Handbuch des Antisemitismus: Band 6 Publikationen 9783110305357, 9783110258721

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German Pages 834 [836] Year 2013

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Handbuch des Antisemitismus: Band 6 Publikationen
 9783110305357, 9783110258721

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Handbuch des Antisemitismus Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart

Handbuch des Antisemitismus Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart Im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin herausgegeben von Wolfgang Benz in Zusammenarbeit mit Werner Bergmann, Rainer Kampling, Juliane Wetzel und Ulrich Wyrwa Redaktion: Brigitte Mihok Band 1 Länder und Regionen Band 2 Personen Band 3 Begriffe, Theorien, Ideologien Band 4 Ereignisse, Dekrete, Kontroversen Band 5 Organisationen, Institutionen, Bewegungen Band 6 Publikationen Band 7 Film, Theater, Literatur und Kunst

Handbuch des Antisemitismus Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart Herausgegeben von Wolfgang Benz

Band 6

Publikationen

De Gruyter Saur

Gefördert von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und der Hans-Böckler-Stiftung. Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Stiftungen dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die AutorInnen die Verantwortung.

ISBN 978-3-11-025872-1 e-ISBN 978-3-11-030535-7

Library of Congress Cataloging-in-Publication A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© Copyright 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston. Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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Vorwort Der sechste Band des Handbuches über Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart versammelt rund 450 Beiträge über antisemitische Publikationen aus aller Welt, die als Periodika wie „Der Stürmer“ oder die „Bayreuther Blätter“, als Einzelschriften wie Martin Luthers „Von den Juden und ihren Lügen“ und „Ains Juden büechlins verlegung“ seines katholischen Widersachers Johannes Eck den Antijudaismus und den Antisemitismus maßgeblich beeinflussten. Ebenso wie den Inkunabeln des Judenhasses, zu denen etwa „Die Protokolle der Weisen von Zion“ zählen oder Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, Semi-Kürschner und Semi-Gotha, Drumonts „La France Juive“ zu rechnen sind, wurden auch Publikationen aufgenommen, deren Ziel der Kampf gegen den Antisemitismus war. Dazu gehören die „Abwehrblätter“, Émile Zolas „J‘accuse!“ oder die C.V.-Zeitung. Von historischen literarischen Mythen wie der Legende von Ahasver, dem „ewigen Juden“, reicht die Skala der Topoi bis zu aktuellen Manifesten der Holocaustleugnung und des Antizionismus. Einschlägige Verlage, deren Programm der Propagierung des Antisemitismus dient, sind in diesem Band zu finden, aber auch Organe und Medien wie die „Gartenlaube“ und der „Osservatore Romano“, deren Zweck nicht unbedingt die Verbreitung der Judenfeindschaft war oder ist, die aber in deren Kontext eine Rolle spielen. Außer den einschlägig bekannten Zeitungen, die Vorurteile pflegten und Hass gegen Juden propagierten wie der „Völkische Beobachter“, Julius Streichers „Stürmer“ oder Joseph Goebbels‘ „Angriff“, gab es nicht nur im deutschen Sprachraum bürgerliche Blätter, denen die Verbreitung des Antisemitismus ein Anliegen war. Dazu gehörten im 19. Jahrhundert in Preußen die konservative „Kreuzzeitung“ ebenso wie die katholische „Germania“, in Italien waren es „Osservatore Cattolico“ und „Cittadino di Mantova“, die „Deutsche La Plata Zeitung“ in Argentinien, die „Deutsche Arbeiterpresse“ in Österreich, „Hrvatski narod“ in Kroatien sind weitere Beispiele. Judenfeindliche Gazetten aus der deutschen Provinz waren der „Miesbacher Anzeiger“, in dem Ludwig Thoma nach dem Ersten Weltkrieg gegen die Juden vom Leder zog oder die nur sporadisch erscheinende Zeitschrift „Auf gut deutsch“, in der Dietrich Eckart womöglich noch derber wütete. Wie aus einer traditionellen Heimatzeitung unter nationalsozialistischer Herrschaft ein antisemitisches Hetzblatt wurde, zeigt der Handbuchartikel über das „Weißenfelser Tageblatt“. Aus Sorge um die Auflage und im Kampf mit der Konkurrenz passte sich die Zeitung den Verhältnissen an, berichtete über „Sittlichkeitsvergehen jüdischer Verbrecher“, hetzte gegen „Stalins Vorliebe für die Juden“ und schrieb über „jüdische Hassfilme in einer amerikanischen Kirche in den USA“, schon ehe das Blatt 1939 in den Besitz der NSDAP überging. Ungleich wirkungsmächtiger war die Zeitung „Dearborn Independent“. Der Autokönig Henry Ford hatte das Wochenblatt 1919 gekauft und machte es zu einem auflagenstarken Sprachrohr der Judenfeindschaft, in dem er persönlich seinem obsessiven Hass gegen die Juden regelmäßig Luft machte. Die durch antisemitische Kampagnen zur zweitgrößten Zeitung der USA aufblühende Gazette bereitete auch die Bahn für den weltweiten Erfolg der „Protokolle der Weisen von Zion“. Wie aufrichtig die Distanzie-

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Vorwort

rung des Industriellen vom Antisemitismus war, die er 1927 verlautbaren ließ, welche Motive seiner Erklärung zugrunde lagen, steht dahin. Der „Dearborn Independent“ war längst der erfolgreichste Wegbereiter bösartiger Judenfeindschaft in den USA. Natürlich müssen auch Kinder- und Jugendbücher Gegenstand der Aufmerksamkeit sein, wenn es um Publikationen geht, die Antisemitismus verbreiten und fördern sollten. So ist dem berüchtigten Bilderbuch aus dem Stürmer-Verlag „Der Giftpilz“ ein Beitrag gewidmet, in einem anderen wird das Buch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud‘ bei seinem Eid“ vorgestellt. Das „Rassebüchlein für die Jugend“ von 1936 aus der Feder des Rostocker Studienrats Rudolf Wiggers gehört wie das Vorlesebuch der NS-Ärztin Johanna Haarer „Mutter erzähl von Adolf Hitler“ zur wirkmächtigen antisemitischen Indoktrinations-Literatur. Neben den Lemmata über Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“ oder Karl Kautskys „Das Judentum“ und Theodor Lessings „Der jüdische Selbsthass“ gibt es Einträge zu Publikationen wie „Die Lösung der Judenfrage“ von Thomas Mann oder zum 1876 erschienenen Traktat Wilhelm Marrs „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“. Die Marco-Polo-Affäre in Japan ist thematisiert, die Wirkungsgeschichte des russischen „Buches vom Kahal“ ist behandelt, die „Süddeutschen Monatshefte“ werden als Träger antisemitischen Gedankenguts analysiert. Selbstverständlicher sind neben vielen anderen die Lemmata „Unsere Aussichten“ (Treitschke), „Jüdische Merkwürdigkeiten“ (Schudt), „Mein Kampf“ (Hitler) oder „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ (Rosenberg). Der herzliche Dank des Herausgebers gilt, wie stets, dem Verlag, dessen Mitarbeiter dem Band alle Sachkunde angedeihen ließen, der Redakteurin Brigitte Mihok, Angelika Königseder für die Schlusskorrektur, den Mitherausgebern und vor allem den 152 Autoren.

Berlin im Februar 2013 Wolfgang Benz

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Inhalt A Das ABC der Antisemiten → Handbuch der Judenfrage Abwehrblätter → Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus L’Action française (Frankreich, 1899–1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Adel und Rasse → Rassenkunde des deutschen Volkes Adversus-Judaeos-Traktate. . . . . . . . . . . . 3 Ahasverus oder die Judenfrage (Constantin Frantz, 1844). . . . . . . . . . . 5 Ains Juden büechlins verlegung (Johannes Eck, 1541) . . . . . . . . . . . . . . 7 Ains Judenbüchleins Widerlegung → Ains Juden büechlins verlegung Die Aktion (1911–1932) . . . . . . . . . . . . . . 9 Al-Yahud wa al-Yahudiya wa alSihyuniya (Abd al-Wahab al-Masiri, 1999). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Alldeutsche Blätter (1894–1939) . . . . . . 11 Allgemeine Konservative → Konservative Monatsschrift Allgemeine Zeitung des Judentums (1837–1922) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Altermedia → Neo-Nazi Internet Blogs Ami d’Israël → Freund Israels Der Angriff (1927–1945) . . . . . . . . . . . . 16 Anschlag gegen den Frieden (Wolfgang Diewerge, 1939) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Anti-Anti-Blätter (1923–1932) . . . . . . . . 20 Der Anticlericus (Friedrich Andersen, 1907). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 L’Antijuif (franz. Algerien, 1897–1902) 23 Antisemita (Kroatien, 1908) . . . . . . . . . . 25 Antisemiten-Brevier (Wilhelm Berg, 1883). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Antisemiten-Catechismus → Handbuch der Judenfrage Antisemiten-Hammer (Josef Schrattenholz/Hrsg., 1894). . . . . . . . . 27 Antisemiten-Katechismus → Handbuch der Judenfrage

L’Anti-Sémitique (Frankreich, 1883–1884). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antisemitische Correspondenz → Deutschvölkische Blätter Antisemitische Hefte (Wilhelm Marr, 1880). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antisemitischer Volkskalender → Kehraus-Kalender Der Antisemitismus – Ein Internationales Interview (Hermann Bahr, 1893) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antisemitismus und Strafrechtspflege (Maximilian Parmod, 1894) . . . . . . . . Arbeiter! Schüttelt das Judenjoch ab → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Arbeitertum (1931–1945) . . . . . . . . . . . . Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (1904–1944) . . . . . . . . . . . . . Ares Verlag → Leopold Stocker Verlag Aspects of Jewish Power in the US → The International Jew Auf dem Judenkirchhof in Prag (Herrmann Goedsche, 1868) . . . . . . . Auf gut deutsch (1919–1921) . . . . . . . . . Das Aufgebot (Schweiz, 1933–1957) . . . Augenspiegel (Johannes Reuchlin, 1511) Aujourd’hui (Frankreich, 1940–1944) . . Die Aula (Österreich, seit 1952) . . . . . . . Die Auschwitz-Lüge (Thies Christophersen, 1973) . . . . . . . . . . . . Der Auschwitz-Mythos (Wilhelm Stäglich, 1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B Baigais Gads (Lettland, 1942) . . . . . . . . 55 Barikád (Ungarn, seit 2007) . . . . . . . . . . 57 Die Bauernschaft (1969–1996) . . . . . . . . 58 Die Bauernwürger (Max Hugo Liebermann von Sonnenberg, 1894) 60 Bayreuther Blätter (1879–1938) . . . . . . . 61 Berliner Punsch → Der kleine Reaktionär Berliner Revue (1855–1873). . . . . . . . . . 64 Blicke in’s Talmud’sche Judenthum (Konrad Martin, 1848) . . . . . . . . . . . . 66

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Inhalt

Blixten (Schweden, 1923–1925). . . . . . . 68 Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (Otto Glagau, 1874–1875; 1876). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Der Bolschewismus von Moses bis Lenin (Dietrich Eckart, 1924) . . . . . . 72 Bonifacius Broschüren (1870–1910) . . . 76 Bonifaciusverlag → Bonifacius-Broschüren Botschaft Gottes (1940) . . . . . . . . . . . . . 77 Die Bremse (1872–1878) . . . . . . . . . . . . 79 Die Brennessel (1931–1938). . . . . . . . . . 81 Briefe bei Gelegenheit (Friedrich Schleiermacher, 1799) . . . . . . . . . . . . 83 Das Buch Isidor → „Isidor“-Bücher Das Buch vom Kahal → Kniga kagala Buchkameradschaft Scharnhorst → Druffel Verlag Bühne und Welt → Deutsches Volkstum C C.V.-Zeitung (1922–1938) . . . . . . . . . . . 86 La Calle (Bolivien, 1936–1946) . . . . . . . 88 Le Chameau → Le Goglu Charlie Hebdo (Frankreich, 1970-1981 und seit 1992) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Christenschutz oder Judenhatz → Nicht Judenhatz – aber Christenschutz Christenschutz – nicht Judenhatz → Nicht Judenhatz – aber Christenschutz Der Christenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1830). . . . . . . . . . . 91 Christentum und Judentum (Walter Grundmann/Hrsg., 1940) . . . . . . . . . . 92 Il Cittadino di Mantova (Italien, 1896– 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 La Civiltà Cattolica (Italien, seit 1850). . 96 Courrier du continent (Schweiz, seit 1946). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Crimes da Franco-maçonaria Judaica (Paulo de Tarso, 1928) . . . . . . . . . . . . 99 La Croix (Frankreich, seit 1880) und Le Pèlerin (Frankreich, seit 1873) . . . . . 101 Cuvântul (Rumänien, 1924–1941) . . . . 103 D Dansk Nationalt Tidsskrift (Dänemark, 1919–1929). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Das ist der Jude! (Dietrich Eckart, 1920). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 The Dearborn Independent (USA, 1919– 1927). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Decretum de consociatione vulgo „Amici Israel“ abolenda → Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ Défense de l’Occident (Frankreich, 1952–1982). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Demokratisches Kampfmittel gegen ausländische Unterwanderung → HALT Deutsch-Soziale Blätter (1890–1914). . 112 Deutsche Annalen → Druffel Verlag Deutsche Antisemiten-Chronik (1894) 113 Deutsche Geschichte → Druffel Verlag Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Heinrich von Treitschke, 1879–1894). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Der Deutsche Heiland → Der Anticlericus Deutsche Hochschullehrerzeitung → Grabert-Verlag Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (1841–1843) . . . . . . . . . . 118 Die Deutsche Kämpferin (1933–1937) 119 Deutsche Kultur-Wacht → Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur Deutsche La Plata Zeitung (Argentinien, 1874–1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Deutsche mit Gott (1941) . . . . . . . . . . . 123 Deutsche Monatshefte für Politik, Geschichte und Wirtschaft → Druffel Verlag Deutsche Nachrichten → Das Deutsche Tageblatt Deutsche National-Zeitung → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Die Deutsche Polizei (1933–1945) . . . . 125 Der Deutsche Polizeibeamte → Die Deutsche Polizei Deutsche Reichspost → Süddeutsche Zeitung Deutsche Rundschau (1874–1964) . . . . 127 Deutsche Schriften (Paul de Lagarde, 1878). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Die Deutsche Schule (1897–1943) . . . . 130

Inhalt Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung (seit 1951). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Deutsche Stimme (seit 1976) . . . . . . . . 134 Das Deutsche Tageblatt (1907–1929). . 136 Deutsche Tageszeitung → Deutschösterreichische Tageszeitung Das Deutsche Volksblatt (Österreich, 1889–1922). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Deutsche Wacht → Antisemitische Hefte Deutsche Wochenzeitung → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Deutsche Zeitung (1896–1934). . . . . . . 139 Deutsche Zeitung im Ostland (1941– 1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Deutscher Anzeiger → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Deutsches Tagblatt → Deutschösterreichische Tageszeitung Deutsches Volkstum (1917–1941) . . . . 142 Deutschland in Geschichte und Gegenwart (seit 1972) . . . . . . . . . . . 144 Deutschlands Erneuerung (1917–1943) 145 Deutschösterreichische Tageszeitung (Österreich, 1921–1933). . . . . . . . . . 146 Deutschvölkische Blätter (1914–1923) 148 Deutschvölkisches Jahrbuch (1920– 1922). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Dialogus (Petrus Alfonsi, ca. 1110) . . . 152 Did six Million really die? (Richard E. Harwood, 1974) . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Diederichs-Verlag → Eugen Diederichs Verlag Difesa della razza (Italien, 1938–1943) 155 Dötz → Deutschösterreichische Tageszeitung Dokumente zur Judenfrage in der Schweiz → Juden werden „Schweizer“ Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift (1891–1920) . . . . . . . 156 Dr. Bloch’s Wochenschrift → Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift Druffel Verlag (seit 1952) . . . . . . . . . . . 158 Dunkelmännerbriefe → Epistolae obscurorum virorum Dürer-Verlag (Argentinien, 1947– 1958). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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Düsseldorfer Monathefte (1847/48– 1860). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 E EDDA → Semi-Gotha Editora Revisão (Brasilien, 1987– 2003). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Edizioni di Ar (Italien, seit 1963) . . . . . 163 Eher-Verlag (1887–1945) . . . . . . . . . . . 164 Der Eidgenosse (Schweiz, 1931–1934) 166 Der Eiserne Besen (Schweiz, 1931– 1943). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Eiserne Blätter (1914–1939) . . . . . . . . . 170 Eisernes Buch Deutschen Adels Deutscher Art → Semi-Gotha Entdecktes Judenthum (Johann Andreas Eisenmenger, 1700) . . . . . . . . . . . . . 171 „Entjudetes“ Gesangbuch → Botschaft Gottes „Entjudetes“ Neues Testament → Botschaft Gottes Die Entjudung des religiösen Lebens (Walter Grundmann, 1939). . . . . . . . 174 Epistolae obscurorum virorum (1515– 1517). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Ernst Schmeitzner Verlag (1874–1886) 177 Errores iudeorum → Pharetra fidei Errores Judaeorum in Thalmut (13. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Das Erwachen der jüdischen Nation (Friedrich Heman, 1897) . . . . . . . . . 180 Der erzwungene Krieg (David L. Hoggan, 1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Es wird Licht! → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Essai sur l’inégalité des races humaines (Arthur de Gobineau, 1853–1855) . . 184 Eugen Diederichs Verlag (seit 1896) . . 185 Europa Verlag GmbH (1922–1953) . . . 187 Europaprogramm der NPD → NPDPublikationen Evangelium im Dritten Reich (1932– 1937). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Der ewige Jude (Hans Diebow, 1938) 192

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Inhalt

F Faksimile Verlag Bremen → Verlag Wieland Körner Der falsche Gott (Theodor Fritsch, 1916). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Faschism pod goluboj swesdoj → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Faschizm pod goluboj swezdoj → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Le Fascist Canadien → Le Patriote Fatir Ziun (Mustafa Tlas, 1983) . . . . . . 196 Fi Zilal al-Qur‘an (Sayyid Qutb, 1952) 197 Fliegende Blätter (1844–1944) . . . . . . . 199 Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (1919– 1922). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Flugschriften im 15. und 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Focal Point Publications (USA, seit 1980). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Der Föderalismus (Constantin Frantz, 1879). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Forschungen zur Judenfrage (1937– 1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Fortalitium fidei (Alonso de Espina, 15. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 La France enchaînée (Frankreich, 1938– 1939). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 La France Juive (Édouard Drumont, 1886). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Francs-Maçons et Juifs → Les juifs, nos maîtres! Franz Eher Nachfolger GmbH → EherVerlag Freie Presse → Deutsche La Plata Zeitung Freiheit! (Österreich, 1895–1900) . . . . 217 Der Freund Israels (Schweiz, seit 1838) 219 Fritt Folk (Norwegen, 1936–1945) . . . . 221 Die Front → Der Eiserne Besen Für die Legionäre → Pentru legionari

Die Gartenlaube (1853–1944). . . . . . . . 224 Das Gebot der Stunde → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert (Jan van Helsing, 1993). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Geheimnisse der Weisen von Zion → Protokolle der Weisen von Zion Die Geißel der Welt (Oskar Liskowsky, 1936). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Germanentum, Christentum → Christentum und Judentum Germania (1871–1938) . . . . . . . . . . . . . 229 Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Germany must perish (Theodore N. Kaufman, 1941) . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Das Gesetz des Nomadentums (Adolf Wahrmund, 1887) . . . . . . . . . . . . . . . 235 Die Gesundheitsführung. Ziel und Weg → Ziel und Weg Der Giftpilz (Ernst Hiemer, 1938) . . . . 236 Gli ebrei in Italia (Paolo Orano, 1937) 238 Glöß-Verlag (1882–1903) . . . . . . . . . . . 240 Göta Lejon (Schweden, 1890–1891) . . 241 Goethe und die Juden → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Le Goglu (Kanada, 1929–1933) . . . . . . 242 Goldene Ratten und rothe Mäuse → Antisemitische Hefte Grabert-Verlag (seit 1974) . . . . . . . . . . 244 Großer Gott wir loben dich (1941) . . . . 245 Gründungsmanifest der NPD → NPDPublikationen Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (Houston Stewart Chamberlain, 1899). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Die Grundlagen des Nationalsozialismus (Alois Hudal, 1936) . . . . . . . . . . . . . 249 Güterschlächterliste (1890). . . . . . . . . . 251

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Gândirea (Rumänien, 1921–1944) . . . . 222 Ganz Israel bürgt füreinander → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

HALT (Österreich, 1980–2006) . . . . . . 253 Hammer (1902–1940). . . . . . . . . . . . . . 254 Handbuch der Judenfrage (Theodor Fritsch, 1887) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Inhalt Hanse Buchwerkstatt → Verlag Wieland Körner Hanseatische Verlagsanstalt (seit 1893) 262 Der Heide (1901) . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Heimatverlag Leopold Stocker → Leopold Stocker Verlag Heimatwehr → Schweizerbanner Helm und Schild (Christian Ludwig Paalzow, 1817) . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Hierarchie der Verschwörer → Das Komitee der 300 Die Hintermänner → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Hirtenbrief über wahren und falschen Nationalismus (Johannes Maria Gföllner, 1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Histoire du cinéma (Maurice Bardèche, Robert Brasillach, 1935). . . . . . . . . . 271 Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland (1838–1923) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Historische Tatsachen (seit 1974) . . . . . 274 Historische Zeitschrift (seit 1859) . . . . 276 Hitler’s War (David Irving, 1977). . . . . 278 Hitler-Rede vom 30. Januar 1939 . . . . . 281 The Hoax of the Twentieth Century → Der Jahrhundert-Betrug Der Hoheitsträger (1937–1944) . . . . . . 282 Hoheneichen-Verlag . . . . . . . . . . . . . . . 283 Der Holocaust auf dem Prüfstand (Jürgen Graf, 1992) . . . . . . . . . . . . . 284 Der Holocaust im Klassenzimmer → Der Holocaust auf dem Prüfstand Horst-Mahler-Online → Verdener Manifest Hrvatski narod (Kroatien, 1939–1940) 285 Huy! und Pfuy! Der Welt (Abraham a Sancta Clara, 1707) . . . . . . . . . . . . . 286 I Im Deutschen Reich → C.V.-Zeitung Im Schatten des Koran → Fi Zilal al-Qur‘an The International Jew (Henry Ford, 1920–1922). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 A Invasão dos Judeus (Mário Saa, 1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

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„Isidor“-Bücher (Joseph Goebbels, 1928 und 1929) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Israel Triumphator! → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Iudajizm bez prykras (Trofim Kitschko, 1963). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 J J. F. Lehmanns Verlag (1890-1979) . . . 294 Das Jahr des Schreckens → Baigais Gads Der Jahrhundert-Betrug (Arthur R. Butz, 1977). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 J’accuse! (Émile Zola, 13. Januar 1898). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Je suis partout (Frankreich, 1930–1940; 1941–1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Jesus der Galiläer und das Judentum (Walter Grundmann, 1940). . . . . . . . 303 Jesus und die Juden (Gerhard Kittel, 1926). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Jesus und die Rabbinen (Gerhard Kittel, 1914). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Jewish Activities in the US → The International Jew Jewish Influences in America → The International Jew Journal of Historical Review (USA, 1980–1986; 1988–2002). . . . . . . . . . 308 Judas der Erz-Schelm (Abraham a Sancta Clara, 1686–1695) . . . . . . . . 310 Judas Herrschgewalt → Rathenau-Hetze Judas Schuldbuch (Paul Bang, 1919) . . 311 Der Jude, das Judentum und die Judaisierung der christlichen Völker → Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens Ein Jude hat geschossen → Anschlag gegen den Frieden Der Jude und der Christ → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Die Juden (Christian Ludwig Paalzow, 1799). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Die Juden, das Judentum und der Zionismus → Al-Yahud wa alYahudiya wa al-Sihyuniya

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Inhalt

Die Juden, Könige unserer Epoche → Les Juifs, rois de l’époque Die Juden – Die Könige unserer Zeit (Otto Böckel, 1887) . . . . . . . . . . . . . 316 Die Juden, unsere Herren → Les juifs, nos maitres Juden hinter Stalin (Rudolf Kommoss, 1938) → Juden hinter Stalin (Johann von Leers, 1942) Juden hinter Stalin (Johann von Leers, 1942). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Die Juden im Heere (Alfred Roth, 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften (Alfred Roth, 1921) . . . . . . . . . . . . . 322 Die Juden in Österreich (Viktor Reimann, 1974) . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Die Juden in USA (Hans Diebow, 1939). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Juden sehen Dich an (Johann von Leers, 1933). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Die Juden und der deutsche Staat (Naudh, 1861). . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Juden und Verbrechen → Judentum und Gaunertum Die Juden und das Wirtschaftsleben (Werner Sombart, 1911) . . . . . . . . . . 332 Juden werden „Schweizer“ (Alfred Zander, 1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Judenflinten → Judenflinten-Broschüre Judenflinten-Broschüre (Hermann Ahlwardt, 1892) . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Die Judenfrage (Bruno Bauer, 1843) . . 338 Die Judenfrage (Gerhard Kittel, 1933) 339 Die Judenfrage (Ernst Dobers, 1936) . . 341 Die Judenfrage (Andreas Amsee, 1939) 343 Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (Eugen Dühring, 1881) 345 Die Judenfrage gegenüber dem deutschen Handel und Gewerbe → Judenhetze oder Nothwehr? Die Judenfrage im Preußischen Abgeordnetenhaus (1880) . . . . . . . . 350 Die Judenfrage in der modernen Welt (Wilhelm Ziegler, 1937) . . . . . . . . . . 351 Die Judenfrage in Politik, Recht, Kultur und Wirtschaft → Mitteilungen über die Judenfrage

Judenhetze oder Nothwehr? (Alexander Pinkert, 1880) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Der Judenkenner (1935–1936) . . . . . . . 355 Der Judenkrieg → Sieg des Judenthums über das Germanenthum Die Judenmacht (1939) . . . . . . . . . . . . . 356 Die Judenschule (Hartwig von HundtRadowsky, 1822/23). . . . . . . . . . . . . 358 Judenspiegel (Hartwig von HundtRadowsky, 1819) . . . . . . . . . . . . . . . 359 Der Judenspiegel (Wilhelm Marr, 1862). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Der Judenspiegel (E. V. von Rudolf, 1937). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Das Judenthum (Karl Kautsky, 1890). . 364 Das Judenthum und der Staat (Hermann Wagener/Hrsg., 1857). . . . . . . . . . . . 365 Das Judentum in der Musik (Richard Wagner, 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Das Judentum in der Rechtswissenschaft → Judentum und Gaunertum Judentum und Gaunertum (Johann von Leers, 1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Judentum, Christentum, Germanentum (Michael Kardinal von Faulhaber, 1934). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Judenviertel Europas (Hans Hinkel, 1939). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Os Judeus e os Protocolos dos Sábios de Sião (Portugal) . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Das Jüdel (13. Jahrhundert) . . . . . . . . . 375 Jüdische Merkwürdigkeiten (Johann Jacob Schudt, 1714 und 1718) . . . . . 376 Der jüdische Ritualmord (Hellmut Schramm, 1943) . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Der jüdische Selbsthass (Theodor Lessing, 1930) . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Die jüdische Weltpest (Hermann Esser, 1927). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Jüdisches und arisches Schach (Alexander Aljechin, 1941) . . . . . . . 381 Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens (Roger Gougenot des Mousseaux, 1869) . . . . . . . . . . . 383 Les juifs, nos maîtres! (Emmanuel Augustin Chabauty, 1882) . . . . . . . . 385 Les Juifs, rois de l’époque (Alphonse Toussenel, 1845). . . . . . . . . . . . . . . . 386

Inhalt Junge Freiheit (seit 1986) . . . . . . . . . . . 387 Junge Kirche (1933–1941) . . . . . . . . . . 389 K Kalender des Preußischen Volksvereins (1863–1882) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Der Kampf gegen das Judenthum (Gustav Stille, 1891). . . . . . . . . . . . . 393 Kampf gegen die Hochfinanz → Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft Kamptegnet (Dänemark, 1939–1943). . 395 Katholische Rundschau → Przeglad Katolicki Kehraus-Kalender (1883–1890/1895) 397 Kikeriki (Österreich, 1861–1933). . . . . 398 Die Kirche Christi und die Judenfrage (1937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Kladderadatsch (1848–1944) . . . . . . . . 403 Klassowaja suschtschnost sionisma → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Das kleine abc des Nationalsozialisten (Joseph Goebbels, 1925) . . . . . . . . . 404 Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes → Rassenkunde des deutschen Volkes Der kleine Reaktionär (1862–1867) . . . 405 Klüter-Blätter → Druffel Verlag Kniga kagala (Jakov Brafman, 1869) . . 407 Knorke → „Isidor“-Bücher Das Komitee der 300 (John Coleman, 1992). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Kompass durch die Judenfrage (Walter Hoch, 1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Konservative Monatsschrift (1879– 1922). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Kräfte hinter Roosevelt (Johann von Leers, 1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Kreuz.net (2004–2012) . . . . . . . . . . . . . 417 Kreuzzeitung (1848–1939) . . . . . . . . . . 418 Kriminalität des Judentums → Judentum und Gaunertum Kritik – Die Stimme des Volkes (seit 1971). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Kroatisches Volk → Hrvatski narod Der Kulturkämpfer (1880–1888) . . . . . 421

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Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus → Volksbuch von Ahasver Kurucinfo (Ungarn, seit 2005) . . . . . . . 422 L Lachen links → Der wahre Jacob Lamed → Der Freund Israels Lehmanns-Verlag → J. F. Lehmanns Verlag Leopold Stocker Verlag (Österreich, seit 1917). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 Leuchter-Report (Fred A. Leuchter, 1988). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Das Lexicon der jüdischen Geschäftsund Umgangs-Sprache (Itzig Feitel Stern, 1832) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Lexikon der Juden in der Musik (Theophil Stengel, Herbert Gerigk, 1940). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 La Libre Parole (Frankreich, 1892– 1924). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 La Libre Parole illustré (Frankreich, 1893–1897). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Linda Sudholt Versandbuchhandlung → Druffel Verlag Linzer Fliegende Blätter (Österreich, 1899–1914). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Die Lösung der Judenfrage (Thomas Mann, 1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Ludendorffs Volkswarte-Verlag (seit 1929). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Lüftl Report → Die Aula Luxemburger Freiheit → National-Echo Luxemburger Wort (Luxemburg, seit 1848). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 M Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft (Gottfried Feder, 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manifesto della razza (Italien, 1938) . . Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud (Sayyid Qutb, 1950). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Polo (Japan, 17. Januar 1995) . . Matze von Zion → Fatir Ziun Der Mauscheljude (1879) . . . . . . . . . . . Mecklenburger Warte → Das Deutsche Tageblatt

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Inhalt

Meggendorfer Blätter → Fliegende Blätter Mein Beweis-Material gegen Jahwe → Der falsche Gott Mein Kampf (Adolf Hitler, 1925/26) . . 449 Miesbacher Anzeiger (1875–1945). . . . 453 Miroir → Le Goglu Mit brennender Sorge (Papst Pius XI., 1937). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus (1891– 1933). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 Mitteilungen des Alldeutschen Verbandes → Alldeutsche Blätter Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur (1929–1931). . . . . . 457 Mitteilungen über die Judenfrage (1937– 1943). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Monatsschrift für das deutsche Geistesleben → Deutsches Volkstum Monatsschrift für Stadt und Land → Konservative Monatsschrift Montagsblatt → Wiener Neueste Nachrichten Montagsfrühblatt der Wiener Neuesten Nachrichten → Wiener Neueste Nachrichten Moreh Zedek→ Mostrador de justicia Moses und Jesus (Friedrich Buchholz, 1803). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Mostrador de justicia (Alfonso von Valladolid, 14. Jahrhundert) . . . . . . . 462 Münchner Beobachter → Völkischer Beobachter El Mundo (Spanien, 5. September 2009). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Mutter, erzähl von Adolf Hitler! (Johanna Haarer, 1939) . . . . . . . . . . 466 Der Mythus des 20. Jahrhunderts (Alfred Rosenberg, 1930) . . . . . . . . . . . . . . . 468 N Nasjonal Samling → Fritt Folk Die Nathanaelfrage unserer Tage (Karl Schwarzmann, 1938) . . . . . . . . . . . . 471 Nation Europa (seit 1951). . . . . . . . . . . 473 National-Echo (Luxemburg, 1936–1937). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

National-Zeitung → Deutsche Soldatenund Nationalzeitung Der nationale Sozialismus (Rudolf Jung, 1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft (Constantin Frantz, 1874). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 Nationalsozialistische Monatshefte (1930–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Nationalt Tidsskrift (Norwegen, 1916– 1945). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Nationen (Schweden, 1925–1941) . . . . 484 Neamul românesc (Rumänien, 1906– 1940). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Neo-Nazi-Blogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Neue Enthüllungen → JudenflintenBroschüre Neue Freie Presse (Österreich, 1864– 1939). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Neue Preußische Zeitung → Kreuzzeitung Das Neue Reich → Schönere Zukunft Neue Republikanische Blätter → Schweizerische Republikanische Blätter Das Neue Volk (Schweiz, 1929–1965) 491 Neuer Judenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1828). . . . . . . . . . 492 Neues Conversations-Lexikon → Staatsund Gesellschaftslexikon Neues Montagsblatt → Wiener Neueste Nachrichten Nicht Judenhatz – aber Christenschutz! (1875–1893) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Der Norden (1921–1944) . . . . . . . . . . . 496 Der Nordische Aufseher → Der Norden Nordische Blätter → Der Norden Nordische Welt (1933–1937) . . . . . . . . 498 Nordische Zeitung (seit 1933) . . . . . . . 499 Den nordiske race (Norwegen, 1920– 1931). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Nordland-Verlag (1933–1945) . . . . . . . 503 Notweg der 131er → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Nouvelle Revue romande (Schweiz, 1922-1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 NPD-Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 505 NS-Frauen-Warte (1932–1945) . . . . . . 508

Inhalt O Obiectiones in Thalmut Judaeorum → Errores Judaeorum in Thalmut Odin (1899–1901). . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Öffnet die Augen ihr deutschen Zeitungsleser → Antisemitische Hefte Der österreichische Volksfreund (Österreich, 1881–1897). . . . . . . . . . 512 Österreichische Wochenschrift → Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift Ordnung in der Judenfrage (1933) . . . . 513 L’Osservatore Cattolico (Italien, 1864– 1907). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 L’Osservatore Romano (Italien, seit 1861). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Ostara (1905–1931) . . . . . . . . . . . . . . . 519 Ostdeutsche Rundschau → Deutschösterreichische Tageszeitung Die Ostjudenfrage (Georg Fritz, 1915) 520 Ostjüdische Zeitung (1919–1937). . . . . 523 Ostoroshno: Sionism → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Ostsee-Rundschau → Der Norden P Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ (25. März 1928) . . . . 525 Der Panzerbär → Der Angriff Parole der Woche (1936–1943) . . . . . . 527 Parteiprogramm der NPD → NPDPublikationen Le Patriote (Kanada, 1933–1938) . . . . . 529 Le Pèlerin → La Croix und Le Pèlerin Pentru legionari (Rumänien, 1936). . . . 530 Le péril social → L’Anti-Sémitique Pharetra fidei (13.-14. Jahrhundert) . . . 531 Der Philister vor, in und nach der Geschichte (Clemens Brentano, 1811). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Philisterrede → Der Philister vor, in und nach der Geschichte Philosophische Betrachtungen über Theologie und Religion (Johann Heinrich Schulz, 1784). . . . . . . . . . . 536 Physiognomische Fragmente (Johann Kaspar Lavater, 1775–1778) . . . . . . 537 Le Pilori (Schweiz, 1923–1940) . . . . . . 539

Politisch-Anthropologische Monatsschrift → PolitischAnthropologische Revue Politisch-Anthropologische Revue (1902–1922) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Bilderbogen (1892–1901) . . Polsutschaja kontrrevoljuzija → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Portugal Cristão-Novo ou Os Judeus na República (Mário Saa, 1921) . . . . . . Porunca Vremii (Rumänien, 1932–1944). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Posener Reden (Heinrich Himmler, 4. und 6. Oktober 1943) . . . . . . . . . . . . Preußische Jahrbücher (1858–1935). . . Die Protokolle der Weisen von Zion (1903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Protokolle Zions → Die Protokolle der Weisen von Zion Przegląd Katolicki (Polen, 1863–1915) Psst...! (Frankreich, 1898–1899). . . . . . Pugio fidei (Ramon Martí, 13. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Putnik po cijelom svijetu (Kroatien, 1907–1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Q Die Quintessenz der Judenfrage → Der Reichs-Herold R Ragnarok (Norwegen, 1935–1945). . . . Rasse (Adolf Bartels, 1909) . . . . . . . . . Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung (1934–1944) . . . . . . . . . . Rasse und Judentum (Karl Kautsky, 1914). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rassebüchlein für die deutsche Jugend (Rudolf Wiggers, 1936) . . . . . . . . . . Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther, 1922) . . . . . . . Rassenkunde des jüdischen Volkes (Hans F. K. Günther, 1929) . . . . . . . Rassenkunde Europas → Rassenkunde des deutschen Volkes Rathenau-Hetze (1922–1925) . . . . . . . .

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Inhalt

Rathenau. „Der Kandidat des Auslands“ → Rathenau-Hetze Recht und Wahrheit (seit 1984) . . . . . . 574 Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks (Friedrich Rühs, 1816). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Rede des Rabbiners → Auf dem Judenkirchhof in Prag Reden an die deutsche Nation (Johann Gottlieb Fichte, 1807–1808). . . . . . . 579 Die Rehoboter Bastards (Eugen Fischer, 1913). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 Das Reich (1940–1945) . . . . . . . . . . . . 583 Der Reichs-Herold (1887–1894). . . . . . 585 Reichs-Sturmfahne → Deutschvölkische Blätter Der Reichsbote (1873–1936) . . . . . . . . 587 Reichshallen-Rede (Ernst Henrici, 17. Dezember 1880) . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Reichspost (Österreich, 1894–1938). . . 590 Der Reichswart (1920–1944) . . . . . . . . 592 Das religiöse Gesicht des Judentums (Walter Grundmann, Karl Friedrich Euler, 1942) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 Rembrandt als Erzieher (August Julius Langbehn, 1890). . . . . . . . . . . . . . . . 595 Remer-Depesche (1991–1994) . . . . . . . 598 Der Republikaner → Schweizerische Republikanische Blätter Revue romande → Nouvelle Revue romande Richter und Antisemiten (Adolf von Thadden, 1959). . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Rola (Polen, 1883–1912) . . . . . . . . . . . 601 Roland Versand Bremen → Verlag Wieland Körner România Mare (Rumänien, seit 1990) 602 Die Rote Fahne (1918–1933) . . . . . . . . 605 Die rote Woche → Săptămîna roşie Rudolf-Gutachten (Germar Rudolf, 1991). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 Russofobija (Igor Schafarewitsch, 1989). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Russophobie → Russofobija S Der SA-Mann (1928–1939) . . . . . . . . . 611 Sămănătorul (Rumänien, 1901–1910) 613

Der Samstag (Schweiz, 1904–1914 und 1932–1934). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 Săptămâna roşie (Paul Goma, 2004). . . 615 Die Schildwache (Schweiz, 1912– 1965). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Schimbarea la faţă a României (Emil Cioran, 1936) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Schlesische Rundschau → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Schlesische Volkszeitung (1871–1944) 621 Schmeitzner-Verlag → Ernst Schmeitzner Verlag Schmeitzners Monatszeitschrift (1882– 1883). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Schönere Zukunft (Österreich, 1925– 1941). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 Schriften zur Judenfrage → Judentum und Gaunertum Schulhof-CDs → NPD-Publikationen Der Schulungsbrief (1934–1944) . . . . . 627 Schwarzbuch → Tschornaja Kniga Das Schwarze Korps (1935–1945) . . . . 628 Schweizerbanner (Schweiz, 1925– 1934). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 Schweizerdegen → Juden werden „Schweizer“ Schweizerische Republikanische Blätter (Schweiz, 1917–1961) . . . . . . . . . . . 632 Semi-Gotha (Wilhelm von Witkenberg, 1912–1919). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 Semi-Kürschner → Sigilla Veri Sentinella d’Italia (Italien, seit den 1970er Jahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 Sfarmă Piatră (Rumänien, 1935–1942) 636 Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum (Wilhelm Marr, 1879). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 Sigilla Veri (1913). . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Signal (1940–1945). . . . . . . . . . . . . . . . 643 Simoninis Brief (1806) . . . . . . . . . . . . . 645 Simplicissimus (1896–1944) . . . . . . . . 646 Sionism na slushbe antikommunisma → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Sleipnir (1995–2002) . . . . . . . . . . . . . . 648 So? oder So? – Die Wahrheit über den Antisemitismus (Irene Harand, 1933). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651

Inhalt Social Justice (USA, 1936–1942) . . . . . 652 Sowjetische „antizionistische“ Publikationen (1960er bis 1980er Jahre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Sozialdemokratie und Antisemitismus (August Bebel, 1894) . . . . . . . . . . . . 659 SS-Leithefte (1935–1944). . . . . . . . . . . 661 Staats- und Gesellschaftslexikon (1859– 1867). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 Staatsbriefe (1990–2001) . . . . . . . . . . . 664 Staatsbürger-Zeitung (1865–1926) . . . . 668 Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur (Karl Wick, 1921) 669 Stocker-Verlag → Leopold Stocker Verlag Der Stürmer (1923–1945) . . . . . . . . . . . 671 Stürmer-Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 Sturmblatt → Der kleine Reaktionär Sturmblatt Düppel → Der kleine Reaktionär Süddeutsche Monatshefte (1904–1936) 675 Der Süddeutsche Postillon (1882– 1910). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 Süddeutsche Reichspost → Süddeutsche Zeitung Süddeutsche Zeitung (1913–1934) . . . . 678 Südostdeutsche Tageszeitung (Rumänien, 1941–1945). . . . . . . . . . 681 Die Sünde wider das Blut (Artur Dinter, 1917–1934). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Den Svenske Arbetaren (Schweden, 1888–1892; 1894–1895). . . . . . . . . . 684 T Tägliche Rundschau (1881–1933) . . . . 685 Der Talmudjude (August Rohling, 1871). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 Telegramm → Schweizerbanner Tēvija (Lettland, 1941–1945) . . . . . . . . 688 Tėvynės sargas (Litauen, 1896–1904) 689 Thatsachen zur Judenfrage → Handbuch der Judenfrage Todesursache Zeitgeschichtsforschung → Der Holocaust auf dem Prüfstand Trau keinem Fuchs auf grüner Heid (Elvira Bauer, 1936) . . . . . . . . . . . . . 690 Det tredje Ting (Lorenz Christensen, 1943). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 La Tribuna Popular (Uruguay, 1879– 1960). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694

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Tritsch-Tratsch (Österreich, 1858– 1859). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 Tschornaja Kniga (Wasili Grossman, Ilja Ehrenburg, 1946) . . . . . . . . . . . . . . . 695 Türmer-Kulturreisen → Druffel Verlag Türmer-Verlag → Druffel Verlag Der Turmwart (Schweiz, 1946–1953) 698 U U. Bodung-Verlag (1919–1945) . . . . . . 699 Über den Antisemitismus (Friedrich Engels, 9. Mai 1890) . . . . . . . . . . . . 700 Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht (Friedrich Rühs, 1815). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (Christian Wilhelm Dohm, 1781 und 1783). . . . . . . . . . . . . . . . . 703 Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden (Jakob Friedrich Fries, 1816). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 Über die Judengefahr (Johann Baptist Rusch, 1920). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 Über die Kennzeichnung des Judentums (Achim von Arnim, 18. Januar 1811). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 Über die Religion (Friedrich Schleiermacher, 1799) . . . . . . . . . . . 711 Ungeschminkter Judaismus → Iudajizm bez prykras Unser Kampf gegen Juden → Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud Unser Wille und Weg (1931–1941) . . . 713 Unsere Aussichten (Heinrich von Treitschke, 1879) . . . . . . . . . . . . . . . 714 Unsere Forderungen an das moderne Judentum (Adolf Stoecker, 19. September 1879). . . . . . . . . . . . . . . . 717 Unsere Waffen (1925–1932). . . . . . . . . 720 Uplands-Posten (Schweden, 1905– 1907). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 V O Valor da Raça (António Sardinha, 1915). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 Varpas (Litauen, 1889–1905) . . . . . . . . 723 Das Vaterland (Österreich, 1859–1911) 724

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Inhalt

Veränderung des Antlitzes → Schimbarea la faţă Die Verbrechernatur der Juden → Judentum und Gaunertum Verdener Manifest (5. Februar 2003) . . 726 Verlag der Freunde → Sleipnir Verlag des Turmwart → Der Turmwart Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 Verlag Wieland Körner . . . . . . . . . . . . . 728 Verlagsgesellschaft Berg → Druffel Verlag Versuch über die Ungleichheit der Rassen → Essai sur l’inégalité des races humaines Verteidigung des Abendlandes → Défense de l’Occident Vidi (Schweden, 1913–1931) . . . . . . . . 729 Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (Belgien/ Großbritannien, 1997–2007) . . . . . . 730 14 Jahre Judenrepublik (Johann von Leers, 1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 Die völkische Gestalt des Glaubens (Walter Grundmann/Hrsg., 1943). . . 733 Völkischer Beobachter (1919–1945) . . 735 Volk im Werden (1933–1943). . . . . . . . 736 Volk ohne Raum (Hans Grimm, 1926) 739 Volk und Rasse (1926–1944) . . . . . . . . 741 Volksbuch von Ahasver (1602). . . . . . . 742 Volkswart → Der Judenkenner Volkswille (Ungarn/Rumänien, 1893– 1933). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 Von den Juden und ihren Lügen (Martin Luther, 1543) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 Von deutscher Kunst und Literatur → Sigilla Veri Von Rathenau zu Barmat → RathenauHetze Vowinckel-Verlag → Druffel Verlag W Der wahre Jacob (1877–1878; 1884– 1933). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 Die Wahrheit (1880–1886) . . . . . . . . . . 752 Wandzeitung des österreichischen Abwehrkampfes → HALT

Die Wartburgfeier → Die Germanomanie Was ist der Kern der Judenfrage? (Ernst Henrici, 13. Januar 1881) . . . . . . . . . 753 Der Weg (Argentinien, 1947–1957) . . . 755 Weißenfelser Tageblatt (1813–1945) . . 756 Welt-Dienst (1933–1945) . . . . . . . . . . . 758 Die Weltfront (1926, 1935). . . . . . . . . . 760 Weltherrschaft des Judentums → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes Der Weltkampf (1924–1944) . . . . . . . . 762 Der Weltreisende → Putnik po cijelom svijetu Wenn ich der Kaiser wär’ (Heinrich Claß, 1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 Wesen des Christentums (Adolf von Harnack, 1899/1900) . . . . . . . . . . . . 766 Wider die Juden (Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, 1803) . . . . . . 768 Wider die Sabbather (Martin Luther, 1538). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 Widerstand (1926–1934). . . . . . . . . . . . 774 Wiener deutsche Tageszeitung → Deutschösterreichische Tageszeitung Wiener Kirchenzeitung (Österreich, 1848–1874). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Wiener Neueste Nachrichten (Österreich, 1894–1919; 1925– 1945). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776 Wtorschenije bes oruschija → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Die Wucherpille (1882–1886) . . . . . . . 778 Z Zeitschrift für Geistes- und Glaubensgeschichte → Volk im Werden Ziel und Weg (1931–1945) . . . . . . . . . . 779 Zionistische Protokolle → Die Protokolle der Weisen von Zion Zur Judenfrage (Karl Marx, 1843) . . . . 780

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Register der Personen . . . . . . . . . . . . . . 791 Register der Orte und Regionen . . . . . . 811

L’Action française (Frankreich, 1899–1944)

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Das ABC der Antisemiten → Handbuch der Judenfrage Abwehrblätter → Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus

L’Action française (Frankreich, 1899–1944) Das Presseorgan der gleichnamigen Bewegung „L’Action française“ in Frankreich wurde 1899, am Höhepunkt der Dreyfus-Affäre, als politisch orientiertes Organ für Sympathisanten gegründet: Die Veröffentlichung präsentierte sich zunächst als „Revue de l’Action française“, die zweimal monatlich erschien; mit der Gründung der Tageszeitung „L’Action française“ 1908 wurde sie zur Monatsschrift. Charles Maurras war der wichtigste Vertreter und Vordenker der beiden Veröffentlichungen. In der Tageszeitung trug ein heftiger und polemischer Stil zum raschen Erfolg bei: Er richtete sich hauptsächlich gegen das „Anti-Frankreich“, gegen die Republik, den Parlamentarismus und gegen Juden, vor allem deutsche, so während der von Léon Daudet geführten Kampagne von 1910 bis 1912. Die Zeitung und die Bewegung übten auf diese Weise einen starken Einfluss aus, der über die letztlich begrenzt bleibende Leserschaft weit hinausging (die Auflage vor 1914 erreichte lediglich 20.000 Exemplare). Der von Anfang an in den Vordergrund gestellte Antisemitismus, der auf den Ideen Drumonts, aber auch des sozialistischen Antikapitalismus fußte, war einer der ideologischen Hauptpfeiler: Juden, zusammen mit anderen Inkarnationen des „Anti-Frankreich“ (Freimaurer, Protestanten und „Metöken“) verkörperten hier Ausländer bzw. Kosmopoliten, bestrebt, Frankreich unter Kontrolle zu bringen oder gar zu zerstören. In seiner sehr strukturierten Weltanschauung stellte Maurras, dessen Kenntnisse des Judaismus relativ begrenzt blieben, die Theorie des „staatlichen Antisemitismus“ auf, eines modernen Antisemitismus, der vom traditionellen Antijudaismus geprägt blieb. Juden sollten demnach zentral erfasst werden, um eine Unterscheidung zu ermöglichen; ihr Zugang zu bestimmten beruflichen Tätigkeiten sollte beschränkt werden; auch sollten sie als eigene Nation behandelt werden (im Gegensatz zu den Errungenschaften der Revolutionäre von 1791), da sie keine Franzosen sein und sich auch nicht an das jeweilige Aufenthaltsland binden könnten. Dieser Antisemitismus – der nicht rassistisch war – sah weder Konversion, Ausweisung noch Vernichtung der Juden vor. Während des Ersten Weltkriegs unterstützte die „Action française“ die „heilige Union“ (union sacrée) der politischen Kräfte Frankreichs und enthielt sich jeglicher Angriffe auf die Republik. Die Zeitung, die sich in dieser Zeit stark entwickelte, widmete sich hauptsächlich der Anprangerung von Verrätern und Defätisten, aber auch von Juden, wenn diese im Geschäft mit den Deutschen standen oder auf andere Weise vom Krieg profitierten. In der Zwischenkriegszeit erreichte das Blatt einen beachtlichen Einfluss, der sich aber nicht in den Verkaufszahlen niederschlug (1939 betrug die Auflage nicht mehr als 45.000). Ihre durchaus brillanten und scharfzüngigen Journalisten lösten Polemiken und Affären aus, welche die „Action française“ zu nutzen wusste, um ihr kämpferisches Image zu stärken. Die päpstliche Verurteilung der „Action française“ als Bewegung von 1926 führte zwar zu einer nachhaltigen Schwä-

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L’Action française (Frankreich, 1899–1944)

chung ihres Einflusses, doch blieb die Zeitung weiterhin ihren Grundsätzen treu: integraler Nationalismus, Germanophobie, Xenophobie sowie Sympathie für die faschistischen Regime und ein starker Antikommunismus. Ihr traditioneller Antisemitismus veränderte sich nicht, auch wenn in Maurras’ Augen nun bestimmte jüdische Kriegsveteranen Frankreich im Ersten Weltkrieg Dienste erwiesen haben konnten. Die → „Protokolle der Weisen von Zion“ stießen hier auf wenig Echo, aber die Perspektive einer „jüdischen Heimstätte“ als Ziel des Zionismus und potenzielles Zentrum einer jüdischen Weltverschwörung beunruhigte. Das antijüdische Ressentiment der „Action française“ verstärkte sich mit der Immigration von Juden aus Mittel- und Osteuropa in den 1920er und 1930er Jahren und fand seinen Höhepunkt unter der „Volksfront“-Regierung (Front populaire), als Maurras seine Attacken auf Léon Blum konzentrierte, als Inkarnation des „Anti-Frankreich“, das die Macht in Frankreich übernommen habe. Maurras wurde im Frühjahr 1936 wegen Anstiftung zu physischer Gewalt zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wie die rechtsextremen Ligen wurde auch die Bewegung der Action française verboten, nicht aber die Zeitung, die weiterhin ihren Antisemitismus vertreten konnte, beispielsweise durch die Beiträge von Darquier de Pellepoix. Ende der 1930er Jahre, übrigens nicht ohne beredte Widersprüche, richteten sich die antisemitischen Angriffe der „Action française“ gegen die jüdischen „Kriegsanstifter“, die beschuldigt wurden, Frankreich um jeden Preis in den Krieg gegen Deutschland zu hetzen, und zwar im Namen eines höheren Interesses, das nicht französisch sei. Die vermeintlichen Motive seien Rachepläne gegen den Antisemiten Hitler, aber die Beschuldigten würden dabei gleichzeitig dessen Spiel und auch jenes von Moskau spielen. Daudet zufolge war Herschel Grynszpan extra bevollmächtigt worden, einen Krieg anzuzetteln und eine neue Welle jüdischer Immigration nach Frankreich als Folge der durch seine Tat ausgelösten „Reichskristallnacht“ in Gang zu setzen. Die Devise der „Action française“ lautete demnach: „Kein Krieg für die Juden!“ Sowohl für den Kriegsausbruch als auch für die französische Niederlage von 1940 wurde dementsprechend den Juden die Schuld zugeschrieben. Die Leitung der Zeitung verließ Paris während des französischen militärischen Zusammenbruchs und beendete ihre Flucht im Oktober 1940 in Lyon in der unbesetzten Zone. Die Errichtung des État Français unter der Führung von Marschall Pétain stellte in ihren Augen die „göttliche Überraschung“ (divine surprise) dar: Ideen, die die Zeitung seit vierzig Jahren propagierte, konnten nun verwirklicht werden. Der Antisemitismus wurde tatsächlich zur offiziellen Politik, die antijüdischen Maßnahmen – die Judenstatute von Oktober 1940 und Juni 1941 – schlossen Juden aus dem öffentlichen Leben Frankreichs aus und unterstellten sie der Kontrolle des Commissariat Général aux Questions Juives, dessen erste Verantwortliche aus dem Kreis der „Action française“ stammten. Die gerichtlichen Verfahren, die gegen die „Verantwortlichen“ der Niederlage, die republikanischen „Kriegsanstifter“, vor allem jüdische Persönlichkeiten, eingeleitet wurden, entsprachen den Forderungen der „Action française“, die die verschiedenen Maßnahmen erwartungsgemäß begrüßte. Die ab Sommer 1942 einsetzenden Massendeportationen der Juden Frankreichs wurden allerdings kaum beachtet. Die Entwicklung des Vichy-Regimes und dessen progressives Abgleiten unter volle deutsche Kontrolle gingen mit der Schwächung der „Action française“ einher, denn

Adversus-Judaeos-Traktate

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Maurras galt zu recht als Deutschlandhasser. Die Extremisten der Kollaboration unterstellten ihm gar, den Juden in die Hände zu arbeiten. Hingegen wechselten einige seiner Anhänger in die Widerstandsbewegung über. Maurras hielt trotzdem bis zum Ende zum Regime (und auch über 1944/1945 hinaus), da es die Umsetzung seiner Ideen ermöglicht hätte. Die Niederlage Deutschlands und der Zusammenbruch des État français bedeuteten das Ende der „Action française“: Maurras wurde in Lyon festgenommen und vor Gericht gestellt. Sein Prozess endete im Januar 1945 mit der Verurteilung zu lebenslanger Haft und der Aberkennung der Bürgerrechte. Er selbst meinte dazu: „Dies ist Dreyfus’ Rache!“ In der Nachkriegszeit wurden die royalistischen Thesen von der Zeitschrift „Aspects de la France“ aufgegriffen; der Antisemitismus wurde allerdings aufgegeben.

Dominique Trimbur

Literatur Laurent Joly, Les débuts de l’Action française (1899–1914) ou l’élaboration d’un nationalisme anti-Semite, in: Revue historique 3 (2006), S. 695–718. Laurent Joly, D’une guerre l’autre. L’Action française et les Juifs, de l’Union sacrée à la Révolution nationale, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 59 (2012), 4, S. 97– 123. Jean-Marc Joubert, L’antisémitisme d’État de Charles Maurras, in: Ilana Y. Zinguer, Sam W. Bloom (Hrsg.), L’antisémitisme éclairé. Inclusion et exclusion depuis l’Époque des Lumières jusqu’à l’affaire Dreyfus, Leiden 2003, S. 333–348.

Adel und Rasse → Rassenkunde des deutschen Volkes

Adversus-Judaeos-Traktate Adversus-Judaeos-Traktate sind jene Texte christlicher Autoren, die bereits im Titel als Texte „gegen die Juden“ ausgewiesen werden. Da sich die antijüdischen Aussagen der Kirchenschriftsteller jedoch nicht nur auf die eigens „Adversus Judaeos“ titulierten Texte beschränken, wird diese Bezeichnung in der Retrospektive auch in einem umfassenderen Sinn als gattungsübergreifende Sammelbezeichnung für judenkritische, respektive judenfeindliche Texte überhaupt verwandt (Schreckenberg). Die seit dem 2. Jahrhundert von griechischen, lateinischen und syrischen Kirchenschriftstellern verfassten Adversus-Judaeos-Texte erscheinen als Predigten, Briefe, fiktive Dialoge, Traktate oder Testimonien und wenden sich nicht nur gegen die Juden und das Judentum, sondern auch gegen judaisierende, d. h. mit dem Judentum sympathisierende, Christen. Damit ist bereits offensichtlich, dass die eigentlichen Adressaten der Texte Christen und nicht Juden sind. Der älteste „Adversus-Judaeos“ titulierte Text aus dem 2. Jahrhundert ist nur aus der Literatur bekannt und wurde von dem Rhetor und Apologeten Miltiades aus Kleinasien verfasst, wie Eusebius (gest. 340) in seiner „Kirchengeschichte“ überliefert. Ob die unter dem Titel „Adversus Judaeos“ erschienene und später Cyprian (gest. 258), dem Bischof von Karthago, zugeschriebene Predigt die älteste lateinische Predigt dieses Titels ist, hängt von ihrer nicht unumstrittenen Datierung ab (um 175 oder 3. Jahrhundert).

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Adversus-Judaeos-Traktate

Als erster in Latein schreibender christlicher Schriftsteller wird Tertullian (gest. 220) mit seinem Werk „Adversus Judaeos“ in der lateinischen Kirche traditionsbildend für eine Vielzahl von judenfeindlichen Schriften. In seinem Werk wird bereits das antijüdische Repertoire der christlichen Kirche vor dem Hintergrund der Enterbungs- und Substitutionsthese entfaltet. In Anlehnung an das Buch Genesis, jedoch entgegen der jüdischen Tradition entwirft Tertullian das Bild zweier Völker, nach dem die Brüder Esau und Jakob jeweils das jüdische Volk und das christliche Volk repräsentieren und folglich die Christen die Juden als neues Gottesvolk ablösen. Indem Tertullian weiterhin auf die dem Judentum fremde Unterscheidung zwischen Zeremonialund Moralgesetz rekurriert, wobei Ersteres seit Christus keine Gültigkeit mehr hat und Letzteres im Christentum aufgehoben ist, versucht er die Bedeutung des jüdischen Glaubens herabzusetzen und gleichzeitig die absolute Bedeutung des christlichen Glaubens aus den Schriften des Alten Testaments, deren rechtes Verständnis allein den darin den Juden überlegenen Christen gegeben ist, herzuleiten. Tertullian sucht den Absolutheitsanspruch des Christentums nicht nur unter Rekurs auf die biblischen Schriften zu begründen, sondern stellt ebenso heraus, dass das von Gott abgefallene jüdische Volk zur Bestrafung infolge der Tempelzerstörung in der Zerstreuung lebt, weil es Jesus von Nazareth nicht als Christus erkannt hat. Die Kirche tritt somit das Erbe der von Gott aufgrund ihrer Verfehlungen verworfenen Synagoge an. Bereits bei Tertullian wird das Attribut „jüdisch“ zu einer Chiffre des Falschen und Unwahren. Gegenüber dem bedeutenden Einfluss Tertullians in der antijüdischen Rezeptionsgeschichte spielt die in ihrer Echtheit umstrittene, nur fragmentarisch erhaltene Schrift Hippolyts (gest. 235) „Demonstratio adversus Judaeos“ aufgrund ihrer Abfassung in griechischer Sprache nur eine nachgeordnete Rolle. Von Cyprian (gest. 258), dem Bischof von Karthago, liegt eine in drei Bücher gegliederte Materialsammlung vor, die auch unter dem Titel „Testimoniorum libri adversus Judaeos“ überliefert ist, wobei das erste Buch eine Apologie gegen die Juden bietet. In ihr findet sich der fortlaufende Verweis auf die heilsgeschichtliche Ablösung der Juden durch die Christen ebenso wie auf die Schriftblindheit der Juden, deren Rettung allein die Taufe ermöglicht. In der Tradition der cyprianischen Testimonia steht Isidor von Sevilla (gest. 635), herausragender spanischer Schriftsteller der westgotischen Zeit, mit seiner Schrift „De fide catholica contra Iudaeos“. Von Augustinus (gest. 430), dem bedeutendsten und in der westlichen Kirche einflussreichsten Kirchenvater, ist eine sogenannte Judenpredigt aus dem Jahr 425 unter dem Titel „Adversus Judaeos“ überliefert, die apologetisch ausgerichtet ist und den verworfenen Juden die Möglichkeit der Bekehrung einräumt. Johannes Chrysostomos (gest. 407), der größte Prediger der griechischen Kirche und Bischof von Konstantinopel, verunglimpft in seinem Kampf gegen judaisierende Christen die Juden in einer überaus aggressiven Polemik in einem Zyklus von acht „Adversus Judaeos“ titulierten Reden (Homilien). Um das hohe Ansehen der Juden in Antiochien herabzusetzen und die reale Attraktivität ihrer Religion zu schmälern, bezeichnet er die Juden als Hunde und das Judentum als ansteckende Krankheit sowie ihre Synagoge als Hurenhaus und Räuberhöhle. Wie schon bei Johannes Chrysostomos erfahren auch die späteren Adversus-Judaeos-Schriften neben dem wiederkehrenden Repertoire antijüdischer Stereotype eine ihrer Zeitgeschichte entsprechende Kontextualisierung und mitunter auch verschärfende Aktualisierung.

Ahasverus oder die Judenfrage (Constantin Frantz, 1844)

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So bezieht sich der Cluniazenserabt Petrus Venerabilis (gest. 1158) in seiner durch antijüdische Polemik ausgewiesenen Abhandlung „Adversus Judaeorum Inveteratam Duritiem“ erstmalig ausführlich auf den „Talmuth“ als Sammelbegriff für die zeitgenössische jüdische gelehrte Literatur und leitet damit in ein Themenfeld ein, das knapp einhundert Jahre später mit der Verurteilung des Talmuds durch Juristen und Gelehrte der Pariser Universität seinen vermeintlich ersten Höhepunkt erreichen sollte. Die Adversus-Judaeos-Traktate der Kirchenschriftsteller und ihre Rezeptions- und Wirkungsgeschichte stehen pars pro toto für eine christliche Judenfeindschaft, deren polemische antijüdische Rhetorik über die verbale Ebene der innerchristlichen Glaubenssicherung hinaus eine erhebliche zerstörerische Kraft entfalten konnte, sodass auf die theologische Verurteilung der Juden oftmals die Bedrohung und Vernichtung ihrer physischen Existenz folgte. Die Kirchenschriftsteller, die – nicht nur in den AdversusJudaeos-Traktaten – durch die theologische Herabsetzung der jüdischen Religion sowie die literarisierende, pejorative Konstruktion der Juden die christliche Religion als die einzig wahre legitimieren wollten, dekonstruierten darin jedoch nur a posteriori die eigene Religion.

Matthias Blum

Literatur Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.–11. Jh.), Frankfurt am Main 19994. Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte (11.–13. Jh.); mit einer Ikonographie des Judenthemas bis zum 4. Laterankonzil, Frankfurt am Main 1997³. Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.–20. Jh.), Frankfurt am Main 1994.

Ahasverus oder die Judenfrage (Constantin Frantz, 1844) Die Broschüre „Ahasverus oder die Judenfrage“ von 1844 ist die erste Auseinandersetzung von Constantin Frantz (1817–1891) mit der „Judenfrage“ und eine seiner ersten Publikationen überhaupt. Sie unterscheidet sich von seinen späteren Arbeiten vor allem dadurch, dass er hier in die Debatte um die rechtliche Emanzipation der Juden eingreift. Später geht es ihm um die Auswirkungen der Emanzipation, die er hier noch zu verhindern hofft. Die Broschüre ist bedeutend als eine sehr frühe Schrift mit Elementen des rassischen Antisemitismus. Große Verbreitung fand die Schrift mit ihren 45 Seiten nicht; bis zur Neuausgabe von Hans Elmar Onnau 1994 war weltweit nur ein einziges Exemplar in einer Bibliothek in Cincinnati bekannt. Die Broschüre beginnt mit einer philosophischen Auseinandersetzung um das Wesen des Staates, in der sich Frantz noch wesentlich an Hegel orientiert, den er später zugunsten Schlegels ablehnen sollte. Überhaupt steht hier eher das Wesen des Staates, vor allem Preußens, im Mittelpunkt. Die bürgerliche Lage der Juden wird von Frantz auf den Staatsbegriff bezogen. Der moderne Staat ist für ihn der christliche Staat, der sich aus der Überwindung der antiken Gleichstellung von Nationalgöttern und Staat speist.

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Ahasverus oder die Judenfrage (Constantin Frantz, 1844)

Da nach Frantz der jüdische Gott nichts weiter als einer dieser Nationalgötter ist, „könnte die Judenfrage schon als gelöst erscheinen, [denn] der rechte Jude kann daher nur Staatsbürger sein in einem jüdischen Staate, und wenn nicht in einem jüdischen Staate, überhaupt gar nicht“. Die verbleibenden Seiten widmet Frantz dem praktischen Problem, wie die Stellung der Juden im christlichen Staat geregelt werden solle. Vereinfacht gesagt: Da Nationalität und Religion bei den Juden laut Frantz identisch sind, können sie im christlichen Staat immer nur Fremde bleiben. Sie haben keine eigenen Rechte, sondern werden nur aus Menschenliebe geduldet. Damit dürfen sie kein Staatsamt bekleiden, müssen und dürfen keinen Militärdienst leisten, unterliegen nicht der staatlichen Schulpflicht (sie müssen aber eigene Schulen einrichten) und dürfen selbstverständlich auch keine „Mischehen“ mit Christen eingehen; sie sind Bürger zweiter Klasse. Frantz legt in seiner Argumentation großen Wert auf den christlichen Charakter des europäischen Staates. Handelt es sich also „nur“ um klassischen, religiös bedingten Judenhass, der mit der Taufe sein Ende findet? Mitnichten, denn Frantz geht es nicht um Individuen, sondern um Kollektive. Als Volk insgesamt haben die Juden den Messias verworfen, und das lässt sich nicht individuell abstreifen. „Die Juden werden Juden bleiben bis an’s Ende der Tage, zerstreut unter den Christen.“ Zwar erwähnt Frantz nirgendwo den Begriff der „Rasse“, aber das wäre 1844 auch anachronistisch gewesen. Doch das Schicksal „des“ Juden, als Fremder schlechthin zu gelten, impliziert ein kollektives Schicksal und damit überindividuelle Rasseeigenschaften. Ahasver ist kein Individuum, sondern „[d]as jüdische Volk selbst ist der ewige Jude“, wie es im Schlussabsatz des Werkes heißt. Erst in seinem Untergang kann die Fremdheit aufgehoben werden. Das ist durchaus im Sinne des sonstigen Denkens von Frantz, der mit dem liberalen Individualismus wenig anfangen konnte und wesentlich in Körperschaften dachte, die sich föderativ zu höheren Einheiten verbinden sollten. Dabei waren die Juden geduldet, mehr aber auch nicht. Die von Frantz geforderte Einrichtung eigener jüdischer Behörden erinnert an die Ghettoisierung. Als föderalistischer Theoretiker allerdings, der Frantz in der Staatstheorie des 19. Jahrhunderts hauptsächlich ist, sieht er einen legitimen Weg der Juden in die Gesellschaft: Wenn föderative Körperschaften auf kommunaler und gesellschaftlicher Ebene Juden als Genossen aufnehmen, dann können sie dies tun und dürfen es auch später nicht zurücknehmen. Aber dies ist nur ein schwacher Trost, denn staatliche Ämter oder Anerkennung sind nicht damit verbunden. In seinen späteren Schriften hat Frantz diese Gedanken wiederholt und wesentlich verschärft erneut dargelegt. Die Grundlagen sind aber auch schon 1844 vorhanden; die Stereotypen (Juden und Geldwucher), die Behandlung als Bürger zweiter Klasse, die enge Verbindung von Politik und Religion, und vor allem auch der rassisch bedingte Ausschluss der „Fremden“ aus der deutschen und europäischen Gesellschaft.

Michael Dreyer

Literatur Constantin Frantz, Ahasverus oder die Judenfrage. Neudruck der Ausgabe Berlin 1844, hrsg. von Hans Elmar Onnau, Siegburg 1994.

Ains Juden büechlins verlegung (Johannes Eck, 1541)

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Michael Dreyer, Judenhaß und Antisemitismus bei Constantin Frantz, in: Historisches Jahrbuch 111 (1991), S. 155–172.

Ains Juden büechlins verlegung (Johannes Eck, 1541) Das 1541 von Johannes Eck verfasste und veröffentlichte Buch „Ains Juden büechlins verlegung: darin ain Christ/ gantzer Christenhait zů schmach/ will es geschehe den Juden vnrecht in bezichtigung der Christen kinder mordt. Hierin findst auch vil histori/ was übels vnd bücherey die Juden in allem teütschen Land/ vnd ändern Künigreichen gestift haben“ ist im Kontext der Instrumentalisierung und Funktionalisierung von Judentum und Juden innerhalb der konfessionellen Polemik angesiedelt. Die jeweils gegen die Gegner erhobenen Vorwürfe behaupten u. a. eine theologische Beeinflussung oder finanzielle Bestechung durch Juden, die Praxis des Judaisierens oder jüdische Abstammung. Dieses bereits in der Antike bekannte Modell der Ketzerpolemik dient dazu, den Gegner als außerhalb der christlichen Gemeinschaft stehenden und als Parteigänger der Feinde der Christen zu kennzeichnen. Es handelt sich bei dieser Form der Auseinandersetzung um ein Verbindungsglied zwischen innerkirchlichen Kontroversen und dem Antijudaismus, an dem sie partizipiert und zugleich in seiner Funktion erweitert. Denn die innere Logik des Arguments beruht darauf, die Juden als absolut gottlos und menschenfeindlich zu zeigen, um ihre angeblichen Unterstützer in möglichst hohem Maße zu diffamieren. Innerhalb der durch die Reformation begründeten Auseinandersetzungen machten beide Seiten von diesem Modell Gebrauch. Dabei ist vorausgesetzt, dass die jeweiligen Verfasser annehmen durften, das Arsenal des Antijudaismus sei den Rezipienten ihrer Schriften nicht nur bekannt, sondern auch glaubwürdig, es mithin brauchbar war, um den Gegner zu „entlarven“. Eck, der den Verfasser der ihm 1540 bekannt gewordenen Schrift „Ob es war und glaublich sey, daß die Juden der christen kinder heymlich erwürgen und ir blut gebrauchen“ – dass es sich beim Autor um Andreas Osiander (1498–1552) handelt, ist zwar möglich, aber nicht mit Sicherheit zu belegen; allerdings könnte dann eine Bekanntschaft von Eck und Osiander wegen der gemeinsamen Zeit an der Universität Ingolstadt vorausgesetzt werden – für einen evangelischen Prädikanten hält, will nicht nur dessen Schrift widerlegen, sondern auch den Herrschenden darlegen, dass die gegnerische Gruppe gegen sie aufrührerisch tätig ist, denn wenn die Juden zu Unrecht verfolgt würden, dann wäre offensichtlich, dass Regierende und Kirche sie aus niederen Beweggründen terrorisierten. Das Buch ist Cristoforo Madruzzo, dem Bischof von Trient, gewidmet. Dies geschieht nicht nur, weil Eck gute Verbindungen in das Bistum hat, sondern auch in ausdrücklicher Erinnerung an den bekanntesten Fall eines Ritualmordvorwurfs, Simon von Trient. Allerdings lässt sich hier belegen, wie unterschiedlich die Stellung zu den Juden sein konnte. Im Jahr 1548, als es auf Anweisung des Papstes zu Verbrennungen jüdischer Bücher kommt, wird mit Zustimmung und unter Schirmherrschaft des Bischofs von Trient ebendort eine jüdische Druckerei gegründet. Der Aufbau der Schrift und ihre rhetorische Durchführung belegen, dass Eck an einer weiten Verbreitung gelegen war. Dafür spricht auch die teilweise grobe Polemik des Textes, die man auch aus anderen Veröffentlichungen Ecks kennt. Die Originalität

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Ains Juden büechlins verlegung (Johannes Eck, 1541)

der Ausführungen wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Zweifelsohne findet sich durch die gewalttätige Sprache eine Verschärfung der antijüdischen Motive, die er gelegentlich neu kontextualisiert, aber im Kern greift er vorhandene Elemente auf. So finden sich Ansätze zu einer Verschwörungstheorie bereits während der ersten Pest, und der Vorwurf des Wucherns gehörte spätestens seit der franziskanischen Predigt zur Etablierung eigener Banken (Monte di Pietà) zum Inventar der Judenfeindschaft. Auch bei den Ritualmordbeschuldigungen greift Eck auf Argumente zurück, die in mancher Hinsicht ihre Wurzeln in der Antike haben und bereits aktualisiert worden waren. Die Aussage, dass Personen, die die Judenfeindschaft nicht teilten, von Juden bestochen seien, findet sich bereits bei Agobard von Lyon; bemerkenswert ungewohnt ist allerdings, dass Eck diesen Vorwurf gegen Bestreiter des Ritualmords erhebt, obwohl dazu Päpste und Fürsten zu zählen sind, was ihm zweifelsohne bekannt war. Diese Rigidität, die seinen theologischen Interessen als Verteidiger des Papsttums zuwider lief, verweist auf die eigentliche Intention seiner Schrift, nämlich das judenfeindliche kirchliche Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart als fehlerfrei darzustellen, um auch hier keine Infragestellung der Autorität zuzulassen. Im Rahmen der apologetischen Tendenz werden die Juden weiterhin stigmatisiert und der kirchliche Antijudaismus fortgeschrieben, wobei Eck versucht, Letzteren in den Rang eines Ausweises der Rechtgläubigkeit zu heben. Für die Geschichte der Judenfeindschaft ist Ecks Schrift nicht wegen ihrer Rezeption, die offensichtlich eher gering ausfiel, von Bedeutung, sondern als Dokument aller möglichen Motive des Antijudaismus, weswegen sie durchaus zu den AdversusIudaeos-Schriften (→ Adversus-Judaeos-Traktate) gezählt werden kann, und als Beleg für die Verwendbarkeit des Antijudaismus in neuen Kontexten und theologischen Diskursen. Sie kann somit als ein Baustein zur Erklärung des Phänomens gelten, dass der Antijudaismus selbst dann überlebte, wenn es in der Theologie zu entscheidenden Veränderungen kam.

Rainer Kampling/René Koch

Literatur David Bagchi, Catholic anti-Judaism in Reformation Germany. The case of Johann Eck, in: Diana Wood (Hrsg.), Christianity and Judaism. Papers Read at the 1991 Summer Meeting and the 1992 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, Oxford 1992, S. 253– 263. Remigius Bäumer, Die Juden im Urteil von Johannes Eck und Martin Luther, in: Münchener Theologische Zeitschrift 34 (1983), S. 253–278. Robert Bireley, The Catholic Reform, Jews, and Judaism in Sixteenth-Century Germany, in: Dean Phillip Bell, Stephen G. Burnett (Hrsg.), Jews, Judaism and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Leiden 2006, S. 249–268. Johannes Brosseder, Die Juden im theologischen Werk von Johann Eck, in: Rolf Decot, Matthieu Arnold (Hrsg.), Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, S. 77–96. Winfried Frey, Ritualmordlüge und Judenhass in der Volkskultur des Spätmittelalters. Die Schriften Andreas Osianders und Johannes Ecks, in: Peter Dinzelbacher, Hans-Dieter Mück (Hrsg.), Volkskultur des europäischen Spätmittelalters, Stuttgart 1987, S. 177–197.

Die Aktion (1911–1932)

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Brigitte Hägler, Die Christen und die „Judenfrage“. Am Beispiel der Schriften Osianders und Ecks zum Ritualmordvorwurf, Erlangen 1992. Johannes Heil, Gottesfeinde – Menschenfeinde. Die Vorstellung von jüdischer Weltverschwörung (13. bis 16. Jahrhundert), Essen 2006. Alfred Raddatz, Johannes Eck 1541 und Luther 1543. Über die Behandlung der Juden, in: James Alfred Loader, Hans Volker Kieweler (Hrsg.), Vielseitigkeit des Alten Testaments. Festschrift für Georg Sauer zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 1999, S. 369–373. Steven Rowan, Luther, Bucer, and Eck on the Jews, in: The Sixteenth Century Journal 16 (1985), S. 79–90.

Ains Judenbüchleins Widerlegung → Ains Juden büechlins verlegung

Die Aktion (1911–1932) „Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst” erschien von 1911 bis 1932, die Auflage erreichte eigenen Angaben zufolge 7.000 Exemplare. Die von Franz Pfemfert herausgegebene Wochenzeitschrift „Die Aktion” ist als Organ früher expressionistischer Literatur bekannt, in dem Gottfried Benn, Max Brod, Else Lasker-Schüler veröffentlichten. Dabei ging Pfemferts Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen mit politischer Radikalität einher. In der ersten Ausgabe im Februar 1911 hieß es: „‚Die Aktion’ tritt, ohne sich auf den Boden einer bestimmten politischen Partei zu stellen, für die Idee einer Großen Deutschen Linken ein.” Während des Ersten Weltkriegs gründete Pfemfert die Antinationale Sozialisten-Partei/Gruppe Deutschland, die ihren Aufruf aber erst am 16. November 1918 publizierte, und veröffentlichte illegal Rosa Luxemburgs „Die Krise der Sozialdemokratie”. Für kurze Zeit Mitglied der KPD, verfolgte der Rätekommunist Pfemfert nach anfänglicher Begeisterung für die russische Revolution die Bolschewisierung und Stalinisierung kritisch. Bemerkenswert war das frühe Engagement gegen die Judenfeindschaft („Deutsche Juden”, Aktion vom 6. September 1913; „Entschiedenes Deutschtum”, Aktion vom 27. September 1913), später auch innerhalb der Kommunistischen Internationale. 1923 gab Pfemfert in Auszügen die Rede von Ruth Fischer, Mitglied der KPD-Zentrale, vor völkischen Studierenden wieder: „Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie.” („Die schwarzweiszrote Pest im ehemaligen Spartakusbund”, Aktion 1923) Ab Mitte der 1920er Jahre beschrieb Pfemfert die KPdSU als konterrevolutionär und Stalin als „den antisemitischen Faschisten Stalin” („Existiert noch eine Internationale des revolutionären Proletariats? Zu den Führerkämpfen in Russland”, Aktion, Februar 1928). Zur gleichen Zeit referierte „die Aktion” Berichte der Prawda über „den wachsenden Antisemitismus unter den Jungkommunisten” (Aktion, Dezember 1928). Zweimal, 1927 und 1931, verwies „Die Aktion” auf eine nationalsozialistische Broschüre, die nur deswegen beachtenswert sei, weil sie den Machtkampf zwischen Stalin und Leo Trotzki als „Kampf Rußlands gegen das Judentum” darstellte. Trotz grundsätzlicher Differenzen wegen der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands solida-

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Al-Yahud wa al-Yahudiya wa al-Sihyuniya (Abd al-Wahab al-Masiri, 1999)

risierte sich „Die Aktion”, die gegen Ende der Weimarer Republik unregelmäßiger erschien, mit Leo Trotzki und veröffentlichte dessen Texte. Alexandra Ramm-Pfemfert übersetzte Trotzkis Schriften offiziell ab 1929. In „Mein Leben. Versuch einer Autobiographie” schrieb Trotzki: „Die Frage meines Judentums bekam erst mit Beginn der politischen Hetze gegen mich Bedeutung. Der Antisemitismus erhob das Haupt gleichzeitig mit dem Antitrotzkismus.” Im Briefwechsel mit Trotzki thematisierten die Pfemferts mehrmals Judenfeindschaft unter Kommunisten. Trotzki zitierte in „Thermidor und Antisemitismus” aus einem Brief Pfemferts, wonach dieser „in der Aktion vor Jahren erklärte, viele Handlungen des Stalin seien auch mit seiner antisemitischen Gesinnung zu deuten”. Alexandra Ramm-Pfemfert, Pfemferts Ehefrau, stammte aus einer jüdischen Familie und war 1901 vor den Pogromen aus Russland geflohen. Nach einer Palästina-Reise kritisierte sie 1927 den Zionismus, ganz anders als die antizionistische Komintern, dafür, dass Juden, die nur Jiddisch sprachen, „in Erez Israel zum Fremden gemacht” würden. Franz Pfemfert, der kein Jude war, vermachte einen Teil seines Nachlasses dem „Fonds für Häuserbau in Israel”. Seit 1981 erscheint im Hamburger NautilusVerlag eine Zeitschrift „Die Aktion”, die sich in der Tradition Franz Pfemferts sieht.

Olaf Kistenmacher

Literatur Julijana Ranc, Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben, Hamburg 2003.

Al-Yahud wa al-Yahudiya wa al-Sihyuniya (Abd al-Wahab alMasiri, 1999) Die achtbändige Enzyklopädie „Die Juden, das Judentum und der Zionismus“ (Al-Yahud wa al-Yahudiya wa al-Sihyuniya) wurde 1999 von Abd al-Wahab al-Masiri veröffentlicht. Sie wurde 1999 vom renommierten Verlagshaus „Dar ash-Shorouk“ herausgegeben und im selben Jahr auf der Kairoer Buchmesse mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Der 2008 verstorbene ägyptische Literaturprofessor gilt als profunder Kenner „des Judentums“ und „des Zionismus“. Die Enzyklopädie soll laut Ankündigung „alternative Wege“ anbieten, das „jüdische, zionistische und israelische Phänomen“ zu analysieren. In über 2.300 Einträgen auf 400 Seiten pro Band werde ein umfassender Überblick über „jüdische und zionistische Konzepte und Begriffe“ geboten. Im zweiten Band, der als Schwerpunkte u. a. „Die Natur der Juden zu allen Zeiten und allen Orten“ behandelt, findet sich ein beachtenswerter Eintrag über die → „Protokolle der Weisen von Zion“. Zwar macht alMasiri deutlich, dass es sich bei den „Protokollen“ um eine Fälschung handelt, jedoch bietet er eine modernisierte, ebenfalls verschwörungstheoretische Lesart an. So entspräche der in den „Protokollen“ formulierte Herrschaftsanspruch dem tatsächlichen Programm des Zionismus und es sei wahrscheinlich, dass Israel die „Protokolle“ im arabischsprachigen Raum verbreite, um Angst vor der „Allmacht“ der Juden zu schüren. Viele weitere Einträge lesen sich wie eine Sammlung antisemitischer Stereotype, beispielsweise über typisch „jüdische Berufe“ oder „jüdische Eigenschaften“, die im Laufe der Jahrhunderte Teil „ihres Wesens“ geworden seien.

Alldeutsche Blätter (1894–1939)

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Grundlegend für die in seiner Enzyklopädie entfaltete Theorie ist die Unterscheidung zwischen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“. Während sich Erstere durch einen „sozialen Kern“ auszeichne, bestehe Letztere aus rein „funktionalen Gruppen“, in denen die Individuen auf ihre Funktionen reduziert würden. Historisch seien die Juden durch äußeren Druck als „funktionale Gruppe“ organisiert gewesen. Mit der Säkularisierung habe sich das Prinzip der „funktionalen Gruppen“ auf alle westlichen Gesellschaften übertragen und das Ende der Gemeinschaften herbeigeführt, was gleichzeitig die Eliminierung des Heiligen bedeute. Dies bezeichnet al-Masiri als „Judaisierung der Gesellschaft“, in der jede Person im funktionalen Sinne zu einem „Juden“ würde. Weil die Vergesellschaftung der „funktionalen Gruppen“ und die Globalisierung spezifisch westlich seien, müsse sich ein „neuer islamischer Diskurs“ herausbilden, der das westliche Wertesystem zurückweist und ihm mit „dem Islam“ einen überlegenen moralischen Referenzrahmen entgegensetzt. Nicht nur ist dieser Entwurf eines „neuen islamischen Diskurses“ von vielen Intellektuellen begeistert aufgenommen worden, das Buch gilt heute vielmehr als ein Standardwerk über das Judentum, das an Universitäten benutzt wird. Auch wenn „die Juden“ nicht zentrales Feindbild seiner Analyse sind und er verschwörungstheoretisches Denken ablehnt, reproduziert al-Masiri eine Vielzahl antisemitischer Motive und schafft einen modernisierten Verbreitungsmythos zu den „Protokollen“.

Malte Gebert

Literatur Götz Nordbruch, Rationalizing the Hidden Hand, in: Esther Webman (Hrsg.), The Global Impact of The Protocols of the Elders of Zion. A century-old myth, London 2011, S. 229– 238.

Alldeutsche Blätter (1894–1939) Die Organisation, die soziale Struktur der Leserschaft und die weltanschaulichen Debatten der „Alldeutschen Blätter“ sind unmittelbar mit dem 1891 gegründeten Allgemeinen Deutschen Verband verbunden, der 1894 in Alldeutscher Verband (ADV) umbenannt wurde. Die Redakteure wurden vom Alldeutschen Verband aus den eigenen Reihen ernannt und waren zu den Verbandstagen eingeladen. Berichte über Versammlungen des Alldeutschen Verbands, Aufrufe für zahlreiche Sammlungen, Ankündigungen der einzelnen Ortsgruppen und Leitartikel von führenden Mitgliedern des Alldeutschen Verbands bestimmten die Berichterstattung der „Alldeutschen Blätter“. Zentrales Anliegen des Alldeutschen Verbands war die außerparlamentarische Beeinflussung der öffentlichen Meinung für die Unterstützung einer expansiven Weltpolitik und einer Hegemonialstellung auf dem europäischen Kontinent sowie einer radikalen kulturellen und ethnischen Homogenisierung im Deutschen Reich. Die Übereinstimmung zwischen Volk und Staat und die eindeutige Definition der deutschen Volkszugehörigkeit sollten in einem alldeutschen Gesellschaftsentwurf, der ständestaatlich organisiert war, im Wilhelminischen Deutschland durch Krieg und in der Frühphase der Weimarer Republik durch einen militärischen Putsch beziehungsweise

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Alldeutsche Blätter (1894–1939)

nach 1923 durch die restriktive Anwendung des Verfassungsartikels 48 erreicht werden. Die Gründung des Verbandes war zunächst eingebettet in die sich verstärkt organisierende Kolonialbewegung der 1880er Jahre. Dies schien zunächst für den Erfolg des Verbandes und den rasanten Anstieg der Mitgliederzahl zu sprechen. Nach nur kurzem Bestehen brach die Mitgliederzahl jedoch 1893 ein und es drohte die Auflösung des Verbandes. Der zweite Verbandsvorsitzende Ernst Hasse (1848–1908) versuchte, die zwischen 1891 und 1893 in unregelmäßiger Abfolge erschienene Flugschriftenreihe „Mitteilungen des Alldeutschen Verbandes“ wieder zu ermöglichen. Schließlich beschloss man 1893 mittels Zuschussfinanzierungen die Gründung der „Alldeutschen Blätter“, die als Kommunikationsgrundlage zwischen Mitgliedern, Ortsgruppen und Hauptleitung und zur „Aufklärung der öffentlichen Meinung“ den Fortbestand des Verbandes sichern sollten. Wurden die „Mitteilungen“ zwischen 1891 und 1893 noch mit einer Auflage von 10.000–12.000 publiziert, so musste man aufgrund des chronischen Geldmangels 1894 zunächst mit 2.500 Exemplaren die Herausgabe wieder beginnen. Die Mitgliedschaft im Alldeutschen Verband war bis 1915/16 nicht an das Abonnement der „Alldeutschen Blätter“ gebunden. Genauso wie die Mitgliederzahlen war die Auflagenhöhe jährlichen Schwankungen unterworfen, die jedoch nur knapp über die festen Bezugszahlen der Mitglieder für den freien Verkauf, weitere Abonnements und für Werbezwecke hinausgingen. Nur ein Drittel der Mitglieder des Alldeutschen Verbands bezog vor dem Ersten Weltkrieg auch die „Alldeutschen Blätter“. Um die Jahrhundertwende verzeichnete man bereits über 8.000 Leser, jedoch ging diese Zahl bis 1905 wieder auf knapp 5.800 zurück, erreichte 1914 ungefähr 7.000 Interessenten und schnellte 1918 auf 34.000 hoch, als die Verbandsleitung bereits 1915 für den Eintritt in den Alldeutschen Verband auch den Bezug der Verbandszeitschrift verbindlich machte. In der Weimarer Republik hatte sich die Zeitschrift einem sich weiter ausdifferenzierenden Massenmarkt zu stellen. Die Gründung des antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes durch den Alldeutschen Verband (1919–1922/ 23) und eines Alldeutschen Verbandes in Österreich (1919–1935) sowie der Übernahme der „Deutsch-Österreichischen Tageszeitung“ banden auch weitere Leser an die „Alldeutschen Blätter“. Die Auflage orientierte sich jedoch weitgehend an der Mitgliederzahl des Alldeutschen Verbands in Deutschland. Der Versuch, auch die Jugend mit der Gründung einer Alldeutschen Jugend und der Herausgabe der „Alldeutschen Jugendblätter“ zwischen 1920 und 1922 zu erreichen, war nicht erfolgreich. Die Gründung des Alldeutschen Verbandes in Österreich (1919–1935) brachte auch einen Anstieg der Auflage, jedoch blieb der Verband nach 1924 weitgehend Episode, und der Druck der „Alldeutschen Blätter“ in Österreich für die Mitglieder im Land selbst erwies sich oftmals sehr schwierig wegen hoher Produktionskosten, die allein in Deutschland nahezu die Hälfte des ordentlichen und chronisch unterfinanzierten Etats des Alldeutschen Verbandes ausmachten. Die „Alldeutschen Blätter“ erreichten 1926 noch 20.000 Leser, bis die Zahl schließlich auf 9.500 im Jahre 1939 zurückging. Die Verbreitung der „Alldeutschen Blätter“ verwies in erster Linie auf die mittelständischen und bildungsbürgerlichen Mitglieder des Alldeutschen Verbandes, die sich vor allem in den städtisch und protestantisch geprägten Regionen Nord- und Mittel-

Alldeutsche Blätter (1894–1939)

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deutschlands und hier wiederum in den administrativen Zentren der Reichs-, Länderund Gemeindeverwaltung organisierten. Die antisemitische Politik des Alldeutschen Verbandes, die sich zum Ende des Ersten Weltkrieges durchsetzte und beim Verbandstag am 8. Februar 1919 mit der „Bamberger Erklärung“ zur offiziellen Leitlinie erhoben wurde, spiegelte sich nun auch in den „Alldeutschen Blättern“ wider. Gleich nach Gründung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes (1919–1922/23), der als Zweigverein des Alldeutschen Verbandes zum Zweck der antisemitischen Mobilisierung errichtet wurde, konnte der Leser das Beitrittsformular und den entsprechenden Aufruf finden, der unter dem Titel „Deutschland den Deutschen!“ stand. Juden wurden nun in Leitartikeln als Verursacher des Zusammenbruchs der kaiserreichlichen Ordnung und des verlorenen Weltkrieges dargestellt. Vor allem wurden die Vorurteile verstärkt, dass Juden in den Kriegsrohstoffgesellschaften die Bewirtschaftung der deutschen Wehrfähigkeit bewusst gemindert hätten und gleichzeitig nicht entsprechend ihres statistischen Bevölkerungsanteils an der Front gefallen seien, sondern vielmehr in der Etappe gedient hätten. Ein „alljüdischer Geist“, so die Lesart der „Alldeutschen Blätter“, würde zudem die demokratischen Parteien der neuen Republik beherrschen, die sich den Interessen der Wählermassen unterwerfen und nicht einen alldeutschen elitär-bürgerlichen Politikentwurf vertreten würden. Entsprechend den langjährigen Bestrebungen des Alldeutschen Verbandes, die Bestimmungen zum Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit beim Zuzug von Ausländern zu verschärfen, kritisierte man jede eventuelle Erleichterung der Einwanderung auch von Juden aus Osteuropa, die aufgrund ihrer vermeintlichen Rasse nicht aufgenommen werden sollten. Der zweite Geschäftsführer des Alldeutschen Verbandes, Leopold von Vietinghoff-Scheel (1868–1946), schrieb 1923 schließlich in den „Alldeutschen Blättern“ über den „organischen Staatsgedanken“, dass das „deutsche Volk“ nur auf Grundlage „gemeinsamer Blutsunterlage“ definiert werden sollte, zu der Juden kein Zugang gewährt werden dürfe. Während der Weimarer Republik waren es zusätzlich wirtschaftliche Überfremdungsängste, ausgelöst durch den verstärkten Zufluss ausländischer Investitionen sowie durch die Reparationszahlungen, die das alldeutsche Idealbild nationaler Selbstbestimmung auf völkischer Grundlage gegen „jüdisch-marxistische“ sowie vermeintliche, spekulative Wirtschaftsinteressen der USA und Großbritanniens stellten. Die völkerrechtliche Einbindung Deutschlands wurde in den Kommentaren zunehmend als Zugeständnis an „das Weltjudentum der beiden angelsächsischen Länder“ interpretiert. Jede diplomatische Verständigung erschien hier als „Erfüllungswahn“, der letztlich nur durch eine diktatorische Überwindung des „krankhaften Seelenzustandes der Volksmehrheit“ überwunden werden sollte. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begrüßte man trotz aller Konkurrenzen und Unterschiedlichkeiten zwischen Alldeutschem Verband und NSDAP hinsichtlich politischem Stil und Einbeziehung der politischen Massen. Jedoch wurde immer wieder darauf verwiesen, dass der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß (1868–1953), in seiner Kampfschrift → „Wenn ich der Kaiser wär’“ bereits 1912 zentrale Programmpunkte wie die Stellung der Juden unter Fremdenrecht benannt hatte, die jetzt zur Umsetzung gelangten. Auch das neue Reichsangehörig-

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Allgemeine Zeitung des Judentums (1837–1922)

keitsgesetz von 1934 und die Rassengesetze von 1935 fanden wohlwollende Kommentierung. Die langjährige Konkurrenz zwischen alldeutscher und nationalsozialistischer Bewegung führte schließlich zum Verbot des Alldeutschen Verbandes am 15. März 1939. Die letzte Ausgabe der „Alldeutschen Blätter“ erschien am 9. März 1939.

Björn Hofmeister

Literatur Rainer Hering, Radikaler Nationalismus zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ am Beispiel der Alldeutschen Blätter, in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und Netzwerke 1890–1960, Bern 2003, S. 427–443. Björn Hofmeister, Between Monarchy and Dictatorship. Radical Nationalism and Social Mobilization of the Pan-German League 1914–1939, Ph.D. Georgetown 2012. Björn Hofmeister, Radikaler Nationalismus und politische Öffentlichkeit. Alldeutscher Verband und „Alldeutsche Blätter“ 1891–1939, in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Krisenwahrnehmungen in Deutschland um 1900, Bern 2010, S. 264–279. Alfred Kruck, Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890–1939, Wiesbaden 1954. Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012.

Allgemeine Konservative → Konservative Monatsschrift

Allgemeine Zeitung des Judentums (1837–1922) Unter den mehr als 200 jüdischen periodischen Schriften im deutschen Sprachraum des 19. und 20. Jahrhunderts sticht die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ (AJZ) durch ihren vergleichsweise langen Erscheinungszeitraum – kontinuierlich von 1837 bis 1922 – hervor. Mit einer Auflagenhöhe von schätzungsweise maximal 10.000 Exemplaren dürfte die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ das meistgelesene deutsch-jüdische Periodikum gewesen sein. Die erste Nummer unter der alten Schreibweise „Allgemeine Zeitung des Judenthums“ erschien am 2. Mai 1837 im Leipziger Verlag Baumgärtners Buchhandlung, ihrem eigenen Selbstverständnis nach als „unpartheiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik“. Zunächst erschien das Blatt dreimal wöchentlich, ab 1839 als Wochenschrift und schließlich zweiwöchentlich. Gemäß der von Johannes Schwarz konstatierten „doppelten Stoßrichtung“ deutschjüdischer Periodika, bewegte sich auch die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ zunächst in zwei unterschiedlichen Kommunikationssphären: Nach innen strebte sie eine Erneuerung der jüdischen Tradition an, nach außen war ihr an der Verbesserung des bürgerlichen Status der deutschen Juden gelegen. Ungeachtet ihres eigenen universellen Anspruchs repräsentierte die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ innerhalb der entstehenden deutsch-jüdischen Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts die Strömung des reformorientierten liberalen Judentums. Die Redaktion zeigte sich dennoch allen innerjüdischen Debatten religiöser, kultureller, sozialer und politischer Natur gegenüber offen.

Allgemeine Zeitung des Judentums (1837–1922)

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Gegründet und geprägt wurde die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom Rabbiner und Philologen Ludwig Philippson, der bis zu seinem Tod im Jahr 1889 als Herausgeber fungierte. Philippson verfasste Leitartikel, Serien, Kommentare und beantwortete selbst alle Leserbriefe. Erklärtes Anliegen der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ in Philippsons Ägide war die Verbreitung der Kenntnis jüdischer Geschichte und Tradition vor dem Hintergrund aufklärerischer Vernunft. Philippsons literaturpädagogisches Programm – Erzeugung religiösen jüdischen Selbstbewusstseins durch Unterhaltung und Belehrung der Leserschaft – gibt Aufschluss über die Bedeutung, die während des gesamten Erscheinungszeitraums der Kulturberichterstattung im Allgemeinen und der Literaturkritik im Besonderen beigemessen wurde. Regelmäßig wurden aktuelle und historische, jüdische wie nicht-jüdische Autoren besprochen, sofern ihr Werk ein „jüdisches“ Thema erkennen ließ. Zudem wartete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ mit zahlreichen Erstveröffentlichungen und Nachdrucken literarischer Texte auf. Philippson machte sich dabei die allgemeine Vorliebe seiner Zeitgenossen für das historisch-heroische Genre zunutze und versuchte, die Leserschaft mit historischen Beispielen jüdischen Selbstbewusstseins in ihren gegenwärtigen Kämpfen um Emanzipation zu bestärken. Unter der Herausgeberschaft von Gustav Karpeles und Albert Katz – von 1890 bis 1909 – verschoben sich die poetologischen Leitlinien der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ hin zu einer stärkeren Betonung des realistischen Genres der Dorf- und Ghettoliteratur. Diese Verschiebung verursachte einerseits eine Annäherung an die jiddische Kultur des osteuropäischen Judentums, gab der emanzipierten Leserschaft aber zugleich die Möglichkeit, sich von ebendieser Welt abzusetzen und sich historisch als Teil des deutschen Kollektivs zu verorten. Standen bis Anfang des Jahres 1871 die Vollendung der Emanzipation und innerjüdische Reform im Zentrum der politischen Auseinandersetzung der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“, nahm mit der Gründung des Kaiserreichs der Abwehrkampf gegen den aufkommenden politischen Antisemitismus – insbesondere gegen die ständigen Angriffe in der nicht-jüdischen Presse – an Bedeutung zu. Philippson, der eine instrumentalistische Antisemitismus-Analyse vertrat, betrachtete diesen als ein vorübergehendes Problem, das allein der aktuellen politischen Situation geschuldet sei. Die konservativen Eliten benutzten den Antisemitismus als Mittel zur politischen Mobilisierung gegen den Liberalismus. Ähnlich fiel seine Einschätzung der antijüdischen Pogrome in Russland seit den 1880er Jahren aus. Die russische Bevölkerung sei das Opfer einer gezielten, von der Regierung forcierten anti-jüdischen Kampagne. Die Rezeption zeitgenössischer „Rassentheorien“ fand seit 1865 auch in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ statt, anders als in anderen deutsch-jüdischen Periodika aber eher verhalten. Obwohl die Herausgeber sich der Teilnahme an der Debatte nicht entziehen konnten und auch hier ihrem Grundsatz treu blieben, allen Positionen Raum zu geben, erteilten sie der Behauptung der Existenz einer „jüdischen Rasse“ dennoch eine klare Absage. Von 1909 bis 1919 wurde die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ von Ludwig Geiger herausgegeben, der das Interesse auf antizionistische und antiorthodoxe Positionen verengte. Als erklärter Patriot verteidigte Geiger den Ersten Weltkrieg und befürwortete die Assimilation der deutschen Juden. Er sah sich dadurch dem Vorwurf

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Der Angriff (1927–1945)

ausgesetzt, die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ zu einem Organ des „CentralVereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ zu machen. Tatsächlich erschien die letzte Nummer der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ am 28. April 1922, bevor sie in der → „C.V.-Zeitung“, dem bisherigen Organ des Central-Vereins, aufging.

Arnon Hampe

Literatur Hans O. Horch, Auf der Suche nach der jüdischen Erzählliteratur. Die Literaturkritik der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ (1837–1922), Frankfurt am Main 1985. Hans O. Horch, „Auf der Zinne der Zeit“: Ludwig Philippson (1811–1889) – der „Journalist“ des Reformjudentums. Aus Anlaß seines 100. Todestages am 29. Dezember 1989, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts 86 (1990), S. 5–21. Johanna Philippson, Ludwig Philippson und die Allgemeine Zeitung des Judentums, in: Hans Liebeschütz, Arnold Paucker (Hrsg.), Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850, Tübingen 1977, S. 243–291. Johannes Valentin Schwarz, Die Anfänge der jüdischen Presse in Deutschland im späten 18. Jahrhundert. Zur Genese einer neuen bürgerlich-jüdischen Öffentlichkeit, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 16 (2005–2006), S. 221–241. Sonja Weinberg, Die Allgemeine Zeitung des Judentums (AZJ) und der gewalttätige Antisemitismus in Deutschland und Russland 1881–1882, in: Eleonore Lappin, Michael Nagel, Religion und Politik in der europäisch-jüdischen Presse vor der Shoah. Antisemitismus, Faschismus und Nationalsozialismus, 1880–1943. Neuorientierungen nach der Shoah, Bremen 2008, S. 89–102.

