ein Objekt nicht auf der Auktionsbühne oder dem Messestand war, desto größer die Begierde der Käufer. Besonders die Einführung von Datenbanken im Internet, die Auktionsergebnisse von Bildern auch nach Jahrzehnten noch widerspiegeln, hat die Transparenz nachhaltig erhöht. Jedes Durchfallen auf einer Auktion wird dokumentiert, jeder Eintrag eines erfolglosen Angebots bei artnet.com oder artprice.com bedeutet einen Wertverlust für das Objekt. Die Lösung ist eine mehrjährige Lagerung unter Aus-

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schluss der Öffentlichkeit: Man geht davon aus, dass nach drei bis fünf Jahren die Marktfrische wiederhergestellt ist (Ashenfelter/Graddy, 2002, 4ff.).

4.1.4 Provenienz Schon immer waren Kunstwerke besonders interessant, die aus einer berühmten Sammlung heraus verkauft wurden. Diese sogenannte Provenienz addiert zu den vom Werk selbst verkörperten Eigenschaften eine weitere hinzu. Wichtig bei berühmten Vorbesitzern sind ganz generell vertrauenswürdige Belege für diese Berührung mit der berühmten Biographie. Im Kunstwerk manifestiert sich nicht nur die »Idee« des Künstlers, sondern auch die »Idee berühmter Vorbesitzer« – man denkt unwillkürlich an Panowskys »Idea«, aber auch an Adornos Vorstellung vom Ritual. Hierin liegt der Grund für die enormen Preise, die beim Verkauf von adligem Besitz erzielt werden. Die Geschichte dieser Geschlechter ist öffentlich manifest und wird vom Publikum – durch Vermittlung einer darauf spezialisierten Art von Berichterstattung – mitgetragen. Seit den 1970er Jahren ist außerdem zu beobachten, dass auch der Kult um Popstars, Mode, Sport oder sonstige Prominenz vor allem massiv den Auktionsmarkt beeinflusst – der Wert einer Provenienz lässt sich auch ohne Kunstwerk realisieren. Das beste Beispiel hierfür war der von Christie’s 1999 in New York versteigerte Nachlass von Marilyn Monroe: Vintage Fashion, Modeschmuck und Erinnerungsstücke hätten ohne den zugkräftigen Namen sicherlich nicht USD 5,6 Millionen erzielt. (Bonus/Ronte, 1997, 204; Drinkuth, 2003, 96; Graw, 2009; Stourton, 2007, 69ff.).

4.1.5 Museale Dokumentation Durch eine kuratierte Ausstellung in einer öffentlichen Institution wird die Signatur des Künstlers gewissermaßen »beglaubigt« und das physische Objekt zum einen in den Werkzusammenhang – das Oeuvre – gestellt. Als Folge wächst das Renommee des Stücks unter dem Einfluss der als neutral einzustufenden öffentlichen Hand. Eine museale Provenienz eines Werks kann mehrere Ursachen haben. Entweder ist das Museum Eigentümer des Werkes und darf dieses verkaufen – in den USA eine häufige Situation. Oder das Werk wurde einem Alteigentümer widerrechtlich entzogen, im Museum auf bewahrt und wird in Folge einer Restitution auf den Markt gebracht. Der häufigste Fall aber ist die Leihgabe eines Werkes aus einer Privatsammlung an ein staatliches Museum (Bonus/Ronte, 1997, 61; Hein, 2003, 43; Ullrich, 2013, 100). In Zeiten knapper Mittel stellt die Leihgabe für den Museumskurator eine kostengünstige Möglichkeit dar, Lücken der hauseigenen Sammlung schließen zu können. Diese Möglichkeit, haben auch findige Sammler erkannt und versuchen häufig, Bilder an Museen zu verleihen. Das öffentliche Museum wird so zum Schaufenster des Sammlers. Auf diesem Wege drängen der Kunstmarkt und dessen Vorlieben nahezu ungefiltert in die Museen. Vor allem Museen, die einzelne Sammler große, zusammenhängende Räumlichkeiten bespielen lassen, zeigen das deutlich: Aktuell im Hamburger Bahnhof in Berlin mit den Sammlungen

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Marx und Flick, historisch im Kunstmuseum Bonn mit der Sammlung Grote oder in der nahen Zukunft das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Hubert Looser (Adriani, 1999, 10; Blomberg, 2005, 167ff.; Collings, 2001; Falckenberg, 2003, 13; Koldehoff, 2007, 266ff.; Liebs, 2009, 27).

4.2 Neue Geschäftsfelder: Marktverengung und neue Trends Die Verknappung des begehrten Guts »Kunstwerk« hat zwei Folgen: Zum einen begründet es die hohen Preise. Zum anderen bemühen sich die kommerziellen Kunstvermittler um neue Kunden, indem sie immer mehr Warengebieten die »Weihen der Kunst« verleihen. Erster Schritt waren die provenienzgesteuerten »Showbiz-Auktionen« der internationalen Auktionshäuser. Inzwischen wird alles versteigert, was auch nur ansatzweise den Eindruck zu erwecken vermag, ein knappes Gut zu sein. Impulse für diese Sammelgebiete kommen aus allen Bereichen der Popkultur und sind damit nicht nur zahlreicher, sondern auch besser plan- und vermarktbar: Hierfür stehen dem »Devotionalienhandel« dieselben Instrumente wie den Absatzplanungs- und Marketingabteilungen von zum Beispiel Musikunternehmen zur Verfügung, denn Andenken wurden und werden am Fließband produziert und sind entsprechend einfacher zu beschaffen als Kunstwerke und andere Einzelstücke (Drinkuth, 2003, 50).

4.3 Fälscher der Kunst So wie jede Subkultur rechtswidriger Praktiken auf ihre Weise die Anziehungskraft von Allokationsmodellen unterstreicht, so ist die Fälschung der gehandelten Ware regelmäßig Ausdruck der Erfolgserwartung in dem entsprechenden Marktsegment. Die Entdeckung von Fälschungen liegt im Interesse des Künstlers wegen der uneindeutigen Einmaligkeit und Authentizität seines Werkes sowie im Interesse des Kunstmarktes aus wirtschaftlicher Sicht. Von bleibendem Wert ist nur, was zweifelsfrei authentisch ist. In einer Zeit, in der der spezifische Charakter des Originals von der Kunst selbst thematisiert und zum Teil in Frage gestellt wird, ist umgekehrt der Anspruch auf Authentizität ausgeprägter denn je. Wesensmerkmal einer Fälschung ist, dass sie nicht oder nicht in dieser Form von der Hand des Urhebers stammt, der genannt oder suggeriert wird – also nicht original ist. Die Fälschung bedient die Wünsche der Nachfrage nach Kunstwerken. Dies hat zur Folge, dass historische Kunstwerke so gefälscht werden, wie die Zeitgenossen des Fälschers den Künstler verstehen; Zeitgeschmack und Stil verbinden den Fälscher mit seinem zeitgenössischen Rezipienten. Daher werden viele Fälschungen erst nach einem Generationswechsel erkannt; die nachfolgende Generation ist überrascht, dass die Fälschung so lang unerkannt bleiben konnte. Eine Kunstfälschung ist entweder eine Komplett- oder eine Verfälschung. Häufigste Erscheinungsform ist die identische oder abgewandelte Nachahmung eines Originals zur böswilligen Täuschung – die Einstufung als Fälschung ist

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nur dann vorzunehmen, wenn die böswillige Täuschungsabsicht nachgewiesen werden kann. Raffinierter als die identische Nachahmung ist die Kopie eines bestimmten Stils oder einer besonderen Arbeitsweise ohne Übernahme konkreter Werkelemente, aber unter Hinzufügung einer Signatur oder einer Herstellermarke. Von den Fälschungen sind die Verfälschungen abzugrenzen. Hierbei handelt es sich um authentische Kunstwerke, die in der Gegenwart zum Zwecke der Täuschung verändert wurden. Dies kann theoretisch auch eine Übermalung oder eine Ergänzung sein, die das Objekt leichter handelbar machen soll und sich somit im Wert des Stücks niederschlagen kann. Verfälschungen sind aber nur dann Fälschungen, wenn die Ergänzung den Charakter eines Stückes zur Gänze wandelt und/oder erst den Marktwert begründet (Kulenkampff, 2011, 33ff.; Reicher, 2011, 61ff.; zum Originalitätsbegriff vgl. Blunck, 2011). Relevant für den Auktionsmarkt sind vor allem die Fälschungen, die als solche in größeren Stückzahlen hergestellt in kleineren und wenig spezialisierten Auktionshäusern auftauchen. Um Komplikationen zu vermeiden, werden in aller Regel Werke verstorbener Künstler des mittleren Preissegments gefälscht; hier lohnen sich aufwendige Untersuchungsmethoden nicht. Der Absatz über Auktionshäuser hat den Vorteil, dass die Fälschungen neben authentischen Objekten und in der scheinbar seriösen Atmosphäre einer Kunstauktion angeboten werden. Speziell kleine Auktionshäuser sind gefährdet, da sie für ihre Kunden ein möglichst breitgefächertes Angebot bereithalten wollen und nicht für jedes Teilgebiet über eigene Spezialisten verfügen (Hebborn, 2003, 185; Palandt, 2013, Vorbemerkung vor §249, Rdnr. 162). Ein Käufer genießt gewissen Schutz, falls sich ein erworbenes Werk als Fälschung herausstellt. Denn eine Fälschung ist eine mangelbehaftete Sache im Sinne des Bürgerlichen Rechts. Dem stehen allerdings die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aller Auktionshäuser entgegen, die Freizeichnungsklauseln enthalten: Das Auktionshaus haftet nur, wenn der Mitarbeiter wider besseren Wissens gehandelt hat oder Verdachtsmomenten nicht nachgegangen ist. Die jüngste Rechtsprechung in Deutschland reflektiert jedoch den allgemein gestärkten Verbraucherschutz und sorgt für stärkeren Ausgleich der Interessen von Auktionshaus und Käufer, in dem die Sorgfaltspflicht (und damit die Haftung) des Auktionshauses ausgedehnt wird und nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen abbedungen werden kann.

5. D er B eschaffungsmark t Bei Ware einer höheren Qualitätsstufe kann man aufgrund des limitierten Nachschubs davon ausgehen, dass sich die Beschaffung deutlich schwieriger gestaltet als der Absatz. Daher ist der Beschaffungsmarkt für Auktionshäuser in beinahe allen Gebieten der wichtigere (und damit auch umkämpftere) Marktbereich, denn der Nachschub kann nur aus der Gesamtheit bereits existierender Objekte

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rekrutiert werden. Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Werke von Sammlern wieder auf den Markt gebracht werden. Sicherlich ist es der Bedarf an Geldmitteln für außergewöhnliche Vorkommnisse wie Erbauseinandersetzungen oder Bankrotte. Ein weiterer Antrieb, Kunstwerke zu verkaufen, ist die Sammlungsumschichtung, bei der man sich von Fehlkäufen, Doppelexemplaren oder Werken minderer Qualität trennt. Dies gilt sogar in zunehmendem Maße für Museen, die sich von Sammlungsgegenständen (teilweise unter strengen Auflagen) trennen dürfen (Kilian, 2010).

5.1 Kundenkontakte auf dem Beschaffungsmarkt Der Kunst- und Antiquitätenmarkt unterscheidet sich in der Beschaffung stark von anderen Märkten. Im Vordergrund steht das »know where« des Auktionators, als zentral erweist sich der Kontakt zu Sammlern, externen Experten und Museen sowie zu sonstigen Multiplikatoren. Zur Ausdehnung der Netzwerkarbeit wurden von großen Häusern seit den 1950er Niederlassungen eröffnet, sogenannte Repräsentanzen. In weniger als 20 Jahren haben die großen Auktionshäuser nach der Expansion in die USA ein weltumspannendes Netz von Auktionssälen und Niederlassungen etabliert, das ihnen ermöglicht, so rasch wie Wirtschaftsunternehmen anderer Branchen auf Veränderungen des Kunstmarktes wie nationale (Sammel-)Moden einzugehen: Waren es in den 1970er und 1980er Jahren die Metropolen des Westens, sind es im 21. Jahrhundert die des Ostens: von Genf nach Shanghai, von Los Angeles nach Dubai. Aber auch die kleineren, regionalen Auktionshäuser haben Niederlassungen gegründet. Generell dient eine Repräsentanz nicht nur der administrativen Abwicklung von Schätzungen, Einlieferungen oder Käufen, sondern gibt durch die Person des Repräsentanten dem Unternehmen Gelegenheit, innerhalb einer regionalen Kunstszene Präsenz zu zeigen und sich mit Sammlern wie Kuratoren vor Ort auszutauschen (Herbert, 1990, 44f.). Instrumente zur Gewinnung von Kundenkontakten sind vor allem die Expertensprechstunden und die Referenzpolitik. Für die Expertensprechstunden reist der Experte turnusmäßig zu allen Niederlassungen, um Objekte (für den Eigentümer der Objekte kostenlos und unverbindlich) zu begutachten. Wurden diese Werke dann erfolgreich verkauft, wird das massiv kommuniziert: Die Referenzpolitik hat den Zweck, sich dem potentiellen Kunden als erfolgreicher Dienstleister zu präsentieren; häufig der erste Schritt zur Einlieferung. Mittels der Referenzpolitik ist es auch kleineren Unternehmen möglich, potentielle Kunden nicht nur auf hohe, im eigenen Haus erreichte Preise aufmerksam zu machen, sondern auch eine Spezialisierung zu kommunizieren. Werbung und Berichterstattung haben sicherlich dafür gesorgt, dass die großen internationalen Häuser als führende Verkaufsplattformen für Spitzenwerke der Bildenden Kunst angesehen werden, aber in Nischen kleinere Häuser zuweilen höhere Preise erzielen: Neumeister in München für Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts, Fischer in Heilbronn für antikes Glas, Bonhams in London für Porzellan oder Artcuriel

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in Paris für Vintage Fashion, um nur einige Beispiele zu nennen. (Feilchenfeldt, 2005, 16).

5.2 Die Einlieferung Bei der Einlieferung in eine Auktion gibt der Spezialist des Auktionshauses eine Erlösprognose ab, die Schätzung – in aller Regel in Form einer Preisspanne. Bei der Festlegung orientiert er sich an Richtpreisen. Diese sind Ergebnisse vorangegangener Auktionen, deren Zuschläge für eine begrenzte Zeit zum Maßstab werden. Zusammen mit dem Eigentümer wird dann der Mindestpreis, das Limit, festgelegt. Während eine zu niedrig angesetzte Grenze noch von der Konkurrenz der Bieter ausgeglichen werden mag und oft zu besonders harten Bietgefechten führt, können zu ehrgeizige Limits und aggressive Bewertungen potentielle Interessenten leicht verprellen. Bei der Einlieferung wird ein Vertrag abgeschlossen, zu welchen Konditionen das Haus die Ware verkauft. In diesem Vertrag wird die Höhe der Provision festgehalten. In aller Regel gewähren die Auktionshäuser Händlern sowie Museen deutlich bessere Einlieferungsbedingungen als Privateinlieferern.

5.3 Garantieversprechen und Finanzdienstleistungen Zu den direkten Instrumenten der Beschaffung gehört auch die Garantie. Bei besonders wichtigen Stücken garantieren die großen Häuser dem Einlieferer oft einen Mindestzuschlagspreis, um ihn zur Einlieferung zu bewegen. Ursprünglich übernahmen die Auktionshäuser diese Garantien und wurden dann im Nichtverkaufsfall Eigentümer der Werke. Seit einigen Jahren ist dieses System durch die Garantien einer Dritten Partei ersetzt worden. Hierbei bietet ein Kunde verbindlich einen Preis für ein zur Auktion kommendes Stück – im Unterschied zum schriftlichen Gebot, das bis zum Moment der Versteigerung wieder zurückgezogen werden kann. Dieser Preis ist der Garantiepreis, zu dem es der Garantor in der Auktion erwerben wird – wenn niemand höher bietet. Passenderweise nennt daher Sotheby’s seine Garantien auch irrevocable bids. Mit der Garantie geht das Risikos eines Verkaufs vom Verkäufer auf den Garantor über, der dafür entlohnt wird: Der Betrag, um den der Zuschlag die Garantiesumme übersteigt, geht zum Teil an ihn (Watson, 1992, 16). Sollte der Einlieferung allerdings nicht die Sorge um den Abverkauf, sondern die Dringlichkeit des Mittelbedarfs entgegenstehen, so zahlen Auktionshäuser auch einen Vorschuss auf den Auktionserlös aus. Dieser beträgt in aller Regel maximal 50 Prozent des zu erwartenden Erlöses. Wenn sich das Werk nicht verkauft, zahlt der Einlieferer Zinsen: Es handelt sich folglich um einen Kredit des Auktionshauses, welches das Kunstwerk als Sicherheit akzeptiert. Ebenfalls als ein Instrument der Beschaffung ist die Einlieferungs-Vermittlungs-Provision zu sehen. Jedermann, der einem Auktionshaus eine Einlieferung vermittelt, erhält

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beim Verkauf der Ware eine Provision, die in aller Regel zwischen einem Drittel und 40 Prozent der Verkäuferkommission beträgt (Watson, 1992, 385; Goodwin, 2008, 18).

6. D er A bsat zmark t 6.1 Die Saalauktion Die Saalauktion ist nach wie vor die wichtigste Form des Absatzes von Auktionshäuern. Sie wird vorbereitet durch den Katalog, der die zu versteigernden Objekte vorstellt und beschreibt, sowie die öffentliche Besichtigung, während die Interessenten und Schaulustige die Stücke begutachten können.

6.1.1 Katalog und Vorbesichtigung Im Katalog wird die Auktionsware beschrieben und abgebildet. Diese Beschreibung umfasst alle Äußerlichkeiten wie Form, Darstellung, Rahmung, Signaturen und Zustand, aber auch nicht vom Stück verkörperte Aussagen wie Wertungen und Zuschreibungen. Die Katalogbeschreibungen sind nur eine Unterstützung zum Kauf, keine Zusagen oder Garantien. Im Bereich der Zuschreibungen von Werken der Bildenden Kunst folgen Katalogbeschreibungen der kunsthistorischen Praxis. Ist der Spezialist unsicher, schreibt er das Werk zu, das heißt er vermittelt, dass das Werk im Ganzen oder teilweise von der Hand des Künstlers stammt. »Werkstatt von …« deutet an, dass das Gemälde in der Werkstatt des Künstlers zu seinen Lebzeiten, aber nicht unbedingt unter seiner Aufsicht entstanden ist. »Umkreis von …« bezeichnet ein Werk, das ebenfalls zu Lebzeiten des Künstlers oder zumindest in seiner Epoche entstanden ist und seinen Einfluss ausdrückt. »Nachfolger von …« ist nicht der Schüler des Künstlers, sondern irgendein Maler, der nur im Stil des bezeichneten Künstlers arbeitet. Wurde das Werk nur »in der Art von …« verfertigt, liegt zudem noch eine große Zeitspanne zwischen der Lebenszeit des Künstlers, dessen Namen bemüht wird, und desjenigen, der das Bild tatsächlich gemalt hat. Für den Interessenten zentral sind die angegebenen Schätzpreise. Zwar ist das jeweilige Limit der wichtigste Wert in der Auktion, da erst beim Erreichen dieser Grenze das Stück zugeschlagen werden darf. Im Katalog wird jedoch nur ein Schätzwert angegeben, in aller Regel als unterer und oberer Rahmen. Der Schätzpreis an sich ist ein probates Mittel, das Bietverhalten zu steuern, da er von vielen Kunden als Richtwert anerkannt wird (Marx/Arens, 2004, 334; Vormbrock, 2002, 15f.). Die Vorbesichtigung erfüllt nicht nur den Zweck, dem Kunden die Möglichkeit zu geben, vor der Auktion die Ware zu begutachten. Das Auktionshaus ist auch ein Museum auf Zeit, wobei der Aufwand für die Präsentation der Ware wichtiger Auktionen immer größer wird. So hat sich inzwischen ein komplexes

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System von luxuriösen Dekorationen und ausgeklügelten, abgestuften Previews etabliert: Ganze Epochenräume werden gestaltet und von Innenarchitekten werden Vorschläge inszeniert, wie man etwa eine Sammlung zeitgenössischer Kunst in eine antike Wohnungseinrichtung integrieren kann. Zudem werden die Vorbesichtigungen diverser Spartenauktionen kombiniert, um den Eindruck von »bewohnbaren« Räumen zu erschaffen.

6.1.2 Der Auktionsablauf Der Auktionator beginnt mit dem Aufruf des ersten Lots, das gleichzeitig gezeigt wird. Erfahrungsgemäß werden 50-60 Lots in der Stunde aufgerufen. Gesteigert wird in 10 %-Schritten, der Bieter des höchsten Gebots erhält nach dreimaligem Wiederholen des Betrages durch den Auktionator das Lot zugeschlagen. Der aktuelle Stand der Gebote wird auf einer elektronischen Anzeigetafel nicht nur angezeigt, sondern auch in die wichtigsten Währungen der Welt übertragen. Als Zuschlag gilt nicht der Schlag mit dem Hammer, sondern der Ausspruch des Auktionators: »sold«, »adjugé«, »verkauft« etc. Der Hammerschlag ist lediglich ein hörbares Zeichen, dass die Versteigerung der Position abgeschlossen ist und die nächste aufgerufen werden kann, er gibt der Auktion ihren Rhythmus. Legitimationssymbol des Saalbieters ist die Nummerntafel, das sogenannte Paddle. Ohne Nummer darf kein bietender Kunde den Saal betreten, um ein Mitsteigern ohne nachvollziehbare Personenangaben zu verhindern. Geboten wird allerdings mit Handbewegungen, die desto diskreter ausfallen, je erfahrener der Bieter ist. Dieser möchte vermeiden, dass er beim Bieten von Konkurrenten gesehen wird. Der Auktionator ruft das Lot circa zur Hälfte des Schätzwerts auf. Hierdurch sollen die Interessenten zum absatzfördernden Überbieten angeregt werden. Bis zum Erreichen des Limits kann der Auktionator durch »Luftgebote« mitsteigern. Hierbei ruft er einfach den nächsten Schritt auf, ohne dass dafür ein konkretes Gebot vorgelegen hat. Dieses Luftbieten löst gelegentlich Unmut aus, wird doch vom Auktionator nicht vorhandenes Interesse am Lot vorgespiegelt. Diese Praktik kann man allerdings auch vom Standpunkt des Eigentümers aus betrachten: Das Limit ist der Betrag, ab dem der Eigentümer das Lot verkaufen würde. Bis zum Erreichen dieses Betrages bietet der Eigentümer quasi mit, um einen Verkauf zu einem niedrigeren Preis zu verhindern. Erst beim Zuschlag wird die Nummer des erfolgreichen Bieters genannt; gibt es keine Käufer, sagt der Auktionator »passed« oder »unverkauft« (Herchenröder, 2003, 53, 72f.; Ketterer, 1999, 151f.).

6.1.3 Die Atmosphäre Für das Gelingen einer Auktion ist eine gute Atmosphäre im Auktionssaal von Bedeutung. Hier kommt es zunächst auf die Persönlichkeit des Auktionators an, der nicht nur die Technik des Verkaufens, sondern auch die des Unterhaltens beherrschen muss. Wichtig für viele Bieter ist, dass jemand gegen sie bietet. Nicht nur, dass sie sich in ihrer Wahl das Objekt betreffend bestätigt fühlen. Die Auktion ist auch ein Machtkampf. Gegen Ende einer Versteigerung bleiben nur zwei

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Bieter zurück. Jeder hält mit seiner Entscheidung, ob er weiterbietet, die gesamte Auktion auf und den Saal in Atem: Ein einzigartiges »Machtgefühl«. Generell lebt die Atmosphäre im Auktionssaal vom Vorhandensein einer kritischen Masse, die im Fall des erfolgreichen Bieters eben die Öffentlichkeit des Sieges sicherstellt. Ebenso wichtig für die Atmosphäre im Saal ist die Auktionsabfolge, die vom Spezialisten des Gebietes festgelegt wird; der Spezialist »komponiert« die Auktion. Nur er kann die Verkaufschancen der einzelnen Lots einschätzen, nur er kennt die Problemfälle. Kritische oder besonders teure Stücke werden unter die Lots gemischt, bei denen die Verkaufswahrscheinlichkeit hoch ist, um die Auktion fließend zu halten, da eine Reihe mehrerer unverkaufter Lots die Stimmung im Saal massiv beeinträchtigen kann. Der Verkauf des Eröffnungslots gilt immer noch als gutes Omen für den Erfolg der Auktion (Herchenröder, 2003, 106; Ketterer, 1988, 149; Thomson, 2008, 130ff.; Thornton, 2008, 27).

6.2 Die Internetauktion Zunächst lässt sich jede reguläre Saalauktion durch eine Internetveranstaltung erweitern. Hierbei wird das Saalgeschehen auch im Netz wiedergegeben und Internetgebote gleich Telefongeboten angenommen. Die Bieter sehen und hören dank der Netzübertragung den aktuellen Stand der Gebote und können per Mausklick mitbieten; die Auktion wird im Saal durch den Hammerschlag beendet. Eine demgegenüber echte Internet-Auktion entsteht dann, wenn die Lose nicht im Saal, sondern nur im Netz aufgerufen werden. Hierbei wird der Verkauf wie eine Saalauktion vorbereitet, d.h. die Experten des Hauses wählen geeignete Stücke aus und bearbeiten diese. Für die Richtigkeit von Zuschreibungen, Altersund Zustandsangaben haftet das Haus in dem Rahmen der vertraglichen Haftung. Es erscheint lediglich kein gedruckter, sondern ein virtueller Katalog. Das Netz ersetzt die körperliche Veranstaltung sowie tatsächliche und telefonische Gebote. Das eBay-Modell, nach dem der Anbieter das Angebot gestaltet und dann auf der Website des Auktionshauses eine begrenzte Zeit präsentiert, hat sich für Kunstwerke nicht durchgesetzt. Der Käufer vertraut der Expertise und Neutralität des Auktionshauses und bevorzugt daher Internetauktionen, bei denen die Katalogisierung nicht vom Verkäufer selbst vorgenommen wird (Bischoff, 2013, 45ff.; Herchenröder, 2000, 32; Ressler, 2001, 160).

6.3 Kundenkontakte auf dem Absatzmarkt Obwohl die Beschaffung von Qualitätsware heute für schwieriger als deren Absatz gehalten wird, überwiegen die Maßnahmen zur Sicherung des Absatzes. Die Erklärung ist, dass man durch erfolgreiches Marketing den Wert eines impressionistischen Meisterwerkes wesentlich leichter verdoppeln kann als das Ergebnis einer Möbel- oder Porzellanauktion. Seit über 30 Jahren verdienen die Häuser am Absatz mehr als auf dem Beschaffungsmarkt, da auch die Käufer die Dienst-

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leistung der Auktion entlohnen. Das Käuferaufgeld beträgt zwischen 10 und 25 Prozent des gebotenen Preises, je nach Höhe des Zuschlags. Kam ursprünglich das Einkommen des Auktionshauses ausschließlich vom Verkäufer, zahlt es nun großteilig der Käufer. Das Käuferaufgeld hat es den großen Häusern ermöglicht, den Konkurrenzkampf auch auf die Verkäuferkommission auszudehnen – mit der Folge, dass diese insgesamt sank. Da es sich bei der Ware der Kunstversteigerer nicht um beliebig herstellbare Produkte handelt, muss auch ihr Marketingkonzept einer wesentlich komplexeren Aufgabenstellung folgen. Zu den wichtigsten PR-Maßnahmen gehören Inserate in Fachzeitschriften sowie in internationalen, überregionalen und ortsansässigen Zeitungen. Ebenfalls in den Bereich der PR fallen alle Arten von Auktionskalendern. Für größere Kunsthandelszentren veröffentlichen einige Auktionshäuser sogar Führer zu allen Kunstereignissen eines Monats – Auktionen, Vernissagen, Ausstellungen, Messen etc. Auf den Homepages der Auktionshäuser kann sich der Besucher über die Waren- und Dienstleistungsangebote der Häuser sowie über Details des Auktionsprozesses informieren. Die regulären Kataloge der Saalauktionen sind schon seit Ende der 1990er Jahre online erhältlich, ebenso sind Objekt-Suchlisten über die Homepage zu bedienen. Zu den Lots einer Auktion kann sich der Kunde per Email einen Zustandsbericht zusenden lassen. In der Entwicklung befinden sich außerdem elektronische Einkaufsberater, die mit Hilfe von Nutzerprofilen dem Kunden bei der Suche nach den gewünschten Produkten helfen und ihm von sich aus Waren anbieten, die seinen Vorstellungen entsprechen (www.artsy.com). Bei großen Auktionen wird die Ware gern auf eine Ausstellungstournee in die großen Städte der Hauptabsatzmärkte geschickt. Für das Unternehmen bietet sie neben der reinen Warenpräsentation die Möglichkeit, durch die Veranstaltung von Empfängen, Previews etc. einen Anlass zu schaffen, Kunden einzuladen, um eine Plattform für ihre Netzwerkarbeit zu schaffen. Abgeschlossen wird das Dienstleistungsprogramm der großen Auktionshäuser durch den Bildungsbereich. Im weiteren Sinne kann man das Angebot von Praktikumsplätzen zu diesem Bereich zählen, wird doch Studierenden ein Einblick in das Geschäft auf dem Kunstmarkt ermöglicht. Der Bildungsbereich im klassischen Sinne wird durch eigene Institutionen abgedeckt, die das Fachwissen der Unternehmen gegen Gebühr jedermann zugänglich machen. Der Inhalt derartiger Kurse reicht von einer reinen Weiterbildung in Abendkursen zu begrenzten Themen über komplette Kunststudiengänge, die an Universitäten angegliedert sind und einen »Master of Art«-Abschluss ermöglichen (Drinkuth, 2003, 138f.).

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7. Z usammenfassung und E rgebnisse Obgleich der Kunstmarkt in seiner Form tradierten Regeln und Gesetzen folgt, hat er sich seit der Jahrtausendwende so stark verändert wie nie zuvor. In einem globalisierten Markt ist es den Auktionshäusern gelungen, sich von Großhändlern zu Einzelhändlern zu entwickeln. Dies war nur möglich, weil sie sich aus Sicht des Käufers als dritte Distributionsform neben dem Galeriesystem sowie dem klassischen Kunsthandel etablieren konnten. Die neuen Käufer der Auktionen sind vor allem Endkunden, die höhere Preise zahlen als ein Händler und für Maßnahmen zur Gewinnung und Pflege von Kundenkontakten offener sind. Dank der neuen Informationstechnologien sind diese Kunden auch für national oder lokal ausgerichtete Auktionshäuser erreichbar. Die Fokussierung auf die Vermarktungsmöglichkeit von Auktionsobjekten hat ihre Entsprechung in der zunehmenden Bedeutung von Eigenschaften, die das Werk gegenüber anderen, ähnlichen auszeichnet: Provenienz und Marktfrische. Nur Auktionshäuser sind in der Lage, allein auf der Basis interessanter Provenienzen ganze Marktbereiche zu generieren. In den Märkten selbst hat sich die Aufspaltung in Meisterwerke und Füllware verstärkt. Auf die regionalen Einzelmärkte bezogen kann man feststellen, dass sich die Ware des gehobenen und höchsten Marktbereichs in New York und in Europa verkauft. London hat seine führende Rolle im Bereich der angewandten Kunst und der Alten Meister behauptet. Die Verschiebung des Marktes für zeitgenössische Kunst nach New York kompensiert der Pariser Markt, indem er den Schwerpunkt auf den Bereich des Impressionismus und der Klassischen Moderne sowie der angewandten Kunst setzt. London kommt entgegen, dass die »neuen« Käufer aus Asien und den ehemaligen GUS-Staaten diesen Handelsplatz gegenüber New York vorziehen. Im Mittelmarkt zeigt sich, dass die Nachfrage in aufstrebenden Ökonomien auf einem breiteren Fundament sammelnder Schichten ruht und von Aukionen bedient wird, die immer häufiger vor Ort stattfinden – Dubai, Shanghai, Mumbai.

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Fluch oder Segen? Die Bedeutung der Kunstmessen für den internationalen Kunstmarkt Gérard A. Goodrow

1. E inführung Als der »Kunstmarkt Köln« am 13. September 1967 als erste Messe weltweit für moderne und zeitgenössische Kunst seine Tore in der Kölner Altstadt aufmachte, verstand er sich in erster Linie als marktwirtschaftliche Plattform für »progressive deutsche Kunsthändler«, um Kunst von jüngeren und etablierten Künstlern einem breiten Publikum zum Verkauf anzubieten. 18 Galerien aus ganz Deutschland nahmen an dieser ersten Messe teil.1 Was aus heutiger Sicht selbstverständlich erscheint, kam zu der Zeit einer Revolution gleich. Über die Jahrhunderte war die Kunst zwar stets auch als Handelsware angesehen, dennoch lebte man gerne in der Vorstellung, dass Kunstwerke etwas besonders waren und somit in keiner Weise mit üblichen Handelswaren vergleichbar. Denn bis dahin war der Verkauf von Kunst Vertrauenssache zwischen »Gentlemen« und fand vorwiegend hinter geschlossen Türen statt. Dass die Initiatoren des ersten Kunstmarkts ausgerechnet das Format der Fachmesse wählte, kam sogar solch international agierenden Marktteilnehmern wie dem inzwischen legendären deutsch-französischen Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler unwürdig vor: »Da gibt es Schweine in Deutschland, die tragen die Kunst jetzt zu Markte«2, behauptete er mit Empörung. Auch heute im Zeitalter der Markttransparenz bleibt das Vorurteil, dass das Handeln mit Kunst etwas Verruchtes sei, und findet Ausdruck in der sprach1 | Die Galerien kamen aus folgenden Städten: Berlin (2), Düsseldorf (3), Eßlingen (1), Frankfurt a.M. (1), Hamburg (1), Hannover (1), Kassel (1), Köln (4), München (3) und Stuttgart (1) — eine klare Indikation dafür, dass damals noch keine Stadt eine vorherrschende Rolle auf dem Kunstmarkt spielte, wobei eine gewisse Tendenz in Richtung Rheinland zu erkennen ist. 2 | Zitiert in: Kunstmarkt Köln ’67. Entstehung und Entwicklung der ersten Messe für Moderne Kunst. 1966-1974, Sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels, Heft 6, Köln 2003, S. 12.

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lichen Differenzierung zwischen »Kunsthändler« und »Galerist«, wobei erster die Kunst »verkloppt« (mondän, marktorientiert, ausbeuterisch) und zweiter sie »vermittelt« (erhaben, kunstnah, idealistisch). Im Jahr 1966 kam eine Gruppe von gleichgesinnten Kunsthändlern und Galerieinhabern zusammen, um den Verein progressiver deutscher Kunsthändler e.V. ins Leben zu rufen, mit dem einzigen Zweck, einen Kunstmarkt auf der Basis einer Fachmesse zu gründen und durchzuführen. Damit hatten sie in gewisser Weise eine Art »Büchse der Pandora« aufgemacht, die nicht mehr zu schließen war und das Berufsbild vor allem des Galeristen für immer verändern und die Daseinsberichtigung der Galerie immer mehr gefährden sollte. Heutzutage wird die Mehrzahl der Messen für moderne und Gegenwartskunst nicht mehr von Galeristen und Kunsthändlern selbst, sondern von Messegesellschaften veranstaltet, die wenig bis nichts mit dem Kunstmarkt zu tun haben und dadurch auch andere Interessen vertreten, wie insbesondere Quadratmeter an Aussteller zu vermieten. Dieser Wechsel der Trägerschaft der Kunstmessen führt unweigerlich zu Konflikten zwischen Träger und Teilnehmer, die nicht immer in Einklang gebracht werden können. Vor allem in den letzten 15 Jahren gab es eine explosionsartige Erweiterung des Messemarkts, so dass der Auftakt des neuen Millenniums den Beginn eines neuen Zeitalters der Kunstmessen bedeutete. 2001 fanden rund 55 relativ bedeutende Kunstmessen weltweit statt. 2008 waren es schon 205.3 Die inzwischen unübersichtlich große Vielzahl der Messen für moderne und zeitgenössische Kunst in allen wichtigen und zum Teil auch marginalen Marktstandorten weltweit birgt in sich sowohl Vorteile als auch Nachteile, vor allem für die Aussteller und die teilnehmenden Künstler, die immer mehr und immer schneller »frische Ware« liefern müssen, um den wachsenden Markt ausreichend bedienen zu können. Im Folgenden wird auf die Geschichte und Entwicklung sowie die Aufgaben und Strukturen der Messe für moderne und Gegenwartskunst eingegangen, bevor dann die wichtigsten Veranstaltungen weltweit kurz beschrieben und miteinander verglichen werden. Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der inhärenten Problematik der Kunstmesse im Kontext des aktuellen globalen Kunstmarkts wird einen kurzen Blick auf die Zukunftsperspektiven der Kunstmesse sowie der Galerie im Rückenwind der rasanten marktwirtschaftlichen Entwicklung des internationalen Kunstmarkts seit dem Millenniumswechsel geworfen.

3  |  Donald N. Thompson, The $ 12 Million Stuffed Shark. The Curious Economics of Contemporary Art, New York 2008, S. 170.

Gérard A. Goodrow: Die Bedeutung der Kunstmessen für den internationalen Kunstmarkt

2. G eschichte und E nt wicklung Wie eingangs erwähnt, wurde 1966 der Verein progressiver deutscher Kunsthändler mit dem Ziel gegründet, einen jährlich stattfindenden Kunstmarkt in Köln zu etablieren. So sollte der Standort Deutschland nicht nur gestärkt, sondern überhaupt ins Bewusstsein der potentiellen Kunden gerufen werden. In einem Bericht über die erste Messe 1967 schrieb ein Schweizer Journalist: »Der Kölner Kunstmarkt hat sicher vielen zum ersten Mal vor Augen geführt, daß Kunstwerke zu kaufen sind, er hat sicher die Scheu vor der Galerie abgebaut.«4 Die Idee, einen Kunstmarkt nach dem Modell einer Fachmesse zu gründen, stammte von dem damals 33 jährigen Kölner Kunsthändler Rudolf Zwirner gemeinsam mit dem 20 Jahre älteren Kunsthändler Hein Stünke (Galerie Der Spiegel, Köln), der auch zum Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde. Der Kunstmarkt fand vom 13.-17. September im Gürzenich in Köln statt und wurde von einer von den teilnehmenden Galerien bestückten Verkaufsausstellung im Kölnischen Kunstverein begleitet. Die Ausstellung sollte als Marketingmaßnahme die Botschaft vermitteln, es handele sich hier zwar um einen Markt, der selbstverständlich wirtschaftliche Regeln und Ziele verfolgt, dennoch nehmen die teilnehmenden Galeristen und Kunsthändler ihren Bildungsauftrag ernst und setzen diesen gezielt um. So betonte Stünke im Vorwort zum Messekatalog: »Der Verein hofft […], den Besuchern von Kunstmarkt und Ausstellung einen gewissen Eindruck zu vermitteln davon, wie Malerei, Plastik, Graphik und Objekte der letzten Jahre sich in Deutschland und im Ausland entwickelt haben.«5 Die zwei folgenschwersten Fehleinschätzungen der Gründer der ersten Messe für moderne und zeitgenössische Kunst lagen darin, die Messe klein und exklusiv zu halten sowie die Konkurrenz aus dem Ausland explizit auszuschließen, denn laut Rudolf Zwirner wollten sie die »ausländischen Kollegen [nicht] ins Land reinholen«6. Auch wenn die Fehleinschätzung der Bedeutung der Internationalität der Messe schon bei der Folgeveranstaltung 1968 zum Teil von den Veranstaltern eingesehen wurde – sechs namhafte Galerien aus London, Mailand, New York und Paris wurden zur Teilnahme an der 2. Auflage der Messe eingeladen –, war der Schaden schon angerichtet. Andere Kollegen und Stakeholder im Ausland nutzten daraufhin die Gelegenheit, um ihre eigenen Kunstmärkte zu etablieren, die wesentlich weniger exklusiv waren und bei denen nicht nur dem jeweils re4 | E. Rathke in einem Bericht in der Schweizerischen Handelszeitung, 1967; zitiert in: Kunstmarkt Köln ‚67. Entstehung und Entwicklung der ersten Messe für Moderne Kunst. 1966-1974, Sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels, Heft 6, Köln 2003, S. 11-12. 5 | Hein Stünke, im Messekatalog: Kunstmarkt 67, Verein progressiver deutscher Kunsthändler, Köln 1967, o.S. 6  |  Heinz Peter Schwerfel, Rudolf Zwirner, Energien | Synergien, Bd. 2, Kunststiftung NRW (Hg.), Köln 2004, S. 58.

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gionalen bzw. nationalen Markt eine Plattform geboten wurde, sondern dieser bewusst und gezielt in einen internationalen Kontext gestellt werden sollte. So fand 1968 die erste Art Brussels statt (damals im Zweijahresrhythmus unter dem Namen »Art Actuel«); im selben Jahr wurde die Idee der Art Basel geboren, die dann 1970 zum ersten Mal stattfand. 1974 folgte dann eine weitere Kunstmesse, die ArteFiera in Bologna, die jedoch über die Jahre zu einer Veranstaltung mit einer lediglich regionalen Bedeutung verkommen ist. Die Exklusivität des Kölner Kunstmarkts führte ebenfalls zur Gründung der ersten Gegenveranstaltungen vor Ort in Köln bzw. im Rheinland, denn auch nicht eingeladene Galeristen und Kunsthändler sahen schnell die Vorteile einer Kunstmesse ein und wollten selbstverständlich ebenfalls davon profitieren. So fand schon 1967 die »Demonstrative« Köln statt, gefolgt 1968 von der »Prospect 68« in Düsseldorf, 1969 des »Neumarkt der Künste« in Köln und 1971/72 der »Internationale Kunst- und Informationsmesse« wiederum Düsseldorf. Die größte Gegenmesse zur Art Cologne entstand 1995 aus der Gründung des Art Forum Berlin, das zwar langfristig nicht überlebensfähig war und 2011 eingestellt wurde, aber zu einer Spaltung der deutschen Kunstmessen-Landschaft geführt hat, die bis heute noch nicht ganz überwunden ist. Bei der ersten Art Basel, die vom 11.-16. Juni auf dem Gelände der Schweizer Mustermesse stattfand, nahmen schon 90 Galerien aus zehn Ländern teil. Wie in Köln kam auch hier der Impuls aus der Galerieszene. Zu den Gründern der Messe gehörten die Galeristen Ernst Beyeler, Trudi Bruckner und Balz Hilt. Von Anfang an war Ernst Barmettler als Vertreter der damaligen Schweizer Mustermesse dabei, denn es sollte bei der Art Basel eine Aufgabenverteilung geben, wobei die Mustermesse der Veranstalter sein sollte, dem ein Komitee aus Galeristen und Kunsthändlern beratend zur Seite stehen würde. Es wurde angenommen, dass so die vermeintlichen Interessenskonflikte vermieden werden könnten, die daraus entstehen, dass bestimmte Galeristen und Kunsthändler alleine über die Teilnahme ihrer Kollegen entscheiden. Im Gegensatz zum exklusiven Kunstmarkt Köln, bei dem nur gezielt eingeladene Galerien teilnehmen dürften, war die Art Basel als inklusive Veranstaltung konzipiert, bei der Galerien und Kunsthändler aus der ganzen Welt sich zur Teilnahme anmelden konnten. Diese unterschiedliche Vorgehensweise hat sicherlich auch mit der jeweiligen Trägerschaft zu tun, denn der Verein in Köln dachte viel weniger an die Einnahmen aus Standvermietungen als die Geschäftsführung der Schweizer Mustermesse, deren Geschäft genau darin lag, Quadratmeter an Aussteller zu vermieten. Die Kölner reagierten auf die neue Konkurrenz aus Basel mit einer Art Boykott und verlangten von ihren eigenen Teilnehmern, dass sie sich ausschließlich für Köln entscheiden und bei der neuen Messe in Basel nicht teilnehmen sollten. Insgesamt nahm Köln eine höchst defensive Haltung ein, die auch im Vorwort des Katalogs zur 4. Veranstaltung im Oktober 1970 deutlich zum Ausdruck kommt. So schrieb der neue Vorsitzende des Vereins progressiver Kunsthändler Dieter Brusberg in seinem Vorwort: »Hier gilt es abzuwägen: den Schutz der eigenen

Gérard A. Goodrow: Die Bedeutung der Kunstmessen für den internationalen Kunstmarkt

Belange gegen die Gefahr, vielleicht in den Schatten anderer, neuerer, internationaler Initiativen zu geraten, Marktanteile zu verlieren und wieder in den Provinzialismus zurückzufallen.« 7 Hiermit wurden die Weichen für einen erbitterten Konkurrenzkampf zwischen Köln und Basel gestellt, der spätestens Anfang der 1990er Jahre scheinbar endgültig von den Schweizern gewonnen wurde.

3. A ufgaben und S truk turen Wie oben schon erwähnt, war die Entscheidung, den ersten Kunstmarkt Köln – und daraufhin fast alle verwandten Verkaufsveranstaltungen des internationalen Kunstmarkts, die seitdem ins Leben gerufen wurden – nach dem Modell der Fachmesse zu gestalten, bewusst und gezielt. Energien und natürlich auch das Angebot sollten gebündelt werden, um daraus eine vereinte Stärke zu erzeugen. So argumentierte 1967 der Kölner Kultur- und Wirtschaftsjournalist Will Bongard: »Im Unterschied zu New York (oder London, oder Paris) ist der deutsche Kunstmarkt in ein halbes Dutzend und mehr Teilmärkte aufgesplittert – mit der sattsam bekannten Folge, dass dieser Markt ein Schattendasein führt und die deutsche Kunst der Gegenwart international keinen Kurswert hat«8 Mit der Gründung des Kunstmarkt Kölns sollte dieses Problem ein für alle Mal gelöst werden. Als Fachmesse für den Kunstbetrieb bedient eine Kunstmesse sowohl den Primär- als auch den Sekundärmarkt. Eine Kunstmesse ist zwar gegen Eintritt für die Öffentlichkeit zugänglich – eine von Anfang an einkalkulierte Einnahmequelle für den Veranstalter –, dennoch ist sie in erste Linie für ein Fachpublikum konzipiert, das vorwiegend aus Käufern und Multiplikatoren (Sammler, Museen, Corporate Collections, Händler etc.) besteht. Um dieses Fachpublikum eine Chance zu bieten, unter sich bleiben zu können, werden exklusive Vorbesichtigungen veranstaltet, bei denen die breite Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Die Kunstmesse bietet das, was man auf Neudeutsch »One-Stop-Shopping« nennt, d.h. ein möglichst breites Angebot an Waren von unterschiedlichen Anbietern wird nach dem Motto »Konkurrenz belebt das Geschäft« zum Verkauf anpriesen. Man spricht hier von der sogenannten Markttransparenz. Somit können Endabnehmer das Angebot in seiner Breite sichten, um Qualität und Preise besser vergleichen zu können. Vor allem in den letzten Jahren ist gerade dieser Aspekt des Messekonzepts immer wichtiger geworden, denn Sammler, Kuratoren und andere Stakeholder haben bei der Fülle der Veranstaltungen zu wenig Zeit und bevorzugen deswegen den komprimierten Besuch einer Messe, um alles und 7  |  Dieter Brusberg, im Messekatalog: Kölner Kunstmarkt 70, Verein progressiver deutscher Kunsthändler, Köln 1970, o.S. 8  |  Willi Bongard, »Das Kölner Kunst-Kartell«, in: Die Zeit, 8.9.1967, zitiert in: Galerien in Deutschland. Schnittstelle Kunst+Markt, Bundesverband Deutscher Galerien e.V. (BVGD), Köln 2000, S. 12.

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allen sehen zu können. Wie bei anderen Fach- und Industriemessen auch, ist die Möglichkeit zum Netzwerken unter dem Fachpublikum – sowie unter denen, die gerne hierzu gehören möchten – beim Besuch einer Kunstmesse ebenfalls von zentraler Bedeutung. Obwohl der Kunstmarkt Köln als Einladungsmesse und die Art Basel als »offene« Messe, bei der fast jede Galerie mitmachen durfte, die sich zur Teilnahm angemeldet hatte, gegründet wurden, hat sich über die Jahre das System des Messekomitees, das aus der Fülle der Bewerber die geeignetsten Kandidaten zur Teilnahme auswählt, fast flächendeckend durchgesetzt. Zum Komitee gehören bei fast allen Kunstmessen ausschließlich Galeristen und Kunsthändler, die selbst an der jeweiligen Messe teilnehmen. Die Logik dahinter besteht darin, dass der Kunstmarkt so unübersichtlich ist, dass nur ein »Insider« in der Lage ist, echte Qualität in Bezug auf die Galeriearbeit beurteilen zu können. Taktisch gesehen, wird das Modell des Komitees zusätzlich vom Messeveranstalter eingesetzt, um die Mitglieder des Gremiums, die in der Regel unter den Top-Galeristen ihres jeweiligen Bereiches bzw. Landes gehören, zumindest mittelfristig an sich zu binden. So wird häufig auch einen Platz im Komitee angeboten, um neue Messeteilnehmer vom gehobenen Niveau zu gewinnen bzw. um Galeristen, die mit einem Absprung drohen, nicht zu verlieren. Falls ein Bewerber vom Komitee abgelehnt wird, besteht bei fast allen Messen weltweit die Chance, durch einen schriftlichen Widerspruch die Bewerbung nochmal von demselben oder einem zusätzlichen Komitee bewerten zu lassen. Von enormer Bedeutung für die zugelassenen Galerien ist ihre Platzierung innerhalb der Messe. Da sogar bei einer kleinen Kunstmesse bis zu 80-100 Galerien teilnehmen – bei der Art Basel sind es jährlich rund 300 – ist eine gute Platzierung in der Messehalle wichtig, so argumentieren die Teilnehmer zumindest, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Rein objektiv gesehen, können die Messeveranstalter die Platzierung der Kojen nutzen, um eine gewisse Hierarchie unter den teilnehmenden Galerien herzustellen bzw. zu respektieren. Die Platzierung innerhalb der Messehalle spiegelt also grundsätzlich die Relevanz und Marktpositionierung der Teilnehmer wider – wer in der Nähe des Haupteingangs, einer beliebten Messegastronomie oder Ruhezone bzw. neben einem weiteren wichtigen Teilnehmer am Markt platziert ist, wird eher und zuerst von den wichtigsten Messebesuchern gesehen und wahrgenommen. Messeteilnehmer, die dem Veranstalter oder dem Komitee unbeliebt sind – entweder durch Mangel an Qualität oder dadurch, dass sie ihre Teilnahme durch Widerspruch erzwungen haben – werden wiederum häufig in dunkle Ecken oder in der Nähe der Toiletten oder Lastenaufzüge platziert. Das Berliner Art Forum umging diese Problematik der Teilnehmerhierarchie, indem es eine alphabetische Standplanung einführte. Bisher blieb diese Strategie allerdings eine Ausnahme. Neben dem Auswahlkomitee gibt es bei den meisten Messen eine separate Jury, die im Vorfeld der Eröffnung der Messe, vorwiegend während der Auf bauzeit bzw. der Pressekonferenz, die Qualität und ggf. die Authentizität der aus-

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gestellten Ware sowie die Standpräsentation überprüft und bewertet. Dieser Prozess heißt im Fachjargon »Vetting« (Dt. »Überprüfung«). Im Gegensatz zum Messekomitee gehören der Messejury nur selten teilnehmende Galeristen oder Kunsthändler an. Vielmehr werden externe Experten, wie z.B. Museumsleute, Kunstsachverständige, Restauratoren oder auch Journalisten, eingeladen, um ein möglichst objektives und unvoreingenommenes Urteil zu erzielen. Falls ein Werk dem angestrebten Niveau der Messe nicht entspricht bzw. falls es Zweifel an seiner Authentizität gibt, bittet die Jury um das Entfernen des fraglichen Werkes. Eine Verweigerung seitens des Ausstellers kann zu seinem Ausschluss von der Messe führen. Der Veranstalter einer Kunstmesse ist vor und während der Veranstaltung dafür verantwortlich, optimale Rahmenbedingungen für die teilnehmenden Galerien zu schaffen, so dass diese wiederum, ihre Ware professionell präsentieren können. Zu den Rahmenbedingungen gehören also nicht nur eine saubere und gut strukturierte Halle, stabile Wände und eine ausreichende Beleuchtung, sondern auch ein entsprechendes Rahmenprogramm, um das Event »Kunstmesse« schmackhaft für potentielle Käufer zu machen. Die Betreuung der Kunden liegt zum Teil in den Händen des Messeveranstalters, der ein exklusives VIP-Programm zusammenstellt, inkl. eines Shuttle-Service, einer VIP-Lounge, Sonderveranstaltungen, eines Concierge-Service und ggf. auch Anreise und Übernachtung für besondere Gäste. Für ihre eigenen Kunden sind die Galerien darüber hinaus auch selbst verantwortlich; diese werden beispielsweise im Vorfeld von den Galerien über das jeweilige Angebot informiert und zu exklusiven Abendveranstaltungen oder Empfängen am Messestand eingeladen. Der Messeveranstalter ist ebenfalls für die Akquisition und Betreuung von hochkarätigen Sponsoren zuständig, die nicht nur Geld und Sach- bzw. Serviceleistungen bieten, sondern auch – durch Imagetransfer – Ruhm und Renommee sowie ggf. Zugang zu ihren eigenen potenten Kunden. So ist seit Jahren die Schweizer Großbank UBS »Partner« der Art Basel und die Deutsche Bank Hauptsponsor der Frieze Art Fair in London. Hauptsponsor der Art Brussels ist ING Belgien. Bei der Art Cologne engagiert sich finanziell und inhaltlich die AXA Art Versicherung mit Hauptsitz in Köln, während die amerikanische Versicherungsgesellschaft Chubb Personal Insurance ein wichtiger Sponsor der Armory Show in New York ist. Solche Sponsoring-Partner zahlen nicht nur bis zu Millionensummen in die Messekasse ein, sondern verleihen den Messen ein Image der Exklusivität. Darüber hinaus laden sie ihre eigenen Top-Kunden zu Sonderveranstaltungen auf der Messe ein und tragen somit potentiell zum Gesamtumsatz der Messeteilnehmer bei, was dann letztendlich den Erfolg einer Messe bestimmt – zumindest für die teilnehmenden Galerien. Weitere Partnerschaften werden zwischen dem Messeveranstalter und beispielsweise Automobilfirmen geschlossen, die einen VIP-Shuttleservice zur Verfügung stellen, sowie mit wichtigen Tageszeitungen und Fachzeitschriften, die nicht nur Berichterstattung anbieten,

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sondern auch Sonderveranstaltungen in Form von Podiumsdiskussionen und Vorträgen durchführen und damit die »Kompetenz« der Messe erhöhen.

4. Tr adition versus I nnovation : D ie wichtigsten K unstmessen welt weit Unangefochtene Königin der Messen für moderne und zeitgenössische Kunst ist die seit 1970 jährlich stattfindende Art Basel, die als Reaktion auf die exklusive, nationale Haltung des 1967 gegründeten Kunstmarkts Köln ins Leben gerufen wurde. Wegen ihrer seit mindestens zwei Dekaden anhaltenden Marktherrschaft wird die Art Basel häufig schlicht als »Phänomen« bzw. als »Museum auf Zeit« bezeichnet. Dennoch hat jedes Erfolgsrezept seine einfachen Ingredienzen und jede Erfolgsgeschichte eine leitende Persönlichkeit, die hinter ihr steht. Basel ist diesbezüglich keine Ausnahme. Das Erfolgsrezept beinhaltet seit der Gründung nicht nur die internationale Ausrichtung der Messe und die Einrichtung eines Komitees, das aus den zum Teil besten und engagiertesten Galeristen weltweit besteht, sondern auch die intelligente Mischung aus »Kunstmarkt-Savvy« und »Messe-Knowhow«. Wie bereits oben erwähnt, wurde die Messe 1968 von drei Galeristen und einem Vertreter der Schweizer Mustermesse konzipiert. Die Miteinbeziehung eines Messespezialisten sowie einer erprobten Messegesellschaft befreit die Galeristen und Kunsthändler von der komplexen Organisation und Verwaltung der Messe, so dass sie sich auf ihr Kerngeschäft, die Vermittlung und den Verkauf von Kunst sowie die Betreuung der eigenen Kunden, konzentrieren können. Seit Mitte der 1980er Jahre setzt Basel auf ihre Messeleiter, die schnell zu führenden Persönlichkeiten innerhalb der internationalen Kunstszene geworden sind. Neben Lorenzo Rudolf, der in seiner Amtszeit (1991-2000) als Leiter der Art Basel das Rahmenprogramm der Messe in die Stadt hineintrug und somit die Verkaufsveranstaltung zum Gesellschaftsevent machte, war auch der charismatische Samuel Keller (2000-2008) als Galionsfigur prägend für das Image der Messe. 2001 war die Eröffnung eines Ablegers der Messe in Miami Beach geplant, die aber wegen der Ereignisse am 11. September 2001 um ein Jahr verschoben wurde. Inzwischen ist die Art Basel Miami Beach (ABMB) die führende amerikanische Kunstmesse. Wesentlich zum Erfolg der ABMB beigetragen hatte eine Gruppe von lokalen Kunstsammlern, die als Luxus-Hotelbesitzer, Immobilienmakler und Bauherren ein starkes Interesse an dem Erscheinungsbild ihrer Stadt haben. Die Rechnung mit der Kunstmesse als Standortfaktor ging auf und das Image der Stadt, die vorher eher als Heimat der »kubanischen Mafia«, beliebte Partylokation für Studenten in Ferienzeiten bzw. als Zufluchtsort für vorwiegend jüdische Rentner aus den Nordstaaten bekannt war, erlebte eine radikale Transformation und gilt heute als eine der beliebtesten Wohn- und Ferienorte der Reichen und Berühmten in den Vereinigten Staaten. 2013 fand die erste Edition der Art Basel Hong Kong (ABHK), die aus der Übernahme der 2007 von Magnus Renfrew ge-

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gründeten Art Hong Kong entstand, statt. Mit der Expansion nach Asien erhofft sich die Art Basel, in Kombination mit der nordamerikanischen Schwestermesse ABMB, die globale Marktherrschaft der Kunstmesse-Industrie für sich zu gewinnen bzw. zu sichern. Die Zukunft der neuen chinesischen Schwestermesse der Art Basel ist zwar vielversprechend, dennoch ist das Unternehmen noch zu jung, um fundierte Prognosen abgeben zu können. Der asiatische Markt ist besonders differenziert und volatil und ist von den weiteren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf dem chinesischen Festland sehr abhängig. Neben der Art Basel und ihren beiden Schwestermessen in Miami Beach und Hong Kong gilt die TEFAF (The European Fine Art Fair) in Maastricht als Marktführer. Dennoch ist die TEFAF, die in erster Linie auf höchstkarätige Kunst und Antiquitäten auf dem Sekundärmarkt spezialisiert ist, nur bedingt interessant für ein Publikum, das Angebote im Bereich moderner und zeitgenössischer Kunst sucht. Die TEFAF, die im März 2012 ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, wurde 1988 als Marktplatz für Kunst und Antiquitäten aus der gesamten Geschichte der Menschheit gegründet; erst in den letzten Jahren gewinnt die Sektion für moderne und Gegenwartskunst an Bedeutung. Die Tatsache, dass die angebotene Ware fast ausschließlich aus dem hochpreisigen Sekundärmarkt stammt, bedeutet, dass Entdeckungen vor allem im Bereich der jungen Gegenwartskunst selten bis gar nicht zu finden sind. Die Messeteilenehmer sind eher Kunsthändler als Galeristen und bieten hochkarätige Ware an, die einen vorrangig konservativen Sammlergeschmack ansprechen. Schon seit der ersten Edition 2003 ist die Londoner Frieze Art Fair ein ernstzunehmender Mitbewerber der etablierten Messen in Basel, Paris, Madrid und Köln. Im Gegensatz zu fast allen anderen wichtigen Messen für moderne und zeitgenössische Kunst weltweit wurde die Frieze nicht von – bzw. auf Anregung von – lokalen Galerien ins Leben gerufen, sondern von Amanda Sharp und Matthew Slotover als Zusatzgeschäft zu ihrer Kunstzeitschrift mit demselben Namen gegründet. Bis dahin gab es keine international relevante Kunstmesse in London, so dass es galt, diese klaffende Lücke in dem ansonsten vom Auktionsgeschäft dominierten Kunstmarkt Londons zu schließen. Die langjährigen Erfahrungen der Magazin-Herausgeber im Bereich Vertrieb kommen ihnen in vielfacher Hinsicht zugute, denn sie sind nicht nur innerhalb der internationalen Kunstszene gut vernetzt, sondern pflegen gute bis hervorragende Kontakte zur Presse und bringen quasi automatisch eine gewisse inhaltliche Kompetenz im Bereich Gegenwartskunst mit. Die Messe gilt als »coolste« Verkaufsveranstaltung des internationalen Kunstmarkts und findet jährlich im Oktober in einem riesigen Zelt im Regent’s Park im schicken Londoner Stadtteil Marylebone statt. An der Frieze nehmen jährlich rund 170 Galerien aus bis zu 30 Ländern teil, die vor allem junge und etablierte Gegenwartskunst anbieten, die seit der Jahrtausendwende geschaffen wurde. Um auch den Bereichen der modernen und zeitgenössischen Kunst vor der Jahrtausendwende sowie Kunst und Antiquitäten bis in die Antike eine geeignete

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Plattform bieten zu können, gründeten die Messemacher 2012 die Frieze Masters, die zeitgleich mit und fußläufig entfernt von der Muttermesse stattfindet, ebenfalls in einem Zelt in Regent’s Park. Weitere Expansionsbemühungen mündeten in die Gründung der Frieze Art Fair New York, die ebenfalls 2012 – auch hier in einem Zelt – in einem idyllischen Park auf Randall’s Island zwischen Manhattan, Queens und The Bronx an den Start ging und schon als größter Konkurrent der in die Jahre gekommenen Armory Show gilt. Wie bei der Art Basel Hong Kong ist es noch schwierig einzuschätzen, wie die Zukunft der beiden neuen Messen aussehen wird, aber in beiden Fällen ist der Start sehr gut gelungen, so dass die Messen sowohl von den Ausstellern als auch vom Publikum und der Fachpresse weitestgehen positiv bewertet wurden. Die schwierige Lage der schon seit mehreren Jahren angeschlagenen Armory Show bleibt weiterhin angespannt angesichts der aktuellen Kunstmarkt-Invasion des britischen Konkurrenten Frieze und des andauernden Erfolgs der Art Basel Miami Beach, die die Vorreiterrolle der Armory schon 2002 übernahm. Die Armory Show wurde 1994 von den New Yorker Galeristen Paul Morris, Pat Hearn, Colin de Land und Matthew Marks unter den Namen Gramercy International Art Fair gegründet. Nach einem Umzug 1999 in das 69th Regiment Armory an der Lexington Avenue, Ecke East 25th Street wurde der Name der Messe in »The Armory Show« geändert – in Anlehnung an die legendäre Kunstausstellung mit demselben Namen, die 1913 am selben Standort stattfand. Seit 2001 findet die Messe nun auf den West Side Piers im angesagten Stadtteil Chelsea, Zentrum der trendigen Gegenwartskunst-Szene New Yorks, statt. 2007 wurde die Messe schließlich an die Messegroßveranstalter Merchandise Mart Properties aus Chicago verkauft, in der Hoffnung, dass die Erfahrungen der Messefachleute die angeschlagene Messe aus der Krise führen könnte. Um konkurrenzfähig zu bleiben und auch neue Aussteller für die Messe zu gewinnen, erweiterte die neue Messeleitung das Spektrum des Angebots der ansonsten auf Gegenwartskunst spezialisierten Verkaufsschau um die klassische Moderne, was unter den übrigen Ausstellern und auch dem Publikum nicht auf einhelligen Zuspruch stieß. Die Zukunft der Messe bleibt daher nach wie vor unsicher und die möglicherweise entstehende Lücke scheint schon von der neuen Frieze Art Fair New York gefüllt zu werden. Ebenfalls seit mehreren Jahren in der Krise befindet sich die auch als »Mutter aller Messen« bekannte Art Cologne – wobei man hier, im Gegensatz zur Armory Show, wohl berechtigterweise eher zuversichtlich in die Zukunft schaut. Seit der Erstveranstaltung mit 18 Teilnehmern 1967 im Kölner Gürzenich erlebte bzw. überlebte die Messe eine höchst turbulente Geschichte voller Angriffe von Innen und Außen, mit Reformen und Gegenreformen und zahlreichen voreiligen Todeserklärungen. Die wohl folgenschwerste Krise der Kölner Messe ereignete sich in den 1990er Jahren. 1992 rief eine Gruppe von jungen Kölner Galeristen um Christian Nagel als Protest gegen die Art Cologne die Gegenmesse Unfair ins Leben, die allerdings nur zweimal stattfinden sollte. Als Zugeständnis an die jungen Kontrahenten erweiterte die Art Cologne 1994 ihre Fläche um die gesamte Halle 5

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der Rheinhallen, die junger Gegenwartskunst gewidmet wurde. Somit wuchs die Teilnehmerzahl von rund 285 in 1993 auf ca. 325 in 1994, Tendenz steigend, was für viele Teilnehmer und Besucher eindeutig zu viel war, so dass eine neue Welle des Protests gegenüber der Art Cologne ausgelöst wurde. Die Missstimmung unter den Galeristen führte letztendlich zu einer Spaltung, die in die Gründung des »European Art Forums« in Berlin als Gegenmesse zur Art Cologne mündete. Die Fokussierung auf Berlin als neue-alte Hauptstadt Deutschlands und die Massenmigration wichtiger Teilnehmer der Rheinischen Kunstszene nach Berlin u.a. wegen der niedrigen Mieten und Immobilienpreise, schwächte die Kölner Messe zusätzlich. Erst mit der Berufung eines eigenen Direktors im Jahre 2003 – bis dahin wurde die Messe inhaltlich vom Messekomitee geleitet – zeichnete sich eine Kehrtwende ab. Die Einführung des neuen Postens des Messedirektors nach dem Modell der Art Basel sollte einerseits der Messe ein Gesicht geben – jemand, der der Messe eine strategische Vision verleihen und als Vermittler zwischen Messegesellschaft, Galerieszene und Kunstpresse dienen könnte. Der aktuelle künstlerische Direktor der Art Cologne, Daniel Hug, scheint inzwischen das Ruder gedreht zu haben und die Art Cologne ist wieder auf dem besten Weg in die ersten Liga der internationalen Kunstmessen zu gelangen, auch wenn es noch immer viel zu tun gibt. Einen ähnlichen Prozess durchlief die französische Traditionsmesse FIAC (Foire internationale d’art contemporain), die 1974 nach dem Modell der Art Basel gegründet wurde und vor allem in den letzten zehn Jahren mit der neuen Konkurrenz durch die Frieze Art Fair in London zu kämpfen hat. Eine langjährige Auslagerung der Messe in die unbeliebten Messehallen am Porte de Versailles verschlimmerte die Situation. Erst mit dem Umzug 2006 in den Grand Palais (klassische Moderne und etablierte Gegenwartskunst) und das Cour Carrée, einen Innenhof des Louvre (junge Gegenwartskunst und Design) im Herzen der Stadt, konnte die FIAC zu alten Glanz zurückgelangen. Noch zu kämpfen hat die wichtigste spanische Messe, die ARCO (Arte Contemporáneo) in Madrid, die seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008, bei der Spanien besonders hart getroffen wurde, zwangsläufig stagniert. In den letzten Jahren sind zwei ehemals wichtige Messen für moderne und zeitgenössische Kunst teilweise durch die Wirtschaftskrise, teilweise durch Missmanagement komplett gescheitert und wurden daraufhin von ihren Veranstaltern eingestellt: das Art Forum Berlin verlor 2011 den Kampf gegen ihre Gegenmesse, die abc (Art Berlin Contemporary), und die Fine Art Fair Frankfurt, die 1989 als Art Frankfurt gegründet wurde, musste nach Jahren des kontinuierlichen Niedergangs 2007 endgültig ihre Tore schließen. Trotz der Weltwirtschaftskrise und einer gewissen Müdigkeit unter den Galeristen, Sammlern und sonstigen Stakeholdern des internationalen Kunstmarkts scheint es den Kunstmessen insgesamt gut zu gehen. Neben den schon erwähnten Messen, die zur Geschichte und Entwicklung der Industrie beigetragen haben und dies auch teilweise noch tun, gibt es eine Reihe von kleineren und größeren Messen, die für die jeweilige Region, in der sie stattfinden, von großer Bedeu-

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tung sind. Diese sind u.a. die Art Brussels, die ArteFiera in Bologna, die Miart in Mailand, die Artissima in Turin, die KIAF in Seoul, die SH Contemporary in Shanghai, die CIGE in Beijing, die India Art Summit in Neu Delhi, die Zona Maco in Mexiko Stadt, die Art Dubai, die Contemporary Istanbul und die neu Art Stage Singapore. Bei diesen regionalen Messen mit internationalem Anspruch spielt der Bildungsauftrag eine wesentliche Rolle, um den Markt in der jeweiligen Region anzukurbeln. Die Messen fungieren ebenfalls erfolgreich als Brücke zwischen den jeweils regionalen und internationalen Kunstmärkten. Nicht unerwähnt bleiben sollen zudem die vielen Neben- bzw. Satellitenmessen weltweit, die im Fahrwasser der Hauptmessen existieren und diese teilweise auf sinnvolle Weise ergänzen. Die wohl bekannteste und erfolgreichste Satellitenmesse ist die Liste in Basel, die seit 1996 als Forum für jüngste Tendenzen neben der Hauptmesse Art Basel eine wichtige Rolle auf dem internationalen Markt spielt. Die Teilnehmerzahl wird schon seit 18 Jahren mit rund 65 Galerien aus ca. 10 Ländern bewusst klein gehalten, um so den Besten der Besten innerhalb der jungen Galerieszene eine attraktive Plattform zu bieten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Messen weltweit wird die Auswahl der Teilnehmer der Liste nicht durch ein Gremium von Galeristen, sondern durch eine Jury von Kuratoren getroffen, um die »Neutralität« bei der Bewertung der Bewerber zu gewährleisten. Die Messe versteht sich dabei nicht als Konkurrenz, sondern eher als Ergänzung zur Hauptmesse Art Basel, die auch bei der jungen Kunst vorrangig auf etablierte Positionen setzt. So fungiert die Liste als Sprungbrett für junge Galerien und Künstler aus der ganzen Welt. Die Zulassung zur Messe gilt heutzutage als »Ritterschlag« unter den aufstrebenden Nachwuchsgalerien. Der Vorteil einer Nebenmesse für die jeweilige Hauptmesse lässt sich anhand der Art.Fair in Köln verdeutlichen. 2003 als ergänzende Veranstaltung im Fahrwasser der Art Cologne gegründet, dient sie nicht nur als Forum für Galerien, die junge bzw. (noch) nicht etablierte Gegenwartskunst vertreten, sowie für junge Sammler bzw. Käufer, die weniger Geld für den Erwerb von Kunst zur Verfügung haben, sondern auch – wenngleich nicht absichtlich – als Auffangbecken für Galerien, die keine Zulassung für die größere und etabliertere Art Cologne erhalten. Weitere für den jeweiligen Standort relevante Neben- bzw. Satellitenmessen sind: die Nada (New Art Dealers Alliance), die seit 2003 parallel zur Art Basel Miami Beach und seit 2012 parallel zur Frieze Art Fair New York sowie als »Messe in der Messe« in Kooperation mit der Art Cologne veranstaltet wird; die Scope, die seit rund zehn Jahren neben den Hauptmessen in New York, Basel und Miami Beach stattfindet; und die Volta in Basel, die 2005 von den Galeristen Kavi Gupta (Chicago), Friedrich Loock (Berlin) und Uli Voges (Frankfurt a.M.) in Zusammenarbeit mit der Kunstkritikerin Amanda Coulson als Alternative für Galerien, die zwar auf dem Niveau der Art Basel arbeiten, aber aus Platzgründen keine Zulassung erhalten, gegründet wurde. Last but not least seien die sogenannten Nischenmessen erwähnt, die sich auf Spezialgebieten des internationalen Kunstmarkts konzentrieren und im jeweili-

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gen Gebiet eine herausragende Rolle spielen. Allen voran ist die Paris Photo zu nennen, die von 1997-2010 im Carrousel du Louvre und seit 2011 im Grand Palais stattfindet und als wichtigste Messe der internationalen Fotoszene gilt. Nachdem ein Versuch, 2007 in den Londoner Fotomarkt einzusteigen, misslang, ist es der Paris Photo nun gelungen, seit 2013 mit einem Ableger in Los Angeles, das Wasser der angestammten Photography Show der AIPAD (Association of International Photography Art Dealers) in New York, der Leitmesse auf dem nordamerikanischen Fotomarkt, vorsichtig abzugraben. Im Bereich Papier ist vor allem der 1991 gegründete Salon du Dessin in Paris besonders erwähnenswert, sowie als Forum für Videokunst die Loop Fair, die seit 2003 in Barcelona stattfindet. Weltweit einmalig ist die Outsider Art Fair, die seit 1993 in New York und nun seit 2013 auch in Paris eine wichtige Plattform für die Sparte der sogenannten Art Brut bietet. Noch relativ jung ist die Multiplied in London, die 2010 vom Auktionshaus Christie’s gegründet wurde, um die Lücke im Bereich der zeitgenössischen Editionen und Multiples zu schließen.

6. P roblematik und A usblick Das größte Problem der internationalen Messeszene ist die enorm große und scheinbar stetig wachsende Zahl von »wichtigen« Verkaufsausstellungen in kleineren und größeren Kulturstädten weltweit. Aufgrund der hohen Anzahl an Veranstaltungen ist es fast unmöglich, den Überblick zu behalten. Und da die Galerien immer weniger Geschäfte in den eigenen Räumen tätigen, sind sie immer mehr auf die Messen angewiesen. Im Durchschnitt, so verschiedene Schätzungen, wird heutzutage 70-90 % des Jahresumsatzes einer Galerie auf Messen gemacht.9 Eine international tätige Galerie stellt durchschnittlich auf mindestens vier Messen pro Jahr aus, wobei in der Regel die Mehrzahl davon im Ausland stattfinden. Es wundert nicht, dass die eigentliche Galeriearbeit hierunter leidet. Darüber hinaus wird es für die teilnehmenden Galerien immer schwieriger, frische Ware für die vielen Messebeteiligungen heranzuschaffen. Hinzu kommen die enormen Ausgaben für Standmiete, Zusatzleistungen, Transport, Kundenbetreuung vor Ort sowie Reise- und Übernachtungskosten. Nur wenige Galerien können die hohen Kosten langfristig tragen. Jedoch können andererseits nur wenige Galerien ohne Messen auskommen, denn die Messen bieten Sichtbarkeit, was im Dschungel des immer größer werdenden globalisierten Kunstmarkts unabdingbar geworden ist. Einst als Hilfestellung im Sinne der effizienten Marktplatzierung gegründet, sind die Messen heute nahezu marktbeherrschend und werden in ihrer Wichtigkeit und Umsatzstärke lediglich von den Auktionen der beiden Duopolisten Christie’s und Sotheby’s übertrumpft. 9 | Karlheinz Schmid, Unternehmen Galerie. Kunsthandel, professionell. Ratgeber Kunst Bd. 3, Gabriele Lindinger und Karlheinz Schmid (Hg.), Regensburg 2007, S. 106.

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Solange die Messen jedoch die Zulassung zu ihrer Veranstaltung an solide Galeriearbeit anknüpfen – in der Regel heißt das, dass der Antragsteller eine ständige Galerietätigkeit nachweisen muss, d.h. nachweislich »an fünf Tagen mindesten halbtags, mit zumindest 24 Stunden pro Woche, während der üblichen Ladenöffnungszeiten an jedem ihrer Galeriestandorte mindestens vier Ausstellungen pro Jahr in den eigenen Räumlichkeiten veranstalten muss«10 – ist das immer wieder angedrohte Aussterben des Galeriewesens unwahrscheinlich. Denn die Messen brauchen professionell tätige Galerien genauso sehr wie die Galerien ihrerseits die Messen als Verkaufs- und Vermarktungsplattform benötigen. Dennoch sind neue Ideen und Strukturen unbedingt notwendig, um die Zukunft von sowohl den Messen als auch den Galerien langfristig zu sichern. Neue Messeformate – wie die abc in Berlin und die inzwischen eingestellte Fine Art Fair Frankurt, die weitestgehend auf Kojenarchitektur verzichten, um sich weniger als »Messen« als vielmehr als »Verkaufsausstellungen« zu präsentieren, bei denen weniger die Galerien als vielmehr die Kunstwerke im Mittelpunkt stehen, oder innovative Kooperationen zwischen ansonsten konkurrierenden Messeveranstaltern, wie bei der 2012 erfolgten Integration der NADA auf der Art Cologne, oder die inzwischen eingestellten Sonderbereiche des Open Space auf der Art Cologne (2006-2011), sind auf jeden Fall spannender als die Einführung noch einer weiteren Kunstmesse in noch einer weiteren aufstrebenden Kunststadt in noch einem weiteren »Schwellenland«. Denn die Erschließung neuer Märkte kann nur effektiv und zielführend sein, wenn neue Messen ältere Veranstaltungen, die ausgedient haben, ersetzen, da der internationale Messemarkt schon längst gesättigt ist. So hat der aktuelle Erfolg der Art Cologne, der »Mutter aller Kunstmessen«, viel mit der Tatsache zu tun, dass zwei wichtige Konkurrenten in Berlin und Frankfurt a.M. in den letzten Jahren vom Markt gegangen sind. Ungeachtet dessen dreht sich das Messe-Karussell unentwegt weiter und es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren neue Märkte, wie beispielsweise Brasilien, auch durch neue Messen bedient und hervorgehoben werden. Es bleibt also spannend.

10  |  Siehe beispielsweise hierzu: Richtlinien zum Zulassungsverfahren der Art Cologne. 48. Internationaler Kunstmarkt Köln, 10.-13.04.2014, Koelnmesse GmbH, Köln 2013 (insbesondere §4 »Grundvoraussetzungen für die Zulassung«).

Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt Friederike van Delden

A. E inleitung I. Sammler und ihre Berater Der Berufsstand des Kunstberaters ist kein modernes Phänomen des Kunstmarktes: Kunstsammler haben sich seit jeher an Berater gewandt, welche sie bei der Umsetzung ihrer Leidenschaft für die bildenden Künste unterstützt haben. Bereits Zarin Katharina die Große, eine der größten Kunstsammlerinnen und Mäzeninnen aller Zeiten, beauftragte im 18. Jahrhundert Kunstberater, die für sie weltweit zum Verkauf stehende Sammlungen ausfindig machten und somit halfen, ihre Kunstbestände stetig zu erweitern. Katharina ließ ihre Berater bevorzugt nach Sammlungen forschen, die aufgrund politischer und finanzieller Probleme verkauft werden mussten und durch deren Ankauf die Zarin ihre politische und finanzielle Machtstellung demonstrieren konnte.1 Beispiele wie diese unterstreichen bereits aus historischer Sicht die Bedeutung einer professionellen Beratung beim Auf bau von großen Kunstsammlungen, auch wenn der heutige Kunstmarkt ein gänzlich anderer ist als der des russischen Zarenreichs im 18. Jahrhundert.

II. Der Kunstmarkt Der heutige Kunstmarkt folgt vom Grundprinzip her den Gesetzen vieler anderer Märkte: Der Künstler stellt das »Produkt« Kunstwerk her. Sofern es sich nicht um eine spezielle Auftragsarbeit handelt, gelangt das Kunstwerk nach Fertigstellung in der Regel in den »Vertrieb« zum Galeristen, der den »Endkunden«, den institutionellen oder privaten Sammler, bedient. Wie bei vielen Märkten von Kapitalgütern gibt es dann wiederum einen »Zweitmarktkreislauf«, ausgehend vom 1 | Raikhel-Bolot, Da very much, in: Spear’s Wealth Management Survey, Art and Collecting Special, March 2007, S. 89.

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Kunstmarkt II: Akteure

Sammler, der das »Produkt« erneut in den Umlauf bringt, entweder wieder über einen Galeristen oder über den alternativen »Vertriebsweg« eines Auktionshauses.2 Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen Kreislauf und zeigt die Einbindung des Kunstberaters in den Markt: Abbildung 1: Dynamiken der einzelnen Marktteilnehmer und die Rolle des Kunstberaters Bestehendes Kunstwerk

»liefert«

Kundengruppe Sammler Auktionshaus Family Office

»liefert«

Künstler

Neues Kunstwerk

Galerie Museum

Kunstberater • Berät Kundengruppen unabhängig von allen anderen Marktteilnehmern

• Kann zwischen allen Marktteilnehmern vermitteln

Kunsthändler Kunstfonds

Quelle: van Delden 3

Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch viele Charakteristika des Kunstmarktes, die ihn von anderen Märkten unterscheiden und zu einem undurchschaubaren Markt mit intransparenten Regeln machen. Im Gegensatz beispielsweise zum Kapitalmarkt ist der Kunstmarkt kaum reguliert, geschweige denn beaufsichtigt. Ein Kunstwerk ist zudem ein Unikat, was einen Vergleich von »Produkten« erschwert oder nahezu unmöglich macht. Zudem gibt es kaum einen anderen Markt, der derart durch seine Produktvielfalt aus vielen Jahrhunderten und aus vielen Kulturkreisen gekennzeichnet ist.4 Der wirtschaftlich objektive Wert eines Kunstwerks lässt sich nur schwer ermitteln, da er in der Regel ideell geprägt ist und Uni­kate naturge­mäß sen­sitiv auf sinkende oder steigende Nach­frage reagieren. Die Bedeutung einer Werkidee, ihre handwerkliche und kreative Um­setzung im Sinne zeitloser äs­the­ti­ 2  |  Vgl. Abb. 1. 3 | Van Delden, 1858 Ltd. Art Advisory, London 2010, siehe auch: Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-) Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 683. 4 | Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 686.

Friederike van Delden: Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt

scher und intellektueller Gültigkeit lassen sich selbst für erfahrene Sammler und Experten nur schwer beziffern.5 Eine weitere Marktbesonderheit ist, dass Kunstkäufe oft ohne schriftliche und transparente Verträge abgewickelt werden. Die Mehrzahl der Marktteilnehmer wie Galeristen, Händler und auch Sammler schätzen Diskretion und bevorzugen es, über gezahlte Preise zu schweigen. Diskretion ist eines der höchsten Gebote in diesem eher stillen Markt.6 Trotz einer ausgeprägten Galerie- und Auktionshausinfrastruktur mangelt es im Kunstmarkt oft an einer globalen Angebotsübersicht (z.B. zu einem bestimmten Künstler). Hinzu kommt die oftmals mangelnde beziehungsweise lückenhafte Dokumentation von Kunstwerken, die es erschwert, Besitzverhältnisse, Echtheit, Anschaffungskosten etc. eindeutig nachzuweisen. Beide Faktoren befördern zusätzlich die Intransparenz des Marktes.7 Der heutige Kunstmarkt ist geprägt von einer Vielzahl international stattfindender Messen wie zum Beispiel der »Art Basel« in Basel, der »TEFAF« in Mastricht, der »Frieze Art Fair« in London oder der »Armory Show« in New York. Diese internationalen Kunstmessen sowie unzählige nationale und regionale Ausstellungen sollen als Käufermagnet fungieren. Gleichzeitig erhöhen sie jedoch auch den Druck auf den einzelnen Künstler, »Ware zu produzieren«. Durch die weltweit stattfindenden Messen wird der Kunstmarkt damit nicht nur immer internationaler, sondern auch schnelllebiger.8 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der starke Aufschwung zeitgenössischer Kunst in den vergangenen Jahren erklären: 2012 lag der Gesamtumsatz mit zeitgenössischer Kunst und Kunst der Nachkriegszeit bei knapp 4.5 Milliarden Euro und erreichte somit ein Rekordhoch.9 Im Vergleich hierzu lag der Gesamtumsatz des weltweiten Kunstmarktes 2012 bei 43 Milliarden Euro.10 Der stetig steigende »Appetit« des globalen Kunstmarktes auf »marktfrische« Kunstwerke ist Folge der neuen aufstrebenden Kunstmarktzentren. Nachdem der chinesische Kunstmarkt bereits 2007 den französischen als drittgrößten Kunstmarkt der Welt überholt hatte, ist China mittlerweile sogar an Großbritannien vorbei ge-

5  |  Siehe: Abb. 3 sowie Weller, KunstWerte. Entwicklung des Kunstmarktes und Prozesse der Preisbildung, Seminararbeit an der Universität Potsdam, Berlin 2010, S. 11. 6 | Vgl. auch van Delden, Preisfaktoren im Kunstmarkt, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 9, 2008, S. 56. 7 | Siehe hierzu auch: Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 686f. 8  |  Ebd., S. 679. 9 | McAndrew, TEFAF Art Market Report 2013. The global art market, with a focus on China and Brasil, Helvoirt 2013, S. 44f. 10  |  Vgl. Abb. 2.

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Kunstmarkt II: Akteure

zogen und war 2012 mit einem Gesamtanteil von 25 % nach den USA (33 %) der größte Kunstmarkt weltweit.11 Abbildung 2: Entwicklung des globalen Kunstmarktes: Umsatzvolumen und Anzahl der weltweiten Transaktionen 50

40

30

20

10

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Umsatzvolumen (Euro Mrd.)

Quelle: TEFAF Art Market Report 2013

2009

2010

2011

2012

Transaktionen (in Mio.)

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Diese Entwicklung in einem inzwischen globalisierten Kunstmarkt ist für den einzelnen Sammler kaum noch erfassbar; er benötigt professionelle Unterstützung, die ihm einen stetig aktualisierten Überblick über Angebot und Preise verschafft und für ihn die internationalen Entwicklungen beobachtet. Die logische Folge des sich zunehmend kommerzialisierenden Marktes ist eine Abwendung vom ursprünglichen Ideal und eine Hinwendung zum »Profitgedanken«. Wenn­gleich der Kunstmarkt mehrheitlich immer noch von Kunstliebhabern dominiert wird, so hat er sich dennoch besonders in den letzten 20 Jahren stark mit Marktteilnehmern durchmischt, die Kunst als ein »Investmentgut« ansehen.13 Gleichzeitig lässt sich ein Kunstwerk aber nicht beliebig »herumshoppen«, d.h. kurzfristig handeln, wie z.B. eine Aktie; das einzelne Werk soll als Unikat stets »marktfrisch« sein.14 11 | McAndrew, TEFAF Art Market Report 2013. The global art market, with a focus on China and Brasil, Helvoirt 2013, S. 22f. 12 | McAndrew, TEFAF Art Market Report 2013. The global art market, with a focus on China and Brasil, Helvoirt 2013, S. 21. 13 | Mc Andrew, The International Art Market 2007-2009, Trends in the Art Trade during Global Recession, Art Market Report, Helvoirt 2010, S. 125. 14 | Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 680.

Friederike van Delden: Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt

Zusammenfassend zeichnet sich der heutige Kunstmarkt durch die folgenden Charakteristika aus: • • • • • • • • •

heterogener Markt; geringe Markttransparenz auf globaler Ebene; illiquide und knappe Güter; ein Kunstwerk ist ein Unikat, Vergleiche oder »Konkurrenzprodukte« sind nicht möglich; Kenntnis- und Wissensunterschiede zwischen Käufer und Verkäufer bzw. Marktteilnehmern; Transaktionskosten; manchmal über 20 % oder 30 % des eigentlichen Wertes eines Kunstwerks; eine objektive Bewertung eines Kunstobjektes ist oft unmöglich; der psychologische und ästhetische Faktor spielt eine wichtige Rolle; für bestimmte Arten von Kunst bestehen Monopole; weitere regionale preisbeeinflussende Faktoren (z.B. Exportlizenzen).15

III. Warum Kunstberatung? Im Nachklang der weltweiten Finanzkrise in 2007/2008 und den daraus resultierenden hohen Staatsverschuldungen sowie den Risiken von Inflation bis hin zu möglichen Währungsschnitten wird Kunst verstärkt als »sicherer« Anlagehafen von Vermögen gesehen. Von diesem Trend profitiert vor allem das Spitzensegment des Kunstmarktes, da Kunstsammler in Zeiten hoher Volatilität in allen Anlageklassen vor allem auf sogenannte »Blue Chip«16 -Kunstwerke setzen, die als besonders wertstabile und sichere Anlage gelten.17 Kunst ist somit nicht mehr nur ein »Liebhaberobjekt«, sondern zunehmend auch eine Möglichkeit für eine langfristige Vermögenswerterhaltung. Bereits 2009 wurde in einer Studie von Arts Economics dargelegt, dass Kunst eine wesentlich höhere und anspruchsvollere Marktanalyse und -recherche als jede andere Anlageklasse erfordert. Begründet wurde die Aussage mit den einzigartigen Charakteristika, der hohen Illiquidität und der Individualität des einzelnen Kunstwerkes, die den Kunstmarkt auszeichnen.18

15 | Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 695f. 16  |  Frei übersetzt: »Marktführende«. 17 | McAndrew, TEFAF Art Market Report 2013. The global art market, with a focus on China and Brasil, Helvoirt 2013, S. 13. 18 | Mc Andrew, The International Art Market 2007-2009, Trends in the Art Trade during Global, Recession, Art Market Report, Helvoirt 2010, S. 126ff.

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Kunstmarkt II: Akteure

1. Kundenstruktur des Kunstberaters Zum Kundenstamm weltweit führender Kunstberatungsfirmen gehören in der Regel renommierte Unter­nehmen und Finanzinstitutionen, bedeutende Museen, Family Offices19 sowie Privat­personen. Jede dieser Parteien hat unterschiedliche Anforderungen und Interessen im Kunstmarkt, die der Kunstberater im Rahmen seiner Tätigkeit berücksichtigt. Der Privatsammler folgt beim Ankauf von Kunstwerken seinen eigenen Geschmacksvorstellungen und kunst-kulturellen Interessen. Privatsammlungen haben daher unterschiedlichste Ausrichtungen und sind nicht zwangsläufig kunsthistorisch homogen. Im Gegensatz dazu ist eine Unternehmenssammlung meistens öffentlich ausgerichtet, da sie im Mindesten den Mitarbeitern des Unternehmens, häufig jedoch auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Der Auf bau von Unternehmenssammlungen hat in Deutschland eine lange Tradition. Sie sind historisch gesehen aufgrund der persönlichen Passion eines Unternehmers für Kunst begründet worden.20 Heute entstehen sie oft auch auf Basis strategischer Entscheidungen. Konzepte und Po­sitionierungen werden gezielt entwickelt sowie mit Hilfe professioneller Beratung im Rahmen eines langfristigen Managements umgesetzt. Kunst wirkt in der internen und in der externen Wahrnehmung oft als mediale Um­setzung einer Unternehmenskultur. In derselben Weise, in der sie intern die Unternehmenskultur profiliert, schafft sie in der Außenwirkung eine definierte Wahrnehmung der Identität, Historie und Kultur von Unternehmen.21 Zudem ist sie für einige Unternehmen auch eine aktive Geldanlage, mit angenehmen »Nebeneffekten«. Kunst ist Teil des Firmenvermögens und kann bei fachmännischem Management zu einem regulären »Profitcenter« reifen oder auch mit Gewinn liquidiert werden.22

19 | Erl. zu »Family Offices«: »Der Begriff ›Family Office‹ ist gesetzlich nicht definiert. Die Bundesanstalt versteht darunter Unternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform, die sich mit der bankenunabhängigen Verwaltung großer privater Vermögen befassen.« Siehe: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Merkblatt zur Erlaubnispflicht gemäß § 32 Abs. 1 KWG für Family Offices, www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/ Merkblatt/mb_080630_familyoffices.html?nn=2818474#doc2679548bodyText5 (Stand: 10.10.2013). 20 | Siehe hierzu: Conzen und Salié (Hg.), Corporate Collections, Köln 2012. 21 | Vgl. auch: Van Delden, Unternehmenssammlungen – Die Kunst, Werte zu schaffen, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 6, 2009, S. 58-61. 22 | Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 692f.

Friederike van Delden: Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt

Eine andere Kundengruppe des Beraters sind die Sammler, die Kunst (auch) als Geldanlage sehen, die sogenannten Kunstinvestoren. Sie etablieren sich seit etwa zwei Jahrzehnten zunehmend als feste und wirtschaftlich wichtige Teilnehmer des Kunstmarktes. Kunstinvestor kann nicht nur eine einzelne Person oder ein Unternehmen sein, sondern auch ein speziell aufgelegter Kunstfonds. Nicht zuletzt durch die Finanzmarktkrisen 1996/1997 (Bankenkrise in Japan), 2000 bis 2002 (»Internetblase«) und 2007/2008 (»US Immobilienblase«) haben Investoren und Spekulanten Kunst als Geldanlageklasse für sich entdeckt. Ein hierfür oft genannter Grund ist die geringe Korrelation von Kunst mit den »klassischen« Geldanlageklassen wie Aktien, Anleihen und Immobilien sowie die hohe Wertstabilität, die Kunst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bewiesen hat.23 Erfahrene Investoren begründen diese Besonderheit der Anlageklasse Kunst mit den komplexen und teils subjektiv emotionalen Mechanismen der Preisfindung für ein Kunstwerk sowie der relativen Illiquidität des Marktes.24 Durch die geringe Korrelation mit den Aktienmärkten und ein attraktives Chance-Risiko-Verhältnis wird hochqualitative Kunst folglich zu einem interessanten Investment, das auch zukünftig den Investor als einen wichtigen Marktteilnehmer im Kunstmarkt etablieren wird. Alle genannten Sammlertypen profitieren, trotz ihrer unterschiedlichen Sammelmotivation, vom Mehrwert einer professionellen Beratung: So ist es für renommierte Kunstsammler und Kunstinvestoren inzwischen eine Selbstverständlichkeit, sich nicht mehr nur auf die Meinung des verkaufenden Galeristen oder das Gutachten eines Auktionshauses zu verlassen, sondern jeden Kunstkauf oder -verkauf professionell und unabhängig recherchieren, analysieren und auch entsprechend dokumentieren zu lassen. Im Mittelpunkt der Analyse stehen Faktoren, die einen Einfluß auf den Wert bzw. den Preis eines Kunstwerkes haben können:

23 | Vgl. auch: Mc Andrew, The International Art Market 2007-2009, Trends in the Art Trade during Global Recession, Art Market Report, Helvoirt 2010, Figure 6.C., S. 139. 24 | Siehe hierzu auch: Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 693ff.

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Kunstmarkt II: Akteure

Abbildung 3: Kriterien für die Preisbildung von Kunstwerken • Allgemeine wirtschaftliche Lage • Geschmack der Zeit für Stilrichtung und Genre • Marktverhältnisse • Kunsthistorische Bedeutung bzw. Qualität des Künstlers • Historische Bedeutung und Einordnung des Werkes in das Gesamtwerk eines Künstlers • Regionale, nationale Herkunft des Künstlers • Präsenz des Künstlers am Markt • Preisentwicklung von Werk und Künstler auf dem Auktionsmarkt

• • • • • • • • • • •

Seltenheit von Werken eines Künstlers Provenienz des Werkes Marktfrische des Werkes Erkennbarkeit des Künstlers im Werk Vorhandensein einer Signatur Verwendete Materialien Format und Größe des Werkes Motiv des Werkes Zustand des Werkes Veräußerbarkeit des Werkes Transportierbarkeit des Werkes

Quelle: F.A.Z. Institut GmbH 25 und 1858 Ltd. 26

B. D er K unstber ater — E inordnung Wenn in diesem Kapitel von Kunstberatung gesprochen wird, so ist stets der neutrale und unabhängige Kunstberater gemeint. Das ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Marktteilnehmern, die teilweise die Dienstleistungen eines Kunstberaters anbieten, jedoch nicht unabhängig von anderen Institutionen oder Interessen arbeiten. Das Dienstleistungsspektrum eines Kunstberaters ist sehr vielfältig und in der Regel auf den jeweiligen Kunden, seine individuellen Bedürfnisse und seinen Kunstgeschmack abgestimmt. Ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Teilnehmern des Kunstmarktes (z.B. Galerien, Auktionshäuser etc.) besteht darin, dass ein unabhängiger Kunstberater keinen eigenen Bestand an Kunstwerken verwaltet. Er wird ausschließlich im Kundenauftrag aktiv und ist Bindeglied zwischen Verkäufer (Künstler, Händler oder Sammler) und Käufer sowie zu Dienstleistungsanbietern (Kunstversicherungen, -logistikern oder Sammlungs­ administratoren). Die Sonderstellung des Kunst­beraters innerhalb des »Kunst25 | Czotcher, Kunstwerke als Investment taxieren, in: Art Estate AG (Hg.), Contemporary Art. Eine Assetklasse zur Portfoliodiversifikation, Hamburg 2006, S. 27. 26 | 1858 Ltd. Art Advisory, firmeninterne Präsentation, 2008, Vgl. auch: Van Delden, Preisfaktoren im Kunstmarkt – Irrationale Komponenten, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 9, 2008, S. 56-57 sowie Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 681.

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marktkreislaufes« (siehe Abb. 1) unterstreicht die ihm gebotene Möglichkeit einer neutralen und objektiven Beratung des Kunden durch den gesamten Sammlungszyklus hindurch. Dies ist ein entscheidender Mehrwert, den andere Marktteilnehmer in diesem umfassenden Spektrum nicht bieten können. Der Berater stellt seinem Kunden beim Ankauf und Verkauf von Kunstwerken oder beim Einkauf von kunstbezogenen Dienstleistungen in der Regel einen bestimmten Prozentsatz vom Wert des Kunstwerkes als »Festpreis« in Rechnung. Bei umfangreicheren Projekten wird er auf Basis von Tagessätzen bezahlt. Damit sich die Mandatierung eines Kunstberaters rechnet, sollte der Gesamtwert des betreffenden Kunstportfolios eine gewisse Größe haben. Im Idealfall sind die Kosten für den Kunstberater dann geringer als die Einsparungen bzw. reduzierten Transaktionskosten, die der Berater seinem Kunden vermitteln kann. Grundsätzlich empfehlen die meisten der international renommierten Kunstberatungen daher ein Mandat ab einem Kunstwert von US Dollar 100.000 für ein einzelnes Werk bzw. einem Sammlungswert von US Dollar 200.000. Das Ziel einer unabhängigen Kunstberatung sollte stets sein, den Kunden in einem komplexen Markt so zu beraten, dass kostspielige Fehler vermieden und Marktchancen genutzt werden. Viele professionelle Sammler schätzen die Arbeit von Kunstberatern, insbesondere vor dem Hintergrund der Risikoreduktion. Der Berater hilft durch seine detaillierten Recherchemöglichkeiten und unabhängige Beratung mögliche Risiken und Probleme zu vermeiden, die z.B. durch Fälschungen, überzogene Preisforderungen oder aufgrund von fehlenden Lizenzen und Dokumenten etc. entstehen.