Altermedia → Neo-Nazi Internet Blogs Ami d’Israël → Freund Israels

Der Angriff (1927–1945) „Der Angriff“ war eine vom Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels 1927 gegründete Zeitung, die antisemitische Agitation in Texten und Karikaturen zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Profils machte. „Der Angriff“ entstand nach dem Verbot der Berliner NSDAP durch den Polizeipräsidenten im Frühjahr 1927 als Notlösung. Da auch Goebbels, der erst wenige Monate zuvor zum Gauleiter ernannt worden war, mit einem Redeverbot belegt worden war, wollte er sich mit der Gründung einer eigenen Zeitung eine neue Plattform schaffen. Die Zeitung erschien erstmals am 4. Juli 1927 als Montagsblatt mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren. Neben Goebbels prägten Peter Hagen (ein Pseudonym des späteren Reichsfilmdramaturgen Willi Krause), Julius Lippert (der spätere Staatskommissar und Stadtpräsident von Berlin 1933–1940) und Dagobert Dürr (Gaugeschäftsführer und späterer Mitarbeiter Goebbels’ im Propagandaministerium) das journalistische Profil des Blattes, dessen Inhalt von Verunglimpfungen der Republik, hauptsächlich mittels antisemitischer Hetze, bestimmt wurde. Zu den ersten Dauerrubriken des „Angriff“ gehörte die Seite „Der Philosemit“, in der äußerst bösartig über die vermeintliche „Verjudung“ der Demokratie berichtet wurde. Vor allem der Berliner Vize-Polizeipräsident Bernhard Weiß, ein Jude und Demokrat in politisch exponierter Stellung, war unter dem Spottnamen „Isidor“ von An-

Der Angriff (1927–1945)

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fang an das Ziel hämischer Attacken. Die „Isidor“-Kampagne (1927–1932) ging als eine der berüchtigtsten antisemitischen Hetzkampagnen in die Geschichte ein und war für Goebbels ein propagandistischer Erfolg (→ „Isidor“-Bücher). Obwohl die Kampagne mehrfach ein Verbot der Zeitung sowie Geldstrafen für Goebbels, diverse Autoren und Karikaturisten nach sich zog, verstanden es die „Angriff“-Macher, diese Urteile für ihre antisemitische Propaganda dienstbar zu machen, indem sie suggestiv über sie berichteten. So befand beispielsweise ein Gericht, dass eine „Angriff“-Karikatur, die einen Esel mit den Gesichtszügen von Bernhard Weiß zeigte, ohne jedoch dessen Namen zu nennen, beleidigend sei. Nach dem Urteil druckte „Der Angriff“ die Karikatur erneut (9. September 1929), diesmal jedoch mit der Bildunterschrift, die Justiz sei der Auffassung, dass dieser Esel Bernhard Weiß darstelle. Eine andere Kampagne, die nachhaltigen Einfluss hatte, war die Konstruktion des „jüdischen Wirtschaftsskandals“, die den ökonomischen Niedergang vor allem „jüdischen Machenschaften“ zuschob. Der Erfolg dieser Kampagne, in der antisemitische Vorurteile mit antidemokratischen Positionen verknüpft wurden, zeigte sich exemplarisch nach dem Sklarek-Skandal (1929). Die Redaktion des „Angriff“ bauschte die Korruptionsaffäre um drei jüdische Berliner Kleiderfabrikanten zu einem veritablen politischen Skandal auf. Als einzige nicht in den Sklarek-Skandal verstrickte Partei erlangte die NSDAP in der Folge in Berlin einen ersten Wahlerfolg: 5,8 Prozent der Wähler stimmten bei den Kommunalwahlen im September 1929 für die NSDAP, die damit erstmals in die Berliner Stadtverordnetenversammlung einzog. Es müssen wohl finanzielle Engpässe gewesen sein, die den Herausgeber Goebbels dazu zwangen, im „Angriff“ Anzeigen zu schalten, die seinen politischen Zielen und seinem redaktionellen Anspruch diametral widersprachen. Einige Beispiele: Sowohl vor als auch nach der „Machtergreifung“ finden sich Anzeigen der Varietés Scala und Plaza, deren Eigentümer mehrheitlich Juden waren, daneben wurde (noch im Februar 1933) der auch vom „Angriff“ als Jude geschmähte Tenor Richard Tauber (der allerdings gar kein Jude war) in einer von drei Juden geschriebenen Operette, inszeniert von einem Juden (Heinz Saltenburg) beworben, und am „Führergeburtstag“ 1933 warb das Deutsche Theater mit dem Namen des jüdischen Theaterimpresarios Max Reinhardt. Neben den Kampagnen hoben die sehr auf Gewalt ausgerichtete, direkte Sprache der Zeitung sowie teilweise im Berliner Dialekt geschriebene Kolumnen („Stieke! Jetzt red’t Orje“) den „Angriff“ von der Berliner Presselandschaft ab. „Orje“ erwies sich als so erfolgreich, dass er im Dezember 1937 von der SS-Zeitung → „Das Schwarze Korps“ übernommen wurde. Daneben trugen auch die Karikaturen von Hans Schweitzer (alias Mjölnir) erheblich zum Erfolg des Blattes bei. Parteiblatt und Partei gingen eine nachgerade symbiotische Beziehung ein, sodass das Erstarken der NSDAP in Berlin nicht nur auf den „Angriff“ zurückzuführen war, sondern sich auch in dessen stetig steigenden Auflagenzahlen manifestierte: So erschien „Der Angriff“ seit November 1930 als Tageszeitung und erreichte ab Oktober 1932 – als er sogar in einer Morgen- und einer Abendausgabe herauskam – eine Auflage von 110.000 Exemplaren. Die gestiegene Auflage als Ausdruck einer stärker gewordenen NSDAPAnhängerschaft dokumentierte sich auch in der journalistischen Zielgruppenorientierung des Blattes: Warteten die Titelseiten ab der ersten Ausgabe mit dem Spruch „Für

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Der Angriff (1927–1945)

die Unterdrückten! Gegen die Ausbeuter!“ auf, was deutlich auf die Sozialdemokraten oder gar Kommunisten im gemutmaßten „roten Berlin“ abzielte, gab es nach den ersten Wahlerfolgen der Berliner NSDAP eine ganze Seite, die sich als „Kampf um Berlin“ selbstbewusst an die eigene Anhängerschaft richtete. Der Mythos vom roten, verjudeten Berlin, das NSDAP und SA kämpfend erobern müssten, wurde hier begründet und diente in der Herrschaftsphase des NS-Regimes als wichtige Identifikationsfigur. Parallel hierzu wurden auch die unternehmerischen Strukturen verfestigt und im April 1931 die „Verlag der Angriff GmbH“ mit Sitz in der Hedemannstraße 10 (dem Sitz der „Gauleitung Groß-Berlin“ der NSDAP) in das Berliner Handelsregister eingetragen. Neben dem Gau Berlin wurde der Zentralverlag der NSDAP (→ Eher-Verlag) zu ihrem Hauptgesellschafter; Geschäftsführer war zunächst Ludwig Weissauer, im Lauf des Jahres 1932 wurde Max Amann ernannt. Nach der sogenannten Machtergreifung verlor das Blatt unter dem neuen Chefredakteur Karoly Kampmann an Bedeutung, weil Goebbels sich ab März 1933 ganz auf seine neue Aufgabe als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda konzentrierte und sich um die Arbeit im Gau Berlin kaum mehr kümmerte. Ende Oktober 1933 trat er als Hauptherausgeber des „Angriff“ zurück und ließ zu, dass das Blatt wenig später vollständig in den Besitz des Eher-Verlags überging. Vor diesem Hintergrund trat die Verlagsgesellschaft im Februar 1934 in Liquidation, als das laufende Geschäft von der Berliner Niederlassung des Eher-Verlags übernommen wurde. Bis Februar 1935 wurde „Der Angriff“ zum Zentralorgan der Deutschen Arbeitsfront umgebaut. In der Folge wurde Kampmann durch Hans Schwarz van Berk ersetzt, der seinerseits am 15. Oktober 1937 seinen Posten für Kurt Kränzlein räumte. Neben der Beschwörung der guten alten „Kampfzeit“ blieben Antikommunismus und Antisemitismus Konstanten im „Angriff“. Schließlich ließen sich der „jüdische Wirtschaftsskandal“ bzw. die hierin popularisierten Stereotypen nach 1933 problemlos zur Rechtfertigung der antisemitischen Politik des NS-Regimes wieder aufnehmen. Hiervon zeugen Artikel wie „Der jüdische Vampyr – Vierzehn Jahre jüdische Wirtschaftsskandale“ (18. Februar 1933) und die Berichte über den Boykott jüdischer Unternehmen. Im Sommer 1935 startete das Blatt eine Serie über die vorgebliche Tarnung jüdischer Unternehmen. In großer Aufmachung wurde hierbei über die Gebr. Weinberger berichtet, die zu diesem Zeitpunkt fast die Hälfte aller Berliner Einzelhändler mit Butter versorgten. Während einige Lieferanten nun mit einem Lieferboykott begannen, sorgte die Deutsche Arbeitsfront im Betrieb für Unruhe und der Polizeipräsident wenig später gar für ein Betriebsverbot, sodass das Unternehmen, trotz verzweifelter Gegenwehrversuche, im Frühjahr 1936 in Liquidation trat. Mit der erfolgreichen Serie „… die Mischpoche verdient“ goss der „Angriff“ im Sommer 1938 Öl ins Feuer und heizte die in Berlin herrschende Pogromstimmung zusätzlich an, die sich in der Kennzeichnung sämtlicher jüdischer Unternehmen sowie in zahlreichen Gewaltakten Bahn brach. Als die Deportationen längst eingesetzt hatten, erklärte die Redaktion in dem Artikel „Juden als Schleichhändler“ (3. Juni 1942), dass Juden die Kriegsanstrengungen sabotierten und das deutsche Volk ein Recht darauf habe, „mit allen Mitteln vor diesen Elementen geschützt zu werden“. Zumindest von Chefredakteur Kränzlein ist belegt, dass er sich auch außerhalb des „Angriff“ mit antisemitischen Vorträgen – z.B. im Radio – hervortat.

Anschlag gegen den Frieden (Wolfgang Diewerge, 1939)

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Auch wenn der „Angriff“ im → „Völkischen Beobachter“ und im „Schwarzen Korps“ starke Konkurrenz hatte, so profitierte er doch von der Aufgabe, dem Verbot oder der Stilllegung zahlreicher anderer Zeitungen und konnte seine Auflage im Jahr 1939 auf rund 147.000 Exemplare und bis 1944 auf 306.000 Exemplare steigern. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs waren allerdings „Richtlinien für die Papiereinsparung“ erlassen worden, die auch den Umfang des „Angriff“ einschränkten. Er erschien schließlich mit sechs (1941), zuletzt sogar nur noch mit vier Seiten. Die letzte Nummer des „Angriff“ wurde am 24. April 1945 publiziert und war damit die vorletzte Berliner NS-Zeitung. Nur fünf Tage später stellte auch Goebbels’ letztes Blatt, „Der Panzerbär. Kampfblatt für die Verteidiger Groß-Berlins“, sein Erscheinen ein. Sowohl die letzten Nummern des „Angriff“ als auch alle Ausgaben des vierseitigen „Panzerbär“ setzten einzig auf Antisemitismus, als sie die aussichtslosen deutschen Kriegsanstrengungen zum heroischen Ringen gegen die jüdisch-bolschewistische Gefahr umdeuteten.

Christoph Kreutzmüller/Bjoern Weigel

Literatur Christoph Kreutzmüller, Michael Wildt, ‚Ein radikaler Bürger’. Julius Lippert. Chefredakteur des „Angriff“ und Staatskommissar zur besonderen Verwendung in Berlin, in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 27 (2011), S. 19–38. Russel Lemmons, Goebbels and Der Angriff, Lexington 1994. Peter de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959. Bjoern Weigel, Inszenieren und zerstören. Kultur und Medien am Standort Berlin, in: Michael Wildt, Christoph Kreutzmüller (Hrsg.), Berlin 1933–1945, München 2013, S. 245– 260.

Anschlag gegen den Frieden (Wolfgang Diewerge, 1939) Das Pamphlet aus dem Reichspropagandaministerium, das 1939 im Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. (→ Eher-Verlag) als bebilderte Broschüre mit 179 Seiten Umfang erschien, hatte den Zweck, die Novemberpogrome 1938 und die rechtlichen und fiskalischen Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland zu rechtfertigen. Dazu wurde das Attentat des Herschel Grynszpan (Grünspan) auf den Legationssekretär vom Rath in Paris zum Anschlag des „Weltjudentums“ stilisiert. Autor war der auf dieses Thema spezialisierte Wolfgang Diewerge (1906–1977), Ministerialrat im Goebbels-Ministerium, der bereits das Attentat gegen Wilhelm Gustloff propagandistisch ausgeschlachtet hatte („Ein Jude hat geschossen. Augenzeugenbericht vom Prozess gegen David Frankfurter“, 1937) und 1941 Verfasser eines antisemitischen Traktats gegen die Schrift → „Germany must perish“ war. Mit der Broschüre „Anschlag gegen den Frieden“ setzte Diewerge die Argumentationslinie fort, das „internationale Judentum“ habe Deutschland den Krieg erklärt und Attentäter wie der 17-jährige Herschel Grynszpan seien Werkzeuge des „Weltjudentums“ gewesen. Das hatte der Autor Diewerge als Referent im Propagandaministerium bereits in der Reichspressekonferenz am 8. November behauptet und im „Völkischen Beobachter“ verbreitet. In der Broschüre wurden „Hintergründe“ des Gryn-

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Anti-Anti-Blätter (1923–1932)

szpan-Attentats enthüllt: Der Attentäter sei mit Vorbedacht ausgewählt, er sei noch jugendlich und wie im Falle Gustloff (der 1936 als NS-Funktionär in der Schweiz von dem jungen Juden David Frankfurter erschossen wurde) nicht Staatsbürger des Landes, in dem die Tat geschah. Hinter dem Attentat auf den Pariser Botschaftsangehörigen Ernst vom Rath stünden die gleichen Kreise wie im Fall Gustloff 1936. Frankfurter Juden wollten, im Interesse des „Weltjudentums“, Krieg gegen Deutschland, lautet die zentrale These der Schrift, die mit Schuldzuweisungen an deutsch-jüdische Emigranten illustriert wurde. Der Attentäter wird als idealtypischer Vertreter des international verfilzten Judentums dargestellt, sein Opfer vom Rath als „neuer Blutzeuge des ewigen Deutschland“ glorifiziert. Die Schrift behandelt auch den französischen Prozess gegen Grynszpan und gipfelt in Feststellungen „Hinter den Kulissen der ‚Jüdischen Weltliga’“ und einer (logischen Begründung und des Zusammenhangs entbehrenden) Rechtfertigung des „Münchner Abkommens“, dem Beginn der Zerstörung der Tschechoslowakei 1938. Das Pamphlet Diewerges sah das Attentat in Paris als „Fanal für den Endkampf zwischen Nationalsozialismus und Judentum“, stellte die deutsche Politik der Judenfeindschaft als Abwehrkampf dar, zur „Befreiung Europas von dem Treiben der kriegshetzerischen Juden“. Deshalb sei „Deutschlands Judenfeindschaft auch ein Bekenntnis zum Frieden!“ Schwer verständlich ist es, dass das antisemitische Pamphlet aus dem Goebbelsministerium seit 2011 in einem Reprint, versehen mit einem dummdreisten Vorwort, wieder auf dem Markt ist.

Wolfgang Benz

Literatur Novemberpogrom 1998. Reaktionen und Wirkungen, Themenheft der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), Heft 11.

Anti-Anti-Blätter (1923–1932) Die „Anti-Anti-Blätter zur Abwehr, Tatsachen zur Judenfrage“, so der vollständige Titel der Erstauflage des Taschenführers von 1923, waren der Versuch, ein handliches Kompendium zu schaffen, um der antisemitischen Propaganda auf der Straße und bei Veranstaltungen mit fundierten Argumenten begegnen zu können. Die Idee dazu stammte vom Bremer Pfarrer Emil Felden, der sich als Pazifist und Sozialist schon im Verein zur Abwehr des Antisemitismus engagiert und mit seinem 1921 veröffentlichten Roman „Die Sünde wider das Volk“ dem Antisemitismus Artur Dinters in dessen populärem Werk → „Die Sünde wider das Blut“ entgegengetreten war. Felden, der sich bei seiner regen Reise- und Vortragstätigkeit gegen den Antisemitismus in ganz Deutschland immer wieder mit denselben antisemitischen Vorwürfen konfrontiert sah, ersann die „Anti-Anti-Blätter“ als Unterstützung für Redner im Streit mit antisemitischen Agitatoren (Zeiß-Horbach). So sollte auch jemand, der nicht im Detail mit der Materie vertraut war, auf entsprechende Anschuldigungen mit Gegenargumenten reagieren können.

Der Anticlericus (Friedrich Andersen, 1907)

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Der Erstdruck der „Anti-Anti-Blätter“ fand vermutlich in einer sozialdemokratischen Druckerei in Bremen statt und wurde von Julius Bamberger, Mitglied des Hauptvorstands des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und Leiter der Ortsgruppe in Bremen, finanziert. Ab 1924 erschienen die „Anti-Anti-Blätter“ im vereinseigenen Philo-Verlag, der zuvor schon zwei ähnliche Publikationen – „Waffen im Abwehrkampf“ sowie „Angriff und Abwehr, ein Handbuch der Judenfrage“ – herausgegeben hatte. Die Erstauflage des Centralvereins enthält 60 Stichworte, die über ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis sowie ein thematisches Register mit den Kategorien „Rassenfragen“, „Urteile über die Juden“, „Jüdische Sittlichkeit“, „Die Juden im Krieg“, „Die Antisemiten“ und „Juden und ‚Verjudung‘“ erschlossen sind. Die Texte selbst – jeweils lose Blätter im Oktavformat – sind in einem Schuber zusammengestellt und umfassen inhaltlich ein breites Spektrum. Neben Aussagen bekannter Persönlichkeiten wie Luther, Goethe, Bismarck und Mommsen werden z. B. auch Ansichten von „Rasseforschern“ zur Abstammung Jesu zusammengetragen, die zum Teil widersprüchlichen Argumentationen antisemitischer Agitatoren wie Theodor Fritsch und Adolf Bartels dargestellt, oder es wird die vermeintliche Billigung von Verbrechen gegen Nichtjuden durch den Talmud widerlegt. Ebenso finden antisemitische Topoi Beachtung, die unmittelbar aus der Erfahrung und den Folgen des Ersten Weltkrieges resultierten, denn insbesondere sie stellten in der Zwischenkriegszeit einen elementaren Bestandteil antisemitischer Propaganda dar, darunter etwa die „Drückebergerei der Juden“ und „Jüdische Kriegsopfer“, „Bolschewismus“, „Judenkrieg“ und „Dolchstoß“. 1932 erschien unter der Redaktion von Ernst Gottfried Lowenthal die siebte und letzte Auflage des „Anti-Anti: Tatsachen zur Judenfrage“, die im Herbst des Jahres ausführlich in der Presse besprochen wurde. Nur kurze Zeit später entschied der Centralverein jedoch, die Auflage selbst zu vernichten, um „belastendes“ Material verschwinden zu lassen (Paucker). Bei jedem neuen Druck wurde das Kompendium, von dem in Deutschland insgesamt rund 30.000 Exemplare durch Verkauf und Verteilung in Umlauf gebracht worden waren, durch Ergänzungen den Argumenten und der Rhetorik antisemitischer Propaganda angepasst und war – möglicherweise ohne Wissen Feldens – erweitert worden, sodass der Umfang zuletzt über 180 Blatt betrug.

Jan-Philipp Pomplun

Literatur Avraham Barkai, Wehr Dich! Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1893–1938, München 2002. Arnold Paucker, Der jüdische Abwehrkampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus in den letzten Jahren der Weimarer Republik, Hamburg 1968. Auguste Zeiß-Horbach, Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Zum Verhältnis von Protestantismus und Judentum im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Leipzig 2008.

Der Anticlericus (Friedrich Andersen, 1907) Die umfangreiche Abhandlung „Der Anticlericus. Eine Laientheologie auf geschichtlicher Grundlage“ (Schleswig, 1907) gehört zu den grundlegenden Texten des antise-

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Der Anticlericus (Friedrich Andersen, 1907)

mitischen „deutschchristlichen“ Flügels der völkischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Verfasser war Friedrich Andersen, der Flensburger Theologe und Mitbegründer des Bundes für Deutsche Kirche. Der „Anticlericus“ stellt einen frühen Versuch des Autors dar, eine historisch fundierte judenfeindliche Theologie zu begründen und dabei Antisemitismus und Antikatholizismus miteinander zu kombinieren. Wie die meisten antisemitischen Texte folgt die Darstellung einem strikt dichotomen Muster, das bereits am Aufbau des Buches leicht erkennbar ist. Andersen vermeint einen fundamentalen Antagonismus zwischen „Klerikalismus“ und „Laientheologie“ in der Religions- und Kirchengeschichte ausmachen und auf ihre jeweiligen Ursprünge zurückführen zu können. Unter „Klerikalismus“ versteht er dabei die „Entartung“ jedes wahren religiösen Lebens in Form scheinbar lebensferner Dogmen, sinnentleerter Rituale und einer strengen Hierarchisierung zwischen Laien und religiösen Experten. Im Zentrum des Buches steht die Identifizierung des Judentums als „Mutterschoß des Klerikalismus“, während „Jesus als Überwinder des Klerikalismus“ in Erscheinung tritt. Mithin also wird das (ursprüngliche) Christentum von vornherein als fundamentaler Antipol des Judentums präsentiert. In seiner institutionalisierten kirchlichen Form indes habe sich das Christentum gegenüber dem Klerikalismus immer wieder als anfällig erwiesen, wie dies nachgerade die Geschichte des Katholizismus zeige. Die ersten Kapitel behandeln Genese und Charakter der beiden zentralen Elemente Klerikalismus und Laientheologie. Die identifizierten „Grundzüge des klerikalen Judentums“ bestehen im Wesentlichen aus klassischen antisemitischen Topoi. Entsprechend nennt Andersen einen „mangelnden Sinn für geschichtliche Wahrheit“, Selbstgerechtigkeit, Selbstüberhebung, „maßlose Herrschsucht“ sowie Rachsucht und Schadenfreude. Die sogenannte jesuanische Laienreligion zeichne sich demgegenüber einzig durch „Überwindung“ dieser Eigenschaften aus. Die folgenden Kapitel berichten sodann vom Kampf beider Prinzipien innerhalb der Kirchengeschichte. So widmet sich das dritte Kapitel dem „Einschlüpfen des jüdischen Geistes in die apostolische Urkirche“. Diese Entwicklung habe während der mittelalterlichen Ketzer- und Hexenverfolgungen ihren Höhepunkt erreicht. Demgegenüber wird die Reformation als ein Versuch geschildert, den Klerikalismus zu überwinden und an die laientheologischen Ursprünge der Jesusreligion anzuknüpfen. Andersen beklagt jedoch, dass sich der „jüdische Geist“ seit der Reformation immer wieder sowohl im lutherischen als auch im reformierten Protestantismus geltend gemacht habe. Im letzten Kapitel wartet der Autor schließlich mit praktischen Vorschlägen und einem Programm zur endgültigen „Ausscheidung des Klerikalismus aus dem Christentum der Gegenwart“ auf. Wie andere antisemitische Theologen, die grundsätzlich am Christentum festhalten wollten, stand Andersen vor dem Problem, die jüdische Herkunft des Christentums zu erklären. Der mitunter einfachste und radikalste Weg in diesem Sinne besteht darin, jeden historischen Zusammenhang zwischen Juden- und Christentum zu leugnen. Diese Strategien manifestierten sich etwa in zeitgenössischen Spekulationen über eine „arische“ Abstammung Jesu, wie sie im völkischen Lager besonders namhaft von Houston Stewart Chamberlain vertreten worden sind. Anders als in seinen späteren Schriften lehnt Andersen diesen Weg im „Anticlericus“ jedoch dezidiert ab. Dass er zu diesem Zeitpunkt das rassische Paradigma noch nicht übernom-

L’Antijuif (franz. Algerien, 1897–1902)

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men hatte, sondern das klerikale Judentum als eine primär religiöse bzw. geistig-ideelle Gefahr ansah, zeigt sich an seinem abschließenden Plädoyer für die „Judenmission“. Diese, so Andersen, sei dabei „nicht nur ein Gebot der Barmherzigkeit, sondern auch des Selbstschutzes der christlichen Völker“. Der größte Teil seiner Vorschläge bezieht sich indes auf die „religiöse Erziehung“. Im Zentrum steht hier die Absetzung des Alten Testaments aus dem Kanon der für das Christentum relevanten Texte. Mit Bezug auf einschlägige Autoren der seinerzeitigen alttestamentlichen und altorientalistischen Forschung (Julius Wellhausen, Eberhard Schrader, Fritz Hommel etc.) insistiert er vor allem auf die historischen Unstimmigkeiten der alttestamentlichen Texte. Unter dem Titel „Der Deutsche Heiland“ publizierte Andersen 1921 eine Neuauflage des „Anticlericus“, die jedoch wesentlich radikaler ausfiel.

Felix Wiedemann

Literatur Uwe Puschner, Deutschchristentum. Eine völkisch-christliche Weltanschauungsreligion, in: Richard Faber, Gesine Palmer (Hrsg.), Der Protestantismus. Ideologie, Konfession oder Kultur?, Würzburg 2003, S. 93–122. Hauke Wattenberg, Friedrich Andersen. Ein deutscher Prediger des Antisemitismus, Flensburg 2004.

L’Antijuif (franz. Algerien, 1897–1902) Die französischsprachige Zeitung „L’Antijuif“ [Der Anti-Jude] im Département Algerien spiegelte in ihrer Heftigkeit, aber auch in der Kurzlebigkeit die antisemitischen Wirren wider, die das französische Département von Algerien zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert prägten. Geleitet wurde die Veröffentlichung vom Anstifter der Unruhen, dem Populisten Max Régis. Wie auch einige andere lokale Publikationen war die Zeitung Sprachrohr einer Bewegung, die sich gegen die Juden Algeriens richtete, die durch das Crémieux-Dekret von 1870 zu französischen Staatsbürgern geworden waren (im Unterschied zur arabischen Bevölkerung, die weiterhin diskriminiert blieb) und sich ihrem neuen Vaterland besonders verbunden zeigten. Träger dieser Bewegung waren einerseits Kolonisten und neue Immigranten (Spanier, Italiener) und andererseits die durch sie in starkem Maße manipulierten Araber, wobei „L’Antijuif“ die extreme Variante vertrat. Dieser „Antijudaismus“ (der Begriff „Antisemitismus“ wurde verworfen, um nicht die Araber als Semiten zu brüskieren), der auf althergebrachte und grobe Stereotypen zurückgriff, war von regelmäßigen Höhepunkten gekennzeichnet. Er bezog sich auf ökonomische und politische Aspekte, nicht aber auf die Religion. Die Protestbewegung hatte 1892 zur Gründung der Antijüdischen Liga geführt, deren Organ die Zeitung „L’Antijuif“ war. Diese Gruppierung blieb anfangs eine Minderheit und kämpfte lediglich für die Aufhebung des Crémieux-Dekretes. Nach kleineren Straßenschlägereien gelangten einige ihrer Anführer nach Wahlerfolgen an politisch verantwortliche Stellen, zuerst in der Stadtverwaltung von Oran, danach in Constantine (1896). Unter dem Eindruck, im Mutterland kein Gehör zu finden, stieg die Tendenz zur physischen Gewalt gegen Juden in der algerischen Bevölkerung. Die „Seele des antijüdischen Gefühls“ (wie Drumont es ausdrückte) war Max Régis. Dieser junge, italienischstämmige Franzose war typisch für

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L’Antijuif (franz. Algerien, 1897–1902)

das Milieu der Protestierenden: Als Student in Algier war er aus der Juristischen Fakultät verwiesen worden, nachdem er die Lehrveranstaltungen eines jüdischen Professors gestört hatte. Seine Verve und dieser Zwischenfall verhalfen ihm zur Spitzenposition in der Antijüdischen Liga von Algier und seiner Zeitung „L’Antijuif“, die mit der Ausgabe vom 14. Juli 1897 neu lanciert wurde und sogleich zur Tat aufrief. Die Zeitung war es auch, die das Startsignal zu einem einwöchigen Pogrom im Januar 1898 gab: Artikel, die regelmäßig mit „Nieder mit den Juden!“ endeten, stachelten zur Gewalt an. Das Boulevardblatt, das mit provokanten und auffallend großen Schlagzeilen rasch Erfolg hatte, ermunterte zu Angriffen gegen die Juden. Das Ressentiment wurde über spezielle antijüdische Rubriken (Inventar des jüdischen Handels, um den Boykott zu verstärken), Anzeigen (Liste der „französischen“ Geschäfte, die Juden beschäftigten; namentliche Erwähnung von Personen, die bei Juden einkauften) und Aufrufen anlässlich antijüdischer Kundgebungen aufrechterhalten. Die Grundlinie lag in der Anprangerung einer an Juden verkauften Republik, die Algerien vernachlässige; immer wieder wurde auf die Abschaffung des Crémieux-Dekrets, später auch auf die freiwillige – andernfalls erzwungene – Abwanderung der Juden Algeriens gedrungen. Im März 1898 kam als Ergänzung eine illustrierte Beilage zum Blatt, in der der Antisemitismus über ausdrucksstarke Karikaturen und unter Anführung gemeiner Klischees von Juden angeheizt wurde. „L’Antijuif“ machte auch den Wandel der antisemitischen Bewegung mit: Auf die Gewalt in der Straße folgte das Engagement in der Politik. Régis sicherte sich zunächst die Unterstützung Édouard Drumonts, der bereit war, für das Abgeordnetenmandat von Algier im Frühling 1898 anzutreten, mit Erfolg, denn von sechs gewählten algerischen Abgeordneten kamen vier aus dem antijüdischen Lager. Régis selbst, der 1898 mehrmals wegen Anstiftung zur Gewalt verurteilt wurde, trat bei den Wahlen zur Stadtverwaltung von Algier an und wurde am 21. November zum Bürgermeister gewählt. Seine Zeitung wurde nun zum offiziellen Organ der Stadtverwaltung, mit regelmäßigen Angriffen auf den Repräsentanten von Paris („ein Knecht von Rothschild“) und nachdrücklicher Unterstützung des Antijudaismus, den der neue Bürgermeister in seiner Politik umzusetzen trachtete: Säuberung der städtischen Beamten, Boykott des jüdischen Handels, Maßnahmen gegen die jüdische Gemeinde, Perspektive ihrer Ausweisung, etc. Die Aggressivität von „L’Antijuif“ ließ in der Folge nicht nach, auch nicht nach der Suspendierung Régis’ am 11. Dezember 1898 (seine – illegalen – Maßnahmen wurden vom Mutterland für ungültig erklärt; er wurde beschuldigt, öffentlich Unruhe zu stiften). Die Zeitung nährte die antisemitische Flamme weitere zwei Jahre lang, die vom impulsiven Charakter Régis’ geprägt waren: mehrmals Flucht bzw. Abreise ins Exil, Verurteilungen und Duelle, die von der Zeitung dem jüdischen Komplott zugeschrieben wurden (angeblich verkörpert von der Alliance Israélite Universelle) bzw. einer „verjudeten“ Republik. Die von der antijüdischen Zeitung angestrebte ständige Agitation sollte die ideologische Leere und die Inkompetenz seiner Verantwortlichen sowie die Nichtigkeit ihrer Versprechungen ausgleichen. 1902 verfehlten die antijüdischen Abgeordneten ihre Wiederwahl, Régis verließ seinen 1901 zurückeroberten Bürgermeisterposten in Algier. Es war dies das Ende einer heftigen, aber zeitlich begrenzten Bewegung, in der

Antisemita (Kroatien, 1908)

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der Antisemitismus als Katalysator für verschiedenste Ansprüche und Proteste fungiert hatte. Régis, der in erster Linie für seine eigenen Interessen Nutzen gezogen hatte, wurde seinen nationalistischen Verbündeten letzten Endes lästig, da er das Gespenst eines algerischen Separatismus weckte. Die Verkaufszahlen der Zeitung sanken stetig; mehrere Journalisten wechselten zu moderateren Presseorganen. 1902 stellte „L’Antijuif“ das Erscheinen unter diesem Namen ein. Das Blatt wandelte sich zum neutraleren „L’Antijuif“ ohne den bisherigen antijüdischen Gehalt. Régis kehrte in die Anonymität zurück. Nach dieser kurzen, aber einschneidenden Bedrohung fanden die Juden Algeriens wieder Ruhe. Die antijüdische Agitation setzte allerdings in den 1920er Jahren und dann vor allem im darauffolgenden Jahrzehnt wieder ein. Das Crémieux-Dekret wurde vom Vichy-Regime per Gesetz vom 7. Oktober 1940 aufgehoben und nach der Befreiung wieder in Kraft gesetzt. Die jüdische Gemeinde verließ Algerien, als es 1962 unabhängig wurde.

Dominique Trimbur

Literatur Pierre Birnbaum, Le moment antisémite: un tour de la France en 1898, Paris 1998. Pierre Hebey, Alger, 1898: la grande vague antijuive, Paris 1996. Claude Martin, Les Israélites algériens de 1830 à 1902, Paris 1936. Marie-Anne Matard-Bonucci, L’image, figure majeure du discours antisémite, in: Vingtième Siècle–Revue d’histoire, Nr. 72, 2001, S. 27–40.

Antisemita (Kroatien, 1908) Die erste Ausgabe der „Antisemita“ erschien am 16. März 1908 in Zagreb. Den Titel schmückte eine Zeichnung, auf der linksseitig eine arme, kinderreiche jüdische Familie dargestellt war. Ein Straßenschild wies der Familie den Weg in Richtung „Hrvatska“ [Kroatien]. Auf der rechten Seite war die gleiche Familie, jetzt aber reich und wohlgenährt, zu sehen. Damit zeigte die Zeitschrift auch gleich einen der Hauptvorwürfe, der den kroatischen Juden seitens der Antisemiten gemacht wurde: Die Juden würden nur die eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen, Land und Leute ausnutzen und so den eigenen Wohlstand mehren, nicht aber an das Land Kroatien denken. Der Untertitel bezeichnete „Antisemita“ als das „Hauptorgan der antisemitischen Liga der Christen römisch-katholischer und orthodoxer Religion in Kroatien und Slawonien“. Die Zeitschrift wurde in der Katholischen Druckerei in Zagreb gedruckt, ihr Chefredakteur war der ehemalige Kabarettbesitzer und Setzer Ivan S. Kannengiesser. Was der Titel der Zeitschrift versprach, hielt der Inhalt: Sie war übersät mit judenfeindlichen Artikeln und Aufrufen an die Leser, nur bei Christen einzukaufen. Auf der Titelseite der zweiten Ausgabe war ein Schreiben Karl Luegers abgedruckt, in dem dieser die antisemitische Idee in Kroatien begrüßte und der Zeitschrift im Kampf gegen „den allmächtigen Einfluss des Judentums“ Glück wünschte. Nur einige wenige kroatische Medien reagierten auf das neue Blatt. So verurteilten beispielsweise das Organ der Fortschrittlichen Partei Pokret [Bewegung] sowie die zionistische Zeitschrift „Židovska smotra“ [Jüdische Rundschau] das Erscheinen dieses antisemitischen Blattes und äußerten sich zugleich zuversichtlich, dass es sich in Kroatien nicht

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Antisemiten-Brevier (Wilhelm Berg, 1883)

halten werde. Am 18. April 1908 erschien die sechste und letzte Ausgabe der Zeitschrift. Sie wurde aufgrund ausgebliebener Abonnenten eingestellt.

Marija Vulesica

Literatur Marija Vulesica, Die Formierung des politischen Antisemitismus in den Kronländern Kroatien und Slawonien 1879–1906, Berlin 2012.

Antisemiten-Brevier (Wilhelm Berg, 1883) Das 1883 von Wilhelm Berg herausgegebene, kleinformatige Heft mit dem Titel „Antisemiten-Brevier“ bedient sich bereits im Vorwort antisemitischer Hetzpropaganda, wie sie später auch die Nationalsozialisten verwendeten. So heißt es: „Mit den Ideen, die wir in diesem Breviere niedergeschrieben haben, richten wir uns vor Allem gegen die heutigen Tages in unserem Vaterlande herrschende materialistische Weltanschauung und deshalb zunächst gegen die Hauptstütze derselben, gegen das Judentum. Wir erkennen in der Judenfrage lediglich eine Existenzfrage für unser Volk und trennen sie daher von jedem rein politischen Partheigetriebe.“ Das Buch erschien auf dem Höhepunkt der damaligen antisemitischen Agitation im Kontext des 1873 erfolgten „Gründerkrachs“, dem Einbruch der Finanzmärkte insbesondere im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn. Es zielte speziell auf deutschnationale, christliche Gruppierungen und bediente deren Vorstellungen von Juden, die immer als „Fremde“, d. h. niemals als deutsche Staatsbürger im Deutschen Reich leben konnten. Mithilfe von Reimen bedient sich der Verfasser zudem altbekannter antisemitischer, der christlichen Judenfeindschaft entlehnter diffamierender Vorstellungen über „die“ Juden. Der Antisemitismus existiere Berg zufolge seit 4.000 Jahren, „alle Geschichtsschreiber“ seien sich „einig“, dass Juden Fremde seien, negative Eigenschaften aufwiesen und dass es ihr Ziel sei, die Weltherrschaft zu übernehmen. Er führt prominente deutsche Dichter oder Komponisten wie Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte oder Richard Wagner zum „Beweis“ für seine Ausführungen heran. Zudem stellt er die Behauptung auf, dass bereits der „berühmte Alterthumsforscher Dr. L. Reinisch“ aus „egyptischen Hieroglyphen“ entziffert habe, dass „Korruption, Sittenverfall und zügellose Ausschweifungen an den semitischen, phönizischen, jüdischen und arabischen Kaufleuten gelegen habe“. Auch den Untergang Athens bringt er in Zusammenhang mit Juden und zieht dabei als gelehrten Zeugen den „bekannten Professor der Philologie Böth“ heran. In den fünf folgenden Kapiteln erklärt der Autor im Detail, was es mit den Juden auf sich habe. Er formuliert im ersten Kapitel „Kauft nur bei Christen“ und richtet parallel mahnende Worte an die deutsche Frau, nicht „bei Juden“ zu kaufen. Grund für diese Ermahnung sei die Tatsache, dass Juden betrügen würden und diese Charaktereigenschaft bereits im Talmud quasi per „Gesetz“ festgelegt sei. Im zweiten Kapitel führt er diese Argumentation fort, indem er Juden unterstellt, die Emanzipation des 19. Jahrhunderts für ihre Zwecke „missbraucht“ zu haben. Deutschland diene nunmehr nur noch als „Filtrierapparat für heimathlose Juden“. Das dritte Kapitel behandelt die Frage, wie die deutsche Frau „für unsere christlich-nationale Sache“ gewon-

Antisemiten-Hammer (Josef Schrattenholz/Hrsg., 1894)

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nen werden könne. Diese müsse mit den Antisemiten an einem Strang ziehen, obwohl diese sich selbst als „Feind einer jeden Frauenemanzipation“ bezeichneten. Im vierten Kapitel folgt der Aufruf, eine Gemeinschaft zum Wohle des deutschen Volkes zu bilden: Wichtig sei demzufolge „die Eigenschaft Antisemit“, die „Partei spielt keine Rolle!“ Das fünfte und letzte Kapitel verunglimpft schließlich den Talmud. Nun folgt der „Katechismus für jeden Antisemiten“ und eine Aufzählung der „bedeutendsten Männer unserer Bewegung“. Er nennt radikale Antisemiten wie Adolf Stoecker (deutscher Theologe und antisemitischer Politiker), Joseph Cremer (Journalist und Politiker), Liebermann von Sonnenberg (Politiker und Publizist) oder Bernhard Förster (Politiker und Gründer der Kolonie „Nueva Germania“). Es folgen die Benennung antisemitischer „Gedenktage“, wie die „Gründung der christlich-socialen Partei durch Hofprediger Stoecker [am] 3.1.1878“, und ein „Verzeichnis derjenigen Zeitschriften, welche direkt von Juden geleitet werden, oder doch wenigstens im Dienste und im Solde des Judenthums stehen“. Er zählt die „acht Thesen des I. internationalen Antisemiten-Congreßes zu Dresden“ auf, deren Ziel es sei, die „Übermacht des Judenthums zu brechen“ oder die „Einwanderung der Juden, namentlich von Osten her […] zu verhindern“. Nach Art eines Nachschlageheftchens für Antisemiten listet er nun Poesie wie das „Lied der Deutschen“ mit den Zeilen „Deutschland, Deutschland über Alles“ von Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahr 1841 auf. In den abschließenden „Epigrammen“ werden die „faulen, jüdischen Börsenblätter“, die „jüdischen Redakteure“ oder prominente Juden wie der Zeitungsverleger Rudolf Mosse sowie die amerikanische Schauspielerin Sarah Bernhardt angesprochen, der er unterschwellig Raffsucht unterstellt: „Du hast Diamanten und Perlen, hast Alles was Menschen begehrn, Du hast vier herrliche Kinder, O Jungfrau, was willst Du noch mehr?“ Schließlich bietet der Autor beim Kauf des Brevieres hohe Mengenrabatte an.

Verena Buser

Antisemiten-Catechismus → Handbuch der Judenfrage

Antisemiten-Hammer (Josef Schrattenholz/Hrsg., 1894) Der „Antisemiten-Hammer“ ist eine Zusammenstellung unterschiedlicher Texte, die gegen den Antisemitismus Stellung beziehen, das Judentum bzw. Juden und Jüdinnen würdigen oder gegenüber Vorurteilen und Unterstellungen verteidigen sollen. Die ausgewählten Texte umfassen religiöse Schriften, philosophische Abhandlungen, geisteswissenschaftliche Arbeiten und Kommentare von der Antike bis Ende des 19. Jahrhunderts. Der „Antisemiten-Hammer“ erschien 1894 als Reaktion auf das Erstarken des organisierten Antisemitismus und wurde im Commissions-Verlag von Ed. Lintz in Düsseldorf herausgegeben. Herausgeber und Autor der Einleitung ist der Musikwissenschaftler und Redakteur der „Bonner Zeitung“ Josef Schrattenholz, der sich dezidiert als deutscher Katholik gegen Antisemitismus einsetzte. Das Vorwort schrieb der Physiologe und Anthropologe Jacob Moleschott. Das Buch war vor allem für ein nichtjüdisches Publikum gedacht, Schrattenholz richtet sich in seiner Einleitung mehrmals mit dem Wort „Wir“

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Antisemiten-Hammer (Josef Schrattenholz/Hrsg., 1894)

explizit an christliche Deutsche. Er widmet darüber hinaus seine Anthologie aber ebenfalls einer breiteren Leserschaft und nennt dabei insbesondere Juden sowie auch Antisemiten. Der Titel „Antisemiten-Hammer“ bezieht sich auf den „Hexenhammer“ (malleus maleficarum), eine spätmittelalterliche Legitimationsschrift für „Hexenverfolgungen“. Schrattenholz vergleicht in seiner Einleitung den Antisemitismus ausdrücklich mit Hexenverfolgungen: „An Stelle der Hexerei hat die Vertreterschaft der Religion der Liebe und modernen Bildung gegenwärtig das Judenthum gesetzt, statt Hexen und Druden foltern wir heute die Israeliten.“ Er wollte sein Werk als humanistisches Gegenstück zum „Hexenhammer“ verstanden wissen. Es war der Anspruch von Schrattenholz, eine im Geist der Aufklärung und des Humanismus geprägte umfassende Quellensammlung zu erstellen, die Zitate verschiedensten Ursprungs, die gegen antisemitische Argumentationen einsetzbar sind, aufbereiten sollte. Die von ihm gewählten Texte bzw. Textausschnitte entnahm er u. a. Werken klassischer antiker Autoren, religiösen Schriften unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse (so verwendete er etwa Suren aus dem Koran und Ausschnitte aus der Thora), humanistisch-aufklärerischen Texten und zeitgenössischen Kommentaren und Schriften. Die Texte stammen dabei u. a. von Platon, Tacitus, Humboldt, Luther, Shakespeare, Kant, Lessing, Spinoza und Goethe. In seiner Einleitung betont Schrattenholz, vor allem Texte von Nichtjuden verwendet zu haben, obwohl vereinzelt auch Schriften von jüdischen Autoren aufgenommen wurden. Ziel des Buches war es, die antisemitische Argumentation, wonach Antisemitismus eine Grundkonstante der Menschheitsgeschichte sei, zu widerlegen. Die einzelnen Kapitel des „Antisemiten-Hammers“ umfassen Texte zu unterschiedlichen Schwerpunkten: „Gott, Mensch und Leben“, „Rasse, Nation und Menschheit“, „Juden und Judenthum“, „Religion, Moral und Humanität“, „Die jüdische Religion“, „Gold, Geld und Reichthum“, „Handel und Wucher“, „Wahrheit und Irrthum. Recht und Unrecht“, „Staat und Zeitgeist. Gesellschaft und Vorurtheil“ und „Die Juden als Culturträger“. Darüber hinaus enthält das Buch mit den Kapiteln „Zeitstimmen über den Antisemitismus“ und „Gedichte“ zeitgenössische Texte, welche die jeweiligen Autoren speziell für den „Antisemiten-Hammer“ verfasst haben. Der „Antisemiten-Hammer“ war als „Abwehrliteratur“ und konkret einsetzbares Werkzeug gegen den Antisemitismus gedacht und wurde in dieser Funktion auch benutzt. So subventionierte und verteilte etwa der Deutsch-Israelitische Gemeindebund (DIGB) Ausgaben des Buches. Obwohl der „Antisemiten-Hammer“ als Schriftsammlung gegen den Antisemitismus angelegt ist, enthalten darin veröffentlichte Texte auch unterschiedliche Stereotype von Juden. Die anti-antisemitische Argumentation ist immer wieder von philosemitischen Klischees durchzogen. Moleschott stellt etwa in seinem Vorwort die rhetorische Frage: „Ist es der Juden Schuld, dass sie durchschnittlich begabter, edler, gemüthswärmer sind als Ihr?“ Auch in den von Schrattenholz ausgewählten Texten finden sich Stereotype von Juden, die, im Gegensatz zu antisemitischen Schriften, positiv besetzt werden. Die Texte sind außerdem teilweise tendenziös gewählt, so werden etwa von Friedrich Nietzsche

L’Anti-Sémitique (Frankreich, 1883–1884)

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als „pro-jüdisch“ auslegbare Zitate verwendet, ohne auf antisemitische Vereinnahmungen Nietzsches einzugehen.

Lukas Meissel

Literatur Alan T. Levenson, Between Philosemitism and Antisemitism. Defense of Jews and Judaism in Germany 1871–1932, Lincoln, London 2004. Thomas Mittmann, Vom „Günstling“ zum „Urfeind“ der Juden. Die antisemitische Nietzsche-Rezeption in Deutschland bis zum Ende des Nationalsozialismus, Würzburg 2006.

Antisemiten-Katechismus → Handbuch der Judenfrage

L’Anti-Sémitique (Frankreich, 1883–1884) „L’Anti-Sémitique“ ist Anfang der 1880er Jahre der dritte Versuch, ein ausschließlich antijüdisches Periodikum in Frankreich zu gründen und kann schon wegen seines Titels als erste „antisemitische“ französische Zeitung angesehen werden: 48 Nummern erschienen im Wochentakt zwischen dem 2. Juni 1883 und dem 17. Mai 1884. Der „Anti-Sémitique“ erschien mit acht Seiten im Großformat ohne Illustrationen zunächst in Montdidier (Somme), bevor die Redaktion im Januar 1884 nach Paris verlegt wurde. Die Artikel erschienen weitestgehend anonym. Da das Zeitungsarchiv nicht erhalten ist, liegt der redaktionelle Aufbau des Unternehmens im Dunkel, vor allem seine Finanzierung (die Wochenzeitung verzichtete gänzlich auf Werbung). Der Drucker Abel Fauverge, von dem nur bekannt ist, dass er 1883 den „Anti-Sémitique“ verlegte, wird auch als Initiator des Projekts genannt. Einzig zwei gelegentliche Mitarbeiter der Zeitung genossen zur damaligen Zeit eine gewisse Bekanntheit: der Sozialist Auguste Chirac und Abbé Chabauty. Form und Inhalt des Periodikums änderten sich laufend, die Judenfeindschaft bildete jedoch die Konstante. Der „Anti-Sémitique“ bot seinen Lesern keine wirklich aktuellen politischen Berichte, was wohl damit zusammenhing, dass die Zeitung keine klare politische Linie verfolgte: Dass in denselben Spalten ein ultramontaner Abbé (Chabauty) neben einem ausgemachten Atheisten (Chirac) stand, verdeutlicht die Entscheidung, antijüdische Argumente aus verschiedenen Richtungen zusammenzutragen. Dennoch war der „Anti-Sémitique“ kein Zusammenschluss der Extreme und auch kein einfaches Bündnis der Feinde des neuen Regimes. Bisweilen zeigte er sich gegenüber republikanischen Persönlichkeiten aufgeschlossen und versuchte sogar, die Freimaurer zu überzeugen. Seinen Mitarbeitern war in erster Linie daran gelegen, in Frankreich eine für alle offene „antisemitische“ Bewegung zu initiieren, und sie beriefen sich auf zahlreiche Initiativen, die sich diesen Begriff auf die Fahnen geschrieben hatten, wie etwa eine Buchhandlung, die Gründung einer Liga oder auch die Aufstellung eines „anti-semitischen“ Kandidaten bei den Parlamentswahlen im September 1883. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Ankündigungen auch nur in Ansätzen umgesetzt wurden. Ebenso verhielt es sich mit dem internationalen Antisemitenkongress, der Anfang 1884 in Paris stattfinden sollte, jedoch nie zustande kam. Der internationale Anspruch er „Anti-Sémitique“ zeigte sich auch daran, dass er Studien zur „Juden-

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Antisemitische Hefte (Wilhelm Marr, 1880)

frage“ aus anderen Ländern und Informationen zur antijüdischen Agitation in Europa druckte. Der „Anti-Sémitique“ erschien in der gesamten Republik, für November 1883 wurde eine Auflage von 18.000 angegeben. Er rief zudem einige Reaktionen hervor, darunter den Gegenspieler „Tribune philo-sémitique“. Doch im Großen und Ganzen traf er auf ein allgemeines Schweigen oder Misstrauen. Kaum ein Jahr nach seiner Gründung wurde der „Anti-Sémitique“, sicher aufgrund mangelnder Leserschaft, eingestellt, während die Titeländerung für die letzten Nummern in „Le péril social. Le parasite, voilà l’ennemi!!!“ vom mittelmäßigen Erfolg des Begriffs „antisemitisch“ in dieser Zeit zeugt. Die späteren französischen Antisemiten – allen voran Drumont, der die Zeitung kannte – beriefen sich kaum auf diese erste Initiative.

Damien Guillaume

Antisemitische Correspondenz → Deutschvölkische Blätter

Antisemitische Hefte (Wilhelm Marr, 1880) Die drei Ausgaben der „Antisemitischen Hefte“ erschienen im Jahr 1880 auf dem Höhepunkt der ersten antisemitischen Welle. Wilhelm Marr, der „Patriarch des Antisemitismus“, war der alleinige Autor, jedes Heft hatte einen Umfang von 32 Seiten. Die Reihe konnte die Erwartung, eine große Leserschaft zu erreichen und die antisemitische Bewegung organisatorisch zu einen, nicht erfüllen. Sie stellte ihr Erscheinen schon im ersten Jahr wieder ein. Dennoch hatte sie eine gewisse Bedeutung für die Verfestigung des Begriffes Antisemitismus, für die Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung und die Radikalisierung des Antisemitismus. Wilhelm Marr durchbrach seine scheinbar passiv-pessimistische Haltung (im → „Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ von 1879) schon auf der Rückumschlagseite der so erfolgreichen Schrift. Dort kündigte er in einem Aufruf an seine Leser an, eine sozialpolitische Wochenschrift zu gründen, um „moralische Pression auf die jüdische Fremdherrschaft auszuüben“. Dieser Absicht diente zunächst „Die Deutsche Wacht“. Im März 1880 kam es zum Bruch zwischen Marr und Otto Henze, dem Verleger der „Wacht“. Der Verleger Ernst Schmeitzner, der von den Konflikten erfahren hatte, bot Marr an, „Die Deutsche Wacht“ zu übernehmen. Dieser nutzte die Offerte jedoch für ein neues Projekt, nämlich eine allein von ihm produzierte Reihe unter der Bezeichnung „Antisemitische Hefte“. Sie bot Marr neben dem Publikationsraum die Gelegenheit, den Begriff „Antisemitismus“ ohne Rücksicht auf christlich oder sozial argumentierende Bündnispartner inhaltlich auszubilden und öffentlich zu propagieren. Schmeitzner sah zunächst eine Auflagenhöhe von 5.000 Exemplaren zum Preis von 60 Pfennig vor. Nachdem vom ersten Heft aber weit weniger als 1.000 Stück verkauft worden waren, reduzierte er die Auflage auf die Hälfte. Das „Antisemitische Heft“ Nr. 1 erschien im April oder Mai 1880 mit dem Titel „Der Judenkrieg, seine Fehler und wie er zu organisieren ist“ als zweiter Teil des „Sieg des Judenthums über das Germanenthum“. Wie der martialische Broschürentitel und der Hinweis auf dem Titelblatt „Der Verkauf findet zum Besten des antisemitischen Agitationsfonds statt“ nahelegten, zielte das Heft auf die praktisch-organisatori-

Antisemitische Hefte (Wilhelm Marr, 1880)

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sche Ausrichtung der antisemitischen Bewegung. Ausführlich rechnete Marr mit seinen Konkurrenten und ehemaligen Gefährten in der Bewegung ab. Er kritisierte Stoecker und dessen christlich-konfessionellen Standpunkt, Otto Glagau, Heinrich Treitschke, vor allem aber seine ehemaligen unmittelbaren Gefährten aus der „Antisemiten-Liga“ und der „Deutschen Wacht“. In unverhohlener Aggressivität und militärischer Sprache drängte er auf Handlung. Den konkreten nächsten Schritt der „Kriegsführung“ sah er in der Einrichtung eines Agitationsbüros, das mit ca. 6.000 Mark pro Jahr ausgestattet werden sollte. Zu diesem Zweck schrieb er eine „freiwillige Antijudensteuer“ aus. Im Schlussteil des ersten Heftes versuchte Marr mit Ausführungen zur Geldpolitik der Reichsbank, mit Statistiken über Presseorgane in jüdischem Besitz oder zur Konfessionsverteilung in Gymnasien die Notwendigkeit des von ihm propagierten Krieges mit Zahlen zu belegen. Im zweiten Heft „Goldene Ratten und rothe Mäuse“ attackierte Marr gleichzeitig Juden und Sozialdemokraten: „Von zwei Seiten wird also die Zerstörung der Gesellschaft betrieben; von Seiten der goldenen und rothen Internationale“. Seine antijüdischen Anschuldigungen verknüpfte er mit Rassetheorien, die von seinen eigenen kolonial-rassistischen Aktivitäten in Costa Rica beeinflusst sind: „Der Habitus der Neuspanier ist ein vorwiegend semitischer“, „dennoch ist die neuspanische Race stark mit Neger- und Indianerblut durchsetzt“, „der Jude kann wissenschaftlich als der ‚weiße Neger’ betrachtet werden“, in Nicaragua und El Salvador vermutete er auf Grund fortgeschrittener Rassemischungen „gefleckte Menschen“. Die Vertreibung der spanischen Juden diente ihm als Vorbild für die Gegenwart, wenn er auch die Scheiterhaufen der Inquisition durch „Waffen des Geistes“ ersetzen wollte. Als „unentbehrliches Büchlein für jeden deutschen Zeitungsleser“ trat das dritte Heft „Öffnet die Augen ihr deutschen Zeitungsleser“ auf den Plan. In diesem Heft wiederholte er seine in der „Deutschen Wacht“ veröffentlichten Anschuldigungen gegenüber der Presse und der „jüdischen Reklame“ und kam zu dem Schluss: „Mit der Judenemanzipation nahm nun auch die Journalistik einen riesigen abstrakt geschäftlich-industriellen Aufschwung“, der schließlich zur „Verjudung der Presse“ und in der Folge zu seinem eigenen Scheitern als Journalist führte. Am Ende des Heftes vermerkte er, dass diese Schrift „von der Inseratenschwindelpresse todtgeschwiegen werden wird“, und versucht so, die Absatzschwierigkeiten der Hefte zu erklären. Als Theodor Fritsch 1885 Ernst Schmeitzners Verlag erwarb, bekannte er in einem Brief an Marr, die „Antisemitischen Hefte“ erst durch den Aufkauf des Verlags kennengelernt zu haben. Ihr Bekanntheitsgrad war daher offenbar selbst innerhalb der antisemitischen Bewegung gering.

Isabel Enzenbach

Literatur Werner Bergmann, Ein „weltgeschichtliches ‚Fatum’“, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009. Malcom B. Brown, Friedrich Nietzsche und sein Verleger Ernst Schmeitzner, Frankfurt am Main 1987. Moshe Zimmermann, Deutsch-jüdische Vergangenheit: der Judenhass als Herausforderung, Paderborn 2005.

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Der Antisemitismus – Ein Internationales Interview (Hermann Bahr, 1893)

Moshe Zimmermann, Wilhelm Marr, The Patriach of Anti-Semitism, New York, Oxford 1986.

Antisemitischer Volkskalender → Kehraus-Kalender

Der Antisemitismus – Ein Internationales Interview (Hermann Bahr, 1893) Der österreichische Schriftsteller, Theater- und Literaturkritiker Hermann Bahr (18631934) war einer der bedeutendsten Literaturtheoretiker der Jahrhundertwende und stand im Zentrum des literarischen Betriebes dieser Epoche. Weltanschaulich zeigte er eine große Wandlungsfähigkeit. Aus dem antisemitischen Alldeutschen wurde ein Sozialist, später ein Republikaner, bis er sich 1916 dem Österreichertum, der Monarchie und (erneut) dem Katholizismus zuwandte. Bahr, der mit seiner antisemitischen Vergangenheit abzurechnen hatte, befragte 1893, als die antisemitische Bewegung erneut erstarkte, einundvierzig damals prominente Persönlichkeiten in mehreren europäischen Ländern, darunter Politiker wie August Bebel, James Arthur Balfour, Theodor Barth, Jules Simon, Sir Charles Wentworth Dilke und Lau Janson; Wissenschaftler wie Ernst Haeckel, Theodor Mommsen, Gustav Schmoller, Adolph Wagner, Wilhelm Foerster, Cesare Lambroso, Enrico Ferri oder Heinrich Rickert; Schriftsteller wie Henrik Ibsen, Alphonse Daudet, Friedrich Spielhagen, John Henry Mackay, Charles Morice und Björnsterne Björnson und Journalisten wie Maximilian Harden oder die Frauenrechtlerinnen und Sozialistinnen Séverine (Pseudonym von Caroline Rémy de Guebhard) und Annie Besant zu ihrer Einstellung gegenüber dem Antisemitismus. Bahr reiste im Mai 1893 als Mitarbeiter der Wiener „Deutschen Zeitung“ durch Europa und veröffentlichte die dabei geführten Interviews zunächst in der „Deutschen Zeitung“, später in Buchform: „Der Antisemitismus. Ein internationales Interview“ (1894 / wiederaufgelegt 1979). Die Stellungnahmen dreier italienischer Wissenschaftler waren schriftlich eingegangen und wurden erst in der Buchpublikation veröffentlicht. In seinem knappen Vorwort stellt Bahr seine Psychologie des Antisemiten vor. Für diesen sei der Antisemitismus kein Mittel zum Zweck, sondern Rausch und Schwelgen im Gefühl. Die antisemitischen Führer nutzten diese Leidenschaft des Pöbels, um Herrschaft auszuüben. Mit Argumenten sei demnach dem Antisemitismus nicht beizukommen, eine Auffassung, in der ihm die meisten seiner Interviewpartner folgen, die den Antisemitismus als irrational charakterisieren oder gar als Krankheit sehen wollen. Bahr versteht deshalb seine Interviews auch nicht als Versuch einer Widerlegung des Antisemitismus mit rationalen und sittlichen Argumenten, denen Antisemiten ohnehin nicht zugänglich seien, sondern als Dokument des Zeitgeistes. In seiner Einleitung zur Neuauflage nennt Hermann Greive das Buch denn auch ein „Zeitdokument ersten Ranges“, das die europäische Einschätzung der „Judenfrage“ im fin de siècle „schlaglichtartig erhellt“, und die „die pro- und antijüdische Stimmung der Zeit in der Brechung der Frage- und Darstellungsweise eines Zeitgenossen“ präsentiert. Die Interviews, die zumeist drei bis vier Druckseiten umfassen, haben den Charakter einer zwanglosen Unterhaltung zwischen Bahr und seinen Interviewpartnern, in

Der Antisemitismus – Ein Internationales Interview (Hermann Bahr, 1893)

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denen die Schilderungen des Ambientes sowie des Erscheinungsbildes und Auftretens des Befragten breiten Raum einnehmen. Das Gespräch kommt häufig erst gegen Ende des Interviews überhaupt auf das eigentliche Thema, das dann häufig nur angerissen wird. So gut wie alle Interviewpartner verwahren sich gegen den Radauantisemitismus und dessen radikale Forderungen nach einer Beschneidung der Rechte der Juden bzw. gar nach ihrer Ausweisung. Die große Mehrheit spricht sich als Christen, Liberale, Anarchisten, Sozialisten oder schlicht als vernünftig denkende Menschen gegen den Antisemitismus aus. Doch hat Bahr auch einige Personen interviewt, die als antisemitisch gelten wie der Anti-Dreyfusard Henri Rochefort, der französische General Gustave Paul Cluseret, wie Adolph Wagner, eine führende Persönlichkeit in der christlich-sozialen Partei Adolf Stoeckers, der belgische Schriftsteller und Jurist Edmond Picard und Maximilian Harden, oder die am Antisemitismus doch gewisse positive Seiten erkennen wollten wie der Nationalökonom Gustav Schmoller, der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel, der nicht glauben wollte, dass eine so lange währende mächtige Bewegung wie der Antisemitismus ohne gute Gründe möglich sei, oder der Schriftsteller Alphonse Daudet, der sich, nachdem er zuvor in Gesprächen mit dem Antisemiten Édouard Drumont gegen den Antisemitismus gestritten hatte, nun als „vager Antisemit“ fühlte. Einige der so als „Antisemiten“ Angesprochenen, wie etwa Maximilian Harden, stritten dies jedoch im Interview ab. Diejenigen, die dem Antisemitismus eine gewisse Sympathie entgegenbringen, weisen der religiösen Differenz keine Bedeutung mehr zu. Sie halten den Antisemitismus entweder wegen der „sozialen Frage“ für berechtigt und sind kapitalismuskritisch orientiert, wobei sie den Juden vorwerfen, sich selbst mit dem Kapital zu identifizieren und sich deshalb angegriffen zu fühlen, oder sie verorten die Differenz in der Lebensart, die sie teils als Rassen-, teils als nationale oder aber ästhetische Frage formulieren, wobei sich hier oft Treitschkes Forderung nach stärkeren Assimilationsbemühungen seitens der Juden findet. Bahr hat jedoch auch als dezidierte Gegner des Antisemitismus bekannte Persönlichkeiten aufgesucht, wie Theodor Mommsen, Jules Simon, Heinrich Rickert oder Séverine. Mommsen, der eine resignative Haltung einnimmt, verspricht sich allenfalls von einem Aufruf vieler Autoritäten gegen den Antisemitismus eine gewisse Wirkung, während Rickert auf den politischen Kampf des Liberalismus setzt und Séverine den Antisemitismus zwar ablehnt, ihm aber als ein Moment der politischen Gärung eine Rolle bei der kommenden Revolution zubilligt, die ihn dann aber zum Verschwinden bringen werde. Je nach der Virulenz der antisemitischen Bewegung in den einzelnen Ländern schreiben die Befragten dem Antisemitismus eine ganz unterschiedliche Bedeutung zu. So sehen die Interviewpartner aus England, Belgien oder Norwegen in ihren Ländern kein Anzeichen von Judenfeindschaft. Der norwegische Schriftsteller Björnsterne Björnson beantwortet die schriftliche Anfrage, ob es in Skandinavien Antisemitismus gebe, ganz lakonisch mit „Nein“, ebenso die Nachfrage, ob es Anzeichen für sein künftiges Anwachsen gäbe. Ein Interviewpartner aus Spanien bestreitet ebenfalls, dass es Antisemitismus in Spanien gibt, weil dort keine Juden mehr lebten. Deutsche und Franzosen geben dagegen dem Thema viel Raum.

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Antisemitismus und Strafrechtspflege (Maximilian Parmod, 1894)

Auf die Interviews folgt ein knappes Fazit von einer halben Seite, in dem Bahr den Antisemitismus in den einzelnen europäischen Ländern charakterisiert: Demnach sei der deutsche Antisemitismus reaktionär, „eine Revolte der kleinen Bürger gegen die industrielle Entwicklung“ und die Freiheit der Moderne, der französische sei revolutionär, ein Kampf gegen die Herrschaft der Reichen, indem er „den Juden bloß als bequemes und wirksames Beispiel des Kapitalisten nimmt“, während es in Spanien, England, Skandinavien keine Antisemiten gäbe. „In Belgien giebt [sic] es nur einen“, den von Bahr interviewten Edmond Picard. Er nimmt abschließend seine Argumentation der Einleitung wieder auf und sieht zwar „allerhand Gründe“, die „für und gegen den Antisemitismus“ vorgebracht würden, diese scheinen ihm aber ohne Kraft. Er sieht in ihm eine „hysterische Begierde“. Weil viele in „dieser verlassenen Zeit keine große Liebe finden, schlürfen sie in Narkosen des Hasses“. Als Gegenmittel schlägt er vor, ein Ideal für diese Menschen zu suchen.

Werner Bergmann

Literatur Reinhard Farkas, Hermann Bahr. Dynamik und Dilemma der Moderne, Wien, Köln 1989. Hermann Greive, Einleitung, in: Hermann Bahr, Der Antisemitismus. Ein internationales Interview, hrsg. von Hermann Greive, Frankfurt am Main 1979, S. 7–11.

Antisemitismus und Strafrechtspflege (Maximilian Parmod, 1894) Maximilian Parmod ist das Pseudonym von Max Apt, einem jüdischen Rechtsanwalt, Notar und Wirtschaftsvertreter. Geboren wurde Max Apt am 16. Juni 1869 in GroßStrehlitz. Im Jahr 1905 gründete er als Honorarprofessor der Handelshochschule Berlin die „Deutsche Wirtschaftszeitung“. Apt war außerdem Chef der Organisation des deutschen Außenhandels und Herausgeber der „Deutschen Reichsgesetzgebung“. Als Abgeordneter der jüdischen Gemeinde in Berlin nahm er 1938 an der Konferenz von Evian teil. 1939 emigrierte Max Apt nach England, 1954 kehrte er nach Deutschland zurück, er verstarb am 16. Dezember 1957 in Berlin. Im Jahr 1894 erschien die dritte Auflage der Schrift „Antisemitismus und Strafrechtspflege. Zur Auslegung und Anwendung der §§ 130, 166, 185, 193, 360/11 Straf-Gesetz-Buchs in höchstrichterlicher und erstinstanzlicher Praxis“ (Berlin, 138 S.). Bereits im Vorwort seiner Arbeit, die als erste juristisch-historische Schrift zum Antisemitismus gelten kann, betont Apt die zeitgenössische Relevanz der §§ 130, 166, 185 und 360 des St.G.B., die die Straftatbestände „Anreizung zum Klassenkampf“, „Beschimpfung von Religionsgesellschaften“, „Beleidigung. Wahrnehmung berechtigter Interessen“ und „Grober Unfug“ beinhalten. Außerdem appelliert er schon hier an eine „sachliche Würdigung“ seiner Arbeit, die nicht den Anspruch habe, das Thema erschöpfend zu behandeln, sondern zur weiteren Erörterung anregen möchte. Er sieht es als seine Aufgabe, Fehler und Irrtümer der deutschen Justiz zu zeigen und zu erläutern. In der Einleitung zitiert Apt die preußische Justizverwaltung und ihren Anspruch, alle Staatsbürger gleichberechtigt zu behandeln und nicht zwischen „Semiten und Antisemiten“ zu unterscheiden. Er betont aber die unfaire Praxis, deren Fehler auf

Antisemitismus und Strafrechtspflege (Maximilian Parmod, 1894)

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„rechtsirrtümlichen Grundlagen“ basiere. Er geht davon aus, dass die Diskriminierung und Benachteiligung jüdischer Bürger nicht auf einer mangelhaften Gesetzeslage beruhe, sondern aus der jeweiligen angewandten Praxis durch die Richter und vor allem durch die Staatsanwälte resultiere, die häufig die Ermittlungsverfahren aufgrund eines angeblichen Mangels an öffentlichem Interesse einstellten und so eine weitere Untersuchung verhinderten. Immer wieder betont Apt die Akzeptanz des Judentums in Deutschland, als müsse er damit die Legitimation seiner Arbeit rechtfertigen. In den folgenden Kapiteln stellt der Jurist verschiedene Beispiele vor, in denen es zu antisemitischen Urteilsbeschlüssen oder zumindest unterschiedlicher, wenn nicht gegensätzlicher Interpretation der geltenden Gesetze des deutschen Reiches zum Nachteil jüdischer Kläger oder Angeklagter kam. Im dritten Abschnitt behandelt Apt die verschiedenartige Urteilsfindung und Behandlung am Beispiel „der Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter Kollektivbezeichnung“. Er schildert hier, wie im Falle einer Kollektivbeleidigung einer Gruppe Juden das Reichsgericht für den Angeklagten entschied, da er ja keine Person direkt beleidigt habe und sich „die Injurie […] gegen eine bestimmte Person [zu] richten [hätte]“. Apt führt anschließend aber verschiedene Fälle nicht jüdischer Betroffener einer Kollektivbeleidigung an, bei denen gerade aufgrund der verallgemeinernden Aussage für eine damit einhergehende Beleidigung eines jeden einzelnen der Gruppe entschieden wurde. Akribisch erläutert Apt Beispiele, scheinbar in der Hoffnung mit direktem Vergleich und sachlicher Argumentation überzeugen und damit aufklären und verändern zu können. Apt argumentiert auf zwei Ebenen, zum einen auf der theoretischen, materialrechtlichen, zum anderen auf der praktischen, prozessrechtlichen. Er kritisiert die erstinstanzlichen Irrtümer und den strukturellen Aufbau des juristischen Systems, der es verhindere, eine höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen. Apt appelliert an eine Versachlichung in der Justiz, weg von einer von ihm beschriebenen Emotionalität der Juristen hin zu einer vernunftorientierten und möglichst objektiven Anwendung des strafrechtlichen Instrumentariums. Die zeitgenössischen Fallbeispiele führt Apt in einem Quellenanhang auf. Die Aktualität seiner Arbeit und ihre Relevanz für seine Zeitgenossen wird anhand einer Rezension deutlich, die sich in „Im deutschen Reich: Zeitschrift des Central-Vereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens“ aus dem Jahr 1895 findet: „Diese auf streng wissenschaftlicher Grundlage beruhende Schrift vertritt keinen Parteistandpunkt, sondern zeigt in juristisch-technischer Weise, wie berechtigt der Kampf um’s Recht ist, welchen die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens zu führen haben. […] Im Interesse des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens wünschen wir, daß die 2. Auflage des ‚Parmod’ recht rasch vergriffen und der rechtsgelehrte Autor zu einer 3. Auflage veranlaßt werde, weil man von ihm erwarten darf, daß er dann als Ergänzung seiner wertvollen Arbeit die beiden reichsgerichtlichen Entscheidungen im Falle Rethwisch und im Falle v. Mosch, sowie alle Folgen der mißverstandenen Auffassung der ersteren Entscheidung freimüthig, aber ohne Voreingenommenheit kritisch beleuchten wird.“ Aus heutiger Sicht und in Kenntnis der kommenden Entwicklungen erscheinen die redlichen Bemühungen Max Apts naiv. Und seine Schlussworte verstärken diesen

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Arbeitertum (1931–1945)

Eindruck zunächst noch: „Die Wanderung war mühselig, aber nicht unerfreulich. […] So war es doch eine Genugtuung, darlegen zu können, dass diese Folge nicht auf einer Parteilichkeit der beteiligten Organe, sondern auf rechtsirrtümlichen Grundlagen beruhte. Daraus kann bei der Gewissenhaftigkeit unserer Behörden die begründete Hoffnung geschöpft werden, dass fortan den gegen die jetzt herrschende Rechtssprechung vorgetragenen Bedenken Rechnung getragen werden.“ Seine Verwendung eines Zitats aus dem alten Testament betont noch einmal den Appell an das deutsche Volk: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk!“ und das Schlusskapitel endet mit den Worten: „Justitia fundamentum regnorum ….“ [Gerechtigkeit ist das Fundament der Reiche]. Vielleicht ist die vermeintliche Naivität aber auch Funktion einer versteckten Kritik und dient dem Schutz des Verfassers, erschien die Schrift doch unter einem Pseudonym, was vermuten lässt, dass Apt Befürchtungen wegen eventueller Konsequenzen einer zu offensiven Kritik hatte und er sich deshalb durch den postulierten Glauben an das deutsche Recht, die Justiz und das Potenzial der Gesellschaft zu wappnen suchte. Ebenso könnte das Pseudonym auch dem Zweck gedient haben, nicht aufgrund seines jüdischen Glaubens für voreingenommen gehalten zu werden und so den Anspruch an eine sachliche Würdigung seiner Arbeit zu gefährden.

Katharina Kretzschmar

Literatur Christoph Jahr, Antisemitismus vor Gericht. Debatten über die juristische Ahndung judenfeindlicher Agitation in Deutschland (1879–1960), Frankfurt am Main u. a. 2011.

Arbeiter! Schüttelt das Judenjoch ab → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Arbeitertum (1931–1945) Die von Hans Muchow, einem der führenden Köpfe der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO), und der Berliner NSDAP gegründete Zeitschrift „Arbeitertum“ erschien ab dem 1. März 1931 als „Blätter für Theorie und Praxis der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation“. 1933 wurde die Zeitschrift von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) übernommen und von dieser bis Kriegsende herausgegeben. Ab dem 1. Juni 1933 führte das „Arbeitertum“ den Untertitel „Amtliches Organ der Deutschen Arbeitsfront“, der 1936 noch einmal zum „Amtlichen Organ der Deutschen Arbeitsfront und der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ erweitert wurde. Herausgeber war bis Oktober 1933 Hans Muchow. Nach dessen Tod trat für zwei Ausgaben Walter Schuhmann übergangsweise als Herausgeber auf. Ab dem 15. November 1933 benannte das Blatt nur noch die „Hauptschriftleitung: Hans Biallas“, ergänzt ab dem 1. Januar 1934 durch den verantwortlichen bzw. stellvertretenden Schriftleiter Gerhard Starke. Hans Biallas war seit dem 13. Mai 1933 u. a. Leiter des DAF-Presseamtes sowie seit Januar 1934 des Amtes für Presse und Propaganda der DAF. Im Zeitraum 1940/41 übernahm Werner Scheunemann sowohl die Hauptschriftleitung der Zeitung „Arbeitertum“ als auch die Leitung des DAF-Presseamtes. Er behielt diese Positionen bis 1945.

Arbeitertum (1931–1945)

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Das „Arbeitertum“ war seit der Übernahme durch die DAF die wichtigste Zeitschrift des gigantischen DAF-Presseapparates. Mit dem Anwachsen der Deutschen Arbeitsfront zur größten Massenorganisation des nationalsozialistischen Deutschland steigerte sich auch die Auflage des „Arbeitertums“, von 950.000 Exemplaren 1934 auf 2,1 Mio. 1935 und 4,2 Mio. 1938. Das „Arbeitertum“ erschien halbmonatlich und hatte anfangs einen Umfang von 24 Seiten. Bis Kriegsbeginn wurde dieser Mindestumfang beibehalten, teilweise bis auf 32 Seiten ausgeweitet, wobei Ende der 1930er Jahre bis zu vier Seiten Werbung keine Seltenheit waren. Ab 1940 verringerte sich der Umfang kriegsbedingt auf 16 und 1941 auf 12 Seiten. Die Zeitung kostete zu Beginn 20 Pfennig und ab 1934 10 Pfennig. In den ersten beiden Jahren ihres Erscheinens fungierte die Zeitschrift als Kampfund Propagandablatt von NSBO und NSDAP. Insbesondere der Kampf gegen die traditionellen Arbeiterorganisationen, die freien Gewerkschaften sowie die Arbeiterparteien SPD und KPD war Schwerpunkt der publizistischen Tätigkeit. Hauptanliegen war die Gewinnung der deutschen Arbeiterschaft für die nationalsozialistische Bewegung. Dieser Zweck blieb auch nach der Übernahme durch die DAF erhalten. Allerdings rückte nun die positive Berichterstattung über die DAF und das nationalsozialistische Regime in den Vordergrund. Erfolgsmeldungen und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Arbeitsmarktpolitik nahmen ebenso breiten Raum ein wie die Vermittlung der Tätigkeiten und Aufbauleistungen der Deutschen Arbeitsfront und ihrer Teilorganisationen. Hierbei erfreute sich insbesondere die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ einer überschwänglichen Berichterstattung. Ergänzt wurde dieses Repertoire durch Buchbesprechungen, Kulturreportagen oder seichte Unterhaltungsartikel, dadurch erlangte die Zeitung Mitte der 1930er Jahre beinahe Illustriertencharakter. In der ersten Ausgabe vom 1. März 1931 stellte die neue Zeitschrift im ersten Artikel allgemein ihren Zweck als Sprachrohr von NSBO und NSDAP vor, es folgte ein Artikel gegen den Marxismus in Volk und Arbeiterschaft und schon der dritte Artikel richtete sich programmatisch gegen die Juden und ihren Einfluss in der Arbeiterbewegung. Dementsprechend findet sich die These der jüdischen Dominanz der marxistischen Arbeiterbewegung, womit SPD und KPD gemeint waren, als wiederkehrendes Muster. Die Arbeiterbewegung und insbesondere ihre führenden Vertreter wurden als jüdisch abqualifiziert. Es wurden Verbindungslinien zur internationalen Arbeiterbewegung und zur Sowjetunion gezogen, die als „verjudet“, jüdisch durchsetzt und beherrscht gebrandmarkt wurden. Immer wieder wurde das Schreckensbild des „jüdischen Bolschewismus“ beschworen. Ebenso wiederkehrend fanden sich gängige antisemitische Muster wie die „jüdische Weltverschwörung“, das „jüdische Finanzkapital“, das die Weltherrschaft anstrebe, die „jüdische Presse“, die Figur des „Itzig“ usw. Antijüdische Hetze erschien in Artikeln zu Kunst und Kultur, in denen der Kontrast zwischen der alten „verjudeten“ und der neuen nationalsozialistischen Kunst hervorgehoben wurde. Und ebenso wurde der nationalsozialistischen Rassentheorie Raum gewährt. Neben der Sowjetunion und der Arbeiterbewegung wurden die verschiedensten Gegner standardmäßig mit den Termini „jüdisch“ oder „verjudet“ pejorativ belegt. Dies traf sowohl England und Frankreich als auch die Weimarer Republik oder die österreichische Regierung unter Kurt Schuschnigg. Es wurden antisemitische Bü-

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Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (1904–1944)

cher wie das → „Handbuch der Judenfrage“ von Theodor Fritsch oder die von Otto Jamrowski herausgegebene Broschüre „Deutschlands Kampf für die abendländische Kultur“ besprochen und empfohlen. Das Blatt bot antijüdische Hetze sowohl als Beiwerk in der Form immer wiederkehrender Stereotype als auch vordergründig in klar antijüdisch positionierten Artikeln, die sich mit den „Juden“ auseinandersetzten, bis hin zum Abdruck aktionistischer Artikel wie „Deutsche Arbeiter, wehrt euch gegen die internationale Judenhetze! Kauft nicht bei Juden!“ (15. April 1933). Judenfeindliche Artikel, Textpassagen und Karikaturen lassen sich über weite Strecken des Erscheinungszeitraums sowohl unter der Obhut von NSBO als auch der DAF finden. Frequenz und Intensität variieren dabei. Dies korrespondiert mit der Rolle der Zeitschrift, der von ihren Machern nicht primär die Rolle eines antisemitischen Hetzblattes zugedacht war, die aber gleichwohl ein Spiegelbild des antisemitischen Grundkonsenses des nationalsozialistischen Weltbildes liefert und dieses mit massenhafter Auflage verbreitet.

Hendryk Rohn

Literatur Rüdiger Hachtmann, Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933–1945. Göttingen 2012. Gunter Mai, Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31(1983), S. 573–613.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (1904–1944) Das „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ war eine 1904 vom Rassenhygieniker Alfred Ploetz, dem Juristen Anastasius Nordenholz und dem Zoologen Ludwig Platte gegründete wissenschaftliche Zeitschrift. Sie erschien ab 1909 im Verlag B. G. Teubner und ab 1922 im → J. F. Lehmanns Verlag und wurde von seinen Gründern sowie von Fritz Lenz, Eugen Fischer, Agnes Blum und Ernst Rüdin herausgegeben. Die Herausgeber hofften, den populär- und vermeintlich pseudowissenschaftlichen Charakter bisheriger rassenhygienischer Untersuchungen zu überwinden und der Rassenhygiene ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Ihr Ziel war „die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre“. Um dies zu unterstreichen, wurde das erste Heft den Biologen August Weismann und Ernst Haeckel gewidmet. Außerdem wurde dem „Archiv“ vorübergehend der Untertitel „eine Dezendenztheoretische Zeitschrift“ gegeben. Das „Archiv“ war in thematischer und methodischer Hinsicht bewusst interdisziplinär angelegt, mit dem Anspruch, eine systematische Abhandlung des gesamten Forschungsgebietes zu leisten. Es wurden Beiträge aus allen Bereichen der Lebens-, Natur- und Humanwissenschaften veröffentlicht, allerdings mit auffallend starker Beteiligung von Medizinern und Rassenhygienikern. Zudem gab sich das „Archiv“ auch anwendungsorientiert: Es sollten die wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse „in

Ares Verlag

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das ringende Leben der Menschen“ gebracht werden. Dabei wurden hygienische Themen eingeschlossen. Das „Archiv“ firmierte als wissenschaftliches Organ der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene. Als solches trat es bereits vor dem Ersten Weltkrieg gegen den vermeintlich biologisch widerlegten „Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen und Menschenrassen“ an und hielt ihm die „Erhaltung der Rassenwerte des deutschen Volkes, die Reinhaltung seines arischen, germanischen Blutes“ als oberste Pflicht entgegen. Nach dem Verlagswechsel 1922 vertrat das „Archiv“ in der Gesellschaft für Rassenhygiene die „Münchener Richtung“ – im Gegensatz zur Berliner bzw. Fischerschen Richtung der Zeitschrift „Eugenik, Erblehre, Erbpflege“. Nach der NS-Machtübernahme 1933 wurde das „Archiv“ zum Organ des Reichsausschusses für Volksgesundheitsdienst im Reichsinnenministerium. Es traten u. a. der Anthropologe Theodor Mollison, der Hygieniker Ernst Rodenwaldt, der Dermatologe Hermann Werner Siemens und der Genetiker Erwin Bauer der Herausgeberschaft bei. 1936 wurde zudem der Leiter des Rassepolitischen Amtes der NSDAP (Walter Gross) und der Reichskommissar des Reichsausschusses für hygienische Volksbelehrung (Falk Ruttke) ins Herausgebergremium aufgenommen. Bereits in den 1930er Jahren veröffentlichte das „Archiv“ mehrere Aufsätze über die Auswirkungen des Krieges auf die Volksgesundheit. Ebenso wurden politische Reden sowie wissenschaftliche Beiträge von einflussreichen NSDAP-Mitgliedern (Wilhelm Frick, Arthur Gutt, Ernst Rüdin) abgedruckt. Im vorletzten Heft zu Ehren von Ernst Rüdin kamen überwiegend Psychiater zu Wort, u. a. auch die T4-Gutachter Kurt Pohlisch und Friedrich Panse. Die Publikation des „Archivs“ wurde Anfang 1944 eingestellt. Vor dem Ersten Weltkrieg stand das „Archiv“ dem Zionismus positiv gegenüber, denn „gerade der Rassenhygieniker [...] wird immer ein Freund des nationalen Gedankens sein“. Mit dem Verlagswechsel und der Aufnahme von Max von Gruber in die Herausgeberschaft klangen bereits 1922 antisemitische Töne an. Seitdem war das „Archiv“ auch Forum für das teils antisemitische Programm des Lehmanns-Verlages. Schon 1934 übernahm das „Archiv“ Beiträge aus der stärker antisemitisch geprägten Zeitschrift → „Volk und Rasse“, in der Ernst Rüdin sich zu einer „ausmerzenden Rassenhygiene“ bekannte und sich verpflichtete, bei der Umsetzung von Hitlers Programm zur „Erneuerung“ des deutschen Volkes zu helfen. Seit 1935 erschienen Aufsätze mit explizit antisemitischem Inhalt, worin z. B. vor einer „Vermischung der deutschen Bevölkerung mit Fremdrassigen, insbesondere mit Juden“ gewarnt wurde. Gelegentlich wurde über NSDAP-Parteitagsreden von Adolf Hitler und anderen berichtet, in denen der Bolschewismus de facto mit dem Judentum gleichgesetzt wurde. Trotzdem blieb das Profil der Zeitschrift deutlich stärker von Themen wie Ehehygiene und Volksgesundheit als vom Antisemitismus geprägt.

Eric J. Engstrom

Literatur Mario Heidler, Die Zeitschriften des J. F. Lehmanns Verlages bis 1945, in: Die „rechte Nation“ und ihr Verleger: Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag, 1890–1979, hrsg. von Sigrid Stöckel, Berlin 2002, S. 47–101.

Ares Verlag → Leopold Stocker Verlag

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Auf dem Judenkirchhof in Prag (Herrmann Goedsche, 1868)

Aspects of Jewish Power in the US → The International Jew

Auf dem Judenkirchhof in Prag (Herrmann Goedsche, 1868) Herrmann Ottomar Friedrich Goedsche (1815–1878), Redakteur der agrarkonservativen → „Neuen Preußischen Zeitung“ (Kreuzzeitung) und erfolgreicher Trivialautor, veröffentlichte 1868 unter dem Pseudonym „Sir John Retcliffe“ den ersten Band seines Fortsetzungsromans „Biarritz“. Fiktional verbrämt, schildert Goedsche darin die politischen Ereignisse seiner Zeit und deutet sie als Folgen einer globalen Verschwörung von Freimaurern, Sozialisten, Jesuiten und jüdischen Kapitalisten gegen Thron und Altar. Ein Kapitel des Romans spielt im Jahr 1860 „auf dem Judenkirchhof in Prag“. Dort treffen sich alle hundert Jahre die „Häupter oder Auserwählten“ der zwölf Stämme Israels mit einem dreizehnten, dem Vertreter der „Verstoßenen und Wandernden“, zu mitternächtlicher Stunde am Grab des Rabbi Simeon ben Jehuda und erörtern auf Chaldäisch die Mittel und Wege zur Erlangung der „Herrschaft, die Abraham versprochen worden und die das Kreuz uns entrissen“. Dabei werden sie von zwei Männern belauscht, dem deutschen Gelehrten Dr. Faust und dem zwielichtigen jüdischen Apostaten Signor Lasali (alias Ferdinand Lassalle), die dadurch Einblick in das wohlgehütete „Geheimniß der Kabalah“ gewinnen. „Wenn alles Gold der Erde unser ist“, so die Verschwörer, „ist alle Macht unser. […] Das Gold ist das neue Jerusalem – es ist die Herrschaft der Welt.“ Zunächst erfolgt eine Bestandsaufnahme, bei der das „baare Kapital“, über das Israel durch die jüdischen Bankhäuser verfügt, addiert und zu den Staatsschulden der jeweiligen Länder in Beziehung gesetzt wird, denn: „Indem wir die Börse beherrschen, beherrschen wir das Vermögen der Staaten. Deshalb muß man den Regierungen das Schuldenmachen erleichtern, um immer mehr die Staaten in unsere Hand zu bekommen.“ Ferner gelte es, den Grundbesitz des Adels zu ruinieren, die Handwerker in Fabrikarbeiter zu verwandeln, die Kirchen und das Militär zu diskreditieren und die Schulen zu entchristlichen. Nach dem Gold sei die Presse die wichtigste Macht der Welt; sie ermögliche es, die blinde Masse zu manipulieren, die Moral zu untergraben und politische Unruhe zu schüren. Der Sieg, so die Verschwörer, sei nahe: „Achtzehn Jahrhunderte haben unseren Feinden gehört – das neue Jahrhundert gehört Israel.“ Bei seiner Schilderung der geheimen Versammlung, der Methoden des Umsturzes sowie der Atmosphäre des jüdischen Friedhofs in Prag bediente sich Goedsche diverser literarischer Vorlagen, darunter vermutlich Zygmunt Krasińskis „Ungöttlicher Komödie“ (1835, dt. 1841), Maurice Jolys „Gespräch in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu“ (1864, dt. 1865) und Wilhelm Raabes Novelle „Hollunderblüthe“ (1863). Bereits in den 1930er Jahren hatten Antisemiten auf Übereinstimmungen mit dem Prolog des Romans „Joseph Balsamo“ (1846) von Alexandre Dumas père hingewiesen und gefolgert, dass Goedsche, Dumas und Joly das „jüdische Geheimprogramm“ gekannt hätten. Eine literarische Nachahmung fand Goedsches Beschreibung eines jüdischen Komplotts 1872 in Eduard Rüffers Roman „Spiknutí židů v Praze“ [Die Verschwörung der Juden in Prag]. Seit 1872 wurde das Friedhofskapitel aus Goedsches Roman in Russland wiederholt separat veröffentlicht und judenfeindlich kommentiert (Fjodor Dostojewski soll

Auf dem Judenkirchhof in Prag (Herrmann Goedsche, 1868)

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es zu einer Konspirationsszene in den „Dämonen“ inspiriert haben). 1881 erschien der Text in der französischen rechtskatholischen Zeitschrift „Le Contemporain“ in einer Serie antijüdischer Schriften (darunter langen Auszügen aus Jakov Brafmans „Buch vom Kahal“/→ „Kniga kagala“) zur Erklärung und Rechtfertigung der Judenpogrome in Russland. Nun aber wurde die Fiktion von ihrem Kommentator, dem Sozialutopisten Kalixt de Wolski, als Tatsachenbericht ausgegeben. Die schauerromanhafte Rahmenhandlung war getilgt, und die Berichte der Stammesvertreter waren zu einer einzigen „Rede eines Großrabbiners“ (discours d`un grand rabbin) in einer geheimen Versammlung zusammengezogen worden, als deren Quelle das englische Werk eines „Sir John Readclif“ genannt wurde. Als angeblich authentisches Dokument einer jüdischen Weltverschwörung fand die „Rede“ durch zahlreiche Übersetzungen und Bearbeitungen weite Verbreitung. 1887 zitierte de Wolski sie nochmals in seinem Buch „La Russie juive“, 1892 nahm Theodor Fritsch die „Groß-Rabbiner-Rede vom JudenKirchhof in Prag“ in die 16. Auflage seines „Antisemiten-Katechismus“ auf, und 1899 veröffentlichte François Bournand sie in seiner Anthologie antisemitischer Texte „Les Juifs et nos contemporains“. Als 1901 eine tschechische Version der „Rede eines Rabbiners über die Gojim“ von den Behörden in Prag beschlagnahmt wurde, verlas der Abgeordnete Václav Březnovský den gesamten Text im Rahmen einer Interpellation im Wiener Reichsrat, worauf er im stenographischen Sitzungsprotokoll erschien und danach in antisemitischen Blättern veröffentlicht werden konnte. Mit jeder weiteren Ausgabe der „Rede“ änderte sich ihr Kontext. Mal wurde sie einem Rabbiner „Reichhorn“, „Eichborn“ oder „Rzeichhorn“ zugeschrieben, mal galt der „Rabbi John Readclif“ oder „Redcleaf“ als ihr Verfasser; auch Ort und Zeitpunkt des geheimen Treffens variierten. Bisweilen wurde behauptet, „Sir John Readcliff“ und sein Begleiter Lassalle hätten die Enthüllung des jüdischen Komplotts mit ihrem Leben bezahlt. Um die Jahrhundertwende diente die „Rede“ den Verfassern der → „Protokolle der Weisen von Zion“ als Textvorlage. In der Folge wurden beide Fiktionen oftmals zusammen veröffentlicht oder zitiert; so z.B. in Louis-Ferdinand Célines Pamphlet „Bagatelles pour un massacre“ (1937). Auch das gesamte Friedhofskapitel aus Goedsches Roman wurde immer wieder unter wechselnden Titeln separat herausgegeben („Das Geheimnis der jüdischen Weltherrschaft“, „Was ist jüdischer Geist?“, „Dr. Faust’s Abenteuer auf dem Judenkirchhof in Prag und hernach“). Von den Herausgebern wurde der literarische Ursprung des Textes nicht bestritten, doch verteidigten sie ihn als ein „Meisterstück der damals möglichen Durchleuchtung des Judentums“ und als „prophetische Warnung an die nichtjüdischen Völker“ (Johann v. Leers). Die letzte Ausgabe erschien 1942/43 auf Deutsch und Tschechisch im besetzten Prag. Die Friedhofsszene aus Goedsches Roman war titelgebend für Umberto Ecos Bestseller „Il cimitero di Praga“ (Der Friedhof in Prag, 2010), der – in einer verwirrenden Mischung aus Fakten und Fiktion – die Geschichte der Verschwörungstheorien im 19. Jahrhundert nachzeichnet.

Michael Hagemeister

Literatur Volker Neuhaus, Der zeitgeschichtliche Sensationsroman in Deutschland 1855–1878. „Sir John Retcliffe“ und seine Schule, Berlin 1980.

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Das Aufgebot (Schweiz, 1933–1957)

Auf gut deutsch (1919–1921) Von Dietrich Eckart (1868–1923) 1918 gegründete völkisch-antisemitische Zeitschrift mit dem Untertitel „Wochenschrift für Ordnung und Recht“, die von Januar 1919 bis 17. Mai 1921 in Eckarts → Hoheneichen-Verlag erschien. Die Zeitschrift erschien offiziell wöchentlich, tatsächlich wurden oft mehrere Hefte zusammengefasst, fielen aus oder wurden nachträglich geliefert. Das Erscheinen als Zeitung (mindestens zwei Mal pro Woche) war im Sommer 1920 angekündigt, konnte wegen chronischer Finanzprobleme jedoch nicht realisiert werden. Haupt- und in vielen Ausgaben Alleinautor war Dietrich Eckart, der das Organ neben tagesaktuellen antisemitischen Glossen zur Politik als Forum und Bühne für eigene Lyrik, sein Drama „Lorenzaccio“ und essayistische Traktate wie → „Das ist der Jude!“ nutzte. Mehrere Nummern der Zeitschrift erschienen auch als Sonderausgaben, etwa „Im neuen Deutschland!“, das auf 32 Seiten Umfang jüdische Politiker in Zeichnungen von Otto von Kursell mit Versen von Dietrich Eckart karikierte, oder „Aus Ungarns Schrekkenstagen!“, in dem „jüdische Verbrechertypen“ wie Bela Kun verunglimpft wurden. Ein Doppelheft (16 Seiten) widmete sich 1920 mit Zeichnungen (Kursell) und Versen (Eckart) dem Thema „Österreich unter Juda’s Stern“. Darin wurde z. B. der Präsident der Nationalversammlung folgendermaßen gewürdigt: „Katholisch nennt er oft sich mit Emphase, als heulte nicht dagegen auf die Nase“. Ähnlich drastisch waren die Aufsätze, die völkisch-antisemitische und chauvinistische Ideologie propagierten. Autoren neben dem Verleger, Herausgeber und Redakteur Dietrich Eckart waren Alfred Rosenberg und Karl Graf von Bothmer, mit dem Eckart sich aber überwarf und in der letzten Ausgabe seiner obskuren Wochenschrift abrechnete. „Auf gut deutsch“ war weniger Periodikum als eine Sammlung von Pamphleten Dietrich Eckarts, eine Erscheinung der völkisch-antisemitischen Münchner Szene mit esoterischer Beimengung.

Wolfgang Benz

Literatur Claus-Ekkehard Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 2002.

Das Aufgebot (Schweiz, 1933–1957) Die Zeitung „Das Aufgebot“ wurde 1933 von Jacob Lorenz (1883–1946) gegründet. Sie erschien vom 31. Mai 1933 bis zum 26. Dezember 1957 als Wochenblatt, bis Ende 1937 mit dem Untertitel „Schweizerische Wochenzeitung für Jedermann“. Lorenz war bis zu seinem Tod Redakteur, Autor der meisten Artikel und seit Juli 1934 Herausgeber. Das Ziel einer Zeitung „für Jedermann“ wurde indes nicht erreicht. Die während der ersten zwei Monate breit gestreute Startauflage bezifferte das Blatt auf 90.000– 130.000 Exemplare, danach betrug die Auflage ca. 12.000 Exemplare. Nach dem Tod von Lorenz sank sie kontinuierlich und lag zuletzt bei 3.000–4.000 Exemplaren. Die Abonnentenzahl schwankte gemäß den einzigen überlieferten Daten von 1933/34 zwi-

Das Aufgebot (Schweiz, 1933–1957)

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schen 8.400 und 6.800. Aus der Zeitschrift ging noch 1933 die gleichnamige Bewegung „Das Aufgebot“ (Katholisches Aufgebot) hervor. Lorenz verstand die Gründung der Zeitschrift vier Monate nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten in Deutschland als Antwort auf die „Frontenbewegung“, welche die Erneuerung der Schweiz nach deutschem und italienischem Vorbild anstrebte. Zwar befürwortete auch er die Erneuerung der Schweiz, lehnte aber ausländische Vorbilder ab, orientierte sich vielmehr an den politischen, gesellschaftlichen und kulturell-christlichen Traditionen der Schweiz sowie an der katholischen Soziallehre und dem Korporatismus, den er als „dritten Weg“ zu Liberalismus und Sozialismus propagierte. Bereits 1934 forderte Lorenz die Totalrevision der Bundesverfassung auf korporatistisch-autoritärer Grundlage; die Initiative scheiterte 1935 in der Volksabstimmung klar. 1935 bekämpfte er die unter anderem von den Gewerkschaften eingereichte Kriseninitiative, die eine aktive Konjunkturpolitik verlangte, erfolgreich. Von Beginn an wandte sich „Das Aufgebot“ gegen die „Überfremdung der Schweiz“, 1938 lancierte die Bewegung das Programm „Die Schweiz den Schweizern!“ Einen wesentlichen Teil der „Ausländerfrage“ bildeten für Lorenz die Juden. Dabei verband er den christlichen Antijudaismus mit dem modernen, nationalistischen, sozialkonservativen Antisemitismus, während seine Haltung gegenüber dem Rassismus ambivalent war. Seine Auffassung verbreitete er seit 1933 in Vorlesungen und Artikeln über die „Judenfrage“. Er sprach den Juden eine wesensmäßige Verbundheit mit dem Kapitalismus zu, die er statistisch zu belegen suchte. Da er ihnen zugleich die Assimilationsfähigkeit weitgehend absprach, bekämpfte er ihre Einwanderung wie ihre Einbürgerung, verlangte eine Revision der Einbürgerungsvorschriften, eine Sondersteuer, Sonderbestimmungen für Heirat und die Einschränkung der freien Berufswahl für Juden; ebenso forderte er den Numerus clausus für jüdische Studierende, da die Universitäten sonst „ihr schweizerisches Gepräge zu verlieren drohen“. Daher zeigte er Verständnis für den im Volk herrschenden „Judenhass“, erachtete ihn im Sinne einer „prophylaktischen“ Abwehr als notwendig, nicht zuletzt zum Schutz der Juden selbst. Mit ihren antisemitischen Auffassungen und Vorschlägen, die sie noch 1943 vertraten, überschritten Lorenz und „Das Aufgebot“ die „Grenzen des in der Schweiz verbreiteten, kulturell und wirtschaftlich begründeten und nicht biologistisch-rassistisch argumentierenden Antisemitismus“ (Altermatt). Nach dem Tod von Lorenz führten Freunde „Das Aufgebot“ nach den bisherigen Grundsätzen weiter. Dies beinhaltete erneut antisemitische Artikel wie auch antikommunistische, antimodernistische und kulturpessimistische Positionen, nun vor dem Hintergrund der Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Nachkriegskonjunktur und den sich rasch wandelnden politischen und soziokulturellen Praktiken. Untersuchungen für die Jahre 1946 bis 1957 stehen jedoch noch aus. Aufgrund von ausbleibendem Einfluss, fehlendem Nachwuchs und unzureichenden Finanzen stellten die Verantwortlichen „Das Aufgebot“ Ende 1957 ein.

Markus Bürgi

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz, 1918–1945, Frauenfeld 1999.

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Augenspiegel (Johannes Reuchlin, 1511)

Nicolas Haymoz, Die alte „Neue Mitte“. Eine doppelte Abwehrfront gegen Sozialismus und Liberalismus. Die Wochenzeitung „Das Aufgebot“ und die gleichnamige Bewegung unter der Federführung von Jacob Lorenz (1933–1946), Lizentiatsarbeit Universität Freiburg 1999. Nicolas Haymoz, „Das Aufgebot“ von Jacob Lorenz, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 94 (2000), S. 117–136. Peter Lussy, Erneuerung im Zeichen des Kreuzes. Jakob Lorenz’ „Aufgebot“ im Kampf gegen die Moderne, Lizentiatsarbeit Universität Basel 1998. Markus Zürcher, Jacob Lorenz. Vom Sozialisten zum Korporationentheoretiker, in: Aram Mattioli (Hrsg.), Intellektuelle von rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918– 1939, Zürich 1995, S. 219–238.

Augenspiegel (Johannes Reuchlin, 1511) Der 1504 vom Judentum zum Christentum konvertierte Johannes Pfefferkorn hatte in mehreren Schriften seine ehemaligen Glaubensgenossen wegen Wuchergeist und Christenhass hart attackiert und gefordert, in den jüdischen Gemeinden den Talmud und andere jüdische Schriften (die hebräische Bibel ausgenommen) zu konfiszieren und sie zu verbrennen. Von Kaiser Maximilian I. erreichte er 1509 ein Mandat, mit Unterstützung der weltlichen und geistlichen Instanzen alle gegen den christlichen Glauben gerichteten Bücher einzuziehen. Auf den Protest des Mainzer Erzbischofs Uriel von Gemmingen und der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main hin hielt der Kaiser das Verfahren an, verfügte 1510 die Rückgabe der Bücher und forderte Gutachten der Universitäten Köln, Mainz, Erfurt und Heidelberg sowie einiger Sachverständiger, darunter Johannes Reuchlin. Dieser lieferte sein Gutachten am 6. Oktober 1510 ab. Für die Pariser Sorbonne wurde in Köln eine lateinische Übersetzung angefertigt, für die Verhandlungen in Rom eine weitere von dem dort lebenden Bremer Juristen Martin Gröning. Ihm schickte Reuchlin noch eine eigene lateinische Übersetzung zu. Auf Reuchlins Argumentation und die darin enthaltenen Angriffe gegen Pfefferkorn antwortete dieser im Frühjahr 1511 mit einer Schrift „Handspiegel“, auf die Reuchlin im Herbst desselben Jahres mit einer Gegenschrift „Augenspiegel“ reagierte. Hierin druckte er die kaiserlichen Mandate sowie die Aufforderung des Mainzer Erzbischofs an ihn ab, ein Gutachten über die jüdischen Schriften zu verfassen. Ferner publizierte Reuchlin hierin sein Gutachten in deutscher und lateinischer Sprache sowie eine Widerlegung der, nach Reuchlins Zählung, 34 Lügen des Pfefferkorn in dessen „Handspiegel“. Sowohl im Gutachten wie in der Erwiderung verteidigte er die hebräischen Schriften, vor allem den Talmud. Dieser enthalte in der Fassung, die in den nachchristlichen Jahrhunderten als Kompilation entstanden sei, Angriffe auf Jesus, die aber von den Juden schon zu dessen Lebzeiten erhoben worden seien. Deshalb beinhalte er – wie auch das Alte Testament – Gutes und Böses. Dennoch sei beides zu dulden, da sich auch Jesus gegenüber Ungläubigen großzügig gezeigt habe. Den Juden den Talmud wegzunehmen, bringe den Christen in Deutschland nichts, da weitere Exemplare in Italien und in der Türkei existierten. Es empfehle sich, die Juden aufgrund ihrer Bücher mit Sanftmut, nicht aber mit Gewalt zum christlichen Glauben zu bewegen. Denn wen Gott wolle, dessen erbarme er sich.

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Reuchlin räumte ein, dass kaum einer den Talmud vollständig verstehe, da die einzelnen Teile in unterschiedlichen Sprachen abgefasst seien. Er selbst bezog sich in seiner Argumentation sehr stark auf die Feststellungen des Konvertiten Paulus von Burgos zum Talmud. Von der Duldung jüdischer Bücher nahm Reuchlin die beiden „Schmähschriften“ „Nizahon“ und „Tolduth Jeschu“ aus. Generell gelte, dass den Juden als Mitbürgern des Römischen Reiches kein Eigentum weggenommen werden dürfe. Was die beiden letzteren Schriften betreffe, so gelte auch hier nach dem Römischen Recht zu verfahren, sie, wie andere Schmähschriften, durch ein Gericht einziehen zu lassen und dann zu verbrennen. Reuchlins aufgeschlossene Haltung gegenüber den Juden und ihren Schriften, die hier deutlich wird, beinhaltet jedoch keine generelle Toleranz, wie schon die Taufaufforderung zeigt. In der zeitgenössischen Auseinandersetzung um den jüdischen Wucher bezeichnet er diesen als Sünde, die er nicht verteidigen werde. Doch zeigt er Verständnis für die Juden in der christlichen Umwelt. Es sei ihnen nicht vorzuwerfen, dass sie sich gegen den Vorwurf der Christen, sie seien treulos („weil wir sie alle Jahr in unseren Kirchen am Karfreitag öffentlich schelten: perfideos iudeos“) mit der Feststellung verteidigten, sie hätten ihren Glauben nie gebrochen. Auch treffe es nicht zu, dass sie Ketzer seien, da sie nie vom christlichen Glauben abgefallen seien. Für das bürgerliche Leben konstatiert Reuchlin einen ungezwungenen Umgang, wobei er davon ausgeht, dass Juden auch Äcker, Wiesen und Weingärten besitzen. Seine Haltung gegenüber jüdischen Konvertiten ist nicht eindeutig. Während er Paulus von Burgos schätzt, verunglimpft er seinen Kontrahenten Pfefferkorn, wenn er bei der Widerlegung von dessen 34 Lügen immer wieder von „diesem getauften Juden“ spricht und im Zusammenhang mit dessen Lügen ihm vorwirft, dass er, da der Teufel der Vater aller Lügen sei, „von teuflischer Natur empfangen und geboren wäre und teuflische Milch gesogen habe“. Schon Leopold Ranke hat das Gutachten als „ein Denkmal reiner Gesinnung und überlegener Einsicht“ bezeichnet. Verglichen mit dem zeitgenössischen Schrifttum, vor allem dem der bald folgenden Reformationszeit, vertrat Reuchlin den Juden gegenüber eine recht positive Haltung, auch wenn er ihre Taufe forderte, hier aber von allem Zwang abriet, was den Juden die Beibehaltung ihres Glaubens garantierte. Seine Interpretation ihres Status im bürgerlichen Leben garantierte den Juden einen, wenn auch engen Schutzraum.

Arno Herzig

Literatur Danilea Hacke, Bernd Roeck (Hrsg.), Die Welt im Augenspiegel. Johannes Reuchlin und seine Zeit, Stuttgart 2002.

Aujourd’hui (Frankreich, 1940–1944) Die Tageszeitung „Aujourd’hui“ stand anfangs für den Versuch, in Frankreich unter deutscher Besatzung eine unabhängige Presse zu gründen. Das Experiment ging im September 1940 von Henri Jeanson, ehemaliger Journalist von „Le Canard enchaîné“, aus, wobei von der deutschen Pressezensur nicht viel Aufhebens gemacht werden

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sollte. Die Balance zwischen intellektueller Unabhängigkeit und tatsächlicher Kompromittierung erwies sich allerdings als schwierig. Möglich wurde die Anpassung an die neue Situation durch einen absoluten Pazifismus (so bei Félicien Challaye, Jean Anouilh, Marcel Aymé). Die Zeitung strebte die definitive Überwindung langjähriger Schwächen Frankreichs mithilfe der neuen Gegebenheiten an: Die Niederlage werde „dazu gut sein, dass sie Frankreich von den Trusts, den Bankiers und den Radikalsozialisten befreit hat“; „es reicht nicht aus, die Männer (Politiker, Beamte, Freimaurer oder israelitische Plutokraten) zu liquidieren; es müssen ihr Todeswerk für die arbeitende Nation, ihre ausgefeilten Systeme von ziviler Unehrenhaftigkeit und Unaufrichtigkeit zerstört werden. Der im Dienst der Finanz und der Banken stehende Staat, die verkaufte Presse und ein Beamtentum, das auf Vetternwirtschaft und nicht Kompetenz baut, alles das muss beseitigt werden“ (Jeanson, 3. September 1940). Es ging auch darum, gegen die Unzulänglichkeiten der Zeit zu kämpfen, zu denen Geld und eine Bourgeoisie gezählt wurden, die nach immer mehr strebe und dabei den Rest der Bevölkerung ersticke. Die Zeitung drückte insofern ein klares Misstrauen gegenüber der Demokratie aus: Der Tendenz des Augenblicks entsprechend entschied sich „Aujourd’hui“ für eine Schuldzuweisung an die Führung der besiegten und vergangenen Dritten Republik, die für den Krieg verantwortlich gemacht wurde. Meist wurden internierte Juden genannt: Marx Dormoy, Jules Moch, Salomon Grumbach. Jeanson weigerte sich hingegen angesichts der ersten französischen antisemitischen Maßnahmen im Oktober 1940, an der antijüdischen Kampagne teilzunehmen. Gerade durch die Wahrnehmung eines Minimums an Freiheit in den Angriffen gegen den Konservatismus Pétains zog „Aujourd’hui“ freilich rasch den Zorn Vichys und bestimmter Kollaborateure auf sich. Weil es sich zu viel Freiheit in seinen Stellungnahmen genommen hatte, wurde dieser ersten Variante von „Aujourd’hui“ schließlich von deutscher Seite im November 1940 ein Ende gesetzt, obwohl die Zeitung mittlerweile in einer Auflagenstärke von 110.000 Exemplaren erschien und ihren Leserkreis gefunden hatte. Nachfolger von Jeanson wurde am 3. Dezember 1940 Georges Suarez, ein rechts bzw. rechtsextrem orientierter Journalist. Er war Mitbegründer von „Gringoire“, ehemaliges Mitglied der Parti Populaire Français von Doriot und gehörte wenig später der Kollaborationspartei Rassemblement National Populaire von Déat an. Regelmäßig in den deutsch-französischen Kreisen der 1930er Jahre verkehrend war er bei der halbamtlichen Zeitung „Le Temps“ tätig gewesen und hatte außerdem Biographien von Briand, Poincaré und Clemenceau veröffentlicht; er hatte jüdische Freundschaften gepflegt (Joseph Kessel). Als Gegner des vergangenen republikanischen Systems (L’agonie de la paix, 1942) engagierte er sich nun ganz für Marschall Pétain (dessen Biographie er gerade veröffentlichte) und die Kollaboration, gegen den Gaullismus, gegen die Verbundenheit mit England und den Attentismus. Sein erster Leitartikel nach der Übernahme von „Aujourd’hui“ trug einen programmatischen Titel: „Pétain oder die Demokratie? Man muss sich entscheiden“. Die zweite Variante von „Aujourd’hui“ unter Suarez wurde sogleich von den Deutschen instrumentalisiert. Mit einer Auflage, die auf circa 60.000 Exemplare zurückging, wurde es in den „Hibbelen-Trust“ übernommen, eine im deutschen Eigentum stehende Pressegruppe. Die wichtigsten literarischen Mitarbeiter zogen sich zurück.

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Die Zeitung rückte nun die „neue europäische Elite“ unter deutscher Vorherrschaft in den Vordergrund und propagierte die europäische Zivilisation, die von den Deutschen gerettet würde. „Aujourd’hui“ stand von nun an für das extreme Engagement von Suarez. Dieser holte rechtsextreme Persönlichkeiten in die Redaktion (v. a. Jean-Pierre Maxence, vor dem Krieg Mitglied der rechtsextremen Liga Solidarité Française von Jean Renaud und François Coty). Zusammen mit dem Schriftsteller Céline beteiligte er sich an Überlegungen, die in der Wochenschrift „Au Pilori“ vom 11. Dezember 1941 veröffentlicht wurden und führende Köpfe der öffentlichen Meinung und der Kollaborationspolitik versammelten, um eine gemeinsame Formulierung für antisemitische Politik zu präsentieren. In diesem Sinn gehörte „Aujourd’hui“ zu den Kollaborationszeitungen, die sich gegen den französischen Klerus entrüsteten, als im Sommer 1942 einige Prälaten die Razzien gegen ausländische Juden im Namen der Menschenrechte verurteilten. Diese Zeitungen konzentrierten sich sodann darauf, an die christlichen Wurzeln des Antisemitismus zu erinnern. Anfang März 1943 nahm Suarez an einer Versammlung von Jacques Doriot teil, kurz vor dem Abmarsch des Parti Populaire Français (PPF)-Chef an die Ostfront, die unter dem Zeichen der Kollaboration gegen die „bolschewistische Barbarei“ bzw. den „jüdischen Bolschewismus“ stand. Im Mai darauf feierte Suarez das 20-jährige Bestehen der Tageszeitung „Au Pilori“ zusammen mit deutschen Vertretern in Paris und Extremisten der Kollaboration. Unter den Journalisten dieses zweiten „Aujourd’hui“ ragte Paul Chack hervor: Als gleichzeitiger Leiter des mit französischen und deutschen Geldern finanzierten antibolschewistischen Aktionskomitees führte er einen antibolschewistischen und antijüdischen Kampf, bei dem er den deutschen und französischen Behörden Informationsdienste leistete, um Feinde jeglicher Art aufzudecken. Seine Beiträge in der Zeitung standen in einer Linie mit seinem Einsatz im Rahmen des Aktionskomitees (z. B. Mitkonzeption einer Ausstellung über den „Bolschewismus gegen Europa“) bzw. andernorts (Ausstellung „Der Jude und Frankreich“ als Mitglied des Institut d’études des questions juives). So wie wenige Monate später Robert Brasillach wurden Georges Suarez und Paul Chack nach der Befreiung Frankreichs wegen Kollaboration und Verschwörung mit dem Feinde und nicht wegen Antisemitismus verurteilt und hingerichtet. Der Gerichtsprozess gegen Suarez am 23. Oktober 1944 verlief geradlinig: Schriften, die ihm zur Last gelegt wurden, deutsche Geldmittel – nichts sprach für ihn. Er wurde am 9. November 1944 als erster Journalist und Kollaborateur, standrechtlich erschossen. Viele folgten ihm nicht. Chack wurde am 18. Dezember 1944 vor Gericht gestellt und am 9. Januar 1945 erschossen.

Dominique Trimbur

Literatur Pierre Assouline, L’Épuration des intellectuels, Bruxelles 1996. Pierre-Marie Dioudonnat, L’Argent nazi à la conquête de la presse française: 1940–1944, Paris 1981. Laurent Martin, Collaboration „chaude“ ou collaboration „froide“? Le cas d’Henri Jeanson (1938–1947), in: Vingtième Siècle–Revue d’Histoire 86 (2005), S. 91–106. Pascal Ory, Les collaborateurs, 1940–1945, Paris 1980.

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Die Aula (Österreich, seit 1952)

Pierre-André Taguieff (Hrsg.), L’antisémitisme de plume, 1940–1944. Études et documents, Paris 1999. Jeannine Verdès-Leroux, Refus et violences: politique et littérature à l’extrême droite, des années trente aux retombées de la Libération, Paris 1996.

Die Aula (Österreich, seit 1952) „Die Aula“ ist ein rechtsextremes Monatsmagazin und repräsentiert laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich. Das Magazin wurde im Jahr 1951 unter dem Titel „Der freiheitliche Akademiker – Mitteilungsblatt des Akademikerverbandes Österreichs, Landesgruppe Steiermark und Kärnten“ gegründet und im Laufe seines Bestehens mehrmals umbenannt: So hieß es beispielsweise ab 1952 „Die Aula – Monatsschrift österreichischer Akademikerverbände“ und erscheint seit 1991 unter dem Namen „Die Aula – Das freiheitliche Magazin“. Herausgeber und Verleger des Magazins ist die Aula-Verlag Ges.m.b.H. in Graz, die sich im Besitz der Freiheitlichen Akademikerverbände Österreichs befindet. In den ersten drei Jahrzehnten hatte die „Aula“ im Wesentlichen den Charakter eines internen Mitteilungsblattes; Anfang der 1980er Jahre wurde sie in ein an eine breitere Öffentlichkeit gerichtetes politisches Magazin umgewandelt. Die Aula begann relativ schnell im rechtsextremen Spektrum Österreichs eine tragende Rolle zu spielen. Auf der inhaltlichen Ebene waren die in dem Magazin vertretenen politischen Positionen relativ breit gestreut. Die Herausgeber bemühten sich stets darum, auch Beiträge von gemäßigteren Autoren (Rechtskonservativen und Vertretern aus dem Lager des sich als demokratisch verstehenden Deutschnationalismus, aber, wenn möglich, auch von Urhebern aus der Sozialdemokratischen Partei Österreichs bzw. der Österreichischen Volkspartei) abzudrucken, um so dem harten Kern des Rechtsextremismus, unter dem Deckmantel der Meinungsvielfalt, eine Bühne bieten zu können. Neben den gemäßigten Artikeln erschien eine Vielzahl deutschnationaler, rassistischer, minderheitenfeindlicher und antisemitischer Beiträge. Der Freiheitliche Andreas Mölzer, seit 2004 EU-Parlamentarier, wusste im Jahr 1991 in der „Aula“ zu berichten, dass die Geschichte mehrmals gezeigt habe, „dass entortete und entwurzelte Völker, wie etwa die Juden in der Diaspora [...], es diesbezüglich verstanden, aus der Not eine Tugend zu machen. Der Handel und das Geschäft des Geldwechslers [...] prägten den Charakter dieser Völker so hundertprozentig, dass ihnen Handwerk, Ackerbau oder Industriearbeit geradezu widernatürlich erscheinen mussten. Dafür waren nur mehr die Wirtsvölker zuständig.“ Rigolf Henning, Rechtsextremist und Politiker der NPD, setzte sich im Jahr 2000 in einem „Aula“-Artikel mit der Frage „Kommt ein 3. Weltkrieg?“ auseinander und meinte dazu: „Keiner will ihn, kaum einer sieht die Zeichen, doch diese sind nicht mehr zu verdrängen. Es sind die gleichen Kreise, welche die beiden Weltkriege ausgelöst haben [...]: Diejenigen, die am Krieg verdienen, die keine Macht neben sich dulden und die gnadenlos jeden überfallen, der sich ihrer ‚Weltordnung’ widersetzt. [...] Wenn je die Drahtzieher an der Ostküste die Weltherrschaft wirklich übernehmen wollen, dann müssen sie dies jetzt tun oder nie.“

Die Aula (Österreich, seit 1952)

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2011 erschien in der „Aula“ unter dem Titel „Lügt Klüger?“ ein Artikel, der sich mit dem alljährlichen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus am 5. Mai (Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen) beschäftigt. In dem Beitrag wurden die Überlebenden des KZ Mauthausen als „kriminelle Elemente“ und „Landplage“ bezeichnet, die Erinnerungen der Schriftstellerin und Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger, die anlässlich des Gedenktages eine Festrede im österreichischen Parlament gehalten hatte, als „Phantasie“ abgetan und behauptet, dass Anne Frank „nicht ermordet, sondern wie ihre Schwester im Konzentrationslager Bergen-Belsen von einer ThyphusEpidemie dahingerafft wurde“. Von besonderer Bedeutung ist, dass die „Aula“ als Bindeglied zwischen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und den außerparlamentarischen Strömungen des Rechtsextremismus und Deutschnationalismus fungiert. Zwischen dem „Aula“-Verlag und den deutschnationalen Burschenschaften Österreichs besteht ein enger organisatorischer Zusammenhang. Sowohl die FPÖ als auch zahlreiche rechtsextreme und neonazistische Gruppierungen rekrutieren einen bedeutenden Teil ihres intellektuellen Nachwuchses aus dem Milieu der Burschenschaften. So bekleideten zahlreiche „Aula“-Autoren Funktionen in der FPÖ, und das Magazin berichtete auch immer wieder schwerpunktmäßig über die Freiheitliche Partei. Im Jahr 1986 wurde der Rechtspopulist Jörg Haider Obmann der FPÖ. Dies wurde von der „Aula“ wohlwollend aufgenommen und bewirkte eine Annäherung an die Freiheitlichen. 1995 sah sich Haider gezwungen, auf Distanz zur „Aula“ zu gehen. Ausschlaggebend war der mediale Druck, als die Polizei nach einem RohrbombenMordanschlag auf vier Roma im Burgenland im Umfeld des Magazins ermittelte. Als der Geschäftsführer der „Aula“ Herwig Nachtmann im August desselben Jahres wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz verurteilt wurde, verließen zahlreiche Autoren aus den Reihen der FPÖ (u. a. Andreas Mölzer und Jürgen Hatzenbichler) die Zeitschrift. Die Verurteilung bezog sich auf einen 1994 in der „Aula“ publizierten Artikel, in dem der revisionistische „Lüftl Report“ als „Meilenstein auf dem Weg zur Wahrheit“ bezeichnet wurde. Darin bestritt der Autor Walter Lüftl die technische Möglichkeit des Massenmords im Vernichtungslager Auschwitz. Aufgrund der Verurteilung wurden der „Aula“ die Pressesubventionen gestrichen. Das in Isolierung geratene Magazin entzog rechtskonservativen Positionen sukzessive die Bühne und fokussierte unter dem Einfluss des deutschen Rechtsextremisten Jürgen Schwab immer stärker auf die rechtsextreme Szene mit dem Schwerpunkt BRD. Rechtsextreme Parteien erhielten in dem Magazin zunehmend die Möglichkeit, sich und ihre politischen Inhalte darzustellen. So wurde beispielsweise dem Bundesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei (NPD) Udo Voigt im Jahr 1998 gestattet, seine Vorstellungen vom „Deutschen Sozialismus“ zu skizzieren. Trotz der zunehmenden Radikalisierung ließen es sich zahlreiche FPÖ-Funktionäre – unter ihnen auch Wolfgang Jung, Johannes Gudenus, Walter Rosenkranz und Susanne Winter – nicht nehmen, auch weiterhin in der „Aula“ zu publizieren. Das Verhältnis zwischen der FPÖ und der „Aula“ wurde wieder enger, als HeinzChristian Strache 2005 zum Obmann der Freiheitlichen Partei gewählt wurde. Bereits 2003 hatte das Mitglied der Wiener pennalen Burschenschaft „Vandalia“ der „Aula“ in einem Interview versichert, dass das „dritte Lager“ in seiner Person einen „Verbün-

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deten“ habe und dass die „Aula“ in ihm „immer einen verlässlichen Ansprechpartner finden“ werde. Es verwundert daher nicht, dass Strache sich unter den zahlreichen Gratulanten befand, die die Zeitschrift im Jahr 2011 zu ihrem 60-jährigen Bestehen beglückwünschten. In der Jubiläumsausgabe der „Aula“ attestierte er dem rechtsextremen Magazin, ein „im besten journalistischen Sinne unbequemes Medium“ zu sein, das sich „nie dem Zeitgeist, woher auch immer er wehen konnte, untergeordnet hat“.

Philipp Rohrbach

Literatur Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Die Aula (Online-Version) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Webpage-Rubriken: „Neues von rechts“ und „Neues von ganz rechts“ (Online-Version) Reinhold Gärtner, Die ordentlichen Rechten. Die „Aula“, die Freiheitlichen und der Rechtsextremismus, Wien 1996. Reinhold Gärtner, Die Aula, in: Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hrsg.), Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus, Wien 1994, S. 278– 296. Reinhold Gärtner, Die „Aula“ und die Wissenschaft, in: Wolfgang Purtscheller (Hrsg.), Die Ordnung, die sie meinen. „Neue Rechte“ in Österreich, Wien 1994, S. 150–173. Heribert Schiedl, Wolfgang Neugebauer, Jörg Haider, die FPÖ und der Antisemitismus, in: Anton Pelinka, Ruth Wodak (Hrsg.), „Dreck am Stecken“. Politik der Ausgrenzung, Wien 2002, S. 11–31. Christine Schindler, NS-Apologetik in der Zeitschrift Die Aula: Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus (Online-Version)

Die Auschwitz-Lüge (Thies Christophersen, 1973) Die erstmals 1973 veröffentlichte Broschüre „Die Auschwitz-Lüge“ des ehemaligen SS-Angehörigen Thies Christophersen zählt zu den verbreitetsten und bekanntesten holocaustleugnenden Schriften. Der Titel des als Augenzeugenbericht deklarierten Druckwerks steht als Synonym für das Phänomen der Holocaustleugnung insgesamt. Der Landwirt Christophersen (1918–1997) nimmt in seinem Erlebnisbericht, der von allgemeinen historischen Behauptungen eingerahmt ist (so seien beispielsweise lediglich 200.000 Juden während des Zweiten Weltkriegs umgekommen), die Autorität des Zeit- und Augenzeugen in Anspruch. Während des gesamten Jahrs 1944 in der Pflanzenzuchtanstalt Rajsko nahe dem KZ Auschwitz stationiert, oblag ihm als landwirtschaftlichem SS-Sonderführer der Anbau von Kautschuk-Ersatzpflanzen; hierzu bediente sich Christophersen der Arbeitskraft von Häftlingen, die er in Birkenau selektierte. Besonders ab den späten 1960er Jahren betätigte sich das zeitweilige NPDMitglied Christophersen als NS-Apologet, bildete in den 1970er Jahren gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Manfred Roeder und dem Publizisten Erwin Schönborn eines der wichtigsten Gravitationszentren des Neonazismus in der Bundesrepublik und war einer der Mentoren des Neonazi-Führers Michael Kühnen. In „Die Auschwitz-Lüge“ schreibt Christophersen in schlichter Sprache über die Lager in Auschwitz und Birkenau, primär jedoch über die Anlagen in Rajsko. Im

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Stammlager sei ihm aufgefallen, dass dort „sehr viele Häftlinge frei herumliefen, ohne bewacht zu werden“, in Rajsko hätten „die Häftlinge ihre Forschungsarbeit mit Eifer und Freude“ verrichtet. Sie seien „elegant“ gekleidet gewesen, „Lippenstift, Puder und Schminke“ seien vorhanden und alles „tipptopp“ gewesen. „Kahlgeschorene Jüdinnen“ habe es längst nicht mehr gegeben – ihr „Anblick sei so schrecklich gewesen, daß selbst die hartgesottensten SS-Führer ihn nicht ertragen konnten“. Unrecht durch SS-Angehörige sei streng geahndet worden; so habe der Diebstahl von Seidenstrümpfen eine SS-Helferin vor ein Kriegsgericht gebracht, ein SS-Posten sei wegen der körperlichen Misshandlung einer Frau auf Christophersens Einschreiten hin zu einem Strafbataillon versetzt worden. Auch sonst seien „Hafterleichterungen immer großzügiger“ geworden, ein Bordell eingerichtet worden, und das SS-Personal habe sich gemeinsam mit den Häftlingen Filmvorführungen angesehen. Hingegen habe das Lager in Birkenau den Eindruck hinterlassen, „sehr verwahrlost und schmutzig“ zu sein. Dennoch seien die dort für die Feldarbeit selektierten Häftlinge „ein lustiger Haufen“ gewesen – polnische Volkslieder seien gesungen worden und Zigeuner hätten dazu ihre Tänze aufgeführt. Ein „sehr schlechter Ernährungszustand“ sei nur bei Neuankömmlingen vorgekommen, die sich jedoch bald wieder „herausgefuttert“ hätten. Gerüchten über Verbrennungen von Leichen sei Christophersen „im ganzen Lager“ nachgegangen, er habe „alle Feuerstellen und alle rauchenden Schlote“ überprüft – ohne jedoch auf etwas Verdächtiges zu stoßen. Während seiner Zeit in Auschwitz habe er „nicht die geringsten Anzeichen von Massenvergasungen bemerkt“, und mit Näherrücken der Front hätten sehr viele der Polen und Juden „sogar noch für einen Sieg der Deutschen gebetet“. Christophersens Schrift erschien als „Die Auschwitz-Lüge – Ein Erlebnisbericht“ unter dem Banner der von Roeder geführten „Deutschen Bürger-Initiative“ in Christophersens Kritik-Verlag im unweit Flensburg gelegenen Mohrkirch. Die Erstauflage wurde im Februar 1973 ausgeliefert, zwei weitere Auflagen folgten 1974 und 1975. Es war Roeder, der „Die Auschwitz-Lüge“ angeregt hatte und ihr ein mit christlichantijudaistischen Motiven aufgeladenes Vorwort hinzufügte. Auch wenn laut Roeder allein bei der Bombardierung Dresdens mehr Deutsche umgekommen seien als Juden während der gesamten NS-Zeit, halle die Welt dennoch „vom Gezeter wegen der toten Juden“ wider. Sowohl die Absicht und Anordnung Hitlers zur Ermordung der Juden als auch die Vergasungsanlagen seien „Erfindungen krankhafter Hirne“. Während „Lügen, die von bestimmten jüdischen Weltherrschaftscliquen verbreitet werden […] neuen Antisemitismus“ hervorbrächten, sei die Zeit gekommen, „aufzustehen und dem Schicksal in den Rachen zu greifen“, denn man erfülle „Gottes Auftrag“. Im Nachgang wurde Roeders Gruppierung die Gemeinnützigkeit entzogen und Roeder im Februar 1976 wegen Volksverhetzung zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie einer Geldstrafe verurteilt. Ungleich höhere Verbreitung als die Ausgabe Roeders erzielten die fünf ausgewiesenen Nachauflagen der „Auschwitz-Lüge“, die bis 1978 in der Schriftenreihe „Kritik – Die Stimme des Volkes“ in Christophersens Kritik-Verlag erschienen. Dabei handelte es sich teils um erweiterte Auflagen, denen Leserzuschriften und sonstige Korrespondenz als Anhang beigegeben wurden. Um rechtliche Probleme zu vermeiden, fand Roeders Vorwort keine Aufnahme; nichtsdestoweniger wurden ihm die Nachauf-

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Die Auschwitz-Lüge (Thies Christophersen, 1973)

lagen gewidmet. Auch die neu aufgenommenen Vorworte zollten Roeder Tribut – so bezeichnete Wilhelm Stäglich (→ „Der Auschwitz-Mythos“), der selbst einen ähnlichen Bericht wie Christophersen veröffentlicht hatte, Roeders Aussagen als „Wahrheiten“. Christophersens Broschüre erschien in zahlreichen Ländern und Sprachen, so etwa auf Französisch, Spanisch, Ungarisch, Holländisch und Dänisch. Eine erste englische Übersetzung durch den in Kanada ansässigen NS-Propagandisten Ernst Zündel folgte als „Auschwitz – Truth or Lie“ bereits 1974. Als Zündel 1985 und 1988 wegen der Verbreitung holocaustleugnender Schriften in Kanada angeklagt war, trat Christophersen für Zündel vor Gericht auf und bezeugte den Inhalt seiner Broschüre. Deren Gesamtauflage belief sich laut einer Aussage Christophersens aus dem Jahr 1979 auf angeblich 100.000 Exemplare. Im Gegensatz zu Roeder und seinem Vorwort waren Christophersen und sein gut 25 kleinformatige Druckseiten umfassender Text von Strafverfahren oder Verboten zunächst nicht betroffen. Erst im September 1978 wurde „Die Auschwitz-Lüge“ wegen Volksverhetzung gerichtlich eingezogen und 1993 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. Bereits im Jahr nach der Erstveröffentlichung publizierte Christophersen in der Broschüre „Der Auschwitz-Betrug – Der Kampf des Rechtsanwaltes Roeder“ Reaktionen auf die „Auschwitz-Lüge“ und druckte entsprechende Schriftwechsel ab. Schließlich malte Christophersen in den 1990er Jahren in selbstproduzierten Videofilmen seinen Text weiter aus, dabei witzelte er u.a. über seine Selektionskriterien – „wegen der Unterhaltung“ habe er stets auch „ein paar Zigeuner“ ausgewählt. Über seine Motive und die mit der „Auschwitz-Lüge“ verfolgten Ziele äußerte sich Christophersen mehrfach. In seiner Zeitschrift „Die Bauernschaft – Für Recht und Gerechtigkeit“ führte er 1980 aus, mit seiner Broschüre „eigentlich nur den Beweis für das Nichtwissen liefern“ zu wollen. Dass er damit weder die Morde in Auschwitz oder den Holocaust insgesamt, sondern lediglich das zeitgenössische Wissen darum in Abrede stellte, hatte Christophersen bereits drei Jahre zuvor fast wortgleich eingeräumt. Deutlicher wurde er 1990 gegenüber einem Journalisten, von dem Christophersen irrtümlicherweise annahm, er sei ihm wohlgesonnen. Vor laufender Kamera antwortete Christophersen auf die Frage, ob es Vergasungen gegeben habe, dass er darüber „nichts geschrieben“ habe. Er fuhr fort: „Ich will uns entlasten und verteidigen, dann kann ich das nicht mit dem, was wir tatsächlich getan haben. Ich leugne das nicht. Aber jeder Verteidiger, der was zu verteidigen hat, der wird doch nicht das Belastende aufführen.“ Ähnlich entlarvte sich Roeder bereits 1973, als er Christophersens Schrift nicht etwa als wahren und subjektiv aufrichtigen Bericht, sondern als bewusste Leugnung von Tatsachen wider besseres Wissen apostrophierte, indem er Christophersens und sein eigenes Tun mit dem eines Russen, „die Verbrechen von Katyn zu bestreiten“ und mit dem eines Israelis, „die Greuel an arabischen Kriegsgefangenen im 6-TageKrieg zu untersuchen und zu rechtfertigen“ verglich. In Christophersens Versuch, den Nationalsozialismus zu entkriminalisieren, kommen sowohl Aspekte rückwärtsgewandter autobiographischer Selbstrechtfertigung als auch vorwärts gerichtete politisch-propagandistische Absichten zusammen. Die Bedeutung der „Auschwitz-Lüge“ liegt vor allem darin, sich als eine der ersten Schriften in monothematischer Weise der Leugnung der Gaskammermorde gewidmet und die Holocaustleugnung als strategisch-taktisches Element im Neonazismus verankert zu

Der Auschwitz-Mythos (Wilhelm Stäglich, 1979)

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haben. Aus diesem Grunde zählt die Broschüre ungeachtet ihres geringen Umfangs und ihres in jeder Hinsicht bescheidenen Erscheinungsbildes zu den Standardtexten innerhalb des holocaustleugnenden Schrifttums. Doch auch in den offiziellen und juristischen Sprachgebrauch hielt der Ausdruck „Auschwitz-Lüge“ Eingang – wenn auch in abgewandelter Bedeutung als Inbegriff und im Sinne des mittlerweile gebräuchlicheren Terminus’ „Holocaustleugnung“.

Christian Mentel

Literatur Anti-Roeder-Arbeitskreis, NSDAP-Propagandisten unter der Lupe. Dokumentation antisemitischer, antidemokratischer und offener NS-Provokationen der Schönborn-Roeder-Christophersen-Bande und ihre Deckung seitens staatlicher Organe, Hamburg 1978. Michael Schmidt, Heute gehört uns die Straße. Der Inside-Report aus der Neonazi-Szene, Düsseldorf u. a. 1993.

Der Auschwitz-Mythos (Wilhelm Stäglich, 1979) Das im Frühjahr 1979 erschienene Buch „Der Auschwitz-Mythos“ des pensionierten Finanzrichters Wilhelm Stäglich ist als erste und bislang umfangreichste monographische deutschsprachige Schrift, die den Holocaust auf vorgeblich wissenschaftliche Weise bestreitet, ein zentraler Text für Holocaustleugner. Entstanden ist Stäglichs Buch, nachdem er als Finanzgerichtsrat in Hamburg im Jahr 1975 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden war, was Folge eines Beitrags in der rechtsextremen Monatsschrift → „Nation Europa“ zwei Jahre zuvor war. Das aktive NPD-Mitglied Stäglich (1916–2006), 1944 als Luftabwehroffizier in der Nähe des KZ Auschwitz stationiert, schrieb in diesem als Augenzeugenbericht apostrophierten Beitrag, dass er während seiner drei bis vier Besuche im Stammlager Auschwitz keinerlei „Vergasungseinrichtungen, Verbrennungsöfen, Marterinstrumente und ähnlich grausige Dinge gesehen“ habe. Angeregt durch die ebenfalls 1973 veröffentlichte, ähnlich gelagerte Broschüre → „Die Auschwitz-Lüge“ von Thies Christophersen (1918–1997), betätigte sich Stäglich von nun an in einschlägiger Weise publizistisch. „Der Auschwitz-Mythos“ steht damit am Ende von Stäglichs Entwicklung hin zu einem der prominentesten Geschichtsrevisionisten; begonnen hat diese spätestens 1965, als Stäglich im Kollegenkreis erstmals die im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) zutage geförderten Erkenntnisse bezweifelte. Laut eigenen Angaben will Stäglich in seinem Buch „die vorgelegten Beweise für die angebliche ‚Todesfabrik Auschwitz’ vorstellen, prüfen und nach objektiven Maßstäben bewerten“; er ist dabei der Auffassung, dass mit Auschwitz „die These von der ‚planmäßigen Judenvernichtung’ als solche steht und fällt“. Explizit weist er darauf hin, dass für ihn dabei die „Beachtung wissenschaftlicher Grundsätze […] selbstverständlich“ gewesen sei – gleichwohl spricht er bereits im ersten Unterkapitel, das mit „Der Auschwitz Mythos – Gefahr für die Volkskraft“ betitelt ist, von „überstaatlichen Mächten“, die „kraft ihrer ungeheuren Finanzmacht auch das Nachrichtenwesen weitgehend in der Hand haben“ und „die Menschen und Völker […] manipulieren“. Mit der „wohl einmalige[n] Lügenpropaganda“, die Auschwitz zu einem „quasi-religiösen Glaubensdogma“ gemacht habe, sei dem deutschen Volk Selbstachtung und nationales

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Selbstbewusstsein geraubt worden – während sich „das Weltjudentum“ als Urheber und Nutznießer der „Judenvernichtungslegende“ „gleichsam als Erlöser der Menschheit zu präsentieren versteht“. Dieser „Auschwitz-Mythos“ basiere auf einer Quellenbasis, deren Zuverlässigkeit „von den beamteten Historikern“ nicht einmal ansatzweise überprüft worden sei. Laut Stäglich seien insbesondere Zeugenaussagen und Erlebnisberichte über Vergasungen in Auschwitz-Birkenau „zweifellos unter Einwirkungen und Einflüssen unterschiedlichster Art“, etwa durch Erpressung, Gehirnwäsche oder Folter, aber auch durch Massensuggestion, aus Hass- und Rachegefühlen zustande gekommen. Auch gegen die von den Siegermächten erbeuteten Akten seien „grundsätzliche Bedenken hinsichtlich ihrer Authentizität“ zu erheben, zumal lediglich Teile davon zurückgegeben worden seien und „kein Mensch“ wisse, wo sich diese befänden. Sollten Dokumente hingegen ganz oder teilweise echt sein, seien sie laut Stäglich von Historikern meist falsch interpretiert worden. Folglich seien auch die NS-Prozesse der Nachkriegszeit – primär der von Stäglich eingehend behandelte Frankfurter Auschwitz-Prozess – als Schau- und Hexenprozesse zu werten, sie stellten lediglich „justizförmige Verfahren“ dar, um der „Legende vom Mord an 6 Millionen Juden einen Anschein von Glaubwürdigkeit zu verleihen“. Für Stäglich gilt: „Nicht wir, die kriminalisierten Deutschen, haben den Beweis zu führen, daß es keine Gaskammern gab, sondern unsere Ankläger haben deren Existenz nachzuweisen.“ Jedoch gebe es für den Holocaust „bislang keinen einzigen Beleg von Bedeutung“. Stäglichs knapp 500 Seiten umfassendes Buch erschien im März 1979 unter dem Titel „Der Auschwitz-Mythos – Legende oder Wirklichkeit? Eine kritische Bestandsaufnahme“ als Band 9 der Veröffentlichungen eines imaginären „Instituts für deutsche Nachkriegsgeschichte“. Publiziert wurde es in dem für geschichtsrevisionistische Druckwerke bekannten → Grabert-Verlag in Tübingen; in der dort verlegten Zeitschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ fand zudem ein mehrteiliger Vorabdruck statt. Bereits wenige Monate nach Veröffentlichung wurde ein Antrag auf Indizierung gestellt, zeitgleich wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren u. a. wegen Volksverhetzung eingeleitet, das jedoch bald wieder eingestellt wurde. Mitte 1980 fand schließlich eine vom Landgericht Stuttgart angeordnete Beschlagnahmung des Buches und der Druckstöcke statt, im Mai 1982 wurden diese schließlich eingezogen. Nur wenige Wochen zuvor setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den „Auschwitz-Mythos“ auf den Index. Laut Verlagsangaben umfasste die zum Zeitpunkt der Beschlagnahmung bereits größtenteils verkaufte erste Auflage 10.000 Exemplare. Eine zweite, um Vorworte und Texte wie von dem bekannten Holocaustleugner Robert Faurisson erweiterte Auflage erschien 1984 im einschlägigen Verlag Historical Review Press in Brighton (England). Schließlich druckte im Jahr 2010 der Verlag Castle Hill Publishers in Uckfield (England) eine erneut um umfangreiche Anhänge erweiterte dritte Auflage. Eine englische Übersetzung wurde als „The Auschwitz Myth – A Judge Looks at the Evidence“ in zwei Auflagen 1986 und 1990 von der Holocaustleugner-Vereinigung Institute for Historical Review in Kalifornien publiziert, eine französische Ausgabe erschien ebenfalls 1986 bei dem einschlägigen Pariser Verlag La Vieille Taupe. Die Universität Göttingen, wo Stäglich 1951 seinen Doktor der Jurisprudenz erworben hatte, beschloss im Frühjahr 1983, ihm diesen Titel wegen „Unwürdigkeit“ abzu-

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erkennen. Da Stäglich seinen Doktortitel im Vorwort und auf dem Titelblatt genutzt habe, befanden die Dekane, dass Stäglich diesen missbraucht habe, um Meinungsäußerungen Prestige zu verleihen, „die in strafbarer und gefährlicher Weise den Ungeist des Antisemitismus und des Rassenhasses verbreiten“. Vier Jahre später wurde diese Entscheidung – die auf einer von Hitler in Kraft gesetzten Regelung aus dem Jahr 1939 beruht – gerichtlich bestätigt. Stäglich äußerte sich mehrfach zu seinem Buch und insbesondere zu den vernichtenden Beurteilungen durch Fachleute, so etwa in dem Text „‚Simple’ Wahrheit und komplizierte Lügen“, der 1981 in „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ erschien, oder auch in dem Band „Geschichtsbetrachtung als Wagnis“ von 1984, der von Wigbert Grabert herausgegeben die „behördlichen und gerichtlichen Maßnahmen“ gegen „Der Auschwitz-Mythos“ dokumentieren sollte. Im selben Jahr erschien mit „‚Der Auschwitz Mythos’ – A Book and Its Fate in the German Federal Republic“ im → „Journal of Historical Review“ ein weiterer Text Stäglichs, der auf einem im Jahr zuvor gehaltenen Vortrag einer vom Institute for Historical Review ausgerichteten Konferenz basierte. Nach wie vor gilt Stäglichs Buch Holocaustleugnern insbesondere im deutschen Sprachraum als Standardtext – nicht zuletzt deswegen, weil seitdem kein monographisch angelegtes Buch mit vergleichbarem Umfang mehr erschienen ist. Zusammen mit dem 1976 veröffentlichten → „Jahrhundert-Betrug“ von Arthur R. Butz ist mit „Der Auschwitz-Mythos“ eine Zäsur in der Entwicklung des Phänomens der Holocaustleugnung zu setzen, da trotz manifester und wenig kaschierter antisemitischer Äußerungen hier erstmalig konsequent die Strategie praktiziert wurde, Wissenschaftlichkeit u.a. durch einen entsprechenden Aufbau des Textes und mittels Fußnoten, Quellen- und Literaturverweisen vorzutäuschen und der Präsentation durch eine Bibliographie, einen Bildteil sowie Karten und Schemazeichnungen ein seriöses Gepräge zu verleihen.

Christian Mentel

Literatur Hermann Graml, Alte und neue Apologeten Hitlers, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Rechtsextremismus in Deutschland. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt am Main 1994, S. 30–66.

Baigais Gads (Lettland, 1942) „Baigais Gads“ [Das Jahr des Schreckens] ist eine ca. 100-seitige lettischsprachige Publikation, die von der deutschen Besatzungsverwaltung im Jahr 1942 im besetzten Lettland initiiert wurde. Es handelt sich dabei um eine an die lettische Bevölkerung gerichtete antisemitische Propagandaschrift gegen den Bolschewismus, um die Kollaborationsbereitschaft im okkupierten Land zu forcieren. Das Buch entstand offiziell unter der Redaktion von Pauls Kovaļevskis, Oskārs Norīsts und Miķels Goppers. Die im Rigaer Verlag Zelta Ābele erschienene Publikation führte als offiziellen Titel „Dokumentensammlung zur Bolschewistenzeit vom 17.6.1940 bis zum 1.7.1941 in Lettland“ und erhob den selbst gesetzten Anspruch, den Bolschewismus zu zeigen, „wie er wirklich war“.

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Baigais Gads (Lettland, 1942)

Der Titel des Buches war von einem Gedicht des lettischen Poeten Edvards Virza abgeleitet. In diesem Gedicht ist eine Zeile enthalten, die die Metapher des „Roten Nebels“ verwendet, die zum Titel des lettischsprachigen Propagandafilms „Sarkanais Migls/Der Rote Nebel“ wurde, der ebenfalls im Jahr 1942 erschien. Im Buch „Baigais Gads“ wurde im Vorwort des Pfarrers Kārlis Zuika angekündigt, den Hintergrund der bolschewistischen Verbrechen aufzuklären, wobei die Publikation als historisches Zeugnis verstanden werden sollte. Tatsächlich war es eine Propagandaschrift, die Zeitungsberichte aus der sowjetischen Presse, Dokumente aus dem Jahr der sowjetischen Besatzung in Lettland und Fotomaterial zu den Verbrechen der sowjetischen Besatzungsmacht gezielt zusammenstellte und diese mit dem antisemitischen Feindbild des jüdischen Bolschewismus kombinierte, um judenfeindliche Reaktionen und Kollaborationswilligkeit in der lettischen Bevölkerung hervorzurufen bzw. zu verstärken. Im ersten Teil des Buches werden die Besetzung Lettlands durch sowjetische Truppen sowie die allseitige gewaltsame Umgestaltung des Landes zu einer Sowjetrepublik dargestellt. Juden werden als höhere Funktionäre der Sowjetmacht an allen verantwortlichen Positionen als Schuldige genannt: Prof. Augusts Kirchenšteins als offizieller Staatspräsident, Abrams Genkins als führender „Politruk“ der sowjetlettischen Armee und Semjon Šustins als Leiter des NKWD. An anderen Stellen werden keine Namen aufgeführt, jedoch wird behauptet, in jeder Behörde hätten Juden als Vorsitzende gewirkt: „Und wie immer und überall waren Juden und immer wieder Juden an vorderster Stelle.“ Dabei werden Dokumentenfragmente, die aus ihrem kontextuellen Bezug gerissen wurden, als vermeintlich historische Belege hinzugezogen. Im zweiten Teil des Buches werden explizit die Orte sowie die Opfer der sowjetischen Verbrechen präsentiert. Dabei werden, historisch relativ korrekt, die Wege der Deportierten vom 14. Juni 1941 nach Sibirien sowie die Deportationszüge gezeigt. Es folgt eine Flut von Fotografien von Opfern der sowjetischen Repressalien und Dokumentenfragmenten. Unter dem Titel „Die Erde öffnet sich“ werden Fotografien der geöffneten Massengräber der vom sowjetischen NKWD ermordeten Personen gezeigt, teilweise mit den Namen der Identifizierten. Die Leichen auf den Fotografien sind zum großen Teil stark verstümmelt; es folgen Bilder von geöffneten Massengräbern, Gefängniskellern und des Prozesses der Identifizierung der Opfer. Dabei wird wenig Text verwendet, der zudem in sehr trivialem Stil gehalten ist. Die Passagen bezüglich der verstümmelten Leichen beschränken sich auf Aufrufe wie „Sieh sie an!“ Es scheint für den Betrachter als geklärt, dass die „Jüdischen Kommissare“ die Schuldigen an diesen Verbrechen waren, womit ein antisemitisches Feindbild transportiert wird. Somit wird absolut negiert, dass eine große Zahl Juden zu Opfern des sowjetischen Regimes geworden waren. Auch fällt weder im ersten noch im zweiten Teil des Buches das Stichwort der Rolle der deutschen Truppen als Befreier. Es wird als Schlusswort jedoch die Funktion des lettischen Volkes als „jahrhundertelanges Schutzschild Europas gegen die tatarisch-barbarischen Horden und jetzt gegen den Bolschewismus“ betont. Die Manipulation durch Inhalt und Form des Buches wirkt auf subtile Weise. Die deutschen Besatzer waren sich dessen bewusst, dass mit der Eindringlichkeit der Bildersprache ein Grundtypus lettischer historischer Erfahrung und gleichermaßen tief verwurzelte kollektive Ängste angesprochen wurden.

Barikád (Ungarn, seit 2007)

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Der Erfolg des Buches war in vielen Bevölkerungskreisen des besetzten Landes nicht unerheblich. Im Jahr 1997 wurde eine Neuauflage des Buches „Baigais Gads“ in Lettland veröffentlicht, die aufgrund eines fehlenden kommentierenden Vorworts und ausbleibender Erklärungen zum historischen Bezug der Erstpublikation stark kritisiert wurde.

Katrin Reichelt

Literatur Andrej Angrick, Peter Klein, Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941– 1944, Darmstadt 2006. Katrin Reichelt, Lettland unter deutscher Besatzung 1941–1944. Der lettische Anteil am Holocaust, Berlin 2011.

Barikád (Ungarn, seit 2007) „Barikád“ heißt ins Deutsche übersetzt „Barrikade“ und ist der Name einer Wochenzeitung sowie eines Internetportals. Inhaltlich sind sie zwar miteinander nicht identisch, doch formal und ideologisch gehören sie in den Kreis der Medien der radikalen Rechten in Ungarn, die sich im Sinne einer „konservativen Revolution“ für revolutionär halten. Auch rechtlich sind sie nicht miteinander verwoben, doch beide stehen ideologisch der rechtsradikalen Partei Jobbik nahe, Besitzer der Wochenzeitschrift ist der Chef der Partei, Gábor Vona. Während die Wochenzeitschrift die Themen eher allgemeingültig behandelt, bemüht sich das gleichnamige Internetportal naturgemäß um eine beinahe stündliche Aktualisierung der Ereignisse. Das ältere von beiden ist das Internetportal. Es ist am 15. März 2007 gegründet worden, was kein Zufall ist, denn der Tag ist – in Erinnerung an die Revolution 1848 – einer der wichtigsten Nationalfeiertage in Ungarn. Die Gründung fiel in die Zeit, als die sozialliberale Koalition in Ungarn die Regierung bildete (2004–2010) und sich die völkische Opposition stabilisierte. Kaum ein halbes Jahr zuvor, im September 2006, erfolgte die blutige „Stürmung“ des Gebäudes des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, als rechte Gruppen das „Lügengebäude“ mit Gewalt besetzen und zur „national befreiten Zone“ erklären wollten, um damit die „gojische Einheit“ zu symbolisieren. Dass hinter den „revolutionären“ Ereignissen die damals oppositionelle Fidesz Bürgerunion stand, gilt inzwischen als sicher. Ein halbes Jahr später, im August 2007, wurde die Ungarische Garde gegründet. In diesen Jahren etablierten sich viele Fidesz und Jobbik nahestehende, „national gesinnte“ Medien, so z. B. das „Hír TV“ [Nachrichten TV] und das biologistisch rassistische „Echo TV“, das „Info Radio“ und das „Lánchid Rádió“ [Radio Kettenbrücke], die in Ungarn als gemäßigt gelten. Die rechtsextremen „Szentkoronarádió“ [Radio Heilige Ungarische Krone] und das Internetportal barikad.hu werden von den „Gemäßigten“ als deren eigene „zivile Alternativen“ begriffen. Das Umfeld von barikad.hu in der Medienlandschaft symbolisiert den fließenden Übergang von der gesellschaftlichen Mitte zum „radikalen rechten Rand“, und dafür steht auch der langjährige Chefredakteur der Internetzeitung. Der Politologe László Tóth Gy., Berater des Ministerpräsidenten der ersten Orbán-Regierung (1998–2002), bis April 2012 Mitglied im Kuratorium des Museums Haus des Terrors in Budapest,

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Die Bauernschaft (1969–1996)

stand bis 2009 an der Spitze der Internetzeitung. Bis März 2010 war er auch Programmdirektor beim „Echo TV“, wo er eine Gesprächssendung leitete und gegen alles, was „links“, „wurzellos“, „postkommunistisch“ und „liberal“ ist, hetzte. Im Dezember 2009 sagte er z. B., er sei ein „Weißer, ein Magyare, ein Christ und ein Europäer“, und es sei für diejenigen, denen in Ungarn etwas nicht gefalle, nicht verpflichtend, im Land zu bleiben. Die „Muslime dürften gerne abhauen“, die „zionistischen Juden könnten nach Israel ziehen“ und die „Mormonen in die USA“. Das Internetportal verfügt über ein breites Spektrum an Interviewpartnern. So gab es ein Gespräch mit dem stellvertretenden Generalsekretär der FPÖ, Andreas Mölzer, dem international anerkannten ungarischen Politologen László Kéri und dem in Ungarn für den Friedensnobelpreis vorgeschlagenen Pater Csaba Böjti aus Rumänien. Letztere haben keinen Anstoß daran genommen, sich im antisemitischen Portal befragen zu lassen. Der auf Drogenopfer spezialisierte Toxikologe Dr. Gábor Zacher durfte sich in einem Interview über die „neoliberale“ Drogenpolitik auslassen. Die Zeitschrift „Barikád“ erschien erstmals im Mai 2009. Aus der anfänglichen Monatsschrift wurde ab Januar 2010 ein Wochenblatt, das in etwas über 10.000 Exemplaren verkauft wird. Das Blatt gehört der GmbH „Magyar Hírek“ [Ungarische Nachrichten], deren Miteigentümer der Chef von Jobbik, Gábor Vona, ist. Der Wechsel im Januar 2010 brachte auch einen Fortschritt in der Professionalität des Blattes. Seither steht der rechte Starjournalist, Sándor Pörzse, Abgeordneter von Jobbik im Parlament, an dessen Spitze. Auch Pörzse war vorher mit dem „Echo TV“ unter Vertrag gewesen, wo er sich eher im esoterischen, okkultistischen Metier bewegte. Pörzse sei einer, der in den letzten 20 Jahren „hart gegen die Politiker gekämpft“ habe, die aus den „Postkommunisten zu wilden Kapitalisten“ geworden seien, begründete Vona sein Vertrauen in den neuen Chefredakteur. Das Layout des Blattes wurde im Mai 2012 verändert und die Seitenzahl von 36 auf 44 erhöht. In der ersten Ausgabe des erneuerten Blattes war gleich ein Interview mit dem als unabhängig geltenden ungarischen Politologen Gábor Török zu lesen. Das inhaltliche Profil der Zeitung ist, wie einer wissenschaftlichen Untersuchung zu entnehmen ist, sehr stark und vor allem von antiziganistischer Hetze bestimmt. Pörzse erfüllt nach eigenen Angaben mit seiner Arbeit eine „kulturelle Mission“, was nichts anderes heißt, als dass die „weiße Hegemonie“ in Ungarn stabilisiert werden soll. Finanziert wird das Blatt über die Verkaufserlöse hinaus vor allem von der Partei Jobbik.

Magdalena Marsovszky

Literatur Andreas Koob, Holger Marcks, Magdalena Marsovszky, Mit Pfeil, Kreuz und Krone: Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn, Münster 2013.

Die Bauernschaft (1969–1996) Die Zeitschrift „Die Bauernschaft. Für Recht und Gerechtigkeit“ erschien zwischen 1969 und Anfang 1996 mit einer Auflage von 4.000 bis 5.000 Exemplaren unter der Regie von Thies Christophersen (1918–1997). TCK – wie er sich in der „Bauern-

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schaft“ abkürzte – war 1944 in der Nähe des Vernichtungslagers Auschwitz als SSSonderführer in einer Versuchsanstalt für Pflanzenschutz tätig gewesen und in der Bundesrepublik Deutschland über CDU und Deutsche Partei zur NPD gekommen. Die als Logo im Titel der Zeitschrift geführte „schwarze Bauernfahne“ nahm Bezug auf die Landvolkbewegung der ausgehenden Weimarer Republik, die – zum Teil unter Rückgriff auf terroristische Aktionen und häufig auf Grundlage völkischer Weltanschauung – nationalistische Forderungen und „Blut und Boden“-Ideologie artikulierte. Auch die regelmäßigen Verweise auf die Trägerschaft der Zeitschrift durch die „Bürger- und Bauerninitiative e.V.“ (bis Ende 1989) bzw. Parolen wie „Bauerntum ist Volkstum“ sowie die Beteiligung Christophersens an der Gründung der „Notgemeinschaft Deutscher Bauern“ Ende der 1960er Jahre verwiesen auf die große Bedeutung, die Christophersen der Figur des Bauern zuwies, die als Gegenentwurf zur jüdisch konnotierten Moderne und Stadtgesellschaft dargestellt wurde. Die meist im Umfang von 70–80 Seiten erscheinende Quartalszeitschrift entwickelte sich zu einer der wichtigsten frühen publizistischen Plattformen der AuschwitzLeugner und berichtete über die entsprechenden Akteure und Aktivitäten, wie z. B. David Irving, Robert Faurisson und Gerd Honsik. Die „Lesertreffen“ der Zeitschrift, die u. a. in Dänemark, Deutschland und Frankreich stattfanden, dienten ebenfalls als Gelegenheit zur Vernetzung. Die Hitler-Verehrung, die in zahlreichen Äußerungen Christophersens zum Ausdruck kam, wurde von einem großen Teil der Leser der „Bauernschaft“ geteilt, zu der nicht wenige Alt-Nazis gehörten. Umfangreicher Platz wurde dem Abdruck von Leserbriefen eingeräumt, die häufig mehr als ein Drittel der Heftseiten der „Bauernschaft“ beanspruchten und von denen viele aus dem Ausland kamen. Neonazistische Gruppierungen wie die „NSDAP/AO“, die „Wiking-Jugend“ oder die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ warben in Kleinanzeigen um Mitarbeit und Unterstützung. Als Korrespondentin der Zeitschrift wirkte lange Jahre Claudia Brüning, die in dieser Eigenschaft 1989 in Madrid an der Feier der spanischen faschistischen Organisation CEDADE anlässlich des 100. Geburtstags von Adolf Hitler teilnahm. In den Jahren 1978 bis 1984 wurde Christophersen wiederholt zu mehrmonatigen Haftstrafen auf Bewährung verurteilt; einer erneuten Verurteilung und der erwarteten Verhaftung seitens deutscher Behörden entzog sich Christophersen 1986 durch Wohnsitznahme in Dänemark; die dänischen Behörden lehnten eine Auslieferung ab. Christophersen verbreitete die Zeitschrift und weitere revisionistische Schriften daher nicht mehr von Kälberhagen (Schleswig-Holstein) aus, sondern über den „Nordwind Verlag“ im dänischen Kollund. Zu den dort angebotenen Schriften zählten Werke von Adolf Hitler, Alfred Rosenberg, General Ludendorff, Gottfried Feder sowie in deutscher Übersetzung Henry Fords antisemitisches Werk „Der internationale Jude“ (→ The International Jew). Ende 1994 übergab Christophersen das Blatt an Ernst Zündel (Toronto), mit dem ihn eine lange Zusammenarbeit in der internationalen Szene der Auschwitz-Leugner verband. Allerdings stellte dieser das Heft bereits Anfang 1996 mit der Begründung ein, dass der finanzielle und organisatorische Aufwand in keinem angemessenen Verhältnis zur Breitenwirkung der Zeitschrift stehe.

Fabian Virchow

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Die Bauernwürger (Max Hugo Liebermann von Sonnenberg, 1894)

Die Bauernwürger (Max Hugo Liebermann von Sonnenberg, 1894) Verfasser des 1894 im Hermann Beyer Verlag in Leipzig herausgegebenen Pamphlets „Die Bauernwürger“ ist Max Hugo Liebermann von Sonnenberg. Er war einer der herausragendsten Vertreter des politisch organisierten Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Gewählt im Wahlkreis Fritzlar-Homberg-Ziegenhain war er von 1890 bis 1911 ununterbrochen Mitglied des Reichstages. „Die Bauernwürger“ reihen sich in eine Fülle antisemitischer Schriften ein, die Liebermann von Sonnenberg im Laufe seines politischen Lebens produzierte. Ein Charakteristikum dieses Werkes wird bereits im Untertitel „Eine Geschichte mit 12 Bildern aus dem Leben“ sichtbar. Der Text ist bei einem Umfang von 13 Seiten illustriert mit 12 Zeichnungen. Nur eine der Zeichnungen, das Abschlussbild, kommt ohne die Darstellung eines Juden aus. Ort der Handlung ist das ländliche Milieu, Gegenspieler sind der Bauer Hans Kurt Groß und seine Familie auf der einen Seite und auf der anderen die Juden, vertreten durch den „großen regierenden Geldjuden“ Aron und seinen Hausierer Levy. Liebermann von Sonnenberg konstruiert eine Täter-Opfer-Beziehung zwischen den beiden Gruppen. Der Bauer Groß wird dabei wiederholt von den Juden hinters Licht geführt und betrogen, bis er in die Schuldknechtschaft des Aron gerät und letztendlich durch Zwangsversteigerung von seinem Hof vertrieben wird und auswandert. Liebermann von Sonnenberg gestaltet seine Erzählung um die gängigen und äußerst langlebigen antijüdischen Vorurteile Wucher und Betrug. Bei der Konstruktion des Feindbildes „Jude“ verwendet er aber nicht nur sozio-ökonomische Motive. Er belässt es nicht bei der Darstellung der Ausplünderung und Ruinierung des Bauern, zusätzlich werden sittliche Vergehen angedeutet: „Die älteste Tochter ist tot, sie ist ins Wasser gegangen, weil sie die Schande nicht überleben wollte, die ihr im Hause des Juden angetan worden ist.“ Liebermann von Sonnenberg weitet den von ihm beispielhaft dargestellten „Konflikt“ zu einem Massenphänomen aus. Er projiziert seine Anklage auf das Gesamtkollektiv der Juden: „So gehen alljährlich dem Vaterland viele tausend fleißige und tüchtige Menschen verloren. Durch Judenwucher, Judenlist und Judenbetrug, von Haus und Hof vertrieben und ins Elend gejagt.“ Juden werden von Liebermann von Sonnenberg als heimtückisch, hinterlistig und verschlagen dargestellt. Unterfüttert werden diese Zuschreibungen durch die bildliche Darstellung der Juden: so der „Geldjude“ Aron dick, feist und mit hervortretenden überdimensionalen Augen, der Hausierer Levy gebeugt, „katzbuckelnd“ und versehen mit vermeintlich jüdischen Attributen seiner Physiognomie wie der „Judennase“. Liebermann von Sonnenberg präsentiert in seiner Geschichte auch die Lösung, um mit „Judenwucher, Judenlist und Judenbetrug“ fertig zu werden. Der Bauer Groß, aufgeklärt von den Antisemiten über die „Gefahren“ des Handelns mit Juden, versucht erfolglos, den „Klauen des Juden“ zu entkommen. Liebermann von Sonnenberg impliziert, dass nur die vollständige und rechtzeitige Trennung von den Juden die Bauern vor Schaden bewahren könne; habe man sich einmal mit ihnen eingelassen, sei man verloren.

Bayreuther Blätter (1879–1938)

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Liebermann von Sonnenberg entwarf eine Geschichte zugeschnitten auf die von ihm umworbene Landbevölkerung. Diese stellte in seinem agrarisch und kleinstädtisch geprägten Wahlkreis den überwiegenden Teil der Wählerschaft. Eine weitere Charakteristik seines Wahlkreises war der relativ hohe Prozentsatz Bürger jüdischen Glaubens. Ihr Anteil betrug 1895 im Kreis Ziegenhain 2,95 Prozent der Bevölkerung. Dies war einer der höchsten Anteile in Preußen überhaupt. Reichsweit lag der Anteil bei ca. einem Prozent. Viele Juden des Kreises waren im Bereich des Waren- und Viehhandels tätig, oft stellten sie in wirtschaftlichen Krisenzeiten die letzten Gläubiger der in Not geratenen Bauern. Auch wenn in der Realität die Konflikte weit weniger ausgeprägt waren, als von den Antisemiten dargestellt, implizierten wirtschaftliche Krisen in den Agrarregionen Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, und bereits bestehende tradierte Vorurteile der Landbevölkerung gegenüber Juden wurden zusätzlich aufgeladen. Liebermann von Sonnenberg und die antisemitischen Parteien schlachteten dies propagandistisch aus, indem sie für die Probleme der Bauern die Juden verantwortlich machten und eben nicht übergeordnete Faktoren, konjunkturelle Schwankungen, Agrarkrisen und Weltwirtschaft als Ursachen benannten, und wenn doch, die Wirtschaftskrisen der „jüdisch beherrschten Börse“ zuschoben. „Die Bauernwürger“ steht beispielhaft für die antijüdischen Propagandaschriften aus den Reihen der im ländlichen Hessen verorteten Antisemiten. Die dauerhafte Wirkmächtigkeit ihrer Botschaften ist schwerlich zu bestimmen. Aber die beachtlichen Wahlerfolge der antisemitischen Parteien in den 1890er Jahren insbesondere in den ländlichen Regionen des Großherzogtums Hessen und des preußischen Regierungsbezirks Hessen-Kassel sind unbestritten.

Hendryk Rohn

Literatur Thomas Weidemann, Politischer Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Der Reichstagsabgeordnete Max Liebermann von Sonnenberg und der nordhessische Wahlkreis Fritzlar-Homberg-Ziegenhain, in: Hartwig Bambey (Hrsg.), Heimatvertriebene Nachbarn. Beiträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain, Schwalmbach-Treysa 1993, S. 113–184.

Bayreuther Blätter (1879–1938) Richard Wagner selbst gab den Anstoß zur Herausgabe einer „Zeitschrift zur Verständigung über die Möglichkeiten einer deutschen Kultur“, der „Bayreuther Blätter“. Mit der Redaktion betraute er seinen glühenden Verehrer Hans Freiherr von Wolzogen. Zunächst erschienen sie ab 1879 als „Monatsschrift des Bayreuther Patronatsvereines. Unter Mitwirkung Richard Wagner’s Redigirt von Hans von Wolzogen“. Die Zeitschrift sollte der Werbung für die Wagnersche Musik und der Verbreitung der Kunstund Lebensanschauung Richard Wagners dienen. In den „Bayreuther Blättern“ veröffentlichte Wagner einige seiner letzten Aufsätze. Nach seinem Tod wurde die Zeitschrift vom Allgemeinen Richard Wagner-Verein herausgegeben mit dem Untertitel „Deutsche Zeitschrift im Geiste Richard Wagners“. Vorsitzender dieses Vereins war

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Bayreuther Blätter (1879–1938)

wiederum Wolzogen. Die Zeitschrift erschien zunächst monatlich, ab 1883 zwischen vier und acht Mal im Jahr. Wolzogen machte das Blatt zum Organ des ebenfalls von ihm wesentlich beeinflussten Bayreuther Kreises, einer Vereinigung von Wagner-Jüngern, die sich dazu berufen fühlten, als Einzige den „Meister“ und seine Philosophie wahrhaft interpretieren zu können. Wagners Werk und seine Ideen, d. h. ihre Auslegung durch die „Bayreuther“, wurden ihnen zum Religionsersatz, die „Bayreuther Blätter“ waren das Forum, in dem sie ihre vielfach abstrusen Vorstellungen kundtaten. Wagners Vorstellungen selbst waren oft unklar und widersprüchlich und entsprachen vielfach nicht den Ansichten seiner Interpreten. Sie konstruierten eben dann aus Wagners Ideen ein ihnen passend erscheinendes, schlüssiges Weltbild. So verdrehten sie auch Wagners Begeisterung für die gegen die autoritären Regime Europas gerichteten Revolutionen und seine Ablehnung des 1871 gegründeten Deutschen Reiches ins Gegenteil, indem sie den „Meister“ zum nationalen Übervater erhoben. Vor allem diente die Zeitschrift aber den vielfach obskuren Autoren dazu, ihre abstrusen völkischen und antisemitischen Ideen mit Hilfe der „Aura des Meisters“ weiterzugeben. Die Zeitschrift war ein kulturkritisches, erzkonservatives Organ, das ein quasireligiöses, kulturelles, soziales, nationalistisches und rassistisches Weltbild verbreitete. Neben Aufsätzen für Musikliebhaber, Kunstfreunde und Literaturinteressierte standen zu einem großen Teil abwegige Beiträge von Demokratiefeinden, Moralaposteln, Vegetariern, Abstinenzlern, Gegnern der modernen Medizin und deutschtümelnde Elaborate. Beklagt wurde der Verfall des ländlichen Lebens, die Landflucht und der vermeintliche Niedergang des angeblich wahren Christentums. Einig waren nahezu alle in den Blättern vertretenen Autoren aber in dumpfem Antisemitismus und engstirnigem Nationalismus. Die Juden wurden als Vertreter einer verdorbenen, oberflächlichen Zivilisation angesehen, denen die „wahre Kultur“ der arischen Rasse entgegengestellt wurde. Die „Bayreuther Blätter“ wurden zu einem, über die relativ geringe Auflagenzahl von zeitweise maximal 1.500 Exemplaren hinaus, einflussreichen Propagandainstrument eines radikalen Rassenantisemitismus. In der Zeitschrift veröffentlichte Beiträge wurden durch Publikationen völkischer und antisemitischer Gruppierungen weiter getragen, da der Mitarbeiterstab der „Bayreuther Blätter“ sich eben zu einem erheblichen Teil aus den bekanntesten Vertretern völkischer und antisemitischer Ideen rekrutierte. Neben Wolzogen gehörten u. a. dazu: Houston Stewart Chamberlain, der Propagandist des vermeintlich wissenschaftlich begründeten rassischen Antisemitismus, der Übersetzer von Gobineaus Schriften und Propagandist von dessen rassistischen Ideen Ludwig Schemann, der Befürworter einer deutschen Kolonisierung im Osten Europas Constantin Frantz, der in der Zeitschrift Juden mit Bandwürmern verglich, das radikal antisemitische Brüderpaar Bernhard und Paul Förster, und der Orientalist Adolf Wahrmund, der durch seinen primitiven und aggressiven Radauantisemitismus mehr bekannt wurde als durch seine wissenschaftlichen Leistungen. Der Musikwissenschaftler Arthur Seidl unternahm, da Jesus auf keinen Fall Jude sein durfte, gar den absurden Versuch, ihn zum Arier umzudeuteln. Diesen „arischen Jesus“ propagierte schließlich auch Chamberlain. Autoren der „Bayreuther Blätter“ konstruierten eine Art arische Religiosität, bestehend aus christlichen Restbeständen und verbunden mit tief verwurzeltem Antisemitismus.

Bayreuther Blätter (1879–1938)

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Cosima Wagner nahm nach dem Tod Richard Wagners maßgeblichen Einfluss auf den Bayreuther Kreis und die „Bayreuther Blätter“, in denen sie selbst auch unter dem Pseudonym „Wahnfried“ Beiträge veröffentlichte. Der Cosima-Biograph Max Millenkovich-Morold bezeichnete Cosima sogar als „ungenannte Hauptschriftleiterin, […] die alle Einsendungen prüfte“. Als überzeugte Anhängerin der von Joseph Arthur de Gobineau in seinem → „Essai sur inégalité des races humaines“ ausgebreiteten Vorstellung von der Überlegenheit der arischen Rasse, sorgte sie für die Propagierung der rassistischen Ideen des französischen Grafen in den „Bayreuther Blättern“, in denen zwischen 1881 und 1937 gut sechzig Abhandlungen über den Rassentheoretiker erschienen. Cosima veröffentlichte 1882 nach dem Tod Gobineaus einen pathetischen Nachruf in der Zeitschrift. Mitglieder des Bayreuther Kreises gründeten 1894 die einflussreiche Gobineau-Vereinigung, deren Mitteilungen als Beilage in den „Bayreuther Blättern“ erschienen. 1923 kam Hitler, schon früh von Wagners Musik und seinem manifesten Antisemitismus angezogen, zum ersten Mal nach Bayreuth und fand in der Folgezeit engen Kontakt zu Wagners Witwe Cosima und zu Houston Stewart Chamberlain, der mit einer Wagnertochter verheiratet war. Vertieft wurden die nahezu familiären Verbindungen der Wagner-Familie zu Hitler noch durch Winifred Wagner, der Frau des Wagnersohnes Siegfried, die Hitler bedingungslos verehrte und förderte. Der Bayreuther Kreis, für den Cosima höchste Autorität war, und die Macher der „Bayreuther Blätter“ sahen in ihrem verbohrten Antisemitismus in Hitler den Mann, der ihren Vorstellungen von einen rassereinen Deutschen Reich zum Durchbruch zu verhelfen versprach. Der Herausgeber der Blätter Hans von Wolzogen gehörte 1928 zu den Unterzeichnern des Gründungsmanifests des vom NS-Chefideologen Alfred Rosenberg initiierten völkisch und antisemitisch ausgerichteten Kampfbundes für deutsche Kultur, dessen Ziel es war, das deutsche Kulturleben im Sinne des Nationalsozialismus umzugestalten. In diesem Ziel traf sich der Kampfbund mit den Vorstellungen vieler Autoren der „Bayreuther Blätter“, die ja mit ihren darin veröffentlichten Ideen die „wahre arische Kultur“ vor dem verderblichen Einfluss des „dekadenten Judentums“ retten wollten. Herausgeber Wolzogen verglich 1936 Hitler mit Richard Wagner und pries ihn als „Verkörperung des völkischen Geistes“. Der Weg der „Bayreuther Blätter“ führte vom ursprünglich erzkonservativen, kulturkritischen Ausgangspunkt über die Adaption und Verbreitung völkisch-nationalistischer Ideen und endete in der nahezu vollständigen Übernahme der nationalsozialistischen Ideologie. Selbst die unsägliche Sprache nationalsozialistischer Propaganda findet sich in der Zeitschrift wieder. Durchgehendes Leitmotiv war von Beginn an der Antisemitismus. Zu Recht nennt der Musikhistoriker Michael Karbaum die „Bayreuther Blätter“ eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geistesgeschichte. Mit dem Tod ihres Herausgebers Hans von Wolzogen im Jahr 1938 stellten die „Bayreuther Blätter“ ihr Erscheinen ein.

Wolfram Selig

Literatur Udo Bermbach, Richard Wagner in Deutschland. Rezeption und Verfälschung, Stuttgart, Weimar 2011.

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Berliner Revue (1855–1873)

Annette Hein, Es ist viel „Hitler“ in Wagner. Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in den Bayreuther Blättern, Tübingen 2006. Oliver Hilmes, Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner, München 2008. Winfried Schüler, Der Bayreuther Kreis von seiner Entstehung bis zum Ausgang der Wilhelminischen Ära. Wagnerkult und Kulturreform im Geiste völkischer Weltanschauung, Münster 1971.

Berliner Punsch → Der kleine Reaktionär

Berliner Revue (1855–1873) Die „Berliner Revue“ war das erste Organ der preußischen Sozialkonservativen, das nach der Revolution von 1848/49 gegründet wurde. Sie erschien ab April 1855 einmal wöchentlich. Zeit ihres Bestehens war sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen, zunächst des Freiherrn von Hertefeld, ab 1861 ihres Eigentümers Hermann Wagener. Die Auflage betrug 1855 nur 750 Exemplare, 1862/63 zwischen 350 und 370. Der Zuschuss interessierter Geldgeber erhielt das Blatt jedoch bis zum 31. Dezember 1873. Namhafte Mitarbeiter waren zeitweilig Moritz von Lavergne-Peguilhen, Johann Carl Glaser, Hermann Roesler, Bruno Bauer, Constantin Frantz, Louis Schneider und George Hesekiel. Bis 1859 wurden Juden selbst bei Signalthemen weitgehend nicht angegriffen. Stark judenfeindliche Artikel erschienen im Herbst 1856 und Anfang 1857. Sie entwarfen ein rassistisches, extrem negatives Judenbild und verbreiteten die Wahnidee, das „Reformjudentum“ sei eine Strategie zur Errichtung einer „jüdischen Weltherrschaft“. Erst unter den Bedingungen des Militär- und Verfassungskonflikts kam die „Revue“ dazu, Kapitalismuskritik und Judenfeindschaft enger zu verschränken. Nach Anbruch der „Neuen Ära“ im Oktober 1858 änderte sich an der Ausrichtung des Blatts zunächst nichts: Durch die rechtlichen Veränderungen wurde die „Judenfrage“ weder ein dominantes noch ein dauerhaftes Thema; erst ab Januar 1860 wurde sie in der „Revue“ aufgegriffen. Unter dem neuen Redakteur von Moerner kam es ab Juli zu einer Eruption antisemitischer Artikel. In wöchentlichem Rhythmus erwarben die Leser nun mehrseitige Artikel, zum Teil in Form von Serien, umfangreiche, systematisch politische Abhandlungen, häufig mit historischen Inhalten. Daneben fanden sich zahlund umfangreiche Abdrucke, etwa aus dem → „Staats- und Gesellschaftslexikon“. Das Blatt erschloss seinen Lesern die gesamte antisemitische Literatur: ältere judenfeindliche Schriften durch Zitate und Verweise, Neuveröffentlichungen durch zahlreiche Besprechungen. In späteren Jahren brachte die „Berliner Revue“ auch antisemitische Belletristik. Gemeinsam mit anderen sozialkonservativen Organen verschaffte die „Revue“ der „Judenfrage“ eine konstante Präsenz in der Öffentlichkeit. Regelmäßig erschienen bis zum September 1861 antisemitische Artikel. Ab April 1862 setzte der wöchentliche Rhythmus wieder ein und hielt bis zum Januar 1863 an. Die Vorwürfe gegen die Juden wurden immer drastischer, beim Leser war ein Indoktrinationsprozess intendiert. Permanent erhob das Blatt den Vorwurf, die Juden strebten nach sozialer, ökonomischer und politischer Herrschaft, ja es konstruierte das Szenario einer „Weltherrschaft des Judentums“, wenn es im Rahmen einer monokausalen Verschwörungstheorie behaup-

Berliner Revue (1855–1873)

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tete, „eine semitische Horde“ leite „die Geldgeschäfte Europas“ und diktiere „den Staatsmännern Finanzgesetze“, unterstützt durch „ein Netz von Geheimbünden“. In der Emanzipation der Juden sah es diese Herrschaft bereits verwirklicht. Durchgehend stellte die „Revue” eine Verbindung der Emanzipation der Juden zur Sozialen Frage und den ökonomischen Problemen der sozialkonservativen Adressatengruppen her. Dabei unterstellte sie eine enge Verbindung von Liberalen und Juden, ja die Identität beider Gruppen. Juden wurden in der „Berliner Revue“ als Rasse aufgefasst, als „Semiten“ oder „asiatische Gäste“ bezeichnet. Die spanische Inquisition pries das Blatt als „gewaltige Waffe des reinen Bluts wider das befleckte“. Juden wurden als „widerliche Geschöpfe“ oder „Affen“ dehumanisiert; 1862 hieß es, „der Jude“ sei nur ein „theilnahms- und gemüthloser Hautsack“. Explizite Vertreibungs- oder gar Vernichtungsfantasien blieben in der „Revue“ jedoch selten; die „Judenlosigkeit“ Spaniens pries sie allerdings als nationales Glück, verwendete staatliche Judenstatistiken, um gegen „Mischehen“ zu polemisieren und forderte die Separierung der Juden. Bereits 1860 war im Blatt zu lesen, die Zeit sei nicht mehr fern, „wo die Völker unter Waffen stehen und der jüdischen Anmaßung [...] ein Ende machen werden“. Die von der „Revue“ gegen die Juden erhobenen Vorwürfe erfüllten alle strukturlogischen Eigenschaften des modernen Antisemitismus: die Personifizierung beängstigender Entwicklungen der Moderne in den Juden, die verschwörungstheoretische Fundierung, den Zusammenhang mit dem Nationalismus und der Konstruktion identitärer Kollektive, die Dehumanisierung der Juden, die Opfer-Täter-Verkehrung im Gedanken der nationalen Notwehr, Vertreibungsfantasien wie auch Aufforderungen, die „Judenfrage“ gewaltsam zu lösen. Die Judenfeindschaft war rassistisch begründet; die „Judenfrage“ wurde von ihr in Verbindung gesetzt zu anderen politischen und sozialen Problemen und politisch gegen die Liberalen instrumentalisiert. Die Judenfeindschaft diente der Revue als Motivationsideologie zur Agitation unter dem alten Mittelstand, der durch das jüdische Feindbild in der Gewerbefrage gegen den Liberalismus politisch emotionalisiert werden sollte. Während der „Einigungskriege“ verschwanden die antisemitischen Artikel, wie in allen sozialkonservativen Organen, fast völlig. Erst ab Februar 1870 wurde die „Judenfrage“ erneut als agitatorisches Mittel eingesetzt, jetzt im Rahmen der Versuche zur Gründung einer sozialkonservativen Partei. Der Ausrichtungswechsel stand, wie der von 1859/60, in keinem direkten Bezug zu Emanzipationsschritten. 1870 wurde der engste Mitarbeiter Hermann Wageners, Rudolf Meyer, neuer Herausgeber und Redakteur. In dieser Zeit intensivierte sich der Rassismus des Blatts und die Verzahnung von Liberalismus- und Kapitalismuskritik mit der Judenfeindschaft. „Internationales Kapital“ und „nationale Arbeit“ wurden als Gegner präsentiert und unterstellt, der liberale Kapitalismus sei unfähig, die Soziale Frage zu lösen, weil er „heimatlos“ und „kosmopolitisch“ sei wie „die Juden“. In diesem Zusammenhang prägte Rudolf Meyer 1871 in der „Revue“ das Schlagwort von der „Goldenen Internationale“. Auch die Börsenkritik, die ab 1873 in der deutschen Öffentlichkeit in Angriffen auf die „Gründer“ allgemein florierte, war hier ab 1871 bereits ausformuliert. Am

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Blicke in’s Talmud’sche Judenthum (Konrad Martin, 1848)

31. Dezember 1873 musste die „Berliner Revue“ ihr Erscheinen einstellen, vermutlich infolge der Zahlungsunfähigkeit Hermann Wageners.

Henning Albrecht

Literatur Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855–1873, Paderborn, München, Wien, Zürich 2010. Adalbert Hahn, Die Berliner Revue. Ein Beitrag zur Geschichte der konservativen Partei zwischen 1855 und 1875, Berlin 1934.

Blicke in’s Talmud’sche Judenthum (Konrad Martin, 1848) Im Jahr 1848 veröffentlichte Konrad Martin (1812–1879), Professor für Moral- und Pastoraltheologie an der Universität Bonn, von 1856–1875 Bischof von Paderborn, unter dem Titel „Blicke in’s Talmud’sche Judenthum“ eine Aufsatzsammlung in der von seiner Fakultät herausgegebenen „Katholischen Vierteljahresschrift für Wissenschaft und Kunst“. Er war damit einer der ersten katholischen Theologen des 19. Jahrhunderts, die sich radikal ablehnend zur „Judenfrage“ geäußert haben. Die Juden litten nach Martin an „sittlich-socialen Gebrechen“, die für Christen derart schädlich seien, dass man jede Form der Emanzipation ablehnen müsse. Da diese Gebrechen nicht äußerlich, sondern zum Wesen der Juden gehörten, sie mithin Ausdruck ihrer „ganzen sittlich-socialen Welt- und Lebensanschauung“ wären, sei es christliche Pflicht, gegen die gesellschaftliche Gleichstellung von Juden vorzugehen. Martin polemisierte damit nicht nur gegen die jüdische Emanzipationsbewegung selbst, sondern auch gegen liberale Anschauungen im Katholizismus, die dieser positiv gegenüberstanden. Als Grund für diesen „Makel“ der Juden nennt Martin den das Judentum charakterisierenden Talmud, da dieser Intoleranz und Hass gegen alles Nichtjüdische lehre. So werde nicht nur der Stifter der christlichen Religion darin verunglimpft und beschimpft, sondern der ganze Talmud sei ein Zeugnis des Hasses der Juden gegen Christen. Da dieser „dunkle schwarze Faden“ sich durch das ganze Judentum ziehe, resultiere hieraus ein „an Wahnsinn“ grenzender „anitsozialer Hochmut des Judentums“, der nur Juden als Menschen anerkenne, alle Nichtjuden aber als Tiere bezeichne. Hochmut und Hass des Talmuds drückten sich innerhalb der christlichen Gesellschaft nicht nur in Verfluchung und Meineid aus, sondern auch in hasserfüllten Taten gegen Nichtjuden wie etwa Wucher, Diebstahl, unterlassener Hilfeleistung und sogar Mord. Zwar beziehe sich die Forderung nach Tötung aller Nichtjuden auf das messianische Zeitalter, so Martin, allerdings sei sie durch den Talmud so fest im Judentum verankert, dass man annehmen könne, die Ermordung von Nichtjuden sei bereits jetzt gestattet. Zum Beleg dieser These führt Martin die Beschuldigungen an, „daß Juden es sich angelegen sein ließen, christlicher Kinder sich zu bemächtigen, um während des Osterfestes ihr Blut zu vergießen, [...] um auf diese Weise das Andenken an den von ihren Vorfahren verübten Gottesmord zu erneuern, oder [...] um das Blut der abgeschlachteten Christenkinder zu abergläubischen Zwecken zu mißbrauchen“. Diese Verbrechen abzustreiten, so Martin, hieße, dreißig bis vierzig gut dokumentierte Fälle („Thatsachen“) zu leugnen.

Blicke in’s Talmud’sche Judenthum (Konrad Martin, 1848)

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Nach dieser vermeintlichen Beweisführung gehen die Ausführungen Martins in eine Textsammlung mittelalterlicher und neuzeitlicher Judeneide über. Durch die Vielfalt dieser Juden aufgezwungenen Eidformeln versuchte Martin zu zeigen, wie groß die Berechtigung des Misstrauens aufseiten der christlichen Bevölkerung und die Böswilligkeit, „gesellschaftlichen Pflichten“ nachzukommen aufseiten der jüdischen Bevölkerung sei. Michael Langer sieht in Martin eine wichtige Weiterentwicklung der katholischen antijüdischen Polemik: Die seiner Talmudkritik entnommenen antijüdischen Topoi werden von Martin nicht mehr rein religiös zur Darstellung der Superiorität des Christentums oder zur Begründung von Ritualmord und anderer vermeintlicher gegen das Christentum gerichteter Verbrechen angeführt, sondern erfahren eine politische Umdeutung, da sie die Unmöglichkeit der bürgerlichen Gleichstellung von Juden begründen sollen. In dieser Hinsicht kommt Martin eine große Bedeutung für die Anschlussfähigkeit des traditionellen Antijudaismus an den modernen Antisemitismus zu, da er das Judentum nicht nur als Gefahr beschrieb, die auf Zersetzung und Zerstörung der christlichen, sondern ebenso der nationalen Ideale aus sei. Die von ihm enthüllten „menschenfeindlichen Tendenzen des Judenthums“ benötigen letztlich keine Rückbindung an religiöse Begründungszusammenhänge, sondern können aufgrund ihrer pseudowissenschaftlichen Argumentationsstruktur auch in säkularem Raum fungieren. Es mag daher kein Zufall sein, dass gerade die antisemitische Wochenzeitung → „Der Stürmer“ 1937 in zwei Ausgaben auf die Bedeutung von Konrad Martin aufmerksam gemacht hat, der „im wissenschaftlichen Sinne“ das getan habe, was der „Stürmer“ nun „im volkstümlichen Sinne“ tue. Auch wenn Martin hier von der nationalsozialistischen Propaganda für deren Ziele missbraucht wurde, so konnten seine Ausführungen doch als Argumentationshilfe dienen. Nach Hannelore Noack lässt sich die verheerende Talmudkritik des „Stürmer“ auf Argumente Martins zurückführen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Martin seine Talmudkenntnis nicht eigenen Studien, sondern ausschließlich der Lektüre antijüdischer Autoren verdankt. Neben dem Dominikaner Raymund Martin (gest. 1284) ist hier vor allem die Schrift → „Entdecktes Judenthum“ des protestantischen Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger (1654–1704) zu nennen, dessen antijüdische Polemik Martin reproduziert. Martin inspirierte mit seiner Schrift den katholischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, wie er sich in den Pamphleten von Joseph Rebbert (1837–1897), August Rohling (1839–1931) oder Konstantin Ritter Cholewa von Pawlikowski ausdrückte. Rebbert gab 1876 eine kommentierte Neuauflage des Werkes heraus. Im Vorfeld der Reichstagswahlen von 1877 sah es Rebbert als Pflicht der christlichen Nächstenliebe an, mit Martins Schrift die Wähler auf die vermeintliche Gefährlichkeit des Judentums hinzuweisen. Durch politische Einflussnahme sollte so die jüdische Emanzipation rückgängig gemacht werden. Die Popularität des Nachdrucks – trotz deutlicher Kritik an dieser Form der Talmudpolemik – belegt die Fähigkeit antisemitischer Topoi, gegen Kritik immun zu sein. Diese Fähigkeit begegnete bereits bei Martin, der alternative Deutungen seiner untersuchten Talmudstellen kategorisch ausschloss und diese Versuche auf „jüdische Täuschungsabsicht“ zurückführte.

Markus Thurau

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Blixten (Schweden, 1923–1925)

Literatur Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999². Michael Langer, Zwischen Vorurteil und Aggression. Zum Judenbild in der deutschsprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts, Freiburg/Breisgau 1994. Hannelore Noack, Unbelehrbar? Antijüdische Agitation mit entstellten Talmudzitaten. Antisemitische Aufwiegelung durch Verteufelung der Juden, Paderborn 2001.

Blixten (Schweden, 1923–1925) „Blixten“ [Der Blitz] wurde 1923 in Malmö von dem jungen Journalisten Gottfrid Mortens gegründet. Die judenfeindliche Ausrichtung zeigte sich bereits in der ersten Ausgabe vom 2. Februar 1923, in der Mortens darlegte, dass seine Zeitung „Juden und andere Schwindler und Gangster“ bekämpfen werde. Sein Ziel war es, die Schweden ungeachtet ihrer jeweiligen politischen Position gegen den „wahren Feind“, die Juden, zu vereinen, und folglich veröffentlichte er einen Monat später, am 3. März, einen Namensaufruf an „alle Schweden“ zur Gründung einer antisemitischen Vereinigung. Der Aufruf endete mit einer Warnung: Falls nichts unternommen werde, „könnte der Tag kommen, an dem die Schweden ihre Nachsicht bereuen werden“. In „Blixten“ sind alle bekannten antisemitischen Stereotype vertreten. Die geläufigsten sind, um Helen Feins Systematik zu verwenden, das Bild des Shylock und des Juden als Manipulator; Juden werden permanent als verlogene, gerissene, unehrliche Betrüger und Wucherer, besessen von Profit und Geld, dargestellt, die zum Nachteil „der Schweden“ die schwedische Wirtschaft und Presse kontrollierten. Da Mortens die schwedische Gesellschaft als „verjudet“ (förjudat) betrachtete, plädierte er für Boykotte „jüdischer“ Gesellschaften und publizierte Listen solcher Unternehmen in Malmö. Nicht nur die Wirtschaft Schwedens sei in den Händen „der Juden“, nach Mortens hätten „die Juden“ sowohl den Deutsch-Französischen Krieg als auch den Ersten Weltkrieg begonnen, um Profit zu machen und den deutschen Staat „auszulaugen“, und dadurch ein Massensterben von Frauen und Kindern verursacht. Er schreibt ihnen auch die Verantwortung für „das Todesröcheln tausender unschuldiger kleiner armer Kreaturen“ in Russland zu. So findet sich sogar dämonologische Metaphorik in der Zeitschrift. Ein weiteres, häufig verwendetes Stereotyp ist „der rote Jude“. Charakteristisch für antisemitische Verschwörungslegenden, behauptet Mortens, dass Juden 1900 Jahre lang unablässig die Untergrabung der wichtigsten Grundfesten Europas und der europäischen Kultur betrieben hätten und sowohl die französische als auch die russische Revolution das Ergebnis jüdischer Machenschaften seien. Für Mortens sind Juden Kommunisten und Kommunisten Juden und bei jeder Erwähnung des Kommunismus, ob explizit oder implizit, wird der Bezug zu „Juden“ hergestellt. Gelegentlich wurden Juden auch als sexuelle Aggressoren und als sexuell abartig portraitiert. Jüdischsein wurde mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Die überwiegende Mehrheit der Angriffe geschah jedoch indirekt und zielte auf „Rassenverräter“, „schwedische“ Geliebte „jüdischer“ Männer. Mortens wollte diese Frauen an den Pranger stellen, „sie brandmarken“ und „diese Tiere auf die schwarze Liste setzen“.

Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (Otto Glagau, 1874–1875; 1876)

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Seine Ausbrüche zeigen die engen Verbindungen zwischen Antisemitismus und Misogynie. All diese Vorstellungen wurden rassistisch begründet, z. B. stellte Mortens die Juden als eine homogene „Rasse“ mit Hakennase und Plattfüßen dar, unfähig sich an die schwedische Gesellschaft zu assimilieren. Nicht-Juden, die angeblich für Juden arbeiteten, wurden als „Rassenverräter“ bezeichnet. Darüber hinaus aber rief Mortens von Zeit zu Zeit – und zwar trotz seiner Distanzierung von Pogromen und physischer Gewalt gegen Juden – zum „Aufstand“ gegen die „jüdische Vormachtstellung“ auf und forderte lautstark und wiederholt „Juden raus“ und „Schweden den Schweden“. Behauptet wurde, dass „Blixten“ lediglich eine Kopie von Barthold Lundéns bekannterer und erfolgreicherer antisemitischer Zeitung → „Vidi“ wäre, nicht zuletzt war dies auch Lundéns Position. Offensichtlich ist, dass Mortens von „Vidi“ inspiriert wurde – das Layout seiner Zeitung, vor allem das Titelblatt, ist beispielsweise nahezu identisch mit dem von „Vidi“. Offenkundig ist auch, dass Mortens einige Aufrufe Lundéns plagiierte und dass er im Dezember 1923 ohne Rücksprache mit Lundén einen Aufruf in „Blixten“ für eine lokale Filiale der Svenska Antisemitiska Föreningen [Schwedische Antisemitische Vereinigung], die Lundén einen Monat zuvor gegründet hatte, publizierte. Diese Veröffentlichung erboste Lundén, der „Vidi“ benutzte, um Mortens anzugreifen, indem er ihn als Schuft darstellte, der von Lundéns Arbeit profitiere. Mortens benannte seine Organisation daraufhin in Organisationen Svenske [Schwedische Organisation] um. So war „Blixten“ in vieler Hinsicht eine Kopie von „Vidi“. Tatsächlich hatte aber Mortens seinen Aufruf für eine antisemitische Vereinigung sechs Monate vor Lundén veröffentlicht. Weder „Blixten“ noch Mortens Versuche, eine antisemitische Vereinigung ins Leben zu rufen, waren erfolgreich. Die Zeitung sollte vierzehntägig erscheinen, was nur selten realisiert wurde. Mortens war jedoch nicht völlig erfolglos. Seine Organisation versammelte 300 Mitglieder und „Blixten“ lockte 1923 etwa 30 Inserenten und 50 im Jahre 1925 je Ausgabe an, 1925 wurde sowohl „Blixten“ eingestellt als auch Mortens Vereinigung aufgelöst. Mortens landete schließlich in der schwedischen faschistischen Bewegung.

Lars M. Andersson Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Holger Carlsson, Nazismen i Sverige. Ett varningsord [Nationalsozialismus in Schweden. Ein Wort der Warnung], Stockholm 1942. Mattias Tydén, Svensk Antisemitism 1880–1930 [Schwedischer Antisemitismus 1880– 1930], Uppsala 1986.

Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (Otto Glagau, 1874–1875; 1876) Nach einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung in den 1860er Jahren und einer Zeit exorbitanter Spekulationsgewinne brachen im Frühjahr 1873 mit dem Ruin zahlreicher Bankhäuser und Aktiengesellschaften Europas, insbesondere in Deutschland und Österreich-Ungarn, die hochgespannten Erwartungen in sich zusammen. Diese

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Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (Otto Glagau, 1874–1875; 1876)

sogenannte Große Depression hatte zwar keine schwerwiegenden Einbrüche der wirtschaftlichen Entwicklung zur Folge, umso gravierender aber waren die sozialpsychologischen Auswirkungen und die durch die Wahrnehmung der Krise hervorgerufenen Veränderungen des politischen Klimas im Deutschen Kaiserreich sowie der Habsburgermonarchie. Der Fortschrittsglaube weiter Teile der bürgerlichen Gesellschaft wurde nachhaltig erschüttert. Ausdruck dieses Stimmungsumschwunges war die Artikelserie „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“, die der Journalist Otto Glagau vom Dezember 1874 bis Dezember 1875 in der illustrierten Wochenzeitschrift → „Die Gartenlaube“ veröffentlicht hat. Die Auflage lag Mitte der 1870er Jahre bei etwa 380.000 Exemplaren, doch erreichte sie weit mehr als zwei Millionen Leser. In seiner ersten Folge klagte Otto Glagau die Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Wirtschaft mit ihren neuen Aktiengesellschaften und Börsengeschäften an. Er konzentrierte sich in dieser Folge auf die Finanzpraktiken des Eisenbahnunternehmers Bethel Henry Strousberg. Beiläufig flocht er in seinen Text Anspielungen auf dessen jüdische Herkunft ein, bezeichnete ihn als „Sohn des auserwählten Volks“ und als „Semit“. Die zweite Folge trug zwar den Titel „Der Tanz um das Goldene Kalb“, doch vermied Glagau in diesem und den folgenden Artikeln offene Anklagen gegen Juden. Zwar nannte er Namen von jüdischen Investoren und Bankiers, genauso aber auch von nichtjüdischen Börsianern. Erst in der fünften Folge tauchte dann mit der Schilderung über den Börsengang einer Firma wieder eine judenfeindliche Bemerkung auf: „Ganz Israel strahlet und glänzet vor Lust“. In der sechsten, auf den Berliner Immobilienmarkt bezogenen Folge setzte Glagau eine besondere Spitze insofern, als er nun bemerkte, die „Gerechtigkeit verlangt zu bemerken, daß das Häuserschachern nicht ausschließlich von den Börsenrittern und Israeliten betrieben“ worden sei. Zugleich schrieb er in dieser Folge, dass „die stolzesten Paläste“ und „die herrlichsten Villen“ „im Besitz der Kinder des auserwählten Volkes“ seien. In der achten, „Berlin wird Weltstadt“ überschriebenen Folge, in der er eine Reihe von Investoren charakterisierte, führte Glagau ein Bild ein, das zu einem zentralen Motiv in der Sprache des Antisemitismus wurde: die aus Posen stammenden Juden, die Berlin überschwemmen und sich überproportional schnell vermehren würden. Den Abschluss der Serie bildete die zwölfte, „Dividendenbier“ überschriebene Folge, in der sich Glagau darüber beklagte, dass das Bier, bis 1870 ein „reines gehaltvolles Getränk“, mit dem „Gründungsschwindel“ und der Entstehung einer Vielzahl von Aktien-Bier-Brauereien „an Geschmack und an Güte“ deutlich verloren habe. Otto Glagau erklärte die Finanz- und Börsenkrise des vorangegangenen Jahres in seiner Artikelserie nicht mit Hilfe der wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse über die zyklischen Krisen des kapitalistischen Finanzsystems, ihm ging es darum, die anonymen Kräfte des Marktes zu personifizieren, er wollte den Lesern der Zeitschrift Schuldige für die Zusammenbrüche der Banken nennen. Auch wenn er dabei in seinen Artikeln für die „Gartenlaube“ auf jüdische Investoren wiesen, so stand dieser Aspekt noch nicht im Vordergrund, zumal der Herausgeber Keil anfangs Bedenken hatte und eine Reihe von judenfeindlichen Wendungen aus dem Manuskript gestrichen hat.

Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (Otto Glagau, 1874–1875; 1876)

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Die Rezeption in der Presse war zunächst eher gering. Die Redaktion der „Gartenlaube“ und Glagau erhielten lediglich ein paar anerkennende Zuschriften. Bald aber erschienen auch kritische Kommentare, und nachdem aufmerksame jüdische Zeitgenossen, denen die judenfeindlichen Passagen nicht entgangen waren, diese Unterstellungen zurückgewiesen hatten, entschloss sich Glagau, in die Offensive zu gehen und die Artikelserie in erweiterter Form als Buch herauszugeben. Handelte es sich bei den judenfeindlichen Passagen in der „Gartenlauben“–Serie noch um einzelne, in die allgemeinen Invektiven gegen die Börse und die freie Marktwirtschaft eingestreute Bemerkungen, so nahm das im Leipziger Verlag von Paul Frohberg erschienene Buch nun eine eindeutig antisemitische Stoßrichtung an. Diese zeigt sich schon in der umfangreichen Einleitung, in der Glagau nicht nur Toleranz und angebliche Sentimentalität gegenüber Juden anklagte, sondern auch den Vorwurf erhob, „dass die Juden sich überall in den Vordergrund, an die Spitze drängen“. Hatte Glagau in der Einleitung zur Buchausgabe zunächst noch berichtet, dass seine Artikel in der Presse nahezu unbeachtet geblieben seien, so schrieb er nur wenige Zeilen später, dass sie „sofort ungemeines Aufsehen“ erregt hätten: „Gleich der erste wirkte wie eine Brandrakete.“ Die Juden, so spitzte er nun zu, besäßen eine „gefährliche Übermacht“ und einen „höchst unheilvollen Einfluss“. In der Buchausgabe findet sich ferner die Behauptung: „90 Procent der Gründer und Börsianer sind Juden“. Er wolle, so betonte Glagau scheinheilig, gleichsam die Möglichkeit eines eliminatorischen Antisemitismus antizipierend, „die Juden nicht umbringen oder abschlachten, sie auch nicht aus dem Lande vertreiben“, er wolle sie lediglich „revidieren, und zwar funditus revidieren“. Die antisemitisch zugespitzte Überarbeitung der Artikelserie für die Buchpublikation zeigt sich ferner in einigen umfangreichen, allein diesem Aspekt gewidmeten Anmerkungen, in denen der Autor wiederum das Motiv der polnischen Juden, die als verarmte Zuwanderer nach Berlin und nun zu Wohlstand, Reichtum und politischem Einfluss gekommen seien, bediente. Hieß es ferner in der achten, „Berlin wird Weltstadt“ überschriebenen Folge der „Gartenlaube“ noch: „In Berlin herrscht ein bedenklicher Schachergeist“, wurde daraus in der Buchfassung: „In Berlin herrscht, Dank dem so stark vertretenen jüdischen Element, ein bedenklicher Schachergeist.“ In der nächsten Folge, in der Glagau über das Berliner Theaterleben schrieb, hieß es in der „Gartenlaube“ hinsichtlich eines Kultes um eine Berliner Schauspielerin, dieser sei vor allem von „Gründern und Börsianern“ betrieben worden, in der Buchausgabe wurde daraus „von Juden und Börsianern“. Schließlich gab Glagau in „Nachträgen“ noch einmal eine lange Ausführung über die, wie er sich ausdrückte, „ununterbrochene und immer stärkere Einwanderung von Juden“ nach Berlin. Aus der in der „Gartenlaube“ publizierten populistischen Anklage gegen das Finanzgebaren an den Börsen mit gelegentlichen Spitzen gegen jüdische Investoren wurde in der Buchausgabe ein dezidiert antisemitisches Pamphlet mit antikapitalistischer und antiliberaler Stoßrichtung. Mit diesem im Januar 1876 erschienenen Buch wurde Glagau zum Doyen der nur wenige Jahre später entstehenden antisemitischen Bewegung, auch wenn er das folgenreichste und wirkungsmächtigste Schlagwort, das Glagau in die Sprache des Antisemitismus einführte: „Die sociale Frage ist Judenfra-

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Der Bolschewismus von Moses bis Lenin (Dietrich Eckart, 1924)

ge“, erst zwei Jahre später in seiner Schrift „Der Bankerott des Nationalliberalismus und die ‚Reaction’“ geprägt hat. Mit seiner Schrift „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“ erfuhr Glagau auch deshalb so große öffentliche Aufmerksamkeit, weil es unmittelbar nach seinem Erscheinen Gegenstand einer parlamentarischen Auseinandersetzung im Deutschen Reichstag wurde. Noch im selben Jahr erlebte der Band eine vierte Auflage, und vom Erfolg ermutigt veröffentlichte Glagau im folgenden Jahr, wiederum im Verlag Paul Frohberg in Leipzig, ein weiteres, noch einmal erheblich umfangreicheres Werk „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland“.

Ulrich Wyrwa

Literatur Jacob Katz, The Preparatory Stage of the modern Antisemitic Movement (1873–1879), in: Shmuel Almog (Hrsg.), Antisemitism throughout the ages, Oxford u. a. 1988, S. 279–289. Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa, Berlin 1967. Daniela Weiland, Otto Glagau und „Der Kulturkämpfer“. Zur Entstehung des modernen Antisemitismus im frühen Kaiserreich, Berlin 2004.