C. S erviceleistungen des K unstber aters Im Mittelpunkt einer unabhängigen Kunstberatung steht eine individuelle Betreuung des Kunden in allen Bereichen des Kunstmarktes sowie auf allen Stufen des Sammlungszyklus. Die Betreuung erstreckt sich von einer Repräsentanz für den Kunden auf Auktionen und Kunstmessen, über An- und Verkäufe von Kunstwerken bis hin zum gesamten Sammlungs-Management. Führende Beratungsfirmen bieten deshalb maßgeschneiderte Serviceleistungen an, die den Sammler seinen Wünschen entsprechend eng bzw. weniger eng in den Prozess einbinden. Der Kunde kann dadurch entweder in jeden Schritt des Prozesses aktiv involviert sein oder aber auch den gesamten Prozess an den Berater übergeben. Die wichtigsten Serviceleistungen des Kunstberaters sind: • detaillierte »Due-Diligence« und deren Dokumentation für Ankauf- und Verkaufsentscheidungen; • Ankauf und Verkauf von Kunst aus möglichst allen Epochen, einschließlich Antiquitäten, Alte Meister, Impressionismus, Moderne und Zeitgenössische Kunst;

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Kunstmarkt II: Akteure

• Bewertungen einzelner Werke und Sammlungen für Markt- und Versicherungszwecke; • Auktionsrepräsentanz, einschließlich der Vermittlung von Direktverkäufen; • (strategischer) Auf bau und Management von privaten und firmeneigenen Kunstsammlungen, einschließlich kuratorischer Expertise, Katalogisierung und Erstellung von maßgeschneiderten Datenbanken; • Logistik-Management, einschließlich Transport, Import- und Export­lizenzen, Restauration, Hängungen, Rahmungen, Fassungen und Lagerung von Kunstgegenständen; • philanthropische Beratung zur effektiven finanziellen Unterstützung der Künste; • kunstbezogene Steuer- und Vermögensplanung; • Beleihung und Finanzierung von Kunst. Um die Serviceleistungen des Kunstberaters besser zu verstehen, ist es wichtig, sich zunächst zu verdeutlichen, welche Faktoren über das eigentliche Kunstwerk hinaus für dessen Wert und somit auch seine Position im Kunstmarkt entscheidend sind: Abbildung 4: Ein Kunstwerk – viele Faktoren KUNSTWERK • Ausstellungen • Auktionsergebnisse • Zustand/Qualität

DOKUMENTATION • Expertennachweis • »Zeit am Markt« • Vergleichbare Werke

KÜNSTLER • Angebot/ Nachfrage • Preisvergleich • Preisrekorde

• Transportpapiere • Export-/ImportLizenzen

VERTRAG • Indexanalysen • Schaffensperiode

PROVENIENZ • Quelle • Echtheit/Fälschung • TItel

• Eigentumsnach weis • Restauration • Versicherung

• Zusicherungen • Versicherung • Garantien • Provisionen/ Transaktionskosten UMFELD

• Diebstahl • »Beute und Raubkunst«

• Wirtschaftliches Umfeld • Trends im Kunstmarkt

Quelle: van Delden 27

27 | Van Delden, 1858 Ltd. Art Advisory, 2010.

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I. Due-Diligence Die Grundlage der meisten Dienstleistungen des Kunstberaters bildet die sogenannte »Due-Diligence« auf ein Kunstobjekt. Hiermit wird die Risikoprüfung eines Kunstwerkes mit der »gebotenen Sorgfalt«28 bezeichnet. Diese steht am Beginn des Beratungsprozesses; sie ist entscheidend für den Ankauf und Verkauf eines Kunstwerkes oder auch für die Katalogisierung bzw. Erfassung einer bestehenden Sammlung (z.B. im Erbschafts- oder Versicherungsfall). Eine umfassende Due-Diligence ist vor allem deshalb wichtig, weil sie den Sammler vor möglichen Fehlinvestitionen schützt und eine zusätzliche Absicherung gegen gefälschte oder überteuerte Kunstwerke auf dem internationalen Kunstmarkt bietet.29 Folgende Merkmale und Faktoren werden im Rahmen einer »Due-Diligence« auf ein Kunstwerk geprüft, recherchiert, analysiert und im Anschluss professionell dokumentiert: • Lebenslauf des Künstlers (Ausbildung, Ausstellungen, Schaffensperioden, biografische Besonderheiten etc.); • Einordnung des Kunstwerks in das Gesamtwerk des Künstlers und in die jeweilige Kunstepoche; • Authentifizierungen/Prüfung der Echtheit des Kunstwerkes; • Seltenheits-/bzw. Alleinstellungsmerkmale des Kunstwerkes; • Zustand des Kunstwerkes; • angewandte Technik des Künstlers; • Zeitraum, in dem bzw. seit dem das Kunstwerk am Markt verfügbar ist; • Provenienz; • Recherche möglicher Ansprüche dritter Parteien (z.B. bei gestohlenen Kunstwerken, Restitutionsansprüchen etc.); • export-/importbezogene Faktoren (Lizenzen, Zoll etc.).30

II. Ankauf und Verkauf Wenn der Kunstberater von seinem Kunden mit dem Kauf eines Kunstwerkes beauftragt wird, ist sein Ziel, das beste Kunstobjekt im Rahmen des gesetzten 28  |  Übersetzung des Begriffs »Due-Diligence«. 29 | Siehe auch: Raikhel-Bolot, The Fine Art of Investing in Art, in: Family Office Review, 24 th October 2012, www.familyofficereview.com/lifestyle/art-wine-collectibles/article/ 582/the-fine-art-of-investing-in-art (Stand: 10.10.2013). 30 | Siehe auch Abb. 4, sowie Van Delden, Preisfaktoren im Kunstmarkt – Irrationale Komponenten, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 9, 2008, S. 56-57 sowie Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-) Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 684f.

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Budgets und im Einklang mit dem persönlichen Geschmack des Kunden zu identifizieren und zu erwerben. Deshalb bespricht der Berater zunächst die künstlerischen und ästhetischen Vorgaben sowie den finanziellen Rahmen mit seinem Kunden. Nicht selten hilft der Berater dem Kunden auch dabei, seine ästhetische Vorliebe genauer zu definieren, insbesondere, wenn dieser (noch) neu im Markt ist. Das gleiche gilt, wenn ein Kunde bereits einzelne Kunstwerke erworben hat und sich entscheidet, eine Sammlung aufzubauen, die eine homogene »Ausrichtung« haben soll. Bei der konkreten Suche nach einem Kunstwerk geht es darum, die bestmögliche Arbeit des jeweiligen Künstlers oder der jeweiligen Epoche hinsichtlich ihres Zustandes, der Provenienz und des Preises zu identifizieren.31 Oft sichtet der Kunstberater hierzu zunächst das Gesamtwerk des Künstlers und verschafft sich einen Überblick, welche Schaffensphasen von besonderem Wert sind und sich bisher auf dem Kunstmarkt als preisstabil erwiesen haben. Zudem bereitet der Kunstberater eine Zusammenstellung der Werke, die aktuell »am Markt« verfügbar sind und lokalisiert diese für den Kunden. Häufig ist diese Auswahl, gerade bei renommierten Künstlern, weltweit sehr begrenzt. Zudem kommt es oft vor, dass die verfügbaren Werke nicht über Galerien oder Auktionen angeboten werden, sondern über private Kunstvermittler oder direkt von Privat- bzw. Unternehmenssammlungen. Gerade bei letzteren zahlt sich das Netzwerk eines guten Kunstberaters aus, der auf diese Weise seinem Kunden eine wesentlich höhere Markttransparenz ermöglichen kann, was auch erheblichen Einfluss auf die Preisgestaltung haben kann (z.B. dann, wenn zeitgleich mehrere Werke eines begehrten Künstlers »am Markt« sind).32 Im Ergebnis präsentiert der Kunstberater dem Kunden also eine (möglichst breite) Auswahl verfügbarer Kunstwerke auf dem internationalen Kunstmarkt, die zu seiner Kaufabsicht passen. Wenn der Kunde sich für eines der vorgeschlagenen Werke entscheidet, führt der Kunstberater die bereits oben ausgeführten Schritte der Due-Diligence durch, soweit sie auf dieses Kunstwerk zutreffen. Zusätzlich prüft er die vorhandene Dokumentation des Kunstwerkes. Sowohl bei Ankaufs- als auch Verkaufsberatungen steht der Kunstberater dem Kunden bei der Preisverhandlung und dem Vertragsabschluss aktiv zur Seite. Der Kunstberater ist nicht zuletzt aufgrund seiner besonderen Marktstellung und des »psychologischen Faktors« in der Lage, bessere Konditionen und Preise für ein Werk zu verhandeln. Während ein Sammler meistens nur von Zeit zu Zeit in einer führenden Galerie ein Kunstwerk kauft, erwirbt der Kunstberater für seine Kunden teilweise mehrmals pro Jahr und damit regelmäßig Kunstwerke in derselben Galerie. Dadurch hat er eine signifikant bessere Verhandlungsposition 31  |  Vgl. auch Abb. 4. 32 | Siehe auch: Raikhel-Bolot, Helpful Tips When Investing in Art, in: Family Office Review, 6 th February 2013, www.familyofficereview.com/lifestyle/art-wine-collectibles/ article/728/helpful-tips-when-investing-in-art (Stand: 10.10.2013).

Friederike van Delden: Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt

hinsichtlich des Preises und der Transaktionskosten. Dem erfahrenen Galeristen und Verkäufer ist zudem bewusst, dass ein Kunstberater vor einem Kauf eine ausführliche »Due-Diligence« auf das Kunstwerk bzw. auf den Künstler durchführt und deshalb gut vorbereitet in Verhandlungen geht. Des Weiteren kann ein Verkäufer beim Kunstberater nicht damit rechnen, dass dieser ausschließlich aus emotionalen Gründen dem Kunstwerk verbunden ist und damit bereit ist, einen überhöhten Preis zu zahlen.33

III. Provenienz Die Provenienz eines Kunstwerkes ist von großer Bedeutung für seinen Marktwert. Aus diesem Grund basiert auch ein Großteil des Due-Diligence Prozesses für ein Kunstwerk auf der Überprüfung seiner Provenienz, d.h. seiner Historie hinsichtlich vorausgegangener Besitzer, Ausstellungen und Lagerungsorte. Ein Kunstwerk aus einer Privatsammlung beispielsweise, das als Leihgabe an hochkarätige Museen und Ausstellungen entliehen wird, steigt in der Regel positiv in seinem Marktwert und in seinem Bekanntheitsgrad. Grundsätzlich gilt, dass je lückenloser die Provenienz und deren Dokumentation sind, desto besser und wertsteigernder lässt sich ein Kunstwerk weiter veräußern. Zur Dokumentation der Provenienz eines Kunstwerkes gehören u.A.: • • • • • •

Kaufbelege und Rechnungen; Wissenschaftliche und künstlerische Gutachten; Briefe und Expertisen direkt vom Künstler oder Galeristen; Zuschreibungen von Kunstexperten; Verweise in der Fachliteratur sowie in Ausstellungskatalogen; Transport- und Versicherungsunterlagen sowie Exportlizenzen.

IV. Bewertungen einzelner Werke und Sammlungen für Markt- und Versicherungszwecke Viele Kunstsammler lassen ihre Sammlung regelmäßig bewerten und entsprechend dokumentieren. Dies geschieht zum einen für Marktzwecke, wenn beispielsweise ein Verkauf der Sammlung geplant ist, oder aber für versicherungsund erbschaftssteuerliche Zwecke. Die führenden Kunstversicherungen fordern zur Aufrechterhaltung ihrer Policen eine regelmäßige Neubewertung des Sammlungswertes. Der Kunstberater führt derartige Bewertungen für den Sammler auf unabhängiger Basis durch, d.h. ohne hierbei eigene Geschäftsziele zu verfolgen, wie es z.B. bei einem potenziellen Käufer, Verkäufer oder einer Versicherung oder 33 | Siehe auch: Raikhel-Bolot, Investments of Passion, in: Family Office Review, 2012, www.familyof ficereview.com/family-balance-sheet/investment s/ar ticle/518/invest ments-of-passion (Stand: 10.10.2013).

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gar beim Finanzamt im Erbfall vorkommen kann. Grundlage der Bewertung ist hier wieder die Due-Diligence. Neben den Bewertungen der einzelnen Kunstwerke (z.B. Referenzwerte früherer Verkäufe des Kunstwerkes oder vergleichbarer Kunstwerke des Künstlers, relevante Auktionswerte etc.) sind auch Marktfaktoren, wie die Entwicklung des Kunstmarktes im Allgemeinen bzw. in den entsprechenden Marktsegmenten oder das gesamtwirtschaftliche Umfeld zu berücksichtigen.

V. Auktionsrepräsentanz, einschließlich der Vermittlung von Direktverkäufen Die Vertretung des Kunden durch den Kunstberater auf Auktionen oder Kunstmessen gehört zum »Standardspektrum« des Dienstleistungsangebotes. Der Kunstberater vertritt die Bieterinteressen seines Kunden vor Ort und bewertet das ausgewählte Kunstwerk im Rahmen der Vorbesichtigung im Auktionshaus bzw. auf der Kunstmesse. Hierdurch erspart der Berater dem Kunden eine mögliche Reiselogistik und den hiermit verbundenen Zeitaufwand. Beim Ankauf von Kunstwerken über Auktionshäuser profitiert der Kunde häufig von den guten Kontakten des Kunstberaters, der teilweise bereits im Vorfeld oder Nachgang einer Auktion einen Direktverkauf zu guten Konditionen vermitteln kann (sog. »Private Treaty Sales«). Der Kunde kann sich hierdurch ein Kunstwerk außerhalb der Auktion »sichern« und oftmals die entsprechenden Transaktionskosten, welche vom Auktionshaus normalerweise sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer belastet werden, deutlich reduzieren.

VI. Sammlungs-Management und Sammlungs-Administration Wird eine Kunstsammlung langfristig durch einen Kunstberater betreut, kann das gesamte Sammlungs-Management sowie die Sammlungs-Administration vom Berater übernommen werden. Das Sammlungs-Management umfasst in der Regel die folgenden Elemente: • Eine kontinuierliche und damit stets aktuelle Katalogisierung (Erfassung und Dokumentation) und Bewertung der einzelnen Kunstwerke; • Ein regelmäßiger Umschlag der Sammlung, d.h. die Planung und Umsetzung strategischer An- und Verkäufe von Kunstwerken; • Ein strategisches »Marketing« der Sammlung (inklusive der Bearbeitung möglicher Ausstellungsanfragen bzw. Vergabe von Leihgaben aus der Sammlung an öffentliche Institutionen); • (Zwischen-)Finanzierung von Ankäufen;34 • Eine langfristige Steuer- und Vermögensplanung;35 34  |  Siehe auch Abschnitt VIII.: »Beleihung von Kunstwerken, Darlehen«. 35  |  Siehe auch Abschnitt IX.: »Langfristige Steuer- und Vermögensplanung«.

Friederike van Delden: Kunstberater und ihr Wirkungsspektrum auf dem Kunstmarkt

• Eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung des Versicherungsschutzes der Sammlung; • Die sachgerechte Lagerung bzw. Hängung der Kunstwerke inklusive einer möglichen kuratorischen Beratung. • Abhängig vom Umfang der Sammlung, erfolgt die Katalogisierung in maßgeschneiderten Kunstsammlungs-Datenbanken und wird dort entsprechend gepflegt und auf bereitet. Diese Art von Software-Tools werden nicht nur von Privatsammlern, sondern insbesondere auch von Museen genutzt. Einen besonderen Stellenwert beim Sammlungs-Management nimmt die kontinuierliche strategische Beratung ein. Schwerpunkte sind gezielte An- und Verkäufe von Kunstwerken, durch welche sich im Idealfall entweder der künstlerische Sammlungswert oder der Popularitätswert einer Sammlung erhöht. Zur Beratung von strategischen An- und Verkäufen gehört auch die Frage, wie und wo die Kunstwerke am besten erworben und veräußert werden. So ist ein Erwerb oder Verkauf über ein bekanntes Auktionshaus wesentlich öffentlichkeitswirksamer als ein Direktkauf aus privater Hand. Je nach Wunsch und Bestreben des Sammlers wird am Ende ein eher »lauterer« oder ein eher »leiserer« Weg gewählt. Auch wenn bei vielen Sammlern die Kunstpassion an erster Stelle steht, gewinnt das strategische Marketing einer Sammlung immer stärker an Bedeutung. Ein versierter Kunstberater ist bemüht, durch gezielte Leihgaben an Museen oder Ausstellungen den Bekanntheitsgrad von Kunstwerken und damit den Wert einer Sammlung zu steigern. Ebenso werden zunehmend Sammlungskataloge erstellt, die öffentlich publiziert werden; so ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Sammlung durch die gezielte Zusammenarbeit mit der nationalen und internationalen Kunstpresse in der Öffentlichkeit positioniert wird. Nicht selten schaffen sich bedeutende Sammler eigene Ausstellungsflächen oder Privatmuseen, um ihre Sammlung auszustellen und somit ihren Bekanntheits- und Bedeutungsgrad zu erhöhen. Deutsche Beispiele der letzten Jahre sind u.a. das »Museum Brandhorst«36 in München oder die »Julia Stoschek Collection« in Düsseldorf.37

VII. P hilanthropische Beratung zur effektiven finanziellen Unterstützung der Künste Passionierte Kunstsammler sind oft auch über den Besitz ihrer Kunstwerke hinaus an der Unterstützung der Künste im Allgemeinen interessiert. Die Beratung eines möglichen philanthropischen Engagements des Kunden ist naheliegend. Der Berater unterbreitet im Rahmen der gesetzten Kundenvorgaben Vorschläge zum effektiven Einsatz von Spenden für die Kunst. Derartige Spenden können beispielsweise bestimmten Kunstprojekten, Museen, Künstlern oder Stiftungen 36 | www.museum-brandhorst.de (Stand: 27.09.2013). 37 | www.julia-stoschek-collection.net (Stand: 27.09.2013).

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zugutekommen oder aber auch der Strukturierung von möglichen (Sach-)Zuwendungen in Form von Zustiftungen dienen. Auch das Aufsetzen von eigenen Stiftungen ist keine Seltenheit, wenn es um die Sicherstellung von Fördermitteln für langfristige Zwecke, wie zum Beispiel die Förderung einer bestimmten Kunstrichtung oder den Erhalt einer seltenen Zeichen- oder Drucktechnik, geht. International bekannte Beispiele sind die »Fondazione Prada«38 in Italien sowie die Kulturstiftung des französischen Luxusgüterkonzerns »LVMH«.39

VIII. Beleihung von Kunstwerken, Darlehen Die Vergabe von Darlehen zum Ankauf von Kunstwerken sowie die Beleihung bestehender Kunstwerke oder ganzer Sammlungen ist ein Geschäftsfeld, das sich sowohl bei Sammlern, Banken als aber auch bei spezialisierten Investment- und Finanzierungsfirmen verstärkt entwickelt hat. Während klassische Darlehensgeber, wie z.B. westeuropäische oder amerikanische Bankhäuser, aufgrund immer strenger werdender interner Risiko-Management-Vorgaben, hier nicht stark vertreten sind, gibt es auf dem internationalen Kunstmarkt zunehmend private Finanzanbieter, die derartige Leistungen übernehmen. Der Kunstberater muss seinem Kunden einen Überblick über das bestehende aktuelle Angebot verschaffen und ihm den jeweils bestmöglich geeigneten Dienstleister mit den entsprechenden Konditionen vermitteln. Ein Schwerpunkt besteht darin, den realen Wert und die Vermarktbarkeit eines Kunstwerkes bzw. einer Sammlung gegenüber dem Darlehensgeber glaubhaft herauszuarbeiten. Hiervon ausgehend ermittelt der Darlehensgeber den Beleihungswert (im englischen »loan to value«), also den herausgearbeiteten Marktwert abzüglich eines bestimmten Riskoabschlags. Ein Sonderfaktor ist hierbei die Illiquidität von Kunstwerken40 sowie die Markteinschätzung der jeweiligen Kunstepoche, da beispielsweise »Alte Meister« sich über die Jahre statistisch als wesentlich wertstabiler und weniger volatil erweisen haben als zeitgenössische Kunst. Im umgekehrten Fall werden Kunstberater auch von Finanzinstituten und Banken als unabhängige externe Experten mandatiert, um den Beleihungswert von Kunstwerken bzw. Sammlungen festzusetzen, so dass die Bank als Darlehensgeber einen unabhängigen Referenzwert hat, auf den sie ihr Darlehensangebot an den Kunden abstellen kann. Nicht zuletzt stellt sich die Frage der »Sicherstellung« des Kunstwerkes während der Kreditlaufzeit, d.h. wo und wie das Kunstwerk physisch gelagert wird, 38 | http://fondazioneprada.org/ (Stand: 10.10.2013). 39 | www.lvmh.com/lvmh-patron-of-the-arts-and-social-solidarity (Stand: 10.10.2013). 40  |  Erl. zu »Illiquidität von Kunstwerken«: »Illiquide Vermögenswerte sind Vermögenswerte, die kurzfristig nur schwer zu ihrem tatsächlichen Wert verkauft werden können.« Siehe Vereinigung Alternativer Investments, www.vereinigungai.at/glossar/eintrag/bedeutung/ illiquide_vermoegenswerte/ (Stand: 10.10.2013).

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damit es während der Kreditlaufzeit nicht beschädigt oder anderweitig wertgemindert werden kann. Auch die Frage nach der geeigneten Versicherung eines beliehenen Kunstwerkes oder gar einer ganzen Sammlung muss geklärt sein.

IX. Langfristige Steuer- und Vermögensplanung Die langfristige kunstbezogene Steuer- und Vermögensplanung ist für ein umfassendes Sammlungs-Management wichtig. Der Kunstbesitz wird unter rein monetären Aspekten, wie z.B. einer möglichen Erbschaftssteuerzahlung, analysiert und aufbereitet. Professionell betreute Sammlungen werden in der Regel einmal jährlich für den theoretischen Fall eines Erbschaftsüberganges bewertet. Dies erfolgt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Kunstsammlung oft einen beträchtlichen Wert und somit in vielen Ländern eine Vermögenssteuer- als auch Erbschaftssteuerrelevanz hat und aufgrund der hohen Illiquidität von Kunst die Erben vor Liquiditätsprobleme stellen könnte, wenn die Erbschaftssteuer fällig werden würde. Nicht selten müssen in derartigen (unvorbereiteten) Fällen Teile der Sammlung »ad hoc« und unter Wert verkauft werden, um die kurzfristig benötigte Liquidität abzudecken. Zudem wird eine Sammlung dadurch oft künstlerisch »auseinandergerissen«. Insofern bemüht sich der Kunstberater gemeinsam mit Steuerexperten rechtzeitig um bestimmte Strukturen und Modelle, um die Erbschaftssteuer gering zu halten und/oder die entsprechende Liquidität beim Sammler stets vorzuhalten. Erfahrene Berater können verschiedene Impulse im Rahmen der Erbschaftssteuer- und Vermögenssteuerplanung geben. Je nach Land, Art der Kunst und Interessenslage des Sammlers kann der Kunstberater aus einem breiten Spektrum schöpfen. So können bspw. durch die Dauerleihgabe von Kunstwerken an öffentliche Einrichtungen, wie z.B. Museen, unter bestimmten Voraussetzungen Steuervorteile erzielt werden. Auch das Einbringen der Sammlung in eine eigens gegründete Stiftung kann insbesondere dann von Interesse sein, wenn es um die langfristige Sicherung der Kunstsammlung über Generationen hinweg geht.

X. Logistik-Management Insbesondere bei hochpreisigen und fragilen Kunstwerken kommt der Logistik von Kunstwerken eine besondere Bedeutung zu. Unter Logistik wird nicht nur der Transport, sondern auch eine möglicherweise längerfristige sachgemäße (klimabeständige) Lagerung von Kunstwerken verstanden. Das Logistik-Management kann ebenfalls durch den Kunstberater abgewickelt und betreut werden. Hierzu gehören neben dem Transport von Kunstwerken, einschließlich der Abwicklung von Import- und Exportlizenzen, die Restauration des Kunstwerkes, die Hängung der Kunstwerke, ihre professionelle Rahmung und Fassung sowie zuletzt auch die sichere Lagerung der Kunstwerke unter geeigneten Bedingungen.

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D. F allbeispiele Im Folgenden wird das breite Dienstleistungsspektrum des Kunstberaters anhand von ausgewählten Fallbeispielen illustriert. Die Beispiele veranschaulichen praxisnah die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Beraters sowie die möglichen Vorteile, die sich daraus jeweils für den Kunden ergeben. I. Fall: Katalogisierung und Publikation der Kunstsammlung einer Privatbank Eine europäische Privatbank hat über Jahrzehnte mehr als 150 Kunstwerke erworben. Die Werke sind größtenteils einzeln dokumentiert, jedoch nicht vollständig als Sammlung erfasst. Zudem hat die Bank in zwei Jahren ihr 125-jähriges Jubiläum und möchte vor diesem Hintergrund einen Bildband mit den Highlights der bankeigenen Kunstsammlung für die Kunden der Bank herausgeben. Eine externe Kunstberatung soll nicht nur die Erstellung des Bildbandes mit Recherchen und Hintergrundinformationen begleiten, sondern in diesem Zusammenhang auch eine professionelle Katalogisierung und Erfassung aller Kunstwerke in einer speziellen Datenbank vornehmen. Beratungsschwerpunkte: • Physische Erfassung der Kunstwerke (Anzahl, Zustand, Lagerung, Fotoaufnahmen); • Erfassung der bestehenden Dokumentation zu den Kunstwerken; • Gruppierung der Kunstwerke nach verschiedenen Kriterien (Künstler, Epoche, Wertigkeit, Zustand etc.); • Auswahl und Aufsetzen einer elektronischen Datenbank für das SammlungsManagement; • Detaillierte Recherche zu den bedeutendsten Kunstwerken der Sammlung (kunsthistorische Einordnung, Vergleichswerke, Einordnung in das GesamtŒuvre des Künstlers); • Auswahl der Kunstwerke und professionelle Ablichtung für den Bildband; • Aussprache von Empfehlungen für das zukünftige Sammlungs-Management; • (Wissenschaftliche) Textgestaltung des Bildbandes. Ausgewählte Kundenvorteile: Mit der Mandatierung eines Kunstberaters übergibt die Privatbank die gesamte Abwicklung des Projektes in eine Hand. Der Kunstberater begleitet und koordiniert sämtliche Arbeitsschritte und steht der Bank als alleiniger Ansprechpartner zur Verfügung, d.h. die Bank muss nicht mit mehreren Parteien kommunizieren. Durch die Katalogisierung und die damit einhergehende Professionalisierung des Sammlungs-Managements, vorrangig der verbesserten Dokumentation, steigt zudem der Wert der bankeigenen Kunstsammlung.

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II. Fall: Verkauf einer Privatsammlung Alter Meister im Auftrag einer europäischen Adelsfamilie Eine hochrangige europäische Adelsfamilie hat seit Generationen verschiedene Alte Meister in ihrem Familienbesitz, die teilweise verkauft werden sollen. Vor dem Hintergrund, dass die Gemälde teilweise seit mehr als 150 Jahren in der Familie sind, mangelt es an lückenloser Dokumentation, insbesondere am Eigentumsnachweis der Familie. Beratungsschwerpunkte: • Detailrecherche zur Provenienz der Kunstwerke (mit dem Ziel, einen möglichst lückenlosen Nachweis zu führen, dass die Bilder tatsächlich stets im Besitz der Familie waren, und nachzuvollziehen, auf welchem Wege sie ursprünglich in die Familie gelangt sind); • Negativ-Abgleich mit Kunstdatenbanken, die sich auf gestohlene Kunstwerke und Raubkunst spezialisieren (z.B. »Art Loss Register« 41); • Identifizierung und diskrete Ansprache von potentiellen Käufern der Kunstwerke; • Abwicklung des Verkaufes von der Werkssichtung bis zum Transport der Werke an ihren neuen Eigentümer. Ausgewählte Kundenvorteile: Durch die professionelle Aufarbeitung des Kunstbesitzes und der Erstellung fehlender Dokumentation wird ein seriöser Verkauf der Alten Meister auf Basis einer aktuellen Marktbewertung ermöglicht. Falls der Kunde es wünscht, ist eine diskrete und »leise« Abwicklung des Verkaufes über das Sammlernetzwerk der Kunstberatung möglich. Hierbei versucht der Kunstberater, die Kunstwerke direkt an eine andere Privatsammlung zu veräußern, ohne dass das Verkaufsangebot im breiten Markt publik wird. Neben der dadurch gewahrten Diskretion sparen sowohl Käufer als auch Verkäufer durch eine »private to private« Transaktion erhebliche Kosten, welche bei einem anderen Verkaufsweg, z.B. über eine Galerie oder ein Auktionshaus, angefallen wären. Darüber hinaus ist es hierbei im Sinne der gewünschten Diskretion möglich, die Anonymität des Verkäufers bis kurz vor Transaktionsabschluss zu wahren. III. Fall: An- und Verkaufsberatung sowie Sammlungs-Management eines europäischen Art Fund Eine Investmentgesellschaft möchte einen 50 Millionen Euro teuren Art Fund auflegen, der unter Renditegesichtspunkten in zeitgenössische Kunst investieren soll. Es wird eine Kunstberatung gesucht, die den gesamten Zyklus des Funds begleiten kann, von der Dokumentationserstellung des Funds über die Beratung 41 | www.artloss.com (Stand: 27.09.2013).

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des sogenannten »Investment Committees« (welches darüber entscheidet, welche Kunstwerke gekauft und verkauft werden sollen) bis hin zur Handhabung der erworbenen Kunstwerke (Lagerung, Versicherung etc.). Beratungsschwerpunkte: • Inhaltliche Gestaltung der Funddokumentation bezüglich der Beschreibung des Investitionsfokus (Kunstrichtung, Epoche etc.); • Ausarbeitung der Investment-Strategie bzgl. Künstlerauswahl, Werksauswahl, Ankaufsquellen, Ankaufspreisgestaltung etc.; • Überwachung der Kunstankäufe, inklusive Überprüfung einer vollständigen Dokumentation der Kunstwerke und Authentifikation; • Aufsetzen und Pflege der Sammlungsdatenbank; • Zum Ende der Fundlaufzeit: Ausarbeitung einer Verkaufsstrategie (welche Künstler bzw. Werke über welche Verkaufskanäle veräußert werden, um optimale Verkaufspreise zu erzielen). Ausgewählte Kundenvorteile: Durch die Beauftragung einer professionellen Kunstberatung für die gesamte Fundlaufzeit gewinnt der Fundmanager Kredibilität gegenüber seinen Investoren, was insbesondere beim Einwerben der Investitionsgelder wichtig ist. Gleichzeitig reduziert die Expertise des Kunstberaters das Risiko eines möglichen Wertverlustes, z.B. durch Handhabungsfehler, Ankauf von Fälschungen, »laienhafte« Ankaufspreisrecherche, fehlerhafte Beurteilung des Zustandes der Kunstwerke, mangelnde Markttransparenz, falsche Lagerung der Kunstwerke etc. Durch eine feste Vertragsstruktur wird die Kunstberatung für die gesamte Laufzeit des Funds beauftragt. Hierdurch ist eine transparente Planung der laufenden Kosten des Kunstfunds, auch gegenüber den Investoren, möglich. Durch die fachliche Expertise, als aber auch die praktische Ausführung des Sammlungs-Managements, welche von der Kunstberatung aus einer Hand geliefert werden, entsteht wenig Koordinationsbedarf für das Investmenthaus bzw. den Fundmanager. IV. Fall: Erbschaft einer Kunstsammlung Eine europäische Adelsfamilie hat eine kleine, aber sehr feine Sammlung von Alten Meistern und Impressionisten. Durch den plötzlichen Tod des Familienoberhauptes und Eigentümers der Werke fällt die Sammlung in das Erbe, welches sich auf drei Kinder und die Ehefrau aufteilt. Beratungsschwerpunkte: • Bewertung der Kunstsammlung für erbschaftssteuerliche Zwecke; • Gruppierung der Kunstwerke in vier möglichst gleichwertige »Erbschaftspakete« (sowohl aus künstlerischer als auch aus ökonomischer Sichtweise).

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Ausgewählte Kundenvorteile: Durch den Kunstberater wird eine »belastbare« Bewertung der Sammlung erstellt, die bei möglichen Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt dienlich sein kann. Zudem schützt eine unabhängige Bewertung die Familienmitglieder auch vor Erbstreitigkeiten, da sie sich als neutrale und fachkundige »Instanz« der Sammlung annimmt. Der Kunstberater prüft zunächst international verschiedene Strukturen, innerhalb derer eine Kunstsammlung vererbt werden kann, und evaluiert bzw. analysiert bestehende »best practices«. Im Ergebnis kann er für die Familie die bestgeeignete Erbschaftsstruktur zur Gesamterhaltung der Sammlung identifizieren und aufsetzen.

E. Z usammenfassung : A uswahlkriterien für einen K unstber ater Die stetig zunehmende »Professionalisierung« des Kunstmarktes hat ein Niveau erreicht, das auch anspruchsvollen Sammlern und Kunstmarktinvestoren gerecht wird. Faktoren wie die relative Marktliquidität, die verstärkt akzeptierte Wahrnehmung von Kunst als Anlageklasse, aber auch die immer bessere und professionellere Dokumentation sowie die breitere (Markt-)Datenbasis sind Gründe für diese Entwicklung. Ungeachtet all dessen steht der Kunde jedoch weiterhin vor der Herausforderung, die gewinnbringenden Vorteile der Kunstanlage zu maximieren und gleichzeitig die potentiellen verlustbringenden Nachteile und Risiken zu minimieren.42 Die Frage nach der Einbindung und Auswahl eines professionellen Kunstberaters ist daher stets naheliegend. In der Zusammenfassung sollten bei der Auswahl eines Kunstberaters folgende Kriterien berücksichtigt werden: • globale Präsenz und globaler Zugang zu Marktteilnehmern, Experten und Recherchemöglichkeiten; • Diskretion – der Kunstmarkt ist, obwohl international, ein kleiner Markt, in dem Seriosität und Diskretion Grundvoraussetzung sind. Führende Kunstberater bewerben ihre Projekte nur in Ausnhamefällen und arbeiten in der Regel im Hintergrund für ihre Kunden; • Unabhängigkeit und Objektivität; • Professionalität; • profunde personelle Ressourcen; • Nachweislicher Zugang zu führenden Spezialisten aus dem wissenschaftlichen Bereich; 42 | Sommer, The Art of Investing in Art, 2013, www.jpmorgan.com/tss/General/The_ Art_of_Investing_in_Art/1320507612236 (Stand: 10.10.2013), siehe auch: Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 701.

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• Zugang zu bedeutenden Privat- und Unternehmenssammlungen; • aktives Netzwerk mit den führenden Auktionshäusern, Galerien und Händlern sowohl international als auch in den wichtigen nationalen Kunstmärkten wie den USA, Großbritannien und Frankreich; • eventueller Direktzugang zu bedeutenden lebenden Künstlern.43

L iter atur Conzen, Friedrich und Salié, Olaf (Hg.): Corporate Collections, Köln 2012. Czotcher, Eric (F.A.Z.-Institut): Kunstwerke als Investment taxieren, in: Art Estate AG (Hg.), Contemporary Art. Eine Assetklasse zur Portfoliodiversifikation, Hamburg 2006. McAndrew, Dr. Clare: TEFAF Art Market Report 2013. The global art market, with a focus on China and Brasil, Helvoirt 2013. McAndrew, Dr. Clare: The International Art Market 2007-2009. Trends in the Art Trade during Global Recession. Art Market Report, Helvoirt 2010. Raikhel-Bolot, Viola: Da very much, in: Spear’s Wealth Management Survey, Art and Collecting Special, March 2007, S. 89. Raikhel-Bolot, Viola: Helpful Tips When Investing in Art, in: Family Office Review, 6th February 2013. Raikhel-Bolot, Viola: Investments of Passion, in: Family Office Review, 12th September 2012. Raikhel-Bolot, Viola: The Fine Art of Investing in Art, in: Family Office Review, 24th October 2012. Sommer, Kyle: The Art of Investing in Art, 2013, in: www.jpmorgan.com/tss/ General/The_Art_of_Investing_in_Art/1320507612236 (Stand: 10.10.2013). Van Delden, Friederike: Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller, Dr. Maximilian (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 675-704. Van Delden, Friederike: Preisfaktoren im Kunstmarkt, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 9, 2008, S. 56-57. Van Delden, Friederike. Unternehmenssammlungen – Die Kunst, Werte zu schaffen, in: Unternehmermagazin, Ausgabe 6, 2009, S. 58-61. Weller, Micky, KunstWerte. Entwicklung des Kunstmarktes und Prozesse der Preisbildung, Seminararbeit an der Universität Potsdam, Berlin 2010.

43 | Van Delden, Art Advisory und Art Management, in: Werkmüller (Hg.), Family Office Management als (Bank-)Dienstleistung für vermögende Privatkunden, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 703f.

Zwischen Markt und Wissenschaft: Kunstsachverständige und Experten Nils Büttner/Behrend Finke

E ine A rt E inleitung Es war ein veritabler Skandal, der nicht nur in Berlin die Wogen hochgehen ließ.1 Im August des Jahres 1671 hatte Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst, eine von Generalfeldmarschall Alexander Freiherr von Spaen geleitete Delegation in die Niederlande gesandt. Neben der Aushandlung eines Bündnisses gegen Frankreich war sie beauftragt, Kunstwerke für die Berliner Sammlung zu erwerben. Der angesehene Amsterdamer Kunsthändler Gerrit Uylenburgh, den man zu diesem Zweck aufgesucht hatte, konnte gleich mit zwölf Werken von Michelangelo, Raffael und Tizian aufwarten. Da italienische Werke von berühmten Malern der Renaissance bislang in der kurfürstlichen Sammlung kaum vertreten waren, kam man ins Geschäft. Der Kaufpreis von etwas mehr als 2.000 Gulden war für ein Dutzend Gemälde von so berühmten Meistern erstaunlich niedrig.2 Schließlich hatte ein einzelnes Porträt Raffaels, das Bildnis des Baldassare Castiglione, bei seiner Versteigerung in Amsterdam im April 1639 schon 3.500 Gulden erzielt.3 Dass dem Großen Kurfürsten das Bildnis eines alten Mannes von der Hand Raffaels nun für nur 150 Gulden angeboten wurde, mag den Verdacht des am Berliner Hof tätigen Malers Hendrick Fromantiou geweckt haben. Der hatte vordem selbst als Angestellter in Uylenburghs Bilderfabrik gearbeitet und dort wie am Fließband Bilder kopiert. Uylenburgh handelte nämlich nicht nur mit Kunst, 1  |  Friso Lammertse: Gerrit Uylenburgh, art dealer and painter in Amsterdam and London, in: Uylenburgh & Son: Art and commerce from Rembrandt to De Lairesse 1625-1675, Ausstellungskatalog: London, Dulwich Picture Gallery, 7. Juni – 3. September 2006; Amsterdam, The Rembrandt House Museum, 16. September – 10. Dezember 2006, hg. von Friso Lammertse, Zwolle 2006, S. 61-114, zu dem hier dargestellten Fall bes. S. 79-91. 2  |  Lammertse 2006 (wie Anm. 1), S. 82f. 3 | The Rembrandt documents, hg. von Walter L.Strauss, Marjon van der Meulen, unter Mitarbeit von S.A.C. Dudok van Heel und P.J.M. de Baar, New York 1979, Nr. 1639/8, S. 177.

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Kunstmarkt II: Akteure

er ließ sie auch marktgerecht produzieren. Da Fromantiou selbst bei Uylenburgh »auf der Galeere gesessen« hatte, wie man in Künstlerkreisen das Schicksal angestellter Maler wenig schmeichelhaft umschrieb, warnte er den Kurfürsten eindringlich vor den Geschäftspraktiken seines einstigen Chefs.4 Der Kurfürst sandte daraufhin seinen Maler nach Amsterdam, um den Beweis für seine Anschuldigung zu erbringen. In Amsterdam setzte Uylenburgh alles daran, die Echtheit der Bilder zu beweisen. In Gegenwart eines Notars wurden Amsterdamer Maler in das Gasthaus De Keijserskroon in der Kalverstraat bestellt, die über die dort ausgestellten Werke urteilen sollten. Selbst der Magistrat wurde eingeschaltet, weil der aus Berlin angereiste Maler die Unabhängigkeit der vom Kunsthändler Uylenburgh aufgebotenen Gutachter bezweifelte. Im Großen und Ganzen fiel diese Beurteilung durch Uylenburghs Amsterdamer Kollegen tatsächlich positiv aus und sie bescheinigten ihm, echte und qualitätvolle italienische Bilder verkauft zu haben, wobei nur wenige soweit gingen, auch die Zuschreibungen für zutreffend zu erklären. Im Wissen um Uylenburghs Einfluss innerhalb der Amsterdamer Lukas-Gilde, dem Zusammenschluss der Maler und Kunsthändler der Stadt, war Fromantiou nicht geneigt, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen. Auch sein Ruf als Experte stand auf dem Spiel und so ließ er die Bilder in Den Haag durch weitere als Experten hinzugezogene Maler begutachten. Neben den in Den Haag tätigen Malern wurden sogar Gutachter aus Antwerpen und Rotterdam zu Rate gezogen. Aus dem nahegelegenen Delft waren Johannes Jordaens und Jan Vermeer angereist, deren Urteil vernichtend ausfiel. Es seien »nicht nur keine hervorragenden italienischen Gemälde, sondern im gegenteil großer Müll und schlechte Malereien, die kaum den zehnten Teil des verlangten Preises wert« seien.5 An eine Lieferung der Bilder nach Berlin war danach nicht mehr zu denken. Uylenburgh erhielt die Bilder zurück, um sie anderweitig zu vermarkten. Stets betonte er, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Der Maler und Kunstschriftsteller Arnold Houbraken berichtete noch 1719 von der seinerzeit vielbeachteten 4 | Houbraken, Arnold: De Groote Schouburgh der Nederlantsche Konstschilders en Schilderessen, 3 Bde., Amsterdam 1718-1721, hier: Bd. 2, S. 294f.: »Deze die voor henen op de Galey (gelykmen Italien het schilderen voor de keelbeulen dus gewoon is te noemen) gezetten, en zelf voor Uilenburg geschilderd had, en dus den handel dier vosschen kende, doopte de zelve met den naam van kopyen.« [»Dieser, der ehedem selbst auf der Galeere gesessen hatte (wie man in Italien das Malen für diese Halsabschneider gewöhnlich nennt) und selbst für Uylenburgh gemalt hatte und deshalb den Handel dieses Fuchses kannte. Er taufte sie auf den Namen Kopien.«] 5 | Montias, John Michael: Vermeer en zijn milieu, Baarn 1993, Nr. 341, S. 380: »Niet alleen niet en syn uytmundende Italiaense Schilderiën, maer ter contrarie eenige groote rodden ende slechte schilderiën, die op verre nae de tiende part van de voosz. uytgetrocke prysen niet geacht en konnen werden.« [»Nicht allein sind das keine hervorragenden italienischen Gemälde, sondern im Gegenteil ein großer Müll und schlechte Bilder, die weit entfernt davon sind für ein zehntel des angesetzten Preises geschätzt zu werden.«]

N. Büttner/B. Finke: Zwischen Markt und Wissenschaft: Kunstsachverständige und Experten

Affäre, derzufolge Uylenburgh es verabsäumte, dem Kurfürsten den durch seinen Unterhändler geleisteten Vorschuss von 2.000 Reichstalern zurückzuerstatten.6

D amals und heute Diese ausführlich dokumentierte Begebenheit aus dem 17. Jahrhundert zeigt, dass Kunst schon immer eine sensible Ware war, deren Geldwert erheblich vom sachverständigen Urteil abhängt. Zugleich enthält die kleine Geschichte alles, was noch heute einen guten Kunstmarktkrimi auszeichnet. Dazu gehören neben dem Sammler, der selbst kein Experte ist, der Händler, der gleichermaßen Kunst und Expertise liefert und Sachverständige, die aufgefordert sind, die Sache unabhängig einzuschätzen und zu bewerten. Wie im Europa jener Jahre allgemein üblich, gehörten die Sachverständigen der Gilde an, die auf das entsprechende Handwerk und Gewerbe ein Privileg hatte. Die Maler und die seit dem späten 16. Jahrhundert als eigener Berufszweig greifbaren Kunsthändler waren dabei in einer Gilde zusammengeschlossen. In katholischen Gegenden war sie zugleich eine spirituelle Gemeinschaft, die im Laufe des Kirchenjahres vor allem religiöse und repräsentative Aufgaben erfüllte und in der Regel eine eigene, dem hl. Lukas geweihte Kapelle unterhielt. Allerdings war die Maler-Gilde nicht in allen Städten eine unter dem Patrozinium des hl. Lukas zusammengeschlossene Vereinigung von künstlerischen Gewerben. Das ließ den Maler und Kunstschriftsteller Karel van Mander 1604 über die »allzu undankbare[n] Jahrhunderte der Gegenwart« klagen, »in denen man auf Drängen gemeiner Pfuscher solch schändlichen Gesetzen und mißgünstigen Verordnungen in den Städten Geltung verschafft hat, so daß fast überall (Rom fast allein ausgenommen) aus der edlen Malkunst eine Gilde gemacht wird, wie man es mit allen rohen Handwerken und Gewerben, als da sind: Weben, Pelznähen, Zimmern, Schmieden und dergleichen tut. Zu Brügge in Flandern bilden die Maler nicht allein eine Gilde, sondern es gehören auch noch die Pferdegeschirrmacher dazu. Zu Haarlem, wo es stets viele hervorragende Maler gegeben hat, gehören die Kesselflicker, Zinngießer und Trödler zur Malergilde. Obwohl diese beiden Städte Gründe dafür geltend machen, warum dies so geschah, ist es doch so weit gekommen, dass man fast gar keinen Unterschied zwischen Malen und Schuhflicken, Weben und dergleichen Dingen macht; denn es muss – wie Unwissenheit und Unverstand es gern haben – in eine Gilde gezwängt werden, und die Erlaubnis zu seiner Ausübung muss – dort wo man sie noch erlangen kann – mit Geld erkauft werden.«7 Allen Klagen zum Trotz endeten Zunftzwang und Konzessionswe6  |  Houbraken 1718-21 (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 295. 7  |  Van Mander; Carel: Das Leben der niederländischen und deutschen Maler des Carel van Mander, Textabdruck nach der Ausgabe von 1617, übers. u. Anmerkungen von Hanns Floerke, Bd. 1, München 1906, S. S. 387-389; [Van Mander, Karel]: Het Schilder-Boeck, Haarlem 1604, fol. 241v-252r.

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sen in den meisten europäischen Ländern erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts. In Frankreich wurde in Folge der Revolution 1791 die Gewerbefreiheit eingeführt, in Preußen 1810, in Württemberg 1862.8 Im Zuge der damit einhergehenden Neuregelungen wurden Gewerbeordnungen erlassen, in denen auch das Sachverständigenwesen geregelt wurde. Die am 21. Juni 1869 für den Norddeutschen Bund erlassene Ordnung, deren Geltung nach 1871 in die Gesetzgebung des Deutschen Reiches einging, wurde zum Vorläufer der noch heute gültigen Gewerbeordnungen. In ihr wurde erstmals die Anstellung qualifizierter Sachverständiger systematisch geregelt. Dafür waren in Preußen die kaufmännischen Korporationen zuständig gewesen, später im Deutschen Reich die Industrie- und Handelskammern, die als »Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung den spezifischen Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs Rechnung tragen sollten.«9 Dazu gehörte einerseits eine möglichst große Freiheit des Handels, andererseits die notwendige Kontrolle, um die Allgemeinheit vor unsittlichem Handel und wirtschaftlicher Schädigung zu schützen. Seit jener Zeit gibt es öffentlich bestellte, vereidigte Sachverständige, die als unabhängige Gutachter die Güterproduktion, Handwerk, Handel und Gewerbe bewerten. Sachverständige wurden seit jener Zeit nicht nur im Wirtschaftsverkehr unabdingbar, sondern auch zu einer unentbehrlichen Instanz des Rechtslebens. Heute würde kein Richter mehr einen Verkehrsunfall oder einen Bauprozess entscheiden, ohne Sachverständige hinzuzuziehen, deren Gutachten der Feststellung und Beurteilung von Sachverhalten dienen. Doch was im Wirtschafts- und Rechtsleben so unverzichtbar wie selbstverständlich scheint, erweist sich zumal aus juristischer Perspektive – in Hinblick auf den Kunstmarkt als irritierend anders. Wie schon bei der einleitend erwähnten Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Kunsthändler Uylenburgh etliche Maler als Gutachter aufbot, die bei ihm angestellt waren, ist die Unabhängigkeit der Gutachter auf dem Kunstmarkt bis heute keine Selbstverständlichkeit. So hat beispielsweise das Kölner Oberlandesgericht 2005 in einer Entscheidung festgestellt, dass die Bewertungspraxis von Kunstwerken durch die Häuser Christie’s und Sotheby’s akzeptabel wäre, da Kunst prinzipiell schwierig zu bewerten sei und beide Häuser über große Erfahrung verfügten.10 Um die juristische Problematik dieser Feststellung zu verdeutlichen, wurde von kritischen Kommentatoren darauf verwiesen, dass im Falle des steuerlichen Wertansatzes 8 | Desch, Eberhard: Die öffentliche Bestellung des Sachverständigen. Zur Geschichte des Sachverständigenwesens, in: Der Sachverständige 24, 1997, S. 7-10; Stieglitz, Leo von: Zünfte in Württemberg: Regeln und Zeichen altwürttembergischer Zünfte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2000, S. 119. 9  |  Desch 1997 (wie Anm. 8), S. 9, vgl. auch Konstantinou, Konstantinos: Die öffentliche Bestellung von Sachverständigen nach § 36 GewO, Köln 1993. 10  |  Oertzen, Christian von: Anmerkung zum Urteil des OLG Köln vom 05.10.2005, Az.: 2 U 153/04 (Erfüllung eines Wertermittlungsanspruchs bzgl. Kunstgegenständen durch Bewertungen von Sotheby’s und Christie’s), in: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 13, 2006, S. 77-80.

N. Büttner/B. Finke: Zwischen Markt und Wissenschaft: Kunstsachverständige und Experten

einer Immobilie, des Zugewinnausgleichs oder von Pflichtteilsansprüchen, wohl keinesfalls das Gutachten eines aktiv am Verkauf beteiligten Immobilienmaklers zur Begründung dienen würde, das sich auf die lapidare Feststellung beschränkt, der Wert der Immobilie liege zwischen fünf und sieben Millionen Euro.11 Weder eine Finanzbehörde noch ein Gericht würden eine solche Bewertung akzeptieren, deren Grundlage genauso diffus bleibt, wie der Weg ihrer Ermittlung. Auf dem Kunstmarkt sind derartige Bewertungen durch Auktionshäuser und den Handel gängige Praxis, wobei die Expertise kein Privileg von Auktionatoren oder Händlern ist, aber eben auch nicht von unabhängigen Experten oder Sachverständigen. Zwischen beiden Gruppen muss unterschieden werden.

E xperten Als Experten treten auf dem Feld der Kunst zahlreiche Personen und Gremien auf, die zu einem bestimmten Künstler, zu einem Werk oder einem Œuvre, zu einer Epoche oder Kunstlandschaft besonderen Sachverstand erlangt haben oder über Fachkunde verfügen. Zumeist sind sie über wissenschaftliche Forschungsleistungen oder über langjährige praktische Erfahrung ausgewiesen. Der Begriff des »Experten« ist dabei weder eine geschützte Berufsbezeichnung noch an eine spezifische Prüfung der Eignung oder formalisierte Kriterien der Ernennung geknüpft.12 Wer als Experte gilt, wird durch ein komplexes Gefüge diskursiver Praktiken bestimmt. Dabei sind die Resultate dieser Diskurse leichter zu beschreiben als ihre inneren Wirkmechanismen.13 Ohne selbst den Wert einzuschätzen, nehmen Experten unmittelbar auf die wertbildenden Faktoren des Kunstmarktes Einfluss, indem sie sich beispielsweise öffentlich zu Echtheit und Erhaltungszu11 | Heuer, Carl-Heinz: Die Bewertung von Kunstwerken im Steuer- und Erbrechtsstreit, in: Kunst im Markt – Kunst im Recht: Tagungsband des III. Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, hg. von Thomas Dreier, Nicolai Kemle, Peter M. Lynen, Matthias Weller, Baden-Baden 2010, S. 121-127, hier: S. 121. 12 | Brühl, Friederike von: Marktmacht von Kunstexperten als Rechtsproblem: Der Anspruch auf Erteilung einer Expertise und auf Aufnahme in ein Werkverzeichnis, Köln [u.a.] 2008, S. 24f.; Gerlach, Tilo: Die Haftung für fehlerhafte Kunstexpertisen, Baden-Baden 1998, S. 33; Simons, Simone: Fachliche Autorität im Kunsthandel und ihre haftungsrechtliche Bedeutung, Konstanz 1999, S. 3; Duret-Robert, Francois: Droit du marché de l’art, Paris 2007, S. 171. 13 | Michel Foucault der mit seinem Diskurs-Begriff das enge Beziehungsgefüge beschrieb, das zwischen »Institutionen, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen, Verhaltensformen, Normsystemen, Techniken, Klassifikationstypen und Charakterisierungsweisen« Verbindungen herstellt, sagt leider nicht, wie Diskurse dingfest gemacht werden können. Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens (1969), Frankfurt a.M. 1997, S. 68.

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stand oder zu Fragen der Eigenhändigkeit oder Datierung von auf dem Markt verfügbaren Werken der bildenden Kunst äußern. Die Zuschreibungsautorität einzelner Experten ist dabei ein für den Kunstmarkt spezifisches Phänomen, zu dem inzwischen eine umfangreiche Spezialliteratur existiert.14 Experten und Sachverständige fundieren und stabilisieren das Glaubensuniversum, das den Geldwert eines Kunstwerkes bestimmt. Gerade bei hochpreisig gehandelten Künstlern und Werken ist dabei zu bemerken, dass »jeder Künstler seinen Experten und jeder Experte seinen Künstler hat«. 15 Die anerkannten Experten für bestimmte Künstler haben damit die Macht, Werte zu schaffen oder zu vernichten.16 Entsprechend ist es den Eigentümern und Händlern von Kunstwerken ein Anliegen, dass ihre Werke von den entsprechenden Experten für den jeweiligen Künstler akzeptiert und in das Œuvreverzeichnis aufgenommen werden. Die Zuschreibungsautorität eines Experten ist dabei keine Frage der beruflichen Vorbildung sondern zumeist das Resultat einer langen und intensiven Beschäftigung mit dem jeweiligen Spezialgebiet. So galt etwa der praktizierende Mediziner Hans-Ulrich Beck als führender Experte für das Werk des niederländischen Landschaftsmalers Jan van Goyen, dessen umfangreiches Œuvre er in einem mehrbändigen Catalogue Raisonné verzeichnet hatte.17 »Die echte Kennerschaft«, hatte Max J. Friedländer 1919 proklamiert, »ist Spezialistentum. Es gibt keine Universalkenner«. 18 Dieser Satz hat tatsächlich noch heute Gültigkeit, auch wenn die Kennerschaft zu bestimmten Sachgebieten von einem Expertengremium oder einem Zuschreibungskomitee vertreten wird. Ein Beispiel dafür ist das 1990 ins Leben gerufene »Pollock-Krasner Authentication Board«, das die Echtheit der vielgefälschten Werke von Jackson Pollock und seiner Witwe Lee Krasner zertifiziert.19 Dass die Echtheit eines Werkes auf dem Kunstmarkt zu den gewichtigsten wertbildenden Faktoren zählt, ist eine banale Feststellung.20 Sie ist aber von großer Tragweite für die Bedeutung der Experten. Die Echtheit eines Werkes wird nämlich nicht nur durch dessen materielle Substanz garantiert, sondern stets 14  |  Brühl 2008 (wie Anm. 12), S. 47-60, mit weiterer Literatur; Simons (wie Anm. 12). 15  |  Simons (wie Anm. 12), S. 15. 16  |  Friedländer, Max J.: Der Kunstkenner, Berlin 1919, S. 8. 17  |  Beck, Hans-Ulrich: Jan van Goyen: 1596-1656: Ein Oeuvreverzeichnis, 4 Bde., Amsterdam 1972-1991. Zur Biografie vgl. Geoge Keyes: Hans-Ulrich Beck (1930-2010), in: Historians of Netherlandish Art Newsletter, April 2011, S. 4. 18  |  Friedländer, Max J.: Der Kunstkenner, Berlin 1919, S. 11. 19  |  Ähnliche Komitees wurden für das Œuvre von Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat eingerichtet. Vgl. Spencer, Ronald D.: The expert versus the object: Judging fakes and false attributions in the visual arts, Oxford [u.a.] 2004, S. 21. 20  |  Zur diskursiven Geschichte der Idee von Original und Kopie vgl. Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube, Ausstellungskatalog: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, hg. von Ariane Mensger, Bielefeld 2012.

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auch durch das Urteil von Experten. Es gibt inzwischen eine große Zahl kunsttechnologischer Methoden der Echtheitsprüfung von Kunstwerken, die zur Grundlage von Zuschreibungen werden.21 Doch liefert auch die genaueste technische Untersuchung dabei nur selten unbestreitbare Hinweise auf die Autorschaft eines bestimmten Künstlers. So kann die technische Untersuchung und chemische Analyse von Malmaterialien zwar den Nachweis erbringen, dass ein Werk erst zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt möglich war, doch über die Zuschreibung an einen Künstler ist damit nichts ausgesagt. Eine kunsttechnologische Untersuchung erbrachte zum Beispiel den Beweis, dass in einem vom Kölner Auktionshaus Lempertz im Jahr 2006 als Werk des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk versteigerten Gemälde Titanweiß Verwendung gefunden hatte.22 Dieses Pigment war aber zur angeblichen Entstehungszeit des Bildes im Jahr 1914 noch gar nicht erfunden. Damit ließ sich der Nachweis führen, dass es sich bei dem Bild um eine Fälschung handelte.23 Kurz zuvor hatte im Auftrag des Auktionshauses die Verfasserin des Werkverzeichnisses von Heinrich Campendonk ein Gutachten erstellt, in dem sie eine kunsttechnologische Analyse empfahl.24 Nachdem die Fälschung aufgeflogen war, verklagte die maltesische Firma Trasteco Ltd., die den gefälschten Campendonk ersteigert hatte, das Kölner Auktionshaus auf Schadensersatz und Rückzahlung des Kaufpreises von 2,9 Millionen Euro.25 Das Argument des Auktionshauses, selbst vom Fälscher getäuscht worden zu sein, ließ das Gericht nicht gelten. Die Firma Lempertz hatte nämlich zu keinem der von der Fälscherbande aus der fiktiven »Sammlung Jägers« zur Auktion eingereichten Werke vor der Versteigerung eine Expertise eingeholt. Unter Verweis auf seine Gutgläubigkeit erklärte Henrik Hanstein, persönlich haftender Gesellschafter des Auktionshauses, sich zum Opfer einer betrügeri21  |  Picker, Günther: Fälscher, Diebe, Betrüger. Die Kehrseite des Kunst- und Antiquitätenmarkts (Schriftenreihe der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, 7), München 1994; Ders.: Antiquitäten, Kunstgegenstände. Alles über Recht, Steuern, Versicherung, Augsburg 1996. Allgemein zum Problem der Fälschung vgl. Müller-Straten, Christian: Fälschungserkennung, München 2011. 22  |  Zum vieldiskutierten Fall Beltracchi vgl. Timm, Tobias und Koldehoff, Stefan: Falsche Bilder, echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts – und wer alles daran verdiente, Berlin 2012. 23 | Eine Untersuchung durch das Münchener Doerner Institut erbrachte im März 2008 den Beweis, dass Titanweiß verwandt worden war. Eine zweite kunsttechnologische Untersuchung bestätigte im Ende 2008 dieses Ergebnis. Darüber hinaus entlarvte der Flechtheim-Experte Ralph Jentsch einen rückseitig auf dem Gemälde angebrachten Aufkleber als Fälschung. 24 | Firmenich, Andrea: Heinrich Campendonk: 1889-1957. Leben und expressionistisches Werk mit Werkkatalog des malerischen Oeuvres, Recklinghausen 1989. 25  |  Vgl. dazu das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Köln (Vorsitzende Richterin: Sabine Kretzschmar, Az: 2 0 457/08).

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schen Bande, auf die »sogar Werner Spies« hereingefallen sei.26 Werner Spies, ehemals Direktor des Centre Pompidou in Paris und weltweit bekannter Experte für das Œuvre des Malers Max Ernst, war mehrfach als Gutachter und Vermittler von Werken aus der fiktiven »Sammlung Jägers« tätig. Spies erteilte den in den Kunstmarkt geschleusten Fälschungen den Ritterschlag, indem er rückseitig auf einem Foto vermerkte, dass das abgebildete Werk in das von ihm verantwortete Werkverzeichnis aufgenommen werde.27 Sein Expertenurteil ließ Spies sich üppig honorieren, indem er von der Fälscherbande für jedes verkaufte Bild, das er vermittelte, eine Provision von sieben bis acht Prozent des Verkaufserlöses erhielt.28 Damit nicht genug ließ er sich auch von den Weiterverkäufern eine Provision pro verkauftes Bild zahlen, über deren Höhe der inzwischen in Frankreich in einem anderen Fall rechtskräftig verurteilte Werner Spies schweigt.29 Bislang gibt es keine Gesetze, die eine verbindliche Trennung von Vermittler- und Gutachtertätigkeiten vorschreiben. Werner Spies hat beides gleichermaßen betrieben und beispielsweise als Kunstvermittler einhunderttausend Dollar dafür erhalten, dass er die Eigentümer eines vermeintlichen Originalgusses der Picasso-Bronze »Tête de Fernande« mit Pablo Picassos Sohn Claude Ruiz-Picasso zusammenbrachte.30 Er gilt als der Einzige, der Zertifikate über die Echtheit von Picassos ausstellen kann. Nachdem er am 19. Oktober 2004 die Echtheit der Arbeit testiert hatte, wurde auch er von den Eigentümern entlohnt. Für rund sechs Millionen Dollar wurde die Bronze, von der man inzwischen weiß, dass es sich um einen Nachguss handelt, danach an den Verleger Samuel Newhouse verkauft. Der vermeintlich originale Picasso ist mit dieser Erkenntnis kaum mehr wert als die Bronze, aus der er besteht, obwohl das Werk haargenau so aussieht wie das Original. Da bei einem Bronzeguss die Hand des Künstlers nicht unmittelbar im Spiel ist, gewinnt die marktbestimmende Frage der Echtheit hier eine gleichsam metaphysische Dimension.31 26  |  Voss, Julia und Maak, Niklas: Als ich mich fand in einem dunklen Walde, URL: www. faz.net/ak tuell/feuilleton/kunst/systemkrise-im-kunstmark t-als-ich-mich-fand-ineinem-dunklen-walde-14744.html (10.07.2013). 27  |  »Ich verwende stets dieselbe Formulierung«, erklärt Spies, »die ich auf der Rückseite eines Fotos des betreffenden Werks niederschreibe: L’oeuvre reproduite va figurer dans le catalogue raisonée Max Ernst qui paraît sous ma direction (Das abgebildete Werk wird in das von mir verantwortete Werkverzeichnis aufgenommen)«. Vgl. Voss/Maak 2013 (wie Anm. 26). 28  |  Auch in Deutschland ist unter Sachverständigen die Praxis verbreitet, die Honorierung von Wertgutachten mit einem Prozentsatz vom ermittelten Wert zu berechnen. 29 | URL: www.lemonde.fr/culture/article/2013/05/27/l-historien-d-art-werner-spiescondamne_3418072_3246.html (10.07.2013). 30 | URL: http://law.justia.com/cases/new-york/other-courts/2008/2008-28450.html (10.07.2013); Vgl. Voss/Maak 2013 (wie Anm. 26). 31  |  Vgl. Voss/Maak 2013 (wie Anm. 26).

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E xpertise Der Wert eines Kunstwerkes liegt nicht oder nur zu Teilen in dessen materieller Substanz, sondern eher schon in einer durch die Meinungen der Protagonisten des Kunstmarktes fundierten und produzierten Idee von Werthaltigkeit. Da der Prozess der Wertfindung einer der Annäherung ist und keinen Absolutheitsanspruch erheben kann, wird das Expertenurteil zum zentralen Faktor der Wertbestimmung. Dass die Zuschreibungsautorität monetisierbar ist, muss fast zwangsläufig zur Folge haben, dass bei dem auf Augenscheinnahme basierenden stilistischen Urteil von Experten oft nicht nur stilkritische Fragestellungen eine Rolle spielen. Die Anforderungen an Form und Inhalt einer den Wert des Kunstwerkes beeinflussenden Expertise haben sich vor allem in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt.32 Während der auch als »Vater der heutigen Kunstexpertise in Deutschland« bezeichnete Wilhelm von Bode (1845-1929) sich zumeist noch damit beschied, auf leeren Zetteln oder auf der Rückseite von Fotografien zu vermerken, dass es sich seiner unverbrüchlichen Überzeugung nach um ein Werk von XY handele, sind die Anforderungen inzwischen stark gestiegen. In seiner Verteidigung machte zum Beispiel das Auktionshaus Lempertz geltend, dass noch um die Mitte der 1990er Jahre naturwissenschaftliche Untersuchungen nicht Standard gewesen seien.33 Gegenwärtig sind kunsttechnologische Gutachten neben der stilkritischen Analyse und der kunsthistorischen Einordnung tatsächlich im Bereich der hochpreisigen Kunst zur Regel geworden. Alte Gutachten und Zuschreibungen werden systematisch hinterfragt und manches sicher geglaubte Werk wird ab- oder neu zugeschrieben. Durch in großer Zahl ausgefertigte, allein stilkritisch argumentierende Gutachten hat manch ein Kunsthistoriker seinen Ruf nachhaltig geschädigt. Und die inzwischen historisch gewordenen Gutachten mancher Experten dokumentieren weniger die Werthaltigkeit eines Kunstwerkes als die diskursive Dynamik geisteswissenschaftlicher Erkenntnis. Der Wandel in der Auffassung von den Möglichkeiten und Grenzen der Zuschreibung ist besonders an der Erforschung und Katalogisierung der Werke des niederländischen Malers Rembrandt ablesbar. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren immer wieder neue Werke aufgetaucht und in die Œuvrekataloge aufgenommen worden. Als zu Rembrandts 300. Geburtstag im Jubiläumsjahr 1906 in der Reihe »Klassiker der Kunst« die zweite Auflage des Kataloges von Adolph Rosenberg zu Rembrandts malerischem Werk erschien, waren darin 565 Bilder abgebildet. Die von Wilhelm R. Valentiner publizierte dritte Auflage aus 32  |  Zum Rechtsbegriff der Expertise und den mit ihm verbundenen Problemen vgl. Wolf, Andreas: Die Expertise. Inhalt, Form und Rechtswirkungen von Kunstgutachten, Dissertation, Bonn 2011, und die in Anm. 46 genannte Literatur. 33 | URL: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/beltracchi-affaere-auktionshaus-muss-mil lionen-schadensersatz-zahlen-a-858621.html (10.07.2013).

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dem Jahr 1909 enthielt 643 Werke, denen der Autor 1921 in einem Zusatzband noch einmal 120 »Wiedergefundene Gemälde« hinzufügte. Ihren Höhepunkt erreichte die Zahl der Zuschreibungen in den 1930er Jahren, als man Rembrandt mehr als 750 Gemälde zuschrieb. Die kritische kennerschaftliche Analyse von Abraham Bredius reduzierte diese Zahl 1935 auf nurmehr 630 Bilder, deren Zahl Horst Gerson 1968 in der Neuausgabe des bis heute unverzichtbaren Werkes auf 420 reduzierte. Damals hatte sich in Holland eine Gruppe von Forschern zusammengefunden, die auch mit Hilfe naturwissenschaftlicher Technologien zu einem objektiven und sachlich fundierten Œuvrekatalog gelangen wollten. Zwanzig Jahre lang hat dieses »Rembrandt Research Projekt« an den drei ersten, streng chronologisch geordneten Teilbänden gearbeitet. Danach übernahm das jüngste Mitglied dieser ersten Forschergruppe die Neukonzeption und legte 2005 einen thematisch geordneten Band zu den Selbstbildnissen vor, in den Werke als eigenhändig Aufnahme fanden, die in den ersten Teilbänden mit durchaus überzeugend anmutenden Argumenten abgeschrieben worden waren. Gerade bei den Zu- und Abschreibungen alter Kunst ist man mit dem Problem konfrontiert, dass dem Namen eines Künstlers in der Vormoderne nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wurde, wie das heute der Fall ist. Wie wenig die modernen Vorstellungen von gutem Geschmack, ästhetischer Raffinesse und künstlerischem Wert der allgemeinen Einschätzung der kunstbesitzenden Öffentlichkeit des 17. Jahrhunderts entsprachen, vermag ein Blick in zeitgenössische Inventare und Verzeichnisse des Kunstbesitzes zu erhellen. Kaum zehn Prozent der abertausenden von Gemälden, die damals in Nachlassinventaren verzeichnet wurden, waren einem Künstler zugeschrieben. Blickt man nun auf die Bestände der modernen Museen, sind es kaum zehn Prozent der Bestände, die nicht einem Künstler zugeschrieben werden. Mit Blick auf diese Zahlen will es beinahe scheinen, als würden im Laufe der Jahre die Informationen über einzelne Bilder und ihre Maler nicht etwa immer spärlicher fließen, sondern im Gegenteil immer reicher. Dabei ist jedoch durchaus anzunehmen, dass es damals ja sogar noch leichter gewesen sein dürfte, ein Bild einem bestimmten Maler zuzuweisen als es heute ist. Es lässt sich daraus also unschwer der Schluss ableiten, dass man sich für diese spezielle Information im Allgemeinen nicht in dem Maße interessierte, wie man dies heute tut. Vor allem in den letzten Jahrzehnten haben das Interesse am jeweiligen Verfertiger eines Kunstwerkes und die Gesetzmäßigkeiten des Kunstmarktes, vor allem aber eine zunehmende Verknappung hochwertiger Werke namhafter Künstler zur Folge gehabt, dass inzwischen auch Maler über ein umfangreiches Œuvre verfügen, die man noch vor hundert Jahren kaum dem Namen nach kannte. Maler wie der auf Waldlandschaften spezialisierte Gillis van Coninxloo oder der Architekturmaler Hendrik van Steenwijk werden gleichsam unter einer Flut von Zuschreibungen schlechter Bilder erstickt.34 Gelingt es der kunsthistorischen 34  |  Ich danke Thomas Fusenig, Essen, für diesen Hinweis.

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Forschung den Kern eines Œuvres aus dem Wust falscher Zuschreibungen herauszuschälen, dient dem Handel schon bald der Name eines anderen bislang wenig beachteten Künstlers als Sammelbecken.35 Und auch für diese Werke finden sich Kunden, da einer bislang nicht ernsthaft im Rückgang begriffenen Sammlerklientel immer weniger qualitätvolle Werke zur Verfügung stehen. Die zunehmende Verknappung hat ihren Grund darin, dass zumal hochkarätige Sammlungen durch Überführung in Stiftungen und Museen dem Handel dauerhaft entzogen werden. Je geringer die Zahl qualitätvoller Bilder namhafter Künstler ist, desto mehr gewinnen Experten und Sachverständige an Bedeutung, die den Wert der gehandelten Werke verbürgen müssen.

S achverständige Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter einem Sachverständigen »eine als unabhängige, überparteiliche und objektive Entscheidungsinstanz in Betracht kommende Person mit überdurchschnittlichen Fachkenntnissen auf einem Spezialgebiet«.36 Die Begriffe »Experte« und »Sachverständiger« werden oft synonym verwandt. Dennoch hat es sich zunehmend etabliert, die Verfasser von Werkverzeichnissen und spezifische Kenner eines eng umgrenzten Gebietes als Experten zu bezeichnen und den Begriff des Sachverständigen denjenigen vorzubehalten, die Wertgutachten erstellen und Echtheit, Marktwert und Sammelwürdigkeit von Kunstgegenständen taxieren und testieren. Der Begriff des »Sachverständigen« ist dabei nicht geschützt, so dass es aufgrund der in Deutschland geltenden Gewerbefreiheit jedem gestattet ist, als Sachverständiger aufzutreten und Gutachten zu erstellen. Nur »öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige« müssen eine besondere Qualifikation nachweisen und eine Sachkunde- und Eignungsprüfung ablegen, die in Deutschland von den Industrie- und Handelskammern organisiert wird.37 Ein »öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger« ist zu Objektivität, Unparteilichkeit und Weisungsfreiheit verpflichtet und macht sich bei einem Verstoß gegen diese Pflichten strafbar, genauso wer den Titel missbräuchlich verwendet.38 35  |  Nachdem zum Beispiel eine ausführliche Monografie zu Frans Francken d.J. vorlag, wich der Handel in seinen Zuschreibungen auf unbekanntere Mitglieder der Malerfamilie Francken aus. Vgl. Ursula Härting: Frans Francken der Jüngere (1581-1642): Die Gemälde mit kritischem Oeuvrekatalog, Freren 1989. 36  |  Brühl 2008 (wie Anm. 12), S. 25. 37 | Die Bestellung eines Sachverständigen kann auch durch eine Handwerkskammer, eine Landwirtschaftskammer, eine Architekten- oder Ingenieurkammer oder durch das Regierungspräsidium eines Landes erfolgen. Vgl. URL: www.bv-kunstsachverstaendiger.de/; http://svv.ihk.de (10.07.2013). 38  |  Vgl. § 132a StGB.

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Seit 1983 werden in Deutschland »öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige« nach der von einem Fachausschuss abgenommenen Eignungsprüfung nur noch für bestimmte Zeit und für ein fest umrissenes Sachgebiet bestellt. Die Regeln der Bestellung durch die Industrie- und Handelskammer sind in § 36 der Gewerbeordnung festgelegt.39 Der Bereich »Kunstwerke und Antiquitäten« ist in fünf Hauptgebiete gegliedert: 1. Europäische ur- und vorgeschichtliche Gegenstände 2. Antike 3. Ostasien 4. Außereuropäische Kunstwerke ohne Ostasien 5. Nachantike europäische Kunstwerke Der bei weitem umfassendste Bereich der europäischen Kunstwerke ist dann noch einmal in 41 Sachgebiete unterteilt, die von »europäischen Gemälden bis ca. 1550« über »Europäische Bücher und Druckgrafik bis 1900« bis zu »Jugendstil/Art Deco« reichen.40 Wo es ehedem einen Sachverständigen für Kunst und Antiquitäten gegeben hatte, werden seit 1983 Experten für eng umgrenzte Spezialgebiete bestellt. Das hatte zur Folge, dass aus dem vorher umfassend tätigen Kunstsachverständigen ein Spezialist wurde bzw. werden sollte. Entsprechend reduzierten sich die ihn mit seinem Spezialgebiet betreffenden Aufträge, so dass manche auf den Kunsthandel oder auf einen anderen Brotberuf ausgewichen sind. Die von den Industrie- und Handelskammern geforderte wirtschaftliche Selbstständigkeit als Einzelunternehmer war und ist bei solchen Rahmenbedingungen in der Regel nicht erreichbar, und selbst dann, wenn sie gelingt, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kaum aufrechtzuerhalten. Außerdem löste diese Bestellungspraxis bei privaten Auftraggebern Befremden aus, da für die Begutachtung und Bewertung einer komplexen Sammlung eigentlich so viele Sachverständige wie Teilgebiete der Sammlung beauftragt werden müssten. Und bei gerichtlichen Aufträgen führt diese Praxis bei der Beauftragung durch das Gericht

39 | Vgl. §§ 36, 36a GewO, Sachverständigenordnungen der IHKs. URL: www.stuttgart. ihk24.de/linkableblob/2001724/.8./data/Sachverstaendigenordnung-data.pdf;jses sionid=6F2BC2DC7B674FF88CE92ED3BF7AE0A0.repl2 (20.07.2013). 40  |  »1. Europäische Gemälde bis ca. 1550, 2. Europäische Gemälde von 1550 bis 1800, 3. Europäische Gemälde der Romantik und des Realismus (19. Jhd.), 4. Europäische Gemälde des Impressionismus und der klassischen Moderne (19./20. Jhd.), 5. Europäische zeitgenössische Gemälde des 20. Jhd., 6. Europäische Plastik bis 1550, 7. Europäische Plastik von 1550 bis 1800, 8. Europäische Plastik des 19. Jhd., 9. Europäische zeitgenössische Plastik, 10. Europäische Handzeichnungen bis 1550, 11. Europäische Handzeichnungen von 1550 bis 1800, (…) 40. Europäische Ur- und Vorgeschichte, 41. Jugendstil/Art Deco.« URL: www.ifsforum.de/download.php?sv %5Bid %5D=4647 (10.07.2013).

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und der Anerkennung durch die Parteien und ihrer Rechtsvertreter aus formalen Gründen ständig zu Problemen.41 Eng umgrenzte Fach- und Sachgebiete sind zwar die Voraussetzung einer vertieften Sachkenntnis, doch sind sie zugleich ein Hindernis für einen wirtschaftlich selbständig agierenden Sachverständigen, der darauf angewiesen ist, von seiner Expertise zu leben. Auf die erwähnte, durch Spezialisierungszwang herbeigeführte wirtschaftliche Schwächung der Kunstsachverständigen reagierten einige der potentiell Betroffenen indem sie sich – trotz entsprechender akademischer Bildung und fachlicher Eignung – nicht als Kunstsachverständige vereidigen ließen, sondern als Hausratsexperten. Ausweislich der Sachverständigenordnung für das Fachgebiet »Hausrat« verfügen die vereidigten Sachverständigen »um Einrichtungen und Gegenstände normal ausgestatteter Haushalte gutachtlich bewerten zu können«, über »umfassende Kenntnisse« über »Möbel […] Teppiche, […] Porzellan […] Metalle« und »Kunst«, dabei beherrschen sie insbesondere die »Unterscheidung zwischen Originalen und Reproduktionen« und nehmen »Wertbestimmung anhand des Kunstpreisjahrbuchs und anderer Hilfsmittel« vor. Darüber hinaus müssen sie in vielen Bereichen über Grundkenntnisse verfügen, »um Abgrenzungs- und Echtheitsprobleme zu erkennen und rechtzeitig einen Spezialsachverständigen hinzuziehen zu können.«42 Nach Ansicht der Vertreter dieser Berufsgruppe gehören Kunstwerke und Antiquitäten zum gehobenen Hausrat und unterliegen somit ihrer Fachkompetenz, wobei sie in der Regel keinen »Spezialsachverständigen« hinzuziehen. Da sie der Spezialisierung nicht unterworfen sind, ist es ihnen vor diesem Hintergrund möglich, bei Auftragsverhandlungen eine Begutachtung und Bewertung aller vorhandenen Kunst- und Wertgegenstände aus einer Hand anzubieten, was den Auftraggebern verständlicherweise sehr entgegenkommt. Der Zuverlässigkeit der Expertise ist das aber so wenig zuträglich wie der Unabhängigkeit der Gutachter. Die fortschreitende wirtschaftliche Schwächung der Kunstsachverständigen resultiert auch aus der Praxis führender Sachversicherungen, Kunsthistoriker für die Bewertung privaten Kunstbesitzes anzustellen sowie aus den Werbe- und Akquisitionsstrategien nahezu aller in Deutschland tätigen Auktionshäuser, die Eigentümer von Kunstwerken und Antiquitäten mit dem Versprechen kostenloser und unverbindlicher Schätzungen zur Einlieferung von Auktionsgut zu locken versuchen. Eine objektive Trennung des Sachverständigenwesens und der Gewinnerzielungsabsicht des Handels ist hierbei nicht immer gegeben. Dabei erweist sich auch die Tatsache als problematisch, dass weder die Sachverständigenordnung noch das Strafgesetzbuch den »öffentlich bestellten und vereidigten

41  |  Deshalb gibt es seit 2012 eine Initiative unter Federführung des Instituts für Sachverständigenwesen e.V., die eine Neufestsetzung der fachlichen Bestellungsvoraussetzungen und Sachgebietseinteilungen zum Ziel hat. 42  |  URL: www.ifsforum.de/dokumentdetail.php?sv[id]=4635 (10.07.2013).

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Sachverständigen« den Handel mit den Gegenständen ihrer Expertise ausdrücklich verbieten.43

R isiken und H af tung Gutachten und Expertisen sind längst nicht immer lukrativ und nur die wenigsten Experten für das Œuvre eines bestimmten Künstlers ziehen wirtschaftlichen Profit aus ihrer spezifischen Kennerschaft. Denn zwar steigert das Vorliegen eines Werkkatalogs den materiellen Wert der darin erwähnten Werke, doch ziehen die Verfasser daraus nur selten Gewinn. Das hindert nicht, dass die Besitzer von Werken, die keine Aufnahme in den entsprechenden Œuvrekatalog fanden, deren Verfasser verklagen. Neben Streitfällen, in denen die Besitzer von Werken deren Aufnahme in den Katalog zu erstreiten versuchten, fehlt es auch nicht an Beispielen dafür, dass die enttäuschten Besitzer von nicht mehr als authentisch gehaltenen Werken sich auf dem Rechtsweg an den entsprechenden Experten schadlos zu halten versuchten.44 Die Gefahr, für die finanziellen Konsequenzen ihrer Gutachten haftbar gemacht zu werden, bedroht dabei nicht nur die Experten für das Œuvre einzelner Künstler, sondern alle auf dem Kunstmarkt tätigen Sachverständigen.45 Sachverständige müssen nämlich für ihre Gutachten und Expertisen haften. Diese Rechtstatsache führt dazu, dass sich zahlreiche juristische Abhandlungen mit der Bedeutung von Expertisen und den Rechtsfolgen der Gutachtertätigkeit von Kunstexperten befassen.46 In etlichen dokumentierten Fällen wurden Gut43 | In der Broschüre »Sachverständigenwesen der IHK Region Stuttgart: Rechtliche Grundlagen« vom Dezember 2012 heißt es dazu in § 8, Abs. 4: »Der Sachverständige hat bei der Erbringung seiner Leistung stets darauf zu achten, dass er sich nicht der Besorgnis der Befangenheit aussetzt. (…) Insbesondere darf der Sachverständige nicht (…) Gegenstände erwerben oder zum Erwerb vermitteln, (…) es sei denn, er erhält den entsprechenden Folgeauftrag nach Beendigung des Gutachtenauftrags.« 44  |  Brühl 2008 (wie Anm. 12), S. 66-72. 45 | Zu diesem Problem vgl. Nakov, Andrei: Das Kunstwerk: Ein Produkt wie andere, in: Süddeutsche Zeitung, 22. 06.2013, S. 16. 46  |  Vgl. Brühl 2008 (wie Anm. 12); Wolf, Andreas: Die Expertise. Inhalt, Form und Rechtswirkungen von Kunstgutachten, Dissertation, Bonn 2011; Heuningen-Huene Gerrick von: Zur Rechtsstellung und Haftung des Kunstsachverständigen, in: Heinz-Peter Mansel u.a. (Hg.): Festschrift für Erik Jayme, München 2004, S. 1461-1474; Simons, Simone: Fachliche Autorität im Kunsthandel und ihre haftungsrechtliche Bedeutung, Dissertation, Konstanz 1999; Gerlach, Thilo: Die Haftung für fehlerhafte Kunstexpertisen (Schriftenreihe des Archivs für Urheber- und Medienrecht, 156), Baden-Baden 1998; zusammenfassend: Hoeren, Thomas u.a. (Hg.): Handbuch Kunst und Recht (Schriftenreihe zum Urheber- und Kunstrecht, 7), Frankfurt a.M. u.a. 2008, S. 198-215; Ebling, Klaus (Hg.): Kunstrecht, München 2007, S. 242-245.

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achter und Sachverständige für ihre Gutachten und Expertisen haftbar gemacht. Bei Gutachten beschränkt der Sachverständige seine Haftung auf den Besteller, während einer Expertise diese Haftungsbeschränkung fehlt. Es gilt hier die allgemeine Expertenregelhaftung, so dass die Haftung auch gegenüber all denen gilt, denen gegenüber sein Auftraggeber von dem Gutachten Gebrauch macht. Teure Prozesse und hohe Anwaltshonorare haben in den USA dazu geführt, dass Expertenkomitees ihre Arbeit niedergelegt haben.47

F a zit Die Rolle von Experten und Kunstsachverständigen auf dem Kunstmarkt ist so schillernd wie vielfältig. Trotz einer zunehmenden Zahl von Methoden und Möglichkeiten der kunsttechnologischen Analyse von Werken der Bildenden Kunst bleibt das Vertrauen in Kennerschaft und Expertise für die Wertbildung unerlässlich. Bedeutsam für die Zuschreibung eines Kunstwerkes und deren Glaubwürdigkeit ist nicht allein das objektiv argumentierende Urteil eines Experten, sondern zugleich dessen Unabhängigkeit. Sie ist bei den allein aus wissenschaftlichem Interesse forschenden Kunsthistorikern an Universitäten und Museen gegeben, die intrinsisch motiviert sind und nicht wirtschaftlich handeln. Bei einem auf Honorarbasis arbeitenden Gutachter kann sie nur bei beruflicher Selbständigkeit bestehen, denn nur dieser Status gewährleistet die Unabhängigkeit von Weisungen Dritter. Im Verhältnis zum Auftraggeber stellt er allerdings nur dann eine Garantie der inneren und äußeren Unabhängigkeit dar, wenn keine Geschäftsinteressen verfolgt werden, die über die Wahrnehmung eines Gutachten- oder Beratungsauftrages hinausgehen.48 Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass der Handel von Kunst und das Sammeln nicht mehr primär wirtschaftlichen Interessen folgten. Denn wer aus Leidenschaft und innerem Antrieb Kunst kauft und sammelt, wird ganz nebenbei eine Sachkenntnis erwerben, die irgendwann schriftliche Wertgutachten obsolet werden lässt. Und fraglos wird es zu den ersten Erkenntnissen des selbstbewussten Sammlers gehören, dass ein Kunstwerk, dem ausdrücklich eine Expertise beigegeben ist, diese oft auch nötig hat.

47  |  Nakov (wie Anm. 45). 48  |  Es wäre zu wünschen, dass dieses vom Verband unabhängiger Kunstsachverständiger e.V. (VUKS) in der Vereinssatzung festgeschriebene Ideal allen Kunstsachverständigen zur Verpflichtung würde. URL: www.vuks.de/statuten.html (10.07.2013).

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Kunstmarkt und Kunstkritik: Komplizen, Konkurrenten, Kombattanten? Stefan Lüddemann

K unstmark t und K unstkritik : S kiz ze einer K ampf zone Wer unter Kunstkritik »alle wertenden Äußerungen über Kunst« (Wiegand 2012: 209) versteht, der muss einräumen, dass an dieser Praxis der Wertung und Bewertung von Kunst viele Akteure teilnehmen, die nicht Kunstkritiker sind. Ebenso wie Kritiker, die für Zeitungen, Zeitschriften oder Kunstmagazine schreiben, werten Galeristen, Kuratoren oder Sammler die Kunst – um nur diese Akteure zu nennen. Deren Wertung artikuliert sich nicht in den mit dem journalistischen Gattungsbegriff Kunstkritik bezeichneten Texten, führt im Zweifelsfall aber zu den sehr viel wirkungsvolleren Resultaten. Galeristen handeln Kunst, Kuratoren stellen sie aus, Sammler kaufen sie. Kritiker haben als Medium und Modus der Wertung von Kunst den Diskurs. Damit erweisen sie sich zumindest in der aktuellen Situation als unterlegene Akteure. Zeiten, in denen ein Kunsthändler wie Paul Rosenberg und der Jahrhundertkünstler Pablo Picasso den Kontakt zur Presse suchten, um das »Zusammenspiel zwischen Künstler, Händler und Kunstkritikern« (Sinclair 2013: 108) als den Markt fördernde Kooperation zu inszenieren, wirken heute wie eine Reminiszenz an eine ferne Zeit. Zeitgenössische Kunst muss heute nicht mehr durchgesetzt werden. Die Kunstkritik hat damit eine vormals wichtige Aufgabe verloren. Sie muss nicht mehr Partei ergreifen, die Kunst gegen ein vermeintlich konservatives Publikum verteidigen, mit ihren Sinnzuschreibungen Kunst erklären und damit etablieren helfen. Zeitgenössische Kunst ist positioniert, der Umgang mit ihr schon so weitgehend normalisiert, dass das Publikum auch bereit ist, die Irritationen, die von Kunst ausgehen, auszuhalten oder gar als Anregung für eigene Rezeptionsanstrengungen zu begreifen. Kunstkritik wird dabei nicht mehr zwingend als Mittler gebraucht. Dies gilt umso mehr, als Kunst heute vor allem mit ihren Markterfolgen für Sensationen sorgt. Das beste Beispiel lieferte am 15. Mai 2013 das Auktionshaus Christie’s, dass in nicht einmal zwei Stunden Kunst für rund eine halbe Milliarde Dollar veräußerte und damit nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur einen

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Kunstmarkt II: Akteure

neuen Auktionsrekord aufstellte. Für insgesamt knapp 50 Millionen Dollar (umgerechnet 386 Millionen Euro) gingen Bilder von Jackson Pollock, Roy Lichtenstein, Jean-Michel Basquiat und anderen Künstlern an neue Besitzer. Im Zuge dieser Transaktion wurden für gleich zwölf Künstler neue Höchstmarken bei den Auktionserlösen aufgestellt. Christie’s verauktionierte 59 Werke für mehr als eine Million, neun immerhin für jeweils über zehn Millionen Dollar. Eine derart durchschlagende Nachricht – Auktions- und Verkaufsrekorde meldete der Kunsthandel in den letzten Jahren regelmäßig – bedarf keiner weiteren Verstärkung mehr. Die unvorstellbar hohe Geldsumme wirkt gerade deshalb, weil sie als blanke Rekordzahl belegt, mit welcher Selbstverständlichkeit Kunstwerke in scheinbar grenzenlos steigerbare Erlöse umgewandelt werden können. Die Kunstkritik wird dafür nicht mehr gebraucht. »Nicht mehr schöne Bilder machen Schlagzeilen, sondern die irrwitzigen Preise, die dafür auf Messen und Auktionen gezahlt werden« (Rauterberg 2007: 21). Der alte Vorwurf, Kunstkritik agiere als Agentin des Kunstmarktes und verrate damit ihre eigentliche Aufgabe (vgl. Wagner 2001: 259) scheint damit zumindest relativiert. Der Kritiker als Werber (vgl. Bürger 2012: 45) – diese Funktion verliert gegenwärtig an Dringlichkeit und Effizienz. Das liegt allerdings nicht an einer Kursänderung der Kunstkritik selbst. Der Kunstmarkt braucht sie nicht mehr, es sei denn in der Rolle eines Lieferanten für Textfolien, die das eigentliche Zentralgeschehen, die geldwerten Transaktionen, mit dem Mehrwert der Bedeutungszuschreibung bemänteln. Damit ist das Dilemma der Kritik benannt. Sie kann nicht länger als Kollaborateur des Kunstmarktes betrachtet werden. Eher spielt sie im Hinblick auf den Markt eine traurige Restrolle als Zaungast und Bittsteller. Denn Markt und Kritik sind längst zu Konkurrenten geworden. So unterschiedlich ihre jeweiligen Geschäfte auch erscheinen – beide konvergieren doch in dem Ziel, Kunst einen Wert zuzuschreiben. Der Kunstmarkt hat es dabei vergleichsweise leicht. Er kann Werte über Zahlen und damit so ausdrücken, dass sie sofort überall zu verstehen sind – auch in kunstfernen Zonen der Gesellschaft. Der Preis funktioniert wie das Geld selbst: als Medium, das Werte blitzschnell konvertiert. Die Kunstkritik steht dahinter notwendig zurück. Der Wert der Kunst, auf den sie abhebt, ist symbolischer, im Idealfall gar ideeller Natur. Sie misst Kunst an ästhetischen Normen, kulturellen Präferenzen und Taktungen, sie verortet Kunst in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, fragt nach Innovation und Konvention der Kunst. Kunstkritik unterscheidet anhand eines Maßstabes, der nur diskursiv erschlossen und mitgeteilt werden kann. Das macht Kunstkritik leistungsfähig, aber auch anfällig. Denn beim breiten Publikum gilt sie längst als mindestens so schwer zugänglich, wenn nicht gar unverständlich wie ihr Gegenstand, die aktuelle Kunst. Wo die Kunst gegebenenfalls als Spektakel, Tabubruch oder Amüsement punkten kann, bleibt die Kunstkritik matt. Sie glänzt nicht als Event, sie fordert als Austausch von Argumenten Anstrengung. Das benachteiligt in einer Medienöffentlichkeit, die auf schnelle Taktung setzt und offenbar nur noch gou-

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

tiert, was unmittelbar aufgefasst und damit in konsumierender Weise rezipiert werden kann. Die Kritik stützt sich auf Überzeugungen, sie operiert mit Maßstäben, sie unterscheidet. Ihre Argumente wirken inzwischen stumpf im Vergleich zu Marktdaten und der Blendwirkung des Events. Dabei darf die Kunstkritik nicht allein als Opfer dieser Prozesse angesehen werden. Sie hat deren Resultate zu einem Teil selbst mit herbeigeführt. Als Teil des medialen Betriebes reduziert Kunstkritik selbst den Umgang mit Kunst teilweise darauf, Events und Rekorde zu vermelden. Damit hat sie am Glanz der Kunst teilgehabt, allerdings nur an einem geborgten Glanz. Daran ändert auch die Formulierung von einer »Visualität und Bedeutung produzierenden Industrie« (Graw 2008: 11) nichts. Kunstkritik mag in diese Industrie mittlerweile integriert sein. Dann besteht das Ergebnis dieser Integration allerdings darin, dass der Kritik nur die »apologetische Form der Hof berichterstattung« (ebd.: 234) bleibt. Der Markt folgt nicht nur seiner eigenen Logik, er zwingt auch anderen Akteuren seine Gesetze auf. Der Wettstreit zwischen Kunstmarkt und Kunstkritik scheint für den Augenblick entschieden. Der Kunstmarkt dominiert das Feld, so sehr jedenfalls wie das nur noch die hinreichend relevanten Kunstsammler vermögen, die mit ihren gigantischen Kollektionen eigens errichtete Museen bestücken oder bestehende Museen nach dem Muster einer Bieterschlacht um lockende Kunstkollektionen vor sich her treiben. Mit dem Kunstmuseum ist neben der Kunstkritik nicht ohne Grund die zweite Institution der Kunstwelt unter erheblichen Druck geraten, die ideelle Wertzuschreibungen vornimmt. Dem Museum geht es wie der Kritik: Die symbolischen Werte, die sie per Zuschreibung erzeugen, stützen nur die Markterfolge der Spitzenwerke. Den anderen Kunstwerken, die am Höhenflug der Meisterbilder von Malern von Jackson Pollock bis Paul Cézanne nicht teilhaben können, nützen auch die Atteste symbolischen Wertes wenig, mit denen die Kunstkritik aufwartet. Denn der Kunstmarkt funktioniert derzeit nach radikalisierter Eigenlogik. Kunst erzielt unfassbare Spitzenpreise, allerdings trifft dies nur auf eine Minorität wirklicher Spitzenwerke zu. Auf diese Bilder trifft das volle Scheinwerferlicht einer, auch medial, extrem forcierten Aufmerksamkeit. Jene Bilder, die bei den Rekordauktionen keinen Käufer finden, verbleiben in der tiefschwarzen Schattenzone, aus denen ihnen auch die Kunstkritik nicht heraushelfen kann. Was die Spitzenkunst angeht, scheint das Werk der Kunstkritik wie der Kunstgeschichte getan. Die symbolischen Wertzuschreibungen haben sich bei einer kleinen Elite der Kunstwerke so extrem verdichtet, dass ihr durchschlagender Markterfolg zum Selbstläufer wird und keiner Unterstützung durch den Kunstdiskurs mehr bedarf. Der Markterfolg verstärkt sich inzwischen selbsttätig, er speist sich aus dem eigenen Schwung. Nicht nur die Kunst, auch und gerade ihr Kauf und Verkauf ist zum bejubelten Event avanciert. Die bereits erwähnte Auktion vom 15. Mai 2013 hat dazu nur einen, wenngleich beeindruckenden Beleg geliefert. Nach dieser Einschätzung fällt es schwer, das Verhältnis von Kunstmarkt und Kunstkritik überhaupt noch als Kampfzone beschreiben zu wollen. Der Vergleich

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ist – zumindest für das Erste – entschieden. Die Kunstkritik hat an normativer Kraft und manifestem Einfluss verloren. Sie müsste das Verhältnis zum Kunstmarkt wieder zu einer Kampfzone machen, schon im Interesse einer eigenen, vitalen Fortexistenz – und im Interesse der Kunst, die sich nicht im Markterfolg erschöpfen darf. Kunstkritik hat es schwer mit und am Markt. Darauf verweist das Problem der Kunstkritik, nicht nur gegen den Kunstmarkt einen eigenen Geltungsanspruch durchzusetzen, sondern sich auch am Markt der Texte erfolgreich zu platzieren (vgl. Grasskamp 2010: 45). Kunstkritik unterhält somit einen doppelten Marktbezug, auch den in eigener Sache. Das verkompliziert die ohnehin schon schwierige Situation. Denn auch der Markt der publizistischen Güter und Formate erweist sich für die Kunstkritik zunehmend als Kampfzone – und damit als gefährliches Terrain. Es bleibt die Diagnose: »Strangulation durch Markt« (Heiser 2013: 143).

K unstkritik in der B edeutungskrise : G ründe eines N iedergangs Die Kunstkritik – ein Opfer des Kunstmarktes? Diese Lesart der Lage hat Argumente für sich, verkürzt die Diagnose allerdings in unzulässiger Weise. »Wir leben in einer Zeit, in der der Geist der Kritik eigentümlich erschlafft ist« (Bürger 2012: 37). Diese Feststellung verweist auf einen weiteren Zeitkontext. Für den gilt: Kritik hat keine Konjunktur. Sie muss zumindest gegen die große Inklusion der Globalisierung erstritten werden. Autoren von Naomi Klein (»No Logo«) bis Frank Schirrmacher (»Ego«) markieren paradigmatisch die Versuche des letzten Jahrzehnts, das Phänomen der ökonomischen Globalisierung im Sinn einer erneuerten Kritik anzugehen. Auch die Kunstwelt scheint gegen Kritik gepanzert. Ihr durchschlagender Erfolg steht außer Frage. Nicht nur der prosperierende Kunstmarkt, auch populäre Großausstellungen, der Boom neuer Museumsbauten oder das Defilee der Biennalen belegen, dass nicht nur klassische, sondern auch Gegenwartskunst bei einem erstaunlich breiten Publikum gesetzt sind. Aktuelle Kunst belegt Titelseiten der Magazine, fasziniert die Glamourpresse und das Fernsehen. Kunst verschwistert sich mit den Sphären der Mode und des Luxus (vgl. Graw 2008: 142ff) zu einem neuen Hochglanzsegment der medialen Welt. Kunst avanciert so zur selbstverständlichen, aber deshalb auch nur noch schwer befragbaren Größe. Der Erfolg der Kunst geht so weit, dass sogar ihr Irritationspotenzial vom Publikum als erwartbarer Effekt goutiert wird. Dass Gegenwartskunst nicht gleich verstanden werden kann, stellt den Normalfall in der kulturellen Praxis dar. Das Publikum macht sich geduldig an die Entschlüsselungsarbeit, sucht die individuelle Erfahrung der Kunst. Diese Prozeduren können auf jeder Documenta beobachtet werden. Kritik steht quer zum großen Einverständnis. Sie unterscheidet Qualitäten. Sie wägt das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit der Kunst ab, sie feiert

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

deren Innovationen, lehnt bloße Wiederholung ab. So sollte es zumindest sein. Die Kunstkritik wird diesen grundsätzlichen Ansprüchen an Kritik nicht mehr durchgehend gerecht. Sie hat sich im Konsens mit dem Kunstbetrieb eingerichtet. Die große Kontroverse um Kunst wagt die Kunstkritik nur noch selten. Dabei müsste es darum gehen, Geltungsansprüche von Kunst abzuwägen. Die kritische Nachfrage nach ihrem Stellenwert und ihrer Leistung wird aber viel zu selten gestellt. Zeitgenössische Kunst mag eine etablierte Kulturgröße sein. Nicht nur ihre unüberschaubare Binnendifferenzierung erfordert aber die Reflexion als Korrektiv (vgl. Thornton 2010: 15). Das gilt auch für den Kanon der Stars, den die zeitgenössische Kunst hervorgebracht hat und deren Status sie durch Ausstellungen und Auktionserfolge immer wieder bestätigt. Die Uniformität vieler privater Kunstsammlungen und ebenso vieler Museumspräsentationen spricht für diesen Befund. Von Gerhard Richter über Georg Baselitz bis Andreas Gursky oder Neo Rauch reicht der Bogen dieses neuen Kanons, der kritisch befragt werden müsste. Der Kunstkritik stellen sich Aufgaben – auch in der Zeit nach dem publizistischen Kampf für die Avantgarden oder für Toleranz im Umgang mit einer zunächst schwer verstehbaren Gegenwartskunst. Aber die Kunstkritik hat sich ihrer Mittel ein Stück weit selbst beraubt. Sie hat darauf verzichtet, Kriterien für den Wert von Kunst zu benennen und sich lieber in einen Jargon geflüchtet, der Kritik durch Verehrung, Überprüfung durch Signale des Konsenses ersetzt. Wer sich aber im »Dickicht verklausulierter Sätze, im Wortverhau, im dunklen Wald der Fachtermini« (Rauterberg 2007: 70) verbarrikadiert, kann nicht mehr mit der gebotenen Distanz urteilen. Genau das ist das Problem in weiten Teilen der praktizierten Kunstkritik: Sie hat die Diskussion ihrer Kriterien zu lange vernachlässigt, zu oft das Einverständnis mit dem Kunstbetrieb geübt. Statt Funktionen und Zuständigkeiten klar zu trennen, werden sie immer häufiger vermischt. Das gilt für die Kritiker selbst, die auch Kataloge mit Texten versehen, auf Vernissagen als Redner auftreten, oder gar als Berater fungieren. Nur Kritikern mit Mut und Prinzipienfestigkeit gelingt es, in dieser Welt der medialen Vielbeschäftigung ihrem eigentlichen Auftrag treu zu bleiben – nämlich Kunstkritik als Geschäft der Unterscheidung zu betreiben und dabei den Konsens der Kunstwelt zu stören (vgl. ebd.: 73). Mit der Kritik am zuweilen diffusen Rollenkonzept der Kunstkritiker ist es aber nicht getan. Diffus zeigt sich auch die mediale Wirklichkeit der Kunstkritik. Diese Wirklichkeit ist mindestens zweigeteilt – zwischen der Szene der spezialisierten Kunstmagazine, die vor allem das Fachpublikum erreichen, und den Breiten- oder Massenmedien, in denen die Kunstkritik nicht mehr selbstverständlich ihren Platz hat. Vom »Kunstforum International« bis zum »Kunst-Bulletin« reicht der Bogen der Fachmagazine, die den Diskurs über Kunst fein ausdifferenzieren, ihn zugleich aber auch auf eine überschaubare Zielgruppe begrenzen. Magazine wie »art« oder mit Einschränkungen auch »Monopol« vollführen den Brückenschlag. Sie bringen das Publikum der Kuratoren, Kunsthistoriker oder Kunsthändler mit einem breiteren Kreis von Kunstinteressierten zusammen. Aus

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der Sicht der Kunstwelt lohnen neben diesen Medien nur wenige Massenmedien die Rezeption. Die Auswahl beschränkt sich auf die Feuilletons weniger überregionaler Tageszeitungen wie Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Süddeutsche Zeitung (vgl. Herstatt 2007: 22-27). Jenseits dieses Segments hat es die Kritik schwer. Kulturressorts stehen in Zeitungshäusern und Sendeanstalten seit Jahren unter Quotendruck. Dieser Trend schlägt auch auf die Kunstkritik durch. Die Konsequenz: Kunstkritik hat sich in vielen Tageszeitungen zum lustlosen Ausstellungsbericht verflacht, in Lifestyle-Magazinen zum Trend- oder Personality-Report aufgehübscht oder in Kulturmagazinen des Fernsehens in den Talk verflüchtigt. Alle diese Textformen kommen ohne Wertung und die dazu gehörenden Kriterien aus. Sie machen aus Kunst ein Thema des Lebensstils, keinen Anlass zum kritischen Räsonnement. Mit dieser Praxis kann Kunstkritik nichts mehr zu jener Symbolproduktion beitragen, ohne die angeblich auch der Kunstmarkt nicht auskommen kann (vgl. Graw 2008: 41). Fatal erscheint dieser Trend vor allem deshalb, weil er sich in jenen Medien manifestiert, die sich an das große, auch der Kunstwelt fern stehende Publikum richten. Wo stellt sich für die Kunstkritik eine Vermittlungsaufgabe, wenn nicht gerade im Hinblick auf eine große, möglichst nicht in Adressatengruppen fragmentierte Öffentlichkeit? Ausgerechnet der Kunstkritik, deren vorrangiges Geschäft doch die Unterscheidung sein sollte, fehlt es damit zunehmend selbst an Unterscheidbarkeit. Kunstkritik hat aber auch deshalb um Sichtbarkeit zu kämpfen, weil sie zunehmend in der großen Texttapete verschwindet, die von der Kunstwelt produziert wird. Kunstkritiker richten ihr Augenmerk längst nicht mehr nur auf die Kunst, sie sind selbst vor allem mit jenen Texten konfrontiert, die die Kunst erklären, begleiten, vermitteln oder nobilitieren sollen (vgl. Lüddemann 2006: 83-87). Zu der »umfassenden Vertextung der zeitgenössischen Kunst« (Grasskamp 2010: 57) gehören nicht nur Katalogtexte, sondern auch Flyer, Texte auf Ausstellungswänden, die Erzählungen der gerade in Blockbuster-Ausstellungen eingesetzten Audioguides, die Erläuterungen der Museums- und Ausstellungsführer, die Werbe- und PR-Blätter von Galerien oder Museumspressestellen und vieles andere mehr. Texte flankieren die Kunst in buchstäblich jeder Richtung. Kunstkritiker haben nicht nur die Kunst zu betrachten und zu werten, sie müssen auch die die Kunst flankierenden Texte auf ihre Intentionen hin dekodieren und die damit verbundenen Ansprüche abweisen oder zumindest einordnen. Wie wenig das oft gelingt, zeigen Ausstellungsberichte in Tageszeitungen, die nicht nur den Wortlaut von Pressemitteilungen wiedergeben, sondern erläuternde Texte aus Ausstellungssälen zitieren. Damit ist der Anspruch von Kunstkritik preisgegeben, mit dem eigenen Text eine auf Beobachtungen und Argumente gestützte Lesart der zur Frage stehenden Kunst zu formulieren. Jeder Text über Kunst hat Behauptungscharakter. Das gilt nicht allein für die Kunstkritik, sondern auch für alle anderen Texte, die zur Kunst produziert werden. Eine Kunstkritik, die diese Texte unbesehen übernimmt, nimmt sich die eigenen Wirkungsmöglichkeiten und macht sich auf

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

diese Weise selbst überflüssig. Dass sich die unkritischen Textübernahmen oft der Unsicherheit der Kritiker über ihre eigene Rolle, ihren Umgang mit der Kunst und die Intention ihres Schreibens verdanken, macht die Sache nur noch schlimmer. Forderungen nach einer Akademie für Kunstkritik (vgl. Rauterberg 2012) sind gerade auf diesem Hintergrund berechtigt.

W ie K unstkritik verlorenes Terr ain zurückgewinnt Die pessimistische Diagnose zum Stand der Kunstkritik beschreibt glücklicherweise nicht jeden Aspekt ihres aktuellen Zustands. Auch wenn es der Kunstkritik an jenen medial wirksamen Figuren fehlt, wie sie mit Marcel Reich-Ranicki oder Denis Scheck der Literaturkritik zu breiter Beachtung verhelfen, so hat die Kunstkritik in den letzten Jahren doch wieder für Kontroversen gesorgt. Vor allem die Ausstellungen mit überragendem kulturpolitischem Anspruch sind kontrovers rezensiert worden. Das ist ein gutes Zeichen. Zu diesen Beispielen gehört die Debatte um die Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art 2004 in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Ähnlich kontrovers diskutierte die Kunstkritik die von den Staatlichen Museen zu Berlin, der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München beschickte Ausstellung »Die Kunst der Aufklärung«, die 2011 im Nationalmuseum in Peking zu sehen war. Zuletzt avancierte die Ausstellung »De l’Allemagne«, die 2013 zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich von 1963 im Pariser Louvre präsentiert wurde, zum Gegenstand einer intensiv geführten Debatte. Die Feuilletons der Tages- und Wochenzeitungen haben zu diesen Ausstellungen einen kontroversen Diskurs über die Funktionalisierung von Kunst für politische Zwecke, die kanonische Geltung der präsentierten Bilderkonvolute und die Rolle der beteiligten Museen geführt. Für Optimismus sorgt aber vor allem die Tatsache, dass Kritiker und Kunstwissenschaftler den Diskurs zum Zustand der Kunstkritik in den letzten zehn Jahren nachhaltig in Gang gesetzt haben (vgl. Schütz 2013), ohne die sattsam bekannten Abrechnungen oder pessimistischen Diagnosen zum Thema bloß zu wiederholen. Kritiker fragen nicht nur konsequent nach Funktion und Leistung der Kunstkritik, sie stärken die Substanz der kritischen Praxis auch besonders dadurch, dass sie Kriterien für gute und schlechte Kunst neu diskutieren. Gerade dieser Ansatz macht Sinn. Der Wert der Kunst steht in Frage, gerade jenseits des Marktes, der mit seiner Preisbildung eine ökonomisch klare Bewertung vornehmen kann. Zur gleichen Zeit ist die Frage nach ästhetischen Kriterien von Kunst weitaus weniger klar ausgemacht. Die in viele Richtungen, Trends oder, um ein Lieblingswort der Kuratoren einzubringen, Positionen aufgesplitterte zeitgenössische Kunst erschwert die Suche nach Gütekriterien der Kunst. Dass sich auch die philosophische Ästhetik schwer damit tut, die Vielfalt der Kunst auf Begriffe zu bringen und lieber gleich auf »pluralistische Perspektiven« (Deines 2013) aus-

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weicht, zeigt, wie schwer es auch der Kunstkritik fallen muss, Qualitätsfragen der Kunst zu beantworten oder ihre Funktion und Leistungsfähigkeit neu zu bestimmen. Die Debatte hat inzwischen eine solche Breitenwirkung erreicht, dass bereits die ersten Überblicksdarstellungen formuliert und Resümees gezogen werden. Die Kunstzeitschrift »Kunstform International« hat ihren Band 221 im Jahr 2013 der Kunstkritik als Schwerpunktthema gewidmet. Die Darstellungen des Bandes versammeln wesentliche Beobachtungen zum Zustand der Kunstkritik. Dazu gehört auch die Kritik an einem Kunstmarkt, der mit seiner Tendenz zum »Kunstshopping« die Qualitätskriterien der Kunst gründlich verdorben habe (vgl. Schütz 2013: 46f). Bereits 2009 versammelten sich einschlägige Autoren in der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart zu einem Symposium zum Zustand der Kunstkritik. Die Vorträge erschienen 2012 in Buchform (vgl. Bürger 2012, Rauterberg 2012, Ullrich 2012). Die Kunstkritik müsse wieder lernen, eigene Ansprüche zu formulieren, hieß es in dieser Debatte (Ullrich 2012: 132). Zudem werde eine eigene Akademie benötigt, die sich darum kümmern solle, die Rückkopplung zur medialen Praxis der Kunstkritik herzustellen, Grundwissen für angehende Kritiker zu vermitteln und sie im Verfassen von Kritiken zu unterrichten (vgl. Rauterberg 2012: 148ff). Die hier nur in wenigen Punkten skizzierten Gesichtspunkte zeigen, dass die Debatte um den Zustand der Kunstkritik Vorschläge für Maßnahmen zu ihrer Verbesserung hervorgebracht hat. Aus der Diskussion der letzten Jahre seien hier drei Positionen paradigmatisch zitiert – als Beispiele für den Versuch, die Funktion der Kunstkritik neu zu justieren und ihre Kriterien zu schärfen. Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der Wochenzeitung »Die Zeit« diskutierte 2007 nicht nur den Zustand der Kunstkritik im Hinblick auf Kunst, Museum und Kunstmarkt, er räumte auch mit Mythen der modernen Kunst auf und legte einen Katalog von Kriterien für gelungene Kunst vor (vgl. Rauterberg 2007). Muss Kunst irritieren oder Neues bieten? Muss sie innovativ oder kritisch sein? Er hat den Mut gehabt, gängige und deshalb kaum noch befragte Klischees über moderne Kunst und ihre Leistung neu zur Diskussion zu stellen und damit Kunstkritiker in ihrem Selbstverständnis herauszufordern. Die eigenen Kriterien für gute Kunst verortet Rauterberg im Bereich des persönlichen, um nicht zu sagen subjektiven Umgangs mit Kunst. Rauterbergs Provokation: Kunst führt nicht nur zu neuer Erkenntnis, man darf sich mit ihr auch einfach nur wohl fühlen. Vor allem das erneuerte Bekenntnis zu einer Kunst, die »zweckmäßig ohne Zweck« (ebd.: 244) sein darf, markiert die klare Abkehr vom Starkult der Kunstmarktkunst. Gewohnheiten auf brechen, um neue Bewegungsspielräume zu gewinnen: Nach diesem Prinzip nehmen sich Saehrendt und Kittl die zeitgenössische Kunst vor. Ihr Buchtitel »Das kann ich auch!« (Saehrendt, Kittl 2013) zeigt bereits, worum es den Autoren geht: Sie wollen die Kunst konsequent vom Sockel holen, von jenem Sockel, auf den schwafelnde Kunstkritiker und kühle Marktstrategen sie gestellt haben. Die Autoren legen ihr Buch als ironisch gemeinten Ratgeber an,

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

der vor allem als Dekonstruktion der Kunstwelt gelesen sein will. Die Autoren führen durch die Kunstwelt als eine Welt der Kulissen und falschen Vorspiegelungen. Mit dezidierter Respektlosigkeit demaskieren sie die Sprachregelungen und Sozialpraktiken einer Welt, die vor allem auf Abgrenzung setzt. Auch Saehrendt und Kittl benennen Kriterien für Kunst, allerdings für schlechte Kunst. Dabei entlarven sie gängige Künstlerlegenden, wie sie im Kunstmarkt gängig sind. Von Tabubruch bis gesuchtem Dilettantismus reicht der Überblick über Konzepte, die Qualität von Kunst eher vorspiegeln, als verbürgen. Die Autoren zeigen Kunst als das, was gemacht wird – und demonstrieren, wie Kriterien für Kunst in den Dienst des Marktes gestellt werden können. Der Qualitätsnachweis als Finte: darin liegt die provokative Pointe dieses ironisch umgedrehten Kriterienkataloges. Der Autor des vorliegenden Beitrags hat vorgeschlagen, Kunstkritik vor allem als kommunikativen Transfer und damit als Diskursbeitrag neu zu konzipieren. In deutlicher Abgrenzung zum Verständnis der Kunstkritik als selbstherrlichem Richteramt geht es darum, die Kritik als Verfahren zu verstehen, dass ästhetische Wahrnehmung, Reflexion von Kritikverständnis und Kunstbegriff mit einer Offerte verknüpft, die nicht nur ein Qualitätsurteil meint, sondern auch eine Interpretation, die den kulturellen Diskurs produktiv bewegt. Kunstkritik wäre somit als Reflexionsmedium verstanden, das vor allem den Transfer von der Kunst auf andere Bereiche der kulturellen oder gesellschaftlichen Bedeutungsproduktion leistet (vgl. Lüddemann 2004: 169-183, Lüddemann 2007: 261f). Dieses Konzept von Kritik meint mehr als das bloß subjektive Urteil, mehr als eine publizistische Hilfsfunktion für Kunstmarkt oder Ausstellungsbetrieb. Kunstkritik als Kommunikation verstanden, sucht nach Verknüpfungen der Kunst und ihrer Bedeutung mit anderen Bereichen der Kultur und Gesellschaft. Was sagt Kunst über ihre Zeit? Wie kann die Erfahrung der Kunst mit anderen Themen und Sinnbezügen verknüpft werden? Kunst wird damit nicht durch außerkünstlerische Bezüge dominiert, wohl aber als Modus produktiver Weltentdeckung ernst genommen. Die drei genannten Ansätze, Kunstkritik in ihrer Praxis kritisch zu befragen und als kommunikative Verknüpfungsleistung neu zu verstehen, markieren beispielhaft den Versuch, die Kunstkritik aus ihren Selbstblockaden und falschen Funktionalisierungen zu befreien. Wer die Kriterien der Kritik neu befragt, ihre Rolle im Kunstbetrieb reflektiert oder ihre mögliche Leistungsfähigkeit neu konzipiert, der klagt nicht einfach über einen schlechten Zustand der Kunstkritik, sondern weist ihr wieder Wirkungsmöglichkeiten zu. Die Debatte der letzten Jahre hat Kunstkritik spürbar neu positioniert. Das schlägt sich auch in der kunstkritischen Praxis nieder. Kritiker geben sich nicht mehr damit zufrieden, nur einzelne Kunstwerke oder Ausstellungen zu rezensieren. Sie nehmen vor allem die kulturpolitischen und ökonomischen Bedingtheiten der Kunst in den Blick und fokussieren kulturpolitische Themen. Was bedeutet der seit Jahren anhaltende Boom der Neu- und Erweiterungsbauten für den Stellenwert des Museums, wie verändern Blockbuster-Ausstellungen die Wahrnehmung der Kunst? Was bedeutet es für die Kunst, dass sie in Mega-Samm-

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lungen – etwa der des Unternehmers Jean-François Pinault – wie in einem Flagshipstore dargeboten wird? Diese kunstkritische Diskussion fokussiert die Frage nach der merklichen Veränderung, die der Status der Kunst erfährt – von der in der Moderne erkämpften Autonomie zur Abhängigkeit neuer Auftragssituationen. Das symbolische Kapital der Kunst besteht auch in jener Glaubwürdigkeit, die aus mühsam erkämpfter Unabhängigkeit erwachsen ist. Genau die steht derzeit zur Disposition. Damit geht es der Kunst wie der Kunstkritik. Auch die hat sich in Abhängigkeit begeben, weil sie nur noch Markterfolge bejubelt hat, statt nach der Substanz der Kunst zu fragen. Das Blatt könnte sich jetzt wenden. Die Kunstkritik erarbeitet sich Freiheiten, indem sie sich für mehr Themen als bisher zuständig erklärt. Damit erlangt sie auch neue Bewegungsfreiheit im Verhältnis zum Kunstmarkt.

W as ist gute K unstkritik ? Gute Kunstkritik beweist sich nicht in bloß subjektiven, vorzugsweise negativen Urteilen, sondern in gedankenreicher Erprobung ihres Gegenstandes (vgl. Wagner, Westreich Wagner 2013: 118). Eine solche Erprobung muss sich von externen Begründungen und Motivationen frei halten können, um ihrem Gegenstand und ihrem eigenen kommunikativen Anliegen gerecht werden zu können. Als publizistische Praxis unterliegt auch die Kunstkritik Bedingtheiten. Es wäre naiv, das nicht sehen zu wollen. Der Publikationsort und seine redaktionelle Philosophie, Fragen des Honorars, der Kunstkritiker als Akteur der Kunstwelt: Diese wenigen Stichworte verweisen auf die Relationen, in denen Kunstkritik steht. Gute Kunstkritik wahrt hingegen ihre innere Unabhängigkeit, gerade in Konfliktsituationen. Der Vorschlag einer eigenen Akademie der Kunstkritik (vgl. Rauterberg 2012: 139ff) mag sinnvoll sein. Er darf aber nicht zu dem Missverständnis führen, Kunstkritik könnte unabhängig von Bedingungen medialer Umgebungen situiert werden. Diese Umfelder gehören zur Kunstkritik wie der Markt zur Kunst. Für Kritik wie für ihren Gegenstand, die Kunst, gibt es keinen Status der Unberührtheit. Statt Bedingtheiten hinweg zu träumen, müssen sie mit reflektiert werden. Gute Kunstkritik entsteht also nicht als reiner Akt der Beurteilung, sondern als Resultat einer Prozedur, die sich ihrer Ziele und Kriterien gewiss ist, und die jene Unschärfegrade mit einkalkuliert, die durch die Vorläufigkeit der Ergebnisse gegeben sind. Kunstkritik ist dann gut, wenn sie sich ihren eigenen Raum sichert, eine Geltung beanspruchen kann, die ohne sekundäre Begründung auskommt. Diese Praxis stützt sich auf drei Faktoren, die hier kurz angesprochen werden sollen. Gute Kunstkritik hält externe Bewertungen von Kunst auf Distanz, indem sie der Kunst selbst neuen Raum gibt. Diese Kunstkritik entfaltet erstens ästhetische Erfahrung als Grundlage der eigenen Argumentation und Beurteilung. Sie bezieht sich zweitens auf klare Kriterien, die nicht nur das ästhetische Urteil anleiten, sondern überhaupt den Umgang mit der Kunst strukturieren – gerade

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

auch als Schreibprozess. Gute Kunstkritik wagt drittens wieder eigene Meinung. Damit sind nicht der Verriss um jeden Preis oder die euphorische Lobpreisung gemeint. Kunstkritik gewinnt eigene Positionen anhand klar fokussierter Beobachtungen und der an diese Beobachtungen angeschlossenen Argumente. Damit werden auch die Kriterien deutlich gemacht, die dem Urteil zugrunde liegen. Wer nur den monetären Wert der Kunst fokussiert, ebnet jene »multiplen Bedeutungen« (Thornton 2007: 71) ein, die gerade den Wert von Kunst ausmachen. Diese Qualität der Kunst stellt jenes symbolische Kapital dar, das Kunst nicht nur als Ansatzpunkt und Anlass für Diskurse interessant macht, sondern auch jene Faszinationskraft begründet, die sich in den ökonomischen Bewertungen des Kunstmarktes konkretisiert. In diesem Kontext muss Kunst allerdings zu den Bedingungen des Marktes gedacht werden (vgl. Graw 2008: 69). Das geht wieder zu Lasten symbolischer Werte. Der Hype der Rekordpreise verengt den Blick in fataler Weise, fatal vor allem für die Kunst, die in letzter Konsequenz wie ein Wertpapier angesehen wird – mit stabilem Kurswert. Kunstkritik muss den so verengten Blick wieder weiten. »Das ästhetische Verweilen lässt etwas in seiner Fülle sein« (Seel 2000: 85): Die Erfahrung, die ästhetisch genannt zu werden verdient, bringt nicht nur ihren Gegenstand in seinen Dimensionen möglichst unverkürzt zur Sprache, sondern macht auch den eigenen Vollzug zum Thema. Die so geweitete Wahrnehmung schützt Kunstkritik vor dem Kurzschluss mit bereits vorhandenen Texten, die zur jeweiligen Kunst verfasst worden sind. Diese Texte umfassen Katalogaufsätze ebenso wie Pressemitteilungen oder Faltblätter. Kunstkritiker brauchen die ästhetische, also konsequent auf den eigenen Vollzug gestellte Erfahrung, um den eigenen Text frei von den Vorgaben der bereits existierenden, in jedem Fall von Interessen gesteuerten Texten zu halten (vgl. Lüddemann 2006: 83-87). Ästhetische Erfahrung meint im Kontext der Kunstkritik keine Kontemplation um ihrer selbst willen. Die so bezeichnete Erfahrung soll der Kunstkritik helfen, eigenständige Argumentation vorzubereiten. Deshalb gehört zu dieser Erfahrung zweierlei – zum einen die Bereitschaft, durch die ästhetische Erfahrung eigene Verständnisse revidieren zu lassen (vgl. Bertram 2013: 263), sowie die Geduld, die ästhetische Erfahrung als Beginn und ein Stück weit auch als Modus »interpretativer Aktivitäten« (ebd.: 262) ernst zu nehmen. Mit dem Blick auf diese beiden Aspekte gewinnt die Rezeption von Kunst an Verbindlichkeit und orientierender Kraft – und Kunstkritik eine Antriebsenergie, die ihr die Chance gibt, sich von Vorgaben der Kunstrezeption, gerade jener des Marktes zu befreien. Wie wenig diese Option genutzt wird, zeigt die Praxis der Kunstkritik. Zu viele Kritiker lassen sich auf Vorgaben ein, die andere gemacht haben. Sie gehen nicht den Weg der ästhetischen Erfahrung, der ihnen die Chance eröffnet, sich zum eigenen Urteil zu emanzipieren. Dazu gehört allerdings auch die Kraft, sich von der Erfahrung der Kunst zunächst an die Grenze der Versprachlichung führen zu lassen. Gelungene Kunst setzt mit geläufigen Kategorien der Kunstbetrachtung auch gewohnte Begrifflichkeit außer Kraft. Ästhetische Erfahrung lässt die Eigen-

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gesetzlichkeit der Kunst zu und eröffnet den Weg des interpretierenden Nachvollzugs. Erst auf dieser Basis kann eine neue Sprache gefunden werden. Ästhetische Erfahrung öffnet auch den Weg zu den Qualitätskriterien, die der Kunstkritiker anlegen kann. Es geht nicht um Glaubensgrundsätze, sondern eher um offene Fragen, die helfen, Aspekte künstlerischer Qualität anzuvisieren. Die Liste von hier vorgeschlagenen fünf Kriterien (vgl. Heiser 2013: 150) setzt mit dem Aspekt der Erfahrung ein. • Bietet die Kunst Anlass für eine reich strukturierte Erfahrung? Das Instrument, mit dem Kunst versuchsweise erschlossen werden kann, avanciert hier zu einem Maßstab ihrer Güte. Der gelingende Vollzug ästhetischer Erfahrung erweist auf die Fähigkeit der jeweiligen Kunst, Erfahrung neu zu konfigurieren und darüber Diskurs kreativ anzustoßen. Reiche ästhetische Erfahrung kann nur von einer Kunst ermöglicht werden, die komplex strukturiert und formal klar gearbeitet ist. • Macht das Kunstwerk einen Aspekt der Zeit/des Lebens/der Existenz in überraschender weise neu sichtbar? Diese Frage führt zur innovativen Kraft der Kunst. Entscheidend ist nicht der neue Trend, sondern die Fähigkeit von Kunst ihre Zeit oder – um den pathetischen Ausdruck zu wagen – die Existenz des Menschen in unerwarteter Dimension und Tiefe neu sehen zu lehren. • Ist das Werk materialgerecht gearbeitet? Hier geht es um die Frage, inwieweit Kunst mit ihem jeweiligen Medium und/oder Material intelligent umgeht und auf diese Weise die Optionen eines Mediums/Materials klug einsetzt oder ihre Möglichkeiten entscheidend erweitert. • Überzeugt das Werk in seiner Struktur – gerade dann, wenn sie überrascht oder provoziert? Der Kritiker muss Kunst analysieren, bevor er sie wertet. Darum geht es in der Prüfung der Struktur – gerade dann, wenn sie Erwartungen zuwider läuft. • Bieten sich mit dem Werk Ansätze, über Kunst und ihre Leistung neu nachzudenken? Die vier bislang aufgeführten Fragen kulminieren in dieser entscheidenden, zunächst zirkulär erscheinenden Frage. Sie stellt Kunst auf die schwerste Probe, die nach Qualität und Leistung von Kunst selbst. Was ist Kunst und was leistet sie? Die Kunstkritik beantwortet diese Fragen fallweise. Sie legt keine vorgefertigten Maßstäbe an, sondern öffnet sich dem Abenteuer jeder neuen Kunst. Ihre Reflexion von der jeweiligen Kunst auf den Begriff von Kunst erfolgt als Versuch – mit möglichst ertragreichem Resultat. Die hier vorgestellte Liste repräsentiert keinen Kanon, sie stellt nur ein Arbeitsinstrumentarium dar. Der Autor hat diese Fragen in seiner eigenen kunstkritischen Praxis als hilfreich erfahren. Sie erweisen ihre Güte durch ihre Nützlichkeit. Übereinstimmungen mit den Katalogen von Qualitätskriterien erhärten die Vermutung, dass die auf Versuch hin operierenden Kunstkritiker auf die Konvergenz fundamentaler Einsichten hoffen können. Kritiker zielen nicht auf eine streng

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philosophische Beweisführung. Sie können nicht absehen, ob die Geschichte ihre Urteile einmal bestäigen wird. Qualitätskriterien helfen dem Kunstkritiker indessen, in der kunstkritischen Praxis eigenen Anspruch zu artikulieren (vgl. Ullrich 2012: 133) und das eigene Geschäft der möglichst gedankenreichen Unterscheidungsarbeit konsequent in der eigenen Gegenwart zu verorten. Mehr kann der Kunstkritiker nicht erwarten. Dass der Kritiker versuchsweise operiert, bedeutet aber keine Halbheit in inhaltlichen Fragen. Die Kunstkritik kann ihre Rolle in der medialen Welt und in der Kunstwelt nur angemessen spielen, wenn sie sich deutlich, wahrhaftig und erkennbar artikuliert. Damit ist weder der Krawall polemischer Sprache noch der Schock der reißerischen Headline gemeint. Kunstkritik hat sich ihrer Grundlagen, Qualitätskriterien und Operationsweisen zu vergewissern, um eine eigenständige Position formulieren zu können. Damit nimmt sie ihre Aufgabe wahr, als erklärender Diskurs zu einer Instanz der Evaluation der Kunst zu werden (vgl. Wagner, Westreich Wagner 2013: 127). Erkenntniswert kann jene Kunstkritik in Anspruch nehmen, die hilft, neue Kunst zu erfahren, die Arbeit am Begriff der Kunst zu befördern und die Kunst produktiv und erhellend auf ihre kulturellen und gesellschaftlichen Umfelder zu beziehen.

K unstkritik und M ark t : D er Tr ansfer der symbolischen G üter Kunstwerke faszinieren und irritieren mit ihrer Doppelnatur, denn sie sind gleichermaßen merkantile Güter und symbolische Gebilde. André Derains Diktum, nach dem ein Gemälde zu allererst eine mit Farben bedeckte, rechteckige Fläche darstellt, trifft diesen Widerspruch. Der Satz bezieht seine ironische Wirkung aus der Differenz, die er bezeichnet: hier das bloße Ding aus Rahmen, Leinwand und Farben, dort der Bedeutungsträger, der imstande ist, eine neue Welt aufzuschließen. Mit der Kunst der Moderne sind diese Dimensionen in einer zuvor nie gekannten Weise in dramatischen Kontrast getreten. Ein nur für sich genommenes wertloses Material kann sich auf dem Feld der »symbolischen Ökonomie« (Thornton 2010: 12) als Kunstwerk in eine Kostbarkeit verwandeln, die nur mit vielen Millionen einen angemessen Gegenwert findet. Der unverständige Laie fokussiert genau diesen, für ihn unverständlichen Kontrast als Skandalon. Kein Wunder, denn für den symbolischen Wert, der mit astronomisch hohen Geldsummen aufgewogen wird, hat er keinen Begriff. Der Geld- und Marktwert der Kunst entsteht mit einer Wertzuschreibung, die selbst keinen ökonomischen Charakter hat, auch wenn sich heute der Preis eines Kunstwerkes als dessen wichtigster und oftmals sogar einziger Wertindikator durchgesetzt zu haben scheint (vgl. Rauterberg 2012: 141). Die Wertzuschreibung resultiert aber primär aus einem kulturellen Prozess, der sich als Abfolge von Selektionsentscheidungen darstellt. Nur diejenige Kunst wird auf dem Kunstmarkt

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hoch bewertet, die ausgestellt, interpretiert, diskursiv bearbeitet, kurz, in einen Kanon eingeschrieben worden ist. Dieser Auswahlprozess muss in jedem Fall durchlaufen werden. Nur so erreicht Kunst jene Dignität, in der kultureller und ökonomischer Wert konvergieren. Genau deshalb sorgen Kunsthändler, Sammler, Kuratoren und Künstler dafür, dass die jeweils neue Kunst in diesen Prozess eingeführt wird. Sie durchläuft eine Folge von Prüfinstanzen und wird dabei im optimalen Fall fortwährend mit symbolischem Wert aufgeladen. Dieser Wert resultiert aus dem Zusammenspiel jener Instanzen, die gemeinsam die Kunstwelt bilden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die beteiligten Instanzen als unabhängige Faktoren verstanden werden können und Kunst freie Kunst ist und sich nicht, wie aktuell zu beobachten, teilweise unter dem Druck der Erwartungen großer Sammler wieder in eine Form der Auftragskunst zurückverwandelt (vgl. ebd.: 136). Zu den angesprochenen Instanzen gehört die Kunstkritik. Sie vermittelt Kunst, indem sie Kunstwerke beschreibt, interpretiert, bewertet und in allen diesen Dimensionen validiert. Wie bewährt sich Kunst? Auf diese Frage geben Kuratoren wie Kritiker eine Auskunft, indem sie Kunstwerke ausstellen und sprachlich bearbeiten, in jedem Fall aber in ihrer Struktur ergründen, sie an ihren eigenen Ansprüchen messen, sie kulturell spiegeln und kontextualisieren. Die Kunstkritik liefert Texte zur Kunst. Diese Texte funktionieren nicht als bloße Beschreibung nach der Kunst, sondern vor allem als Bedeutungsentwürfe parallel zur Kunst. Kunstkritiker übersetzen Kunstwerke nicht einfach in Sprache. Das wäre die Aufgabe der Bildbeschreibung, der Ekphrasis. Kunstkritiker konstruieren Bedeutungen, die der Kunst sinnvoll zugeschrieben werden können. Als sinnvoll gelten Bedeutungen dann, wenn Beobachtungen und Argumente plausibel verknüpft werden können. Als Text liefert jede Kunstkritik einen Interpretationsvorschlag, der anzeigt, wie weit mit der jeweiligen Kunst gedacht werden kann. Herausragende Kunstwerke weisen ihre Qualität nicht nur mit handwerklicher Meisterschaft, kunsthistorischer Innovationskraft oder stilistischer Singularität nach. Herausragende Werke funktionieren vor allem auch als Diskursphänomene. Sie irritieren den kulturellen Diskurs und prägen ihn dann um. Genau diesen Prozess betreibt eine leistungsfähige Kunstkritik. Ihr Geschäft ist nicht das wohlfeile Gefälligkeitsgutachten, sondern die Suche nach sprachlichen Passungen für Kunst. Diese Passungen dürfen allerdings nicht nur fiktiv gesetzt, sie müssen in Merkmalen der Kunst verankert werden. Nur dann entfalten sie Seriosität und damit Werthaltigkeit. In diesem Sinn ist Kritik der Kunst gegen ihre ökonomische Bewertung zu behaupten. Kunstkritik sortiert Kunst nicht nach den Chancen ihrer Vermarktung vor, sondern macht ihre jeweilige Singularität und damit ihren historischen Stellenwert sichtbar (vgl. Wagner 2001: 250). Kunstkritik hat geholfen, die moderne Kunst durchzusetzen. Dabei hat es offenbar keine Rolle gespielt, ob die Kritik die Kunst der Avantgarden vehement abgelehnt oder entschieden unterstützt hat. Ihr Statement wurde in jedem Fall kanonisch – als Missverständnis, das der spätere Erfolg der befehdeten Kunst

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

triumphal widerlegte, oder als Zustimmung, die den Erfolg der Kunst befördern half. Kunstkritiker haben Stil- und Epochennamen von »Les Fauves« bis »Transavantgardia« gefunden und erfunden. Legendäre Kritiker wie Werner Haftmann oder Clement Greenberg prägten Leitparadigmen der modernen Kunst. Diskurs gehört zu jenen Faktoren, die zeitgenössische Kunst konstituieren helfen. Das beste Beispiel dafür liefert die Kasseler Documenta. Catherine David, Leiterin der Documenta X installierte 1997 einen Hundert-Tage-Diskurs. Caroline Christov-Bakargiev, Leiterin der Documenta 13 von 2012, initiierte eine ganze Folge essayistischer Publikationen, die schließlich im »Buch der Bücher«, einem wahren Documenta-Kompendium gesammelt wurden. Der Kunstdiskurs als Feuerwerk der Assoziationen, lose Kopplung disparater Denkstile und frei flottierende Schwarmintelligenz: In den buntfarbenen Textheftchen zur D 13 fand das ansonsten immaterielle Phänomen des Kunstdiskurses seine fassbare Entsprechung. Auch der sich mit immer neuen Verkaufsrekorden selbst übertreffende Kunstmarkt kann auf den Diskurs als Instanz der stützenden Legitimierung nicht verzichten. Der Diskurs spielt immer mit – und wenn nur als Text auf dem Folder, als gelangweilt abgewartete Vernissagen-Rede oder als Kritik-Zitat in einem Katalog. Der Text zur Kunst repräsentiert die Instanz der externen Evaluation. Diese Instanz muss in jedem Fall sichtbar und wirksam bleiben, wenn auch zuweilen nur in Restformen oder in Simulationen, die der Markt selbst herstellt oder herbeiführt. Kritik erfüllt auf der Oberflächenebene gutachterliche Funktion. Ihre Expertise weist Kunst als werthaltig aus. Wie sehr diese Funktion allerdings versagen kann, zeigte der Skandal um die angebliche Kunstsammlung Jägers. Die von dem Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi hergestellten, angeblichen Meisterwerke waren auch deshalb so gut zu verkaufen, weil sie von Kunstexperten mit den entsprechenden Gutachten versehen worden waren. Dabei hatten sich namhafte Kunstexperten wie Werner Spies von den Fälschern täuschen lassen. Ihre Expertisen halfen, angebliche Meisterwerke, unter anderem von Max Ernst, lukrativ auf dem Markt zu plazieren. Dieser Fälscherskandal avancierte auch zur Niederlage einer Kunstkritik als gutachterlicher Tätigkeit. Kunstkritiker haben diese Affaire dennoch genutzt, um ihre Tätigket aus falschen Abhängigkeiten herauszuführen. Die kritische Berichterstattung in den Medien über diesen und inzwischen weitere Kunstfälschungen hat auch dazu geführt, die Kunstkritik selbst wieder ein Stück unabhängiger vom Marktgeschehen zu machen. Der Skandal hat gezeigt, wie sehr die angeblich kritische Unterscheidung zu einem Instrument der Manipultion gemacht werden kann. Expertise als Vorspiegelung: In dieser Möglichkeit steckt der drohende Bankrott einer ganzen Profession, deren angbelich fachmännischer Blick sich als ebenso blind wie der von bloßen Laien erweist. So bleibt der Kunstkritik nicht allein der notwendige Verzicht auf Richterpose und Expertenattitüde (vgl. Grasskamp 2010: 53), Kunstkritiker sollten diesen Verzicht gerade als Gewinn begreifen. Denn er befreit sie von falscher Indienstnahme, er nimmt ihnen auch die Bürde, die mit einem Urteil verbunden ist, das

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sich als letztinstanzlich versteht. Kunstkritik, die sich zu ihrer eigenen Gegenwart bekennt, ist auch wieder frei dafür, die Begegnung mit der Kunst als Chance und Risiko zu begreifen. Dafür muss auch der Seitenblick auf die ökonomische Bewertung unterlassen werden. Das Kriterium der Marktgängigkeit hat für viele Kritiker wie ein Sicherheitsnetz gewirkt. Der ökonomische Wert musste sein Äquivalent auch im künstlerischen Wert haben. Oder doch nicht? Die Kunstkritik verfügt jedenfalls über die Option, dem ökonomisch hoch bewerteten Bild künstlerische Relevanz abzusprechen und diese Relevanz dem am Markt schlecht oder gar nicht platzierten Werk zuzusprechen. Erst die Kritiker, die den Mut haben, den Wert eines Kunstwerkes in »seiner Leistung für die Erkenntnis unserer Gegenwart« (Bürger 2012: 53) zu erkennen, werden in der Lage sein, die Debatte um den Wert der Kunst mit frischen Impulsen zu versehen. Damit erweisen sie womöglich auch dem Kunstmarkt am Ende einen Dienst. Der überhitzte Markt hat dann selbst Gelegenheit, die Kriterien seiner Wertsetzungen zu revidieren. Ökonomischer und kultureller Wert von Kunst sollten wieder neu miteinander synchronisiert werden. Einstweilen bleibt das allerdings ein bloßer Wunsch. Vorläufig bleiben Kunstmarkt und Kunstkritik also das, was sie gegenwärtig sind – nicht länger Komplizen, sondern Konkurrenten und als solche Kombattanten.

L iter atur Bertram, Georg W. (2013): Ästhetische Erfahrung und die Modernität der Kunst, in: Deines, Stefan u.a. (Hg.), Kunst und Erfahrung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 250-269. Bürger, Peter (2012): Begriff und Grenzen der Kritik, in: Lehmann, Harry, Autonome Kunstkritik, Berlin: Kadmos, 37-61. Deines, Stefan (2013): Kunstphilosophie und Kunsterfahrung. Eine pluralistische Perspektive, in: Deines, Stefan u.a. (Hg.), Kunst und Erfahrung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 218-249. Grasskamp, Walter (2010): Ein Urlaubstag im Kunstbetrieb. Bilder und Nachbilder, Hamburg: Philo Fine Arts. Graw, Isabelle (2008): Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur, Köln: Dumont. Heiser, Jörg (2013): Scharfrichter, Hohepriester und Netzwerker. Eine zeitgenössische Typologie der kunstkritischen Rollenbilder, in: Kunstforum International, Bd. 221, 142-151. Herstatt, Claudia (2007): Fit für den Kunstmarkt, Ostfildern: Hatje Cantz. Lüddemann, Stefan (2004): Kunstkritik als Kommunikation. Vom Richteramt zur Evaluationsagentur, Wiesbaden: DUV. Lüddemann, Stefan (2006): Bewunderter Solitär oder Auslaufmodell? Beobachtungen aus dem medialen Alltag der Kunstkritik, in: Lüddemann, Stefan,

Stefan Lüddemann: Kunstmarkt und Kunstkritik

Bilderwelten einer Jahrhundertwende. Texte zur Kunstkritik. Kunstkritiken 1996-2006, Göttingen: V+R, 67-92. Lüddemann, Stefan (2007): Wie Kunst zur Sprache kommt. Anmerkungen aus der Sicht der Kunstkritik, in: Hausendorf, Heiko (Hg.), Vor dem Kunstwerk. Interdisziplinäre Aspekte des Sprechens und Schreibens über Kunst, München: Wilhelm Fink, 243-264. Rauterberg, Hanno (2007): Und das ist Kunst? Eine Qualitätsprüfung, Frankfurt a.M.: Fischer. Rauterberg, Hanno (2012): Wer kritisiert die Kritiker? Warum wir eine Akademie für Kunstkritik brauchen, in: Lehmann, Harry, Autonome Kunstkritik, Berlin: Kadmos, 139-155. Saehrendt, Christian, Kittl, Steen T. (2013): Das kann ich auch! Gebrauchsanweisung für moderne Kunst. Erweitere Neuausgabe, Köln: Dumont. Schütz, Sabine (2013): Schlechte Kunst, böser Markt, elende Kritik. Texte zur Kunstkritik im 21. Jahrhundert, in: Kunstforum International, Bd. 221, 42-67. Seel, Martin (2000): Ästhetik des Erscheinens. München, Wien: Hanser. Sinclair, Anne (2013): Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine? Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg, München: Antje Kunstmann. Thornton, Sarah (2010): Sieben Tage in der Kunstwelt, Frankfurt a.M.: Fischer. Ullrich, Wolfgang (2012): Autonome Kunst – eine Gefahr für die Kunstkritik?, in: Lehmann, Harry (Hg.), Autonome Kunstkritik, Berlin: Kadmos, 119-138. Wagner, Ethan, Westreich Wagner, Thea (2013): Collecting Art for Love, Money and More, London: Phaidon. Wagner, Thomas (2001): Es war noch nie so wertvoll wie heute. Sicherungskopien einiger Dateien aus dem Ordner »Kunstkritik und Werturteil«, in: Anna, Susanne u.a. (Hg.), Wertwechsel. Zum Wert des Kunstwerks, Köln: Walter König, 245-263. Wiegand, Wilfried (2012): Kunstkritik, in: Jordan, Stefan u.a. (Hg.), Lexikon Kunstwissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam, 209-211.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst Olaf Zimmermann

Wird über Kunst- oder auch Künstlerförderung gesprochen, ist selten bis gar nicht von der Bildenden Kunst die Rede. Die Diskussion wird dominiert von Debatten um Theater-, Orchester- oder Musikförderung. Hier steht, gerade mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung in den Ländern und Kommunen, der Förderetat immer wieder auf dem Prüfstand und damit teilweise auch die Existenz der Institutionen. Aber auch der Filmbereich, der als eine wichtige kulturwirtschaftliche Branche gehandelt wird, wird zu einem erheblichen Teil aus Fördermitteln oder aber durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unterstützt. Ganz anders sieht es in den Sparten Literatur und Bildende Kunst aus. Sie sind in hohem Maße marktvermittelt. Die öffentliche Förderung spielt im Vergleich zu den genannten anderen künstlerischen Sparten eine vergleichsweise geringe Rolle. Die Schaffung von Literatur und Bildender Kunst, also der eigentliche Schöpfungsakt, ist im Gegensatz zu Musik, Film oder Theater nicht arbeitsteilig organisiert. Es ist in der Regel kein großer technischer Apparat von Nöten, um ein Werk zu schaffen. Das Werk, also das Buch, das Bild, die Skulptur, die Grafik usw., wird in der Regel von einem Urheber geschaffen und durch einen kulturwirtschaftlichen Vermarkter verkauft, der ebenso wie der Urheber einen wirtschaftlichen Ertrag aus dem Verkauf des Werkes erzielt. Anders als in der Literatur, in der das Werk erst noch im verlegerischen Sinne hergestellt, also redaktionell betreut, gesetzt und gedruckt, mithin vervielfältigt werden muss, handelt es sich in der Bildenden Kunst jeweils um Originale. Originale sind damit im weiteren Sinne auch seriell hergestellte Werke, da von ihnen in der Regel eine begrenzte, auf dem Kunstwerk vermerkte Stückzahl erstellt wird. Allein der Umstand, dass es in der Bildenden Kunst um Originale geht, unterscheidet diese künstlerische Sparte radikal von anderen. In der Bildenden Kunst geht es nicht um einen Massenmarkt. Es werden keine hohen Auflagen angestrebt. Es werden keine Zuschauerzahlen gemessen. Ganz im Gegenteil, der Marktwert eines Werkes und mithin auch seines Schöpfers, also des Bildenden Künstlers, wird unter anderem durch die Exklusivität und die Originalität des Werkes geprägt.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Die Besonderheit der Bildenden Kunst findet ihr Pendant in den Käufern und den Sammlern von Werken. Auch hier handelt es sich um einen im Vergleich zum Theater-, Konzert- oder Filmpublikum kleinen Kreis an Menschen. Vergleichsweise klein ist auch die Zahl der Vermarkter von Werken der bildenden Kunst, also z.B. der Galerien. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, mit welchen Instrumenten die Bildende Kunst gefördert wird und welche künftigen Herausforderungen bestehen. Dabei wird sowohl auf die direkte Kulturförderung der öffentlichen Hand als auch auf die indirekte Förderung im Bereich der Bildenden Kunst eingegangen.

E nt wicklung und H öhe der öffentlichen K unstund K ulturfinanzierung Die öffentliche Kulturförderung von Bund, Ländern und Kommunen stieg in den Jahren 1995 bis 2009 von 8.905,4 Mill. Euro auf 10.716,8 Mill. Euro. In der nachfolgenden Grafik 1 ist dieser Aufwuchs dargestellt. Der Grafik ist zu entnehmen, dass die öffentliche Kulturförderung insbesondere in den Jahren 2007 und 2009 spürbar angestiegen ist. Einen Beitrag hierzu hat die stetig wachsende Kulturförderung des Bundes seit dem Jahr 2005 geleistet. Grafik 1: Entwicklung der Kulturförderung in den Jahren 1995 bis 2009

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturfinanzbericht 2012, S. 27

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

Aufgrund der föderalen Gliederung der Bundesrepublik und der vornehmlichen Verantwortung von Ländern und Gemeinden für die Kulturförderung trägt der Bund den kleinsten Teil der Kulturförderung. Für das Jahr 2009 ist die Verteilung der Kulturförderung nach Bund, Ländern und Gemeinden in Grafik 2 exemplarisch dargestellt. Grafik 2: Kulturförderung von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2009

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturfinanzbericht 2012, S. 27

Der Grafik ist zu entnehmen, dass die Länder den größten Teil der Kulturfinanzierung übernehmen. Im Kulturfinanzbericht, dessen Daten für die Darstellung genutzt wurden, werden die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg, die sowohl Länder als auch Städte sind, zu den Ländern gezählt. Mit Blick auf die öffentliche Kulturförderung ist daher von besonderer Relevanz, wie sich die Kulturetats der Länder entwickeln. Ab dem Jahr 2020 wird die im Grundgesetz verankerte und in Landesgesetzen vereinbarte sogenannte Schuldenbremse greifen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich die Länder verpflichtet ihre Haushalte zu sanieren. In einigen Ländern wie beispielsweise Sachsen-Anhalt wirkt sich die Haushaltssanierung bereits auf die aktuelle Haushaltsplanung aus. Es ist zu erwarten, dass dieses Thema in den kommenden Jahren eher an Bedeutung gewinnen als verlieren wird. Hinsichtlich der künstlerischen Sparten werden im Kulturfinanzbericht die Kulturausgaben der öffentlichen Hände nach folgenden Kategorien unterschieden: • Theater und Musik • Bibliotheken • Museen, Sammlungen, Ausstellungen

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• • • • •

Denkmalschutz und Denkmalpflege Kulturelle Angelegenheiten im Ausland Kunsthochschulen einschließlich der Musikhochschulen Sonstige Kulturpflege Kulturverwaltung

Die Bildende Kunst ist in diesen Kategorien bei Museen, Sammlungen und Ausstellungen, den Kulturellen Angelegenheiten im Ausland, den Kunsthochschulen sowie der sonstigen Kulturpflege enthalten. Zu beachten ist allerdings, dass der Kauf von Werken Bildender Kunst, die unmittelbare Unterstützung von Künstlern durch Stipendien, Preise oder andere Fördermaßnahmen sowie auch die Atelierförderung nur einen kleinen Teil der Förderaktivitäten in den genannten Fördersegmenten ausmacht. Grafik 3: Prozentuale Anteile der verschiedenen künstlerischen Sparten an der Kulturförderung von Bund, Länder und Kommunen

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturfinanzbericht 2012, S. 53

Grafik 3 veranschaulicht die eingangs geschilderte, große Bedeutung der Förderung von Musik und Theater an der öffentlichen Kulturförderung. Lediglich für den Bund spielt die Musik- und Theaterförderung eine untergeordnete Rolle. Kommunen wenden den größten Teil ihrer Kulturförderung für Musik und Theater, gefolgt von Museen, Sammlungen, Ausstellungen sowie Bibliotheken auf. Bei der Kulturförderung des Bundes stechen die Kulturellen Angelegenheiten im Ausland, die Förderung von Bibliotheken sowie von Museen, Sammlungen und Ausstellungen besonders heraus.

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

Institutionelle Förderungen, also über Jahre hinweg festgelegte Förderungen einer Institution, spielen im Bereich der Bildenden Kunst nur mit Blick auf einzelne Institutionen sowie Museen eine Rolle. Für Bildende Künstler selbst haben sie keine Relevanz. Als erstes Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass die Bildende Kunst in der öffentlichen Kulturförderung, wie sie durch den Kulturfinanzbericht abgebildet wird, eine untergeordnete bis gar keine Rolle spielt.

D irek te F örderung der B ildenden K unst Die geringere Bedeutung der Sparte Bildende Kunst an der Kulturförderung laut Kulturfinanzbericht heißt aber nicht, dass die Bildenden Künstler oder auch Ausstellungen von Werken Bildender Kunst gar nicht gefördert werden. Im Gegenteil, es gibt eine ausdifferenzierte Förderstruktur, die stärker im Bereich der individuellen Förderung zu verorten ist. Neben seinen bekannten Stipendien in der Villa Massimo (Rom) oder seit einiger Zeit auch Tarabya (Istanbul) fördert der Bund die Bildende Kunst insbesondere über die Stiftung Kunstfonds. Die in Bonn ansässige Stiftung Kunstfonds geht auf den 1980 gegründeten Verein Kunstfonds zurück. Der Verein, dem der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, der Deutsche Künstlerbund, die GEDOK, der Bundesverband Deutscher Galerien, die Verwertungsgesellschaft BildKunst, das Internationale Künstlergremium, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine und die Künstlerin Rune Mields angehörten, wurde von Anfang an durch einen Beschluss des Deutschen Bundestags finanziell gefördert. Ziel war es, über Fachjurys gezielt junge, innovative, zeitgenössische Kunst zu fördern. An diesem grundlegenden Ziel hat sich seit Bestehen nichts geändert. Inzwischen wurde der Verein Kunstfonds in die »Stiftung Kunstfonds zur Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst« umgewandelt. Die seit dem Jahr 2000 bestehende Stiftung knüpft an die erfolgreiche Fördertätigkeit des Vereins Kunstfonds an. Ein zentrales Anliegen der Stiftung Kunstfonds ist es, jene künstlerischen Positionen zu fördern, die besonders, spröde und nicht unmittelbar dem Markt zugänglich sind. Viele heute bekannte Künstler wurden als Nachwuchskünstler in den 1980er und 1990er Jahre vom Kunstfonds gefördert. Ein wesentlicher Grundsatz des Kunstfonds ist die staatsferne Förderung. Die Fördermittel werden ausschließlich nach Qualitätskriterien vergeben. In den Jurys wählen Bildende Künstler, Galeristen, Ausstellungsmacher, Kuratoren und andere Experten die zu fördernden Künstler aus. Neben der individuellen Förderung von Künstlern werden z.B. auch Ausstellungen oder Kataloge gefördert. Das wesentliche Kriterium ist auch hier, dass jene Vorhaben im Mittelpunkt stehen, die qualitativ hochwertig, aber dem Markt weniger zugänglich sind. Schwierige Positionen der Bildenden Kunst sollen damit gezielt gefördert werden. Oftmals bestätigt sich nach einigen Jahren, dass diese Förderung eine wichtige Türöffnerfunktion für die geförderten Künstler hat.

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Neben der Stiftung Kunstfonds gibt es noch eine ganze Reihe anderer Fördereinrichtungen oder auch Maßnahmen zur Unterstützung von Bildenden Künstlern. Grafik 4 bietet einen Überblick über die Anzahl an Preisen, Stipendien und Auszeichnungen, die in den verschiedenen künstlerischen Sparten vergeben werden, wie sie in der Online-Version des Handbuches der Kulturpreise verzeichnet sind. Das Handbuch der Kulturpreise, das in den 1970er Jahren erstmals erschien, bietet seit Jahrzehnten einen Überblick über die Landschaft an Preisen, Stipendien und Auszeichnungen. Es ist seit einigen Jahren als OnlineDatenbank zugänglich, so dass Preise und Preisträger stets aktuell eingepflegt werden können. In der Online-Datenbank wird, wie in den früheren gedruckten Handbüchern für Kulturpreise, die gesamte Breite an Preisstiftern in den Blick genommen. Das heißt, neben den Auszeichnungen, die von den öffentlichen Händen (Bund, Länder und Kommunen) vergeben werden, sind hierin auch Auszeichnungen verzeichnet, die von Stiftungen, den Kirchen, Vereinen, Unternehmen und sonstigen Institutionen verliehen werden. Grafik 4: Anzahl der Maßnahmen individueller Künstlerförderung in den verschiedenen künstlerischen Sparten

Quelle: Eigene Darstellung nach »Kulturpreise online«, www.kulturpreise.de, letzter Zugriff: 30.12.2013

Grafik 4 zeigt, dass die Bildende Kunst an dritter Stelle mit Blick auf die Anzahl an Auszeichnungen insgesamt liegt 1 . Die meisten Auszeichnungen werden 1  |  Im Rahmen dieses Beitrags kann nicht untersucht werden, inwiefern es sich um jährlich vergebene oder um Auszeichnungen handelt, die in größeren Jahresrhythmen vergeben

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

in der Sparte Medien/Publizistik verzeichnet, gefolgt von Literatur und Bildender Kunst. Die Darstellende Kunst, die bei der öffentlichen Kulturförderung eine herausragende Position einnimmt, spielt in der individuellen Kulturförderung über Preise, Stipendien oder andere Fördermaßnahmen eine untergeordnete Rolle. Nur noch in der Architektur und Denkmalpflege werden weniger Auszeichnungen als in der Sparte Darstellende Kunst verliehen. Der Grafik 4 ist ferner zu entnehmen, dass Preise, Auszeichnungen und andere Maßnahmen der individuellen Künstlerförderung vor allem in jenen künstlerischen Sparten verliehen werden, in denen eine Einzelleistung eines Künstlers am ehesten auszumachen ist. Das sind neben dem publizistischen Schaffen Literatur, Bildende Kunst und Musik. In diesen Sparten spielt, wie eingangs dargestellt, die öffentliche institutionelle Förderung – mit Ausnahme von Musik – eine geringere Rolle. In der Datenbank »Kulturpreise online« werden die Fördermaßnahmen der Bildenden Kunst differenziert dargestellt nach: • • • • • • • • • • • • • • • • •

Aktionskunst/Performance Ausstellungswesen/Kunstvermittlung Besondere Verdienste Bildende Kunst allgemein Bildhauerei/Skulptur Druckgrafik Environment/Installation Illustration Künstlerische Grafik Karikatur/Comic Kunst am Bau Kunst im öffentlichen Raum Kunstwissenschaft/-geschichte Malerei Objektkunst Video-/Medienkunst Zeitgenössische Kunst

Von den 890 individuellen Fördermaßnahmen der Bildenden Kunst wird in der Datenbank »Kulturpreise online« die weitaus größte Zahl (654) der Bildenden Kunst allgemein zugerechnet. Mit weitem Abstand folgt die Vergabe von Auszeichnungen im Bereich Malerei (83), Video-/Medienkunst (82) oder auch Bild-

werden. Die Daten spiegeln also nur die Anzahl der Auszeichnungen insgesamt wieder und nicht die Vergabe in einem bestimmten Zeitraum.

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hauerei/Skulptur (75). Wenige Auszeichnungen werden für die Kunstformen Objektkunst, Karikatur/Comic oder auch Illustration vergeben. In Grafik 5 ist die Anzahl an Fördermaßnahmen im Bereich der Bildenden Kunst dargestellt. Aus der Abbildung geht, wie oben geschildert, hervor, dass die Mehrzahl der Auszeichnungen dem Bereich Bildende Kunst allgemein zugeordnet wird. Grafik 5: Anzahl der individuellen Fördermaßnahmen in der Bildenden Kunst gegliedert nach Ausdrucksformen der Bildenden Kunst

Quelle: Eigene Darstellung nach »Kulturpreise online«, www.kulturpreise.de, letzter Zugriff: 30.12.2013

In Grafik 6 werden die Fördermaßnahmen aus dem Bereich der Bildenden Kunst nach Förderkategorien ausdifferenziert. Im Handbuch der Kulturpreise werden die Maßnahmen in folgende Kategorien eingeteilt: • • • • • • • • • • •

Hauptpreis Förderpreis Stipendium undotierte Ehrung Ehrenpreis Mitgliedschaft lobende Erwähnung Ranking Auswahlliste Humoristische/Karnevalistische Ehrung Projektförderung

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

• • • • • • • • • • • • • • • •

Atelierförderung Bezuschussung von Veranstaltungen/Ausstellungen Materialkostenzuschüsse/Zuschüsse für Arbeitsinstrumente Publikations-/Übersetzungs-/Druckkostenzuschüsse Produktionsförderung/-zuschüsse Reisekostenzuschüsse Werkankauf Werkpräsentation Sonderpreis Publikumspreis Kolloquium Ehrung Einzelbetreuung/Mentoring Sachpreis (ohne professionellen Bezug) dotierte Nominierung Negativ-Preis/Negativ-Listen

Diese 27 Kategorien vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt der Auszeichnungen, die in »Kulturpreise online« verzeichnet sind. In der Sparte Bildende Kunst sind in 16 Kategorien Maßnahmen zur Förderung Bildender Kunst verzeichnet. Aus Grafik 6 ist zu entnehmen, dass es sich bei mehr als der Hälfte der Auszeichnungen um Hauptpreise handelt. Eine nennenswerte Bedeutung mit Blick auf die Anzahl der Auszeichnungen haben ferner die Förderpreise und Stipendien. Grafik 6: Anzahl der individuellen Fördermaßnahmen in der Bildenden Kunst gegliedert nach Förderarten

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturpreise online, www.kulturpreise.de, letzter Zugriff: 30.12.2013

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Alle anderen individuellen Fördermaßnahmen haben mit Blick auf ihren Anteil an der Zahl der individuellen Fördermaßnahmen in der Sparte Bildende Kunst eine untergeordnete Bedeutung2 . In Tabelle 1 ist für die Sparten Architektur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Design/Gestaltung, Film, Literatur, Medien und Musik sowohl die Anzahl von Fördermaßnahmen an Hauptpreisen, Förderpreisen, Stipendien und Projektförderungen als auch deren jeweiliger Anteil an der Summe der Fördermaßnahmen ausgewiesen. Hierfür wurde erneut eine Auswertung von »Kulturpreise online« vorgenommen. Mit Blick auf die hier in Rede stehende Förderung der Bildenden Kunst waren jene Maßnahmen von Interesse, die mit einer materiellen Förderung verbunden sind. Bei der Auswertung der Datenbank wurden sowohl die jeweiligen Spartenkategorien einschließlich der Untergruppen3 einbezogen 2 | In folgenden Kategorien sind keine Fördermaßnahmen in der Sparte Bildende Kunst im Handbuch der Kulturpreise verzeichnet: Mitgliedschaft, Ranking, Auswahlliste, Humoristische/Karnevalistische Ehrung, Atelierförderung, Verleih- und Vertriebsförderung, Kolloquium, Einzelbetreuung/Mentoring, Sachpreis ohne professionellen Bezug, dotierte Nominierung, Negativ-Preis/Negativliste. 3  |  Wie bereits für den Bereich der Bildenden Kunst gezeigt, liegen auch für die anderen Sparten Ausdifferenzierungen vor. Es sind: Architektur/Denkmalpflege mit Architektur allgemein, Bauplanung/-ausführung, besondere Verdienste, Denkmalpflege, Gartenkunst/-gestaltung, Ingenieurbau, Innenarchitektur, Landschaftskunst/-gestaltung, Stadt-/Landschaftsplanung, virtuelle Architektur; Darstellende Kunst mit Bühnen-/Kostümbild, Ballett, besondere Verdienste, Choreografie, Darstellende Kunst allgemein, Dramaturgie, Inszenierung, intermediale Performance/Videotanz, Kabarett/Kleinkunst/Comedy, Kinder- und Jugendtheater, Musiktheater/Oper/Operette/Musical, schauspielerische Leistung, Theater, Theaterwissenschaft, zeitgenössischer Tanz; Design/Gestaltung mit Architekturfotografie, Ausstellungsdesign, besondere Verdienste, besondere Verdienste Fotografie, besondere Verdienste Kunsthandwerk, Buchgestaltung-/llustration, digitale Fotografie, Figuren-/Aktfotografie, Fotografie allgemein, Glasgestaltung, Gold- und Silberschmiedekunst, Grafikdesign, Industriedesign, interactive/Games-Design, Keramikgestaltung, Kommunikationsdesign, Kunsthandwerk allgemein, Landschaftsfotografie, Metallgestaltung, Mode-/Textildesign, Portraitfotografie, Produktdesign, Textilkunst, Web-/App-/Multimediadesign; Film mit besondere Verdienste, Dokumentarfilm, Drehbuch, Experimentalfilm, Film allgemein, Film-/Videoproduktionen, Filmdarsteller, Filmmusik, Kamera, Kinder- und Jugendfilm, Kino, Kostümbild, Kurzflm, Musik-/Webvideo, Regie, Schnitt, Spielfilm, Szenenbild, Tontechnik, Trick-/Animationsfim (digital); Literatur mit Übersetzung, besondere Verdienste, Drama, Erzählung/Kurzgeschichte, Essay, Hörspiel/Hörbuch; Kinder- und Jugendbuch, Krimi, Literatur allgemein, Literatur-/ Leseförderung Literatur, Literaturvermittlung, Literaturwissenschaft, Lyrik, Mundart, Netz-/ Webliteratur, Prosa, Sachbuch, Satire, Verlagswesen; Medien/Publizistik mit besondere Verdienste, Bildjournalismus, Digital Media/Multimedia, Fachjournalismus, Fernsehen, Hörfunk, Journalismus, Online-Journalismus, Pressewesen allgemein, Public Relation/Marketing; Musik mit a capella, besondere Verdienste, Chanson, Chor, Dirigat, Electro-Pop/Techno etc., Ge-

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

als auch die Nennungen in den Preisbeschreibungen. Daraus folgt, dass Preise, die in verschiedenen Kunstsparten vergeben werden können, in Tabelle 1 auch mehrfach auftauchen können. Da es hier aber darum geht, aufzuzeigen, welche Auszeichnungen in welchen Sparten vergeben werden können und nicht untersucht werden soll, wie viele Preise es insgesamt gibt, ist es sachgerecht, mit gegebenenfalls bestehenden Doppelerfassungen zu arbeiten. Tabelle 1: Anzahl und Anteil der Hauptpreise, Förderpreise, Stipendien und Projektförderungen in den verschiedenen künstlerischen Sparten  

Hauptpreis

Förderpreis

Stipendien

Projektförderung

 Summe

Architektur

68 (65)

23 (22)

10 (10)

3 (3)

104

Bildende Kunst

275 (55)

108 (21)

111 (22)

9 (2)

503

Darstellende Kunst

122 (64)

56 (29)

11 (6)

3 (1)

192

Design

121 (61)

50 (25)

24 (12)

3 (2)

198

Film

212 (72)

51 (17)

15 (5)

18 (6)

296

Literatur

390 (69)

99 (17)

73 (13)

5 (1)

567

Medien

240 (77)

42 (14)

19 (6)

9 (3)

310

Musik

241 (65)

82 (22)

44 (12)

6 (1)

373

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturpreise online, www.kulturpreise.de, letzter Zugriff: 30.12.2013, Ziffern in Klammern drücken die Prozentwerte aus

Bei der Auswertung wurde sich auf Hauptpreise, Förderpreise, Stipendien und Projektförderungen 4 konzentriert. Die meisten Fördermaßnahmen (n=567) werden in der Sparte Literatur vergeben, gefolgt von der Sparte Bildende Kunst (n=503). Das heißt in diesen beiden vor allem marktvermittelten künstlerischen Sparten spielt die individuelle Künstler- wie auch Marktförderung eine große Rolle. Mit insgesamt 373 Fördermaßnahmen in den genannten Förderarten kann die Sparte Musik5 aufwarten. sang, instrumental, instrumental Blasinstrumente, instrumental Klavier, instrumental Orgel, instrumental Streichinstrumente, Jazz, Kammermusik, Kirchenmusik, Klangkunst, Klassik, Komposition, Musik allgemein, Musik für Kinder und Jugendliche, Musikinterpretation, Musikproduktion, Musikvermittlung, Musikwissenschaft, Neue/Zeitgenössische Musik, Orchester, Rock/Pop, Sound Design/Tonstudio, Tanzmusik/Schlager, Volksmusik, Weltmusik/Folklore. 4 | Projektförderung meint hier die Förderung eines einzelnen künstlerischen oder Vermittlungsprojekt und nicht die Förderform Projektförderung im Pendant zur institutionellen Förderung. 5 | Hier zeigt sich einmal mehr die ausdifferenzierte Förderstruktur des musikalischen Lebens

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Demgegenüber werden in der Sparte Darstellende Kunst, die, wie bereits gezeigt wurde, in der öffentlichen Kulturförderung eine herausragende Rolle spielt, deutlich weniger Fördermaßnahmen (n=192) vergeben als in den drei erstgenannten. In allen untersuchten Sparten wurde der weitaus größte Teil der Auszeichnungen für Hauptpreise vergeben. Je nach Sparte entfallen bis zu zwei Drittel der verzeichneten Auszeichnungen auf Hauptpreise, gefolgt von den Förderpreisen und mit deutlichem Abstand dahinter die Stipendien. Die Förderung von individuellen künstlerischen Projekten spielt eine untergeordnete Rolle. Insgesamt spiegeln die individuellen Fördermaßnahmen die Besonderheiten der künstlerischen Sparten wieder: In der Sparte Darstellende Kunst nimmt die Förderung der Institution Theater breiten Raum in der Förderung ein, so dass der größte Teil der öffentlichen Kulturausgaben für die Unterstützung der Sparten Darstellende Kunst und Musik verwandt werden. In den Sparten Literatur und Bildende Kunst hingegen ist die individuelle Förderung von Künstlern oder von einzelnen künstlerischen Projekten bedeutsamer. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich nicht-staatliche Institutionen eher in der individuellen Künstlerförderung als in der Unterstützung von Kultureinrichtungen engagieren. Tabelle 2: Dotierung der Hauptpreise in den verschiedenen künstlerischen Sparten

  Architektur Bildende Kunst Darstellende Kunst Design Film

Insgesamt

unter 1.000 Euro

1.000 bis 5.000 Euro

5.000 bis 10.000 Euro

10.000 bis 25.000 Euro

25.000 bis 50.000 Euro

50.000 bis 100.000 Euro

ab 100.000 Euro

68

0

15

14

27

7

5

0

275

3

68

85

86

18

12

3

122

2

27

46

36

5

5

0

121

3

26

51

32

5

4

0

212

6

74

49

55

15

9

4

Literatur

390

15

88

110

151

17

8

1

Medien

240

5

84

91

46

12

2

0

Musik

241

21

39

63

89

8

9

2

Quelle: Eigene Darstellung nach Kulturpreise online, www.kulturpreise.de, letzter Zugriff: 30.12.2013 in Deutschland. Musik hat nicht nur bei den regelmäßigen Förderungen von Institutionen von der kommunalen, über die Landes-, bis hin zur Bundesebene eine zentrale Bedeutung in der Kulturförderung, sie hat nicht nur ein ausgeklügeltes System zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses, Musik hat auch bei den hier vorgestellten Fördermaßnahmen einen wichtigen Stellenwert.

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

In Tabelle 2 werden die Hauptpreise mit Blick auf ihre Dotierung näher untersucht. In der ersten Spalte wird dargestellt, wie viele Hauptpreise es insgesamt gibt. Von diesen Hauptpreisen sind sehr wenige unter 1.000 Euro dotiert, nämlich 3 in der Sparte Bildende Kunst, 2 in der Sparte Darstellende Kunst, 3 in der Sparte Design/Gestaltung, 6 in der Sparte Film, 15 in der Sparte Literatur, 5 in der Sparte Medien und immerhin 21 in der Sparte Musik. Dennoch weist die Mehrzahl der Preise eine Dotierung über 1.000 Euro auf. In der Sparte Bildende Kunst liegt die Dotierung bei der Mehrzahl der untersuchten Preise zwischen 10.000 und 25.000 Euro; ein ähnlicher Befund liegt für die Sparte Literatur vor. Demgegenüber werden in der Sparte Darstellende Kunst die Mehrzahl der Hauptpreise zwischen 5.000 und 10.000 Euro dotiert. In der Kategorie zwischen 50.000 und 100.000 Euro, in der in allen untersuchten Sparten Hauptpreise vergeben werden, entfallen die meisten (n=12) auf die Bildende Kunst. Mit über 100.000 Euro sind ausschließlich Hauptpreise in der Bildenden Kunst, Film, Literatur und Medien dotiert.

I ndirek te F örderinstrumente In der Bildenden Kunst spielt die indirekte Kulturförderung speziell über die Steuergesetzgebung eine wichtige Rolle. Bis zum 1. Januar 2014 galt für Kunstwerke, ähnlich wie für Bücher und Noten, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 % in Deutschland. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz hatte insbesondere mit Blick auf die Förderung von zeitgenössischer, noch nicht etablierter Bildender Kunst eine wichtige Funktion. Er erlaubte zum einen aufgrund des günstigeren Preises Sammlern in Kunstwerke und mithin auch in Künstler zu investieren, die sich noch nicht im Markt durchgesetzt haben. Zum anderen ermöglichte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auch jenen Sammlern den Kauf von Kunstwerken, die über keine großen Finanzmittel verfügen, sich dennoch dem Sammeln von Kunst verschrieben haben. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Bildende Kunst war bereits seit Jahren europarechtswidrig, wurde von der EU-Kommission aber geduldet und von den Bundesregierungen, gleich welcher Zusammensetzung, trotz manch angekündigter Abschaffung nicht angetastet. Im Frühjahr 2012 drohte die EU-Kommission der Bundesregierung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren an, wenn der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Bildende Kunst nicht abgeschafft würde. Angesichts der eindeutigen EU-rechtlichen Situation hat die Bundesregierung unter Ausbedingung einer Umsetzungsfrist bis zum 1. Januar 2014 den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für die Bildende Kunst abgeschafft. Zugleich soll ähnlich der Verfahrensweise in Frankreich eine Margenbesteuerung eingeführt werden. Bei Abschluss des Manuskripts war der entsprechende Ausführungserlass, der zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden muss, noch nicht in Kraft.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Für Verkäufe aus dem Atelier gilt nach wie vor der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 %. Hier wird darauf zu achten sein, dass die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze nicht zu einer Marktverzerrung führen, da die Werke Bildender Künstler aus dem Atelier mit einem Mehrwertsteuersatz von 7 % und aus der Galerie mit einem Mehrwertsteuersatz von 19  % verkauft werden. Für den Kunden ist der Kauf aus dem Atelier also deutlich preiswerter. Zudem wird bei einer Anwendung der Differenzbesteuerung nach dem französischen Modell keine Umsatzsteuer auf der Rechnung ausgewiesen, so dass keine Vorsteuer geltend gemacht werden kann. Der Kunsthandel braucht adäquate Rahmenbedingungen, um Künstler auf bauen, ihr Werk präsentieren und sie am Markt platzieren zu können. Kunsthändler können als Unternehmer nur dann in Künstler investieren, wenn sie einen wirtschaftlichen Ertrag aus dem Verkauf der Werke ziehen können. Für Künstler ist eine der wesentlichen Formen der indirekten Künstlerförderung die Möglichkeit der gesetzlichen Sozialversicherung über die Künstlersozialkasse. Freiberufliche Bildende Künstler sind wie Künstler anderer Sparten Pflichtmitglieder dieser gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Ähnlich Angestellten zahlen sie als Mitglieder der Künstlersozialkasse die Hälfte der Beiträge. Die andere Hälfte wird zu 30 Prozent von den Vermarktern der Bildenden Kunst, also dem Kunsthandel sowie anderen Unternehmen und Vereinen, die künstlerische Leistungen von professionellen Künstlern in Anspruch nehmen, erbracht und zu 20 % vom Bund bezuschusst. Allein die Möglichkeit in der gesetzlichen Sozialversicherung Mitglied zu sein und nur die Hälfte der Beiträge zahlen zu müssen, ist eine wichtige Form der Künstlerförderung. Nur so ist es angesichts der geringen Verdienste vielen Künstlern überhaupt möglich kranken-, pflege- oder rentenversichert zu sein. Die Einbeziehung der Vermarkter in die Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge freiberuflicher Künstler zeugt von der, wie das Bundesverfassungsgericht6 formuliert hat, symbiotischen Beziehung zwischen Künstlern und Vermarktern von Kunst. Dies gilt in besonderer Weise für die Bildende Kunst, in der angesichts der engen individuellen Verbindung zwischen Künstler und Vermarkter ein besonders enges Verhältnis besteht. 6 | Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 1987 über eine Klage des Bundesverbands Deutscher Galerien des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, von Verlagen und anderen Vermarktern künstlerischer Leistungen gegen das Künstlersozialversicherung zu urteilen. Die Kläger führten u.a. an, dass der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für das Künstlersozialversicherungsgesetz gehabt hätte, da es sich um die Zuständigkeit der Länder handele. Ebenso wurde ins Feld geführt, dass es systemwidrig sei, dass für freiberufliche Künstler Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden müssten. Das Bundesverfassungsgericht urteilte unter anderem, dass zum einen der Bund die Gesetzgebungskompetenz hatte, da es sich um eine Sozialrechtsmaterie handelt und dass zum anderen aufgrund der symbiotischen Beziehung zwischen Künstlern und Vermarktern es sachgerecht ist, dass die Vermarkter künstlerischer Leistungen zur Künstlersozialabgabe herangezogen werden.

Olaf Zimmermann: Radikal anders: Kunst- und Künstlerförderung in der bildenden Kunst

K ultur - und K re ativwirtschaf tspolitik In den vergangenen Jahren ist es zu einer erhöhten öffentlichen Wahrnehmung der Kultur- und Kreativwirtschaft gekommen. Nicht zuletzt die Kulturwirtschaftsberichte der Bundesregierung sowie die »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung« zeugen von einem gestiegenen Interesse an diesem Wirtschaftszweig. Das ist positiv, erfährt diese Branche damit doch die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Zugleich ist aber zu konstatieren, dass den traditionellen Branchen der Kulturwirtschaft, wie auch dem Kunsthandel oder generell der Bildenden Kunst, im Rahmen dieser Initiative wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dabei sollte doch zu bedenken geben, dass vom Jahr 2003 bis zum Jahr 2010 die Zahl der Selbständigen Bildenden Künstler um 22 % wuchs, aber im gleichen Zeitraum die Zahl an Unternehmen im Kunsthandel um 21 % sank. Der wachsenden Zahl an Bildenden Künstler stehen also immer weniger Galerien gegenüber. Grafik 7 veranschaulicht diese Entwicklung. Es steht zu befürchten, dass die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf 19 Prozent beim Verkauf von Werken über den professionellen Kunsthandel die bereits bestehende Lücke noch vergrößern wird. Grafik 7: Vergleich der Zahl Selbständiger Bildender Künstler und Kunsthandelsunternehmen in den Jahren 2003 und 2010

Quelle: Eigene Darstellung nach Arbeitsmarkt Kultur 2013, S. 99

Es muss Aufgabe künftiger Kulturwirtschaftspolitik sein, diese Entwicklung im Auge zu behalten und mit entsprechenden Maßnahmen gegenzusteuern.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

H er ausforderungen der Z ukunf t Bildende Kunst ist individuell. Sie wird von Künstlerpersönlichkeiten geschaffen, von Händlerpersönlichkeiten entdeckt, gefördert, auf den Markt gebracht und von Sammlerpersönlichkeiten gekauft. Arrivierte, etablierte Bildende Kunst ist in den Museen und großen Ausstellungen zu finden und wird damit einem breiten Publikum zugänglich. Die größte Herausforderung für diesen Markt ist es, den Raum für künstlerische Individualität zu erhalten. Bildende Kunst, speziell zeitgenössische Bildende Kunst ist einem breiten Publikum oftmals nicht unmittelbar zugänglich. Das Besondere ist gerade, dass Menschen bereit sind, in Kunstwerke zu investieren, von denen sie noch nicht wissen, ob sie ihr Geld im ökonomischen Sinne Wert sind. Das ist der Reiz und radikale Unterschied der Sparte Bildende Kunst gegenüber anderen künstlerischen Ausdruckweisen. Bildende Kunst wird in der Regel nicht an Zuschauerzahlen oder Fördervolumina gemessen. Sie ist weniger im Blickpunkt der kulturpolitischen Debatten. Eben darum ist es so wichtig, ein besonderes Augenmerk auf diese radikal andere Sparte zu richten.

L iter atur Kulturfinanzbericht 2012. Hg. v. Statistische Ämter des Bundes und der Länder. Wiesbaden 2012. Politik & Kultur. Ausgabe 1/2013 Schwerpunkt: Die wa(h)re Kunst. Regensburg 2013. Politik & Kultur. Ausgabe 3/2011 Schwerpunkt: Kunstmarkt. Regensburg 2011. Schulz, Gabriele/Zimmermann, Olaf/Hufnagel, Rainer: Arbeitsmarkt Kultur: Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen. Berlin 2013. Zimmermann, Olaf: Der Ausstellungsbetrieb. Köln 1993. Zimmermann, Olaf/Geißler, Theo (Hg.): Arbeitsmarkt Kultur: Vom Nischenmarkt zur Boombranche. Berlin 2012. Zimmermann, Olaf/Geißler, Theo (Hg.): Künstlerleben: Zwischen Hype und Havarie. Berlin 2010.

Kunstmarkt, Recht und Compliance — Gestaltungsprinzipien und Grenzen Peter M. Lynen

1. Z u den A usgangsl agen Das kunstbezogene Marktgeschehen findet auf allen drei Sektoren der Kunst- und Kulturförderung dar: a) Dem öffentlichen/staatlichen Sektor mit jenen Kulturbetrieben und Projekten, die von der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Gemeinden) getragen werden (Museen, Kunsthallen, Ausstellungsbetriebe, Maßnahmen der Kunst- und Künstlerförderung sowie der künstlerischen und kulturellen Bildung). In Deutschland mit seiner Fülle an derartigen Kulturinstitutionen, welche vor allem von den Kommunen und den Ländern unterhalten werden, ist dieser Bereich nicht nur kulturpolitisch sowie als öffentliche und dem Gemeinwohl verpflichtete Aufgabenerfüllung eines Kulturstaats, sondern auch in ökonomischer Hinsicht, in Arbeitgeberfunktionen und im Sinne von wirtschaftlich wichtigen, ortsbezogenen Standortfaktoren sowie touristischen Zielen von großer Bedeutung. b) Dem Sektor der Kultur- oder Kreativwirtschaft mit seinen 12 Teilmärkten der Musikwirtschaft, des Buchmarkts, des Markts der bildenden Kunst und seiner Gliederung in den primären und sekundären Kunstmarkt, der Filmwirtschaft, der Rundfunkwirtschaft, des Markts der darstellenden Künste, der Designwirtschaft, des Architekturmarkts, des Pressemarkts, des Werbemarkts, der Software/Games-Industrie, und der sonstigen Bereiche. Man geht heute davon aus, dass die Kulturwirtschaft einen Anteil von insgesamt zwei bis über drei % – mit regionalen Bandbreiten zwischen 1,5 % und 3,5 % – an der Gesamtwirtschaft ausmacht.1 1 Damit liegt die gesamte »Branche« von 1 | Vgl. z.B. ICG culturplan (Hrsg.), Kulturwirtschaft in Düsseldorf, 1.4. (S. 21). Während dort für den Bund 2,4% ausgewiesen sind, beträgt der Prozentsatz für NRW 2,54% und für Düsseldorf als starken Wirtschaftsstandort 3,56%.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft im vergleichbaren Rahmen mit durchaus bedeutenden Industriebranchen, z.B. der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft. Sie spricht allerdings nicht mit einer oder wenigen Stimmen wie diese vergleichbar großen Wirtschaftszweige, sondern stellt sich mit ihren 12 Teilmärkten sehr diversifiziert und uneinheitlich dar. c) Dem »dritten« Sektor als Kooperations- und Zwischenbereich, der durch die Zivilgesellschaft, Nonprofit-Organisationen, eine Reihe von NGO (non-governmental-organizations), gemeinnützige Stiftungen und bürgerschaftliche Aktivitäten sowie eine Fülle von Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen (insbesondere zwischen den unter a und b genannten Sektoren bzw. dort zu verortenden Institutionen und Personen) geprägt wird.2 Dieser Sektor bildet ein Sammelbecken unterschiedlicher Aktivitäten, wobei zunehmende Tendenzen festzustellen sind. Der staatliche Sektor verlagert seine Aktivitäten eher in diesen Bereich, als dass er sich ganz aus der Kulturförderung in bestimmten Teilbereichen zurückzieht. Das äußert sich etwa in Privatisierungen, Kooperationen und Beteiligungen. Auch die Wirtschaft und Privatpersonen finden hier ein Feld für unterschiedliches Engagement. Daher wird der dritte Sektor heute vor allem durch vielfältige Kooperationen zwischen den anderen Sektoren gestaltet.

Kunstbezogenes Marktgeschehen Der Schwerpunkt des Marktgeschehens in den Bereichen von Kunst und Kultur befindet sich naturgemäß im oben unter (b) skizzierten Sektor der Kreativwirtschaft mit dessen Teilmärkten. Dennoch sind die Einflüsse und Auswirkungen der beiden anderen Sektoren erheblich. Insoweit müsste man von einem gemeinsamen – den verschiedenen Äußerungen von Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft gewidmeten – »Markt« im weiteren Sinne, vor allem aus der Sicht der Künstler als Produzenten und derjenigen ihrer »Vermarkter« und Vermittler, sprechen, der alle drei Sektoren umfasst. Dies geschieht auch gelegentlich.3 Sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich betrachtet muss für Künstler und deren Verwerter 2  |  Zu den Nonprofit-Organisationen und grundlegenden Überlegungen zu compliance in diesem Bereich: Hans Lichtsteiner, Transparenz als Instrument zur Steigerung der Compliance in Nonprofit-Organisationen, in: Schmidt-Trenz/Stober, Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektors 2011/2012 (RÖDS), Compliance im Dritten Sektor, Baden-Baden 2012, S. 183ff. 3  |  Aus einem Symposium im April 2013 und einem weiteren wissenschaftlichen Vortrag im Juli 2013 über den Kunstmarkt in China, welche im Konfuzius-Institut in Düsseldorf erfolgten, ging beispielsweise hervor, dass man in China nicht von der hier üblichen Einteilung in drei Sektoren ausgeht und »Kunstmarkt« in einem weiteren Sinne (einschließlich der staatlichen Aktivitäten) versteht.

Peter M. Lynen: Kunstmarkt, Recht und Compliance — Gestaltungsprinzipien und Grenzen

in grundsätzlicher Hinsicht von Interesse sein, auf allen drei Sektoren nachhaltige und wechselseitige Erfolge zu erzielen. Diesbezüglich können Anerkennungen und Wirkungen auf einem Sektor durchaus erhebliche positive Folgen auf den beiden anderen Sektoren mit sich bringen.4 Einzelausstellungen, öffentliche Auszeichnungen, Preise und Ehrungen auf dem ersten Sektor können den wirtschaftlichen »Marktwert« auf dem zweiten Sektor ebenso erhöhen wie umgekehrt wirtschaftliche Erfolge auf diesem Sektor zur gesteigerten öffentlichen Beachtung im ersten Sektor führen können. Gleichermaßen können erfolgreiche Aktivitäten auf dem dritten Sektor sowie die Aufnahme von Kunstwerken in Stiftungen und Sammlungen, welche diesem Sektor zugerechnet werden, positive Konsequenzen auf den beiden anderen Sektoren zeitigen. Privatsammlungen und öffentliche Museen stehen in vitalen Verbindungen und Austauschbeziehungen.5 Kunst und Kultur finden somit unterschiedliche Spielfelder vor, welche indes nicht voneinander unabhängig sind. Die diesbezüglichen Wechselwirkungen sind nicht zu unterschätzen. Der Gegenstand der folgenden Untersuchung wird hauptsächlich der zweite Sektor der Kunst- und Kreativwirtschaft sein. Dabei geht es um die Fragen, welche Regeln und Normen mit welchen Bindungswirkungen das Marktgeschehen zu beeinflussen in der Lage sind. Aber auch an dieser Stelle muss noch einmal einleitend auf alle drei Sektoren verwiesen werden, weil auch das Recht grundsätzlich unterschiedliche Weichenstellungen hinsichtlich dieser drei Sektoren vornimmt und differenziert vorgehen kann.

Der staatliche Sektor Dieser Sektor ist fokussiert öffentlich-rechtlich ausgestaltet, da der Staat sowie seine Gliederungen und Instanzen – auch seine Behörden – dem öffentlichen Recht (Staats- und Verwaltungsrecht) unterliegen und daran gebunden sind. Dennoch ist auch in diesem Bereich das Privat- oder Zivilrecht von erheblicher praktischer Bedeutung und es bestehen Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten auch zivilrechtlicher Art, denen sich die öffentliche Hand bedienen kann. Dies geschieht bereits traditionell und heute mit steigender Tendenz, z.B. bei der Wahl von Organisationsformen öffentlicher Kulturbetriebe und deren Umwandlung, etwa in die Gestalt einer GmbH (auch in der gemeinnützigen Variante). Die eigentlichen kunstmarktbezogenen Rechtsbeziehungen (z.B. Kauf-, Leih- oder Kooperationsverträge) mit Austauschcharakter finden ohnehin auch auf diesem Sektor meist unter zivilrechtlichen Gestaltungen statt, wobei der öffentlich-rechtliche Vertrags4 | Vgl. in diesem Buch den Beitrag des Verfassers zu den Wechselwirkungen zwischen Kunstmarkt und Kunsthochschulen. 5 | Ausführlicher dazu: Cornelia Fischer, Partner oder Kontrahenten? Eine rechtliche Untersuchung der Zusammenarbeit öffentlicher Museen und privater Kunstsammler, Baden-Baden 2012.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

partner bezüglich des von ihm zu beachtenden »internen« Rechts zugleich an öffentlich-rechtliche Normen (z.B. diejenigen des öffentlichen Haushaltsrechts) gebunden ist. Die Ausgangslage wird diesbezüglich grundsätzlich dadurch geprägt, dass der öffentliche Sektor aufgaben- und gemeinwohlorientiert handelt, diese Zielrichtung rechtsstaatlichen Prinzipien unterliegt sowie maßgeblich gesetzlich verankert und definiert ist (bis hin zu den verfassungsrechtlichen Bindungen der Kunstfreiheit und des Kulturstaats). Dies umfasst insbesondere kunst- und kulturgewährleistende Funktionen und Verpflichtungen.6

Der Sektor der Kultur- oder Kreativ wirtschaft In diesem zweiten Sektor ist eine gegenläufige Schwerpunktsetzung auszumachen. Hier steht das Zivilrecht im Vordergrund, ohne dass es ausgeschlossen wäre, dass auch öffentlich-rechtliche Normen ins Spiel kommen (z.B. wenn es um staatliche Genehmigungen geht). Aber der Fokus liegt bei wirtschaftsrechtlichen Zusammenhängen einschließlich des Handelsrechts, was sich bereits umgangssprachlich äußert, wenn man vom Kunsthandel spricht. Der Kunsthandel ist ein Handel, dessen Handelsobjekte Kunstgegenstände verschiedener Art sind. Damit gelten vorrangig die marktwirtschaftlichen Bedingungen des Handels und es geht um kaufmännisch-professionelle Unternehmungen. Hier wird die Ausgangslage maßgeblich durch die Grundsätze der Privatautonomie und Vertragsfreiheit geformt, die sich auf selbst gesetzte und persönlich definierte – wirtschaftlich ausgerichtete – Ziele (z.B. Gewinnerzielungsabsicht), aber auch auf darüber hinausgehende selbstbestimmte kulturelle Intentionen und Zwecke beziehen können. Ein (anspruchsvoller) Buchverlag wird z.B. als Unternehmensziele nicht nur (möglichst hohe) »schwarze« Zahlen schreiben wollen, sondern hegt auch (möglichst anerkennenswerte) kulturelle Absichten; sein »Erfolg« kann an beiden Kriterien gemessen werden, der kulturellen Wirkung und dem ökonomischen Ergebnis. Dass das eine ohne das andere kaum funktionieren kann und dementsprechende Managementstrukturen unter Beachtung rechtlicher Rahmenbedingungen voraussetzt, zeigt exemplarisch der aktuelle Fall des Suhrkamp Verlages. Dabei sind die Interessenlagen der beteiligten privaten Personen (natürliche Personen und juristische) nicht deckungsgleich, sondern unterliegen vielfältigen Konkurrenzen und dem damit verbundenen jeweiligen Wettbewerb. Das kann man am Beispiel des Urheberrechts verdeutlichen. Hier sind drei große Gruppen auszumachen: die Urheber (also insbesondere die Künstler, die ihre Werke persönlichkeitsrechtlich geschützt, aber auch wirtschaftlich belohnt sehen wollen), die Verwerter (also z.B. Galeristen und Verlage, die aus der Verbreitung und Ver6 | Ausführlicher dazu: Peter M. Lynen, Kunstrecht 1, Grundlagen des Kunstrechts, § 3 Die drei Säulen der Kunstförderung und Kunstrecht 2, Schwerpunkte des Kunstgewährleistungsrechts, § 6 Förderung der Kunst und der Künstler durch die öffentliche Hand, Wiesbaden 2013.

Peter M. Lynen: Kunstmarkt, Recht und Compliance — Gestaltungsprinzipien und Grenzen

äußerung von Werken Nutzen ziehen wollen) und die Verbraucher/Kunden (die möglichst ungehinderten und kostengünstigen Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken anstreben). Den diesbezüglichen urheberrechtlichen »Markt« machen alle drei Gruppen und deren Tauschbeziehungen aus. Die Wettbewerbssituationen sind indes unterschiedlich. Schon innerhalb dieser drei Gruppen gibt es Konkurrenzen, Wettbewerb und Interessengegensätze. Künstler und Wissenschaftler z.B. legen sicherlich Wert auf die Verfolgung eigener Urheberpersönlichkeitsrechte, dennoch bilden Plagiat und Epigonentum, also die Verletzung dieser Rechte gegenüber den »Kollegen«, ein auch urheberrechtlich zu untersuchendes Spannungsfeld. Mehr noch bestehen Konfliktsituationen, wenn man die Interessenlagen dieser drei Gruppen und damit verbundene »Machtverhältnisse« (z.B. die zwischen den Urhebern und den Verwertern sowie den Endverbrauchern) miteinander vergleicht. Das Recht muss sich mit damit verbundenen Sachverhalten und Problemen auseinandersetzen und wertende Entscheidungen treffen. Dass dies weder einfach noch abschließend sein kann, sondern einen ständigen Entwicklungsprozess darstellt, zeigen beispielhaft die dauerhaften und aktuellen rechtspolitischen Auseinandersetzungen um das »richtige« Urheberrecht als gesetzlich zu regelnde Materie.7

Der sogenannte dritte Sektor Der dritte Sektor steht insofern »zwischen« den beiden anderen, als es um Aktivitäten der Zivilgesellschaft und Kooperationsbeziehungen geht. Öffentlich- und zivilrechtliche Normen können hier Hand in Hand gehen und sich ergänzen. Beispielhaft kann auf das Recht der öffentlichen und privaten Stiftungen verwiesen werden, das öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Regelungen unterliegt. Die gemeinsame Ausgangslage wird dadurch bestimmt, dass die jeweiligen Akteure ihren Aufgabenbereich und ihre »Mission« selbst definieren, wobei hinsichtlich der gemeinnützigen Unternehmungen das Gewinnstreben regelmäßig in den Hintergrund gerät. Bei Privaten geht es in diesem Sektor ebenfalls um Folgen der Privatautonomie, die man bei personellen Zusammenschlüssen (z.B. kunstfördernden Vereinen) in Statuten und Satzungen als selbstgesetzte Zwecke und Absichten einvernehmlich festzulegen hat. Da es sich im dritten Sektor oft um Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen handelt, an denen auch die öffentliche Hand beteiligt sein kann (z.B. in Form finanzieller Zuwendungen oder institutioneller Beteiligungen), bestehen hier nicht selten Verbindungen zu öffentlichen Aufgabenorientierungen, an die der eine Kooperationspartner gebunden ist und die er zwingend in die jeweilige Kooperationsbeziehung ein7  |  Ausführlicher dazu: Peter M. Lynen, Kunstrecht 3: Schwerpunkte des Kunstwirtschaftsrecht, § 11 Kunsturheberrecht, insbesondere S. 42-45 unter III. Die Schutz- und Gewährleistungsfunktionen im Urheberrecht sowie damit verbundene Interessenkonflikte, Wiesbaden 2013.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

bringt. Der dritte Sektor zeigt sich also als ein Mischbereich zwischen Aufgabenorientierung und Privatautonomie, wobei die jeweilige Aufgabenorientierung weniger als im staatlichen Sektor gesetzlich vorgegeben ist, sondern der konkreten Absprache und Entscheidung der an der Unternehmung Beteiligten bedarf. Dadurch entstehen Bindungswirkungen aufgrund des jeweils von diesen gesetzten – oder wie Max Weber es ausdrücken würde: »gesatzten« (weil auf Satzungen, Statuten und Verträgen beruhenden) – Rechts. Damit gilt der Grundsatz der Privatautonomie zwar auch auf diesem Sektor, wird aber geprägt durch jeweils zu definierende Entscheidungsprozesse und den konkreten Zusammenschluss der beteiligten natürlichen und juristischen Personen.