Der Bolschewismus von Moses bis Lenin (Dietrich Eckart, 1924) Der Publizist, Schriftsteller und Dramatiker Dietrich Eckart (1868–1923) spielte in der Frühzeit der NSDAP die Rolle eines Mentors Adolf Hitlers. Hitler bezeichnete sich selber später als „Schüler“ Eckarts, den er seinen „väterlichen Freund“ nannte und dem er → „Mein Kampf“ widmete. Eckart war 1915 in München mit völkischen Kreisen in der Thule-Gesellschaft in Kontakt gekommen und hatte neben seinen Theaterstücken und Gedichten auch antisemitische und okkultistische Werke verfasst. Von 1918/19–1921 war er Herausgeber der Wochenschrift → „Auf gut deutsch“, die die „Novembergesinnung“ angriff, und arbeitete ab Herbst 1918 für den rechtsradikalen „Münchner Beobachter“, der 1920 auf sein Betreiben als → „Völkischer Beobachter“ zum Parteiorgan der NSDAP wurde, in dem er ab 1921 auch die Position des Hauptschriftleiters bekleidete. Von da an trat Eckart ganz in den Dienst Hitlers, in dem er den künftigen genialen „Führer“ und Befreier Deutschlands sah. Diesem Ziel diente auch die einige Monate nach seinem Tod im März 1924 erschienene, unvollendet gebliebene Schrift „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Ein Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir“ (1923/24), in der Eckart versuchte, der NS-Bewegung eine weltanschauliche Grundlage zu geben. Es handelt sich hier um ein fiktives Gespräch, dessen Verfasser wahrscheinlich allein Eckart war, auch wenn die dort dargestellten Ideen sicherlich von Eckart und Hitler gleichermaßen geteilt wurden. In dieser Schrift (45 Seiten) übernimmt Eckart nur die dienende Rolle eines Stichwortgebers, der seinem Gesprächspartner Hitler jeweils den Anstoß zu weit ausholenden Erklärungen gibt, die natürlich diejenigen Eckarts sind. Hitler wird als gebildeter, geistig überlegener Führer präsentiert, der in der antiken Geschichte und im Alten Testament ebenso zu Hause ist wie in der zeitgenössischen Geschichte und Politik, daher der oft belehrende Ton des Gesprächs. Hitler soll jedoch auch als jovial und volksnah

Der Bolschewismus von Moses bis Lenin (Dietrich Eckart, 1924)

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gezeigt werden, wenn etwa mundartliche Formulierungen wie „Knieschnackler“, umgangssprachliche Elemente und emotionale Ausrufe als Stilmittel benutzt werden. Der zunächst befremdliche Titel der Schrift, der den zeitgenössischen Bolschewismus historisch bis auf Moses zurückprojiziert, nimmt die aktuelle Rede vom jüdischen Bolschewismus auf und suggeriert zugleich, dass die Juden ihre Herrschaft schon seit Moses mit bolschewistischen Methoden zu sichern verstanden hätten. Der Begriff des Bolschewismus steht für „das Rezept, wonach die Juden von jeher ihre höllische Suppe kochen“, d. h., es geht letztlich um eine verschwörungstheoretische Deutung der Weltgeschichte. Das Gespräch beginnt mit dem Ausruf Hitlers „Wir sind auf dem Holzweg!“, womit eine offene, bisher offenbar falsch beantwortete Frage angesprochen wird, dessen Lösung Hitler nun von Eckart in den Mund gelegt wird. Das zu erklärende Phänomen sind Unregelmäßigkeiten bzw. Ungereimtheiten in der Weltgeschichte, die der Geschichtsforscher nicht erklären kann. Im Rückgriff auf die Astronomie formuliert Hitler die These, dass es dann eine geheime, nicht sichtbare Kraft hinter der offen zutage liegenden Geschichte geben müsse, die „alles nach einer bestimmten Richtung deichselt“. Diese verborgene Kraft sei „der Jude“. Der Einwand seines Gesprächspartners, dass dies wohl für die letzten fünfzig bis hundert Jahre gelte, aber doch nicht für die Zeit davor, gibt „Hitler“ Gelegenheit zu ausgreifenden Beweisführungen, in denen er die Ankündigung Gottes, „die Ägypter aneinander zu hetzen“, um die Kinder Israels zu befreien, und die Ermordung von 7500 Persern, von denen das „Buch Ester“ berichtet, mit den Vorgängen während der Räterepublik in München in enge Verbindung bringt. In beiden Fällen hätten die Juden die einheimische Unterschicht gewonnen und auf deren Mitbürger gehetzt, während sie selbst im Hintergrund geblieben seien, aber den Gewinn des Gemetzels gehabt hätten. Revolution und Klassenkampf werden also als eine Erfindung der Juden hingestellt, um die Völker zum Bürgerkrieg aufzustacheln, weshalb der Bolschewismus schon ab Moses zu datieren sei. Hitler nennt das Alte Testament deshalb eine „Bibel des Hasses“. Abhilfe könne nur ein starkes Führertum schaffen, das nicht nur national, sondern auch sozial sei. Dann würden die Völker beginnen, sich gegenseitig zu achten und zu schonen. Dies könne aber nur gelingen, wenn man den „ewigen Störenfried, den Juden“, ausschlösse. Eckart führt seinen Gesprächspartner mit der Frage, ob dieser die Juden für national oder international halte, auf ein neues Thema. „Hitler“ bestreitet zunächst, dass die Juden historisch immer unterdrückt und entrechtet worden seien, vielmehr habe man sie zumeist offen aufgenommen und ihnen sogar Vorrechte verliehen, die sie aber immer zu schamloser Ausbeutung genutzt hätten. Für ihn sind im Anschluss an Arthur Schopenhauer die Juden „Grosse Meister im Lügen!“ Sie besäßen kein Nationalgefühl für das Land, in dem sie lebten, sondern blieben zuallererst Juden. Sie hätten aber in einigen Ländern, wie England, Frankreich und vor allem Amerika, bereits die Herrschaft übernommen und seien deshalb auch als Drahtzieher hinter der Entfesselung des Ersten Weltkriegs anzusehen. Auf den Zionismus angesprochen, der in Palästina einen neuen Judenstaat errichten wolle, behauptet Hitler, die Juden hätten niemals einen wirklichen Staat besessen und die neue Staatsgründung sei ein Schwindel, da die

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Juden zugleich die Staatsbürgerrechte in allen andern Ländern behalten wollten. Sie seien also im Grunde weder national noch international. Im vierten Abschnitt nimmt Hitler das Thema der angeblichen jüdischen Lügenhaftigkeit wieder auf und verfolgt es durch die Geschichte. Im Umkehrschluss, macht „Hitler“ Christus zu einem Galiläer, da dieser ja „nie anders als aufrichtig war“ und deshalb kein Jude gewesen sein konnte. Ja, die Juden hätten in Bethlehem sogar versucht, Jesus umzubringen und würden bis heute Ritualmorde an Christen begehen. Er beschuldigt die Juden zudem, Fälschungen im Neuen Testament vorgenommen zu haben, wenn sie dort als das auserwählte Volk hingestellt würden, von denen das Heil komme. Der fünfte Abschnitt behandelt wiederum im Rekurs auf berühmte Persönlichkeiten die These, dass alles Neue und Revolutionäre von den Juden ausgehe, insbesondere natürlich die „Umwälzungen von gemeiner Anlage“. Im sechsten wird die These aufgestellt, dass die Juden „unseren“ kulturellen Besitz ‚verwalteten’, sogar den christlichen. Überall in der Kirchengeschichte sei der jüdische Einfluss zu spüren, angefangen von jüdischen Päpsten bis hin zu den Rabbinern, die Luther bei seinen Übersetzungen geholfen und dabei betrogen hätten. Auch weitere Berater, wie Freimaurer und Humanisten, hätten als treibendes Element „hinter dem naiven Luther“ gestanden. Damit sei Luther zum Wegbereiter der Juden und zur „ahnungslosen Ursache des deutschen Zusammenbruchs“ geworden. Anderen religiösen Stiftern wie Zwingli oder Ignatius von Loyola sei es nicht besser ergangen, auch sie seien von Juden falsch beraten worden, und die heutigen Gelehrten setzten sich ebenfalls nicht kritisch mit dem Judentum, insbesondere mit dem Talmud auseinander. In recht groben Formulierungen lässt sich „Hitler“ dann über den Talmud aus, den er als „umfassende Ausdeutung der alttestamentarischen Judenmoral“, die das eigene Volk vergötterte, alle Nichtjuden aber „für Affen und Schweine“ erkläre, bezeichnet. Trotz dieser „abscheulichen Sittenlehre“ würden die Juden Anspruch auf die Weltherrschaft erheben. An einer Reihe von Beispielen, wie der russischen Revolution, der Räteregierung und der kommunistischen Partei in Deutschland, wird gezeigt, auf welche Weise die Juden Vorherrschaft anstrebten und dabei die jeweiligen Verbündeten, wie die Arbeiterklasse oder die Sozialdemokratie, täuschten, die die Opfer brächten, während die Juden nur die Nutznießer wären. Die Arbeiter versuchten mit Hilfe der Juden die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die aber selbst auf den „unterirdischen Einfluss der Juden“ zurückgingen. Im letzten, kurzen, dann abbrechenden Abschnitt behauptet „Hitler“, gestützt auf frühere Ausführungen Eckarts, dass man die Juden nur von ihrem Ziel her verstehen könne, das über die Weltherrschaft hinaus letzten Endes in der „Vernichtung der Welt“ bestünde. Die Juden glaubten, das Paradies auf Erden nur durch die Unterwerfung aller anderen Völker erreichen zu können, doch trieben sie damit die Menschheit in den Untergang hinein, wenn ihnen nicht Halt geboten werde. Hitler nennt diese Verkettung des Schicksals des Opfers mit der eigenen Existenz der Juden die „Tragik Luzifers“. Damit enden die „Aufzeichnungen“ Eckarts, deren durch seinen Tod verhinderte Vollendung in einem kurzen, von seinem eigenen Verlag Hoheneichen (→ Hoheneichen-Verlag) angehängten Text auf die Ereignisse des 8./9. November 1923 (Hitler-

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Putsch) und Eckarts anschließende „Schutzhaft“ zurückgeführt wird. Die Schrift zeuge für die „christliche Einstellung der völkischen Bewegung“ und sei ein „hochbedeutsames“ Werk. Zuletzt wird die Hoffnung geäußert, dass Hitler selbst nach dem Ende des gegen ihn laufenden Hochverratsprozesses die „Vollendung dieses unmittelbar vor seinem Abschluss stehenden Werkes übernehmen wird“. Komplettiert wird der Text durch einen umfänglichen Fußnotenanhang, der durch kurze Begriffsklärungen bzw. biografische Kurzdarstellungen im Text erwähnter historischer Persönlichkeiten und durch Verweise auf Schriften Goethes, Luthers und Kants sowie auf Stellen im Alten und Neuen Testament, im Talmud und auf Schriften jüdischer Autoren wie Heinrich Graetz oder Walther Rathenau eine gewisse Seriosität verbürgen soll. Diese antisemitische Broschüre ist in ihrem Sprachstil und in der stark religiös geprägten Geisteshaltung typisch für die Schriften Eckarts. Er sah einen tiefen Gegensatz von weltverneinenden Deutschen bzw. Ariern und den weltbejahenden Juden. Eckart warf dem Judentum Diesseitsglauben und fehlenden Unsterblichkeitsglauben vor, was sich für ihn im jüdischen Materialismus und ihrer Seelenlosigkeit ausdrückte. Die Juden verkörperten ihrem „ureigenen Wesen“ nach diese Weltbejahung, die für ihn dem Prinzip des Bösen unterlag. Sein Antisemitismus war also nicht durch einen rassischen, sondern einen metaphysischen Gegensatz von Juden und Deutschen geprägt, die für ihn Dunkelheit und Licht verkörperten und miteinander notwendig im Kampf liegen mussten. Eckart griff das nach dem Ersten Weltkrieg aufkommende Stereotyp des jüdischen Bolschewismus auf, in dem sich für ihn das mit den Mitteln der Verhetzung der arbeitenden Klassen arbeitende Prinzip des weltzerstörerischen und verschwörerischen Bösen verkörperte, dessen Wirken durch die gesamte Weltgeschichte das Grundthema der Schrift bildet. Spürbar wird in dem Weltvernichtungsgedanken auch Eckarts Rezeption der → „Protokolle der Weisen von Zion“. Saul Friedländer hält das Pamphlet für eine der „extremsten Darstellungen des Juden als der Kraft des Bösen in der Geschichte“, die in der Vision der Weltvernichtung durch die Juden gipfelt, der man nur durch Gegenwehr Einhalt gebieten könne. Diese Themen und Gedanken des „Zwiegesprächs“, insbesondere die Vision des Weltendes werden in Hitlers „Mein Kampf“ wieder aufgenommen. Für Friedländer fand deshalb der „Erlösungsantisemitismus“ Eckarts und Hitlers in diesen beiden Schriften seinen endgültigen Ausdruck.

Werner Bergmann

Literatur Claus-Ekkehard Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 2002. Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Band 1: Die Jahre der Verfolgung 1933– 1939, München 1998. Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler. Der „völkische“ Publizist Dietrich Eckart, Bremen 1970.

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Bonifacius Broschüren (1870–1910)

Bonifacius Broschüren (1870–1910) Die „Bonifacius Broschüren. Populäre Erörterungen über den Katholizismus und die Einsprüche seiner Gegner“ erschienen seit 1870 in Paderborn. Hinter der Wahl des Namensgebers stand ein Programm: Der Benediktinermönch Winfried Bonifacius (oder Bonifatius, ca. 673–ca. 755) avancierte im 19. Jahrhundert von einem regionalen christlichen Tugendvorbild und nationalen Helden – Apostel der Deutschen – zu einer konfessionalisierten Symbolgestalt für den ultramontanen Katholizismus gegen Martin Luther und die Moderne. Wichtige Stationen der Bonifatiusrenaissance waren 1842 das Bonifaciusdenkmal in Fulda und die Schriftenreihe „Bonifatius-Denkmal“ zur Glaubensverteidigung, die wuchtigen Bonifatiusfeiern in Mainz und Fulda 1855 zum 1100. Todestag, etliche Bonifatiuskirchen, der 1849 gegründete Bonifatiusverein mit seinem „Bonifacius Blatt“, schließlich 1869 die Bonifacius-Druckerei und der „Bonifacius Buchverlag“ in Paderborn. Die in 41 Jahrgängen bis 1910 erschienenen „Bonifacius Broschüren“ dienten der apologetisch-polemischen Auseinandersetzung mit den Gegnern des Katholizismus. Jedes Heft widmete sich einem speziellen „Gegner“ bzw. Problem: den “Segnungen der ‚Reformation‘“ (in distanzierenden Anführungsstrichen), der Freimaurerei, dem Sozialismus, Liberalismus, dem Unglauben, der Presse und dem Kulturkampf – aber auch den Juden. Die Monatshefte mit 10.000 Abonnenten kosteten wenige Groschen (Jahrespreis 1879: 1,20 Mark). Sechs Hefte stechen als besonders antisemitisch heraus: Hermann von Berge, „Der Kulturkampf, seine Leistungen und seine Ansichten dem christlichen deutschen Volke naturgetreu gezeichnet“: In dieser Kulturkampfnovelle entwarf der katholische Schriftsteller 1877 „die altkatholische und israelitische Geschäftswelt“ zusammen mit Kapitalisten, gottlosen Journalisten, diversen Spekulanten, Fabrikanten, Sozialdemokraten und dem geschäftstüchtigen Juden Aaron Itzig als typisches Panorama der Gegner der katholischen Kirche. Itzig und andere „Semiten“ repräsentieren für ihn die zum Kulturkampf aufwiegelnden Juden. Der Antisemitismus war tief in die Erzählung eingelassen, die jedoch nicht den Kampf gegen die Juden forderte, sondern die Rückbesinnung auf katholische Werte und die Rekatholisierung der Gesellschaft. „Der Mauscheljude“ konzentrierte sich 1880 keineswegs nur darauf, „in welch himmelschreiender Weise und mit welch haarsträubender Unverschämtheit der Mauschel-Semit Christenleute jeglichen Standes und Geschlechtes in Hunderttausenden von Fällen auswuchert und ausmauschelt“. Vielmehr entwarf das Heft ein Schreckenszenario jüdischer Weltherrschaft: Wie die „Klein-Mauschel“ würden die „GroßMauschel“ durch Banken und Börse über Krieg und Frieden entscheiden, über Eisenbahnlinien, Parlamente und Gesetze. Von diesen hohen Regionen werde „der großen und kleinen Mauschelei ganz besonders wirksamer Vorschub geleistet, für die ersehnte Weltherrschaft Wege gebahnt [...] und dem Goji das Leben sauer und bitter gemacht“. Ursache der Misere sei aber das in sich zerstrittene Christentum. Folglich war die Konsequenz: „Wählet keinen Mauschel!“ „Mauschel muß geduckt werden. Sie bilden eine eigene ‚Art‘, sind ‚Fremdlinge’, keine Deutsche“. Der „Mauschel-Race“ dürfe kein Zutritt zu Vereinen gewährt werden. Die Germanen müssten sich auf ihr Christentum besinnen.

Botschaft Gottes (1940)

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Unter dem Pseudonym Dr. Justus publizierte Aron Briman 1883 den „Judenspiegel, oder 100 neuenthüllte, heutzutage noch geltende, den Verkehr der Juden mit den Christen betreffende Gesetze der Juden ... “, als Heft 3, 4 und 5 der „Bonifacius Broschüren“. Diese antitalmudistische Schrift war nach drei Auflagen und Sonderdrucken in 13.000 Exemplaren schon 1883 vergriffen und wurde in vierter Auflage sofort erneuert. Nach dem Ersten Weltkrieg beabsichtigte die Bonifacius Druckerei, die antisemitische Welle durch einen eigenen Beitrag weiter anzufachen, indem sie den „Judenspiegel“ in siebter Auflage erneuerte, entschied sich aber nach Felix Langers Protestschrift 1921 und bischöflicher Intervention dagegen. „Was Ungläubigen nützen, Gläubigen nicht schaden kann“, 1887, belegt rassistische Topoi im Katholizismus. Die Broschüre zielte aber eigentlich darauf, die Gottheit Jesu zu beweisen, die durch die Juden damals wie heute bekundet würde. Den Neuheiden sei dieses Volk unbequem, manche wollten es „ausrotten“. Doch trotz aller Feindschaft und Emanzipation, allen Reformjudentums und aller „Mischehen“ existiert die jüdische Race in der ganzen Welt heute noch eben so rein und waschecht, wie vor zweitausend Jahren, und durchweg hält die Judenschaft auch heute noch fest an ihrem Principe, [...] unter allen Nationen jüdisch zu bleiben“. Selbst die Reformjuden bauten noch Synagogen und hielten sich für auserwählt. „Wir können ganz unbesorgt sein: das Judenvolk mit seinen hl. Urkunden wird als Zeuge für Christus [...] nicht [...] abdanken.“ Christus und seine Kirche seien Gottes Werk. Diese Variante des Rassismus diente nicht biologischen Hierarchisierungen, sondern wurde für Frömmigkeitszwecke instrumentalisiert. Das Genre militant apologetischer Broschürenserien erblühte im Kaiserreich. Vergleichbare Serien waren der „Soester Broschürencyklus“ (grüne Hefte), der „Broschüren-Cyklus für das katholische Deutschland“, die „Katholischen Flugschriften zur Lehr und Wehr“ sowie die akademischer aufgemachten „Frankfurter zeitgemäßen Broschüren“, unter denen sich ebenfalls judenfeindliche Ausgaben befanden.

Olaf Blaschke

Literatur Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999². Felix Langer, Der Judenspiegel des Dr. Justus, kritisch beleuchtet, Leipzig 1921.

Bonifaciusverlag → Bonifacius-Broschüren

Botschaft Gottes (1940) In seinem Vortrag → „Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche“ hatte der wissenschaftliche Leiter des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und Völkische Theologie in Jena, die „Schaffung einer Ausgabe der vier Evangelien, die die ältesten Traditionen ablöst von ihren Umformungen und Zusätzen von zweiter Hand“ bereits angekündigt. Am 19. Februar 1940 erschien als Teilausgabe zunächst eine aus den synoptischen Evangelien zusammengefasste, 110 Seiten starke Evangelienharmonie unter dem Titel „Jesus der

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Botschaft Gottes (1940)

Heiland“. Eine Gesamtausgabe des „entjudeten“ Neuen Testaments unter dem Titel „Die Botschaft Gottes“ erschien ebenfalls bereits im Jahre 1940 im Leipziger Verlag Georg Wigand. Die „Botschaft Gottes“ besteht aus vier Hauptteilen: Die ersten beide Teile umfassen die Evangelienharmonie aus den synoptischen Evangelien und das umgearbeitete Johannes-Evangelium unter der Überschrift „Jesus der Gottessohn“. Der dritte Teil, „Jesus der Herr“, wurde aus unterschiedlichen neutestamentlichen Briefen kompiliert, und der letzte Teil, der hauptsächlich aus der Apostelgeschichte und aus Paulusbriefen zusammengefügt worden ist, aber auch Textstellen aus Markus und Lukas enthält, trägt den Titel „Das Werden der Christusgemeinde“. Die Offenbarung des Johannes wurde wie die übrigen Briefe im dritten Abschnitt, wenn auch zum Teil stark verkürzt, berücksichtigt. Im Vorwort zur „Botschaft Gottes“ betonen die Verfasser, dass zwar die Übersetzung des Neuen Testaments von Martin Luther „unantastbar“ bleibe, aber dennoch viele deutsche Menschen die „Sprache und Gestalt“ der lutherischen Fassung nicht mehr verstehen könnten. Deshalb sei es notwendig, ein neues Volkstestament zu schaffen, das „die Gotteswahrheit des Neuen Testaments, die ‚Botschaft Gottes‘, in einer neuen Sprache und in einer neuen Gestalt dem fragenden deutschen Menschen darbieten“ könne. Zu diesem Zweck hätten die Verfasser die biblischen Stellen so „ausgewählt und übersetzt“, dass die „Gotteswahrheit“ aus einer „Weltanschauung“ und aus einem „Lebensgefühl“, „die nicht mehr die unsrigen sind“, herausgelöst worden sei. Über die Kriterien der Auswahl und der Übersetzung gibt das Vorwort keine Auskunft. Betont wird dafür, dass sich die „Auswahl und Gestaltung“ auf die neueste „religionswissenschaftliche Forschung“, die ihrerseits nicht näher spezifiziert wird, stützen könne. In einer Begleitschrift „Das Volkstestament der Deutschen“ stellt der thüringische Pfarrer Erich Fromm, der in dem Institutsarbeitskreis führend an der Erstellung der „Botschaft Gottes“ beteiligt gewesen war, das bestimmende Kriterium für die Auswahl und Veränderung der Texte heraus: „Jesu Wirken vollzieht sich im Rahmen jüdischen Volkstums und innerhalb der jüdischen Religionsgemeinschaft. […] Das Problem ist also dies: Bedingt dieser geschichtliche Zusammenhang auch einen Wesenszusammenhang zwischen Christentum und Judentum, zwischen Jesus und der jüdischen Art? [...] Diese Frage muß aber verneint werden. Denn es besteht ein solcher Wesenszusammenhang zwischen der Botschaft Jesu und jüdischer Art und Frömmigkeit nicht. Im Gegenteil, es ist ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Verkündigung Jesu und der ersten Christenheit einerseits und jüdischer Gottesanschauung und Frömmigkeit anderseits als von vorneherein wesensmäßig gegeben festzustellen.“ Wie bei den Änderungen vonseiten der Verfasser vorgegangen wurde, lässt sich am Beispiel der Weihnachtsgeschichte in der „Botschaft Gottes“ verdeutlichen, jedoch erschließen sich die Veränderungen erst durch genaueres Hinsehen. Luther übersetzt in Vers drei: „Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.“ Diese Aussage beinhaltet, dass Josef in seine Herkunftsstadt, das jüdische Bethlehem, zurückgeht, um sich zählen zu lassen. In der Darstellung des „Volkstestaments“ wird die Herkunftsfrage offen gelassen, indem nur von der Stadt geredet wird, in der gezählt werden sollte. Weiter heißt es, dass Josef von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem gegangen sei. Die lukanische Angabe, dass es sich bei diesem Bethlehem um die

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im jüdischen Land gelegene Stadt Davids handelte, wird in der „Botschaft Gottes“ ebenso weggelassen wie die Angabe, dass Josef aus dem Haus und dem Geschlecht David stamme (Vers vier). So bleibt offen, ob nicht auch eine in Galiläa gelegene Stadt namens Bethlehem (Jos. 19, 15) gemeint sein könnte. Somit läge Jesu Geburtsort in Galiläa (→ Jesus der Galiläer und das Judentum). Der Zusatz „in der Stadt Davids“ in der Rede der Engel zu den Hirten (Vers elf) musste deshalb auch entfernt werden. Eine weitere schwerwiegende Änderung befindet sich im abschließenden Satz der Weihnachtsgeschichte. Dort heißt es nur: „Das Kind bekam den Namen Jesus.“ In der lukanischen Version steht nach Luthers Übersetzung in Vers 21 aber: „Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er in dem Mutterleib empfangen war.“ Die Arbeit zur Erstellung eines „entjudeten“ Neuen Testaments, die von den einzelnen Gründerlandeskirchen des Instituts unterschiedlich finanziell und ideell unterstützt wurde, nahm in der Arbeit des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ neben der Schaffung eines „entjudeten“ Gesangbuchs → „Großer Gott wir loben dich“ (1941) und eines „entjudeten“ Katechismus → „Deutsche mit Gott“ (1941) einen wichtigen Platz ein. Die Bemühungen, die „Botschaft Gottes“ trotz der kriegsbedingten Papierknappheit zu drucken und die große Nachfrage zu befriedigen, waren enorm. Das „entjudete“ Neue Testament wurde nicht nur über den Verlag und die Buchhandlungen vertrieben, sondern auch durch die Institutsmitarbeiter im Anschluss an Tagungen verkauft. Darüber hinaus kam die „Botschaft Gottes“ in den Schriftlesungen deutschchristlicher Gottesdienste und im Konfirmanden- und Religionsunterricht zum Einsatz. Die Durcharbeitung wurde als „vordringlichste Aufgabe“ eines jeden Kameraden der Deutschen Pfarrergemeinde bezeichnet, um vor allem die Jugend für das neue deutsche „Volkstestament“ zu gewinnen.

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008. Birgit Jerke, Wie wurde das Neue Testament „entjudet“? Aus der Arbeit des Eisenacher „Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, in: Leonore Siegele Wenschkewitz (Hrsg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus, Frankfurt am Main 1994, S. 201–234.

Die Bremse (1872–1878) Die von dem Journalisten Johann Baptist Sigl (1839–1902), Parteigründer der Katholischen Volkspartei, einer nur drei Jahre bestehenden Abspaltung der Patriotenpartei, und Herausgeber der antipreußisch ausgerichteten Tageszeitung „Das Bayerische Vaterland“ (ab den 1890er Jahren offizielles Organ des Bauernbunds) gegründete Münchner satirische Wochenzeitschrift „Die Bremse“ erschien in den Jahren 1872 bis 1878. Sigl geriet mehrfach in Konflikt mit der Staatsgewalt, so wurde er im Jahr 1875 wegen Beleidigung Bismarcks zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt. Die von

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ihm herausgegebene Tageszeitung „Das Bayerische Vaterland“ wurde häufig konfisziert. Mit der „Bremse“ sollte mit verschiedenen anderen Münchner Presseerzeugnissen ein weiteres Organ geschaffen werden, das im Kulturkampf die Seite des katholischen und ultramontanen Lagers vertrat und sich auf diese Weise um Opposition zur liberalen satirischen Presse in Berlin bemühte. Die Zeitschrift erreichte eine Auflage von bis zu 6.000 Exemplaren; sie enthielt neben den nur gelegentlich publizierten Karikaturen Verse und Prosatexte, die teilweise dialektal gefärbt waren. Mit dem kleinformatigen Satireblatt bemühte sich Sigl um die Verbreitung seiner politischen Ziele eines bayerischen Patriotismus, eines vehementen Antisozialismus und Katholizismus. Er polemisierte gegen Altkatholiken, Freimaurer und gegen Juden. Antisemitische Beiträge erschienen in hoher Frequenz. Auf der Titelseite des Satireblatts wurde mehrfach eine Karikatur reproduziert, die den Finanzberater Bismarcks, Gerson Bleichröder, als Repräsentanten „jüdischer Geldmacht“ zeigt. Er ist als antisemitisch stereotypisierte Herrscherfigur gezeichnet, die inmitten von Geldsäcken thront und eine Geißel hochhält. Mit dieser Darstellung wird eine Bildtradition aufgenommen, die auf Rothschild-Darstellungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeht und Darstellungen des „jüdischen Wucherers“ in antijudaistischen Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zitiert. Der Begleittext zur Karikatur verweist in Versform auf den aktuellen politischen Kontext, greift beispielsweise mit „Neue Aera“ Schlagworte aus der zeitgenössischen Presse auf, u. a. aus der protestantisch-konservativen „Neuen Preußischen Zeitung“ (→ Kreuzzeitung), in der ab Juni 1875 eine antisemitische Artikelserie erschienen war, die Bleichröder für die Börsenkrise von 1873 verantwortlich machte und sich gegen den Nationalliberalismus stellte. Die christlich-religiös motivierte Ablehnung gesellschaftlicher Modernisierung suchte sich in der „Bremse“ Krisenphänomene wie die Folgen des sogenannten Gründerkrachs und lud auf diese Weise den Protest in einem sich auf die Mystifizierung und anschließende Verdammung des Geldes reduzierenden Antiliberalismus antisemitisch auf.

Regina Schleicher

Literatur Olaf Blaschke, Antikapitalismus und Antisemitismus. Die Wirtschaftsmentalität der Katholiken im Wilhelminischen Deutschland, in: Johannes Heil, Bernd Wacker (Hrsg.), Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition, München 1997, S. 113–146. Winfried Frey, „Die Juden kennen kein Mitleid. Sie streben nur nach einem, nach Geld“. Mittelalterliche Stereotype des Wucherjuden in deutschen Texten von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, in: Aschkenas 20 (2010), S. 505–520. Ludwig Hollweck, Karikaturen. Von den Fliegenden Blättern bis zum Simplicissimus 1844– 1914, München o. J. Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im Deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main u. a. 2009.

Die Brennessel (1931–1938)

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Die Brennessel (1931–1938) Die Satire-Zeitschrift „Die Brennessel“ erschien in einer Werbe-Startauflage von 80.000 Exemplaren am 1. Januar 1931 in dem von Max Amann geleiteten Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. in München (→ Eher-Verlag). Als „politisch-satirische Kampfschrift“ sollte sie in einer Epoche, in der illustrierte Satire-Journale unterschiedlicher Tendenz Hochkonjunktur hatten, das publizistische Angebot des EherVerlags (u. a. Hitlers → „Mein Kampf“) erweitern und auch ein Publikum jenseits der NSDAP erreichen. Noch im Jahr ihrer Gründung ging die rein äußerlich (Folio-Format, Layout) dem → „Simplicissimus“ gleichende, im Tiefdruckverfahren hergestellte „Brennessel“ – bei gleichzeitiger Preissenkung von ursprünglich 50 auf 30 Pfennige – von der monatlichen zur halbmonatlichen (April) und schließlich wöchentlichen (Oktober) Erscheinungsweise über. Dem ersten verantwortlichen Schriftleiter Karl Prühhäußer (zugleich Karikaturist: K. P.) folgte im Januar 1933 mit Wilhelm Weiß ein Nationalsozialist der ersten Stunde. Allerdings diente der spätere Hauptschriftleiter des → „Völkischen Beobachters“ lediglich als Aushängeschild. Tatsächlicher Chefredakteur in München war der Hauptschriftleiter des „Illustrierten Beobachters“, Dietrich C[K]. Loder (Pseudonym „Jaromir“), während Carl Martin Köhn (Pseudonym „Lanzelot“) ab 1934 für die Berliner Filiale zuständig war. Beide, Mitglieder der NSDAP und der SA, hatten ihre ersten journalistischen Arbeiten vor 1933 in bürgerlichen Satire-Zeitschriften oder Tageszeitungen veröffentlicht, bevor sie im NS-Medienbereich Karriere machten. Nach der im Juli 1937 erfolgten Übersiedlung des Blattes in die Reichshauptstadt lag die Schriftleitung (in Vertretung von Weiß) in den Händen von Köhn, Hans Reimann (Oktober bis Sommer 1938) und schließlich Walter Foitzick. Von den noch heute bekannten Verfassern satirischer oder pathetischer Prosa und Poesie seien drei genannt: Goetz Otto Stoffregen („Orpheus der Zwote“), Josef Eberle („Peter Squenz“), der spätere Herausgeber der „Stuttgarter Zeitung“ (1946 bis 1971), und der Münchner Komiker Karl Valentin. Ein Großteil der rund 60 künstlerischen Mitarbeiter der „Brennessel“ hatte vor 1933 für bekannte Berliner oder Münchner Satire-Journale gearbeitet, ferner für Magazine, Illustrierte oder einzelne Tageszeitungen. Manche, wie der „Kladderadatsch“Stammzeichner Werner Hahmann, versteckten sich daher hinter einem Decknamen („Mooritz“). Hinter dem Pseudonym „Erik“ verbarg sich in der NS-Zeit der Karikaturist und Grafiker Hanns Erich Köhler, dem in der frühen Bundesrepublik Deutschland (u. a. als H.E. Köhler) ein beachtenswertes Comeback gelang. Zu den Karikaturisten der „Brennessel“, die die NS-Ideologie ohne Wenn und Aber umsetzten, gehörten Sepp Plank („Seppla“), einer der Hauptmitarbeiter, und der 1936 zum „Präsidialrat der Reichskammer der Bildenden Künste“ aufgestiegene Hans Schweitzer (Mjölnir). In Goebbels’ Berliner Sprachrohr → „Der Angriff“ sowie in Buchform hatte „Mjölnir“, dessen Pseudonym eine Anlehnung an den Hammer des Gottes Thor in der nordischen Mythologie darstellte, entscheidend zur „Zerschmetterung“ des als „Isidor“ verspotteten jüdischen Polizeipräsidenten Bernhard Weiß beigetragen. Nach Kriegsende als „Goebbels’ Zeichner“ boykottiert, war er noch mehrere Jahre als Werbegrafiker tätig.

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In der sogenannten Kampfzeit thematisierten die Bild- und Textsatiren der „Brennnessel“ als äußere Feinde die Siegermächte des Ersten Weltkrieges und als innere die sozialdemokratischen bzw. kommunistischen „Novemberverbrecher“. In „Zeitbildern voll Lachen und Hass“ suchte das Blatt darüber hinaus seine „Urfeinde“, die „Juden und Judengenossen“, als Vertreter des „Systems“, vom Schreibtisch aus zu vernichten. Bevorzugte Zielscheiben des Spottes waren prominente Vertreter der Berliner liberalen Presse und der sogenannten Asphaltkultur. So wurden etwa Heinrich Mann, verfremdet als „fesche Lola“ („Der blaue Engel“), am 4. Januar 1933 auf einer Titelkarikatur Sepplas folgende Worte in den Mund gelegt: „Ich bin von Kopf bis Fuss auf JUDA EIN-GE-STELLT.“ Nach der „Machtergreifung“ galt die „Brennessel“, die auch im deutschsprachigen Ausland vertrieben wurde, für kurze Zeit als „Leitorgan“ der multimedialen NS-Komik (Theater, Hörspiel, Satiren in Buchform). Ihr Antisemitismus, inzwischen gesellschaftsfähig geworden, äußerte sich sowohl in der Form populärer „stehender Figuren“ (als Beispiel diene der jüdische Bohemien Brendiner) als auch in Texten und Karikaturen. Ein Spott- und Hassobjekt zugleich war der an seiner extremen Typisierung sofort erkennbare jüdische Emigrant. Teils schmückte er – neben anderen „unliebsamen Zeitgenossen“ – auf einem Titelbild „Brennessels Weihnachtsbaum“ (Nr. 52/ 1934), teils trat er als Vertreter einer Personen- oder Tiergruppe (z. B. Wanzen; Nr. 3/ 1937) auf, teils, wie der durch seine Flucht einer Verhaftung entgangene „Simplicissimus“-Zeichner Thomas Theodor Heine, in Persona. Ab Mitte der 1930er Jahre wurden ausländische Nationen-, d. h. Freund- und Feindbilder in der „Brennessel“ zum beherrschenden Thema. Unter den antisemitischen Bildsatiren stechen Amerikas „neue“ Freiheitsstatue als „Moses“ und Winston Churchill als Krake mit Davidstern hervor. Die meisten Angriffe galten freilich dem „jüdisch-bolschewistischen“, unterschiedliche Staatsfunktionen bekleidenden „Kommissar“, d. h. einer Variante des bolschewistischen „Barbaren“. Trotz intensiver Werbung in den anderen Produkten des Eher Verlags und des vermehrten Einsatzes von Erotik sank die Auflage der „Brennessel“ (12–16 Seiten) von etwa 30.000 (1933) auf 23.000 (1938) Exemplare. Einer der Gründe dürfte in einem „kollektiven Beleidigtsein“ mancher Leser zu finden sein, die sich als Gruppe der Lächerlichkeit preisgegeben und somit aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen fühlten. Ende 1938 wurde die „Brennessel“, bei gleichzeitiger Überschreibung der Abonnements, in den „Simplicissimus“ eingegliedert. Nach 395 Folgen stellte sie am 27. Dezember 1938 ihr Erscheinen ein.

Ursula E. Koch

Literatur Patrick Merziger, Nationalsozialistische Satire und „Deutscher Humor“. Politische Bedeutung und Öffentlichkeit populärer Unterhaltung 1931–1945, Stuttgart 2010. Jürgen R. Sobiella, Das Bild vom Ausland in der nationalsozialistischen Presse unter besonderer Berücksichtigung der Sowjetunion. Dargestellt am Beispiel der politischen Karikaturen in der politisch-satirischen Zeitschrift „Die Brennessel“ 1931–1938, 2 Bände, unveröffentlichte Magisterarbeit, LMU, München 1998.

Briefe bei Gelegenheit (Friedrich Schleiermacher, 1799)

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Briefe bei Gelegenheit (Friedrich Schleiermacher, 1799) Die Flugschrift „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin“ wurde 1799 von Friedrich Schleiermacher (1768–1834), dem wirkmächtigsten evangelischen Theologen des 19. Jahrhunderts und Klassiker der Pädagogik, während seiner Zeit als Prediger in Vertretung am Hof in Potsdam verfasst. Die Schrift wurde im Juli desselben Jahres anonym bei dem Berliner Verleger Friedrich Franke veröffentlicht und bietet in sechs Briefen eine Auseinandersetzung mit der Emanzipationsfrage der Juden. Schleiermacher nahm bereits im Titel seiner Flugschrift explizit Bezug auf zwei Publikationen, die auf jüdischer Seite vor dem Hintergrund der Stagnation des Reformprozesses der Judenemanzipation in Preußen im ausgehenden 18. Jahrhundert, die durch eine unbefriedigende, mit einer demütigenden Gesetzgebung einhergehende Rechtslage der Juden gekennzeichnet war, verfasst wurden. Im März 1799 war der im „Berlinischen Archiv der Zeit und ihres Geschmacks“ anonym verfasste Aufsatz „Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge“ erschienen, der sich in einem stark ironisierenden Ton gegen die vorherrschende Praxis in Preußen richtete, den Übertritt der Juden zum Christentum zur Bedingung für die Gewährung der Bürgerrechte zu machen. David Friedländer (1750–1834), Schüler Moses Mendelssohns und „Generaldeputierter“ der jüdischen Gemeinden Preußens, verfasste im April 1799 ein anonymes „Sendschreiben an seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath und Probst Teller zu Berlin von einigen Hausvätern jüdischer Religion“, um darin das Modell einer aufgeklärten Religion vor dem Hintergrund der christlich dominierten Gesellschaft für die Gewährung der Bürgerrechte vorzuschlagen. Das Sendschreiben, das auch Ausdruck der Resignation Friedländers angesichts der offensichtlich unverzichtbaren Vorbedingungen für die bürgerliche Gleichstellung ist, hat zwar in jüdischen wie christlichen Kreisen großes Aufsehen hervorgerufen, ist aber letztendlich auf beiden Seiten bei nahezu allen Rezipienten auf Ablehnung gestoßen. Der an der Emanzipationsfrage interessierten Flugschrift Schleiermachers ging – ebenfalls im Jahr 1799 – seine weitaus bekanntere und zudem berühmteste Schrift → „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ voraus, in der dieser vor dem Hintergrund eines neuen Religionsverständnisses auch eine von antijüdischen Stereotypen bestimmte Darstellung des Judentums und der jüdischen Religion bot, wobei seine Charakterisierung des nachbiblischen Judentums als eine „todte Religion“ und „unverwesliche Mumie“ repräsentativ für sein Verhältnis zum Judentum ist. Schleiermacher legte seiner Ausführung ein antagonistisches und darin ahistorisches Religionsmodell zugrunde, das in einer absoluten Gegenüberstellung der beiden Religionen das Judentum ab- und gleichzeitig das Christentum aufwertet und darin ebenfalls seine Überlegungen zur Judenemanzipation bestimmt. Denn diesem Modell zufolge kann das antagonistische Verhältnis zwischen der jüdischen und christlichen Religion auch nicht durch die Konversion überwunden werden, wie Schleiermacher bereits in seinen „Vermischte[n] Gedanken und Einfälle[n]“, die in seinem ersten Gedanken-Heft (September 1796–Mai 1799) überliefert sind, herausstellte. Das Thema der Judenemanzipation hatte Schleiermacher also schon während der Abfassung der Reden „Über die Religion“ beschäftigt. In den entsprechenden

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Aphorismen wird offensichtlich, dass seine ablehnende Haltung gegenüber der Judenemanzipation auch von antijüdischen Stereotypen bestimmt war, da für ihn „jüdisch“ und „betrüglich“ in Hinblick auf die Reformbestrebungen der aufgeklärten Juden synonym zu verstehen sind (Nr. 206). Im Gegensatz zu den bekannten Reden „Über die Religion“ ist über die Entstehungs- und direkte Wirkungsgeschichte der Flugschrift „Briefe bei Gelegenheit […]“ wenig bekannt. Schleiermacher wählte für diese Flugschrift nicht nur wie die Referenzschriften aus jüdischer Hand die anonyme Verfasserschaft, sondern darüber hinaus mittels der Präsentation in sechs „Briefen“ die Möglichkeit, mit einem fiktiven Herausgeber zu korrespondieren. Dieses Vorgehen gestattete ihm, sowohl das Thema der Judenemanzipation stärker zu profilieren, als auch in dem vermeintlich geführten Briefdiskurs die Reformbemühungen ironisierend und polemisierend eingehender zu hinterfragen. Das Ansinnen des bereits im Titel der Flugschrift als Referenzschrift ausgewiesenen „Sendschreibens“ mündet nach Schleiermacher in eine „Quasi-Bekehrung“, die er karikierend zurückweist, während Friedländer als eigentlicher Verfasser des anonymen „Sendschreibens“ der Lächerlichkeit preisgegeben wird, indem er dessen Vortrefflichkeit für unvereinbar mit dem Inhalt des Schreibens erklärt. Schleiermacher verhandelte die Emanzipationsfrage in den „Briefen“ nur vordergründig als eine politische Frage, wenn er sich für eine Entkoppelung von Taufe und Erwerbung der Bürgerrechte ausspricht, tatsächlich sind seine Ausführungen jedoch insgesamt von einer theologischen Argumentation dominiert, die wiederum in wesentlichen Teilen von einem theologischen und sozialen Antisemitismus bestimmt ist und zunächst auf die unbedingte Konversionsvermeidung der Juden, sodann auf eine in wesentlichen Bereichen ihres Glaubens eingeschränkte jüdische Reformsekte zielt. Dabei hob Schleiermacher mit seinem Konversionsvorbehalt nicht auf den Übertritt einiger weniger gebildeten Juden zum Christentum ab, sondern auf das Gros der jüdischen Mitbürger. Schleiermacher dramatisierte bewusst die historische Entwicklung und erkannte in dem potenziellen Übertritt der Juden zum Christentum als Mittel der bürgerlichen Gleichstellung in der christlichen Gesellschaft in erster Linie nur eine bedrohliche Überfremdung des Christentums und warnte deshalb ausdrücklich vor einem durch Konversionen entstehenden „judaisirenden Christenthum“ als „rechter Krankheit“, die nur Unheil verursachen werde. Dass die Frage einer gelingenden Konversion nicht ernsthaft verhandelt werden kann, machte Schleiermacher mehr als deutlich, wenn er die Konvertiten mit Amphibien verglich, deren Natur ebenso schwer zu bestimmen sei wie die Religion der Konvertiten. Dabei entsprach es seinem antagonistischen Religionsverständnis, dass er zum Christentum übergetretene Juden als „antichristlich“ bezeichnete. Schleiermacher sprach sich jedoch nicht nur dezidiert gegen die Konversion von Juden aus, sondern optierte alternativ für eine in ihren wesentlichen Glaubensüberzeugungen und –praxen stark eingeschränkte jüdische „Reformsekte“ (Aufgabe der Messiashoffnung, Einschränkung des sogenannten Zeremonialgesetzes). In seiner Argumentation griff Schleiermacher sowohl auf die christlichen als auch auf die klassischen antijüdischen Stereotype zurück, indem er von den „politischen Gebrechen der Juden“ schrieb und ausführlich auf die ihrer bürgerlichen Gleichstellung

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entgegenstehende, vermeintliche Absonderung verwies und darin ein seit Tacitus geläufiges Vorurteil wiederbelebte. Dass ihm zudem ein sozialer Antisemitismus nicht fremd war, wird offensichtlich, wenn er in der Akkulturation der reichen und gebildeten Juden eine besondere Gefahr erblickte. Das in der evangelischen Theologie und Schleiermacherforschung gemeinhin konstatierte Plädoyer Schleiermachers für die bürgerliche Gleichstellung der Juden und damit für die Ausdifferenzierung von Religion und Recht als Ausdruck der mittelbaren Wirkungsgeschichte der „Briefe bei Gelegenheit […]“ verkennt somit jedoch nicht nur den rein rhetorischen Charakter dieser vermeintlichen Parteinahme, sondern nivelliert darin ebenfalls den theologischen und sozialen Antisemitismus Schleiermachers, der eine vorbehaltlose bürgerliche Gleichstellung der Juden weder zulassen konnte noch wollte und in seiner auf gravierende Einschränkungen hinauslaufenden Option für eine jüdische Reformsekte letztlich das aus dem Judentum und der jüdischen Religion machen wollte, was er bereits in den Reden „Über die Religion“ als ihre genuinen Charakteristika herausgestellt hatte: eine tote Religion und Mumie. Wie andere evangelische Theologen auch konnte Schleiermacher zudem ein gutes, respektive geselliges Verhältnis zu Juden pflegen, ohne deshalb die judenfeindlichen Einlassungen in seinen Schriften zu hinterfragen, geschweige denn zu dispensieren.

Matthias Blum

Literatur Anonym, Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der jüdischen Täuflinge (Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmacks 5, Teilband 1, Berlin 1799), in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin 1984, S. 373–380. Matthias Blum, „Ich wäre ein Judenfeind?“ Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik, Köln, Weimar, Wien 2010. David Friedländer [anonym], Sendschreiben an Seine Hochwürden, Herrn Oberkonsistorialrath und Propst Teller zu Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion (Berlin, bei August Mylius 1799), in: Friedrich Schleiermacher, Schriften aus der Berliner Zeit 1796– 1799, hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin 1984, S. 381–413. Hans-Martin Kirn, Friedrich Schleiermachers Stellungnahme zur Judenemanzipation im „Sendschreiben“ David Friedländers. Die „Briefe bei Gelegenheit […]“ von 1799, in: Roderich Barth, Ulrich Barth, Claus-Dieter Osthövener (Hrsg.), Christentum und Judentum. Akten des Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, März 2009 , Berlin 2012, S. 193–212.

Das Buch Isidor → „Isidor“-Bücher Das Buch vom Kahal → Kniga kagala Buchkameradschaft Scharnhorst → Druffel Verlag Bühne und Welt → Deutsches Volkstum

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C.V.-Zeitung (1922–1938)

C.V.-Zeitung (1922–1938) Die „C.V.-Zeitung“ war das wöchentlich erscheinende Presseorgan des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und die auflagenstärkste Zeitung des deutschen Judentums. Die „C.V.-Zeitung“ erschien erstmals am 4. Mai 1922. Sie hatte gleich zwei Vorgänger: Der direkte hieß „Im Deutschen Reich“ und war die seit 1893 erscheinende Monatsschrift des Centralvereins. Daneben ging die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ in der „C.V.-Zeitung“ auf, ein seit 1837 erscheinendes Traditionsblatt, das zweifellos die langlebigste jüdische Zeitung in Deutschland war und mit der Ausgabe vom 28. April 1922 sein Erscheinen einstellte. Ihren Titel übernahm die „C.V.-Zeitung“ in den Untertitel, der sich jedoch mehrfach änderte: Von der ersten Ausgabe an lautete er „Blätter für Deutschtum und Judentum. Organ des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Allgemeine Zeitung des Judentums“, ab dem 10. August 1933 fiel der Mittelteil weg, ab dem 4. April 1935 musste auch der Teil über das „Deutschtum“ gestrichen werden. Erster Chefredakteur der „C.V.-Zeitung“ (1922–1933) wurde der Berliner Rechtsanwalt und Syndikus des Centralvereins Ludwig Holländer (1877–1936), der bereits 1919 Mit-Gründer und Leiter des Philo-Verlags (1919–1920 unter dem Namen Verlag Gabriel Riesser) in Berlin-Kreuzberg war. Der Verlag war das Publikationsorgan des Centralvereins, die „C.V.-Zeitung“ wurde hingegen im Verlag Rudolf Mosse publiziert. Die „C.V.-Zeitung“ erreichte in den 1920er und frühen 1930er Jahren Auflagen von 60.000–80.000 Exemplaren pro Ausgabe und lag damit weit vor allen anderen jüdischen Zeitungen Deutschlands. Ihr journalistisches Profil war stark von der Ausrichtung des Centralvereins geprägt: bürgerlich-liberal, auf die Wahrung der Errungenschaften der Judenemanzipation bedacht und unerschütterlich in dem Glauben, den Antisemitismus durch Aufklärung der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft überwinden zu können. Hierzu zählte auch die Monatsausgabe der „C.V.-Zeitung“, in der von Juli 1925 bis zur Einstellung im Herbst 1932 jeweils vier reguläre Ausgaben zusammengefasst und kostenlos an nicht-jüdische Honoratioren wie Stadträte, Geistliche, Schriftsteller, Journalisten, Gewerkschafter usw. verschickt wurden. Gleichwohl betonte die Zeitung mehrfach, „die ‚C.V.-Zeitung’ ist nicht der Centralverein“ (5. Januar 1933). Die Zeitung war ein durchaus leistungsfähiger Seismograph für antisemitische Tendenzen in der Weimarer Republik und verstand es, sich zunehmend auch an die eigene Anhängerschaft zu wenden, um dieser „Mehr Selbstbewusstsein“ (Leitartikel des Berliner Vize-Polizeipräsidenten Bernhard Weiß, 3. Juni 1932) zu geben. „Deutschtum“ und „Judentum“ begriff die „C.V.-Zeitung“ als Ganzheit, von der deutschen Mehrheitsgesellschaft unterscheide man sich bloß religiös. Zionistische Auffassungen von einem „jüdischen Volk“ kamen daher nicht in Betracht. Bemerkenswert war allerdings die Schärfe, mit der die Zeitung den Zionismus ablehnte und ihn als Gefahr sah: „Die von den Zionisten [...] betriebene Propaganda hat es dahin gebracht, daß die früher nur von den Judengegnern betonte Trennung von ‚Deutschen’ und ‚Juden’ in der öffentlichen Meinung mehr und mehr an Boden gewinnt; immer mehr verbreitet sich die Vorstellung, als gehörten die deutschen Juden nicht zum deutschen, sondern vielmehr zu einem über die ganze Erde verstreuten, in Palästina behei-

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mateten jüdischen Volk. Dieser Zustand bringt die Errungenschaften eines mehr als hundertjährigen Emanzipationskampfes in ernste Gefahr. [...] Das von den Zionisten behauptete oder angestrebte jüdische Volk ist nicht das der auf dem C.V.-Standpunkte stehenden deutschen Juden; da diese in nationaler und kultureller Hinsicht ausschließlich dem deutschen Volke angehören.“ (17. Februar 1928) Der sich hierin ausdrückende Patriotismus, der auch nationalistische Töne anschlug, gehörte zu den Kennzeichen der „C.V.-Zeitung“. Fatal wirkte sich diese Haltung insbesondere in der NS-Zeit aus, als der seit 1933 amtierende Chefredakteur Alfred Hirschberg (1901–1971) noch Ende 1934 die Ansicht vertrat, man müsse der „deutsch-jüdischen Gegenwart“ nicht mit „kopfloser Panik“ (also Auswanderung), sondern mit Vertrauen in die Führung und die „deutsch-jüdische Zukunft“ begegnen. Neben den Zionisten war auch das Verhältnis zu den sogenannten Ost-Juden gespannt, die vielfach eben nicht deutsche Staatsbürger waren und deren kulturelle Eigenheiten auch den meist hochgradig assimilierten C.V.-Mitgliedern befremdlich erschienen: Ihre Lebensweise, ihre sozialen Probleme, ihr Verhältnis zu den deutschen Juden, geschweige denn Not und Elend in ihren ärmlichen Wohnvierteln wurden im Prinzip nicht thematisiert – und wenn, dann mit einem gewissen distanzierten Überlegenheitsgefühl. Der Mosse-Verlag druckte die Zeitung zu äußerst günstigen Konditionen – er schoss sogar noch Geld hinzu. Der Vertrag wurde auch fortgeführt, als das Verlagshaus 1934 faktisch in NS-Hand übernommen wurde, womit sich das Paradoxon ergab, dass die Nationalsozialisten eine jüdische Zeitung ko-finanzierten. In der NS-Zeit sank die Auflage der „C.V.-Zeitung“ drastisch: Betrug die (gedruckte) Auflage 1933 noch etwa 55.000 Exemplare pro Ausgabe, waren es 1935 und 1936 noch knapp über 40.000, 1938 schließlich nur noch 38.500. Dies lag auch daran, dass die Zeitung Vereinsmitgliedern bis 1934 kostenlos zugestellt wurde und bis 1. Oktober 1935 frei verkäuflich war. Beides wurde vom NS-Regime untersagt; die „C.V.-Zeitung“ war fortan nur noch als Abonnement- und Vereinsblatt erhältlich, wobei der Rezipientenkreis entsprechend den steigenden Auswanderungszahlen immer kleiner wurde. Inhaltlich stand weiterhin die Verteidigung der ständig weiter eingeschränkten Rechte der Juden auf dem Programm, während es erstaunt, wie lange und wie deutlich die „C.V.-Zeitung“ Widerspruch gegen die NS-Politik erhob. Erstmals vom 20. Juni bis 26. September 1935 verboten, war ihr die Möglichkeit genommen, unmittelbar Stellung gegen die antijüdischen Krawalle in Berlin (15.-19. Juli) und die „Nürnberger Gesetze“ zu beziehen. Allerdings änderte dies wenig an ihrer deutsch-patriotischen Haltung und ihrer scharfen Ablehnung des Zionismus – ein Kampf, der vor allem mit der zionistischen „Jüdischen Rundschau“ ausgetragen wurde. Die letzte Ausgabe der „C.V.Zeitung“ erschien am 3. November 1938 – die für den 10. November geplante Ausgabe konnte aufgrund der reichsweit tobenden Pogrome nicht mehr erscheinen. Infolge der Pogrome wurde die Zeitung schließlich verboten.

Bjoern Weigel

Literatur Reiner Bernstein, Zwischen Emanzipation und Antisemitismus. Die Publizistik der deutschen Juden am Beispiel der „C.V.-Zeitung“, Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, 1924–1933, Diss. FU Berlin 1969.

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La Calle (Bolivien, 1936–1946)

Kathrin Diehl, Die jüdische Presse im Dritten Reich. Zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung, Tübingen 1997.

La Calle (Bolivien, 1936–1946) Die Tageszeitung „La Calle“ erschien (mit Ausnahme der Zeit von Juli bis Oktober 1941 wegen Verbots) zwischen Juni 1936 und Juli 1946 in der Stadt La Paz. „La Calle“ war die wichtigste ideologische Vorläuferin der 1941 gegründeten Nationalistischen Revolutionären Bewegung (Movimiento Nacionalista Revolucionario/MNR). Ihre Initiatoren und wichtigsten Mitarbeiter zählten zugleich zur Avantgarde dieser Partei. Ab 1942 war „La Calle“ das Sprachrohr der Nationalistischen Revolutionären Bewegung. Bis Ende 1938 zeichnete sie sich im Wesentlichen durch ihre antioligarchischen, ausgeprägt nationalistischen Positionen sowie durch einen pamphlethaften Stil mit beißend-ironischen Artikeln aus. In der Folgezeit und bis zu ihrem Verbot vertrat die Zeitung entschieden Positionen zugunsten der Achsenmächte, besonders des Dritten Reiches, und veröffentlichte zugleich rabiat antisemitische Artikel. Drei wesentliche Faktoren erklären diese Neuorientierung: Die antioligarchischen, nationalistischen, antiliberalen und antidemokratischen Grundpositionen, gepaart mit einer anti-US-amerikanischen und anti-britischen Positionierung führten ihre leitenden Persönlichkeiten zu der schlichten Erkenntnis, dass die Feinde ihrer Feinde ihre Freunde seien. Als Gegner der USA und Großbritanniens könnten Deutschland und Italien nur Freunde eines nationalistischen, antiliberalen und antidemokratischen Bolivien sein. „La Calle“ erhielt eine starke Papiersubventionierung von einem der prominentesten Mitglieder der Auslandsorganisation der NSDAP in Bolivien. Das andine Land erlebte zwischen 1938 und 1940 eine massive jüdische Einwanderung, die den Antisemitismus beförderte. Der Antisemitismus zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus. Soweit er sich gegen die Immigration richtete, prangerte er im Wesentlichen die Tatsache an, dass die jüdischen Einwanderer sich nicht, wie vorgesehen, der Landwirtschaft widmeten, sondern vor allem Handel in den Städten trieben, wodurch sie der einheimischen Bevölkerung starke Konkurrenz machten (was nicht stimmte). Durch ihre massive urbane Konzentration hätten sie zugleich die Steigerung der Wohnungsmieten verursacht (was stimmte). „La Calle“ forderte unentwegt den sofortigen Stopp der jüdischen Einwanderung. Der gehässige Ton dieser Artikel wurde noch überboten, wenn die Zeitung, in Nachahmung der NSDAP-Propaganda, das „Weltjudentum“ als Beherrscher des internationalen Finanzsystems und als Kriegstreiber und Kriegsauslöser darstellte sowie sein angebliches Streben nach Weltherrschaft hervorhob. Nach dem Wiedererscheinen der Zeitung im Oktober 1941 ging sie aus Opportunitätserwägungen den USA gegenüber von ihrer Haltung und ihrer Propaganda für die Achsenmächte ab. Die bis dahin nur von der Agentur HAVAS übernommenen Nachrichten zum Weltgeschehen wurden von denen der „Associated Press“ ersetzt. Beibehalten wurden die ausgeprägt nationalistischen, antiangloamerikanischen und die antisemitischen Positionen.

Charlie Hebdo

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Als im Juli 1946 die Regierung nationalistischer Militärs, an der die Nationalistische Revolutionäre Bewegung beteiligt war, stürzte, wurde „La Calle“ verboten. Als sechs Jahre später diese Partei die Macht übernahm, beschloss sie, wiederum aus Opportunitätserwägungen, ihr einst so entscheidendes Sprachrohr für immer ad acta zu legen.

León E. Bieber

Literatur Luis Antezana Ergueta, Historia Secreta del Movimiento Nacionalista Revolucionario, Band 1, La Paz 1986, S. 57–64. Jerry W. Knudson, La Calle: un precursor de la revolución nacional boliviana, in: Historia Boliviana II (1982), 2, S. 111–119.

Le Chameau → Le Goglu

Charlie Hebdo (Frankreich, 1970-1981 und seit 1992) „Charlie Hebdo“ [Hebdo = hebdomadaire; dt.: Wochenblatt] gehört zu den bekanntesten französischen Satire-Zeitschriften und erscheint wöchentlich derzeit mit einer Auflage von 75.000 Druckexemplaren. Die Zeitschrift war zunächst im linksextremen Spektrum angesiedelt und folgt heute eher einer sozialdemokratischen Ausrichtung. Sie kann nicht pauschal mit Antisemitismus in Verbindung gebracht werden. Doch sind als „Antizionismus“ verbrämter Antisemitismus (wie z. B. bei dem bekannten Komiker Dieudonné) und Holocaustleugnung (wie z. B. bei Paul Rassinier oder dem Verlag La vielle taupe) in Frankreich auch auf der extremen Linken gängig, was für den Deutungshintergrund der Siné-Affäre (2008), der einzigen Antisemitismus-Debatte im Zusammenhang mit „Charlie Hebdo“, von Bedeutung ist. Die Anfänge von „Charlie Hebdo“ liegen im Jahr 1960, als die beiden Schriftsteller François Cavanna und Georges Bernier (alias Professeur Choron; 1929-2005) das monatlich erscheinende Satire-Blatt „Hara-Kiri“ gründeten. Dessen wöchentlich herausgegebener Nachfolger „Hara-Kiri Hebdo“ (ab Mai 1969 „L‘Hebdo Hara-Kiri“) wurde im November 1970 aufgrund einer Satire zum Tod von Charles de Gaulle verboten. Hierauf erfolgte die Umbenennung in „Charlie Hebdo“. Die Zeitschrift zeichnete sich durch scharfe Kritik an der gaullistischen Regierung aus. Schon damals konnte sie auch mit Satiren auf verschiedene Religionen punkten, die von einem atheistischen Standpunkt aus ins Visier genommen wurden. Hauptsächlich ging es gegen den Katholizismus als die in Frankreich vorherrschende Religion, doch waren auch Islam und Judentum, christliche Sekten oder die Instrumentalisierung von Religion durch rechtsextreme Gruppen Ziel des Spottes. Dieser Umgang mit Religion kennzeichnet die Zeitschrift im Wesentlichen bis heute. Am 23. Dezember 1981 wurde „Charlie Hebdo“ aufgrund stetig sinkender Leserschaft eingestellt. Im Jahr 1992 taten sich vier bekannte Persönlichkeiten zusammen, um „Charlie Hebdo“ neu aufzulegen: Philippe Val (Humorist, Journalist und Chansonnier, heute Direktor des Radioprogramms France Inter), Renaud (Renaud Séchan; einer der bekanntesten und erfolgreichsten französischen Musiker, Sänger und Songschreiber) sowie die Zeichner Gébé (Georges Blandeaux; 1929-2004) und Cabu (Jean

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Charlie Hebdo

Cabut). Im Juli 1992 erschien die erste (neue) Nummer und neben den Gründern der Zeitung kamen auch viele Mitarbeiter der 1970er Jahre wieder zusammen. Die Neuauflage der „Charlie Hebdo“ bemüht sich unverändert um eindeutige Positionierungen und klare Stellungnahmen. Im Februar 2006 veröffentlichte „Charlie Hebdo“ die Serie von Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ und ergänzte sie um eigene MuslimKarikaturen. Verschiedene muslimische Institutionen verklagten „Charlie Hebdo“, das Blatt berief sich dagegen auf seinen traditionellen Antiklerikalismus und die Meinungsfreiheit. Die Zeitschrift gewann den Prozess, ihre Verkaufszahlen waren aufgrund der Karikaturen und des Prozesses auf bis zu 400.000 Exemplare gestiegen. Im Sommer 2008 stand die Siné-Affäre im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit Frankreichs. Der 80-jährige Karikaturist und Satiriker Maurice Sinet, bekannt als Siné, war bei „Charlie Hebdo“ entlassen worden. Siné war für seine linksextreme und antizionistische Haltung bekannt, wohingegen sein Chef Philippe Val regelmäßig die neuen Formen des Antizionismus und des Antisemitismus in Frankreich anprangerte. In seiner am 11. Juni und 2. Juli 2008 im „Charlie Hebdo“ erschienenen Rubrik „Siné sème sa zone“ [ein Wortspiel, das etwa „Siné sagt seine Meinung“ bedeutet] publizierte er im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit zwischen Jean Sarkozy, einem Sohn des damaligen französischen Staatspräsidenten, und Jessica Sebaoun, der Erbin der Kaufhauskette Darty, Äußerungen über die angebliche Konversion Sarkozys zum Judentum, da Sebaoun Jüdin sei. „Auf die Gefahr hin als politisch inkorrekt zu gelten“, stigmatisierte Siné in seiner Kolumne vom 2. Juli außerdem verschleierte Frauen und Muslime, die „mit den Lubawitscher Juden in ihrer Lächerlichkeit wetteifern“ würden. Er fügte hinzu: „Ich würde auch herzlich gerne den Knirpsen den Teller mit Linsen und Wurst in die Visage schütten, die sich weigern [in der Kantine] Schweinefleisch zu essen.“ Für Philippe Val waren diese Äußerungen durch den Antisemitismus des Artikels „weder akzeptabel, noch vor Gericht verteidigungsfähig […], da sie eine Verbindung zwischen der Konversion zum Judentum und sozialem Aufstieg herstellen“. Er entließ den Zeichner auf der Stelle. Die Folge war ein riesiges Spektakel in den Medien, insbesondere im Internet. Einerseits wurde auf die Pressefreiheit gedrängt: Ein Künstler wurde „zensiert“, da seine Ansichten von denen seines Herausgebers abwichen. Siné wurde zum Märtyrer der „Erpressung mit Antisemitismus“: „Die Beschuldigung des Antisemitismus, dieses ‚Wort, das tötet‘ […], sollte nicht als Anstands- oder Machtargument eingesetzt werden, um einen zu rührigen Gegner zu diskreditieren“, konnte man in „Le Monde diplomatique“ (24. Juli 2008) lesen. Die Bezichtigung des Antisemitismus war den Verteidigern Sinés zufolge zu einem Vorwand für Zensur geworden. Demgegenüber prangerte eine Gruppe aus Unterstützern Philippe Vals, angeführt von dem Philosophen Bernard-Henri Lévy, dem Leitartikler der Zeitung „Le Figaro“ Alexandre Adler und dem Geschäftsführer der Zeitung „Libération“ Laurent Joffrin, die neuen antizionistischen Gewänder der Judenfeindschaft an. In einer Stellungnahme in der Zeitung „Le Monde“ ergriffen einige Tage später zwanzig Unterzeichner, darunter der ehemalige Justizminister Robert Badinter, der Bürgermeister von Paris Bertrand Delanoë, die Schriftsteller Elie Wiesel und Fred Vargas sowie der Filmema-

Der Christenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1830)

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cher und Comicautor Joann Sfar, Partei für den Chef von „Charlie Hebdo“: „Warum nicht das Offensichtliche zugeben – und zwar, dass Siné einmal zu oft die Grenze überschritten hat, die Humor und Beleidigung, die Karikatur und Hass trennt?“ (31. Juli 2008) Die LICRA (Ligue Internationale Contre le Racisme et l‘Antisémitisme) verklagte Siné wegen „Anstiftung zum Rassenhass“. Im Februar 2009 sprach das Landgericht Lyon Siné frei, da dessen Äußerungen als Satire zu werten seien. Im Dezember 2012 wurde schließlich auch „Charlie Hebdo“ zu einer Schadensersatzzahlung von 90.000 Euro an Siné wegen dessen Entlassung 2008 verurteilt. Am 10. September 2008 brachte Siné „Siné Hebdo“ auf den Markt, eine linksextreme Parodie von „Charlie Hebdo“, wobei er nunmehr beschuldigt wurde, den Zionisten und Sozialdemokraten ungewollt in die Hände zu spielen. Die Zeitschrift wurde wegen mangelnder Leserschaft Ende April 2010 eingestellt, seit September 2011 erscheint mit einigem Erfolg die monatliche Variante „Siné Mensuel“.

Didier Pasamonik Übersetzung und Bearbeitung von Bjoern Weigel

Christenschutz oder Judenhatz → Nicht Judenhatz – aber Christenschutz Christenschutz – nicht Judenhatz → Nicht Judenhatz – aber Christenschutz

Der Christenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1830) Der in seiner Heimat Mecklenburg als Rittergutsbesitzer und später als Jurist gescheiterte Hartwig von Hundt-Radowsky (eigentlich Joachim Hartwig Hundt, 1780–1835) schloss sich 1813 in Preußen der Nationalbewegung an. Er trat 1819 mit dem → „Judenspiegel“ hervor, einer der radikalsten Schriften des Antisemitismus überhaupt. Zusammen mit der bereits im Exil entstandenen → „Judenschule“ von 1822/23 repräsentiert Hundt-Radowsky eine Frühform des Erlösungsantisemitismus. Mit dem „Christenspiegel, oder Betrachtungen über unmittelbare Offenbarungen, über Jesus Lehre und Christentum“ schrieb Hundt-Radowsky seit Mitte der 1820er Jahre „Die Judenschule“ fort, deren dritter Band bereits teilweise eine Art „Pfaffenspiegel“ darstellt. Die drei, wieder im kleinen Oktav-Format gedruckten Bändchen haben etwa die Hälfte des Umfanges der „Judenschule“. Sie erschienen 1830 bei Carl Heinrich August Hoffmann in Stuttgart. Was der Verfasser am „positiven“ Christentum denunziert und verdammt, betrachtet er als weitestgehend jüdisch, womit er die Verantwortung für das „falsche“ Christentum an die Juden zurückspielt. Der größte Teil des „Alten Testaments“ sei in einem unvergleichlichen Maße unmenschlich und abergläubisch und stehe in unvereinbarem Widerspruch zur Lehre von Jesus, die das wahre Christentum begründe. Die in der Nachfolge des „Weltheilands“ Jesus entstandene Religion sei den jüdischen Einflüssen und Prinzipien erlegen, dagegen besitze das wahre Christentum keinerlei jüdische Grundlage. Die „Pfaffen“ hätten, indem sie die jüdischen Prinzipien auf das „sogenannte“ Christentum übertrugen, „die Welt verderbt“. Jesu’ Religion stehe dem „engherzigen,

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Christentum und Judentum (Walter Grundmann/Hrsg., 1940)

menschenfeindlichen“ Judentum in „unvereinbarlichem Widerspruch“ gegenüber. Von einigen erhaltenswerten Elementen abgesehen, müsse das Alte Testament aus dem Christentum entfernt werden. Der Tod hat Hundt daran gehindert, sich auch das Neue Testament genauer vorzunehmen. Das Judentum sei im Grunde keine Religion, sondern krasser Materialismus. Es gebe dort, ein für Hundt schwerwiegendes Urteil, auch keinen Platz für die Lehre „von der Fortdauer nach dem Tode und von der Vergeltung unserer Handlungen in einem künftigen Leben“. Wie in vorangegangenen Schriften weist Hundt-Radowsky den Juden eine Reihe beständiger, negativer Eigenschaften zu: Aberglauben, Arbeitsscheu, Egoismus, Ehrlosigkeit, Gestank, Habgier, Hochmut, Menschenfeindlichkeit, Prahlerei, Rache- und Blutgier, Scham- und Sittenlosigkeit, Schmarotzertum, Verlogenheit und Völlerei. Zur angeblichen besonderen Fruchtbarkeit der Juden heißt es: „Wie alles Ungeziefer vermehrten sich auch Abrahams glorreiche Nachkommen [...] auf eine fast unglaubliche Weise.“ Das wahre Christentum, resümiert Hundt, könne erst dann zur Geltung kommen, wenn die Christen sich „von dem faulichten Urstamm“, den jüdischen Wurzeln ihrer Religion gelöst hätten. Obwohl er als selbsternannter Rationalist (und trotz seines radikalen Nationalismus) keinen spezifisch deutschen Glauben propagiert, wurde Hundt inhaltlich zum Vorreiter des späteren „Deutschen Christentums“. Sein streng betonter Monotheismus grenzt ihn andererseits eindeutig gegen die Anhänger eines Neuheidentums ab, das im frühen 19. Jahrhundert bereits als sektiererische Strömung innerhalb des Nationalismus auftrat.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Christentum und Judentum (Walter Grundmann/Hrsg., 1940) Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, das im Mai 1939 in Eisenach gegründet wurde (→ Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche), veranstaltete seit 1940 Jahrestagungen, auf denen „die wissenschaftlichen Erkenntnisse“ des Instituts der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die erste Jahrestagung des Instituts fand vom 1. bis 3. März 1940 in Wittenberg statt. Die auf der Tagung gehaltenen Vorträge wurden noch im selben Jahr unter dem Titel „Christentum und Judentum“ im Georg Wigand Verlag in Leipzig herausgegeben. Im Vorwort dieser sogenannten Sitzungsberichte betonte Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und völkische Theologie in Jena und wissenschaftlicher Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts“, dass an den Vorträgen der Wittenberger Jahrestagung deutlich werde, wie „weit gespannt die dem Institut gestellte Forschungsaufgabe ist und welche Bedeutung ihr für die Erneuerung des deutschen religiösen Lebens“ zukomme. Es werde aber nur ein Ausschnitt der tatsächlich geleisteten Institutsarbeit wiedergegeben. In dem ersten Tagungsband finden

Christentum und Judentum (Walter Grundmann/Hrsg., 1940)

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sich folgende Aufsätze: Wolf Meyer-Erlach, „Der Einfluss der Juden auf das englische Christentum“; Johannes Leipoldt, „Jesus und das Judentum“; Walter Grundmann, „Die Arbeit des ersten Evangelisten am Bilde Jesu“; Georg Bertram, „Philo und die jüdische Propaganda in der antiken Welt“; Wilhelm Stapel, „Wilhelm Raabes Meinung über Juden und Christen“; Heinz-Erich Eisenhuth, „Idealismus, Christentum und Judentum“; Herbert von Hintzenstern, „Das religiöse Problem im Bayreuther Kreis“; Heinz Hunger, „Wesen und Methode einer rassekundlichen Religionsgeschichte“. Die nächsten Jahrestagungen des Instituts fanden vom 3. bis 5. März 1941 in Eisenach und vom 9. bis 11. März 1942 in Nürnberg statt. Auch die dort gehaltenen Vorträge wurden in Sitzungsberichten im selben Verlag herausgegeben, die diesmal den Titel „Germanentum, Christentum und Judentum“, Zweiter Band (Erscheinungsjahr 1942) bzw. Dritter Band (Erscheinungsjahr 1943) führten. In Band 2 finden sich folgende Aufsätze, die zum größten Teil auf Vorträge der Jahrestagung 1941 in Eisenach zurückgehen, an der ca. 600 Personen teilgenommen hatten: Heinz Erich Eisenhuth, „Germanische, jüdische und christliche Gottesidee“; Georg Bertram, „Josephus und die abendländische Geschichtsidee“; Walter Grundmann, „Das apokalyptische Geschichtsbild und das deutsche Geschichtsdenken“; Wilhelm Koepp, „Aus der Werkstatt einer Geschichte der Frömmigkeit der germanischen Seele“; Wolf Meyer-Erlach, „Nordisches Christentum und das Reich“; Karl Friedrich Euler, „Die Rassengeschichte des vorderen Orients und die Wissenschaft vom Alten Testament“; Max Adolf Wagenführer, „Der Kirchenbegriff des Neuen Testaments“; Heinz Hunger, „Jüdische Psychoanalyse und deutsche Seelsorge“; Hans Pohlmann, „Das Jesusbild des Liberalismus“; Walter Grundmann, „Das Messiasproblem“. Entsprechend befinden sich im dritten Band, der ebenfalls den Titel „Germanentum, Christentum und Judentum“ trägt, Aufsätze, die auf der Jahrestagung 1942 in Nürnberg und anderen lokalen Tagungen des Instituts gehalten wurden: Walter Grundmann, „Mendelssohn und Hamann“; Hans Wilhelm Schmidt, „Die religiöse Wirklichkeit“; Hugo Odeberg, „Die Muttersprache Jesu als wissenschaftliche Aufgabe“; Georg Bertram, „Paulus, Judensendling und Christusapostel“; Theodor Pauls, „Die Ursprünglichkeit des Gotteslobes bei Luther“; Hans Leube, „Das politische Frankreich und die Deutsche Reformation“; Hermann Werdermann, „Die Gefahr des Judaisierens in der religiösen Erziehung und ihre Überwindung“; Heinz-Erich Eisenhuth, „Das Geschichtsverständnis im Deutschen Idealismus“; Hans Pohlmann, „Der prophetische und der jesuanische Gottesgedanke“; Georg Bertram, „Jesus und das Buch“. Im Vorwort dieses dritten Bandes machte Walter Grundmann zudem deutlich, welche Zielrichtung das Institut mit seinen Tagungsberichten verfolgte: „Der entscheidende deutsche Kampf um Freiheit und Leben unseres Volkes offenbart sich immer deutlicher als Kampf gegen die zersetzenden und zerstörenden Mächte auf allen Gebieten des Lebens. Überall wird hinter diesen zersetzenden Mächten der Jude sichtbar. Die Aufgabe deutscher Geistes- und Religionswissenschaft wird in diesem Zusammenhang immer größer. Denn den Kampf der Waffen begleitet der Kampf des Geistes. Schlagen die Waffen den Feind, so spürt der Geist seine Wege und Methoden auf, mit denen er in das innere Leben der Nation einzudringen sucht, zeigt ihn in seiner wirk-

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lichen Gestalt und hilft die geistigen Voraussetzungen zu seiner Überwindung schaffen.“

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008. Peter von der Osten-Sacken (Hrsg.), Das mißbrauchte Evangelium. Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen, Berlin 2002.

Il Cittadino di Mantova (Italien, 1896–1919) Zwischen 1872 und 1877, in der Zeit von Giuseppe Sarto als Bischof von Mantua (späterer Papst Pius X.), war als offizielles Organ der Diözese die katholische Wochenzeitschrift „Il Vessillo Cattolico“ erschienen, die die intransigente, gegen den jungen Nationalstaat gerichtete Politik des Papstes unterstützte und durch einen traditionellen religiösen Antijudaismus hervortrat. Nachdem Sarto 1893 zum Patriarchen von Venedig ernannt worden war, der neue Bischof von Mantua aber aufgrund der Konflikte zwischen Staat und Kirche sein Amt noch nicht offiziell antreten konnte, gründeten Priester der Stadt Ende 1895 die neue katholische Zeitung „Il Cittadino di Mantova“, deren erste Nummer im Januar 1896 erschien. Die Leitung hatte der Geistliche Francesco Gasoni, der 1872 schon der Redaktion der Zeitung „Il Vessillo Cattolico“ vorstand, bis im März 1896 Cesare Pinfari diese Aufgabe übernahm. Auch die neue, zweimal wöchentlich erscheinende Zeitung verfolgte die intransigente Linie des Vorgängerblattes, ordnete sich ganz der politischen Linie des Vatikans unter und brachte den Widerwillen der Katholiken gegen den liberalen Staat zum Ausdruck. Eine der ersten Kampagnen des „Cittadino di Mantova“ bezog sich auf den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen. Entsprechend den Direktiven des Vatikans rief die Zeitung ihre Leser dazu auf, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen, und sie bezeichnete den Liberalismus als eine Rebellion des Menschen gegen Gott. Des Weiteren konzentrierte sich das Blatt auf den Kampf gegen die Juden. Im Unterschied zur Vorgängerzeitung „Il Vessillo Cattolico“ standen nun aber nicht mehr die Motive des christlichen Antijudaismus im Vordergrund, sondern die Sprache des säkularen und politischen Antisemitismus. Schon in einer der ersten Nummern der Zeitschrift bekundete das Blatt seine Bewunderung für die antisemitische Politik der österreichischen Christsozialen und zollte Karl Lueger für dessen judenfeindliche Politik Anerkennung. Nur wenige Tage später wurden die Juden von Turin beschuldigt, an antiklerikalen Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein. Das säkulare Motiv der Macht der Juden über die Presse griff die Zeitung im Artikel „Die jüdische Gefahr“ auf, in dem es hieß: „Wer das Geld besitzt, besitzt bald auch die Presse, und wer die Presse besitzt, besitzt die Macht.“ Ein Topos der Sprache des Antisemitismus war das von dem Berliner Historiker Heinrich von Treitschke in seinem Aufsatz → „Unsere Aussichten“ geprägte antisemitische Schlagwort „Die Juden sind unser Unglück“. Diese Devise hat die Zeitung der Katholiken Mantuas schon im ersten Jahr ihres Erscheinens aufgegriffen: „Gli

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ebrei sono la nostra rovina.“ Thema dieses Artikels war die Erklärung, dass es sich beim Antisemitismus keineswegs um eine religiöse Frage handele. Im Mittelpunkt stehe vielmehr der gefährliche Einfluss des Judentums auf das gesellschaftliche Leben. Dabei nahmen die katholischen Geistlichen Mantuas den Begriff Antisemitismus positiv für sich in Anspruch, denn wenn es darum gehe, so „Il Cittadino di Mantova“, „sich aus dem Rachen des Juden zu befreien“, so stünden die Katholiken Mantuas ohne Frage hinter dem Appell der Antisemiten. Neben den Motiven der politischen Herrschaft der Juden oder ihrer angeblichen Macht über die Presse griffen die katholischen Journalisten ein weiteres zentrales Element der antisemitischen Rhetorik auf: die semantische Verknüpfung von Judentum und Freimaurerei. Im Mittelpunkt der Agitation der Katholiken in Italien stand der Kampf gegen den italienischen Nationalstaat, der immer wieder mit antisemitischen Unterstellungen geführt wurde. Auch die katholische Zeitung Mantuas diffamierte das Königreich Italien als jüdisch, und so schloss die Zeitschrift einen Artikel mit der Bemerkung: „Unsere Gesetzgebung richtet sich weniger nach den Bedürfnissen und Rechten der christlichen Bevölkerung, als vielmehr nach denen der jüdischen Minderheit. So bedeutet die Abkürzung R.d.I, die auf den Wappen des Staates zu lesen ist nicht mehr ‚Regno di Italia‘ [Königreich Italien], als vielmehr ‚Regno di Israele‘ [Königreich der Juden].“ Auch versäumte es die Zeitung nicht, den jüdischen Finanzminister Luigi Luzzatti mit einem harschen, von antisemitischen Unterstellungen durchzogenen Artikel zu diffamieren. Der Blick der Katholiken Mantuas beschränkte sich nicht auf Italien. Ganz Europa, so die Aussage eines Artikels mit der Überschrift „Die jüdischen Horden“, sei von einer jüdischen Invasion bedroht. „Unglückliches Europa“, so beginnt der Beitrag, „es reichten nicht die Hunnen, die Goten, die Westgoten […] und die anderen barbarischen Horden, […] es reichte nicht die erschütternde Invasion der Türken, […] in diesem Jahrhundert bist du einer neuen Invasion zum Opfer gefallen, neue barbarische Horden sind dir als Blutsauger in die Brust gefallen: die jüdischen Horden!“ Noch im Dezember 1896 gab die Zeitung Karl Lueger Raum für ein ausführliches Interview, das prononciert mit der Frage eröffnet wurde: „Warum sind Sie Antisemit?“ Einer der wirkungsmächtigen Mitarbeiter der Zeitung war der Geistliche Venanzio Bini, der im September 1897 zum Priester geweiht wurde, am Priesterseminar in Mantua unterrichtete und neben seiner Tätigkeit als Journalist in der katholischen Sozialbewegung „Azione cattolica“ engagiert war, und dessen Kampf sich gegen den materialistischen Zeitgeist, die kapitalistische Wirtschaftsordnung, den Liberalismus und das Judentum richtete. Don Venanzio Bini, der 1902 die Schriftleitung von „Il Cittadino di Mantova“ übernahm, unterstützte nachdrücklich das Programm einer christlichen Demokratie und die Teilnahme der Katholiken an der Politik, insbesondere nachdem das päpstliche Verbot, an Wahlen teilzunehmen, durchlässig geworden war. So kandidierte Bini im Juli 1903 mit einem dezidiert antisemitischen Programm bei den Kommunalwahlen in Mantua. Im „Cittadino di Mantova“ erschien eine dreiteilige Artikelserie mit dem Titel „Warum wir Antisemiten sind“. Darin hieß es, dass die Katholiken die Juden nicht hassen würden, weil sie Jesus Christus ermordet hätten, sondern weil sie „den Handel und die Spekulation“ beherrschten. Die Judenfrage sei somit, so das Fazit der Artikelserie, eine soziale Frage. Ergebnis der Kommunalwahl war, dass

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Don Venanzio Bini mit drei weiteren Kandidaten seiner „lista antisemita“ in die Stadtverordnetenversammlung einziehen konnte. Zwar konnte die Zeitung seit 1906 sogar täglich und auch über die Jahre des Ersten Weltkrieges hin erscheinen, im Februar 1919 aber wurde „Il Cittadino di Mantova“ eingestellt.

Ulrich Wyrwa

Literatur Clara Castagnoli, Giancarlo Ciaramelli (Hrsg.), Un secolo di stampa periodica Mantovana 1797–1897, Milano 2002. Luigi Giglioli, Il Cittadino di Mantova. Settimanale cattolico diocesano del vescovo mons. Origo, 2 Bände, Mantova 1982. Ulrich Wyrwa, Antisemitic Agitation and the Emergence of Political Catholicism in Mantua around 1900, in: Quest. Issues in Contemporary Jewish History. Journal of Fondazione CDEC, Nr. 3, July 2012 (online).

La Civiltà Cattolica (Italien, seit 1850) „La Civiltà Cattolica“ ist die führende jesuitische Zeitschrift der Welt, ein meinungsbildendes katholisches Medium, allgemein angesehen als inoffizieller Interpret der vatikanischen Politik. Obwohl in Italienisch geschrieben, fungierte die Zeitschrift trotzdem als Vermittler zwischen dem Heiligen Stuhl und der gesamten katholischen Welt. Eine deutsche Version erschien von 1855 bis 1857. „La Civiltà Cattolica“ wurde 1850 gegründet, um der zunehmend aktiven liberalen Presse entgegenzuwirken. Die Zeitschrift hatte nicht die Aufgabe, sich mit theologischen oder philosophischen Inhalten zu befassen, sondern soziale Fragen zu erörtern und dadurch die öffentliche Meinung im Mittelstand nachdrücklich zu beeinflussen. Von Anfang an vertrat die Zeitschrift einen beständigen Antijudaismus, das Bild von Juden als perfide Christenmörder transportierend. Während der italienischen Einigung in den 1860er und 1870er Jahren trieben die Jesuiten ihre Version einer katholischen Nation voran, entgegen der Idee vom säkularen Staat. Eine der Strategien von „La Civiltà Cattolica“ bestand darin, die liberale Führerschaft mit dem Judaismus zu assoziieren, indem sie Juden als Ausländer und Feinde der „wahren“ Nation etikettierte. Bisweilen warfen die jesuitischen Intellektuellen zeitgenössischen Juden die Schuld an sozialen Problemen der damaligen Zeit vor, unter Anführung der Werke antisemitischer Schriftsteller wie Francesco Gambini und Henri-Roger Gougenot des Mousseaux. Während des Ausbruchs des modernen Antisemitismus 1881/82 schrieb ein Mitglied des Jesuitenkollegs, Giuseppe Oreglia, eine Serie von Artikeln, die die Blutbeschuldigung unterstützten und, mehr oder weniger direkt, die anhaltenden antisemitischen Kundgebungen rechtfertigten. Zu dieser Zeit waren seine Ansichten nicht typisch für die Jesuiten von „La Civiltà Cattolica“ und Teile der Mitglieder des Kollegs waren mit seiner vehementen Kampagne nicht einverstanden. Dennoch verurteilten weder die Zeitschrift noch der Jesuitenorden oder der Vatikan jemals offiziell Oreglias Artikel, und während der 1880er und 1890er Jahre wurden seine Ansichten im Allge-

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meinen in „La Civiltà Cattolica“ akzeptiert. In dieser Zeit unterstützte die Zeitschrift die Christlichsoziale Partei Österreichs und die Anti-Dreyfusarden in Frankreich. Nach der Dreyfus-Affäre und als sich in den Anfängen des 20. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und der Kirche verbesserten, schrieb „La Civiltà Cattolica“ weniger über Juden. Dennoch rückten die Jesuiten von der Unterstützung des Antisemitismus nicht ab. Ende des Ersten Weltkriegs tauchte Judenfeindschaft wieder in „La Civiltà Cattolica“ auf. Die Jesuiten gaben den Juden die Schuld an der bolschewistischen Revolution und lehnten den Zionismus entschieden ab. Konfrontiert mit dem Rassen-Antisemitismus der 1920er und 1930er Jahre unterschieden Jesuiten von „La Civiltà Cattolica“ zwischen einem gerechtfertigten „katholischen Antisemitismus“ und einem ungerechten rassistischen Antisemitismus, der gleichermaßen dem Judentum vor Christus und dem Christentum feindlich gegenüberstand. „La Civiltà Cattolica“ nahm während des Faschismus nicht Partei für die Juden und kritisierte die Rassengesetze von 1938 einzig in dem Punkt, der die Heirat zwischen Katholiken und Konvertiten verbot, da dies einen Verstoß gegen das Konkordat darstellte. Sie lehnte den Antisemitismus der NSIdeologie nicht eindeutig ab und verurteilte, ebenso wie der Vatikan, niemals öffentlich die Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs. „La Civiltà Cattolica“ wurde in gewisser Beziehung als antisemitischer Pionier betrachtet und auf diese Weise von Édouard Drumont in den späten 1880er Jahren und von „Regime Fascista“ in den 1930er Jahren zitiert. In Theodor Fritschs → „Handbuch der Judenfrage“ (1933) wurde „La Civiltà Cattolica“ für ihre „Einsicht“ gepriesen. Zwar wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Antisemitismus von der jesuitischen Zeitschrift nicht mehr propagiert, das Jesuitenkolleg revidierte aber auch seine vormalige Position nicht und vermied Betrachtungen zur Shoah und der Judenverfolgung in der Zeit des Faschismus. In den 1950er Jahren veröffentlichte die Zeitschrift Bemerkungen, die das Fortbestehen antijudaistischer Ansichten, den Kampf zwischen Judentum und Christentum betreffend, bezeugten. Als in den 1960er Jahren die Debatte über die Rolle von Papst Pius XII. während des Holocausts begann, nahm die Zeitschrift eine defensive Haltung ein und hob die Bemühungen zur Rettung und zum Schutz von Juden durch Katholiken hervor. Darüber hinaus hat der Versuch des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Beziehungen zu den Juden zu verbessern, nur schwache Reaktionen innerhalb von „La Civiltà Cattolica“ hervorgerufen. In Artikeln der 2000er Jahre bestritt die Zeitschrift, jemals den Antisemitismus unterstützt zu haben, und bezeichnete Anschuldigungen gegen die Kirche und Pius XII. als Beispiele einer „judeozentrischen“ Darstellung der Geschichte.

David L. Dahl

Literatur David Lebovitch Dahl, The Role of the Roman Catholic Church in the Formation of Modern Anti-Semitism: La Civiltà Cattolica, 1850–1879, in: Modern Judaism 23 (2003), 2, S. 180–197. David Lebovitch Dahl, A Case of Disagreement among the Jesuits of La Civiltà Cattolica over Anti-Jewish Propaganda around 1882, in: Rivista di Storia del Cristianesimo 7 (2010), 1, S. 181–201.

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Courrier du continent (Schweiz, seit 1946)

David Lebovitch Dahl, The Antisemitism of the Italian Catholics and Nationalism: „the Jew“ and „the Honest Italy“ in the Rhetoric of La Civiltà Cattolica during the Risorgimento, in: Modern Italy 17 (2012), 1, S. 1–14. Elena Mazzini, L’antiebraismo cattolico dopo la Shoah: Tradizioni e culture nell’Italia del secondo dopoguerra (1945–1974), Rom 2011. Ruggero Taradel, Barbara Raggi, La segregazione amichevole „La Civiltà Cattolica“ e la questione ebraica 1850–1945, Rom 2000.

Courrier du continent (Schweiz, seit 1946) Der 1946 erstmals erschienene „Courrier du continent“ kam bis Mitte der 1970er Jahre in unregelmäßigen Abständen, mit verschiedenen Untertiteln und in unterschiedlichen Formaten heraus. Seit 1975 erscheint der „Courrier“ regelmäßig, meist als einfach hergestellte, in Maschinenschrift geschriebene und aus gehefteten A4-Blättern bestehende Publikation und gilt als Leibblatt des Schweizer Rechtsextremisten Gaston-Armand Amaudruz. Obschon der „Courrier“ eine kleine Auflage hat – sie wurde in den 1980er Jahren auf 400 Exemplare geschätzt –, liegt die Bedeutung in seiner Funktion als breit vernetzte Drehscheibe und Plattform des europäischen Rechtsextremismus der Nachkriegszeit. Gegründet wurde das Blatt 1946 vom Westschweizer Journalisten Paul Gentizon, der mit Benito Mussolini befreundet und Ehrenmitglied des Movimento Sociale Italiano war, unter dem Namen „Courrier du Continent. Politique – Economique – Philosophique – Littéraire – Artistique“. Es kam zunächst während eines Jahres heraus und umfasste vier relativ umfangreiche Nummern. Danach übernahm Amaudruz den Titel der Zeitschrift und nannte das von 1951/52 bis 1957 erscheinende französischsprachige Organ der Volkspartei der Schweiz (VPS), der ersten rechtsextremen politischen Partei der Nachkriegsschweiz, „Courrier du Continent. L’appel au peuple“. Das Blatt diente Amaudruz auch für die Aufbauarbeit des Nouvel ordre européen (NOE), den er zusammen mit René Binet 1951 in Zürich als Abspaltung der Europäischen Sozialen Bewegung (ESB) gegründet hatte. Mit der aus finanziellen Gründen und wegen inhaltlichen Differenzen erfolgten Auflösung des VPS 1958 verschwand auch der „Courrier“ vorübergehend von der Bildfläche. Von 1966 bis 1973 erschienen dann vereinzelte Nummern, sei es als Beilage des in Brüssel publizierten NOE-Organs „L’Europe réelle“ oder als dessen Ersatzblatt, wenn dieser von den belgischen Behörden verboten wurde. In den Jahren 1973 und 1974 war er dann integrierter Teil des NOE-Organs „Le combat européen: Action européenne, Courrier du Continent, Renouveau national“. Ab 1975 wurde der nun von Amaudruz in Lausanne produzierte „Courrier“ das offizielle Mitteilungsorgan des NOE, der nach 1992 jedoch keine Aktivitäten mehr verzeichnete. Seit den Anfängen haben prominente Autoren des europäischen Rechtsextremismus im „Courrier“ Beiträge verfasst, wie beispielsweise René Binet, Pierre Clémenti, François Duprat, Per Engdahl, Franz Richter und Manfred Roeder. Ab Ende der 1970er Jahre entwickelte sich das Blatt überdies zu einem wichtigen Propagandavehikel der internationalen Holocoustleugner. Bekannte negationistische Autoren wie Ro-

Crimes da Franco-maçonaria Judaica (Paulo de Tarso, 1928)

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bert Faurisson und Thies Christophersen publizierten darin, und es wurde kontinuierlich über negationistische Publikationen, Aktivitäten und Veranstaltungen berichtet, so vom Institute for Historical Review (IHR) oder Círculo Español de Amigos de Europa (CEDADE). Das Blatt veröffentlichte auch umfangreiche Bücherlisten mit negationistischer und anderer rechtsextremer Literatur und bot viele dieser Bücher zum Verkauf an. Der „Courrier“ informierte zudem über die internationalen wie auch schweizerischen Entwicklungen der radikalen Rechten, zu der nicht nur die extreme Rechte und ihre neofaschistischen und negationistischen Exponenten, sondern auch Intellektuelle der Neuen Rechten und rechtspopulistische Parteien zählten. Während im Laufe der Zeit die Textbeiträge vermehrt vor allem von Amaudruz stammten, nutzte dieser den „Courrier“ innerhalb der schweizerischen Politik auch als direktdemokratisches Instrument. So waren dem Blatt Unterschriftenbögen zu Volksinitiativen beigelegt, zum Beispiel bei asylpolitischen Initiativen rechtspopulistischer Parteien in den 1980er und 1990er Jahren oder 1993 beim Referendum gegen die Antirassismusstrafnorm. Im Rahmen des vorparlamentarischen Vernehmungsverfahrens zur Antirassismusstrafnorm wurde der „Courrier“ sogar von den staatlichen Behörden als Interessenvertreter konsultiert. In den Beiträgen im „Courrier“ kamen die weltanschaulichen und politischen Positionen der europäischen extremen Rechten zum Ausdruck, wobei insbesondere die Idee eines auf „rassischen“ und faschistischen Prinzipien basierenden geeinten Europas zentral war. Fester Bestandteil waren auch Verschwörungstheorien, mit denen der angebliche moralische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Niedergang Europas erklärt wurde und für den sogenannte Mondialisten, Finanzlobbys, Politiker und Juden verantwortlich gemacht wurden. Auch stand dem ganzen Repertoire an negationistischen Argumenten der Antisemitismus Pate, und immer wieder wurde betont, Juden und Israel hätten die sogenannte „Holocaustlüge“ in die Welt gesetzt und würden daraus Nutzen ziehen. Bereits in Amaudruz’ Artikel „Le procès de Nuremberg“ von 1946 in Paul Gentizons „Courrier“ waren Kernpunkte negationistischer Propaganda zu finden gewesen, und in mehreren 1953 publizierten Beiträgen wurden die deutschen Entschädigungszahlungen an Israel scharf verurteilt sowie die Zahl von sechs Millionen durch den Nationalsozialismus getöteter Juden als Erfindung der Alliierten bezeichnet.

Damir Skenderovic

Literatur Damir Skenderovic, The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945–2000, New York, Oxford 2009. Damir Skenderovic, Luc van Dongen, Gaston-Armand Amaudruz, pivot et passeur européen, in: Dard Olivier (Hrsg.), Doctrinaires, vulgarisateurs et passeurs des droites radicales au XXe siècle (Europe-Amériques), Bern u. a. 2012, S. 211–230.

Crimes da Franco-maçonaria Judaica (Paulo de Tarso, 1928) Der „Apostel der jüdisch-freimaurerischen Konspiration“, der antisemitische Schriftsteller Paulo de Tarso (António da Silva Pena Peralta), war Zeit seines Lebens von der

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Crimes da Franco-maçonaria Judaica (Paulo de Tarso, 1928)

Idee besessen, das „jüdische Übel mit Stumpf und Stil ausrotten“. Sein 1924 geschriebenes, aber erst 1928 veröffentlichtes und dem Lissaboner Patriarchen D. José Sebastião gewidmetes Buch „Crimes da Franco-maçonaria Judaica [Verbrechen der jüdischen Freimaurer] sollte die Portugiesen über die Machenschaften des internationalen Finanzjudentums informieren, das vermeintlich ihr Land mit Hilfe einer willfährigen und naiven Elite in ihrer Gewalt hielt. Zusammen mit António Sardinha und Mário Saa lieferte Paulo de Tarso in den 1920er und 1930er Jahren den Monarchisten, den Klerikalen und der Rechten das passende Vokabular für ihren Kampf gegen das Fremde, das Jüdische und gegen die Freimaurer. Dieses Buch gehört zu den widerlichsten Texten in der an antisemitischen Hasstiraden nicht gerade armen portugiesischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine delirierenden Thesen wurden wenige Jahre später in den reaktionären Kreisen des Militärs und des faschistischen Regimes um den Diktator Salazar salonfähig. Für Paulo de Tarso sind die Juden eine „verstoßene und schlangenzüngige Rasse“ (raça proscrita e viperina), das „größte Übel der Menschheit“ (o maior mal da Terra); Juden haben Schlangenaugen (olhos de serpente), ihre Herzen sind aus Stein (corações de pedra), ihre Hände sind Klauen (as suas mãos são garras), und einem Kind, das weint, helfen sie nicht. Juden sind hässlich und widerwärtig, darum war es richtig, sie anlässlich des Massakers von Lissabon (1506) wie räudige Hunde abzuschlachten. Für Paulo de Tarso ist die „semitische Gefahr“ (o perigo semita) allgegenwärtig, nicht nur in Portugal, sondern überall in Europa, wo die „sogenannten fortschrittlichen Ideen“ (as chamadas ideias avançadas) die Völker vergiften. Ihr einziges Interesse sei das Geschäft, das Geld, der Reichtum. Sie beherrschten die Presse, die Banken, die Klubs, die Bordelle, die Universitäten, das Heer und die Marine. Und weil Geheimnis und Intrigen ihre besten Waffen seien, hätten sie das Freimaurertum begründet. Jeder Jude sei ein Mörder, ein Verbrecher, ein Brandstifter, vor allem aber ein gewissenloser Vaterlandsverräter. Wegen der Juden verloren die Portugiesen vermeintlich die Schlacht bei Alcácer Quibir (1578) gegen die Araber, Juden seien verantwortlich gewesen für den Untergang Venedigs, die Französische Revolution, die Revolutionen in Mexiko und die Gründung der Republik Portugal. Wegen dieser „gottverfluchten jüdischen Rasse“ (escorraçada raça judaica [...] raça amaldiçoada por Deus) hätte sich Portugal wirtschaftlich, politisch und wissenschaftlich nicht entwickeln können. Um Portugal wieder aufzurichten und die Welt von dem „jüdischen Übel“ zu befreien, schlägt er im Vorgriff auf die nationalsozialistische Rassegesetze vor, Synagogen und Logen zu schließen, den Juden die bürgerlichen Rechte abzuerkennen, sie vom Staatsdienst und von der Wirtschaft auszuschließen und ihnen den Besuch von Schulen und Universitäten zu verbieten. Portugal sollte „judenrein“, und die Juden sollten wie die Zigeuner über alle Welt verstreut werden.

Michael Studemund-Halévy

Literatur Jorge Martins, Portugal e os Judeus, vol. 2, Lissabon 2006. Livia Parnes, Les tentatives de l’antisémitisme moderne portugais pour se libérer de l’antijudäisme d’essence religieuse. Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique, Rom 2003, S. 163–182.

La Croix (Frankreich, seit 1880) und Le Pèlerin (Frankreich, seit 1873)

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La Croix (Frankreich, seit 1880) und Le Pèlerin (Frankreich, seit 1873) „La Croix“ und „Le Pèlerin“ sind zwei Veröffentlichungen, die von der französischen Kongregation der Assumptionisten gegründet wurden. „Le Pèlerin“ (1873) fungierte zu Beginn als Informationsblatt für Pilger, die sich auf eine von den Assumptionisten organisierte Reise ins Heilige Land begaben oder begeben hatten. „La Croix“ erschien anfangs monatlich (1880), wurde aber rasch (1883) zur Tageszeitung. Beide Publikationen gehörten dem einflussreichen Pressekonzern „Bonne Presse“. Ihre Haltung gegenüber dem Judentum war vergleichbar. „La Croix“ war bei der katholischen Bevölkerung sehr erfolgreich. Es verstand sich als Kampforgan, anfangs vor allem gegen Protestanten und aktive Antiklerikale: Der einzige Weg zur Rettung Frankreichs sei die Rückkehr zum Glauben und zum einstigen Rang als älteste „Tochter“ der Kirche. In den ersten Jahren erfuhr die Zeitung eine Radikalisierung, im Zuge derer sie sich der Linie von Drumonts antisemitischer Zeitung → „La Libre Parole“ annäherte. Übernommene ländliche Werte standen neben der Ablehnung einer Vorherrschaft des Geldes, zuerst in Frankreich, dann in der Welt (Respekt vor dem „gesunden“ französischen Kapitalismus, Verurteilung der internationalen Spekulation und Finanzwelt) und Xenophobie, wobei Ausländer – vor allem Engländer und Deutsche – grundsätzlich als Feinde Frankreichs betrachtet wurden. Juden kamen in den Spalten von „La Croix“ und „Le Pèlerin“ als Gottesmörder, als Verkörperung der Modernität, des städtischen Lebens und von Geld vor. Anfangs wurden sie in klassischen Bildern im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Verheißung dargestellt, wobei ihnen eine gewisse Größe nicht abgesprochen wurde. Für Frankreich wurden sie aufgrund ihrer geringen Zahl nicht als konkrete Gefahr gesehen. Juden wurden gleichwohl als bedrohlich dargestellt; sie verdienten die Angriffe, die auf sie gerichtet sind, denn sie stünden für ein versprengtes Volk, das nicht auf den Messianismus verzichtet habe und darauf aus sei, sich wieder in Palästina zu versammeln, mit dem Risiko, dort einen mächtigen Staat zu gründen, der einen enormen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Welt ausüben könnte. Wie es einer der Verantwortlichen der Kongregation – Bailly – 1882 formulierte: „Der Jude ist der Feind, so lautet der christliche Ruf von Golgota bis heute.“ Ab den 1890er Jahren wurde der Antisemitismus zum festen Bestandteil der von beiden Zeitungen vertretenen Ideen. Die Kirche sah ihre Aufgaben nun im Kampf gegen den jüdischen Eroberer und betrachtete sich als allein fähig dazu. So wurde Anfang der 1890er Jahre die Ausschaltung der Juden in Frankreich allmählich vorbereitet, als einzige Maßnahme, die ihren Einfluss auf die französische Gesellschaft aufhalten könne. 1892 gab Papst Leo XIII. als in seinen Augen wichtigsten Aspekt der „jüdischen Frage“ den wirtschaftlichen an. 1893 rief er zur Konversion der Juden auf; für die Assumptionisten handelte es sich um die beste Art, die „jüdische Frage“ zu behandeln. 1894 setzte die Kritik an den Juden mit den Beschuldigungen des Hauptmanns Dreyfus verstärkt ein; die Juden bekamen ihren Platz im „Trio des Hasses“ zugewiesen, neben Protestanten und Freimaurern.

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La Croix (Frankreich, seit 1880) und Le Pèlerin (Frankreich, seit 1873)

Die antisemitischen Angriffe verstärkten sich deutlich zwischen 1897 und 1899, auf dem Höhepunkt der Dreyfus-Affäre. Der Konzern „Bonne Presse“ stellte sich dabei massiv gegen Dreyfus, Zola und das „Syndikat“, jenes diffuse Fantasiekonstrukt, das verdächtigt wurde, als mächtiger Drahtzieher der Affäre zu agieren. Darüber hinaus stehe die Boshaftigkeit Deutschlands im Hintergrund, das Frankreich in den Krieg drängen wolle. Bailly erfuhr auf der Rückreise von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem am 15. Januar 1898 von Unruhen gegen Juden in Marseille (diese hatten ihre Wohnviertel verlassen müssen) und in Algerien: Die Ereignisse wurden von der Kongregation und ihren Zeitungsorganen begrüßt. Sie bekamen aber nun den Zorn der sich wieder aufrichtenden Republik zu spüren über strenge gerichtliche Urteile, die den Einfluss der Assumptionisten einschränken sollten. Zwar blieb immer ein gewisser Respekt gegenüber der jüdischen Religion bestehen, doch ging dieser mit weitgehender Unkenntnis und der Verleugnung der jüdischen Wurzeln in der katholischen Praxis selbst einher. „La Croix“ interessierte sich wenig für Juden, solange diese diskret blieben, und konzentrierte sich auf die „talmudischen“ Juden, wobei der Talmud mit vielen Vorurteilen konnotiert war. Für die Assumptionisten war es ein Gesetzbuch der Unsittlichkeit, ein magisches Werk, das den Juden die Eroberung der Welt ermöglichen sollte. Was die Alliance Israélite Universelle anlangt, mit der die Assumptionisten immerhin in Jerusalem in Kontakt kamen, wurde sie wie eine Art zentrale Regierung der Juden betrachtet und nicht wie ein karitativer Verein, dessen Tätigkeit auch der Position Frankreichs im Orient zugute kam. Bis Ende der 1880er Jahre wurde das jüdische „Volk“ in den beiden Zeitungen angegriffen. In der Folge wurde es mehr und mehr als „Nation“ beschrieben, die sich gegen Frankreich vereinige. Eine jüdische „Rasse“ wurde nun über besondere Charakterzüge definiert. Darstellungen von Juden in „Le Pèlerin“ stehen oftmals für den Übergang vom klassischen christlichen Antijudaismus zu einem wirklich rassistischen Antisemitismus. Die Idee einer Nation ohne Heimat, die sich bei anderen als Gegner einniste, setzte sich durch. Diese Nation sei nicht assimilierbar, wie es die Geburt des Zionismus beweise. So fügte sich dem Antijudaismus von „La Croix“ der Antizionismus hinzu, als dieser sich zu entwickeln begann, und zwar aus Treue gegenüber einem christlichen, katholischen Heiligen Land. Die Assumptionisten verurteilten dementsprechend die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg und kritisierten besonders das Engagement der französischen linken Regierung – dem „Cartel des gauches“ – Mitte der 1920er Jahre zugunsten eines jüdischen Palästinas. Die antijüdische Animosität ließ ab 1927 im Zuge einer vatikanischen Gleichschaltung und unter dem Eindruck der päpstlichen Verurteilung der Action Française nach. Der neuen Leitung der beiden Zeitungen schien Vorsicht und ein gewisses Abwarten gegenüber dem Mysterium Israels geboten: Es wurde lediglich auf die philosemitischen Texte des Paters Bonsirven verwiesen; auch die Erklärungen von Papst Pius XI. über den im geistigen Sinne „semitischen Charakter“ der Christen fanden Resonanz, so etwa im Leitartikel des Paters Merklen vom 1. September 1938: Ihm zufolge brächten Juden nichts Vernünftiges zustande und verdienten die Strafen, die sie erleiden müssten; gleichzeitig aber handele es sich um Menschen, die Recht auf Erlösung hätten – natürlich über eine Konversion.

Cuvântul (Rumänien, 1924–1941)

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Während des Zweiten Weltkrieges gab „La Croix“, die sich im Großen und Ganzen gegenüber der neuen politischen Ordnung in Vichy loyal zeigte und der Zensur unterworfen war, ohne weitere Kommentare den Inhalt des Judenstatuts vom 3. Oktober 1940 wieder. In der Folge wurden die Entwicklungen im britischen Mandatsgebiet Palästina und die Gründung des israelischen Staates resigniert akzeptiert. So wie bei der katholischen Kirche im Allgemeinen setzte aber erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine reelle Wende in Bezug auf die Wahrnehmung des Judentums ein. „Le Pèlerin“ und „La Croix“ von heute haben seit mehreren Jahrzehnten definitiv mit dem Antisemitismus der Vergangenheit gebrochen.

Dominique Trimbur

Literatur René Rémond, Émile Poulat (Hrsg.), Cent ans d’histoire de „La Croix“, 1883–1983, Paris 1988. Pierre Sauvage, Guy Jucquois, L’invention de l’antisémitisme racial: l’implication des catholiques français et belges (1850–2000), Louvain-la-Neuve 2001. Pierre Sorlin, „La Croix“ et les Juifs (1880–1899), Contribution à l’histoire de l’antisémitisme contemporain, Paris 1967.

Cuvântul (Rumänien, 1924–1941) Die Tageszeitung „Cuvântul“ [Das Wort] wurde von Titus Enacovici in Bukarest gegründet. Sie erschien von 1924 bis 1934, danach erneut zwischen 1937 und 1938 sowie 1940 und 1941. Sie war bekannt für ihre rechtsradikale und faschistische Agenda und ihre Unterstützung der Eisernen Garde in den 1930er Jahren. Nae Ionescu, Philosoph und Hochschullehrer in Bukarest, war einer der wichtigsten Autoren der national-orthodoxen Tageszeitung „Cuvântul“, der am 8. November 1926 deren Programm folgendermaßen definierte: „Wir sind nicht die Führer einer Bewegung, sondern spiegeln einen Sachverhalt wider.“ Da ihre Agenda die Unterstützung von Monarchie und Orthodoxie umfasste, führte die Zeitung Kampagnen gegen machthabende politische Parteien und oppositionelle Fraktionen. Diese Ideen wurden von Jugendlichen aufgegriffen, einige setzten sie sogar durch Terrorakte in die Tat um. Angriffe auf Juden waren an der Tagesordnung. Auch Politiker, die als „verjudet“ galten, wurden umgebracht, so etwa der liberale Ministerpräsident Ion Gheorghe Duca im Dezember 1933. Danach wurde „Cuvântul“ erstmalig im Frühjahr 1934 verboten. 1937 nahm die Redaktion ihre Tätigkeit wieder auf, bis die Publikation während der Königsdiktatur von Carol II. unterbunden wurde (1938–1940). Erst im Herbst 1940 erschien sie erneut – nun als „Organ der Legionärsbewegung“. Die existenzialistische und teilweise mystisch inspirierte Denkschule von Nae Ionescu (er prägte das Konzept des „Trăirismus“, abgeleitet von „trăire“ = „das Erleben“) hatte in mehreren Punkten Überschneidungen mit der Ideologie der Eisernen Garde. Die Bezüge zueinander wurden umso offensichtlicher, als mehrere Anhänger des „Trăirismus“ sich öffentlich der Eisernen Garde anschlossen. Für diejenigen, die auch Artikel in der „Cuvântul“ veröffentlichten, bildete der Antisemitismus einen integralen Bestandteil ihres „Legionär-Credos“.

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Der Einfluss, den Nae Ionescu auf die junge Generation ausübte, vergrößerte sich durch seine Philosophiekurse an der Universität Bukarest. Zu den Persönlichkeiten, die er beeinflusste, gehörten Constantin Noica, Mircea Eliade, Emil Cioran, Haig Acterian, Jeni Acterian, Mircea Vulcănescu, Petre Ţuţea und Mihail Sebastian. Besonders Sebastian äußerste sich zutiefst enttäuscht darüber, dass sein Professor und seine Kommilitonen die faschistische und antisemitische Eiserne Garde unterstützten. Er schrieb darüber in seinem Tagebuch, das postum im Jahre 1996 erschien. Nae Ionescu strebte den Ausschluss von Juden aus der rumänisch-christlichen Gesellschaft an: „Zwischen Christen und Juden, zwei einander völlig fremden Körpern, die keinerlei Synthese miteinander eingehen können, kann es nur Frieden geben, wenn einer von ihnen untergeht.“ Ein weiterer Mitarbeiter von „Cuvântul“ war Alexandru C. Cuza, Professor an der Universität Iaşi. Er vertrat einen gewalttätigen, rassistischen und religiösen Antisemitismus und hatte großen Einfluss auf die Politik. Seine Argumente reichten von ökonomischen und kulturellen Erwägungen, wie sie in den antisemitischen Diskursen Rumäniens vor dem Ersten Weltkrieg üblich waren, bis hin zu rassistischem Antisemitismus, den Alexandru C. Cuza schon in den 1890er Jahren deutlich vertrat und der auch danach zu seinen zentralen Themen gehörte (Doctrina cuzistă şi hitlerismul [Cuzismus und Hitlerismus], in „Cuvântul“ vom 25. April 1933). Ein weiterer Autor der „Cuvântul“ war der Soziologe Traian Herseni, der die Rassentheorie der Legionäre entwickelte, die die Lehre der Ungleichheit „mit einer Doktrin zur Verbesserung der menschlichen Rasse“ kombinierte. Herseni erachtete die Reinhaltung des rumänischen Volkes als „eine Frage auf Leben und Tod“ und plädierte sowohl für ein Eugenikprogramm als auch für die komplette Trennung „minderwertiger Rassen“ von der ethnisch-rumänischen Gruppe. Die Tage vor der Rebellion der Legionäre gegen Antonescu im Januar 1941 und die zeitgleich stattfindenden Pogrome waren von auffallend heftigen antisemitischen Äußerungen ihres Propagandaapparates begleitet. „Cuvântul“ bekannte sich zunehmend zur Unterstützung der antisemitischen Politik und legte detailliert dar, was nach dem „Tag der Abrechnung“ geschehen würde. „Cuvântul“ veröffentlichte am 18. Januar 1941 einen Artikel, der die „Dringlichkeit der Zigeunerfrage“ auf der Agenda der Regierung hervorhob und vorschlug, die Gesetzgebung anzupassen, um Heiraten zwischen Rumänen und Roma für illegal zu erklären und die Roma schrittweise in einer Art Ghetto zu isolieren. Am letzten Tag der Legionärsrebellion (23. Januar 1941), als die rumänische Armee bewaffnete Legionäre tötete, veröffentlichte die „Cuvântul“ eine Warnung an Antonescu, dass die Zerschlagung der Legionärsbewegung die Existenz des rumänischen Staates und dessen Souveränität gefährde: „Nur die Existenz einer nationalen Bewegung in Rumänien, ähnlich der nationalsozialistischen und faschistischen, gewährleistet unsere Zukunft.“ Die Publikation endete zeitgleich mit der Auflösung der Legionärsbewegung 1941.

Gabriela Bădescu Übersetzung aus dem Englischen Miriam Bistrovic

Dansk Nationalt Tidsskrift (Dänemark, 1919–1929)

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Literatur Final Report of the International Commission on the Holocaust in Romania, Bucureşti 2007. Dumitru Micu, „Gîndirea“ şi gîndirismul [„Gîndirea“ und der Gîndirismus], Bucureşti 1975. Zigu Ornea, Anii treizeci. Extrema dreaptă românească [Die dreißiger Jahre. Die rumänische extreme Rechte], Bucureşti 1995. Mihail Sebastian, Jurnal. 1935–1944 [Tagebuch, 1935–1944], Bucureşti 1996. Leon Volovici, Nationalist Ideology and Anti-Semitism: The Case of Romanian Intellectuals in the 1930s, Oxford 1991.

Dansk Nationalt Tidsskrift (Dänemark, 1919–1929) „Dansk Nationalt Tidsskrift“ [Dänische Nationale Zeitschrift] war eine von der antisemitischen Organisation Dansk Forening til Fremmedelementernes begrænsning [Dänische Vereinigung zur Beschränkung Fremder Elemente], später umbenannt in Danskerligaen [Die Dänische Liga], von 1919 bis 1929 herausgegebene Monatsschrift. Danskerligaen wurde 1917 als Antwort auf die Einwanderung russischer und osteuropäischer Flüchtlinge nach Dänemark gegründet. „Dansk Nationalt Tidsskrift“ veröffentlichte fortwährend überhöhte Zahlen jüdischer Immigranten, indessen schuf die Kombination aus Wohnungsknappheit und Arbeitslosigkeit während und nach dem Ersten Weltkrieg ein fremdenfeindliches Klima, das den Zulauf zur Liga unterstützte. „Dansk Nationalt Tidsskrift“ vertrat eine rassistische antisemitische Agenda, die jede Person jüdischer Herkunft als „fremdes Element“ definierte und Assimilation selbst bei Konversion zum Christentum für unmöglich hielt. Erklärte Absicht der Zeitschrift war es, „die Augen der Dänen für ‚Die jüdische Gefahr’ zu öffnen, womit wir die organisierte und systematische Eroberung unserer Gesellschaft, ihrer politischen Macht und ihres Geldvolumens und ihrer öffentlichen Meinung meinen“ (1919, Nummer 2). Dieses Programm wurde mit antisemitischen Analysen der nationalen und internationalen Politik und einer Kolumne mit dem Titel „Gesehen und Gehört“, die Personen angeblich jüdischer Herkunft namentlich nannte und exponierte, untermauert. Juden wurden sowohl als minderwertige Rasse als auch als unwiderrufliche Nationalität bezeichnet. In der Konsequenz mündete die letztgenannte Vorstellung in die Forderung, dass die dänische Staatsangehörigkeit sowie die dänische Nationalität Bedingung für die Berufung in ein öffentliches Amt sein müssen. Bemerkenswert ist, dass Artikel zu rassistischen Themen, darunter auch rassistische Lehren und Gegenpositionen zur „Rassenmischung“, anonym veröffentlicht wurden. Neben Forderungen nach Begrenzung des Zugangs zu öffentlichen Ämtern verlangte die „Dansk Nationalt Tidsskrift“ auch Beschränkungen bei der Immigration und dem Erwerb der dänischen Staatsangehörigkeit, die Bewahrung des nationalen Charakters dänischer Gesellschaften und Finanzinstitute sowie eine „energische Gegenaktion gegen den sich ausbreitenden Einfluss von jüdischem Kapital und jüdischen Personen auf die dänische Presse, Verlagshäuser etc.“ (1919, Nummer 7). „Fremd“ meinte, abgesehen von den frühen Jahren, als die dänisch-deutsche Grenzkorrektur in

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Folge des Ersten Weltkrieges ein wiederkehrendes Thema war, vor allem „Jüdisch“. „Dansk Nationalt Tidsskrift“ forderte die Annexion aller Gebiete Schleswigs mit dänischen Gemeinden und lehnte die auf dem Prinzip der Stimmenmehrheit basierende Volksabstimmung von 1920 ab. Antideutsche und antikommunistische Rhetorik durchdrang die Artikel, die sich explizit jedoch auf jüdische oder angeblich jüdische Persönlichkeiten und antisemitische Erklärungen bezog. Im Juni 1920 verkündete „Dansk Nationalt Tidsskrift“ die Entdeckung der → „Protokolle der Weisen von Zion“ und wies kontinuierlich jeden Nachweis von deren Fälschung zurück. Die erste dänische Ausgabe der Protokolle wurde auf Initiative des Herausgebers von „Dansk Nationalt Tidsskrift“ unter einem Pseudonym veröffentlicht. Weitere inspirierende Quellen waren Henry Ford, der Rassenforscher Hans F. K. Günther und der Publizist Theodor Fritsch. Bezeichnenderweise erschien in der letzten Ausgabe eine Würdigung Adolf Hitlers nach der Kundgebung 1929 in Nürnberg. Die Zahl der Autoren der Artikel dürfte im Laufe des zehnjährigen Bestehens der Zeitschrift die Zahl von zehn kaum überschritten haben. Die Chefredakteure, der Bildhauer Rasmus Bøgebjerg (1919–1920) und der Schullehrer H. Brunøe (1920–1929), waren für die meisten Artikel verantwortlich. Weitere Mitarbeiter und mit dem Journal assoziierte Mitarbeiter und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens waren der Architekt Alfred Råvad und der Dichter Alfred Ipsen. Die Zeitschrift verfügte nie über einen großen Leserkreis. Die nationale Presse ignorierte die öffentlichen Versammlungen der Liga und die Leserbriefe ihrer Mitglieder und verweigerte den Abdruck jeglicher Inserate in Verbindung mit der Liga. Lokale Postämter boykottierten, obwohl zur Abfertigung der Abonnements und zum Versand verpflichtet, die Zeitschrift, und der Herausgeber musste die Abonnenten wiederholt bitten, fehlende Ausgaben zu melden. Die monatliche Auflagenhöhe überstieg wahrscheinlich nicht die Zahl von 1.000 Exemplaren, und der Wiederabdruck von Artikeln in Pamphleten dürfte kaum viel zur Verbreitung beigetragen haben. Doch das Umfeld der Liga hofierte Charaktere wie den Zoologen H. J. Hansen, der antisemitische Artikel in der viel gelesenen Zeitung „Jyllands-Posten“ [Jütland Post] veröffentlichte, und Erik Hansen, der als Herausgeber der „Kolding Avis“ [Koldinger Zeitung] über ein eigenes Publikationsforum verfügte. Wie begrenzt der Einfluss der Liga und der „Dansk Nationalt Tidsskrift“ auch gewesen sein mag, ihre Schlüsselfiguren wirkten dauerhafter. Paradoxerweise wurde der Herausgeber Brunøe, obwohl die Liga eine städtische, in der Hauptstadt angesiedelte Institution war, von landwirtschaftlichen Organisationen zu Vorträgen in ländlichen Gegenden eingeladen, darunter am verblüffendsten auch nach Nordschleswig, das 1920 als Provinz Südjütland in den dänischen Staat integriert wurde. Bis zu einer Verschiebung Mitte der 1930er Jahre hatte die dänische nationalsozialistische Partei ihre Hochburg in ländlichen Gegenden und vor allem in den neu eingegliederten Gebieten Südjütlands, wo die antisemitische Rhetorik ein integraler Bestandteil landwirtschaftlicher Protestbewegungen und frömmelnder Missionen war. Darüber hinaus erhielten die Gründungsväter der dänischen Liga in den 1930er Jahren den Status „Alte Kämpfer“ in den dänischen nationalsozialistischen und antisemitischen Parteien. Artikel der „Dansk Nationalt Tidsskrift“ wurden zitiert und wieder abgedruckt, und so erhielt der

Das ist der Jude! (Dietrich Eckart, 1920)

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dänische Antisemitismus eine historische Legitimation, die ein Abrücken von der problematischen Behauptung zur Folge hatte, dass der Antisemitismus ein nationalsozialistisches und folglich ein deutsches Phänomen sei. Der ehemalige „Dansk Nationalt Tidsskrift“-Herausgeber Brunøe trat 1935 in die Dänische Nationalsozialistische Partei, DNSAP, ein.

Sofie Lene Bak Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Sofie Lene Bak, Dansk Antisemitisme 1930–1945 [Dänischer Antisemitismus 1930–1945], Kopenhagen 2004. Bent Jensen, De fremmede i dansk avisdebat fra 1870’erne til 1990’erne [Ausländer in der dänischen Zeitungsdebatte von den 1870er bis zu den 1990er Jahren], Kopenhagen 2000. Morten Thing, De russiske jøder i København 1882–1943 [Die russischen Juden in Kopenhagen 1882–1943], Kopenhagen 2008.

Das ist der Jude! (Dietrich Eckart, 1920) In der von ihm redigierten Zeitschrift → „Auf gut deutsch“ veröffentlichte Dietrich Eckart (1868–1923) 1920 sein Traktat „Das ist der Jude!“ mit dem Untertitel „Laienpredigt über Juden- und Christentum“. Der Text erschien auch separat in einer Sonderausgabe. Die 62 Druckseiten starke Schrift argumentiert mit antijudaistischen Stereotypen wie dem Gottesmordvorwurf und mit Talmudhetze, um „jüdischen Charakter“ und „jüdisches Wesen“ zu brandmarken. Obwohl Eckart den Gegensatz von Juden und „Ariern“ betont, begründet er die Ablehnung der Juden nicht rassistisch, sondern subtiler auf kultureller und religiöser Ebene. Die Topoi vom auserwählten Volk, vom Rachegott, vom missverstandenen Gebot „Auge um Auge“ werden zum Beweis der Gefährlichkeit und des Dominanzstrebens der Juden angeführt und mit Zitaten aus der Literatur „bewiesen“. Als Kronzeugen gegen die Juden sind Kant, Goethe, Schopenhauer, Voltaire, Martin Luther, Giordano Bruno, Johann Eck u. a. angeführt; als Beweise der schlechten Eigenschaften der Juden dienen, sozusagen als Selbstzeugnisse, Textpassagen u. a. von Heinrich Heine oder Otto Weininger. Die im Wesentlichen kulturrassistische Denunziation des jüdischen Volkes als minderwertig, falsch, verlogen folgt der Absicht, die „dämonische Wesensart der Juden“ als Wirkung ihrer Religion zu beweisen. Die Schrift entstand unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs und der in Bayern lange nachwirkenden traumatisierenden Erfahrung der Revolution und der Münchner Räterepublik, die den Zeitgenossen als jüdische Machenschaften galten. Für die Entstehungszeit der Schmähschrift untypisch ist das Fehlen vulgärer völkisch-rassenantisemitischer Klischees; stattdessen erfolgte der Rückgriff auf antijudaistische Positionen. Wenn Eckart aber darauf beharrte, Christus sei keinesfalls jüdischer Abstammung gewesen, benützte er unterschwellig doch antisemitische Argumente, um sein Verdikt zu untermauern: „Zwischen allem Jüdischen und allem Nichtjüdischen klafft ein unüberbrückbarer Abgrund.“ Diese Haltung war nach vielen Richtungen anschlussfähig.

Wolfgang Benz

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The Dearborn Independent (USA, 1919–1927)

Literatur Claus-Ekkehard Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 1998.

The Dearborn Independent (USA, 1919–1927) Nach dem Ersten Weltkrieg nahm in den Vereinigten Staaten der Antisemitismus zu. Ob es die Einwanderungsfrage oder die Gefahr des „jüdischen Bolschewismus“ betraf, die Juden wurden zunehmend als Bedrohung betrachtet. Zur Verschärfung dieser Wahrnehmung trug allen voran der Automobilmagnat Henry Ford und seine Zeitung „The Dearborn Independent“ bei. Henry Ford hatte bereits 1916 die Idee gehabt, eine Zeitung zu gründen. Im November 1918 gründete er die „Dearborn Publishing Company“, bei der er als Präsident fungierte, seine Frau Clara als Vizepräsidentin, sein Sohn Edsel als Schatzmeister und Ernest Liebold als Generaldirektor. 1919 kaufte Ford die kleine Wochenzeitung „The Dearborn Independent“. Das Büro und die Druckpresse ließ er in einer Traktoren-Fabrik unterbringen. Jede Auflage hatte einen Artikel von Ford mit der Bezeichnung „Mr. Ford’s Own Page“. Die Zeitung umfasste sechzehn Seiten, hatte ein großes Format und kostete fünf Cent pro Exemplar oder einen Dollar pro Jahr. Ford legte zudem fest, dass jeder, der ein Ford-Auto kaufte, auch ein Zeitungsabonnement erwerben musste. Der erste Chefredakteur war Edwin G. Pipp (1868–1935), der sich sozialen Fragen zuwandte und der Zeitung anfangs eine ziemlich progressive Ausrichtung gab. Pipps Artikel handelten von der „modernen Frau“, Wohlfahrtsfragen sowie den Hoffnungen für die Zusammenarbeit der Großmächte für den Fortschritt der Menschheit. Bald wurden jedoch diese Themen immer mehr in den Hintergrund gedrängt, da Henry Ford eine besondere Thematik zum Brennpunkt der Zeitung machte. Ende 1919/Anfang 1920 fiel die Entscheidung, eine antijüdische Serie zu lancieren. Bald danach, Mitte April 1920, trat Pipp zurück und William J. Cameron von „Detroit News“ nahm seine Stelle ein. Cameron (1878–1955) war Mitglied der British Israel Bewegung, die eine stark antisemitische Ausrichtung hatte. Am 22. Mai 1920 startete mit dem Artikel „The International Jew: The World’s Problem“ auf der ersten Seite die antisemitische Kampagne der Zeitung. Es gab auch eine ständige Rubrik namens „Jüdische Weltnotizen“ (Jewish World Notes). Materialien für die Serie kamen z. B. von Detektiven in New York City und auch von ehemaligen Offizieren aus dem militärischen Geheimdienst. Die Kampagne dauerte bis zum 14. Januar 1922, nach einer kleinen Pause ist sie bis 1925 wieder aufgenommen worden. Kurz nach Beginn der Serie erhielt der Generaldirektor Liebold eine Fassung der → „Protokolle der Weisen von Zion“ und veröffentlichte diese im „Dearborn Independent“. Tagelang konnte man in Fords Zeitung über die „jüdische Frage“ als Weltproblem lesen. Die Juden waren als ein „Welträtsel“ beschrieben, die „Krieg führen und Frieden schließen können“, sie könnten „die Anarchie befehlen“ und die „Ordnung wiederherstellen“. Die Juden seien eine Gefahr für Amerika, da sie die meisten Kaufhäuser, Banken und Zeitungen kontrollierten. Sie würden die Jugend in Amerika kor-

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rumpieren durch Film und Jazz-Musik („moron music rubbish“) sowie Theater und Film kontrollieren, um das breite Publikum zu beeinflussen. Zu Beginn der Kampagne stieg die Auflage von 70.000 auf 300.000 und erreichte schließlich 700.000 Exemplare, wodurch „Dearborn Independent“ zur zweitgrößten Zeitung in Amerika wurde. Fords Ambitionen gingen nun weiter: Er sammelte die antisemitischen Artikel und ließ diese in vier Bänden mit dem Titel → „The International Jew“ publizieren. Deren Auflage in den USA wird auf einige Hunderttausend bis zu zehn Millionen Exemplaren geschätzt. Sie wurden in 16 Sprachen übersetzt und weltweit in Millionenhöhe verkauft. Am 30. Juni 1927 ist eine Entschuldigung (von Louis Marshall, Leiter des American Jewish Committee, geschrieben) von Henry Ford weltweit veröffentlicht worden. Ob Henry Ford seinen Antisemitismus aufgegeben hat, weiß man nicht genau. Elf Jahre später, am 30. Juli 1938 erhielt er vom deutschen Botschafter in Cleveland den höchsten Orden des Dritten Reichs für Ausländer, das „Großkreuz des Deutschen Adlerordens“. Er hat es nie zurückgegeben. Henry Fords „Dearborn Independent“ reflektierte nicht nur das zunehmend antisemitische Klima in Amerika nach dem Ersten Weltkrieg, sondern trug wesentlich zur Verbreitung des Antisemitismus bei.

Richard E. Frankel

Literatur Neil Baldwin, Henry Ford and the Jews: The Mass Production of Hate, New York 2001.

Decretum de consociatione vulgo „Amici Israel“ abolenda → Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“

Défense de l’Occident (Frankreich, 1952–1982) „Défense de l’Occident“ [Verteidigung des Abendlandes] war mit insgesamt 258 Ausgaben in 30 Jahren (1952–1982) eine der langlebigsten rechtsextremen Zeitschriften überhaupt. Die „wichtigste Zeitschrift der französischen extremen Rechten nach dem Zweiten Weltkrieg“ (Jean-Yves Camus und René Monzat) hatte bedeutenden Anteil an der Bildung europaweiter neonazistischer Netzwerke sowie an der Verbreitung geschichtsrevisionistischer Inhalte einschließlich der Leugnung des Holocaust. Der Publizist Maurice Bardèche (1907–1998), der sich bereits in den 1930er Jahren als Literaturkritiker und Hochschullehrer sowie als antisemitischer Intellektueller einen Namen gemacht hatte, gründete die Zeitschrift „Défense de l’Occident“ im Jahr 1952. Der Titel geht auf einen gleichnamigen Essay des Literaturkritikers Henri Massis (1886–1970) aus dem Jahr 1927 zurück, in welchem dieser einer autoritären Staatsführung, traditionellen sozialen Hierarchien und katholisch begründeter Ablehnung der Moderne das Wort redete. Als größte Gefahren für das Abendland hatte Massis, ein wirkmächtiger Anhänger von Charles Maurras und der „Action Française“, „Bolschewismus“ und „Orientalismus“ ausgemacht. Die Anliegen der Zeitschrift – die europaweite Verbreitung faschistischer Ideen und antisemitischer Ideologie, die Apologie Hitlers und des Nationalsozialismus sowie die Leugnung des Holocaust – sind eng mit der Biografie Bardèches verbunden: Sein Schwager Robert Brasillach (1909–1945), der sich als antisemitischer Propagandist (u. a. bei der Zeitschrift → „Je

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suis partout“) und Bewunderer der Nationalsozialisten während der Besatzungszeit hervorgetan hatte, war dafür im Februar 1945 hingerichtet worden. Zwar hatten Brasillach und Bardèche schon 1935 gemeinsam eine antisemitische → „Histoire du cinéma“ [Geschichte des Kinos] veröffentlicht, doch hatte sich Bardèche im Gegensatz zu seinem Schwager nicht öffentlich für die Nationalsozialisten und das Vichy-Regime engagiert, wiewohl er ihre Ziele teilte und nach 1945 nicht mit apologetischer Heldenverehrung sparte – sein Buch „Nuremberg ou la terre promise“ (dt. „Nürnberg oder das Gelobte Land“) von 1948 brachte ihm sogar eine einjährige Freiheitsstrafe ein, jedoch wurde er bereits nach wenigen Tagen Haft begnadigt. „Défense de l’Occident“, ursprünglich als Sammelbecken für europäische und internationale Gruppen gedacht, die sich einem „nationalen Sozialismus“ verschrieben hatten, konnte sehr schnell ihre Auflage und ihren Leserkreis vergrößern, da sie vor allem aktuelle Beiträge zur internationalen Politik oder zur Situation rechtsextremer Gruppierungen in Europa druckte und sie nicht über Gebühr mit nostalgischen Rückblicken auf den Nationalsozialismus und die Besatzungszeit vermischte. Die von Bardèche im Selbstverlag publizierten einzelnen Ausgaben, die im Kleinformat und in bescheidener drucktechnischer Qualität auf jeweils ca. 100 Seiten meist kürzere Essays beinhalteten, hatten zum Teil thematische Schwerpunkte (z. B. „Robert Brasillach“, Februar 1955; „Les nouveaux Communistes“ [Die neuen Kommunisten], Januar 1968). Revisionismus in Form historischer Betrachtungen wurde auch in Sonderheften mit Titeln wie „Crimes de guerre des alliés?“ [Kriegsverbrechen der Alliierten?] (Mai 1965) verbreitet. Charakteristisch für die Zeitschrift war ihre antisemitische Ausrichtung. Sieht man von katholisch-traditionalistischer Judenfeindschaft ab, die sich nur selten in der Zeitschrift bemerkbar machte, zeigte sich Antisemitismus in „Défense de l’Occident“ in vielen Facetten – als vermeintlich antizionistische Anklage gegen die israelische Politik, als Konstrukt einer „jüdischen Weltverschwörung“, als historische Rechtfertigung der antijüdischen Politik des Vichy-Regimes oder als Leugnung des Holocaust. Entsprechend setzte sich auch der Kreis der Autoren zusammen, der von Anfang an Altund Neofaschisten, Rechtsextremisten, Antisemiten, Revisionisten und Holocaustleugner jeglicher Couleur einschloss. Neben Bardèche gehörten NS-Kollaborateure wie Henry Coston (1910–2001) und der ehemalige Generalkommissar für Judenfragen Xavier Vallat (1891–1972) genauso dazu wie François Duprat (1940–1978), Gründungsmitglied des Front National und eine der bedeutendsten Figuren der französischen extremen Rechten der 1960er und 1970er Jahre, der im Juli 1967 das Heft „L’Agression israélienne“ [Die israelische Aggression] herausgab. Auch italienische, deutsche, skandinavische, britische und sogar US-amerikanische Autoren schrieben für die Zeitschrift, darunter Intellektuelle der „Neuen Rechten“ wie Alain de Benoist (unter dem Pseudonym „Fabrice Laroche“), Holocaustleugner wie Paul Rassinier (1906–1967), Robert Faurisson und Austin J. App (1902–1984), Alt-Nazis wie Thies Christophersen (1918–1997), Heinz Roth (1913–1978), Lucien Rebatet (1903–1972) oder der rumänische Politiker Horia Sima (1907–1993), Mitglied der Eisernen Garde und 1944/45 Chef der rumänischen Exilregierung von Hitlers Gnaden. Auch Massis, der aktiv in der Vichy-Regierung mitgearbeitet, die Kollaboration mit den deutschen Besatzern stets verteidigt hatte und der Zeitschrift ihren Namen gab, zählte zu den Au-

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toren. Dass die Propagierung rechts-nationalistischer und NS-apologetischer Ideen in „Défense de l’Occident“ durchaus gesellschaftsfähig sein konnte, zeigt der Fall Massis besonders deutlich, wurde er doch 1960 ungeachtet seiner politischen Biografie zum Mitglied der Académie Française gewählt. Gelegentlich täuschte die Zeitschrift aber auch hinsichtlich der Identität ihrer Autoren und ihrer vermeintlich breiten Verankerung in der Gesellschaft. So wurden, wie im Falle des Heftes „Les nouveaux Communistes“, gelegentlich auch ganze Ausgaben von ein und demselben Autor geschrieben (hier: Duprat), jedoch mehrere Pseudonyme angegeben. Der Zeitschrift kommt durch die Propagierung des Faschismus sowie durch den Aufbau und die Pflege von transnationalen Kontakten zwischen Protagonisten der extremen Rechten große Bedeutung insbesondere für den französischen und westeuropäischen Rechtsextremismus der Nachkriegszeit zu. Indem sie sich als frühe Plattform für Holocaustleugnung positionierte, schlug „Défense de l’Occident“ gleichzeitig aber auch eine Brücke zu Antisemiten und Holocaustleugnern wie Rassinier, die auf der extremen Linken zu finden waren. Die unverhohlen rechtsextreme Ausrichtung Bardèches und der Zeitschrift führten teilweise jedoch auch dazu, dass Holocaustleugner, die um ein seriöses Erscheinungsbild bemüht waren, sich von „Défense de l’Occident“ distanzierten. Beispielsweise wies Faurisson, der hier im Juni 1978 den Text „Le problème des chambres à gaz“ [Das Problem der Gaskammern] veröffentlichte, im gleichen Atemzug darauf hin, dass „er selbstverständlich für die politischen Ansichten derer, die ihn veröffentlichen, nicht bürgt“. Und auch der als erster pseudowissenschaftlicher Holocaustleugner geltende Arthur R. Butz (→ „Der Jahrhundert-Betrug“) nannte „Défense de l’Occident“ ein „obskures neofaschistisches Blatt“. Andere zitierten hingegen ohne Scheu Artikel wie Duprats „Le mystère des chambres à gaz“ [Das Rätsel der Gaskammern] (Juni 1967). Es waren wirtschaftliche Gründe, die Bardèche im Dezember 1982 nach insgesamt 30 Jahren dazu bewogen, seine Zeitschrift einzustellen. Zwar war es ihm und den diversen Chefredakteuren – darunter de Benoist und Duprat – gelungen, „Défense de l’Occident“ als wichtigstes Forum der französischen extremen Rechten zu etablieren und trotz aller Veränderungen der Rahmenbedingungen einen treuen, langjährigen Stamm von Autoren um sich zu scharen – gleichwohl war der Leserkreis seit Ende der 1960er-Jahre aber kontinuierlich geschrumpft.

Christian Mentel/Bjoern Weigel

Literatur Jean-Yves Camus, René Monzat, Les Droites nationales et radicales en France, Lyon 1992. Valérie Igounet, Histoire du négationnisme en France, Paris 2000. James G. Shields, The Extreme Right in France. From Pétain to Le Pen, New York 2007. Pierre Vidal-Naquet, Limor Yagil, Holocaust Denial in France. Analysis of a Unique Phenomenon, Jerusalem 1995.

Demokratisches Kampfmittel gegen ausländische Unterwanderung → HALT

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Deutsch-Soziale Blätter (1890–1914)

Deutsch-Soziale Blätter (1890–1914) Die von Theodor Fritsch im Oktober 1885 zunächst als „Antisemitische Correspondenz“ gegründete Zeitung „Deutsch-Soziale Blätter“ erschien vom 1. Januar 1890 bis zum 17. Oktober 1914 wöchentlich in Leipzig und war in dieser Zeit das offizielle Parteiorgan der antisemitischen Deutschsozialen Partei. Die „Deutsch-Sozialen Blätter“ waren während ihrer gesamten Erscheinungszeit offen antisemitisch. Das Motto der Zeitung war der von Otto Glagau, einer der zentralen Vertreter des modernen Antisemitismus, geprägte Spruch „Die soziale Frage ist heute wesentlich Juden-Frage“. Ihr Inhalt bestand zum großen Teil aus mehreren Seiten langen Aufsätzen, die die Stellung und den angeblichen Einfluss der Juden in Geschichte und Gegenwart, innerhalb der Gesellschaft im Allgemeinen und in Wirtschaft und Politik im Besonderen zum Thema hatten. Hinzu kamen oft Texte der Reden von Abgeordneten im Deutschen Reichstag zu antisemitischen Themen, meist von Mitgliedern der Deutschsozialen Partei. In der Rubrik „Nachrichten aus der Partei“ wurden zudem kurze Meldungen rund um das politische Wirken der Deutschsozialen Partei gesammelt. Unter der Überschrift „Mosaik“ fand sich in jeder Ausgabe eine Sammlung kurzer Meldungen zu allgemeinen Missständen im Deutschen Reich und angeblichen Untaten jüdischer Bürger sowie Anprangerungen von judenfreundlichen Maßnahmen und Personen. Während sich der Großteil des Inhalts regional auf Ereignisse und Themen innerhalb des Gebiets des Deutschen Kaiserreichs beschränkte, gab es auch einen Abschnitt, der sich mit antisemitischen Nachrichten aus dem Ausland befasste. Hinzu kamen Buchbesprechungen einschlägiger judenfeindlicher Werke und in der Rubrik „Briefkasten“ veröffentlichte Leserbriefe. Erwähnenswert sind auch die in der Zeitung abgedruckten Werbeanzeigen, da bei diesen offensichtlich darauf geachtet wurde, dass nur für rein „deutsche“ Unternehmen und Organisationen geworben wurde, was sich an häufig zu findenden Formulierungen erkennen lässt. So wies z. B. ein Schneider darauf hin, dass Juden bei ihm nicht einkaufen würden, ein Weinhändler distanzierte sich selbst von der „verjudeten“ Konkurrenz, eine Buchhandlung warb mit ihren umfangreichen „Antisemitica“ und ein „Gesinnungsgenosse“ suchte nach einer Stelle, wo er seine „antisemitischen Überzeugungen“ offen aussprechen könne. Außerdem wurden oft spezifisch antisemitische Produkte beworben, neben entsprechenden Publikationen und Zeitungen auch Flugblätter, Ringe, Brustnadeln, Kalender, Bierkrüge, Pfeifen und Siegelmarken mit Aufschriften wie „Kauft nicht bei Juden“. Die Publikationsgeschichte der „Deutsch-Sozialen Blätter“ ist eng mit Entstehung und Entwicklung der antisemitischen Deutschsozialen Partei verknüpft, die 1889 auf dem Bochumer Antisemitentag von Max Liebermann von Sonnenberg, Theodor Fritsch und Paul Förster gegründet wurde. Fritsch, der wohl erfolgreichste antisemitische Verleger des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, stellte die von ihm 1885 als eine Art Diskussionsforum über Ziele und mögliche Methoden des Antisemitismus gegründete Zeitung „Antisemitische Correspondenz“ zunehmend in den Dienst der neu gegründeten Partei und gab sie ab 1890 parallel mit dem Titel „Deutsch-Soziale Blätter“ als offizielles Parteiorgan der Deutschsozialen Partei in Leipzig heraus.

Deutsche Antisemiten-Chronik (1894)

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Fritsch isolierte sich innerhalb der konservativen Deutschsozialen Partei allerdings zunehmend durch seine radikalen Sichtweisen, vor allem in der Frage der Haltung der Partei zur christlichen Religion. Nachdem Fritsch 1893 nach Streitigkeiten sämtliche Parteiämter niedergelegt hatte und anschließend sogar aus der Partei ausgeschlossen wurde, zog er sich 1894 zunehmend aus dem politischen Geschäft zurück und verkaufte die „Deutsch-Sozialen Blätter“ an Max Liebermann von Sonnenberg, den Parteivorsitzenden der Deutschsozialen Partei, der sie ab dem 20. September 1894 unter seinem Namen herausgab. Unter ihm verlor die Zeitung jedoch, vermutlich durch Liebermanns konservativeren Journalismus, schnell den Großteil ihrer Leser; von ursprünglich rund 7.200 Abonnenten waren bald nur noch wenige Hundert übrig. Die „Deutsch-Sozialen Blätter“ waren in der Folgezeit auch das offizielle Parteiorgan der Deutschsozialen Reformpartei, die im Oktober 1894 durch die Fusion der Deutschsozialen Partei mit der Deutschen Reformpartei entstand, sich im September 1900 wegen zunehmender interner Streitigkeiten allerdings wieder auflöste. Die „Deutsch-Sozialen Blätter“ blieben hiernach das Organ der neu gegründeten Deutschsozialen Partei und der 1914 durch einen erneuten Zusammenschluss mit der Deutschen Reformpartei entstandenen Deutschvölkischen Partei, unter der sie schließlich ab dem 17. Oktober 1914 als → „Deutschvölkische Blätter“ erschienen.

Sebastian Thoma

Literatur Richard S. Levy, The Downfall of the Anti-Semitic Political Parties in Imperial Germany, New Haven, London 1975. Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache–RasseReligion, Darmstadt 2001. Justus H. Ulbricht, Das völkische Verlagswesen im deutschen Kaiserreich, in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 277–301.

Deutsche Annalen → Druffel Verlag

Deutsche Antisemiten-Chronik (1894) Die „Deutsche Antisemiten-Chronik 1888 bis 1894“ erschien als Abwehrschrift gegen den Antisemitismus 1894 mit dem Untertitel „Eine Sammlung von Thatsachen zur Unterhaltung und Belehrung von Jedermann“. Das Buch wurde von einem oder mehreren anonymen Verfassern zusammengestellt und erschien im Zürcher Verlags-Magazin J. Schabelitz, das neben Lyrik und Prosa auch sozialistische und kommunistische Schriften, insbesondere politischer Flüchtlinge und Oppositioneller aus Deutschland herausgab. Viele der von Schabelitz verlegten Autoren verbargen sich wegen der im Deutschen Reich herrschenden Zensur hinter Pseudonymen oder in der Anonymität. Einen Verweis darauf stellt die Erwähnung im Vorwort der „Antisemiten-Chronik“ dar, weiteres „Beweismaterial“ für die Erstellung neuer Auflagen sei, zusammen mit Belegen, direkt an die Verlagshandlung in Zürich zu senden. Die „Chronik“ gibt laut eigener Aussage einen Überblick „über die wichtigsten Vorkommnisse aus der Geschichte“ der antisemitischen Bewegung. Dabei handle es sich „im Wesentlichen nur

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Deutsche Antisemiten-Chronik (1894)

um die übersichtliche und handliche Zusammenstellung eines durchweg bereits veröffentlichten Materials“, weshalb „von einem Verfasser [...] nicht wohl die Rede sein und sich ein solcher also auch nicht nennen“ könne. Ziel sei es, dem Leser zur „Gewinnung eines richtigen Urtheils über den Antisemitismus und seine Vertreter“ zu verhelfen, wobei sämtliche Aussagen dank der Quellenangaben leicht überprüft werden könnten. Inhaltlich stellt die „Chronik“ in erster Linie eine Sammlung antisemitischer Presseberichte und sonstiger antisemitischer Erzeugnisse, Äußerungen und Aktivitäten dar. Sie beginnt mit dem Januar 1888 und endet mit zwei Eintragungen aus dem März 1894. Der Fokus liegt dabei auf Ereignissen in Berlin, was gemeinsam mit der Ortsangabe unter dem Vorwort eine Urheberschaft in Berliner Kreisen nahelegt. Die Zeitungsschau, die einen großen Teil der „Chronik“ ausmacht, beinhaltet Berichte aus den bedeutendsten antisemitischen Blättern der Zeit, wie der → „Kreuzzeitung“, der → „Staatsbürger-Zeitung“, den → „Deutsch-Sozialen Blättern“, dem → „Reichs-Herold“ sowie zahlreichen weiteren Organen. Dabei wird nicht immer rein chronologisch verfahren, sondern bisweilen auch auf spätere Entwicklungen und Aussagen hingewiesen, die den Artikeln widersprechen oder sie in ein anderes Licht stellen. Zudem konterkariert der Verfasser die antisemitischen Artikel oftmals mit Gegendarstellungen, offiziellen Gerichtsurteilen und Stellungnahmen gegen den Antisemitismus die die Behauptungen der Antisemiten widerlegen und nicht selten als offensichtliche Fälschungen und Lügen entlarven. Neben Zeitungsartikeln und Büchern werden zudem auch judenfeindliche Flugblätter, Reden und Agitationsreisen sowie Ausschreitungen und Angriffe auf jüdische Personen und Institutionen dokumentiert. Der Großteil der „Chronik“ befasst sich mit Berichten über die „Führungspersönlichkeiten“ der antisemitischen Bewegung, wie unter anderem Hofprediger Adolf Stoecker, Hermann Ahlwardt, den „hessischen Bauernkönig“ Otto Böckel, Paul Förster, August Rohling, Theodor Fritsch, Max Liebermann von Sonnenberg, Hans Leuß, Eugen Dühring und Ernst Henrici. Einerseits werden ihre politischen und agitatorischen Bestrebungen und Ergüsse beleuchtet, die meist auf Fälschungen, Lügen und Diffamierungen aufbauten. Andererseits werden ihre persönlichen sittlichen und moralischen Verfehlungen dokumentiert und durch Anführung ihrer Vorstrafenregister und diverser Gerichtsurteile belegt. Dabei fällt neben häufigen Anklagen wegen Betruges, Verleumdung und unsittlichen Verhaltens insbesondere die notorische Geldknappheit und Verschuldung einiger der wichtigsten Persönlichkeiten auf, denen vorgeworfen wird, sich durch ihre antisemitische Agitation persönlich bereichern zu wollen. Ein weiterer thematischer Bestandteil widmet sich den zahlreichen antisemitischen Bündnissen und Versammlungen, Parteitagen und „Kongressen“, wobei ausführlich über die Kontroversen und Uneinigkeiten innerhalb der Bewegung berichtet wird und die häufigen Streitereien, die nicht selten in groben Auseinandersetzungen und Tumulten endeten, ironisiert werden. Trotz des selbst auferlegten Anspruchs auf Dokumentation greift der Verfasser bisweilen ergänzend, interpretierend und deutend ein und äußert sich an verschiedenen Stellen wertend. Dies wird insbesondere in den Schlussworten ersichtlich, in denen er „auf Grund der vorstehend zusammengestellten Thatsachen“ resümiert, der Antisemitismus wäre berechtigt, „wenn die Juden (was nicht der Fall ist) in ihrer Mehrzahl von

Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Heinrich von Treitschke, 1879–1894)

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derjenigen sittlichen Beschaffenheit wären, die wir bei fast allen in der Öffentlichkeit hervorgetretenen Antisemiten finden“. Die angeführten Quellenangaben sind trotz des Anspruchs auf Belegbarkeit oftmals ungenau. Auffallend ist die bisweilen starke inhaltliche Übereinstimmung mit den „Mittheilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus“. So wird die Berichterstattung der „Chronik“ ab November 1891, dem Zeitpunkt, als die wöchentlichen „Mittheilungen“ erstmals erschienen, nicht nur ausführlicher, sondern übernahm Textpassagen der „Mittheilungen“ fast wörtlich und ohne Verwendung von Anführungszeichnen. Im Gegenzug verwies die Nr. 42 der „Mittheilungen“ vom 19. Oktober 1895 auf die „Chronik“, um ein Gerichtsurteil gegen Liebermann von Sonnenberg aus dem Jahre 1888 zu belegen. Im Wesentlichen porträtiert die „Deutsche Antisemiten-Chronik“ die antisemitische Bewegung des auslaufenden 19. Jahrhunderts als zerstrittene Ansammlung gescheiterter Existenzen, die über kein politisches Programm verfügten und zur Umsetzung ihrer Ziele auch vor gesetzeswidrigen und unmoralischen Mitteln nicht zurückschreckten. Dabei gibt die „Chronik“ Einblicke in Formierungs- und Differenzierungsprozesse der antisemitischen Bewegung sowie in deren Verortung innerhalb der Parteilandschaft. Neben den Bemühungen um politische Einflussnahme und den Versuchen, sowohl die gemäßigten Parteien als auch die Arbeiterschaft für ihre Zwecke zu gewinnen, werden vor allem die angestrebten Bündnisse und Vereinsbildungen sowie die internen Machtkämpfe beleuchtet.

Carl-Eric Linsler

Deutsche Geschichte → Druffel Verlag

Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Heinrich von Treitschke, 1879–1894) Mit seiner zwischen 1879 und 1894 erschienenen fünfbändigen „Deutschen Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“, einer unvollendet gebliebenen, vom Wiener Kongress bis zur Revolution von 1848 reichenden Darstellung, hat der Berliner Historiker Heinrich von Treitschke das historische Gedächtnis in Deutschland und die politischen Einstellungen des deutschen Bürgertums nachhaltig geprägt. Treitschke ging es darum, dem in einer Zeit politischer Umbrüche und staatlicher Neuordnungen orientierungslosen, gebildeten Zeitgenossen ein neues, auf die Führungsrolle Preußens in Deutschland zugespitztes nationalistisches Geschichtsbild zu vermitteln. Mit seinem Herausschreiben Österreichs aus der deutschen Geschichte hatte Treitschke einen bleibenden, noch das heutige Geschichtsbewusstsein in Deutschland bestimmenden Einfluss. Der enorme publizistische Erfolg seiner „Deutschen Geschichte“ entsprach ganz den Intentionen Treitschkes, auf Politik und Öffentlichkeit einzuwirken, es ging ihm darum, wie er im Vorwort zum ersten Band schrieb, dem „wiedervereinigten Volke“ eine „gemeinsame nationale Geschichtsüberlieferung“ zu schaffen. Schon 1860, politisch noch liberal eingestellt, hatte Treitschke mit dem Verleger Salomon Hirzel einen Vertrag für eine neue zeitgeschichtliche Darstellung des Deutschen Bundes von 1815 bis 1848 geschlossen, doch erst im Frühjahr 1878, mittlerweile auf den Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Berlin berufen, nahm er das

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Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Heinrich von Treitschke, 1879–1894)

Werk in Angriff. Im Frühjahr 1879, mithin ein halbes Jahr bevor er in den von ihm herausgegebenen → „Preußischen Jahrbüchern“ mit dem Aufsatz → „Unsere Aussichten“ den sogenannten Berliner Antisemitismusstreit eröffnete, konnte er den ersten Band der Öffentlichkeit übergeben, in dem er den Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und die Entstehung des Deutschen Bundes schilderte. Judenfeindliche Bemerkungen finden sich in diesem Band nicht. Vielmehr würdigt Treitschke die Aufnahme der aus Wien vertriebenen Juden in Berlin, mit der die neuere Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt begann, ebenso wie das preußische Emanzipationsedikt von 1812, durch das die Juden in Preußen zu „vollberechtigten Staatsbürgern“ wurden. Auch kritisierte er, dass auf dem Wiener Kongress die Rechte der Juden wieder eingeschränkt worden waren, und unmissverständlich wies er die in der Berliner Romantik aufgekommene neue Judenfeindschaft zurück. „Ein finsterer Judenhaß“, so Treitschke, habe „die weitherzige Duldsamkeit der fridericianischen Tage“ verdrängt. Unmittelbar nachdem er den ersten Band veröffentlicht hatte, veränderte sich Treitschkes Judenbild jedoch grundlegend. Erschüttert hatte ihn vor allem die Lektüre des elften Bandes der „Geschichte der Juden“ von Heinrich Graetz, in dem dieser dafür plädiert hatte, dass die Juden in Deutschland auch ihre besonderen Interessen in dem neuen deutschen Nationalstaat vertreten sollten. Er finde kaum Worte, so schrieb Treitschke in einem Brief, um seinen „Ekel“, der ihn bei der Lektüre dieses Buches erfasst habe, „auszusprechen“. In derselben Zeit, in der Treitschke sich in der breiten öffentlichen Debatte über die Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Nation engagierte, schrieb er am zweiten, 1882 abgeschlossenen Band seiner „Deutschen Geschichte“. Mit diesem, auf die Anfänge des Deutschen Bundes konzentrierten Band färbte sich das Geschichtsbild von Treitschke antisemitisch ein. So warf Treitschke den Juden darin vor, dass nur ein Teil in den Befreiungskriegen „patriotischen Eifer“ gezeigt hätte. Die „Masse der deutschen Israeliten“ beschuldigte er, noch „tief im Schacher und Wucher“ zu stecken. Gleichzeitig meinte er die „Geldmacht“ großer jüdischer Firmen, die „mit protzenhaftem Übermut“ aufträten, auszumachen. „Der Haß wider die Juden“ sei so stark und allgemein gewesen, dass die öffentliche Meinung „fast einstimmig gegen sie Partei“ ergriffen habe und der alte Hass und „Groll über die schweren Wuchersünden der jüngsten Vergangenheit“ in den Hep-Hep-Unruhen ausgebrochen sei. Dieser Band bedeutete aber nicht nur die Aufnahme des Antisemitismus in das Geschichtswerk Heinrich von Treitschkes, er führte zugleich zum Bruch mit seinen einstigen liberalen Weggefährten, und Treitschke suchte mit ihm seine Leser auf ein konservativ-nationalistisches Geschichtsbild festzulegen. Der dritte, 1885 vorgelegte und auf die Zeit von den 1820er Jahren bis zur Julirevolution 1830 bezogene Band enthielt nun nicht mehr nur einzelne antisemitische Passagen, sondern eigene Abschnitte, in denen er „Die Judenfrage“ und den „Einbruch des Judentums“ darstellte. Mit Zustimmung schildert er die auf den preußischen Landtagen erhobene Forderung, gegen die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa einzuschreiten. Dabei spricht er von der „Landplage der schnorrenden und schachernden Einwanderer“, die, ein Motiv aus der Schrift „Unsere Aussichten“ aufgreifend, „aus der polnischen Wiege des deutschen Judentums jahraus jahrein westwärts“ zögen. Zu-

Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Heinrich von Treitschke, 1879–1894)

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gleich diffamiert er die sogenannten Wucherjuden, die sich in Scharen in Deutschland „eingenistet“ hätten als „Aasvögel des deutschen Bauernelends“, und das „vaterlandslose Judentum“ beschuldigte er, „sich als Nation innerhalb der Nation“ zu gebärden. Vier Jahre später legte Treitschke den vierten, auf die 1830er Jahre bezogenen Band vor, eine Zeit, in der für ihn die neuen Weltmächte Großindustrie, Börse und Judentum ihre Herrschaft angetreten hätten. Auch in diesem Band beschuldigte Treitschke die literarischen Strömungen der Zeit, insbesondere das „Junge Deutschland“. „Alles war jüdisch in dieser Bewegung“, so sein Verdikt. Der „jüdische Geist“ habe in diesen Jahren einen „Einfluß auf die deutsche Literatur“ gehabt wie nie zuvor. „Wenn der Pöbelwahn des Mittelalters“, so Treitschke in diesem Band, „die Juden fälschlich der Brunnenvergiftung beschuldigt hätte, so müsse die alte Anklage jetzt mit vollem Rechte auf dem Gebiet der Literatur erneuert werden.“ 1894 schließlich folgte der fünfte und letzte Band, in dem Treitschke die Jahre von 1840 bis 1848 darstellte. An dieser Zeit des liberalen Aufbruchs stieß sich Treitschke vor allem an der großen Zahl „der israelitischen Zeitungsschreiber“. Neben den wiederholten Anschuldigungen über die von Juden beherrschte Presse klagte Treitschke über die Macht der Juden im Bankwesen. Die „neue internationale Partei des Großkapitals“ habe nach Treitschke „ihre natürliche Stütze an dem vaterlandslosen Judentum“ gefunden. Und schließlich sprach Treitschke in diesem Band der „Deutschen Geschichte“ von der Verbindung der goldenen und der roten Internationale, die begonnen hätten sich zu organisieren. Im Abschnitt über die Debatte des preußischen Landtags von 1847 zum Entwurf des „Gesetzes über die Verhältnisse der Juden“ fasste Treitschke seine antisemitischen Positionen zusammen und nutzte diese Gelegenheit zugleich für eine Abrechnung mit dem Liberalismus. Die Juden in Preußen setzten sich nach Treitschke vor allem aus „Wucherern“, „Hausierern und Schnorrern, Hehlern und Stehlern“ zusammen. „Diese Hefe des Judentums“, so führte er aus, „saß vornehmlich im Großherzogtum Posen, in ihr hatte sich aller Schmutz der polnischen Geschichte abgelagert.“ Dass die Forderung nach der Emanzipation der Juden von den liberalen Zeitgenossen unterstützt wurde, zeige nach Treitschke nur, wie sehr sich das Judentum schon in Deutschland „eingefilzt“ habe. Zwei Jahre nach dem Erscheinen des fünften Bandes starb Treitschke, sodass er seine zeitgeschichtliche Darstellung nicht fortführen konnte. Treitschkes Ziel war es, wie er in einem Brief formulierte, „die verirrte öffentliche Meinung wieder zur Besinnung zu bringen“. Politik bildete das Zentrum seiner „nationalen Arbeit“. Von allen Teilen der Gesellschaft forderte Treitschke die Unterordnung gegenüber dem Staat, die Eingliederung in die hierarchische soziale Ordnung und die Übernahme der gemeinsamen nationalistischen Leitkultur. Heinrich von Treitschkes Antisemitismus war weder religiös noch völkisch noch rassistisch geprägt, sondern macht- und kulturpolitisch. Das zentrale Motiv war seine Angst vor jeglicher Form von Partikularismus und vor einer Gefährdung des von ihm exzessiv propagierten preußisch-deutschen Machtstaates. Treitschkes „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ gehörte seinerzeit zu den meist gelesenen historisch-politischen Büchern in Deutschland. Nach dem 1912/13 organisierten Nachdruck sind bis zu diesem Zeitpunkt vom ersten Band neun Auflagen, vom zweiten und dritten Band jeweils sieben, und vom vierten und fünften Band je

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Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (1841–1843)

sechs Auflagen erschienen. 1933 legte der Berliner Safari-Verlag eine gekürzte, einbändige Fassung mit einer Einleitung von Alfred Rosenberg vor. 1981 veröffentlichten der Athäneum und Droste-Verlag einen Reprint nach den Fassungen von 1912/13, und 2012 erschien noch einmal im Salzwasser-Verlag ein Nachdruck derselben Auflage.

Ulrich Wyrwa

Literatur Andreas Biefang, Der Streit um Treitschkes „Deutsche Geschichte“ 1882/3. Zur Spaltung des Nationalliberalismus und der Etablierung eines national-konservativen Geschichtsbildes, in: Historische Zeitschrift 262 (1996), S. 391–422. Uffa Jensen, Gebildete Doppelgänger. Bürgerliche Juden und Protestanten im 19. Jahrhundert, Göttingen 2005. Ulrich Langer, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998. Daniel R. Schwartz, From Feuding Medievalists to the Berlin Antisemitismusstreit of 1879– 1881, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 21 (2012), S. 233–261. Ulrich Wyrwa, Heinrich von Treitschke. Geschichtsschreibung und öffentliche Meinung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), 9, S. 781–792. Ulrich Wyrwa, Genese und Entfaltung antisemitischer Motive in Heinrich von Treitschkes „Deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert“, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 83–101.

Der Deutsche Heiland → Der Anticlericus Deutsche Hochschullehrerzeitung → Grabert-Verlag

Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (1841–1843) Vom 2. Juli 1841 bis 28. Januar 1843 erschien werktäglich das führende jung-hegelianische Periodikum „Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst“ unter der redaktionellen Verantwortung von Arnold Ruge im Verlag Otto Wigand in Leipzig. Um der Zensur durch den preußischen Staat zu entgehen, wurde das Vorgängerorgan – „Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst“ –, das seit 1839 erschienen und für libertäre Tendenzen bekannt war, Anfang Juli 1841 in „Deutsche Jahrbücher“ umbenannt, die Jahrgangszählung jedoch nahtlos fortgeführt – so blieb neben den gewohnten Inhalten auch äußerlich eine gewisse Kontinuität gewahrt. Zwischen dem 17. und dem 26. November, in den Ausgaben 274 bis 282, brachten die „Deutschen Jahrbücher“ unter dem Titel „Die Juden-Frage“ einen Aufsatz des Religionsphilosophen und -historikers Bruno Bauer. In dem Essay versucht Bauer, in sarkastischem Tonfall, durch theologische und politische Argumentation, zu beweisen, dass die Juden durch rechtliche Emanzipation nicht zu einem integralen Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft werden könnten. Ausgehend von Hegels Religionsphilosophie, versteht Bauer die „Religion der Hebräer“ als die niedrigste und historisch überholte Entwicklungsstufe des vom Judentum ausgehenden religiösen Erbes. Das Christentum dagegen verkörpere eine höhere Stufe der Entwicklung der Menschheit hin zu einem freien Bewusstsein. Die höchste

Die Deutsche Kämpferin (1933–1937)

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Stufe sei erreicht, wenn jeglicher religiöser Einfluss auf die Gesellschaft aufgehoben sei. Das Judentum, so Bauer, sei aufgrund seiner orientalischen Herkunft und seiner Bedeutungslosigkeit in der heutigen realen Welt historisch überholt, die Juden seien ein außerhalb der Zeit lebendes Volk ohne historische Existenzberechtigung in der Weltgeschichte. Obwohl Bauers Text sich als religionshistorische Abhandlung gibt, muss er vor allem als Polemik gegen zeitgenössische Forderungen nach Emanzipation der Juden verstanden werden. Die jüdische Tradition, argumentiert Bauer, sei prinzipiell unvereinbar mit individueller Freiheit und gesellschaftlicher Emanzipation, da auch aufgeklärte Juden an dem tradierten Anspruch der religiösen Auserwähltheit festhielten. Somit strebten sie letztlich nach Alleinherrschaft und führten einen Krieg gegen die Menschheit. Nur durch die Aufgabe ihres Judentums könnten sie als Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft aufgehen. Bauer versteht Emanzipation, im Gegensatz zu den meisten ihrer Befürworter, nicht etwa als einen formalen Prozess der Gewährung von Rechten durch den Staat, sondern als individuelle Säkularisierung. 1843 erschien der Aufsatz Bauers unter dem Titel → „Die Judenfrage“ und mit einem zusätzlichen Kapitel versehen als eigenständige Broschüre. Die Veröffentlichung rief eine Vielzahl an Reaktionen hervor – die bekannteste unter ihnen war der 1844 erschienene Aufsatz → „Zur Judenfrage“ von Karl Marx. Darin wirft Marx Bauer vor, seine Kritik bleibe einer theologischen Argumentation verhaftet und forderte statt der Aufhebung des Judentums die Emanzipation des Staates von der Religion im Allgemeinen und der Gesellschaft vom Politischen. Im Januar 1843 wurden die „Deutschen Jahrbücher“ zunächst in Sachsen, im Mai 1843 dann in allen Bundesstaaten verboten und in der Folge von den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ als Organ der Junghegelianer abgelöst.

Arnon Hampe

Literatur Lars Fischer, The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany, Cambridge 2007. Nathan Rotenstreich, For and against Emancipation. The Bruno Bauer Controvery, in: Leo Baeck Institute Year Book 4 (1959), S. 3–36.

Die Deutsche Kämpferin (1933–1937) „Die Deutsche Kämpferin“ wurde von Pia Sophie Rogge-Börner herausgegeben und trug den Untertitel „Stimmen zur Gestaltung einer wahrhaftigen Volksgemeinschaft“. Sie wandte sich nicht ausschließlich an Frauen, vielmehr sprach sie die gesamte NSElite an; auch sollten die „geistigen Führer beider Geschlechter“ zur Mitarbeit herangezogen werden. Aber lediglich ein Autor beteiligte sich regelmäßig, die meisten Mitstreiter waren Frauen, und vermutlich wurde die Zeitschrift auch größtenteils von Frauen gelesen. „Die Deutsche Kämpferin“ erschien erstmalig im April 1933 und wurde monatlich herausgegeben. Ein Jahresabonnement kostete sechs Reichsmark. Die Zeitschrift, die mit finanzieller Unabhängigkeit warb, hatte eine Auflage von 2.300 bis 2.700 Exemplaren; sie war hauptsächlich auf Berlin und andere Großstädte konzentriert und erschien zunächst im Adolf Klein Verlag, später im Hans Bott Verlag.

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Die Deutsche Kämpferin (1933–1937)

Die Schrift vertrat eine radikale Minderheitenposition innerhalb der NS-Aktivistinnen. Die Herausgeberin Rogge-Börner gehörte zu einer Gruppe von NS-Frauen, die einerseits die „alte“ Frauenbewegung verteidigte, andererseits aber deren patriarchales Frauenbild nicht teilte. Sie setzte sich konsequent von männerbündischen Positionen ab und verzichtete dabei weitestgehend auf eine besondere Rolle der Frau. Vielmehr forderte sie die volle gesellschaftliche Gleichberechtigung ein; dabei kritisierte sie in oft sehr scharfen Worten die Frauenpolitik der NSDAP. Im Mittelpunkt der Argumentation der Schriftleiterinnen, die sich selbst als Nationalsozialistinnen verstanden, stand ein germanisches „Frauentum“, das man sich als frei, gleich und hochgeachtet vorstellte. Die Volksgemeinschaft „germanischen Blutes“ könne auf Dauer nicht allein männerrechtlich geführt werden. Es entspräche dem „Germanentum“ bzw. dem „nordischen Menschen“, wenn auch heute wieder die Frauen zur nationalen Verteidigung aufgerufen würden. Mit dem Namensschriftzug „Die Deutsche Kämpferin“ auf dem Titelblatt, ergänzt durch eine Sigrune als Schwert, erschien die Zeitschrift immer nach gleichem Muster. Nach dem Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite folgte ein Zitat von Hitler oder Goebbels, aber auch von Nietzsche, Schiller oder Hölderlin. Diesem schloss sich der Textteil an, gefolgt von den Rubriken „Die vorderste Linie“, „Berichterstattung“ und „Schrifttum“. Thematisiert wurden immer Frauen, ihre Benachteiligungen kritisiert, besondere Berufe und Fähigkeiten hervorgehoben. Dass Frauen genauso gute oder sogar bessere Leistungen vollbringen können als Männer, zieht sich wie ein roter Faden durch die Zeitschrift. Breiten Raum nimmt Kritik ein: über die Entlassung von Frauen aus dem Schuldienst, das neue Ehescheidungsgesetz, ein Recht auf Arbeit auch für Frauen und Ähnliches. Dabei geht es jedoch nicht um alle Frauen. Jeder Artikel dient als Beweismaterial, dass nur die „nordische Frau“ ein Recht auf Gleichbehandlung in der Familie, auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik habe. Zwar wird nie klar gesagt, dass als „minderwertig“ definierte Frauen keine dieser Rechte hätten, aber die starke Hervorhebung der „nordischen Frau“ impliziert eine Ausgrenzung. Rogge-Börner versuchte, in ihrer Zeitschrift den rassistischen Nationalismus der Partei mit einem von ihr entwickelten elitären Feminismus zu verbinden, wobei die beiden Ideologien in ihrer Theorie vom „jüdisch-patriarchalischen“ Komplott gegen die „nordische Frau“ kulminieren (Crips). Veränderungen thematischer Schwerpunkte lassen sich in den viereinhalb Jahren des Erscheinens nicht erkennen; Hauptthema war immer die Forderung nach Gleichstellung von Mann und Frau „nordischer Rasse“, begründet mit einem diffusen „Germanenmythos“ und unterlegt mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen. Zwei der Themenbereiche sind identisch mit der staatlichen Ideologie – der offensive, stark xenophobe Nationalismus sowie Rassismus und Antisemitismus. Nur der dritte Bereich, der elitäre Feminismus, der für alle hochbegabten „nordischen“ Frauen den Zugang zu Schlüsselpositionen im NSStaat forderte, widersprach der herrschenden Ideologie. Antidemokratisch ist die Zeitschrift wegen ihrer Ausfälle gegen die Weimarer Republik. Sie nimmt das „jüdisch-bolschewistische Element ebenso aufs Korn wie den individualistischen Liberalismus“, dem sie „die unverfälschte Demokratie der nordischen Gemeinschaft“ entgegensetzt. Diese ist laut Rogge-Börner auf dem Prinzip „einer absoluten Gleichheit aller, die gleichen Blutes, also gleicher Artwertigkeit waren“,

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aufgebaut (September 1933). Der ursprünglich reinen „nordischen Herrenrasse“, so Rogge-Börner, wurde durch Römer und Juden ein „orientalisches“, das heißt „patriarchalisches“ Recht aufgezwungen, das Ursprung der gegenwärtigen Dekadenz sei. Der Liberalismus verberge die Einzigartigkeit und Überlegenheit der „nordischen Rasse“. Die „absolute Gleichheit aller, die gleichen Blutes“ sind, schloss aber nicht nur „fremdgeartete“ aus, sondern auch Kommunisten, da diese „jüdisch-bolschewistische Elemente“ seien. Studienrätin Sophie Philipps, regelmäßige Mitarbeiterin der Zeitschrift, empörte sich in einem Artikel von 1934 gegen die Beleidigung weiblicher Reichstagsabgeordneter durch NS-Würdenträger, die es wagten, diese Frauen öffentlich „Megären“ zu nennen. Sie schreibt: „Dieser Ausdruck kann einzig und allein auf die Kommunistinnen Anwendung finden, die nach den Grundsätzen in ihrer Partei zu dem Habitus der Genossen Scholem und Katz verpflichtet waren.“ (April 1934). Der Themenbereich Antikommunismus wurde eher nebenher behandelt, wichtiger war der kulturelle und vor allem „biologische“ Antisemitismus. Rogge-Börner sah es als ihre Hauptaufgabe an, der „geistig-seelischen Seite des Rassegedankens“ zum Durchbruch zu verhelfen (November 1934). Sie schreibt: „Auf diesem Boden grenzenloser Erbitterung in den verzweifelten, gequälten breiten Volksschichten fand das nomadisierende Judentum ein Saatfeld, in das es das Gift falscher Freiheitsideale erfolgreich senken und damit seiner eigenen, zähe erstrebten Weltmacht einen festen Unterbau geben konnte.“ Einer der bemerkenswertesten Texte von Rogge-Börner erschien 1936 in der Februar-Ausgabe. In diesem Artikel ging sie auf einige wichtige Gesetze ein: das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933“, das „Gesetz zum Schutz deutschen Blutes und deutscher Ehre“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Volkes“ von 1935. Die Auswahl gerade dieser Gesetze ist aufschlussreich, markieren sie doch einschneidende Stufen der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Das sogenannte Blutschutzgesetz verbot Ehen und sexuelle Beziehungen zwischen Menschen, die nach nationalsozialistischer Definition als „Juden“ galten, und solchen „arischer Abstammung“. Für Rogge-Börner kam dieses Gesetz fast zu spät. Sie schreibt: „Daß mit den hierdurch den Volksgenossen auferlegten Geboten die weit vorgeschrittene Blutsmischung […] nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, wissen wir.“ Deshalb hätten „alle, in denen noch ungebrochenes Artbewußtsein lebendig ist“, mit Erleichterung auf den Erlass dieses Gesetzes reagiert. Rogge-Börner meinte weiter, dass wir Deutschen beschämt eingestehen müssten, „uns im Laufe der letzten hundert Jahre durch gedankenlose Verbindung mit Angehörigen des jüdischen Volkes allen rassischen Selbstbewusstseins begeben und uns an unser artbestimmten Leib-Seele-Gestalt einen unübersehbaren Schaden zugefügt haben“. Die Autorin kritisierte jedoch, dass das Gesetz nur den Mann unter Strafe stelle, nicht jedoch „die Frau deutschen oder artverwandten Blutes“, auch dürfe „der außereheliche Geschlechtsverkehr nicht gestattet“ werden. In ihrer Kritik forderte sie eine weitere Radikalisierung der NS-Rassenpolitik. In allen Heften ist vom „nordischen Frauentum“, der „nordischen Frau“, der „deutschen Frau“, von „Frauen deutschen Blutes“ oder von „Rassenehre“ die Rede. Juden kommen selten vor und wenn, dann in Randartikeln, so zum Beispiel in der Kurzgeschichte „Ein wehrloses Weib“: „Wir schuldeten die Miete, mussten froh sein, daß wir

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Deutsche La Plata Zeitung (Argentinien, 1874–1944)

hier unterkamen. Das bißchen Geld, das der Jude für unsere Sachen gab, reicht ja kaum, um das Leben zu führen.“ (Juni 1934) Die letzte Ausgabe der Zeitschrift erschien im Mai 1937. Die Gründe, die am 13. Mai zum Verbot durch die Gestapo führten, waren Veröffentlichungen, die in der Emigrantenpresse im Ausland starke Beachtung fanden, sicher, weil sie sich relativ kritisch (jedenfalls bezüglich der Frauenpolitik) mit dem nationalsozialistischen Staat auseinandersetzten.

Ramona Ehret

Literatur Liliane Crips, National-feministische Utopien. Pia Sophie Rogge-Börger und „Die deutsche Kämpferin“ 1933–1937, in: Feministische Studien, Mai 1990. Eva-Maria Ziege, Sophie Rogge-Börner – Wegbereiterin der Nazidiktatur und völkische Sektiererin im Abseits, in: Kirsten Heinsohn u. a. (Hrsg.), Zwischen Karriere und Verfolgung, Frankfurt am Main 1997.

Deutsche Kultur-Wacht → Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur

Deutsche La Plata Zeitung (Argentinien, 1874–1944) Aus der Tradition früherer deutschsprachiger Zeitungen hervorgegangen, erschien die „Deutsche La Plata Zeitung“ am 10. Mai 1874 zum ersten Mal unter diesem Namen. Seit 1881 war sie im Besitz der Familie von Herrmann Otto Tjarks. Nach dem Ersten Weltkrieg behielt sie eine konservativ-monarchistische Einstellung bei, um die politische Ausrichtung ihrer Klientel zu bedienen, und wurde zur auflagenstärksten deutschsprachigen Zeitung in Argentinien und Südamerika. Noch im Jahr vor dem Machterhalt Hitlers wurde das Blatt schließlich zu einem Befürworter des Nationalsozialismus und trat damit in eine publizistische Gegnerschaft zum „Argentinischen Tageblatt“, das der Weimarer Republik konsequent das Wort redete und die „Deutsche La Plata Zeitung“ als „Antisemitenorgan“ bezeichnete. Der Herausgeber der „Deutschen La Plata Zeitung“, seit 1916 Emil Tjarks, trat nach einem persönlichen Empfang durch Hitler und Goebbels in Deutschland am 1. September 1933 der NSDAP bei. Die „Deutsche La Plata Zeitung“ wurde daraufhin zu einem wichtigen Organ nationalsozialistischer Propaganda in Argentinien. Der Verlust von Inseraten jüdischer und anderer Geschäftsleute brachte die Zeitung aber bis Ende der 1930er Jahre an den Rand des Bankrotts. Zudem wurde das Blatt durch eine wachsende antideutsche Stimmung in Argentinien in die Defensive gedrängt und kam nach Kriegsausbruch auf die Schwarze Liste der Alliierten, was seine wirtschaftliche Situation weiter beeinträchtigte und die wichtigsten Informationsquellen verschloss. Am 17. Oktober 1944 wurde die „Deutsche La Plata Zeitung“ unter diplomatischem Druck der USA verboten. Bereits 1945 aber wurde die Zeitung „Freie Presse“ gegründet, deren Personal sich zu einem großen Teil aus der Redaktion der „Deutschen La Plata Zeitung“ rekrutierte und von der Einwanderung Deutscher nach dem

Deutsche mit Gott (1941)

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Zusammenbruch des Dritten Reiches als Leserschaft profitierte. Die „Freie Presse“ ging 1977 Bankrott.

María Ximena Alvarez/Lasse Hölck

Literatur Georg Ismar, Der Pressekrieg. Argentinisches Tageblatt und Deutsche La Plata Zeitung 1933–1945, Berlin 2006.

Deutsche mit Gott (1941) Nach dem „entjudeten“ Neuen Testament → „Botschaft Gottes“ (1940) und dem „entjudeten“ Gesangbuch → „Großer Gott wir loben dich“ (1941) stellte der Katechismus „Deutsche mit Gott. Ein deutsches Glaubensbuch“ die dritte Veröffentlichung des 1939 gegründeten „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (→ Die Entjudung des religiösen Lebens) dar, die auf die Veränderung der religiösen Praxis abzielte. Die Leitung des Arbeitskreises, der den Katechismus innerhalb eines dreiviertel Jahres fertigstellte, hatte Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und Völkische Theologie in Jena und wissenschaftlicher Leiter des „Entjudungsinstituts“ inne. Im Arbeitskreis „Glaubensbuch“ befanden sich auch einige Mitarbeiter des Instituts, die schon an den Projekten „entjudetes“ Neues Testament und Gesangbuch maßgeblich beteiligt gewesen waren. Daher wurde auch im Katechismus „Deutsche mit Gott“ auf die „bereinigten“ Texte zurückgegriffen. Veröffentlicht wurde der Katechismus 1941 im Verlag Deutsche Christen in Weimar. Im Vorwort erläutern die Verfasser ihre Intention und betonen den volksmissionarischen Aspekt ihrer Arbeit: „‚Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele!’ Das deutsche Volk in seinem Schicksalskampf weiß: es ist etwas Großes, die Welt gewinnen. Wir fühlen es als einen göttlichen Auftrag. Um zu leben, soll die Welt der neuen deutschen Lebensordnung gewonnen werden, der Ordnung des völkischen und sozialistischen Lebens. [...] Nur wenn die Seele tief mit Gott verbunden ist, kann ihr kein Schaden etwas anhaben, weil Gott allein Schaden heilt und vor Schaden bewahren kann. Wir wollen sein Deutsche mit Gott!“ Der Katechismus ist in vier Hauptteile gegliedert. Der 40 Seiten starke erste Teil ist überschrieben mit „Unser Weg mit Gott“ und enthält 20 Kapitel, in denen es nach Aussage der Verfasser „um den Sinn, den Gott in unser deutsches Leben hineingelegt hat, und um seine Verwirklichung in der Welt“ geht. Hier finden sich Ausführungen zum Sinn des Lebens, aber auch zum „Gottesauftrag“: „Das Reich der Deutschen“ oder zu Jesus Christus als dem „Heiland der Deutschen“. Der zweite Teil, der 28 Seiten umfasst, trägt den Titel „Unser Leben unter Gott“ und hat 13 Kapitel, welche „die Haltung deutlich machen, zu der die deutsche Seele aus ihrer Eigenart heraus unter dem stillen Wirken des Geistes Gottes in der Gemeinschaft mit Gott gekommen ist“. Der siebenseitige dritte Teil „Unsere Feier vor Gott“ besteht aus sieben Kapiteln, in denen es um die tägliche Besinnung, den Sonntag als christlichen Feiertag, das Abendmahl, die Taufe, die Einsegnung, die Trauung und die Bestattung geht. Der

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Deutsche mit Gott (1941)

sechs Seiten starke letzte Teil „Unser Bekenntnis zu Gott“ umfasst drei Kapitel, in denen ein neues Glaubensbekenntnis und eine Neufassung der Zehn Gebote formuliert werden, nebst Ausführungen zum Vaterunser. Die Verfasser weisen ausdrücklich auf den inneren Zusammenhang der vier Teile des Katechismus hin, die „in sich abgerundet [...] Teile eines Ganzen“ sind. Das Hauptgewicht liegt auf den ersten beiden Teilen, die wie folgt gegliedert sind: Zunächst wird vom Arbeitskreis Stellung zum Thema des Kapitels bezogen. Darauf folgen Zitate von bekannten deutschen Persönlichkeiten ohne Quellenangabe, wobei sich Zitate von Martin Luther in allen Kapiteln befinden. Den Abschluss zu jedem Kapitel bildet eine Strophe aus dem „entjudeten“ Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ nur unter Angabe des Verfassers und ein Vers aus dem „entjudeten“ Neuen Testament „Botschaft Gottes“ ohne Angabe der Quelle. Neben diesen Texten enthält der Katechismus weitere antisemitische Passagen, wenn es etwa im Kapitel „Der Heiland der Deutschen“ heißt: „Jesus aus Nazareth in Galiläa erweist in seiner Botschaft und Haltung einen Geist, der dem Judentum in allen Stücken entgegengesetzt ist. Der Kampf zwischen ihm und den Juden wurde so unerbittlich, daß er zu seinem Kreuzestod führte. So kann Jesus nicht Jude gewesen sein. Bis auf den heutigen Tag verfolgt das Judentum Jesus und alle, die ihm folgen, mit unversöhnlichem Haß. Hingegen fanden bei Jesus Christus besonders arische Menschen Antwort auf ihre letzten und tiefsten Fragen. So wurde er auch der Heiland der Deutschen“ (→ Jesus der Galiläer und das Judentum, 1940). Zur Bestätigung dieser Ausführungen werden neben einer judenfeindlichen Aussage Luthers weitere Zitate angeführt, u. a. von Houston Stewart Chamberlain: „Ich frage, was hat das für einen Sinn, wenn man von Jesus von Nazareth als von einem gläubigen Juden redet. […] Ich halte diese allgemein verbreitete Behauptung nicht allein für falsch, sondern für leichtfertig und für derartig irreführend, daß sie das Verständnis der Religion des Heilandes unmöglich macht.“ Folgerichtig sollte, wie im Kapitel „Gottes Wort und der Väter Zeugnis“ betont wurde, an „die Stelle der israelitisch-jüdischen Geschichte des Alten Testaments […] für uns Deutsche die Geschichte Gottes mit unserem Volk“ treten. Den Geist, den dieser neue Katechismus atmet, wird auch an der Neufassung der Zehn Gebote deutlich, deren Anzahl um zwei erweitert wurde. Die „Reinerhaltung der Rasse“, die „Wahrung und Mehrung des Erbes der Ahnen“, die „Ehrung des Führers“ sowie die „Opferbereitschaft für das eigene Volk“ rückten darin in den Rang eines Gottesgebotes. Mithilfe des Katechismus sollte somit in „blutvoller Verbundenheit mit dem groß-deutschen Lebens- und Schicksalskampf“ ein Zeugnis abgegeben werden, das „erweist, daß Deutsche mit Gott den Glauben haben dürfen: Gott mit uns!“

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008.

Die Deutsche Polizei (1933–1945)

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Deutsche Monatshefte für Politik, Geschichte und Wirtschaft → Druffel Verlag Deutsche Nachrichten → Das Deutsche Tageblatt Deutsche National-Zeitung → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung

Die Deutsche Polizei (1933–1945) Nach der Selbstauflösung oder „Gleichschaltung“ der polizeilichen Berufsverbände der Weimarer Republik erschien seit dem 1. September 1933 zweimal monatlich „Der Deutsche Polizeibeamte“ als „Amtliches Organ des Kameradschaftsbundes Deutscher Polizeibeamten“. Das Fachblatt trug seit der Ausgabe 19 vom 1. Oktober 1937 den neuen Titel „Die Deutsche Polizei“ und wurde mit der Nummer 22 (15. November 1937) im Auftrag des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei herausgegeben. In den Vorkriegsjahren schwankte die Auflagenhöhe zwischen 116.000 (Ende 1934) und 183.000 Exemplaren (Mitte 1939); für die Kriegszeit sind keine Auflagenzahlen bekannt. Für die ersten sechs Jahrgänge trat der Kameradschaftsbund selbst als Verleger auf, von 1939 an übernahm der Verlag Deutsche Kultur-Wacht Oscar Berger in Berlin diese Aufgabe. Ab 1943 erschien jeweils eine Ausgabe des Blattes für die Sicherheits- und Ordnungspolizei. Im Januar 1945 wurde der Druck der Zeitschrift eingestellt. In den ersten beiden Jahrgängen, während der Verfolgung der politischen Gegner aus der Zeit der Weimarer Republik, erschienen Artikel unter den Überschriften „Die jüdisch-marxistische Geisteshaltung“ oder „Sozialdemokratie und Judentum“, in denen breit ausgeführt wurde, dass die Politik und Kultur der Weimarer Republik von Juden bestimmt worden seien und unweigerlich ins Chaos geführt hätten. Insbesondere den Marxismus, aber auch die Sozialdemokratie diffamierten die Autoren als Instrumente des Judentums zur Erlangung des angeblich einen Ziels: der jüdischen Weltherrschaft. 1937 erschienen mehrere Artikel parallel zu den Eröffnungen der antisemitischen Ausstellungen „Entartete Kunst“, „Der Bolschewismus ohne Maske“ und „Der ewige Jude“ in München und Berlin. Während der Autor des Beitrages „Juden ‚machten’ in deutscher Kultur“ die Musik jüdischer Komponisten als eines der gefährlichsten Mittel zur beabsichtigten „kulturellen Zersetzung“ und „sittlichen Entartung“ des deutschen Volkes auszumachen glaubte, schlug der Artikel „Juda, du bist entlarvt!“ einen deutlich schärferen Ton an: „Man vernichtet keine Schlange, indem man ihre Wildheit zähmt. Man zertritt sie, weil sie ihrer Natur nach immer gefährlich bleiben wird.“ Bewegten sich diese Beiträge auf einer Ebene antisemitischer Agitation, die wenig Bezug zum beruflichen Alltag der polizeilichen Leserschaft hatten, änderte sich das nach dem Überfall auf Polen fundamental. Insbesondere in den Berichten über den Feldzug und die ersten Wochen der Besatzung tauchte der Vorwurf des Krisen- und Kriegsgewinnlers auf, der im Wissen um den Krieg lebenswichtige Güter und Mangelwaren gehamstert habe und dadurch die Preise in die Höhe treibe. „Als in Warschau noch manche Häuser brannten“, heißt es im Artikel „Die deutsche Polizei faßt zu!“ (Nr. 6 vom 15. März 1940), „fanden sich in den Ruinen bereits schachernde Juden, die der Bevölkerung Lebensmittel und Textilien zu stark getriebenen Preisen an-

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Deutsche Reichspost

boten. … Bei den verschiedenen Hausdurchsuchungen wurden zahlreiche Lebensmittel gefunden, ebenso Textilwaren und Rohleder, lauter Dinge, die von den Juden planmäßig dem täglichen Handel entzogen wurden und zum großen Teil Plünderungsgut waren, um diese Waren zu Wucherpreisen und unter der Hand abzusetzen.“ Die Berichte über den „anstrengenden“ und „unangenehmen“ Polizeialltag und den damit verbundenen Kontakt zu polnischen Juden reproduzierten regelmäßig die stereotypen Bilder vom „Ostjuden“ („mauschelnde und schachernde Mischpoke der Kaftanträger“). Dem Absprechen menschlicher Züge („Hyänen“, „Parasiten“), der Gleichsetzung mit „Dreck“ und „Gestank“ sowie Krankheitsüberträgern („Pest“, „Bazillenträger“) entsprach die Charakterisierung der Aufgaben der Polizei gegenüber den polnischen Juden als die eines Arztes: „Sie unschädlich zu machen, war eine Operation zur Gesundung der polnischen Zivilbevölkerung“, heißt es in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel „In Polen wird aufgeräumt“ (Nr. 1 vom 1. Januar 1940). Gleichzeitig avancierte das jüdische Viertel in Lublin zu einem der Zentren der jüdischen Weltverschwörung. Insbesondere durch seine berühmte Talmudschule sei „hier das Judenreservoir [entstanden], das bis heute alle anderen Länder mit nie versiegendem Nachschub ‚versorgt’ hat“. Weiter führte der Autor aus: „Hier stand ich im Getto aller Gettos, im Herzen des tausendarmigen Polypen ‚Juda’. Hier spielten die kleinen Neffen der unnahbar vornehmen Lords des britischen Empire auf der Straße im Dreck. […] [Man] weiß heute, daß gerade hier, im Lubliner Getto, in den weitverzweigten Kellergeschossen dieser zweiten unterirdischen Stadt Werte und Waren riesigen Ausmaßes gestapelt sind.“ An den Darstellungen nach dem Überfall auf die Sowjetunion änderte sich nur soviel, dass die offene Sprache die mörderische Realität polizeilicher Besatzungspolitik verriet: „Nun ist diese Judenpracht vorbei – vorbei Freizügigkeit und Herrendünkel, bevorzugte Stellungen und Schmarotzertum. Sie wissen sehr wohl, was ihnen blüht, diese nur durch Ausrottung zu vertreibende Pest! (Nr. 24 vom 15. Dezember 1941). Während im Jahrgang 1942 keine Beiträge mit antisemitischen Inhalten erschienen, schwenkten die Artikel des Folgejahres wieder auf die abstrakte unpersönliche Ebene antisemitischer Hetze um, indem die Autoren die Argumentationskette des Germanenmythos bemühten oder den „satanischen Haß des Ewigen Juden“ beschworen, „der die dumpfe Kraft der innerasiatischen Steppen organisiert hat, um durch sie die alte Kulturwelt, die Welt der Werte und einer echten sittlichen Ordnung zu zerstören und im Blutdampf entsetzlicher Schlachten sich zu unterwerfen“.

Mario Wenzel

Literatur Jürgen Matthäus, Konrad Kwiet, Jürgen Förster, Richard Breitman, Ausbildungsziel Judenmord? „Weltanschauliche Erziehung“ von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der „Endlösung“, Frankfurt am Main 2003.

Der Deutsche Polizeibeamte → Die Deutsche Polizei Deutsche Reichspost → Süddeutsche Zeitung

Deutsche Rundschau (1874–1964)

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Deutsche Rundschau (1874–1964) Die „Deutsche Rundschau“ erschien zwischen 1874 und 1964. Gründer und langjähriger Herausgeber war der Journalist und Schriftsteller Julius Rodenberg (eigentlich Julius Levy, 1831–1914). Die Etablierung der wissenschaftlich-literarischen Monatsschrift markierte eine wichtige Entwicklung in der bildungsbürgerlichen Teilöffentlichkeit nach der Reichsgründung. Konzipiert als „National-journal“, sollte die „Deutsche Rundschau“ alle kulturellen Strömungen und Bildungsvorstellungen in ein einheitliches Gesamtkonzept integrieren. Damit war das Blatt modellhaft für das Genre der Kulturzeitschrift: Dieses entstand als publizistisches Pendant zum neuen Nationalstaat und fungierte als Medium, mit dem sich das tonangebende Bildungsbürgertum seiner politisch-kulturellen Identität versicherte. Die „Deutsche Rundschau“ gewann rasch eine beachtliche Reputation, die sich vor allem auf die Mitarbeit von bekannten Literaten und Gelehrten wie Theodor Storm, Paul Heyse, Eduard Zeller und Heinrich von Sybel stützte. Wegen des Renommees der Zeitschrift soll ihr jüdischer Herausgeber Rodenberg im Berliner Antisemitismusstreit der späten 1870er Jahre darauf verzichtet haben, sich gegen Heinrich von Treitschke zu positionieren. Möglicherweise wollte sich Rodenberg nicht dem Vorwurf „jüdischer Parteinahme“ aussetzen. Die Einbindung der deutschen Juden in den deutschen Nationalstaat (unter gleichzeitiger Abkehr von einem eigenständigen Judentum) war ein erklärtes Ziel der „Deutschen Rundschau“. Dabei spielte auch Rodenbergs eigener Integrations- und Aufstiegsweg, der auf einer tiefen Verbundenheit zur bildungsbürgerlichen Kultur gründete, eine Rolle. Entsprechend stand die „Deutsche Rundschau“ auch dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Zionismus als „seltsamste[r] Blüte der Nationalitätsbewegung“ ablehnend gegenüber. Die kulturelle Prägekraft und Dominanz des Bildungsbürgertums schwand jedoch im Wilhelminischen Kaiserreich. Rodenberg selbst deutete den Abgang Bismarcks 1890 als Abschied von den Werten und Deutungsmustern der Reichsgründungsgeneration. Gleichwohl blieb er bis kurz vor seinem Tod im Sommer 1914 unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges Herausgeber der „Deutschen Rundschau“. Bis 1917 übernahm Bruno Hake diese Aufgabe, ab 1919 führte Rudolf Pechel (1882–1961) die Zeitschrift. In der hochgradig fragmentierten Gesellschaft der Weimarer Republik baute er das Blatt zu einem Sprachrohr der Jung-Konservativen aus. Deren Vordenker Arthur Moeller van den Bruck und Edgar Julius Jung erhielten mit der „Deutschen Rundschau“ eine wichtige publizistische Plattform. Damit ging eine ideologische Verengung der bislang weltoffenen Zeitschrift einher. In den frühen 1930er Jahren setzte sie sich auch mit den Grundprinzipien des Nationalsozialismus auseinander. Die Diskussion wurde Anfang 1931 mit einem „Briefwechsel zur Judenfrage“ zwischen nicht-jüdischen und jüdischen Autoren eröffnet. Prominente Nationalsozialisten waren zwar nicht beteiligt. Die zu Wort kommenden Repräsentanten des jungen Konservatismus – darunter Pechels späterer Mitherausgeber Paul Fechter – standen ihnen in ihrer judenfeindlichen Haltung aber kaum nach. Kern der antisemitischen Argumentation war ein vermeintlich unvereinbarer Gegensatz zwischen Deutschen und Juden: Letztere bildeten angeblich eine „fremde Gruppe im deutschen Staat“, eine „andere Rasse“ bzw. einen „Fremdkörper“, dessen Ausgliederung aus dem deutschen Staatsverband eine „drastische Lösungsmöglichkeit“ erfordere. Gekoppelt wurde die Unter-

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Deutsche Schriften (Paul de Lagarde, 1878)

stellung von Fremdheit mit dem Vorwurf eines spezifisch jüdischen „Antigermanismus“, der sich in der Missachtung, Herabsetzung, Bekämpfung und schließlich Zerstörung aller Dinge, „die uns Deutschen lieb und wert sind“, äußere. In die gleiche Richtung gingen der Vorwurf einer „kapitalistischen Ratio“ der Juden sowie die Unterstellung, diese betrieben „Propaganda gegen die germanischen Wesenszüge des deutschen Volkstums“. Die Argumente jüdischer Autoren wie Max Naumann und Jakob Wassermann wurden im „Briefwechsel“ nicht diskutiert. Stattdessen resümierten Pechel und Fechter als wichtigstes Ergebnis der Debatte, „zu zeigen, wieviel antisemitische Empfindungen ihre Quelle in Taten und Äußerungen jüdischer Menschen haben“. Gleichwohl entwickelte sich Pechel nach 1933 nicht zum überzeugten Parteigänger der Nationalsozialisten. Nach der Ermordung von Edgar Jung während des „Röhm-Putsches“ 1934 wurde die „Deutsche Rundschau“ vielmehr zu einem wichtigen Organ der konservativen Gegner des NS-Regimes. 1942 verbot das Reichssicherheitshauptamt das Blatt, Pechel wurde in ein Konzentrationslager eingewiesen. Ab 1946 konnte die „Deutsche Rundschau“ wieder erscheinen; Pechel blieb bis zu seinem Tod 1961 ihr Herausgeber.

Petra Rentrop

Literatur Margot Goeller, Hüter der Kultur. Bildungsbürgerlichkeit in den Kulturzeitschriften „Deutsche Rundschau“ und „Neue Rundschau“ (1890–1914), Frankfurt am Main u. a. 2011. Uffa Jensen, Gebildete Doppelgänger. Bürgerliche Juden und Protestanten im 19. Jahrhundert, Göttingen 2005. Volker Mauersberger, Rudolf Pechel und die Deutsche Rundschau 1919–1933. Eine Studie zur konservativ-revolutionären Publizistik in der Weimarer Republik (1918–1933), Bremen 1971. Volker Mauersberger, „Zwischen den Zeilen“? Rudolf Pechel und sein publizistischer Kampf für Freiheit und Recht, in: Christoph Studt (Hrsg.), „Diener des Staates“ oder „Widerstand zwischen den Zeilen“? Die Rolle der Presse im „Dritten Reich“, Berlin 2007, S. 175–181.

Deutsche Schriften (Paul de Lagarde, 1878) Die 1878 erstmals erschienenen „Deutschen Schriften“ des kulturkritisch ambitionierten Göttinger Orientalisten Paul de Lagarde gehören zu den einflußreichsten Büchern des modernen Antisemitismus. Der Titel sollte an die „Deutsche Mythologie“ Jacob Grimms erinnern, zahlreiche programmatische Aussagen die innere Einheit des Werkes unterstreichen. Tatsächlich handelte es sich bei den „Deutschen Schriften“ um eine Sammlung von Aufsätzen, die Lagarde seit 1853 zu ganz unterschiedlichen Gegenständen verfasst hatte. Das Themenspektrum reichte von der Verherrlichung patriarchalischer Werte, über das Plädoyer für einen neuen Adel bis zur Kritik am preußischen Unterrichtswesen. Politisch verstand sich Lagarde als „radikaler Konservativer“: Er hatte die Vision eines von Deutschland beherrschten Mitteleuropa, betrachtete den Bauernstand als Garanten eines stabilen Gemeinwesens und hielt auf lange Sicht einen Krieg mit Russland für unvermeidlich.

Deutsche Schriften (Paul de Lagarde, 1878)

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Die konfessionelle Zerklüftung des Deutschen Kaiserreichs wollte Lagarde durch eine neue Religion überwinden. Die Hauptstoßrichtung seiner Kritik galt dem Protestantismus, der durch seine Anpassung an den oberflächlichen Zeitgeist jede Zukunftsfähigkeit verloren habe. Die Aufgabe der Theologie sah er in der philologisch exakten Untersuchung religionshistorischer Zeugnisse, die das Fundament zu einer überzeugenden „Zukunftsreligion“ legen sollte. Gleichzeitig und im unmittelbaren Widerspruch hierzu kritisierte Lagarde den herrschenden Historismus, der niemals einen lebendigen Glauben begründen könne. Dementsprechend vage blieb seine Vorstellung einer „deutschen Religion“, die Elemente von Fichtes Nationalismus aufgriff und aktualisierte. Starke Feindbilder dienten dazu, die innere Einheit der eigenen Weltanschauung zu untermauern. Der Antisemitismus der „Deutschen Schriften“ zeigt sich nicht nur in despektierlichen Urteilen über die kulturelle Unfruchtbarkeit, Sittenlosigkeit und Verlogenheit der Juden, er liegt auch dem geschichtsphilosophischen Gesamtkonzept zugrunde. Lagarde sprach dem Judentum jede Entwicklungsfähigkeit ab, verstand es als „Schlacke einer längst ausgebrannten Zeit“. Gleichzeitig besitze es durch die rabbinische Zucht eine besondere Zähigkeit, die es für naive „Wirtsvölker“ wie das deutsche besonders gefährlich mache. Wie Treitschke lehnte Lagarde die Emanzipationsgesetze ab, weil sie den inneren Zusammenhalt der Nation gefährden würden. Wegen seiner religiösen Eigenart sei das Judentum notwendig ein „Staat im Staate“ und damit ein verderbliches „Element der Dekomposition“. In der paranoide Züge tragenden Vorstellung einer „Grauen Internationalen“, die sich erstmals in der zweiten Auflage der „Deutschen Schriften“ von 1881 findet, verschmelzen antiliberale und antisemitische Feindbilder. Lagarde gab so dem politischen Rechtsschwenk Bismarcks eine eigene Weihe, obwohl er selbst zu den erbitterten Gegnern des Reichskanzlers gehörte, dessen Skrupellosigkeit er verachtete. Stattdessen beschwor er eine Antimoderne, die sich als eigentümliches Amalgam nationalistischer, pietistischer und wissenschaftsgläubiger Vorstellungen dechiffrieren lässt. Zwei Gründe dürften für den Erfolg der „Deutschen Schriften“, die in vielfältigen Ausgaben erschienen und meist nur ausschnitthaft rezipiert wurden, besonders wichtig gewesen sein. Zum einen thematisierte Lagarde in eindrucksvoller Sprache die Probleme der Modernisierungsverlierer, die der rasante gesellschaftliche und kulturelle Wandel überforderte. Zum anderen verlieh er als Ordinarius und hoch angesehener Kenner der orientalischen Sprachen dem Antisemitismus wissenschaftliche Legitimität. Gezielte Tabubrüche gaben den „Deutschen Schriften“ eine radikale Aura und jene schillernde Vieldeutigkeit, die ihre Bekanntheit nachhaltig begünstigten. Lediglich Nietzsche beurteilte den prophetenhaften Gestus als verlogen, die meisten Zeitgenossen sahen in Lagarde einen ernsthaften Kritiker des Bismarckreichs. Nach Lagardes Tod 1891 vermarktete der → Diederichs Verlag seine Schriften professionell und stilisierte ihn zum Ahnherrn der Reformbewegung. In welchem Ausmaß seine judenfeindlichen Ansichten auf die „Religionsgeschichtliche Schule“ und auf evangelische Kanondebatten einwirkten, bedarf näherer Untersuchung. Kein Zweifel besteht an der Wirkung der „Deutschen Schriften“ auf Schlüsselfiguren des modernen Antisemitismus wie Theodor Fritsch, Houston Stewart Chamberlain oder Alfred Rosenberg. Sie alle schätzten an Lagarde die Kombination aus radikaler Rhetorik und

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Die Deutsche Schule (1897–1943)

wissenschaftlicher Expertise. Ähnliches dürfte auch für Adolf Hitler gegolten haben, dessen Anstreichungen in einem Exemplar der 1934 erschienenen Neuausgabe eine intensive Lektüre der „Deutschen Schriften“ belegen.

Ulrich Sieg

Literatur Hans Walter Schütte, Lagarde und Fichte. Die verborgenen spekulativen Voraussetzungen des Christentumsverständnisses Paul de Lagardes, Gütersloh 1965. Ulrich Sieg, Deutschlands Prophet. Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen Antisemitismus, München 2007. Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Stuttgart 2005.

Die Deutsche Schule (1897–1943) Die traditionsreiche Zeitschrift, die heute mit dem Untertitel „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis“ vierteljährlich von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft herausgegeben wird, wurde von 1897 bis 1943 als „Monatsschrift […] im Auftrage des Deutschen Lehrervereins“ im Verlag von Julius Klinkhardt herausgegeben. Während die Zeitschrift 1934 mit dem neuen Untertitel „Erziehungswissenschaftliche Monatsschrift für den Bereich der Volksschule“ erschien, wurde sie von 1935 bis 1938 als „Zeitschrift der Reichsfachschaft 4 (Volksschule) des Nationalsozialistischen Lehrerbundes“ und von 1939 bis 1943 als „Zeitschrift für praktische Volksschularbeit“ herausgegeben. Sie wurde 1956 wieder begründet mit dem Untertitel „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft und Gestaltung der Schulwirklichkeit“. „Die Deutsche Schule“, die während der NS-Zeit Artikel zur sogenannten Rassenkunde und -politik herausbrachte sowie antisemitisch argumentierte, bot anfangs keine einschlägigen Artikel zur „Judenfrage“, sondern beteiligte sich nur partiell an entsprechenden Diskussionen. Während Curt Stage kritisch-distanzierend über jenen seinerzeit bekannten antisemitischen Diskurs referierte (1901), der sich entschieden gegen den Gebrauch des Alten Testaments in der christlichen Religion wandte, hob G. Häußler in seinem Beitrag über „Richard Wagner als Erzieher“ hervor, dass dessen Annahme von der Verderbtheit der deutschen Moral durch die Juden nicht als „Tagesfrage“, sondern als „ein umfassender kulturhistorischer Gedanke“ erscheine, dessen Bearbeitung jedoch durch die gegenwärtige Rolle der Juden als Mitbürger und Glieder des Volkes gesichert sei (1913). Allerdings machten sich Autoren wie Kurt Kesseler auch gemeinhin geteilte Annahmen wie die von der „Höherstellung des Christentums gegenüber dem Judentum“ zu eigen (1917); hingegen würdigte H. Stern in seinem Beitrag über „Moses Mendelssohn als Pädagoge“ dessen Verkörperung der „Synthese von Judentum und deutschem Geist“ anlässlich des 200. Geburtstages am 6. September 1929. Mit dem Jahr 1933 rückten vor dem Hintergrund des „nationalsozialistischen Wiedergeburtserlebnisses des deutschen Volkes“ der Nationalsozialismus als Weltanschauung und der Mensch im Horizont seiner rassisch-völkischen Bestimmung in den Fokus der Zeitschrift; „Raum und Rasse“ sowie „Geopolitik und Biologie“ sollten in

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den einzelnen Schulfächern thematisiert werden, wie dies etwa Gustav Paul in Hinblick auf die entsprechende Integration in die traditionelle Geschichtswissenschaft forderte (1935). Der Bezug auf antisemitische Stereotype sollte dabei den „Volk ohne Raum“-Diskurs argumentativ flankieren; so habe die „Geschicklichkeit und internationale Verflochtenheit“ des Juden die „Raumnot“ erst geschaffen, wie der Leiter der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Ballenstedt, Friedrich Hiller, betonte. Und damit war für ihn offensichtlich, dass der „ärgste Feind“ des „aufbauenden, leitenden, befruchtenden, schöpferischen und heldischen nordischen Menschen […] der unfruchtbare, seelisch erstarrte, körperliche verkommene, nur negativ und zerstörend schaffende Jude“ sei (1933). Dass eine „völkische Jugendkunde“ das in den 1920er Jahren mehrfach aufgelegte Buch „Das Seelenleben des Jugendlichen“ von Charlotte Bühler (1893–1974), einer bedeutenden Kinderpsychologin und Wegbereiterin der „Humanistischen Psychologie“, deshalb nicht empfehlen wollte, weil es in der methodisch erstmaligen Auswertung von Jugendtagebüchern ebenfalls die Tagebücher jüdischer Jugendlicher berücksichtigte, fügte sich in den antisemitischen Duktus der Zeitschrift ein (1936). Während der Pfarrer und Historiker Wilhelm Erbt, ein prominenter und vielzitierter völkischer Autor, der schon vor 1933 die Geschichtsschreibung als angewandte Rassenkunde begriff, in seinen Ausführungen mitunter antisemitische Stereotype auch inzidenter anführte (1937), stellte Ernst Dobers „Grundsätzliches zur Behandlung der Judenfrage in der Volksschule“ in den Mittelpunkt seiner Auseinandersetzung (1937). Ernst Dobers (1892–1945), seit 1933 Professor für Vererbungslehre und Rassenkunde an der Hochschule für Lehrerbildung Elbing, forderte die Behandlung der „Judenfrage“ in der ganzen Breite des Schulunterrichts. Seine antisemitischen Ausführungen sind von einem Rassenantisemitismus bestimmt. Dobers griff nicht nur auf die antisemitischen Anschuldigungen der jüdischen Weltverschwörung, sondern auch auf bekannte antisemitische Unkraut- und Seuchenmetaphern („Spaltpilz“) zurück, um die Bedeutung der „Grundsätzlichkeit der Judenfrage“ als eine für die „volkliche Existenz“ wirksame Frage „vor dem Hintergrund jenes einzigartigen Rassenkampfes“ zwischen Deutschen und sogenannten volksfremden Juden herauszustellen. Dementsprechend erfordere der Schulunterricht die grundsätzliche Behandlung „jenes schicksalhaften Artgesetzes“, nach dem „der bäuerliche Siedler und der räuberische Nomade, letzterer gepaart mit gaunerisch gerissenem Händlertum“ in zwei Menschengruppen aufeinanderstoßen, deren Mit- und Nebeneinander unmöglich sei, weil sie „nur zu einem sich wie Feuer und Wasser gegenseitig ausschließenden Gegeneinander“ bestimmt seien. Denn nach Dobers war das deutsche Volk in seinem „Rasseringen“ durch „Überfremdung und Versklavung seitens alljüdischer Herrschaftsgelüste“, durch „ein jüdisch geleitetes internationales Untermenschen- und Verbrechertum“ sowie durch die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfassenden Zersetzungsversuche „Alljudas“ und somit schlussendlich von der Vernichtung durch das „Weltjudentum“ bedroht, während sich an den deutschen Grenzen eine „Judendämmerung“ ankündige. Und weil das deutsche Volk „im Großkampfe gegen das Weltjudentum an der vordersten Front“ stehe, sollte der deutsche Lehrer und Erzieher nach einem Zitat des Reichserziehungsministers von 1935 der „Frontoffizier“ im Kampf um die „Schaffung der deutschen Volksgemeinschaft“ sein.