Kunstrecht Wenn man sich vor diesem Hintergrund um den Begriff des Kunstrechts kümmert oder – noch weitergehender – um das Recht von Kunst und Kultur, hat man es mit einer Fülle von Rechtsgebieten und Interessenlagen zu tun. Diesbezüglich wird die Ausgangslage dadurch gekennzeichnet, dass sich Kunst und Künstler mit den ihnen eigenen Methoden der Wertsetzung, Gestaltung und Wahrheitssuche allen Lebensbereichen widmen.8 Kunst ist nicht lediglich »l’art pour l’art«, sondern beabsichtigt und gestaltet gesellschaftliche und wirtschaftliche Wirkungen. Auf der anderen Seite erfasst das Recht als wichtiger Teil menschlicher Kultur und als Fundament eines geordneten Zusammenlebens ebenfalls alle Lebensbereiche. »Rechtsfreie« Räume sind zu Nischen geworden. Dabei geht das Recht mit einer spezifischen Methodik, Systematik und Ergebnisfindung vor, die von der künstlerischen deutlich geschieden ist und die sich auch nicht automatisch mit den wirtschaftlichen Beziehungen sowie deren Gestaltungsmöglichkeiten und Folgen deckt. Die Schnittmengen zwischen dem künstlerischen und juristischen Ansatz sind demnach groß: Kunstrecht kann potenziell das gesamte Recht umfassen. Als Folge davon kann man kunstrechtliche Untersuchungen finden, die unterschiedliche Kombinationen und Prüfungsgegenstände umfassen. Eine einheitliche Definition von Kunstrecht, an die sich alle Darstellungen unter diesem Titel halten würden, ist nicht festzustellen, wenngleich man Kunstrecht als sich immer stärker formende Disziplin bereits definierend beschreiben und diesbezüglich wichtige Merkmale hervorheben kann. Auch zeichnet sich vorsichtig eine Zunft von Kunstrechtlern ab. Hilfreich ist dabei, sich auf die Doppelnatur von Kunst als Wert und Ware zu beziehen, die auf dem Kunstmarkt – jedenfalls im oben genannten erweiterten Sinne – eine große Rolle spielt. Auch das Recht befasst sich mit beiden Seiten der Medaille. Diesbezüglich kann man zum Kunstmarkt im engeren Sinne des zweiten Sektors durchaus von einem Kunstwirtschaftsrecht sprechen, bei dem der Warencharakter der Kunst im Vordergrund steht, ohne dass 8  |  Ausführlicher dazu Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6), § 1 Kunstrecht als Disziplin, S. 21-63.

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der Wertcharakter künstlerischer Absichten einflusslos bliebe. Man kann auch grob zusammenfassend sagen, dass das zivilrechtliche Kunstwirtschaftsrecht (des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – und des Handelsgesetzbuches – HGB) den Warencharakter von Kunst (als bewegliche Sachen bei Werken der Bildenden Kunst und als nichtkörperliche Werke oder Dienstleistungen in anderen künstlerischen Bereichen, wie etwa der Musik) in den Vordergrund stellt. Eine Arbeit der bildenden Kunst wird als Werk bestellt oder als Sache verkauft, verliehen oder vermietet, dem Eintritt in eine musikalische Veranstaltung (Opernkarte) liegt ein gemischttypischer Vertrag des Zivilrechts zu Grunde und der dort spielende Künstler unternimmt das auf der Basis eines Dienst- oder Arbeitsvertrages mit der ihn beschäftigenden (juristischen oder natürlichen) Person. Das sind alles zivilrechtliche Rechtsbeziehungen, die sich von der außerkünstlerischen Rechtslage dem Grundsatz nach kaum unterscheiden, obwohl kunstrechtliche besondere Erwägungen und Strukturmerkmale im Einzelfall und bei der Lösung konkreter Konflikte eine gewichtige Rolle spielen können. Das Urheberrecht als Teil des Zivilrechts nimmt hier insoweit eine exemplarische Stellung ein, als es sowohl die persönlichkeitsrechtliche Wurzel und damit den Wertcharakter als auch die vermögens- und erwerbsrechtliche Wurzel und damit den Warencharakter künstlerischer Betätigungen aufnimmt und konkret behandelt.9 Hier stehen sich Kunst als Wert und Ware unmittelbar gegenüber, was für das Urhebergesetz und seine Anwendung eine Art von rotem Faden darstellt.

Kunstmarkt und Normierung Der Kunstmarkt in den oben dargestellten drei Sektoren kann in Bezug auf Einzelfragen speziellen Regelungen unterliegen, welche auf kunstbezogene Tatbestände abstellen. Im Allgemeinen gilt aber das marktbezogene allgemeine Recht – insbesondere das private und öffentlich-rechtliche Wirtschaftsrecht –, unter das auch kunst- und kulturbezogene Sachverhalte fallen. Insbesondere gibt es kein Kunstgesetzbuch oder ein umfassendes Gesetz zur Regelung kunstbezogener oder kultureller (tatsächlicher oder vertraglicher) Beziehungen. Dies ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Dennoch ist mindestens auf die folgenden Regelungsbereiche hinzuweisen: Zum ersten Sektor sind bestimmte Normen – auch Gesetze – zur Regelung des Kulturgüterschutzes vorhanden, welche auch auf völkerrechtlichen oder internationalen Vereinbarungen beruhen.10 Darüber hinausgehende Gesetze zur Kulturförderung bestehen in Österreich und der Schweiz und werden in

9  |  Vgl. Lynen, Kunstrecht 3 (Fn. 7), S. 22. 10  |  Vgl. insbesondere das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung (KultSchG) vom 8. Juli 1999, BGBl. III/FNA 224-2.

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deutschen Bundesländern (z.B. NRW) derzeit diskutiert.11 Die Verfassungen des Bundes (das Grundgesetz) und der Länder enthalten Staatszielbestimmungen im Hinblick auf Kunst und Kultur, die entweder ausdrücklich formuliert sind (Länderverfassungen) oder sich im Wege der Auslegung aus der Verfassung herleiten lassen. Auch sind die Grundlagen des Föderalismus und der sog. »Kulturhoheit« der Länder einschließlich der Wichtigkeit der kommunalen Kulturaufgaben im Rahmen der gemeindlichen Selbstverwaltungsrechte (vor allem als Träger von öffentlichen Kulturbetrieben) in diesen Verfassungen verankert. Damit sind die Aufgabenzuweisungen und Gestaltungsräume umrissen. Für bestimmte Bereiche der künstlerischen und kulturellen Entwicklung gibt es spezifische Gesetze und Staatsverträge (z.B. für die öffentlichen Rundfunkanstalten und die Kunsthochschulen).12 In Bezug auf die Künstler als Berufsgruppe sind Vorschriften zur sozialen Absicherung (Künstlersozialversicherung) festzustellen, welche einerseits nicht alle Künstler betreffen, anderseits über Künstler hinausgehen und z.B. freischaffende Publizisten ebenfalls betreffen.13 Ebenso wenig wie ein Kunstgesetzbuch wird es aber ein Künstlergesetzbuch geben. Demzufolge sind auch die Begriffe »Kunst« und »Künstler« rechtlich zwar nicht beliebig, sondern durchaus einzelnen Regelungsbereichen unterworfen, können aber auch nicht einer einzigen allumfassenden rechtlichen Definition unterstellt werden.14 Zum zweiten Sektor ist auf steuerrechtliche Besonderheiten hinzuweisen, welche den Handel mit Kunstwerken in bestimmten Fällen mit Bevorzugungen ausstatten können und sollen (was vor allem den ermäßigten Umsatzsteuersatz für Kunstwerke angeht).15 Besonders wichtig ist das bereits erwähnte Urheberrecht, das nicht nur, aber insbesondere den merkantilen Umgang mit den Rechts11  |  Ausführlicher dazu Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6) § 4 Rechtliche Handlungsformen im Kunstrecht unter IV Kunst- und Kulturförderungsgesetze, S. 193. 12  |  Das Rundfunkrecht beruht auf Staatsverträgen und Ländergesetzen, die sich sowohl auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch auf die privaten Rundfunkanstalten beziehen (s. dazu vor allem die Landesmediengesetze). Das Hochschulrecht beruht (noch) auf dem Hochschulrahmengesetz des Bundes und vor allem auf den Landeshochschulgesetzen. Für die Kunsthochschulen s. exemplarisch das Gesetz über die Kunsthochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Kunsthochschulgesetz – KunstHG NRW) vom 13. März 2008 (GV NRW S. 195). Beide Materien können als »durchnormiert« bezeichnet werden, was sonst im Kunst- und Kulturrecht eher die Ausnahme darstellt. 13  |  Vgl. Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz – KSVG) vom 27. Juli 1981 (BGBl. I S. 705), zuletzt geändert durch Art 7 des Gesetzes vom 22. Dezember 2010, BGBl. I S. 2309. 14 | Ausführlicher dazu Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6), § 2 Kunstfreiheit und Künstlerdefinitionen, S. 65-91 und § 5 Materielles Recht und Verfahrensrecht, Abschnitt III, 4. Der Begriff »Künstler«, S. 216-218. 15  |  Vgl. § 4 UStG zu umsatzsteuerrechtlichen Steuerbefreiungen und § 12 Abs. 2 UStG iVm Anlage 2 zu den Steuerermäßigungen auf 7 %.

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stellungen regelt, welche aus der Urheberschaft von Werken erwachsen. Darüber hinaus findet Kultur häufig in Veranstaltungen statt. Daher ist das Veranstaltungsrecht, das ebenfalls nicht einheitlich geregelt ist, sondern einer Vielzahl von normativen Festlegungen unterliegt (von zivilrechtlichen Verträgen bis zum Recht der »Versammlungsstätten«), für Kunst und Kultur von besonderer Bedeutung.16 Im Übrigen wird im Folgenden auf einige Anwendungsgruppen und Problembereiche des Kunstmarktes aus dem Blickwinkel des Rechts eingegangen. An dieser Stelle ist zu wiederholen, dass es kein umfassendes »Recht des Kunstmarktes« gibt, schon gar nicht im Sinne von Regulierung und Steuerung des Marktgeschehens. Es handelt sich um einen weitgehend »freien« Markt. Da es dabei um Wettbewerb in vielfältigen Formen geht, gelten auch wettbewerbsrechtliche Vorschriften und Bedingungen;17 auch in kunstbezogenen und kulturellen Bereichen kann es »unlauteren« Wettbewerb geben. Im dritten Sektor sind das Stiftungsrecht und darüber hinaus das zivile Gesellschaftsrecht grundlegend. Meist handelt es sich um Kooperationsbeziehungen, so dass die ganze Palette von Kooperationsverträgen nutzbar ist. Allerdings geht es auch hier weniger um kunst- und kulturbezogene Sonderregelungen als um eine Vielfalt allgemein bestehender Möglichkeiten und Alternativen. Wie man sich auf diesem Marktsektor positioniert, hängt zunächst von der Organisationsform und den darin enthaltenen Kooperationsbeziehungen ab. Steuerrechtlich steht hier der Topos der »Gemeinnützigkeit« oft im Vordergrund der Erörterungen. Ansonsten geht es um die gleichen Sach- und Rechtsgebiete, wie sie zum ersten und zweiten Sektor genannt wurden. Deren Relevanz hängt insbesondere von den konkreten Kooperationen und den damit verbundenen Partnern zusammen.

2. Z u den B egrifflichkeiten von R echt und C ompliance Der Begriff »Recht« wird in einem subjektiven und einem objektiven Sinne verwendet. Im subjektiven Sinne als Anspruch ist das Recht gemeint, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (vgl. § 194 BGB). Der allgemeine Sprachgebrauch folgt dem insoweit, als man von »seinem« Recht spricht, das es durchzusetzen gilt. Demgegenüber ist mit Recht im objektiven Sinne die Gesamtheit der Rechtsnormen gemeint, was über Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen hinausgeht und auch das vertraglich begründete Recht umfasst, welches zwischen den Vertragsparteien juristisch relevante Bindungswirkungen entfaltet. 16  |  Ausführlicher dazu Lynen, Kunstrecht 3 (Fn. 7), § 13, Das Recht künstlerischer und kultureller Veranstaltungen, S. 139-158. 17 | Ausführlicher zu den unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs »Wettbewerb« im Kunstrecht und bezogen auf die unterschiedlichen Stakeholder des Kunstmarkts Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6) § 5 Materielles Recht und Verfahrensrecht, III. 3. Wettbewerb S. 212-216.

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Nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch in der juristischen Terminologie werden beide Gegenstandsbereiche parallel mit dem gleichen Begriff »Recht« versehen. Es kommt also auf den jeweiligen Sinnzusammenhang an. Das objektive Recht umfasst damit nicht nur Bereiche, die der Bürger oder Geschäftspartner vorfindet und die es zu kennen und zu interpretieren gilt, sondern auch solche, die konkret gestaltbar und veränderbar sind. Dabei entstehen hinsichtlich des Künstlers und seiner Werke Rechte im subjektiven Sinne bereits durch den tatsächlichen »Schöpfungsakt« (juristisch: »Realakt«) der Entstehung künstlerischer Arbeiten. Zum einen schützt das Verfassungsrecht (die Kunstfreiheit des Art 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz – GG – und das diesbezügliche allgemeine Menschenrecht) das Werk und die Wirkung realisierter Kunst und persönlich deren Schöpfer und Vermittler, zum anderen beruht die Entstehung des Urheberrecht im subjektiven Sinne (jedenfalls nach deutscher und europäischer Rechtsauffassung) auf der tatsächlichen Werkschöpfung und nicht auf daran anschließende oder damit verbundene Registrierungen, Willenserklärungen oder Dokumentationen. Es kommt also nicht auf den ©-Vermerk oder die Signatur an, obwohl solche Manifestationen von großer praktischer Bedeutung und Beweiswirkung sind, wenn es um die Grundfrage geht, ob ein Werk und sein Schöpfer urheberrechtlich geschützt sind.

Bindungswirkung des Rechts Die Bindungswirkung des Rechts im objektiven Sinne besteht bei Gesetzen im Rahmen der jeweiligen Geltungs- und Anwendungsbereiche und bezieht sich insoweit auf die Allgemeinheit (juristisch spricht man von abstrakt-genereller Wirkung), nicht nur auf die an einem konkreten Rechtsgeschäft Beteiligten. Dies ist als vorgegeben zu beachten. Kunstrecht ist indes zu einem großen Maße Vertragsrecht und auch das kunstbezogene Marktgeschehen spielt sich weitgehend mittels übereinstimmender Willenserklärungen, also im Vertragswege ab (hier geht es juristisch um konkret-individuelle Festlegungen zwischen den jeweiligen Vertragsparteien und um diesbezügliche Austauschbeziehungen). Für andere Personen, die weder Vertragsparteien sind, noch durch zusätzliche Rechtsbeziehungen konkret einbezogen und verpflichtet werden, gelten die dort vereinbarten Bindungen nicht unmittelbar. »Verträge zu Lasten Dritter« sind unwirksam (vertraglich verankerte Begünstigungen von Dritten sind u.U. statthaft). Ähnlich verhält es sich mit der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen (Urteilen). Diese wirken grundsätzlich nur »inter partes«, also zwischen den Parteien und binden andere unmittelbar nicht. Eine mittelbare Wirkung kann dadurch entstehen, dass eine maßgebliche oder ständige Rechtsprechung Vorbildfunktionen für andere (Richter) hat. In einem solchen mittelbaren Sinne können auch Musterverträge und bereits getätigte wichtige Geschäfte oder Usancen über den Einzelfall hinausgehende faktische Bedeutungen erlangen. Nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in juristischer Hinsicht kann man Trends setzen und darauf auf bauen.

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Normative Hierarchie Dabei sieht das Rechtssystem eine normative Hierarchie vor, die man als Pyramide kennzeichnen oder darstellen kann. Auf das hiesige Kunstmarktgeschehen bezogen steht an der Spitze das EU-Recht, das sich auf den kulturell-künstlerischen Bereichen zwar noch zurückhält, als wirtschafts- und wettbewerbsbezogenes Gemeinschaftsrecht aber von Beginn an wichtig war. Darunter steht das deutsche Verfassungsrecht des Bundes und der Länder mit kulturellen Staatszielen, die expressis verbis vor allem in einigen Landesverfassungen stehen. Dann folgen die »einfachen« Gesetze vom Bund und den Ländern, welche aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung in gesetzgeberischer Hinsicht von den Parlamenten verabschiedet werden sowie das Verordnungs- und Satzungsrecht der Exekutive und der satzungsberechtigten Körperschaften (auch das Tarifvertragsrecht der diesbezüglichen Tarifparteien) in ihren jeweiligen Geltungsbereichen. Schließlich gilt das selbst von den konkreten Parteien im Einzelfall gesetzte Vertragsrecht. Diese Pyramide bedeutet in grundsätzlicher Hinsicht, dass sich jede Norm am jeweils »höherrangigen« Recht messen lassen muss. Dieser Grundsatz spielt etwa im Arbeitsrecht eine für die Praxis wichtige Rolle. Bei einer individuellen arbeitsvertraglichen Gestaltung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die »zu gering« für den Arbeitnehmer im Hinblick auf das geltende Tarifvertragsrecht oder gesetzliche Regelungen ausfällt (z.B. im Bezug auf einen konkreten Urlaubsanspruch), gilt dann nicht das von den Parteien Vereinbarte, wenn dies gegen eine vorteilhaftere »übergeordnete« Regelung verstoßen würde. Beispielhaft in den Bereichen Bühne und Orchester können solche Grundsätze kunstrechtlich von erheblicher Bedeutung sein. Generell darf ein Vertrag nicht gegen gesetzlich bindende Vorgaben (zwingendes Recht) verstoßen. Die Folge eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz ist indes nicht immer – wie im obigen Beispiel des Urlaubsanspruchs –, dass automatisch das »höherrangige« Recht mit einer besseren Rechtsfolge eintritt. Es kann auch zur Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit der getroffenen Maßnahme mit der Notwendigkeit einer Neuregelung kommen. Beim Vertragsrecht insgesamt bezieht sich diese Aussage auf die wichtige Unterscheidung, dass das übergeordnete, gesetzlich geregelte, Recht sowohl zwingende als auch abdingbare Normen enthalten kann, die es jeweils zu untersuchen gilt. Letzteres (abdingbares Recht) kommt im Zivilrecht systemimmanent (weil man von der Privatautonomie mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit als dem herrschenden Prinzip ausgeht) in großem Umfang vor und kann zudem im öffentlichen Recht (vor allem bei nicht geregelten Sachverhalten, Freiräumen und über Erlaubnisse sowie Genehmigungserteilungen, Ermessensspielräume und Vergleichsmöglichkeiten) statthaft sein. Das zwingende Recht muss beachtet, das abdingbare kann anders und auf den konkreten Fall zugeschnitten gestaltet werden. Den Bürgern und Markteilnehmern stehen daher durchaus rechtssetzende Kompetenzen zu. In einem demokratischen Rechtsstaat gilt dabei der Grundsatz, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich untersagt ist und nicht etwa der

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umgekehrte Satz, dass alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt wird. (Bei der heutigen Normendichte und der politischen Regelungswut gelangen wir allerdings mehr und mehr in eine Epoche, wo fast alles – so oder so als erlaubt oder verboten – geregelt ist.) Als weitere Faustregel kann man darauf abheben, dass der Gesetzgeber dann zwingendes Recht vorsieht, wenn es um Fragen der Rechtssicherheit geht (z.B. bei Formerfordernissen), bestimmte Machtverhältnisse in gewisser Weise eingedämmt werden sollen (z.B. im oben genannten Verhältnis von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern oder von Wohnungseigentümern zu Mietern, man denke auch an Verbote der Sittenwidrigkeit und des Wuchers und speziell im Kunstrecht an Ziele des Kulturgüterschutzes und der urheberrechtlichen Mindeststandards) oder konkrete gesetzgeberische und ordnungspolitische Entscheidungen umgesetzt werden sollen. Letzteres betrifft z.B. verbindliche EU-Richtlinien, die den (deutschen) Gesetzgeber zur Umsetzung verpflichten, was im zweiten Schritt zwingendes Recht nach sich zieht. Bei nicht zwingendem Recht eröffnen sich demnach erhebliche Spielräume der fallbezogenen Rechtsgestaltung, auch und gerade unter wirtschaftlichen und künstlerischen Erwägungen. Hier kann auch aus juristischer Sicht der betriebswirtschaftliche Begriff der compliance als Regeltreue oder Regelkonformität ins Spiel kommen, der gegenwärtig Konjunktur hat, aber nicht immer eindeutig definiert wird.18 Dazu ist es sinnvoll, die obige Sektorendifferenzierung aufzugreifen.

Befolgung und Compliance Wenn man den Begriff compliance auf die Einhaltung des Rechts im objektiven Sinne einschließlich seiner hierarchischen Verhältnisse reduzieren sollte, wäre der Begriff überflüssig. Die deutsche Übersetzung dieses englischen Wortes mit »Befolgung« (einschlägigen und zwingenden Rechts) würde vollkommen reichen. Denn diesbezüglich geht es um die selbstverständlichen und systemimmanenten Ansprüche des Rechts auf seine Beachtung und um das Gewaltmonopol des Staates bezüglich der zwingenden Durchsetzung seiner legitimen und legalen Entscheidungen. Daraus folgt insbesondere, dass Gesetze (im Rahmen ihrer Geltungsbereiche und Anwendbarkeit) zu beachten sind und ihren Geboten nachzukommen ist. Wer das nicht tut, handelt rechtswidrig und setzt sich den damit verbundenen rechtlichen Risiken und Konsequenzen aus. Denn es werden beim zwingenden Recht ebenfalls die Folgen der Nichtbeachtung und Rechtswidrigkeit geregelt, die unterschiedlich sein und etliche Sanktionen enthalten 18  |  So Rolf Stober, in: Compliance und Drei-Sektoren-Lehre. Der Dritte Sektor zwischen Ehrbarem Kaufmann, Verwaltungsethos und Organisationspflichten, in: Hans-Jörg SchmidtTrenz/Rolf Stober (Hrsg.), Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektots 2011/2012 (RÖDS), Baden-Baden 2012, S. 9. Stober geht insbesondere auf die »Drei-Sektoren-Lehre« ein. Dem wird in diesem Beitrag ausdrücklich gefolgt.

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können (Anfechtbarkeit, Nichtigkeit, Schadensersatz, besondere Ansprüche seitens privater Personen oder öffentlicher Instanzen/Behörden sowie staatliche Eingriffsmöglichkeiten und unter Umständen einzelfallbezogen festzusetzende Sanktionen nach dem Strafrecht sowie dem Recht der Ordnungswidrigkeiten). Es kann also unangenehm und teuer werden, wenn man compliance in diesem engeren Sinne als Befolgung negiert oder übersieht. Insoweit ist compliance untrennbarer Bestandteil des Rechts und eröffnet keine zusätzlichen Dimensionen. Es geht nicht um Regeltreue oder Regelkonformität in einem erweiterten Sinne, sondern um juristisch feststellbare rechtliche Bindungen und um Rechtstreue und Rechtmäßigkeit in deren eigentlicher und enger Bedeutung. Man kann den Begriff aber auch auf die oben erwähnten Sektoren und ihre unterschiedlichen Verhältnisse, Methoden und Wirkungsweisen, auf jeweilige Verhaltenscodices, Standesregeln, ethische Standards, kaufmännische Sitten und Gebräuche, Regeln des Geschäftsverkehrs, Usancen, Verkehrssitten, Unternehmensgrundsätze, geschäftsbezogene Richtlinien, »soft law«, die Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und auf »narrative« Normen beziehen.1919 Dann zeigen sich über die reine Befolgung objektiven und zwingenden Rechts hinausgehende Funktionen im Sinne einer compliance-Kultur. Deren rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung hängt vom Sektor, den einzelnen Wirtschaftszweigen und konkreten Geschäftsbeziehungen ab, worauf im Folgenden einzugehen ist.

Compliance im staatlichen Sektor; Ver waltungsethos Im staatlichen Sektor ist zunächst eine besonders enge Bindung an das Recht festzustellen, jedenfalls im idealtypischen Sinne. Staatliche Instanzen sind nicht nur an das Recht im objektiven Sinne gebunden (Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes), sondern bedürfen auch für alle Eingriffe in subjektive Rechte der Bürger sowie für wesentliche Organisationsakte und auch für die meisten von ihnen zu erbringenden Leistungen an die Bürger einer jeweiligen konkreten gesetzlichen Grundlage (Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes). Beides folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip. Das bedeutet, dass das staatliche Handeln der Exekutive vom Gesetzgeber (Parlament) festgelegte gesetzliche Grundlagen voraussetzt. Eine staatliche Instanz, die etwas für Kunst und Kultur tun will, braucht zwar nicht in jedem Falle eine konkrete gesetzliche Ermächtigung dafür, bedarf aber mindestens einer diesbezüglichen allgemeinen – gesetzlich verankerten – Aufgabenzuweisung sowie einer definierten und für sie zutreffenden sachlichen und örtlichen Zuständigkeit. Es handelt sich um die Erfüllung vorbestimmter Aufgaben. Hinzu kommt, wenn es um Ausgaben von Geld geht, die Notwendigkeit der entsprechenden Verankerung eines diesbezüglichen Budgets in einem staatlichen Haushaltsplan. Letzterer weist einen parlamentarischen und gesetzlichen Stellenwert auf (Haus19  |  Ausführlicher dazu Erik Jayme, Narrative Normen im Kunstrecht, Festschrift für Manfred Rehbinder, 2002, S. 539.

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haltsgesetze des Bundes und der Länder, Haushaltssatzungen der Gemeinden). Staatliche Budgetierung ist seit der französischen Revolution ein vornehmes Recht der Parlamente (Budgethoheit) und obliegt nicht ausschließlich der Exekutive (den Regierungen und Verwaltungen), die zunächst auf Vorbereitung, Aufstellung und Vollzug des Budgets verwiesen sind. Die Instanzen, Betriebe und Behörden der Exekutive dürfen heute allerdings auch eigene Mittel erwerben (z.B. Veranstaltungserlöse oder Verkäufe im Kulturbereich) oder einwerben (Fundraising, Sponsoring, Drittmittel) und als Eigenmittel behalten und verwalten. Die kulturell wirksamen Entscheidungen der öffentlichen Hand schweben daher keineswegs in rechtsfreien Räumen. Insoweit bleiben indes große inhaltliche Gestaltungsspielräume – insbesondere kulturpolitischer Art – für die jeweils exekutiv handelnde Institution. Solche Spielräume kann man durch verwaltungsinterne und ggf. ermessensbindende Richtlinien, Verwaltungsvorschriften und Weisungen füllen (z.B. durch Richtlinien bei der Vergabe von Zuwendungen, Stipendien oder Preisen für künstlerische Leistungen oder Förderungen). Letzteres geht in die Richtung von »compliance« (ohne dass man das in der Verwaltungsdiktion so benennt), weil es über die reine Befolgung gesetzlicher Vorgaben hinausgeht und sich weitgehend auf der Ebene der Exekutive mit selbststeuernden und selbst gesetzten Regularien abspielt. Dabei handelt es sich zunächst um »internes« Recht der Exekutive ohne unmittelbare Bindungswirkung für die betroffenen Bürger. Mittelbar entfalten solche der compliance vergleichbare Regeln aber doch externe Wirkungen, weil sie eine Selbstbindung der Verwaltung darstellen und über Ermessensbindungen und den Gleichheitssatz auch das Rechtsverhältnis zu den Nichtangehörigen der Verwaltung maßgeblich beeinflussen können. Die Tätigkeiten und das Verhalten der staatlich Bediensteten sind ebenfalls detailliert durch beamten- und dienstrechtliche Normen sowie durch Regeln des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts einschließlich der Festlegung von Treuepflichten, Weisungsgebundenheiten, Befangenheitsvorschriften und das Haushaltsrecht geregelt. Der Begriff »compliance« ist auch in diesem Bereich (noch) unüblich.20 Dennoch gibt es untergesetzliche und verwaltungsinterne Festlegungen, welche erhebliche Bedeutung im Hinblick auf kulturelle und kunstbezogene öffentliche Unternehmungen zeitigen. Diesbezüglich sind – außer den oben bereits erwähnten Verwaltungsvorschriften sowie fallgruppenbezogenen Erlassen und auf den Einzelfall gerichteten Weisungen im hierarchisch strukturierten Behördensystem – vor allem die neueren Instrumentarien der Leitbildfestlegung öffentlicher Kulturbetriebe (von den Künsten gewidmeten Unternehmungen, wie Museen, Opern, Theatern und Konzerthäusern bis hin zu solchen der Bildung und Erziehung, wie Kunst- und Musikschulen, Universitäten und Kunsthochschulen) und die Methodik hinsichtlich »Kontraktmanagement« sowie Zielvereinbarungen, der Qualitätssicherung und von Richtlinien einer »guten Verwaltung« (»best practice«) einschließlich erhöhter Informations- und 20  |  S. aber Stober (Fn. 18), S. 17ff.

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Transparenzpflichten zusammenfassend zu nennen. Dieses Instrumentarium hat in den letzten Jahrzehnten vor allem als Umstellung des traditionellen Bürokratiemodells auf die Methodik des »New Public Managements« deutlich zugenommen.21 Gerade die öffentlichen Kulturbetriebe sind in solche Prozesse der Entwicklung eigener »Mission-Statements«, externer Zielvereinbarungen mit ihren (staatlichen) Trägern (z.B. Kommunen) sowie interner Zielvereinbarungen mit ihren eigenen Abteilungen und Beschäftigten genauso intensiv einbezogen, wie sie sich den Instrumentarien von Evaluationen, Controlling, leistungsbezogenen Kriterien und Qualitätssicherungen zu widmen haben. Die dieser Methodik zu Grunde liegenden Richtlinien und Vorgaben könnte man unter den Begriff compliance des staatlichen Sektors fassen, weil sie nur zum Teil unmittelbar auf gesetzlichen Grundlagen beruhen und untergesetzlich sind bzw. spezifische Weisungen oder konkrete Vereinbarungen benötigen. Ergänzend dazu ist zweierlei anzufügen: Erstens, dass derartige Instrumentarien herkömmliche gesetzliche Befugnisse von Aufsicht und hierarchischer Weisung ablösen sollten, es also darum ging, Recht und Rechtsanwendung durch Selbststeuerung und Kontraktmanagement teilweise zu ersetzen und dadurch zu effizienteren Ergebnisfindungen zu gelangen. Darüber, ob das gelungen ist oder ob gegenwärtig an vielen Orten nicht stattdessen eine neue Bürokratie mit überhöhtem Aufwand und erheblichen Reibungsverlusten entstanden ist, soll an dieser Stelle nicht befunden werden.22 Es kann immerhin festgestellt werden, dass Stellenbesetzungen innerhalb öffentlicher Kulturbetriebe diesen Managementwandel vom Bürokratiemodell zum New Public Management widerspiegeln. Man legt Wert auf derartige compliance-Qualifikationen, ohne das so zu benennen. Zweitens, dass derartige compliance-Regeln und -Kulturen natürlich im Einklang mit dem geltenden Recht stehen müssen. Die drei »ehernen« Verwaltungsgrundsätze (»das haben wir immer schon so gemacht, das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen«) und die Berufung auf verwaltungsinterne Regeln und Weisungen können auch im Gewand des New Public Managements nur dann stichhaltig sein, wenn sie sich mit dem geltenden Recht in Übereinstimmung befinden. Das ist in der Praxis nicht immer der Fall und führt auch zu Rechtsstreitigkeiten. 21 | Zum Neuen Steuerungsmodell vgl. KGSt-Bericht Nr. 5/1993 und Dietrich Budäus, Public Management, Konzepte und Verfahren zur Modernisierung öffentlicher Verwaltung, 3. Aufl., Berlin 1995. 22 | Vgl. Klaus König, Zur Kritik eines neuen öffentlichen Managements, Speyer 1997; Peter M. Lynen, Öffentliche Verwaltung in der Postmoderne, in: Hanau/Leuze/Löwer/Schiedermair: Wissenschaft im Umbruch, Berlin 2001, S. 251ff.

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Compliance im Sektor der Kultur wirtschaft; der »ehrbare Kaufmann« Dieser Sektor unterliegt einer anderen Ausgangslage. Diese wird durch den Grundsatz der Privatautonomie geprägt. Es geht nicht um staatlich vorgegebene Aufgabenorientierungen und Zuständigkeiten, sondern um selbstgesetzte Ziele und deren Erfüllung. Dabei steht außer der oben erwähnten allgemeinen Bindung an zwingendes Recht die »Ethik des ehrbaren Kaufmanns« im Vordergrund, wenn von compliance die Rede ist. Hier wird in der juristischen Literatur beklagt, dass »sich Theorie und Praxis zu sehr auf das US-amerikanisch dominierte moderne compliance-Konzept« konzentrierten.23 Das deutsche Recht enthält immerhin in § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern – IHKG – den Passus, dass es den Kammern obliegt, »für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken«. Der »ehrbare Kaufmann« ist also durchaus ein rechtlich gebrauchter und fassbarer Terminus, obgleich es sich um einen sogenannten »unbestimmten«, also auslegungsbedürftigen, Rechtsbegriff handelt. Diese gesetzliche Formulierung kann man als allgemeine Aufforderung zur Entwicklung einer complianceKultur und als Leitbildbestimmung werten. Geht man – wie in diesem Beitrag – auf die deutsche und europäische Kultur- und Kreativwirtschaft ein, muss man berücksichtigen, dass sich nicht nur die oben genannten 12 Teilmärkte in ihren Traditionen und ihrem Geschäftsgebaren stark unterscheiden, sondern dass sich auf den einzelnen Teilmärkten auch unterschiedliche Stakeholder versammeln, die teilweise dem Bild des Kaufmanns, sei er ehrbar oder nicht, nicht entsprechen (können). So ist der Künstler selber, um den es ja auf den Kunstmärkten nicht unerheblich geht und gehen sollte, grundsätzlich kein Kaufmann oder Gewerbetreibender, sondern entweder Ausübender eines freien Berufs (»Freiberufler«), der zwar auch Erwerbserzielungsabsichten hat und haben muss (s. etwa die steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung zum Hobbykünstler24) und nicht ausschließlich seiner künstlerischen Berufung folgt, oder er ist Arbeitnehmer, also in unselbständigen Beschäftigungsverhältnissen tätig (was etwa in Bereichen angewandter Kunst oder der Musik, aber auch bezüglich der meisten Lehrtätigkeiten der Fall ist). In beiden einkommensorientierten Ausübungsformen künstlerischer Berufung und Bestimmung handelt es sich nicht um kaufmännisches oder gewerbliches Handeln. Diesbezügliche Standesregeln und das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns sind also auf Künstler nicht anwendbar. Künstler 23  |  So Stober (Fn. 18), S. 12. 24  |  Ausführlicher dazu Lynen, Kunstrecht 2 (Fn. 6), S. 112-114 (zur steuerrechtlichen Bedeutung der selbständigen und nachhaltigen Gewinnerzielungsabsicht von Künstlern) und S. 96-98 (zur künstlersozialversicherungsrechtlichen Bedeutung der Erwerbsmäßigkeit bei selbständiger künstlerischer Tätigkeit).

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beziehen ihr Ethos auch nicht daraus, sondern aus kunstimmanenten Maßstäben und Eigengesetzlichkeiten, aus ihrer Berufung und den von ihnen selbst definierten Positionen in der Gesellschaft, darüber hinaus ggf. aus Traditionen und im Vergleich mit Vorbildern und Leitfiguren sowie im kollegialen Austausch und im daraus folgenden Wettbewerb. Demzufolge sind Verhaltensformen und Images von Künstlern unterschiedlich. Standesregeln im Sinne von compliance für den »ehrbaren Künstler« sind diesbezüglich genauso wenig ersichtlich, wie es in Deutschland heute (anders in der Nazizeit und in der DDR) keine umfassenden Berufskammern oder ähnliche staatliche Vereinigungen für Künstler mit Zwangsmitgliedschaften gibt. Freiwillige private Zusammenschlüsse und Interessenvertretungen, wie z.B. der Berufsverband Bildender Künstler – BBK – sind indes vielfach vorhanden, auch staatlich getragene oder geförderte Unternehmungen, wie Akademien der Künste, die aber nur einen Teil der jeweiligen Künstlergruppen umfassen und keineswegs auf Pflichtmitgliedschaften beruhen. Der oben erwähnte Paragraf des Rechts der Industrie- und Handelskammern ist also hier nicht weiterführend. Es wäre auch schwerlich mit der Kunstfreiheit zu vereinbaren, einen künstlerischen Ehrenkodex mit Bindungswirkungen im Sinne von compliance einzuführen, der über das hinausgeht, was das zwingende Recht ohnehin vorsieht. Selbst im Bezug darauf sind die Gesetze und unbestimmten Rechtsbegriffe im Lichte der Kunstfreiheit anzuwenden, was zu einer Fülle an Rechtsprechung – bis zum Bundesverfassungsgericht – geführt hat und auch zu weiteren Prozessen und fallbezogenen Lösungen führen wird.25 Dies zeigt aktuell die Auseinandersetzung um Jonathan Meese und seinen Hitlergruß.26 Was allgemein straf bar ist, kann dem Künstler oder Wissenschaftler erlaubt sein (vgl. §§ 86 Abs. 3 und 86 a Abs. 3 StGB, wonach die Verwendung verfassungswidriger Propagandamittel, Kennzeichen und Grußformen dann nicht zur Straf barkeit führt, wenn das der Kunst oder der Wissenschaft dient). Der Satz »das tut man nicht« lässt sich für Künstler und die Kunstausübung nicht immer halten. Der Künstler ist – oder fühlt sich – nachgerade dazu aufgerufen, die Grenzen der Konvention zu überschreiten, mindestens ihre Gültigkeit zu testen. Das Verhältnis des Künstlers zum Recht ist ambivalent.27 Selbst dort, wo es 25  |  Dazu viel ausführlicher und sehr grundlegend sowie mit dem aktuellen Stand: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/2, die einzelnen Grundrechte, hier Art 5 Abs. 3 GG, München 2011. 26 | Vgl. Zeitung »Die Welt« vom 11.08.2013 unter dem Stichwort »Kunstfreiheit« Freispruch für Meese im Hitlergruß-Prozeß. Zum Prüfungsschema für solche Fälle vgl. Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6) § 2 Kunstfreiheit und Kunstdefinitionen, V Schranken der Kunstfreiheit S. 81-87. Im vorliegenden Fall musste man nicht unbedingt in diese verfassungsrechtlichen »Höhen« steigen, da das Strafgesetzbuch selber bereits aufgrund der oben im Text genannten Bestimmungen die Lösung ermöglicht. Verwunderlich ist eher, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Anklage erhoben hat. 27 | Vgl. Peter M. Lynen, Das ambivalente Verhältnis des Künstlers zum Recht. Am Bei-

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arbeitsplatzbezogene Standesregeln gibt, wie im Beamtenrecht bei künstlerisch oder wissenschaftlich Lehrenden an staatlichen Hochschulen, sind – spezifische Freiräume gewährende – Sonderbestimmungen festzustellen, die auf der verfassungsrechtlichen Kunst- und Wissenschaftsfreiheit beruhen und deren Eigengesetzlichkeiten Rechnung tragen.28 Auch andere Akteure im Kunstmarktgeschehen sind keine Kaufleute. Das trifft z.B. auf die meisten Kunstsachverständigen zu, die ebenfalls entweder freiberuflich tätig sind oder in unselbständigen Beschäftigungsverhältnissen stehen können; auf diesbezügliche Probleme und Konfliktsituationen ist noch unter 3. zurückzukommen. Dennoch sind auch Künstler und andere Nichtkaufleute an Verhaltensregeln auf dem Kunstmarkt gebunden. Diese bedürfen aber, wenn sie nicht bereits aus Gesetzen folgen, meist der vertraglichen Fundierung und werden mit Mitteln der juristischen Hermeneutik (Auslegungsmethodik) untersucht. Mit der Berufung auf compliance allein wird man hier nicht weit kommen. Dass ein Künstler, der von einem Galeristen – mit einem gewissen Aufwand – auf dem Kunstmarkt vertreten wird, diesen insofern nicht hintergehen sollte, als er Atelierverkäufe hinter dessen Rücken vornimmt und damit dessen Geschäft merklich schädigt (und gleichzeitig an dem Ast sägt, auf dem er selber sitzt), kann man sicher »ethisch« und mit dem Satz begründen: »Das gehört sich nicht«. Eine allgemeine und folgenreiche compliance-Regel kann man aus solchen Sachverhalten aber kaum entnehmen. Das bedarf der vertraglichen Begründung und Bindung zwischen Künstler und Galerist, die zwar auch mündlich statthaft ist, dann aber erheblichen Klarstellungs- und Beweisschwierigkeiten unterliegt. Auch die Folgen einer solchen Vertragsverletzung sollten vertraglich geregelt werden (Schadensersatz, Kündigungsmöglichkeiten, Vertragsstrafen). Derartige Problem- und Fragestellungen bedürfen also der konkreten vertraglichen Beantwortung innerhalb der jeweiligen Geschäftsbeziehungen. Ein weiteres Beispiel dafür liefert das Werkvertragsrecht mit der Fallgruppe, dass ein Auftraggeber (»Besteller«) von einem Künstler (»Unternehmer«) sein – speziell anzufertigendes – Portrait als Werk des Künstlers erhalten will. Der Künstler ist hierbei nach § 631 Abs. 1 BGB zur Herstellung des »versprochenen« Werks verpflichtet. Was der Begriff »versprochen« meint, also »wie« im konkreten Fall das Portrait als das vertraglich festgelegte abzuliefernde Werk auszusehen hat, lässt sich vom Ansatz her nicht mit compliance-Regeln eines »ehrbaren« oder »ordentlichen« Künstlers lösen (denn das bedeutete eine Standardisierung künstlerischer Tätigkeit, welche weder kunstadäquat, noch marktgerecht wäre), spiel von Joseph Beuys, in: Moyländer Diskurse zu Kunst und Wissenschaft, Band 1: Aufbauen – Zerstören, 2007, S. 43-56. 28 | Eine besonders bemerkenswerte Vorschrift enthält insoweit § 2 Abs. 1 Satz 4 KunstHG NRW: »Bei der Auslegung dieses Gesetzes ist auf die besonderen Aufgaben der Kunsthochschulen Rücksicht zu nehmen.« Das enthält ein Gebot der »Kunstfreundlichkeit«.

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sondern bedarf der vertraglichen Konkretisierung im Einzelfall. Liegt eine solche nicht hinreichend vor, gehen im Streitfall die Juristen auf die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zurück, forschen nach dem »wirklichen Willen« der jeweils Erklärenden und nehmen »Rücksicht auf die Verkehrssitte«. Bei letzterer kommt dann doch so etwas wie »compliance« ins Spiel, da sich Verkehrssitte auf die jeweilige Geschäftsart bezieht und man hier auf die Gepflogenheiten des primären Kunstmarktes hinsichtlich solcher Werkverträge abstellen kann. Da nicht nur die Kunst, sondern auch das Leben insoweit »bunt« sind, werden diesbezügliche Ergebnisse indes nicht immer eindeutig sein.29 Es bleibt ein streitanfälliges Restrisiko. Auf einzelne Geschäftsbereiche, Verkehrssitten und Verhaltenskodices kulturwirtschaftlicher Betätigungen wird noch im nächsten Abschnitt unter 3. eingegangen. An dieser Stelle ist als vorläufiges Fazit festzuhalten, dass sich die »compliance-Kultur« des Sektors der Kulturwirtschaft von derjenigen der anderen Sektoren abhebt und auch in sich differenziert ist.

Compliance im dritten Sektor; Ethos der Zivilgesellschaft und ihrer Akteure Bezüglich des dritten Sektors lässt sich im Hinblick darauf, dass er sich »zwischen« den Blöcken der beiden anderen Sektoren befindet und besonders durch deren Kooperationsbeziehungen geprägt wird, feststellen, dass dessen »compliance-Kultur« ebenfalls »zwischen Wirtschafts- und Verwaltungsethos«30 steht, also weder mit der einen noch der anderen Kultur identisch ist, aber Einflüssen aus beiden unterliegt. Wenn sich die öffentliche Hand an Unternehmungen im dritten Sektor beteiligt, was sie sowohl projekt- als auch institutionsbezogen in erheblichem Ausmaß unternimmt, kann sie sich der oben skizzierten staatlichen Bindungen auch dadurch nicht entledigen, dass sie sich auf das Privatrecht und in den dritten Sektor begibt. Die (manchmal angestrebte) »Flucht in das Privatrecht« ist eine begriffliche Wendung, die mindestens schief ist, meist zu falschen Schlussfolgerungen führt und vielfach Rechtsirrtümer in sich birgt: Erstens wird das sog. Verwaltungsprivatrecht dadurch charakterisiert, dass der Staat auch dann an die Grundrechte und rechtsstaatliche Grundsätze gebunden ist, wenn er sich seinen Aufgaben auf privatrechtlichen Wegen widmet, was auch die Zivilgerichte beachten.31 Derartige Bindungen können so weit gehen, dass ein vor allem zuwendungsrechtliches »Besserstellungsverbot« verhindern

29  |  Einen diesbezüglich eindrucksvollen Fall mit divergierenden Urteilen in der 1. und 2. Instanz schildert Johann Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys, Fall 10: Die Nachtwächter vom Hemshof, München 1995, S. 145-159. 30  |  So die Überschrift des Abschnittes 4 bei Stober (Fn. 18), S. 23. 31  |  Vgl. BGH, NJW 2003, 1658.

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kann,32 dass höhere Gehälter/Honorare in weiterhin von der öffentlichen Hand getragenen und finanzierten, aber nun privatrechtlich organisierten Institutionen an die dort Bediensteten (im Vergleich zu »normalen« staatlichen Bediensteten) gezahlt werden. Abgesehen davon bleiben tarifvertragliche Bindungen bestehen. Die Umwandlung einer kulturellen Einrichtung in eine privatrechtliche Form bedeutet insgesamt mitnichten, dass man nun von allen bisherigen und insbesondere den öffentlich-rechtlichen Bindungen frei ist. Auch werden Parlamente und Behörden (z.B. auf der gemeindlichen Ebene) anstreben, ihre Einflüsse (z.B. im Wege von Aufsichtsräten und Weisungsbefugnissen) auf den jeweiligen Kulturbetrieb – wenigstens in modifizierter Form – zu erhalten. Im Einzelfall ist zu untersuchen, welche Rechtsform mit welcher Ausgestaltung den Zielen und der Aufgabenerfüllung der konkreten kulturellen Einrichtung am Nächsten kommt. Diese Differenzierung wird in der kulturpolitischen Diskussion nicht selten zu wenig beachtet. Zweitens und über das eben Gesagte noch hinausgehend gilt bei der Ausgabe staatlicher Mittel (Geld) im Wege der Zuwendungen an private Dritte, dass das öffentlich-rechtliche Haushaltsrecht verlangt, dass dies nur geschehen darf, wenn der Staat »an der Erfüllung durch solche Stellen« (gemeint sind die extern durch die Zuwendung begünstigten Privaten) »ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendung nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann« (§ 23 Landeshaushaltsordnung NRW und gleichlautend die Haushaltsgesetze des Bundes und der anderen Länder). Man muss in der Praxis also in jedem Fall feststellen können, dass das kulturelle Interesse des Geförderten sich mit einem festzustellenden öffentlichen Interesse deckt, also – mindestens »auch« – gemeinwohlbezogen darstellbar sein muss und nicht ausschließlich im Interesse des Privaten stehen darf. Drittens ist exemplarisch in § 45 Abs. 1 Nr. 1 des WDR-Gesetzes bei Beteiligungen des Westdeutschen Rundfunks (als einer öffentlich-rechtlichen und rechtsfähigen kulturbezogenen Anstalt) an anderen – externen – Unternehmen eindeutig geregelt, dass solche Beteiligungen nur dann statthaft sind, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit den gesetzlichen Aufgaben des WDR stehen. Abs. 2 Satz 1 dieser Bestimmung erweitert das organisatorisch und machtbezogen dadurch, dass sich der WDR in geeigneter Weise den nötigen Einfluss auf die Geschäftsleitung des Unternehmens, insbesondere eine angemessene Vertretung im Aufsichtsgremium, zu sichern hat. Diesbezüglich geht es also nicht nur abstrakt um das staatliche Interesse, sondern auch um konkrete Durchsetzungsmöglichkeiten mittels organisatorischer Instrumentarien und der Verankerung einflussbezogener Zuständigkeiten. Derartige Prinzipien lassen sich durchaus

32  |  Vgl. § 44 der Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder sowie dazu ergangene Verwaltungsvorschriften.

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auf andere Kulturbetriebe – im Sinne von compliance – übertragen (das Kunsthochschulrecht sieht z.B. ähnliche Bestimmungen vor33). Das unterstreicht, dass die besondere Aufgabengebundenheit und Rechtstreue des öffentlichen Sektors durchschlagen muss, auch wenn man sich auf den dritten Sektor und dessen Gestaltungsräume begibt. Da Kooperation bis zur P.P.P. (Public-Private-Partnership) im Hinblick auf Kulturbetriebe gegenwärtig im Trend liegen, ist die Beachtung und Ausfüllung der hier kurz umrissenen Grundsätze aus staatlicher Sicht von großer praktischer Bedeutung. Auf der anderen Seite werden private Personen und privatrechtliche Unternehmungen ihre eigenen Managementkonzepte und damit verbundene complianceRegeln gleichermaßen einbringen, wenn sie sich im dritten Sektor betätigen. Ein Sammler, der mit einem öffentlichen Museum eine Kooperationsbeziehung als Mäzen eingeht, ein Unternehmen, das Sponsoringleistungen im Kulturbereich erbringt, und ein Kunstverein, in dem sich unterschiedliche Mitglieder zur Förderung bestimmter Zwecke ehrenamtlich und bürgerschaftlich zusammenfinden, legen ihrer Tätigkeit die eigenen wirtschaftlichen, kulturellen und ethischen Standards zu Grunde. Insofern werden hier gesellschaftliche Gepflogenheiten des jeweiligen Bereichs – vom Ethos der zivilgesellschaftlichen Ehrenamtlichkeit bis zu den Leitbildern des »ehrbaren Kaufmanns« oder des »Mäzens« – durchschlagen. Dies kann einzelfallbezogen formuliert werden, aber auch seinen Ausdruck in Satzungen u. ä. Statuten finden. Da sich die Vorstellungswelten der Stakeholder im dritten Sektor nicht automatisch decken, kann es zu Konflikten bei derartig unterschiedlichen professionellen Ansätzen kommen. Diesen zu begegnen, erfordert einerseits die Erkundung der gegenseitigen Interessenlage. Anderseits kann man zu gegenstands- oder fallgruppenbezogenen compliance-Regeln kommen. Vertragliche Festlegungen der Geschäftsgrundlage und die Entwicklung von Leitbildern oder MissionStatements, getroffene Zielvereinbarungen und das Instrument der »narrativen Normen«34 können hilfreich sein. Unter narrativen Normen versteht man nach Jayme Rechtstexte, die sich als unverbindlich bezeichnen, aber trotzdem in der Praxis befolgt werden. Ihre Inhalte liegen unterhalb der Schwelle von einklagbaren subjektiven Rechten, können aber dennoch verhaltenssteuernde Wirkungen entfalten. Heute schon stellen sich z.B. die Zielvereinbarungen insoweit als Fundgrube »narrativer Normen« dar, als sie zwar nicht so sehr einklagbare Rechte (im subjektiven Sinne) begründen (meist geht es um Absichtsbekundungen und gemeinsame Ziele), aber als faktisch beachtenswerte Richtlinien des Handelns (auf Zeit) von den Vertragsparteien verstanden und auch so behandelt werden.35 Damit erweitert auch hier compliance das objektive Recht und dessen Befolgung. 33  |  Vgl. § 5 Abs. 3 KunstHG NRW zu den Bedingungen bezüglich der Errichtung oder Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen (als unternehmerische Hochschultätigkeit). 34  |  S. Fn. 19. 35  |  Genauer dazu Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6), S. 51-53.

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Selbstverständlich gilt auch in solchen Fällen, dass das höherrangige Recht bindend ist und nicht durch compliance-Regeln dagegen verstoßen werden darf. Dies ist ein Grundsatz, den Verfasser solcher Regeln (Gremien oder Einzelpersonen) nicht immer hinreichend im Blick haben. Man kann durch compliance »ergänzende« Verhaltensregeln in einem weichen Sinne als »soft law« schaffen, nicht aber die zwingende objektive Rechtslage verändern oder in Rechte im subjektiven Sinne ohne Zustimmung der jeweils Betroffenen eingreifen. Vorteilhaft ist insbesondere, dass man sich im Rahmen einer compliance-Kultur fallbezogener, verständlicher und für die Betroffenen einsichtiger ausdrücken kann, als das im herkömmlichen juristischen Rahmen oft der Fall ist.

3. Z u einzelnen G eschäf ts - und P roblemfeldern kulturwirtschaf tlicher B e tätigungen An dieser Stelle kann keine alle Fallgruppen und -gestaltungen umfassende Darstellung gegeben werden. Es soll um exemplarisch wichtige Bereiche gehen.

Guter Glaube Im Zivilrecht und im nationalen sowie internationalen Kunsthandel kommt es nicht selten auf den guten Glauben an.36 Der Begriff hat zunächst eine gesetzliche Komponente, die nationalstaatlich geregelt ist – und demnach je nach der einschlägigen Regelung – dem guten Glauben unterschiedliche Wirkungen zukommen lässt. Nach deutschem Recht kann man vom Nichtberechtigten (vom Nichteigentümer zu Lasten des wahren Eigentümers) dann Eigentum an einer beweglichen Sache (z.B. einem Werk der bildenden Kunst) erwerben, wenn man dabei guten Glaubens bezüglich der Rechtsstellung des Veräußerers war, ihn also irrtümlich für den Eigentümer hielt. Eine weitere notwendige Voraussetzung besteht darin, dass die Sache dem wahren Eigentümer nicht unfreiwillig abhanden gekommen (d.h. insbesondere gestohlen oder geraubt) wurde (§§ 932, 935 BGB). Wird die Sache im Wege öffentlicher Versteigerungen veräußert, ist sogar gutgläubiger Erwerb an gestohlenem oder verloren gegangenem Gut möglich (§ 935 Abs. 2 BGB). Daraus sollte man mindestens drei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens kommt es auf die Prüfung des jeweils geltenden nationalen Rechts an. Im internationalen Kunsthandel gelangt indes auch für Deutsche ausländisches Recht in mögliche Geltungen, so dass man zuerst prüfen muss, welches Recht

36  |  Eingehend dazu Michael Anton, Zivilrecht – Guter Glaube im Internationalen Kunsthandel, Berlin, New York 2010.

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überhaupt anwendbar ist. Dies richtet sich nach den Regeln des Internationalen Privatrechts (IPR) einschließlich dort ggf. möglicher Vereinbarungen.37 Zweitens können compliance-Regeln in die jeweilige konkrete Falllösung einfließen. Die (deutsche) gesetzliche Definition von gutem Glauben besagt, dass einem nicht bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt sein darf, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört (§ 932 Abs. 2 BGB). Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Hier geht es bei der »groben« Fahrlässigkeit vor allem um die Frage, wie weit Provenienzforschung im professionellen Kunsthandel als zu beachtender Minimalstandard zu gehen hat. Was in diesem Geschäftsverkehr unbedingt erforderlich ist und gegen welche Ermittlungsmaßstäbe man keinesfalls verstoßen darf, bestimmt sich nach den diesbezüglich eingebürgerten Gepflogenheiten. An einen Kunsthändler oder ein Museum sind demnach u.U. höhere Anforderungen zu stellen als an einen Privatkäufer. Letzterer ist nicht an Standesregeln der Provenienzforschung gebunden, sondern nur an sein allgemeines Erkenntnisvermögen (gesunder Menschenverstand). Insoweit kann man den Begriff des »ehrbaren Kaufmanns« konkretisieren in Richtung eines »sorgfältigen Kunsthändlers« oder eines »professionellen Kurators« und auf dementsprechende Untersuchungs- und Sorgfaltsstandards eingehen.38 Drittens kann man auch hier zwischen dem Primär- und dem Sekundärmarkt unterscheiden. Das (deutsche) Gesetz schützt den (wahren) Eigentümer, wenn die Sache unfreiwillig aus seinem Besitz (seiner tatsächlichen Sachherrschaft) gelangt ist. Der Schutz wird geringer, wenn er sie freiwillig – etwa im Wege der Leihe, Miete oder Verwahrung – einem anderen tatsächlich übergeben hat. Im letzten Fall kann er sein Eigentum bei gutem Glauben des Erwerbers verlieren. Dieser Schutz des Eigentümers, dem die Sache unfreiwillig abhanden gekommen ist, fließt aus dem Prinzip der Gerechtigkeit, denn die Sache »gehörte« schließlich auch nach außen erkennbar zu ihm, bis er die tatsächliche Sachherrschaft ohne oder gegen seinen Willen verloren hat. Das (deutsche) Gesetz lässt aber in gewissen Ausnahmefällen Prinzipien der Rechtssicherheit und der Verbindlichkeit von Handelsgeschäften dennoch den Vorzug, nämlich zum einen, wenn die 37  |  Zu einem Überblick über das Internationale Privatrecht im Bezug auf Kunst vgl. Lynen, Kunstrecht 3 (Fn. 7), § 15, S. 187-206. 38 | Vgl. Friederike Gräfin von Brühl, Sorgfaltsstandards im Kunsthandel, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, Vortrag vom 10. 05. 2011, in: www.artnet.de. Sehr informativ sind die in der Schweiz vom Bundesamt für Kultur BAK 2008 herausgegebenen »neuen Regeln im Kunsthandel«, www.bak.admin.ch. Zu den Sorgfaltspflichten im Kunsthandel werden auch Seminare u.ä. abgehalten, vgl. www.ncc-culturconcept.de. Zu Compliance und Kunsthandel siehe auch Andrea Rascher »Lappi tue d’Augen uf«, Geldwäsche auf dem Kunstmarkt, in: ZRFC, Zeitschrift Risk, Fraud & Compliance, 2011, S. 11-15.

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Sache nicht abhanden gekommen ist, und zum anderen, wenn sie – obwohl abhanden gekommen – öffentlich versteigert wird. Dies wiederum stellt öffentliche Versteigerer auf dem sekundären Kunstmarkt in eine besondere Verantwortung der Provenienzforschung, worauf am Ende dieses Abschnitts noch einmal einzugehen sein wird. Wenn man bedenkt, dass solche Fälle des Erwerbs vom Nichtberechtigten nicht nur einzelfallbezogen auftreten, sondern besonders dramatisch die Phänomene sog. »Raub- und Beutekunst« und die Geschehnisse in der Nazizeit, des 2. Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit betreffen, kann die Provenienzforschung damit in besondere und schwierige historische und ethische Fragestellungen münden. Diesbezüglich sind einschlägige Datenbanken und Register sehr hilfreich.39 Das geht soweit, dass auch langjährige Entwicklungen zu überprüfen sind und man (z.B. öffentliche deutsche Museen bei jetzt erst feststellbarer nationalsozialistischer »Raubkunst«) sich nicht in jedem Falle auf die allgemeine 30-jährige Verjährungsfrist beruft bzw. berufen darf, weil sich das nicht gehört.40

Kulturgüterschutz In diesem Zusammenhang steht, dass sich auch aus dem öffentlichen Recht besondere und verbindliche Maßstäbe herleiten lassen können, womit hier exemplarisch das Recht des Kulturgüterschutzes hervorzuheben ist. Dies betrifft vor allem »alte« Kunst, historisch wertvolle Güter und den Antiquitätenhandel. Diesbezüglich kann internationales Recht (Völker- und Europarecht, vor allem in Form von Richtlinien sowie internationalen Verträgen und Konventionen) und nationales öffentliches Recht in die Vertragsfreiheit der zivilrechtlichen Parteien eingreifen und diese begrenzen. Insbesondere stellt § 18 Kulturgüterschutzgesetz, der auf der Umsetzung einer Unesco-Konvention beruht, spezielle Aufzeichnungspflichten für den deutschen Kunst- und Antiquitätenhandel sowie das Versteigerungsgewerbe auf. Diese Regeln sind vom Handel zwiespältig aufgenommen worden, da sie einen deutlichen Handlungs- und Gebotsrahmen einschließlich eines damit verbundenen erheblichen Dokumentations- und Verwaltungsaufwandes enthalten. Zudem können strafrechtliche Normen einschlägig sein und dementsprechende – auch bis zum Freiheitsentzug einschneidende – Sanktionen enthalten. Herkömmlich sind die Tatbestände der vorsätzlichen Sachbeschädigung, des Diebstahls, der Hehlerei, des Betrugs und der Urkundenfälschung. Aber auch 39  |  Vgl. Michael M. Franz, Beutekunst und www.lostart.de – Praktische Aspekte der Koordinierungsstelle für Kulturgüterverluste, in: Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, Magdeburg 2007, S. 47ff. 40  |  Vgl. Dirk Looschelders, der zivilrechtliche Herausgabeanspruch des Eigentümers auf Rückgabe von abhanden gekommenen Kulturgütern nach deutschem Recht, in: Im Labyrinth des Rechts (Fn. 39), S. 103ff.

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die neuen Verschärfungen des Geldwäschegesetzes von 2012 betreffen nicht nur die Finanzwelt, sondern auch den Handel mit »realen« Gütern, einschließlich des Kunst- und Antiquitätenhandels. Nach dessen § 2 Abs. 1 Nr. 13 werden Personen, »die gewerblich mit Gütern handeln«, also auch der Kunst- und Antiquitätenhandel, ausdrücklich in die Anwendbarkeit dieser Normen einbezogen. Im Strafgesetzbuch taucht in diesem Zusammenhang in § 261 auf, dass man sich straf bar macht, wenn man »leichtfertig« nicht erkennt, dass es sich bei einer Sache um Ware handelt, die aus einer rechtswidrigen Tat stammt. Das entspricht weitgehend der oben erwähnten groben Fahrlässigkeit. Denn »leichtfertig« handelt derjenige, der etwas unbeachtet lässt, was jedem einleuchten muss.41 »Jeder« wäre in Fällen professioneller Kunsthändler auf diese Gruppe zu beziehen, nicht auf den ggf. unbedarften Bürger. Auch an dieser Stelle können compliance-Regeln Sorgfaltspflichten konkretisieren und sich daraus deren eindeutige Verletzung nach dem Satz »das tut (oder unterlässt!) man nicht« herleiten lassen.

Ethische Standards Hinsichtlich der Arbeit in Museen bestehen ethische Richtlinien und Standards, die vom Internationalen Museumsrat ICOM (International Council of Museums) herausgegeben worden sind und auf früheren ICOM Codes of Professional Ethics beruhen. Darauf weist der deutsche Museumsbund ausdrücklich hin.42 Es ist auch zu berücksichtigen, dass der nationale und internationale »Leihverkehr« mit Kunstwerken längst über den Begriff »Leihe« im Rechtssinne hinausgeht, obwohl dieser Begriff in der musealen Praxis immer noch gebraucht wird. In Wirklichkeit handelt es sich oft um komplexe Kooperationsbeziehungen, die gegenseitige Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien begründen.43 Musterverträge sind vorhanden.44 Es ist angezeigt, dass den Akteuren deutlicher klar wäre, dass zwischen der Leihe und der Schenkung als nur einseitig verpflichtenden Verträgen einerseits und »synallagmatischen« Verträgen auf Gegenseitigkeit anderseits, in denen Austauschbeziehungen und ein »do ut des« (ich gebe, damit Du gibst) charakteristisch sind, ein grundsätzlicher und wesentlicher Unterschied besteht. Früheres Mäzenatentum, in dem man etwas gab, ohne eine unmittelbare Gegenleistung (außer Ehre, Anerkennung und ähnlichen Unwägbarkeiten) zu erwarten, wandelt sich heute nicht stets, aber oft um in wirtschaftliches und geschäftliches Handeln, auch wenn nach wie vor kulturelle und künstlerische 41  |  BGHSt 33, 67. 42  |  Herausgegeben von ICOM Schweiz, ICOM Deutschland und ICOM Österreich, 2010. 43  |  Vgl. Fischer (Fn. 5). 44  |  Exemplarisch soll der Mustervertrag der Bundeskunsthalle genannt werden, der dem Beitrag von Susanne Wichert-Meissner »Der temporäre Leihvertrag über Kulturgut aus dem Ausland« in: »Im Labyrinth des Rechts (Fn. 39), S. 295ff beigefügt ist. Zum Thema s. zusätzlich Fn. 5 und Isabel Kühl, Der internationale Leihvertrag der Museen, 2004.

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Intentionen gewollt sind. Es geht um kunstmarktbezogene Geschäfte. Der Mäzen legt seine Persönlichkeit als Geschäftsmann oder Politiker nicht beim Eintritt in eine kulturelle Unternehmung an der Garderobe ab. Beim Sponsoring ist längst anerkannt und nicht zuletzt steuerrechtlich vollzogen,45 dass es um einen Vertrag auf Gegenseitigkeit geht, der sich deutlich – auch rechtlich – vom Spendenwesen und »Geschenken« abhebt. Bei Kooperationsverträgen – z.B. zwischen Sammlern und Museen – ist das noch nicht überall erkannt.46 Insoweit kann die compliance-Kultur noch ausgebaut werden. Mit diesen Aktivitäten hängen das Ausstellungswesen und die kuratorische Arbeit in Kulturbetrieben in allen drei Sektoren zusammen. Diesbezügliche professionelle Ansätze lassen sich in die folgenden drei Kategorien einteilen, bei unterschiedlichen Schwerpunkten je nach Art der Sektoren, der Ausstellungen und der damit verbundenen Interessenlagen: erstens wirtschaftlich im Hinblick auf Kunst als Ware, zweitens gesellschaftlich und kulturpolitisch im Hinblick auf Kunst als Wert und drittens wissenschaftlich im Hinblick auf Kunst als Untersuchungsgegenstand. Dabei spielen konservatorische und werterhaltende Bemühungen ebenso eine Rolle wie organisatorisch-administrative. Das eine bezieht sich auf das Kunstwerk als körperlichen Gegenstand, das andere auf das Werk als Ausstellungs- und Präsentationsobjekt. Bei letzterem ergeben sich urheberrechtliche Fragen und besondere – die verschiedenen Formen der Präsentation und Publikation betreffende – Anforderungen. Außerdem gibt es eine Verantwortung des Veranstalters nach außen gegenüber dem Publikum sowie nach innen gegenüber den Künstlern, Mitarbeitern und Partnern. Schließlich bestehen in jedem Fall wichtige Finanzierungsfragen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite. Art und Umfang diesbezüglicher compliance-Regeln richten sich zum einen nach diesen Kategorien und Kriterien, zum anderen nach den oben behandelten drei Sektoren und demjenigen Sektor, in dem das Projekt stattfindet.

Macht und Sorgfalt von Kunstsachverständigen In letzter Zeit standen – aus konkreten Anlässen, aber auch generell zu Recht – das Sachverständigenwesen und diesbezügliche Sorgfaltspflichten im Mittelpunkt von Diskussionen und rechtlichen Erörterungen, die als noch nicht abgeschlossen gelten können. Zum einen geht es um die wirtschaftliche Macht einiger Gutachter und deren Erkenntnisse, auch deren »Nicht-Erkenntnisse«, wenn kein 45 | S. den sog. Sponsoringerlass des Bundesfinanzministeriums, BMF v. 18.2.1998, BStBl I 1998, S. 212. Der Erlass ist im Internet unter dem Stichwort Sponsoringerlass im vollem Wortlaut abrufbar. 46  |  Eine Überblick über die verschiedenen Kooperationsformen vom Mäzenatentum über Fundraising, Sponsoring, Zuwendungen und Kooperationsverträgen bis zu Stiftungen und P.P.P. findet sich bei Lynen, Kunstrecht 1 (Fn. 6) § 3 Die drei Säulen der Kunstförderung unter VI, S. 114-135.

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Gutachten eines der diesbezüglichen »Päpste« zu erhalten ist (dann verliert das jeweilige Kunstwerk deutlich bis dramatisch an materiellem Wert). Zum anderen um die Frage, welche Prüfungsmethoden mit welchem Prüfungsgegenstand und dem daraus folgenden Untersuchungsumfang und seinen Sorgfaltspflichten zu gelten haben. Beim ersten Problemkreis steht die mögliche Monopolstellung von Sachverständigen im Mittelpunkt auch der gegenwärtigen juristischen Erörterungen. Hier wird die Meinung vertreten, dass solchen Kunstexpertisen als Machtfaktor47 eine Bedeutung zukommen kann, die als marktbeherrschende Stellung zu betrachten ist. Diesem Umstand und vor allem daraus folgenden möglichen Missbrauchsgefahren müsse das Recht – insofern vor allem das Wettbewerbsrecht – mit dementsprechenden Folgen bis zum Kontrahierungszwang, der in diesem Ausnahmefall den Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränkt, Rechnung tragen.48 Beim zweiten Problemkreis geht es darum, dass derartige (Kunst-)Sachverständige gleichzeitig Stakeholder in mehrerlei Hinsicht sein können: Erstens können sie wissenschaftlich-begutachtend im konkreten Einzelfall der fachlichen Expertise tätig sein und ihren Kenntnisreichtum ebenso gezielt wie folgenreich einbringen. Zweitens sind sie über den Einzelfall hinausgehend als anerkannte Kunstkenner, Kunstwissenschaftler, Autoren und Publizisten mit vielseitigen Untersuchungen und Veröffentlichungen in Forschung und Lehre (z.B. in Form von Werkverzeichnissen) befasst und üben diesbezüglich nicht unerhebliche meinungsbildende sowie marktbeeinflussende Funktionen aus. Drittens treten sie in Beschäftigungen als Kuratoren und als »Ausstellungsmacher« auf, welche Kunstwerke oder Künstler präsentieren bzw. als Museumsleiter oder Museumsangehörige in bestimmten Zusammenhängen an die Öffentlichkeit bringen und damit den »Wert« dieser Werke oder Künstler (im doppelten Sinne der kulturellen wie merkantilen Wertschätzung) zu beeinflussen in der Lage sind. Viertens sammeln sie u.U. selber, erwerben Eigentum und/oder Besitz an Kunstwerken und sind als Marktteilnehmer an Käufen und Verkäufen von Kunst nicht nur mittelbar beteiligt, wodurch sie vom Marktgeschehen profitieren können. Diesbezüglich können auch Gutachterhonorare an Versteigerungserlöse unmittelbar prozentual gekoppelt sein und weit über dem liegen, was ein Gutachter

47  |  Vgl. Friederike Gräfin von Brühl, Kunstexpertisen als Machtfaktor – die Position des Außenstehenden, in: Weller/Kemle/Lynen (Hrsg.), Kulturgüterschutz – Künstlerschutz, Tagungsband des 2. Heidelberger Kunstrechtstags, Baden-Baden 2009, S. 179ff. 48  |  Gräfin von Brühl (Fn. 47) S. 193 und: Machtmarkt von Kunstexperten als Rechtsproblem: der Anspruch auf Erteilung einer Expertise und auf Aufnahme in ein Werkverzeichnis, Köln 2008.

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als Bearbeitungshonorar für seine Untersuchung üblicherweise verlangen könnte. Dass derartiges Multitasking einiger weniger Personen zu Interessenkonflikten führen kann, wird nicht nur dann deutlich, wenn fehlerhafte Gutachten auftreten, sondern sollte generell auf der Hand liegen. Man kann schwerlich selbständiger, »neutraler« und außen stehender Gutachter und zugleich interessengeleiteter Marktteilnehmer und Akteur des Marktgeschehens sein. Diesbezüglich gibt es im allgemeinen Verwaltungsrecht Befangenheitsregeln für diejenigen, welche (einschließlich naher Verwandter) unmittelbar an einer Entscheidung profitieren können.49 Derartige Regeln sind aber zivilrechtlich nicht unmittelbar anwendbar. Demnach sollte dieses Problemfeld einen Fall für angemessene compliance-Regeln im Sachverständigenwesen bilden. Das sollte unmittelbare Folgen für die Ausgestaltung, Anwendung und Auslegung konkreter Gutachterverträge zeitigen, welche insoweit (meist) eine entgeltliche Geschäftsbesorgung darstellen.50 Hier scheint akuter Regelungsbedarf zu bestehen. Diesen könnte der Gesetzgeber stillen. Besser wäre allerdings eine selbstregulierende compliance-Kultur. Ob diese zu Stande kommt, ist derzeit als offene Frage zu sehen.

Das Geflecht der Stakeholder Der letztgenannte Bereich des Sachverständigenwesens zeigt erneut, dass man es nicht nur mit jeweils zwei Parteien zu tun hat, die in rechtlichen Beziehungen miteinander stehen, sondern oft mit einem Geflecht an Stakeholdern, die aufeinander angewiesen sind und deren Tätigkeiten sich gegenseitig beeinflussen. Der »Markt« bildet ein Kommunikations- und Beziehungsgeflecht. Das beginnt bereits beim juristischen »Dreiecksverhältnis« zwischen den folgenden drei Parteien auf dem künstlerischen Primärmarkt: Künstler (Urheber) – Galerist (Vermittler) – Kunde (Käufer). Hier bieten sich verschiedene rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten an.51 Die häufigste und wichtigste Variante ist die des Kommissionsgeschäftes, d.h. der Künstler bleibt zwar bis zum vollzogenen Verkauf Eigentümer der von ihm geschaffenen Werke, der Galerist nimmt diese aber in Kommission und verkauft sie in eigenem Namen an den Kunden. Diesbezügliche Regeln finden sich in §§ 383 ff HGB, woraus ersichtlich wird, dass es sich um Handelsgeschäfte handelt (§ 343 HGB). Für den beteiligten Galeristen gelten damit die Gewohnheiten und Gebräuche des kaufmännischen Handelsverkehrs. Wir sind also wieder beim »ehrbaren Kaufmann« und die Beziehungen zwischen Künstler 49 | Vgl. §§ 20, 21 VerwVerfGNW und gleichbedeutende Vorschriften für den Bund und die anderen Länder. 50  |  Vgl. § 675 BGB. 51 | Zum Galerievertrag vgl. Lynen Kunstrecht 3 (Fn. 7) § 12 Wichtige Fallgruppen zum Kunstvertragsrecht, II Der Galerievertrag, S. 84-95 und III Der Ausstellungsvertrag, S. 95-97.

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und Galerist auf der einen und zwischen Galerist und Kunde auf der anderen Seite sind nicht nur kulturell-künstlerisch geprägt und beruhen nicht lediglich auf persönlichen Vertrauensverhältnissen, sondern zeitigen auch wichtige kaufmännisch-professionelle Züge. »Beim Geld hört die Freundschaft auf« sagt der Volksmund nicht zu Unrecht. Derartige professionelle Vertragsbeziehungen mit der Funktion von Dauerschuldverhältnissen schließen postvertragliche Pflichten mit ein, die sich einerseits auf Auskunft- und Mitwirkungspflichten, anderseits auf Vertraulichkeiten und Betriebsgeheimnisse, jedenfalls auf eine – weiterhin bestehende – Sorgfalt im Umgang miteinander beziehen.

Das Zusammenspiel von Zivilrecht und öffentlichem Recht Auf dem künstlerischen Sekundärmarkt mit dem Auktionswesen zeigen sich im Hinblick auf Rechtsgebundenheit und compliance besondere Kombinationen zwischen dem Zivilrecht und dem öffentlichen Recht. In der juristischen Zunft gibt es zwar den »Einheitsjuristen« (nach wie vor) als Ausbildungsziel, in der beruflichen Praxis (auch der Wissenschaft) ist hingegen die Trennung in Einzeldisziplinen vorherrschend. Speziell im Kunstrecht lässt sich indes eine Fülle von Verbindungen zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Regeln feststellen. Auf dem sekundären Kunstmarkt (wie bereits vorher auf dem primären Kunstmarkt) geht es meist um drei Parteien und deren Vertragsbeziehungen. Dies sind bei Auktionen: der Einlieferer (bisheriger Eigentümer und Veräußerer), der Auktionator (das Auktionshaus als Vermittler) und der Ersteigerer (neuer Eigentümer und Erwerber). Hier sind ebenfalls wie im primären Kunstmarkt bei den Galeriegeschäften mehrere Modelle statthaft, wobei an dieser Stelle erneut auf das Kommissionsmodell abgehoben wird.52 § 156 BGB erhält zum Versteigerungswesen eine wichtige und variantenreiche zivilrechtliche Grundnorm, welche den Ablauf jeder Versteigerung und den dabei erfolgten Vertragsschluss betrifft und insbesondere eine Sonderregelung bezüglich des allgemeinen Verhältnisses von Angebot (des Veräußerers) und der Annahme (des Erwerbers) enthält. Gebot und Zuschlag folgen der seit langem bestehenden Verkehrssitte in diesem Geschäftszweig. Zu solchen Vorschriften des BGB und des HGB kommen indes aus dem öffentlichen Recht maßgeblich diejenigen der Gewerbeordnung (GewO) und der darauf beruhenden Versteigerungsverordnung hinzu.53 Daraus 52 | Zum Auktionswesen im Kunstbereich vgl. Annette Schneider, Auktionsrecht. Das Rechtsverhältnis zwischen Einlieferer, Versteigerer und Ersteigerer. Als Überblick s. Lynen, Kunstrecht 3 (Fn. 7) § 12, Wichtige Fallgruppen zum Kunstvertragsrecht, IV, 1. Auktionswesen im Kunstbereich, S. 97-103. 53  |  Vgl. § 34 b GewO und Verordnung über gewerbsmäßige Versteigerungen (Versteigerungsverordnung -VerstV- ) vom 24.04.2003 (BGBl. I S. 547), zuletzt geändert mit Wirkung vom 17.03.2010 (BGBl. I. S. 264).

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folgen berufsprägende Regeln in Bezug auf das Versteigerungsgewerbe mit Funktionen der Unparteilichkeit als Mittler zwischen Einlieferer und Ersteigerer, mit Untersuchungs- und Aufklärungspflichten, vor allem in Bezug auf Echtheit und Provenienz des künstlerischen Versteigerungsguts, mit Auf bewahrungs- und Versicherungspflichten hinsichtlich des – oft wertvollen und ggf. empfindlichen – Versteigerungsguts und mit Pflichten und Gepflogenheiten hinsichtlich Publikations- und Zugangsmöglichkeiten. Damit sind wesentliche compliance-Regeln bereits Bestandteil dieses geltenden Verordnungsrechts. Das lässt sich untergesetzlich konkretisieren (z.B. durch Allgemeine Geschäftsbedingungen – AGB). Im Messewesen ist ebenfalls eine Kombination zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht festzustellen. Auch hier setzt die Gewerbeordnung wesentliche rechtliche Grundlagen (in Deutschland). Diesbezüglich definiert § 64 Abs. 1 GewO den Begriff »Messe« als »eine zeitlich begrenzte, im allgemeinen regelmäßig wiederkehrende Veranstaltung, auf der eine Vielzahl von Ausstellern das wesentliche Angebot eines oder mehrerer Wirtschaftszweige ausstellt und überwiegend nach Mustern an gewerbliche Wiederverkäufer, gewerbliche Verbraucher oder Großabnehmer vertreibt«. Von Kunst als Wert ist in solchen Bestimmungen nicht die Rede, das Wesen der Kunst als Ware und Handelsgut sowie in Bezug auf Gewerbetreibende des sekundären Kunstmarkts (»Wiederverkäufer« und »Großabnehmer«) steht im Vordergrund. Dennoch werden Kunstmessen von der Öffentlichkeit – auch der Fachöffentlichkeit – als große, wichtige und repräsentative sowie trendsettende Ausstellungen und als besonderer Teil des aktuellen Kulturbetriebs wahrgenommen. Es geht also wieder um spezifische Verbindungen von Kunst als Ware und Kunst als Wert und um Kombinationen von Kulturbetrieb und Marktgeschehen. Auch Künstler selber besuchen die (großen) Kunstmessen, orientieren sich dort und nehmen mehr oder weniger aktiv teil. Der »Letztverbraucher«, also der einzelne Bürger als Kunde ist ebenfalls anwesend, was nach § 64 Abs. 2 GewO auch (allerdings eher ausnahmsweise) statthaft ist. Diese Bestimmung lässt den Kauf durch »Verbraucher« in beschränktem Umfang zu und widmet sich damit auch – aber nachrangig – dem Primärmarkt. § 65 GewO definiert zudem den Begriff der »Ausstellung« in diesem besonderen messerechtlichen Sinne. Von rechtlicher Bedeutung sind dabei vor allem zwei Fragenkomplexe: Erstens, wer als Aussteller unter welchen Voraussetzungen zuzulassen ist und welche Rechtsbeziehungen zwischen den Ausstellern und den Messeveranstaltern bestehen. Zweitens, was im Verhältnis zwischen den einzelnen Ausstellern und den Künstlern sowie zu den Kunden und Messebesuchern rechtlich gilt.54 Bei der ersten Frage geht es vor allem um Auswahlverfahren und diesbezüglich sachlich gerechtfertigte Kriterien sowie Diskriminierungsverbote (vom »Windhundprinzip« nach dem Satz »wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, bekommt 54 | Zu Kunstmessen vgl. Lynen, Kunstrecht 3 (Fn. 7) § 12, Wichtige Fallgruppen zum Kunstvertragsrecht, IV, 2 Kunstmessen, S. 103-106.

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also einen Messeplatz, bis zu sachbezogenen und vorher festzulegenden geeigneten Auswahlkriterien und Zugangsvoraussetzungen). Bei der zweiten Frage stehen die einzelnen Aussteller im Wettbewerb miteinander und pflegen zivil- und handelsrechtliche Beziehungen mit ihren Künstlern und Kunden, welche sich von deren sonstigen Rechtsverhältnissen und vertraglichen Beziehungen nicht grundsätzlich unterscheiden.55 Bei beiden Fragen kann es Compliance-Strukturen und -Kulturen geben, die das, was der Gesetzgeber vorgibt, zu konkretisieren in der Lage sind. Dazu können insbesondere die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Messegesellschaft zählen.

4. Z usammenfassende S chlussfolgerungen Das Verhältnis von Kunstmarkt, Recht und compliance wird dadurch gestaltet, dass sich das kunst- und kulturbezogene Marktgeschehen nicht auf den primären und sekundären Markt der bildenden Kunst beschränkt, sondern man die verschiedenen »Märkte« in den drei Sektoren der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung, der Kreativ- oder Kulturwirtschaft und des dritten Sektors insgesamt in den Blick zu nehmen, dann aber differenziert vorzugehen hat. Einheitslösungen und ein stringentes Kunstwirtschaftsrecht oder eine einheitliche ComplianceKultur der Kreativwirtschaft kann und wird es daher nicht geben. Das Recht im objektiven Sinne – hier insbesondere das Kunstrecht und dabei das Kunstwirtschaftsrecht – zeitigt diesbezüglich zwar »allumfassende« Tendenzen, enthält indes auch spezifische und fallgruppenbezogene Regelungen. Dabei ist das zwingende Recht zu beachten. Der Begriff Compliance macht diesbezüglich nur in seiner wörtlichen Übersetzung als »Befolgung« Sinn. Denn wer zwingendes Recht nicht befolgt, handelt rechtswidrig und sieht sich daraus resultierenden Konsequenzen ausgesetzt. Auch diese Konsequenzen ergeben sich aus dem zwingenden Recht. Auf dem Kunstmarkt sind aber auch eine Fülle von abdingbarem Recht und große Spielräume von Vertragsrecht sowie dementsprechendes Kontraktmanagement festzustellen. Kunstwirtschaftsrecht ist vor allem Vertragsrecht (im gesetzlichen Rahmen, der auch internationale Beziehungen und diesbezügliches ausländisches Recht umfasst). Innerhalb dieser Festlegungen können sich Compliance-Regeln ausbilden, was auch geschieht. Dabei greifen die Compliance-Kulturen der drei Sektoren zwar ineinander, unterscheiden sich aber auch grundsätzlich voneinander. Das Compliance-Leitbild im öffentlichen Sektor profiliert sich nach wie vor durch eine besonders ausgeprägte Rechtsgebundenheit und das öffentliche Recht. Modelle des New Public Managements, die betriebswirtschaftlich orientiert sind und den Wandel der öffentlichen Verwaltung vom Bürokratiemodell in nachfra55  |  Vgl. Fn. 54 S. 105, 106.

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ge- und kundenorientierte Richtungen betreffen, lösen zwar diese Rechtsgebundenheit keineswegs auf, ermöglichen indes die Entwicklung einer spezifischen und zeitgenössischen compliance-Kultur der öffentlichen Hand und ihrer Kulturbetriebe. Instrumente dafür bieten sowohl herkömmliche Vorgehensweisen (mittels Weisungen, Erlassen und Verwaltungsvorschriften) als auch neuere Methoden (wie das Kontraktmanagement mit Zielvereinbarungen). Im Sektor der Kultur- und Kreativwirtschaft steht das Leitbild des »ehrbaren Kaufmanns« im Vordergrund. Das lässt sich hinsichtlich der Trennung von Primär- und Sekundärmarkt und der einzelnen Teilbranchen von Galeristen, Kunstund Antiquitätenhändlern, Auktionshäusern und Kunstmessen sowie im Bezug auf die Museumsethik sowie Leitbilder von Kunstsachverständigen und anderen Stakeholdern differenzieren und konkretisieren. Dabei sind durchaus Defizite festzustellen, z.B. hinsichtlich der Marktmacht und Multifunktionalität von Kunstsachverständigen, die (meist) keine Kaufleute und Gewerbetreibende, aber als Marktteilnehmer von großem Einfluss sind. Hinsichtlich der Künstler selber taugt eine solche Zuordnung weniger, da es sich bei diesen zum einen in aller Regel nicht um kaufmännische oder gewerbliche, sondern freiberufliche Tätigkeit handelt und zum anderen das Grundrecht der Kunstfreiheit und der Topos der Eigengesetzlichkeit der Künste zu einer anderen Art von Ethik führen müssen. Im gesamten Sektor der Kulturwirtschaft können sich methodisch besondere Verkehrssitten und Usancen als Compliance-Kultur in ethischen Standards und allgemeinen Geschäftsbedingungen manifestieren, welche die jeweilige Vertragsgestaltung, -auslegung und -erfüllung zu beeinflussen in der Lage sind. Im dritten Sektor fließen einerseits die beiden anderen compliance-Kulturen zusammen, da die Teilnehmer dieses Sektors aus beiden Bereichen stammen können. Zum anderen geht es um besondere Vereinbarungen und Aufgabendefinitionen, die hier im Sinn einer eigenen Compliance-Kultur vorzunehmen sind. Oft geht es um zivilgesellschaftliche Ansätze und Nonprofit-Organisationen, die einen diesbezüglichen gesetzlichen Rahmen vorfinden, der aber weitere Ausgestaltungen ermöglicht und gelegentlich verlangt. Auch hier geht es um die Konkretisierung ethischer Standards, was sich vor allem im Vertragsweg und über Möglichkeiten des »soft law« (narrative Normen, Transparenz der beiderseitigen Geschäftsgrundlage) erreichen lässt. Die Fortschreibung solcher Compliance-Kulturen auf nationalen und internationalen Ebenen geht auf allen drei Sektoren Hand in Hand mit der Entwicklung des Rechts. Ebenso wie die Entwicklung der Künste ergeben sich hier dynamische Prozesse auf der Basis geltender Fundamente. Demzufolge haben es nicht zuletzt die Stakeholder auf dem Kunstmarkt selber in der Hand, welche Compliance-Kulturen bestehen und wie diese sich entwickeln. Das zwingende Recht lässt sich hierdurch zwar nicht unmittelbar ändern, mittelbar aber durch rechtsund kulturpolitische Bemühungen beeinflussen. Diesbezüglich steht die starke Diversifizierung des – alle Sektoren und Tätigkeitsfelder umfassenden – gemeinsamen Marktes künstlerischer und kreativer Bemühungen einer einheitlichen

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kunstbezogenen compliance-Kultur und eines für alle Gebiete künstlerischer Märkte geltenden Regelungskreises entgegen. Dies ist weniger zu beklagen, als es jeweils zielgerichtete und fallgruppenbezogene Aktivitäten erfordert. Immerhin kann man voneinander lernen und prüfen, ob Compliance-Regeln, die zunächst für bestimmte Bereiche entwickelt wurden, nicht auch übertragbare Gedanken und Methoden enthalten. Da sich die Interessenlagen der Beteiligten nicht immer decken und das ein grundlegendes Merkmal des Marktgeschehens ist, geht es meist um Wettbewerb, Konkurrenzverhältnisse, Interessenkonflikte und deren Rahmenbedingungen. Ethische Standards müssen an der Kunstfreiheit und anderen Grundrechten der freien Entfaltung der Persönlichkeit gemessen werden. Ihr Ziel sollte weniger in der Ausformulierung von Beschränkungen, sondern stärker in der Gewährleistung angemessener und den jeweils Beteiligten gerecht werdenden Austauschbeziehungen liegen. Daher kann es nicht so sehr darum gehen, das geltende und zwingende Recht noch stärker auszuformen und weiter zu verengen, sondern eher darum, dessen Anwendung zu erleichtern und dadurch konsensbildend und streitvermeidend zu wirken. Dabei besteht für die drei Sektoren des Kunstmarktgeschehens eine besondere Herausforderung darin, die Doppelnatur von Kunst als Wert und als Ware jeweils angemessen zu würdigen und die künstlerischen und merkantilen Interessen in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Dass es hier gelegentlich um die Quadratur des Kreises geht, setzt solchen Bemühungen zwar Grenzen, sollte aber nicht davon abhalten, erkannte Defizite zu beseitigen.

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Der Kunstmarkt und das Urheberrecht Stefan Haupt 1 In Deutschland gelten auch in der Kunst spezielle Gesetze. Das Urheberrechtsgesetz (UrhG) schützt den Kreativen und sein Werk. Er hat das Recht zu entscheiden, wann, wo und für welche Zwecke sein Werk genutzt werden darf. Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über ausgewählte Teile des UrhG. Nach einer Einführung werden drei spezielle Aspekte angesprochen. Das sind: 1. Erfasst der heutige Werkbegriff des Urheberrechtsgesetzes die Selbstinszenierung des bildenden Künstlers? 2. Am Beispiel des Hundertwasser-Hauses in Wien wird beschrieben, wie unterschiedliche Regelungen innerhalb der sogenannten Schrankenregelungen den freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs einschränken. 3. Wer darf darüber entscheiden, ob die in einer Galerie, im Museum oder an einem anderen Ort ausgestellten Werke der bildenden Kunst fotografiert werden dürfen? Es wird aufgezeigt, dass sich die sachenrechtlichen Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und UrhG erheblich unterscheiden.

I. A llgemeiner Teil 1. Was ist Kunst a) Das (Kunst-)Werk Die in den Grundrechten (Art. 5 Abs. 3 GG) verankerte Kunstfreiheit bezieht sich auf alles was Kunst war, ist und sein könnte. Ihre Aufgabe ist es, jede Stil-, Niveauund Inhaltskontrolle durch staatliche Einrichtungen auszuschließen. Die Kunstfreiheit kann dabei auch jugendgefährdende Inhalte berühren. So kann auch Pornografie Kunst sein und darf keiner Niveaukontrolle unterworfen werden, was der Roman »Josephine Mutzenbacher – die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt« belegt (BGH, NJW 1991, 1471, 1474 – »Josephine 1  |  Unter Mitarbeit von Sarah Deborah Bergmann und Charlott Köbke.

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Mutzenbacher«). Demgegenüber erfasst der Werkbegriff im Urheberrecht (§ 2 Abs. 2 UrhG) nur einen Teil der Kunst. Das UrhG schützt die Urheber der Werke, die in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Es regelt die Rechte der Urheber, wenn Werkqualität vorliegt.

b) Werkbegriff (§ 2 UrhG) Bei der Deklarierung einer Leistung als Werk im Sinne des Urheberrechts handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Folgende vier Merkmale beschreiben die urheberrechtlichen Maßstäbe und qualifizieren die erbrachte Leistung als Werk. Das sind: • • • •

das Vorliegen einer Schöpfung, das Bestehen einer Individualität der geistigen Schöpfung, die Feststellung eines geistigen Inhalts sowie das Vorhandensein einer bestimmten, nach außen erkennbaren Form.

Somit ist für das Erlangen von Urheberrechtsschutz die Erbringung einer persönlich- geistigen Schöpfung notwendig (§ 2 Abs. 2 UrhG; OLG München, NJW 1997, 1931). Hinsichtlich der Gestaltungshöhe (Schöpfungshöhe) muss das Werk nur den Anforderungen der sogenannten »kleinen Münze« genügen. Im Bereich der angewandten Kunst und der Architektur (OLG Karlsruhe, ZUM 2013, 894) gelten strengere Anforderungen. Hier gibt es keinen Schutz der kleinen Münze. Eine naturgetreue zeichnerische Darstellung einer Bachforelle mit besonderen künstlerischen Herausarbeitungen kann daher Urheberrechtsschutz genießen (KG, NJW 2002, 621ff.). Beispiele für Werke sind: • • • • • • • • • • • •

Werke der Malerei, unabhängig von der Technik (Öl, Aquarell), Grafiken, Fotografien, Bildnisse, Karikaturen, Computer-Animationen, Layouts, Web-Sites, Bodypainting, Videoinstallationen, Sammelwerke, wie z.B. Collagen und Datenbanken, Gestaltungen von Gebrauchsgegenständen, sofern diese ein außergewöhnliches Design haben.

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

Nicht geschützt sind Ready-mades und Zufallsprodukte (siehe bspw. Marcel Duchamps Fountain). Bei Ready-mades handelt es sich um Gegenstände, die z.B. in der Natur gefunden werden, wie Steine und Äste, und denen lediglich der Finder eine Bedeutung zuspricht. Werden dagegen die gefundenen Gegenstände bemalt oder anderweitig bearbeitet, kann wiederum Werkqualität erreicht werden. Ebenfalls nicht geschützt sind z.B. durch Zufallsgeneratoren entstandene Ergebnisse, an denen der Mensch keinerlei schöpferischen Anteil hat. Werden dagegen bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben und wird im Anschluss daran eine Auswahl getroffen bzw. der zufällige Prozess bewusst und direkt beeinflusst, liegen Anhaltspunkte für eine urheberrechtlich relevante Leistung vor.

2. Urheber Urheber eines Werkes kann stets nur eine natürliche Person sein. Juristische Personen, d.h. Vereine, GmbHs und Aktiengesellschaften können nie Urheber sein. Es besteht aber die Möglichkeit, ihnen Nutzungsrechte einzuräumen. Das Lebensalter ist für die Urheberschaft unerheblich, so dass auch Kinder und Jugendliche Werke im Sinne des UrhG schaffen können. Dagegen führen die Leistungen von malenden Affen, sprechenden Papageien und singenden Vögeln nicht zu einer Urheberschaft der Tiere. Haben zwei oder mehrere Künstler ein Werk gemeinsam geschaffen, spricht man von Miturheberschaft. Ihr Verhältnis untereinander wird nach den Grundsätzen der Gesamthandsgemeinschaft (§§ 705ff. BGB) beurteilt (Dreier/Schulze, 2013, § 8 Rdnr. 12ff). Daraus folgt, dass, wenn sich mehrere Künstler entschließen, ein Werk gemeinsam zu schaffen, sie sich vorher darüber verständigen sollten, wie der Anteil eines jeden bewertet wird, wenn das Werk fertig (d.h. veröffentlichungsreif) ist und auf welche Art und Weise eine Vermarktung erfolgen soll. Davon unabhängig besteht die Möglichkeit, Werke miteinander zu verbinden. Das kommt häufig im Fall der Musik bei der Kombination von Liedtexten und Kompositionen vor. Aber auch im Bereich der bildenden Kunst können Werke der Malerei und Fotografie mit Plastiken bzw. Leistungen aus dem Bereich der Architektur verbunden werden.

3. Schutzfrist In Bezug auf den Bereich der bildenden Kunst sind verschiedene Schutzfristen relevant. Die 70-jährige Schutzfrist gilt für alle Werke im Sinne des UrhG (§ 64 UrhG). Der postmortale Schutz beginnt am 1. Januar des auf den Tod des Urhebers folgenden Jahres (§ 69 UrhG). Für einfache Lichtbilder (Fotografien), die jedermann aufnimmt und die nicht die nötige Werkqualität aufweisen, um unter § 2 UrhG zu fallen, gilt eine 50-jährige Schutzfrist (§ 72 UrhG). Die Berechnung der Schutzfrist beginnt am 1. Januar des auf die Anfertigung bzw. Veröffentlichung folgenden Jahres. Im Einzelfall kann es schwierig sein, die Abgrenzung

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zwischen Werken der Fotografie (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG) einerseits und einfachen Lichtbildern (§ 72 UrhG) andererseits vorzunehmen. Die 15-jährige Schutzfrist gilt für Datenbankhersteller (§ 87 d UrhG). Damit soll die Investition, die durch das herstellende Unternehmen bzw. den Hersteller der Datenbank erbracht worden ist, geschützt werden. Beispiele dafür sind im Offline-Bereich CD-ROM und im Online-Bereich über das Internet abruf bare Datenbanken. Die Frist ist um jeweils weitere 15 Jahre verlängerbar, wenn eine wesentliche Investition, wie z.B. durch die aufwendige Pflege des Datenbankbestandes, erfolgt (§§ 87 d i. V. m. 87 a UrhG). Nach Ablauf der Schutzfrist ist es zulässig, Gestaltungselemente, Techniken oder den Malstil eines verstorbenen Künstlers aufzugreifen und nachzuahmen (OLG Köln, NJW 1998, 1416). So kann man »im Stil von van Gogh« malen. Allerdings darf man dabei nicht den Eindruck erwecken, dass es sich um das Original oder eine Kopie handelt. Werden z.B. Kopien von Werken von van Gogh hergestellt, muss ein Hinweis dahingehend erfolgen, dass es sich um eine Kopie handelt. Zudem ist dem Anspruch des Urhebers auf Namensnennung zu entsprechen.

4. Nichtvermögensrechtliche Befugnisse Dem Urheber stehen vermögensrechtliche und nichtvermögensrechtliche Befugnisse zu. Zu den nichtvermögensrechtlichen Befugnissen gehören unter anderem: • das Veröffentlichungsrecht (§ 12 Abs. 1 UrhG), • das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft, das den Anspruch auf Namensnennung impliziert (§ 13 UrhG), • der Schutz vor einer Entstellung oder sonstigen Beeinträchtigung des Werkes (§ 14 UrhG).

a) Das Veröffentlichungsrecht Das Veröffentlichungsrecht gibt dem Künstler das ausschließliche Recht, als Urheber darüber zu entscheiden, ob, wann und wie das Werk veröffentlicht, d.h. in einer Ausstellung gezeigt oder in einem Kunstbildband abgebildet wird (§ 12 UrhG). Dabei ist zu beachten, dass für Ausstellungskataloge eine gesonderte Regelung gilt (§ 58 UrhG). Von der Veröffentlichung ist das Erscheinen zu unterscheiden (§ 6 Abs. 2 UrhG). Das Erscheinen beinhaltet, dass mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke hergestellt und in Verkehr gebracht, d.h. der Öffentlichkeit angeboten werden.

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

b) Der Anspruch auf Namensnennung Jedem Urheber steht das Recht auf Namensnennung zu (§ 13 UrhG). Dabei ist zu beachten, dass diesen Anspruch nur natürliche und nicht juristische Personen haben (OLG Frankfurt, NJW 1991, 1839). Bei fehlender Namensnennung steht dem in seinen Rechten Verletzten ein Schadensersatzanspruch zu. Darüber hinaus steht es dem Urheber frei, sein Werk anonym oder unter einem Pseudonym zu veröffentlichen (Schricker/Loewenheim, 2010, § 13 Rdnr. 10). Das Verfassen von Ghostwriter-Texten und der Bestimmung eines anderen Autors als Urheber der jeweiligen Arbeit führt nicht zum Verlust des Namensnennungsrechts oder zur Aberkennung der Urheberschaft. Es findet ein vertraglicher Verzicht auf die Namensnennung statt, wobei dieser nur in engen zeitlichen Grenzen garantiert wird (Schack, 2010, Rdnr. 339; Schricker/Loewenheim 2010, § 13 Rdnr. 28).

c) Schutz vor Entstellungen und sonstigen Beeinträchtigungen Die Werke bildender Künstler genießen einen Schutz vor Entstellung (§ 14 UrhG). Dieser beinhaltet, dass Veränderungen und Beeinträchtigungen des Werkes verboten werden können. Durch den Eigentümer muss die Entstellung nicht zwingend beseitigt werden. Anstatt den originalen Zustand wiederherzustellen, kann er sich auch für die Vernichtung des Werkes entscheiden. Es kann vorkommen, dass der Eigentümer sich später – wie im Beispiel Felseneiland mit Sirenen (RG, Urt. vom 08.06.1912, RGZ 79, 397) – an der Nacktheit der Sirenen stößt.

5. Vermögensrechtliche Befugnisse Die vermögensrechtlichen Befugnisse des Urhebers werden als Verwertungsrechte bezeichnet. Sie können in einzelne Nutzungsrechte aufgespalten werden, wobei die Aufzählung im Gesetz hier nicht abschließend ist. Der Vergütungsanspruch nach § 11 UrhG bildet den Kern der vermögensrechtlichen Befugnisse. Wie die Nutzung des Werkes erfolgt, ist hierbei irrelevant (Haupt in: Büchting/ Heussen, 2011, § 37 Rdnr. 24). Die Übertragung von Nutzungsrechten ist der Kern urhebervertragsrechtlicher Regelungen. Einzig und allein der Urheber bzw. Rechteinhaber entscheidet darüber, welche Nutzungsrechte er einem Dritten einräumt. Ohne Zustimmung des Urhebers ist die Nutzung rechtswidrig, sofern kein durch den Gesetzgeber innerhalb der Schrankenregelungen geschaffener Ausnahmetatbestand vorliegt. Die Verwertungsrechte beinhalten, dass der Urheber das Werk in körperlicher oder unkörperlicher Form verwerten kann.

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Zu den körperlichen Formen der Nutzung gehören:

a) Ver vielfältigungs- und Verbreitungsrecht Das Vervielfältigungsrecht beinhaltet das Recht, Vervielfältigungsstücke, d.h. Abzüge, Kopien, Abgüsse, Duplikate usw. herzustellen (§§ 16, 17 UrhG). Das Verbreitungsrecht beinhaltet andererseits das Recht, körperliche Vervielfältigungsstücke in Verkehr zu bringen. Rechtmäßig hergestellte Vervielfältigungsstücke dürfen weiterverbreitet, d.h. veräußert werden.

b) Ausstellungsrecht Das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) beinhaltet die Entscheidung des Künstlers, das Werk erstmals im Rahmen einer Ausstellung, beispielsweise von einer Galerie, zu zeigen. Der Eigentümer eines Werkes der bildenden Kunst ist zu dessen Ausstellung berechtigt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wurde (§ 44 Abs. 2 UrhG). Zu den unkörperlichen Formen der Nutzung gehören u.a.: • das Vorführungsrecht (§ 19 Abs. 4 UrhG), • das Senderecht (§ 20 UrhG).

6. Bearbeitung, freie Nutzung oder Plagiat Kann der Urheber eines Werkes der Malerei, Grafik, Plastik oder Fotografie einem Dritten untersagen, das von ihm gewählte Motiv für die künstlerische Arbeit zu benutzen? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob es sich bei dem neu geschaffenen Werk um eine Bearbeitung oder eine freie Benutzung handelt. Bei einer Bearbeitung im Sinne von § 23 UrhG werden typische Elemente des benutzten Werkes verwendet. Der Betrachter kann erkennen, welches Originalwerk der Bearbeitung zu Grunde gelegen hat. Für die Bearbeitung muss die Zustimmung des Urhebers des Originalwerkes eingeholt werden, wenn eine Veröffentlichung des bearbeiteten Werkes beabsichtigt ist. So ist z.B. eine Parfüm-Verpackung mit den typischen und allseits bekannten Gestaltungselementen des Malers Joan Miro (*1893 – †1983) als Bearbeitung und Umgestaltung unzulässig (OLG Köln, NJW 1998, 1416). Bei einer freien Benutzung (§ 24 UrhG) lässt sich der Urheber des neu geschaffenen Werkes von Vorhandenem inspirieren und schafft daraus ein neues selbstständiges Werk, in dem die Wesenszüge bereits vorhandener oder geschaffener Werke verblassen. So hat der Maler George Pusenkoff eine Fotografie von Helmut Newton als Anregung genutzt, um daraus ein Werk der Malerei mit dem Titel »Power of blue« zu schaffen. Durch das Gericht (OLG Hamburg, NJW 1996, 1153 = ZUM 1996, 315) war die Frage zu entscheiden, ob es sich um eine zustimmungsfreie Benutzung oder aber um eine einwilligungsbedürftige Umgestaltung (Bearbeitung) handelt. Das Urteil beinhaltet, dass die persönlichen Züge des älteren

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

Werkes in dem neuen Werk verblassen und insoweit eine freie Benutzung und keine Bearbeitung vorliegt. Erfolgt die Herstellung einer identischen bzw. verwechselbaren Nachbildung eines anderen Werkes, spricht man von einem Plagiat.

7. Urheber vertragsrecht Im UrhG sind zahlreiche Regelungen hinsichtlich der Gestaltung von Verträgen enthalten (§§ 31-44 UrhG). Dazu gehören u.a.: • es gibt keinen gutgläubigen Erwerb von Nutzungsrechten, • in Zweifelsfällen erfolgt die Auslegung von Verträgen anhand der Zweckübertragungslehre (§ 31 Abs. 5 UrhG), • sofern Nutzungsrechte auf Dritte übertragen werden sollen, ist die Zustimmung des Urhebers einzuholen (§ 34 Abs. 1 UrhG).

8. Grenzen des Urheberrechtsschutzes Das Ausschließlichkeitsrecht der Urheber wirkt nicht grenzenlos. Es sind auch die Interessen Dritter zu berücksichtigen.

a) Aktuelle Berichterstattung Der Gesetzgeber musste entscheiden, ob das Urheberrecht oder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit höher bewertet wird. Die Entscheidung fiel dahingehend aus, dass unter einer ganz bestimmten Voraussetzung, nämlich der aktuellen Berichterstattung, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem des Urheberschutzes überwiegt. Zum Zweck der aktuellen Berichterstattung ist es zulässig, urheberrechtlich relevante Leistungen zu nutzen (§ 50 UrhG). Darunter fällt, dass z.B. bei Vernissagen und Finissagen die gezeigten Werke bzw. Abbildungen derselben im Fernsehen gezeigt oder in der Tagespresse abgedruckt werden dürfen. Die Veröffentlichung muss in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ereignis stehen. Jahresrückblicke, Porträts von Künstlern und ähnliche Projekte sind dagegen nicht mehr durch die aktuelle Berichterstattung legitimiert (BGH, GRUR 1983, 28).

b) Die Katalogbildfreiheit Für den Besucher einer Ausstellung oder eines Museums ist es hilfreich, wenn ein Katalog vorliegt. Da die Kataloge das Ergebnis einer Vervielfältigung sind und zudem verbreitet werden, ist die Zustimmung der Rechteinhaber einzuholen. Durch die Regelung von § 58 UrhG wurde durch den Gesetzgeber Galeristen und Auktionshäusern das Recht zuerkannt, diese Kataloge zustimmungs- und vergütungsfrei herzustellen. Das ist an folgende Bedingungen gebunden:

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• es sind nur ausgestellte Werke abgebildet (OLG München, ZUM 1989, 529) und • der Katalog darf nicht im Buchhandel angeboten werden. Wird über Ausstellungen im Internet berichtet und werden zu diesem Zweck urheberrechtlich geschützte Werke gezeigt, darf die Berichterstattung nur im Zusammenhang mit der Veranstaltung erfolgen. Nach dem Ende der Ausstellung dürfen die Abbildungen der Werke nicht mehr im Internet öffentlich zugänglich (§ 19 a UrhG) gemacht werden (BGH, MMR 2011, 544).

c) Zitatrecht Es ist zulässig, bereits veröffentlichte Werke ganz oder ausschnittweise im Zusammenhang mit der Ausübung des Zitatrechts (§ 51 UrhG) zu benutzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Zitat in dem neu geschaffenen Werk als Beleg oder Ergänzung für die eigene Darstellung genutzt wird (LG München, GRUR-RR 2011, 447 = ZUM 2011, 944 – Karl Valentin). Auch das Zugänglichmachen von Zitaten, wie in der Valentin-Entscheidung von 2011, setzt die Nennung des Urhebers voraus. Es ist nicht zulässig, eigene Ideenlosigkeit dadurch zu kompensieren, dass man auf die Werke Dritter zurückgreift. So ist es unzulässig, Zitate als Wandinschriften zum Zweck der innenarchitektonischen Gestaltung zu nutzen (LG München, NJW 1999, 1978). Das gilt auch für Buchrezensionen (LG München, Urt. v. 12.02.2014, GZ: 21.O.7543/12).

d) Ver vielfältigung zum privaten Gebrauch (§ 53 UrhG) Gemäß § 53 UrhG ist es zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke für den privaten Gebrauch herzustellen. Eine Privatperson darf eine legal erworbene CD für den eigenen Gebrauch vervielfältigen, um gleichzeitig in der Wohnung und im PKW eine Musik-CD nutzen zu können. Diese Vervielfältigungen dürfen in der Regel nicht mehr als sieben Stück übersteigen (BGH, GRUR 1978, 474). Die Vervielfältigung ist • • • •

zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch, zur Aufnahme in ein Archiv, zur Unterrichtung über Tagesfragen und zum sonstigen eigenen Gebrauch

zulässig. Kleine Teile aus Druckerzeugnissen können

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

• im Schulunterricht bzw. Bildungswesen und • für staatliche Prüfungen vervielfältigt werden. Für alle anderen Nutzungen ist ein entsprechender Rechteerwerb notwendig. Besondere Regelungen gelten für Computerprogramme, Datenbanken und Datenbankenwerke, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.

9. Zusammenfassung Im UrhG sind Ausnahmetatbestände enthalten, auf deren Grundlage die Nutzung von Werken der bildenden Kunst vergütungs- und/oder zustimmungsfrei möglich ist. Da durch diese Ausnahmetatbestände die Rechte der Urheber eingeschränkt werden, müssen sie eng ausgelegt werden (EuGH, GRUR 2009, 1041, 1045, Rz. 56).

II. D er urheberrechtliche S chut z der S elbstinszenierung des K ünstlers an den B eispielen von Thomas »K elvin « E ller , EVA & ADELE , J onathan M eese und Timm U lrichs 1. Der inszenierte Künstler als Werk i. S. d. UrhG In Zeiten, in denen Kunst allgegenwärtig ist, stellt sich immer öfter die Frage, wie Kunst definiert wird bzw. was als Kunst gilt. Jeder hat eine Meinung dazu, was einzigartig genug ist, um unter den Begriff Kunst zu fallen. Der Gesetzgeber hat in § 2 UrhG definiert, was als Werk gilt und urheberrechtlich geschützt ist. Damit fällt nicht alles, was Künstler machen, unter den urheberrechtlichen Werkbegriff bzw. den Schutz des UrhG.

2. Timm Ulrichs a) Urheberrecht Timm Ulrichs (*1940) hat sich 1961 als erstes lebendes Kunstwerk selbst ausgestellt (Kunstverein Hannover/Sprengel-Museum Hannover, 2011, S.  11). Hintergrund war dabei die Überlegung, dass »Kunst ist, was Künstler hervorbringen«. Es stellt sich die Frage, ob ein Künstler, wie Ulrichs, der sich 1961 selbstvitriniert hat, um sich als lebendes Kunstwerk auszustellen, unter den Schutz des UrhG fällt. Dass ein Mensch sein eigenes Kunstwerk sein kann, wird durch die derzeitige Rechtsprechung und die in der Literatur vertretene Meinung größtenteils verneint. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Fotograf, der den Künstler fotografiert, durch § 72 UrhG geschützt ist. Der selbstdarstellende bildende Künstler wird dagegen nicht vom Schutzbereich des UrhG erfasst.

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Führt man diese Überlegung weiter, besteht die Steigerung darin, dass der Künstler sein Leben inszeniert und medial kommuniziert. Beispiele sind Gilbert and George, Andy Warhol, Jonathan Meese und Thomas Eller. Bei Schauspielern und Rockmusikern, wie z.B. Nina Hagen, Ozzy Osbourne oder Michael Jackson ist diese Selbstinszenierung seit Jahrzehnten üblich. Musiker und Schauspieler fallen als ausübende Künstler per se i. S. v. § 73 UrhG in den Schutzbereich des UrhG. Es stellt sich die Frage, was eine andere Beurteilung der bildenden Künstler rechtfertigt, bzw. ob die Leistung des selbstdarstellenden Künstlers mit der eines Schauspielers vergleichbar ist? Foto: Joachim G. Jung; Timm Ulrichs, Selbstausstellung 1961

b) Markenrecht Außerhalb des UrhG besteht eine Möglichkeit des Schutzes als Person in der Anmeldung einer Marke. Der Künstler kann seinen Namen als Wortmarke gem. § 4 MarkenG beim DPMA registrieren lassen. So sind z.B. die Namen Heino (Regis-

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

ternr. 30152439), Verona Feldbusch (Registernr. 30064465) und Boris Becker (Registernr. 39961882) eingetragene Marken. Auch die Eintragung einer Abbildung als Bildmarke oder Wort-/Bildmarke ist gem. § 3 MarkenG möglich. So könnte Timm Ulrichs die Darstellung seines Werkes als Wort-/Bildmarke schützen lassen.

3. E VA & ADELE a) Urteil des LG Hamburg Die Frage, ob ein Künstler als Schutzgegenstand i. S. d. UrhG in Frage kommt, wurde durch das Landgericht Hamburg (LG Hamburg, NJW-RR 2000, 267) beantwortet. Entgegen des erstinstanzlichen Urteils des Amtsgerichts Hamburg (AG Hamburg, ZUM 1998, 1047) entschied das Landgericht, dass der Künstler bzw. ein Mensch, als lebendes Kunstwerk, grundsätzlich kein Werk im Sinne des UrhG sein kann. Den Performancekünstlern EVA & ADELE wurden daher keine Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche gegenüber einem Verlag zuerkannt, der Bilder des Künstlerpaares veröffentlicht hatte. Diese Bilder zeigten die beiden in ihrer typischen Erscheinung »mit kahlrasiertem Schädel, stark geschminkten Gesichtern und auffallender Bekleidung und Schmuck im Partnerlook« (LG Hamburg, NJW-RR 2000, 267). Dem Gericht stellte sich die Frage, ob EVA & ADELE, die fotografiert wurden, als Werk urheberrechtlichen Schutz genießen. Dazu hat das Gericht die Voraussetzung des § 2 Abs. 2 UrhG geprüft. Danach muss ein Werk im Sinne des UrhG eine persönliche, geistige Schöpfung sein, also von einem Menschen geschaffen worden sein und einen gewissen geistigen Gehalt aufweisen. Außerdem muss es über eine reine Idee hinausgehen und eine wahrnehmbare Form haben. Letztlich muss das Werk eine gewisse Gestaltungshöhe aufweisen, es muss individuell sein und nicht nur das Alltägliche zeigen. Weder das Vorliegen einer persönlichen, geistigen Schöpfung noch die wahrnehmbare Form wurden vom Landgericht in Frage gestellt. Der Anspruch scheiterte daran, dass EVA & ADELE – wie sie selbst sagen – mit ihrer äußeren Erscheinung ihr inneres Selbst nach außen tragen und die Auftritte das normale Leben zeigen. Daher liegt die letzte und notwendige Voraussetzung der Individualität nicht vor. Das Gericht stellte fest, dass weder der Mensch selbst, noch sein gelebtes Leben, sei es auch noch so bewusst gestaltet, Werkcharakter haben kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kunstszene das Werk für urheberrechtlich relevant hält. Die Werkqualität hängt nämlich nicht von einer subjektiven Einschätzung ab, sondern ausschließlich davon, ob die Voraussetzungen des § 2 UrhG erfüllt sind.

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Foto: © Eva & Adele, Biennale Vendig, Deutscher Pavillion 2005, Foto: wowe

b) Bodypainting Weiterhin führte das Landgericht in Sachen EVA & ADELE aus, dass es möglich ist, Kunst am lebenden Menschen zu schaffen, wie etwa bei besonders ausgefallenen und aufwendigen Masken oder beim Bodypainting (LG Hamburg, NJW-RR 2000, 268). Es kommt nicht auf die Art der Herstellung oder auf das Material an. Auch Collagen, Montagen, Konzeptkunst, Happenings und eben auch lebende Bilder, die durch den »Einsatz von Schminke, Schmuck, Bekleidung und andere Accessoires nicht nur sich selbst darstellen, sondern einen besonderen Gesamteindruck erzielen«, können, urheberrechtlich gesehen, Werke sein (Loewenheim, 2010, § 9 Rdnr. 100).

c) E xkurs: Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG) Gem. § 22 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie (KUG) dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Ein Schutz auf Grund des Rechts am eigenen Bild gem. § 22 KUG gilt für Personen der Zeitgeschichte wie EVA & ADELE nur eingeschränkt. Personen der Zeitgeschichte sind gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG kein Schutzgegenstand, solange ein öffentliches Informationsinteresse

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besteht. Das ist dann anzunehmen, wenn EVA & ADELE im Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen gezeigt werden, die ihre Bekanntheit ausmachen. Das bedeutet, sobald EVA & ADELE als Performancekünstler unterwegs sind, z.B. bei Ausstellungseröffnungen in Berlin oder Venedig, stehen sie als Personen der Zeitgeschichte nicht mehr unter dem Schutz des § 22 KUG.

4. Thomas »Kelvin« Eller Der Künstler Thomas »Kelvin« Eller (*1964) inszeniert sich in seiner Ausstellungsreihe »The White Male Complex, No. 2« selbst. Eine 3 Meter hohe und 10 Meter lange Installation zeigt den nur mit einem Slip bekleideten Künstler in einem riesigen Schaufenster. Diese Selbstinszenierung ist als Lichtbild durch § 72 UrhG geschützt. Der sich selbst inszenierende Künstler Thomas »Kelvin« Eller ist dagegen schutzlos. Foto: »The Selbst (Thomas KELVIN Eller)«, 2013; C – Print auf Dibond, 275 x 900 cm

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5. Jonathan Meese Ein weiteres Beispiel der Selbstinszenierung ist Jonathan Meese (*1970). In Performances nutzt er den verbotenen Hitlergruß, um Kritik an der »Diktatur der Kunst« zu üben und diese Ideologie zu verspotten. Über diese Performance hatte das AG Kassel am 29.08.2013 zu entscheiden (NJW 2014, 801). Die Frage, ob die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Kunstfreiheit das nach § 86 a StGB verbotene Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen rechtfertigen kann, bejahte das Gericht. Es sei klar, dass Jonathan Meese die verbotene Geste nicht als Privatperson nutze, sondern ausschließlich als Künstler. Unabhängig davon stellt sich die Frage nach der Werkqualität. Erfüllen die Performances von Jonathan Meese die Voraussetzungen des § 2 UrhG, sind sie durch das UrhG geschützt. Die moralischen und strafrechtlichen Aspekte haben keine Auswirkung auf die Schutzfähigkeit. Ob ein Werk volksverhetzend oder verfassungswidrig ist, berührt den Urheberrechtsschutz nicht (Wandtke/Bullinger, 2009, § 2 UrhG, Rdnr. 31- 32). Die Frage, ob eine Performance ein Werk i. S. d § 2 UrhG sein kann, entschied der BGH (NJW 2013, 3798 – Joseph-Beuys-Aktion = GRUR 2014, 65). Danach fallen Performances, die die nötige Schöpfungshöhe aufweisen, unter den Schutz des UrhG.

6. Schlussbetrachtung a) Zusammenfassung Derzeit hat sich die in der Literatur überwiegend vertretene Meinung durchgesetzt, dass der Mensch an sich grundsätzlich kein Werk im Sinne des Urheberrechts sein kann (Rehbinder 2010, Rdnr. 62). Allerdings wird kritisiert, dass das LG Hamburg (NJW-RR 2000, 268) die Chance verpasst hat, diesen Grundsatz zu ändern. Denn bei der immer abstrakter werdenden Kunstwelt könnte die Erweiterung des urheberrechtlichen Werkbegriffes durchaus sinnvoll sein. So werden immer häufiger lebendige Kunstwerke geschaffen. Dazu gehören zum Beispiel die in Millionenhöhe gehandelten »Living Sculptures« von Gilbert und George, denen mittlerweile ein hoher Stellenwert in der Modernen Kunst zugesprochen wird (Raue, GRUR 2000, 956). Das Gericht hätte offenlassen können, ob es bei einer besonders ausgefallenen Darstellung möglich ist, als sich selbstinszenierender, bildender Künstler unter den Werkbegriff des UrhG zu fallen. An dem Schutz als ausübender Künstler gibt es bei Musikern und Schauspielern keinen Zweifel. Insoweit gibt es eine Ungleichbehandlung. Der Schutz der sich inszenierenden, bildenden Künstler wäre gerade dort notwendig, wo nicht das alltägliche Leben des Künstlers gezeigt wird, sondern ein individuelles Werk am Menschen selbst. Durch die Entscheidung des LG Hamburg (NJW-RR 2000, 268), dass weder der Mensch selbst, noch sein gelebtes Leben sein eigenes Werk sein kann, sei es auch noch so bewusst gestaltet, droht

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die Gefahr, dass vielen bildenden Künstlern der urheberrechtliche Schutz versagt bleibt. Eine individuelle Prüfung lässt das Gericht nicht zu (LG Hamburg, NJWRR 2000, 268). Die beispielhafte Aufzählung der Künstler, die den Menschen zum Kunstwerk machen, zeigt, dass das System des § 2 UrhG heute – im Vergleich zum Inkrafttreten des UrhG am 01.01.1966 – nicht mehr den aktuellen Entwicklungen im Bereich der bildenden Kunst entspricht. Den Performances von EVA & ADELE bleibt der Schutz verwehrt, denen von Jonathan Meese nicht. Timm Ulrichs, der sich selbst ausstellt, ist nicht geschützt. Bei Thomas »Kelvin« Eller, der sich nur mit einer Unterhose bekleidet zeigt, fällt der Fotograf und nicht der bildende Künstler unter den Schutz des UrhG. Dem Künstler bleibt nichts anderes übrig, als vor jeder Aktivität anhand des § 2 UrhG zu prüfen, ob Urheberschutz erlangt werden kann oder aber Nachahmungen nicht verhindert werden können. Das ist im digitalen Zeitalter, in dem Bilder schnell, kostengünstig und weltweit ohne Qualitätsverlust verschickt werden können, entmutigend.

b) Aussichten Die zeitgenössische Kunst wird immer schwerer definierbar. Wo früher ein Gemälde oder eine Komposition ohne jeglichen Zweifel als Kunstwerk galten, füllen heute Happenings, Ready-Mades und Graffitis den Kunstbegriff. Weil eine Abgrenzung immer schwieriger wird, ist eine Flexibilisierung des Kunstbegriffes notwendig. Die Konzeptkunst und damit auch der Menschen als Werk gewinnt an Bedeutung. Daher ist es notwendig, dass die Entscheidung des LG Hamburg (NJW-RR 2000, 268) in Zukunft weiter in Frage gestellt wird. Letztlich stellt sich die Frage, ob Performances – wie z.B. die des Künstlerpaares EVA & ADELE – für immer schutzlos bleiben sollen.

III. D as H undert wasser -H aus in der E uropäischen U nion 1. Allgemeines Der urheberrechtliche Werkbegriff schließt Werke der Baukunst in den Schutzbereich des Gesetzes mit ein (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG). Auch bei dieser Werkart muss die Voraussetzung der persönlichen, geistigen Schöpfungen erfüllt sein, damit das Bauwerk den Schutz des UrhG genießt. Die reich verzierten, bunten und außergewöhnlich aufwendig von Friedensreich Hundertwasser gestalteten Häuser sind als Werke der Baukunst i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG zu klassifizieren (BGH, GRUR 2003, 1035 – Hundertwasserhaus). Die Verwertungsrechte gem. § 15 UrhG hat der Urheber inne und die Vervielfältigung und Verbreitung von Lichtbildern dürfen nur mit seinem Einverständnis erfolgen. Ein »Fotografierverbot« für Bauwerke im öffentlichen Raum ist weder sinnvoll noch durchsetzbar. Gem. § 6 Nr. 3 des Kunstschutzgesetzes vom 09.01.1876

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galten Werke, die sich dauerhaft im öffentlichen Raum befinden, als Gemeingut (KUG Entwurf v. 28.11.1905 in: Schulze, 1997, S. 218). An § 20 KUG anknüpfend, hat der Gesetzgeber 1965 mit der Panoramafreiheit (§ 59 UrhG) eine Ausnahmeregelung geschaffen, die das Fotografieren von Werken an öffentlichen Plätzen erlaubt. Die Abbildung ist, für welchen Zweck auch immer, zulässig. § 59 UrhG lautet: »Zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Bei Bauwerken erstrecken sich diese Befugnisse nur auf die äußere Ansicht. Die Vervielfältigungen dürfen nicht an einem Bauwerk vorgenommen werden.«

2. Öffentlich zugängliche Orte Einer der wichtigsten Aspekte der Panoramafreiheit ist, dass sie keinen Unterschied zwischen privater und kommerzieller Nutzung macht. Beides ist zulässig. Allerdings dürfen die Fotografien nicht aus Gebäuden heraus angefertigt werden. Diese sind nicht für jedermann zugänglich. Von einer Privatwohnung könnte das Bauwerk aus einer anderen Perspektive abgelichtet werden. Das wesentliche Merkmal für eine Bejahung der Panoramafreiheit und somit eine zulässige Handlung ist, dass sich das vervielfältigte Werk bleibend an einem öffentlich zugänglichen Ort befindet.

3. Nicht bleibende Werke a) Das »Holbein-Pferdchen« Als Bedingung für die »Panoramafreiheit« muss sich das Kunstwerk bleibend im öffentlichen Raum befinden (Ernst, ZUM 1998, 475). Ein Beispiel dafür ist das »Holbein-Pferdchen« von Hugo Gürtner, das in Freiburg an der Ecke HansThoma-Straße/Holbeinstraße steht und auf Postkarten abgebildet, vervielfältigt und verbreitet wurde. Die »Panoramafreiheit« erstreckt sich allerdings nicht auf alle unterschiedlichen Bemalungen des Pferdchens. Das jeweils unterschiedlich bemalte Pferdchen ist nämlich nicht bleibend an einem öffentlichen Ort, weil sich im Laufe der Zeit die Bemalung ändert. Zudem liegen ein Eingriff in das Bearbeitungsrecht sowie in das Urheberpersönlichkeitsrecht vor, da die Veränderungen zu einer Entstellung führen (LG Mannheim, ZUM-RD 1997, 405 = GRUR 1997, 364 u. A. zu Vorinstanz: AG Freiburg, NJW 1997, 1160). Die Vervielfältigung und Verbreitung bedürfen der Einwilligung des Urhebers. Sofern sich das Kunstwerk nicht bleibend im öffentlichen Raum befindet, ist die Abbildung unzulässig. So darf zum Beispiel eine Plastik, die im Rahmen einer Ausstellung, d.h. für einen exakt bestimmten Zeitraum im öffentlichen Straßenland zu sehen war, nicht unter Bezugnahme auf § 59 UrhG für eine

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

Jahresdokumentation verwendet werden (LG Hamburg, NJW 1990, 2004). Dem liegt zu Grunde, dass sich das Kunstwerk gerade nicht bleibend, sondern nur vorübergehend im öffentlichen Raum befand. Da eine Jahresdokumentation keinen Ausstellungskatalog darstellt, liegt auch keine Katalogbildfreiheit i. S. v. § 58 UrhG vor. Auch die Bezugnahme auf das Recht zur aktuellen Berichterstattung i. S. v. § 50 UrhG führt zu keinem anderen Ergebnis, weil eine Jahresdokumentation nicht mehr der aktuellen Berichterstattung dient, wie sie zum Zeitpunkt des Bestehens der Ausstellung vorgenommen worden wäre.

b) Der verhüllte Reichstag Ein weiteres Beispiel ist die Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jean Claude (BGH, GRUR 2002, 605 – verhüllter Reichstag). Die Verhüllung währte 14 Tage. Das macht deutlich, dass sie nicht bleibend war und demzufolge Postkarten u.ä. nur bei Vorliegen der Zustimmung der Urheber, nämlich Christo und Jean Claude, vervielfältigt und verbreitet werden durften (KG, NJW 1997, 1160 »Christo II«). Das Herstellen von Gedenkmedaillen mit der Abbildung des verhüllten Reichstages stellt eine Bearbeitung dar und hätte der Zustimmung der Rechteinhaber bedurft (KG, NJW 1996, 2379 »Christo II«).

4. E xkurs: Rechtslage in Österreich In Österreich setzt die freie Verwendung von Abbildungen, auf denen Bauwerke sind, ebenfalls voraus, dass sich die Werke zwingend in der Öffentlichkeit befinden und so für jedermann einsehbar und fotografierbar sind (§ 54 Abs. 1 Nr. 5 österr. UrhG). § 54 Abs. 1 Nr. 5 österr. UrhG lautet: »Es ist zulässig: […] Werke der Baukunst nach einem ausgeführten Bau oder andere Werke der bildenden Künste nach Werkstücken, die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an einem öffentlichen Ort befinden, zu vervielfältigen, zu verbreiten, durch optische Einrichtungen öffentlich vorzuführen, durch Rundfunk zu senden und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen; ausgenommen sind das Nachbauen von Werken der Baukunst, die Vervielfältigung eines Werkes der Malkunst oder der graphischen Künste zur bleibenden Anbringung an einem Orte der genannten Art sowie die Vervielfältigung von Werken der Plastik durch die Plastik.«

Früher war nicht relevant, ob es sich um die Innen- oder Außenansicht handelte (österr. OGH, GRUR Int. 1991, 56 = ZUM 1990, 514 – Adolf-Loos-Werke). Damit ist durch die Inneneinrichtung inklusive der Möblierung und der damit verbundenen »Gesamtgestaltung des Raumes« ein Werk der Baukunst entstanden (österr. OGH, GRUR Int. 1991, 56 = ZUM 1990, 514 – Adolf-Loos-Werke). Darüber hinaus zählten z.B. ein Treppenhaus sowie der Hof und Säle ebenfalls zu den Werken

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der Baukunst (österr. OGH, GRUR Int. 1991, 56 = ZUM 1990, 514 – Adolf-LoosWerke). Diese freie Werknutzung wurde kritisiert, weil sie in Bezug auf die urheberrechtlichen und sachenrechtlichen Ansprüche der Künstler sowie Eigentümer der jeweiligen Werke verfassungsrechtliche Bedenken auslöste.

5. Vergleich der Panoramafreiheit in Deutschland und Österreich Trotz der zahlreichen EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Urheberrechts gibt es unterschiedliche bzw. einander widersprechende Normen im Bereich der Schrankenregelungen. So gibt es bei den Tatbestandsvoraussetzungen für die Panoramafreiheit im deutschen und österreichischen Recht wesentliche Unterschiede. Deutsches Urheberrecht § 59 Abs. 2 UrhG

Österreichisches Urheberrecht § 54 Abs. 1 Nr. 5 öUrhG

Voraussetzungen: Voraussetzungen: • urheberrechtlich geschütztes Werk • urheberrechtlich geschütztes Werk • Z.B. Werke der Baukunst und Werke • Bauwerke müssen errichtet sein, keine Freistellung für Entwürfe der bildenden Kunst. und Pläne. • bleibend • bleibend • an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen • Ein von der Allgemeinheit zugänglicher Raum.

• an einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Ort • Nicht aber in Kirchen, Museen, Galerien und Theatern.

• äußere Ansicht, nur von der Straße • ohne Hilfsmittel

• äußere Ansicht • Hilfsmittel sind zulässig • Bilder dürfen mit Hilfsmitteln, wie Leitern oder Fahrzeugen, aufgenommen werden. Dabei dürfen weder Haus- noch Persönlichkeitsrechte beeinträchtigt werden.

6. Abweichende Regelungen und daraus entstehende Probleme Was ist die Rechtsfolge, wenn das UrhG das Fotografieren aus einer Privatwohnung auf das gegenüberliegende Bauwerk zum gewerblichen Nutzen nicht gestat-

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tet, das österreichische UrhG dagegen eine kommerzielle Vermarktung möglich macht? Das österr. UrhG erlaubt es, von einer Privatwohnung aus Fotografien von bleibenden öffentlichen Plätzen, Straßen, Bauwerken etc. zu machen und diese Lichtbilder für Postkarten zu nutzen bzw. zu vermarkten. Solange das nur auf dem Staatsgebiet Österreichs erfolgt, ist das unproblematisch. Wenn dagegen in Anbetracht des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs in der EU die Vermarktung in Deutschland erfolgt, ist die Vervielfältigung und Verbreitung der Abbildung nicht von der Panoramafreiheit gem. § 59 UrhG erfasst. Das ist schwer nachzuvollziehen, weil gem. § 17 Abs. 2 UrhG bzw. § 16 Abs. 3 öUrhG die Erschöpfung eingetreten und damit eine rechtmäßige Weiterverbreitung in der EU gestattet ist. Das Problem wird anhand der Hundertwasser-Haus II-Entscheidung deutlich (OLG München, GRUR 2005, 1038 – Hundertwasser-Haus II). Im deutschen UrhG bezieht sich der Schutz von Werken an öffentlichen Plätzen auf die äußere Ansicht eines Bauwerkes. In Deutschland konnten Unterlassungsansprüche durchsetzt werden, weil der Rechteinhaber Schutz durch das deutsche UrhG genießt. In Österreich war die Verbreitung, wie auch in den Jahren zuvor, zulässig (OLG München, GRUR 2005, 1038 – Hundertwasser-Haus II). Diese Unterschiede bzgl. der Möglichkeiten der Vermarktung von Lichtbildern von Gebäuden führen zu Wettbewerbsnachteilen. Deshalb besteht Handlungsbedarf seitens des europäischen Gesetzgebers. Es wird der Verkauf einer in einem Mitgliedsstaat der EU rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Abbildung eines Werkes der Baukunst in Deutschland untersagt. Der europäische Binnenmarkt wird eingeschränkt und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 34 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) durch urheberrechtliche Regelungen und nationale Gerichte behindert.

7. Fazit Die Richtlinien der EU zum UrhG sollen harmonisieren und damit Unterschiede beseitigen. Durch divergierende gesetzliche Regelungen und Rechtsprechung in zwei Mitgliedsstaaten darf das Ziel des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im europäischen Wirtschaftsraum nicht vereitelt werden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass in den Mitgliedsstaaten auch die urheberrechtlichen Schrankenregelungen harmonisiert werden müssen.

IV. F otogr afieren im M useum Immer wieder stellt sich die Frage, ob es in Museen und Galerien u.ä. zulässig ist, die dort gezeigten Werke der bildenden Kunst zu fotografieren. Welche Rechte hat der bildende Künstler? Welche Rechte hat der Eigentümer? Welche Rechte

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hat der Veranstalter der Ausstellung? Die im BGB enthaltene Regelung, dass der Eigentümer einer Sache mit dieser machen kann was er will, gilt in Bezug auf urheberrechtlich relevante Leistungen nicht. Es ist keineswegs so, dass der Urheber mit dem Eigentum auch die Rechte an seinem Werk verliert.

1. Allgemeines Ein urheberrechtlich geschütztes Werk wird gemeinfrei, wenn die 70-jährige Schutzfrist abgelaufen ist. Das heißt, gem. § 64 UrhG kann ein Werk 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers auch ohne Zustimmung des Rechtsnachfolgers frei verwendet werden. Dass betrifft im Jahr 2014 alle Urheber, die bis zum 31.12.1943 verstorben sind. Bekannte gemeinfreie Werke der bildenden Kunst sind z.B. die »Mona Lisa« von Leonardo da Vinci und die »Sonnenblumen« von Vincent van Gogh. Solange ein Werk nicht gemeinfrei ist und der Urheber Dritten keine Nutzungsrechte eingeräumt hat, bleiben diese bei ihm, egal wer Eigentümer des Werkes ist. In diesem Kontext steht die Frage, ob Museen und Galerien das Fotografieren der Ausstellungsstücke erlauben dürfen?

2. Eigentum, § 903 BGB »Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen« (§ 903 BGB).

Durch diese Norm garantiert der Gesetzgeber dem Eigentümer die ausschließlichen Rechte. Der Eigentümer ist berechtigt, mit dieser Sache zu machen, was er will. Der Eigentümer kann sie selbst benutzen, verborgen, vermieten, verändern oder sogar zerstören. Nach dem Rechtsgrundsatz lex specialis derogat legi generali wird bei Werken i. S. des UrhG das speziellere Gesetz (UrhG) vor dem allgemeineren Gesetz (BGB) angewendet. Das BGB ist dem UrhG also subsidiär und gilt in diesem Fall nachgeordnet.

3. Ausstellungen und Museen Im Museum oder bei einer Ausstellung werden Werke entweder aus dem Bestand der eigenen Sammlung oder als Leihgabe ausgestellt. Viele Museen erlauben ihren Besuchern das Fotografieren der Werke für private Zwecke. So zahlt man beispielsweise in den DEICHTORHALLEN Hamburg 2 € und kann nach Angabe seiner privaten Daten sowie der Versicherung, die Vervielfältigungen nicht kommerziell zu nutzen, unbegrenzt fotografieren. Auf welcher Rechtsgrundlage darf ein Museum den Besuchern das Fotografieren durch Vertrag gestatten? Teilweise wird hierfür eine Lizenzgebühr erhoben. Darf eine derartige Erlaubnis aus eigen-

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tumsrechtlicher und/oder urheberrechtlicher Sicht erteilt werden? Oder steht dem Eigentümer nur frei, seine Werke auszustellen (§ 18 UrhG)? Um den Besuchern das Fotografieren erlauben zu können, müsste das Museum entweder die entsprechenden Rechte erworben haben oder sich auf eine entsprechende gesetzliche Schrankenregelung berufen können. Foto: Andela Culjak; Moderna Museet, Stockholm 2012

4. Urheberrechtlich geschützte Werke Der Verkauf eines Werkes führt nicht zu einem Verlust der Urheberrechte. Schon § 10 Abs. 4 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie (KUG), das am 01.01.1966 durch das UrhG abgelöst wurde, regelte, dass mit der Eigentumsüberlassung keine Urheberrechte mit übertragen werden. Mit Inkrafttreten des UrhG wurden Rechte des Urhebers zugunsten des Eigentümers beschnitten. Seit dem 01.01.1966 erlaubt § 44 Abs. 2 UrhG dem Eigentümer das Werk öffentlich auszustellen. Das KUG sah kein Ausstellungsrecht für den Eigentümer des Werkes vor. Ausschließlich der Urheber hatte das Recht zu entscheiden, wo und wann sein Werk öffentlich ausgestellt wird. Der Käufer bzw. Eigentümer erwirbt gem. § 44 Abs. 1 UrhG nur das Eigentum an einem Werk der bildenden Kunst. Ihm werden über das Ausstellungsrecht hinaus keine weiteren Nutzungsrechte eingeräumt. Dass bedeutet, dass ausschließlich der Urheber darüber entscheiden kann, ob und wie sein Werk verbreitet, vervielfältigt oder anderweitig genutzt wird. Der Kunstkäufer hat somit nicht das Recht, das Werk so zu nutzen, wie es ihm beliebt. Im Ergebnis heißt

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das, dass nur der Urheber bzw. Rechteinhaber (z.B. der Erbe) die Befugnis hat, anderen zu erlauben, sein Werk zu vervielfältigen. Insoweit ist die Erteilung einer Fotografiererlaubnis rechtswidrig, sofern der Veranstalter der Ausstellung nicht die entsprechenden Rechte erworben hat.

5. Schrankenregelung Im UrhG gibt es Ausnahmeregelungen. Diese Schrankenregelungen wurden vom Gesetzgeber geschaffen, um einen Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Urhebers einerseits und dem Informationsbedürfnis der Verbraucher andererseits zu schaffen. Sie sind das Ergebnis einer Güterabwägung. Das Fotografieren im Museum, in einer Galerie oder Ausstellung könnte aufgrund einer Schrankenregelung zulässig sein. Beispiele für Ausnahmeregelungen sind: • das Recht auf Berichterstattung über Tagesthemen (§ 50 UrhG), • das Zitatrecht (§ 51 UrhG), • das Recht, Werke an öffentlichen Plätzen zu fotografieren, die Panoramafreiheit (§ 59 UrhG), • das Recht in Ausstellungen oder zum öffentlichem Verkauf präsentierte Werke in Katalogen abzubilden (§ 58 UrhG).

a) Katalogbildfreiheit § 58 UrhG Die sog. Katalogbildfreiheit (§ 58 UrhG) erlaubt es, öffentlich ausgestellte Werke der bildenden Künste in Ausstellungskatalogen zu vervielfältigen, zu verbreiten und im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dieser Katalog muss in inhaltlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einer Ausstellung oder zur Dokumentation von Beständen stehen und darf keinen eigenständigen Erwerbszweck verfolgen. § 58 Abs. 2 UrhG besagt: »Zulässig ist ferner die Vervielfältigung und Verbreitung der in Absatz 1 genannten Werke in Verzeichnissen, die von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen in inhaltlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einer Ausstellung oder zur Dokumentation von Beständen herausgegeben werden und mit denen kein eigenständiger Erwerbszweck verfolgt wird«.

Die vorliegenden Schrankenregelungen finden auf das Fotografieren im Museum keine Anwendung. Denn die von einer Privatperson gemachten Bilder dienen weder einem Werbezweck noch der Dokumentation der Bestände.

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

b) Ver vielfältigung zum privaten und sonstigen Gebrauch (Privatkopie) § 53 UrhG schränkt die Rechte des Urhebers für die Vervielfältigung zum privaten und eigenen Gebrauch ein (vgl. in Bezug auf die Vervielfältigung von Porträts OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 19.02.2013 – 11 U 37/12). Die Kopierfreiheit gem. § 53 UrhG gilt überall dort, wo ein Kopierverbot nicht durchgesetzt werden kann. Die Vervielfältigungen dürfen weder zur Verbreitung noch zur öffentlichen Wiedergabe angefertigt werden. Dem Recht auf eine Privatkopie wird durch § 53 Abs. 7 UrhG eine weitere Grenze gesetzt, denn in der Öffentlichkeit wird keine Vervielfältigungsfreiheit gewährt. § 53 Abs. 7 UrhG lautet: »Die Aufnahme öffentlicher Vorträge, Aufführungen oder Vorführungen eines Werkes auf Bild- oder Tonträger, die Ausführung von Plänen und Entwürfen zu Werken der bildenden Künste und der Nachbau eines Werkes der Baukunst sind stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig.«

§ 53 Abs. 7 UrhG muss für öffentliche Ausstellungen, also auch für Museen und Galerien, analog angewendet werden. Das bedeutet, dass die Vervielfältigungsfreiheit für private Zwecke nicht grenzenlos besteht.

6. E xkurs: Preußische Schlösser und Gärten Der BGH hat sich mehrfach mit der Verwertung des äußeren Erscheinungsbildes eines Gebäudes unter dem Aspekt der Befugnisse des Grundstückseigentümers beschäftigt. Richtungsweisend ist dabei die BGH-Entscheidung »Preußische Schlösser und Gärten« vom 17.12.2010 (GRUR 2011, 323). Eine gewerbliche Nutzung von Fotografien im Zusammenhang mit Privateigentum stellt eine Eigentumsbeeinträchtigung dar (OLG Brandenburg, GRUR 2010, 927). Der Eigentümer der Sache darf darüber entscheiden, welche wirtschaftlichen Vorteile gezogen werden dürfen (BGH, NJW 1975, 778 = GRUR 1975, 500 – Schloss Tegel; BGH, NJW 2013, 1809 – Preußische Gärten und Parkanlagen II). Das nicht genehmigte Fotografieren und die daraus resultierende Vermarktung stellen einen Eingriff in die Rechte des Eigentümers dar (BGH, NJW 2013, 1809 – Preußische Gärten und Parkanlagen II = MMR 2014, 64). Das bedeutet im Umkehrschluss Folgendes: Wenn der Eigentümer einer Sache – hier nach Ablauf der Schutzfrist – über die Verwertung entscheiden darf, muss er im Umkehrschluss bei noch urheberrechtlich geschützten Werken dafür Sorge tragen, dass er nicht »in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt« (BGH, GRUR 2010, 633, Tz 19 – Sommer unseres Lebens).

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Foto: Kurt Buchwald; Aktion »Fotografieren verboten«, Rom 1993

Die Urheberrechtsverletzungen können in Museen und Ausstellungen dadurch verhindert werden, dass das Fotografieren verboten ist.

7. Zusammenfassung In öffentlichen Ausstellungen, in Museen und Galerien darf nicht fotografiert werden. Die Ausnahmeregelung des § 53 UrhG in Bezug auf die »Privatkopie« findet hier keine Anwendung und kann daher nicht als Rechtsgrundlage für eine Fotografiererlaubnis herangezogen werden. Die Veranstalter von Ausstellungen sind nicht berechtigt, ohne einen entsprechenden Rechteerwerb eine Fotografiererlaubnis zu erteilen. Ausnahmeregelungen gelten für die aktuelle Berichterstattung (§ 50 UrhG) sowie in Bezug auf die Bewerbung der Ausstellung (§ 58 UrhG). Hinsichtlich der inkassierten Gebühren für die Fotografiererlaubnis stellt sich zudem die Frage, ob bzw. wie diese an die Urheber ausgeschüttet werden. Da es sich bei Fotografien um Vervielfältigungen handelt, müssten die Urheber gem. §§ 11, 54 Abs. 1 UrhG angemessen beteiligt werden. Wie verhält es sich mit den 2 €, um das Anfangsbeispiel noch einmal aufzugreifen? Zu welchen Prozentsätzen erfolgt die Verteilung auf die bildenden Künstler oder fließt die Lizenzgebühr in voller Höhe dem Veranstalter zu? Gemäß der »Padawan«-Entscheidung des EuGH vom 21.10.2010 (GRUR 2011, 50) ist für das Vervielfältigen eine pauschale Abgabe beim Kauf von Speichermedien zu zahlen. Es findet eine urheberrechtlich relevante Werknutzung statt. Deshalb dürfen privat genutzte Speichermedien mit einer Urheberrechtsabgabe

Stefan Haupt: Der Kunstmarkt und das Urheberrecht

belegt werden. Für das Erteilen einer Fotografiererlaubnis kann deshalb vom Grundsatz her nichts anderes gelten. Deshalb sind die bildenden Künstler an den Einnahmen zu beteiligen, die durch das Erteilen einer Fotografiererlaubnis erzielt werden.

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Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen für den Kunstmarkt: Kunstraub/Raubkunst/ Beutekunst Ulli Seegers

›Kunstraub‹ ist ein unscharfer Begriff, der ganz unterschiedliche Arten der Entwendung und des Verlustes von Kulturgütern umfasst. Im Sinne von Kunstdiebstahl bezieht er sich zunächst auf kleinkriminelle Straftaten. Dabei lassen sich Diebstahl als Straftat gegen fremdes Eigentum (z.B. durch nächtlichen Einbruch) und Raub als Vermögensdelikt durch Gewaltanwendung (z.B. durch Einsatz von Waffengewalt) unterscheiden. Im Sinne von Raubkunst ist hingegen der staatlich organisierte, verfolgungsbedingte Entzug von Kunstwerken aus überwiegend jüdischem Eigentum in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-45 gemeint. In Anlehnung an die englische Bezeichnung »Nazi looted art« wird daher spezifizierend auch von NS-Raubkunst gesprochen. Drittens ist der Sinnhorizont der Beutekunst aufgerufen, der kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter bezeichnet. Im Gegensatz zur Raubkunst benennt Beutekunst damit die Beute eines Besatzers zu Kriegszeiten (›Trophäen‹). Ein weiterer Aspekt des Kunstraubes, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, betrifft Kulturgüter, die vor kolonialistischem Hintergrund zumeist im 19. oder frühen 20. Jahrhundert von Expeditionen mitgebracht wurden oder als archäologische Funde in westliche Museen gelangten. »Von vielen Herkunftsländern wird die Rechtmäßigkeit dieser Transaktionen in Frage gestellt, da sie unter Ausnutzung des ökonomischen Gefälles oder durch Betrug zustande gekommen seien. So fordert z.B. Griechenland vom British Museum die Elgin Marbles, die Reliefs von der Akropolis, zurück, und Ägypten die Nofretete von den Berliner Museen.« (Lupfer/Iselt, 2012, 213) Strukturell mit diesem Topos verbunden ist das Problem von Raubgrabungen in der Gegenwart, die den internationalen Markt für Antiken bedienen und dabei die Fundstätten und -zusammenhänge unwiederbringlich zerstören. Dass organisierte Banden dabei nicht nur politisch instabile Länder systematisch plündern wie gegenwärtig die Pyramidenfelder in Ägypten, sondern auch in Europa tätig sind, zeigt die »Himmelsscheibe von Nebra«, auf die illegale Sondengänger 1999 in Sachsen-Anhalt stießen.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

K unstr aub/K unstdiebstahl Bis vor wenigen Jahren war den offiziellen Internetseiten des FBI zu entnehmen, dass der Schaden durch Kunstkriminalität im Jahre 2005 rund 8 Milliarden USDollar betragen hat. Heute heißt es dort vage, dass es sich dabei um ein bedeutendes kriminelles Feld (»significant criminal enterprise«) handele »with estimated losses running in the billion of dollars« – Diebstahl, Fälschung, Plünderung und illegaler Handel eingeschlossen (FBI, 2013). Nicht von ungefähr wurde der Bereich der Kunstkriminalität viele Jahrzehnte lang vom U.S. Department of Justice in der Kriminalitätsstatistik unmittelbar hinter Drogenschmuggel und illegalem Waffenhandel eingestuft, von einer hohen Dunkelziffer völlig abgesehen (vgl. Charney/Denton/Kleberg, 2012). Aufgrund kaum vorhandenen statistischen Materials und einer damit nur rudimentären Faktenlage sieht sich auch Interpol weder in der Lage, eine Angabe zur Anzahl von gestohlenen Kulturgütern zu machen, noch zu den am häufigsten betroffenen Ländern oder Objektarten (vgl. Interpol FAQ). Viele Kunstdiebstahlsdelikte würden aufgrund der Verbindung zu Schwarzgeldgeschäften, Geldwäsche oder anderen Straftaten nämlich gar nicht erst angezeigt. Außerdem sei die Wertermittlung der gestohlenen Objekte von Land zu Land uneinheitlich, so dass auch hier keine verlässlichen Zahlen zum jährlichen Schaden vorliegen. Vor allem private Wohnsitze stünden im Fokus von Kunstdieben, dicht gefolgt von Museen und Gotteshäusern. Zweifellos haben Kunstdiebstähle parallel zum Aufstieg des Kunstmarktes zugenommen. »Since 1960, television media began reporting and glorifying both art crime and the exorbitant prices for which art sells at auction. Around the same time, organized crime groups took over art crime to a great extent, turning what once essentially was an individual, often ideological crime category into a major international plague that funds organized crime’s other enterprises.« (Charney/ Denton/Kleberg, 2012) Tatsächlich lässt sich aufgrund der wachsenden Anzahl von spektakulären Kunstdiebstählen aus Museen der Eindruck einer »internationalen Plage« gewinnen. Oft handelt es sich dabei – wie im April 2002 im abgelegenen Brücke-Museum in Berlin, dem neun expressionistische Werke zum Opfer fielen, oder im Oktober 2012 in der Kunsthalle Rotterdam, wo sieben Werke der Moderne gestohlen wurden – um sogenannte »Blitz«-Einbrüche, bei denen sich die Täter zumeist nachts Zutritt zum Museum verschaffen und die nächstbesten Werke von der Wand reißen. Da der Coup oft nur wenige Minuten dauert, nehmen sie den ausgelösten Alarm billigend in Kauf: Bis die Polizei eintrifft, sind die Diebe mit ihrer Beute längst verschwunden. Manchmal wird es Kunstdieben durch nicht vorhandene, schlechte, veralterte oder nicht funktionierende Alarmanlagen allzu leicht gemacht, wie im Mai 2010 der Fall des nächtlichen Einbruchs ins Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris zeigte. Die Täter hatten einfach eine Scheibe eingeschlagen und ein Vorhängeschloss aufgebrochen, was erst am nächsten Morgen bemerkt worden war. Bis dahin waren fünf Meisterwerke der Sammlung vermutlich schon längst außer Landes gebracht. Daneben besteht in

Ulli Seegers: Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen. Kunstraub/Raubkunst/Beutekunst

bewaffneten Raubüberfällen ein brutaler Trend: Sowohl im August 2004 brachten sich mehrere Kriminelle im Munch-Museum in Oslo tagsüber zur regulären Öffnungszeit des Museums unter Einsatz von Waffengewalt in den Besitz von Munchs weltberühmtem »Schrei«, als auch im Februar 2008, als vier Meisterwerke der Moderne in der Zürcher Bührle-Sammlung geraubt wurden. Weniger aggressiv als trickreich hingegen gingen die Diebe vor, die im Mai 2002 aus der Hamburger Kunsthalle eine Giacometti-Bronze entwendeten. Sie hatten das Original in einem unbeobachteten Moment gegen eine Imitation ausgetauscht, so dass der Diebstahl erst zehn Tage nach der Tat bemerkt wurde. So unterschiedlich die kriminellen Vorgehensweisen, so disparat sind auch die Motive der Täter. Während die Idee eines Auftragsdiebstahls für einen großen, unbekannten Kunstsammler, der sich im Schutz der Privatheit am Unikat ästhetisch erfreuen will, wie auch die Vorstellung eines galanten GentlemanDiebs à la »Thomas Crown« eher zu den Mythen der Hollywood-Filmgeschichte zu zählen sind, sieht die kriminelle Realität sehr viel nüchterner aus. Habgier ist das Hauptmotiv der kulturell zumeist wenig beschlagenen Täter. Die gegenwärtig in Rumänien angeklagten Einbrecher der Kunsthalle Rotterdam waren durch ihr Navigationsgerät (›Museum‹) auch eher zufällig zur Kunsthalle geleitet worden und wussten mit den Künstlernamen (darunter Matisse, Gauguin, Monet, Picasso) laut eigenem Bekunden wenig anzufangen. Obwohl die gestohlenen Kunstwerke nach dem Coup international zur Fahndung ausgeschrieben waren und damit als unverkäuflich gelten mussten, waren sie in Bukarest einem verdeckten Ermittler zum Verkauf angeboten worden. Tatsächlich unterschätzen viele Kunsträuber nach einem zunächst geglückten Einbruch das Problem des Absatzes des Diebesgutes, das natürlich nicht nur das begehrte Tauschmittel für den erhofften Geldregen darstellt, sondern als gefährliches Beweismittel gleichzeitig auch ein hohes Risiko der Enttarnung birgt. Einige kunstkriminelle Straftaten enden daher auch mit einer ›verzweifelten‹ anonymen Rückgabe der Werke. So sind erst im Juli 2013 in Österreich über 100 Werke (darunter Glasskulpturen von Kiki Kogelnik) wieder aufgetaucht, die vor 17 Jahren gestohlen worden waren. Ein Unbekannter hatte die Arbeiten in Umzugskartons gut verpackt auf einem stark frequentierten Parkplatz abgestellt, so dass sie schnell gefunden werden konnten. Auf die Schwierigkeit der Veräußerung von Hehlerware antwortete augenzwinkernd auch die »Kunstklappe«, die nach dem Vorbild einer Babyklappe erstmals 2004 in Wien und 2006 auch in Köln temporär eingerichtet worden war. Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um den fragwürdigen Versuch der Institutionalisierung anonymer Kunstrückgabe, sondern vielmehr um eine Kunstaktion der beiden Österreicher Moussa Kone und Erwin Uhrmann, die in Form einer partizipativen Installation auf gesellschaftliche Zirkulationsprozesse von Kunstwerken aufmerksam machen wollten. Neben Hehlerei besteht in der Erpressung von Lösegeld ein weiterer krimineller Versuch, sich an dem einzigartigen Kulturgut zu bereichern. Zwei besonders medienwirksame Fälle sogenannten »Art Nappings«, bei dem neben Versiche-

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

rungen, Museumskuratoren, Anwälten und Politikern nicht selten auch Sonderermittler und Kontaktleute der Kriminellen involviert sind, sind im Diebstahl von drei Gemälden aus der Frankfurter Schirn-Kunsthalle (1994) sowie in der Entwendung der einzigen Goldschmiedearbeit Benvenuto Cellinis aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien (2003) auszumachen. Während die »Saliera« bereits drei Jahre nach dem Diebstahl in einer im Wald vergrabenen Kiste wiedergefunden wurde, brauchte es im Frankfurter Fall knapp neun Jahre und überaus verworrene Verhandlungen, um die Gemälde von William Turner und Caspar David Friedrich wieder zurückzubringen (vgl. Nairne, 2012). Dass gestohlene Kunst auch als Pfand für Haftverschonung oder zumindest für bessere Haftbedingungen instrumentalisiert wird, zeigt aktuell der Fall der angeklagten Rotterdam-Täter: Man gebe das Versteck der vermissten Werke nur bekannt, wenn der Prozess von Rumänien in die Niederlande verlegt werden würde. Sehr viel seltener sind politische Gründe für einen Kunstdiebstahl, wie im Falle der innerhalb von drei Jahrzehnten gleich viermal ausgeraubten Sammlung von Lord Alfred Beit in der Nähe von Dublin. »Mal wollte die Untergrundorganisation IRA mit Hilfe gestohlener Bilder Gefangene freipressen, mal versuchte ein irischer Bandenchef, mit ihrer Hilfe groß in den internationalen Drogenhandel einzusteigen.« (Koldehoff, 2004, 49) Anders verhält es sich bei der »Mutter aller Kunstdiebstähle«, dem Raub der »Mona Lisa« aus dem Louvre im August 1911. Ein italienischer Glaser und Anstreicher des weltberühmten Museums hatte sich von einem argentinischen Kunsthändler bestechen lassen, das nicht weniger berühmte Porträt zu stehlen. Hintergrund war einzig die Erhöhung seiner Absatzchancen einer ganzen Reihe von »Mona Lisa«-Fälschungen: »Er bot das Bild schon vor dem Diebstahl gleich mehreren Sammlern an, von denen die meisten in den USA lebten. Alles, was ihm danach noch fehlte, waren die Schlagzeilen, die bewiesen, dass sich die weltberühmte ›Mona Lisa‹ tatsächlich in seinen Händen befand. Und diese Schlagzeilen kamen.« (Koldehoff, 2004, 29) Ein ebenso außergewöhnlicher, wenngleich völlig anders gelagerter Fall von Kunstdiebstahl sind die Beutezüge eines jungen Elsässers, der im Zeitraum von 1995 bis 2001 in mindestens 177 Schlössern und Museen in ganz Europa 239 Kunstobjekte gestohlen hatte. Nicht Geldgier sei sein Motiv gewesen, sondern einzig die Liebe zur Kunst, wie der Ende 2001 in Luzern gefasste Serientäter zu Protokoll gab. Tatsächlich hatte er kein einziges gestohlenes Werk verkauft, sondern alle Objekte vom Gemälde bis zum Kokosnusspokal in seiner eigenen kleinen Wohnung gehortet, bis dass seine Mutter diese nach der Verhaftung ihres Sohnes zur Vernichtung von Beweismitteln in den Rhein-Rhône-Kanal warf. Im Rahmen einer Autobiografie wusste sich der Kleinkriminelle anschließend nicht nur als »Meisterdieb«, sondern auch als Opfer in Szene zu setzen (vgl. Breitwieser, 2007). Die Aufklärungsquote von Kunstdiebstahl ist vergleichsweise gering, »in some cases as low as 2 to 6 percent«, wie das FBI mitteilt. Da idealerweise mit der Rückführung eines gestohlenen Werkes auch die Verhaftung des Straftäters verbunden ist, sind auch hier die Daten aus verständlichen Gründen spärlich.

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Die mit Abstand höchste Erfolgsquote liegt bei Gemälden, da diese zumeist Unikate und am besten identifizierbar sind. Problematisch ist sicher auch der Umstand, dass viele Länder keine spezialisierten Polizeieinheiten unterhalten, wie beispielsweise das amerikanische FBI Art Crime Team, die britische Scotland Yard Arts and Antiques Unit, die italienische Carabinieri Division for the Protection of Cultural Heritage oder das niederländische Art Crime Team. Angesichts der Tatsache, dass die Aufklärung von Kunstdiebstahl häufig andere Maßnahmen als z.B. Autodiebstahl erfordert und dass es dafür spezifischer Kenntnisse des Kunstmarktes und seiner Gepflogenheiten bedarf, erstaunt diese oft fehlende Spezialisierung, zumal Experten die Kunst längst auch als Wirtschaftsfaktor erkannt haben und sehen, dass der globalisierte Kunstmarkt zunehmend Begehrlichkeiten weckt. Im föderalistischen Deutschland halten die 16 Bundesländer die Hoheit über Polizeiaufgaben, so dass es in den einzelnen Ländern sehr unterschiedliche Strukturen gibt. Nur drei Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern und Berlin) unterhalten gegenwärtig gut ausgebildete, spezialisierte Kunst-Dezernate, weshalb eine zentrale Erfassung oder der rasche, vereinheitlichte Austausch über Kunstdelikte zwischen den einzelnen Ländern nicht immer gewährleistet ist. Das Bundeskriminalamt hat unlängst eine Datenbank für sichergestellte Wertgegenstände online gestellt, in der Hoffnung, dass Geschädigte ihre Wertsachen möglicherweise wiedererkennen (www.securius.eu.com). Unter der Rubrik »Bilder« fanden sich am 14.08.2013 allerdings nur 37 Einträge. Interpol unterhält eine Datenbank mit mehr als 40.000 gestohlenen Gegenständen, die allerdings nicht öffentlich zugänglich ist, sondern nur autorisierten Behörden vorbehalten ist. Die Lücke, die ein fehlendes Zentralregister rund um die Kunstkriminalität hervorruft, und das Problem unterschiedlicher internationaler Rechtsordnungen (z.B. bei Verjährungsfristen, gutgläubigem Erwerb u.a.), welches Kunstdiebe durch Zwischenverkäufe in Ländern mit kurzen Fristen strategisch nutzen, füllt das private Art Loss Register Ltd (ALR) mit Sitz in London. Laut eigenen Angaben unterhält das Unternehmen, das auf erfolgsabhängiger Provisionsbasis arbeitet, eine Datenbank mit etwa 300.000 Verlusteinträgen. Das Registrieren von Verlustfällen sowie deren Abfrage ist gebührenpflichtig. Durch den routinemäßigen Abgleich internationaler Handelsware (zB. in Auktionen oder auf Kunstmessen) mit dem Datenbankbestand arbeitet das ALR proaktiv an der Identifizierung vermisster Kunstwerke. Ihm kommt damit im internationalen Kontext eine Schnittstellenfunktion zwischen Strafverfolgungsbehörden und Kunstmarkt zu. Registriert werden können jedoch nur eindeutig identifizierbare Objekte, so dass alle Kunstsammler gut beraten sind, ihre Werke nach dem sogenannten Object IDVerfahren, einem internationalen Standard zur professionellen Dokumentation von Sammlerstücken, zu erfassen. Der beste Schutz hingegen ist eine adäquate Sicherungstechnik an Kunstwerken und ihren Standorten, so dass Kunstdiebe erst gar keine Chance erhalten.

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NS-R aubkunst Vor einem denkbar anderen Hintergrund steht die Raubkunst. Unmittelbar nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten begann die systematische Verfolgung und Verdrängung der Juden aus der deutschen Gesellschaft. Durch gezielte gesetzliche Maßnahmen wie Berufsverbote (›Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‹, ›Reichskulturkammergesetz‹, ›Ariernachweis‹, ›Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben‹), Kündigungen, erpresste Geschäftsaufgaben, diskriminierende Abgaben (›Judenvermögensabgabe‹, ›Reichsfluchtsteuer‹) und willkürliche Eingriffe in das Vermögen sollte den jüdischen Mitbürgern systematisch die soziale und wirtschaftliche Basis entzogen werden. In enger Zusammenarbeit der gleichgeschalteten Behörden wurden die privaten Besitzverhältnisse der jüdischen Bevölkerung erfasst, kontrolliert und dezimiert. Von Anbeginn waren auch die Kunstsammlungen der Verfolgten bevorzugter Gegenstand von Beschlagnahme und Konfiskation. Der Begriff der NS-Raubkunst umfasst neben Enteignungen durch Zwangsversteigerung (›Judenauktion‹), erzwungene Geschäftsaufgaben (›Arisierung‹) und andere willkürlichen Formen der Wegnahme privaten Eigentums auch Verkäufe durch die Entrechteten selbst, da die – oft vergleichsweise geringen – Erlöse in der von außen herbeigeführten Zwangssituation dazu dienen sollten, den Lebensunterhalt zu sichern bzw. die Emigration zu finanzieren (›Fluchtverkauf‹). Er gilt ebenso für Werke, die vom verfolgten Eigentümer aus dem Deutschen Reich ins sichere Ausland gebracht wurden, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen (›Fluchtgut‹). Müller/Tatzkow haben 2008 eine Studie vorgelegt, die das tragische Schicksal einzelner jüdischer Sammler nachzeichnet und die strategische Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten exemplarisch dokumentiert. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs 1938 wurden auch die dortigen jüdischen Sammlungen beschlagnahmt und in einem Zentraldepot in der Wiener Hof burg gelagert. Nach den Novemberpogromen verschärften sich mit dem brutalen Antisemitismus auch die Überfälle auf die Juden und ihre Besitzstände. Mit der ab Ende 1941 geltenden Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz trat der Vermögensverfall automatisch ein, wenn ein deutscher Jude das Land verlassen hatte. Christiane Kuller schreibt dazu: »Mit bürokratischer Konsequenz wandten die Finanzbehörden die Regelung sofort auf die bereits laufenden Deportationen an. In der ›Aktion 3‹, wie die Enteignung, Verwaltung und Verwertung des Eigentums der Deportierten durch die Finanzbehörden in der Tarnsprache des NS-Regimes hieß, konfiszierten die Finanzbeamten das gesamte Vermögen der verschleppten Juden, behielten es teilweise selbst in ihren Ämtern oder verkauften und versteigerten es an die Bevölkerung.« (In: Bertz/Dorrmann, 2008, 64) Der Angriff auf das Eigentum der jüdischen Bevölkerung wurde mit der Aneignung des tschechischen Sudetenlandes sowie dem Einmarsch in Polen 1939 auch auf die von der Wehrmacht besetzten Gebiete ausgedehnt. Im Mai und

Ulli Seegers: Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen. Kunstraub/Raubkunst/Beutekunst

Juni 1940 marschierten deutsche Truppen in die Beneluxstaaten sowie in Frankreich ein. In Form einer »Kunstschutz-Truppe« sowie ab September 1940 auch mit dem »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« (ERR) wurden spezielle Einheiten geschaffen, die in den besetzten Gebieten wertvolle Kunstwerke aufspüren und beschlagnahmen sollten. Bis zum Juli 1944 hatte allein der ERR 21.903 Kunstobjekte aus 203 Kunstsammlungen französischer Juden konfisziert (vgl. Feliciano, 1998). Auch im besetzten Osteuropa fielen alle Hemmungen. Der in Polen, in der Ukraine und in Weißrussland durch die deutsche Besatzungsmacht geplünderte oder vernichtete Bestand an Kulturobjekten geschah in einem Ausmaß, das nie beziffert werden konnte. Jonathan Petropoulos geht von etwa 600.000 Kunstwerken aus, die vom NS-Regime zwischen 1933 und 1945 in ganz Europa geraubt worden sind: etwa 200.000 innerhalb von Deutschland und Österreich, 100.000 in Westeuropa und 300.000 in Osteuropa, wobei bei diesen Zahlen zu berücksichtigen ist, dass nur Kunstwerke im engeren Sinne erfasst wurden. Der Raub an Kulturgütern, die mit Archivalien, Büchern, kunstgewerblichen Objekten und Musikinstrumenten sehr viel mehr Gattungen umfassen als nur Gemälde und Skulpturen, geht zweifellos in die Millionen. Viele der geraubten Werke gingen an private Sammlungen von NS-Funktionären oder waren für Hitlers in Linz geplantes »Führermuseum« bestimmt. An den geplünderten Werken besaß der Diktator ein Ersterwerbsrecht (›Führervorbehalt‹). Ein weiterer, aber substantiell anders gelagerter Fall von NS-Beschlagnahme darf in einem Beitrag über Raubkunst zwar nicht fehlen, kann aber nicht ausführlich behandelt werden. Dabei handelt es sich um die politische Indienstnahme von Kunst im Rahmen der Aktion »Entartete Kunst«, die 1937 mit der gleichnamigen Feme-Ausstellung in München ihren Höhepunkt fand. Tatsächlich lässt sich die nationalsozialistische Brandmarkung moderner Kunst als »undeutsch zersetzend«, »kulturbolschewistisch« bzw. »entartet« schon vor der Machtübernahme nachweisen, doch kommt es erst mit der Ermächtigung Adolf Zieglers als Reichskunstkammerpräsidenten im Juni 1937 zu einer massenweisen Beschlagnahmung moderner »Verfallskunst«. So wurden in der ersten Juliwoche 1937 aus 32 deutschen Museen etwa 600 Werke von 120 Künstlern konfisziert und bereits zwei Wochen später auf der Ausstellung »Entartete Kunst« in München in diffamierender Weise zur Schau gestellt. Über zwei Millionen Menschen besuchten die Propaganda-Ausstellung. Ab August folgte eine zweite, umfassendere Welle des NS-Bildersturms, dem in über 100 Museen in 74 deutschen Städten mehr als 20.000 Kunstwerke von annähernd 1.400 Künstlern zum Opfer fielen (vgl. Schnabel/Tatzkow, 2007, 38). Ein großer Teil wurde vernichtet, ein weiterer Teil gegen Devisen ins Ausland verkauft. Im nachhinein rechtlich legitimiert werden sollte die beispiellose »Säuberungsmaßnahme« durch das im Mai 1938 erlassene »Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst«. Da sich diese Aktion der Nationalsozialisten dezidiert auf Bestände in öffentlichen Sammlungen bezog und Privatsammlungen formal nicht betroffen waren, richtete sich die-

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ser Akt staatlicher Willkür primär gegen öffentliches Eigentum und nicht gegen Privatpersonen. Das NS-Regime war durch seine Raubzüge in ganz Europa für eine gewaltige Umschichtung von Vermögen und Kulturgut verantwortlich. Dabei hatten die Staaten, die sich mit NS-Deutschland im Krieg befanden, bereits 1943 im Rahmen der Londoner Erklärung darauf hingewiesen, dass Plünderungen, Zwangsverkäufe und sonstige NS-verfolgungsbedingte Vermögensverluste von Kunstwerken nicht anerkannt werden und rückgängig zu machen sind. Erst im Mai 1945 endete mit der deutschen Kapitulation und dem Beschluss der Alliierten, was in der jeweiligen Besatzungszone mit den Kunstschätzen zu geschehen habe, eine lange Irrfahrt. Über zentrale Sammelstellen (Central Collecting Points) in Wiesbaden und München erfolgten erste Restitutionen geraubter Werke. »Wiedergutmachung« und »Entnazifizierung« waren die Stichworte der Nachkriegszeit, die in der Hoffnung auf ein baldiges Wirtschaftswunder auch einen schnellen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollte. Personelle und strukturelle Kontinuitäten zwischen NS-Staat und früher Bundesrepublik trugen zweifellos dazu bei, dass die Rückerstattung jüdischen Kulturguts nicht allzu forciert betrieben wurde. Immerhin gingen in Berlin bis 1950 rund 700.000 Anträge ein (vgl. Lillteicher, 2007, 125). Auf Drängen der Jewish Claims Conference wurde die Rückerstattungsfrist 1957 mit einem auf 1,5 Milliarden DM begrenzten Gesamtbudget nochmals verlängert, bis dass sie unter Ludwig Erhard 1965 endete. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Ende des Kalten Krieges kam wieder Bewegung in die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Durch die Öffnung der Grenzen öffneten sich auch Archive und mit ihnen eingefahrene Denkschablonen. Nicht von ungefähr trafen 1998 in Washington die Vertreter von 44 Staaten – darunter Deutschland – im Rahmen einer Konferenz zusammen, um die bisherige Praxis der »Wiedergutmachung« zu überdenken und neue Grundsätze für Restitutionen anzustreben. In den »Washington Principles« verständigte man sich darauf, dass der Kunstraub in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 fortan nicht mehr nur den Fristen zivilrechtlicher Verjährung unterliegen sollte, sondern dass Erben weiterhin ihre Ansprüche geltend machen könnten. Dieser rechtlich nicht bindenden Selbstverpflichtung folgte Deutschland mit der »Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz« von 1999 sowie mit einer »Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung« von 2001. Ziel sei es, »gerechte und faire Lösungen« zu finden. Mit der öffentlich zugänglichen und von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg verwalteten Lostart-Datenbank (www.lostart.de) wurde im Sinne der Washingtoner Erklärung ein »zentrales Register« geschaffen, das sowohl eine Suchliste vermisster Werke wie auch eine Fundliste von Werken ungeklärter Herkunft in öffentlichem Besitz beinhaltet. Die neue Diskussion um Raubkunst und Restitution blieb nicht ohne Konsequenzen für den Kunstmarkt. Die Frage nach der Herkunft der Kunst-

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werke ist seither zur Gretchenfrage für jeden Kunsthändler geworden, so dass vor dem Verkauf teilweise umfangreiche Recherchen erforderlich sind, denn am Handel mit restitutionsbefangenen Werken kann niemand ernsthaft interessiert sein. Auch die Museen sind in der Pflicht, wenn es gilt, die eigenen Bestände akribisch nach möglicher NS-Raubkunst zu durchforsten. Provenienzforschung lautet das Stichwort, das mittlerweile zu einem unverzichtbaren Bestandteil kunsthistorischer Berufspraxis und universitärer Forschung geworden ist (vgl. den Forschungsbericht von Christian Welzbacher, 2012). Einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Diskussion um NS-Raubkunst leistete auch die Ausstellung »Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute«, die 2008 in Berlin und Frankfurt a.M. zu sehen war (vgl. Ausst.Kat. Bertz/Dorrmann, 2008). Viele Werke konnten bis heute nicht an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden und befinden sich noch weltweit verstreut in Privatsammlungen oder Museen. Die NS-Raubkunst wird noch viele Generationen beschäftigen.

B eutekunst Unter Beutekunst werden Kulturgüter verstanden, die sich die Siegermacht im Verlauf von Kriegshandlungen oder in einem kriegsähnlichen Zustand als Trophäen entgegen Art. 56 der Haager Landkriegsordnung (1907) aneignet. Zu allen Zeiten wurde bedeutendes Kulturgut erbeutet, von antiken Münzen über Spolien wie Marmorsäulen bis hin zu Gemälden. Die antiken Bronzepferde aus dem Hippodrom in Konstantinopel wurden ebenso zur Triumphgeste über den Gegner, als sie 1204 in Venedig ankamen und seitdem die Fassade von San Marco schmücken, wie die Schätze des Hradschin auf dem Prager Burgberg, darunter 700 Gemälde, die 1648 kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges von der schwedischen Armee auf Geheiß Königin Christinas nach Schweden überführt wurden. Neben der Ausplünderung und wirtschaftlichen Schwächung des Gegners diente die reiche Kunstbeute aus den rudolfinischen Schätzen auch dazu, »dass das kunstarme Schweden, welches damals politisch zur europäischen Großmacht aufstieg, dies auch durch den Besitz europäischen Kulturerbes dokumentieren und symbolisieren« (Wolf, 2010, 111) konnte. Kunst zu nationalen Repräsentationszwecken, Kulturgut als Grundlage für Identitätskonstruktionen – Beutekunst bildet nicht nur ein Mittel, den Gegner zu demütigen und ihn seiner kulturellen Identität berauben, sondern steht immer auch im Zusammenhang der eigenen kulturellen und materiellen Bereicherung. Dabei gehört es »zur symbolischen Zirkulation von Kulturobjekten« (Schade et al., 2000, 18), dass auch die Erbeuter von Trophäen im Verlauf der Geschichte einer anderen Siegermacht unterliegen und ihre »Beute« wieder preisgeben müssen. Auch die venezianischen Pferde haben auf diese Weise unter napoleonischem Regiment einen ›Ausflug‹ nach Paris gemacht, der bis zum Dezember 1815 dauerte. Tatsächlich gelten die ausgedehnten Beutezüge Napoleons zwischen 1794 und 1811 im Namen der Freiheit und des Fortschritts der

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Künste als »erste systematische ›Geiselnahme‹ von Kunstwerken« (Lupfer/Iselt, 2012, 213). Während seine Konfiszierungen von vielen tausend Kunstwerken und Büchern in den besiegten Ländern Europas zunächst noch nicht zur Frage der Rückgabe führte und der Abtransport der Kriegsbeute oft »unter dem ohnmächtigen Schweigen der Bevölkerung« (Wolf, 2010, 99) stattfand, bildete sich über die exorbitante Aneignungspolitik des Franzosen in den geplünderten Gebieten allmählich ein Bewusstsein für das eigene Kulturerbe aus (vgl. Savoy, 2011). Erst als die Deutschen merkten, welchen Wert ihre Kunstwerke in Frankreich hatten, begannen sie sie auch selbst zu schätzen. Auf den Restitutionsausstellungen nach 1815 waren alte Meister wie Cranach, Dürer, Altdorfer und Memling plötzlich gefragte Exponate. Für die Ausbildung des eigenen kulturellen Bewusstseins hatten die napoleonischen Plünderungen damit offenbar katalysatorische Wirkung. Die Rückführung nach Berlin der 1806 von Napoleon geraubten Quadriga vom Brandenburger Tor geriet somit ihrerseits zu einem Triumphzug: Das gedemütigte Preußen hatte sich 1814 die napoleonische »Ideologie nationaler Affirmation qua Kunst« (Wolf, 2010, 124) ebenfalls angeeignet. Die damit verbundene Politisierung von Kunstwerken führte dazu, dass die alliierten Mächte nach dem Sieg über Napoleon erstmals die sofortige Herausgabe der geraubten Kunstschätze forderten. In der Folge begann man in München und Berlin, mit der Glyptothek, der Alten Pinakothek und dem Alten Museum erste öffentliche Museen zu errichten. Als Heimstatt für die zurückkehrende Beutekunst sollten sie fortan das eigene nationale Kulturgut zeigen. Vor diesem Hintergrund bildet das Verständnis der Beutezüge Napoleons einen »wichtigen Schlüssel auch für das Verständnis des Kunstraubs im Nationalsozialismus«, denn »erklärtermaßen war der ›Kunstschutz‹ als Teil deutscher Besatzungspolitik die Revision der napoleonischen Beutezüge« (Welzbacher, 2012, o.P.). Politische Totalitarismen sind auf die ideologische Instrumentalisierung von Kunst angewiesen. Als symbolisch hoch aufgeladene Objekte vermögen kriegsbedingt abhandengekommene Kulturgüter kollektive Emotionen auszulösen. Erlittenes Unrecht mag sich somit Bahn brechen und eine spätere kulturelle »Revanche« provozieren. Kein Wunder, dass der sowjetische Einmarsch ins Deutsche Reich erneut an Kunstraub und die archaisch anmutende Auffassung von Beutekunst als Siegestrophäe gekoppelt war. So konfiszierten sowjetische Trophäenbrigaden der Roten Armee in ihrer Besatzungszone über eine Million Stücke aus deutschen Museen und schickten sie als Kompensation für eigene Kriegsverluste in die UdSSR. Wie zuvor schon Napoleon und Hitler schwebte auch Stalin ein imperiales Museum vor, das diesmal in Moskau alle Pracht vereinen sollte. Nach dessen Tod wurde der Plan aufgegeben. In den 1950er Jahren wurde ein Teil der nach Russland verschleppten Werke an die DDR zurückgegeben, darunter auch Raffaels Sixtinische Madonna aus der Dresdner Gemäldegalerie und der Pergamonaltar. An die BRD hingegen fanden unter dem Eindruck des Kalten Krieges keine Restitutionen statt, weshalb es hier bald zum Stillstand der Rückführungsgespräche kam. Auch nach Öffnung des Eisernen Vorhangs hat sich dieser Zustand nicht grundlegend

Ulli Seegers: Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen. Kunstraub/Raubkunst/Beutekunst

geändert; vielmehr haben Duma-Gesetze, die die strittigen Beutekunstwerke zu russischem Eigentum erklären, die Situation eher noch zementiert. Auch andere osteuropäische Staaten bestätigten die Auffassung von der Wiedergutmachung für eigene Verluste und schrieben damit entgegen der Haager Landkriegsordnung das Kriegsbeuterecht des Siegers fest. Die vielen noch fehlenden Stücke beherrschen hingegen die Diskussion um Beutekunst, die im Schliemann Gold bzw. im Schatz des Priamos, der aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin stammt und sich heute im Moskauer Puschkin-Museum befindet, zweifellos ihren prominentesten Vertreter findet. Wie virulent die Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit von Beutekunst vor dem Hintergrund internationalen Rechts heute noch ist, zeigte die kurzfristige Absage der deutschen Bundeskanzlerin, zusammen mit Wladimir Putin im Juni 2013 die Ausstellung »Bronzezeit – Europa ohne Grenzen« in der Eremitage in St. Petersburg zu eröffnen, in der auch der bei Potsdam entdeckte Eberswalder Goldschatz gezeigt wurde. Die Beutekunst der Vergangenheit prägt das politische Klima der Gegenwart und bleibt eine große kulturpolitische Herausforderung der Zukunft.

R ahmenbedingungen : K ulturgutschut z und S elbst verpflichtungen Gestohlene, geraubte oder erbeutete Kunstobjekte bedürfen besonderer Reglements, um ihre Identifizierung, Lokalisierung und Rückführung zu ermöglichen und voranzutreiben. Rechtliche Grundlage kann nur ein gesetzlicher Kulturgutschutz sein, der sich idealerweise nicht scheut, den Opferschutz über den freien Handel zu stellen und damit den Kunstmarkt ggf. in Schranken zu weisen. Internationale Konventionen wie UNESCO 70 oder UNIDROIT 1995 helfen, dem Kulturgüterschutz im weltweiten Kontext Rechnung zu tragen. 2007 wurde das »UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut« aus dem Jahre 1970 durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Es beinhaltet Mindestvorschriften für die von den Vertragsstaaten zu ergreifenden Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern, unter anderem Vorkehrungen zum Schutz eigenen Kulturgutes, zur Verhinderung seiner rechtswidrigen Ausfuhr, zum Schutz rechtswidrig eingeführten Kulturgutes anderer Vertragsstaaten sowie zur Herausgabe auf Ersuchen des Herkunftslandes. Allerdings bezieht sich das völkerrechtliche Abkommen ausschließlich auf die zwischenstaatliche Ebene, weshalb es die Frage nach privatrechtlichen Rückgabeforderungen von Einzelpersonen nicht ansatzweise berührt. Die »UNIDROIT-Konvention über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter« von 1995 versteht sich insofern als Ergänzung des UNESCO-Übereinkommens, als hier neben den öffentlich-rechtlichen Rückgabeansprüchen auch privatrechtliche Regelungen thematisiert werden. Die UNIDROIT-Konvention ist damit umfassender und für den weltweiten

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Kulturgüterschutz effektiver als UNESCO 70, sieht sie doch sowohl für gestohlenes, geraubtes wie auch für illegal exportiertes Kulturgut einen generellen Rückgabeanspruch vor, der unabhängig vom gutgläubigen Erwerb des Käufers gegen eine angemessene Entschädigung durchsetzbar ist. Ein wirksamer Kulturgüterschutz erfordert die Zusammenarbeit aller Staaten und kulturellen Einrichtungen. Eine Ratifizierung auch des UNIDROIT-Übereinkommens ist daher wünschenswert. Die BRD hat dies bislang abgelehnt. Neben internationale Abkommen treten berufsständische Selbstverpflichtungen der Kunsthandelsverbände (vgl. die Charta der Federation of European Art Galleries Association/F.E.A.G.A. oder den Code of Ethics der Confederation internationale des negociants en oeuvres d’art/CINOA). Die selbstauferlegten Berufspflichten sind allerdings rechtlich unverbindlich, unterliegen keiner Kontrolle und führen im Falle einer Verletzung nicht zwingend zu Konsequenzen. Hilfreich für die Praxis des Kulturgüterschutzes wäre zweifellos eine inhaltliche Spezifikation von Sorgfaltspflichten für Kunstkäufer und –verkäufer (vgl. Seegers, 2014) nach dem Vorbild des schweizerischen Kulturgütertransfergesetzes (KGTG). Ferner könnte ein »Pass für Kulturgut«, auf dem Fundort, Herkunft und Vorbesitzer des Objektes verzeichnet sind, helfen, den illegalen Handel einzudämmen. Kunsthandelsvertreter haben diesen Vorschlag unter Hinweis auf Datenschutzbestimmungen jedoch abgelehnt. Offenbar lässt sich effektiver Kulturgutschutz nur durch ein internationales Verkaufsverbot ohne Herkunftsbeleg durchsetzen. Auswirkungen auf den Markt und die Wertentwicklung von Kunstwerken hat Kunstraub in seinen unterschiedlichen Facetten in jedem Fall, denn letztlich entscheidet auch die Provenienz über die Identität und den kulturellen wie wirtschaftlichen Wert von Sammlungsobjekten (vgl. Seegers, 2013).

L iter atur Akinscha, Konstantin/Koslow, Grigori: Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots, München 1995. Armbruster, Thomas: Rückerstattung der Nazi-Beute, die Suche, Bergung und Restitution von Kulturgütern durch die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008 (Diss.). Becker, Heinrich (Hg.): Schattengalerie – Symposium zur Beutekunst. Forschung, Recht und Praxis, Aachen 2010. Bertz, Inka/Dorrmann, Martin (Hg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008. Breitwieser, Stéphane: Bekenntnisse eines Kunstdiebes, München 2007. Charney, Noah/Denton, Paul/Kleberg, John: Protecting Cultural Heritage from Art Theft, www.f bi.gov/stats-services/publications/law-enforcement-bulletin/ march-2012/protecting-cultural-heritage-from-art-theft [30.07.13] Feliciano, Hector: Das verlorene Museum. Vom Kunstraub der Nazis, Berlin 1998.

Ulli Seegers: Kunstkriminalität und ihre Konsequenzen. Kunstraub/Raubkunst/Beutekunst

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Kunst und Steuern Felix Ganteführer

I. E inkommensteuer Ein Sammler, der gleichzeitig Unternehmer ist, mag darüber nachdenken, ob es für ihn steuerlich vorteilhafter ist, wenn er ein Kunstwerk nicht privat, sondern über sein Unternehmen kauft. Dabei denkt er vor allen Dingen an die Abschreibungsmöglichkeiten. Ich fasse mich hier kurz. Im Normalfall lohnt sich ein Kauf durch das Unternehmen nicht. Die Abschreibungsmöglichkeiten sind gering, beim Kauf eines Kunstwerks eines anerkannten Künstlers gibt es gar keine Abschreibungsmöglichkeit. Das Unternehmen kann zwar die Umsatzsteuer geltend machen. Dieser Vorteil gleicht sich aus, wenn das Kunstwerk verkauft oder aus dem Unternehmen entnommen wird, da dann die Mehrwertsteuer wieder anfällt. Entscheidend ist jedoch etwas anderes. Wird das Kunstwerk im Laufe der Zeit wertvoller, so ist bei einem Verkauf die Differenz zwischen dem Veräußerungspreis und dem Buchwert zu versteuern, im Falle einer Entnahme die Differenz zum gestiegenen Wert. In der Beratungspraxis geht es um andere Fragen. Ein Kunstsammler, der immer wieder einzelne Kunstwerke verkauft, will wissen, ob er dadurch bedingt wie ein Kunsthändler behandelt wird, sodass er einkommensteuer-, gewerbesteuerund umsatzsteuerpflichtig wird. Vorab ist zunächst einmal festzustellen, dass ein Sammler, der ein Kunstwerk innerhalb von einem Jahr seit dem Ankauf, der sogenannten Spekulationsfrist, mit Gewinn verkauft, den Veräußerungsgewinn, abgesehen von einem kleinen Freibetrag, einkommensteuerlich zu versteuern hat. Sammler verkaufen häufig Kunstwerke, um den Ankauf anderer Werke zu finanzieren. Sie schichten innerhalb ihrer Sammlung um, füllen Lücken aus oder verkaufen gegebenenfalls ihre gesamte Sammlung, um mit einer neuen Zielrichtung wieder anzufangen. Bekanntes Beispiel ist etwa der Berliner Sammler Erich Marx, der seine frühere konventionell orientierte Sammlung gänzlich verkaufte, um mit Unterstützung eines externen Beraters seine heutige bekannte Sammlung anzulegen. In solchen Fällen hat der Fiskus in der Vergangenheit häufiger versucht, den Kunstsammler zu einem Gewerbetreibenden zu machen, um ihn dadurch zur

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Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer heranzuziehen. Die Beratungspraxis zeigt, dass der Fiskus in Einzelfällen den Sammler hätte ruinieren können. Der Bundesfinanzhof hat jedoch dem privaten Kunstsammler in mehreren Entscheidungen den Rücken gestärkt und eine realistische Einfühlung in die Art und Weise des Sammlers gezeigt, indem das Gericht häufiger vorkommendes Verkaufen und Ankaufen als typisch für das Sammeln anerkennt. Nach Auffassung des obersten Finanzgerichts wird der Sammler nur dann zum Gewerbetreibenden, wenn er sich »wie ein Händler« verhält. Wann ein Sammler sich als Händler verhält, ist allerdings nicht genau abgegrenzt. Fest steht, dass der Sammler auch zum Händler werden kann, ohne einen besonderen Geschäftsbetrieb einzurichten oder in einen erkennbaren Wettbewerb zu anderen Händlern zu treten. Schließlich gibt es Händler, die weder eine Galerie noch ein Büro betreiben, die jedoch ein umfangreiches Kunstlager besitzen, aus dem sie durch den Versand von Ektachromen oder durch den Besuch beim Interessenten eine große Kundschaft bedienen. Diese Grauzone wird mit den Begriffen des »gentleman dealer« oder des »marchand amateur« beschrieben, in die auch ein Sammler, der sich allzu eifrig auf dem Markt betätigt, geraten kann. Es ist davon auszugehen, dass sich inzwischen eine größere Anzahl von Sammlern wie Händler geriert, indem sie durch Angebotsinserate in Zeitungen regelmäßig Geschäfte mit Kunstwerken machen wollen. Sie schaffen sich eine Klientel, deren Sammelgebiete sie kennen, und an die sie gezielt zu gegebenem Zeitpunkt schriftlich oder telefonisch herantreten. Für diese Gruppe der Sammler ist die Schwelle zur Gewerblichkeit meist schon überschritten. Steuerlich komplexer ist die Rechtslage bei Galeristen, Kunsthändlern und Künstlern. Es kommt immer wieder vor, dass ein Galerist ein Kunstwerk verkauft und dabei meint, der Vorgang sei steuerfrei, weil es sich um einen Verkauf aus seinem Privatbesitz handelt. Dieser Verkauf aus einem Privatbesitz soll dann steuerlich so behandelt werden wie der Verkauf durch einen Privatsammler in dem zuvor gekennzeichneten Sinn. Häufig erlebt man dann, dass die Finanzverwaltung auf dem Standpunkt steht, dass ein Galerist steuerlich überhaupt keine Privatsammlung haben kann. Alles sei Betriebsvermögen, auch wenn Kunstwerke im Wohnzimmer des Galeristen hängen würden. Diese Meinung ist falsch. Fest steht, dass auch ein Galerist Kunst im Privatvermögen haben kann. Nach der Rechtsprechung sind dabei bestimmte Voraussetzungen erforderlich, wie z.B. die getrennte Auf bewahrung der Kunstwerke von den Kunstwerken des Galeriebestandes, auch die getrennte Versicherung und die separate Zahlung der Prämie. Wenn nun ein Galerist aus seiner Privatsammlung ein Kunstwerk verkauft, so geschieht Folgendes, und zwar unabhängig davon, in welcher Rechtsform der Galerist tätig ist (Einzelunternehmen, Kommanditgesellschaft, GmbH): In dem Moment des Verkaufs, quasi in einer juristischen Sekunde, ist das Kunstwerk in den Gewerbebetrieb des Galeristen eingelegt, sodass der anschließende Verkauf der Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuerpflicht unterliegt. Die Höhe der Einkommensteuer hängt nun davon ab, mit welchem Wert das Kunstwerk bei der

Felix Ganteführer: Kunst und Steuern

Einlage anzusetzen ist. Denn nur die Differenz zwischen dem Einlagewert und dem Veräußerungserlös stellt den steuerpflichtigen Gewinn dar. Dieser Wertansatz ist ein beliebter Streitpunkt mit der Finanzverwaltung. In der Praxis ist Ausgangspunkt der Wertermittlung der erzielte Nettopreis aus dem Verkauf, denn dieser Wert steht fest. Um auf den Einlagewert zu kommen, ist nunmehr ein Abschlag zu machen. Dabei geht es um bestimmte steuerliche Begrifflichkeiten, die hier nicht näher ausgeführt werden können. Als Hinweis soll jedoch Folgendes genügen: Zunächst einmal ist es sinnvoll, wenn der Galerist einen Abschlag von 10 bis 15 % ansetzt. Unabhängig davon, zu welch günstigem Preis der Galerist gegebenenfalls viele Jahre vorher das Kunstwerk angeschafft hat, führt der relativ geringfügige Abschlag vom Verkaufspreis zu einer auch relativ günstigen Besteuerung. In Einzelfällen kann der Abschlag aufgrund besonderer Konstellationen allerdings deutlich höher sein. Ein Künstler dagegen hat im Hinblick auf die von ihm geschaffenen Kunstwerke nie Privatvermögen. Auch wenn er ein von ihm geschaffenes Kunstwerk in sein Wohnzimmer hängt mit der Absicht, dieses Werk langfristig gar nicht zu verkaufen und es dann doch tut, es bleibt immer Betriebsvermögen. Um diesen Problemen auszuweichen, machen Künstler häufig eine Schenkung an ihre Ehefrau oder ihre Kinder und dokumentieren diese Schenkung in irgendeiner Form, etwa auf der Rückseite des Kunstwerks. Häufig ist eine solche Schenkung mit einem besonderen Anlass verbunden, wie Hochzeit, Kindergeburt, Geburtstag oder Weihnachten. Findet dann später eine Wertsteigerung statt, so bewegt sich bei einem späteren Verkauf diese Steigerung im steuerfreien Privatbereich. Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Schenkung ihrerseits steuerliche Folgen hat. Die Schenkung stellt eine Entnahme aus dem Betriebsvermögen dar und ist damit einkommensteuerpflichtig. Auch ist der Vorgang grundsätzlich schenkungsteuerpflichtig, was jedoch bei den hohen Freibeträgen für Ehegatten und Kinder in der Regel nicht ins Gewicht fällt. Ein anderes Einkommensteuerproblem kommt bei Galeristen und Künstlern immer wieder vor. Häufig werden Galeristen und Künstler angegangen, um für Versteigerungen zu gemeinnützigen Zwecken Kunstwerke einzuliefern. Häufig sind die so Angegangenen auch großzügig. Spendet ein Galerist ein Kunstwerk aus seinem wie oben gekennzeichneten Privatvermögen, so hat er im Hinblick auf diese Sachspende seinen normalen steuerlichen Spendenabzug. Das ist bei einem Kunstwerk, das ein Galerist oder ein Künstler aus seinem Betriebsvermögen gibt, nicht der Fall. Die Sachspende stellt nämlich eine Entnahme dar, die zu versteuern wäre. Der Wert des Kunstwerks zeigt sich letztlich in dem erzielten Auktionserlös. Da der Künstler keine Anschaffungskosten hat, müsste er den vollen Wert versteuern. Der Galerist müsste die Differenz zwischen dem Wert der Spende und dem Buchwert des Kunstgegenstandes versteuern. Da Galerist und Künstler bei einer solchen Sachspende steuerlich in Anspruch genommen werden, würden solche Spenden gar nicht mehr stattfinden. Um dieses Problem zu lösen, hat der Gesetzgeber das sogenannte Buchwertprivileg vorgesehen. Dieses

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Privileg bedeutet, dass die Spende zum Buchwert entnommen werden kann, sodass der steuerliche Gewinn entfällt. Der Spender hat somit keinerlei steuerlichen Vorteil, er hat jedoch den steuerlichen Nachteil vermieden. Die Spende basiert daher auf der reinen Großzügigkeit des Spenders. Vielen Galeristen und Künstlern ist das jedoch nicht klar, da sie gerne eine Spendenquittung haben möchten. Wenn sie diese dann in ihrer Steuererklärung geltend machen, verzichten sie auf das Buchwertprivileg, wählen die grundsätzliche Versteuerung, die in den meisten Fällen durch die Spendenquittung nicht neutralisiert werden kann. Wie oben erwähnt, hat ein Künstler nie steuerliches Privatvermögen, kann dieses jedoch in der Familie durch Schenkungen an die Ehefrau und die Kinder bilden. Spendet dann allerdings die Ehefrau des Künstlers ein Kunstwerk, das sie in früheren Jahren einmal geschenkt bekommen hat, handelt es sich dabei um eine normale Sachspende, die steuerlich voll geltend gemacht werden kann. Ein Sonderthema ist die einkommensteuerliche Behandlung von Künstlernachlässen. Wenn der Künstler verstorben ist, so ist zunächst einmal de facto der künstlerische Betrieb beendet. Eine solche Beendigung würde normalerweise zur vollen Versteuerung aller im Nachlass noch vorhandenen Kunstwerke führen. Das würde häufig zur Konsequenz haben, dass der Nachlass insolvent wird. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof eine großzügige und auch erstaunliche Rechtsprechung entwickelt. Die Erben des Künstlers führen den künstlerischen Betrieb fort. Erst wenn ein Kunstwerk verkauft wird, fällt Einkommensteuer an, jedoch keine Gewerbesteuer. Der Künstler war Freiberufler und die Erben werden so behandelt, als wären sie es auch. Spenden aus dem Privatvermögen für gemeinnützige Zwecke können steuerlich hoch interessant sein. Im Grundfall ist es so, dass eine Geld- oder Sachspende steuerlich in der Weise abzugsfähig ist, dass bis zu 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen werden. Beträgt somit der Gesamtbetrag der Einkünfte EUR 200.000, so können im Jahr der Spende EUR 40.000 abgezogen werden. Ist die Spende nicht verbraucht, so wird sie auf die Folgejahre so lange vorgetragen, bis die Spende voll genutzt ist. Erfolgt die Spende gegenüber einer gemeinnützigen Stiftung in deren Vermögensstock, so hat der Gesetzgeber einen außerordentlich attraktiven Anreiz geschaffen. Bis zu einem Spendenwert von EUR 1.000.000 kann die Spende unmittelbar vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, somit ohne Beschränkung auf die 20-prozentige Regelung. Beträgt das Einkommen des Spenders EUR 1.500.000 und spendet er EUR 1.000.0000, so vermindert sich der Gesamtbetrag der Einkünfte auf EUR 500.000. Ist der Spendenwert von EUR 1.000.000 nicht verbraucht, so wird er wie beim 20-prozentigen Abzug bis zum endgültigen Verbrauch vorgetragen. Für zusammen veranlagte Eheleute gilt nach dem seit dem 01.01.2013 geltenden Recht, dass die besonders begünstigte Spende bis zu EUR 2.000.000 betragen kann, auch wenn sie nur aus dem Vermögen eines der Ehegatten stammt. Ich erlaube mir einen deutlichen Hinweis: Laien glauben häufig, die Spende von dem zu zahlenden Steuerbetrag absetzen zu können. Das wäre zu schön. Die

Felix Ganteführer: Kunst und Steuern

Spende mindert den zu versteuernden Gesamtbetrag der Einkünfte und damit indirekt mit dem persönlichen Steuersatz auch die Steuer, wird jedoch nicht direkt von der Steuer abgezogen.