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Dobers setzte seine antisemitischen Ausfälle auch in weiteren Aufsätzen der Zeitschrift fort, wenn er etwa 1941 „Alljuda“ vor dem Hintergrund seines „kaum noch getarnten“ Wirkens im „weltweiten Rassenkampf“, der nun „mit äußerster Entschlossenheit bis zum Endsiege“ durchgefochten werden müsste, als „eigentlicher Drahtzieher“ hinter Politikern wie Churchill und Chamberlain hervorhob (1941). Dieses antisemitische Bedrohungsszenario vor dem Hintergrund eines unabwendbaren „Rassenkampfes“ teilten andere Autoren der Zeitschrift, die, wie Heinrich Kurtz-Krakau, von der zerstörenden Wirkung des Judentums und seines „fremden Blutes“ auf die „deutsche Volkskraft“ schrieben (1940) oder wie Friedrich Scheven vor dem „Volksverderben“ durch „Volksvermischung“ und damit vor der Duldung von Juden warnten (1941), während Fr. Plümer die „satanischen Mittel der öffentlichen Beeinflussung durch die nordamerikanische Presse- und Filmjuden“ verurteilte (1942). Darüber hinaus fand das „auserwählte Judentum“ in jenen Beiträgen, die sich mit den Vereinigten Staaten von Amerika befassten, in überaus pejorativer Weise Erwähnung (1942). Die Autoren der Zeitschrift „Die Deutsche Schule“ entfalten seit 1933 ein antisemitisches Bedrohungsszenario, in dem das Verhältnis von Täter und Opfer verkehrt wurde. Nach dieser Opferpädagogik und -rhetorik, der sich auch Himmler bedienen sollte, ist die „deutsche Volksgemeinschaft“ das Opfer der sie gefährdenden Juden, die aufgrund ihrer rassischen Disposition nur „schmarotzend“ von den Leistungen anderer leben könnten, während sie zugleich ihre zersetzende Kraft durch eine besondere Anpassungsleistung tarnen würden, um die Volksgemeinschaft von innen heraus zerstören zu können. Es lag in der Logik dieser rassenantisemitischen Argumentation, die Vernichtung der Juden als scheinbar offensichtliche Täter im Rahmen rassenhygienischer Reinigung durch die eigentlichen Opfer zu fordern.

Matthias Blum

Literatur Andreas Hoffmann-Ocon, „Die Deutsche Schule“ im Nationalsozialismus, Münster u. a. 2009.

Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung (seit 1951) Seit 1951 erscheint – zeitweise mit finanzieller Unterstützung US-amerikanischer Dienststellen sowie des Bundespresseamtes – in München die nationalistisch und strikt antikommunistisch ausgerichtete „Deutsche Soldaten-Zeitung“. Dr. Gerhard Frey wurde 1959 zunächst ihr Herausgeber, 1960 ihr alleiniger Besitzer und führte sie 1963 als wöchentlich erscheinende „Deutsche National-Zeitung“ in der „Deutsche Soldaten-Zeitung-Verlag GmbH“, ab 1968 in der „DSZ-Druckschriften- und Zeitungsverlags-GmbH“ fort. Frey kaufte fortlaufend weitere extrem rechte Publikationen wie die „Schlesische Rundschau“ und den „Notweg der 131er“ sowie den „Deutschen Anzeiger“ (1971) und die „Deutsche Wochenzeitung“ (1986), die er später in die „Deutsche NationalZeitung“ überführte. Diese war über Jahrzehnte die auflagenstärkste Wochenzeitung der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland (maximale Auflage

Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung (seit 1951)

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150.000; 2012: ca. 25.000), der zudem regelmäßig Beilagen wie die „Deutsche Nation“ hinzugefügt wurden. Das seit Anfang September 1999 nur noch als „National-Zeitung“ firmierende Wochenblatt ist im Abonnement und im Kioskvertrieb im Berliner Zeitungsformat (2012: 20 Seiten) erhältlich. Mit großen, farbigen Überschriften und suggestiven Zuspitzungen, wie z. B. „Erklärt Weltjudentum Bonn Boykott?“, „Die Wahrheit über die Judenmorde“ oder „In Israels Schuldknechtschaft?“ wird versucht, Aufmerksamkeit zu gewinnen und neue Leser zum Kauf der Zeitung zu animieren. Das Blatt kommentiert aktuelle politische Ereignisse von einem nationalistischen und geschichtsrevisionistischen Standpunkt aus. Entsprechend werden die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg und die Shoah relativiert bzw. geleugnet, einer scharfen Anti-Immigrationspolitik das Wort geredet und soldatische Werte propagiert. In den über sechs Jahrzehnten des Erscheinens verfassten zahlreiche bekannte Rechtsextremisten Beiträge für das Blatt, so etwa Reinhard Pozorny (1908–1993), Fritz Hippler (1909–2002), David Irving (*1938) oder Gustav Sichelschmidt (1913– 1996). Zudem gelang es wiederholt, prominente Vertreter aus Wissenschaft und Kultur als Autoren zu gewinnen, so etwa den Psychologen Hans-Jürgen Eysenck (1916– 1997). Vereinzelt schrieben auch anti-zionistische Juden wie Moshe Menuhin (1893– 1983) oder Gerard Menuhin (*1948). Viele Beiträge erscheinen ohne Namensnennung; so wurde erst nach seinem Tod bekannt, dass auch der frühere bayerische Kultusminister, Verwaltungsjurist und Grundgesetzkommentator Theodor Maunz (1901– 1993) anonym in der „National-Zeitung“ publiziert hatte. Gerhard Frey hatte zwischen 1971 und 2009 in der „Deutschen Volksunion“ (zunächst ein Verein, ab 1987 eine Partei) das Amt des Bundesvorsitzenden inne. In dieser Zeit fungierte die „National-Zeitung“ als inoffizielles Sprachrohr der DVU und stellte deren Personal und Tätigkeit ausführlich dar. Fortlaufend nutzte der Herausgeber die Zeitung dazu, mittels Rezensionen und mehrseitiger Anzeigen für Bücher und Devotionalien des mit ihm verbundenen FZ-Verlages (FZ = Freiheitliche Buch- und Zeitschriftenverlags GmbH) zu werben. Wiederholt sahen sich die „National-Zeitung“ und ihr Herausgeber mit zivilgesellschaftlichem Protest und juristischen Schritten konfrontiert. Im Mai 1965 forderten 57 Schriftsteller, Geistliche und Journalisten unter Verweis auf den im Blatt grassierenden Antisemitismus staatliches Handeln. Vereinzelt kam es Ende der 1960er Jahre zu Beschlagnahmen des Blattes. Ein 1969 vom damaligen Bundesinnenminister Ernst Benda beim Bundesverfassungsgericht beantragtes Verfahren zur Verwirkung der Persönlichkeitsrechte Gerhard Freys wegen Missbrauchs nach Artikel 18 GG wurde 1974 abschließend vom Gericht abgelehnt. Seit den 1990er Jahren gab es wiederholt antifaschistische Kampagnen, die auf ein Ende des Kioskvertriebs der „National-Zeitung“ zielten.

Fabian Virchow

Literatur Peter Dudek, Hans-Gerd Jaschke, Die Deutsche National-Zeitung: Inhalte, Geschichte, Aktionen, München 1981.

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Deutsche Stimme (seit 1976)

Günther Paschner, Falsches Gewissen der Nation. Deutsche National-Zeitung und SoldatenZeitung, Mainz 1967. Karsten Reinecke, Die „Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung“: ein Organ der „Heimatlosen Rechten“ in der Bundesrepublik, Erlangen 1970.

Deutsche Stimme (seit 1976) Die „Deutsche Stimme“ (DS), die seit 1976 vom gleichnamigen, heute im sächsischen Riesa ansässigen Verlag publiziert wird, ist das Parteiorgan der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Gedruckt wurde die Zeitung in den 1990er Jahren vorübergehend in Vilnius/Litauen, später dann zeitweise in Polen bzw. in der Slowakei, ohne dass dies im Impressum vermerkt war. Das Blatt erscheint monatlich und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Ende der 1990er Jahre erreichte die Zeitung eine monatliche Auflage von bis zu 10.000 Stück, heute werden nach eigenen Angaben 25.000 Stück vertrieben. Darüber hinaus steht, unter Chefredakteur Matthias Faust – bis 2011 Vorsitzender der Deutschen Volks-Union (DVU) und heute Mitglied des NPD-Bundesvorstandes – mit „DS-aktuell“ auch eine online-Auswahl der „Deutschen Stimme“-Beiträge zur Verfügung. Schon früh nutzten die Herausgeber, der Bundesvorstand der NPD, die neuen Medien; so wurde die Zeitung bereits 1992 über eine btx-Nachrichtenagentur in Nürnberg verbreitet. Heute sind Zeitung und Verlag auf den Netzwerken des Web 2.0 wie Twitter, StudiVZ, StayFriends und Facebook präsent. Besonders attraktiv allerdings scheinen die Benutzer von Facebook weder die „DS-aktuell“ noch den Auftritt des DS-Verlages zu finden, nur 1.200 bzw. 98 Personen haben bis August 2012 für „gefällt mir“ votiert. Insofern scheint sich die bereits im April 2010 von der „Deutschen Stimme“ unter dem Titel „Die NPD in der virtuellen Welt“ veröffentlichte Strategie, wie soziale Netzwerke am besten zu infiltrieren und möglichst viele Menschen anzusprechen sind, nur in Maßen durchgesetzt zu haben. Inzwischen ist es – wie der Anonymous-Blog meldet – bereits mehrfach gelungen, die Homepage des DS-Versandes zu knacken. Mehr als 1.000 Datensätze mit Kundennamen und Email-Adressen wurden öffentlich gemacht. Häufig verklausuliert, aber für die Leserschaft leicht zu entziffern, finden sich in der „Deutschen Stimme“ immer wieder antisemitische Zuschreibungen. Dabei spielt nicht nur der sekundäre Antisemitismus eine weiterhin wichtige Rolle, sondern es werden auch aktuelle Themen wie der Nahostkonflikt oder die Finanzkrise genutzt, um bekannte Stereotype zu kolportieren. Im November 2009 äußerte sich der NPDAbgeordnete des Sächsischen Landtages, Jürgen W. Gansel, zur Finanzkrise im Parteiorgan: „Ausgelöst wurde die Kernschmelze auf dem globalen Finanzmarkt durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers [...]. 158 Jahre existierte dieses Geldhaus, das von aus Deutschland ausgewanderten Juden gegründet wurde.“ Und weiter heißt es: „Persönliche Verantwortung dafür trägt Alan Greenspan, [...] der vom gleichen Stamm wie die Wall-Street-Größen Alan Greenberg und Lloyd Blankfein ist.“ Die Rezipienten solcher Aussagen wissen, was mit „Stamm“ gemeint ist und können den Subtext „Jude“ problemlos entschlüsseln. So verstehen die Leser auch, dass eine jüdische Dominanz über die Kapitalmärkte insinuiert wird, als im Februar 2011 in der DS der Präsident der Europäischen Zentralbank „als einer der verlängerten Arme

Deutsche Stimme (seit 1976)

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Rothschilds“ bezeichnet wurde. Ähnlich verschwörungstheoretisch argumentierten die Herausgeber der „Deutschen Stimme“, als sie im Mai 2011 in ihrem Blatt Folgendes veröffentlichten: „Levy, Frankreichs Nebenaußenminister, ist ein Glaubensbruder von Präsident Nicolas Sarkozy; mit dem ihn vieles verbindet. Beide sind im selben Vorort groß geworden, in Neuilly. Beide sind Söhne jüdischer Einwanderer, die es im Frankreich der Nachkriegszeit zu beträchtlichem Wohlstand gebracht haben. Beide kämpfen um Macht, Einfluß und sind engstens mit der internationalen Plutokratie verbandelt.“ Im Rahmen einer Werbekampagne polemisierte 2003 die „Deutsche Stimme“ nicht nur gegen die angebliche jüdische Finanzmacht, sondern hetzte auch gegen die Politik Israels: „Kein Thema fällt dabei der Zensur oder irgendwelchen Tabus zum Opfer – ob die unverschämten finanziellen Forderungen der zionistischen Lobby, [...] die immer skrupelloser von der amerikanischen Ostküste vertretenen Weltherrschaftsgelüste, der Staatsterrorismus Israels. [...] Wenn Sie wollen, dass Michel Friedman und Paul Spiegel das Lachen vergeht [...], sind (sie) zur Unterstützung der Deutschen Stimme aufgefordert!“ Die „Ostküste“ steht in rechtsextremen Kreisen als Synonym für eine angebliche jüdische Dominanz der Wallstreet, Friedman und Spiegel vertraten damals den Zentralrat der Juden in Deutschland. Im April 2012 insinuiert die „Deutsche Stimme“ die Fragwürdigkeit der Existenz des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Wer ist eigentlich dieser Zentralrat? Existieren die nicht von unseren (DEUTSCHEN) Steuergeldern? Hätte man Ehre, würde man sich nicht vom angeblichen TÄTERVOLK ernähren lassen.“ Im Mai 2012 spricht sie von Juden als „Berufsopfern“ und zwei Monate später stellt das Blatt, erneut ganz im Sinne der Stereotypen aus dem Kanon des sekundären Antisemitismus, fest: „Noch mehr Geld für Graumanns [Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland] Nörgeltruppe“. Als Udo Voigt noch Vorsitzender der NPD war, durfte der längst aus der NPD ausgetretene Holocaustleugner und rechtskräftig verurteilte Horst Mahler in der „Deutschen Stimme“ ab März 2011 bis Dezember 2011 eine Kolumne unter dem Titel „Zwischenruf aus dem Kerker“ veröffentlichen. Mahler behauptete nicht nur, Juden und Muslime übten eine kulturelle Hegemonie über das deutsche Volk aus (November 2011), sondern auch, dass das griechische nun neben dem deutschen und dem palästinensischen Volk Opfer der „Holocaust-Religion“ sei (Dezember 2011). Im Januar 2012 findet sich keine Mahler-Kolumne mehr im Blatt; Voigt war inzwischen durch Holger Apfel abgelöst worden, der – zumindest vordergründig – versucht, einen moderateren Kurs zu fahren. Obgleich die Hetze gegen Migranten und Ausländer ein thematischer Schwerpunkt des NPD-Organs ist, gibt es durchaus Gesinnungsbündnisse, wenn es um die Ablehnung von Juden geht. Im Februar 2003 erschien ein mehrseitiges Interview mit Shaker Assem, dem Herausgeber des Organs der inzwischen in Deutschland verbotenen radikal islamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir, in dem der Interviewer, der damalige Chefredakteur und heutige NPD-Vorsitzende Holger Apfel, feststellte, „dass es in der Beurteilung geopolitischer Zusammenhänge punktuelle Übereinstimmungen gibt“. Assem sieht die Welt unter dem Diktat der USA und verspricht nach der Verwirklichung des Kalifatstaates die Befreiung Palästinas von den Zionisten. Im September

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Das Deutsche Tageblatt (1907–1929)

2001 erschien in der „Deutschen Stimme“ ein Interview mit Ahmed Huber, der als Kontaktperson zwischen Rechtsextremen und fundamentalistischen Islamisten agiert. Dem DS-Verlag angegliedert ist ein eigener Versandhandel (DS-Versand). Das „Nationale Warenhaus“ vertreibt einschlägige Devotionalien, Kleidung, Musik und Bücher. Der Verkauf wird vor allem online abgewickelt, es existiert aber auch ein Ladengeschäft. Angepriesen werden etwa verschwörungstheoretische Bücher des KoppVerlages. Auf der Bestellliste befinden sich ebenso Publikationen rechter Publizisten wie die von Alain de Benoist oder von Rassentheoretikern wie Julius Evola und Hans F. K. Günther. Im Angebot ist für rund 60 Euro auch ein „Räuchermännchen – Kaufmann im Kaftan“. Die „schöne handbemalte Arbeit aus Lindenholz, Höhe 24 cm“ karikiert einen ultra-orthodoxen Juden. T-Shirts oder Buttons mit dem Slogan „The World without Zionism“ über dem Konterfei des iranischen Präsidenten und Holocaust-Leugners Mahmud Ahmadinedschad stehen ebenso zum Verkauf wie T-Shirts mit dem Aufdruck eines roten Verbotsschildes, das die US-amerikanische Flagge zeigt; die „Stars“ sind ersetzt durch einen weißen Davidstern auf blauem Grund, der Schriftzug „Kein Geld für USsrael“ verrät die antisemitische Konnotation, die sich verschwörungstheoretischer Muster bedient. Nicht nur der Vermarktung von Zeitung und Verlagshandel, sondern vor allem als Kontakt- und Rekrutierungstreffen dienen die DS-Pressefeste, die zu einem der größten jährlichen Treffpunkte der rechtsextremen Szene avanciert sind. Zuletzt trafen sich am 11. August 2012 in Viereck bei Pasewalk NPD-Funktionäre und einschlägige Rockbands.

Juliane Wetzel

Literatur Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2011, Berlin 2012. Florian Hartleb, Die „Deutsche Stimme“ – Das intellektuelle Sprachrohr der NPD?, in: Uwe Backes, Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007, S. 355–382.

Das Deutsche Tageblatt (1907–1929) Die in Berlin herausgegebene Zeitung mit dem Titel „Das Deutsche Tageblatt“ erschien seit Mai 1907 und erhielt nach dem Ersten Weltkrieg unter der Herausgeberschaft des deutschnationalen, später deutschvölkischen Politikers und Parteiführers Reinhold Wulle, in dessen Verlagsgesellschaft Deutscher Herold sie seit Beginn der 1920er Jahre veröffentlicht wurde, eine dezidiert völkisch-antisemitische Ausrichtung. Mit der Gründung der Deutschvölkischen Freiheitspartei im Dezember 1922 avancierte „Das Deutsche Tageblatt“ zum Parteiorgan und „Kampfblatt“ für völkische Ideologie. Zeitweilig wurde der Beiname „Großdeutsche Warte“ verwendet. Seit April 1923 beschäftigte Reinhold Wulle als verantwortlichen Redakteur den ebenfalls der Deutschvölkischen Freiheitspartei angehörenden Journalisten und Reichstagsabgeordneten Hans Stelter, der 1926 auch die Herausgeberschaft übernahm. Die „Mecklenburger Warte“ erschien ab September 1907 an unterschiedlichen Orten, anfangs in Wismar, nach dem Krieg zunächst in Rostock und zuletzt in Berlin. In ihr ging 1921 die „Rostocker Zeitung“ auf. Zeitweilig wurde neben der „Rostocker

Das Deutsche Volksblatt (Österreich, 1889–1922)

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Zeitung“ auch die „Pommersche Wacht“ als integriertes Blatt im Untertitel genannt. Die Redaktion, für die u. a. der langjährige deutschvölkische Parteifunktionär Fritz Hilgenstock tätig war, stand dem antisemitischen mecklenburgischen Reichstagsabgeordneten und Gründungsvorsitzenden der Deutschvölkischen Freiheitspartei Albrecht von Graefe nahe. Sie bot sowohl Graefe als auch anderen führenden Vertretern der Partei regelmäßig Platz für Agitation. „Das Deutsche Tageblatt“ und die „Mecklenburger Warte“ wurden im Juli 1929 infolge des Niedergangs der Deutschvölkischen Freiheitspartei, die sich seit 1925 Deutschvölkische Freiheitsbewegung nannte, unter der Federführung von Reinhold Wulle zusammengefasst. Die so entstandene neue Zeitung erschien fortan als „Deutsche Nachrichten“, führte jedoch die Bezeichnung „Das Deutsche Tageblatt – Organ der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung“ weiterhin im Untertitel. Zudem erschienen die „Deutschen Nachrichten“, anders als die beiden Vorgänger, vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt durch Mitgliederabwanderung bereits äußerst angespannten finanziellen Situation der Bewegung nur noch einmal wöchentlich, bis sie 1933 schließlich ganz eingestellt wurden. Als parteieigene bzw. der Deutschvölkischen Freiheitspartei nahestehende Zeitungen trugen „Das Deutsche Tageblatt“, die „Mecklenburger Warte“ und zuletzt die „Deutschen Nachrichten“ maßgeblich zur Verbreitung der von dieser Gruppierung in der Weimarer Republik propagierten völkisch-antisemitischen Weltanschauung bei. Insbesondere das sechsmal wöchentlich erscheinende und für Abonnenten zeitweilig in Kombination mit Ernst Graf zu Reventlows Wochenzeitschrift → „Der Reichswart“ vertriebene „Deutsche Tageblatt“ bot aggressiv judenfeindlicher und rassenideologisch untermauerter Propaganda ein beständiges Forum. Früh erkannten kritische Leser aus den Reihen der demokratischen Parteien das aufhetzende Potenzial dieser Zeitung, so etwa 1922 der Sozialdemokrat Otto Wels, der die namentlich in Reinhold Wulles eigenen Beiträgen allgegenwärtige „wüste Rassenhetze […] als eine Gefahr für die Zukunft unseres Staatswesens“ scharf verurteilte. In der Sondersitzung des Reichstags nach dem antisemitisch motivierten Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau zitierte Reichskanzler Joseph Wirth Auszüge aus dem „Deutschen Tageblatt“ und machte die Zeitung sowie ihren Herausgeber direkt mitverantwortlich für die Vergiftung des politischen Klimas im Vorfeld des Attentats.

Stefanie Schrader

Literatur Stefanie Schrader, Völkische Opposition. Eine Untersuchung zur parteipolitischen und parlamentarischen Partizipation der Deutschvölkischen Freiheitspartei/Deutschvölkischen Freiheitsbewegung in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 2012.

Deutsche Tageszeitung → Deutschösterreichische Tageszeitung

Das Deutsche Volksblatt (Österreich, 1889–1922) Das „Deutsche Volksblatt“ war ein deutsch-nationales, stark rassenantisemitisches Blatt, das zwischen 1889 und 1922 in Wien erschien. Es hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Auflage von ca. 20.000 Stück und war eine der einflussreichsten

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Das Deutsche Volksblatt (Österreich, 1889–1922)

antisemitischen Zeitungen. Gegründet wurde sie von Ernst Vergani, einem Anhänger Georg von Schönerers. Zunächst bestimmten die politischen Vorstellung Schönerers die Blattlinie. Nach dem Bruch mit Schönerer unterstützte Vergani als Herausgeber stärker die Christlichsozialen um Karl Lueger, zu denen er auch schon zuvor Kontakte gepflegt hatte. Rivalitäten und persönliche Animositäten im deutsch-nationalen und christlichsozialen Lager prägten Zeit seines Bestehens die Linie des „Deutschen Volksblattes“ und spiegeln sich in seiner Geschichte wider. Nach Verganis Tod 1915 wurde das „Deutsche Volksblatt“ bis 1922 von dem Juristen, christlichsozialen Politiker und späteren Nationalsozialisten Karl Gottfried Hugelmann weitergeführt. Ernst Vergani, der sich 1880 Georg von Schönerer angeschlossen hatte, war Obmann des „Schulvereins für Deutsche“ und im Vorstand des „Deutschnationalen Vereins“. Im Anschluss an eine Rede Schönerers zum Thema Presse im Februar 1888 formierte Vergani zusammen mit anderen Mitgliedern des Deutschnationalen Vereins einen Zeitungsausschuss mit dem Ziel, eine antisemitische Tageszeitung zu gründen. Dezidiert gegen den Willen Schönerers, der aus finanziellen Erwägungen und aus Skepsis Vergani gegenüber gegen das Zeitungsprojekt war, brachte man die erste Nummer bereits im Dezember 1888 heraus. Aufgaben und Ziel des Blattes umriss man kurz so: „Radical antisemitisch, streng national und entschieden christlich-social rühren wir alle Tage die Werbetrommel für die große Armee der Judenfeinde, predigen ununterbrochen Einigkeit zwischen allen antisemitischen Fraktionen und bahnen so eine Vereinigung aller Antisemiten in eine große deutsche christlich-sociale Volkspartei an.“ Obwohl offiziell für ihn und seine Bewegung gegründet, weigerte sich Schönerer, die ihm zugedachte Position beim „Deutschen Volksblatt“ einzunehmen. Er misstraute Vergani, opponierte gegen ihn und betonte, dass das „Deutsche Volksblatt“ nicht das Organ der deutschnationalen, antisemitischen Partei sei. Nach der Absage Schönerers intensivierte Vergani die Unterstützung für die politischen Kreise und Gruppen um Karl Lueger. Für die sich konstituierenden Christlichsozialen wurde das „Volksblatt“ zu einem wichtigen Medium zur Erschließung neuer Wählerschichten. Die antisemitische Grundhaltung des Blattes kam auch diesem politischen Lager entgegen und bildete den Anknüpfungspunkt zu den Deutschnationalen. Als Chefredakteur verfasste Vergani selbst einige antisemitische Artikel. So schrieb er 1889, nach einer Einleitung zum Thema „lästige Fliegen“: „Wenn nun aber ein gar zu freches Insekt, immer und immer wiederkehrend, mit seinem Gekrauche uns fort und fort belästigt, verliert man doch endlich die Geduld und greift zum Fliegenpracker. So geht es uns mit dem Judenthum. Unser Haus, der Staat wimmelt auch von derartigen Fliegen aller Art, die stets die Gelegenheit erhaschen, von der uns gebührenden Speise sich zu sättigen, alles, was uns nur rein und blank erfreut, zu beschmutzen, an uns zu saugen und uns zu quälen.“ Zum endgültigen Bruch Verganis mit Schönerer kam es 1895. Auch danach behielt das „Deutsche Volksblatt“ seinen Deutschnationalismus und radikalen Rassenantisemitismus bei. Laut Andrew Whiteside war die Zeitschrift in jenen Jahren das „führende antisemitische Organ Österreichs“, wenn auch eine „miese Boulevard-Zeitung, das ärgste, was man Ende des Jahrhunderts in Wien gekannt hatte, vulgär, primitiv“.

Deutsche Zeitung (1896–1934)

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Nach dem Tod Verganis 1915 wurde das Blatt vom Universitätsprofessor für Staats- und Kirchenrecht Karl Gottfried Hugelmann weitergeführt. Hugelmann, von 1921–1932 Mitglied der christlichsozialen Fraktion im Bundesrat, behielt zunächst die Blattlinie im Wesentlichen bei; bei den Wahlen 1919 unterstützte man die Christlichsoziale Partei. Als Herausgeber des „Volksblattes“ agitierte Hugelmann für den Anschluss Österreichs an Deutschland; er selbst tendierte mehr und mehr zum Nationalsozialismus, weswegen er 1934 aus der Christlichsozialen Partei ausgeschlossen wurde. Das „Deutsche Volksblatt“ war schon 1922 eingestellt worden.

Martina Aicher

Literatur Kathrin McEwen, Antisemitismus in Wien um 1900. Eine Diskursanalyse der christlichsozialen und deutschnationalen Presse, Saarbrücken 2010. Andrew G. Whiteside, Georg Ritter von Schönerer. Alldeutschland und sein Prophet, Graz u. a. 1981. Michael Wladika, Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u.k. Monarchie, Wien 2005.

Deutsche Wacht → Antisemitische Hefte Deutsche Wochenzeitung → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung

Deutsche Zeitung (1896–1934) Die „Deutsche Zeitung. Unabhängiges Tageblatt für nationale Politik“ war eine der radikalsten rechtsnational ausgerichteten Tageszeitungen im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Die Reichsausgabe erschien sechsmal wöchentlich, die Berlinausgabe mit Ausnahme der Sonntags- und Montagsnummern zweimal täglich in einer Morgen- und Abendausgabe. Der Bundeswart des völkisch-antisemitischen Deutschbundes, Friedrich Lange, hatte das Blatt mit erheblichen finanziellen Mitteln etlicher Mitglieder 1896 gegründet. Es sollte mit Langes Forderung nach „innerer Überwindung der Sozialdemokratie mit einem nationalen Wirtschaftsprogramm“ die „Gebildeten aller Stände“ für völkische Politik gewinnen. Die Zeitung erreichte anfangs aber nur eine begrenzte Zahl von Beziehern. Die Startauflage betrug 16.000 Exemplare, unter Langes Herausgeberschaft verzeichnete sie maximal 25.000 Abonnenten. Lange verkaufte das unter chronischer Geldknappheit leidende Blatt 1908 an den Berliner Großverleger Georg Büxenstein, der es in die „Deutsche Zeitungs-Gesellschaft“ integrierte. Im Januar 1917 übernahm schließlich Alfred Hugenbergs Medienimperium die Verlagsrechte und übertrug die „Deutsche Zeitung“ der „Neudeutschen Verlags- und Treuhand-Gesellschaft“. Diese kurz zuvor gegründete und maßgeblich von alldeutsch-industriellen Kreisen finanzierte Presseholding befand sich fest in Händen des Alldeutschen Verbandes. Als maßgeblicher Initiator der Zeitungsübernahme und Vorsitzender des Aufsichtsrates fungierte der Verbandsvorsitzende Heinrich Claß. Unter der Leitung des neuen Betreiberkonsortiums entwickelte sich die Auflage der Zeitung bis Mitte der 1920er Jahre kontinuierlich nach oben. Ihren Höhepunkt erreichte sie 1926 mit einer Auflage von über 60.000 Exemplaren. Damit übertraf die „Deutsche Zeitung“ die

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Deutsche Zeitung (1896–1934)

Auflagenzahlen der übrigen national-konservativen Zeitungen in der Reichshauptstadt deutlich. Wenngleich in der Zeitung und in ihren unzähligen Beilagen verschiedene, aber überwiegend alldeutsche oder dem Verband nahestehende Autoren publizierten, kontrollierte Claß als Aufsichtsratsvorsitzender die inhaltliche Ausrichtung nahezu alleine. In radikaler rhetorischer Schärfe verurteilte das Blatt in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs die kompromissbereite Politik des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg und seiner Nachfolger. Claß lehnte jegliche Veränderungen zugunsten demokratischer Mitbestimmung entschieden ab. Als die militärische Niederlage unabwendbar und die innenpolitischen Demokratisierungstendenzen unaufhaltbar schienen, stigmatisierte die „Deutsche Zeitung“ unverhohlen das „internationale Judentum“ als Schuldigen an dieser ihren nationalen Vorstellungen entgegenlaufenden Entwicklung. Das Blatt hatte wesentlichen Anteil an der Zunahme der antisemitischen Stimmung in der zweiten Kriegshälfte. Nach der Revolution 1918/19 schrieb die Zeitung gegen die republikanische Staatsform und das parlamentarisch-demokratische Regierungssystem. Sie verteidigte die Monarchie als ideale Staatsform und präsentierte die ethnisch determinierte „Volksgemeinschaft“ als Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie. Die „Judenfrage“ und die Beseitigung jeglichen „schädlichen und zersetzenden Einflusses“ wurden zur Kardinalfrage einer „nationalen Wiedergeburt“ erklärt. Mehrmals wurden Anfang der 1920er Jahre einzelne Ausgaben wegen republikfeindlicher Propaganda verboten. Im französisch besetzten Rheinland war der Vertrieb der Zeitung zwischen 1923 und 1927 vollständig untersagt. Die „Deutsche Zeitung“ agitierte gegen alle politischen Strömungen, die ihre völkischen Ziele nicht teilten. Nicht nur Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale und Demokraten waren Zielscheibe ihrer publizistischen Angriffe. Sie kritisierte ebenso die parlamentarischen Zugeständnisse der Deutschnationalen, die Zersplitterung der rechtsradikalen Gruppierungen und später auch den alleinigen Machtanspruch der NSDAP. Sogar der 1925 gewählte und weit über das nationale Lager hinaus angesehene Reichspräsident Paul von Hindenburg blieb von der Kritik nicht verschont. Er hatte sich in den Augen der „Deutschen Zeitung“ zu sehr der Weimarer Verfassung verpflichtet verhalten und eine Systemänderung im alldeutschen Sinne abgelehnt. Seit Mitte der 1920er Jahre verzeichnete die „Deutsche Zeitung“ aber kontinuierlich rückläufige Absatzzahlen. Wie der sie dominierende Alldeutsche Verband verharrte sie in ihrer Berichterstattung in fundamentaler Ablehnung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Im Januar 1934 wurde die „Deutsche Zeitung“ in den nationalsozialistischen Reichsnährstandsverlag „gleichgeschaltet“ und ihr Erscheinen Ende 1934 eingestellt.

Johannes Leicht

Literatur Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012. Dirk Stegmann, Die „Deutsche Zeitung“ 1917–1918. Präfaschistische Öffentlichkeit am Ende des Kaiserreichs, in: Dagmar Bussieck u. a. (Hrsg.), Kultur, Politik und Öffentlichkeit. Festschrift für Jens Flemming, Kassel 2009, S. 266–288.

Deutsche Zeitung im Ostland (1941–1944)

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Deutsche Zeitung im Ostland (1941–1944) Die unter der Schirmherrschaft des → Europa-Verlags herausgegebene deutschsprachige Wochenzeitung „Deutsche Zeitung im Ostland“ galt als das offizielle Presseorgan und Sprachrohr der deutschen Besatzungsmacht bzw. der Zivilverwaltung im „Ostland“, das heißt in Lettland, Litauen, Estland und anfangs Weißruthenien, zwischen Juli 1941 und Oktober 1944. Der Sitz des Postverlagsorts war Tilsit, Verlag und Schriftleitung selbst hingegen befanden sich in Riga, in der Kalēju Straße (Schmiedestraße) 29. Die Inhalte der Zeitung bestanden aus grundlegenden ideologischen nationalsozialistischen Texten, spezifisch für die Länder des „Ostlands“ zusammengestellten antisowjetischen und antisemitischen Schriften sowie amtlichen Mitteilungen bzw. Verordnungen der deutschen Zivilverwaltung. Auf den ersten Seiten der Zeitung befanden sich in der Regel Berichte zur Frontlage sowie propagandistisch aufgearbeitete Reportagen und Themenbeiträge. Auf den folgenden Seiten wurden stark ausgesuchte internationale Nachrichten, Länder- und Ortsnachrichten gedruckt. Alle Beiträge der „Deutschen Zeitung im Ostland“ waren tendenziös aufbereitet, die Reportagen auf der Ebene der „Ostlandnachrichten“ bestanden aus der ideologisch-propagandistischen Interpretation von aus dem historischen Zusammenhang gerissenen Tatsachen. Insbesondere in den ersten Monaten der deutschen Besatzung der Länder des „Ostlands“ wurde in der „Deutschen Zeitung im Ostland“ eine große Zahl von vermeintlich dokumentarischen und statistisch unterlegten Berichten zu den von der sowjetischen Macht in den baltischen Ländern verübten Verbrechen publiziert, wie beispielsweise der von Erik Jacobson verfasste Artikel „In Rigas GPU-Kellern“. Antijüdische Artikel wurden in der Regel ebenso auf vermeintlich historische und statistische Quellen gestützt, wie beispielsweise der Artikel „Jerusalem im Osten. Die Juden im baltischen Raum“ (ohne Angabe des Verfassers). Diese pseudowissenschaftliche Methodik folgte dem Grundmuster der nationalsozialistischen Ideologie und zog eine direkte Verbindungslinie zwischen Sowjetdiktatur, Bolschewismus, der Rolle der Juden im Baltikum und vermeintlichem jüdischen Streben nach der Weltherrschaft. Weitere Bezüge zur jüdischen Bevölkerung des Baltikums lassen sich in Kurznachrichten finden, die Übertretungen von für Juden geltenden Vorschriften meldeten. Ein direkter Hinweis auf die Schließung des Rigaer Ghettos am 25. Oktober 1941 enthält der Artikel „Die Juden unter sich. Bis zum heutigen Tag müssen die Juden das Ghetto bezogen haben“ (ohne Angabe des Verfassers). Darin wird ein aggressiv antisemitisches und verfälschtes Bild der Lage der verfolgten Juden gezeichnet: „Es ist typisch für diese Rasse, die durch Jahrhunderte Feindschaft und Zwietracht unter die Menschheit gesät hat, nun auch jetzt, wo sie ganz unter sich sind, keine Ruhe und keinen Frieden halten können. Überall in den Straßenzügen des Ghettos sieht man keifende und miteinander streitende Juden, unter denen Frieden zu stiften sogar der eigenen jüdischen Polizei mitunter Schwierigkeiten bereitet.“ Obwohl die Häufung antisowjetischer und antisemitischer Texte ab Anfang 1942 stark nachließ, gab es auch weiterhin regelmäßig publizierte Texte zur Rolle des Judentums im Baltikum, die immer auf das Muster des jüdisch-bolschewistischen Feindbildes zurückgriffen, wie der im Februar 1942 erschienene Artikel Edmund Hahns „Juden. Beherrscher der Sowjetunion“. Ab dem Jahr 1943 überwog zunehmend die

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Deutsches Volkstum (1917–1941)

Zahl der Artikel zur Frontlage, zur internationalen Politik, zur innerbaltischen Tagespolitik und zu kulturellen Ereignissen. Die auf den letzten Seiten der „Deutschen Zeitung im Ostland“ von Beginn an abgedruckten Reklameartikel und Anzeigen geben als historische Zeugnisse Auskunft darüber, wie schnell der Anschein einer Besatzungsnormalität zumindest angestrebt wurde.

Katrin Reichelt

Literatur Andrej Angrick, Peter Klein, Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941– 1944, Darmstadt 2006. Katrin Reichelt, Lettland unter deutscher Besatzung 1941–1944. Der lettische Anteil am Holocaust, Berlin 2011.

Deutscher Anzeiger → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung Deutsches Tagblatt → Deutschösterreichische Tageszeitung

Deutsches Volkstum (1917–1941) Die Monatszeitschrift „Deutsches Volkstum“ war das „kulturpolitische Aushängeschild“ (Gerstner) des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV) und der aus seinen Reihen 1916 gegründeten „Fichte-Gesellschaft von 1914“ zur völkischen Bildungsarbeit. Der 1893 gegründete DHV war eine der antisemitischen Deutschsozialen Partei nahestehende Interessenvertretung der Angestellten, die ihnen zu einem eigenen Standesbewusstsein zwischen Arbeiterschaft und Bildungsbürgertum verhalf. Er entwickelte durch vielfältige Beziehungen zu Verbänden der völkischen Bewegung eine deutschnationale Ideologie. Er verwarf die Frauenarbeit, nahm keine Juden auf, sondern nur „Kaufleute deutschen Blutes“ und warb Mitglieder innerhalb der Grenzen des deutschen „Volkstums“. Ab 1910/11 entwickelte er sich zu einer standespolitischen Interessenorganisation, die ab 1919 völlig den Charakter einer bürgerlichen Angestelltengewerkschaft annahm und eng mit christlichen Gewerkschaften zusammenarbeitete. Nach anfänglicher Unterstützung der DNVP und der DVP wurde die NSDAP stärker ideell gefördert und politisch ein Bündnis von Zentrum und NSDAP angestrebt. Der 400.000 Mitglieder starke DHV beeinflusste das Denken breiter Mittelstandsschichten. Angeschlossen waren zahlreiche Organisationen und wirtschaftliche Unternehmungen, wie der Deutsche Ring. 1933 wurde der DHV in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert und 1934 aufgelöst. 1893 gründete der DHV die → „Hanseatische Verlagsanstalt“ (HAVA), 1916 wurde mit der „Deutschnationalen Hausbücherei“ die erste Buchgemeinschaft geschaffen. Bis 1934 war der Verlag das publizistische Rückgrat der „Konservativen Revolution“, in den folgenden Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nahm er eine zentrale Brain-Trust-Funktion in der Verbreitung dieses Gedankengutes ein. Nach der Übernahme durch die Deutsche Arbeitsfront wurde der Verlag zu einem komplex orientierten Großunternehmen, das eine Schlüsselstellung im „Dritten Reich“ erlangte. Durch die Zusammenarbeit mit Instituten, Ministerien, Wehrmacht und Sicherheitsdienst erlangte er eine geistige Führungsrolle.

Deutsches Volkstum (1917–1941)

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Um die Kultur stärker im völkischen Sinne zu prägen, erwarb der DHV 1913 die 1898 gegründete literarische Zeitschrift „Bühne und Welt“, die ab Januar 1917 unter dem Titel „Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das Kunst- und Geistesleben“ erschien. Ihre Auflage lag zwischen 3.000 und 5.000 Exemplaren. Mit dem Herausgeber Wilhelm Kiefer (1890–1979) und Autoren wie Artur Dinter (1876–1948) und Ludwig Schemann (1852–1938) war sie durch und durch völkisch geprägt. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde diese Zielsetzung verändert, um bildungsbürgerliche Kreise stärker anzusprechen. Ideen der Jugendbewegung gewannen nunmehr an Bedeutung. Ende 1918 wurde Wilhelm Stapel (1882–1954) für zwanzig Jahre Schriftleiter der Zeitschrift und bestimmte ihre Ausrichtung; von 1926 bis 1931 war er zusätzlich Leiter der kulturpolitischen Abteilung der HAVA. Der überzeugte Antisemit versuchte, ein „deutsches Christentum“ zu entwerfen. In seiner Volksnomoslehre zielte er auf die Verbindung von lutherischem Christentum und dem Volksbegriff. Orientiert am „Kunstwart“ wollte Stapel im „Deutschen Volkstum“ durch völkische Kunst, Musik, Religion, Theater und Literatur sein 1917 publiziertes Konzept einer „volksbürgerlichen Erziehung“ verwirklichen; er forcierte antisemitische Beiträge in der Zeitschrift. Die von ihm ausgesuchten neuen Mitarbeiter waren vor allem im norddeutschen Protestantismus verankert. 1926 wurde Stapel von Albrecht Erich Günther (1893–1942) in der Herausgabe unterstützt, der einem Freikorps angehört hatte und eine antibürgerliche, kriegerische Neuordnung erstrebte. Nunmehr wurden politische Themen wichtiger; Parlamentarismus und politische Parteien wurden abgelehnt. Propagiert wurden ein starker Staat und die territoriale Expansion in den Osten. Stapel und Günther wurden zu „Grenzgängern zwischen konservativem und nationalsozialistischem Denken“ (Gerstner). Die Hoffnung, die Nationalsozialisten beeinflussen zu können, zerschlug sich jedoch schon bald. Ab 1939 erschien die Zeitschrift nach dem Ausscheiden Günthers und Stapels unter dem Titel „Monatsschrift für das deutsche Geistesleben“, führte aber die Jahrgangszählung weiter. Mit dem Abschluss des 43. Jahrgangs wurde ihr Erscheinen kriegsbedingt Ende 1941 eingestellt. Gerade in der Weimarer Republik gelang es dem „Deutschen Volkstum“, über das konservative Milieu hinaus christlich-soziale und nationalrevolutionäre Gruppierungen zu erreichen, sodass sie als eine der wichtigsten Zeitschriften der „Konservativen Revolution“ gelten kann.

Rainer Hering

Literatur Alexandra Gerstner, Die Zeitschrift „Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben“ (1917–1938), in: Michael Grunwald, Uwe Puschner (Hrsg.), Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, Bern u. a. 2003, S. 203–218. Ascan Gossler, Publizistik und konservative Revolution. Das „Deutsche Volkstum“ als Organ des Rechtsintellektualismus 1918–1933, Phil. Diss. Hamburg 2001. Iris Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband 1893–1933, Frankfurt am Main 1967. Gerlind Nasarski, Osteuropavorstellungen in der konservativ-revolutionären Publizistik. Analyse der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ 1917–1941, Phil. Diss. Köln 1972.

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Deutschland in Geschichte und Gegenwart (seit 1972)

Deutschland in Geschichte und Gegenwart (seit 1972) Die Zeitschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ erscheint seit Ende 1972 mit wechselnden Untertiteln vierteljährlich im Tübinger → Grabert-Verlag. Als Vorläufer können die „Deutsche Hochschullehrerzeitung“ und die „Mitteilungen für den 131er Hochschullehrer“ gelten, die Verlagsgründer Herbert Grabert (1901–1978) seit 1953 herausgegeben hat. Eine Vielzahl der Beiträge der Zeitschrift, die sich eines pseudowissenschaftlichen Stils bedienen, entstammen dem Themenspektrum des rechtsextremen Geschichtsrevisionismus. Insbesondere die Frage der „Kriegsschuld“ sowie Ausmaß und Ursachen des Holocausts zählen dabei zu den zentralen Gebieten der Agitation. Die Zeitschrift betrachtete dies als Beitrag zur Erforschung der „historischen Wahrheit“, die sie insbesondere durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs verzerrt sieht. Nach eigenen Angaben erscheint sie „in Verbindung mit zahlreichen Gelehrten und Forschern des In- und Auslands“ und in Zusammenarbeit mit einem nicht weiter aktiven „Institut für deutsche Nachkriegsgeschichte“. Zu den Autoren und Mitarbeitern der ersten Jahrgänge gehörten neben Vertretern der völkischen Wissenschaft wie etwa Adolf Helbok (1883–1968) auch zahlreiche Laienforscher, die ihre Befunde zur germanischen Vor- und Frühgeschichte präsentierten. Hinzu kamen ehemalige Angehörige der genuin nationalsozialistischen Bürokratie sowie Vertreter des bundesdeutschen und nordamerikanischen Geschichtsrevisionismus. Neben Aufsätzen und Buchrezensionen enthielt die Zeitschrift stets auch einen Kommentar des Verlagsgründers. Nach dessen Tod trat sein Sohn Wigbert Grabert (geb. 1941) als Herausgeber an seine Stelle. Chefredakteur war zeitweise Wilfred von Oven (1912–2008), ein früherer Adjutant Goebbels’. Als „Schriftleiter“ für Staats-, Verfassungs- und Völkerrechtsfrage fungierte kurzzeitig der Jurist Botho Spurth (1904–1983). Bald darauf stieß Rolf Kosiek (geb. 1934), ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der NPD in Baden-Württemberg, zur Redaktion. In dieser Phase vollzog die Zeitschrift auch einen inhaltlichen Wandel. Zum einen publizierte „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ verstärkt Beiträge, die den Holocaust leugneten oder relativierten. Beispielhaft dafür stehen Autoren wie Wilhelm Stäglich (1916–2006), dessen Machwerk → „Der Auschwitz-Mythos“ der Grabert-Verlag 1979 veröffentlichte, oder Alfred Schickel (geb. 1933), der sich über „Die umstrittenste Zahl der Zeitgeschichte“ und „Das ungeklärte Ausmaß der jüdischen Opfer“ ausließ. Bemerkenswert ist allerdings auch eine Öffnung für Autoren der sogenannten Neuen Rechten und dessen Vordenker Alain de Benoist (geb. 1943). Ein neuerlicher inhaltlicher Wandel und eine optische Modernisierung setzten Anfang der 2000er Jahre ein. Neben revisionistisch ausgerichteten Artikeln erschienen zunehmend Beiträge zum politischen und strategischen Selbstverständnis der extremen Rechten. Hinzu kamen Veröffentlichungen zu aktuellen tagespolitischen Themen, die unter dem eigenen ideologischen Blickwinkel diskutiert wurden. „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ öffnete sich in dieser Phase auch jüngeren Autoren. Zu den regelmäßigen Mitarbeitern gehört seitdem u.a. Claus Nordbruch (geb. 1961), der überwiegend in Südafrika lebt. Mit Karl Richter (geb. 1962) und Andreas Molau (geb. 1968) traten außerdem zwei erfahrene rechtsextreme Publizisten in die Redaktion ein. Richter wurde 2010 Chefredakteur. Der Rückzug Wigbert Graberts als Herausgeber im Frühsommer 2007, an dessen Stelle vorübergehend Kosiek trat, dürfte

Deutschlands Erneuerung (1917–1943)

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dagegen taktisch bestimmt gewesen sein, nachdem die Staatsanwaltschaft Tübingen neuerlich ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet hatte. Anlass waren die Beiträge „Die strafrechtliche Seite des Holocaust-Problems“ und „Zu den Todesmärschen“, die in „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ erschienen waren und offensichtlich eine kurz zuvor zur Bewährung ausgesetzte Strafe Graberts zu gefährden schienen. Über die Auflage der Zeitschrift liegen nur vage Angaben vor. In den 1980er und 1990er Jahren soll sie zwischen 2.500 und 3.000 Exemplaren gelegen haben.

Martin Finkenberger

Literatur Martin Finkenberger, Horst Junginger (Hrsg.), Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901–1978) und seine Verlage, Aschaffenburg 2004.

Deutschlands Erneuerung (1917–1943) „Deutschlands Erneuerung. Monatsschrift für das deutsche Volk“ zählte zu den Zeitschriften des rechtsnationalen Spektrums, die sich vorwiegend an das intellektuelle Bürgertum wandten. Sie erschien von 1917 bis 1943 im Münchener → J. F. Lehmanns Verlag, einem der bedeutendsten deutschen Fachverlage für zunächst medizinische, nach der Jahrhundertwende vermehrt auch rassenideologische, völkische und antisemitische Publikationen. Schriftleiter waren Dr. Erich Kühn (1917–1925), Wilhelm von Müffling (1925–1939), Prof. Robert Wetzel (1940–1942) und Prof. Gustav Borger (1943). Die Gründung von „Deutschlands Erneuerung“ ging zurück auf die Initiative des Rassentheoretikers Housten Stewart Chamberlain, des Redakteurs und späteren Schriftleiters des Blattes Erich Kühn und des Verlegers Julius Friedrich Lehmann. Sie wollten die Zeitschrift als publizistische Plattform für alle „national gesinnten Kreise“ etablieren, welche die demokratischen Zugeständnisse des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg während des Ersten Weltkriegs ablehnten. Vor allem im Umfeld des Alldeutschen Verbands traf die Gründung auf Zustimmung. Ein großer Teil des stets aus mehreren Personen bestehenden Herausgeberkreises sympathisierte bereits seit Jahren mit dem rechtsnationalen Verband. Zu den Herausgebern gehörten neben den führenden Alldeutschen Heinrich Claß (1917–1939), Paul Bang (1927–1939) und Gertzlaff von Hertzberg (1929–1939) unter anderem die Initiatoren Houston Stewart Chamberlain (1917–1927) und Erich Kühn (1921–1925), die alldeutschen Historiker Georg von Below (1917–1927) und Dietrich Schäfer (1917–1928), die „Rassenforscher“ Max von Gruber (1917–1923) und Hans F. K. Günther (1927–1934), der Publizist und deutschnationale Politiker Georg W. Schiele (1917–1920), der Gründer der Vaterlandspartei Wolfgang Kapp (1917), der Offizier Rüdiger Graf von der Goltz (1929–1939), der Regierungs-Präsident a. D. Friedrich von Schwerin (1917–1924), der Theologe Reinhold Seeberg (1917–1925) und der völkische Philosophieprofessor Max Wundt (1924–1939). Die Mitherausgeberschaft namhafter Alldeutscher aus Österreich, wie des Wiener Orientalisten Rudolf Geyer (1917–1928), des Generals der Infanterie Alfred Krauß (1927–1938) sowie des Grazer Nervenarztes Fritz Hartmann

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Deutschösterreichische Tageszeitung (Österreich, 1921–1933)

(1924–1936) zeigt, dass die politische Ausrichtung nicht auf Deutschland begrenzt war. Trotz der personellen Nähe zum Alldeutschen Verband war die Zeitschrift keine Verbandspublikation. In ihr veröffentlichten neben den Herausgebern namhafte Akademiker, Politiker und Publizisten des gesamten rechtsnationalen Spektrums. Dementsprechend breit war auch die inhaltliche Ausrichtung des Periodikums. Nach dem Willen der Initiatoren sollte die an intellektuelle Kreise gerichtete Monatsschrift gemäß ihrem Titel durch die „Bekämpfung alles Undeutschen in Recht, Wissenschaft, Kunst, Presse und Geselligkeit“ zur politischen Erneuerung im konservativen und nationalistischen Sinn beitragen. Diesem umfassenden Anspruch folgend kamen agrarökonomische, eugenisch-biologische, historische, kolonialistische, kulturanthropologische, philosophische, rassenhygienische, volkskundliche und wirtschaftliche Artikel mit antisozialistischer, antisemitischer, antidemokratischer und antiparlamentarischer Stoßrichtung zum Abdruck. Die Autoren sprachen der Weimarer Republik jegliche politische Legitimität ab und formulierten in ihren Beiträgen die Hoffnung auf eine grundsätzliche gesellschaftliche Reorganisation nach dem völkischen Ideal eines organisch gegliederten Staatsaufbaus. Viele für das rechte Lager als wegweisend geltende Aufsätze wurden zusätzlich als separate Flugschriften vertrieben, meist mit einer Auflage von über 100.000 Exemplaren. Anfang der 1920er Jahre wies Adolf Hitler die Ortsgruppen der von ihm geführten NSDAP an, die Artikel der Zeitschrift als Grundlage für deren Propaganda zu nehmen. Seit Mitte der 1920er Jahre verlor die Zeitschrift jedoch an Bedeutung. Sie fungierte zunehmend als Sprachrohr der mehrheitlich alldeutschen Herausgeberschaft, deren Einfluss aber mit dem politischen Aufstieg Hitlers drastisch zurückging. Nach der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 erschien das Periodikum noch bis 1939 in der seit 1917 bekannten monatlichen Form. Zählte sie anfangs 3.800 Abonnenten und 500 Zeitungsstandverkäufe, verzeichnete sie 1939 nur noch eine Auflage von 1.250 Exemplaren. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs musste die Erscheinungshäufigkeit der mittlerweile als offizielles Publikationsorgan des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes fungierenden Zeitschrift deutlich eingeschränkt werden, 1943 wurde sie kriegsbedingt ganz eingestellt.

Johannes Leicht

Literatur Gary D. Stark, Entrepreneurs of Ideology. Neoconservative Publishers in Germany 1890– 1933, Chapel Hill 1981. Sigrid Stöckel (Hrsg.), Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J.F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Berlin 2002.

Deutschösterreichische Tageszeitung (Österreich, 1921–1933) Die „Deutschösterreichische Tageszeitung“ („Dötz“) erschien in Österreich von April 1921 bis Juli 1933. Die stark antisemitische Tageszeitung gab in ihren Anfangsjahren verschiedensten großdeutschen, alldeutschen und/oder deutschvölkischen Bewegungen publizistischen Raum und vertrat in den 1920er Jahren die Interessen der Großdeutschen Volkspartei bzw. des Alldeutschen Verbandes. In den 1930er Jahren entwi-

Deutschösterreichische Tageszeitung (Österreich, 1921–1933)

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ckelte sie sich zum wichtigsten Blatt des österreichischen Flügels der NSDAP, in deren Besitz sich die „Dötz“ ab 1927 befand. 1932 und 1933 wurde sie aufgrund ihrer Nähe zum Nationalsozialismus und ihrer scharfen Opposition zur österreichischen Regierung mehrmals konfisziert und kurz nach dem Verbot der Nationalsozialistischen Partei in Österreich eingestellt. Die „Deutschösterreichische Tageszeitung“ steht am Ende einer Reihe stark nationaler, antisemitischer Blätter. Sie gilt als Nachfolgeblatt der von Karl Hermann Wolf 1890 gegründeten „Ostdeutschen Rundschau“, die ab 1908 „Deutsches Tagblatt“ hieß und dann wieder ihren ursprünglichen Namen trug. Ab 1920 erschien das Blatt als „Wiener deutsche Tageszeitung“, dann einige Monate unter dem Titel „Deutsche Tageszeitung“. Im April 1921 wurde sie schließlich in „Dötz“ umbenannt. Zu diesem Zeitpunkt beeinflusste der Präsident des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, maßgeblich die Ausrichtung des Blattes, das sich im Besitz eines Konsortiums befand, das dem Alldeutschen Verband nahestand. Die „Dötz“ erschien mit dem Motto „Alldeutschland die Hoffnung – Großdeutschland das Ziel!“ auf ihrem Titelblatt und bezeichnete sich als „unabhängiges Blatt für völkische Politik“. Ab der ersten Nummer propagierte sie offensiv den Anschluss Österreichs an Deutschland und verfolgte einen stark antisemitischen Kurs. Eines ihrer Ziele sah sie im Aufbau einer „nationalen, rassenantisemitischen Tagespresse, die imstande ist, auch bezüglich des Nachrichtendienstes und des volkswirtschaftlichen Teiles die jüdische Presse zu ersetzen“. Sie forderte eine „Lösung der Judenfrage im rassenantisemitschen Sinne“ und schrieb im April 1921, dass „getrachtet werden muss, dass die gesinnungsverwandten Kreise des Deutschen Reiches Hand in Hand mit uns allen Ernstes die Entjudung der deutschen Rasse in Angriff nehmen“. Als sich anlässlich des 14. Zionistenweltkongresses, der im August 1925 in Wien stattfand, ein „völkisch-antisemitischer Kampfausschuss“ der „Körperschaften sämtlicher nichtjüdischer Parteirichtungen“ bildete, war die „Dötz“ Teil dieses Ausschusses, dessen Ziel es war, den Zionistenkongress zu verhindern, bzw. als dies nicht gelang, durch Proteste den Kongress zu stören. Als die innerhalb des Konsortiums dominierende reichsdeutsche Gruppe 1927 ihre Anteile an der „Dötz“, die damals mit einer Auflage von 25.000 Stück die auflagenstärkste und wichtigste Tageszeitung deutschnationaler Ausrichtung in Österreich war, zum Verkauf anbot, wurden diese von der extra dafür gegründeten Deutschen Verlagsgesellschaft übernommen. Dieser gehörten hauptsächlich führende Nationalsozialisten an. Zwar wurde die „Dötz“ nicht sofort zum offiziellen Parteiblatt der NSDAP in Österreich, sie wurde aber von der Partei gefördert und unterstützt. Durch den publizistischen wie finanziellen Misserfolg anderer deutschnationaler und nationalsozialistischer Blätter wurde die „Dötz“ zu Beginn der 1930er Jahre zum wichtigsten Blatt des österreichischen Flügels der NSDAP. Ab dem 5. Mai 1933 erschien sie mit dem Zusatz „Hauptblatt der NSDAP Hitlerbewegung Österreichs“. Welcher Stellenwert der Zeitung innerhalb der NSDAP zuerkannt wurde, zeigt sich auch daran, dass der Chefredakteur der „Dötz“, Franz Schattenreich, neben einigen hochrangigen österreichischen Nationalsozialisten (vor allem Gauleitern) zur Eröffnungsfeier des Reichstages am 21. März 1933 eingeladen wurde und an dieser teil-

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Deutschvölkische Blätter (1914–1923)

nahm. Nachdem die Nationalsozialistische Partei in Österreich am 20. Juni 1933 verboten worden war, wurde auch die „Dötz“ im Juli 1933 eingestellt.

Martina Aicher

Literatur Wolfgang Duchkowitsch (Hrsg.), Die österreichische NS-Presse 1918–1933. Bestandsaufnahme und Dokumentation, Wien 2001.

Deutschvölkische Blätter (1914–1923) Die „Deutschvölkischen Blätter“, die von Oktober 1914 bis Dezember 1923 unter diesem Namen als Nachfolgepublikation der → „Deutsch-Sozialen Blätter“ erschienen, waren eine wöchentlich in Hamburg herausgegebene, antisemitische Zeitung und das offizielle Parteiorgan der Deutschvölkischen Partei sowie ab dem 1. Januar 1922 das Bundesorgan des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes. Die „Deutschvölkischen Blätter“ waren wie ihre jeweiligen Vorgänger- und Nachfolgepublikationen offen antisemitisch, Zielsetzung war es, den ihrer Meinung nach „schädlichen“ Einfluss, den Juden angeblich in der deutschen Gesellschaft und Politik hätten, aufzudecken und zurückzudrängen. Hierzu bediente sich das Blatt, ebenso wie die verschiedenen Parteien und Organisationen, zu denen es in seiner neunjährigen Publikationsgeschichte gehörte, einer judenfeindlichen Propaganda, die sowohl alte Vorurteile als auch neues völkisches Gedankengut bemühte. Am Anfang jeder Ausgabe standen kurze antisemitische und deutschvölkische Nachrichten sowie diffamierende Aussagen bekannter Personen über Juden, zusammengefasst in der Rubrik „Der Merker“, gefolgt von einigen Artikeln zu verschiedensten antisemitischen Themen. Der Großteil der Zeitung bestand aus unterschiedlichen, teils wiederkehrenden kürzeren Rubriken. In „Abwehr und Aufklärung“ wurde über angebliche Verbrechen von Juden, wie Kindesentführung und Mädchenhandel „aufgeklärt“. Unter „Recht und Gericht“ fanden sich entweder Berichte über „unrechtmäßige“ Verurteilungen von Antisemiten oder „rechtmäßige“ Verurteilungen von Juden und Sozialdemokraten durch deutsche Gerichte. Unter „Völkische Selbsthilfe“ wurde über „vorbildliche“ antisemitische Aktionen berichtet, während in „Aus der deutschvölkischen Bewegung“ die Arbeit offizieller Verbände, Ortsgruppen und Organisationen vorgestellt wurde. In der „Bücherschau“ fanden sich schließlich Rezensionen zu einschlägiger antisemitischer Literatur, während der „Briefkasten“ Leserbriefe enthielt. Auch die Werbung und Anzeigen, die je nach Umfang der aktuellen Ausgabe immerhin ein Sechstel bis die Hälfte des Inhalts der Zeitung darstellten, verdienen Erwähnung, da diese häufig sowohl in Bezug auf ihre Formulierungen als auch auf die beworbenen Artikel antisemitische Züge trugen. So bewarben manche Firmen z. B. ihre Produkte flankiert von Hakenkreuzen, sprachen ihre Kunden direkt als „Deutschvölkische!“ an oder suchten in Stellenanzeigen spezifisch nach „deutschvölkischen“ Angestellten. Dies spiegelt sich in den Stellengesuchen, wo „deutschvölkische“ Arbeitslose, die ihre bisherige Anstellung angeblich „gesinnungshalber“ verloren hatten, nach Arbeit suchten. Mit der Überschrift „Empfehlenswerte Bücher“ wurden antise-

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mitische Publikationen beworben, und unter „Runenschmuck“ ließen sich Hakenkreuze und andere völkische Symbole wie Nadeln, Broschen, Anhänger und Ringe erwerben. Buchhandlungen brüsteten sich damit, alle „Schriften zur Judenfrage stets vorrätig“ zu haben, und Eltern veröffentlichten Geburtsanzeigen ihrer „deutschvölkischen“ Kinder mit Hakenkreuzen neben den Namen. Kurios war es, wenn ein „gebildeter Politiker“ eine „deutschbewußte Frau mit maßgeblichem Vermögen“ suchte, die ihn durch monatliche Geldüberweisungen von 5.000 bis 10.000 Mark in „seinen schweren Überzeugungskämpfen“ stärken sollte. Als die „Deutschvölkischen Blätter“ erstmals am 17. Oktober 1914 erschienen, hatten sie bereits eine lange Publikationsgeschichte hinter sich, wenn auch unter anderen Namen und in teilweise anderen Funktionen. Gegründet wurde die Zeitung im Oktober 1885 von Theodor Fritsch, dem wohl bedeutendsten antisemitischen Verleger seiner Zeit, unter dem Namen „Antisemitische Correspondenz“. Die monatlich in Leipzig publizierte Zeitung sollte ein Diskussionsforum für die verschiedenen antisemitischen Strömungen darstellen und wurde relativ schnell zu einer der wichtigsten Zeitungen des deutschen Antisemitismus. Mit dem Entstehen der Deutschsozialen Partei, an deren Gründung Fritsch beteiligt war, stellte sich die Zeitung zunehmend in deren Dienst und wurde ab dem Jahr 1890 als offizielles Parteiorgan mit dem Namen „Deutsch-Soziale Blätter“ herausgegeben. Als sich Fritsch 1894 vorübergehend aus dem politischen Geschäft zurückzog, verkaufte er die Zeitung an Max Liebermann von Sonnenberg, den Vorsitzenden der Deutschsozialen Partei, unter dessen Leitung sie jedoch in den folgenden Jahren zunehmend an Bedeutung und Einfluss verlor. Als sich die Deutsch-Soziale Partei 1914 schließlich mit der Deutschen Reformpartei zur Deutschvölkischen Partei (DVP) zusammenschloss, um der zunehmenden Bedeutungslosigkeit zu entgehen, blieb die Zeitung das offizielle Parteiorgan der neu gegründeten DVP und erschien ab dem 17. Oktober unter ihrem neuen Namen als „Deutschvölkische Blätter“ in Hamburg. Die Deutschvölkische Partei konnte sich jedoch nie als eigenständige Kraft in der Parteienlandschaft des späten Kaiserreichs etablieren und ging im Dezember 1918 in der aus verschiedenen Rechtsparteien gegründeten Deutschnationalen Volkspartei auf. Der eigene Reichsverband wurde aber zusammen mit den beiden parteieigenen Zeitungen, den „Deutschvölkischen Blättern“ und der „Deutschvölkischen Warte“, in den sogenannten Deutschvölkischen Bund umgewandelt, der nun abseits von parteipolitischen Tätigkeiten agieren und agitieren sollte. Durch den Zusammenschluss des Deutschvölkischen Bundes mit dem Schutz- und Trutz-Bund zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bund (DSTB) im Herbst 1919 gehörten die „Deutschvölkischen Blätter“ zum DSTB und wurden von dessen Hauptgeschäftsführer Alfred Roth, dem Autor des populären antisemitischen Pamphlets → „Die Juden im Heere“, herausgegeben. Der DSTB, dessen Gründung auf eine Initiative des Alldeutschen Verbandes zurückging, entwickelte sich in der Folgezeit schnell zum größten und einflussreichsten antisemitischen Verband der Weimarer Republik, und die Deutschvölkischen Blätter wurden ein wesentlicher Teil seiner umfangreichen Propaganda. Trotzdem war die Zeitung in dieser Zeit nicht sehr erfolgreich; Ende 1921 erreichte sie nur noch eine Auflage von ungefähr 7.000 Exemplaren. Dies änderte sich ab dem 1. Januar 1922, als sie zum offiziellen Bundesorgan des

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Deutschvölkisches Jahrbuch (1920–1922)

DSTB erklärt und ab diesem Zeitpunkt jedem seiner Mitglieder zugestellt wurde, was ihre Auflage auf über 160.000 hob. Diese Phase war jedoch nur von kurzer Dauer, da der DSTB am 18. Juli 1922 im Zuge des „Gesetzes zum Schutze der Republik“ verboten wurde. Ab diesem Zeitpunkt legten die „Deutschvölkischen Blätter“ ihren bisherigen Untertitel „Zeitung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes“ ab. Bald darauf erschien die Zeitung nur noch zweiwöchentlich, zwischenzeitlich hatten die Ausgaben nur noch vier, manchmal sogar lediglich zwei Seiten, von denen mindestens eine ausschließlich Werbeanzeigen enthielt. Ende 1923 wurden die „Deutschvölkischen Blätter“ schließlich eingestellt, ihre geistige Nachfolge trat im Dezember 1923 die ebenfalls von Alfred Roth in Stuttgart herausgegebene „Reichs-Sturmfahne“ an, die noch bis 1928, allerdings ohne großen Erfolg, erschien.

Sebastian Thoma

Literatur Dieter Fricke, Deutschvölkische Partei (DvP) 1914–1918, in: ders. u.a. (Hrsg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945), Band 2, Köln 1984, S. 559–561. Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970. Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache–RasseReligion, Darmstadt 2001.

Deutschvölkisches Jahrbuch (1920–1922) Das „Deutschvölkische Jahrbuch“ stellt eine Sammlung von Artikeln, Verzeichnissen und Listen, die der rechts gerichteten völkischen Bewegung nahestehen, dar. Das Jahrbuch erschien erstmals 1920 und umfasst in seiner Gesamtheit drei Ausgaben, die zwischen 1920–1922 unter verschiedenen Herausgebern im Alexander Duncker Verlag veröffentlicht wurden. Welchem Zweck das Jahrbuch dienen sollte, machte der Herausgeber Georg Fritz in der Einleitung zur ersten Ausgabe deutlich: Es galt die „Errungenschaften der Revolution“ zu beseitigen und den Einfluss des Fremden und Undeutschen auf die deutsche Gesellschaft auszuschalten. So waren die Ursachen für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und für den Niedergang des Vaterlandes seiner Ansicht nach bei den Juden zu suchen, die für ihn das Fremde und somit Schlechte verkörperte. Die Autoren des Jahrbuchs wandten sich mit ihren Themen an eine Leserschaft, die unmittelbar in der völkischen Bewegung angesiedelt war. Hermann Kellermann, Besitzer des Duncker-Verlages, fungierte nicht nur als Verleger des Jahrbuchs, sondern auch als Autor. Er schrieb beispielsweise eine Liste mit „Guten deutschen Büchern“ (1920 und 1921) und eine „Zeitschriftenschau“ (1922). Nachdem Georg Fritz als Herausgeber ausgeschieden war, übernahm Kellermann dessen Aufgaben für die dritte Ausgabe, die die letzte des Jahrbuchs werden sollte. Das Signum VVV der „Vereinigung völkischer Verleger“ erschien ab 1921 auf einer der ersten Seiten, was darauf hinweist, dass die zahlreichen Vereinigungen und Gruppierungen innerhalb der völkischen Bewegung in enger Verbindung standen. Die

Deutschvölkisches Jahrbuch (1920–1922)

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Vereinigung wurde wahrscheinlich von Theodor Fritsch gegründet, Indiz dafür ist, dass die Adresse der Vereinigung und die von Fritsch’ Hammer-Verlag identisch sind. In einem Aufsatz in der zweiten Ausgabe untermauerte Fritsch seine offen antisemitische Haltung mit Zitaten von geschichtlichen Gestalten, beginnend in der Antike bei Seneca, über Martin Luther bis hin zu Schopenhauer und Richard Wagner. Zum völkischen Netzwerk gehörte der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ (DVSTB), der auf Initiative des „Alldeutschen Verbandes“ gegründet wurde. Mitglieder im „Alldeutschen Verband“ waren u. a. Georg Fritz und Heinrich Claß, der den Nationalsozialisten maßgeblich als Ideengeber diente. In seinem Artikel „Des deutschen Volkes Wiedergeburt“ im ersten Jahrbuch (1920) beweinte er den „Zusammenbruch des Vaterlandes“ und sehnte sich nach der Wiederherstellung der früheren feudalen Strukturen und einer strikten Hierarchie von oben nach unten. Wichtige Positionen im DVSTB besetzten Alfred Roth und Adolf Bartels, die das „Deutschvölkische Jahrbuch“ als Plattform nutzten, um ihre judenfeindlichen und nationalistischen Ansichten zu veröffentlichen. Die Autoren des Jahrbuchs bedienten sich einer pseudowissenschaftlichen Diktion ihrer antidemokratischen und rassistischen Grundeinstellung. Rassentheorien verschiedenster Couleur von Autoren wie J. A. de Gobineau, Houston Stewart Chamberlain oder Johann Gottlieb Fichte wurden diskutiert, analysiert und auf die Entwicklung der vermeintlich überlegenen deutschen Rasse angewandt. In Korrelation zu der Überzeugung, dass das Judentum alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens infiltriert und korrumpiert habe, versuchten die Herausgeber des Jahrbuchs mit der Auswahl der Themen nahezu jeden Aspekt der Gesellschaft abzudecken: Musik, Literatur, das Schulwesen, das Heer, Wirtschaftsfragen, Rechtsprechung, Außen- und Innenpolitik und auch die Religion wurden im Sinne der völkischen Ideologie besprochen. Der Glaube an die Überlegenheit des Deutschtums und eine sittlich-religiöse Lebensführung gingen für die Anhänger der völkischen Bewegung miteinander einher und bedingten einander. Unter den Autoren des „Deutschvölkischen Jahrbuchs“ ist nur eine einzige Frau zu finden. Das ist nicht verwunderlich, weil die Rolle der Frau sich auf das Muttersein beschränken sollte. Dieser Einstellung folgte Marie Diers in ihrem Artikel „Die deutsche Frauenbewegung einst und heute“. Sie forderte die deutschen Frauen auf, sich auf die Erziehung ihrer Kinder zu konzentrieren, da Deutschlands ganze Hoffnung auf der Jugend liege. Das Bild der aufopfernden deutschen Mutter wurde ihrer Ansicht nach von den Frauenrechtlerinnen Marie Stritt, Gertrud Bäumer, Marianne Weber und Alice Salomon zerstört, die in die Politik drängen und nur ihre eigenen selbstsüchtigen Interessen verfolgen würden. Weshalb nach 1922 keine weiteren Ausgaben folgten, lässt sich nicht mehr ermitteln. Die Euphorie in der Einleitung der ersten Ausgabe wich einer pessimistischen Haltung in der letztvorliegenden. Die von der völkischen Bewegung herbeigesehnte neue Zeit schien in eine nicht mehr fassbare Ferne gerückt zu sein.

Patricia Fromme

Literatur Wiebke Wiede, Rasse im Buch, München 2011.

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Dialogus (Petrus Alfonsi, ca. 1110)

Dialogus (Petrus Alfonsi, ca. 1110) Der „Dialog“ des konvertierten Juden Petrus Alfonsi (getauft in Huesca/Nordspanien, 1106) ist das erste religionspolemische Werk des Mittelalters, das Vertrautheit mit dem zeitgenössischen Judentum und auch gute Kenntnisse des Islam erkennen lässt. Über den Autor ist sehr wenig bekannt. Im „Dialogus“ behauptet er, als Jude den Namen Moses getragen zu haben, unter Muslimen aufgewachsen zu sein und am Festtag der Apostel Petrus und Paulus (29. Juni) des Jahres 1106 in Huesca, der Hauptstadt des Königreichs Aragón, vom Bischof dieser Stadt Stephan getauft worden zu sein, wobei König Alfons I. von Aragón Pate gestanden sei. Die Handschriften des „Dialogus“ lassen erkennen, dass Petrus zum Zeitpunkt der Abfassung (1110 oder kurz danach) im anglonormannischen Bereich tätig war. Dort entstanden auch seine weiteren Werke: die „Disciplina clericalis“ (eine sehr verbreitete Sammlung von moralischen Aphorismen und lehrhaften Erzählungen orientalischen Ursprungs), eine Übersetzung der astronomischen Tafeln von al-Kwarīzmī sowie ein Sendbrief an die gelehrten Männer Nordfrankreichs, um für seinen auf der arabischen Wissenschaft basierenden Astronomieunterricht zu werben. Diese zwei letzten Werke sind in den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts entstanden, später verliert sich seine Spur. Es ist unbekannt, warum Petrus Aragón verließ. Im „Dialogus“ treten zwei Figuren auf, Petrus und Moses, die der Autor mit seinem gegenwärtigen und seinem früheren Ich identifiziert. Der Text ist in zwölf Kapitel (Tituli) gegliedert, von denen die fünf ersten eine Polemik gegen Judentum (Tit. 1–4) und Islam (Tit. 5) enthalten. In Tit. 6–12 entwirft der Autor eine Apologie des Christentums. Petrus wirft den Juden falsches (weil wörtliches) Verständnis der Thora, ungenügende Befolgung des Gesetzes (da viele Vorschriften in der Diaspora nicht einzuhalten waren) sowie den Glauben an die Auferstehung des Leibes und ein irdisches Leben der Auferstandenen vor. Im ausführlichen Tit. 1 erhebt er ferner den Vorwurf der Irrationalität und greift zum Beweis auf die talmudische Aggada sowie auf die mystische Tradition der Abmessungen des göttlichen Körpers (Shi’ur Qomah) zurück. Die Ratio, die er gegen den Glauben der Juden vorbringt, ist sowohl der „gesunde Menschenverstand“, der auf der täglichen Erfahrung basiert, als auch die Fähigkeit, diese Erfahrungswerte spekulativ zu interpretieren. Petrus Alfonsi zeigt dabei seine Kenntnisse der arabischen Wissenschaft, vor allem der Astronomie und Medizin. So kritisiert er den Glauben, Gott lebe im Westen (basierend auf Nehemia 9,6), mit dem Argument, Ost und West seien relative Punkte, und entwickelt dafür eine der frühesten Erklärungen der Längengrade im christlichen Abendland. Nichtbiblische Traditionen und Texte des Judentums verwendet er auch in anderer Absicht, nämlich um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu zeigen. So nennt er den Talmud als Zeugen der Prodigien, die sich in Judäa zum Zeitpunkt des Todes Jesu ereignet haben sollen (Tit. 2). In seiner Apologie des Christentums (Tit. 6) erklärt er, in dem Tetragrammaton IEVE (das eigentlich aus drei Buchstaben bestehe), verbergen sich drei Namen, IE, EV und VE, und deshalb zeige der Name, dass Gott eins und dreifaltig sei. Diese Behauptung wird mit Hilfe eines Diagramms veranschaulicht. Petrus schreibt, diese Erklärung habe er „in secretis secretorum“ bezogen, womit er sich möglicherweise auf die Schrift Sefer Yetzira bezog. Er könnte sich von den zwei Permutationen Y-H-W, YHW und

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YWH zu seinem Argument inspiriert haben lassen. Petrus’ Auslegung des Tetragrammatons wurde von Joachim de Fiore, Arnaldus de Vilanova, Dante und in der christlichen Kabbala rezipiert. Petrus behauptet, die gelehrten Juden hätten Jesus als Messias erkannt und ihn aus Neid und Missgunst in voller Kenntnis seiner Messianität töten lassen. Damit bricht er mit der bis dahin vorherrschenden, auf Augustinus zurückgehenden Meinung, die Juden hätten Jesus weder als Messias noch als Gottessohn erkannt und seien deshalb für seinen Tod nicht verantwortlich zu machen. Im fünften Kapitel legt Petrus Alfonsi die islamische Religionspraxis in enger Verbindung mit der Biographie Mohammeds dar. Dem Islam erkennt er Vernunftmäßigkeit zu, wirft ihm aber Inmoralität vor. Sein Text basiert zum großen Teil auf einer christlichen, polemischen Schrift auf Arabisch, die aus dem Osten stammte und auf der Iberischen Halbinsel zirkulierte, der Risālat al-Kindī, zu der er Weniges beisteuert. Er gibt trotzdem einen brauchbaren Überblick der religiösen Praxis der Muslime, der für den lateinischen Westen neu war und bis ins 15. Jahrhundert grundlegend blieb, wozu die Aufnahme seiner Informationen im „Speculum historiale“ des Vinzenz von Beauvais in die „Legenda aurea“ des Jacobus von Voragine und im → „Fortalitium fidei“ des Alfonso de Espina beitrug. Der „Dialogus“ war im Mittelalter sehr verbreitet, vor allem in England, Frankreich und im Deutschen Reich. Bisher sind 77 Handschriften bekannt, die den Text überliefern; 12 Codices enthalten Fragmente oder Exzerpte, ferner gibt es in mittelalterlichen Urkunden und Bibliothekskatalogen Hinweise auf ca. 40 weitere, nunmehr verschollene oder noch nicht identifizierte Textzeugen. Petrus Alfonsi ist der erste westliche Autor, der die Unterschiede zwischen dem zeitgenössischen und dem alttestamentlichen Judentum kennt. Doch ist er nicht bemüht, eine Darstellung davon zu geben, sondern sucht diejenigen Aspekte aus, die einfache Ziele für die Polemik abgaben. Sein Einfluss auf die antijüdische Polemik macht sich vor allem ab dem 13. Jahrhundert bemerkbar, als sein Angriff auf den Talmud und sein Vorwurf der Irrationalität Anklang fanden. Inwieweit sein Vorwurf der willentlichen Tötung Jesu durch die Juden spätere Polemiker beeinflusste, wurde bisher nicht untersucht.

Carmen Cardelle de Hartmann

Literatur Alfred Büchler, A Twelfth-Century Physician’s Desk Book: The Secreta Secretorum of Petrus Alphonsi quondam Moses Sephardi, in: Journal of Jewish Studies 37 (1986), S. 206– 212. Carmen Cardelle de Hartmann, Pedro Alfonso y su Dialogus: estado de la cuestión, in: José Martínez Gázquez, Oscar de la Cruz Palma, Cándida Ferrero Hernández (Hrsg.), Estudios de Latín Medieval Hispánico, Firenze 2011, S. 1049–1057. Lateinischer Text in Migne, Patrologia Latina, Band 157, S. 535–672. Klaus-Peter Mieth, Der Dialog des Petrus Alfonsi. Seine Überlieferung im Druck und in den Handschriften. Textedition, Dissertation FU Berlin 1982. Irven M. Resnick, Petrus Alfonsi. Dialogue against the Jews, Washington, DC 2006. John Tolan, Petrus Alfonsi and his Medieval Readers, Florida 1993.

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Did six Million really die? (Richard E. Harwood, 1974)

Did six Million really die? (Richard E. Harwood, 1974) 1974 publizierte Richard Hugh Verrall, damals Mitglied der British National Front, unter dem Pseudonym Richard E. Harwood einen 28-seitigen Text mit dem Titel „Did Six Million Really Die? The Truth at Last“. Er erschien in der den Holocaust leugnenden Zeitschrift „Historical Review Press“ in Uckfield/New Sussex. Udo Walendy startete im gleichen Jahr mit der deutschen Fassung „Starben wirklich 6 Millionen“ seine revisionistische Reihe „Historische Tatsachen“ im Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung. Vier Jahre später erschien, nun unter dem Titel „Six Million Lost and Found: the truth at last“, derselbe Text als erste Nummer der Reihe „Historical Fact“ des revisionistischen „Institute for Historical Review“. Verralls Text ist ein Stückwerk, eine Sammlung verschiedener Texte von Holocaustleugnern wie David Hoggans „Myth of the Six Million“ und Schriften von Paul Rassinier. Varrell/Harwood unterstellt, die Zahl der jüdischen Opfer sei erfunden, Hitlers Absicht wäre es nur gewesen, die Juden nach Madagaskar auszusiedeln, und das Tagebuch der Anne Frank sei „die Konstruktion einer Propagandalüge“. 1977 veröffentlichte der Holocaustleugner Ernst Zündel Verralls Schrift in seinem Verlag Samisdat Publishers, versehen mit einem eigenen Vor- und Nachwort. Zündel musste sich u. a. deswegen 1985 und 1988 in Kanada vor Gericht verantworten und wurde wegen Verbreitung von Falschaussagen verurteilt. Der kanadische Oberste Gerichtshof bewertete das Buch als Uminterpretation historischer Arbeit, Zeugen wären falsch zitiert, Aussagen erfunden und vermeintliche Experten ins Feld geführt worden. Barbara Kulaszka, eine kanadische Anwältin, die vor allem Klienten aus dem rechtsextremen Spektrum verteidigt, gab im August 1992 im Auftrag der revisionistischen „L’Association des Anciens Amateurs de Récits de Guerres et d'Holocaustes“ (AAARGH) bei Zündels Samisdat Publishers ein über 900 Seiten umfassendes Werk mit dem Titel „‚Did six Million really Die?’ Report of the Evidence in the Canadian ‚False News’ Trial of Ernst Zündel – 1988“ heraus, das online verfügbar ist. In der Publikation sind die Statements der Zeugen der Verteidigung nachzulesen, darunter jene der bekannten Holocaustleugner Thies Christophersen, Bradley Smith, Mark Weber, Joseph G. Burg, Udo Walendy, Emil Lachout, Robert Faurisson, Fred A. Leuchter und David Irving. Den Abschluss bilden der gesamte Text von „Did six Million really die?“ sowie Kommentare der bekannten Leugner-Riege zu dem Pamphlet. „Did six Million really die?“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und verkaufte sich in den 1980er/1990er Jahren mehr als eine Million Mal. Heute findet sich der Text auf einer Vielzahl von rechtsextremistischen und radikal islamistischen Webseiten. 2005 stellte die „L’Association des Anciens Amateurs de Récits de Guerres et d’Holocaustes“ eine deutsche Übersetzung des Verrall-Textes im Internet als pdf-Datei (52 Seiten) bereit. „Did six million really die?“ wird aktuell auch zum Preis von 5 Pfund auf der rechtsextremen „Spearhead books“ Internetverkaufsplattform angeboten und mit dem Slogan „Controversial and yet good news for all alleged victims and students of the Holocaust“ beworben. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat die deutsche Fassung des Harwood/Verrall Machwerks 1997 auf den Index gesetzt. Die Internet-Plattform „Holocaust-Referenz. Argumente gegen Auschwitzleugner“ stellt eine ausführliche, kritische Untersuchung einzelner Passagen des Textes bereit, die einem breiteren Publikum Aufschluss darüber geben, mit

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welchen Unwahrheiten, falschen Schlüssen und Tatsachenverdrehungen der Autor gearbeitet hat, um seine These, es habe keinen Massenmord an den Juden gegeben, zu untermauern.

Juliane Wetzel

Literatur Stephen E. Atkins, Holocaust Denial as an International Movement, Westport/CT 2009. Deborah Lipstadt, Betrifft: Leugnen des Holocaust, Zürich 1994.

Diederichs-Verlag → Eugen Diederichs Verlag

Difesa della razza (Italien, 1938–1943) „La Difesa della razza“ [Die Verteidigung der Rasse] war eine 14-tägig vom 5. August 1938 bis zum 20. Juni 1943 in Italien erscheinende Zeitschrift. Mussolini hatte den überzeugten Antisemiten Telesio Interlandi als Direktor der Zeitschrift eingesetzt. Interlandi und die von ihm herausgegebene römische Tageszeitung „Il Tevere“ dienten dem faschistischen Regime bereits in den 1920er Jahren als inoffizielles rassistisches Sprachrohr. Als Redaktionsmitglied nahm Interlandi seinen ehemaligen Chefredakteur Giorgio Almirante mit, der nach 1945 zu den Mitbegründern der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) gehören sollte. Die „Difesa della razza“ unterstand dem italienischen Propagandaministerium (Ministero della Cultura Popolare) und hatte das selbsterklärte Ziel, die italienische Bevölkerung durch Verbreitung pseudowissenschaftlicher Theorien zu einer rassistischen Identität zu erziehen und den Antisemitismus in Italien salonfähig zu machen. Grundlegende Ideen dieser Agitation waren im → „Manifesto della razza“ festgelegt worden. Um möglichst viele Leser inhaltlich zu erreichen, war die „Difesa della razza“ in die drei Sparten „scienza“, „documentazione“ und „polemica“ unterteilt. Die Zeitschrift konnte zum Preis von einer Lira pro Ausgabe am Kiosk oder im Abonnement erworben werden. Die massive rassistische Propaganda des faschistischen Regimes führte im Erscheinungsjahr 1938 zu einer kurzzeitig steigenden Auflage. Die Auflage der ersten Ausgabe lag bei 115.000 und stieg bis zur vierten Ausgabe auf 150.000 an, danach waren die Zahlen rückläufig und pendelten sich 1940 auf 20.000 Stück ein. Hauptgeldgeber war das italienische Propagandaministerium, außerdem finanzierte sich die Zeitschrift durch Werbeeinnahmen, die zum großen Teil von italienischen Versicherungsunternehmen und Banken stammten. Vom ersten bis zum letzten Jahrgang hatte die Zeitschrift sowohl eine ausgesprochen antisemitische als auch rassistische Ausrichtung. In den antisemitischen Beiträgen wurden entweder traditionelle antijüdische Vorurteile und Feindbilder kolportiert oder die antisemitischen Maßnahmen des faschistischen Regimes glorifizierend kommentiert. Wegen der italienischen Kolonialpolitik hatten die rassendiskriminierenden Artikel in der „Difesa della razza“ besonders antiafrikanische Themen, wie die Warnung vor sexuellen Beziehungen zu afrikanischen Frauen. Daneben erschienen immer wieder Beiträge zur „positiven Bevölkerungspolitik“ des italienischen Faschismus. Reich bebildert mit Karikaturen und Fotografien richtete sich die Zeitschrift an eine breite Leserschaft. Hauptautoren waren die Anthropologen Guido Landra und Lidio

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Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift (1891–1920)

Cipriani, beide vertraten einen biologisch ausgeprägten Rassismus, der dem Blatt einen wissenschaftlichen Anstrich geben sollte. Daneben publizierten auch Vertreter eines sogenannten spirituellen Rassismus, wie Julius Evola in der „Difesa dell razza“. Wegen der „Achse Berlin-Rom“ entstand auch eine deutsch-italienische Kooperation. Nicht nur für Eugeniker, wie Eugen Fischer, sondern auch für Antisemiten, wie den Schriftsteller Johann von Leers und den Karikaturisten der antisemitischen Tageszeitung → „Der Stürmer“ Philipp Rupprecht, die im Sinne des nationalsozialistischen Regimes antisemitische Propaganda betrieben, bot die „Difesa della razza“ ein Forum in Italien.

Kilian Bartikowski

Literatur Francesco Cassata, La difesa della razza. Politica, ideologia e immagine del razzismo fascista, Turin 2008. Meir Michaelis, Mussolini’s unofficial mouthpiece. Telesio Interlandi – Il Tevere and the evolution of Mussolini’s anti-Semitism, in: Journal of Modern Italian Studies 3 (1998), 3, S. 217–240. Giampiero Mughini, A via della Mercede c’era un razzista. Pittori e scrittori in camicia nera und giornalista maledetto e dimenticato lo strano „caso“ di Telesio Interlandi, Mailand 1991.

Dötz → Deutschösterreichische Tageszeitung Dokumente zur Judenfrage in der Schweiz → Juden werden „Schweizer“

Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift (1891–1920) Am 15. Oktober 1884 erschien erstmals die „Österreichische Wochenschrift. Zentralorgan für sämtliche Interessen des Judentums“. Ab dem 22. Februar 1895 hieß sie „Dr. Bloch’s Österreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesammten Interessen des Judenthums“, und vom Oktober 1918 bis zu ihrer Einstellung im Februar 1920 trug sie den Namen „Dr. Bloch’s Wochenschrift“. Mit fast 36 Erscheinungsjahren (1884–1920) war sie eines der langlebigsten jüdischen Periodika der Habsburgermonarchie. Zentrales Anliegen des Blatts waren der Kampf gegen Antisemitismus und die Assimilation. Das Blatt war geprägt von seinem Herausgeber Rabbiner Joseph Samuel Bloch, der auch die meisten Beiträge verfasste. Bloch wurde am 20. November 1850 im ostgalizischen Dukla als Sohn eines Bäckers geboren. Nachdem er in einer Reihe galizischer Lehrhäuser und bei Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer in Eisenstadt gelernt hatte, studierte er Philosophie und promovierte 1875 an der Universität München. Danach bekleidete er verschiedene Stellen als Prediger und Rabbiner in Böhmen und Posen, bis er 1880 zum Oberrabbiner der neu gegründeten Kultusgemeinde im aufstrebenden Industrieort Floridsdorf bei Wien berufen wurde. Seit Beginn der 1880er Jahre trat in Wien der vom politischen Katholizismus getragene Antisemitismus verstärkt auf. Der politische Katholizismus bekämpfte vor allem den Liberalismus, als dessen wichtigste Repräsentanten er die Juden bezeichnete. Karl von Vogelsang, geistiger Vater des politischen Katholizismus, meinte, dass die „Ju-

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denfrage“ sich durch die Einführung der katholischen Soziallehre von selbst lösen würde, da damit der „jüdische Geist“ des Liberalismus, der auch bei Christen zu finden wäre, unschädlich gemacht würde. Der niedrige Klerus hingegen, der vom traditionellen christlichen Antijudaismus durchdrungen war, rief die katholischen Gläubigen auf, die Juden aktiv zu bekämpfen. 1881 gründeten antimodernistische christliche Handwerker und Arbeiter die Vereinigung zum Schutz der Handwerker, die ein Jahr später zum Österreichischen Reformverein umgestaltet wurde, der bewusst den Namen seines antisemitischen deutschen Vorbilds übernahm. Dieser wurde zur Vorläuferorganisation der 1893 gegründeten Christlichsozialen Partei. „Wissenschaftliche“ Unterstützung erhielten die katholischen Antisemiten nicht zuletzt vom Prager Professor für alttestamentliche Exegese, August Rohling, der 1871 das antisemitische Buch → „Der Talmudjude“ veröffentlicht hatte. 1885 gelang es Bloch, Rohling als Scharlatan zu entlarven, der die talmudischen Quellen fälschte. Rohling verlor daraufhin seine Lehrerlaubnis, dennoch fand sein Werk weiterhin unter Katholiken Mittel- und Osteuropas Anklang. Bloch hingegen hatte durch sein entschiedenes Vorgehen gegen Rohling vor allem die Sympathien seiner galizischen Glaubensgenossen gewonnen. 1883 wurde er als Vertreter des Wahlkreises BuczaczKolomea-Snyatin in den Reichsrat gewählt. Als Mitglied des konservativen Polenclubs vertrat er dort bis 1895 engagiert die jüdischen Interessen und bekämpfte resolut den Antisemitismus, vor allem in seiner katholischen bzw. christlichsozialen Ausprägung. Um ein wirksames Presseorgan im Kampf gegen antisemitische Verleumdungen und gegen die, wie er meinte, damit verbundene Flucht aus dem Judentum zu haben, gründete Bloch 1884 die „Österreichische Wochenschrift. Zentralorgan für sämtliche Interessen des Judentums“. Die „Wochenschrift“ war bewusst jüdisch, loyal zur Habsburger Dynastie und österreichpatriotisch, anti-liberal, anti-assimilatorisch und antinational. Obwohl sie auch vom „Rassenantisemitismus“ sprach, waren ihre Hauptgegner die Christlichsoziale Partei und deren Organ die → „Reichspost“. Die „Wochenschrift“ wollte die jüdische Bevölkerung und insbesondere die jüdische Jugend ermuntern, sich gegen den Antisemitismus zu wehren, und ihnen mit ihrer Berichterstattung Argumente liefern. Obwohl sich die „Wochenschrift“ vor allem auf die Wiener Verhältnisse bezog, lebte die Mehrheit ihrer etwa 1.500 Abonnenten in den Kronländern. Es gelang Bloch jedoch, 1886 die Gründung der Österreichisch-israelitischen Union zu initiieren. Diese war zwar weniger kämpferisch und liberaler als die „Wochenschrift“, war jedoch die erste Abwehrorganisation gegen den Antisemitismus in Mitteleuropa und die erste Wiener jüdische Organisation, die sich selbstbewusst für jüdische Rechte einsetzte. Weniger als vier Jahre nach ihrer Gründung war die „Union“ führende Kraft in der Wiener Kultusgemeinde und behielt diese Position bis 1932. Die „Wochenschrift“ sah die Juden als eigenen Stamm innerhalb der Völker der Habsburgermonarchie, die als loyale Bürger und Menschen ihre Rechte einforderten. Dieses Identitätskonzept zerbrach mit der Monarchie, was letztlich zur Einstellung der Zeitschrift 1920 führte.

Eleonore Lappin-Eppel

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Druffel Verlag (seit 1952)

Literatur Joseph S. Bloch, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien, Leipzig 1922. Ian Reifovitz, Imagining an Austrian Nation. Joseph Samuel Bloch and the Search for a Multiethnic Austrian Identity, 1846–1919, New York 2003. Jacob Toury, Joseph Samuel Bloch und die jüdische Identität im österreichischen Kaiserreich, in: Walter Grab (Hrsg.), Jüdische Integration und Identität in Deutschland und Österreich 1848–1918. Internationales Symposium, April 1983, Tel Aviv 1984, S. 41–64.

Dr. Bloch’s Wochenschrift → Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift

Druffel Verlag (seit 1952) Der Druffel Verlag ist einer der wichtigsten Verlage des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Er war und ist spezialisiert auf die Veröffentlichung und Verbreitung von Apologien des NS-Regimes. Über die apologetische Ebene hinaus, die mindestens ein Beschweigen, oft aber auch Relativieren oder Leugnen der NS-Judenverfolgung beinhaltete, erschienen bei Druffel eine Reihe offen antisemitischer Schriften. 1991 ging das Unternehmen in die Verlagsgesellschaft Berg ein, der neben Druffel die ebenfalls rechtsextremen Verlage Vowinckel und Türmer zugehören. Der 1952 in Leoni am Starnberger See gegründete Verlag wurde von Helmut Sündermann geleitet, einem vormaligen hochrangigen NS-Propagandafachmann und Staatssekretär im Reichspropagandaministerium. Formal gehörte das Unternehmen seiner Schwiegermutter, einer Freifrau von Druffel, da Sündermann zunächst noch mit Publikationsverbot belegt war. Von Anfang an war der Verlag eng in das Netzwerk der pro-nationalsozialistischen extremen Rechten eingebunden. So publizierte Sündermann häufig in der befreundeten Zeitschrift → „Nation Europa“ und initiierte einen dieser Zeitschrift zuarbeitenden Jungeuropäischen Arbeitskreis. Auch bei den Autoren gab es zahlreiche Überschneidungen. Die 1960 gegründete Gesellschaft für freie Publizistik war eng mit Sündermann und dem Druffel Verlag verbunden. Auch zu den Lippoldsberger Dichtertagen des greisen nationalistischen Schriftsteller Hans Grimm und dem Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes des NS-Schriftstellers Herbert Böhme bestanden enge Kontakte. Mit den Briefwechseln zwischen dem inhaftierten Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß und seiner Familie, deren erster Band bereits 1952 im ersten Verlagsprogramm erschien und zu den frühen Erfolgen des Verlags gehörte, begründete Druffel, was Hans-Dietrich Loock den „Heß-Kult“ genannt hat. Daneben publizierte der Verlag eine Reihe von Memoiren früherer Verantwortungsträger des NS-Regimes, darunter des Reichsaußenministers Joachim von Ribbentrop. Loock fasste in einem Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte 1961 zusammen: „Der Druffel-Verlag spricht mit seinen Schriften zielbewußt die noch vorhandenen nationalsozialistischen Stimmungen und Ressentiments an, gibt ihnen neue Nahrung und sucht durch Rechtfertigung des Nationalsozialismus, durch Propaganda im üblen Sinne und durch Formulierung eines neo-nationalsozialistischen Programms den Boden für eine Wiedererstehung des Nationalsozialismus publizistisch vorzubereiten.“ Dabei sei Druffel indes „gezwungen, eine Reihe feststehender Sätze der nationalsozialistischen Weltanschauung, wie den

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Antisemitismus, die Rassenlehre […] so vorzutragen, daß sie gerichtlicher Strafverfolgung entgehen“. Bei Druffel erschienen allerdings auch deutsche Übersetzungen von Büchern des französischen Negationisten Paul Rassinier. Nach Sündermanns Tod 1972 übernahm dessen Stiefsohn Gert Sudholt den Verlag. Sudholt knüpfte sowohl an die politischen Aktivitäten Sündermanns an – etwa in der Gesellschaft für freie Publizistik – als auch an die politische Ausrichtung des Verlagshauses. Ein für Autoren des Druffel Verlags typisches Motiv war die Behauptung, dass es einen geheimen Plan der „Zionisten“ gegeben habe, durch die Vernichtungspolitik die jüdische Einwanderung nach Palästina zu forcieren und die Gründung des Staates Israel zu legitimieren. Dies suggerierte z. B. Heinrich Härtle, ein früherer hochrangiger Mitarbeiter des NS-Ideologen Alfred Rosenberg, in seinem Buch „Deutsche und Juden. Studien zu einem Weltproblem“ (1976), mit dem er zeigen wollte, dass „der Antijudaismus sich proportional zum Judaismus entwickelt“. 1980 erschien das Buch „Ich, Adolf Eichmann“: Gestützt auf eine eidesstattliche Erklärung von Eichmanns Witwe bezeichnete der Druffel Verlag den Text als „historischen Zeugenbericht“ und als selbstverfasste Memoiren des Gestapo-Judenreferenten; tatsächlich handelte es sich um eine durch den Herausgeber Rudolf Aschenauer „eindeutig revisionistisch kommentierte“, durch die Söhne Eichmanns „missverständlich kompilierte Collage“ (Stangneth) von Auszügen aus den auf Tonband aufgezeichneten Gesprächen, die Eichmann 1956 bis 1959 mit dem rechtsextremen Journalisten Willem Sassen geführt hatte. Seit Ende der 1970er Jahre übernahm Sudholt die Leitung befreundeter Verlage aus dem Umfeld der Gesellschaft für freie Publizistik und des Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes, die er 1991 zur rechtsextremen Verlagsgesellschaft Berg zusammenschloss: den von Herbert Böhme gegründeten Türmer Verlag und den bereits seit den 1920er Jahren bestehenden, auf Geopolitik spezialisierten Vowinckel-Verlag. Zu Sudholts Unternehmensgruppe, mit Sitz in Inning am Ammersee, gehören ferner die „Buchkameradschaft Scharnhorst“ bzw. „Linda Sudholt Versandbuchhandlung“ sowie die „Türmer-Kulturreisen“. Seit 2001 veranstaltet die Verlagsgesellschaft im Herbst „Erlebniswochenenden Geschichte“. Zum Verlagsprogramm zählen auch periodische Schriften. 1972, im Jahr seines Todes, begründete Sündermann die „Deutschen Annalen – Jahrbuch des Nationalgeschehens“, die noch heute bei Druffel erscheinen. Nachdem von 1982 bis 1990 bei Türmer die „Deutschen Monatshefte für Politik, Geschichte, Kultur und Wirtschaft“ erschienen waren, die u. a. die „Klüter-Blätter“ der Deutschen Kulturgemeinschaft Europäischen Geistes fortsetzten, gab Sudholt sie an den befreundeten Nation-Europa-Verlag ab (wo sie mit der Zeitschrift „Nation Europa“ fusioniert wurden). Noch im selben Jahr gründete er die Vierteljahres- und später Zweimonatsschrift „Deutsche Geschichte“, die durch ihre Redakteure und Autoren (u. a. Günter Deckert, Jürgen Gansel, Andreas Molau, Karl Richter, Olaf Rose) Nähe zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands aufweist und deren politische Radikalisierung seit den 1990er Jahren publizistisch begleitet hat. Insgesamt gilt auch für die Verlagsgesellschaft Berg, was Hans-Dietrich Loock schon 1961 mit Blick auf den Druffel Verlag konstatierte: „Er unternimmt mit seinen

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Dürer-Verlag (Argentinien, 1947–1958)

Publikationen ganz offenkundig den Versuch, das nationalsozialistische Scheinbild der Wirklichkeit aufrechtzuerhalten.“

Gideon Botsch

Literatur Manfred Jenke, Verschwörung von rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961. Hans-Dietrich Loock, Der Druffel-Verlag, in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Band 2, München 1961, S. 448–468. Elke Mayer, Verfälschte Vergangenheit. Zur Entstehung der Holocaust-Leugnung in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung rechtsextremer Publizistik von 1945 bis 1970, Frankfurt am Main 2003. Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Zürich, Hamburg 2011. Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism Since 1945, Middleton, Connecticut 1967. Elmar Vieregge, Zeitschriftenporträt: Deutsche Geschichte, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 18 (2006), S. 238–256.

Dunkelmännerbriefe → Epistolae obscurorum virorum

Dürer-Verlag (Argentinien, 1947–1958) Die Geschichte des Dürer-Verlags in Buenos Aires (Argentinien) reicht in das Jahr 1946 zurück. Eberhard Fritsch (1921–1974), ehemals Aushilfslehrer an einer Vorortschule, eröffnete mit dem Buchhändler Theodor Schmidt das „Dürer-Haus“, das aus einem Buchladen, einer Leihbücherei und einem Antiquariat bestand. Schon damals waren die Ziele allerdings weiter gesteckt. Geplant waren die Veröffentlichung deutschsprachiger Bücher und die Herausgabe einer Zeitschrift für Zuwanderer in Argentinien und Südamerika. Von 1947 bis 1957 erschien im Dürer-Verlag die Monatszeitschrift → „Der Weg“. Außerdem veröffentlichte der Verlag apologetische Schriften früherer Nationalsozialisten und ihrer Kollaborateure. Zu den ersten Autoren gehörten der schwedische Kriegsfreiwillige Jerk Wiking („Endkampf um Berlin“) und Goebbels’ persönlicher Pressereferent Wilfred von Oven („Mit Goebbels bis zum Ende“). Weitere Autoren des Verlags waren Werner Naumann („Nau-Nau gefährdet das Empire“), Hans-Ulrich Rudel („Trotzdem“, „Zwischen Deutschland und Argentinien“), Walter Lüdde-Neurath („Regierung Dönitz“) und Johann von Leers („Geschichte des deutschen Volkes – deutsch gesehen“). Wichtige Mitarbeiter des Dürer-Verlags waren Dieter Vollmehr, der in den 1930er Jahren in der nordischen Bewegung aktiv war, und der niederländische SS-Freiwillige und Kriegsberichterstatter Willem Sassen (1918–2001). Sassen gelang es, den in Argentinien untergetauchten Adolf Eichmann zu überzeugen, seine Ansichten über die Judenvernichtung darzulegen. Seit 1956 führte er, zeitweise gemeinsam mit Fritsch, Interviews mit Eichmann. Dahinter stand die Absicht, die Gespräche publizistisch für den Dürer-Verlag zu verwerten. Der schnellen Expansion des Verlags und seiner Zeitung seit Ende der 1940er Jahre kam die innenpolitische Situation in Argentinien unter Perón zugute. Die rigide Be-

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wertung der politischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer und ein unverhohlenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus, der scharfe antisemitische Ton in der Zeitung „Der Weg“ sowie interne Streitigkeiten führten den Verlag allerdings in eine ideologische Sackgasse. Nach Peróns Sturz, dem Ausscheiden wichtiger Mitarbeiter und einer Unterschlagung von Verlagsgeldern durch den Geschäftsführer endete das Unternehmen 1958 schließlich im Konkurs.

Martin Finkenberger

Literatur Holger M. Meding, „Der Weg“. Eine deutsche Emigrantenzeitschrift in Buenos Aires 1947 bis 1957, Berlin 1997. Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Hamburg 2011.

Düsseldorfer Monathefte (1847/48–1860) Die satirische Zeitschrift „Düsseldorfer Monathefte“ gilt vor allem deshalb als bedeutsam, weil sich in ihren Texten und Bildern Kritik und Stimmungen im Umkreis der Revolution von 1848/49 artikulierten. Von ähnlichen Blättern hob sie sich durch das erfolgreiche Zusammenwirken von Düsseldorfer Literaten und Künstlern der „Düsseldorfer Malerschule“ und des „Düsseldorfer Malkastens“ ab. In gewisser Weise diente sie als ein Ventil in den Auseinandersetzungen einer jüngeren Künstlergeneration mit dem Establishment des akademischen Kunstbetriebs. Die „Düsseldorfer Monathefte“ erschienen von 1847/48 bis 1860 vierzehntägig (trotz des anderslautenden Titels) bei dem lithographischen Institut Arnz & Co. in Düsseldorf. Innovativ war die jeweilige Beigabe von einer oder zwei ganzseitigen lithographischen Karikaturen mit höherem künstlerischem Anspruch. Unter der redaktionellen Leitung des Malers Lorenz Clasen (1847–1850) erreichten sie eine Auflage von 5.000 Stück. Danach sanken die Auflagenhöhe und die Qualität der Beiträge merklich – von der Satire und Parodie zum schenkelklopfenden Humor. Zielgruppe und Käuferreservoir war die bürgerliche Mittelschicht. Im Zentrum des Inhalts standen die Karikaturen, die von humorigen Texten, Erzählungen und Balladen begleitet wurden. In den Anfangsjahren rieben sich die Verfasser und Zeichner hauptsächlich an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen. Gerne aufs Korn genommen wurden die Vertreter der Obrigkeit und der gehobenen Klassen. Durch seine gegen das Militär gerichteten Spitzen geriet das Blatt öfters ins Visier der Zensurbehörden. Solange Clasen das Blatt leitete, waren Juden nur gelegentlich Zielscheibe der Kritik, am schärfsten wohl in einer kapitalismuskritischen Zeichnung des Malers Andreas Achenbach. In einer Erzählung war Bankier Rothschild mit dem Spitznamen „König der Juden“ oder „Jude der Könige“ belegt worden, was Achenbach in einer ganzseitigen Karikatur in Szene setzte: Über der Textzeile „Anbetung und Apotheose des Götzen unserer Zeit“ sind die Könige der Völker zu sehen, wie sie sich niederwerfen vor einer feisten, als Juden typisierten Figur. Diese sitzt in Herrscherpose auf einer von Münzen überquellenden Geldkiste und wird – in Analogie zu christlichen Petrus- und Paulus-Darstellungen – von zwei weiteren „Juden“ flankiert. Darüber strahlen in Anspielung auf die Inschrift am Kreuz Jesu die

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Düsseldorfer Monathefte (1847/48–1860)

Buchstaben „R J R“ („Rex Judaeorum Rothschild“ oder „Rothschild Judaeus Regum“). Gegen Ende des Jahrgangs 1850 war die Rothschild-Thematik bereits auf Witzniveau angelangt. Eine häßliche ältere Frau sitzt breit auf einem bombastischen Balkon, dazu der Text: „Aber Herr Rothschild, nun haben Sie ja doch keinen Balkon an Ihr neues Haus bauen lassen? – Nu, was thu ich mit ’n Balkon? Wo ich mer hätte bauen lassen ä Balkon, würde sich haben draufgesetzt meine Frau und mer haben verschimpfirt de ganze Façade!“ Mit dem Abklingen des revolutionären Impetus rückten die „Düsseldorfer Monathefte“ mehr und mehr „Typen“ der Gesellschaft in den Vordergrund: schlaue Ganoven, Kunstbanausen, faule Dienstboten, dünkelhafte Adelige etc. Auch „der Jude“ wurde zunehmend als Genre-, Schmunzel- und Witzfigur thematisiert. Konzentriert auf die Jahrgänge 1850–1858 finden sich dazu in der Zeitschrift über 150 Karikaturen, davon etwa ein Drittel ganzseitige Lithographien. Von Ausnahmen abgesehen sind die „jüdischen“ Figuren weniger durch platte, bösartige Feindlichkeit gegenüber Juden gekennzeichnet, sondern eher durch humoristische Parodie und ironische Übersteigerung. Nicht selten werden im Verhalten „des Juden“ auch die Unzulänglichkeiten der Nichtjuden, vor allem der nichtjüdischen Schuldner, gespiegelt. Als Juden markiert werden diese Figuren durch die ihnen beigelegten, als jüdisch typisierten Namen, etwa „Mosis“, „Mauschel“, „Hersch“ („Hirsch“), „Itzig“/„Isaac“, „Isaksohn“, „Josephsohn“, „Mayer“, oder auch durch sprechende Namen wie „Pleitmeier“ oder „Schwindelmeier“. Weiteres, unverzichtbares Erkennungszeichen ist die „jiddelnde“ Sprache, die den Karikierten in den Mund gelegt wird: Ein Jude sitzt auf der Bank vor seinem Haus und wird von einem vorübergehenden Juden gefragt: „Na, Binkus, warum geihste nicht spizieren in so em wunderscheenen ganz feinen Obend?“ – Was soll ich doch geihn spiezieren, sitz ich doch schon spizieren“. Die Figuren sollen anhand „typischer“ Merkmale ihrer Physiognomie, Körperhaltung, Gestik und Kleidung unzweifelhaft als Juden wiedererkannt werden. Der „Wucherer“ wird immer als „Jude“ abgebildet; an ihm wird in einer gezeichneten Vernichtungsfantasie von 1855 durch eine grausig dargestellte Mordtat Rache genommen. Häufig werden der religiöse Gegensatz, das wirtschaftliche Gebaren und das moralische Handeln von Juden und Nichtjuden kontrastierend gegenübergestellt. 1855 heißt es in einer Abschiedsszene: „Christ zu seinem Sohne: Handle immer RECHT – Jude zu seinem Sohne: HANDLE immer recht!“. Das Bestreben der Juden, so vermitteln Karikaturen und Texte, sei ausschließlich auf Profit ausgerichtet. Als lediglich wirtschaftlich erfolgreichen Emporkömmlingen fehle es ihnen freilich an tiefergehender bürgerlicher Bildung und echtem Kunstverständnis. Juden würden sich durch Schläue und Gerissenheit auszeichnen, aber auch durch Wortwitz und Schlagfertigkeit. Im letzten Erscheinungsjahr, nach der Übernahme des Verlages durch die Firma Levy Elkan, Bäumer & Co., tauchen in der Zeitschrift keine Juden thematisierenden Karikaturen mehr auf. Vor allem in der nach-revolutionären Ära setzte das Blatt auf ein augenzwinkerndes Einverständnis mit seiner Leserschaft. Mittels Wort und Bild trug es nicht unwesentlich zur Formierung von Typisierungen und durch seine weite Verbreitung zu deren Verfestigung als Stereotypen bei.

Falk Wiesemann

Edizioni di Ar (Italien, seit 1963)

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Literatur Sabine Herder, Arnz & Comp. Eine lithographische Anstalt zwischen Theater und Künstlerschaft, in: Bettina Baumgärtel (Hrsg.), Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung 1918–1918, Band 1, Düsseldorf 2011, S. 280–287. Kurt Koszyk, Die „Düsseldorfer Monatshefte“ zwischen Revolution und Reaktion, in: Düsseldorfer Jahrbuch 51 (1963), S. 198–209. Margaret Rose, Scherz, Satire, Parodie und tiefere Bedeutung in der Kunst der Düsseldorfer Malerschule um 1850, in: Bettina Baumgärtel (Hrsg.), Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung 1918–1918, Band 1, Düsseldorf 2011, S. 298–303. Gerhard Rudolph, Revolutionsgraphik 1848. Anmerkungen zu den Jahrgängen I und II (1847/48 und 1848/49) der „Düsseldorfer Monathefte“, in: Düsseldorfer Jahrbuch 57/58 (1980), S. 320–328.

EDDA → Semi-Gotha

Editora Revisão (Brasilien, 1987–2003) Der Verlag „Editora Revisão“ wurde 1987 von Siegfried Ellwanger in Porto Alegre (Brasilien) gegründet. Bis 2003 übersetzte und verbreitete der Verlag revisionistische Literatur in Brasilien. Neben Veröffentlichungen von Faurisson und anderen bekannten Revisionisten verfasste Ellwanger unter dem Pseudonym „S.E.Castan“ das Buch „Holocausto: Judeu ou Alemão“ (1987). Der antisemitische Inhalt der Veröffentlichungen führte zu einer von Menschenrechtsgruppen erhobenen Klage gegen Ellwanger wegen Rassismus. Nach mehreren Verurteilungen, die zeitweise die Verbreitung seiner Bücher verhinderten, hat der Oberste Gerichtshof im Jahr 2003 endgültig den Verlag verboten. Dennoch wird weiterhin revisionistische Literatur des Verlags mittels Internet verbreitet.

Luís Edmundo de Souza Moraes

Literatur Carlos Gustavo Nóbrega de Jesus, Anti-semitismo e Nacionalismo, Negacionismo e Memória: Revisão Editora e as estratégias da Intolerância (1987–2003), São Paulo 2006.

Edizioni di Ar (Italien, seit 1963) Der neofaschistische Verlag Edizioni di Ar, der 1963 von dem italienischen Rechtsterroristen und Initiator der inzwischen verbotenen rechtsextremen italienischen Fronte Nazionale Franco Freda in Padua gegründet wurde, publiziert neben Schriften des Verlagsbesitzers das umfangreiche Werk des faschistischen Rassentheoretikers Julius Evola, die Bücher des deutschen Rasseforschers Hans F. K. Günther, des rumänischen Antisemiten und Gründers der Legion Erzengel Michael sowie führenden Mitglieds der Eisernen Garde Corneliu Zelea Codreanu, auch Schriften von Muammar al-Gaddafi, herausgegeben von dem Holocaustleugner Claudio Mutti, der sich mit dem früheren libyschen Staatschef einig war in der radikalen Ablehnung Israels und dies entsprechend antisemitisch konnotierte. Darüber hinaus vertreibt der Verlag NS-Werke wie Hitlers → „Mein Kampf“, aber auch Publikationen italienischer Holocaustleugner

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Eher-Verlag (1887–1945)

wie die Carlo Mattognos sowie die antisemitischen → „Protokolle der Weisen von Zion“. Bereits mit dem ersten Werk, das der kleine Verlag herausbrachte, machte er seine ideologische und politische Zielsetzung deutlich: Arthur de Gobineaus „Ungleichheit der Menschenrassen“ (→ Essai sur l’inegalité des races humaines). Zu den ersten Publikationen zählten auch revisionistische Texte über Konzentrationslager und – wie der Vertriebsladen „Adel Libreria Ar“ auf seiner Internetseite angibt – über die „jüdische Aggression in Palästina“. Die Idee, einen Verlag zu gründen, entstand 1963, nachdem Freda den später (1982) von italienischen Gerichten als Untergrundorganisation eingestuften Verein „Gruppo di Ar“ ins Leben gerufen und ein „Manifesto del Gruppo di Ar“ [Manifest der Gruppe Ar] verfasst hatte. Der Verlag vertreibt seine Publikationen heute im Wesentlichen über das Internet, verfügt aber auch über ein Ladengeschäft in Avellino/ Kampanien.

Juliane Wetzel

Literatur Franco Ferraresi (Hrsg.), La destra radicale, Milano 1984.

Eher-Verlag (1887–1945) Gegründet wurde der Eher-Verlag 1887 unter dem Namen „Münchner Beobachter“. Diesen Titel trug ein dort erscheinendes, unbedeutendes Münchner Vorortblatt. 1900 erwarb Franz Xaver Joseph Eher den Verlag und das Blatt, den Verlag führte er dann unter seinem Namen weiter. Nach dem Tod Ehers im Jahr 1918 übernahm Rudolf von Sebottendorf, Gründer der antisemitischen, rassistischen und republikfeindlichen Thule-Gesellschaft, den Verlag, der künftig unter der Bezeichnung „Franz Eher Nachfolger“ firmierte, und den er im Herbst 1919 in eine GmbH umwandelte, um dem drohenden Konkurs zu entgehen. Im Dezember 1920 erwarb der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterverein (NSDAV) für 120.000 Mark den Verlag, dessen Hauptaufgabe es zunächst war, das inzwischen in → „Völkischer Beobachter“ umbenannte Blatt als Parteiorgan der NSDAP zu publizieren. Seit Juli 1921 verfügte Hitler als Parteichef der NSDAP und Vereinsvorsitzender des NSDAV über alle Verlags-Anteile. Die Leitung des ständig vor dem Ruin stehenden Unternehmens übergab er an Max Amann, der die verlegerischen Aktivitäten erweiterte. Die Schriften völkischer, antisemitischer und antidemokratischer Autoren sicherten in der Folgezeit die Existenz des Unternehmens. Dies war vor allem nach dem gescheiterten Hitlerputsch von Bedeutung, als zwar der „Völkische Beobachter“, aber nicht der Eher Verlag verboten worden war. So konnten dessen Druckerzeugnisse weiter erscheinen, deren Gesamtauflage 1924 an die 22.000 Exemplare erreichte. Bestseller wurde ab 1926/27 Hitlers Opus → „Mein Kampf“, das bis zur Machtübernahme 1933 eine Auflage von 287.000 Stück erreichte. Bis zum Ende des Dritten Reiches stieg sie schließlich auf über 10 Millionen. Alle parteiamtlichen Schriften wurden im Parteiverlag veröffentlicht. Systematisch baute Amann das Unternehmen zum Zentralverlag der NSDAP aus. Bis Ende 1932 erreichten die dort erscheinenden Bücher und Schriften eine Gesamtauflage von fast 15 Millionen. 1929

Eher-Verlag (1887–1945)

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erwarb der Eher Verlag auch den 1915 von Dietrich Eckart gegründeten → Hoheneichen-Verlag, in dem Werke nicht parteiamtlichen Charakters erschienen, wie Alfred Rosenbergs → „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, und der ab 1930 u. a. auch an Joseph Goebbels Berliner Parteiblatt → „Der Angriff“ beteiligt war. Das Ziel einer den Zeitungsmarkt beherrschenden Stellung der im Eher-Verlag erscheinenden Presse wurde nach der „Machtergreifung“ von Max Amann konsequent und skrupellos verfolgt und in kurzer Zeit erreicht. Die Presse der linken Parteien wurde durch Gewalt, Verbote und Enteignungen eliminiert. Die einflussreiche konfessionelle Presse unterwarf Amann seit April 1934 systematisch seiner wirtschaftlichen Kontrolle durch eine Verordnung, die anonymen Gesellschaften und konfessionellen Organisationen den Besitz von Zeitungsverlagen verbot. Durch das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 war es außerdem möglich, jeden missliebigen Verleger mit Berufsverbot zu belegen. Die katholische Presse musste in der Folge entweder eingestellt werden, oder sie wurde über eine „Phönix GmbH“ dem Eher-Konzern angegliedert. So baute Amann, den Hitler zum Vorsitzenden der Reichspressekammer und des Vereins Deutscher Zeitungsverleger machte, den Eher Verlag zum übermächtigen Verlagskonzern aus. Unternehmensteile des Hugenberg-Konzerns, vor allem die „Vera Verlagsanstalt GmbH“, die zahlreiche Provinzzeitungen herausgab, und kleinere Verlage wurden übernommen. Des Weiteren waren die Verlagsgruppen „Standarte-Verlags- und Druckerei-GmbH“, die 70 Gauzeitungsverlage umfasste, die „Herold-Verlagsanstalt GmbH“, eine Zusammenfassung der aufgekauften bürgerlichen Verlage, und die → „Europa-Verlags-GmbH“, zuständig für ausländische Verlage, Bestandteile des Eher-Verlagsimperiums. Als sich im Herbst 1937 54 Prozent der deutschen Zeitungen im Eigentum des Eher Verlags oder einem der von ihm abhängigen Verlage befanden, war er zu einem der größten deutschen Unternehmen geworden. Neben Hitlers „Mein Kampf“ und dem „Völkischen Beobachter“ waren die wichtigsten und auflagenstarken Veröffentlichungen: das Organ der Reichsführung SS → „Das Schwarze Korps“, die von Goebbels herausgegebene Gauzeitung der Berliner NSDAP „Der Angriff“, die wöchentlich erscheinende Zeitschrift der NSDAP „Illustrierter Beobachter“, die → „Nationalsozialistischen Monatshefte“, die ihr Herausgeber Alfred Rosenberg zum führenden Organ des Kirchenkampfes und der Rassenlehre machte, der seit 1929 von Baldur von Schirach herausgegebene „Akademische Beobachter“, die ebenfalls von Goebbels herausgegebenen Monatsblätter der Reichspropagandaleitung der NSDAP → „Unser Wille und Weg“, der von der Obersten SA-Führung herausgegebene → „SA-Mann“, die nationalsozialistische Satirezeitschrift → „Die Brennessel“, der Pressedienst der NSDAP „Die nationalsozialistische Parteikorrespondenz“, zu dessen Bezug alle deutschen Zeitungen verpflichtet waren. Auch das Buchverlagsgeschäft wurde von Amann systematisch ausgebaut. Neben Hitlers „Mein Kampf“ erschienen Werke nationalsozialistischer Prominenz wie Joseph Goebbels und Reichspressechef Otto Dietrich, aber auch Romane. Unter Aufsicht von Alfred Rosenberg wurde der 1929 eingegliederte Hoheneichen-Verlag zum Verlag für weltanschauliche Publikationen der NSDAP. In Österreich erwarb der Eher-Verlag nach dem „Anschluss“ auf die gleiche skrupellose Weise wie im Reich die wichtigsten Zeitungs- und Buchverlage.

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Der Eidgenosse (Schweiz, 1931–1934)

1939 war der überwiegende Teil der deutschen Presse im Besitz des Eher-Konzerns. Nach Kriegsbeginn gab der zum Konzern gehörende Deutsche Verlag in hoher Auflage für die Wehrmacht die Illustrierte → „Signal“ heraus. Außerdem erschien die Wochenzeitung → „Das Reich“, die das gebildetere Publikum ansprechen sollte. Den großen Zeitschriften- und Buchverlag → Hanseatische Verlagsanstalt, zu dem auch in München der Langen-Müller Verlag gehörte, wurde 1943 dem Eher-Konzern einverleibt. Noch 1944 kaufte Amann Alfred Hugenbergs Scherl-Konzern, das letzte noch existierende größere Zeitungsunternehmen in Privatbesitz. Über die → „Europa-Verlag GmbH“ und die zu dieser gehörenden „Metropress GmbH“ kontrollierte der EherVerlag schließlich auch in den besetzten Gebieten zahlreiche Verlage. Mit zunehmender Dauer des Krieges wurde durch Papiermangel und Zerstörung von Verlagsgebäuden durch Bombenangriffe die Einstellung zahlreicher Zeitungen erzwungen. Dadurch sank die Zahl der Blätter von noch 2.025 im Jahr 1937 bis 1944 auf unter 1.000. Dennoch stieg die Zahl der Gesamtauflagen im gleichen Zeitraum von 16,6 auf 20,4 Millionen Exemplare, bedingt durch den Mangel an Papier allerdings mit stark reduziertem Umfang. Nicht zum Eher-Konzern gehörende Blätter hatten daran nur noch einen Anteil von ca. 20 Prozent. Während diese um ihrer Existenz rangen, stiegen dank der rapid gestiegenen Auflagen, den damit verbundenen höheren Anzeigenpreisen und großzügig gewährten Steuervorteilen die Gewinne des Eher-Verlags. Nach Kriegsende wurde der Verlag am 29. Oktober 1945 durch Kontrollratsgesetz als Organisation der NSDAP verboten. Der Eher-Verlag ging an den Bayerischen Staat mit der Auflage, den Konzern zu zerschlagen. 1952 erfolgte die Löschung aus dem Handelsregister. Die Verlagsrechte liegen beim Bayerischen Staat, der damit bis 2015 die Neuauflage von in dem Verlag erschienener NS-Literatur, vor allem von Hitlers „Mein Kampf“, verhinderte.

Wolfram Selig

Literatur Norbert Frei, Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich. München 1999³. Oron J. Hale, Presse in der Zwangsjacke 1933–1945, Düsseldorf 1965. Thomas Tavernaro, Der Verlag Hitlers und der NSDAP. Die Franz Eher Nachfolger GmbH, Wien 2004.

Der Eidgenosse (Schweiz, 1931–1934) „Der Eidgenosse“ wurde seit Dezember 1931 in Zürich vom Architekt Theodor Fischer (1895–1957) herausgegeben. Sein Untertitel „Kampfblatt der Nationalsozialistischen Eidgenossen“ brachte ein klares Bekenntnis zum Nationalsozialismus zum Ausdruck, links und rechts des Untertitels prangte je ein Hakenkreuz als ikonographische Anlehnung an sein deutsches Vorbild. „Der Eidgenosse“ war das Sprachrohr der Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiter-Partei, die vor allem unter dem Namen Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen bekannt war. Diese Frontengruppierung, die 1931 gegründet worden war, konnte allerdings im Gegensatz etwa zur Nationalen Front nicht vom „Frontenfrühling“ des Frühjahrs 1933 profitieren und blieb klein. Theodor Fischer, der Mitte der

Der Eidgenosse (Schweiz, 1931–1934)

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1920er Jahre eine Zeit lang auch Mitglied der Schweizer Heimatwehr war, führte seine Front auf die von ihm 1921 gegründete antisemitische Vereinigung Schweizer Ring zurück, die nach ihrer zwischenzeitlichen Auflösung 1928 rekonstituiert worden war. Öffentliche Aufmerksamkeit erhielten Theodor Fischer und mit ihm seine rechtsextreme Gruppierung erst durch seinen pro-nationalsozialistischen Auftritt bei einer Wahlveranstaltung Adolf Hitlers in Radolfzell im Juli 1932, was in der Schweizer Presse zu einem Entrüstungssturm führte. Der Propagandaauftritt scheint aber eine gewisse Werbewirkung gehabt zu haben, denn „Der Eidgenosse“ erschien ab dem dritten Jahrgang in einem 14-tägigen Rhythmus, nachdem der zweite nur aus drei Ausgaben bestanden hatte. Als Hauptschriftleiter des „Eidgenossen“ waltete ab 1. März 1933 Wolf Wirz (1911–1968), während Theodor Fischer als Herausgeber fungierte. Kurz darauf, im Mai 1933, übernahm Hans Kläsi die Redaktion. Wolf Wirz, ein Anhänger pangermanischer Ideen, verließ den Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen kurz darauf und schloss sich mit einer Gruppe von Gefolgsleuten der Nationalen Front an, was ein harter Schlag für Fischers nationalsozialistische Organisation war. Bereits im Juni 1934 sah man sich gezwungen, das Erscheinen des „Eidgenossen“ vorübergehend einzustellen. In der Folge erschien er ab Mitte Juli nur noch als vervielfältigtes Nachrichtenblatt, das nun Emil Reiffer redigierte. Fischer löste schließlich den Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen im Februar 1935 auf und schloss sich der ideologisch nahestehenden Nationalsozialistischen Schweizerischen Arbeiter-Partei an, die sich auch Volksbund nannte. „Der Eidgenosse“ hatte sein Erscheinen gegen Ende 1934 eingestellt. Antisemitismus war in der frontistischen Zeitung über den gesamten Erscheinungszeitraum präsent. Dabei orientierten sich „Der Eidgenosse“ und mit ihm der Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen auch in ihrem radikalen Antisemitismus am deutschen Vorbild. Rassenantisemitismus war denn für die Zeitung „die einzig richtige und auch wissenschaftlich begründete“ Form der Judenfeindschaft (15. Februar 1934). Einige Elemente des Rassenantisemitismus der Frontenzeitung erinnern an den Stil des → „Stürmer“ von Julius Streicher, so etwa der Diskurs der „Rassenschändung“ im Artikel „Schweizermädchen, hüte Dich vor schändenden Juden“ (15. Juni 1933) oder auch Ritualmordvorwürfe. Das Publikationsorgan des Bundes Nationalsozialistischer Eidgenossen, der einen „Arierparagraphen“ in seinen Satzungen führte, konstruierte aufgrund seiner antisemitischen Konzeptionen die Schweizer Juden als außerhalb der Nation stehend. Hierbei wurde betont, Juden könnten zwar Schweizer sein, da dies eine rein staatsbürgerliche Kategorie sei, nie aber Eidgenossen im „arisch-völkischen“ Sinne. Eine ideale Schweiz wäre demnach „judenrein“ (15. Dezember 1931). Der häufige Gebrauch des Begriffs „Eidgenosse“ in solchen Diskursen war zudem darauf ausgerichtet, eine Orientierung des Bundes Nationalsozialistischer Eidgenossen an schweizerischen Traditionen zu suggerieren, eine Taktik, die auch andere Fronten wählten, um das Attribut „ausländische Importware“ zu vermeiden. Neben rassistischen und einem breiten Spektrum an soziokulturellen Diskursen stellten Weltverschwörungstheorien einen weiteren Grundpfeiler des Antisemitismus des „Eidgenossen“ dar, die die Juden als feindliches, weltweit agierendes Kollektiv

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Der Eiserne Besen (Schweiz, 1931–1943)

konstruierten. So titelte „Der Eidgenosse“ am 15. November 1933: „Organisiertes Verbrechertum. Alljudas grauenvolle Pläne zur Ermordung der arisch-germanischen Völker“. In seinen Weltverschwörungskonstruktionen nahm der „Eidgenosse“ regelmäßig auf die antisemitische Fälschung → „Die Protokolle der Weisen von Zion“ Bezug, die auch in den öfters abgedruckten Inseraten, die für antisemitische Literatur warben, zum Kauf angeboten wurden. Theodor Fischer war deshalb einer der Hauptangeklagten im Berner Prozess (1933–1937) gegen diese Hetzschrift.

Thomas Metzger

Literatur Aaron Kamis-Müller, Antisemitismus in der Schweiz 1900–1930, Zürich 20002. Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918–1939, Fribourg 2006. Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz, 1930–1945, Zürich 1969.

Der Eiserne Besen (Schweiz, 1931–1943) „Der Eiserne Besen“ entstand Ende 1931 auf Initiative von Hans Vonwyl (1899– 1983) als „Kampfblatt“ der Nationalen Front, die er als Student ein Jahr zuvor am 20. Oktober 1930 gegründet hatte und der er als „Führer“ bis 1932 vorstand. Die damals noch in ihren Anfängen stehende Nationale Front, die sich 1933 im Zuge des sogenannten Frontenfrühlings zur bedeutendsten rechtsextremen Organisation der Schweiz entwickelte, erhoffte sich durch die Zeitungsgründung eine stärkere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Der Stil des „Eisernen Besens“ – nicht zuletzt der symbolhaften Sprache seines Titels folgend – war rabiat, aggressiv und teilweise ordinär. Der radikale, rassistisch geprägte Antisemitismus der Nationalen Front war in seinen Spalten omnipräsent. Der Initiator Hans Vonwyl war der erste Redakteur des seit 7. November 1931 14tägig erschienenen „Eisernen Besens“. Zu Beginn zeichnete er nicht mit seinem Namen verantwortlich, wie auch die einzelnen Artikel anfänglich meist anonym oder unter einem Pseudonym erschienen. Ab dem zweiten Jahrgang, der die Umstellung auf ein wöchentliches Erscheinen brachte, wurde Alfred Zander (1905–1997), einer der führenden Ideologen der Nationalen Front und des Frontismus im Allgemeinen, der wichtigste Autor der Zeitschrift, deren Redaktion er am 11. November 1932 übernahm. Im Februar 1933 trat Eduard Rüegsegger (1909–1999) an seine Seite. Im April 1933 bildete die Nationale Front mit der sich elitärer gebenden Neuen Front einen „Kampfbund“, und am 13. Mai 1933 ging Letztere in der Nationalen Front auf. Diese Veränderungen führten dazu, dass „Der Eiserne Besen“ Ende August durch „Die Front“ ersetzt wurde, die wie ihre Vorgängerin in Zürich erschien. Im Redaktionsstab der „Front“ sorgten Werner Meyer (1909–1981) und Eduard Rüegsegger, an deren Seite etwas später Hermann Eisenhut (1902–2004) trat, bis zum Ende des Bestehens der Zeitung für Kontinuität. Anfänglich erschien „Die Front“ zweimal pro Woche, ab dem 3. April 1934 als Tageszeitung. Finanzielle Probleme und das zeitweise Nachlassen der Frontenbewegung bewegten die Nationale Front dazu, die „Front“ ab dem 10. April 1937 mit dem „Grenzboten“, der zweitwichtigsten Zeitung der Erneuerungsbewegung, zu vereinigen. Beide erschienen jedoch weiter unter dem

Der Eiserne Besen (Schweiz, 1931–1943)

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eigenen Namen. Ein weiteres Zeichen des Bedeutungsverlusts war der Wechsel von einer Tages- zu einer Wochenzeitung. Die Auflage des „Eisernen Besens“ respektive der „Front“ stieg bis zum Übergang zur Tageszeitung wohl auf gegen 10.000 an. Eigene Angaben übertrafen diese Zahl teilweise massiv, doch sind diese mit Vorsicht zu genießen. Die regelmäßigen Propagandanummern wurden aber in der Tat in wesentlich größerer Auflage gedruckt. Gegen Ende der 1930er Jahre sank die Auflage auf teils deutlich unter 6.000. Zunehmend im Visier der Bundesbehörden, entging die Nationale Front am 3. März 1940 durch Selbstauflösung dem Verbot. Dies hatte zur Folge, dass auch „Die Front“ ihr Erscheinen einstellte. Die Kriegserfolge NS-Deutschlands ließen die Frontenbewegung jedoch erneut aufflackern. Regional bildeten sich verschiedene Nachfolgeorganisationen der Nationalen Front und „Die Front“ erschien wieder ab dem 17. Oktober 1940. Nach zwei befristeten Verboten wurde die Zeitung am 6. Juli 1943, gemeinsam mit den Nachfolgeorganisationen der Nationalen Front, durch den Bundesrat definitiv verboten. Über ihren gesamten Erscheinungszeitraum waren „Der Eiserne Besen“ und „Die Front“ ausgesprochen antisemitisch geprägt. Wie ihre Trägerin, die Nationale Front, vertraten sie einen Rassenantisemitismus, der die Juden als eine der „arischen Rasse“ konträre „Gegenrasse“ und als außerhalb der schweizerischen Nation stehend konstruierte. Häufig sind im Zusammenhang mit rassenantisemitischen Diskursen Krankheits- und Schädlingssemantiken präsent. Eine strukturelle Konstante des Antisemitismus der beiden Zeitungen waren zudem Weltverschwörungs- und Weltherrschaftskonstrukte. So wurden Kapitalismus, Liberalismus und Sozialismus bzw. Kommunismus mit dem Judentum assoziiert, und es wurde auch auf die → „Protokolle der Weisen von Zion“ zurückgegriffen. Besonders rabiat trat der Antisemitismus im ersten Erscheinungsjahr des „Eisernen Besens“ auf. Eine besondere Intensität besaß der Antisemitismus der „Front“ zudem in den Jahren 1937 und 1938, als u. a. gegen den Zionistenkongress in Zürich und die jüdischen Emigranten aus Österreich gehetzt wurde sowie zahlreiche programmatische Artikel zum Thema Antisemitismus erschienen. Antisemitismus war im „Eisernen Besen“ und in der „Front“ auch in Form von Karikaturen präsent. Im Zusammenhang mit ihrer Judenfeindlichkeit ist darüber hinaus auf die für die beiden Zeitungen der Nationalen Front charakteristische Strategie zu verweisen, den Antisemitismus als altschweizerische Tradition darzustellen, ein Diskurs, den insbesondere Alfred Zander pflegte. Dies stellte eine Verteidigungsstrategie gegen den von frontengegnerischer Seite oft geäußerten Vorwurf dar, der Antisemitismus der Nationalen Front sei ein Importgut aus NS-Deutschland und somit „unschweizerisch“.

Thomas Metzger

Literatur Beat Glaus, Die Nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung 1930–1940, Zürich u. a. 1969. Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz, 1930–1945, Zürich 1969.

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Eiserne Blätter (1914–1939)

Klaus-Dieter Zöberlein, Die Anfänge des deutsch-schweizerischen Frontismus. Die Entwicklung der politischen Vereinigungen Neue Front und Nationale Front bis zu ihrem Zusammenschluss im Frühjahr 1933, Meisenheim am Glan 1970.

Eiserne Blätter (1914–1939) Die Zeitschrift „Eiserne Blätter. Wochenschrift für deutsche Politik und Kultur“ war die als Sprachrohr völkischer Gedanken fungierende Publikation des evangelischen Theologen Gottfried Traub (1869–1956), die er von 1919 bis zur Einstellung 1939 herausgab. Traub hatte sich von einem sozial engagierten, für die Gewerkschaftsbewegung aufgeschlossenen, theologisch liberalen Pastor zum extremen Nationalisten und völkischen Publizisten gewandelt. U. a. wegen seiner Weigerung, seine Konfirmanden auf das Apostolische Glaubensbekenntnis zu verpflichten, und aufgrund von Kritik an seinen Predigten wurde er 1912 aus dem Pfarrdienst in Dortmund entlassen. Traub wechselte in das Präsidium des Protestantenvereins, vertrat von 1913 bis 1918 für die Fortschrittliche Volkspartei einen Berliner Wahlkreis im Preußischen Abgeordnetenhaus und war deren bildungspolitischer Sprecher. Im Ersten Weltkrieg wurde Traub zum begeisterten Propagandisten extremer nationalistischer Auffassungen und forderte umfangreiche Annexionen. Seine Vorstellungen einer Volkskirche führten ihn in die völkische Bewegung. Er zählte zu den Mitbegründern der Deutschen Vaterlandspartei und dann der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), für die er 1919/20 im Reichstag saß und später als Redner wirkte. Am Kapp-Putsch war er aktiv beteiligt und als Kultusminister vorgesehen. Politisch zielte Traub auf die Wiederherstellung der Monarchie. Bereits während des Ersten Weltkrieges verfasste Traub von 1914 bis 1918 die „Eisernen Blätter“ in Form von mehr als einhundert Flugblättern als Beilage zu Friedrich Naumanns liberal und sozial ausgerichteter Zeitschrift „Die Hilfe“. Inhaltlich umfassten sie Durchhalteparolen, nationalistische und tagespolitische Stellungnahmen, die die deutsche Kriegspolitik legitimierten, sowie religiöse Trostangebote. Revolution und Weimarer Republik wurden von ihm massiv bekämpft. 1919 erweitere Traub die „Eisernen Blätter“ zu einer Wochenschrift, die er seit 1921 von München aus herausgab. Die Auflage lag 1923 bei 5.000, 1931 bei 3.000 und 1937 bei 1.800 Exemplaren. Von 1921 bis 1925 leitete er zudem die „MünchenAugsburger Abendzeitung“, die zum Hugenberg-Konzern gehörte. Inhaltlich wollte Traub in den „Eisernen Blättern“ an die Vorkriegszeit anknüpfen und formulierte als Ziel, „Deutschland wieder stark zu machen und den Sinn für die Macht des Staates zu pflegen“. Den „Vaterlandsfeinden“ wurde der Kampf angesagt. Dafür sei „eiserne Rüstung“ erforderlich. Programmatisch lautete der erste Satz des ersten Heftes vom 6. Juli 1919: „Der Geist des 1. August 1914 wache wieder auf!“ Als Mitarbeiter wurden u. a. die Politiker Alfred Hugenberg und Kuno Graf von Westarp, die Historiker Justus Hashagen und Dietrich Schäfer, die Theologen Friedrich Brunstäd, Martin Kähler, August Klingemann, Max Maurenbrecher und Karl Bernhard Ritter genannt. Die Hefte enthielten kontinuierlich tagespolitische Kommentare, Meldungen aus anderen Periodika, Literaturhinweise sowie übergreifende Beiträge zu Politik und

Entdecktes Judenthum (Johann Andreas Eisenmenger, 1700)

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Kultur, die Traubs politischer Linie entsprachen. Dabei wurde immer wieder der verlorene Weltkrieg thematisiert, z. B. in hervorgehobenen Thesen wie: „Die Kriegsschuldlüge ist schuld an Arbeitslosigkeit und Teuerung“ (6. Oktober 1929). Traub verfasste zudem theologische Ausführungen, die zumeist der Untermauerung seiner politischen Haltung dienten. Ausgehend von einem christlichen Antijudaismus nahm Traub völkisches Gedankengut auf, sodass er zum völkischen Antisemiten wurde. Er warnte in der Ausgabe vom 17. August 1919 vor „staatszersetzenden jüdischen Einflüssen“, die als „internationale Gefahr“ durch die „verderbliche“ jüdische Presse die „völkische Entwicklung“ der Deutschen geschädigt hätten. Er nahm Ansätze der radikalen Thüringer Richtung der Deutschen Christen vorweg, galt als Anhänger Ludendorffs, blieb jedoch zu Hitler und der NSDAP in einer gewissen Distanz. Im „Dritten Reich“ wurden die „Eisernen Blätter“ elfmal polizeilich beschlagnahmt und eingezogen, Traub selbst mehrfach von der Gestapo vorgeladen und zweimal verwarnt, da er zu außen-, kirchen- und schulpolitischen Fragen Stellung genommen hatte. Der Zweite Weltkrieg wurde von ihm als Chance der Bewährung des einzelnen „in seiner vollen Verantwortlichkeit“ begrüßt. Seit September 1939 erschienen die „Eisernen Blätter“ nur noch vierzehntägig, zum Jahresende wurden sie eingestellt. Gottfried Traub wirkte ab 1940 als Anlaufstelle für kirchlichen Widerstand.

Rainer Hering

Literatur Willi Henrichs, Gottfried Traub (1869–1956). Liberaler Theologe und extremer Nationalprotestant, Waltrop 2001. Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994.

Eisernes Buch Deutschen Adels Deutscher Art → Semi-Gotha

Entdecktes Judenthum (Johann Andreas Eisenmenger, 1700) „Entdecktes Judenthum“ ist das mehr als 2.100 Druckseiten starke, antisemitische Mammutwerk des Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger (1654–1704) aus dem Jahr 1700. Sein vollständiger Titel lautet: „Entdecktes Judenthum oder Gründlicher und Wahrhaffter Bericht, Welchergestalt die verstockte Juden die Hochheilige DreyEinigkeit, Gott Vater, Sohn und Heil. Geist erschrecklicher Weise lästern und verunehren, die Heil. Mutter Christi verschmähen, das Neue Testament, die Evangelisten und Aposteln, die Christliche Religion spöttisch durchziehen, und die gantze Christenheit auff das äusserste verachten und verfluchen; Dabey noch viel andere, bißhero unter den Christen entweder gar nicht oder nur zum Theil bekanntgewesene Dinge und grosse Irrthümern der Jüdischen Religion und Theologie, wie auch viel lächerliche und kurtzweilige Fabeln und auch andere ungereimte Sachen an den Tag kommen; alles aus ihren eigenen und zwar sehr vielen mit grosser Mühe und unverdrossenem Fleiß durchlesenen Büchern mit Ausziehung der hebräischen Worte und derer treuen Ubersetzung in die Teutsche Sprach kräfftiglich erwiesen und in Zweyen Theilen verfasset, deren jeder seine behörige, allemal von einer gewissen Materie außführlich-

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Entdecktes Judenthum (Johann Andreas Eisenmenger, 1700)

handelnde Capitel enthält; allen Christen zur treuhertzigen Nachricht verfertiget und Mit vollkommenen Registern versehen“ (u. a. Frankfurt/Main 1700 und Königsberg 1711). In 19 Jahren Arbeit und auf Basis von über 200 nach-biblischen jüdischen Schriften zusammengestellt, begründete es gleichsam den neuzeitlichen Antisemitismus. Kein anderes Werk ist derart häufig zur vermeintlichen Unterfütterung antisemitischer Stereotype herangezogen worden wie „Entdecktes Judenthum“ – und dies seit nunmehr über 300 Jahren. Bis heute findet es sich als fester Bestandteil im Repertoire antisemitischer Webseiten ebenso wie bei christlich argumentierenden Judenhassern und Anhängern von Weltverschwörungsmythen. Dies ist einerseits der Autorität des Autors geschuldet: Als Professor für hebräische Sprache an der Universität Heidelberg war Eisenmenger des Hebräischen ebenso wie des Aramäischen und Arabischen kundig und dürfte wohl – so der Historiker Jacob Katz – die gesamte Literatur gekannt haben, die ein jüdischer Geistlicher von Rang in dieser Zeit gekannt hätte. Hinzu kommt, dass Eisenmenger die hebräischen Zitate aus den jüdischen Schriften nicht verfälschte (wenn auch vereinzelt marginale Unkorrektheiten auftraten) und sein Werk daher immer wieder als „Quellenwerk“ zurate gezogen wurde. Die nicht vorhandenen hebräischen Sprachkenntnisse der meisten Antisemiten sorgten allerdings dafür, dass Eisenmengers Übersetzungen als ebenso „unverfälscht“ übernommen wurden. Tatsächlich sind jedoch Missverständnisse, tendenziöse Interpretationen und auch schlichte Übersetzungsfehler nachweisbar. Vor allem aber war es Eisenmengers Herangehensweise, die sein Werk als Quellenwerk unbrauchbar macht: Mehr als 200 Schriften – darunter auch ungedruckte Manuskripte – hatte er durchforstet, um seinen eigenen, christlich motivierten Judenhass zu unterfüttern, jeden Beleg, der gegen seine Ansichten sprach, ignoriert, und alles dem Judentum Nachteilige herausgesucht. Ohne dass die Bedeutung der jeweiligen Quelle für den jüdischen Glauben überhaupt angesprochen wird, stehen so eigenlöbliche dogmatische und ethische Lehren des talmudischen Judentums neben jüdischen Schmähungen des Christentums, Textstellen aus mittelalterlichen Predigten, aus der Kabbala und anderen religiösen jüdischen Werken sowie Zitaten aus zeitgenössischen Polemiken und Schmähschriften. Während die beeindruckende Gelehrsamkeit des Autors und seine fanatische Akribie unübersehbar sind (immerhin sind alle Quellen komplett in einem seitenlangen Register verzeichnet und exakt nachgewiesen), ist die Auswahl der Textstellen rein willkürlich – sie sollten als Beweise für die Richtigkeit der Vorurteile herhalten. So kann man beispielsweise in Kapitel 14 des ersten Teils lesen, „Wie sich die Juden rühmen und über alle Völcker erheben“, in Kapitel 15 „Von der Juden Haß gegen alle Völcker und ihrer Heucheley“ und in Kapitel 11 des zweiten Teils „Von der Juden Betrug / Stehlen / Behalten des Gefundenen / Wucher“. Neben diesen werden andere seit dem Mittelalter bekannte Stereotype und schon seinerzeit längst widerlegte Behauptungen anhand von jüdischen Quellen zu belegen versucht: So dürften Juden keine Nicht-Juden aus Lebensgefahr retten, sie erscheinen als Ritualmörder oder Brunnenvergifter. Während Eisenmenger vorgab, das Judentum „entdeckt“ zu haben, offenbart sein Werk eher die Kanonisierung christlicher Vorurteile gegenüber Juden. Denn schließlich war es nicht Eisenmengers Ziel, die Haltung des Judentums zum Christentum zu diskutieren, sondern zu beweisen, dass „die Ju-

Entdecktes Judenthum (Johann Andreas Eisenmenger, 1700)

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den“ „die Christen“ hassen würden. Nicht das Studium der jüdischen Texte führte zum inhaltlichen Aufbau seines Werkes, sondern dessen Zielsetzung bestimmte die Textauswahl. Gerade die Bereitstellung vermeintlichen Beweismaterials, mit dem fortan so ziemlich jede Anschuldigung gegen das Judentum unterfüttert werden konnte, war es, die „Entdecktes Judenthum“ trotz seines teilweise scharf polemischen und niederträchtigen Tonfalls aus der Masse christlicher Schmähschriften heraushob und zum Grundstein des neuzeitlichen Antisemitismus machte. Die bösartige Kommentierung und mutwillige Indienstnahme der ausgewählten Textstellen für die eigenen Ziele ließen die jüdische Religion als einzig im Hass auf das Christentum gerichtet erscheinen. Der evangelische Theologe und Orientalist Johann David Michaelis (1717–1791) stellte daher fest, dass sich auf diese Weise auch leicht ein „Entdecktes Christenthum“ hätte schreiben lassen, denn in keinem einzigen Fall wurde der Stellenwert eines ausgewählten Textes innerhalb des jüdischen Glaubens überhaupt diskutiert. Frankfurter Juden, die von der geplanten Veröffentlichung des bereits gedruckten Werkes erfahren hatten, alarmierten aus Angst vor Pogromen den kaiserlichen Hoffaktor und Rabbiner Samson Wertheimer. Dieser intervenierte zusammen mit Samuel Oppenheimer und anderen bei Kaiser Leopold I., der das in zwei Teilen verfasste Buch sofort beschlagnahmen und für 40 Jahre verbieten ließ. Nachdem Eisenmenger, ob seines Mammutprojekts finanziell ruiniert, 1704 gestorben war, wandten sich seine Erben an den ersten Preußischen König, Friedrich I. (1657–1713). Friedrich ließ das Buch 1711 in Berlin drucken – mit dem Impressum Königsberg, das formal außerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation lag und somit nicht in den Geltungsbereich des kaiserlichen Verbots fiel. 1732 erschien eine englische Übersetzung, die allerdings weitgehend von der Niedertracht Eisenmengers befreit war. 1751 wurde die Version des Jahres 1700 auch im Deutschen Reich veröffentlicht. Obwohl das Buch seither nie in Vergessenheit geraten ist, erlebte es gewisse konjunkturelle Aufund Abschwünge: Gewichtige Antisemiten wie Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer und Friedrich Rühs bedienten sich freimütig bei Eisenmenger. Mit dem Aufkommen des Rassenantisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Werk erneut populär. So ist August Rohlings → „Talmudjude“ (1871) in weiten Teilen nicht mehr als ein simples Plagiat in noch einmal verschärftem Ton. Für dessen – und damit Eisenmengers – internationale Popularisierung sorgte u. a. der berüchtigte französische Antisemit Édouard Drumont, der ein Vorwort zur französischen Übersetzung des „Talmudjuden“ beisteuerte. Die negativen Eigenheiten der jüdischen Religions- und Sittenlehre, die Eisenmenger „entdeckt“ haben wollte, wurden nun zu „rassischen“ Eigenheiten erklärt; die „Beweise“ hatte Eisenmenger ja bereits geliefert. Deutlich wurde dieses Bemühen auch darin, dass 1893 in Dresden eine Neuauflage des Buches erschien – „zeitgemäß überarbeitet“, wie es in den bibliografischen Angaben hieß.

Bjoern Weigel

Literatur Jacob Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989.

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Die Entjudung des religiösen Lebens (Walter Grundmann, 1939)

Friedrich Niewöhner, Entdecktes Judentum und jüdische Augen=Gläser. Johann Andreas Eisenmenger, in: Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach (Hrsg.), Denkwelten um 1700. Zehn intellektuelle Profile, Köln 2002, S. 167–180. Stefan Rohrbacher, „Gründlicher und Wahrhaffter Bericht“. Des Orientalisten Johann Andreas Eisenmengers Entdecktes Judentum (1700) als Klassiker des „wissenschaftlichen“ Antisemitismus, in: Peter Schäfer, Irina Wandrey (Hrsg.), Reuchlin und seine Erben. Forscher, Denker, Ideologen und Spinner, Ostfildern 2005, S. 171–188.

„Entjudetes“ Gesangbuch → Botschaft Gottes „Entjudetes“ Neues Testament → Botschaft Gottes

Die Entjudung des religiösen Lebens (Walter Grundmann, 1939) Am 4. April 1939 unterzeichneten elf evangelische Landeskirchenleitungen (Altpreußische Union, Sachsen, Nassau-Hessen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Mecklenburg, Pfalz, Anhalt, Oldenburg, Lübeck und Österreich) in Anknüpfung an die Godesberger Erklärung eine Bekanntmachung, in der die Gründung eines kirchlichen „Entjudungsinstitutes“ beschlossen wurde. Am 6. Mai 1939 eröffnete das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ auf der Wartburg mit einem Festakt im Beisein kirchlicher wie akademischer Würdenträger. Siegfried Leffler, Leiter der Nationalkirchlichen Einigung Deutsche Christen und des Instituts, sowie Walter Grundmann, Professor für Neues Testament in Jena und wissenschaftlicher Leiter des Instituts, hielten die Eröffnungsansprachen. Grundmann entwickelte in seinem Vortrag „Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche“, der noch im gleichen Jahr im Verlag Deutsche Christen in Weimar veröffentlicht wurde, ein Arbeitsprogramm, um einen möglichen jüdischen Einfluss auf das religiöse und kirchliche Leben in Deutschland auszuschalten. Dies sei notwendig, da durch den Nationalsozialismus eine neue „völkische Wahrheit“ erkannt worden sei, „daß der Mensch Glied einer ihn tragenden und umfassenden Gemeinschaft ist, der er zu Dienst verpflichtet ist, wenn anders er überhaupt Mensch sein will. Diese Gemeinschaft ist das Volk, eine aus der Rasse entstehende, an den Boden gebundene, durch das geschichtliche Schicksal bestimmte und geprägte organische Größe. [...] Voraussetzung für die Erkenntnis und Verwirklichung des völkischen Gedankens und damit des Anbruches einer neuen Epoche innerhalb der Weltgeschichte“ sei der „Gegensatz gegen das Judentum“, „dem deutschen Volk“ sei „der Kampf gegen das Judentum unwiderrufbar aufgegeben.“ Auch im Bereich der Theologie und Kirche müssten demnach kirchliche Bräuche, christliche Überzeugungen und religiöse Ausdrucksformen vom „jüdischen Geist“ befreit werden. Eine „Ablösung des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs von Abraham auf Christus“ sei ebenso notwendig wie die Loslösung vom „heilsgeschichtlichen Bezug auf die Geschichte des Alten Testamentes“. Demnach würden sich besonders vier „Aufgaben praktischer Art“ für die Institutsarbeit ergeben: (1) „Schaffung einer Ausgabe der vier Evangelien, die die ältesten Traditionen ablöst von ihren Umformungen und Zusätzen von zweiter Hand“ (→ Botschaft Gottes), (2) Ordnende Sichtung von „Kultus, Liedgut und Liturgie der christlichen Kirche“,

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damit „aus Liturgie und Liedgut die Zionismen verschwinden“ (→ Großer Gott wir loben dich; → Deutsche mit Gott), (3) Untersuchung des Kirchenrechts auf jüdische Einflüsse, (4) Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit gegen die These „Christentum sei Fortsetzung und Vollendung des Judentums“. Neben diesen praktischen Maßnahmen sei wissenschaftliche Arbeit notwendig, insbesondere eine neue Verhältnisbestimmung Jesu gegenüber dem Judentum, da die „Selbstverständlichkeit, mit der man bisher die Frage nach dem inneren und äußeren Zusammenhang Jesu mit dem Judentum bejaht hat, [...] unter dem Druck des Tatsachenmaterials mehr als fragwürdig“ werde (→ Jesus der Galiläer und das Judentum). Die Bearbeitung der Aufgaben des Instituts solle in Forschungsgemeinschaften und Einzelarbeiten erfolgen. Durch Lehrgänge, Veröffentlichungen und Vorträge seien die Ergebnisse daraufhin an „alle die Menschen, die in diesen Dingen verantwortlich denken und entscheiden müssen“, weiterzugeben (→ Christentum und Judentum bzw. Germanentum, Christentum und Judentum; → Die völkische Gestalt des Glaubens). Grundmanns Person als wissenschaftlicher Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ und die von ihm in seinem Eröffnungsvortrag geäußerten Gedanken sollten den Charakter und die Ausrichtung des Instituts fortan wesentlich bestimmen. Seinen Sitz erhielt das Institut in Eisenach, für die wissenschaftliche Institutsarbeit wurden bis 1941 ca. 180 Mitarbeiter, darunter 24 Universitätsprofessoren von 14 evangelischtheologischen Fakultäten sowie kirchliche Vertreter und aufstrebende Gelehrte, zur ehrenamtlichen Gemeinschaftsarbeit in Arbeitskreisen und an Forschungsaufträgen sowie zu Publikationstätigkeiten gewonnen. Insgesamt 46 Forschungsaufträge und Arbeitskreise zielten fortan darauf ab, Jüdisches aus Theologie und Kirche zu entfernen, wobei der Gegensatz zwischen christlicher und jüdischer Religion sowie die Überlegenheit der „arischen“ gegenüber der „jüdischen Rasse“ stets betont wurde. Die besondere Bedeutung des Eisenacher Instituts liegt darin, dass hier mit unbeirrbarer Zielstrebigkeit auf der Basis eines Konsenses führender Vertreter in Theologie und Kirche der Versuch unternommen wurde, Kirche und Theologie zu „entjuden“, um sie der Ideologie des Nationalsozialismus anzupassen, während gleichzeitig die deutschen und europäischen Juden zunächst ausgegrenzt und verfolgt, dann ermordet wurden. Den Mitarbeitern und den Unterstützern des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ kommt damit eine geistige Mitverantwortung an den Verbrechen zu, die während der Zeit des Nationalsozialismus an Juden begangen wurden (→ Das religiöse Gesicht des Judentums).

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Roland Deines, Volker Leppin, Karl-Wilhelm Niebuhr (Hrsg.), Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich, Leipzig 2007. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008. Peter von der Osten-Sacken (Hrsg.), Das mißbrauchte Evangelium. Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen, Berlin 2002.

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Epistolae obscurorum virorum (1515–1517)

Epistolae obscurorum virorum (1515–1517) Die „Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum magistrum Ortvinum Gratium Daventriensem“ [Briefe dunkler Männer an den ehrenwerten Magister Ortwinus Gratius aus Deventer, meist abgekürzt als „Dunkelmännerbriefe“] erschienen in den Jahren 1515 und 1517 anonym als Buch in Hagenau und Speyer. Die Sammlung aus 110 fingierten Briefen meist erfundener Kleriker und Magister zeigt in satirischer Form deren Naivität und Doppelmoral. Adressat der Briefe ist – mit wenigen Ausnahmen – der real existierende Magister Ortwinus Gratius (um 1480–1542), Professor der Artes in Köln. Gratius war der Übersetzer der Schriften Johannes Pfefferkorns ins Lateinische. Pfefferkorn (1469–1521) forderte in seinen judenfeindlichen Schriften seit 1507 die Zwangstaufe von Juden und erhielt 1509 ein Mandat von Kaiser Maximilian für die Konfiszierung und mögliche Verbrennung jüdischer Schriften. Etwa acht Monate später, 1510, wurde das Mandat zurückgezogen, wobei auch die bereits beschlagnahmten Schriften an ihre Besitzer restituiert wurden. Stattdessen wurden nun Gutachten angefordert, u. a. von Johannes Reuchlin (1455–1522), einem bekannten Hebraisten, der in seiner Stellungnahme für den Erhalt und die Pflege jüdischen Schrifttums eintrat, was den sogenannten Pfefferkornstreit auslöste. Für Reuchlin ergriffen auch der Erfurter Humanistenkreis um Johannes Crotus Rubeanus (um 1480 bis 1540) und Ulrich von Hutten (1488–1523) Partei, die als die hauptsächlichen Verfasser der „Epistolae obscurorum virorum“ gelten. Die „Epistolae“ fanden schnelle Verbreitung; bereits ein Jahr nach dem Erstdruck erschienen drei weitere Auflagen. 1517 wurde der zweite Teil publiziert, hauptsächlich verfasst von Ulrich von Hutten. Das Buch eröffnete eine lange Tradition von Nachahmertexten. Obwohl der Pfefferkornstreit um die Vernichtung jüdischen Schriftguts entbrannte, nutzten die Verfasser die fingierten Briefe zu einer umfassenden Kritik an kirchlichen Missständen; die vorgeblichen Briefschreiber und der Adressat werden als moralisch verkommen, borniert und intrigant sowie wissenschaftlich unfähig vorgeführt. Auch der Antijudaismus der „Dunkelmänner“ wird thematisiert. Die Kritik zielt vor allem auf die Person Pfefferkorns, der als ihr Wortführer selbst ein zum Christentum konvertierter Jude war. Dabei werden den vorgeblichen Schreibern an zahlreichen Stellen antijudaistische Ausfälle in den Mund gelegt, die gängige Stereotype von „dem Juden“ bedienen. So ist Pfefferkorn begierig auf Profit, „wie das alle Juden tun“ (Ep. I, 47), sein Christentum wird ihm als Tarnung unterstellt („er glaube nicht, dass Pfefferkorn noch ein guter Christ sei, denn er habe ihn vor einem Jahr gesehen, und da habe er noch gestunken wie ein anderer Jude“; Ep. II, 25) und er schändet stattdessen die Eucharistie: unter Vorgabe eines Lungenleidens spuckt er während der Messe aus (Ep. I,36). Die Korrespondenz rutscht sogar unter die Gürtellinie, indem der Gattin Pfefferkorns in den Mund gelegt wird, „die beschnittenen Männer machten den Frauen größeres Vergnügen [...], wenn ihr Mann sterbe [...], so dürfe [der Neue] auch keine Vorhaut am Gliede haben“ (Ep. I,36). Die antijudaistischen Passagen des Buches sind dabei Mittel, um Pfefferkorn und damit den spätscholastischen Klerus zu diffamieren. Den Humanisten ging es dabei nicht darum, die Rechte der Juden zu verteidigen, sondern darum, ihre eigene, dem Selbstverständnis nach fortschrittliche Geisteshaltung gegenüber den rückwärtsgewandten Spätscholastikern zu behaupten. Die Überlegenheit der eigenen Position ma-

Ernst Schmeitzner Verlag (1874–1886)

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nifestiert sich auch sprachlich, indem man die vorgeblichen Verfasser ein holpriges Latein schreiben lässt und häufig betont, der Wortführer Pfefferkorn beherrsche es erst gar nicht. Pfefferkorn fungiert dabei als Gegenbild zur Wertschätzung Reuchlins – als Konvertit wird er mit all den judenfeindlichen Schmähungen belegt, die in seinen eigenen antijüdischen Schriften zu finden sind. Dabei scheuen die Verfasser nicht davor zurück, einen Theologieprofessor darauf hinweisen zu lassen, dass bereits ein gleichnamiger Konvertit Johannes Pfefferkorn wegen Verrats am Glauben auf dem Scheiterhaufen „mit glühenden Zangen zerfleischt wurde“ (Ep. II,7). Der Gemeinte erkennt die Bedrohlichkeit sehr wohl und beschwört in seiner Verteidigungsschrift „Beschyrmung Johannes Pfefferkorn“ mit dem Hinweis „den man nyt verbrant hat“ das Glaubensbekenntnis zum Christentum. Die Satire hat dauerhafte Berühmtheit erlangt und gehört auch heute noch zu den herausragenden Texten des Humanismus.

Kerstin Hasdorf

Literatur Thomas Bartoldus, Humanismus und Talmudstreit. Pfefferkorn, Reuchlin und die „Dunkelmännerbriefe“ (1515/17), in: Arne Domrös, Thomas Bartoldus, Julian Voloj (Hrsg.), Judentum und Antijudaismus in der deutschen Literatur im Mittelalter und an der Wende zur Neuzeit. Ein Studienbuch, Berlin 2002, S. 179–228. Briefe der Dunkelmänner, übers. von Wilhelm Binder, revidiert, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Peter Amelung, München 1964. Thomas Cramer, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 2000³. Winfried Frey, Die „Epistolae obscurorum virorum“ – ein antijüdisches Pamphlet? in: Norbert Altenhofer, Renate Heuer (Hrsg.), Probleme deutsch-jüdischer Identität, Bad Soden 1986, S. 147–172.

Ernst Schmeitzner Verlag (1874–1886) 1874 in Chemnitz gegründet, fand der Ernst Schmeitzner Verlag seinen ersten Autoren in Friedrich Nietzsche. Dessen Schriften waren zuvor mit äußerst bescheidenem Erfolg im Leipziger Verlagshaus E. W. Fritzsch erschienen. Auch Ernst Schmeitzner sollte es nicht gelingen, Friedrich Nietzsche zum erhofften Durchbruch zu verhelfen. Nietzsche erwies sich für den Verlag dennoch als Glücksgriff, schließlich bescherte er Schmeitzner wertvolle Kontakte zu Autoren im Umfeld Richard Wagners. Neben Otto Eiser und Heinrich von Stein vermochte er schließlich auch Hans von Wolzogen und Bernhard Förster von seinem Verlag zu überzeugen. Zwar misslang der Versuch, auch die Rechte an Richard Wagners Schriften zu erwerben, jedoch brachten ihm seine Bemühungen die Verlegerschaft der 1878 gegründeten → „Bayreuther Blätter“ ein. Dieses Zentralorgan der Wagneranhängerschaft betrieb nicht nur einen Personenkult um den gefeierten Komponisten, es verfolgte von Beginn an auch eine unverkennbar völkische und antisemitische Stoßrichtung. Zu den Mitarbeitern zählten mit Carl Friedrich Glasenapp, den Brüdern Paul und Bernhard Förster, Karl Ludwig Schemann und Houston Stewart Chamberlain gleich eine ganze Reihe namhafter Vertreter der völkischen Bewegung. Das gespannte Verhältnis Wagners zu Nietzsche führte jedoch dazu, dass Schmeitzner das Blatt bereits nach einem Jahr wieder entzogen wurde.

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Ernst Schmeitzner Verlag (1874–1886)

Schmeitzners verlegerisches Hauptinteresse galt dem zeitgenössischen Antisemitismus. 1880 gelang es ihm, Wilhelm Marr für das Projekt einer antisemitischen Halbmonatsschrift zu gewinnen. Nach Schmeitzners hochfahrenden Plänen sollten diese „Antisemitischen Blätter“ in einer Auflage von 5.000 Stück erscheinen. Sogar Bonuszahlungen an Wilhelm Marrs „Antisemiten-Liga“ wurden vereinbart. Die Verkaufszahlen waren allerdings derart desaströs, dass das Projekt nach nur drei Ausgaben endete. Ernst Schmeitzner selbst war bekennender Antisemit und gehörte zu den Erstunterzeichnern der 1880 von Bernhard Förster und Max Liebermann von Sonnenberg verfassten Antisemiten-Petition, deren Verbreitung er massiv unterstützte. Er war zudem an der Organisation des 1882 in Dresden veranstalteten „Ersten internationalen antisemitischen Kongresses“ beteiligt. Die dort ausgefochtenen Grabenkämpfe zwischen den unterschiedlichen Strömungen der antisemitischen Bewegung erlebte er aufseiten der radikalen Rasseantisemiten, die ihn zum Dank zum Vorsitzenden eines ständigen Komitees beriefen, dessen Funktion in der internationalen Vernetzung antijüdischer Kräfte und in der Geldbeschaffung bestand. Der Schmeitzner-Verlag übernahm den Vertrieb des in Dresden verabschiedeten „Manifests an die Regierungen und Völker der durch das Judenthum gefährdeten Staaten“. Binnen eines halben Jahres brachte der Verlag 45.000 Stück dieser 16-seitigen Broschüre in Umlauf. Schmeitzner zählte zu den eifrigsten Organisatoren der antisemitischen Bewegung. Unter seiner Federführung fand 1883 in Chemnitz ein „Zweiter internationaler antijüdischer Kongress“ statt, der mit der kläglichen Zahl von kaum 40 Teilnehmern allerdings keinerlei Wirkung erzielte. 1882 erweiterte der Verlag sein Programm um H. Nauhds → „Die Juden und der deutsche Staat“. Dieser vermutlich von Heinrich G. Nordmann verfasste antisemitische „Klassiker“ war seit 1851 bereits in zehn Auflagen erschienen. Der SchmeitznerVerlag ließ 1883 eine elfte erweiterte Auflage folgen. Zum Jahresbeginn 1882 brachte der Verlag „Schmeitzner’s Internationale Monatsschrift“ (→ Schmeitzners Monatshefte) heraus, die ein Jahr später den Untertitel „Zeitschrift für die Allgemeine Vereinigung zur Bekämpfung des Judenthums“ erhielt. In der „Internationalen Monatsschrift“ erschien eine ganze Reihe von meist anonym verfassten Programmschriften der antisemitischen Bewegung. Zu den bekanntesten Autoren gehörte Eugen Karl Dühring, der hier u. a. einen zweiteiligen Aufsatz über „Die Parteien und die Judenfrage“ veröffentlichte. Auch Theodor Fritsch steuerte einen unter seinem Pseudonym „Thomas Frey“ verfassten Artikel „Zum Verständnis des Judencharakters“ bei. Der Eifer, mit dem Schmeitzner dieses Projekt betrieb, stand von Beginn an in keinem Verhältnis zum finanziellen Ertrag der Zeitschrift. Zum Jahresbeginn 1884 stellte der Verlag das Blatt ein. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit gelang es Friedrich Nietzsche 1886 schließlich, sich von seinem Verleger zu lösen. In seinen Werbebestrebungen hatte Schmeitzner von Beginn an versucht, Nietzsches Schriften im Kreise der ihm nahestehenden Antisemiten zu verbreiten. Er ist deshalb als ein entscheidender Wegbereiter der späteren antisemitischen Nietzsche-Rezeption anzusehen. Nach seiner Niederlage im Prozess gegen Nietzsche und andere seiner Autoren löste Schmeitzner seinen Verlag

Errores Judaeorum in Thalmut (13. Jahrhundert)

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1886 schließlich auf. Seine antisemitischen Schriften trat er an Theodor Fritsch und dessen Verlag Hermann Beyer ab.

Christian Gaubert

Literatur Malcom Brewer Brown, Friedrich Nietzsche und sein Verleger Ernst Schmeitzner. Eine Darstellung ihrer Beziehung, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 28 (1987), S. 215– 291. Ralf Eichberg, Freunde, Jünger und Herausgeber. Zur Geschichte der ersten Nietzsche-Editionen, Frankfurt am Main 2009. Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus – Von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Thomas Mittmann, Vom „Günstling“ zum „Urfeind“ der Juden. Die antisemitische Nietzsche-Rezeption in Deutschland bis zum Ende des Nationalsozialismus, Würzburg 2006.

Errores iudeorum → Pharetra fidei

Errores Judaeorum in Thalmut (13. Jahrhundert) Um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstand ein Traktat, das scharf gegen den Talmud polemisiert. In den Handschriften trägt es unterschiedliche Titel, am häufigsten sind die zwei Titel „Errores Judaeorum in Thalmut“ und „Obiectiones in Thalmut Judaeorum“. In Bibliothekskatalogen ist dieser Text auch mitunter unter der Bezeichnung → „Pharetra fidei“ zu finden, da er häufig zusammen mit einem Traktat dieses Titels überliefert wird. Eine Edition fehlt bisher. Nach einem Prolog, in dem der Aufbau des Talmuds erklärt wird, finden sich kurze Geschichten aus der „Aggada“ in lateinischer Übersetzung, denen eine Erwiderung folgt. Diese Erzählungen sollen beweisen, dass die Juden die Christen hassen und dass sie irrational, blasphemisch und häretisch sind. Häretisch seien die Juden geworden, weil der Talmud ihnen mehr als die Bibel gelte. Ihre angebliche Irrationalität wird am Gottesbild veranschaulicht: Sie dichteten Gott menschliche Eigenschaften und Regungen an und sprächen ihm göttliche Eigenschaften ab. Gleichzeitig sprächen die Juden Menschen, nämlich den Talmudgelehrten, eine göttliche, sogar Gott überlegene Weisheit zu. Dies entspricht genau dem Tatbestand der Blasphemie, wie er in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von den christlichen Theologen systematisch definiert wurde. Eine kleine Gruppe von Erzählungen stellt die Juden als Feinde des Christentums dar. Der Verfasser behauptet, dass die Juden Jesus und seine Mutter hassen, ferner, dass sie die Christen verabscheuen, um den Untergang der christlichen Reiche beten, und dass ihnen erlaubt sei, die Christen zu belügen und zu betrügen. Purim wird als antichristliches Fest präsentiert. Der Verfasser ist bemüht, Wissenschaftlichkeit und Genauigkeit zu suggerieren: Die mit contra eingeführten Erwiderungen sind in scholastischer Art aufgebaut und ausformuliert; Erzählungen und Zitate werden mit der genauen Angabe des Talmudbuches und des Urhebers zitiert, wodurch dem Leser vermittelt wird, dass dieses Material original jüdisches Gedankengut sei. In einigen Handschriften findet sich ein Autorenname: Theobaldus de Saxannia, Theobaldus de Saxonia oder Theobaldus Saxo, wobei die zwei letzteren Varianten An-

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passungen des wenig bekannten Ortsnamen Saxannia (wohl heutiges Sézanne, Departement Marne, Frankreich) sein dürften. Einige Textzeugen präzisieren, es handele sich um einen Subprior der Dominikaner in Paris. Gemeint ist wohl der Dominikaner Theobald von Saxannia (Thibaut de Sézanne), der dem Kanzler der Pariser Universität Eudes de Châteauroux (auch Odo von Tusculum genannt) bei dessen Untersuchung über den Talmud assistiert hat. Eudes’ Vorgehen stand in folgendem Kontext: Der französische Konvertit Nicolas Donin hatte den Talmud vor Papst Gregor IX. als häretisch denunziert, woraufhin der Papst die christlichen Herrscher ersuchte, den Talmud verbrennen zu lassen. Nur der französische König Ludwig IX. folgte dieser Aufforderung. Gregors Nachfolger Innozenz IV. bestätigte zuerst die Aufforderung seines Vorgängers, revidierte aber später seine Meinung und gab seinem Legaten Eudes von Châteauroux die Anweisung, die Talmudexemplare zu zensieren. Eudes leitete eine Untersuchung über den Talmud ein, die mit einer Verurteilung in der Sententia Odonis endete. Zu dieser Untersuchung wurde ein Dossier erstellt, in dem sich lateinische Übersetzungen von Talmud-Abschnitten sowie nach den Anklagepunkten geordnete Exzerpte aus dem Talmud befinden. Das Dossier ist im Codex Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 16558 erhalten. Aus diesem Dossier stammt der Text der „Errores“. Es ist möglich, dass Theobald selbst eine Sammlung von Exzerpten aus dem Talmud erstellte, allerdings ist es unklar, ob diese Sammlung mit derjenigen der „Errores“ übereinstimmt. Einige Zitate im sogenannten Passauer Anonymus legen die Vermutung nahe, dass Theobalds Exzerptensammlung umfangreicher als die „Errores“ war. Der Traktat ist in weit über 100 Handschriften, vor allem in den Gebieten des Deutschen Reiches, teils allein, teils zusammen mit der Pharetra 1, normalerweise in der Reihenfolge Pharetra – Errores, überliefert.

Carmen Cardelle de Hartmann

Literatur Carmen Cardelle de Hartmann, Drei Schriften mit dem Titel Pharetra fidei, in: Aschkenas 11 (2001), S. 327–349. Gilbert Dahan (Hrsg.), Le brûlement du Talmud à Paris 1242–44, Paris 1999. Alexander Patschovsky, Der „Talmudjude“. Vom mittelalterlichen Ursprung eines neuzeitlichen Themas, in: Alfred Haverkamp, Franz-Josef Ziwes (Hrsg.), Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 13–27. Alexander Patschovsky, Der Passauer Anonymus. Ein Sammelwerk über Ketzer, Juden, Antichrist aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, Stuttgart 1968, S. 178–181. Gerd Schwerhoff, Blasphemie zwischen antijüdischem Stigma und kultureller Praxis. Zum Vorwurf der Gotteslästerung gegen die Juden im Mittelalter und beginnender Frühneuzeit, in: Aschkenas 10 (2000), S. 117–155.

Das Erwachen der jüdischen Nation (Friedrich Heman, 1897) Johann Friedrich Carl Gottlob Heman (1839–1919) veröffentlichte seine 114 Seiten umfassende Schrift „Das Erwachen der jüdischen Nation. Der Weg zur endgültigen Lösung der Judenfrage“ als begeisterte Reaktion auf den ersten Zionistenkongress, der 1897 in seinem Wohnort Basel stattgefunden hatte. Sein Buch erschien im Verlag

Das Erwachen der jüdischen Nation (Friedrich Heman, 1897)

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von Paul Kober, der in Basel eine große Anzahl religiöser Traktate und Bücher herausgab. Heman warb mit dieser Schrift für Verständnis und Zustimmung für die zionistische Bewegung unter den (deutschen) Christen. Sein Eintreten für einen jüdischen Nationalismus und die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina erwies sich als vor allem durch seine von nationalistischen antisemitischen Diskursen geprägten deutschnationalen Überzeugungen motiviert. In sechs Kapiteln liefert Heman seine Interpretation der angeblichen „Judenfrage“ und der jungen zionistischen Bewegung, attackiert ihre Gegner und legt seine in den Zionismus gesetzten Zukunftshoffnungen dar. Die bei Heman in anderen Texten oft präsenten heilsgeschichtlich-endzeitlichen Projektionen auf die Juden und den Zionismus fehlen hingegen, da er die religiöse Seite der „Judenfrage“ in diesem Text bewusst ausklammerte. Der in Grünstadt in der Pfalz geborene Theologe war 1874–1913 als Direktor die prägende Figur des Basler Judenmissionsvereins Verein der Freunde Israels. Er redigierte gleichzeitig dessen Publikationsorgan → „Der Freund Israels“. Darüber hinaus unterrichtete der 1891 in Basel eingebürgerte Heman, Sohn des 1833 vom Judentum zum Protestantismus konvertierten David Heman und der protestantischen Friederike Baur, an der Basler Predigerschule und am Missionsseminar der Pilgermission und bekleidete ab 1888 eine außerordentliche Professur für Philosophie und Pädagogik an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel. Heman verfasste viele Artikel und Schriften, die sich, häufig geprägt von einem heilsgeschichtlichen und nationalistischen Antisemitismus, mit dem Judentum auseinandersetzten. So beteiligte er sich auch als Autor an den Diskussionen des „Berliner Antisemitismusstreits“. Im Buch „Das Erwachen der jüdischen Nation“ gibt Heman seiner Vorstellung der Nation als natürliches Ordnungsprinzip Ausdruck und stellt in diesem Zusammenhang die antisemitische „Judenfrage“, da er die Juden in Deutschland als nicht der deutschen Nation zugehörig konstruiert. Aus dieser exklusionistischen Position heraus übt er scharfe Kritik an der Assimilationsbewegung unter den Juden. Für ihn blieben sie trotz aller Anpassung Juden, da sie ihre Religion und ihre Sitten nicht aufgeben würden. Deshalb behauptet Heman, die vermeintliche Präsenz eines realen Konflikts suggerierend und durch die Umkehr von Opfer und Täter, dass die Juden den Antisemitismus selbst hervorgerufen hätten, und dass es an ihnen läge, die Lösung der „Judenfrage“ in die Hand zu nehmen. Aus diesem Grund setzte er große Hoffnungen in die nationaljüdische Idee des Zionismus, mit dessen Auftauchen er als christlich motivierter Prozionist, der sogar mit Theodor Herzl in persönlichem Kontakt stand, in anderen Publikationen endzeitliche Heilserwartungen verband. Im Zentrum der stark antisemitisch geprägten Argumentation Hemans steht die Hoffnung, dass die Wiederbelebung des Nationalgefühls unter den Juden – grundsätzlich bezogen auf den deutschen Kontext – zu einer Klärung der Situation führen würde. Er sah diese Klärung in der nationalen und staatsbürgerlichen Trennung zwischen Deutschen und Juden. Wie Heman mehrfach im Text betont, würde das aufkeimende nationale Empfinden und die Schaffung eines jüdischen Staates den Großteil der Juden dazu veranlassen, Deutschland zu verlassen oder aber zu akzeptieren, als Juden in Deutschland unter Fremdenrecht gestellt zu werden, da sie als Juden dann Staatsangehörige einer fremden Nation wären. Die Juden Deutschlands aber, die nicht den jüdisch-nationalen Weg beschreiten wollten – Heman ging nur von einem kleinen Rest

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Der erzwungene Krieg (David L. Hoggan, 1961)

aus –, müssten sich komplett von ihrem Jüdischsein lösen, um völlig in den Deutschen aufzugehen. Nur so würden sie – und das war bewusst doppeldeutig gemeint – „unbeschnittene Deutsche“ werden. Als Resultat dieser Prozesse erwartete Heman, dass der Antisemitismus verschwände und die Juden als Nation geachtet würden. In seiner, wie Heman es ausdrückte, „gründliche[n], zwanglose[n] Lösung der Judenfrage“ manifestiert sich ein breites Spektrum antisemitischer Diskurse, die insbesondere in seiner Vorstellung von „Volk“ und „Rasse“ fußten, die jeder Nation einen spezifischen Charakter zuschrieb. Hierbei griff er auf klassische antisemitische Stereotype zurück und unterstellte den Juden u. a. eine besondere Physiognomie, eine „zersetzende“ Wirkung auf andere Nationen und berufliche Präferenzen. Eine besondere antisemitische Spitze führt Heman zudem gegen die deutschen Rabbiner und das Reformjudentum, die er als Feinde der nationaljüdischen Bewegung und somit seinem eigenen deutschnationalen Traum entgegengerichtet sieht.

Thomas Metzger

Literatur Sara Janner, Friedrich Heman und die Anfänge des Zionismus in Basel. „Oh, wenn ich Missionar sein könnte, möchte ich Missionar des Zionismus sein“, in: Judaica 53 (1997), S. 85–96. Patrick Kury, „Zuerst die Heimkehr, dann die Umkehr“. Christlicher Zionismus und Philosemitismus in Basel im Umfeld des Ersten Zionistenkongresses, in: Heiko Haumann (Hrsg.), Der Erste Zionistenkongress von 1897 – Ursachen, Bedeutung, Aktualität, Basel u. a. 1997, S. 185–190. Thomas Metzger, Vereinnahmende Inklusion. Heilsgeschichtliche Projizierungen des Vereins der Freunde Israels auf die Juden, in: David Luginbühl u. a. (Hrsg.), Religiöse Grenzziehungen im öffentlichen Raum. Mechanismen und Strategien von Inklusion und Exklusion im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 295–313.

Der erzwungene Krieg (David L. Hoggan, 1961) Mit dem Buch „Der erzwungene Krieg“ begründete der US-amerikanische Historiker David L. Hoggan (1923–1988) den Revisionismus in der Zeitgeschichte. Es erschien 1961 in deutscher Sprache in Herbert Graberts rechtsextremem Verlag der Deutschen Hochschullehrerzeitung, spätere Auflagen wurden vom → Grabert-Verlag publiziert. Ein amerikanischer Verlag hatte sich nicht gefunden, sodass das Manuskript ins Deutsche übersetzt wurde. Absicht des Buches war es, Deutschland und insbesondere Hitler von der Schuld am Zweiten Weltkrieg reinzuwaschen. Mit erheblichem Aufwand an scheinbarer Gelehrsamkeit, Quellenzitaten und Aktenbelegen versuchte Hoggan, die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg ausschließlich den Westmächten und Polen zuzuschieben. Der Beifall der Rechten, die sich durch die wissenschaftliche Attitüde bestätigt fühlten, steht im vollkommenen Gegensatz zum vernichtenden Urteil der Historiker über Hoggans Bemühungen. Bald nach Erscheinen hat der Historiker Hermann Graml im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte in München den Nachweis erbracht, dass Hoggan mit den Dokumenten äußerst willkürlich verfuhr, tendenziös zitierte und auch vor Fälschungen nicht zurückschreckte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellte in einer Publikation zum rechtsextremistischen Revisionismus

Es wird Licht!

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fest, dass Hoggan „seine Thesen mit der bewußten Verfälschung von Sachverhalten bzw. dem Ignorieren bestimmter Zusammenhänge zu untermauern“ suche. Die Judenpolitik des nationalsozialistischen Regimes spielt in dem Buch nur eine marginale Rolle, sie ist der Grundtendenz untergeordnet, weist also Polen hinsichtlich des Antisemitismus eine wichtigere Rolle als Deutschland zu und ist in der Darstellung durchgängig ausgesprochen judenfeindlich. Die Beschreibung der Novemberpogrome 1938 bietet dafür eindeutige Beispiele. Eine besonders freche Lüge war die Behauptung „Die deutschen Versicherungen waren angewiesen, den Juden unverzüglich alle Eigentumsschäden vom 10. November zu ersetzen“, während tatsächlich alle Versicherungsansprüche von Juden zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt wurden. Der geschichtsklitternde Satz wurde in späteren Auflagen gestrichen, aber noch in der 13. Auflage (1986) sind Märchen über die Umstände der Deportation der Juden polnischer Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 zu lesen. Es sei keine Abschiebung geplant gewesen, sondern es sei den Juden versprochen worden, „dass sie zurückkommen könnten, sobald ihre Pässe in Polen gültig gemacht“ worden seien. Entgegen der historischen Wahrheit behauptete Hoggan auch, die deutschen Transporte seien „umsichtig mit Bequemlichkeiten und ausreichender Verpflegung“ organisiert worden, um damit Herschel Grynszpans Attentat in Paris, das die „Reichskristallnacht“ auslöste, als unmotiviert erscheinen zu lassen. Grotesk ist auch die offensichtliche Sympathie, mit der Hoggan die Hitlerrede vor dem Reichstag am 30. Januar 1939 schildert, in der der „Führer“ „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ angedroht hatte. Die Hitler-Apologie rechtfertigte implizit auch dessen Verhältnis zu den Juden, ohne dass dies in dem 900 Seiten starken Buch besonders thematisiert werden musste. Hoggan erhielt Heroenstatus auf der NeonaziSzene, Preise wurden für ihn als dem Kronzeugen des Schuld mildernden Revisionismus gestiftet, aber das Urteil der seriösen Geschichtswissenschaft steht fest. Helmut Krausnick, damals Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, erklärte Anfang der 1960er Jahre, mit Geschichtsschreibung habe das Buch nichts zu tun: „Der sogenannte Historiker Hoggan geht mit den Dokumenten in einer Weise um, dass man sein dickleibiges Elaborat als eine glatte Scharlatanerie bezeichnen muss.“

Wolfgang Benz

Literatur Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Rechtsextremistischer Revisionismus. Ein Thema von heute, Köln 2001. Hermann Graml, David L. Hoggan und die Dokumente, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 14 (1963), S. 492–514. Gotthard Jasper, Über die Ursachen des Zweiten Weltkrieges. Zu den Büchern von A.J.P. Taylor und David L. Hoggan, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 10 (1962), S. 311– 340.

Es wird Licht! → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und TrutzBundes

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Essai sur l’inégalité des races humaines (Arthur de Gobineau, 1853–1855)

Essai sur l’inégalité des races humaines (Arthur de Gobineau, 1853–1855) Der Schriftsteller und Diplomat Arthur de Gobineau (1816–1882) veröffentlichte 1853 in Bern die ersten beiden Bände des „Versuchs über die Ungleichheit der Menschenrassen“ [Essai sur l’inégalité des races humaines], denen zwei weitere in den darauffolgenden Jahren folgten. Gobineau erklärt darin das Konzept der „Rasse“ zum Motor der Menschheitsgeschichte. Dabei entwickelt er eine Weltsicht, in der die weiße Rasse, überlegen in ihrer Schönheit, ihrer Kraft und ihrer Intelligenz, sich von den anderen beiden Rassen unterscheidet: der gelben, die mittelmäßig und materialistisch sei, aber dennoch überlegen gegenüber der dritten, schwarzen Rasse, die als hässlich, gefräßig, bestialisch und ohne intellektuelle Kompetenzen bewertet wird. Innerhalb der weißen Rasse verherrlicht Gobineau die Überlegenheit der ursprünglichen germanischen Rassen. Dabei sieht er im germanischen Arier, dessen Vorfahren aus Asien stammten und sich in Skandinavien ansiedelten, den Inhaber der höchsten Moral, der auch in seiner Intelligenz, seiner Energie, seiner Schönheit und seiner Kraft überlegen sei. Von einem Niedergang der europäischen Gesellschaften überzeugt, sieht er in der Vermischung der als ungleich bewerteten Rassen die Ursache für den Verfall. Als Autor von dreißig sowohl historischen als auch philologischen Arbeiten mit einer Faszination für den Orient und vor allem Persien erfuhr Gobineau posthum Ruhm. Im Frankreich Mitte des 19. Jahrhunderts bringt der aristokratische Pessimismus des „Versuchs über die Ungleichheit der Menschenrassen“ das Unbehagen innerhalb eines Teils des bankrotten Adels zum Ausdruck. Dieser sah die europäischen Gesellschaften nach dem Verlust der eigenen sozialen Vorherrschaft zugunsten einer sich im Aufstieg begriffenen Bourgeoisie einem tiefgreifenden und unaufhaltsamen Niedergang ausgesetzt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden Gobineaus Schriften nur wenig Beachtung in der französischen Gesellschaft. Lediglich 150 Exemplare wurden auf Kosten des Autors veröffentlicht, eine zweite Auflage erschien erst 1884. Sehr wenige Franzosen waren geneigt, seinen aristokratischen Pessimismus zu teilen. So blieben ihm auch die Tore der Académie Française verschlossen. Obwohl die französischen Nationalisten von gewissen Aspekten seines Denkens – dem Hass gegenüber der Republik, der Demokratie sowie seinem Aristokratismus – angetan gewesen sein mögen, waren sie wenig geneigt, die Überlegenheit der germanischen Rasse zu zelebrieren. Gobineau hat die Vorstellungen eines Rassekonzepts popularisiert, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts in gelehrten Kreisen verbreitet waren. Indem er mit seiner Analyse der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen menschlichen Gesellschaften einem naturalisierenden Ansatz folgte, legte er eine Synthese vor, die die Grundlagen der Anthropologie der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bündelte. Doch auch wenn die amerikanischen Anthropologen Josiah C. Nott und J. R. Gliddon die Auszüge für die pro Sklaverei Thesen übersetzen ließen, galten diese Schriften der Jahre 1853–1855 schnell als veraltet. Gobineau weigerte sich anschließend, die wissenschaftlichen Fortschritte seiner Zeit in seine Arbeit zu integrieren: Er akzeptierte nicht die Thesen Darwins, datierte auch weiterhin die Menschheit auf sieben Jahrtausende zurück und blieb feindselig gegenüber den ersten prähistorischen Entdeckungen, die

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auf wissenschaftlichen Tagungen präsentiert wurden. Dies brachte ihm harte Kritik aus Kreisen der Wissenschaft ein, vom christlichen Anthropologen Quatrefages, der ihm vorwarf, kein Naturalist zu sein, bis zu Houston Stewart Chamberlain (1855– 1927), der seinen Mangel an Wissenschaftlichkeit betonte. Trotz seines Willens, seine Weltsicht zu einem Teil der Naturwissenschaften zu machen, verkörperte Gobineau in den 1880er Jahren nicht mehr die wissenschaftliche Moderne. Die Wiederentdeckung Gobineaus ist vor allem dem unermüdlichen Aktivismus eines seiner Schüler, dem Deutschen Ludwig Schemann, geschuldet. Dieser gründete 1894 angesichts der Vorbehalte der Verleger die Gobineau-Vereinigung, um die nötigen Mittel für die Herausgabe von dessen Werken aufzubringen. Seine Leserschaft war somit auf die alldeutschen Kreise beschränkt, die ihm für die Behauptung der nordischen Überlegenheit Beifall spendeten. Nationalsozialisten finanzierten die fünfte Auflage seines Buches und verbreiteten seine Schriften in den Schulsammlungen. Diese posthume Annexion hat in großem Maße zur Schaffung des Mythos Gobineau beigetragen, wodurch aus dem „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ eines der ersten rassistischen und antisemitischen Werke wurde. Nun war Gobineaus Ansicht über die Ungleichheit und Hierarchie der menschlichen Rassen kaum originell, sondern wurde von einem Großteil der Wissenschaftler seiner Zeit geteilt. Was Gobineau von seinen Zeitgenossen unterschied, war nicht die Charakterisierung des Schwarzen, die sehr denen der Naturalisten und Anthropologen von Julien-Joseph Virey bis Paul Broca oder Abel Hovelacque ähnelte, sondern seine Vorstellung eines allgemeinen und unaufhaltsamen Niedergangs der zeitgenössischen Gesellschaften und seine Behauptung der Überlegenheit der germanischen Rasse.

Carole Reynaud-Paligot Übersetzung aus dem Französischen von Marie-Christin Lux

Literatur Jean Boissel, Gobineau polémiste [Gobineau, der Polemiker], Paris 1967. Janine Buenzod, La Formation de la pensée de Gobineau et l’Essai sur l’inégalité des races humaines [Die Ausbildung des Denkens bei Gobineau und der Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen], Paris 1967. Carole Reynaud-Paligot, De l’identité nationale. Science, race et république en Europe et aux États-Unis XIXe-XXe siècles [Von der nationalen Identität. Wissenschaft, Rasse und Republik in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika im 19. und 20. Jahrhundert], Paris 2011. Pierre-André Taguieff, La couleur et le sang. Doctrines racistes à la française [Die Farbe und das Blut. Rassistische Doktrinen auf französische Art], Paris 1996.

Eugen Diederichs Verlag (seit 1896) 1896 von Eugen Diederichs in Florenz und Leipzig gegründet, verlagerte der nach ihm benannte Eugen Diederichs Verlag seinen Sitz 1904 nach Jena. Dort entwickelte er sich zu einem der führenden deutschen Kulturverlage. Eugen Diederichs verstand seinen Verlag als Impulsgeber zur Aufrichtung der deutschen Kultur, die er als substanziell beschädigt und von äußeren Einflüssen überfremdet ansah.

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Eugen Diederichs Verlag (seit 1896)

Als selbsternannter Stifter einer neuerlich zu etablierenden nationalen kulturellen Identität griff er begierig verschiedenste Ideen und Denkströmungen auf, von denen er sich Impulse für die Gegenwart versprach. Auf diese Weise verfügte der Eugen Diederichs Verlag binnen weniger Jahre über ein breitgefächertes Verlagsprogramm, das Autoren unterschiedlichster politischer religiöser und weltanschaulicher Lager vereinte. Frühe Schwerpunkte markierten Texte zu Ansätzen moderner Lebensreform, zur Jugendbewegung, sowie Autoren der ‚Neumystik’ und ‚Neuromantik’. Neben den latent nationalistischen und teils antisemitischen Untertönen dieser Strömungen beteiligte sich der Eugen Diederichs Verlag u. a. mit Heinrich Driesmans’ „Kulturgeschichte der Rasseinstinkte“ und den rassetheoretischen Werken Ludwig Woltmanns auch an den zeitgenössischen Spekulationen über die vermeintlich kulturbildende Kraft der germanischen Rasse. Eine Sonderstellung genossen die Schriften von Paul de Lagarde, der von Eugen Diederichs zum Vordenker der zeitgenössischen Fortschrittskritik stilisiert wurde und zu einer Art Galionsfigur des Verlages avancierte. Unter dem Titel „Deutscher Glaube – Deutsches Vaterland – Deutsche Bildung“ veröffentlichte der Verlag 1913 eine Lagarde-Anthologie. Die Texte stammten aus dessen 1878 veröffentlichten → „Deutschen Schriften“. Ihr antisemitischer Grundgehalt erfuhr durch die von Friedrich Daab vorgenommene Zusammenstellung eine zusätzliche weltanschauliche Verdichtung, die einer späteren Inanspruchnahme des Autors durch die NS-Ideologie erheblich Vorschub leistete. Mit zahlreichen kulturgeschichtlichen Reihen betrieb der Eugen Diederichs Verlag eine in weiten Teilen frei erfundene nationale Traditionspflege. So versuchte er seinem Publikum ab 1911 mit der Sammlung „Thule“, alte isländische Sagen und Dichtungen als unberührte Quellen eines vermeintlich deutschen Wesens nahezubringen. Hinzu traten in den 1920er Jahren mit der „Edition des deutschen Sagenschatzes“ und der Reihe „Die Deutsche Volkheit“ weitere Editionsprojekte, mit denen der Verlag eine Form völkischer Überlieferung betrieb, die immer deutlicher auf einen geistespolitischen Hegemonialanspruch des deutschen Volkes zielte. Auf diese Weise wurde der Eugen Diederichs Verlag zu einem Forum der völkischen Vorgeschichtsforschung und trug mit Titeln wie Herman Wirths „Der Aufgang der Menschheit“ und den spekulativen Werken Wilhelm Teudts erheblich zur Popularisierung der völkischen Idee bei. Stellvertretend für die immer deutlichere Ausrichtung des Verlags auf das politisch wie kulturell konservative Spektrum der Weimarer Republik steht die Entwicklung der seit 1912 von ihm verlegten Zeitschrift „Die Tat“. Gestartet als „sozial-religiöse Monatsschrift für deutsche Kultur“, entwickelte sich das Blatt ab 1929 in den Händen Hans Zehrers und der jungkonservativen Autorengruppe des „Tat-Kreises“ zu einem Leitmedium der konservativen, staatsablehnenden Rechten. Ein besonders prominenter Verfechter nationalrevolutionärer Ideen war Erwin Erich Dwinger, dessen 1929 begonnene Romantrilogie „Die Deutsche Passion“ bis 1945 eine wesentliche Einnahmequelle des Eugen Diederichs Verlag darstellte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bedurfte der Verlag kaum einer inhaltlichen Neuausrichtung. Sein kulturgeschichtliches Programm war ohnehin stark völkisch geprägt und wurde schon 1933 um eine „Deutsche Reihe“ ergänzt. Im glei-

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chen Jahr gab der Eugen Diederichs Verlag auch eine Volksausgabe von Lagarde-Texten heraus, die unter dem Titel „Bekenntnis zu Deutschland“ erschien. Im Bereich der Belletristik öffnete sich der Eugen Diederichs Verlag gegenüber zeitgenössischen Strömungen und vermochte neue Autoren der „Blut-und-Boden-Literatur“ für sich zu gewinnen. Mit Hermann Löns „Wehrwolf“ verfügte er seit 1910 ohnehin bereits über einen nun abermals äußerst verkaufsträchtigen Prototypen dieser Gattung. Auch mit Josefa Behrens-Totenohls Romanen „Femhof“ und „Frau Magdalene“ erzielte der Eugen Diederichs Verlag immense Verkaufszahlen und trug als anerkannter Kulturverlag erheblich zur Aufwertung dieser bäuerlich-sozialromantischen Gattung der NS-Erbauungsliteratur bei. Der Prosperität im Dienste des Nationalsozialismus folgte der Zusammenbruch 1945. Vier Jahre später wurde der „Eugen Diederichs Verlag“ in Düsseldorf neu gegründet, wo er sich in den ersten Jahren vorwiegend mit dem Abverkauf seiner Altbestände über Wasser hielt. Unter diesen teils sogar nachgedruckten Restposten befanden sich auch einige Titel der hauseigenen „Blut-und-Boden-Sparte“. In den folgenden Jahrzehnten versuchte der Verlag, an seine ursprüngliche Tradition als weltoffener Kulturverlag anzuknüpfen und besteht als solcher bis heute fort.

Christian Gaubert

Literatur Irmgard Heidler, Der Verleger Eugen Diederichs und seine Zeit (1896–1930), Wiesbaden 1998. Gangolf Hübinger, Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996. Florian Triebel, Der Eugen Diederichs Verlag 1930–1949. Ein Unternehmen zwischen Kultur und Kalkül, München 2004. Meike G. Werner, Die Erfindung einer Tradition. Der Verleger Eugen Diederichs als kultureller Reichsgründer, in: Lothar Ehrlich, Jürgen John (Hrsg.), Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur, Köln 1998, S. 261–274.

Europa Verlag GmbH (1922–1953) Die Europa Verlag GmbH war eine Tochtergesellschaft des Zentral-Verlags der NSDAP Franz Eher Nachf. (→ Eher-Verlag). Sie ging aus der Finanzierungsgesellschaft Rheinische Verlagsanstalt GmbH hervor, die 1922 gegründet und 1937 von Max Winkler in den Parteibesitz übertragen wurde. Max Winkler war als Reichstreuhänder über eine Reihe Finanzierungs- und Treuhandgesellschaften insbesondere für den Erwerb und die Verwaltung der deutschen Presse in den nach dem Versailler Vertrag abgetretenen deutschen Gebieten verantwortlich und wirkte nach 1933 bei der Konzentration der Presse im Eher-Verlag mit. Im Oktober 1942 wurde die Rheinische Verlagsanstalt GmbH in Europa-Verlag GmbH umbenannt, was ihre Aufgaben widerspiegelte: Dem Europa Verlag wurde im Zweiten Weltkrieg die Verwaltung, die Finanzierung und der Betrieb von über 25 Verlags- und Druckereigesellschaften im Inund Ausland unterstellt. Nach dem Krieg wurde die Gesellschaft unter die Kontrolle der Britischen Militärregierung gestellt und 1953 gelöscht.

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Die zentrale Gruppe der Tochterunternehmen bildeten die Verlagsgesellschaften der deutschen Besatzungszeitungen. Diese wurden mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und der voranschreitenden Besetzung europäischer Gebiete nach dem Motto „dem Schwert folgt die Zeitung“ in deutsch besetzten europäischen Hauptstädten gegründet. Dazu gehörten folgende deutschsprachige Tageszeitungen: „Krakauer Zeitung“, „Deutsche Zeitung in Norwegen“, „Deutsche Zeitung in den Niederlanden“, „Brüsseler Zeitung“, „Pariser Zeitung“, „Deutsche Zeitung in Kroatien“, „Deutsche Nachrichten in Griechenland“, „Donauzeitung“, „Deutsche Zeitung im Ostland“, „Kauener Zeitung“, „Revaler Zeitung“, „Deutsche Ukraine-Zeitung“, „Minsker Zeitung“, „Deutsche Adria-Zeitung“. Die Besatzungszeitungen wandten sich vor allem an Angehörige der deutschen Besatzung, aber auch an die Bevölkerung der besetzten Gebiete. Da die notwendigen Deutschkenntnisse der einheimischen Bevölkerung von Land zu Land variierten, wurden in einigen Besatzungszeitungen die wichtigsten Meldungen in einer Rubrik in der Landessprache zusammengefasst. Die Besatzungszeitungen boten eine thematisch breite Berichterstattung an und dienten sowohl der gelenkten Nachrichtengebung als auch der Unterhaltung. Zum Inhalt gehörten Wehrmachtsberichte zum Kriegsverlauf, Nachrichten aus dem Reich und dem Erscheinungsgebiet in den Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur, Feuilleton und Sport. Die Besatzungszeitungen waren – ähnlich wie die Reichspresse – Sprachrohr der nationalsozialistischen Propaganda. Auch hier bildete der Antisemitismus einen zentralen Bestandteil der Propaganda und wies Parallelen zu antisemitischen Bildern, Argumentationsmustern und Propagandakampagnen im Deutschen Reich auf. Gleichzeitig wurden die antisemitischen Argumentationsmuster in den Besatzungszeitungen an die jeweiligen Erscheinungsländer angepasst und mit der Rechtfertigung der deutschen Besatzung und der Besatzungspolitik verbunden. Zum Bild von „den Juden“ als Feind schlechthin gehörte neben der vermeintlichen Kriegsschuld der Juden auch, dass sie für tatsächliche oder vermeintliche Missstände in allen gesellschaftlichen Bereichen in Deutschland sowie in den jeweiligen Erscheinungsländern schuldig gemacht wurden. So wurde in der „Minsker Zeitung“ das weißrussische Volk als Opfer des jüdisch-bolschewistischen Terrorsystems dargestellt. Die in Weißrussland aktiven Partisanenverbände wurden als jüdisch-bolschewistische „Banditen“ kriminalisiert, die mit grausamen Methoden vor allem gegen die eigenen Landsleute vorgehen und die deutschen Aufbaumaßnahmen gefährden. Die deutsche Besatzung Weißrusslands wurde dagegen als „Befreiung“ von jüdisch-bolschewistischer Knechtschaft und als eine bessere Alternative zum Bolschewismus charakterisiert. Die Verfolgung der Juden wurde in der Propaganda mit dem vermeintlichen Selbstverschulden der Juden legitimiert, die in Europa wirtschaftliche und politische Machtstellungen zum Nachteil der übrigen Bevölkerung ergriffen und auch den Krieg gewollt hätten. Die Notwendigkeit der europaweiten antijüdischen Maßnahmen und die sich daraus ergebenden Vorteile für die Mehrheitsbevölkerung wurden aus der Perspektive der europäischen Völker begründet. Über die konkrete Judenverfolgung lassen sich in den einzelnen Besatzungszeitungen unterschiedliche Hinweise finden: Während z. B. in der „Krakauer Zeitung“ einzelne Informationen, Kommentare und Rechtfertigungen der antijüdischen Maßnahmen im Generalgouvernement veröffentlicht wurden, waren in der „Minsker Zeitung“ die Entrechtung und die Vernichtung

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der weißrussischen sowie der aus Westeuropa nach Weißrussland deportierten Juden kein Thema. Die „Minsker Zeitung“ berichtete dagegen über antijüdische Maßnahmen in Rumänien, Frankreich, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Holland, Italien, Litauen und der Ukraine. Solche Meldungen über die „Lösung der Judenfrage“ als eines internationalen Problems erschienen höchst uneinheitlich und sporadisch auch in anderen Besatzungszeitungen sowie in der Reichspresse. Diese Informationstaktik entsprach nach Peter Longerich „der offiziellen Politik gezielter Andeutungen“: Der Leser, dem die Judenverfolgung vor Ort nicht verborgen blieb, konnte so den Eindruck gewinnen, dass die stattfindende Judenverfolgung kein regional oder national begrenztes Phänomen war, sondern Teil einer europaweiten „Judenpolitik“. Neben den Besatzungszeitungen waren an den Europa Verlag weitere Verlagsgesellschaften angeschlossen, so auch eine untergeordnete Dachgesellschaft, die Metropress GmbH, die den Verkauf und die Auslieferung deutscher Zeitungen, Zeitschriften und Bücher über Verteilerfirmen in elf europäischen Großstädten kontrollierte und koordinierte. Im Sommer 1942 wurden sechs reichseigene Zeitungsunternehmungen im Ausland an die Europa Verlag GmbH überführt: Neben den Verlagsrechten an den „Deutschen Nachrichten in Griechenland“ erwarb der „Europa Verlag“ drei deutsche Zeitungen im verbündeten Rumänien – „Bukarester Tageblatt“ und → „Südostdeutsche Tageszeitung“ (die Ausgaben Hermannstadt und Temeschburg) – sowie die „Türkische Post“ in Istanbul und die „Südostdeutsche Tageszeitung“ in Shanghai. Ferner wurden dem Europa Verlag drei Verlagsunternehmen eingegliedert, die fremdsprachige Wochenzeitungen für sogenannte Ostarbeiter herausbrachten. Die einzelnen Verlage agierten meist als GmbH wirtschaftlich eigenständig; der Europa Verlag selbst blieb im Hintergrund. Die Besatzungszeitungen bildeten kein Geheimnis, sie konnten auch innerhalb des Deutschen Reiches abonniert werden. Auch wenn die Zeitungen erkennbar nationalsozialistische Positionen und deutsche Interessen vertreten haben, wurde die gesellschaftsrechtliche Zugehörigkeit der Besatzungszeitungen zum Europa Verlag und damit zum Eher Verlag nicht offen gelegt. Die Tarnung der Besitzverhältnisse an den Verlagen und ihrer finanziellen Unterstützung war von hoher Priorität für die politische Bedeutung der Zeitungen, für ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit. Dies galt ebenso für die Zeitungen in Rumänien oder der Türkei, wo nicht der Eindruck einer deutschen Einflussnahme entstehen sollte, wie für die Besatzungszeitungen.