II. E rbschaf tsteuer Eine Erbfolgeberatung erfolgt in sachlicher Hinsicht wie auch unter dem Aspekt der Erbschaftsteuern in der Regel ganzheitlich. Dabei müssen zumindest in der Regel alle Vermögensklassen berücksichtigt werden. Das seit dem Jahr 2009 geltende Erbschaftsteuerrecht stellt für den Berater eine spannende und reizvolle Gestaltungsmaterie dar. Entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber zur Wahrung der Gleichbehandlung der Besteuerung bestimmte Vermögensklassen höher bewertet als vorher, nämlich Immobilien und deutlich höher die Unternehmen. Parallel wurden erhebliche Steuervergünstigungen neu getroffen, welche die Unternehmensnachfolge betreffen. Dabei entstanden erstaunliche Gestaltungsmöglichkeiten. Unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots sehen nunmehr diese Neuregelungen ihrerseits einer Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht entgegen. Wie ist nun die Steuerreform der Kunst bekommen? Sehr gut! Es ist nicht nur so, dass die günstigen alten Regelungen beibehalten wurden. Darüber hinaus schildere ich nachfolgend Gestaltungsmöglichkeiten, bei denen die Kunst noch günstiger dasteht als sie es ohnehin schon vorher tat. Zunächst einmal gebe ich eine Vorstellung über die Höhe der Erbschaftsteuer: Bei einem Vermögen von EUR 3,4 Mio. zahlt das alleinerbende Kind EUR 450.000,00, die Lebensgefährtin über EUR 1 Mio. Das sind beachtliche Beträge. Es gibt keine Steuerart, bei der der Drang zur Steuervermeidung so groß ist, wie bei der Erbschaftsteuer. Nach entsprechenden Schätzungen wird nur ein sehr geringer Teil steuerpflichtiger Erbfälle beim Fiskus deklariert. Die Gründe liegen auf der Hand. Der Erblasser hat sein Vermögen aus versteuertem Einkommen gebildet, warum soll es noch einmal versteuert werden? Zum Zweiten: Erbschaftsteuer bedeutet Bargeld, bei vielen Nachlässen sind die Werte in anderen Vermögensgegenständen gebunden, sodass erst verkauft werden müsste. So werden z.B. standardmäßig die wahren im Haus befindlichen Werte verheimlicht. Das gilt natürlich auch für die Kunst, obwohl dieses – wie ich gleich ausführen werde – in vielen Fällen gar nicht nötig ist. Wie geschieht nun das Verheimlichen der Werte? Die Erbschaftsteuererklärung erfolgt anhand eines Formulars, in dem u.a. nach dem Hausrat und dessen Wert gefragt wird. Darüber hinaus heißt es: »Gehören zum Nachlass andere bewegliche körperliche Gegenstände wie z.B. Boote, Kunstgegenstände, Schmuck?« In wohlhabenden Haushalten liegt es auf der Hand, dass beim Versterben der Mutter oder der Großmutter Schmuck vorhanden ist, beim Versterben des Vaters oder Großvaters sich Kunstgegenstände im Nachlass befinden. Somit werden die

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Erbberechtigten das »Ja« beim Kästchen ankreuzen. Entscheidend ist, was sie als Wert eintragen. Der Freibetrag in Höhe von EUR 41.000,00 für den Hausrat (dazu gehören im Regelfall auch der Ausschmückung der Wohnung dienende Kunstwerke), ist schnell verbraucht. Das Verheimlichen setzt ein, indem einschließlich der Kunst insgesamt ein deutlich niedrigerer Wert angesetzt wird. Im Regelfall dürfte das auch gut gehen. Geht es nicht gut, so hat der Erklärungspflichtige noch eine Auffangposition. Sind die Kunstwerke seit mehr als 20 Jahren im Familienbesitz, so konnte er gegebenenfalls der Meinung sein, dass der Wertansatz sogar null ist. Dazu jedoch später. Probleme können die Erklärungen zu den Kunstwerken allerdings dann mit sich bringen, wenn der Erblasser einen Testamentsvollstrecker ernannt hat. Dann sind nämlich nicht die Erben zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet, sondern der Testamentsvollstrecker. Wenn der Testamentsvollstrecker zur Familie gehört, gegebenenfalls sogar hinsichtlich der Kunstwerke der Mitbegünstigte ist, so macht er sich kaum mehr Gedanken, als wenn die Erklärung von den Erben selbst abgegeben werden müsste. Anders ist der Fall wenn der Testamentsvollstrecker nicht zur Familie gehört. Häufig setzen Unternehmer ihren langjährigen Hausnotar, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt als Testamentsvollstrecker ein. Steuertechnisch ist das bei Vorliegen einer wertvollen Kunstsammlung keine gute Idee. Denn der Testamentsvollstrecker ist strafrechtlich und haftungsrechtlich voll für den Inhalt der Steuererklärung verantwortlich. Außerdem riskiert er den Berufsverlust. Da er abgesehen von seinem Vollstreckerhonorar von dem Testament keinen Vorteil hat, wird er sich hüten, Kunstwerke gar nicht erst anzugeben oder einen zu niedrigen falschen Wert einzusetzen. Noch schwieriger wird die Situation des Testamentsvollstreckers, wenn er die geradezu typische Aufgabe hat, die Kunstwerke auf die Kinder aufzuteilen. Die Anweisung dazu gibt der Erblasser häufig in einem handschriftlichen Brief an den Testamentsvollstrecker außerhalb seines Testaments. Entweder liegt eine Verteilungsliste vor, vorher mit den Kindern abgestimmt oder nicht, oder eine interne Versteigerung nach bestimmten Modalitäten ist gewünscht. Bei einem größeren Kunstbesitz kann die vernünftigste Lösung darin bestehen, entsprechend der Anzahl gleichberechtigter Erben – gegebenenfalls mit Hilfe eines Gutachters – gleichwertige Pakete zu bilden, die dann verlost werden. Dadurch wird jeglicher Streit über eine Bevorzugung oder Benachteiligung vermieden. Nach der Verlosung bleibt es den Erben dann unbenommen, einzelne Kunstwerke untereinander zu tauschen. Dadurch gerät der Testamentsvollstrecker in die Mitte des Geschehens und ist mit den Details der vorhandenen Kunst vertraut. Er wird sich darum kümmern, welche Kunstgegenstände überhaupt vorhanden sind und wie diese wertmäßig anzusetzen sind. Selbst unter Berücksichtigung der von mir später geschilderten Steuerbegünstigungen für Kunstwerke kann es bei großen Sammlungen zu erheblichen Steuerzahlungen kommen. Das sollte ein wohlhabender Mensch bei der Regelung der Testamentsvollstreckung berücksichtigen.

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Ratschlag daher: Der Testator muss sich bei Abfassung des Testaments darüber im Klaren sein, dass der Testamentsvollstrecker für die Unterschrift unter die Erbschaftsteuererklärung auch hinsichtlich der Kunstgegenstände verantwortlich ist. Bei Kunstsammlungen ist daher der richtige Testamentsvollstrecker auszusuchen.

G emeiner W ert Begriff Da das Bundesverfassungsgericht die Gleichbehandlung bei der Bewertung der Vermögensgegenstände gefordert hat, werden nunmehr alle Vermögensgegenstände zumindest im Ausgangspunkt zunächst einmal mit dem sogenannten »gemeinen Wert« bewertet. Der gemeine Wert ist gesetzlich definiert als der Wert, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr beim Verkauf erzielt wird. Die Festlegung des gemeinen Werts des Kunstwerks als Basiswert für die Steuererrechnung ist von eminenter Bedeutung. Klarheit ist dabei nur zu erreichen, wenn man mit den richtigen Begriffen operiert. Unter dem Verkehrswert eines Kunstwerks verstehe ich den Wert, der dem Kaufpreis bei einem Kauf des Kunstwerks entspricht (Wiederbeschaffungswert). Dieser Wert ist nicht anzusetzen. Maßgeblich ist ein anderer Wert, nämlich der Wert, den der Erbe beim Verkauf des Kunstwerks als Erlös erzielen kann, im Gesetz »gemeiner Wert« genannt. Am leichtesten ist die Höhe des Einkaufswerts zu ermitteln, da dieser aus Preisen des Kunsthandels oder aus Auktionspreisen abgeleitet werden kann. Von diesen Preisen geht man dann rückwärts – retrograd – auf den für den Erben möglichen Veräußerungspreis zurück. Meine Erfahrung vieler Jahre zeigt, dass man sich im Regelfall mit der Finanzverwaltung auf einen Wert von 50  % des Endverkaufspreises einigen kann, in besonderen Einzelfällen auch auf Werte bis zu 75 %. Sogar Abschläge von 90 % bei umfangreichen Künstlernachlässen lassen sich durchsetzen. Dennoch gibt es in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten. Die Kompetenz der Finanzverwaltung bei der Bewertung ist verständlicherweise und auch nicht vorwerf bar gering oder gar nicht vorhanden. Häufige Ausgangspunkte für die Bewertung sind auch Einkaufsrechnungen des Erblassers, die aufgrund einer privaten Außenprüfung bei ihm aufgefunden wurden. Eine systematische Vorgehensweise der Finanzverwaltung ist nicht erkennbar. Sachverständige werden nur selten hinzugezogen. Vor kurzem verwies der Leiter eines Finanzamts auf einen Aspekt, der im konkreten Fall dafür maßgebend war: »Für ein Sachverständigengutachten habe ich kein Budget«. Der Berater des Erben sollte daher kooperativ sein und aus einer positiven Atmosphäre vernünftiger Zusammenarbeit eine gute Lösung suchen. Hilfestellung bieten die eigenen Richtlinien der

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Finanzverwaltung. Danach ist der gemeine Wert von Kunstgegenständen wegen der schwierigen Verwertung »besonders« vorsichtig zu ermitteln. In Einzelfällen lässt sich die Finanzverwaltung von überhöhten Wertvorstellungen nicht abbringen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Erbe das Kunstwerk kurze Zeit nach dem Erbfall zu einem hohen Preis verkauft hat. Da der gemeine Wert eines geerbten Kunstwerks sich nach dem theoretischen Verkaufspreis abzüglich aller Kosten ermittelt, braucht sich der Erbe nicht selber ein Problem zu schaffen. Es könnte dadurch entstehen, dass er das Kunstwerk kurz nach dem Tode des Erblassers zu einem Spitzenpreis veräußert. Ein derart zeitnaher Verkaufspreis würde dann den gemeinen Wert darstellen. Zumindest sollte der Erbe solange warten, bis der Erbschaftsteuerbescheid rechtskräftig geworden ist, was einen Monat nach seiner Zustellung eintritt. Wenn er dann das Kunstwerk zu einem hohen Preis veräußern kann, so ändert das an dem einmal ergangenen Steuerbescheid nichts. Die zu niedrige Bewertung kann nicht mehr korrigiert werden. Zwar enthält die Abgabenordnung eine Regelung, wonach nachträglich erkannte neue Tatsachen, die bei Ergehen des Bescheids latent vorhanden waren, zu einer Änderung eines Steuerbescheids führen können. Nach der Rechtsprechung ist der Wert eines Gegenstandes jedoch keine Tatsache. Tatsachen sind vielmehr die dem Wert zugrunde liegenden Umstände, in diesem Fall der Verkauf. Da die Tatsache jedoch vor dem Ergehen des Steuerbescheids bereits bestanden haben muss und nur nachträglich erkannt wurde, der Verkauf jedoch nach dem Ergehen war, ist eine Änderung des Steuerbescheids nicht möglich. Ratschlag daher: Mit Verkäufen von Kunstwerken sollte man bis zur Rechtskraft des Erbschaftsbescheids warten. Leider gibt es manchmal schwierige Diskussionen, wenn der Finanzverwaltung Versicherungswerte vorliegen. Das hängt damit zusammen, dass der Fiskus wegen der fehlenden eigenen Marktkenntnis sich an diese Werte als vermeintlich gesicherten Ausgangspunkt geradezu klammert. In Wirklichkeit haben die Versicherungswerte mit dem gemeinen Wert nichts zu tun. In der Regel orientiert sich der Versicherte am Wiederbeschaffungswert (Verkehrswert), häufig mit einem bewussten oder unbewussten Zuschlag für seinen persönlichen ideellen Wert. Bei Unterversicherung kann der Versicherungswert mit dem gemeinen Wert gleich sein oder darunter liegen. Das ist dann ein Zufall. Mag es bei der Bewertung im Einzelfall auch einmal Schwierigkeiten mit dem Fiskus geben, so können wir dennoch an dieser Stelle folgendes Zwischenergebnis festhalten: Anders als etwa Wertpapiere, bei denen der Kurswert zum Stichtag des Erbfalls maßgebend ist, stehen die Kunstwerke bei der Wertermittlung recht günstig da: Maßgebend ist der Wiederverkaufswert, der deutlich unter dem Verkehrswert liegt. Größenordnung 50 %. Ratschlag daher: Vermögensstruktur überdenken. Ein hoher Anteil von Kunstvermögen ist allein schon wegen des Ansatzes des gemeinen Werts eine erbschaftsteuerlich günstige Ausgangsbasis.

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In der Regel kommt der Nachlass ohne ein Fachgutachten über die Bewertung der Kunstwerke nicht aus. Ein solches Gutachten ist der Einstieg in die steuerliche Wert-einschätzung. Gutachter sind häufig die Auktionshäuser, aber auch Galeristen und Kunsthändler oder mit den Marktpreisen vertraute Einzelpersonen. Die Kosten des Gutachtens sind gerade auch im Verhältnis zu ihrer Bedeutung als gering anzusehen. Ein Gutachten nutzt allerdings wenig, wenn dem Gutachter nicht vorher begreiflich gemacht wird, um welchen Wert es geht. Geschieht das nicht, so findet man im Normalfall, dass der Gutachter den »Wert« der Kunstwerke ermittelt hat. Unklar bleibt dabei, ob der Gutachter den Wert meint, der bei einem Kauf des Werks zu bezahlen ist (Verkehrswert) oder den Wert, den der Eigentümer des Werks bei einem Verkauf des Werks erhält (gemeiner Wert). Für jeden Gutachter ist der erstere Wert am einfachsten zu ermitteln. Wenn der Erblasser mich darum bittet, das Gutachten zu beauftragen, so erkläre ich dem Gutachter, dass einleitend in seinem Gutachten stehen muss, dass er den Verkehrswert ermittelt. Das Wort »Verkehrswert« muss fallen, am besten mit einer kurzen Definition dahinter. Ist der Gutachter ein Auktionshaus, so entspricht der Verkehrswert dem vom Gutachter geschätzten Hammerpreis zuzüglich der an das Auktionshaus zu zahlenden Käuferprämie, dem Aufgeld. Denn das ist der Preis, der für den Kauf des Werks zu zahlen ist. Auch das sollte man vorher mit dem Auktionshaus besprechen, da manchmal textlich unklar bleibt, ob die Käuferprämie berücksichtigt wurde. Das Standardgutachten sieht im Ergebnis so aus, dass hinter jeder einzelnen Position das Bewertungsergebnis steht, in der Regel unter Angabe einer Bandbreite, z.B. EUR 120.000,00 bis EUR 140.000,00. Ich übernehme dann den Mittelwert mit EUR 130.000,00. Wie der Gutachter zu diesem Ergebnis gekommen ist, wird nicht ersichtlich. Die Praxis zeigt leider, dass gerade auch die Gutachten der größten Auktionshäuser für Zwecke der Steuer unbrauchbar sind. Bei der »Valvation« ist nicht erkennbar, welcher Wert gemeint ist, schon gar nicht wird der Wert als Verkehrswert deutlich. Ratschlag daher: Es muss eine klare Absprache mit dem Gutachter über den erwarteten Inhalt getroffen werden. In neuerer Zeit hat die Finanzverwaltung in einzelnen Fällen das Ergebnis von Wertgutachten angezweifelt, indem zumindest für einzelne Positionen stichprobenweise nähere Erläuterungen verlangt wurden. Das geschah unabhängig vom Renommee des Gutachters. Die Wurzel dieses Misstrauens lag nun in Folgendem: Zu Recht erklärte der Sachbearbeiter, dass er von dieser Materie keine Ahnung habe. Wer keine Ahnung hat, geht heute in das Internet und findet dort rechtliche Ausführungen zum Bewertungsthema, die sehr ins Detail gehen. Diese Details werden von der Finanzverwaltung abgeschrieben und als Anforderung für eine entsprechende Ergänzung des Gutachters gestellt. Diese Anforderungen können jedoch häufig nicht so ohne Weiteres erfüllt werden, weil sie nicht auf jeden Fall passen. Dazu Näheres im Folgenden: Wenn sich im Nachlass einige Kunstgegenstände befinden, so kommt es häufig zu einer Steuerhinterziehung,

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indem diese Gegenstände gar nicht erst angegeben werden. Wird daher ein Gutachter zur Vorbereitung der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung beauftragt, so hat er es in der Regel mit einem größeren Konvolut von Kunstwerken zu tun. Von mehreren Gutachtern habe ich mir deren interne Vorgehensweise erläutern lassen. Basis ist die eigene Dokumentationssammlung des Gutachters, die insbesondere bei den größeren Auktionshäusern einen enormen Umfang hat: die Sammlung der eigenen Auktionskataloge, die Kataloge der anderen Auktionshäuser, Werkverzeichnisse, Monographien. Ein wichtiges Hilfsmittel ist das Internet, wo die Auktionserlöse nebst Abbildungen und Daten einer Vielzahl von Kunstwerken aufgeführt sind. Die im Internet verfügbaren Daten haben allerdings den Nachteil, dass der Zustand des jeweiligen Kunstwerks nicht ersichtlich ist, ein oft entscheidendes Merkmal für die Preisfindung. Bei hochpreisigen Kunstwerken stellt sich vorab die Frage der Echtheit, was vor allen Dingen mit Hilfe von Werkverzeichnissen überprüft wird, auch wenn deren Beweiskraft im Einzelfall problematisch sein kann. Der Hauptansatz des Gutachters liegt im Auffinden vergleichbarer verkaufter Werke. Häufig findet sich bei den Auktionsergebnissen ein paralleles Kunstwerk, sodass der Verkehrswert leicht abzuleiten ist. Genauso häufig findet sich jedoch kein vergleichbares Werk. Manchmal scheint es nur so zu sein, dass es eine Parallelität gibt, weil Motiv, Format und Entstehungszeit übereinstimmen. Doch der Schein trügt. Bei dem einen Künstler verlangt der Markt, dass das abstrakte Bild vorherrschend die Farbe blau oder rot hat, bei dem anderen Künstler wird das abstrakt skripturale Bild immer höher bewertet als die mit breitem Pinsel angelegte Malerei. Und dann die Provenienz! Berühmte Provenienzen führen zu höheren Preisen, wie hoch, das kann letztlich keiner vor dem tatsächlichen Verkauf sagen. Der Gutachter geht nun so vor, dass er sich aus dem Basismaterial eigener Dokumentationen und dem Internet eine wertmäßige Grundvorstellung bildet. Findet er dabei keine wirkliche Parallele, z.B. wegen eines exzeptionellen musealen Werks und dessen besonderer Qualität, so muss er den Verkehrswert durch einen oft kräftigen Zuschlag schätzen. Dabei hilft ihm seine Erfahrung und sein Fingerspitzengefühl, erprobt in jahrelanger Tätigkeit. Eine Messlatte gibt es dabei nicht, schon gar nicht im Falle berühmter Provenienzen. Im Endergebnis handelt es sich nicht um eine mathematische Ableitung, sondern um eine Schätzung (§ 162 Abs. 1 AO 1977, vgl. Bundesfinanzhof vom 06.06.2011, II R 7/98; NV). Notfalls muss man das dem Fiskus klar machen. Wertbildende Faktoren sind unter anderem auch der Zustand des zu bewertenden Werks, Signatur und Datierung, frühere Ausstellungen, die Freiheit von möglichen Restitutionsansprüchen, die Marktgängigkeit von Sujet und Format. Wie auch immer, in vielen Fällen gibt es dennoch keine direkte Ableitung. Der Sprung von dem vorliegenden Marktmaterial zu dem konkreten Werk ist dann nun einmal die Schätzung des Gutachters.

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A bschl ag vom V erkehrswert zum gemeinen W ert Nur in wenigen Fällen wird der Abschlag von 50 % angezweifelt, um vom Verkehrswert zum gemeinen Wert zu kommen. Die Zweifel kommen dann auf, wenn der Sachbearbeiter einen Beschluss des Finanzgerichts München vom 08.10.1998 entdeckt (4 V 1954/98), in dem das Finanzgericht wegen der generell schwierigen Verwertung von Kunstwerken einen Abschlag von 20 % für gerechtfertigt erklärt hat. Damit sei auch die »sogenannte Auktionsmarge«, die im Übrigen auch die Mehrwertsteuer von 7 %, beinhalte, berücksichtigt. In einem ersten Schritt muss klar sein, dass der gemeine Wert nicht genauso hoch sein kann wie der Verkehrswert. Das gerade bei einem Galeristen gekaufte Werk kann im Normallfall bei einem anschließenden Verkauf über einen Galeristen oder ein Auktionshaus nicht den gleichen Preis erzielen, da die Marge des Galeristen und die beim Auktionshaus dort anfallenden Kosten abzuziehen sind. Diese Selbstverständlichkeit war etwa dem Finanzgericht Münster nicht klar, das sich deshalb vom Bundesfinanzhof belehren lassen musste (BFH, Urteil vom 06.06.2001, II R 7/98, NV): »Das Finanzgericht verletzt seine Pflicht zur Sachaufklärung, wenn es ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen allein nach der Aktenlage urteilt, dass die ungekürzten Kosten der Anschaffung der Werke von Händlern und Galerien ihren gemeinen Wert ergeben.« Es muss somit ein Abschlag vom Verkehrswert erfolgen. Der in dem angeführten Beschluss des Finanzgerichts München erwähnte Abschlag von 20 % ist jedoch nicht ausreichend. Das wurde vom Finanzgericht auch nicht behauptet. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist in dem Beschluss nicht richtig erkennbar. Offensichtlich war es jedoch so, dass der Steuerpflichtige von sich aus einen Abschlag von 20 % als Auktionsmarge vorgenommen hatte, was das Finanzamt nicht akzeptieren wollte. Weil der Steuerpflichtige damit zufrieden war, hatte das Finanzgericht keinen Anlass zu überlegen, ob ein höherer Abschlag gerechtfertigt sei. Für den Fachmann ist leicht erkennbar, dass das Finanzgericht in dem Thema nicht zu Hause war. Eine Auktionsmarge ist keine »sogenannte«. Was beim Händler die Handelsspanne ist, sind beim Auktionshaus die Provisionen bzw. Kommissionen für Einlieferer und Ersteigerer. Man käme nie auf die Idee, die Handelsspanne eines Kunsthändlers als »sogenannte« zu bezeichnen. Eine Gesamtkommission von 20 % gibt es bei keinem Auktionshaus. Am 08.06.2012 hat mir einer der beiden Vizepräsidenten des Europäischen Verbandes der Auktionatoren, European Federation of Auctioneers, Brüssel, dazu Folgendes mitgeteilt: »Es werden Kommissionen vom Käufer sowie vom Verkäufer bezahlt. Die Durchschnittskommission des Käufers liegt europaweit bei etwa 25 %«. Die Durchschnittskommission beim Einlieferer liegt europaweit bei etwa 10 %. Das Schreiben weist darauf hin, dass die Kommission des Einlieferers bei niedrigeren Werten von Kunstgegenständen deutlich über 10 % liegt. Bei hohen Werten ist die Kommission des Einlieferers verhandelbar. Eine Durchsicht der Kataloge diverser Kunstversteigerungshäuser hat mir gezeigt, dass das Aufgeld des Käufers höher

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als 25 %, gegebenenfalls sogar deutlich höher, sein kann. Als Zwischenergebnis darf daher festgehalten werden, dass im Standardfall der Mindestabschlag 35 % beträgt. Das reicht jedoch noch nicht aus. Es gibt einen wichtigen Posten, der beim Auktionshaus durchläuft. Für Originalkunstwerke, deren Urheber nach dem 31.12.1941 verstorben sind, wird zur Abgeltung des gemäß § 26 Urhebergesetz zu entrichtenden Folgerechts eine Gebühr in Höhe von maximal EUR 12.500,00 erhoben. Hinzu kommen für den Einlieferer Kosten für den Transport, Versicherung und Farbabbildungen. Weitere Kosten verursacht das Thema der Umsatzsteuer. Im Grundfall wird auf den Hammerpreis, das Aufgeld und die Gebühr für das Folgerecht die jeweilige gesetzliche Umsatzsteuer erhoben, zur Zeit 7  % für Originalwerke der bildenden Kunst, 19 % für Fotografien. Andere Regelungen gelten für die sogenannte Differenzbesteuerung, es gibt auch Befreiungen von der Umsatzsteuer, was hier nicht weiter vertieft werden kann. Alle diese Kosten müssen im objektiven Verkehrswert des Kunstwerks enthalten sein. Denn im Endergebnis will kein Käufer mehr zahlen als es dem Verkehrswert entspricht. Diese zusätzlich anfallenden Kosten sind pauschal im Durchschnitt mit mindestens 5  % anzusetzen. Als nächstes Zwischenergebnis sind wir somit bei einem rechnerischen Abzugsposten von 40 %. Damit ist der gemeine Wert noch nicht erreicht. Zu Recht verweist der oben erwähnte Beschluss des Finanzgerichts München auf die »generell schwierige Verwertung« von Kunstwerken. Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der gemeine Wert von Kunstgegenständen besonders vorsichtig zu ermitteln (vgl. § 69 Abs. 1 S. 1 und 4 Vermögensteuer-Richtlinien 1995). Dieser Aspekt ist bei dem Abschlag von 40  % noch nicht zum Zuge gekommen, da es sich bei diesem Abschlag ausschließlich um bei einer Veräußerung anfallende effektive Fremdkosten handelt. Es muss jedoch überhaupt erst einmal zu einer Veräußerung kommen, darin besteht die Unsicherheit der Verwertung. Gegebenenfalls fällt das Kunstwerk bei der Auktion durch und geht mit entsprechenden Kosten an den Einlieferer zurück. Sieht man einmal von den sogenannten Prestigeauktionen ab, für die andere Verkaufserfolge gelten, so fällt statistisch gesehen rd. ein Drittel der Kunstwerke auf den Auktionen durch. Das Kunstwerk gilt danach als »verbrannt« und ist nur schwer wieder in den Markt einzuschleusen, gegebenenfalls mit deutlich niedrigerer Preiserwartung. Der Galerist will das Werk nicht ankaufen, selbst dann nicht, wenn es der Erblasser bei ihm früher einmal gekauft hat. Er ist nur dazu bereit, das Werk in Kommission zu nehmen, erwartet dabei eine Kommissionsgebühr die häufig 40 % des Endverkaufspreises beträgt. Lässt dann der Verkauf noch lange auf sich warten und verhandelt ein Kaufinteressent dann ernsthaft, so kommt es in der Regel zu Preisnachlässen zu Lasten des Einlieferers. Das Risiko der schwierigen Verwertung sollte pauschal mit mindestens 10 % angesetzt werden. Somit beträgt der Gesamtabschlag 50 %, um vom Verkehrswert zum gemeinen Wert zu kommen.

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H ingabe von K unst an Z ahlungs stat t Seit 1991 besteht die gesetzliche Möglichkeit, bereits entstandene Schenkungsoder Erbschaftsteuerschulden (jedoch keine Einkommensteuerschulden) durch Hingabe von Kunstgegenständen zu tilgen. Dazu bedarf es eines schriftlichen Vertrags mit dem Landesfinanzministerium. Der Vertrag wird nur wirksam, wenn der Kultusminister zustimmt, der insbesondere zu prüfen hat, ob an dem Erwerb der Kunstgegenstände ein öffentliches Interesse besteht. Der Finanzminister ist natürlich nicht gezwungen, ein ihm gegenüber abgegebenes Vertragsangebot anzunehmen, selbst wenn das Kunstwerk noch so bedeutend wäre. Vielmehr steht die Annahme des Vertragsangebots in seinem freien Ermessen. In der Zwischenzeit ist in einer Anzahl von Einzelfällen nach dieser Regelung verfahren worden. Zusätzlich liegt die Bedeutung der Vorschrift in der Aushebelung des Budgetrechts. Die Vorschrift ermöglicht es, Steuereinnahmen für den Erwerb von Kulturgut abzuzweigen, bevor sie in den Haushalt fließen. Im Prinzip ist eine solche Verfahrensweise aufseiten des Staats jedoch nur begrenzt erwünscht, sodass die Annahme von Kulturgut an Zahlungs statt nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann, zumal die Parlamente für den Ankauf von Kulturgut in der Regel Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Wer unter diesem Aspekt die Presse aufmerksam liest, wird hin und wieder den Hinweis finden, dass ein Museum einen interessanten Neuzugang im Hinblick auf ein einzelnes Kunstwerk oder sogar auf eine gesamte Sammlung hatte, weil damit ein Privatmann seine Erbschaftsteuerschuld beglichen hat. Warum ein solches Ergebnis nur im Ausnahmefall zu erzielen ist, ist mir vor einiger Zeit klar geworden, als ich mit dem zuständigen Staatssekretär als Vertreter des Kulturministers eines Bundeslands über dieses Thema verhandelte. Wird nämlich eine solche Lösung durchgeführt, so geht die wegfallende Erbschaft- oder Schenkungsteuer zu Lasten des Budgets des Kulturhaushalts. Der Fall wird so behandelt, falls es ausnahmsweise keine Sonderregelung gibt, als hätte der Kulturminister das Kunstwerk zu Lasten seines Etats angekauft, der somit entsprechend gekürzt wird. Damit verringert sich der Spielraum für andere Ausgaben. Auch im Ausland gibt es diese Regelung. So haben die Picasso-Erben mehrfach ihre Erbschaftsteuerschulden mit Kunstwerken aus dem Picasso-Nachlass bezahlt. Das Picasso-Museum in Paris verdankt seine Entstehung diesem Umstand. Eine ganze Anzahl von Werken verschiedener Künstler ist nach diesem Prinzip inzwischen im Centre Pompidou untergebracht. In der Praxis sind in Deutschland auch Vereinbarungen mit dem jeweiligen Land möglich, die sich nicht nach dem Gesetzeswortlaut ausrichten. Es war schon immer machbar, dass sich Steuerpflichtiger und Land wie Verkäufer und Käufer gegenüber treten. So kann zur Abgeltung von Schenkungsteuer vereinbart werden, dass der Sammler aktuell das Eigentum an der Kunst auf das Land zum Zwecke der Verrechnung überträgt, die Kunst jedoch bis zu seinem Tode bei sich zu Hause behalten kann. Denkbar ist auch, bereits jetzt eine Übereignung von

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Kunst auf das Land vorzunehmen, wobei die Verrechnung mit dem ausgehandelten Betrag erst zum Zeitpunkt des Todes des Sammlers mit der sich dann erst ergebenden Erbschaftsteuer erfolgt. Solche Sondervereinbarungen sind allerdings nur möglich, wenn es sich um ein außerordentlich bedeutendes Kunstwerk oder eine entsprechende Kunstsammlung handelt.

R ückwirkendes E rlöschen der S teuerschuld durch Z uwendung des K unstgegenstands Seit 1991 gibt es eine neue Regelung, wonach die auf einem Kunstwerk lastende Erbschaftsteuer rückwirkend erlischt, wenn der Erbe das Kunstwerk innerhalb von 24 Monaten nach dem Erbfall einem Museum oder einer inländischen gemeinnützigen Stiftung, die kulturellen Zwecken dient, zuwendet (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaftsteuergesetz). Diese Regelung darf aber in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Schließlich setzt sie voraus, dass der Erbe auf die Kunstwerke verzichtet. Berücksichtigt man, dass bei der Bewertung der Kunstwerke für Zwecke der Erbschaftsteuer nicht nach dem Verkehrswert, sondern nach dem niedrigeren gemeinen Wert (und das auch noch vorsichtig) vorgegangen werden muss, so ergibt sich daraus de facto von vornherein eine erhebliche Minderung der Erbschaftsteuer, die möglicherweise allein schon deshalb den Erben dazu motiviert, die Steuer zu bezahlen und das Kunstwerk zu behalten oder zu verkaufen. Nimmt der Erbe die gesetzliche Regelung in Anspruch, so verliert er die Möglichkeit des Spendenabzugs. Bei Erben mit hohen Einkünften ist der Spendenabzug in der Regel jedoch viel interessanter. Würde der Erbe das Kunstwerk behalten, die Erbschaftsteuer bezahlen und im Wege der Sachspende das Kunstwerk einem Museum schenken, so kann er den Wert der Sachspende bei der Einkommensteuer geltend machen. Dazu ein Beispiel: gemeiner Wert der Sachspende EUR 500.000,00, die darauf entfallende Erbschaftsteuer z.B. EUR 75.000,00, die bei Inanspruchnahme der Weggaberegelung gespart werden kann. Verzichtet man auf die Inanspruchnahme und macht man eine normale Sachspende, so beträgt der Einkommensteuervorteil gegebenenfalls EUR 250.000,00, der dann je nach den Umständen im besten Fall sofort zum Zuge kommt, im ungünstigsten Fall auf die Folgejahre zu verteilen ist. Der Vorteil ist somit für den Erben erheblich größer, obwohl es sich äußerlich um den gleichen Vorgang handelt (Schenkung an ein Museum). Die vorstehend besprochene Regelung erwartet von den Erben ein echtes Mäzenatentum, da die auf das Kunstwerk anteilig entfallende Erbschaftsteuer deutlich niedriger ist als der Wiederverkaufswert des Kunstwerks. Dazu ein Beispiel: Verkehrswert des Kunstwerks EUR  1  Mio., gemeiner Wert EUR 500.000,00, Höchststeuer bei sehr großen Vermögen in der Steuerklasse II und III 50 %, somit EUR 250.000,00. Der Erbe muss somit ein Kunstwerk im Verkehrswert von EUR 1 Mio. aufgeben, um eine Erbschaftsteuer von EUR 250.000,00 zu sparen,

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kein gutes Geschäft. Bei niedrigeren Erbschaftsteuersätzen wird der mäzenatische Anteil bei der Zuwendung des Werks an den Staat immer höher. Will der Erbe das Kunstwerk deshalb lieber behalten, so steht ihm in den meisten Fällen eine Ermäßigungsvorschrift zur Verfügung, die ich zur besonderen Beachtung empfehlen möchte.

E rmässigung zu 100  % bz w. 60  % Es gibt eine im Vergleich zu allen neueren Regelungen wesentlich bessere alte gesetzliche Regelung, die offensichtlich schon so alt ist (nämlich seit 1959), dass sie in vielen Fällen den Beratern der Erben gar nicht mehr in den Sinn kommt. Diese Regelung führt entweder zu einer Ermäßigung von 60 % oder zu einer 100 %igen Steuerbefreiung. Beiden Ermäßigungen ist gemeinsam, dass das Kunstwerk innerhalb von zehn Jahren seit dem Erbfall nicht veräußert werden darf. Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung in Höhe von 60 % sind relativ einfach. Die Erhaltung des Kunstwerks muss wegen seiner Bedeutung für die Kunst im öffentlichen Interesse liegen. Diese Voraussetzung ist z.B. sicherlich gegeben, wenn ein Museum ein Kunstwerk als Leihgabe längerfristig haben möchte. Darüber hinaus müssen die Gegenstände in einem den Verhältnissen entsprechenden Umfang den Zwecken der Forschung oder der Volksbildung nutzbar gemacht werden. Manchmal hat der Erblasser schon selber die Voraussetzungen für das Nutzbarmachen, ich entschuldige mich für dieses sprachliche Ungetüm, geschaffen, sodass der Erbe diese Basis weiterführen kann. Will der Erbe diese Voraussetzungen erst selber schaffen, so braucht er dafür Zeit. In Einzelfällen hat der Fiskus dafür eine Frist von einem Jahr gesetzt, wenn der Erbe die Ermäßigungsvorschrift in Anspruch nehmen wollte. Das Nutzbarmachen ist sicherlich dann gegeben, wenn das Kunstwerk sich in einem Museum befindet, egal ob an der Wand oder im Magazin. Da Wände und Magazine in der Regel jedoch voll sind, ist auch eine andere Alternative durchführbar. Der Sammler behält seine Kunstwerke bei sich zu Hause, erklärt jedoch im Rahmen eines Kooperationsvertrags mit einem bestimmten Museum seine Bereitschaft, dem Museum die Kunstwerke vor allen Dingen durch – ggf. auch nur temporäre – Ausleihungen nutzbar zu machen. Den Kooperationsvertrag mit einem Museum halte ich für die richtige zeitgemäße Form der vom Gesetz geforderten »Nutzbarmachung«. Mit Rücksicht auf die vollen Lagerräume der Museen wird die Wohnung des Sammlers sozusagen zum ausgelagerten Depot. Der Kooperationsvertrag muss allerdings gelebt werden, indem die Kooperation auch tatsächlich stattfindet. Das bedeutet, dass das Museum wenigstens hin und wieder in Form einer Leihgabe für eine Ausstellung auf das eine oder andere Kunstwerk zurückgreift. Die 60 %ige Befreiung kann somit dazu führen, dass »unter dem Strich« ein Kunstwerk mit 20 % des Verkehrswerts angesetzt wird.

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Für die 100 %ige Befreiung sind zwei zusätzliche Voraussetzungen erforderlich: Der Kunstgegenstand muss sich seit mindestens 20 Jahren im Besitz der Familie befinden. Das ist das sogenannte »Adelsprivileg«, weil sich häufig gerade in Adelsfamilien, oft über Generationen, Kunstbesitz seit langer Zeit befindet. Außerdem muss der Erbe bereit sein, die Kunstgegenstände den geltenden Bestimmungen der Denkmalpflege zu unterstellen. Diese Regelung ist harmloser als sie sich vielleicht anhört. Denkmalschutz ist Ländersache. Einige Länder haben keine Bestimmungen für bewegliche Gegenstände. In den anderen Ländern wird nicht mehr verlangt als das, was der Kunsteigentümer beim sorgsamen Umgang mit dem Kunstwerk ohnehin tun würde. Veräußerungsverbote oder Verbote der Verbringung oder des Verkaufs ins Ausland gibt es nicht. In der Praxis erweist es sich jedoch als schwierig und nur in besonderen Einzelfällen als machbar, ein Kunstwerk dem Denkmalschutz zu unterstellen. Zu diesem Grundkonzept mache ich folgende detaillierende Angaben: Zum Thema der Erhaltung eines Kunstwerks wegen seiner Bedeutung für die Kunst im öffentlichen Interesse gibt es normalerweise keine Schwierigkeiten. Stehen in der Liste Werke unbekannter Künstler oder unbedeutende Arbeiten bekannter Künstler, so lasse ich diese Werke von vornherein aus der Ermäßigung heraus. Denn die Ermäßigung spielt nur eine untergeordnete Rolle, da der gemeine Wert gering ist. Es gibt, abgesehen von dem von mir favorisierten Kooperationsvertrag, eine Vielfalt von Möglichkeiten, die gesetzliche Voraussetzung des Nutzbarmachens zu erfüllen. Es gibt dabei keinen absoluten Maßstab, da die Kunstwerke »in einem den Verhältnissen entsprechenden Umfang« nutzbar gemacht werden müssen. Aus dieser Formulierung ergibt sich eine relative Anforderung mit unscharfen Außengrenzen. Ein Sammler, der die Kunst in den Räumen seines Unternehmens untergebracht hat, kann hin und wieder eine Führung für Kunstinteressierte durchführen. Eine bedeutende ererbte Kunstsammlung in Köln wurde dadurch öffentlich nutzbar, dass der Sammler einmal im Jahr etwa 20 Persönlichkeiten des Kunstlebens zum Abendessen einlud, wobei auch die Kunst in allen Räumen besichtigt wurde. Der Bezug zur Kunst wurde durch Dankschreiben belegt. Das wurde von der Finanzverwaltung zu Recht akzeptiert. Bei diesem Tatbestandsmerkmal wird vom Fiskus immer zuerst daran gedacht, dass die Kunst gesehen werden muss, was wohl der Vorstellung der Nutzbarmachung für die Volksbildung entspricht. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Kunstwerke auch den Zwecken der Forschung nutzbar gemacht werden können. Die Forschung setzt nun keineswegs voraus, dass ein Bild an der Wand hängt und Kunstbetrachtern zugänglich ist. Denkbar ist, dass der Erbe einen Katalog mit den Daten und den Farbfotos der Bilder erstellt und diesen Katalog den wichtigen Museen und einschlägigen Hochschulen mit dem Hinweis übersendet, dass für Zwecke der Forschung das Kunstwerk vor Ort in Augenschein genommen werden kann. Ein wichtiger Hinweis: Es ist nicht nur so, wie erwähnt, dass das Kunstwerk nicht innerhalb von zehn Jahren seit dem Erbfall veräußert werden darf. Auch die Nutzbarmachung muss über den gesamten Zeitraum von

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zehn Jahren aufrechterhalten bleiben. Geschieht das nicht, entfällt die Steuerermäßigung insgesamt und nicht nur pro rata temporis.

S teuerlicher E insat z von K unst durch vorweggenommene E rbfolge Eine interessante Gestaltungsmöglichkeit bezieht sich auf die Schenkung unter Lebenden. Gerade der Eigentümer einer wertvollen Sammlung sollte die Vererbung der Sammlung strategisch richtig planen. Das hängt zunächst einmal davon ab, wer als Erbe der Sammlung überhaupt in Betracht kommt. Sind keine Kinder vorhanden, so ist das Sammlerehepaar häufig bereit, die Sammlung einem Museum zu vermachen. Sind Kinder vorhanden, die auch noch an der Sammlung ideell interessiert sind, so muss der Sammler über eine Strategie nachdenken, die Sammlung mit möglichst geringer Steuerbelastung auf seine Erben übergehen zu lassen. Für ihn ist meine »Vorzugs-Befreiungsvorschrift« von enormer Bedeutung. Bei richtiger strategischer Gestaltung denkt der Sammler in einem solchen Fall auch über die sogenannte »vorweggenommene Erbfolge« nach. Darunter versteht man Schenkungen zu Lebzeiten an zukünftige Erben unter dem Aspekt des späteren Todesfalles. In diesem Zusammenhang bin ich nun sehr überrascht zu sehen, dass im Bewusstsein vieler Sammler in keiner Weise vorhanden ist, dass die Befreiungsvorschrift auch für die vorweggenommene Erbfolge genutzt werden kann. Es gibt viele Sammler, die seit Jahren eine mehr oder weniger große Anzahl von Kunstwerken Museen als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt haben. Sie können bereits zu Lebzeiten diese Kunstgegenstände auf ihre Kinder oder dritte Personen übertragen, und zwar völlig steuerfrei, wenn, abgesehen von dem Thema des Denkmalschutzes, die Voraussetzung des 20-jährigen Familienbesitzes gegeben ist. Ist letzteres nicht der Fall, so ist zu bedenken, dass jedes Kind bei einer Schenkung des jeweiligen Elternteils den Freibetrag von jeweils EUR 400.000,00 hat, der alle zehn Jahre erneut in Anspruch genommen werden kann. Wenn die geschenkten Kunstgegenstände bei Vorliegen des 20-jährigen Familienbesitzes innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren nicht veräußert werden, so bleibt es bei der einmal gewährten Steuerbefreiung. Sollte es etwa nach 10 Jahren zu einer Veräußerung kommen, so kommen die Kinder in den Besitz von Bargeld zu Lebzeiten des Vaters, und zwar ohne dass ggf. überhaupt ein Euro Steuern zu zahlen war. Die Veräußerung des Kunstwerks kann auch steuerunschädlich zurück an den Vater erfolgen. Dieser ist dann wieder Eigentümer des Werks, das er später wieder steuergünstig vererben kann. Die Kinder erhalten einen großen Geldbetrag, ohne dass bei dem Gesamttransfer Steuern abgeflossen sind. Häufig haben die Eltern allerdings die Sorge, dass Kinder bei lebzeitigen Schenkungen mit dem geschenkten Gegenstand etwas anderes anfangen als von den Eltern gewünscht wurde. Davor kann man sich mit einem freien Rücktrittsrecht schützen, was – nach einigem Hin- und Hergezerre der Finanzverwaltung

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vor wenigen Jahren – nach heutiger Erkenntnis die steuerliche Vorteilhaftigkeit der Schenkung unbeeinflusst lässt. Diese Gestaltung ist nämlich durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anerkannt. Die Möglichkeit des freien Rücktrittsrechts, die natürlich auch für Immobilien und andere Vermögensgegenstände gilt, ist vielen Beratern unbekannt. Weitere begleitende schwächere Sicherungsrechte sind möglich. Der Beschenkte unterwirft sich einem vertraglichen Verbot, die Kunstgegenstände ohne Zustimmung des Schenkers zu veräußern oder zu belasten. Der Schenker behält sich den Nießbrauch vor, was in der Praxis bedeutet, dass die verschenkten Kunstwerke in dem Lebensumfeld des Schenkers verbleiben können und nicht etwa in der Wohnung des Beschenkten hängen. Zulässig ist auch die Regelung, wonach der Widerruf nicht nur ganz, sondern auch teilweise ausgeübt werden kann, z.B. hinsichtlich eines Prozentsatzes der Schenkung oder einzelner Kunstwerke. Dadurch ist eine auch steuerlich rückwirkende Anpassung der Schenkung möglich, wenn sich die Erwartungen über die Höhe des gemeinen Werts beim Fiskus nicht durchsetzen lassen. Anzuraten ist auch die Vereinbarung, den Nießbrauch an einem eventuellen späteren Veräußerungserlös bei Verkauf des Kunstwerks fortzuführen. Ein Rechenbeispiel für die umfassende und optimale Nutzung der schlechteren Variante, der Ermäßigung um 60  % bei noch nicht 20-jährigem Familienbesitz: Ein Sammlerehepaar will aus dem gemeinsamen Sammlungsbesitz Kunstwerke im Verkehrswert von EUR 8 Mio. im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf zwei Kinder übertragen. Der Vater überträgt seinen hälftigen Anteil mit einem Verkehrswert von EUR 4 Mio. auf die beiden Kinder. Gemeiner Wert 50 %, somit EUR 2 Mio. Davon der Bewertungsabschlag von 60 %, entsprechend EUR 1,2 Mio. Gemeiner Wert von EUR 2 Mio. minus EUR 1,2 Mio. ergibt eine Bemessungsgrundlage von EUR 800.000,00. Jedes Kind erhält somit steuerlich EUR 400.000,00. Das entspricht genau seinem Freibetrag. Bei der Mutter gilt das Gleiche. Somit geht Kunst im Verkehrswert von EUR 8 Mio. zu null auf zwei Kinder über. Hätte es sich dabei um Wertpapiere gehandelt, so hätten die beiden Kinder nach Freibeträgen zweimal EUR 608.000,00, somit EUR 1.216.000,00 Mio. insgesamt zahlen müssen. Dieser Vorgang kann zur Nutzung der Freibeträge nach 10 Jahren wiederholt werden. Hinweis: Enkelkinder haben heute einen erstaunlich hohen Freibetrag, nämlich EUR 200.000,00. Den Steuerpflichtigen fehlt häufig das Bewusstsein, dass der Freibetrag für die Kinder nicht nur von einem Ehegatten, sondern auch von beiden Ehegatten ausgenutzt werden kann, was das mögliche Volumen verdoppelt. Wenn der allein verdienende Ehemann die Kunst aus seinem Vermögen gekauft hatte, so kann er seiner Frau im Rahmen von deren Freibetrag von EUR 500.000,00 Kunst mit einem steuerlichen Wert in gleicher Höhe schenken, die diese dann gegebenen-

Felix Ganteführer: Kunst und Steuern

falls nach Ablauf einer Schamfrist (Problem der »Kettenschenkung«) an das Kind weiterschenken kann. Meine Darlegungen zum Bereich der Erbschaftsteuer möchte ich mit folgendem Statement schließen: Im gesamten Erbschaftsteuerrecht gibt es kaum einen Vermögensgegenstand, der unter so günstigen Voraussetzungen weitervererbt werden kann, wie es die Kunst ist. Aus meiner Sicht ist die steuerfreie Schenkung des einen Ehegatten an den anderen unter Lebenden im Hinblick auf die privat genutzte Familienwohnung die einzige einfach handzuhabende Ausnahme, die mit der steuerlichen Behandlung der Kunst konkurrenzfähig ist. Hinzu kommt die komplizierte und im Ergebnis unsichere Begünstigung bei der Unternehmensnachfolge. Die attraktive Gesetzeslage für Kunstwerke sollte man vor allen Dingen auch für Schenkungen unter Lebenden unter Einbau von Sicherungsrechten des Schenkers nutzen.

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Kunstvermittlung Voraussetzungen und zeitgemäßes Verständnis Maren Ziese

In den letzten Jahren hat sich der Bereich Kunstvermittlung zu einem vitalen Feld des Kunstbetriebs entwickelt. Anfang der 1990er Jahre diskutierte der Kunstbetrieb Begrifflichkeiten und Phänomene wie »Repolitisierung«, »Kontextkunst«, »öffentliche Kunst«, »Interventionen« und »Partizipation«, denn zu diesem Zeitpunkt wurden verstärkt Vorhaben mit besonderer Publikumsadressierung realisiert. Dadurch wurde das Thema Vermittlung relevanter, die Abgrenzung zu anderen Bereichen in Kunstkreisen löste sich auf: zwischen AutorIn und RezipientIn, zwischen künstlerischer Praxis und (real-)politischem Handeln, zwischen vermittelnder Praxis und Kunst. Nun kamen AkteurInnen, die bislang eher separat voneinander agierten, für Tagungen und Projekte zusammen.1 Unter Kunstvermittlung wird jedoch je nach Position im Kunstfeld jeweils etwas anderes verstanden.2 Im Kern geht es um die Frage »Soll Kunstvermittlung nun der Kunst dienen und nur zur Kunst hinführen oder liegt ihr Sinn und Zweck außerhalb ihrer selbst, in ihrer allgemeineren Ertüchtigung und Ermächtigung des Menschen, in ihrem Transferpotenzial im Hinblick auf andere Lebens- und Kompetenzbereiche?«3 1  |  Vgl. Puffert, Rahel: Die Kunst und ihre Folgen. Zur Genealogie der Kunstvermittlung, Bielefeld 2013, S. 13. Puffert gibt Auskunft zur Geschichte und dem Vermittlungsbegriff der Kunst. Ein Beispiel für die neue Überschneidung der Felder Kritik, Kunstpraxis, Ausstellungswesen und Kunsterziehung ist laut Puffert die Wiener Tagung 1997 »Ist Kunstvermittlung eine Kunst?« 2  |  Definitionen von Vermittlungsarbeit finden sich an vielen Stellen. Bspw. gibt die Broschüre des Deutschen Museumsbundes und des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. Aufschluss über Leitgedanken der Bildung und Vermittlung: Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit, Berlin 2008. Aber auch die Kunstkritik versteht sich als Kunstvermittlung, siehe bspw. Bianchi, Paolo/Doswald, Christoph: Zur Lage der Kunstkritik, Kunstforum International Bd. 221, Mai/Juni 2013. 3 | Klinker, Martin: Was Kunstvermittler wirklich wollen und was Kooperationen ihnen

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Die Leiterin des Institute for Art Education der Kunsthochschule Zürich, Prof. Carmen Mörsch, kategorisiert vier unterschiedliche Ansätze der gegenwärtig zum Einsatz gebrachten Kunstvermittlung. Ihre Einteilung ist sehr hilfreich, um die zirkulierenden Vorstellungen von Kunstvermittlung miteinander zu vergleichen und die mannigfaltigen Rahmenbedingungen und Funktionsweisen herauszustellen (1). Die Kategorien von Carmen Mörsch wurden und werden im Bereich der Kulturellen Bildung generell breit und erfolgreich rezipiert. 4 Insbesondere die aktuelle Publikation des Institute for Art Education »Zeit für Vermittlung« bereichert das Feld der Kulturellen Bildung um ein grundlegendes Standardwerk, welches über die Akteure der Vermittlung, Qualitätskriterien, Nachhaltigkeit und konkrete Beispiele für innovative Ansätze Auskunft gibt.5 Der vorliegende Text stellt heraus, wie im Kontext des Kunstmarktes Kunst ausstellungsimmanent vermittelt wird (2) und welche Probleme damit verbunden sind. Er stellt diese gängigen Verfahrensweisen einem Ansatz der Kritischen Kunstvermittlung gegenüber: der transformativen Künstlerischen Kunstvermittlung (3). Es wird verdeutlicht, welchen Problemen sich Kunstvermittlung heute zu stellen hat (4). Wirkungsweisen, Adressaten, Inhalte und Definitionen werden durch die Kontrastierung unterschiedlicher Vermittlungskonzeptionen deutlicher, so dass auch der Frage nachgegangen werden kann, was als zeitgemäße Kunstvermittlung heute gelten kann und welche Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung der Kunstvermittlung erfüllt sein müssen (5). Denn die lange Zeit mit Kleben und Basteln assoziierte Museumspädagogik hat sich verändert. »Landschaften abzeichnen« oder sich im Museum die Kunstwerke in einer Führung »erklären lassen«, so sieht Kunstvermittlung heute nicht mehr aus.6

bringen sollten, in: Kirschenmann, Johannes/Lutz-Sterzenbach, Barbara (Hg.): Kunst. Schule. Kunst. Modelle, Erfahrungen, Debatten. Kontext Kunstpädagogik, Bd. 27, München 2011, S. 39-53. 4 | Bspw. auf der Jahrestagung des Landesverbands der Museen zu Berlin zum Thema »Zwischen Anspruch und Möglichkeit – Kulturelle Bildung in Berliner Museen« (November 2012) wurden die viereinhalb Vermittlungsfunktionen zur Diskussion gestellt. 5  |  Vgl. Mörsch, Carmen/Zürcher Hochschule der Künste. Institute for Art Education (Hg.): Zeit für Vermittlung: eine Online-Publikation zur Kulturvermittlung, 2003: http://www. kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=0&m2=1&lang=d Die Publikation ist kostenlos erhältlich. Sie bietet unter anderem ein Glossar, eine Literaturliste sowie eine Materialsammlung an. Was bislang für die Schweiz realisiert wurde, fehlt in Deutschland in diesem Umfang noch. 6  |  Mörsch, Carmen: Kunstvermittlung in der Kulturellen Bildung: Akteure, Geschichte, Potentiale, Konfliktlinien. Unter: www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/60325/ kunstvermittlung?p=all.

Maren Ziese: Kunstvermittlung. Vorausset zungen und zeitgemäßes Verständnis

1. V ier A nsät ze der K unst vermit tlung Zum Verständnis der gegenwärtigen Praktiken und Funktionen von Vermittlungsarbeit ist es hilfreich, mit Carmen Mörschs Einordnungskategorien zu beginnen. »Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen« führt sie die affirmative, die reproduktive, die dekonstruktive und die tranformative Kunstvermittlung auf.7 Diese vier Varianten sind oftmals in Mischformen vertreten sowie unterschiedlich verbreitet zu finden; im deutschsprachigen Raum dominiert die affirmative und/oder reproduktive Kunstvermittlung. Der affirmative Ansatz ist mit den durch die ICOM definierten Aufgabenbereichen wie Sammeln, Erforschen, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln von Kulturgut verknüpft und sieht vor, dass die Institution und ihr Kulturgut erfolgreich an eine selbst motivierte und fachlich gebildete Öffentlichkeit kommuniziert werden. Typische Angebote wären hier von ExpertInnen konzipierte Führungen oder Vorträge. Das reproduktive Modell verfolgt die Absicht, ein zukünftiges Publikum zu schaffen und Menschen, die bislang nicht in Kontakt mit dem Ausstellungsort standen, zu Kunst und Kultur zu bringen. Hierbei steht die Auffassung im Raum, dass Nicht-BesucherInnen angeblich Berührungsängste mit der Institution haben und symbolische Barrieren durch beispielsweise Schul- und Familienprogramme oder Veranstaltungshighlights wie Lange Museumsnächte überwunden werden sollen. Die Ansätze der dekonstruktiven und transformativen Kunstvermittlung zielen darauf ab, gegenwärtige Strukturen und Arbeitsweisen des Kunstbetriebs zu hinterfragen und Methoden mit performativem, partizipatorischem, kontextualisiertem und/oder emanzipiertem Inhalt anzuwenden. Diese Verfahrensweisen sind durch dekonstruktive, konstruktivistische, feministische, queere Wissenschaft und Theorie beeinflusst und von künstlerischen Ansätzen geprägt. Herangehensweisen dieser Art wollen Unterbrechung der Wahrnehmung statt Vereinfachung des Wahrgenommenen sein, brechen also Wissen »rauf«. 8 Der kritische Anspruch dieser Kunstvermittlung wird auch daran deutlich, dass gesellschafts7 | Vgl. Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: Mörsch, Carmen/Forschungsteam der documenta 12 (Hg.): KUNSTVERMIT TLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Berlin/Zürich 2009. Oder auch die Online-Publikation »Zeit für Vermittlung«, Kapitel 8 »Gute Kulturvermittlung«. Die vier Kategorien sind um eine weitere, halbe noch ergänzt: die reformatorische Funktion. Hier wird »Vermittlung als Möglichkeit der Verbesserung von (physischer) Zugänglichkeit, BesucherInnenservice und Gruppenbildung« definiert. 8 | http://iae.zhdk.ch/iae/deutsch/forschung/forschungsschwerpunkte/kunstvermitt lung-in-transformation/

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politische Fragestellungen der Repräsentation beachtet und die hegemonialen Strukturen des Kunstbetriebs aufgebrochen werden sollen, eine Enthierarchisierung also angestrebt ist.9 Zusammenfassend ist im Bezug auf die unterschiedlichen Ansätze der Kunstvermittlung kritisch festzuhalten, dass die affirmativen und reproduktiven Modelle eben auch aufgrund ihrer bevorzugten Stellung am meisten weiterentwickelt werden – so liegt hier oftmals eine privilegierte Empfängersituation von Geldmitteln u.a. aus öffentlicher Hand vor. Dekonstruktive und transformative Vermittlungsprogramme sind oftmals unbequem für die Kunstinstitution, die auf Statuserhalt aus ist und die eigene »Störung« nicht unbedingt zulässt. Außerdem setzen diese Ansätze voraus, dass VermittlerInnen sich immer entweder für etwas einsetzen oder gegen etwas positionieren müssen. Alle diese Ansätze sind als ausstellungsbegleitende Verfahren zu verstehen und geben jeweils den qualitativen Grad des Dialogs zwischen Öffentlichkeit und Kunst an. Kunstvermittlung als interpersonelles Handlungsfeld wird dabei sowohl im institutionellen als auch im außer-institutionellen Rahmen durchgeführt. Wenngleich das Wort Kunstvermittlung mannigfaltig besetzt ist und sich unter dem Begriff sowohl normale Museumsführungen als auch soziale Stadtprojekte sowie Kunstaktionen mit partizipatorischem Anspruch fassen lassen, tragen insgesamt alle diese Vermittlungsstrategien zur Professionalisierung und Etablierung des Feldes bei. Entsprechend lang ist die Liste der AkteurInnen, die in Deutschland zurzeit das Feld der Kunstvermittlung gestalten: Museen und außer-museale Kultureinrichtungen, Schulen und Universitäten, Vereine und Verbände, öffentliche Einrichtungen und Stiftungen sowie Kunstschaffende und natürlich die Teilnehmenden an Bildungsprojekten selbst.

2. K ur atorische V ermit tlung — ausstellungsimmanente V erfahren



Wenngleich KuratorInnen in vielen Fällen auch zu den AkteurInnen der Kunstvermittlung zählen, ist es wichtig, zwischen ausstellungsbegleitender und ausstellungsimmanenter Vermittlung zu unterscheiden. Zwar überschneiden sich vermittelnde Tätigkeiten zwischen KuratorInnen und KunstvermittlerInnen des Öfteren, wie es bereits allein in der neuen Bezeichnung für MuseumspädagogInnen als »Curator of Education« deutlich wird. Jedoch birgt dies auch eine Vielzahl an Problematiken, wie noch zu thematisieren sein wird. Zu den klassischen Aufgabenfeldern des Kurators/der Kuratorin zählen Werkauswahl und KünstlerInbetreuung sowie die Entscheidungsfindung für bestimmte Ausstel9  |  Vgl. Mörsch, Carmen: »Verfahren, die Routinen stören«, in: Baumann, Sabine/Baumann, Leonie (Hg.): Wo laufen S(s)ie denn hin?! Neue Formen der Kunstvermittlung fördern, Wolfenbütteler Akademie-Texte, Bd. 22, Wolfenbüttel 2006, S. 28.

Maren Ziese: Kunstvermittlung. Vorausset zungen und zeitgemäßes Verständnis

lungssprachen und Inszenierungsweisen. Indem der Kurator/die Kuratorin sich im Kunstbetrieb vermehrt auf die Tätigkeit des Vermittelns konzentriert und die zuvor gleichberechtigten, hinter den Kulissen stattfindenden Aufgaben wie Sammeln, Ordnen und Bewahren zurück lässt, rückt er/sie verstärkt in dieser Rolle in die Öffentlichkeit. Die Ausstellung wird zum zentralen Vermittlungsmedium. »Curating« bezeichnet mannigfaltige Handlungsstränge im Kontext einer Ausstellung, d.h. die Objekt- und Ausstellungsregie: eine gezielte Anordnung von Objekten, das Arrangieren von Sichtachsen und räumlichen Bezügen, die Herstellung von Kontextualisierungen der Exponate oder auch die Entscheidung für bestimmte Ausstellungssprachen (didaktische Ausstellungssprache, assoziative Ausstellungssprache etc.) – alle diese Faktoren sind ausstellungsimmanente Verfahren der BesucherInnenansprache. Viele KuratorInnen beziehen ihr Renommee über bedeutungsstiftende Verfahren, fühlen sich primär den KünstlerInnen verpflichtet und vertreten im Allgemeinen die Auffassung, dass sich BesucherInnen eigenständig den Zugang zu den Exponaten suchen sollen.10 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass es nicht nötig sei, die kuratorische Vermittlung noch um die ausstellungsbegleitende, d.h. museumspädagogische zu ergänzen. Vielen Verantwortlichen scheint der Aufwand für eine Kunstvermittlung zudem oft übertrieben. Zentrale Kritikpunkte an den Verfahren der Kunstpädagogik sind, dass sie in ihrem Prozess, Kunst zu erläutern, »das Kunsthafte der Kunst weg erklären« oder beim Sprechen über Kunst, »Kunst […] popularisieren, wodurch ihre Exklusivität angetastet wird«.11 Eine »Überpädagogisierung« scheint nicht gefragt und steht dem »reinen Kunstgenuss« entgegen. Das kuratorische Plädoyer für eine Rückbesinnung auf die Individualanforderungen des Objektes in der Ausstellung und die Bevorzugung von Ausstellungsräumen, die eher »einfach«, unspektakulär und praktikabel im Hinblick auf gute Proportionen sein sollten, steht im Zusammenhang mit der Konvention des Präsentationsformats des White Cube. Wie von Brian O’Doherty in seinem Buch »In der weißen Zelle« ausgeführt, geht die Entscheidung für weiße Ausstellungswände mit der Annahme einher, dass es möglich sei, einen neutralen Raum zu schaf10 | Beispiele für grundlegende Publikationen, welche die kuratorischen Vermittlungssprachen in den Blick nehmen, sind: Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004. Und: Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006. Sowie: Schärer, Martin R.: Die Ausstellung – Theorie und Exempel, München 2003. Oder auch: Fayet, Roger (Hg.): Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen, Band 1 der Interdisziplinären Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen, Baden 2005. Da mit dem Kuratieren statt mit Bildungsprojekten und Besuchern das Renommee für Kuratoren verbunden ist, scheint es logisch, dass keine Identifikation mit Verfahren vorhanden ist, die von den Exponaten wegführen. 11  |  Puffert, Kunst und ihre Folgen, a.a.O., S. 14.

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fen, in dem die Kunst in idealer Weise hervortrete.12 Indem KuratorInnen vorgeben, neutrale VermittlerInnen zu sein, leugnen sie ihre Definitionsmacht im Hinblick auf den Kunstkanon sowie die Distinktionsmechanismen, die bestimmte soziale Gruppen privilegieren.13 Im Mittelpunkt des Ausstellungsbesuches soll die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Kunst stehen und nichts weiter. Der Vorstellung, dass sich gute Ausstellungsprojekte primär selber vermitteln, eine Unmittelbarkeit vorhanden ist und jedem Menschen eine »natürliche Begabung« für die Kunstrezeption inne wohnt, 14 ist in Literatur und Forschung an vielen Stellen widersprochen worden und hat die Schwachstellen aufgezeigt. Für diese Äußerungen ist die Idee zentral, dass jeder Rezipient/jede Rezipientin Gegenstände im Ausstellungsraum verstehen und in einen Zusammenhang einbinden könnte, wenn ihm/ihr dafür eine angemessene Zahl individueller Anknüpfungspunkte geboten würde. So gehen viele zeitgenössische Vermittlungskonzepte davon aus, dass jeder Mensch einen eigenen, ganz individuellen, Zugang zu Ausstellungen haben kann.15 Dahinter steckt die Auffassung von der Existenz eines natürlich begabten Individuums, welche von Pierre Bourdieu kritisiert wird. Die Vorstellung eines natürlich begabten Individuums blende dessen gesellschaftlichen Aspekt aus. Die vermeintlich »natürliche Begabung« ist eine ideologische Konstruktion.16 Vielmehr kann man annehmen, dass diese auf den Bildungsvorteilen bestimmter sozialer Schichten beruht. Insbesondere sind es Kunstmuseen, die von einem Wissensstand der BesucherInnen ausgehen, der nicht den tatsächlichen Voraussetzungen entsprechen muss. Welche Assoziationen beim Lesen von Labels auf kommen, hängt von den mitgebrachten Vorkenntnissen ab. Problematisch ist zudem, dass die BesucherInnen sich oftmals mit einer rein anschauenden Rezeption der Objekte zufrieden geben und eine Reflexion des Gesehenen nicht vornehmen, wenn keine Verständnis- und Orientierungshilfen zur Verfügung gestellt werden. Damit die RezipientInnen die von den Ausstellungsmachern beabsichtigte Lesart von Objekten auch verstehen können, 12  |  Vgl. O’Doherty, Brian: Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkeley 1999. 13  |  Vgl. Puffert, Rahel: »Vorgeschrieben und ausgesprochen? Oder: was beim Vermitteln zur Sprache kommt«, in: Jaschke, Beatrice/ u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 63. Und Machart, Oliver: »Die Institution spricht. Kunstvermittlung als Herrschafts- und Emanzipationstechnologie«, in: Jaschke, Beatrice/ u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 40. 14 | Vgl. Sternfeld, Nora: »Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung«, in: Jaschke, Beatrice/ u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 17. 15  |  Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 21f. 16 | Vgl. Bourdieu, Pierre: Die konservative Schule. Die soziale Chancenungleichheit gegenüber Schule und Kultur, in: ders.: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001, S. 40.

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ist es deshalb notwendig, neben dem Arrangement von Exponaten zusätzliche Sinngenerierungsverfahren zum Einsatz zu bringen.17 Dazu kann beispielsweise zählen, dass die KuratorInnen die Mittel der Wissensaneignung und Kenntnisse weitergeben, die zum Verständnis des Ausstellungsprojektes und der Exponate nötig wären. So wird dem Publikum einer Ausstellung eine Medienkompetenz im Umgang mit Inszenierungstechniken vermittelt. Ein Grund dafür liegt im zeitlichen Kontext: »gerade in Zeiten, wo der Alltag immer mehr ästhetisiert und inszeniert wird, [ist] es noch wichtiger, das Medium Ausstellung zu thematisieren«.18 Wenn nämlich BesucherInnen die Präsentationsarten auf einer Meta-Ebene reflektieren, beeinflusst das deren Wahrnehmung der Repräsentationen des Museums.19 Über Ein- und Ausschlüsse zu sprechen, d.h. über die Adressierung eines privilegierten Publikums mit Vorkenntnissen kritisch nachzudenken und das Einnehmen einer »neutralen« kuratorischen Position zu vermeiden, bedeutet, dass Kunstvermittlung über die zugrunde liegenden Machtverhältnisse informieren und Kontexte sichtbar machen sollte – viel zu sehr würden wünschenswerte oder angestrebte Inhalte wie relevante Themen und Ausstellungsgegenstände im Zentrum des kuratorischen Diskussion stehen, statt dass die Bedingungen des Arbeitens und Ausstellens reflektiert würden.20 Die Offenlegung der Ausstellungskonzipierung und -realisierung gesteht dem Betrachter/der Betrachterin Medienkompetenz zu und dient darüber hinaus dazu, Hierarchisierungen, Einschüchterungen etc. entgegenzuwirken. Im Kunstbetrieb zirkulieren mehrere Einstellungen, die einer Vermittelbarkeit von Kunst entgegenwirken und diese teilweise verhindern. Auch KünstlerInnen sind oftmals nicht bereit, ihre Aussagen nachvollziehbar zu gestalten und Erfolg und Arbeitsteilung tragen dazu bei, dass keine weiteren Informationen für BetrachterInnen zur Verfügung gestellt werden. So scheinen gesellschaftlicher und ökonomischer Erfolg zu belegen, dass Kunst als Kunst Anerkennung findet und damit keiner weiteren Information, Erklärung oder Rechtfertigung bedarf. Was die Arbeitsteilung angeht: Indem KünstlerInnen bis heute als »kreative Genies« stilisiert und zelebriert werden, gilt die Vermittlung der vom Kunstschaffenden produzierten »Unmittelbarkeit« als Aufgabe anderer »denkender« FürsprecherInnen.21 17 | Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 21f. Siehe weitere Ausführungen zur Vermittlung über Sprache bei Fayet. Der Autor schildert auch, welche Assoziationen bei BetrachtInnen beim Lesen von Labels in kunstwissenschaftlichen Ausstellungen aufkommen. 18 | Schärer, a.a.O., S. 117. Auch Mirzoeff konstatiert, dass trotz des visuellen Reichtums, Menschen wenige Kenntnisse in der Analyse der visuellen Kultur haben. Vgl. Mirzoeff, Nicholas: An Introduction to Visual Culture, London/New York 1999, S. 4f. 19  |  Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 252f. 20  |  Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 47. 21  |  Vgl. Lehnerer, Thomas: Methode der Kunst, Würzburg 1994, S. 9-11. Vgl. Puffert, Vorgeschrieben und ausgesprochen, a.a.O., S. 64.

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Auch die hierarchischen Institutionsstrukturen und ein starkes Einzelinteresse der beteiligten AkteurInnen führen oft dazu, dass MuseumspädagogInnen nicht von Beginn an in die Projektplanungen eingeschlossen werden. Kunstvermittlung hat nahezu ein schlechtes Image: Von allem, was nach Didaktik klingt oder aussieht, sich zu distanzieren, sei im Kunstfeld gang und gäbe.22 Kuratorische Selbstaussagen belegen, dass sich AusstellungsmacherInnen in unterschiedlichen Abstufungen auch als VermittlerInnen verstehen, welche die Beziehungen zwischen Objekt und Rezipient/Rezipientin begleiten, wie jüngst die Publikation »Educational Turn in Curating« zum Ausdruck gebracht hat. Im Zuge des »reflexive turn« wird kuratorisches Handeln über das Gestalten von Ausstellungsräumen hinaus als Methode der Erzeugung von Wissen und Vermittlung von Wissen definiert und rückt damit an die Kunstvermittlung heran.23 Auf das Phänomen, das Kuratieren nähere sich dem Vermittlungshandeln an, wurde mit einer eigenen Publikation von Seiten der Kritischen Kunstvermittlung reagiert, um sich den Diskurs wiederanzueignen. Denn bei der Debatte um Vermitteln im Feld des Kuratorischen fällt auf, dass die Wissensbestände und Personen der VermittlerInnen übergangen wurden. Die AkteurInnen der Kunstvermittlung kritisieren in ihrem Buch, dass sich der kuratorische Diskurs leichtfüßig die Versprechen der Pädagogik aneigne, aber sich nicht mit dem komplexen Spannungsverhältnis zwischen Ideal und Realität auseinandersetzen muss, wie es die Vermittlung in ihrer Praxis tut.24 Bisherige Ausführungen haben gezeigt: Im Kontext des Kunstmarktes dominieren demnach ausstellungsimmanente Verfahren der Vermittlung.

3. V ermit tlung im K ontext des K unstmarktes — affirmativer A nsatz und künstlerische K unst vermit tlung (transformativ) Kommerzielle Kunstinstitutionen arbeiten mit den KünstlerInnen zusammen, die erfolgsversprechend für eine spätere Vermarktung erscheinen. Kommerzielle Kunstinstitutionen funktionieren aufgrund der Absicht, Gewinne zu erzielen, natürlich anders als gemeinnützige Einrichtungen. Aktuelle Kunstmarktentwicklungen und ein möglicher Bedeutungsverlust von öffentlich geförderten Ein22  |  Vgl. Puffert, Kunst und ihre Folgen, a.a.O., S. 14. 23  |  Vgl. O’Neill, Paul/Wilson, Mick (Hg.): Curating and the educational turn, Amsterdam/ London 2010. Oder auch: Scott, Kitty (Hg.): Raising Frankenstein: Curatorial education and its discontents, Banff/London 2011. 24 | Vgl. Schnittpunkt/Jaschke, Beatrice/Sternfeld, Nora/in Zusammenarbeit mit dem Institute for Art Education, Zürcher Hochschule der Künste (Hg.): Educational Turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Ausstellungstheorie & Praxis, Bd. 5, Berlin/ Wien 2012.

Maren Ziese: Kunstvermittlung. Vorausset zungen und zeitgemäßes Verständnis

richtungen scheinen an vielen Punkten zusammenzuhängen. Nichtsdestotrotz ist es interessant, nach personellen Vermittlungsweisen im Kontext des Kunstmarktes zu fragen – so finden sich auch hier unterschiedliche Profile und (nicht-) kommerzielle Ausrichtungen, wie bspw. die Produzentengalerien. Diese stellten in den 1960er revolutionäre Formen der Kunstvermittlung dar, um sich gegen eine elitäre Kunstbetrachtung zu positionieren und selbstständig die eigenen Produktionen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Falls man also neben der zuvor genannten ausstellungsimmanenten Vermittlung dem Kunstmarkt eine weitere Kategorisierung zuschreiben könnte, kann die affirmative Funktion herangezogen werden, die sich in der Adressierung eines Fachpublikums ausdrückt. Wie schon der Titel eines Zeitungsartikels über »Kunstvermittlung in der Diaspora« pointiert beschreibt, »(leben) Galerien […] nicht von Laufkundschaft«,25 sie wenden sich demnach an eine von sich aus bereits interessierte Öffentlichkeit, und Dialoge mit den BetrachterInnen über Kunst werden von autorisierten SprecherInnen durchgeführt. AkteurInnen der Vermittlung sind hier die KuratorInnen der Ausstellungen, die GaleristInnen, das Fachpersonal der Auktionshäuser, oder eben die KünstlerInnen selber, wie bei den Produzentengalerien. Indem sich Galerien beispielsweise verstärkt mit Kunstvereinen zur Realisierung von Ausstellungsprojekten kooperativ verbinden – begründet durch die Reduzierung der Subventionen für Kunstvereine und ihr neues Angewiesensein auf Hilfe der Galerien 26 – finden sich sicherlich in der Vermittlungsarbeit indirekt auch reproduktive Elemente, bei denen es um die Ausweitung des üblichen Publikums geht und neue Kreise der Öffentlichkeit angesprochen werden sollen. Hier bergen sich jedoch Risiken für die klassische Nonprofit-Institution des Kunstvereins, nämlich dass Kooperationen und Mischfinanzierungen politischen, subversiven, unbequemen Kunstproduktionen und Zielgruppen weniger Raum geben, als es Zuwendungen der öffentlichen Hand teilweise ermöglichen würden. Insbesondere die Kunstvereine repräsentieren Orte für neue, experimentelle Ausdruckweisen der Gegenwartskunst und ermöglichen es dem Publikum, sich mit Kunstformen auseinanderzusetzen, »für deren Vermittlung die üblichen Techniken wie Analyse, Interpretation, Information und Dialog über ein Exponat oft nicht mehr ausreichend sind. Gerade in Kunstvereinen greifen desöfteren reformatorische oder transformative Ansätze der Kunstvermittlung, welche das Selbstbild der Institution hin zu einer Identifikation mit einem Vermittlungsanspruch formen.27 D.h. aktuelle Methoden der Kunstvermittlung sind 25  |  Fischer, Katinka: »Kunstvermittlung in der Diaspora«. FAZ, 12.04.2012. 26  |  Vgl. Schiff, Hajo/Schellen, Petra: »In der Kommerzfalle.« Taz, 05.06.2013. 27  |  Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine befördert die Auseinandersetzung mit zeitgemäßer Kunstvermittlung und deren Weiterentwicklung unter anderem durch die Ausrichtung von Netzwerktreffen, Workshops und Tagungen zu diesem Arbeitsfeld. Bspw: »Von Publikum, Akteur/innen & Komplizenschaften«, März 2009 im Künstlerhaus Stuttgart.

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inzwischen selbst durch künstlerische Verfahrensweisen geprägt, nicht nur weil sie die Öffentlichkeit einbeziehen und Grenzen austesten wie die Kunst selbst. Der Ansatz der künstlerischen Kunstvermittlung wendet sich von der Tradition der Museumspädagogik ab, die mit einer niedrigen Schwelle arbeitet, um eine zukünftige Publikumsbindung zu erzielen. Nach einer, an reformpädagogische Ideen anknüpfende Konsolidierungsphase erhielt die museale Kunstvermittlung seit Ende der 1990er Jahre unter dem Stichwort »Künstlerische Kunstvermittlung« neue Impulse. Zu verzeichnen war in diesem Kontext das Unbehagen der VermittlerInnen an der neu zu verzeichnenden Identifikation der KünstlerInnen mit Vermittlung und kunstdidaktischen Fragen.28 KünstlerInnen als VermittlerInnen hinterfragen in ihren Vermittlungsangeboten gemeinsam mit den BesucherInnen die Ausstellungsinstitution, eignen sich diese an und deuten sie um. Damit wird dieses Verfahren transformativ. Sowohl in der Kunst als auch in der Vermittlung tätige VertreterInnen der Kritischen Kunstvermittlung eröffnen einen besonderen Raum für Möglichkeiten und Handlungen, um Fragen von Kultureller Diversität, Erinnerungspolitiken und die Verstrickung mit der Geschichte der Institution Museum zu reflektieren und zu bearbeiten.29

4. P roblemfelder der K unst vermit tlung Eine grundlegende Schwierigkeit liegt in der widerstreitenden Auffassung über den Vermittlungsbegriff. Im Bereich der kulturellen Bildung ist bis heute die einfache Frage, was wozu vermittelt wird, erstaunlicherweise ungeklärt geblieben.30 Problematisch bei den dekonstruktiven und transformativen Ansätzen mit künstlerischen Methoden könnte sein, dass ihnen ein romantisches Ideal über das Veränderungspotenzial von Kunst und Kunstvermittlung zugrunde liegt. Zumindest offenbaren sich in der Praxis die Ambivalenzen zwischen einem Idealverständnis von Partizipation und Besucherermächtigung und der realen Museums- und Ausstellungspraxis. Hinzu kommt bei den kritischen Ansätzen der Kunstvermittlung, dass sich die AkteurInnen in dem Dilemma sehen, »mit ihrer Tätigkeit einerseits viel Positives zu bewirken, andererseits Erfüllungsge28  |  Vgl. Puffert, Kunst und ihre Folgen, a.a.O., S. 13. 29  |  Siehe bspw. die Arbeit von Nanna Lüth am Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, dokumentiert in: medien kunst vermitteln, hg. v. Nanna Lüth/Sabine Himmelsbach für das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Berlin 2011. Siehe auch Sternfeld, Nora: Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung. Transnationales Lernen über den Holocaust in der postnazistischen Migrationsgesellschaft, Wien 2013. 30  |  Auf dieses Phänomen haben mehrere fachliche Studien hingewiesen, bspw. die Studie von Anne Bamford zur Wirkung von kultureller Bildung und Vermittlung auf Kinder und Jugendliche, betitelt »Der WOW-Faktor: Eine weltweite Analyse der Qualität künstlerischer Bildung«: Vgl. Klinker, a.a.O., S. 47.

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hilfinnen des Neoliberalismus zu sein. Dabei arbeiten sie meist selbst unter mehr als prekären Bedingungen und bilden so ironischerweise perfekte Rollenmodelle für die selbstmotivierte und selbstgesteuerte Ich-AG«.31 Schwierig sei auch, dass Kunstvermittlung eine »Domäne der Theorie« geworden ist, und auch Kunst würde im Hinblick auf ein Fachpublikum und eine Kennerschaft hin geschaffen werden, womit Kunst und Vermittlung in festgefahrenen Strukturen konsumiert würden.32 Ein weiteres Spannungsfeld liegt in der zahlenmäßig immer kleiner werdenden Gruppe der hauptamtlichen KunstpädagogInnen, die sich einer zunehmend auch in der Vermittlung tätig werdenden KünstlerInnengruppe gegenüber gestellt sieht.33 Das Interesse der KünstlerInnen an Kunstvermittlung erklärt sich unter anderem durch den Umstand, dass nur 10 Prozent der Kunstschaffenden von ihren Produktionen leben können.34 Die kulturelle Bildung setzt sich bis heute damit auseinander, dass die Teilnehmenden mehrheitlich aus gut situierten Herkunftsfamilien kommen und einen vorgeprägten Bildungsstand über Kunst mitbringen. Auffällig viele Projekte sind humanistisch ausgerichtet und urban verortet. Dass viele künstlerisch ausgerichtete Bildungsprojekte im urbanen Kontext umgesetzt werden, ist kein Zufall, sondern erklärt sich aus dem Umstand, dass insbesondere freischaffende KünstlerInnen und AktivistInnen im städtischen Umfeld ihre Arbeits- und Lebensbezüge haben.35 Die Frage nach den Zielgruppen und der Spezifik einzelner sozialer und kultureller Gesellschaftsgruppen wird immer wieder problematisiert, insbesondere der Punkt, ob bestimmte Schulformen, Stadtteile und Milieus aufgrund ihrer Rahmenbedingungen bevorzugt angesprochen und adressiert werden: »Passen trashig-kitschige Combines und neo-dadaistische Kunstaktionen eher zu Harburg und Kreuzberg, sensible Naturkunstparcous und Phantasiereisen besser nach Bad Homburg und Gauting bei München?«36 Das bedeutet, dass ein Publikum idealerweise nicht einfach nur angesprochen und an das Haus 31  |  Mörsch, Kunstvermittlung in der Kulturellen Bildung, a.a.O. 32  |  Vgl. Puffert, Kunst und ihre Folgen, a.a.O., S. 14. Rahel Puffert verweist bei diesem Statement auf Marius Babias. 33 | Vgl. Klinker, a.a.O., S. 48. Aus verschiedenen Motiven sind KünstlerInnen in der Kunstvermittlung aktiv, auch als Zubrotverdienst. Kunstvermittlung nach Kassenlage? überschreibt Klinker dieses Phänomen. 34 | Vgl. Meixner, Christiane: Kunst und Kommerz. Malen nach Zahlen. Tagesspiegel, 18.05.2008. 35  |  Vgl. Klinker, a.a.O., S. 41f. 36  |  Klinker, a.a.O., S. 43. Publikationen zu diesem Themenfeld sind bspw.: Trunk, Wiebke/Institut für Auslandsbeziehungen e.V. (ifa) (Hg.): Voneinander lernen – Kunstvermittlung im Kontext kultureller Diversität. Ifa-Edition Kultur und Außenpolitik, Stuttgart 2011. Und: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (NGBK) (Hg.): Re/Positionierung – Critical Whiteness/Perspectives of Color. (Post-) Koloniale Sphären im Kunstbetrieb, Berlin 2009.

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gebunden, sondern verschiedene Öffentlichkeiten aktiv einbezogen werden sollen, in Form von Mitbestimmung, Selbstbildung und Interaktion – jedoch stellen Kinder und Jugendliche noch immer mehrheitlich die Zielgruppen der musealen Bildungsprogramme dar. Ziel ist es, dass die diversen Öffentlichkeiten vermehrt unterschiedlichen Alters- und Gesellschaftsgruppen entstammen. Ein weiteres Problemfeld kann auch misslungene Kunstvermittlung darstellen. So können bspw. Schwächen in der Konzeption von Angeboten oder mangelnde finanzielle oder materielle Ausstattung zu fragwürdigen, »peinlichen Performances, Aktionen und Werken« führen. Unreflektierte Kunstvermittlung läuft Gefahr, Vorurteile gegenüber zeitgenössischer Kunst nur noch zu verstärken und weitere Barrikaden zu errichten.37 Reflektiertes Aufarbeiten ermöglicht hingegen, ungeplante Prozesse zu dokumentieren, keine Erfolgsgeschichte zu erzählen und Lehren aus missglückten Kooperationen in der Kulturellen Bildung zu ziehen. In diesem Zusammenhang setzt sich die Kritische Kunstvermittlung auch mit der Frage auseinander, wie damit umzugehen sei, wenn sich BesucherInnen diskriminierend zu KünstlerInnen und den Werken äußern. Auch VermittlerInnen selber sind mit Diskriminierung konfrontiert.38 Hier möchte die Kritische Kunstvermittlung dialogische Situationen erzeugen, die wenig hierarchisch funktionieren. Kritische VermittlerInnen reflektieren ihre Handlungsmöglichkeiten im Kontext von (Anti-)Diskriminierung, zu nennen sind hier beispielsweise Schulungen für freie MitarbeiterInnen zum Thema »Kritisches Weiß-Sein«, um sich mit der eigenen privilegierten Stellung im Zusammenhang mit Hautfarben auseinanderzusetzen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich das Arbeitsfeld Kunstvermittlung durch einen hohen Grad an Selbstreflexion und Theoretisierung auszeichnet. Dies bringt auch die fortgeschrittene Ausdifferenzierung und Professionalisierung des Feldes zum Ausdruck. Dabei liegt hier, wie in anderen Bereichen auch, das Dilemma in der gleichzeitigen Etablierung eines Wissensfundus mit der Infragestellung und Reflexion desselben. In welchem Verhältnis diese unterschiedlichen Absichten zueinander stehen, gilt es stets erneut auszuloten.39 37  |  Folgende Dokumentation reflektiert exemplarisch sehr hilfreich, was an der Projektarbeit schwierig war: Wieczorek, Wanda/Güleç, Ayşe/Mörsch, Carmen (Hg.): Von Kassel lernen. Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirats. Art Education Research No.6, 2012. Unter: www.kultur-vermittlung.ch/fileadmin/user_upload/_temp_/AER-no5-wieczorek_guelec_moersch.pdf. 38 | Vgl. Sato, Hansel: Performing Essentialismus auf der documenta 12. In: Mörsch, Carmen/das Forschungsteam der documenta 12 (Hg.): KUNSTVERMIT TLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Berlin/Zürich 2009, S. 63-73. 39  |  Trunk, Wiebke: In Aufbruchsstimmung: Fragen an den educational turn beim »ersten Salon für kritische Kunstvermittlung« in Berlin. In: zkmb – online Zeitschrift Kunst Medien Bildung, Text im Diskurs, 2013. Unter: www.zkmb.de/index.php?id=136

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5. K unst vermit tlung gegenwärtig und nachhaltig Es sollte deutlich geworden sein, dass Kunstvermittlung in Theorie und Praxis eine anspruchsvolle und sehr komplexe Aufgabe darstellt. Die verantwortlichen AkteurInnen bringen nicht nur professionelles Methoden- und Fachwissen ein, sondern auch Organisationstalent und Sozialkompetenz, hierzu zählen zudem Frustrationstoleranz und Ausdauer, vor allem im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit internen und externen KooperationspartnerInnen. 40 Insbesondere um die eigenen Mechanismen der Exklusion zu hinterfragen und die Institutionen der Kunst transparent zu machen, sind Personen gefordert, die von sich selbst eine Offenlegung und Kritikfähigkeit abverlangen. Für die erfolgreiche Umsetzung von anspruchsvollen Bildungsprogrammen sind Kooperationen und Partnerschaften nötig sowie eine von Respekt und Sympathie getragene Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Leider sind gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung nicht immer als Voraussetzung zu finden. Die Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse ist relevant, nicht nur um dem jeweiligen Vorhaben einen sichtbaren Abschluss zu geben, sondern auch, um damit eine kritische Reflexion zu ermöglichen. Regelmäßige Weiterbildungen für die in der Vermittlung tätigen AkteurInnen sowie ausreichende Finanzmittel beeinflussen außerdem die Qualität, den Erfolg und die Nachhaltigkeit von Bildungsprogrammen. 41 Eine Möglichkeit für Kunstinstitutionen, die eigenen Mechanismen der Exklusion zu hinterfragen und »deren Störung selbst zu betreiben« (Carmen Mörsch), liegt in der Etablierung pädagogischer Dienste. »Kunstvermittlung als kritische Freundin der Institution« 42 bewegt sich heute im Spannungsfeld zwischen institutionellen und emanzipativen Ansprüchen und bemüht sich um Etablierung eines eigenständigen Handlungsraumes. Dabei sollte es nicht nur darum gehen, überhaupt Vermittlungsangebote zu realisieren, sondern die eigene Arbeit zu reflektieren und zu begründen. Kunstvermittlung, die sich als kritische Praxis versteht, vermittelt das in den Ausstellungen dargebotene Wissen unter Aufzeigen der eigenen Position. Und sie bietet dabei Hilfsmittel und Techniken für den Erwerb von Kenntnissen an, um die Eigenständigkeit des Publikums zu fördern, anstatt bequem auf die jeweiligen Fähigkeiten zur Wissensaneignung und die mitgebrachten Begabungen zu zählen. Um Ausstellungsorte zu Stätten der kulturellen Bildung zu formen und damit auch ihre gesellschaftliche Rolle neu zu definieren, sind nachhaltige Ansätze nötig, welche über die klassischen Formate wie Führungen und Workshops hinaus gehen. Das können vor allem in 40  |  Vgl. Klinker, a.a.O., S. 40. 41  |  Vgl. S. 41 Hier bieten unterschiedliche Leitfäden Empfehlungen und Kriterien für Honorare, Ausstattungen und vieles mehr, wie etwa die Publikation »Zeit für Vermittlung« oder auch der Leitfaden des BBK für Projekte, die von KünstlerInnen mit Kindern umgesetzt werden: www.bbk-bundesverband.de/fileadmin/pdfs/wowleit.pdf. 42  |  Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 24.

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Kooperation realisierte Projekte mit künstlerischen Ansätzen sein. Nötig ist es auch, diese Verfahren langfristig im Profil und Selbstverständnis der Institution zu verankern. Denn nur dann kann die Kunstvermittlung sowohl die kritische Freundin der Ausstellungsinstitution als auch eine engagierte Freundin der Besucherinnen und Besucher sein.

L iter atur Bamford, Anne: Der WOW-Faktor: Eine weltweite Analyse der Qualität künstlerischer Bildung, Münster/New York/München/Berlin 2010. Baumann, Sabine/Baumann, Leonie (Hg.): Wo laufen S(s)ie denn hin?! Neue Formen der Kunstvermittlung fördern, Wolfenbüttel 2006. Bianchi, Paolo/Doswald Christoph: Zur Lage der Kunstkritik, Kunstforum International Bd. 221, Mai/Juni 2013. Bourdieu, Pierre: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001. Deutscher Museumsbund und Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. (Hg.): Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit, Berlin 2008. Edith-Ruß-Haus für Medienkunst/Himmelsbach, Sabine/Lüth, Nanna (Hg.): medien kunst vermitteln, Berlin 2011. Fayet, Roger (Hg.): Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen, Band 1 der Interdisziplinären Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaff hausen, Baden 2005. Fischer, Katinka: »Kunstvermittlung in der Diaspora«. FAZ, 12.04.2012. Klinker, Martin: Was Kunstvermittler wirklich wollen und was Kooperationen ihnen bringen sollten, in: Kirschenmann, Johannes/Lutz-Sterzenbach, Barbara (Hg.): Kunst. Schule. Kunst. Modelle, Erfahrungen, Debatten. Kontext Kunstpädagogik, Bd. 27, München 2011, S. 39-53. Lehnerer, Thomas: Methode der Kunst, Würzburg 1994. Machart, Oliver: »Die Institution spricht. Kunstvermittlung als Herrschafts- und Emanzipationstechnologie«, in: Jaschke, Beatrice/ u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 34–58. Meixner, Christiane: Kunst und Kommerz. Malen nach Zahlen. Tagesspiegel, 18.05.2008. Mirzoeff, Nicholas: An Introduction to Visual Culture, London/New York 1999. Mörsch, Carmen/Forschungsteam der documenta 12 (Hg.): KUNSTVERMITTLUNG 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Berlin/Zürich 2009. Mörsch, Carmen/Zürcher Hochschule der Künste. Institute for Art Education (Hg.): Zeit für Vermittlung: eine Online-Publikation zur Kulturvermitt-

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Trunk, Wiebke/Institut für Auslandsbeziehungen e.V. (ifa) (Hg.): Voneinander lernen – Kunstvermittlung im Kontext kultureller Diversität. Ifa-Edition Kultur und Außenpolitik, Stuttgart 2011. Trunk, Wiebke: In Auf bruchsstimmung: Fragen an den educational turn beim »ersten Salon für kritische Kunstvermittlung« in Berlin. In: zkmb – online Zeitschrift Kunst Medien Bildung, Text im Diskurs, 2013. Unter: www.zkmb. de/index.php?id=136 Wieczorek, Wanda/Güleç, Ayşe/Mörsch, Carmen (Hg.): Von Kassel lernen. Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirats. Art Education Research No. 6, 2012. Unter: www. kultur-vermittlung.ch/fileadmin/user_upload/_temp_/AER-no5-wieczorek_ guelec_moersch.pdf.

Marketing für den Kunstmarkt Andrea Hausmann

1. E inführung Kunstakademien, Galerien, Museen, Kunstvereine, Auktionshäuser, Kunstmessen etc. – sie alle sind Teilnehmer auf dem Kunstmarkt, wo sie trotz der großen Unterschiede hinsichtlich ihrer primären Marktfunktion und -ausrichtung ein zentrales Ziel gemeinsam haben: Sie müssen jeweils sicherstellen, dass Angebot und Nachfrage zueinander finden. Und dies gilt unabhängig davon, ob ein Kunstbetrieb öffentlich-rechtlich (z.B. Museum), privat-gemeinnützig (z.B. Kunstverein) oder privat-kommerziell (z.B. Galerie) geführt wird. Denn ohne das fortlaufende Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage können private Kunstbetriebe nicht und öffentliche nur unter Inkaufnahme kulturpolitischer Legitimationsdiskussionen am Markt bestehen. Die hiermit verbundenen Aufgaben werden dem Marketing zugeordnet, das ein wesentliches Prinzip moderner Organisationsführung darstellt und sich auch in Kunstbetrieben erfolgreich implementieren lässt. Es ist Ziel des vorliegenden Beitrags, die zentralen Prinzipien und Maßnahmen eines Marketing für den Kunstmarkt komprimiert darzustellen. Dazu wird zunächst eine Begriffseingrenzung vorgenommen, die das Verständnis für dieses ganzheitliche, abteilungs- bzw. stellenübergreifende Konzept, das in der Kunstmarktpraxis noch (zu) häufig auf das Drucken von Werbepostkarten oder die Gestaltung des Internetauftritts reduziert ist, fördern soll. Hieran anschließend werden die Hauptakteure des Kunstmarketing und die wichtigsten Bestandteile des Planungsprozesses zur systematischen Implementierung des Marketing vorgestellt.

2. B egriffsverständnis Im Kunstmarketing geht es – wie beim Marketing in anderen Wirtschaftsbranchen auch – um die Herstellung von Austauschbeziehungen zwischen zwei oder mehr Akteuren eines relevanten Marktes. Wesentlich ist dabei, dass diese Austauschbeziehungen zu einem Mehrwert bei den Beteiligten führen: So hofft z.B.

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der Besucher einer Ausstellung auf hochwertige Kunst, die Entdeckung ihm bisher unbekannter Zusammenhänge und insgesamt einen anregenden Aufenthalt; das Museum erhält hierfür als Gegenwert Geld in Form des Eintrittspreises sowie ggf. darüber hinaus auch weitere Zuwendungen vom Besucher (Spenden, ehrenamtliches Engagement, Weiterempfehlung etc.). Solche Austauschbeziehungen werden allerdings aus Sicht eines potenziellen Nachfragers nur dann zustande kommen, wenn ein Anbieter über entsprechende Wettbewerbsvorteile verfügt. Dies ist auf dem wettbewerbsintensiven Kunstmarkt von besonderer Bedeutung für die Anbieter: Ausgewählt wird jener Akteur, der über eine aus Sicht des Kunden bedeutsame Ressource (z.B. authentische, marktfrische Kunst) oder Fähigkeit (z.B. Erstpräsentation junger Künstler, Auf bau internationaler Netzwerke) verfügt. Die Schaffung solcher Wettbewerbsvorteile setzt ein konsequentes Marketing voraus. Marketing wird dabei verstanden als ein Führungskonzept, bei dem die marktbezogenen Aktivitäten und die dafür erforderlichen internen Voraussetzungen eines Kunstbetriebs so ausgestaltet werden, dass eine konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Nachfrager möglich wird. Dabei, und das muss im Kontext von Kunst und Kultur hervorgehoben werden, geht es nicht um die Erfüllung beliebiger Bedürfnisse, sondern um solche, die kongruent mit den Zielen eines Kunstbetriebs sind. Immer dann kann Marketing sowohl für kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Akteure vielfältige Potenziale bereithalten: Durch Marketing können beispielsweise Kunstakademien die besten am Markt verfügbaren Studienbewerber und Professoren gewinnen, Museen junge Besucher für Kunst interessieren, Galerien sich eine unverwechselbare Positionierung am Markt erarbeiten und Auktionshäuser sich im Wettbewerb um die Einlieferung von Spitzenwerken empfehlen. Marketing ist dabei jedoch nicht nur für die Vermittler von Kunst wirksam. Auch die Produzenten von Kunst können Marketing für sich nutzen – und haben dies auch zu allen Zeiten ausgiebig getan, wie sich an Künstlern wie Picasso oder in der Gegenwart z.B. Jonathan Meese und Damian Hirst belegen lässt. So hat es Picasso verstanden, nicht nur herausragende Kunstwerke zu schaffen, sondern über ausgeklügelte Marketingmaßnahmen – wie z.B. die Entwicklung seines Markennamens (von Pablo Ruiz hin zu Picasso), die öffentlichkeitswirksame Inszenierung seiner Affären oder die Etablierung geeigneter Vertriebsstrategien – sich und seine Kunstwerke zu vermarkten (vgl. Weinhold 2005, S. 184ff.). Der Erfolg dieser (Selbst-)Marketingstrategien veranlasste den Künstler zu folgender Erkenntnis: »Actually I wanted to become a painter. Now I’ve become Picasso« (Kreutz 2003, S. 5).

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

3. H aup tak teur im K unstmarke ting : D er K unde Es ist deutlich geworden, dass im Mittelpunkt des Kunstmarketing die Schaffung von gelingenden, langfristigen Austauschbeziehungen zwischen Kunstbetrieben und ihren Anspruchsgruppen, insbesondere den Kunden steht. Allerdings gibt es nicht »die« Kunden. Im Hinblick auf das hier zur Veranschaulichung herangezogene Beispiel einer Galerie lassen sich vielmehr verschiedene Arten von Kunden identifizieren, die entsprechend unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen haben (siehe hierzu auch Shaw 2002, S. 349ff.; Koelen 2002, S. 353ff.): • Künstler: Galerien auf dem Primärmarkt wollen Künstler finden und vertreten, die sich möglichst langfristig am Markt etablieren lassen. Dass viele Künstler im Laufe der Zeit zu Freunden des Galeristen werden, ändert nichts an der Tatsache, dass sie immer auch Kunden bleiben, an deren Bedürfnissen sich die Galeriearbeit ausrichten muss. Die Künstler erwarten insbesondere, vom Galeristen umfassend repräsentiert zu werden, z.B. durch Einzelausstellungen, Ausstellungs- und Messebeteiligungen oder Kataloge. Sie wollen von seiner Expertise und seinen Kontakten zu relevanten Stakeholdern, wie z.B. Sammlern, Museen, Kunstvereinen oder den Medien, in inhaltlicher und monetärer Hinsicht profitieren. • Sammler: Die wirtschaftliche Zukunft einer Galerie ist in hohem Maße davon abhängig, inwiefern es ihr gelingt, Sammler von ihrem Programm zu überzeugen und langfristig an sich zu binden. Die Sammler werden – sofern sie nicht noch am Beginn ihrer »Sammlerkarriere« stehen – gewisse Vorkenntnisse und Erfahrungen aus anderen Kunstmarkttransaktionen mitbringen. Sie erwarten von einer Galerie u.a., dass Gütekriterien der Werkqualität erfüllt werden (Authentizität, Provenienz etc.), die Beratung kompetent und verlässlich ist und sie Zugang zu Werken erhalten, die ihre Sammlung sinnvoll ergänzen. Darüber hinaus erhoffen sie sich vielleicht den Auf bau freundschaftlicher Beziehungen und die Einbindung in ein Netzwerk von Gleichgesinnten. • Erst- und Gelegenheitskäufer: Neben den Wiederholungskäufern (Sammler) gehören zu den Kunden einer Galerie auch jene Käufer, die anlassbedingt (z.B. Einrichtung einer neuen Wohnung) einmalig oder gelegentlich ihren Weg in die Galerie finden – ohne deswegen zu einem Sammler werden zu wollen. Dieser Typ Kunde hat in der Regel wenig fachspezifische Vorkenntnisse und legt daher besonderen Wert auf eine gute Beratung in angenehmer Atmosphäre – kühle »white cube« Räume oder von außen nicht einsehbare Etagengalerien sowie restriktive Öffnungszeiten werden dieses Kundensegment eher abschrecken.

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• Organisationale Käufer: Zu den Organisationen, an die Galerien verkaufen, gehören sowohl privatwirtschaftliche Unternehmen als auch öffentlichrechtliche Institutionen wie z.B. Museen. Unternehmen werden u.a. die Erwartung haben, dass die Galerie ihnen Kunst vermittelt, die zu ihrer Corporate Identity passt, zu externen und internen Marketingzwecken genutzt werden kann (Mitarbeitermotivation, Kunden- und Lieferantenbindung) und über Wertsteigerungspotenzial verfügt. Die erfolgreiche Ansprache jeder dieser Kundengruppen setzt eine konsequente Orientierung an ihren Bedürfnissen und die Ergreifung zielgruppenadäquater Maßnahmen voraus. Dies ist umso wichtiger, als erfolgreiche Kundenorientierung in der Regel zu Kundenzufriedenheit führt. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass die Erwartungen eines Sammlers, die im Vorfeld durch den Ausstellungskatalog oder Internetauftritt geweckt wurden, durch die tatsächliche Leistungserbringung des Galeristen vor Ort (Qualität der Ware, Art der Beratung etc.) erfüllt oder sogar übererfüllt wurden. Aus Kundenzufriedenheit erwächst wiederum in der Regel Kundenbindung. Mit dem Kunsterwerb zufriedene Käufer werden beim nächsten Kauf mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder diesen Galeristen an erste Stelle in ihrem »evoked set« setzen. Darüber hinaus werden zufriedene Sammler auch sehr wahrscheinlich über ihre positiven Erlebnisse im Bekanntenkreis berichten und damit die Bemühungen eines Galeristen, seine Reputation auszubauen und neue Kunden zu gewinnen, nachhaltig unterstützen.

4. D er P l anungsprozess im K unstmarke ting Damit der Erfolg im Marketing kein Zufall bleibt und die einzelnen Maßnahmen systematisch geplant, umgesetzt und kontrolliert werden können, bietet sich ein zusammenfassendes, prozessuales Vorgehen an, das in der Literatur auch als Marketingmanagement (vgl. Meffert et al. 2011) oder Marketingplanung (vgl. Kotler et al. 2011) bezeichnet wird. Ziel ist dabei die Schaffung ganzheitlicher, möglichst detaillierter Marketingkonzepte, die sich sowohl auf den Kunstbetrieb als Ganzes als auch auf einzelne seiner Projekte (z.B. Messeauftritt), Produkte (z.B. Auktionskatalog) oder Leistungen (z.B. Museumspädagogik) beziehen können. Wie in Abbildung 1 dargestellt, werden die Aufgaben der Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher Marketingaktivitäten idealtypisch unterschiedlichen Phasen zugeordnet; diese werden nachfolgend im Kontext des Kunstmarkts überblicksartig vorgestellt (vgl. ausführlich hierzu Hausmann 2011, S. 37ff. und Weinhold 2005, S. 206ff.).

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

Abbildung 1: Idealtypischer Planungsprozess im Kunstmarketing Analyse der Marketingsituation Die Analyse der relevanten externen Faktoren (Kunden, Wettbewerb, Umwelt) im Kontext der eigenen betriebsspezifischen Situation (Budget, Know-how, Netzwerk etc.).

Strategische Marketingplanung Die Festlegung langfristiger Ziele und Strategien, die als Orientierung und verbindliche Grundlage für die Auswahl konkreter Maßnahmen dienen.

Operative Marketingplanung Die kurzfristiger angelegte, zielorientierte und strategieadäquate Umsetzung von Maßnahmen (Leistung, Preis, Distribution, Kommunikation).

Realisierung und Erfolgsmessung Die Koordination aller Aktivitäten durch die Festlegung von Verantwortlichkeiten und Ressourcen; Überprüfung der Wirksamkeit von umgesetzten Maßnahmen (Soll-Ist-Vergleich)

4.1 Situationsanalyse im Kunstmarketing Der Planungsprozess für ein erfolgreiches Kunstmarketing beginnt mit der Analyse der wichtigsten Rahmenbedingungen. Hierzu gehören neben den (a) eigenen (finanziellen, personellen, sozialen) Ressourcen, (b) die Konkurrenten, (c) die (potenziellen) Kunden und (d) die allgemeinen (ökonomischen, kulturpolitischen, rechtlichen etc.) Kontextfaktoren. Zur Durchführung einer solchen Analyse können zunächst Informationen aus der Sekundärmarktforschung ausgewertet werden. Hierbei handelt es sich um Daten, die in anderen Zusammenhängen erhoben wurden und damit bereits vorliegen. Solche Informationen finden sich sowohl im eigenen Betrieb (z.B. Verkaufsstatistik) als auch außerhalb, so z.B. für Galerien in Veröffentlichungen des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) oder für Museen beim Deutschen Museumsbund oder dem Institut für Museumsforschung. Aber auch übergeordnete Studien, wie z.B. das Monitoring der Bundesregierung zu wirtschaftlichen Eckdaten der Kulturund Kreativwirtschaft, das sich auch auf den Kunstmarkt bezieht (vgl. BMWi 2012, S.  34ff.), können erste Hinweise bezüglich einer bestimmten Fragestellung liefern. Allerdings unterliegt die Informationssammlung mittels Sekundär-

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marktforschung zwangsläufig gewissen Grenzen. Weiterführend können daher eigene Analysen sein, die ein Kunstbetrieb auf sein Informationsinteresse spezifisch zugeschnitten vornimmt oder von anderen durchführen lässt. Zu solchen Primärmarktanalysen gehören z.B. schriftliche Befragungen von Sammlern oder Interviews mit Messekunden. Ein weiteres Instrument ist die Beobachtung, die ebenfalls eingesetzt werden kann, um mehr über Kunden (Laufwege innerhalb eines Museums, Verweilzeit vor einzelnen Kunstwerken etc.), aber z.B. auch Konkurrenten (dramaturgischer Ablauf eines Auktionsabends, Markenpräsentation im Internet etc.) zu erfahren. Wenn ausreichend Informationen vorliegen, um die aktuelle Situation eines Akteurs im Hinblick auf seine Ressourcen, Kunden, Wettbewerber und sonstigen Rahmenbedingungen möglichst realitätsnah abbilden zu können, beginnt die nächste Phase des Marketing.

4.2 Strategische Planung im Kunstmarketing 4.2.1 Festlegung der Ziele Die strategische Planung umfasst in einem ersten Schritt die verbindliche Festlegung dessen, was mit dem Marketing konkret erreicht werden soll. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang die übergeordnete Zwecksetzung eines Kunstbetriebs, die sich v.a. bei angelsächsischen Organisationen im »Mission Statement« wiederfindet, und die sich hieraus ableitenden Handlungsziele, die sowohl für das Marketing zu formulieren sind als auch für alle anderen Organisationsbereiche. Während das Mission Statement kurz und knapp die Kernkompetenz eines Kunstbetriebs umreißt – wie im Falle des Auktionshauses Christie’s: »We are the world’s most potent marketplace for buying and selling art« (Christie’s 2013) – und damit für die konkrete Ableitung von Marketingmaßnahmen weniger geeignet ist, enthalten Handlungsziele detailliertere Informationen. Grundsätzlich verfügen Ziele über eine Orientierungs- und Steuerungsfunktion, der sie jedoch nur gerecht werden können, wenn sie realistisch sind, d.h. mit den im Kunstbetrieb vorhandenen Ressourcen tatsächlich erreichbar sowie operationalisierbar, d.h. ihre Erreichung lässt sich auch messen. In diesem Zusammenhang müssen bei der Zielformulierung folgende Dimensionen Berücksichtigung finden: • Der Zielinhalt, der grundsätzliche Überlegungen darüber enthält, was konkret von einem Kunstbetrieb angestrebt wird (z.B. Erhöhung des Anteils an jungen Sammlern, Gewinnung von Marktanteilen im Internetverkauf, Erschließung des asiatischen Kunstmarktes). • Das Zielausmaß, das angibt, in welchem Umfang ein Ziel erreicht werden soll (Erhöhung der Umsätze aus Messeverkäufen um 20 %). • Der Zeitbezug, der angibt, innerhalb welcher Zeit ein Ziel erreicht werden soll (z.B. bis zur nächsten Ausstellung).

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

Diese Anforderungen an die Zielbestimmung werden in der englischsprachigen Literatur unter dem Akronym »SMART« diskutiert. Während die Maßgabe »Erhöhung des Anteils an jungen Besuchern« kein Ziel darstellt, das den SMART-Anforderungen gewachsen ist, wäre »Erhöhung des Anteils von Besuchern im Alter zwischen 18 und 25 Jahren um 10 Prozent für die nächste Museumsausstellung« ein solches »smartes« Ziel: Es ist klar und eindeutig formuliert (»specific«), im Anschluss an die Durchführung der Ausstellung messbar (»measurable«), für das Museum durch entsprechende Maßnahmen im Bereich Social Media erreichbar (»achievable«), im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen, besucherorientierten Ausrichtung und im Hinblick auf höhere Besuchszahlen für die Gespräche mit den Trägern und zuständigen Verwaltungsgremien gleichfalls bedeutsam (»relevant«) und verfügt zudem über eine klare Zeitbezogenheit (»time-bound«). Grundsätzlich ist bei der Festlegung von Zielen im Kunstmarketing zu beachten, dass diese in komplexen Beziehungen stehen. So verhalten sich manche Ziele komplementär zueinander, befördern sich also gegenseitig, wiederum andere Ziele stehen in einem neutralen Verhältnis, so dass die Erreichung des einen Ziels keinen Einfluss auf die Erreichung des anderen hat. Allerdings können Ziele auch in einer konkurrierenden Beziehung stehen und sich in ihrer Erreichung gegenseitig behindern. Letzteres verdeutlicht, wie wichtig es insbesondere in größeren Organisationen ist, dass die verschiedenen Abteilungen miteinander kommunizieren und sich zumindest in ihrer Oberzielbildung aufeinander abstimmen. Dass dies kein leichtes Unterfangen ist, sei exemplarisch für den Museumsbereich aufgezeigt, wo selbst Abteilungen wie Marketing/Kommunikation und Vermittlung/Pädagogik typischerweise (zu) wenig miteinander kommunizieren – obwohl doch in beiden der Besucher im Fokus des Wirkens steht.

4.2.2 Bestimmung von Strategien Sobald verbindlich festgelegt ist, welche Ziele mit Hilfe des Marketing konkret erreicht werden sollen, können in einem nächsten Schritt des Planungsprozesses die Marketingstrategien ausgearbeitet werden. Die Strategien stellen das Bindeglied dar zwischen den Marketingzielen und den Marketinginstrumenten, in dem sie die grundsätzliche Vorgehensweise abstecken und damit der operativen Marketingplanung Orientierung bieten. In Anlehnung an eine bewährte Strategiesystematik von Meffert et al. (2011, S. 292) lassen sich für Kunstbetriebe verschiedene Strategien im Hinblick auf die beiden Grundsatzentscheidungen »Wahl des relevanten Marktes« und »Umgang mit anderen Marktteilnehmern« identifizieren; diese werden nachfolgend komprimiert vorgestellt. Grundsätzlich gilt, dass sich ein Kunstbetrieb auf jeder der in Tabelle 1 aufgeführten Ebenen strategisch festlegen muss.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Tabelle 1: Strategieoptionen für Kunstbetriebe Basisstrategien

Marktwahlstrategien

Strategiedimensionen

Inhalt der strategischen Festlegung

Strategische Optionen

Marktfeldstrategie

Festlegung der Produkt-MarktKombination(en)

 gegenwärtige oder neue Produkte in gegenwärtigen oder neuen Märkten  Rückzug aus bestehenden Märkten

Marktarealstrategie

Bestimmung des Markt- bzw. Absatzraumes

 lokal, regional, national, international

Marktsegmentierungsstrategie

Differenziertheit der Marktbearbeitung

 undifferenziert  differenziert

Nachfragerbezogene Strategie

Erschließung und Bearbeitung der Nachfrage

 Innovationsstrategie  Qualitätsstrategie  Brandingstrategie  Programm-/ Servicestrategie  Preis-MengenStrategie  Bindungsstrategie

Wettbewerbsbezogene Strategie

Verhalten gegenüber der Konkurrenz

 Kooperation  Anpassung  Vermeidung  Konflikt

Marktteilnehmerstrategien

Marktwahlstrategien Auf der ersten Ebene (»Marktfeldstrategie«) werden die Produkt-Markt-Kombinationen bzw. strategischen Geschäftsfelder festgelegt. In Auktionshäusern kann es sich z.B. um die einzelnen, in verschiedenen Ländern geführten »Salesrooms« oder die nach Art der Kunst unterschiedenen »Departments« (z.B. Post-War & Contemporary Art) handeln. Die von Ansoff (1966) in seiner Matrix benannten Basisoptionen – Marktdurchdringung (vorhandene Produkte für bestehende Märkte), Marktentwicklung (vorhandene Produkte für neue Märkte), Produktentwicklung (neue Produkte für vorhandene Märkte) und Diversifikation (neue Produkte für neue Märkte) – sind auch für den Kunstmarkt gültig. So verfolgen z.B. die Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s mit ihren »Showbiz-Auktionen«, auf denen u.a. russische Raumkapseln, Ersatzteile der Concorde oder James-BondFilmplakate erworben werden können (vgl. Boll 2011, S.  100f.), eine Marktentwicklungsstrategie, durch die sie versuchen, neue Zielgruppen für ihr Produkt »Auktion« zu gewinnen. Eher eine Produktentwicklungsstrategie stellte die (umstrittene) Übernahme der Galerie Haunch of Venison durch Christie’s dar, durch die das Auktionshaus seinen vorhandenen Zielgruppen bis Anfang 2013

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

auch Ware direkt aus dem Atelier anbieten konnte (vgl. Reimers 2013). Für die Strategie des Rückzugs kann exemplarisch der Messemarkt angeführt werden: Wenn die Nachfrage nach einem Produkt sinkt, die Ressourcen zur Bearbeitung eines Markts nicht mehr ausreichen oder Wettbewerber erfolgreicher sind, kann ein Rückzug aus bestehenden Märkten erforderlich werden, wie die bereits vollzogene oder bevorstehende Einstellung verschiedener Kunstmessen zeigt (vgl. ausführlich hierzu den Beitrag von Goodrow in diesem Handbuch). Die nächste Ebene des Strategierasters (»Marktarealstrategie«) bezieht sich auf den geografischen Aktionsradius eines Kunstbetriebs. Unter Berücksichtigung der eigenen Ressourcen und übergeordneten Zwecksetzung ist eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sich ein Kunstbetrieb auf lokale und regionale Kunden begrenzen oder (auch) internationale Märkte erschließen will. Hieraus ergibt sich z.B. für eine Galerie die Entscheidungsgrundlage, inwiefern die Teilnahme an internationalen Ausstellungsprojekten und Kunstmessen angesichts des hiermit verbundenen Ressourceneinsatzes überhaupt sinnvoll und zielführend ist. In manchen Fällen wird die erfolgreiche Erschließung des internationalen Marktes erfordern, dass eine Zweigstelle im Ausland eröffnet wird, um direkt vor Ort agieren und Kontakte zu den relevanten Akteuren aufbauen zu können. Grundsätzlich sind Internationalisierungsstrategien auf wettbewerbsintensiven Märkten v.a. für jene Akteure unumgänglich, die wachsen oder zumindest ihre Umsatz- und Gewinnvorgaben halten wollen. So haben insbesondere die großen Player auf dem Kunstmarkt ihr Areal in den letzten Jahren sukzessive ausgeweitet, wie z.B. das Auktionshaus Christie’s, das im November 2013 über Salesrooms in elf Ländern und Offices auf fast allen Kontinenten verfügte, oder die ArtBasel, die neben einem Ableger in Nordamerika (Art Miami Beach) seit 2013 auch einen in Asien (Art Basel Hong Kong) mit dem dezidierten Ziel unterhält, hierdurch leichter an die asiatische und pazifische Klientel herantreten zu können (vgl. Gropp 2013a). Auf der dritten Ebene (»Marktsegmentierungsstrategie«) ist über den Differenzierungsgrad einer Marktbearbeitung zu entscheiden. Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche differenzierte Bearbeitung ist die Segmentierung des relevanten Marktes. Hierunter wird die Aufteilung eines heterogenen Gesamtmarkts in möglichst homogene Segmente (z.B. bezüglich des Alters, der Vorkenntnisse) verstanden. Vorrangiges Ziel der Segmentierung ist es, zwischen den angebotenen Leistungen und den jeweiligen Bedürfnissen einer Zielgruppe eine hohe Kongruenz herzustellen: So haben junge Museumsbesucher andere Vorkenntnisse und Erwartungen als ältere Besucher, Erstkunden einer Galerie haben andere Zugangsbarrieren, Informationsdefizite etc. als Stammkunden und professionelle Art Dealer nehmen bei Auktionen mit anderen Erwartungen teil als z.B. private Gelegenheitssammler.

Marktteilnehmerstrategien Bei der Auswahl geeigneter Marktteilnehmerstrategien muss unter anderem darüber entschieden werden, welche Strategieoptionen zu einer Kaufpräferenz

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

beim Nachfrager bzw. einem Wettbewerbsvorteil führen. Solche Präferenzen und Vorteile lassen sich z.B. durch konsequente Orientierung an Innovation (z.B. beim Handel im Internet), an Qualität (z.B. bei der Beratung in Expertensprechstunden), an Markenführung (z.B. Museum of Modern Art), am Service (z.B. Garantieversprechen für Einlieferer) und am Auf bau langfristiger Beziehungen mit den Kunden (Kundenbindung) erreichen. Als Besonderheit zeigt sich dabei im »stillen« Kunstmarkt, dessen Transaktionen vielfach im Hintergrund abgewickelt werden (vgl. hierzu den Beitrag von van Delden in diesem Handbuch), dass die Reputation eines Akteurs von besonderer Bedeutung ist. Renommierte und charismatische Kunstvermittler, wie z.B. der Galerist Harry Lybke, der Kunsthändler Larry Gagosian oder die (ehemaligen) Museumsdirektoren Kaspar König und Max Hollein, sind selbst zu einer Marke geworden, die von anderen Akteuren als verlässliches, vertrauensförderndes Signal wahrgenommen und geschätzt wird, weil sich hierdurch Transaktionskosten (v.a. für die Informationseinholung) und Unsicherheit (v.a. im Hinblick auf die Qualität der von ihnen angebotenen Kunst) senken lassen (vgl. hierzu auch den Einführungsbeitrag von Hausmann in diesem Buch). Auf der fünften Ebene (»wettbewerbsbezogene Strategie«) sind Entscheidungen hinsichtlich des Verhaltens gegenüber der Konkurrenz zu fällen. Grundsätzlich lassen sich imitative, vermeidende und konfliktäre Strategien unterscheiden, wobei sich insbesondere auf die privatwirtschaftlich ausgerichteten Akteure auswirkt, dass der Wettbewerb auf dem – gesamtwirtschaftlich gesehen nur »kleinen« – Kunstmarkt sehr hoch ist. Vor allem die Auktionshäuser gehen bei ihren Expansionsbemühungen durchaus aggressiv vor, was sich u.a. daraus erklärt, dass sich der Markt für exzeptionelle Meisterwerke immer mehr verengt und die Gesamtzahl der versteigerten Einzelobjekte – bei allerdings gleichzeitig steigenden Umsätzen – seit den 1990er Jahren um die Hälfte zurückgegangen ist (vgl. Boll 2011, S. 129). In diesem Kontext haben die Auktionshäuser u.a. ihren angestammten Beschaffungsmarkt (Einlieferung von Werken durch Sammler) in den letzten Jahren auf den ursprünglich den Galerien vorbehaltenen Quellmarkt der Künstlerateliers ausgeweitet. Mit dem Einstieg in den Markt für zeitgenössische Kunst versuchen nun auch die Auktionshäuser, Ware direkt beim Künstler zu erwerben (vgl. Boll 2011, S. 200). Ähnliches gilt für den sehr dichten Wettbewerbermarkt der Kunstmessen, der kontinuierlich in Bewegung ist (vgl. hierzu den Beitrag von Goodrow in diesem Buch): So verschärft die Frieze Masters, die bei ihrer zweiten Ausgabe in 2013 auf z.T. begeisterte Rezeption bei den relevanten Stakeholdern stieß, die Konkurrenzsituation der etablierten Messen European Fine Art Fair (Tefaf) in Maastricht und Art Basel weiter (vgl. u.a. Gropp 2013b; Frenzel 2013). Doch trotz der hohen Rivalität zwischen den Akteuren auf dem Kunstmarkt, werden auch Strategien der Kooperation ergriffen: Kunsthändler, die sich zusammenschließen, um einen gemeinsamen Ankauf zu tätigen, gemeinsame Ausstellungen zu organisieren (z.B. Master Drawings London) oder in einem Galeriehaus gemeinsam aufzutreten (z.B. Forum für Fotografie Köln),

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

oder Museen, die sich kooperativ in einem Netzwerk (z.B. Crossart Route der Modernen Kunst) vermarkten, versuchen auf diese Weise, knappe Ressourcen zu bündeln und gemeinsam etwas zu ermöglichen, wozu jeder Teilnehmer alleine nicht in der Lage wäre.

4.3 Operative Planung im Kunstmarketing In Abhängigkeit davon, welche konkreten Strategien ein Kunstbetrieb auf den verschiedenen Ebenen ausgewählt hat, entsteht ein mehrdimensionales Strategieprofil, das die langfristige Ausrichtung eines Kunstbetriebs abbildet. Die hierin enthaltenen Informationen bilden die Basis für die operative Marketingplanung, in der Entscheidungen hinsichtlich der konkreten Maßnahmen (»MarketingMix«) zu treffen sind (vgl. ausführlich hierzu Günter/Hausmann 2012, S. 53ff.).

4.3.1 Leistungspolitik Kunstbetriebe bieten eine Vielzahl an Sach- und Dienstleistungen an, die kombiniert werden und es erlauben, ein oder mehrere Bedürfnisse eines Nachfragers zu befriedigen und damit einen Kundennutzen zu schaffen. Hervorzuheben ist hierbei, dass die angebotenen Leistungen eines Kunstmarktakteurs typischerweise über verschiedene Nutzendimensionen verfügen. So werden Kunstmessen aus ganz unterschiedlichen Gründen von Sammlern besucht: Neben dem Kernnutzen, sich z.B. eine Vielzahl an Kunstwerken von verschiedenen, auch internationalen Galeristen an einem Tag ansehen und sich so eine Marktübersicht verschaffen zu können, verfügt der Messebesuch auch über einen sozialen (der Besuch erfolgt mit Freunden oder vor Ort können andere Sammler getroffen werden) und einen symbolischen Nutzen (durch den Messebesuch wird der Sammler Teil einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, er kann sich einem exklusiven Kreis zugehörig zeigen). Innerhalb der am Markt angebotenen Leistungsbündel können Kern- und Zusatzleistungen unterschieden werden, wobei diese Abgrenzung in der Praxis oft nicht trennscharf vorgenommen werden kann. Grundsätzlich gehören zum Kernbereich jedoch jene Leistungen, die maßgeblich den Aufgabenbereich von Kunstbetrieben konstituieren, wie bei Museen z.B. die Ausstellungen oder bei Auktionshäusern die Versteigerung. Neben diesen Kernleistungen werden von allen Akteuren zusätzliche Leistungen angeboten. Hierzu gehört z.B. bei Auktionshäusern mittlerweile eine ganze Bandbreite an Angeboten (vgl. Boll 2011, S. 187ff.): Diese reichen von der gesamten Ablaufplanung für die Auktionsteilnahme eines Kunden (von der Hotelreservierung bis zur Rahmung eines ersteigerten Bildes), über die Beratung (z.B. von Erben hinsichtlich des Umgangs mit der geerbten Kunst) bis hin zur Organisation des Transports der einzuliefernden oder gekauften Ware oder der Unterstützung bei der Finanzierung von Kunstwerken (z.B. durch Stundung des Kaufpreises). Diese zusätzlichen, die Kernleistungen ergänzenden oder abrundenden Angebote tragen zur Generierung eines (Mehr-)

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Werts bei, der nicht allein durch die Kernleistung begründet werden kann. Sie dienen zudem der Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern mit ähnlichen Angeboten. Zusatzleistungen dürfen in ihrer Bedeutung für die Zufriedenheit von Nachfragern nicht unterschätzt werden, denn Kern- und Zusatzbereich sind grundsätzlich eng miteinander verwoben: Sie bilden zusammen das Besuchs-, Kauf- oder Nutzungserlebnis und prägen daher gemeinsam den Gesamteindruck. Im Rahmen der Leistungspolitik lassen sich für Kunstmarkteure vier Handlungsfelder abgrenzen, die zwei grundsätzliche Entscheidungstatbestände betreffen (vgl. Günter/Hausmann 2012, S. 55ff.): Das Management neuer Leistungen (Innovation) und das Management etablierter Leistungen (Variation, Differenzierung und Eliminierung). Alle Handlungsoptionen stehen in engem Zusammenhang mit Entwicklungen bei den internen und externen Rahmenbedingungen: So kann die Entscheidung der renommierten Pariser Galerie Jérôme de Noirmont, im Jahr 2013 ihr Ladenlokal zu schließen, verstanden werden als eine Leistungseliminierung, die durch das (subjektiv) wahrgenommene schwierige (kultur-) politische Klima und die hohen Steuerbelastungen in Frankreich mitbegründet ist (vgl. Wohlfarth 2013). Dass die Einschätzung der Rahmenbedingungen durchaus unterschiedlich ausfallen kann, verdeutlicht die Tatsache, dass die Galerie Thaddeus Ropac zum gleichen Zeitpunkt ihre Räumlichkeiten in Paris auf fast 5.000 qm vergrößert und damit eine Differenzierung, d.h. eine Ausweitung des bereits bestehenden Angebots, als leistungspolitische Option gewählt hat.

4.3.2 Preispolitik Die Preispolitik umfasst alle Entscheidungen im Hinblick auf das vom Nachfrager für die Leistungen eines Kunstbetriebs zu entrichtende Entgelt. Der Preis ist ein besonders wichtiges marketingpolitisches Instrument: Er beeinflusst nicht nur die Entscheidung von Nachfragern, überhaupt eine Leistung in Anspruch zu nehmen, sondern auch die Wahl zwischen verschiedenen Angeboten. Preispolitische Entscheidungen werden getroffen, wenn es um die Festsetzung eines Preises für eine neue Leistung geht oder um die Änderung eines Preises für bereits bestehende Leistungen aufgrund von endogenen und exogenen Faktoren, wie z.B. steigende oder sinkende Nachfrage, Reaktionen von Wettbewerbern, geänderte Konditionen bei Zulieferern oder technische Entwicklungen (ausführlich hierzu Meffert et al. 2011, S. 478ff.). Im Kontext des Kunstmarkts stehen der Preispolitik je nach Art des Kunstbetriebs unterschiedliche Spielräume zur Verfügung: Während die Preispolitik im Marketing für Kunstbetriebe des privaten Sektors einen wesentlichen Aktionsparameter darstellt, sind die Gestaltungsmöglichkeiten von Kunstbetrieben des öffentlichen Sektors eingeschränkt. So werden in staatlichen und kommunalen Museen die Eintrittspreise im Regelfall nicht ökonomisch festgelegt, das heißt an Erfolgs- und Kostengrößen orientiert, sondern unterliegen (kultur-)politischen Vorgaben und müssen mit den Verwaltungsräten bzw. Rechtsträgern abgestimmt werden. Nicht zuletzt unter sozioökonomischen Gesichtspunkten vorgenomme-

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ne Preisdifferenzierungen erfolgen unter der Maßgabe, einem möglichst großen Kreis von Personen einen Museumsbesuch zu ermöglichen und Zugangsbarrieren für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu senken. Eine solche Vorgabe kennen Kunstbetriebe des privaten Sektors nicht: Unternehmen aus den Bereichen Kunsthandel und Auktion werden ihre Preispolitik vielmehr so ausrichten, dass Absatz, Umsatz und Gewinn langfristig maximiert werden können. Unabhängig von der sektoralen Zugehörigkeit eines Kunstbetriebs erfordert die Findung und Durchsetzung von Preisen eine strukturierte Vorgehensweise. Hierzu gehört in einem ersten Schritt die Analyse des konkreten preispolitischen Spielraums, der einem Kunstbetrieb im Hinblick auf die Positionierung am Markt, Qualität seiner Leistungen, Wettbewerbssituation, Preisbereitschaft seiner Zielgruppen etc. zur Verfügung steht. So hat eine junge Erst- bzw. Programmgalerie, bei der sowohl die Bekanntheit ihrer Künstler als auch die eigene Reputation noch im Auf bau befindlich sind, zwangsläufig einen kleineren preispolitischen Spielraum als ein alteingesessener Kunsthändler, der hochkarätige Werke bekannter Künstler der Moderne anbietet. In einem nächsten Schritt der Preisfindung sind die Ziele festzulegen, die mit der Ausgestaltung preispolitischer Maßnahmen verbunden werden: Neben unmittelbar betriebsbezogenen Zielen (Kostendeckung, Gewinnmaximierung etc.) können markt- bzw. kundenorientierte Zielsetzungen (z.B. Gewinnung junger Sammler, Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft von Messebesuchern oder Bindung lokaler Museumsbesucher) im Vordergrund stehen. Im Anschluss hieran werden die preispolitischen Strategien festgelegt: In dieser Phase des Planungsprozesses geht es um Entscheidungen im Bereich der • Preispositionierung (Hoch-, Mittel- oder Niedrigpreisstrategie, in Auktionshäusern z.B. in Abhängigkeit von der Art und Qualität der angebotenen Ware), • Preisdifferenzierung (im Kunstverein z.B. im Hinblick auf unterschiedliche Altersgruppen von Besuchern), • Preisvariation (temporäre An- oder Absenkung eines Preises, d.h. Sonder- und Rabatt- bzw. Ermäßigungsaktionen) und der • Preisbündelung (im Museum z.B. durch die Entwicklung eines Kombi-Tickets, das zum Besuch einer Ausstellung und zur Nutzung des ÖPNV berechtigt). In einem nächsten Schritt des Entscheidungsprozesses werden die Methoden zur Preisfindung ausgewählt. Ganz allgemein lassen sich die kosten- und die marktorientierte Preisfindung unterscheiden. Während es bei der ersten Verfahrensweise darum geht, die Voll- oder zumindest Teilkosten der Herstellung einer Leistung durch den Preis zu decken, orientiert sich die zweite Methode an der Preisakzeptanz und -bereitschaft von Nachfragern und/oder den Preisen der Konkurrenten. So kann sich z.B. ein Museum, das die Kosten einer Sonderausstellung im Regelfall ohnehin nur anteilig durch die Einnahmen aus Eintrittspreisen decken kann, bei der Preisfestlegung danach richten, was andere Häuser

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für vergleichbare Ausstellungen im Hinblick auf Künstlerbekanntheit, Aktualität eines Themas etc. verlangen; so erklärt sich, dass der Eintrittspreis bei wichtigen Sonderausstellungen häufig in einer ähnlichen Größenordnung liegt. Mit Blick auf die Besonderheiten des Kunstmarkts stoßen die genannten, in anderen Wirtschaftsbranchen üblichen Methoden der Preisfindung allerdings auch an ihre Grenzen. Dies gilt insbesondere für die konkrete Frage nach dem Preis für – und damit dem Wert von – Kunst. Während sich z.B. der Preis für ein Auto an den in die Produktion eingeflossenen Material- und Personalkosten orientiert und dann um einen nachfrager- oder konkurrenzbezogenen Gewinnzuschlag erhöht wird, haben die Kosten für die Herstellung eines Kunstwerks häufig wenig oder nichts mit dem Preis zu tun. Vielmehr können die Herstellungskosten, wenn es z.B. nicht gerade ein Bronzeguss ist, sehr gering sein – man denke an »objets trouvés«, die von Künstlern aus vorgefundenen Alltagsgegenständen oder Abfällen hergestellt werden – und dennoch wird das Werk zu einem Preis im hohen fünf- oder sechsstelligen Bereich am Markt angeboten. Im Fall von jungen Künstlern kann zudem auf keine oder nur wenige Erfahrungswerte hinsichtlich der Nachfrage zugrückgegriffen werden. In solchen Fällen greifen branchenspezifische Verfahren der Preisfindung. So wird u.a. der Ansatz verfolgt, die Preise von zeitgenössischen Kunstwerken an ihrer Größe auszurichten. Hierzu werden z.B. Länge und Breite eines Bildes in Zentimetern addiert und das Ergebnis anschließend mit einem branchenüblichen Faktor multipliziert. Als einfache Regel gilt dann: Je größer ein Bild, desto höher sein Preis (vgl. Kremer 2013 sowie zu alternativen Verfahren Weinhold 2005, S. 226f.). Bei alten Meistern wird die Preisfindung zwar auch von der Größe eines Werkes beeinflusst, daneben spielen aber vielfältige weitere Aspekte, wie z.B. die Knappheit und Marktfrische der Ware, die Qualität der Ausführung, das verwendete Material und die vorherrschenden Farben, der Erhaltungszustand und die Provenienz eine ausschlaggebende Rolle (vgl. hierzu auch den Beitrag von Boll in diesem Handbuch); zudem liegen in der Regel Informationen zur potenziellen Nachfrage und zu vergleichbaren Werken (und deren Preisen) vor.

4.3.3 Distributionspolitik Die Distributionspolitik bezieht sich auf sämtliche Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Übermittlung einer Leistung vom Anbieter zum Nachfrager getroffen werden. Die konkrete Auswahl und Ausgestaltung eines bestimmten Distributionskanals orientiert sich dabei auch an der Art der zu vertreibenden Leistung. So lässt sich z.B. festhalten, dass die Kernleistungen von Museen, Ausstellungshäusern und Kunstvereinen eine lokale Leistungserstellung erfordern und aufgrund ihres immateriellen Charakters nicht transportierbar sind. Damit kann lediglich das Leistungsversprechen vertrieben werden, d.h. die Verpflichtung eines Museums, zu einem festgelegten Zeitpunkt eine bestimmte Leistung zu erbringen; dies wird über ein materielles Trägermedium (Eintrittskarte) dokumentiert. Anders sieht es bei Galerien und Auktionshäusern aus, die zwar im

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

Rahmen ihrer Kerntätigkeit zunächst gleichfalls Leistungsversprechen anbieten, dann aber z.B. die im Rahmen einer Ausstellung oder Versteigerung gezeigten Kunstwerke auch vertreiben; dabei muss der Kunde nicht einmal anwesend sein, er kann seine Order auch telefonisch oder via Internet abgeben. Für alle Kunstbetriebe kann der Vertrieb ihrer Leistungen auf direktem oder indirektem Wege erfolgen. Bei der direkten Distribution wird zwischen Anbieter und Nachfrager kein Mittler eingeschaltet, d.h. der Vertrieb wird vom Kunstbetrieb selbst übernommen (z.B. an der Museumskasse oder über die Website einer Galerie). Auf diese Weise kann der Anbieter die Vertriebsqualität laufend prüfen und ggf. durch entsprechende Schulungen der Mitarbeiter auch kontinuierlich verbessern. Allerdings bleibt der Radius dieses Vertriebsweges zwangsläufig beschränkt. Demgegenüber werden bei der indirekten Distribution externe Distributionsorgane eingeschaltet, auf die der Absatz von Leistungsversprechen oder Produkten übergeht. Dem Nachteil einer erschwerten Qualitätssicherung stehen Effektivitäts- und Effizienzvorteile (Vertriebskompetenz des Partners, Ansprache bislang unerschlossener Kundensegmente etc.) gegenüber. Solche externen Vertriebspartner können im Museumsbereich z.B. eine Stadtmarketing- oder Tourismusagentur sein oder ein Hotel mit dem ein »all inclusive«-Paket für Kulturtouristen entwickelt wurde. Eine Frage, die im Rahmen der Distributionspolitik grundsätzlich mit zu beantworten ist, gilt der Zugänglichkeit von Angeboten eines Kunstbetriebs: Wie einfach oder schwer wird es den Kunden eines Museums, einer Galerie etc. gemacht, das Angebot in Anspruch zu nehmen? Hierzu gehört insbesondere auch das Erscheinungsbild eines Gebäudes, die Ausgestaltung der Ausstellungs- bzw. Verkaufsräume und die Freundlichkeit der Mitarbeiter. Während Museen aufgrund ihres kulturpolitischen Auftrags versuchen, Zugangsbarrieren möglichst niedrig zu halten (z.B. durch einen offenen, freundlichen Eingangsbereich, kundenorientierte Öffnungszeiten über 18 Uhr hinaus), setzen Galerien z.T. ganz bewusst darauf, dass ihre »white cube« Atmosphäre Barrieren errichtet, die ein Laufpublikum vom Besuch der Galerie abhält. Diese Art von Galerien werden zudem Öffnungszeiten anbieten, die nur bedingt kundenfreundlich sind und sein sollen, ggf. ist eine Besichtigung sogar nur nach vorheriger Anmeldung möglich.

4.3.4 Kommunikationspolitik Die Kommunikationspolitik umfasst sämtliche Aspekte der Generierung, Auf bereitung und Vermittlung von Informationen zwischen einem Kunstbetrieb und seinen Stakeholdern mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erzielen und Wissen, Einstellungen, Erwartungen sowie Verhaltensweisen zu beeinflussen. Die Kommunikation kann dabei einstufig erfolgen, d.h. der Kunstbetrieb übermittelt seine Botschaft direkt an die Empfänger. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Museum mit Ausstellungsplakaten in der Stadt wirbt, ein Auktionshaus über seinen Facebook-Account kommuniziert oder eine Galeristin in ihren Ausstellungsräumen mit potenziellen Kunden spricht. Bei der mehrstufigen Kommunikation richtet

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der Kunstbetrieb seine Botschaften zunächst an Multiplikatoren (z.B. Pressevertreter einschlägiger Tageszeitungen und Kunstmagazine), die dann ihrerseits – u.U. allerdings verändert – die Informationen weitergeben. Grundsätzlich sei an dieser Stelle festgehalten, dass der Kommunikationspolitik in der Marketingpraxis des Kunstmarkts die größte Bedeutung zukommt. Dies drückt sich u.a. auch darin aus, dass sich in nur wenigen Organisationen ausdrückliche »Marketing«-Abteilungen finden; stattdessen werden Bezeichnungen wie »Kommunikation« oder »Werbung« verwendet. Ob dies bedeutet, dass die anderen Aufgaben des Marketing tatsächlich vernachlässigt werden oder ob sich die Akteure mit einer prominenten Verwendung des – im Kunstmarkt aufgrund einer häufig einseitigen Begriffsauslegung noch immer mit Vorbehalten besetzten – Terminus Marketing lediglich schwer tun (siehe hierzu auch Gerlach 2008), kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden (interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel der Kunstsammlung NRW, wo der Abteilung Kommunikation die Bereichsleitung Marketing zugeordnet ist). Ungeachtet dieser Abweichung der Praxis von den Empfehlungen in der Literatur steht den Kunstbetrieben grundsätzlich eine Vielzahl an Instrumenten der Kommunikationspolitik zur Verfügung (vgl. hierzu u.a. Günter/Hausmann 2012, S.  53ff.). Zu diesen gehören zum einen die klassischen Instrumente wie z.B. Werbung, Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Direktmarketing oder Verkaufsförderung. Darüber hinaus haben in jüngster Zeit die Online-Kommunikation und hier insbesondere die Websites sowie Social Media an Bedeutung gewonnen. Beide Instrumente sind in besonderer Weise für Akteure wie z.B. Museen und Galerien geeignet, nicht nur zur Vermittlung wichtiger Serviceinformationen (Öffnungszeiten, Adresse etc.) und textbasierter Erläuterungen zu Künstlern, Werkgruppen oder bestimmten Veranstaltungen, sondern sie eröffnen darüber hinaus vielfältige Möglichkeiten, potenziellen Interessenten auch visuelle Reize – z.B. durch die Einrichtung virtueller Ausstellungsräume, die Einstellung kurzer Videos zur Werkproduktion im Atelier oder zum Auf bau einer Ausstellung – zu geben und damit immaterielle Leistungen »greif barer« werden zu lassen. Abschließend sei auf die Bedeutung von Empfehlungen im Kunstmarkt hingewiesen, d.h. die informelle Berichterstattung zwischen Dritten, die zwar kein vom Kunstbetrieb unmittelbar gestaltbares »Instrument« der Kommunikationspolitik darstellen, aber dennoch zumindest indirekt – v.a. über die Qualität der eigenen Leistungen und die Schaffung von Kundenzufriedenheit – beeinflusst werden können. Empfehlungen von Bekannten, Freunden etc. sind grundsätzlich so bedeutsam, weil ihre Glaub- und Vertrauenswürdigkeit höher ist als bei den von einem Anbieter selbst ausgesendeten Botschaften. Auf dem intransparenten, »stillen« Kunstmarkt spielen sie deshalb eine besondere Rolle: Ob z.B. ein Kunsthändler Werke mit einwandfreier Provenienz verkauft oder ein Sachverständiger belastbare Authentizitätsgutachten anfertigt, ist eine Frage des Vertrauens, das sich insbesondere auch über die »guten Erfahrungen« Dritter auf baut.

Andrea Hausmann: Marketing für den Kunstmarkt

4.4 Realisierung und Erfolgsmessung im Kunstmarketing Aus den obigen Ausführungen ist deutlich geworden, dass Marketing ein umfassendes Konzept ist, das über die operative Umsetzung einzelner (Werbe-)Maßnahmen weit hinausgeht. Den größten Erfolg erzielt Marketing immer dann, wenn es nicht (nur) als »isolierte« Aufgabe einer Stelle oder Abteilung verstanden wird. Wichtig ist vielmehr, dass auf allen Organisationsebenen ein grundsätzliches Verständnis für die Bedeutung von Marketing im Hinblick auf die Gewinnung und Bindung von Kunden sowie insgesamt die Erreichung der Organisationsziele vorliegt. Für den Erfolg ist eine ausreichende Ressourcenallokation wesentlich: Dies bezieht sich zum einen auf das Marketingbudget, das – unabhängig von seiner Größe – am Beginn einer Planungsperiode verbindlich festzulegen und einzelnen Aktivitäten zuzuweisen ist. Darüber hinaus sind in personeller Hinsicht Verantwortungen und Zuständigkeiten zu regeln. In großen Organisationen, wie z.B. Auktionshäusern, Kunstmessen, aber auch in Kunstmuseen, gibt es häufig eine eigene Abteilung oder mehrere Stellen (auch wenn diese, wie oben angedeutet, typischerweise anders bezeichnet werden), so dass sich mehrere Mitarbeiter – sinnvollerweise in Abstimmung mit der Führungsebene und anderen Organisationsbereichen – um die strategischen und operativen Aspekte des Marketing kümmern können. Deutlich weniger komfortabel sieht es in den zahlreichen Kleinstbetrieben des Kunstmarkts aus, so z.B. in den vielen jungen Galerien, wo die Inhaber in Personalunion alle Marketingaufgaben übernehmen müssen; die strategische Planung kommt hierbei häufig zu kurz, der Fokus liegt v.a. auf der operativen Umsetzung von Kommunikationsmaßnahmen. Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, wie sich der Erfolg des Marketing erfassen lässt. Diesbezüglich muss zunächst festgehalten werden, dass diese Frage im Prinzip nie abschließend beantwortet werden kann, da auch andere Faktoren (z.B. Wettbewerberreaktionen) Einfluss auf die Wirksamkeit des Marketing nehmen. Dennoch ist es aus verschiedenen Gründen wichtig zu prüfen, ob Ressourcen zielführend eingesetzt wurden. So dient jede fundierte Rückmeldung nicht nur der Mitarbeitermotivation, sondern auch der Ressourcenallokation. Grundsätzlich stehen dazu sowohl qualitative als auch quantitative Instrumente zur Verfügung: Die Auswertung von Rezensionen im Feuilleton von Tageszeitungen und Kunstmarktmagazinen gibt z.B. Informationen dahingehend, wie oft und mit welcher Bewertung eine Ausstellung rezensiert worden ist. Mit Blick auf die Kunden können mit Hilfe von Befragungen z.B. Informationen darüber gewonnen werden, wie zufrieden die Nachfrager mit einer bestimmten Leistung waren oder wie hoch die Wiederkaufs- und Weiterempfehlungsabsicht ist. Weitere Daten lassen sich z.B. aus Einlieferer-, Kunden- oder Verkaufsstatistiken gewinnen.

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5. F a zit Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass Marketing die verschiedenen Akteure auf dem Kunstmarkt – unabhängig von ihrer sektoralen Zuordnung oder primären Marktfunktion – dabei unterstützen kann, ihre künstlerischen, kulturpolitischen oder ökonomischen Ziele zu erreichen. Marketing ist damit kein Selbstzweck, sondern wirkt wie ein Transmissionsriemen: Es verbindet die Kunst mit dem Markt und sorgt damit dafür, dass in einem der spannendsten Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft Angebot und Nachfrage tatsächlich zusammenfinden.

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Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich — Grundlagen und Befunde Patrick Glogner-Pilz/Nora Wegner

E inleitung Ein Dialog mit dem Publikum stellt eine elementare Voraussetzung für besucherorientierte Kulturbetriebe dar. Angesichts der Einschränkungen in der öffentlichen Förderung, dem zunehmenden Konkurrenzdruck, den demografischen Veränderungen sowie dem sich wandelnden Kulturnutzungsverhalten des Publikums zeigt sich eine zunehmende Bereitschaft von Museen, Kunsthallen und Ausstellungsmachern 1 zur Auseinandersetzung mit Besucherstudien und Evaluationen. Die diesbezüglichen Forschungsaktivitäten sind bislang gleichwohl noch wenig systematisch. Doch nicht nur im Zusammenhang mit den oben angesprochenen ausgewählten Problemlagen ist Publikumsforschung von Relevanz, sondern auch für die kulturwissenschaftliche und kultursoziologische Grundlagen­forschung. Geringe Erkenntnisse gibt es beispielsweise bislang zu Aneignungs- und Rezeptionsprozessen von Kunst und Kultur oder zu Zusammenhängen zwischen sozialer Herkunft und kultureller Inklusion bzw. Exklusion. Ziel des folgenden Beitrags ist es, einen Überblick über Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich für den deutschsprachigen Raum zu geben. Den Ausgangspunkt bilden allgemeine und grundlegende Erläuterungen zu Begrifflichkeiten, Ansätzen und Methoden der Besucher- bzw. Publikumsforschung und Evaluation. Daraufhin werden Forschungsfragen und -befunde zur soziodemografischen Zusammensetzung von Kunstmuseums- und Ausstellungsbesuchern, zur Kunstmuseumsrezeption sowie zu Besuchsmotiven und -barrieren vorgestellt. Abschließend werden Perspektiven in Bezug auf Forschungsziele, Untersuchungs­formen und -methoden aufgezeigt.

1  |  Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die weibliche Form verzichtet.

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1. G rundl agen 1.1 Das Publikum — Definition Vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema Besucher- und Publikumsforschung im Kunstbereich – sei es nun, weil eine eigene empirische Studie geplant ist oder im Rahmen der Beschäftigung mit bereits vorliegenden Untersuchungsergebnissen – ist es unumgänglich, den Begriff des Publikums bzw. des Besuchers einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Auf den ersten Blick mag der Begriff Publikum recht eindeutig anmuten: Alltagssprachlich werden hierunter Menschen verstanden, die einem Kulturangebot – zum Beispiel einer Ausstellung – beiwohnen. Je nach weiterführenden Begriffsklärungen und damit einhergehenden Differenzierungen ergeben sich jedoch vielfältige Konsequenzen für die Konzeption einer Untersuchung (sowohl bei praxisorientierter als auch bei akademischer Ausrichtung). Dies betrifft die Wahl der Erhebungs­methode, die Gültigkeit der erhobenen Daten und die Interpretation der Ergebnisse (vgl. Brauerhoch 2005). Ausgangspunkt der Systematisierung soll eine Definition des Kultursoziologen Schulze sein: »Als Publikum wird im folgenden jedes Personenkollektiv bezeichnet, das durch den gleichzeitigen Konsum eines bestimmten Erlebnisangebots abgegrenzt ist« (Schulze 1997: 460). Schulze belässt es jedoch nicht bei dieser Definition, sondern unterscheidet weiter zwischen einem lokalen Publikum und einem indi­vidualisierten Publikum. Unter einem lokalen Publikum versteht er »eine Ansammlung von Personen zur selben Zeit am selben Ort« (Schulze 1997: 461), wie zum Beispiel die Besucher einer Vernissage. Demgegenüber entstand das individualisierte Publikum »erst mit dem Vordringen der Massenmedien und der Industrialisierung der Erlebnisproduk­tion« (Schulze 1997: 461). Zentrales Kennzeichen des individualisierten Publi­kums ist, dass »dessen kollektiver Charakter dem einzelnen nur noch durch punktuelle Wahrnehmungen erfahrbar wird« (Schulze 1997: 461). Als Beispiel können Nutzer angeführt werden, welche die im Internet angebotene virtuelle Ausstellung eines Museums besuchen. Eine weitergehende Differenzierung schlägt Dollase (1998: 141) vor, der folgende Arten von Publika unterscheidet: • Reale Publika: Beiwohnende einer Veranstaltung/Aufführung zur selben Zeit im selben Raum (zum Beispiel Teilnehmer einer Führung durch eine Ausstellung). • Massenmediale Publika: Personen rezipieren zur gleichen Zeit an verschiede­ nen Orten eine Aufführung (wie zum Beispiel Radio- und Fern­sehpublika). • Medienschaften: Rezipienten wohnen einer aufge­zei­ch­neten Aufführung (CD, DVD, Festplatte) zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten bei. • Statistische Publika: Rezipienten, die als virtuelles bzw. hypothetisches Publikum aus einer Umfrage mit entsprechenden Fragen gebildet werden (zum Beispiel alle, die angekreuzt haben, dass sie öfter ›Kunstmuseen besuchen‹).

P. Glogner-Pilz/N. Wegner: Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich

• Experimentelle Publika: Beiwohnende einer Aufführung im Rahmen sozial­ wissenschaftlicher Experimente (zum Beispiel die Teilnehmer an einer neuen Führungskonzeption im Museum). Es ist offensichtlich, dass diese verschiedenen Publikumsbegriffe erhebliche Konsequenzen für die Forschungspraxis haben. Führt man beispielsweise eine Vor-Ort-Befragung in einer Ausstellungshalle durch, erhält man weiterführende Erkenntnisse über die tatsächlichen Besucher (d.h. reale Publika), jedoch nicht über die potenziellen Besucher, die man bei einer Bevölkerungsumfrage über die Frage nach dem Interesse an Kunstausstellungen herausfiltern könnte (d.h. statistische Publika). Eingeschränkt wären auch die Erkenntnisse über die Besucher der virtuellen Ausstellung: So würde man keine Personen erreichen, die die Ausstellungen »lediglich« virtuell besuchen (d.h. Medienschaften), sondern nur diejenigen, die zusätzlich auch die reale Ausstellung aufsuchen.

1.2 Der »einfache« und der »wissenschaftliche« Blick auf die Besucher Um über die Besucher von Ausstellungen, Kunstmessen und Galerien Informationen zu erhalten, können verschiedene Wege beschritten werden. Unterschieden werden kann zunächst zwischen dem so genannten »einfachen Blick« und dem »wissenschaftlichen Blick« auf die Besucher (vgl. Glogner-Pilz 2012: 15ff.). Wie im weiteren Verlauf noch erläutert wird, bedarf es für den »wissenschaftlichen Blick« eines nicht zu vernachlässigenden Aufwandes, um den methodischen Ansprüchen der empirischen Besucherforschung zu genügen. Insbesondere kleine Kultureinrichtungen stoßen hier schnell an die Grenzen des für sie Machbaren. Deshalb sollte sorgsam abgewogen werden, ob der erforderliche Ressourceneinsatz vor dem Hintergrund der zu erwartenden Erkenntnisse angemessen ist, oder anders ausgedrückt: Es bedarf nicht zwangsläufig des Einsatzes eines Mikroskops, um auf einer Straße Schlaglöcher zu finden. Gerade im Kulturbereich bieten sich vielfältige Möglichkeiten an, um mit dem »einfachen Blick« auf seine Besucher wichtige Informationen zu erhalten, ohne aufwändige Untersuchungen durchführen zu müssen. So arbeiten viele Museen erfolgreich mit Besucherbüchern. Auf diese Weise erhält man mit geringem Mitteleinsatz kontinuierlich eine zeitnahe Rückmeldung vom eigenen Publikum. Eine andere Möglichkeit sind regelmäßige Gespräche mit den Personenkreisen, die am intensivsten im Kontakt mit dem Publikum stehen: Aufseher in Ausstellungen, Mitarbeiter an Garderoben und Kassen sowie Führungspersonal. Wo ließ sich Begeisterung erkennen, was verärgerte Besucher, welche Fragen tauchten am häufigsten auf? All diese Informationen sind außerordentlich wichtig und werden Tag für Tag »nebenbei« durch Beobachtung gewonnen, jedoch häufig nicht abgerufen und bleiben deshalb ungenutzt. Um solche Beobachtungen und Eindrücke nicht »dem Zufall« zu überlassen, besteht beispielsweise die Möglichkeit, dem Aufsichtspersonal eines Museums einen

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kleinen Leitfaden an die Hand zu geben (»Werden die zusätzlichen Objektbeschriftungen für Kinder genutzt?«) oder das Kassenpersonal zu bitten, bei jedem Besuchergespräch ein bis zwei Fragen einfließen zu lassen (»Wie sind Sie auf unsere Sonderausstellung aufmerksam geworden?«). Weiterhin kann der Einsatz von Mystery-Besuchern Museen zeitnah wichtige Erkenntnisse bringen. Hierbei handelt es sich um Testpersonen, die verdeckt als ›normale Besucher‹ das Museum besichtigen und dabei verschiedene Service- und andere Besuchsaspekte überprüfen (vgl. Birnkraut 2011: 101). Auch wenn der »einfache Blick« auf die Besucher wichtige Informationen liefern kann, so sind solche Formen der Datengewinnung nicht mit umfassenden empirischen Besucherstudien gleichzusetzen, die auf wissenschaftlich-methodisch reflektierte Weise verlässliche und möglichst präzise Erkenntnisse anstreben. Beim »wissenschaftlichen Blick« kann unterschieden werden zwischen anwendungsorientierter Forschung und Grundlagenforschung. Bislang dominieren sowohl im Kultursektor im Allgemeinen als auch im Museums- und Ausstellungsbereich im Besonderen anwendungsorientierte Herangehensweisen, zu denen auch die diversen Formen der Evaluation zu zählen sind. Evaluation (lat. »einen Wert aus etwas ziehen«) meint allgemein die Bewertung und Beurteilung eines Testobjekts. Für diese Bewertungen sind zielgerichtete, systematische und nachvollziehbare Verfahren sowie Belege durch empirisch gewonnene Daten notwendig (vgl. Stockmann 2004: 2). Analysiert werden kann bei einer Evaluation, ob die formulierten Ziele erreicht wurden, die eingesetzten Maßnahmen zu den Zielen geführt haben, die Ziele mit angemessenem Aufwand erreicht wurden und sich die erwarteten mittel- und langfristigen Wirkungen eingestellt haben (vgl. de Perrot/Wodiunig 2008: 15). Im Rahmen besucherbezogener Evaluationen erfolgt die Bewertung eines Kulturangebots durch die (potenziellen) Nutzer. Untersuchungsgegenstand ist dabei das Angebot; die Nutzer nehmen den Rang von »Wertungsrichtern« ein. In der Besucherforschung2 stellen hingegen die Besucher bzw. Nutzer den primären Untersuchungsgegenstand dar. Untersucht werden zum Beispiel Publikumsstruktur, soziodemografische Merkmale und kognitive Voraussetzungen der Besucher sowie Besuchsbedingungen und Motive (vgl. Treinen 1997: 45). Der Übergang von Evaluationen zu Besucherforschungsstudien ist oft fließend und die definitorische Unterscheidung nicht trennscharf. Bei Evaluationen werden beispielsweise auch Strukturdaten der Wertenden mit erhoben und so Auskünfte über die Besucher/Nutzer gewonnen. Die verschiedenen Formen der Evaluation werden ihrem Einsatzzeitpunkt entsprechend voneinander abgegrenzt. Die Evaluation kann während des gesamten Prozesses der Konzeption, Gestaltung und Umsetzung eines Angebots hilfrei2  |  Synonym zum hier verwendeten Begriff der Besucherforschung werden in der Literatur auch die Begriffe Nutzerforschung oder Publikumsforschung gebraucht (vgl. zum Beispiel Reussner 2010: 8ff.).

P. Glogner-Pilz/N. Wegner: Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich

che Informationen liefern und als Entscheidungsgrundlage dienen. Im (seltenen) Idealfall werden bei einer Angebotsplanung und -realisierung alle Evaluationsschritte durchlaufen (vgl. u.a. Klein 1991, Wegner 2011b). Die wichtigsten Evaluationsformen sind folgende: 1. Die Vorab-Evaluation ermöglicht bereits in der Planungsphase eine Prüfung des Bedarfs und eine Einschätzung des Vorhabens auf der Nutzerseite. Zum Beispiel können im Vorfeld Vorwissen, Interesse und Erwartungen potenzieller Zielgruppen zum Themengebiet eines neu geplanten Kunstmuseums erhoben werden. Vorab-Evaluationen unterstützen frühzeitig die Zielfindung, indem ein erster Dialog zwischen Anbieter und Publikum ermöglicht wird (vgl. Dierking/Pollock 1998). 2. Die Formative Evaluation kommt, ebenfalls frühzeitig, im Gestaltungsprozess eines Angebots zum Einsatz. Diese Untersuchungen beziehen sich gezielt auf die Ausgestaltung bestimmter Elemente und überprüfen, ob diese nutzergerecht sind. Bei der Planung einer Kunstausstellung können zum Beispiel verschiedene Hängungen von Werken oder Entwürfe von Texten und Beschilderungen ausprobiert werden. Zur Überprüfung werden Tests durchgeführt, inwieweit diese Elemente von Zielgruppen angenommen werden (vgl. Klein 1991). 3. Die Summative Evaluation als am häufigsten eingesetzte Form wird schließlich nach Abschluss eines Projekts angewandt. U. a. kann geprüft werden, welchen Erfolg und welche Wirkungen eine Kunstausstellung und ihr Vermittlungsangebot hatten. Es wird untersucht, ob Angebote ihre Ziele erfüllten und wen sie erreichten. Oft geht mit ihr auch eine Strukturanalyse der Nutzer einher. Es werden Erfahrungen gewonnen, die zukünftig helfen können, Fehler zu vermeiden und Angebote nutzerorientierter zu gestalten. Der Beitrag zur Optimierung und Weiterentwicklung stellt ein zentrales Merkmal dieser Evaluationsform dar (vgl. Birnkraut 2011). Unabhängig davon, ob anwendungs- oder grundlagenorientiert geforscht werden soll, müssen – im Unterschied zum »einfachen Blick« – wissenschaftliche Ansprüche erfüllt werden. »Wissenschaft« kann verstanden werden als ein Prozess methodisch betriebener, grundsätzlich nachvollziehbarer und möglichst objektiver Forschungsarbeit (vgl. Definition Evaluation). Entsprechend setzt sich der Forschungsprozess aus folgenden Schritten zusammen: 1. 2. 3. 4.

der konkreten Zielformulierung bzw. Fragestellung, der detaillierten Planung und Vorbereitung, der Durchführung der Erhebung sowie der Abschlussphase mit einer Überprüfung der Zielerreichung.

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Alle Schritte einer Untersuchung müssen ohne Ausnahme dokumentiert und erläutert werden. Somit kann überprüft werden, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Ergebnisse zustande kamen, was eine wesentliche Grundlage für die Einschätzung der Qualität und weiterführende Diskussionen ist.

1.3 Quantitative und qualitative Forschung In der empirischen Besucherforschung (wie auch allgemein in der empirischen Sozialforschung) wird ferner zwischen qualitativen und quantitativen Methoden und Untersuchungen unterschieden. Um Missverständnissen gleich zu Beginn zu begegnen: Qualitative Forschung ist nicht automatisch gleichzusetzen mit »Qualität« im alltagssprachlichen Verständnis, ebenso wenig beschränkt sich quantitative Forschung auf das oft unterstellte »reine Erbsenzählen«. Quantitatives Forschen ist dadurch gekennzeichnet, dass man einen »Zu­gang zur Realität über die Erfassung von Häufigkeiten sowie die Durchführung von Messoperationen (vergleichbar dem Wiegen oder der Längenbestimmung im Alltag) [wählt], die anschließend mathematisch-statistisch ausgewertet werden« (Böhm-Kasper/Schuchart/Weishaupt 2009: 16). Wesentliche Ziele quantitativer Forschung sind auf der einen Seite die statistische Deskription, auf der anderen Seite die Überprüfung von (vorformulierten) Hypothesen, d.h. von vermuteten Merkmalszusammenhängen. In beiden Fällen geht es darum, unter Anwendung so genannter geschlossener, standardisierter Methoden (zum Bei­spiel über einen Fragebogen zum Ankreuzen) zu einer breiten Datenbasis zu gelangen, die generalisierbare Aussagen erlaubt. Beispiele wären eine Publikumsbefragung zu den wahrgenommenen Werbe- und PR-Maßnahmen für eine Kunstausstellung oder die Untersuchung der Frage, welche soziodemografischen Merkmale die Besucher eines Kunstmuseums aufweisen. Was sind demgegenüber die wesentlichen Merkmale qualitativen Forschens? Qualitative Ansätze sind besonders dann von Interesse, wenn es um Einsichten in komplexe Zusammenhänge und Prozesse geht. Im Vordergrund steht das vertiefte Verständnis weniger (Einzel-)Fälle. Häufig werden qualitative Zugänge auch gewählt, wenn bislang nur wenige bis keine Vorkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand vorhanden sind und zunächst eine explorative Annäherung als sinnvoll erachtet wird. Im Rahmen qualitativer Forschung erfolgt eine Untersuchung mit wenig standardisierten bis unstandardisierten Erhebungsmethoden (zum Beispiel persönliches Leitfaden-Interview), um den geforderten Prinzipien wie Offenheit, Flexibilität und Prozesscharakter zu genügen (vgl. Lamnek 2005: 20ff.). Auch wenn qualitative Zugänge bei der Publikumsforschung im Kulturbereich noch sehr viel seltener zum Einsatz kommen als quantitative Herangehens­ weisen, eröffnen sie doch vielfältige Perspektiven. Beispiele sind Analysen zu den Kaufentscheidungsprozessen von Galeriebesuchern oder die Erforschung von Interpretationen bei der Betrachtung von Kunstwerken.

P. Glogner-Pilz/N. Wegner: Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich

1.4 Methoden der Besucherforschung Im Rahmen der empirischen Besucherforschung stehen verschiedene Methoden zur Verfügung: • • • •

die Inhaltsanalyse, die Beobachtung, das Interview bzw. die Befragung und das Experiment.

methode angemessen ist, hängt vom Gegenstandsbereich Welche Erhebungs­ der Studie ab (vgl. Abbildung 1). Für die Untersuchung von Produkten menschlicher Tätigkeiten eignet sich die Inhaltsanalyse. Denkbar ist beispielsweise die Auswertung von Kommentaren in Besucherbüchern. Richtet sich das For­ schungsinteresse auf offenes Verhalten, wie Laufwege und Aufenthaltsdauer in einer Ausstellung, bieten sich Beobach­tungsmethoden an. Verhalten kann jedoch nicht nur beobachtet werden, es besteht auch die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen über Befragungen zu erfassen. Das ist insbesondere dann notwendig, wenn es um Verhalten in der Vergangenheit geht und keine räumliche Beschränkung gegeben ist: Beispielsweise ist die Methode der Beobachtung ungeeignet, wenn man wissen möchte, welche Museen die Einwohner einer Stadt im Laufe eines Jahres besucht haben. Darüber hinaus bietet sich die Methode der Befragung vor allem an, wenn es um Einstellungen, Meinungen und Überzeugungen von Menschen geht. Soll das Verhalten von Menschen in Situationen untersucht werden, die vom Forscher bestimmt bzw. variiert werden, ist schließlich das Experiment eine geeignete Vorgehens­weise. Ein Beispiel ist die Untersuchung der Reaktionen von Nutzern auf unterschiedliche Führungskonzeptionen. Abbildung 1: Gegenstandsbereiche und Methoden empirischer Sozialforschung (Atteslander 2010: 54) soziale Wirklichkeit

Produkte menschlicher Tätigkeit wie […] Texte, Ton- und Bildaufzeichnungen u. a. m.

aktuelles menschliches Verhalten

Verhalten in »natürlichen« Situationen (»Feld«)

Inhaltsanalyse

offenes Verhalten (Bindung an Zeit und Raum des Verhaltens erforderlich)

Gespräche über ... (Lösung von Zeit und Raum des Besprochenen möglich)

Beobachtung

Befragung

Verhalten in vom Forscher bestimmten Situationen (»Labor«)

Experiment

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Im Zuge der rasanten Entwicklungen in den Bereichen Web 2.0 und Social Media (vgl. speziell für Museen: u.s.k 2010) gewinnen neben klassischen Befragungen und Beobachtungen vor Ort auch internetbasierte Formen der Datenerhebung immer mehr an Bedeutung. Denkbar sind beispielsweise Online-Befragungen unter Stammbesuchern eines Hauses oder die Analyse von Useraktivitäten auf der Facebook-Seite einer Kunstinstitution.3 Ferner bietet eine elektronische Erfassung von Besucherverhalten (zum Beispiel über GPS oder so genannte Personal Digital Assistant [PDA]-Führungssysteme) vielfältige Möglichkeiten der Datengewinnung und -analyse (vgl. z.B. König et al. 2009, Kälin/Müller 2009, Klein/ Donecker/Hänle 2009).

2. B esucher von K unstmuseen und - ausstellungen im F okus der F orschung Nach der Einführung in die Begrifflichkeiten, Ansätze und Methoden der Besucher- bzw. Publikumsforschung und Evaluation werden im Folgenden Forschungsfragen und -befunde vorgestellt. Zunächst erfolgt ein geschichtlicher Kurzüberblick zur Besucherforschung und Evaluation im Kunstbereich, um sodann auf jüngere und gegenwärtige Befunde zur soziodemografischen Zusammensetzung von Kunstmuseums- und Ausstellungsbesuchern, zur Kunstmuseumsrezeption sowie zu Besuchsmotiven und -barrieren einzugehen.

2.1 Kurzer geschichtlicher Abriss der Besucherforschung und Evaluation im Kunstbereich Der Beginn der Besucherforschung an Museen liegt in den 1920er Jahren. Ausgang nahm die Entwicklung in den USA, wo Museen aufgrund geringer öffentlicher Zuwendungen früh auf besucherorientiertes Arbeiten angewiesen waren. Einige der ersten empirischen Besucherstudien in den USA sind für Kunstmuseen nachweisbar. Hervorzuheben sind unter anderem die Beobachtungen von Robinson (1928) und Melton (1935), welche sich mit der Aufzeichnung von Besucherlaufwegen und betrachteten Exponaten beschäftigten. Sie belegten eine Orientierung der Besucherlaufwege nach rechts: Die Mehrheit des Publikums nahm den Rundgang gegen den Uhrzeigersinn auf, obwohl die Exponate meist im Uhrzeigersinn angeordnet waren. Ein weiterer Befund waren zunehmend selektivere und kürzere Verweilzeiten der Besucher vor Objekten, je länger der Museumsaufenthalt an­dauerte. Diese Resultate erwiesen sich auch viele Jahrzehnte später bei Besu­cherbeobachtungen als gültig (vgl. z.B. Klein/Bachmayer 1981: 59ff.). Die Professionalisierung von Besucherstudien an Kunstmuseen und ande3 | Vgl. vertiefend und weiterführend zu Sozialforschung im Internet und zu OnlineBefragungen: Kuckartz et al. (2009), Jackob/Schoen/Zerback (2009).

P. Glogner-Pilz/N. Wegner: Besucherforschung und Ausstellungsevaluation im Kunstbereich

ren Museumsrichtungen begann in den USA schließlich in den 1950er Jahren. In den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelten sich auch Evaluationen zu einem gezielt eingesetzten Planungs­instrument. Die Anfänge systematischer Besucherforschung in Deutschland sind auf die 1980er Jahre zu datieren. Erste dokumentierte Besucherbefragungen für den Kunstbereich sind seit den 1960er Jahren bekannt: Unter anderem wurden im Badischen Kunstverein Karlsruhe, im Folkwang-Museum Essen, in der Kunsthalle Köln, im Württembergischen Kunstverein Stuttgart oder in der Kunsthalle Kiel Ausstellungsbesucher befragt (vgl. Klein 1978: 15ff., Klein/Bachmayer 1981: 72ff.). Schon bereits seit 1946 fanden erste Studien in den Nationalen Kunstausstellungen Dresden statt, deren Ergebnisse allerdings nur noch fragmentarisch erhalten sind. In den 1960er Jahren wurden diese fortgeführt (vgl. Stiehler/Lindner 1991: 7, Lindner 1998: 40ff.). Für die documenta in Kassel sind seit 1968 begleitende Besucherbefragungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu finden (vgl. Hellstern 1993: 305ff., ders. 1998: 2ff., Hoffrichter 1993: 495ff., Lindner 1998: 278ff.). Anfang der 1990er Jahre befasste sich auch eine der Karlsruher Schriften zur Besucherforschung mit dem Thema Kunstrezeption (vgl. Klein 1992). Gegenwärtig gibt es wenige empirische Befunde darüber, wie häufig Besucherforschung und Evaluation im Kunstbereich eingesetzt werden. Bei der statistischen Gesamterhebung des Instituts für Museumsforschung (2006: 45ff.) ergab sich für die Jahre 2000 bis 2005, dass in 18 % der 5.219 einbezogenen Museen Besucherbefragungen stattfanden. Kunstmuseen zeigten hier mit 23 % ein vergleichsweise hohes Engagement. Bei einer Studie des Zentrums für Audience Development (2007: 6ff.) sagte sogar knapp über die Hälfte der 174 befragten Museen aus, in den letzten fünf Jahren derartige Pro­jekte durchgeführt zu haben. Eine Unterscheidung nach Museumsrichtungen wurde hier nicht getroffen. Internationale Museen sind beim Einsatz von Besucherforschung und Evaluation teils deutlich professioneller als Museen im deutschsprachigen Raum. Beispielsweise erfolgt in den USA, Kanada oder Australien die Anwendung von Studien häufig regelmäßiger und systematischer, zahlreiche Museen verfügen auch über eigene umfangreiche Abteilungen für Besucherforschung und Evaluation (vgl. z.B. Reussner 2010).

2.2 Empirische Forschungsbefunde — ein Überblick Um zentrale Befunde der Besucherforschung und Evaluation an Kunstmuseen und -ausstellungen im deutschsprachigen Raum darzustellen, werden verschiedene Studien herangezogen. Diese unterscheiden sich jedoch in ihren Zielsetzungen, Vorgehensweisen sowie ihrer Aktualität und sind daher nur eingeschränkt vergleichbar. Es handelt sich dabei größtenteils um öffentlich publizierte Studien an Kunstmuseen und Ausstellungshäusern, wie auch um (interne) Auftrags­ studien. Speziell für das Publikum von Galerien, Kunstmessen oder Auktions-

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häusern sind keine veröffentlichten, umfassenden Besucherstudien bekannt. 4 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass Untersuchungsergebnisse zu Besuchern von Museen und anderen Kultureinrichtungen teilweise schwer zugänglich sind.5 Trotz der zu berücksichtigenden Unterschiede der Untersuchungen gibt es Gemeinsamkeiten im Publikum von Kunstmuseen und -ausstellungen, die nachstehend dargelegt werden. Bei der Gegenüberstellung mit Befunden zum Publikum anderer Museumsarten sind teils deutliche Differen­zen festzustellen. Aus diesem Grund werden hier exemplarische Vergleichsstudien an mehreren Museumsarten einbezogen. Bei allen Gemeinsamkeiten von Museumsbesuchern bleibt jedoch stets zu beachten, dass jedes Museum aufgrund seiner spezifischen Gegebenheiten eine individuelle Besucher- und Nichtbesucherstruktur hat und für spezifische Erkenntnisse speziell für das Haus konzipierte Untersuchungen notwendig sind.

Soziodemografische Zusammensetzung des Publikums von Kunstmuseen und -ausstellungen Im Folgenden werden empirische Befunde zur soziodemografischen Zusammensetzung des Publikums von Kunstmuseen und -ausstellungen vorgestellt. Zuerst wird das Geschlechterverhältnis betrachtet, gefolgt von Alters- und Bildungsstrukturen. Kunst­museen werden häufiger von Frauen besucht, was sich vor allem bei Aus­stellungen moderner und zeitgenössischer Kunst zeigt. Bei den untersuchten Beispielstudien liegen die Frauenanteile im Publikum zwischen 53 % und 70 %.6 Eine Betrachtung des Geschlechterverhältnisses in anderen Museumsrichtungen verdeutlicht, dass in kulturgeschichtlichen Museen ebenfalls mehr Frauen im Publikum anzutreffen sind. In naturkundlichen Museen ist demgegenüber der Ge-

4  |  Zu Motiven und Zielen für die Gründung privater Kunstsammlungen kann eine Studie von Ridler (2012) angeführt werden. 5 | Resultate einer Untersuchung zu Besucherforschung an deutschen Museen stützen die erschwerte Zugänglichkeit von Besucherstudien. Mehr als die Hälfte der durchgeführten Studien wird hiernach nicht veröffentlicht. Am ehesten werden Ergebnisse noch in Pressemitteilungen aufgeführt, lediglich in 8 % der Fälle wurde eine Publikation erstellt (vgl. Zentrum für Audience Development 2007: 8ff.). 6 | Beispielergebnisse für eine Mehrheit von Besucherinnen im Kunstmuseumspublikum: 53 % Frauen in der Kunsthalle Würth (vgl. Klein/Bock/Trinca 2002: 16ff.); 56 % in elf Schweizer Kunstmuseen (vgl. Mottaz Baran 2006: 41ff.); 60 % in der Hamburger Kunsthalle (vgl. Hamburger Kunsthalle 2007: 19); im Schnitt 69 % bei zehn Kunstausstellungen in Bremen (vgl. Schmidt/Kurzeja 2008: 7); 70 % bei der Sonderausstellung »Monet und Camille« in der Bremer Kunsthalle (Bremer Institut für empirische Handels- und Regionalstrukturforschung 2006: 4).

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schlechteranteil häufig ausgeglichen, in Technikmuseen überwiegen männliche Besucher (vgl. Wegner 2011a: 139ff.). Einhergehend mit demografischen Entwicklungen lässt sich feststellen, dass das Museumspublikum älter wird.7 Dieser Alterungstrend kann insbesondere bei den Besuchern von Kunstmuseen beobachtet werden: Die Hälfte der befragten Besucher in der Staatsgalerie Stuttgart (2009: 1) war zum Beispiel über 50 Jahre alt. Unter Befragten in zehn Kunstausstellungen in Bremen waren 60  % über 50-Jährige vertreten, im Museum für Kunst und Gewerbe sogar rund zwei Drittel (vgl. Schmidt/Kurzeja 2008: 7, Rombach 2007: 113). Je nach gezeigter Kunstrichtung und je nach touristischen Besucheranteilen in Kunstmuseen ist auch auf unterschiedliche Altersstrukturen zu verweisen. So haben Museen moderner Kunst ein vergleichsweise jüngeres Publikum: In der Kunstsammlung K21 waren rund 40 % über 50 Jahre alt (vgl. Kohl 2006: 96f.). Auch ist in vielen großstädtischen Museen ein höherer Anteil jüngerer Museumsbesucher anzutreffen, bedingt durch eine größere Anzahl – in der Regel jüngerer – Touristen (vgl. Klein 1990: 144ff., ebenso Bandi 2007). Besucher von Kulturgeschichtsmuseen weisen ähnliche Altersstrukturen wie die Besucher von Kunstmuseen auf. Das Publikum naturkundlicher/technischer Museen ist aufgrund eines ausgeprägten Anteils von Familienbesuchern im Schnitt jünger (vgl. Wegner 2011a: 143ff.). Charakteristisch für Kunstmuseumsbesucher ist weiterhin ein hoher Akademikeranteil. Die Anteile von Befragten mit Hochschulabschluss liegen in den berücksichtigten Untersuchungen zwischen 54  % bei einer Sonderausstellung in der Hamburger Kunsthalle (2007: 19) und sogar 70  % in der Kunstsammlung K20 (vgl. Kohl 2006: 98).8 Für Besucher von Museen insgesamt ist ein überdurchschnittlicher Anteil höherer Bildungsabschlüsse im Vergleich zur Bevölkerung festzustellen. Dieser fällt nach Museumsarten unterschiedlich aus: Neben Kunstmuseen weisen Kulturgeschichtsmuseen besonders viele Besucher mit Universitäts­abschlüssen auf, während der Anteil in naturkundlichen und technischen Museen meist nicht so ausgeprägt ist (vgl. Wegner 2011a: 146ff.).

Kunstmuseumsrezeption Weitere Befunde beziehen sich auf Präferenzen von Besuchern für Museumsarten, ihre Museumsbesuchshäufigkeiten und Formen der Begleitung. Die vorstehend angeführten Ergebnisse zu Publikumsstrukturen verschiedener Museumsarten zeigen Gemeinsamkeiten von Kunstmuseen mit kultur7 | Zu berücksichtigen ist bei Resultaten zu Altersstrukturen, dass es sich bei den verwendeten Studien in der Regel um Befragungen von Individualbesuchern handelt. Daher ist der in vielen Mu­s een große Anteil von Schulklassen nicht erfasst. Auch wurden Besucher meist erst ab einem Alter von 12 bis 15 Jahren in die Untersuchungen einbe­z ogen. 8  |  Weitere Beispielergebnisse zu Akademikeranteilen im Kunstmuseumspublikum: 55 % in der Kunsthalle Würth (vgl. Klein/Bock/Trinca 2002: 20ff.); 55 % in der Sammlung Berggruen, 62 % in der Alten Nationalgalerie (vgl. Schuck-Wersig/Wersig 2006: 10).

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geschichtlichen Museen auf (vgl. auch Klein 1990, Wegner 2011a). Die Untersuchungsfrage nach bevorzugten Museumsarten unterstützt dies: Befragte nennen hier mehrheitlich den jeweils besuchten Museumstyp als den beliebtesten, was vor allem auf Kunstmuseumsbesucher zutrifft. Zwei Drittel von ihnen gaben bei der Untersuchung »Der gläserne Besucher« von Klein (1990: 309ff.) eine Präferenz für Kunstmuseen an (Untersuchung an 37 deutschen Museen, darunter fünf Kunstmuseen). Am ehesten gemeinsam genannt wurden dabei zum einen Kunst- und Kulturgeschichtsmuseen sowie zum anderen Technik- und Naturkundemuseen. In Bevölkerungsbefragungen zu Museumsbesuchen ergibt sich auch eine allgemeine Präferenz für Kunstmuseen. Kulturinteressierte Personen, die aber nicht in einem Museum befragt wurden, führten an erster Stelle Kunstmuseen als bevorzugte Richtung an (36 bzw. 37  %) (vgl. z.B. Wegner 2007: 27f., ZEB 2004: 23ff.). Vor allem Stammbesucher von Museen gehen lieber in Kunst­ museen als Personen, die insgesamt seltener Museen besuchen. Schon in der Vergleichsstudie »Der gläserne Besucher« waren in Kunstmuseen mit Abstand die meisten gewohnheitsmäßigen Museumsbesucher: Auf 60 % der dort Befragten traf dies zu. In Kulturgeschichtsmuseen lag dieser Anteil noch bei 40 %, in Naturkundemuseen bei 30 % und in Technikmuseen bei rund 20 % (vgl. Klein 1990: 299ff.). Auch in aktuelleren Untersuchungen bestätigte sich dies (vgl. u.a. Klein/Bock/Trinca 2002: 25, Bachleitner/Schreuer/Weitbold 2005: 39). Die jährliche Gesamterhebung des Instituts für Museumsforschung (2013: 21) weist ebenfalls aus, dass Kunstmuseen häufig besucht werden. 10,7 % aller deutschen Museen sind Kunstmuseen, 17,4  % aller Besuche fanden 2012 aber in einem Kunstmuseum statt. Neben bevorzugten Museumsarten und Besuchshäufigkeiten werden Resultate zu Besuchsbegleitungen analysiert. Diese belegen, dass die Mehrheit des Museumspublikums nicht alleine kommt. In vielen Kunstausstellungen ist die häufigste Begleitperson der Partner, gefolgt von Freunden und Bekannten. Besucher mit Kindern sind hingegen seltener anzutreffen – Kunst- und auch kulturgeschichtliche Museen gehören im Allgemeinen zu den Museumsarten, die weni­ger von Familien frequentiert werden (vgl. Wegner 2011a: 152ff.). Kunstmuseen werden im Vergleich zu anderen Museumstypen auch häufiger ohne Begleitung besucht. Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg war ein Viertel der Befragten alleine, darunter viele Stammbesucher aus der Umgebung, die wegen einer Sonderausstellung kamen (vgl. Rombach 2007: 118f.). In der Alten Nationalgalerie in Berlin wurden sogar mehr als ein Drittel Einzelbesucher erfasst (vgl. Schuck-Wersig/Wersig 2006: 87). Aktuelle Untersuchungsergebnisse zum Einfluss von Begleitpersonen auf die Rezeption von Kunstmuseen liefert das 2009 vom Institut für Design- und Kunstforschung der Hoch­schule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW durchgeführte Forschungsprojekt »eMotion« (vgl. Tröndle et al. 2012: 77ff.). Bei einer Sonderausstellung im Kunstmuseum St. Gallen trugen Testpersonen einen

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Datenhandschuh, welcher die Wege durch die Ausstellung, Verweildauer und Gehgeschwindigkeit, wie auch körperliche Reaktionen erfasste (Veränderungen von Herzrate und Hautleitfähigkeit, die auf Aufmerksamkeitssteigerungen und emotionale Prozesse hinweisen können). Diese Besucherbeobachtung mit rund 580 Probanden wurde durch Befragungen ergänzt. Die Untersuchung ergab, dass sich Testpersonen, die das Museum in Begleitung besuchten und über die Ausstellung sprachen, von unbegleiteten Besuchern unterschieden. Sie gaben signifikant seltener an, dass sie das Museum »im Stillen genießen«, eine »tiefe Verbindung zur Kunst auf bauen« und die »Schönheit wirken lassen« konnten (vgl. Tröndle et al. 2012: 84ff.). Häufiger verbrachten sie aber eine schöne Zeit mit der Begleitung und empfanden die Ausstellung als unterhaltsam. Für die gemeinschaftlichen Besucher wurden auch eine diffusere Wegeführung, eine weniger ausgeprägte Anziehungskraft der Exponate und eine geringere Betrachtungszeit (bei einer insgesamt längeren Verweildauer im Museum) analysiert. Die Forscher folgern aus den Ergebnissen für Kunstmuseen und die dortige Ausstellungsgestaltung: »Hier zeigen sich deutlich die beiden Seiten des Ausstellungsbesuches: für die einen als ästhetisches Ereignis, für die anderen, die eine schöne Zeit mit ihrer Begleitung verbringen und unterhalten werden wollen, ein soziales Erlebnis. Im Zuge der Öffnung von Kunstmuseen gilt es daher, Ausstellungssituationen zu kreieren, die die Wirkung der Werke stärken sowie den sozialen Bedürfnissen der Besucher gerecht werden« (Tröndle et al. 2012: 100). Dieses Ergebnis zu verschiedenen Ansprüchen an Museen stützt die folgende Darstellung von Untersuchungsresultaten zu Besuchsmotiven.

Motive und Barrieren für Besuche von Kunstmuseen und -ausstellungen In den analysierten Untersuchungen an Kunstmuseen und Ausstellungshäusern wurden die Besuchsmotive des Publikums – wenn überhaupt – unterschiedlich abgefragt. Beispielhaft ergaben sich im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg folgende Besuchsgründe (vgl. Rombach 2007: 124ff.): 82  % ›sich bilden‹, 75  % ›Neues lernen‹ und ebenso viele ›Interesse am Thema‹, 49  % ›Kontemplation‹, 46 % ›soziale Gründe‹ und 42 % ›Unterhaltung und Ablenkung‹. Hier zeigt sich, dass kognitive Besuchsmotive – wie Bildung und Lernen – am häufigsten genannt werden, gefolgt von introspektiven und sozialen Gründen.9 9  |  Weitere Beispielergebnisse zu Motiven für Museumsbesuche: • In der Hamburger Kunsthalle (vgl. Koch 2002: 179ff.): 50 % ›Kunsthalle als unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens der Stadt‹, 48 % ›Bedeutung der Kunst zur persönlichen Weiterentwicklung‹, 39 % ›etwas Besonderes erleben und sich unterhalten‹ und ebenso viele ›Auseinandersetzung mit Ideen und Vorstellungen von Künstlern‹. Bei der späteren Untersuchung in einer dortigen Sonderausstellung (vgl. Hamburger Kunsthalle 2007: 22): 70 % ›Kulturerlebnis‹, 42 % ›Wissenserweiterung‹, 35 % ›Gemeinschaftserlebnis‹ und 30 % ›Neugier‹.

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Das Motiv ›Bildung/Lernen im Museum/Themeninteresse‹ ist in vielen Studien besonders bedeutend, auch unabhängig von der Museumsart.10 ›Unterhaltung‹ wird als hauptsächliches Motiv seltener angeführt, ebenso wie ›Geselligkeit‹. Obwohl die meisten Besucher gemeinsam in Museen gehen, nennen sie folglich dieses soziale Motiv nicht an erster Stelle als bestimmend (vgl. Wegner 2011a: 157ff.). Differenziert nach Museumsarten sind für Kunstmuseumsbesuche objektbezogene Motive – wie ›schöne Objekte/ästhetisches Erlebnis‹ und auch ›berühmte und spektakuläre Objekte‹ – oft besonders ausschlaggebend. In naturwissenschaftlichen Museen werden eher Überraschungen und Unterhaltung bei einem Besuch erwartet (vgl. Wegner 2011a: 160f.).11 Museumsbesuchen liegt meist aber nicht nur ein Motiv zugrunde. So stellt beispielsweise Treinen (1991: 42) in seinem Artikel über die »Motivation zum Museums­ besuch« fest, »[…] daß ein Museumsbesuch keine ein­ zelne Motivation als Grund oder Ursache besitzt, sondern daß sehr unterschied­liche Grund­ erfahrungen und Verhaltensgewohnheiten zusammenfallen müssen, um derartige kulturelle Angebote auch zu realisieren.« Falk und Dierking (1992) verdeutlichen diese Komplexität der Motive, indem sie die Museumserfahrung als individuellen, sozialen und physischen Einflüssen unterworfen sehen. Auch Pekarik, Doering und Karns (1999) erhoben verschiedene Dimensionen von Erfahrungen bei einem Museumsbesuch, die sie in objektbezogene, kognitive, nach innen gerichtete und soziale Motive einteilten. Nach der Darstellung von Besuchsmotiven für Kunstmuseen sollen auch mög­li­c he Besuchsbarrieren erörtert werden. Vorausgeschickt sei, dass insgesamt wenige Studien speziell zu dieser Fragestellung vorhanden sind. Für Kunstmuseen lassen sich jedoch aus allgemeinen Untersuchungen erste Hinweise auf • In mehreren Kunstausstellungen in der Kunsthalle Bremen (vgl. Schmidt/Kurzeja 2008: 13): 62 % ›Kulturerlebnis‹, 46 % ›Wissenserweiterung‹, 42 % ›Freunde/Familie‹ und 30 % ›Neugier‹. 10  |  Beispielergebnisse zum Besuchsmotiv Bildung/Lernen/Themeninteresse: • An 17 deutschen Museen gaben 68 % der Besucher Interesse und 38 % Wissensbestätigung und -erweiterung als Besuchsmotiv an (Mehrfachnennungen aus 9 Gründen) (vgl. Hummel 1996: 70ff.). • An 96 Schweizer Museen nannten 92 % Interesse und 53 % Bildung (3 Nennungen aus 26 Gründen) (vgl. Mottaz Baran 2006: 76ff.). • Bei einer Bevölkerungsbefragung war die Erweiterung der Allgemeinbildung das am häufigsten genannte Museumsbesuchsmotiv (Reihenfolge der Zustimmung zu 10 Motiven) (vgl. Kirchberg 2005: 292ff.). 11  |  Beispielergebnis für die Bedeutung von objektbezogenen und ästhetischen Motiven für Kunstmuseumsbesuche: • Bei der Befragung an fünf Kunstmuseen gaben 22 % das Motiv ›anregende Unterhaltung/etwas Interessantes oder Schönes sehen‹ an, im Vergleich zu 17 % an allen 37 einbezogenen Museen (vgl. Klein 1990: 246ff.).

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Besuchsbarrieren ableiten. Klein (1997: 41ff.) führt hierzu eine Untersuchung von Hood (1983) an, die sich mit Gründen für Freizeitaktivitäten und diesbezüglichen Unterschieden zwischen häufigen und seltenen Museums­besuchern beschäftigt. Für Befragte, die selten oder nie in Museen gehen, trafen die für sie allgemein wichtigen Aspekte ›Zusammensein mit anderen Menschen‹, ›sich in einer vertrauten Umgebung wohlfühlen‹ und ›aktiv an etwas teilnehmen‹ auf Museumsbesuche nicht zu. »Museen sind demgegenüber nach Vorstellung dieser Personenkreise Orte, die ernst, langweilig, ermüdend, anstrengend, unpraktisch und unverständ­lich sind, die von blasierten Personen einer anderen Welt bevölkert werden und deren Besuch im Vergleich zu anderen Freizeitangewohnheiten weniger lohnend (!) und attraktiv anmutet« (Klein 1997: 42). Weiter zurückliegende Studien ermittelten teils ähnliche Barrieren für Museumsbesuche (vgl. Klein/Bachmayer 1981: 196ff.): ›Unsicherheit‹, ›mangelnde Unterhaltsamkeit‹ sowie ›Verständnis und Beanspruchung‹, wie auch ›geringer Nutzen‹ und ›mangelnder Sensationsgehalt‹. Alle Hinderungsgründe wurden besonders von Personen mit nicht-akademischer Vorbildung und von seltenen Museumsbesuchern genannt. Nur die Barriere des mangelnden Sensationsgehalts wurde auch von häufigeren Museumsbesuchern angeführt, was unter anderem an der Dauerhaftigkeit von Museumsangeboten (aus­genommen Wechselausstellungen) liegt. Ferner untersuchte Kirchberg (2005: 290ff.) elf mögliche Barrieren für Museumsbesuche. An erster Stelle wurden Nichtbesuche durch ›andere Freizeitpräferenzen‹ begründet (»habe was Besseres in der Freizeit zu tun«). Speziell auf Kunstmuseen bezogen bestätigten sich ›Ermüdungs- und Anstrengungseffekte‹ als abschreckend. Resümierend ergeben sich aus den Studien verschiedene Gründe, warum Museen nicht besucht werden. Folgende Barrieren wurden in mehreren Untersuchungen angeführt, welche sich auch auf Kunstmuseen beziehen lassen: • • • •

mangelnde Unterhaltsamkeit und Geselligkeit, Unsicherheit in der ungewohnten Museumsumgebung, fehlender »Wohlfühl-Faktor« sowie anstrengender Besuch.

Fazit: Forschungsperspektiven für Besucherforschung und Evaluation im Kunstbereich Abschließend sollen Perspektiven hinsichtlich weiterer Forschungsziele, Untersuchungs­formen und -methoden für Studien im Kunstbereich aufgezeigt werden. Vergleichende Besucherbefragungen an mehreren Museen können einen besonders großen Erkenntnisgewinn bringen, da sie eine Überprüfung und Verallgemeinerung bisheriger Resultate zu Publikumsstrukturen ermöglichen. Denkbar ist dabei, Kunstmuseen eines ähnlichen regionalen Gebiets, einer Kunstrichtung oder vergleichend verschiedene Museumsarten einzubeziehen. Wesentliche zu

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untersuchende Fragestellungen neben der Besucherzusammensetzung sind Besuchsmotive und -barrieren. Ebenso ist der Themenaspekt der »Wirkungen« von Besuchen in Kunstmuseen und -ausstellungen bisher kaum erforscht. Insbesondere für die Optimierung von Vermittlungsprogrammen ist die Analyse von Aneignungs­- und Rezeptionsprozessen von zentraler Bedeutung. In diesem Bereich liegt enormes Potenzial für weiterführende Untersuchungen, gerade durch die Kombination von quantitati­ven und qualitativen Befragungen sowie Beobachtungen. Da die große Mehrheit der vorhandenen Besucherstudien sich auf Individualbesucher ab einem Alter von etwa 15 Jahren konzentriert, stellt sich die Frage nach weiteren zu untersuchenden Zielgruppen. Dies können Kinder und Jugend­liche sein oder auch Besucher im Gruppenverbund. Auch über Touristen im Museumspublikum liegen nur wenige spezifische Erkenntnisse vor (vgl. u.a. Bandi 2007, Klein/Wegner 2009, Pröbstle 2011). Eine ebenfalls wichtige Unterscheidung der Zielgruppen von Kunstmuseen ist die in Besucher von Sonder- und Dauerausstellungen. In vielen Befragungen wird nur das Publikum großer Sonderausstellungen in den Blick genommen. Es können für Museen aber bedeutende Erkenntnisse gewonnen werden, wenn Sonder- und Dauerausstellungsbesucher vergleichend analysiert werden.12 Wichtiger werden außerdem Studien, die Nichtbesu­cher von Museen erforschen. Nichtbesucheranalysen können Hinweise auf aussichtsreich zu erschließende Besucherpotenzi­ale für Kunstmuseen liefern und vorhandene Besuchsbarrieren untersuchen. Dass es bisher eher wenige Forschungsaktivitäten zu Nichtbesuchern gibt, kann mit der relativ aufwändigen Forschungsmethodik erklärt werden. Insbesondere wenn Kunstmuseen neue Zielgruppen erschließen wollen, ist der Einsatz jedoch dringend angeraten. Zum Methodeneinsatz ist anzumerken, dass qualitative Erhebungsmethoden wie Tiefeninterviews oder Gruppendiskussionen verstärkt in Kunstmuseums­ studien eingesetzt werden sollten. Sie sind besonders wichtig, um Informationen zu Besuchs­motiven und -barrieren sowie Lernprozessen zu erhalten. Weiterhin kann die Methode der Beobachtung zum Beispiel Aufschluss geben über eine geeignete Objektanordnung oder Wegeführung in Ausstellungen. Auch in Kombination mit Befragungen kann sie eingesetzt werden, um beispielsweise Angaben zu »Wirkungen« von Museums­besuchen zu ergänzen. Schließlich bieten neue Medien Einsatzmöglichkeiten für die Besucherforschung. Zu denken ist beispielsweise an Online-Befragungen, Befragungen über Touchscreens direkt in der Ausstellung oder Beobachtungen mit »Personal Digital Assistants«. Ergänzend soll auf die breite Palette von Evaluationsformen verwie­sen werden. Gerade Vorab-Evaluationen und Formative Evaluationen sind hilfreiche Pla12 | Vgl. Untersuchung von Wegner im Rahmen ihrer Dissertation am Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg.

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nungsinstrumente, deren Einsatz ausbaufähig ist. Potenzielle Besucher schon in Planungsüberlegungen einzubeziehen, scheint zwar erst einmal mehr Aufwand für die Museumsverantwortlichen. So kann aber sichergestellt werden, dass Ausstellungsbotschaften beim Besucher wirklich »ankommen«. Insbesondere für Kunstmuseen ist der Einsatz von Ausstellungsevaluationen optimierbar. Abschließend wird auf Bedenken eingegangen, nach denen Kunstmuseen durch die Anwendung von Besucherforschung und Evaluation nur noch rein nachfrage­orientiert denken und arbeiten würden. Führt Besucherorientierung zu einer plebiszitären Ausstellungsplanung und -gestaltung? Besonders Kuratoren könnten kritisch anmerken, dass durch die Einwirkung der Besucher ihre Arbeit einge­schränkt und ein zu großer Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung des Museums ausgeübt wird. Das Ziel besucherorientierten Arbeitens ist aber nicht, alle Entscheidungen dem Besucher zu übertragen. Es ist auch gar nicht davon auszugehen, dass das Interesse der Besucher darin liegt, selbst über alle Museumsangebote zu bestimmen, sondern sie erwarten fachlich fundierte und auch neue, überraschende Sichtweisen aufgezeigt zu bekommen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass immer die im Voraus definierten Ziele des Museums grundlegend sind. Besucherforschung und Evaluationen dienen dazu, zwischen Museen und Besuchern zu vermitteln und die Museumsziele sowie die Vermittlungsabsichten umzusetzen – nicht sie zu untergraben.

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Der Kunstmarkt im Internet Hubertus Kohle Das Internet, in den Vorstufen eine militärische und in der Frühzeit eine wissenschaftliche Angelegenheit, hat in den letzten Jahren vor allem im kommerziellen Bereich für Furore gesorgt. Es hat den Musikmarkt umgekrempelt und die CD als Speichermedium an den Rand gedrängt, da Musiktitel jetzt in der wolkig sogenannten »cloud« gespeichert und daraus abgerufen werden. Es ist dabei, den Buchmarkt zu revolutionieren, wobei nur noch die Frage ist, wie groß das Stück sein wird, das sich der online-Handel, den man wenigstens zur Zeit mit dem Namen amazon identifiziert, aus dem Gesamtkuchen herausschneidet. Und es könnte auch für den Kunsthandel eine wichtige Rolle spielen, wobei die Ausgangsvoraussetzungen hier weniger günstig scheinen, auch wenn durch Wegfall der Mietkosten für die Galerieräume in häufig erstklassigen Innenstadtlagen schon einmal ein wichtiger Kostenfaktor hinfällig würde. Weniger günstig, weil der Kunsthandel hier dem Museum ähnelt: Wenn das Bibliothekswesen wohl auch deswegen die Digitalisierungsbemühungen entschieden ausgeprägter verfolgt als etwa das Museumswesen, dann deswegen, weil es im Buch sowieso mit einem Reproduktionsmedium zu tun hat, das Museum dagegen mit Originalen. So eben auch der Kunsthandel: Die in ihm angebotenen Objekte, welche für Idealisten ohnehin mit Geld nicht aufzuwiegen sind, gerade deswegen aber zuweilen hohe 8-stellige Verkaufspreise erzielen, dürften dem schnöden Massenmedium Internet tendenziell eher nicht anvertraut werden.1 Manches von dem, was in diesem Zusammenhang zu erfahren ist, mag die Vermutung bestätigen. Unverkennbar ist das müde Lächeln, das man bei dem typischen Kunsthändler hervorruft, der auf das Thema angesprochen wird. Das Interesse der Kunstgalerien, sich mit dem Internet einen neuen Verkaufskanal zu eröffnen, scheint begrenzt.2 Und 1 | Zumindest wird das Internet als Massenmedium wahrgenommen, obwohl es durch seine radikale Individualisierbarkeit genau genommen eigentlich genau das Gegenteil darstellt. 2 | amazon, das zuletzt in den Kunsthandel eingestiegen ist, berichtet, dass ein guter Teil der von der Firma angeschriebenen Galerien auf das Angebot, über die global äußerst erfolgreich agierende Plattform zu verkaufen, noch nicht einmal reagiert hat (vgl.

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Versuche, trotzdem aktiv zu werden, sind in teilweise spektakulären Fehlinvestitionen gemündet. So etwa die Absicht eines der größten Auktionshäuser der Welt (Sotheby’s) sich mit dem größten online-Auktionator Ebay zusammenzutun. Das Projekt kostete den altehrwürdigen englischen Betrieb 100 Millionen Dollar und wurde nach weniger als einem Jahr mit einer entwaffnenden Begründung des Auktionshaus-Chefs William Ruprecht eingestellt: »Es sind einfach weniger Menschen als erwartet bereit, im Internet exklusive Kunstwerke zu kaufen.«3 Aber auch, wenn die in anderen Bereichen erzielten prozentualen Verkaufsanteile im Internet, die etwa beim Buchhandel schon jetzt in einem immerhin niedrigen zweistelligen Bereich liegen, beim Kunsthandel wohl illusionär bleiben dürften, ist dessen jährlicher Gesamtumsatz von ca. 46 Milliarden Euro (in 2011) doch derartig gewaltig, dass auch bescheidene Anteile davon lukrativ sind.4 Selbst wenn davon langfristig nur ein Zehntel in den online-Markt abwandert (also weniger, als das, was schon jetzt im Buchmarkt erzielt wird), ist das immer noch eine ausgesprochen lohnenswerte Summe. Geschätzt wird, dass der online organisierte Kunsthandel zur Zeit um jährlich 20 % wächst.5 Nicht durch Zufall haben daher in den letzten 15 Jahren hunderte von Unternehmen in diesen neuen Markt investiert,6 so dass eventuell auch die Vermutung bestehen darf, dass Sotheby’s einfach zu früh dran war.7 Der Geschäftserfolg dieser Neugründungen ist allerdings meistens nicht erkennbar, weil man Zahlen nur sehr zurückhaltend herausgibt. Wenn zuletzt auch amazon in den Kunstmarkt eingestiegen ist und nach dem Modell seines Partnerprogramms Galerieangebote über seine Internet-Suchmaschine vertreibt, so muss das aber aufhorchen lassen.8 Denn an der Fähigkeit des größten Internet-Händlers der Welt, den richtigen Zeitpunkt für ein solches Engagement zu finden, wird man nicht so leicht zweifeln dürfen. Und das Geschäftsmodell ist ja ebenso simpel wie genial: amazon fungiert nur als Vermittler und muss noch nicht einmal Lagerraum vorhalten. Und es ist als Marke derartig mächtig und universell geworden – universell insofern, als es praktisch alle Produktbereiche bedient –, dass auch Aaron Souppouris, Amazon launches an online marketplace for fine art, www.theverge. com/2013/8/6/4593496/amazon-art-fine-art-marketplace, zuletzt besucht am 30.8. 2013). 3 |  Computerwoche vom 5.2.2003 (www.computerwoche.de/a/sotheby-und-039-s-stopptonline-versteigerungen-bei-ebay,536156, zuletzt besucht am 30.8.2013). 4  |  Tefaf Art Market Report 2013, S. 21. 5  |  Alex Hudson, Art ›sold more online than in galleries‹, in: www.bbc.co.uk/news/techno logy-23054641, zuletzt besucht am 30.8.2013. 6 | Vgl. ebd. 7 | Dabei sind einige der früh gegründeten Häuser wie artnet.com und artprice.com durchaus auch heute noch tätig. 8  |  www.amazon.com/art, vgl. etwa www.skatepress.com/?cat=196 (zuletzt besucht am 30.8.2013).

Huber tus Kohle: Der Kunstmarkt im Internet

jemand, der oder die nach Kunst sucht, hier nachfragen dürfte. Das könnte im übrigen auch der entscheidende Vorteil gegenüber online-Kunsthändlern sein, die ein ähnliches Prinzip schon vorher verwirklicht haben (etwa artsy.net). Weniger gewichtig scheint dagegen die Tatsache, dass einige der schillerndsten Figuren des internationalen Milliardärs-Jetsets zuletzt Millionen in den online-Kunsthandel investiert haben.9 So wird es auch nicht verwundern, dass wenigstens für bestimmte Bereiche Untersuchungen vorliegen, die die Aussichten für den online-Kunsthandel durchaus positiv einschätzen. Eine Befragung des englischen Kunstversicherers hiscox, die sich an Händler für moderne und zeitgenössische Kunst richtete, hat ergeben, dass mehr als ein Drittel aller angesprochenen Galerien einen Anteil von 10-30 % für möglich hält, und immerhin ca. ein Achtel glaubt, in ein paar Jahren mehr als die Hälfte des Umsatzes online zu machen.10 Für ältere Kunst sieht das sicherlich anders aus, hierfür aber liegen kaum seriöse Untersuchungen vor. Immerhin ist für bestimmte Bereiche der älteren Kunst (bzw. des Kunstgewerbes) das Geschäft inzwischen fast vollständig ins Internet abgewandert: Die im texanischen Dallas beheimatete Firma Heritage Auctions, die sich auf Münzen, Waffen und Juwelen spezialisiert hat, konnte zuletzt an die 85  % ihres Geschäftes im Internet machen.11 Erstaunlich aber sind doch auch andere Zahlen: Mehr als zwei Drittel aller befragten Kunstkäufer hat z.B. schon einmal über das Internet Kunst gekauft (wie gesagt: moderne bzw. zeitgenössische Kunst).12 Dabei überrascht fast noch mehr, dass sie dies nur auf der Basis von digitalen Reproduktionen taten. Andererseits scheint eben letztere Tatsache dafür verantwortlich zu sein, dass in großen Teilen der Kundschaft doch auch Skepsis vorherrscht, da die Inaugenscheinnahme des Originals für wesentlich gehalten wird. Es steht zu vermuten, dass der Anteil der Skeptiker mit dem Alter der Kunst wächst, allerdings nicht mit dem Alter der Käufer. So wurde von Hiscox herausgefunden, dass ein guter Teil der online-Käufer schon zur Generation 65+ gehört.13 Nicht überraschend ist die Tatsache, dass der untere Preisbereich im onlineKunstgeschäft dominiert: Fast 80  % aller Transaktionen betreffen Objekte im 9 | Vgl. Georgina Adam, Buying art online: A click away from a masterpiece?, www.bbc. com/culture/story/20130625-a-clickaway-from-a-masterpiece (zuletzt besucht am 30.8. 2013). 10  |  Hiscox. The Online Art Trade, 2013, S. 4 (www.hiscox.com/~/media/Files/H/Hiscox/ content-pdf/Online-Art-Trade-Report-UPDATED-FINAL.pdf, zuletzt besucht am 30.8.2013). 11  |  www.ha.com/, vgl. Georgina Adam (wie Anm. 9). Neben kunsthandwerklichen Objekten bietet die Firma aber durchaus auch Dinge wie teure Weine oder Hermes-Taschen an. Der Übergang ins Luxus-Geschäft ist hier also fließend. Offenbar haben Kunstwerke und Luxusobjekte die gleiche Funktion, nämlich diejenige, Distinktionsmerkmale der Oberklasse zu sein. 12  |  Hiscox (wie Anm. 9), S. 3. 13 | Ebd.

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Wert von unter 10.000 £. Firmen wie paddle8 spezialisieren sich dann auch gleich auf den Preisbereich unter 100.000 $.14 Das ändert nichts daran, dass der Wettlauf um Höchstpreise auch das online-Kunstgeschäft erfasst hat. Die österreichisch geführte, in Berlin angesiedelte »Galerie« Auctionata hat zuletzt einen Egon Schiele für fast 2 Millionen Euro versteigert. Ob der Käufer auch hier das Bild vorher nicht im Original gesehen hat, ist nicht bekannt. Stolz ist das Haus jedenfalls nicht nur auf den Rekord, sondern darauf, dass der gesamte Ablauf einer Versteigerung ins Internet transloziert wurde.15 In der longue durée betrachtet, verschärft der Internet-Kunsthandel eigentlich nur eine Tendenz, die auch schon in der offline-Welt eingesetzt hat. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang der Name Alfred Taubmans, eines amerikanischen shoppingmall tycoons, der in den frühen 1980er Jahren Sotheby’s kaufte und ganz im Stil der Warenhaus-Apologeten versuchte, die Zugangsbarrieren eines entschieden snobistischen Luxus-Etablissements wie dem des traditionellen Kunsthandels abzubauen. Zu seinen vielfältigen Strategien gehörte auch die Produktion von farbenprächtigen, wortreich ausgestatteten Verkaufskatalogen, die geeignet waren, eine weniger exklusive und auch weniger kennerschaftliche, dabei nichtsdestoweniger wohlhabende Käuferschicht anzusprechen. Man wird vermuten dürfen, dass hier auch Personen interessiert werden sollten, die im Segment des neuen Geldes angesiedelt waren, während der traditionelle Kunsthandel eher vom alten Geld dominiert war. Zu diesen neuen Käuferschichten gehören selbstverständlich auch die Globalisierungsgewinner in den Schwellenländern, von Russland über China bis in Teile Südamerikas, deren Kunstmärkte insgesamt zu den sich am dynamischsten entwickelnden zählen. Generell aber kommt an der Stelle auch eine Tendenz zum Ausdruck, breitere Käuferschichten einzubeziehen,16 also solche, die weder über neues noch über altes, sondern einfach nur über wenig Geld verfügen. Diese Entwicklung »Demokratisierung« zu nennen, ist zwar nicht so ganz falsch, die sublimen Konzepte, die mit dem Begriff assoziiert werden, sollte man aber eher zurückhaltend verwenden. Vielleicht wäre der weniger emphatische Begriff der »Nivellierung« adäquater. Kunstinstitutionen – seien sie als Museum dem öffentlichen oder als Galerien dem privaten Bereich zuzuordnen – sind allen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zum Trotz weiterhin von einer gewissen Exklusivität geprägt, die die vir14  |  Vgl. Adam, wie Anm. 8. 15 | Vgl. www.presseportal.de/pm/101395/2499812/auctionata-bricht-online-rekordegon-schieles-liegende-frau-fuer-eur-1-8-millionen-live-versteigert (zuletzt besucht am 30.8.2013). Für einen Edward Hopper hat es bei einer Auktion bei Christies’ auch schon einmal 10 Millionen Dollar gegeben. Das Gebot wurde über das Internet abgegeben. 16  |  In die gleiche Richtung dürfte amazon mit der Absicht zielen, das Kunstgeschäft zu entmystifizieren. Vgl. tdz, Kunst für alle, in: www.internetworld.de/Nachrichten/E-Com merce/Handel/Marktplatz-Amazon-Art-eroeffnet-Kunst-fuer-alle-78667.html (zuletzt besucht am 30.8.2013).

Huber tus Kohle: Der Kunstmarkt im Internet

tuellen Zugangsbarrieren einigermaßen hoch erscheinen lässt. Es spricht vieles dafür, dass diese Institutionen auf Dauer besser überlebensfähig sind, wenn sie sich darum bemühen, diese Barrieren abzusenken – und dies insbesondere auch über den Einsatz von social media angehen. Eine Galerie zu betreten, erfordert für den habitué nicht viel, der Durchschnittsmensch muss sich aber überwinden. Das fällt im Internet weg. Abschätzige Blicke und herablassende Ansprachen sind hier nicht zu erwarten, zudem ist die Auswahl natürlich viel größer als in einer echten Galerie. Das hat im übrigen auch eine Konsequenz, die auf eine systematische Ermächtigung des Kunden gegenüber dem Verkäufer hinausläuft. Denn die Preisvergleichsmöglichkeiten verbessern sich jetzt exponentiell. Und auch, wenn im Unterschied etwa zum antiquarischen Buchmarkt, wo nur im Erhaltungszustand unterschiedliche Exemplare eines Buches nebeneinanderstehen und sich allzu deutliche Preisunterschiede verbieten, ein Kunstwerk immer ein unnachahmbares Einzelwerk ist: Die Möglichkeiten des Käufers, einen Galeristen mit dem Hinweis auf ganz ähnliche Werke des gleichen Künstlers in deutlich niedrigerem Preisbereich unter Druck zu setzen, häufen sich.17 Dabei haben die technischen Möglichkeiten zuweilen einigermaßen abstruse Konsequenzen: So können bei artsy (www.artsy.net) die Werke nach allen möglichen Kriterien gefiltert werden, unter anderem auch nach der Farbe, die bequem aus einem Farbspektrum heraus anzusteuern ist. Es werden dann nur solche Arbeiten ausgegeben, die einen größeren Anteil dieser Farbe aufweisen können. Das, was beim Kunstkenner Belustigung verursacht, dürfte andererseits aber nur ein meist verschwiegenes Kaufkriterium bezeichnen, denn wie oft hört man von Menschen, die sich die Kunstwerke an der Wand passend zur Farbe der Tapete und der Möbel aussuchen! Man wird deswegen mit einem gewissen Recht (und hoffentlich ohne der Herablassung geziehen zu werden) von einer Dilettantisierung des Kunstgeschäfts reden dürfen. Der online-Markt gestaltet inzwischen sämtliche Bereiche des Kunsthandels mit. Neben den online nachgebildeten Auktionen, die wiederum mit den im Hochpreis-Bereich wichtigen Telefonbietern immer schon virtuelle Vorläufer hatten, gibt es das web-gestützt simulierte Galeriegeschäft. Daneben denjenigen Unternehmer, der wie amazon ein Vermittlergeschäft zu den Galerien betreibt und zudem die Direktvermittler. Außerdem sind alle möglichen Zwischenformen und Doppelstrategien zu beobachten. Christie’s kennt die Kombination von klassischer und online-Auktion, aber auch online-only, von denen die altehrwürdige Firma in 2013 wöchentlich durchschnittlich eine ausrichten will.18 Die Direktvermittler dürften dabei zumindest für die Künstler die auf den ersten Blick interes17 | Vgl. zu diesem wichtigen Punkt den Kommentar von Isa Bickmann auf http://blog. arthistoricum.net/beitrag/2013/08/19/kunsthandel-online/#commentList (zuletzt besucht am 30.8.2013). 18  |  Vgl. Kunsthandel: Kunst online kaufen wird immer beliebter. Online Art Trade Report, www.artinfo24.com/kunstmarkt/news-1192.html (zuletzt besucht am 30.8.2013).

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santeste Variante darstellen: Nach dem Muster des Modells von James Jarvis’, der in seinem berühmt gewordenen Buch »What would google do?« einen mit dem Internet auf allen Ebenen einsetzenden Niedergang des traditionellen Vermittlers postuliert hatte (vom Buchhändler über den Wohnungsmakler bis hin zum Lebensmittelverkäufer) funktioniert hier Kunsthandel unter Ausschaltung des Galeristen.19 Das heißt nicht, dass der ganze Verkaufserlös beim Künstler landet. Im bekanntesten Fall, saatchionline (www.saatchionline.com), bekommt der Betreiber der Website, der ja in gewisser Weise auch noch ein Vermittler ist, 30 % des Erlöses. Anfänglich hatte Charles Saatchi, dessen Hass auf den gängigen Kunstbetrieb legendär ist, sogar auf jeden Gewinn seinerseits verzichtet. Und hierhin gehören auch Unternehmungen, die ganz neue Vermittlungsmodelle geschaffen haben, welche ohne das Medium Internet eigentlich nur schlecht vorstellbar sind. ArtViatic (www.artviatic.com) ist ein erst 2012 gegründeter Anbieter, der ganz auf Exklusivität setzt und als eine Art peer to peer network arbeitet. Dabei werden Anbieter und Käufer, die einen hohen jährlichen Betrag zahlen müssen, um in dieses Netzwerk eingebunden zu werden, zwecks Vermittlung von Kunstwerken, die von 150.000 Euro an aufwärts kosten, direkt miteinander in Verbindung gesetzt. Das Modell ist auch deswegen interessant, weil es innerhalb des als Massenmedium verschrienen Internets einen Raum des Besonderen restituiert, der in gewisser Weise die Aura des klassischen Kunsthandels konserviert – wenn auch unter ganz anderen Bedingungen. Denn ob andererseits die Jarvissche These im Falle von Kunstwerken so richtig greift, kann durchaus bestritten werden. Kunst ist eben doch mehr als Ware, mehr wenigstens als, sagen wir einmal, eine schnöde Digitalkamera. Sie bezieht ihr Faszinosum aus der Tatsache des Einmaligen und Exklusiven und bedarf entsprechender Pflege. Dazu gehört das intensive Gespräch mit einem Kenner oder einer Kennerin, als die die Galeristen fungieren könnten. Vielleicht auch die Inszenierung in einem gediegenen Ambiente, wobei gegen letzteres wiederum die Tatsache spricht, dass Galerien auch in der »realen Welt« einen großen Teil ihres Umsatzes auf Kunstmessen machen.20 Daneben und besonders wichtig: Die aktive Bewerbung und Pflege des Künstlernamens, ohne die ein Werk mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Wust der hunderttausendfachen Angebote unentdeckt bleibt. Und vor allem natürlich: Der Echtheitsnachweis, der von Häusern wie dem erwähnten auctionata durch Hinzuziehung eines mehrhundertköpfigen Expertengremiums garantiert werden soll.21 Erst wenn diese – und sicherlich noch manche anderen – Faktoren stimmen, besitzt ein Kunsthänd19  |  Vgl. Jeff Jarvis, Was würde Google tun?: wie man von den Erfolgsstrategien des Internet-Giganten profitiert, München 2009 (zuerst englisch 2009). 20  |  Vgl. Hudson, wie Anm. 4. 21 | Vgl. www.focus.de/digital/internet/dld-2013/digital-star/digital-star-perspectiveauctionataden-kunsthandel-online-bringen_aid_899629.html (zuletzt besucht am 30.8. 2013).

Huber tus Kohle: Der Kunstmarkt im Internet

ler das Renomee, das er braucht, um am Markt bestehen zu können. Vertrauen dürfte ein Wert sein, der im Kunsthandel eine größere Rolle spielt als in allen anderen Bereichen. Dieses Vertrauen aufzubauen aber benötigt Jahre und Jahrzehnte. Manche der erfolgreichsten Galerien und Auktionshäuser sind ja sogar Jahrhunderte alt! Andererseits bietet das Netz und vor allem das interaktive Web 2.0 eine Reihe von Funktionen, die manche der genannten Prozesse simulieren oder sogar besser, auf breiterer Publikumsbasis organisiert durchführen können. Dazu gehören natürlich auch die aus vielen anderen Bereichen bekannten Bewertungsmöglichkeiten, mit denen ein Kunde seine Zufriedenheit mit einem Unternehmen registrieren kann. Die Strategien, mit denen der online-Kunsthandel darüber hinaus einerseits effektiver zu funktionieren, andererseits die Aura des alten Kunstbetriebs zu übernehmen trachtet, sind in den WebPräsenzen der unterschiedlichen Anbieter zu erkennen. Saatchionline steht an dieser Stelle für das Genre des Direktvermittlers. Künstler können hier ohne weitere Hürde ihre Werke hochladen und einem weltweiten Publikum zum Kauf anbieten. Rebecca Wilson, die bei Saatchi selbst eine einflussreiche Rolle innehat, aber auch die online-Variante mitbetreibt, hat ohne falsche Bescheidenheit dazu gesagt, man verkaufe dort »more in a month online than most bricks-and-mortar galleries sell in a year.«22 Interessant ist vor allem die Abteilung »Collections«. Der riesigen Masse der Einzelwerke (es sollen um die 200.000 sein23) soll mit diesen Collections eine gewisse Struktur vermittelt werden, die das Angebot vom Vorwurf des Massenlagers befreit. Die »Collections« sind Zusammenstellungen von Kunstwerken nach bestimmten formalen oder inhaltlichen Kriterien, die in erster Linie von kunsthistorisch geschulten Mitarbeitern von saatchionline vorgenommen werden. Damit führt der Anbieter eine Bewertungskomponente ein, die dem Angebot die Beliebigkeit nimmt und ihm gleichsam Sinn zuweist. Die Gestalt solcher »Collections« dürfte allerdings Traditionalisten eher abschrecken. Denn wenn hier »Collections inspired by Kandinsky« eingerichtet werden, dann scheint doch einer billigen Oberflächenphänomenologie gehuldigt, die zwar viel über gängiges Kunstverständnis aussagt, aber jede tiefere künstlerische Identität missachtet. Paddle8 (http://paddle8.com/) versteht sich als Auktionshaus, das Kunstwerke von »international renommierten Künstlern« versteigert. Wie die meisten anderen online-Kunsthänder auch, bedient es sich extensiv der sozialen Medien. Auf twitter hat es inzwischen über 8000 follower, das heißt einen Kanal, auf dem es Interessierte zwanglos kontaktieren und Geschichten zu den von der Galerie vertretenen Künstlern anbieten kann. Auch dies kann man zwanglos als einen Versuch der Sinnvermittlung verstehen. Andere Anbieter schaffen hier noch erheblich mehr, etwa artsy, das mehr als 50.000 follower zu bieten hat. Zudem gibt 22  |  Vgl. Hudson, wie Anm. 4. 23 | Vgl. ebd.

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es ein weblog, auf dem ebenfalls locker über gehandelte Künstler berichtet wird. Mit einer Funktion wie »most viewed« kann sich der Interessierte sicher sein, das zu kaufen, was mainstream ist, »ending soon« erinnert an profane Verkaufsplattformen wie ebay, das übrigens ebenfalls Kunst im Angebot hat. Denn bei ebay wird alles versteigert, wieso nicht auch Kunst? So zwiespältig das Bild in der Summe auch ist: Es besteht keinerlei Anlass, den online organisierten Kunsthandel zu verharmlosen oder sich gar über ihn lustig zu machen. Davor sollte schon der Erfolg von amazon warnen, das am Anfang noch belächelt wurde, inzwischen aber als so bedrohlich empfunden wird, dass das Ende einer kultivierten Welt unmittelbar bevorzustehen scheint. Wichtiger als der Gegensatz von online- und offline Kunsthandel dürfte in jedem Fall die Vielfältigkeit der Anbieter sein – ob im Internet oder in the real world. Dass diese im Internet eher bedroht ist, zeigt eben gerade amazon, das sich immer mehr zum Monopolisten entwickelt. Es liegt auch am Kunsthandel selber, dieser Entwicklung durch möglichst vielfältige Geschäftsmodelle entgegenzuwirken. Erst dann nämlich wird eines der großen Versprechen des Internets Wirklichkeit: jedem Interessierten eine Möglichkeit zu bieten, dem individuellen Geschmack gemäß Kunst zu rezipieren.

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Projektmanagement im Kunstmarkt. Das Beispiel Ausstellungsorganisation Barbara Alder/Linda Frenzel

1. E inführung Laut der statistischen Gesamterhebung des Instituts für Museumsforschung aus dem Jahr 2010 gibt es in Deutschland 6.281 Museen, in denen Ausstellungsprojekte realisiert werden (vgl. Institut für Museumsforschung 2010). Zudem finden auch in Galerien, Auktionshäusern oder diversen anderen privaten Sammlungen regelmäßige Ausstellungen statt. Unabhängig von der Größe der jeweiligen Institution und den vorhandenen Ressourcen (Personal, Zeit, Geld etc.) werden Ausstellungsprojekte sinnvollerweise stets durch einen Planungsprozess begleitet. Dieser Planungsprozess beginnt meistens mit der Entwicklung einer Ausstellungsidee und anschließend ergeben sich viele kleinteilige Aufgabenbereiche, die mit Hilfe eines erfolgreichen Projektmanagement systematisiert werden können. Häufig scheitern Ausstellungsideen aber genau an der fehlenden systematischen Planung. Der vorliegende Beitrag soll Projektleiterinnen und Kuratoren von Ausstellungen als Hilfestellung dienen, diesen Herausforderungen zu begegnen. Typische Probleme des Ausstellungsmanagement wie beispielsweise eine zu späte Entwicklung geeigneter Vermittlungskonzepte oder ein Mangel an Kooperationspartnern können verhindert werden. Das Projektmanagement ist eine spezifische Managementmethode, die in den 1950er Jahren in den USA entstanden ist. Die Methode wird in den Wirtschaftswissenschaften, den Ingenieurswissenschaften und der Informatik sowohl in Forschung als auch Organisationsentwicklung, sowie seit den 1990er Jahren auch im Kulturbereich angewendet und weiterentwickelt. Bereits 1996 publizierte Daniela Tobler mit ihrer Abschlussarbeit des Nachdiplomstudiengangs Museologie an der Universität Basel aufgrund ihrer Erfahrungen einen kurzen und verständlichen Leitfaden für die Planung und die Organisation einer Kunstausstellung (vgl. Tobler 1996). Die erwähnte Publikation erörtert grundlegende Überlegungen bei der Planung einer Kunstausstellung. Die wegweisende Veröffentlichung von Armin Klein zum Projektmanagement für Kulturmanager erschien erstmals 2004

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

und wurde mittlerweile bereits in der 4. Auflage veröffentlicht (vgl. Klein 2010). Klein stellt das Projektmanagement im Kulturbereich in seinen Grundzügen dar, vertieft einzelne Instrumente und verdeutlicht diese an Beispielen aus der Praxis. Beide erwähnten Publikationen enthalten aber keine expliziten Beschreibungen der speziellen Aufgaben, die im Rahmen einer Projektleitung für Ausstellungen anfallen. Dazu möchte nun der vorliegende Text einen Beitrag leisten. Im folgenden Kapitel wird zunächst das Projektmanagement vorgestellt und das Aufgabenfeld der Projektleitung beschrieben. Unter anderem wird die Organisation einer Ausstellung, aufgeteilt in einzelne Projektphasen, vertieft. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit im dritten Kapitel ab.

2. D as P rojek tmanagement einer A usstellung Wozu Projektmanagement? Zum Thema Projektmanagement gibt es unzählige Veröffentlichungen. Ingrid Geiger et al. beschreiben beispielsweise das Projektmanagement im Allgemeinen auf eine systematische und gut nachvollziehbare Art und Weise (vgl. Geiger 2009). Das daraus gewonnene Basisverständnis zum Projektmanagement wurde in diesem Beitrag als Ausgangspunkt genutzt und auf das Projektmanagement eines Ausstellungsprojekts übertragen. Geiger verwendet folgendes Begriffsverständnis: »Projektmanagement ist die Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mitteln für die Abwicklung eines Projekts« (ebd., S. 27). Projektmanagement meint also nicht das Erbringen der fachlichen oder inhaltlichen Leistungen wie beispielsweise die Erarbeitung des Ausstellungskonzepts oder die Restaurierung eines Gemäldes, sondern bezieht sich auf das Führen, Koordinieren und Leiten aller Aufgaben, die innerhalb eines Ausstellungsprojekts anfallen. Mit der Methode des Projektmanagement lässt sich bei der Durchführung des Ausstellungsprojekts ... • ... die Komplexität des Vorhabens bewältigen, indem der Lösungsweg vor der Umsetzung des Projekts erarbeitet und entsprechend geplant wird. Wie wird das Ausstellungsprojekt abgewickelt? Wie ist die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten organisiert? Wann muss was erledigt sein? Die Projektleitung erfasst zu Beginn möglichst alle nötigen Arbeitsschritte und klärt (im Idealfall gemeinsam mit den Beteiligten), in welcher Reihenfolge sie zu bearbeiten sind, damit alle Beteiligten ihre Arbeiten termingerecht erledigen können. • ... Transparenz herstellen, indem nachvollziehbar wird, wie (und ob) die Ziele einer Ausstellung erreicht werden. Die Projektleitung stellt sicher, dass die Ziele präzise formuliert sind und an alle Projektmitarbeiter kommuniziert werden. Sind die Ziele der Ausstellung bekannt, lassen sich beispielsweise

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die inhaltlichen Texte oder eine Pressemitteilung einfacher und prägnanter verfassen. • ... das Risiko managen, indem man mithilfe spezieller Methoden Probleme frühzeitig erkennt, sie reduziert und gegebenenfalls die nötigen Gegenmaßnahmen ergreift. Es werden also mögliche »Stolpersteine« im Projektverlauf rechtzeitig aufgedeckt: Was passiert beispielsweise, wenn Leihverträge für wichtige Exponate nicht zustande kommen oder kurzfristig aufgelöst werden. Es muss im Vorfeld geprüft werden, welche Auswirkungen das Fehlen dieser Exponate auf das Ausstellungskonzept haben könnte, um gegebenenfalls einen Notfallplan bereitzustellen (vgl. Geiger 2009, S. 27).

Definition eines Ausstellungsprojekts »Die DIN-Begriffsnorm 69901 definiert ein Projekt sehr allgemein als ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z.B. • • • •

Zielvorgabe zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben projektspezifische Organisation« (Schelle 2010, S. 19).

Nach dieser Definition sind Ausstellungsvorhaben Projekte im klassischen Sinn, denn: • Eine Ausstellung ist ein einmaliges Vorhaben, da sich jede Ausstellung von anderen Ausstellungsvorhaben unterscheidet. • Die Ausstellung muss klar formulierte Ziele haben, damit die Beteiligten auf dieselben Ziele hinarbeiten können. Meistens existieren verschiedene Ziele gleichzeitig. Beispielsweise möchte der Museumsdirektor seine Besucherzahlen erhöhen, die Kuratorin möchte in der Fachwelt Anerkennung gewinnen, der Galerist möchte einen bestimmten Umsatz generieren, die Leiterin des Ausstellungshauses will die Vielfalt ihrer Sammlung zeigen, usw. Die jeweiligen Ziele sollten transparent dargelegt werden, damit mögliche Zielkonflikte beseitigt werden können. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass zweckadäquate Ziele verfolgt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von SMART-Zielen: Die Ziele sollten spezifisch, messbar, akzeptiert (angemessen, anspruchsvoll), realistisch und terminierbar sein. • Sobald die Ausstellungsidee konkret wird und daraus ein Ausstellungsprojekt entsteht, hat das Vorhaben einen definierten Beginn, der in der Regel mit einer sogenannten Kick-off-Sitzung mit allen Beteiligten begangen wird. Mit dem Abbau der Ausstellung, der Rückgabe der Objekte und dem Abschlussbericht liegt ein exakt bestimmtes Ende des Ausstellungsprojekts vor.

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• Die Projektabwicklung eines Ausstellungsprojektes ist vielschichtig und komplex: Es arbeiten viele verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Bereichen mit, beispielsweise der Kunsthistoriker, die Museumstechnikerin, der Mitarbeiter des Marketing, die Grafikerin. Die Abläufe gehen häufig ineinander über, beispielsweise wenn die Texte zu den Werken geschrieben, gelayoutet und gedruckt werden müssen, obwohl die Auswahl der Ausstellungsexponate noch nicht feststeht. • Das Vorhaben ist in ein spezifisches Umfeld eingebettet: Das kulturelle Umfeld des Museums oder der Galerie, welche die Ausstellung organisiert, muss beachtet werden. Bestehen beispielsweise Konkurrenzveranstaltungen? Wie sieht das gesellschaftliche, das politische Umfeld des Ausstellungsortes aus? Welche Konsequenzen haben solche Aspekte auf das Ausstellungsthema, den Eröffnungstermin oder auf die Ausstellungsdauer? • Jedes Ausstellungsprojekt benötigt eine spezifische Organisation, denn die Mitarbeitenden stehen in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen. So ist beispielsweise der Mitarbeiter der Marketingabteilung nur der Leitung dieses Funktionsbereichs unterstellt und nicht primär der Projektleitung zur aktuellen Ausstellung. Auch die Gemälderestauratorin führt eventuell parallel zum Projekt einen eigenen Betrieb, während der Lichttechniker im Museum angestellt ist. Die Rollen, die Aufgaben und die Kompetenzen müssen offen und klar definiert und die Projektorganisation entsprechend strukturiert werden. Es muss allen Beteiligten bekannt sein, wer welche Anweisungsbefugnis hat. • Ausstellungsprojekte stehen in der Regel unter einem hohen Erfolgsdruck: Es gilt terminliche, technische, personelle und finanzielle Einschränkungen zu berücksichtigen. Der Eröffnungstermin steht bereits zwei Jahre im Voraus fest. Zum Schutz der Exponate gibt es klare Bedingungen, welche die Präsentation des Objekts bestimmen. Finanzielle und personelle Ressourcen sind definiert. Solche und andere Einschränkungen beeinflussen den Projektverlauf. • Auch die beste Planung verhindert nicht, dass unvorhersehbare Ereignisse eintreffen können. Ein Exponat wird beim Auf bau beschädigt, obwohl alle Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden sind, ein Sponsor springt plötzlich ab oder eine Projektmitarbeiterin erkrankt – in einem Projektverlauf ist nicht alles planbar. Wichtig ist, diese potenziellen Unwägbarkeiten einzuplanen und entsprechende Alternativen auszuarbeiten. • Ausstellungsprojekte sind risikoreich, weil sie jeweils neuartig sind (jede Ausstellung ist anders) und dynamisch, weil sie komplex und nicht abschließend planbar sind. Um diesen Besonderheiten von Projekten besser begegnen zu können, bietet es sich an, eine Person mit der Leitung des Ausstellungsprojektes zu beauftragen: Die Projektleitung.

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Die Projektleitung und ihre Verantwortung Die Projektleitung muss während des gesamten Projektverlaufs hindurch den Überblick behalten und ist unter anderem verantwortlich für das Einhalten von Terminen und des Budgets. Die Projektleitung weiß, welche Ziele zu verfolgen sind, mit welchen Mitteln sie rechnen kann und wen sie einbeziehen muss. Die Projektleitung führt das Ausstellungsprojekt termingerecht zum Ziel, fällt zum gegebenen Zeitpunkt die nötigen Entscheidungen und trägt insgesamt die Verantwortung für die Projektrealisierung. Die Projektleitung wendet für die Vorbereitung und die Planung des Projekts in der Regel mehr Zeit auf, als für die Begleitung der eigentlichen Realisation der Ausstellung. Der anspruchsvollste Teil liegt für die Projektleitung in den ersten Phasen des Ausstellungsprojekts. Hat die Ausstellung ein gutes Planungsfundament, sind Widrigkeiten, wie zu spät gelieferte Ausstellungsobjekte oder der Ausfall eines Mitarbeiters, zwar noch immer unangenehm und bedeuten einen Mehraufwand, können aber bewältigt werden. Ist das Projekt auf den Weg gebracht und geht es an die Umsetzung, so muss die Projektleitung in Form »personifizierter Verantwortung« in erster Linie das Controlling wahrnehmen (vgl. Schelle 2010, S. 35). Controlling meint die Erhebung, Auf bereitung und Analyse von Daten und Kennzahlen, wodurch Handlungsabläufe transparent werden. Beim Führen eines Ausstellungsprojektes ist neben der klaren Struktur auch die Intuition oder das »Bauchgefühl« gefragt. Beispielsweise kann die Intuition bei der Teamzusammenstellung essenziell sein, denn nur wenn sich das Team fachlich und menschlich ergänzt und gut zusammenarbeitet, wird das Projekt gelingen (vgl. Klein 2011, S. 49). Die Projektleitung hat eine spezifische Rolle und damit andere Aufgaben als beispielsweise ein wissenschaftlicher Projektmitarbeiter. Besonders in kleineren Teams übernimmt die Projektleitung allerdings häufig eine Doppel- oder Mehrfachrolle. Sie ist neben der Projektführung beispielsweise auch für die Organisation des Leihverkehrs der Ausstellungexponate zuständig und setzt die Öffentlichkeitsarbeit um. Umso wichtiger sind das präzise Unterscheiden zwischen den Rollen und das genaue Erfassen der einzelnen Aufgaben. Dies ermöglicht es, die Tätigkeiten voneinander zu trennen und die für die jeweiligen Arbeiten notwendigen Zeitfenster einzuplanen. Dadurch koordiniert die Projektleitung auch ihre eigenen Arbeiten und vermeidet eine Kollision ihrer unterschiedlichen Aufgaben. Die Rolle der Projektleitung sieht in der Praxis sehr verschieden aus (vgl. ausführlicher hierzu Alder/den Brock 2013, S. 91-186), da sich jedes Projekt aufgrund der Rahmenbedingungen, der Ziele und Möglichkeiten stark unterscheiden kann.

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Das Projektteam Die Projektleitung führt das Projektteam. In Ausstellungsprojekten setzt sich das Projektteam in der Regel aus ganz unterschiedlichen Menschen zusammen. Die Mitarbeitenden des Projekts können dabei mehreren Vorgesetzten zugleich unterstellt sein. Ein Beispiel: Der Grafiker erfüllt auch projektunabhängige Aufgaben im Museum und arbeitet damit sowohl der Leitung der Grafikabteilung als auch der Projektleitung der Ausstellung zu. Für die Zeit des Projekts ist es wichtig, mit den jeweiligen Vorgesetzten abzuklären, wie viel Zeit die Beteiligten im Projekt gebunden sind und in welchen Bereichen die Projektleitung weisungsbefugt ist (vgl. ausführlicher hierzu Bemmé 2011, S. 35). Typischerweise sind bei Ausstellungsprojekten folgende Mitarbeiter beteiligt: • der wissenschaftliche Mitarbeiter oder Kurator, der seit vielen Jahren am Museum angestellt ist und die Objekte in den Sammlungen kennt; • die freischaffende Museumspädagogin, die das gesamte Vermittlungsprogramm ausarbeitet; • der Mitarbeiter im Marketing des Museums, der die Werbekampagne entwickelt; • die Praktikantin, die zum ersten Mal einen intensiven Einblick in die Ausstellungsplanung erhält; • der Restaurator, der die Exponate, wenn nötig, bearbeitet; • die Technikerin, die im Museum für die Einstellung der Licht- und Tontechnik zuständig ist; • die Mitarbeitenden an der Museumskasse und in der Sicherheit. Auch wenn hier nur exemplarisch Berufsgruppen genannt werden können, so wird doch eines deutlich: Unabhängig davon, wie sich das Team konkret zusammensetzt, die Beteiligten haben verschiedene Ausbildungen, unterschiedliche Berufserfahrungen und sie alle sprechen unterschiedliche Fachsprachen. Nicht zuletzt deshalb muss die Projektleitung eine kommunikativ starke Person sein, um die verschiedenen Mitarbeitenden miteinander zu vernetzen. Wie bereits erwähnt, ist es dabei für die erfolgreiche Projektabwicklung besonders entscheidend, dass die Beteiligten stets dasselbe Ziel vor Augen haben; dieses sollte zum Projektstart im Team diskutiert und verbindlich festgelegt werden.

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Die Stärken der Mitarbeiter Die meisten Projektteams vereinen vielfältige Charaktere und Kompetenzen, da ganz unterschiedliche Berufsgruppen vertreten sind. Dies hat viele Vorteile, da unterschiedliche Erfahrungswerte, vielschichtiges Wissen und Kreativität aufeinander treffen. Die Projektleitung sollte die Stärken ihrer Mitarbeiter kennen und die Aufgabenpakete entsprechend verteilen. Die Mitarbeitenden werden motiviert, wenn ihnen mitgeteilt wird, wo ihre jeweiligen Stärken liegen und identifizieren sich stärker mit ihrer Aufgabe. Verantwortungen entsprechend der Fähigkeiten und Kompetenzen zu verteilen, sodass sich der jeweilige Mitarbeiter weder über- noch unterfordert fühlt, ist eine der größten Herausforderungen für die Projektleitung.

Die Projektplanung Die Projektleitung arbeitet vom Groben ins Detail und zerlegt das Projekt gedanklich in einzelne Phasen (siehe Abbildung 1), Tätigkeiten und Arbeitsschritte; hilfreich ist hierzu die Erstellung eines Projektstrukturplans (siehe Abbildung 2). Mit Hilfe dieser Methode wird festgelegt, wann welche Arbeiten durch wen erledigt werden müssen: Bis wann beispielsweise muss die Objektliste definitiv stehen, damit die Katalogtexte für den Druck termingerecht geschrieben werden können? Zu welchem Zeitpunkt braucht der Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit die Angaben zur Ausstellung, und welche sind das? Zudem legt die Projektleitung die Organisation des Projekts fest und definiert, welche Mitarbeitende mit welchen Kompetenzen in welchen Arbeitsschritten benötigt werden. Des Weiteren koordiniert die Projektleitung die verschiedenen Mitarbeiter und Aufgaben und stellt die Kommunikation zwischen den Beteiligten sicher. Mit welchem personellen und finanziellen Aufwand wird gerechnet und stimmt dies mit dem Budgetrahmen überein? Wer übernimmt welche Rollen und hat welche Kompetenzen und Verantwortungen? Häufig muss die Projektleitung diese Fragen mit dem Auftraggeber, also dem Museumsdirektor oder auch dem Vorstand einer Stiftung, abstimmen. Zudem ist es sinnvoll, zur Klärung der einzelnen Arbeitsschritte die Projektbeteiligten einzubeziehen, sind sie doch die Fachpersonen in einem bestimmten Gebiet und wissen damit am besten, wie viele Arbeitsschritte nötig sind und wie viel Zeit dafür benötigt wird.

Die Projektphasen eines Ausstellungsprojekts Eine klare Struktur und eine gute Planung sind wesentlich für eine erfolgreiche Projektrealisierung. Im Projektmanagement erfolgt die erste Unterteilung des Vorhabens üblicherweise in Projektphasen (siehe Abbildung 1). Die Unterteilung hilft zu klären, in welcher Projektphase welche Arbeitsschritte wichtig sind. Das wiederum ist hilfreich, um die Arbeiten zu strukturieren, was die Planung,

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Steuerung und Kontrolle erleichtert. Die Phaseneinteilung ist je nach Projektart unterschiedlich. Für Ausstellungsprojekte eignet sich ein Modell mit fünf Phasen, die in der folgenden Abbildung erfasst sind.

Die Betreuung der Partner Im Rahmen eines Ausstellungsprojekts müssen unterschiedliche Partner kontaktiert werden. Dieser Austausch kostet die Beteiligten des Projektteams viel Zeit und es muss bereits vor der ersten Kontaktaufnahme geklärt werden, wer jeden einzelnen Partner betreut. Wenn beispielsweise im Rahmen einer Ausstellung ein Kunstwerk aus einem anderen Museum geliehen wird, werden vielfältige Arbeitsabläufe ausgelöst und unterschiedliche Partner sind involviert: • So wird beispielsweise mit dem Leihgeber ein Vertrag vereinbart, • das Kunstwerk muss von einer Versicherung erfasst • und der Transport muss mit einem Transportunternehmen organisiert werden. Sobald mehrere Mitarbeiter des Projektteams an diesen Arbeitschritten beteiligt sind, muss der Kommunikationsaustausch innerhalb des Teams reibungslos funktionieren. Vor allem Museen bedienen sich daher des Intranets, sodass alle Mitarbeitenden zu jedem Zeitpunkt auf die relevanten Daten (wie z.B. die Bildmaße des Kunstwerks) zugreifen können und ein Austausch von Informationen zu jedem Zeitpunkt möglich ist.

Abbildung 1: Projektphasen einer Ausstellung (Alder/den Brok 2013, S. 21) den Anstoß geben Vorprojektphase

das Angestoßene planen Planungsphase

das Geplante umsetzen Realisierungsphase

die Ausstellung nutzen Folgephase

das Projekt beenden Abschlussphase

Nachfolgend wird idealtypisch beschrieben, welche grundsätzlichen Aspekte in den einzelnen Projektphasen relevant werden.

Das Vorprojekt: »Den Anstoß geben« In der Vorprojektphase geht es unter dem Motto »den Anstoß geben« um die Initialisierung des Vorhabens. Es gibt für die Ausstellung bereits eine Idee oder eine Stoßrichtung – aber noch ist vieles offen. Es stellt sich die übergeordnete Frage, welche Ausstellung inhaltlich zu den Zielen eines Museums, einer Galerie etc. passt. Die Projektleitung erarbeitet in der Vorprojektphase die Grundlagen für die spätere Abwicklung des Projekts. Sie macht sich zur Projektstruktur und

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zu den erforderlichen Ressourcen (Personal, Zeit, Geld etc.) erste Gedanken. Mit dem Auftraggeber, beispielsweise dem Museumsdirektor oder dem Vorstand des Kunstvereins, gilt es unter anderem Folgendes zu klären: Was möchte das Ausstellungshaus mit der Ausstellung erreichen? Welche Wirkung soll die Ausstellung beim Besucher oder in der kunsthistorischen Fachwelt haben? Welche finanziellen Mittel stehen bereit? Wann soll die Ausstellung eröffnet werden? Das Projekt wird mit einer so genannten Kick-Off-Veranstaltung mit den relevanten Mitarbeitern beziehungsweise Stakeholdern gestartet. Stakeholder sind »Personen oder Personengruppen, die am Projekt direkt beteiligt sind, am Projektablauf interessiert sind« (Drews/Hillebrand 2010, S. 187) oder von den Zielen und Ergebnissen der Ausstellung betroffen sind. »Stakeholder wollen Einfluss auf den Projektverlauf haben und die Projektziele mit gestalten« (ebd.). An der Kickoff-Sitzung werden mit den Beteiligten die wichtigsten Fragen geklärt und alle auf denselben Informationsstand gebracht. Erst wenn aus der Ausstellungsidee ein Ausstellungsprojekt gereift ist, beginnt im Sprachgebrauch des Projektmanagement die eigentliche Lebensdauer des Projekts. Jetzt kann mit der Planung begonnen werden. In der Vorprojektphase wird die Ausstellungsidee demnach konkretisiert und das inhaltliche Vorkonzept erstellt. Es wird eine erste «ideale» Werkliste erstellt und es werden Standorte und Besitzverhältnisse ausfindig gemacht (vgl. Tobler 1996, S. 19). Das Vorkonzept kann die Grundlage für Gesuche um finanzielle Unterstützung bilden. Häufig muss der Auftraggeber das Vorkonzept bewilligen – ein erster Meilenstein der darüber entscheidet, ob und wie das Ausstellungsprojekt realisiert werden soll.

Die Planungsphase: »Das Angestoßene planen« In der Planungsphase werden unter dem Motto »das Angestoßene planen« alle Grundsteine inhaltlicher, gestalterischer und planerischer Art für die Umsetzung durch das Projektteam gelegt. Mit dem Vorkonzept und der Auftragserteilung durch die Museumsdirektorin an die Projektleitung ist der Anstoß gegeben – nun verfügt die Projektleitung über die Grundlagen für die Projektsteuerung. In der Planungsphase konkretisiert die Projektleitung schrittweise die Planung. Es werden alle Ressourcen (Personal, Zeit, Geld etc.) für das gesamte Ausstellungsprojekt kalkuliert und erste relevante Fragen geklärt, beispielsweise zur Raumgestaltung, dem Wegeleitsystem und dem möglichen Vermittlungskonzept zur Ausstellung. Die Projektleitung erarbeitet, wie das Projekt gesteuert werden soll. Wann muss wer und worüber informiert sein? Wie wird der Austausch organisiert? Nach welchen Arbeitsschritten ist jeweils ein Meilensteinentscheid sinnvoll? Welcher Mitarbeiter übernimmt welche Aufgaben und erhält welche Kompetenzen? Bis wann müssen welche Arbeitsschritte erledigt sein, damit die nächsten in Angriff genommen werden können? Solche und weitere Fragen klärt die Projektleitung laufend und passt gegebenenfalls den Projektstrukturplan an. Parallel dazu wird das inhaltliche Konzept der Ausstellung ausgearbeitet.

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In diese Phase fällt auch die Organisation des Leihverkehrs einer Ausstellung, die je nach Leihgeber und Herkunft mindestens ein Jahr in Anspruch nimmt. Manchmal benötigt bereits die Behandlung einer Anfrage mehrere Monate bis zu einem Jahr (vgl. Tobler 1996, S. 20). Je nach Größe und Art der Institution sind die Anzahl der notwendigen Planungsprozesse unterschiedlich. Alle grundlegenden Fragen zum Projekt sind am Schluss der Planungsphase geklärt, sodass die Realisierung der Ausstellung umgesetzt werden kann.

Realisierungsphase: »Das Geplante umsetzen« Ist alles geplant, beginnt die Realisierungsphase, in der unter dem Motto »das Geplante umsetzen« die erarbeiteten Ideen aus der Planungsphase Realität werden. Im Gegensatz zur Planungsphase werden externe Partner (Grafiker, Transportunternehmen, Sicherheitspersonal etc.) nun stärker involviert. Die Projektleitung begleitet die Arbeiten koordinierend und achtet darauf, dass die Termine und Kosten eingehalten werden. Regelmäßige Sitzungen und Meilensteine erleichtern die Kommunikation und die Kontrolle. Viele Arbeiten laufen in dieser Phase parallel. Beispielsweise wird das Vermittlungsprogramm ausgearbeitet, das Ausstellungsmobiliar vorproduziert, die Texte werden verfasst, die interaktiven Stationen aufgebaut und so weiter. Die Ankunft der Leihgaben muss vorbereitet und das Auspacken durch eine sachverständige Person garantiert werden (vgl. Tobler 1996, S. 30ff.). Anschließend wird die Ausstellung im Ausstellungsraum (z.B. WhiteCube, inszenatorischer, narrativer oder transformativer Raum) aufgebaut, dabei spielt die Sicherheit der Objekte eine besondere Rolle. Je näher die Eröffnung rückt, desto komplexer werden die Abläufe, desto mehr Leute arbeiten am Projekt, desto größer wird der Zeitdruck und desto höher die Abhängigkeit voneinander. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter des Projektteams die Lichttechnik zu spät bestellt hat, ist davon die Lichttechnikerin betroffen und muss unter Umständen eine Nachtschicht beim Auf bau einlegen. Mit Hilfe eines gut strukturierten Terminplans kann genau dies verhindern werden und die vorhandenen Ressourcen können rechtzeitig und zielführend eingesetzt werden. Mit der Eröffnung der Ausstellung ist die Realisierungsphase abgeschlossen.

Folgephase: »Die Ausstellung nutzen« Ist die Ausstellung eröffnet, beginnt die Folgephase – während der Ausstellungsdauer kann das Produkt, die Ausstellung, genutzt werden. Sie wird besucht, es finden Begleitveranstaltungen (Führungen, Workshops etc.) statt, die Ausstellungsexponate müssen bewacht und gepflegt werden. Was in dieser Phase die Aufgabe der Projektleitung beinhaltet, hängt von den konkreten Abmachungen mit dem Auftraggeber ab. In der Regel sind Projektleitung und Projektmitarbeiter während der Ausstellungsdauer noch mit verschiedenen Aufgaben betraut. Sie sind beispielsweise für Nachbesserungen (z.B. Korrek-

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turen an Ausstellungstexten, der Hängung oder dem Wegeleitsystem) oder für die Durchführung einer ausstellungsbegleitenden Besucherbefragung verantwortlich. Es werden Abschlussrechnungen bezahlt und mit dem nahenden Ende der Ausstellung wird es auch zunehmend sinnvoll, Überlegungen hinsichtlich der Stärken und Schwächen im Projektverlauf anzustellen und zu dokumentieren. Wenn die Ausstellung abgelaufen ist, folgt die letzte Phase im Projektmanagement.

Abschlussphase: »Das Projekt beenden« In die Abschlussphase fallen jene Arbeiten, die zur Beendigung des gesamten Projekts gehören, wie Rückgabe der Objekte, Abbau der Einrichtungen und dergleichen (die Planung dieser Arbeitsschritte gehört jedoch in die Planungsphase). Mit dem Ende der Ausstellung werden die Objekte durch Fachleute sorgfältig aus der Ausstellung entfernt, fachgerecht verpackt und zurück transportiert. Bei großen Leihgaben wird es erforderlich sein, dass externe Kuratoren anreisen und das Objekt beim Transport begleiten. Die in solchen Fällen anfallenden Zusatzkosten müssen von der Projektleitung in der Vorprojektphase unbedingt kalkuliert werden. Die Unterlagen zur Ausstellung werden sortiert und relevantes Material so archiviert, dass die Entstehung und Organisation der Ausstellung zu einem späteren Zeitpunkt nachvollziehbar ist. Die Ausstellung selbst wird gemäß der zu Projektbeginn gesetzten Ziele evaluiert: Dies kann mit Hilfe von Feedbackgesprächen mit den Mitarbeitern, durch eine Besucherumfrage oder durch eine Prüfung von Presseberichten erfolgen. Das Ausstellungsteam wird verabschiedet und es wird ihnen durch die Projektleitung gedankt. Anschließend erstellt die Projektleitung den Abschlussbericht, in welchem die Projektabwicklung zusammengefasst und eine Ergebnisbewertung vorgenommen wird. Dem Abschlussbericht muss der Auftraggeber als letztem Meilenstein zustimmen, bevor er an weitere Leser (z.B. Sponsoren, Kulturpolitiker etc.) geht. Das Projekt wird mit dem Abschlussbericht, zu dem auch die Endabrechnung gehört, beendet. Im Anschluss an die idealtypische Beschreibung der verschiedenen Phasen eines Ausstellungsprojekts wird nachfolgend noch einmal vertiefend auf ausgewählte Aspekte der Projektplanung eingegangen:

Projektstruktur und Projektstrukturplan Mit einem Projektstrukturplan werden zu Beginn des Projekts alle anfallenden Aufgaben erfasst und zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. Klein 2008, S. 87 ff.). Um die einzelnen Arbeitsschritte zu erfassen, werden mit Hilfe von Teammeetings und regelmäßigen Brainstormings alle notwendigen Tätigkeiten erfasst und durch die Zuordnung zu entsprechenden Teilaufgaben und Arbeitspaketen strukturiert. Um die Komplexität innerhalb des Projektmanagement zu reduzieren, ist es sinnvoll, die einzelnen Tätigkeiten und Arbeitspakete den fünf Projektphasen (vgl. Abbildung 1) zuzuordnen.

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Abbildung 2: Projektstrukturplan (Alder/den Brok 2013, S. 34) Ausstellung

Vorprojektphase

Grundlagen im Vorfeld Finanzierung und Vorkonzept

Planungsphase

Projektsteuerung

Realisierungsphase

Steuerung

Feinplanungen

Ausstellung vorproduzieren

Inhaltskonzept

Aufbau im Ausstellungsraum

Umsetzungskonzept

Projekt

Folgephase

Abschluss der Erarbeitung Betreuung der Ausstellung

Abschlussphase

Projektphasen

Ausstellung abbauen und archivieren

Teilaufgaben

Rückschau, Dank, Verabschiedung Abschlussbericht

Eröffnung durchführen

Detailplanungen

Projekt starten

Abläufe planen

Raum, Infrastruktur, Mobiliar

Nachbesserungen

Objektrückgabe

Projekt grob strukturieren

Meilensteine setzen

Texte

Rückschau, Dank, Verabschiedung

Demontage, Entsorgung

vorläufiges Aufräumen und Produktkostenabrechnung

Flohmarkt

Projekt organisieren

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter planen

Projektziele bestimmen

Termine planen

Inhaltliches Vorkonzept erstellen

Kommunikation intern planen

Finanzen planen

Ausstellungseröffnung planen

Objekte, Requisiten Film, Bild, Ton, Computer ... Vermittlungsprogramm vorbereiten

Arbeitspakete

Aufräumen, Archivieren

Dokumentation der Ausstellung Besucherumfrage

Öffentlichkeitsarbeit planen Medienarbeit planen Arbeit mit Schulen planen

Der Projektstrukturplan ist die Basis für alle weiteren Pläne, wie beispielsweise für den Aufwand-, Termin-, Kosten- und Personalressourcenplan, und wird deshalb »Plan der Pläne« genannt. »Er schafft Übersicht und gibt dem Projekt eine Ordnungsstruktur« (Geiger 2009. S.149). Fehlt ein Projektstrukturplan, kann es später beispielsweise zu ungeplanten Terminengpässen kommen, weil wichtige Teilaufgaben zu spät erkannt und in der Folge zu spät bearbeitet werden. Hierdurch kann der Projektverlauf blockiert und insgesamt der Projekterfolg gefährdet werden.

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Teilaufgaben und Arbeitspakete Eine Teilaufgabe ist die Summe der jeweiligen einzelnen Arbeitspakete. Ein Arbeitspaket bildet im Projektstrukturplan die unterste Hierarchiestufe und präzisiert die Teilaufgaben (vgl. Geiger 2009, S.152-153). Ein Arbeitspaket umfasst eine Aufgabe, die es im Projekt zu erfüllen gilt. Es kann durchaus aus mehreren Tätigkeiten bestehen, ist aber klar abgrenzbar von anderen Aufgaben. Die Verantwortung für ein Arbeitspaket ist beispielsweise einer Mitarbeiterin des Projektteams zugeordnet und sie ist für die Erfüllung der Aufgaben verantwortlich. Dies heißt jedoch nicht, dass sie alle Aufgaben selbst übernimmt und bearbeitet, vielmehr kann sie einzelne Tätigkeiten auch an andere Personen delegieren. Das Erfassen der Arbeitspakete ist ein aufwändiger, aber nötiger Vorgang. Dank der präzisen Umschreibung der Aufgaben – »Was muss getan werden und wie muss es getan werden?« – lassen sich die Arbeitspakete später in eine logische Abfolge stellen – »Was muss zuerst erledigt werden?«. So ist erfassbar, welche Arbeitspakete voneinander abhängig sind – »Was muss erledigt sein, damit etwas anderes erarbeitet werden kann?«. Erst danach können die Termine gesetzt und der Terminplan erstellt werden. Zu Beginn des Projekts können häufig nicht alle Arbeitspakete im Detail bestimmt werden, deshalb sollte der Projektstrukturplan bzw. Ablauf- und Terminplan stets modifiziert werden (»rollende bzw. rollierende Planung«). In Abbildung 3 werden beispielhaft die Teilaufgabe »Erstellen eines Audioguides« und die zugehörigen Arbeitspakete vorgestellt. Abbildung 3: Teilaufgabe »Erstellen eines Audioguides« und Arbeitspakete Die Projektleitung plant die Erstellung des Audioguides.

Die Leitung der Gemäldesammlung trifft eine Auswahl der im Audioguide relevanten Exponate.

Ein externes Unternehmen wird mit der Erstellung des Audioguides beauftragt.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeitender erstellt die Texte zu den entsprechenden Exponaten.

Die Leitung der Skulpturensammlung trifft eine Auswahl der im Audioguide relevanten Exponate.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeitender erstellt die Texte zu den entsprechenden Exponaten.

Die zum Exponat erstellten Texte werden redaktionell bearbeitet und im Tonstudio aufgenommen.

Ein fertiger Audioguide entsteht.

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Meilensteine Ein wichtiger Aspekt in der Projektplanung ist ein Meilenstein. »Nach DIN 69901 ist ein Meilenstein ›ein Ereignis besonderer Bedeutung‹. Ein Meilenstein ist ein überprüf bares Zwischenergebnis, das inhaltlich und terminlich definiert ist und eine Gesamtbeurteilung des Projektes erlaubt. Meilensteine markieren den Fortschritt eines Projektes innerhalb der Projektphasen. Deshalb müssen sie eindeutig identifizierbar sein. Sie kennzeichnen das Ende einer Abfolge von Arbeitspaketen, die notwendig sind, um eine nächste Phase (nicht Projektphase), an deren Ende ein weiterer Meilenstein steht, zu beginnen« (Geiger 2009, S. 163164). Meilensteine können unterschiedliche Phasen eines Projekts markieren. Im Idealfall markiert ein Meilenstein den Abschluss eines wichtigen Arbeitsschritts und das Projektteam kann sich neuen Aufgaben zuwenden. Ein Meilenstein gibt den Projektbeteiligten (Projektleitung, Auftraggeber etc.) jedoch ebenfalls die Möglichkeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, um beispielsweise das Projekt durch Zuteilung weiterer Ressourcen zu unterstützen oder – im schlimmsten Fall – das Projekt zu stoppen. Dies beispielsweise dann, wenn bereits in der Vorprojektphase deutlich wird, dass die für die Ausstellung benötigten finanziellen Mittel nicht durch Fundraising eingeworben werden konnten. »Meilensteine sind ein Instrument zur Überwachung des Projektfortschritts und ermöglichen deshalb einen leichten und schnellen Überblick über den Status des Projekts« (Geiger 2009, S. 164). Die Projektleitung oder der Auftraggeber definieren die Meilensteine so, dass sie nicht in zu großen Abständen zueinander liegen. Ein Meilenstein steht immer in Bezug zum Gesamtziel. Regelmäßige Rückmeldungen verhindern, dass »ins Leere« gearbeitet wird. Allerdings müssen die Meilensteine auch wirklich substanzielle Fortschritte des Projekts markieren, da ansonsten ihre Wirkung verloren geht.

Methoden zur Projektsteuerung Für die Steuerungsaufgaben der Projektleitung existieren zahlreiche Methoden (vgl. Drews/Hildebrand 2010). Eine einfache Methode zur Prioritätensetzung sowie eine Auswahl von Instrumenten zur Vorbereitung von Entscheidungen wird im Folgenden vorgestellt (ausführlich hierzu Alder/den Brock 2013). Die Methoden können als Arbeitsinstrumente genutzt und im Verlauf des Projekts je nach Bedarf eingesetzt werden. Zur Prioritätensetzung: • Das Eisenhower-Prinzip geht auf den amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower (1890-1969) zurück und ist eine einfache Methode, sinnvoll Prioritäten zu setzen. Bei dieser Methode wird unterschieden zwischen »wichtig und dringend«, »wichtig, aber nicht dringend«, »dringend, aber nicht

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wichtig« und »unwichtig«. So kann beispielsweise ein für die Ausstellung fehlendes Exponat durch eine zu spät geplante Lieferung als »wichtiger und dringender« Sachverhalt beschrieben werden, während beispielsweise die missglückte Nachbestellung von Postkarten zur Ausstellung als »nicht wichtig und nicht dringend« eingeschätzt wird, da noch ein ausreichender Nachschub im Lager vorhanden ist. Abbildung 4: Eisenhower-Prinzip (Alder/den Brok 2013, S. 18)

WICHTIGKEIT

+

wichtig, aber nicht dringend

wichtig und dringend

In den Zeitplan aufnehmen, terminieren

Ohne Aufschub sofort erledigen

Nicht wichtig, und nicht dringend

dringend, aber nicht wichtig

Als Aufgabe streichen oder allenfalls später machen

die Aufgaben delegieren

-

-

DRINGLICHKEIT

+

In einem ersten Schritt wird eine To-do-Liste erstellt: Was muss alles erledigt sein? Dann werden die Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit geordnet. Im jeweiligen Kästchen steht, wie mit den dort zugeordneten Aufgaben umgegangen werden soll. Zielgerichtet und nach Prioritäten geordnet, kann die Projektleitung nun die entsprechenden Arbeiten erledigen und, um sich von operativen Tätigkeiten zu entlasten, möglichst viele davon an die eingebundenen Mitarbeiter delegieren. Zur Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen: • Das Mind-Mapping eignet sich für das assoziative Ausbreiten eines Themas oder eines Problems. Auf Papier oder in einer Datei werden auf einem Blatt ungeordnet Ideen notiert. Diese Darstellungsweise kann genutzt werden, um all das zu erfassen, was dem Projektteam zu einer Fragestellung in den Sinn kommt. Die Stichworte können beliebig verschoben, gruppiert und sortiert werden. Das schafft Klarheit. • Der Paarweise Vergleich ist eine einfache Methode, um aus einer Vielzahl von gleichwertigen Alternativen die beste Lösung zu finden. Es ist zwar eine subjektive Methode, doch werden die Entscheidungskriterien transparent gemacht. Jede Idee zur Ausstellung wird mit jeder anderen einzeln verglichen. Jedes dieser Paare wird mittels einer festgelegten Skala bewertet. Bei gleicher Bewertung erhalten beide Ideen eine 1, bei »besser« erhält die bessere Idee

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eine 2, die andere eine 0. Die besten Lösungen haben die höchste Punktzahl. • Die SWOT-Analyse zeigt aktuelle Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) sowie potenzielle Chancen/Möglichkeiten (Opportunities) und Risiken (Threats) von Ideen, Vorhaben oder Entscheidungen auf. Die Methode geht beschreibend vor. Die jeweiligen Stärken und Schwächen müssen jedoch mit Fakten untermauert sein. Für das Zusammentragen der Stichworte eignet sich ein Brainstorming. Unter Stärken und Schwächen werden jene Faktoren aufgelistet, die aktuell sind und direkt gesteuert werden können. Chancen und Risiken betreffen zukünftige Faktoren, die nicht direkt gesteuert werden können. Abbildung 5: Beispiel einer SWOT-Analyse für ein Ausstellungsprojekt Gegenwart

Stärken: · Es können Leigaben aus dem Ausland gewonnen werden. Durch das Ausstellungsthema können neue Diskursanalysen angeregt werden. · Es existieren multimediale Vermittlungsangebote zum Ausstellungsthema.

·

Zukunft

Chancen: · Ein Umbau des Museums ist geplant, sodass ·

die Ausstellungsfläche erweitert werden kann. Es wird ein neuer Verlag für die Herausgabe des Ausstellungskatalogs gesucht.

Schwächen: · ·

Die Räumlichkeiten sind zu klein. Die Beleuchtung ist nicht hell genug, doch die Dämmung des Lichts zum Schutz der Exponate notwendig. Der Ausstellungskatalog erscheint erst nach der Eröffnung, da cer Verlag diverse Fristen versäumt hat.

·

Risiken: · Es entstehen sehr hohe Transportkosten

durch die Leihgaben aus dem Ausland. Durch die Erweiterung der Ausslungsfläche werden Grünflächen neben dem Museum zerstört. · Teilweise wird das Museum während des Umbaus geschlossen sein.

·

Die Projektüber wachung: Risikomanagement Nachdem im letzten Abschnitt einige Arbeitsmethoden vorgestellt wurden, sind im Folgenden vier besondere Aspekte des Risikomanagements beschrieben. • Unvorhergesehenes gehört zu jedem Ausstellungsprojekt. Die Planung kann noch so gut sein, es können noch so viele Risiken von Beginn an bedacht werden – an alles lässt sich nie denken, zu komplex ist das Vorhaben. Genau dies muss in der Planung berücksichtigt werden. Das heißt zum Beispiel, dass Termine grundsätzlich nicht zu knapp gesetzt werden sollten. Ein Beispiel hierfür ist die Einreichung der Katalogtexte: Den Autoren wird eine verbindliche Abgabefrist vorgegeben, doch wird ein (den Autoren gegenüber nicht kommunizierter) Zeitpuffer eingeplant, sodass auch eine verspätete Abgabe das Lektorat und den Druck nicht verzögern wird. • Belastung und Stress gehören zu jedem Projektmanagement. Ist die Projektleitung unter hohem Zeitdruck, sollte sie genau das Gegenteil davon tun, was

Barbara Alder/Linda Frenzel: Projektmanagement im Kunstmarkt

sie gerne tun würde: nicht weitereilen, sondern innehalten. Es gilt nun, Prioritäten zu setzen (vgl. Eisenhower-Prinzip), Arbeiten zu delegieren oder gegebenenfalls Aufgaben zu streichen. In solchen Stresssituationen ist es somit entscheidend, dass die Projektleitung unter Abwägung der Vor- und Nachteile Entscheidungen trifft, sodass sie selbst und das Team entlastet werden. • Konflikte und Reibereien gehören dazu, wenn Menschen zusammenarbeiten. Die Projektleitung sollte wahrnehmen, wenn es im Projektteam zwischenmenschliche Probleme gibt und dies mit den Beteiligten ansprechen. Es lassen sich Lösungen finden, wenn alle dazu bereit sind. Ist dies nicht der Fall, muss der Konflikt anders gelöst werden, sei es mit einer personellen Umbesetzung, der Umformulierung einer Aufgabe oder sogar durch die Freisetzung von Personal (vgl. ausführlicher hierzu Hausmann 2011, S. 79). • Entscheidungen fällen ist nicht immer einfach. Gerade die Projektleitung muss jedoch klare Entscheidungen fällen können, damit für einen reibungslosen Arbeitsablauf gesorgt werden kann. Teilweise müssen Entscheidungen getroffen werden, obwohl Grundlagen dazu eigentlich noch fehlen. Werden die Gründe für die Entscheidung den Betroffenen transparent gemacht, können diese ein Verständnis für die Situation entwickeln. Dies erleichtert den Prozess. In manchen Situationen braucht die Projektleitung auch einfach den Mut, zu entscheiden. Häufig wird sie es nicht allen Beteiligten recht machen können.

3. F a zit Der vorliegende Beitrag hat überblicksartig relevante Handlungsfelder im Projektmanagement für Ausstellungen aufgezeigt. Dabei sind die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen im Projektmanagement thematisiert und verschiedene Organisationsmethoden vorgestellt worden. Die im zweiten Kapitel vorgenommene Einteilung des Ausstellungsprojekts in ein Phasenmodell ist elementar und hilft der Projektleitung, im Projektverlauf den Überblick zu behalten. Insgesamt wurde ein idealtypisches Projektmanagement für Ausstellungen vorgestellt, welches auf einzelne Ausstellungsprojekte angewendet und angepasst werden kann. Werden die genannten Methoden eingesetzt, bestehen gute Chancen, dass ein Ausstellungsprojekt zum Erfolg wird.

L iter atur Alder, Barbara/den Brok, Barbara (2013): Die perfekte Ausstellung. Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen. 2., unveränderte Auflage, Bielefeld: transcript Verlag.

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Kunstmarkt III: Management, Recht und Vermittlung

Bemmé, Sven-Oliver (2011): Kultur-Projektmanagement, Kultur- und Organisationsprojekte erfolgreich managen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Deutscher Museumsbund (2013): Ethik und Standards. Siehe hierzu: http://www. museumsbund.de/de/das_museum/ethik_standards (Stand: 27.07.2013). Drews, Günter/Hillebrand, Norbert (2010): Lexikon der Projektmanagement-Methoden. 2. Auflage, Freiburg: Haufe-Lexware GmbH & Co. Geiger, Ingrid K./Romano, Roger/Gubelmann, Josef/Badertscher, Kurt/Pifko, Clarisse (2009): Projektmanagement – Zertifizierung nach IPMA(3.0) – Ebenen D und C. Grundlagen und Kompetenzelemente, Methoden und Techniken mit zahlreichen Beispielen. 2., überarbeitete Auflage, Zürich: Compendio. Hausmann, Andrea (2011): Kunst- und Kulturmanagement, Kompaktwissen für Studium und Praxis. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Institut für Museumsforschung (2010): Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2010 http://www.smb. museum/ifm/dokumente/materialien/mat65.pdf (Stand: 27.07.2013). Klein, Armin (2010): Projektmanagement für Kulturmanager. 4. Auflage, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Klein, Armin (2011): Kompendium Kulturmanagement, Handbuch für Studium und Praxis. 3., überarbeitete Auflage, München: Verlag Franz Vahlen. Schelle, Heinz (2010): Projekte zum Erfolg führen. Projektmanagement systematisch und kompakt. 6., überarbeitete Auflage, München: dtv. Schürmann, Martina (2013): Großes Bibelkino! El Greco im Museum Kunstpalast. Siehe hierzu: http://www.derwesten.de/kultur/grosses-bibelkino-el-greco-immuseum-kunstpalast-id6596867.html (Stand: 27.07.2013). Tobler, Daniela (1996): Planung und Organisation einer Kunstausstellung. Ein Leitfaden. Chur: ICOM-Schweiz.

Autorenverzeichnis

Barbara Alder, Historikerin und Museologin, arbeitete 13 Jahre als Ausstellungskuratorin in einem Mehrspartenhaus in der Schweiz. Sie war für zeit- und kulturgeschichtliche Ausstellung sowie für Kinder-Ausstellungen verantwortlich und arbeitete zudem sechs Jahre als stellvertretende Museumsleiterin. Sie veröffentlichte zusammen mit Barbara den Brok 2012 im transcript Verlag mit »Die perfekte Ausstellung« einen Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen. Heute arbeitet sie als Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kantons- und Stadtentwicklung von Basel-Stadt. Prof. Dr. Nils Büttner ist Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die deutsche und niederländische Kunst- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit sowie die Geschichte von Grafik und Buchillustration. Er studierte Kunstgeschichte, Volkskunde und klassische Archäologie. Wurde an der Georg-August-Universität Göttingen mit einer Arbeit über Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels promoviert und habilitierte sich an der Universität Dortmund mit einer Arbeit über Rubens. Prof. Dr. Dirk Boll, geb. 1970, studierte in Göttingen und Freiburg i.Br. Rechtswissenschaften. Nach dem Referendariat in Stuttgart und Brüssel promovierte er über Strukturen und Rahmenbedingungen der Kunstmärkte. Er begann seine Karriere bei Christie’s 1998 in London. Nachdem er im Jahr 2000 Repräsentant in Stuttgart geworden war, stand er von 2004-2011 der Schweizer Tochterfirma als Geschäftsführer in Zürich vor. Seit 2011 ist er Managing Director Continental Europe von Christie’s mit Sitz in London. Dirk Boll lehrt als Professor für Kulturmanagement in Hamburg. Seine letzte Publikation »ABC der Kunstmärkte« (Hatje Cantz, Ostfildern, 2013) schafft aus der Betrachtung paralleler Einzelmärkte ein Panorama der Kunstmärkte.

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Handbuch Kunstmarkt. Akteure, Management und Vermittlung

Friederike van Delden, geb. 1983, M.A., MLitt., Studium der Kunstgeschichte in London und Düsseldorf; von 2006-2011 Consultant bei der internationalen Kunstberatungsfirma »1858 Ltd. Art Advisory« in London, München und Düsseldorf; derzeit Dissertation über Struktur und Netzwerke des Düsseldorfer Kunsthandels und Ausstellungswesens im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Behrend Finke ist seit über 30 Jahren ausschließlich als selbstständiger Kunstberater und Sachverständiger im gesamten Bundesgebiet sowie im deutschsprachigen Ausland tätig. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Bibliothekswissenschaft sowie mehrjähriger Berufstätigkeit, unter anderem als Übersetzer und Autor von Fachartikeln, wurde er 1984 von der Industrie- und Handelskammer als Sachverständiger für Europäische Gemälde und Plastiken bis 1900 und alter Schmuck öffentlich bestellt und vereidigt. Seit 2004 ist er Vorsitzender des von ihm mit gegründeten Verbandes Unabhängiger Kunstsachverständiger e.V. Linda Frenzel studierte Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Kulturmanagement an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Als Koordinatorin des Studiengangs Kulturmanagement und Kulturtourismus bietet sie Lehrveranstaltungen zum Thema Kunstvermittlung sowie Besucherforschung an und organisiert gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Andrea Hausmann unter anderem das 4. Viadrina Kulturmanagement Symposium. Dr. Felix Ganteführer; Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Fachanwalt für Steuerrecht; Gründer und Senior der Sozietät Dr. Ganteführer, Marquardt & Partner Düsseldorf; zahlreiche Vorträge zu Recht und Steuern im Kontext von Kunst sowie diverse Beratungstätigkeiten in diesem Themengebiet. Beirat der Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Geschäftsführer der Stiftung des Künstlers Adolf Luther, Krefeld. Laufende steuerliche und rechtliche Betreuung einer Anzahl von Kunststiftungen, z.B.: Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Stiftung Museum Kunstpalast (Düsseldorf), Kunststiftung im Museum Ludwig (Köln) und diverser privater Stiftungen. Patrick Glogner-Pilz, Dr. phil., Kulturmanager M.A.; Arbeits-, Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Publikums-/Besucherforschung, Methoden empirischer Kulturforschung, kulturelle Bildung, Kulturpolitik und Kultursoziologie; seit 2007 Akademischer Oberrat und stellvertretender Leiter der Abteilung Kultur- und Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg; von 2001 bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und freier Kulturberater im Netz-

Autorenverzeichnis

werk für Kulturberatung; seit 1997 verschiedene Tätigkeiten und Beratungen in Medien- und Kultureinrichtungen; Gastdozent an Universitäten und Hochschulen in Deutschland, in der Schweiz und in Finnland. Gérard A. Goodrow (geb. 1964 in New Jersey/USA) studierte Kunstgeschichte an der Rutgers University, New Jersey, der City University of New York und der Universität zu Köln. Zu den wichtigsten Stationen seiner Lauf bahn gehören das Museum Ludwig in Köln (1992-1996), das Auktionshaus Christie’s in London (1996-2003) sowie die Leitung der Kunstmessen Art Cologne und Cologne Fine Art (2003-2008). Er hat in den letzten 25 Jahren über 50 Ausstellungen im Inund Ausland organisiert und ist Autor von zahlreichen Publikationen und Vorträgen über Gegenwartskunst und den internationalen Kunstmarkt. Seit 2006 ist er ebenfalls als freiberuflicher Dozent am CIAM – Zentrum für Internationales Kunstmanagement in Köln/Düsseldorf sowie bei der Zeit für Wissen Bildungsgesellschaft in Köln tätig. Prof. Monika Grütters, MdB, in Münster geboren, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft an den Universitäten Münster und Bonn. Sie ist Honorarprofessorin für Kulturmanagement an der Freien Universität Berlin und seit 1998 Vorstand der Stiftung Brandenburger Tor. Von 1995 bis 2005 war sie Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin und als wissenschafts- und kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion tätig. Monika Grütters ist erste stellvertretende Vorsitzende der CDU Berlin. Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags und leitet hier seit 2009 als Vorsitzende den Ausschuss für Kultur und Medien. Rechtsanwalt Dr. Stefan Haupt wurde 1962 in Berlin geboren, studierte Rechtswissenschaften in Leipzig und arbeitet seit 1990 als Rechtsanwalt in Berlin mit eigener Kanzlei mit dem Schwerpunkt Urheber-, Medien- und Verlagsrecht (www.haupt-rechtsanwaelte.de). 1990 Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 1997 diverse Lehr- und Referentenaufträge. Dr. Stefan Haupt hat eine Vielzahl von Beiträgen in Fachpublikationen veröffentlicht. Er ist seit 2006 Herausgeber und Autor der Schriftenreihe »Berliner Bibliotheken zum Urheberrecht« im Verlag Medien und Recht, München. Dr. Stefan Haupt hat eine eigene Kunstsammlung zum Thema Geld (www.sammlung-haupt.de). Prof. Dr. Andrea Hausmann, geb. 1972, Diplom-Kauffrau, Professorin für Kulturmanagement und Leiterin des Masterstudiengangs »Kulturmanagement und Kulturtourismus« an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder); Gründerin der ArtRat | Marketing- und Managementberatung Düsseldorf; Autorin einer Vielzahl an Publikationen zum Kulturmanagement und Herausgeberin der Reihe »Kulturmanagement und Kulturpolitik« im Springer Verlag; Organisatorin des Viadrina Kulturmanagement Symposiums, das alle zwei Jahre in Koopera-

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tion mit namhaften Kultureinrichtungen stattfindet; regelmäßige Gutachterin für wissenschaftliche Institutionen und Fachzeitschriften aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum; Mitglied des Vorstands von Kulturpolitischer Gesellschaft sowie KulturVermitteln e.V. und der Jury des Kulturmarken-Award. Marlies Hummel, seit 1.1.1999 selbstständige Beratertätigkeit, Leitung des Büros Kultur International. Von 1982 bis 1998 Forschung im ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München. Von 1992 bis 1998 Leiterin der Abteilung Strukturanalysen und Kulturökonomie des ifo Instituts mit den Aufgabengebieten »Strukturanalysen« (einschl. Steuern, Subventionen und sonstige staatliche Interventionen, insbesondere bundesstaatlicher Finanzausgleich) sowie »Kultur und Wirtschaft«. Über 100 Veröffentlichungen in allen Forschungsfeldern. Langjährige Lehrtätigkeit an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe für das Fach Kulturökonomik. Korrespondierendes Mitglied der Akademie für Raumplanung, Hannover. Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch, geboren 1961 in Köln, studierte nach einer Ausbildung zur Luftverkehrskauffrau von 1983/84 bis 1987 an den Universitäten Frankfurt a.M. und Göttingen Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie (Magister); 1991 wurde sie an der Georg-August-Universität Göttingen promoviert. 
Bereits mit ihrer Dissertation – Romanische Skulptur als Reflex der kommunalen Entwicklung (Berlin 1994) – bewegte sie sich auf der Nahtstelle zwischen Kunstgeschichte und Geschichte, ein Ansatz, den sie in den folgenden zehn Jahren (von 1991 bis 2001) als wissenschaftliche Referentin am Max-PlanckInstitut für Geschichte in Göttingen weiter verfolgen konnte. An diesem Institut entstand auch ihre Habilitationsschrift über Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter (Göttingen 2005), mit der sie sich 2001 an der Humboldt-Universität zu Berlin habilitierte. Seit dem Sommersemester 2001 lehrt sie am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Materialität und Produktion in der Kunst, die Repräsentation des ›Alter(n) s‹, Bühnenbilder vom 16. bis 19. Jahrhundert, Ikonologie und Methodik sowie Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Für die von ihr konzipierte und durchgeführte deutsch-französische Kolloquienreihe »Zur Methodik der Bildinterpretation« wurde ihr 2002 vom französischen Forschungsministerium der Prix Gay Lussac/Humboldt verliehen. 2009 wurde sie mit dem Lehrpreis der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ausgezeichnet. Seit 2008 ist sie Mitglied des Vorstands der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität.
Seit 2011 ist sie Sprecherin des Graduiertenkollegs 1678 »Materialität und Produktion«, das im April 2012 seine Arbeit aufnahm. Dazu ist sie Sprecherin des HHU-internen Graduiertenkollegs »Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis«.

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Hubertus Kohle, geb. 1959, ist Professor für allgemeine Kunstgeschichte an der LMU München. Er studierte Kunstgeschichte, Romanistik, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Bonn und Florenz und wurde mit einer Arbeit über Denis Diderots Kunsttheorie promoviert. Danach Assistent in Bochum mit Habilitation zu Adolf Menzels Friedrichbildern und Tätigkeit an der Universität Köln. Dr. Thomas Köhler studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Romanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt a.M. Neben seiner Promotion arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Moderne Kunst Frankfurt a.M. und als »curator in residence« am Whitney Museum of American Art. Ein Jahr war er zudem als Programmdirektor von »100 Tage – 100 Gäste« der documenta X in Kassel tätig. Von 1998 bis 2008 arbeitete Thomas Köhler als Leiter für Kommunikation und Visuelle Bildung am Kunstmuseum Wolfsburg, 2005 übernahm er auch die Aufgaben des kommissarischen Leiters. Anschließend war er als Leiter der Sammlungen und des Ausstellungsprogramms sowie als stellvertretender Direktor an der Berlinischen Galerie tätig. Seit 2010 ist Thomas Köhler Direktor der Berlinischen Galerie. Parallel arbeitet er seit 1998 als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, der Universität Hildesheim und der Technischen Universität Braunschweig. Dr. Stefan Lüddemann, geb. 1960, leitet den Themenbereich »Kultur & Service« im Medienhaus Neue OZ/Neue Osnabrücker Zeitung und ist als Kunstkritiker tätig. Stefan Lüddemann lehrt am Fachgebiet Kunst der Universität Osnabrück. Er studierte Germanistik und Geschichte sowie zeitweise Kunstgeschichte und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie Kulturmanagement an der FernUniversität Hagen. Er wurde 2003 an der FernUniversität Hagen mit einer Arbeit über Kunstkritik promoviert. Letzte Buchveröffentlichung: Blockbuster. Besichtigung eines Ausstellungsformats. Ostfildern 2011. Ein Buch zum Thema Kulturjournalismus ist in Vorbereitung. Prof. Dr. Dr h.c. Peter M. Lynen, geb. 1948, leitet das CIAM – Zentrum für Internationales Kunstmanagement – in Köln, das in Kooperation mehrerer Hochschulen derzeit an der Hochschule für Musik und Tanz Köln angesiedelt ist. Gleichzeitig ist er Sekretar der Klasse für Künste der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Düsseldorf und damit einer der Vizepräsidenten dieser Akademie. Seine Lehr- und Forschungsaktivitäten im In- und Ausland beziehen sich vor allem auf das Recht und das Management von Kunst, Kultur und Wissenschaft. Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen ist insbesondere zu erwähnen, dass er 2013 ein dreibändiges Lehrbuch des Kunstrechts veröffentlicht hat, welches sich nicht nur an Juristen, sondern vornehmlich an Künstler und Kunstmanager richtet und die weitgespannten Teilgebiete des Kunstrechts insgesamt erschließt.

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Handbuch Kunstmarkt. Akteure, Management und Vermittlung

Prof. Dr. Jörg Rössel, geb. 1968, ist Professor am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Er studierte Soziologie und Geschichte an der Freien Universität Berlin, Promotion 1999 an der Universität Leipzig, Habilitation 2005 an der Freien Universität Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Empirische Kulturund Kunstsoziologie, soziologische Theorie, Sozialstrukturanalyse sowie Migration und Transnationalisierungsprozesse. Neueste Veröffentlichungen: Quality Classifications in Competition. Price Formation in the German Wine Market. In: Beckert/Musselin (Hg.): Constructing Quality. Oxford: Oxford UP, 2013. (mit Jens Beckert). Europeanization without European Union? The Case of Binational Marriages in Switzerland. In: Population, Space and Place, 2013 (mit Julia Schroedter). The Price for Art. Uncertainty and Institutions in the Art Market. In: European Societies 15, 2013: 178 – 195 (mit Jens Beckert). Sozialstrukturanalyse. Eine kompakte Einführung. Wiesbaden: VS, 2009. Dr. Dr. Thomas Rusche, geboren 1962 in Oelde Münsterland, ist Textilunternehmer, promovierter Wirtschaftswissenschaftler, promovierter Philosoph, bekennender Katholik und Kunstsammler. Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Katholische Theologie an der Université de Fribourg und an der Freien Universität Berlin. Thomas Rusche unterrichtet an der Freien Universität Berlin Wirtschaftsethik und an der WHU – Otto Beisheim School of Management, Unternehmensethik. Seit 1996 ist Thomas Rusche, in vierter Generation, alleiniger geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens SØR in Oelde, welches heute mit 60 Niederlassungen in ganz Deutschland Damen- und Herrenbekleidung im Premiumsegment anbietet. Die knapp 4.000 Exponate umfassende SØR Rusche Sammlung Olede/Berlin stellt Niederländische Meister des 17. Jahrhunderts in den Dialog mit Kunst der Gegenwart. Jun.-Prof. Dr. Ulli Seegers, geb. 1970, lehrt Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung in Museum und Kunsthandel an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften in München, Bochum und Stuttgart wurde sie 2002 mit einer kunsttheoretischen Arbeit zur Ästhetik der Hermetik promoviert. Von 1999-2001 war sie als Pressereferentin des Bundesverbandes Deutscher Galerien e.V. tätig, von 2001-2008 als Geschäftsführerin der Art Loss Register GmbH. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Kunst der Moderne und Gegenwart, die Geschichte und Theorie des Kunsthandels sowie Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte. Nora Wegner, Kulturmanagerin M.A., Kulturwissenschaftlerin B.A.; Arbeits-, Publikations- und Forschungsschwerpunkte: Publikums-/Besucherforschung, Evaluation im Museums- und Kulturbereich, Museumsmarketing; seit 2003 freiberufliche Tätigkeit mit Büro für Besucherforschung, Evaluation, Kulturmanagement; freie Mitarbeit im Netzwerk für Kulturberatung; seit 2010 Doktorandin

Autorenverzeichnis

bei Prof. Dr. Armin Klein am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg mit einer Dissertation zum Museumspublikum; Lehraufträge an Universitäten und Hochschulen in Karlsruhe, Dresden und Ludwigsburg. Dr. Maren Ziese arbeitet als Leiterin für Bildung & Vermittlung beim Freundeskreis Willy-Brandt-Haus, Berlin. Sie hat Kunstgeschichte und Museum Studies in Berlin, London und New York studiert und über Curating, Kunstvermittlung und Partizipation promoviert (2010 erschienen unter dem Titel: »Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen« im transcript Verlag). Sie war Lehrbeauftragte u.a. an der Freien Universität Berlin und an der Universität Leipzig sowie Dozentin im beruflichen Weiterbildungslehrgang »Museumsmanagement«. Ferner arbeitete sie als Projektleiterin für Kunst- und Kulturvermittlung in Europa bei der Stiftung Genshagen und war als wissenschaftliche Museumsassistentin bei den Staatlichen Museen zu Berlin tätig. Maren Ziese ist Mitbegründerin des Salons für Kritische Kunstvermittlung, der seit 2013 aktuelle Fachfragen der Vermittlung diskutiert. Olaf Zimmermann; Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates; geb. 21.02.1961 in Limburg a.d.Lahn; evangelisch; Volksschule, Hauptschule, Berufsfachschule, Fachoberschule, Volontariat zum Kunsthändler, Kunsthändler, Geschäftsführer verschiedener Galerien; 1987 Gründung einer Galerie für zeitgenössische Kunst in Köln und Mönchengladbach, seit 1991 zusätzlich Journalisten- und Beratungsbüro in Mönchengladbach; seit März 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates e.V. Herausgeber der Zeitung des Deutschen Kulturrates »Politik & Kultur «. In der 14. Legislaturperiode (1998-2002) Leiter der Arbeitsgruppe »Kunst und Kultur« des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eingerichteten »Forums Informationsgesellschaft« und Mitglied der EnqueteKommissionen »Zukunft der Bürgerschaftlichen Engagements« des Deutschen Bundestages. In der 15. Legislaturperiode (2002-2005) Mitglied der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestages. In der 16. Legislaturperiode (2006-2007) Mitglied der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestages.Von Oktober 2011 bis zum Abschluss im Februar 2013 Moderator des Kulturkonvents Sachsen-Anhalt.  Mitglied des Beirates des Erich Pommer Instituts. Mitglied des Stiftungsbeirates der  Kulturstiftung des Bundes.  Projektleiter der Dialogplattform Kulturelle Bildung www.kultur-bildet.de/. Lehraufträge u.a. an der Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar (Studiengang Kulturmanagement).

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MASTER-STUDIENGANG KULTURVERMITTLUNG UNIVERSITÄT HILDESHEIM

Eigene künstlerische Praxis, fundierte wissenschaftliche Methoden, Einbindung in Forschungsprojekte, breites Seminarangebot im größten kulturvermittelnden Studienbereich Deutschlands sowie Aufbau eines professionellen Netzwerks durch vielfältige Projekte mit der kulturellen Praxis. Kulturvermittlung studieren, dort wo sie in enger Anbindung an die Künste und die professionelle Praxis erforscht und weiterentwickelt wird. Forschen Sie mit! Damit aus Kunst kulturelle Werte entstehen

Informationen unter www.uni-hildesheim.de/kulturvermittlung

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen (2., unveränderte Auflage 2013) 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3

Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis Dezember 2014, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9

Birgit Mandel Interkulturelles Audience Development Zukunftsstrategien für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen (unter Mitarbeit von Melanie Redlberger) 2013, 254 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2421-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive November 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-1291-2

Ina Roß Wie überlebe ich als Künstler? Eine Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen (2., unveränderte Auflage 2014) 2013, 192 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2304-8

Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld 2012, 248 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1781-8

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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung 2013, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2381-9

Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen 2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9

Susan Kamel, Christine Gerbich (Hg.) Experimentierfeld Museum Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion Juli 2014, 482 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2380-2

Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork4 Ein Konzept zur Förderung von Partizipation und Selbstorganisation in der Kultur-, Sozial- und Bildungsarbeit September 2014, 352 Seiten, kart., zahl. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2679-7

Klaus Georg Koch Innovation in Kulturorganisationen Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens Februar 2014, 398 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2621-6

Yvonne Leonard (Hg.) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2078-8

Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.) Die Praxis der Ausstellung Über museale Konzepte auf Zeit und auf Dauer 2012, 258 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1862-4

Wolfgang Schneider (Hg.) Künstler. Ein Report Porträts und Gespräche zur Kulturpolitik 2013, 302 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2287-4

Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) 2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6

Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7

Regina Wonisch, Thomas Hübel (Hg.) Museum und Migration Konzepte – Kontexte – Kontroversen 2012, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1801-3

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