Svetlana Burmistr

Literatur Svetlana Burmistr, „Die Völker Europas wollen samt und sonders die Juden nicht“ – Die Judenverfolgung im Spiegel der Minsker Zeitung, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 19 (2010), S. 217–233. Lars Jockheck, Propaganda im Generalgouvernement. Die NS-Besatzungspresse für Deutsche und Polen 1939–1945, Osnabrück 2006. Peter Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945, München 2006. Thomas Tavernaro, Der Verlag Hitlers und der NSDAP. Die Franz-Eher-Nachfolger-GmbH, Wien 2004.

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Evangelium im Dritten Reich (1932–1937)

Europaprogramm der NPD → NPD-Publikationen

Evangelium im Dritten Reich (1932–1937) Das protestantische Wochenblatt „Evangelium im Dritten Reich“ war das wichtigste publizistische Organ der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC), einer kirchenpolitischen Gruppierung, die vor allem im Bereich der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union erhebliche institutionelle Macht und Breitenwirkung erlangte. Als evangelische Nationalsozialisten erstrebten die „Deutschen Christen“ die Synthese von evangelischem Bekenntnis und christlichen Traditionsbeständen mit der nationalsozialistischen Weltanschauung. Zielsetzung war die „Vollendung der deutschen Reformation“ durch Errichtung einer völkischen, stark zentralisierten Reichskirche unter Führung eines Reichsbischofs. In ihren „10 Richtlinien“, der Grundsatzerklärung vom Mai 1932, hatten sich die DC zu einem „Glauben an unsere von Gott befohlene völkische Sendung“ bekannt und erklärt, jeglicher „Rassenvermischung“ entgegenzutreten. Judenmission sei als „Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper“ und als Gefahr der „Rassenverschleierung und Bastardierung“ abzulehnen. Als publizistische Bühne der Glaubensbewegung sah sich das „Evangelium im Dritten Reich“ einem solchen Programm verpflichtet. Die erste Ausgabe von „Evangelium im Dritten Reich“ erschien bereits am 16. Oktober 1932 und berief sich auf der Titelseite auf das Martin Luther zugeschriebene Diktum: „Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich auch dienen.“ Das Wochenblatt stellte sich sofort als kirchenpolitische Plattform der wenige Monate zuvor gegründeten Deutsche Christen-Bewegung für die bevorstehenden Kirchenwahlen am 13. November 1933 zur Verfügung und brachte Erklärungen führender Deutsche Christen-Theologen sowie Propagandaberichte über Deutsche Christen-Wahlversammlungen. Hitlers Machtantritt wurde mit Treuebekundungen prominenter Deutsche Christen-Pfarrer sowie Berichten über spektakuläre Dankgottesdienste zum 30. Januar und der Dokumentation politischer Dankespredigten prominenter Deutsche ChristenTheologen, allen voran Reichsleiter Joachim Hossenfelder, begrüßt. Redaktion und Verlag des Sonntagsblatts befanden sich in Berlin. Ähnlich wie die Glaubensbewegung Deutsche Christen von Berlin aus angetreten war in der Hoffnung, einen Führungsanspruch innerhalb der reichsweiten Deutsche Christen-Bewegung durchzusetzen, so strebte das Berliner Blatt nach Verbreitung und dominanter Geltung im ganzen Reich – ein Ziel, das faktisch niemals erreicht wurde. Zuverlässige Angaben über die Auflagenhöhe existieren nicht. Für die Reichsausgabe werden für Ende 1934 etwa 39.000 Exemplare genannt, für die Ausgabe Groß-Berlin etwa 9.400 und für die Mark Brandenburg ca. 5.300 Exemplare. Alle diese Angaben erscheinen propagandistisch überhöht. Mit Sicherheit sank die Auflage während der Folgejahre kontinuierlich, analog zu den permanenten Fraktionierungen in der Deutsche Christen-Bewegung insgesamt. Auch die häufig wechselnden Untertitel des Blattes („Sonntagsblatt der Deutschen Christen“, „Kirchenzeitung für Christentum und Nationalsozialismus“, „Die Kirchenzeitung der evangelischen Nationalsozialisten“ usw.) zeugen von internen Richtungskämpfen und häufigen personellen Veränderungen in der Redaktion.

Evangelium im Dritten Reich (1932–1937)

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Als Organ der Deutsche Christen-Bewegung trat das „Evangelium im Dritten Reich“ als kirchliches Sprachrohr eines unverhüllten christlichen Antisemitismus hervor. Das kam bereits in den Ankündigungen einschlägiger Deutsche Christen-Kundgebungen und Vortragsveranstaltungen zum Ausdruck, über die im Anschluss mehr oder minder ausführlich berichtet wurde: „Luther und die Juden“ (sehr häufig und in vielfachen Variationen), „Der ewige Deutsche im Glaubenskampf mit dem ewigen Juden“, „Weltjudentum“, „War Jesus Jude?“, „Die geschichtliche Bedeutung des Alten Testaments für den Untergang des Judentums“ und dergleichen Überschriften mehr beherrschten das Themenspektrum. Prominenten Deutsche Christen-Führern stand das Blatt auch für den kompletten Abdruck umfangreicher Statements zur Verfügung. Im Jahr 1933 war es vor allem der 1. Reichsleiter und Berliner Pfarrer Hossenfelder, der tonangebend in dem Blatt hervortrat, sei es durch eigene Artikel oder Berichte über seine politischen Gottesdienste und Ansprachen. Er hatte sein rassistisch-antisemitisches Weltbild in einem (separat publizierten) religiös-politischen Bekenntnis „Unser Kampf“ dargelegt: Volk sei Rasse, so hatte er deklariert, und „Gott will Rasse“; mit seinem Einsatz kämpfe der deutsche Christ lediglich für die Reinerhaltung der göttlichen Schöpfungsordnung. Die von ihm geforderte Reinigung der christlichen Lehre und kirchlichen Praxis von allem Jüdischen war Konsequenz eines solchen Glaubens.1934–35 traten Pfarrer wie der aktivistische Deutsche Christen-Gauobmann von Groß-Berlin Friedrich Tausch oder der theologisch-ideologisch tonangebende „Gauschulungsleiter“ Georg Hauk (Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche) besonders lautstark hervor. Beide verschärften ihre antisemitische Rhetorik im Verlauf des Jahres 1935, parallel zur Vorbereitung und Durchsetzung der „Nürnberger Gesetze“ vom September 1935. Unter dem Titel „Judentum und Christentum. Jüdisch-bolschewistischer Vernichtungskampf gegen die christliche Kirche“ publizierte der mit Hauk befreundete Berliner Pfarrer und Superintendent Johannes Schleuning, seit 1935 zugleich Schriftleiter des „Evangeliums im Dritten Reich“, im Frühjahr 1937 einen Text von kaum zu überbietender antisemitischer Schärfe. Schleunings Artikel war eine Danksagung an Julius Streichers → „Stürmer“ für dessen jüngste Sondernummer zur „Judenfrage“. „Wir Deutsche Christen“, erklärte Schleuning, „hätten allen Grund mitzuhelfen, dass diese Sondernummer des ‚Stürmer’ in alle Kreise der Bevölkerung hineingetragen werde“. Sie sei eine machtvolle Verteidigung des Christentums und der christlichen Kirche gegen ihren Erbfeind – das Judentum. Schleuning referierte die im „Stürmer“ dargelegte angebliche Christenverfolgung durch das Judentum von der Zeit des römischen Kaisers Nero bis zum Bolschewismus der Gegenwart. Der Deutsche Christen-Theologe wollte im Jahr 1937 einen weltweiten, von Russland bis Spanien reichenden „jüdischbolschewistischen Vernichtungskampf gegen die christliche Kirche“ erkennen. Nicht ohne Stolz betonte er unter Verweis auf den „Stürmer“-Artikel, dass die von Hitler dem deutschen Volk gegebenen „Nürnberger Gesetze“ ihre Vorläufer in der Judengesetzgebung der christlichen Kirchen hätten. Für die Protestanten verwies er besonders auf Martin Luther und Adolf Stoecker als Vorkämpfer gegen das Judentum. Der im „Stürmer“ geschilderte Christus, so betonte der Pfarrer schließlich, sei ein „Arier“, ein „nordischer Held“, und er entspreche „der Schau des großen Christuskünders“ Houston Stewart Chamberlain.

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Der ewige Jude (Hans Diebow, 1938)

Seit Mitte 1935 büßte das Deutsche Christen-Sonntagsblatt seine Führungsposition als zentrales Organ der Deutsche Christen-Bewegung zunehmend ein. Die letzte überlieferte Ausgabe erschien im Dezember 1937. Zahlreiche Deutsche Christen-Theologen setzten ihre antisemitische Publizistik in diversen Nachfolgeblättern wie beispielsweise dem Wochenblatt „Positives Christentum“ bis zu dessen Einstellung im Jahre 1941 fort.

Manfred Gailus

Literatur Manfred Gailus, Protestantismus und Nationalsozialismus. Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestantischen Sozialmilieus in Berlin, Köln, Weimar, Wien 2001. Rainer Hering, Evangelium im Dritten Reich. Die Glaubensbewegung Deutsche Christen und ihre Periodika, in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), Bern 2008, S. 437–456.

Der ewige Jude (Hans Diebow, 1938) Als Begleitpublikation zu der in München 1937 und dann in weiteren Städten gezeigten antisemitischen Propagandaschau „Der ewige Jude“ erschien in hoher Auflage im Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. (→ Eher-Verlag) eine Broschüre, die in der Aufmachung – das Titelbild zeigte das Plakat mit der Ahasver-Figur – den Anschein eines Ausstellungskatalogs erweckte (Hans Diebow „Der ewige Jude“ München – Berlin 1938, 128 Seiten): Es handelte sich um eine Kompilation von 265 Bildern, die ohne erkennbare Systematik Juden in unvorteilhaften Situationen, als Verbrecher, als Sittenstrolche, als lächerliche Gestalten oder als gefährliche Politiker, Wirtschaftsbosse, Bankiers usw. vorführten. Leitidee war ausschließlich die pejorative Absicht, die in Bildunterschriften und höhnischen Kommentaren ohne jede Rücksicht auf Daten und Fakten verwirklicht wurde. Dr. Bernhard Weiß, der Berliner Polizeivizepräsident vor 1933, war im judenfeindlichen Panoptikum vertreten, unter dem Namen „Isidor“, den ihm Goebbels beigelegt hatte. Dem gleichen Muster folgte die Verunglimpfung des Sexualforschers Magnus Hirschfeld, der apostrophiert war als „Beschützer und Förderer krankhafter Geschlechtsverirrungen, auch äußerlich betrachtet wohl das Widerlichste aller jüdischen Scheusale“. Der New Yorker Bürgermeister Fiorello La Guardia wurde mit einem „schweinischen Couplet-Sänger“ verglichen; Albert Einstein, Yehudi Menuhin („das fette Wunderkind“), Gustav Mahler, Erika Mann, Charlie Chaplin – Prominente und Unbekannte wurden diffamiert, weil sie Juden waren oder den Nationalsozialisten als solche galten. Zusammengestellt war die Melange im Stürmerstil von Dr. Hans Diebow (1896– 1975). Er war Redakteur beim → „Völkischen Beobachter“. Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Erlangen, das er 1923 mit einer Dissertation zum Thema „Archäologische Studien über die Nacktheit des Weibes in der griechischen Kunst“ abgeschlossen hatte, arbeitete er für ein antisemitisches Witzblatt, ehe er Karriere in der NSDAP machte. Seine schriftstellerische Laufbahn, zu der Bildbiographien über Hit-

Der falsche Gott (Theodor Fritsch, 1916)

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ler und Mussolini gehörten, setzte er nach 1945 unter Pseudonymen (Hans Helmuth Pars und Totila) fort. Die Publikation zur Ausstellung folgte in der Methode (Stigmatisierung durch eintönige Denunziation) und der Kompilation (assoziative Reihung von „bekannten Fällen“ in stereotyper Wahrnehmung) dem Pamphlet des Johann von Leers → „Juden sehen Dich an“, freilich ohne den Versuch einer kategorialen Ordnung, wie ihn das Vorbild zeigte. Die „265 Bilddokumente“ Diebows bildeten den Vorrat an stereotyper Wahrnehmungen von Juden, zusammengetragen vom Sammlerfleiß des fanatischen Antisemiten. Eine knappe Einleitung war vorangestellt, die als Bezugsrahmen das Gleichstellungsedikt in Preußen vom 11. März 1812 und das Nürnberger Gesetz „zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 setzte: „Ausgangspunkt und Ende der absoluten Herrschaft des Judentums in Deutschland“ seien damit markiert. Jahrhundertelang habe sich „das Judentum“ die privilegierte Stellung eines „Staates im Staate“ bewahren können. Die Argumentation folgte ausschließlich den Vorgaben des Rassenantisemitismus und unterstellte, die Juden hätten alle „Eindeutschungsversuche“ abgelehnt. Man habe gehofft, dass „die Judenfrage“ durch Assimilation verschwinden werde. Willig habe die deutsche Nation „alle nur denkbaren biologischen Opfer gebracht“. Aber das Judentum sei nicht absorbiert worden. So sei nach dem „zwar wohlmeinenden, aber höchst gefährlichen und schließlich mißlungenen Versuch einer Verschmelzung“ nur der Weg der Trennung geblieben. Ikonographisch unterscheidet sich die Kompilation Diebows von dem Pamphlet des Johann von Leers dadurch, dass die Bilder selbst weitgehend pejorativen Charakter haben durch karikaturenhafte Verzerrung, durch die unerfreuliche, unvorteilhafte, lächerliche Situation, in der die zu brandmarkenden Personen dargestellt sind, während Johann von Leers überwiegend mit Porträtfotos arbeitet und die antisemitische Argumentation im Text erfolgt. Bei Diebow ist die Sprache weitgehend auf höhnische Bildlegenden und Zitate reduziert.

Wolfgang Benz

Literatur Wolfgang Benz, „Der ewige Jude“. Metaphern und Methoden nationalsozialistischer Propaganda, Berlin 2010.

Faksimile Verlag Bremen → Verlag Wieland Körner

Der falsche Gott (Theodor Fritsch, 1916) Unter den Titeln „Mein Beweis-Material gegen Jahwe“ (1911) und „Der falsche Gott” (1916) fasste der Leipziger Verleger Theodor Fritsch Beiträge aus seiner Zeitschrift → „Hammer” zusammen, die sich mit der Verhältnisbestimmung zwischen jüdischer und christlicher Religion befassten. Fritsch charakterisierte das Judentum als eine minderwertige Stammesreligion. Das Christentum habe sich nicht aus dem Judentum entwickelt, sondern in rassenseelischer Opposition zum Judentum. Daher müssten alle jüdischen Elemente aus dem Christentum getilgt werden.

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Der falsche Gott (Theodor Fritsch, 1916)

Fritschs Bücher sind als radikaler Ausläufer einer Debatte um die jüdischen Wurzeln des Christentums einzustufen, die um die Jahrhundertwende von liberalen protestantischen Theologen angestoßen wurde. Die liberale Theologie verschärfte den Gegensatz zwischen Altem und Neuem Testament. Während das Alte Testament eine überkommene Gesetzesreligion lehre, offenbare nur das Neue Testament das eigentliche Wesen des Christentums, personifiziert in Jesus Christus. Die Einheit der jüdischen und christlichen Gottesvorstellung wurde in Anlehnung an die WellhausenSchule religionsgeschichtlich aufgelöst, indem man auf die Einflüsse anderer orientalischer Völker bei der Entstehung des jüdischen Monotheismus verwies oder die Sprengung der nationalreligiösen Verengung des jüdischen Gottesbildes durch das Christentum betonte. Unterstützende Argumente für diese Thesen lieferten die historisch-kritische Theologie, die Archäologie und die Wiederentdeckung des Gnostikers Marcion. Prominente Vertreter dieser Richtung waren der Theologe Adolf Harnack und der Assyriologe Friedrich Delitzsch. Delitzsch hatte mit seinen Vorträgen vor der Deutschen Orient-Gesellschaft den Babel-Bibel-Streit (1902–1905) ausgelöst und dem Thema eine Publizität verschafft, die weit über theologische Fachkreise hinaus reichte. Die Debatte um das jüdische Erbe im Christentum wurde zunächst nicht unter antisemitischen Vorzeichen geführt, sondern formierte sich als Kontroverse zwischen liberalen und konservativen Christen. Der Vorwurf der Liberalen lautete, dass konservative Christen einem veralteten (d. h. jüdischen) Gottesbild anhingen. Die Kontroverse belastete aber auch das zuvor gute Verhältnis zwischen liberalem Protestantismus und liberalem Judentum, zumal die Diskurshoheit zunehmend von der Universitätstheologie an völkische Dilettanten wie Theodor Fritsch überging. Fritsch behauptete, die jüdischen Religionsschriften offenbarten die minderwertige Binnenmoral eines verbrecherischen Geheimbundes. Dies unterstellte er nicht nur dem Talmud und Schulchan Aruch, sondern auch dem Alten Testament. Die Juden verehrten seiner Meinung nach in Jahwe einen semitischen Stammesgötzen, der nicht mit dem christlichen Gott identisch sei. Damit überbot Fritsch die Talmudpolemiken der katholischen Theologieprofessoren August Rohling und Jakob Ecker, die ihm als Quelle dienten. In Anlehnung an den Orientalisten Adolf Wahrmund behauptete Fritsch, zur biblischen Zeit hätten sich in Palästina arische Siedler und semitische Nomaden feindlich gegenübergestanden. Das Christentum sei nicht aus dem Judentum hervorgegangen, vielmehr habe Jesus als Arier und Antisemit das Judentum bekämpft. Die christlichen Kirchen hätten diese Botschaft verkannt, jüdische Einflüsse konserviert und die arischen Völker einem rassenfremden Glauben unterworfen. Das Christentum müsse von jüdischen Einflüssen befreit und germanisiert werden, um Rasse und Religion wieder zur Deckung zu bringen. Diese zuerst in einzelnen „Hammer“-Artikeln dargelegten Thesen hatten Fritsch bereits 1910/11 Haftstrafen wegen Gotteslästerung, Religionsbeleidigung und Gefährdung des öffentlichen Friedens eingebracht. Die Veröffentlichung als Buch nahm der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zum Anlass, Fritsch 1912 erneut zu verklagen. In diesem aufsehenerregenden Prozess wurden fünf namhafte Theologen als Gutachter berufen. Während die Rabbiner David Zwi Hoffmann und Adolf Schwarz Fritschs Antitalmudismus als Religionsbeleidigung werteten, konzedierten die Alttestamentler Johannes Meinhold und Georg Beer lediglich, dass sich

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der Angeklagte im Ton vergriffen habe. Die Bibel selbst verweise auf sittliche Defizite des Judentums, weshalb dies nicht strafbar sein könne. Das Leipziger Landgericht folgte schließlich dem Obergutachten des liberalen Theologen Rudolf Kittel. Er bescheinigte den Schriften des Leipziger Autors und Verlegers zwar grobe Unwissenschaftlichkeit, unterschied aber zwischen einem minderwertigen Diasporajudentum in Antike und Mittelalter und einem ethisch höher stehenden modernen Judentum. Daher könne Fritsch die zeitgenössischen Juden gar nicht beleidigt haben. Daraufhin sprach das Gericht im Mai 1913 den Angeklagten frei. Die Antisemiten nutzten fortan Kittels Gutachten als theologische „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ für ihren Judenhass. Auf Bitten des Centralvereins veröffentlichte Kittel 1914 sein Gutachten und distanzierte sich deutlich von Fritsch. Zum Verdruss jüdischer Gelehrter bekräftigte er aber seinen religionsgeschichtlichen Standpunkt, der das orthodoxe und das liberale Judentum gegeneinander ausspielte. Fritschs prägnante Thesen aus „Mein Beweis-Material gegen Jahwe“ und „Der falsche Gott“ wurden zur weltanschaulichen Grundlage zahlreicher kleiner völkisch-religiöser Zirkel, die seit der Jahrhundertwende entstanden und als Vorläufer der Deutschen Christen der NS-Zeit gelten können. Größere Popularität erlangte der Topos von der „Entjudung“ und Germanisierung des Christentums aber durch die literarischen Werke von Autoren wie Friedrich Andersen, Max Bewer, Gustav Frenssen, Artur Dinter und Hermann Burte. In der Weimarer Republik näherten sich sogar einige seriöse Wissenschaftler und Theologen Fritschs Position an, darunter auch Friedrich Delitzsch in seinem Spätwerk „Die große Täuschung“ (1921). Gerhard Kittel, der Sohn Rudolf Kittels, und sein Schüler Walter Grundmann bereinigten Fritschs Ansatz um seine kirchenfeindliche Stoßrichtung und erweiterten ihn zu einer Theologie auf rassischer Grundlage, die sie in die NS-Judenforschung einbrachten. Die Schriften von Theodor Fritsch und vielen anderen Völkischen zum Verhältnis von jüdischer und christlicher Religion zeigen, dass der moderne Antisemitismus nicht im Zuge allgemeiner Säkularisierungsprozesse einen Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse vollzog. Vielmehr versuchten die völkischen Antisemiten, in ihren weltanschaulichen Entwürfen Religion und Rasse zu synthetisieren. Dies erwies sich als ein intellektuelles Projekt, das gerade auf liberale Christen eine große Faszination und Anziehungskraft ausübte.

Thomas Gräfe

Literatur Peggy Cosmann, Neubelebung und Überbietung socianischer und deistischer Interpretamente im „geistlichen Antisemitismus“, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 52 (2000), S. 210–242. Günter Hartung, Pre-Planners of the Holocaust. The case of Theodor Fritsch, in: John Milfull (Hrsg.), Why Germany? National Socialist Anti-Semitism and the European Context, Providence 1993, S. 29–40. Andreas Herzog, Theodor Fritschs Zeitschrift „Hammer“ und der Aufbau des Reichshammerbundes als Instrumente der völkischen antisemitischen Reformbewegung (1902– 1914), in: Andreas Herzog, Mark Lehmstedt (Hrsg.), Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900, Wiesbaden 1999, S. 153–182. Reinhard G. Lehmann, Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit, Freiburg 1994.

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Fatir Ziun (Mustafa Tlas, 1983)

Christian Wiese, Jahwe – ein Gott nur für Juden? Der Disput um das Gottesverständnis zwischen Wissenschaft des Judentums und protestantischer alttestamentarischer Wissenschaft im Kaiserreich, in: Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hrsg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt am Main 1994, S. 27–94. Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im Wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1999.

Faschism pod goluboj swesdoj → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Faschizm pod goluboj swezdoj → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Le Fascist Canadien → Le Patriote

Fatir Ziun (Mustafa Tlas, 1983) Das 1983 von Mustafa Tlas veröffentlichte Buch „Die Matze von Zion“ (Fatir Ziun) stellt eine der im arabischen Raum am weitesten verbreiteten Aktualisierungen der Ritualmordlegende dar. Es erschien in dem von Tlas gegründeten Verlagshaus Dar Tlas und wurde ins Französische („L’Azyme de Sion“, 1990) und Englische („Matzo of Zion“, 1991) übersetzt. Schon die Ikonographie der Titelbilder folgt eindeutigen antisemitischen Motiven. So zeigt die arabische Ausgabe zwei mit langen Bärten, Schläfenlocken und Kipot gezeichnete Juden, die ihrem menschlichen Opfer die Kehle durchschneiden und es in eine Schüssel ausbluten lassen. Auf dem Titelbild der englischen Ausgabe ist eine Menora zu sehen, über der Geister schweben, deren Blut durch die sieben Arme des Leuchters hindurch läuft und zu seinen Füßen einen Davidstern bildet. In dem Buch selbst greift der ehemalige syrische Verteidigungsminister die Ereignisse um die Damaskusaffäre von 1840 auf und gibt vor, diese wissenschaftlich zu untersuchen. Zu diesem Zweck wertet er unter anderem den Schriftverkehr des antisemitischen französischen Konsuls Ratti-Menton und die unter Folter erpressten Geständnisse der damaszener Juden aus, die ihm als Fakten wiedergebende Quellen gelten. Das zentrale Ergebnis seiner Untersuchung birgt, ausgehend von diesem Material, keine Überraschungen. Es besteht in der Folgerung, der Ritualmord sei eine im Talmud vorgeschriebene religiöse Handlung. So benötigten die Juden angeblich das Blut von Nichtjuden, um daraus Matzen für ihre Rituale zu backen. Doch nicht nur zum Ritualmord fordere der Talmud auf, sondern generell zum „Hass gegen die Menschheit“. Während das „verborgene, zerstörerische Böse in der jüdischen Ideologie“ in Europa und Russland weithin bekannt gewesen sei, hätten die Juden in der Vergangenheit zu lange von der Toleranz der „Arabisch-Islamischen Länder“ profitiert. Um diese Behauptungen argumentativ zu unterfüttern, verweist Tlas auf August Rohlings Werk → „Der Talmudjude“ von 1871, das seit 1899 in arabischer Übersetzung vorliegt. Nach der Damaskusaffäre habe sich das Wissen um die „Gefährlichkeit der Juden“ schließlich auch im arabischen Raum verbreitet. Besorgte Mütter warnten ihre Kinder

Fi Zilal al-Qur‘an (Sayyid Qutb, 1952)

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davor, sich „zu weit vom eigenen Haus“ zu entfernen, da sie sonst den Juden in die Hände fallen könnten: „Sie könnten dich in ihre Säcke stecken und davontragen, um dich zu töten und dein Blut auslaufen zu lassen, um ihr Brot von Zion zu machen.“ Solche Schauergeschichten verwendet Tlas, um darzustellen, wie seit 1840 „Generation um Generation“ vor dem „Jüdischen Verrat“ gewarnt werde. Neben dem Ritualmordvorwurf tauchen in dem Buch etliche weitere antisemitische Motive auf. So schreibt Tlas, die Juden könnten die öffentliche Meinung „beeinflussen“, würden über „Macht und Reichtum“ verfügen, Regierungen „manipulieren“ und somit in der Lage sein, ihre Untaten zu „vertuschen“. Als Beispiel dient ihm die Solidarität, die die damaszener Juden international ob der Absurdität des Ritualmordvorwurfs erfuhren. Die in vielen Großstädten organisierten Demonstrationen und die erfolgreiche Intervention der amerikanischen Regierung beim ägyptischen Herrscher beweisen in Tlas Augen die Macht der Juden, sich von ihren „Verbrechen freizukaufen“. Immer wieder verallgemeinert Tlas seine antisemitischen Vorwürfe, indem er behauptet, an der „Gefährlichkeit der Juden“ habe sich bis in die Gegenwart nichts geändert. So erfolgte die Veröffentlichung von „Die Matzen von Zion“ offensichtlich nicht ausschließlich aus historischem Interesse, sondern um vor den Juden von heute zu warnen. Konkret nennt er im Vorwort den Libanon-Krieg 1982, in dessen Verlauf es ebenfalls zu Ritualmorden gekommen sei. Aber auch in Palästina verübten die Juden angeblich regelmäßig solche Morde. Weiterhin sei der „Zionistische Rassismus“ allgegenwärtig in den „besetzten Gebieten“ und nichts anderes als eine „Erweiterung und Erneuerung“ der Lehren des Talmuds. Deshalb warnt Tlas eindringlich vor jedem Frieden mit Israel, wie ihn Ägypten 1979 geschlossen hat. Sadat habe damit die ägyptische Bevölkerung betrogen, ihre „nationalen Rechte“ an den „Teufel verkauft“ und sei dafür zu Recht 1981 ermordet worden. „Die Matzen von Zion“ hat einen wichtigen Beitrag zur Adaption und Aktualisierung der seit der Damaskusaffäre als Schauergeschichte kursierenden Ritualmordlegende im arabischen Raum geleistet. Seine Glaubwürdigkeit verdankt das Buch nicht nur der behaupteten Wissenschaftlichkeit, sondern auch der Popularität Tlas, der nicht nur dreißig Jahre syrischer Verteidigungsminister war, sondern auch als Förderer der Künste und Wissenschaften gilt. Für die ungebrochene Popularität des Buches spricht weiterhin, dass es 2001 in Ägypten durch den Regisseur Munir Radhi verfilmt werden sollte.

Malte Gebert

Literatur Robert Wistrich, A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad, New York 2010, S. 791–794.

Fi Zilal al-Qur‘an (Sayyid Qutb, 1952) „Im Schatten des Koran“ (Fi Zilal al-Qur‘an) von Sayyid Qutb ist ein insgesamt über 5.000 Seiten starker Kommentar zum Koran. Einen großen Teil des Werkes verfasste der ägyptische Muslimbruder zwischen 1951 und 1965 im Verlauf verschiedener Ge-

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Fi Zilal al-Qur‘an (Sayyid Qutb, 1952)

fängnisstrafen. Das Werk gilt heute als einer der einflussreichsten Korankommentare und wurde u. a. ins Englische, Französische und Persische übersetzt. In der Tradition des Tafsir – der Koranexegese – kommentiert Qutb die 114 Suren des Koran und erörtert an ihnen Probleme der Vergangenheit und Gegenwart. Als grundlegendes Problem der islamischen Welt konstatiert er die Dominanz „des Westens“ bei einer gleichzeitigen Schwäche „des Islams“. Ursächlich für diese Schwäche sei, dass die Muslime sich willentlich in den Zustand der „gahiliya“ – der vorislamischen Barbarei – begeben hätten. Ausgehend von dieser Annahme behandeln viele seiner Kommentare den Idealzustand der islamischen Gemeinschaft zu Zeiten Medinas und wie dieser wieder herzustellen sei. An diesem Zustand der „gahiliya“ tragen jedoch nicht nur die Muslime Schuld. Vielmehr seien sie Opfer einer Verschwörung, die die Juden seit der Entstehung des Islams „über vierzehn Jahrhunderte“ vorantrieben. Dementsprechend gilt sein Augenmerk den Koransuren, die sich judenfeindlich auslegen lassen. Die antisemitischen Motive, die Qutb 1950 in → Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud“ [Unser Kampf mit den Juden] entwickelt hatte, werden nun anhand der einzelnen Suren aufgefächert, detailliert ausgeführt und an die islamische Religion rückgebunden. Er konstruiert aus ihrem Inhalt den Gedanken einer „ewigen Feindschaft“ der Juden gegenüber dem Islam, „bis zum heutigen Tage“. Dazu muss Qutb jedoch ihren Status als „Dhimmi“ [Schutzbefohlene] infrage stellen. Dies tut er, indem er argumentiert, durch Prophetenmord und die Ablehnung des Islams kämen sie Ungläubigen gleich. Denn von allen Feinden des Islams seien sie die „unerbittlichsten“. Der Koran habe die Juden deshalb als „Feinde der Muslime“ identifiziert und warne jeden „wahren Muslim“ vor ihnen, wie es zum Beispiel im Kommentar zur vierten Sure heißt: „Der Koran enthüllt, verurteilt und bekämpft die bösartigen Verschwörungen der Juden.“ Im Rahmen dieser Verschwörungen verbreiteten die Juden die Ideen des Atheismus, Kommunismus, Kapitalismus und der sexuellen Unmoral, um die islamische Gemeinschaft zu zerstören. Denn ihre Stärke liege nicht in der militärischen Überlegenheit, sondern in der „Initiierung“ von „Theorien und kulturellen Vorstellungen“, die den Menschen in Form eines „Codes des sozialen Verhaltens“ aufoktroyiert würden. Gleichzeitig hätten die Juden die islamische Gemeinschaft unterwandert, indem sie zum Islam konvertierten, muslimische Namen annahmen und einflussreiche Positionen errangen. Bemerkenswert ist, dass Qutb diese verschwörungstheoretischen Motive aus dem Koran selbst herleitet. Äußerst selten verweist er auf europäische Quellen des modernen Antisemitismus, wie die → „Protokolle der Weisen von Zion“, die ihm neben der Torah als authentisches Dokument des Judentums gelten. Nur dort, wo Koran und Hadithe die Gegenwart nicht erklären können, zieht er sie als Beleg hinzu. Dies geschieht im gesamten Text jedoch nur sechs Mal. Aber nicht nur „das Verschwörerische“ sei Bestandteil einer den Juden „unveränderlichen Natur“, sondern der Koran nenne unter anderem auch „Feigheit“, „Geiz“, „Verrat“ und „Korruption“. Diese „Natur“ sei etwas, was alle Juden bis in die Gegenwart miteinander teilten. Sie sei zu allen Zeiten gleich und mache sie „zur Schlimmsten unter den Nationen“. Mit der Erfindung der „ewigen Feindschaft“ und der angeblich „unveränderlichen Natur“ der Juden hat Qutb die im Koran vorhandenen judenfeindlichen Stellen systematisch an das Verschwörungsmotiv des modernen Antisemitismus rückgebunden.

Fliegende Blätter (1844–1944)

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Sein aus dem Koran begründeter Antisemitismus weist eine interessante Parallele zum rassischen Antisemitismus auf: Die Vorstellung einer Unterwanderung der islamischen Gemeinschaft in Verbindung mit der „unveränderlichen Natur“ der Juden mündet in einer Unausweichlichkeit der angeblichen Feindschaft und verunmöglicht eine Konversion der Juden zum Islam. Denn erst einmal konvertiert und äußerlich nicht mehr von anderen Muslimen zu unterscheiden, läge ihr Ziel in der Unterwanderung der islamischen Gemeinschaft und ihrer Zerstörung von innen heraus. In der von Qutb betriebenen geschichtsphilosophischen Radikalisierung der islamischen Religion werden die Juden so zum Sinnbild eines zeitlosen, übergeschichtlichen Bösen.

Malte Gebert

Literatur Malte Gebert, Die Rezeption der „Protokolle der Weisen von Zion“ in Ägypten. Ein Plädoyer für die Beachtung raumspezifischer Besonderheiten in der Antisemitismusforschung, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 5 (2011), 9, S. 1–15.

Fliegende Blätter (1844–1944) Die Münchner „Fliegenden Blätter“ waren der erste erfolgreiche Versuch, in einem deutschen Staat nach Pariser und Londoner Vorbild eine illustrierte humoristisch-satirische Zeitschrift fest zu etablieren. In einem sich wandelnden politischen und publizistischen Kontext wurden sie 100 Jahre alt und sind damit Deutschlands langlebigstes Journal dieser Kategorie. Nummer 1 erschien am 7. November 1844. Gründer, Herausgeber und Verleger waren der Schriftsteller und Buchhändler Friedrich Schneider aus Leipzig und der aus Aschaffenburg stammende Holzschneider, Holzstecher und Karikaturist Caspar Braun. Braun gestaltete auch das bis 1928 auf der Titel- und dann auf der Innenseite als Erkennungszeichen dienende fliegende Spruchband mit der Titel-Inschrift, mehreren Mitreisenden und einem Narren mit Schellenkappe als Galionsfigur. Da Juden in München für Geldgeschäfte (u. a. mit dem Herrscherhaus) eine wichtige Rolle spielten, wurde das Motiv der ersten Probenummer (1. Oktober 1844) nicht übernommen: Ein Zipfelmützenträger bedroht mit einer riesigen Bleifeder einen Handelsjuden mit langem Bart, Hakennase und Geldsack, der sich anschickt, das davonfliegende Blatt zu erklimmen. Ab 1846 (Nr. 60, Band III) kamen die 4.600 Abonnenten zählenden „Fliegenden Blätter“ (8 Seiten im Quartformat) regelmäßig als Wochenblatt heraus. Weder die Einzelnummern noch die Sammelbände mit Inhaltsverzeichnis (jeweils 24, ab 1857 26 Hefte) trugen ein Datum – und dies bis Oktober 1919. Datiert war lediglich seit den 1870er Jahren der separate Anzeigenteil. Friedrich Schneider und Caspar Braun gelang es, binnen Kurzem beliebte Schriftsteller (z. B. Emanuel Geibel und Friedrich Gerstäcker) sowie hervorragende Maler und Zeichner (allen voran Franz Graf von Pocci, Carl Spitzweg, Moritz von Schwind) um sich zu scharen. Diese wurden unterstützt durch anonyme Mitarbeiter, die aus allen Himmelsrichtungen Texte in Prosa und Poesie, Zeichnungen und Skizzen zum Abdruck (gegen ein bescheidenes Honorar) einsandten.

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Von Anbeginn bildeten in diesem Blatt mit seinen Erzählungen, Novellen sowie ernst-heiteren hochdeutschen oder mundartlichen Gedichten, Balladen, Pantomimen, Anekdoten, fiktiven Korrespondenzen, Monologen und insbesondere Dialogen die in der verlagseigenen „Anstalt für Xylographie“ angefertigten Holzschnitte und Holzstiche den Blickfang. Ein unverwechselbares Merkmal der „Fliegenden Blätter“ war der weitgehende Verzicht auf Individualkarikaturen. Stattdessen enthielt die Zeitschrift neben den bekannten „Nationalfiguren“, historischen oder mythologischen Gestalten ein breites Spektrum an Typenkarikaturen. Diese repräsentierten nicht nur Bayern, Sachsen oder Preußen, sondern alle Stände (besonders beliebt waren Bauernwitze) bzw. Gesellschaftsklassen, Altersgruppen, Brot- und Liebhaber-Berufe, Weltanschauungen und Religionen. Nicht selten wurden die Merkmale der einzelnen Typen oder Gruppen visuell und textuell übersteigert und als allgemeingültig hingestellt. Je nach Interpretation und Betroffenheit mögen diese Bilder bei den einzelnen Betrachtern ein hämisches, verlegenes, befreiendes oder auch nur heiteres Lachen hervorgerufen haben. Zwei weitere Merkmale der „Fliegenden Blätter“ waren Bilderbogen (als Vorform der heute so beliebten Comics) sowie sich über Jahre hinziehende Bildfolgen mit „stehenden Figuren“. Zu Berühmtheit gelangte die Serie „Des Herrn Barons Beisele und seines Hofmeisters Dr. Eisele Kreuz- und Querzüge durch Deutschland“ (1846– 1855). In der Epoche der Presseknebelung und Bildvorzensur („Karlsbader Beschlüsse“) überlistete das Blatt so manches Mal den Zensor und die Polizei und übte verdeckte, ja selbst manifeste gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik auf dem Weg der Unterhaltung. Nach der März-Revolution von 1848 und dem Thronwechsel in Bayern stellten politische Beiträge wie die symbolreichen Tier- und Situationstravestien des „Freiheitsmannes“ Hermann Dyck die rein unterhaltenden weit in den Schatten. Der Erlass des bayerischen „Gesetzes zum Schutz gegen den Mißbrauch der Presse“ (17. März 1850) veranlasste die Herausgeber, sich erneut der bewährten Sozialkritik (Kornwucherer, Börsenspekulanten, nach Emanzipation strebende „Amazonen“) zuzuwenden sowie dem Staatsstreich und Kaisertum Napoleons III. und dem Krimkrieg. Erst nach der Beschlagnahmung mehrerer Ausgaben (zuletzt im Juli 1856) verabschiedeten sich die Herausgeber von der „hohen Politik“ (ausgenommen waren Kriege) und blieben bei diesem Entschluss auch nach dem Erlass des relativ liberalen Reichspressegesetzes von 1874. Als Antipode des Berliner Polit-Witzblattes → „Kladderadatsch“ entwickelten sich die Münchner „Fliegenden Blätter“ von nun an zum Prototyp des unpolitischen, rein unterhaltenden, allerorts ausgelegten „Familienwitzblattes“, dessen Auflage in den 1870er Jahren circa 20.000 und 1882 bereits 42.000 Exemplare betrug. Beigetragen zu diesem Erfolg hatten immer neue, auch als separate Bilderbogen veröffentlichte humoristische Bildfolgen, u. a. gezeichnet von Wilhelm Busch (zwischen 1859 und 1871) oder Lothar Meggendorfer, der 1889 ein farbig illustriertes Konkurrenzblatt gründete. In der „Belle Epoque“ der humoristisch-satirischen Publizistik in Europa erlebten die international verbreiteten „Fliegenden Blätter“, ein Sprungbrett für mehrere ambitionierte Zeichner des → „Simplicissimus“ und der „Jugend“, dank Spitzenauflagen von 91.500 (1903) Exemplaren (und zehnmal mehr Lesern und Leserinnen) ihre ei-

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gentliche Glanzzeit. Allein 10.000 Stück gingen nach Amerika, in das Traumland deutscher Auswanderer. Zu den bewährten Hauskünstlern gehörten Theodor Grätz, Edmund Harburger, Adolf Oberländer, Hermann Schlittgen, Eugen Kirchner und August Roeseler. Während des Ersten Weltkrieges veröffentlichten sie neben patriotischen Aufrufen zur Zeichnung von Kriegsanleihen und ernsten Beiträgen vor allem situationsbedingte Front- und Heimat-Scherze. In der Weimarer Republik ergänzten die „Fliegenden Blätter“ ihre bewährten Muster des Alltagshumors durch neue (z. B. Radio, Kino, Tanz, Sport). Seit dem 29. Februar 1924 waren die Titelseiten (mit Ausnahme von Band 166) farbig; erste „Pinup“-Bilder und vereinzelte politische (Nr. 4109, 4114) Titelkarikaturen tauchten auf. Dennoch wirkte dieses traditionsreiche Familienwitzblatt inzwischen leicht veraltet. Im Februar 1929 wurde es von dem Verlag der „Meggendorfer-Blätter. Zeitschrift für Humor und Kunst“, J. F. Schreiber, übernommen, wo es zunächst unter dem Titel „Fliegende Blätter und Meggendorfer-Blätter“ (60.000 Exemplare) und dann wieder „Fliegende Blätter“ (ab 10. August 1933) bis zum 28. September 1944 (Nr. 5.174) weiter erschien. Bis Mitte 1940 blieben die „Fliegenden Blätter“ (1938: 33.500 Exemplare) – Hauptillustratoren waren Josef (Sepp) Mauder, M. Bauer und Kurt Heiligenstaedt – ihrem an die neuen Zeitumstände angepassten Genre treu. Ab 1941 verstanden sich dann alle Titelbilder (hasserfüllte Porträtkarikaturen mit Winston Churchill an der Spitze) „als Waffe“ gegen den Feind, d. h. gegen England, gefolgt von den USA und der Sowjetunion. An der von den „Fliegenden Blättern“ inszenierten illustrierten „Menschlichen Komödie“ wirkten von der ersten Ausgabe an auch Juden mit. Allerdings war ihr Anteil an den zwischen 1844 und 1944 erschienenen über 100.000 Achtel-, Viertel-, halboder ganzseitigen Text-Bild-Satiren nicht nur relativ gering (zwischen 1.200 und 1.300), sondern auch ungleichmäßig über die 200 Bände verteilt. So nahm beispielsweise im Zusammenhang mit der Gründerzeit und dem Börsenkrach von 1873 sowie dem, allerwärts viele Zeitungsspalten füllenden „Antisemitismusstreit“ die humoristische, satirische oder ironische Darstellung von Juden zu, um vor dem Ersten Weltkrieg deutlich abzuflauen. Von zwei 1846 und 1847 veröffentlichten illustrierten Fortsetzungserzählungen, „Der Wucherer“ und „Güterzertrümmerer“ (ein „listiger“, „heimtückischer“ jüdischer „Schacherer“) abgesehen, enthielten die Beiträge, in denen Juden (seltener Jüdinnen und Kinder) eine Haupt- oder Nebenrolle spielen, inhaltlich keine bösartigen Klischees. Vielmehr sollen sie von vielen Zeitgenossen als „köstlich“ wahrgenommen worden sein. In allerlei Variationen von den Hauszeichnern oder anonymen Einsendern in Schwänken, Späßen sowie Monolog- und Dialog-Karikaturen thematisiert wurden anfangs die zur unteren Bevölkerungsschicht gehörenden „Ostjuden“ (mit Kaftan und Kippa), dargestellt als Hausierer, Trödler oder Bettler. Heiratsagenten, eine jüdische Spezialität, und Viehhändler waren weitere Zielscheiben des Spottes. Im Kaiserreich dominierten dann allerdings als jüdische „Witzblattfiguren“ die arrivierten, mit ihrem Geld- und Grundbesitz oder ihren Ehren- und Adelstiteln „protzenden“ modisch gekleideten Fabrikanten, Börsenhändler, Bankiers und Finanziers.

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Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (1919–1922)

In Bezug auf die Vermittlung jüdischer „Visiotype“ (Physiognomie, allen voran die große gebogene Nase und die Seitenlocken, ferner Habitus, Gestik, Sprache) spielten die „Fliegenden Blätter“ allerdings, rückblickend betrachtet, eine ominöse Rolle. Eine Zusammenstellung dieser Bildsatiren kann den heutigen Betrachter nur tief erschrecken. Im Frühjahr 1939 druckte die nunmehr im Dienst der NS-Propaganda stehende Zeitschrift, unter der Überschrift „Der ewige Jude“, gleich mehrere Karikaturen aus dem Jahrgang 1866 ab. Mit den von M. Bauer oder Josef Mauder zwischen 1941 und 1944 für die Titelseiten der „Fliegenden Blätter“ gezeichneten „Stürmer“-Typen – als Beispiele dienen die Hefte 5035 („Das Weltjudentum“) und 5115 („Der USA-Goldpolyp“) – nahmen die „Fliegenden Blätter“ ein höchst unrühmliches Ende.

Ursula E. Koch

Literatur Michaela Haibl, Sichtbarkeit und Wirkung: „Jüdische“ Visiotype in humoristischen Zeitschriften des späten 19. Jahrhunderts, in: Martin Liepach, Gabriele Melischek, Josef Seethaler (Hrsg.), Jewish Images in the Media, vol. 2, Wien 2007, S. 61–84. Ursula E. Koch, Die Münchner Fliegenden Blätter vor, während und nach der Märzrevolution 1848: „ein deutscher Charivari und Punch“? in: Hubertus Fischer, Florian Vaßen (Hrsg.), Politik, Porträt, Physiologie. Facetten der europäischen Karikatur im Vor- und Nachmärz, Bielefeld 2010, S. 199–255. Henry Wassermann, The Fliegende Blätter as a Source for the Social History of German Jewry, in: Leo Baeck Institute Year Book 28 (1983), S. 93–138. Eva Zahn (Hrsg.), Fliegende Blätter. Facsimile Querschnitt durch die Fliegenden Blätter. Eingeleitet von Erich Pfeiffer-Belli, München, Bern, Wien 1966.

Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (1919–1922) Die Flugblattsammlung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg enthält mehr als fünfzig verschiedene antisemitische Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (DSTB) aus den Jahren 1919 bis 1922. Der Verfasser ist häufig der Hauptgeschäftsführer Alfred Roth, der in Absprache mit dem Vorstand des Alldeutschen Verbandes diese neuartige Strategie der Straßenagitation mit Massenkommunikationsmitteln wie Flugblättern, Handzetteln und Klebemarken entwickelte. Allein im ersten Halbjahr 1920 verteilten die Ortsgruppen und ihre Anhänger – nicht zuletzt zur Beeinflussung der Reichstagswahl im Juni 1920 – reichsweit über 2 Millionen Flugblätter, 2,4 Millionen Handzettel und 4,4 Millionen Klebemarken. Insgesamt wurden 1920 fast 8 Millionen Flugblätter verbreitet. Verteilt wurden die Flugblätter auf der Straße, an Bahnhöfen, vor Kasernen und Fabriken, in politischen Versammlungen und in Briefkästen vieler Privathaushalte. Ausdrücklich hieß es bei den meisten Flugblättern „Nicht wegwerfen – weitergeben“, wodurch auf eine breite Leserschaft gezielt wurde. Das antijüdische Themenspektrum sprach bewusst die verschiedensten Gruppen der deutschen Gesellschaft wie Beamte, Handwerker, Soldaten, Studenten, Frauen, Arbeiter und Bauern an, denen die Augen über die „Judenrepublik“ und die „Versklavung des deutschen Volks“ geöffnet werden sollten. Die Farbigkeit, die vielseitige typografische und rhetorische Gestaltung sowie Karikaturen garantierten eine

Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (1919–1922)

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hohe Aufmerksamkeit. Diese militante Straßenagitation erzeugte in hohem Maße das bedrohliche Bild von der gewaltigen antisemitischen Sturmflut, weil man in der Öffentlichkeit auf Schritt und Tritt solchen Manifestationen begegnete. Im Zusammenwirken mit der antisemitischen Presse, der populären antijüdischen Literatur und den Propagandareden bei politischen Versammlungen war der radikale Antisemitismus der völkischen Szene – angeführt vom DSTB – 1919/1920 ein Massenphänomen geworden, der dem völkischen Vorkriegsantisemitismus durch seine totale öffentliche Präsenz sowie seine radikalen wahnhaften Inhalte, vor allem in Bezug auf das Verschwörungsdenken, neue Dimensionen und Antrieb verlieh. Die militante Straßenagitation des DSTB der ersten Nachkriegsphase nahm sich die noch junge nationalsozialistische Bewegung zum weiteren Vorbild ihrer Propaganda. Die thematisch-inhaltliche Ebene der Flugblätter kreiste um die zentrale Vermittlung einer in der Novemberrevolution 1918 angeblich errichteten „Judenherrschaft“ in Deutschland und deren Paktieren mit den „verjudeten“ Feinden bei den Westalliierten, dem internationalen Finanzkapital und dem jüdischen Bolschewismus. In dem Flugblatt „Israel Triumphator!“ hieß es: „Judenrevolution – Judenrepublik im Lande! Das Gorgonenhaupt des bluttriefenden jüdischen Bolschewismus taucht über der christlichen Menschheit empor“. Das vorrangige Ziel sei die Versklavung und Vernichtung Deutschlands auf dem Weg zur jüdischen Weltherrschaft. Dazu hätten sich die mächtigen Juden in Deutschland und Europa verschworen, wie es beispielsweise in den Flugblättern „Die Weltherrschaft des Judentums“, „Die Hintermänner“ oder „Ganz Israel bürgt füreinander“ behauptet wurde. Geschichtspolitisch sahen die Antisemiten das international agierende Judentum hauptverantwortlich an dessen machtvollem Aufstieg im deutschen Kaiserreich und am Kriegsausbruch 1914 am Werk. Der Dolchstoß der „verjudeten“ Parteien (Sozialdemokratie, Demokraten) und Regierungen, der zur Kriegsniederlage Deutschlands und zur Auslieferung an die von Juden geführten Feinden führte, sei das „Teufelswerk“ der Juden im Inland und Ausland. Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Krisenerscheinungen der Nachkriegszeit wurden in einem zentralen Feindbild gebündelt. Nun galt es in einem beispiellosen Propagandafeldzug die Hauptschuldigen allen Übels zu entlarven und zu besiegen. Denn viele Deutsche würden diese angebliche Machtübernahme des Judentums und die jüdische Manipulationen nicht durchschauen. Wie bereits in der antisemitischen Weltanschauung während des Kaiserreichs, in der die negativen Phänomene auf die Juden projiziert wurden, galt es in den Jahren 1919 bis 1922, die Revolutionen in Russland und Deutschland, die Inflation und Not, die Ausbeutung durch das Kapital, die Zuwanderung der Ostjuden, die Sozialdemokratie, den Versailler Vertrag und internationale Konferenzen und Abkommen sowie die Reparationen auf „die Juden“ zurückzuführen. Allerdings offenbarten sich im historischen Kontext der Kriegsverwerfungen und der Neuordnung Europas nach 1918 sowie der immensen Popularität der → „Protokolle der Weisen von Zion“ in diesem Weltbild immer mehr wahnhafte Wahrnehmungsmuster einer großen jüdischen Weltverschwörung, deren wichtigstes Angriffsziel Deutschland sei, weil sich hier noch die nationalen Kräfte der Judenherrschaft in Europa widersetzen würden. Die Flugblätter führten das behauptete Machtstreben und die Profitgier der Juden auf die angeblich „minderwertige aber gefährliche jüdische Rasse“ und auf das hartnäckigen Festhalten der Juden an der religiösen Er-

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ziehung und ihren traditionellen Überlieferungen vor allem im Talmud und im Alten Testament zurück, z. B. im Flugblatt „Es wird Licht!“. Damit integrierte der Verschwörungsantisemitismus die klassischen Muster der religiösen Judenfeindschaft in dieses wahnhafte Weltbild. Der Jude würde seit Jahrtausenden in der Wirtsgesellschaft zur Unterjochung anderer Völker wirken, wie es im Flugblatt „Die Weltherrschaft des Judentums“ hieß, indem er sich des Geldes und Handels, der Politik, der Presse und der Rassenmischung bediene. Die Flugblätter spitzten meist ein zeitgenössisches Thema wie Revolution, Kriegsgesellschaften, Masseneinwanderung, die deutsch-russische Verständigung in Genua etc. zu, ließen aber keinen Zweifel, dass das Judentum aufgrund seiner „Rasseneigenschaften“ und festen religiösen Tradition stets die Niederwerfung und Ausbeutung der Nichtjuden betreiben müsse. Die millionenfach verbreiteten Flugblätter waren das populäre Massenkommunikationsmedium des zur Notwehr und berechtigten Abwehr hochstilisierten politischen Kampfes gegen das Judentum. Zur höheren Glaubwürdigkeit wurden jüdische Kronzeugen meist falsch zitiert (z. B. Flugblatt „Der Jude und der Christ. Ein Rabbiner über die Gojim“) und dazu diente auch die Berufung auf Deutschlands wichtigsten Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe, der angeblich eine negative Einstellung gegenüber dem Judentum vertreten hätte (Flugblatt „Goethe und die Juden“). Zentral war die Dichotomie „Deutschtum gegen Judentum“, die zur Kampfparole „Deutschland den Deutschen“ geronnen war. Selbstverständlich konnten die „fremdrassigen“ und international agierenden Juden niemals Deutsche sein. „Der Jude“ wurde zum Kampfbegriff in den meisten Flugblättern. Diese Synekdoche, in der die Singularform „der Jude“ für die Pluralform „die Juden“ steht, bedeutete die extremste Diffamierung des Judentums, denn in dieser krassen Anonymisierung einer bestimmten sozialen Gruppe wurde den Juden jede menschliche Eigenschaft und Individualität abgesprochen. Diese beliebte und klassische Stilfigur der radikalen Judenfeinde ergänzte der Schutz- und Trutzbund mit einer hasserfüllten Rhetorik. Die Flugblätter pflegten eine militante und dämonisierende Sprache der Entmenschlichung. Gewaltmetaphern wie „asiatische Bestie“, „Brandstifter der Revolution“, „greisenhafte landfremde Nörgler“, „Blutsauger und Ausbeuter des deutschen Volkes“, „Judenkrieg und Judenfrieden“, „Völkerwürger“, „internationales Gaunertum“, „schamlose Rachgier“, „So teuflisch kann nur der jüdische Haß rechnen und denken“ oder „die Nutznießer des deutschen Todesfriedens“ waren bevorzugte Signalworte und -formeln der antisemitischen Propaganda. Durch eine affektive, enthemmende Sprache, maßlose Übertreibungen, angebliche Tatsachenbehauptung und das Rühren an Gerechtigkeitsgefühlen („Ihr müßt z. B. für einen Mantel 500 Mark zahlen, den Juden kostete er aber – 2 Mark“) sollten in der deutschen Bevölkerung Verachtung und Hass gegenüber Juden geschürt werden. Im klassischen Muster der Täter-Opferinversion wurde die militante Agitationshetze gegen die jüdische Herrschaft und daraus resultierender Hass zur berechtigten Notwehr stilisiert und zum gerechten Abwehrkampf für deutsche Interessen und das eigene Überleben rationalisiert und somit ideologisiert. Bei den in den Flugblättern genannten politischen Forderungen des DSTB, die auf die Rücknahme der Emanzipation („Stellung der Juden unter ein Fremdenrecht“) zielten, tauchten zahlreiche Metaphern wie „Aufwachen“ und „Wachsamkeit“ auf. Dazu gehörten Paraphrasen wie „Deutsches Volk erwache“, „Michel wach auf“, „Arbeiter

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wach auf“, „Deutschland sei wach“, „Seid wachsam. Achtet auf das Treiben der Juden!“, „Deutsche Männer und Frauen! Macht endlich die Augen auf.“ Durch den pseudoaufklärerischen Gestus sollten möglichst viele „schlafende“ Deutsche aufgerüttelt und bewegt werden, um sich gegen das Judentum zu positionieren und zu protestieren. Häufig waren neben Kundinnen der Warenhäuser vor allem die Arbeiter als ahnungslose Anhänger der „Judenrepublik“ eine wichtige Zielgruppe, um die angeblich verführten Arbeitermassen von den jüdischen bzw. jüdisch beeinflussten Arbeiterführern abzuspalten. In dem repräsentativen Flugblatt „Arbeiter! Schüttelt das Judenjoch ab!“ mit der bekannten Karikatur des deutschen Michelreiters hieß es u. a., dass die nichtarbeitenden Juden keine Arbeiter seien und die deutschen Brüder gegeneinander aufhetzen würden. Deswegen müssten diese von den ehrlichen Arbeitern aus der Parteiführung und -presse entfernt werden. Dabei offenbarte sich jedoch ein Defizit in der Propaganda, d. h. das Schwanken zwischen den Realitäten und Behauptungen, zwischen angeblicher Evidenz der Judenherrschaft und der Notwendigkeit zur Entlarvung. Wenn sich die Macht der Juden so klar festgesetzt hätte, wie in den Flugblättern stets behauptet wurde, müsste keine solche massive Aufklärung betrieben werden. Der DSTB warnte mit den Dramatisierungen und Dämonisierungen vor einem inszenierten Popanz, der trotz mancher Einzelerscheinungen nur in der Propaganda und in den Köpfen der Antisemiten existierte. Die hämmernde Penetranz der Vorwürfe und die obsessive Wucht der Angriffe schwächten möglicherweise bei einem Teil des Publikums wiederum die Glaubwürdigkeit der antijüdischen Aussagen. In einzelnen Flugblättern wurde eine gesetzliche Lösung der „Judenfrage“ durch ein spezifisches Fremdenrecht für Juden formuliert. Der DSTB propagierte 1919/1920 beispielsweise in dem Flugblatt „Das Gebot der Stunde“ bereits das Programm, das später die antijüdische Politik der NS-Diktatur der ersten Jahre bestimmte: Ausschluss der Juden aus öffentlichen Ämtern, Berufsverbot für Lehrer, Beamte und Anwälte sowie Leiter im Kulturbereich, keine jüdischen Bankdirektoren, keine jüdischen Presseleiter sowie „Brechung der Zinsknechtschaft“. Hinzu kamen populäre tagespolitische Forderungen wie der Stopp der Einwanderung der Ostjuden und deren Ausweisung. Aufgerufen wurde zum Wahlboykott gegen alle „verjudeten Parteien“ und ein Kaufboykott gegen Geschäfte mit jüdischen Inhabern und Warenhäusern. Propagiert wurde die „Reinigung von den zersetzenden Erscheinungen im Kulturleben“ durch die Pflege deutscher Stücke und Autoren sowie Werte wie Treue, Ehre und Heldenmut. Informanten wurden z. B. im Flugblatt „Die Hintermänner“ zur Denunziation ermuntert, das „Gebaren der Judenherrschaft“ dem DSTB vertraulich mitzuteilen. In erster Linie sollten sich die Leser in Scharen dem „parteipolitisch neutralen“ DSTB als deutschgesinntes Zentrum einer Gegenmacht zum Judentum anschließen. Der DSTB verstand sich als entschiedene Freiheitsbewegung gegen jüdische Fremdherrschaft. In diesem völkischen Kosmos einer „arischen Volksgemeinschaft“ hatten selbstverständlich nur „deutschblütige“ Menschen Zutritt, denn die Rassenmischung durch sexuelle und soziale Beziehungen wurde als gefährliche Unterwanderungsstrategie des Judentums betrachtet, um die jüdischen Interessen gegen die Völker und Gruppen durchzusetzen. Das Modell der Separierung war durch die „Arierparagraphen“ längst vorhanden. Diese wachsende Volks- und Gesinnungsgemeinschaft einte in erster Linie ein rücksichtsloser Propagandakrieg gegen das Judentum. Selbstverständlich blieben bei sol-

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chen obsessiven Attacken gegen die angebliche Vorherrschaft des Judentums in Deutschland zuweilen Aufrufe zur massiven Gewalt nicht aus. In einem Flugblatt war die Rede davon „Schaffe Dir den Juden vom Halse“, oder ein Flugblattgedicht propagierte „Juden hinaus“. Zwar betonte der Geschäftsführer Roth aus taktischen Gründen u. a. aufgrund häufender Übergriffe auf Juden und deren Einrichtungen immer wieder die Notwendigkeit, nur mit verfassungsmäßigen Mitteln gegen die Juden zu kämpfen. Außerdem mussten alle Flugblätter von der Polizeibehörde u. a. in Hamburg genehmigt werden, und direkte Gewaltaufrufe wären wohl verboten worden. Das galt jedoch nicht für die ausgesprochen martialische und diffamierende Text- und Bildersprache. Gerade die Schwemme solcher Propaganda-Flugblätter setzte in der Wirkung der scharfen antijüdischen Sprachbilder, massiver Diffamierung und Lügen sowie rhetorischer und grafischer Mittel sehr stark auf eine Emotionalisierung und Eskalation und eben nicht auf einen seriösen Diskurs von kritischem Argument, Belegen und Widerspruch. Ein Zitat von Alfred Roth aus dem Flugblatt „Die Kriegsgesellschaft vor Gericht“ dokumentiert den Widerspruch von vorgeschobener Distanzierung und nachfolgender Gewaltsemantik gut: „Ich handle nicht aus Haß gegen die Juden, wie behauptet wird, aber ich verachte den jüdischen Geist, dessen Träger im Eigennutz ersticken. […] Seiner Ausmerzung aus dem deutschen Volksleben gilt der Kampf des Schutz- und Trutzbundes. Und er wird rücksichtslos geführt.“ Die Grenze zwischen dem, was durch die Meinungsfreiheit gerade noch gedeckt war, und der Propagierung von Gewalt gegen die Juden war demnach fließend. Nach dem rechtsradikalen Mord am Außenminister Walther Rathenau verhielten sich die Sicherheits- und Justizbehörden aufgrund des Republikschutzgesetzes gegenüber solchen militanten Polemiken vorübergehend restriktiver. Auf der formalen Ebene wurden diese radikalen Aussagen der Flugblätter durch für damalige Verhältnisse moderne Gestaltungselemente gestützt, um große Aufmerksamkeit zu erzeugen: Das erste Element war teilweise farbiges Papier. Das zweite Element war bei einem Teil der Flugblätter die Textform, wie verkürzte Texte, simple Aussagen in den Überschriften, Zwischenüberschriften sowie strukturierter Aufbau mit Tatsachenbehauptung („Jeder Deutsche muß wissen“). Ein drittes Element war der Gebrauch sprachlicher und syntaktischer Mittel wie Aufforderungssätze „Deutsche Männer und Frauen! Es geht um eure Zukunft, um eurer Vaterland! […] Darum brecht die jüdischen Ketten!“ sowie rhetorischer Fragen wie „Sind wir Deutsche das Aas für gierige Wüstengeier?“, „Wem haben wir diese Auffassung zu verdanken?“, „Wer betrügt und bewuchert das Volk?“ Ein viertes Element waren typografische, grafische und visuelle Muster wie Fettdruck, Unterstreichungen und Kapitale sowie zuweilen Karikaturen und Fotos z. B. von ostjüdischen Zuwanderern in Berlin. Diese Elemente trugen zur Modernisierung der antisemitischen Agitation bei. Ergänzt wurden die Flugblätter mitunter durch Eigeninserate zu einschlägigen antisemitischen Hetzschriften aus der Deutschvölkischen Verlagsanstalt wie „Rathenau ,Der Kandidat des Auslandes’“, „Der Judenpranger“, „Die Juden im Heere“ etc., um der Leserschaft vertiefendes Material anzubieten. Diese aktuellen, billigen und schnell zu produzierenden Massenkommunikationsmittel im modernen Stil verdichteten den radikalen Antisemitismus in eine leicht konsumierbare Informationsware von Schlagworten und Phrasen, die potenziell alle Men-

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schen auf der Straße und in öffentlichen Einrichtungen erreichten. Der Mann oder die Frau auf der Straße konnten im raschen Vorbeigehen solche kostenlosen Pamphlete mitnehmen, später durchlesen und weitergeben. Die militante Agitation blieb aufgrund der neuen alltagskulturellen Massenpräsentation nicht mehr auf die klassische nationale Leserschaft und Teile des Bildungsbürgertums beschränkt. Die modern gestalteten Flugschriften und kleinen Handzettel mit markanten Hassparolen und Spottkarikaturen erreichten weitaus mehr Bevölkerungsgruppen als im Kaiserreich. Für die Ausbreitung eines radikalen Antisemitismus in zahlreiche Gesellschaftsschichten, die eher von antijüdischen Latenzen und Ressentiments als von einem gefestigten antisemitischen Denken geprägt waren, stellten diese Formen ein ideales Medium dar, weil sie auf der formalen Ebene einem bequemen Rezeptionsbedürfnis entgegenkamen und auf der inhaltlichen Ebene an Alltagserfahrungen oder an wirtschaftliche und politische Probleme anknüpften und durch simplifizierende, verzerrende Erklärungsmuster und Lügen zu antisemitischen Generalisierungen führten. Diese propagandistische Besetzung des öffentlichen Raums durch millionenfach verteilte Flugblätter und Klebemarken war bis dato neu und förderte im erheblichen Maße den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft.

Martin Ulmer

Literatur Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970. Rudolf Stöber, Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Konstanz 2005. Martin Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Berlin 2011.

Flugschriften im 15. und 16. Jahrhundert Im Vergleich zu den teuren Foliantendrucken waren Flugblätter und Flugschriften als nicht gebundene Druckerzeugnisse vom Einblattdruck bis zur umfangreichen Broschüre günstiger zu vermarkten, zudem konnten Nachrichten des täglichen Lebens schneller unter eine größere Öffentlichkeit gebracht werden. Die Mitteilung musste knapp, informativ und weitgehend mit einer Überschrift, gleichsam einer Schlagzeile, versehen sein. Da um 1500 nur 10 bis 25 Prozent der Bevölkerung über Lesefähigkeit verfügten, wurde der Inhalt vielfach durch Bilder ergänzt. Das Medium entwickelte sich bald nach Entdeckung der Buchdruckkunst um 1450 mit den sogenannten Türkenkalendern um 1455, liturgischen Schriften, aber auch Publikationen zur Bewältigung täglicher Lebensprobleme, so „Wider die Pestilenz“ (Augsburger Einblattdruck 1472). Bis 1500 wurden ca. 1.600 Kleindrucke verfertigt. Zwischen 1501 und 1530 waren es bereits 10.000, davon 74 Prozent zwischen 1520 und 1526, also nach Verkündung der Reformation durch Martin Luther. Nun standen vor allem theologische Schriften im Mittelpunkt. Bereits im 15. Jahrhundert wurden Flugblätter und Flugschriften zur antijüdischen Propaganda genutzt. So erschien 1475 ein bebilderter Einblattholzschnitt eines unbekannten Meisters, der unter der Überschrift „Nun wisset, was der Wucher tuet/das ir

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Focal Point Publications (USA, seit 1980)

euch halt destpas in huet“. Wie hier stellten die Bilder vielfach eine häusliche Szene mit einem Juden und seiner Familie an einem (Rechen-)Tisch dar. Davor stehen Kreditsuchende aus allen Ständen. Die Juden sind erkennbar am Judenring bzw. der Judenkappe, seltener am spitzen Hut. Neben dem Wucher ist es die jüdische „Schalkheit“, die in einer karikaturhaften Darstellung des Josel von Rosheim angeprangert wurde. Josel schaut dabei zu einem Bild des Goldenen Kalbes auf. Die Überschrift nimmt Bezug auf Josels Stellung als Sprecher der Judenheit im Heiligen Römischen Reich „Ich bin ein Jud, das leugn’ ich nicht, von Art ein schalkhaft Bösewicht und heiß der Josel unverzagt, ein Herold aller Jüdischheit“. Thematisiert werden auf Flugblättern des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts der Ritualmord, vor allem am Beispiel des Simon von Trient. Weitere Themen sind der Hostienfrevel (Passau, Sternberg), die Judensau sowie der Judenspieß. Die positive Darstellung eines Juden zeigt das Bild vom jüdischen Arzt und seinem bischöflichen Patienten, so auf einem Druck von 1487. Nicht als positive Aussage ist ein Holzschnitt von 1483 zu werten, der jüdische Gelehrte in einer Disputation mit christlichen Gelehrten zeigt. Die Körpersprache der christlichen wie der jüdischen dokumentiert hier die Unterlegenheit der jüdischen Gelehrten. Die interchristlichen konfessionellen Auseinandersetzungen haben in den Bildern der Flugschriften kaum einen Niederschlag gefunden. Doch tauchen auf den Flugblättern des 16. Jahrhunderts unter den Feinden der „wahren Kirche“ neben den sich streitenden Protestanten sowie den Türken und Heiden auch die Juden auf, erkennbar am Judenring und der Judenkappe. Im Prinzip bieten die Flugschriften zur Thematik der Juden im 16. Jahrhundert keine Variante zu dem in der Literatur propagierten Judenbild dieser Zeit.

Arno Herzig

Literatur Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts. Microfichesammlung, hrsg. von Hans Joachim Köhler u. a., Zug 1978–1987. Karl Schottenloher, Johannes Binkowski, Flugblatt und Zeitung. Ein Wegweiser durch das gedruckte Tagesschriftentum, Band I: Von den Anfängen bis zum Jahr 1848, München 1985². Heinz Schreckenberg, Die Juden in der Kunst Europas. Ein historischer Bildatlas, Göttingen u. a. 1996. Rainer Wohlfeil, Die Juden in der zeitgenössischen bildlichen Darstellung, in: Arno Herzig, Julius Schoeps, Saskia Rohde (Hrsg.), Reuchlin und die Juden, Sigmaringen 1993.

Focal Point Publications (USA, seit 1980) Nach Eigenangaben wurde der Verlag Focal Point Publications von der „Focal Group“ des Holocaustleugners David Irving 1980 gegründet und hat seinen Sitz in London, ist aber auch über eine Postfach-Adresse in Denton/Texas zu erreichen. Eine Zeit lang erschien unregelmäßig das Nachrichtenblatt „Focal Point“, das angeblich 500 Personen erhielten, die sich auch zu privaten Dinner-Veranstaltungen trafen, bis die „traditionellen Feinde der Meinungsfreiheit [Free Speech] weitere Treffen unmöglich machten“. Die Webseite des Verlages, die identisch ist mit der Webadresse „Irvingbooks. com“, bietet unter dem Motto „Kampagne für eine wahre Geschichte“ nicht nur Ir-

Der Föderalismus (Constantin Frantz, 1879)

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vings eigene revisionistische Publikationen und Reden sowie seine Autobiografie, sondern auch eine Reihe von einschlägigen Werken anderer Autoren. „Focal Point Publications“ vertreibt seine Publikationen heute über das Internet, allerdings ist die Webseite mit einem „Login“ gesichert und bietet ohne diesen Zugang nur die Möglichkeit, Bücher, DVDs und einige Reden von Irving sowie Tickets zu Vorträgen des Verlagsbesitzers zu bestellen. So war etwa für 30 Dollar eine Eintrittskarte für Irvings Vortrag „Hitler and I“ im September 2012 in London oder in Florida und an weiteren Orten zu erwerben. Im Jahr 2010 organisierte der Verlag eine Tour mit David Irving nach Polen, u. a. nach Treblinka. In der Selbstauskunft auf der Webseite wird auf den 1989 im Verlag publizierten → „Leuchter-Report“ verwiesen, der mithilfe angeblicher forensischer Untersuchungen behauptet, den Beweis erbracht zu haben, dass es keine Vergasungen in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern gegeben habe. Während des Prozesses gegen die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt informierte Irving seine Anhänger und Unterstützer über die Webseite seines Verlages regelmäßig mit einem „Action Report“. Werbung betrieb er dafür mit dem Hinweis „Focal Point Publications wird regelmäßig die neuesten Prozessvorgänge auf seiner Webseite bekannt machen“. Irving hatte gegen Lipstadt eine Verleumdungsklage angestrengt, weil sie ihn als Holocaustleugner entlarvt hatte. Im April 2000 wurde die Klage Irvings abgewiesen und er musste die Prozesskosten von mehreren Millionen Euro tragen.

Juliane Wetzel

Der Föderalismus (Constantin Frantz, 1879) Der gewichtige Titel „Der Föderalismus, als das leitende Prinzip für die soziale, staatliche und internationale Organisation unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland kritisch nachgewiesen und konstruktiv dargestellt“ beschreibt 1879 ein ebenso gewichtiges Buch, in dem Constantin Frantz (1817–1891) die Summe seines politischen Denkens zog. Er hatte Föderalismus von einem Staatsorganisationsprinzip hin zu einer umfassenden Weltanschauung entwickelt. Nach einer Vielzahl von Büchern und Broschüren zu Teilaspekten – in der Regel verbunden mit aktuellen Fragen deutscher und preußischer Politik – sah er fast ein Jahrzehnt nach Beginn des Bismarck-Reiches die Zeit für gekommen, seine politische Philosophie umfassend darzustellen. Der Titel ist die Beschreibung des Buches; es geht nicht nur um den Föderalismus als „universales Entwickelungsprincip“, das von der sozialen Frage über die Betrachtung von Staatsverfassungen, über die Parteien und ihre Weltanschauungen, über Preußen und Deutschland bis hin zu Mitteleuropa und zur internationalen Organisation in 19 Kapiteln durchgeführt wird. Von Interesse ist das Kapitel „Zwischenbemerkung über die Judenfrage“, systematisch am Ende des Gesamtwerkes eingefügt zwischen der „17. Unhaltbarkeit des Nationalitätsprincips“ und „18. Die internationale Organisation“. Schon dies ist aufschlussreich. Frantz hatte sich seit seinem → „Ahasverus oder die Judenfrage“ von 1844 immer wieder mit den Juden und ihrer vermeintlichen rassi-

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Der Föderalismus (Constantin Frantz, 1879)

schen Fremdheit in Deutschland beschäftigt. Nie zuvor hatte er jedoch die „jüdische Frage“ so eindeutig als Problem der internationalen Politik verortet wie hier. Die „Zwischenbemerkung“ fasst alle seine früheren antisemitischen Ideen in neuem Kontext zusammen. In den Juden sieht er jetzt das Haupthindernis für einen internationalen Friedensbund und damit den Hauptgegner des Föderalismus. Im Detail beruht die Argumentation auf Ideen, die sich so ähnlich auch im „Ahasverus“ (1844) und im → „Nationalliberalismus und die Judenherrschaft“ (1874) finden. Eingebettet ist die antisemitische Rhetorik in eine Kritik der modernen Gesellschaft mit ihren falschen, anti-christlichen Werten. Verfassungen gewähren neutrale Rechtsgleichheit, während doch in Wahrheit die Juden „ungleiche“ Fremde blieben, die sich niemals von ihrem Stammesgott gelöst hätten. Die Rechtsgleichheit wiederum hätten die Juden genutzt, sich führende Positionen in Börse, Handel und Presse zu verschaffen. Der enge Zusammenhang von Religion und Nationalität werde in der Moderne nicht erkannt, sehr wohl aber von den Juden, die ihn ausnützten. Frantz spricht nicht expizit von „Rasse“, aber die Fremdheit beruht nicht auf individuellen Eigenschaften, sondern ist ein kollektives Phänomen. Daher kann sie auch nicht individuell durch die Taufe überwunden werden. Keinen Widerspruch sieht Frantz darin, wenn internationalistische Juden zugleich in ihren neuen Vaterländern als eifrige Nationalisten auftreten. Dies sei nämlich nur Schwindel, um die Völker in Kriege zu stürzen, von denen nur jüdische Bankiers, Waffenfabrikanten und Meinungsmacher in der Presse profitieren könnten – anders als die meisten anderen Antisemiten verbindet Frantz seine Tiraden mit pazifistischen, durchaus modernen föderativen Ideen. Die Lösung des Problems ist für Frantz die Abschaffung der staatsbürgerlichen Gleichheit und die Einführung von Ausnahmegesetzen. Das Bismarck-Reich hatte ohnehin bereits die rechtsstaatliche Orthodoxie mit Ausnahmegesetzen gegen Katholiken (Kulturkampf) und gegen Arbeiter (Sozialistengesetze) durchbrochen. Ein Ausnahmegesetz gegen die Juden hätte gegenüber den Präzedenzfällen zudem den Vorzug, in der Bevölkerung populär zu sein. Allerdings ist mit der Aberkennung der staatsbürgerlich-partizipatorischen Rechte für Frantz die Grenze erreicht. Grundlegende Menschenrechte dürften den Juden nicht genommen werden; ihre Position in der bürgerlichen Gesellschaft bleibt unangetastet. So sehr er den Liberalismus und den modernen Rechtsstaat ablehnte, blieb auch Frantz’ eigenes Denken von seinem Jahrhundert geprägt. Dem Buch war kein Erfolg beschieden, und das galt für fast alle Schriften von Frantz nach Gründung des Bismarck-Reiches, das er als militaristisch und nur pseudo-föderalistisch, in Wirklichkeit aber zentralistisch ablehnte. Daran änderte auch die Fürsprache von Richard Wagner nichts, der mit Frantz seit den 1860er Jahren in engem Kontakt stand und sich von diesem Buch begeistert zeigte. Der unmusikalische Frantz gab das Kompliment zurück, wenn er in der „Zwischenbemerkung“ die Gefahren aufführte, die von den jüdischen Komponisten Meyerbeer und Offenbach ausgingen. Frantz stellte sich weiter ins Abseits dadurch, dass er jede Verbindung mit dem einsetzenden organisierten Antisemitismus strikt ablehnte. Er fand es absurd, dass die Führer des politischen Antisemitismus ausgerechnet von Bismarck Hilfe erwarteten,

Forschungen zur Judenfrage (1937–1944)

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dem Freund des Bankiers Bleichröder. Selbst im Antisemitismus blieb Frantz ein Außenseiter.

Michael Dreyer

Literatur Michael Dreyer, Constantin Frantz: der Außenseiter des Antisemitismus, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 39–59.

Forschungen zur Judenfrage (1937–1944) Unter den Wissenschaftseinrichtungen zur „Judenforschung“, die während des Nationalsozialismus miteinander konkurrierten, nahm das Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands in München mit seinem Präsidenten Walter Frank (1905– 1945) eine zentrale Stellung ein. In der Reihe „Forschungen zur Judenfrage“ der im November 1936 eröffneten „Forschungsabteilung Judenfrage“, die Wilhelm Grau (1910–2000) bis zu seinem Bruch mit Frank leitete, fassten deren Mitarbeiter ihre Arbeitsergebnisse zusammen. Die Aufsätze befassten sich sowohl mit theoretisch-methodischen Fragen als auch mit problemorientierten Aufrissen und biographischen Einzelstudien. Im Gegensatz zum eigentlichen Auftrag des Reichsinstituts, die deutsche Geschichte seit 1789 zu erforschen, beschränkten sich die „Forschungen zur Judenfrage“ nicht auf die Epoche der neueren Geschichte. Darin drückte sich auch der universale Anspruch aus, der für die „Judenforschung“ reklamiert wurde. Von den „Forschungen zur Judenfrage“ erschienen zwischen 1937 und 1944 insgesamt neun Bände in der → Hanseatischen Verlagsanstalt. Die erste Ausgabe leiteten die Redebeiträge einer Veranstaltung zur Eröffnung der Forschungsabteilung am 19. November 1936 in der Großen Aula der Universität München ein, an der u. a. der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, und hochrangige Mitarbeiter zahlreicher Reichsministerien teilgenommen hatten. Im Mittelpunkt standen allerdings die Vorträge der anschließenden ersten Arbeitssitzung ihrer Mitarbeiter. Die folgenden drei Bände setzten dies fort, indem sie den, wie Frank 1941 rückblickend feststellte, „wissenschaftlichen Ertrag“ dieser Arbeitstagungen, die bis 1939 jährlich in München stattfanden, dokumentierten. Zu den Autoren zählten neben den Mitgliedern der „Forschungsabteilung Judenfrage“, unter ihnen der Heidelberger Physikprofessor Philipp Lenard (1862–1947), Vertreter unterschiedlichster geistes- und naturwissenschaftlicher Fachdisziplinen. Einige davon gehörten auch dem Beirat der „Forschungsabteilung Judenfrage“ an. Zu nennen sind beispielsweise der in Tübingen lehrende Evangelische Theologe Gerhard Kittel (1888–1948), der Orientalist Karl Georg Kuhn (1906–1976), der Anthropologe Eugen Fischer (1874–1967), der Rassenhygieniker Otmar Freiherr von Verschuer (1896– 1969) und der Bevölkerungsstatistiker Friedrich Burgdörfer (1890–1967). Als Autor wirkte außerdem Wilhelm Ziegler (1891–1962) mit, der Goebbels und das Reichspropagandaministerium in dem Beirat vertrat. Einige der Aufsätze wurden zusätzlich in Sonderdrucken in hohen Auflagen verbreitet. Obgleich mit Kriegsbeginn 1939 die jährlichen Tagungen eingestellt werden mussten und „viele der besten Mitarbeiter“, wie Frank schrieb, zur Wehrmacht einberufen

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Fortalitium fidei (Alonso de Espina, 15. Jahrhundert)

wurden, konnten 1941 die Bände 5 und 6 erscheinen. Die Aufsätze dieser Jahrbücher präsentierten Ergebnisse der „stillen Forschungsarbeit“, zu der sich die verbliebenen Mitarbeiter offensichtlich noch in der Lage sahen. Band 7 dagegen, der als Jahr der Veröffentlichung 1943 ausweist, vermutlich aber erst Anfang 1944 ausgeliefert wurde, bestand aus einer durch Fischer und Kittel zusammengetragenen Bilddokumentation über „Das antike Weltjudentum“. Ebenfalls 1943 erschien Band 8. Ein dort bereits angekündigter Band 9, der u. a. einen Beitrag von Julius Evola (1898–1974) „Über die Entstehung des Judentums als zerstörerische Macht“ enthielt, konnte noch fertiggestellt werden. Die Bände 10 und 11 gingen allerdings kriegsbedingt nicht mehr in Druck.

Martin Finkenberger

Literatur Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966. Horst Junginger, Die Verwissenschaftlichung der „Judenfrage“ im Nationalsozialismus, Darmstadt 2011. Dirk Rupnow, Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie, Baden-Baden 2011.

Fortalitium fidei (Alonso de Espina, 15. Jahrhundert) Fortalitium fidei [Festung des Glaubens] ist eine der bekanntesten christlichen Polemiken des 15. und 16. Jahrhunderts. Verfasst wurde das Werk zwischen 1458 und den frühen 1460er Jahren, vielleicht auch erst 1464, von dem Franziskanermönch Alonso de Espina, einem Wanderprediger, der auch Beichtvater des Königs Enrique IV. von Kastilien war. Der Text besteht aus fünf Büchern, das erste ist eine Verteidigung und Belobigung des Christentums, die übrigen Bücher richten sich gegen die Widersacher des christlichen Glaubens, im Einzelnen gegen Häretiker (zweites Buch), Juden (drittes Buch), Sarazenen (viertes Buch) und Dämonen (letztes Buch). Diese Gruppen stellte Espina als Heere dar, die den christlichen Glauben angriffen, den er sich wiederum als „Festung des Glaubens“ vorstellte; er goss seine Polemik in Begriffe eines Todeskampfes zwischen dem Christentum und seinen Feinden. In apokalyptischem Ton abgefasst, fokussiert der Text auf den Zusammenstoß der gegnerischen Gruppen, der sich, wie Espina glaubte, bis zum endgültigen Triumph des Christentums im Jüngsten Gericht fortsetzen würde. Dieser Konflikt ist auf dem Eingangsblatt der ältesten bekannten Handschrift von 1464 (Kathedrale von Burgo de Osma) plastisch präsentiert, es zeigt eine gewaltige Festung, die sich aber, angegriffen von diversen ruchlosen Feinden, mit Hilfe von Gottes Engeln erfolgreich verteidigt. Die satten Bilder dieses Manuskripts stehen in scharfem Gegensatz zu den einfachen Holzschnitten, die die später gedruckten Ausgaben verzieren. Der Text basiert auf Espinas eigenen Predigten und sollte anderen Predigern in den Debatten mit Nichtchristen als Fundus von Argumenten oder Waffen dienen. Zitiert werden viele mittelalterliche und patristische Quellen, übernommen aus älteren Polemiken wie jenen von Abner von Burgos/Alfonso von Valladolid und Pablo de Santa

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María und den Argumenten des konvertierten Juden Hieronymus de Santa Fide (Jerónimo de Santa Fe) in der jüdisch-christlichen Disputation von Tortosa (1413–1414). Vieles richtet sich in dem Werk gegen Juden. Das dritte Buch, das die Juden zum Thema hat, ist das umfangreichste, und das zweite Buch mit dem Thema Häretiker wendet sich heftig gegen jüdische Konvertiten zum Christentum (conversos), die im Verborgenen an ihrem jüdischen Glauben festhielten. Obwohl vermutet wurde, dass Espina selbst ein konvertierter Juden sei, gibt es keine Anhaltspunkte, die dies stützen. Tatsächlich scheint Espina nur wenig oder kein Hebräisch gekonnt zu haben und sammelte seine Zitate aus rabbinischen Schriften aus zweiter Hand von anderen polemischen Autoren zusammen. Zugleich fehlt es seinem Werk an rhetorischer Gewandtheit, es ist in recht einfachem Latein abgefasst. Neben dem Manuskript von Burgo de Osma ist der Text in einer Reihe späterer lateinischer und französischer Manuskripte überliefert; der lateinische Orginaltext ging in Straßburg, Lyon, Nürnberg und Burgos wiederholt in Druck. Diese frühen Druckschriften belegen die weit verbreitete Popularität des Werkes bis ins 16. Jahrhundert. Zusammen mit „Scrutinium Scripturarum“ von Pablo de Santa María gehörte es zu den wichtigsten Quellen späterer antijüdischer polemischer Schriften und Debatten.

Ryan Wesley Szpiech Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Alfonso de Espina, Fortalitium Fidei, Nürnberg 1485. Steven J. McMichael, Was Jesus of Nazareth the Messiah? Alphonso de Espina’s Argument against the Jews in the „Fortalitium Fidei“ (c. 1464), Atlanta 1994. Alisa Meyuhas Ginio, La forteresse de la foi: la vision du monde d`Alonso de Espina, moine espagnol (1466), Paris 1998. Alisa Meyuhas Ginio, De bello iudaeorum: Fray Alonso de Espina y su „Fortalitium Fidei“, Fontes Iudaeorum Regni Castellae VIII, Salamanca 1998. B. Netanyahu, Alonso de Espina – Was He a new Christian? in: Proceedings of the American Academy of Jewish Research 43 (1976), S. 107–165.

La France enchaînée (Frankreich, 1938–1939) Der antisemitische Politiker Louis Darquier de Pellepoix (1897–1980) brachte am 25. Februar 1938 die erste Nummer seiner Zeitung „La France enchaînée“ [Das gefesselte Frankreich] heraus, die fortan zweimal monatlich erschien. Die kurzlebige Zeitung war eine der wenigen faschistischen, offen mit NS-Deutschland sympathisierenden Zeitungen in Frankreich. Die Verbreitung antisemitischer Hetze war durchgängig ihr wichtigstes Ziel. Hasstiraden gegen Juden und Loblieder auf das deutsche NS-Regime drückten sich ab der 18. Ausgabe im Untertitel der Zeitung aus: „Organe de défense contre l’invasion juive“ [Verteidigungsorgan gegen die jüdische Invasion]. Viel Platz für andere Themen wäre auch nicht gewesen: Erschien „La France enchaînée“ anfangs auf zwei Seiten, verdoppelte sie ihren Umfang ab der 5. Ausgabe, um schließlich mit sechs Sei-

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La France enchaînée (Frankreich, 1938–1939)

ten (ab Nr. 18, Dezember 1938) und ab Mai 1939 wieder reduziert auf vier Seiten zu erscheinen. Alle Ausgaben entstanden in der Druckerei der Action Française. Als Nachfolger der ebenfalls von Darquier geleiteten Zeitung → „L’Antijuif“, die von Juni 1937 bis Januar 1938 in 15 Ausgaben erschienen war, wurde dieselbe Zielgruppe angesprochen. Dabei war die neue Zeitung eher ein Mittel Darquiers, die Ziele seines politisch bedeutungslosen „Rassemblement antijuif de France“ zu propagieren, womit er hoffte, die Meinungsführerschaft im antisemitischen Lager Frankreichs übernehmen zu können. Obwohl dies auf der agitatorischen Ebene gelang, konnte der glühende Antisemit nie mehr als einige Hundert Anhänger um sich scharen und war weit davon entfernt, ähnlich wirkmächtig wie beispielsweise sein Vorbild Édouard Drumont mit der → „Libre Parole“ während der Dreyfus-Affäre zu sein. Die Wirkung der „France enchaînée“ ist nur schwer einzuschätzen: Bei einer Auflage von durchschnittlich 40.000 Exemplaren (von denen allerdings weniger als die Hälfte verkauft wurde) erreichte sie gemessen an anderen antisemitischen Zeitungen dieser Zeit einen relativ großen Kreis und machte Darquier landesweit bekannt, führte jedoch weder zu politischem Einfluss noch zu weitergehender Akzeptanz ihrer Ziele und hatte folglich ständig mit Geldsorgen zu kämpfen. Zur Popularisierung der „France enchaînée“ winkten jedem Leser, der neue Abonnenten warb, fünf Exemplare der → „Protokolle der Weisen von Zion“ (mit einem Vorwort von Darquier), die ab der 21. Ausgabe auch in Auszügen in der Zeitung abgedruckt wurden. Die Auflage steigerte dies zwar nicht, doch zeigt die Aktion deutlich, dass es dem Blatt um nichts anderes als die Hetze gegen Juden ging. Darquier, der sonst nicht schriftstellerisch hervorgetreten ist und dessen Antisemitismus keinem geschlossenen Programm folgte, bereicherte den französischen Rechtsextremismus um ein wesentliches Element: Während die französische Rechte zwar als traditionell antisemitisch gelten muss, war sie jedoch genau so traditionell deutschfeindlich eingestellt. Bei der „France enchaînée“ war hingegen eine gewisse Deutschfreundlichkeit vordergründig. Darquier selbst – zu dieser Zeit Pariser Stadtrat – wies den Vorwurf der Deutschfreundlichkeit zurück und behauptete, er sei „nicht germanophiler als anglo- oder türkophil“, sondern er „kämpfe für Frankreich“ gegen die Juden. Dieser zur Schau gestellte nationalistische Altruismus entsprach freilich nur bedingt den Tatsachen: Zwar betonte der Titel der Zeitung unleugbar den Nationalismus, doch wurde „La France enchaînée“ vom → „Welt-Dienst“ in Erfurt finanziert, der als antisemitische Nachrichtenagentur einschlägige Erfahrungen in der internationalen Verbreitung von NS-Ideologie mitbrachte. So reagierte die Zeitung beispielsweise auf die Novemberpogrome 1938 in Deutschland genau in der Weise, wie es die NS-Propaganda wünschte: „Bravo, Fritz!“, schrieb Darquier in seinem Artikel „Contre-attaque“ (Nr. 16, 15. November 1938) und beglückwünschte Hitler zu seinem „soldatischen“ Handeln, das er sich auch für Frankreich wünschte. In weiteren Artikeln wurde – ganz auf der Linie der NS-Propaganda – Hitler immer wieder als Friedensbewahrer dargestellt, während den Juden die Rolle der Kriegstreiber zugeschrieben wurde. Neu oder originell war das nicht und so sahen auch französische Sicherheitsbehörden in der „France enchaînée“ keine nationalistische, sondern eine deutsche Propagandazeitung: Unter den Vorsichtsmaßnahmen, die bei einem möglichen deutschen Angriff auf Frankreich sofort zu ergreifen seien, nannte ein Bericht der „Sûreté nationale“ (Sep-

La France Juive (Édouard Drumont, 1886)

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tember 1938) u.a. die „Auflösung antisemitischer Bewegungen und ihrer Zeitungen, die alle in der Hand der deutschen Propaganda sind (Libre Parole, France enchaînée, Darquier de Pellepoix etc.)“. Die im Verlauf des Jahres 1939 zunehmende Bedrohung Frankreichs durch Deutschland isolierte auch Darquier und ließ „La France enchaînée“ vollends bedeutungslos werden. Ein Gesetz gegen antijüdische Hetze (April 1939) entschärfte die Zeitung zusätzlich. „La France enchaînée“ war die einzige Zeitung, gegen die dieses Gesetz jemals angewandt wurde: Darquier und sein Mitstreiter Pierre Gérard wurden Ende Juli 1939 jeder wegen eines Artikels zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Darquier musste die Gefängnisstrafe bei Kriegsausbruch nicht mehr antreten, da er sich freiwillig zum Kampf gegen die Deutschen an die Front meldete. Die letzte Nummer der „France enchaînée“ (Nr. 33) erschien im August 1939. Ein Nachleben hatte die Zeitung nicht: Auch während seiner Zeit als „Generalkommissar für Judenfragen“ (commissaire général aux Questions juives) des Vichy-Regimes (1942 bis 1944) trat Darquier nicht mehr journalistisch hervor, hatte jedoch viele seiner antisemitischen Ziele bereits 1938/39 in „La France enchaînée“ öffentlich gemacht, sodass der Zeitung hierdurch eine gewisse Bedeutung zukommt.

Bjoern Weigel

Literatur Laurent Joly, Darquier de Pellepoix, „champion“ des antisémites français (1936–1939), in: Revue d’histoire de la Shoah 55 (2001), 173, S. 35–61. Ralph Schor, L’Opinion française et les étrangers 1919–1939, Paris 1995.

La France Juive (Édouard Drumont, 1886) „La France Juive. Essai d’histoire contemporaine“ [Das jüdische Frankreich. Versuch einer Zeitgeschichte] ist das schriftstellerische Hauptwerk des bekanntesten französischen Antisemiten des 19. Jahrhunderts, Édouard Drumont (1844–1917). Mitte April 1886 im Verlag Marpon et Flammarion in Paris erschienen, erlebte es dort 201 Auflagen (die letzte erschien 1941) und gehört wahrscheinlich zu den wirkmächtigsten antisemitischen Büchern überhaupt. „Je veux écrire la Conquête juive.“ [Ich möchte Die jüdische Eroberung schreiben.] Der einleitende Satz Édouard Drumonts versprach seinen Lesern nicht zu viel: Denn was Juden angeblich alles erobert hätten – die politische Macht in Frankreich, die wirtschaftliche, die Deutungsmacht über die Geschichte, den Geist der Franzosen, um nur die gängigsten Stereotype zu nennen – übertraf die Erwartungen selbst des kühnsten Antisemiten. Auf knapp 1.200 Seiten in zwei Bänden (Band I: 579 S., Band II: 602 S., wozu mit dem Fortgang der Auflagen noch Anhänge mit Leserbriefen kamen) versammelte der Journalist Drumont nahezu alle antijüdischen Vorwürfe, Klischees, Unterstellungen und Verschwörungsmythen, die die Judenfeindschaft seit dem Mittelalter kannte. Von „Gemeinplätzen über den Juden“, mit denen der erste Band beginnt, Betrachtungen über Arier und Semiten (worunter Drumont in jedem Fall Juden, abschnittsweise jedoch auch Araber und manchmal gleich alle Muslime fasst), das Brunnenvergiften, die „Unfähigkeit des Juden, die gehobenen Künste zu verstehen“, jüdi-

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La France Juive (Édouard Drumont, 1886)

sche „Spionage“, „Kriminalität“, „Prostitution“ oder die „Immunität des Juden gegenüber der Pest“ wird das ganze Spektrum antisemitischer Agition durchdekliniert. Es folgt eine fast 400-seitige Abhandlung über den „Juden in der Geschichte Frankreichs“ von der Urzeit bis in Drumonts Gegenwart, in der neben bekannten antisemitischen Stereotypen auch zahlreiche neu erfundene Beschuldigungen stehen (z.B. sei Frankreich durch die Juden „bald dem Hungertod nahe“). Betrachtungen zum Staatsmann Léon Gambetta – „ein jüdischer Kaiser“ – schließen den ersten Band ab. Noch konfuser erscheint der zweite Band, der mit Betrachtungen zu Adolphe Crémieux (auf den das Dekret zur Verleihung der französischen Bürgerrechte an die algerischen Juden 1870 zurückgeht) und zur Stadt Paris beginnt, um schließlich in seinem umfangreichsten Teil drei „Hauptfeinde“ des Katholizismus – Freimaurer, Protestanten und Juden – abzuhandeln. Die Erstgenannten sind schon schlimm genug, doch Juden erscheinen im Licht sowohl mittelalterlich-antijudaistischer als auch modern-rassenantisemitischer Betrachtungen Drumonts als Kindermörder, Wirtschaftsbosse, die einzigen Gewinner der Französischen Revolution und letztlich als Beherrscher aller gegen Frankreich gerichteten Kräfte. Oder kurz: „Tout vient du Juif; tout revient au Juif.“ [Alles kommt vom Juden; alles geht an den Juden zurück.] Damit ist der schmale Inhalt des dickleibigen Buches erfasst, wenn man noch ergänzt, dass die von Drumont aufgedeckte Verschwörung „der Juden“ mit Freimaurern und Protestanten geheim gehalten werde. Wie kein anderes Buch markierte „La France Juive“ den Übergang des französischen Antisemitismus aus der katholisch-religiösen Tradition hin zum Rassenantisemitismus, den es gleichsam begründete. Denn wenn auch vordergründig preußischdeutsche Protestanten nicht weniger eroberungslüstern, muslimische Händler nicht weniger betrügerisch und freimaurerische Jakobiner nicht weniger staatszersetzend als „die Juden“ dargestellt wurden, waren es einzig Letztere, die alle nur denkbaren negativen Zuschreibungen auf sich vereinten und Macht genug hatten, ihre gegen Frankreich und den Katholizismus gerichtete Verschwörung durchzusetzen. Was im katholisch-nationalistisch-monarchistischen Gewand präsentiert wurde und teilweise deutliche Anleihen bei Gougenot des Mousseaux’ Werk → „Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens“ (1869) nahm, bediente sich über weite Strecken einer rein rassistischen Argumentation. So konnte Drumont „die wesentlichen Merkmale, an denen man den Juden erkennen kann“, seinen Lesern sogar aufzählen (43. Auflage, Band I, S. 34) und nannte ausschließlich physische Merkmale. Antisemitismus war hier erstmals in Frankreich zu einer Ideologie mit Anspruch auf Welterklärung geworden. Es gab in der Folge von Drumonts Buch kaum einen bedeutenden Antisemiten, der sich nicht auf „La France Juive“ bezog: In Frankreich machten von Charles Maurras über Louis Darquier de Pellepoix bis hin zu Henry Coston katholisch-traditionelle Antisemiten, NS-Kollaborateure und Holocaustleugner ihre Reverenzen an den selbsternannten „Papst des Antisemitismus“. Der Historiker Pierre Pierrard resümierte, Drumont habe wesentlich zur Anpassung des Katholizismus an den Antisemitismus beigetragen. Vor allem während der Dreyfus-Affäre, als Drumont mit seiner Zeitung → „La Libre Parole“ den Judenhass zur täglichen Lektüre anbot, sollte sich das katholisch-antisemitische Amalgam als sehr wirkmächtig erweisen.

Freiheit! (Österreich, 1895–1900)

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Weder die Kritiken (Chefredakteur Francis Magnard sprach in „Le Figaro“, 19. April 1886, von einer „crudelité enfantine“ [kindischen Grausamkeit] und den „Obsessionen“ Drumonts, der Schweizer Journalist Joseph Victor Widmann nannte es ein Buch, „das an Immoralität kaum seines gleichen findet“) noch die Verurteilung des Autors zu einer hohen Geldstrafe oder seine Forderung zu zwei Duellen konnten dem Erfolg des Werkes Abbruch tun. Der pamphletartige Schreibstil Drumonts, die reißerische Wortwahl und die wenig subtile Argumentation machten „La France Juive“ für ein breites Publikum interessant. Den Druck des Buches hatte Drumont zunächst selbst bezahlt, doch die Investition sollte sich lohnen: „La France Juive“ wurde zu einem der meistverkauften Bücher der Dritten Republik und machte seinen Autor zu einem reichen und berühmten Mann. Wie viele Exemplare verkauft wurden, lässt sich indes nur schwer schätzen. Allein für das erste Jahr schwanken die Zahlen für die französische Ausgabe zwischen 65.000 und 150.000, 1888 kam noch eine einbändige Ausgabe heraus (10 Auflagen bis 1890), insgesamt 201 Auflagen erschienen bis 1941 bei Flammarion, eine weitere 1986 im neofaschistischen Verlag Éditions du Trident, und heute wird das inzwischen rechtefreie „La France Juive“ auf zahllosen antisemitischen Webseiten weltweit in allen möglichen Sprachen zum Herunterladen angeboten. Man wird kaum zu hoch greifen, wenn man für die Gesamtauflage mehrere Millionen Exemplare annimmt. Eine deutsche Ausgabe erschien noch 1886 beim Verlag A. Deubner in Berlin. Dass die Übersetzung eines gewissen A. Gardon nicht viel taugte, tat dem Erfolg keinen Abbruch: Noch im Erscheinungsjahr brachte es „Das verjudete Frankreich“ auf vier Auflagen, 1887 kam zusätzlich zur fünften Auflage eine komprimierte einbändige deutsche Ausgabe heraus. Erst im Jahr 2000 wurde von Drumonts Grabstein auf dem Pariser Friedhof PèreLachaise die Inschrift „Autor des unsterblichen Werkes La France Juive“ entfernt.

Bjoern Weigel

Literatur Grégoire Kauffmann, Édouard Drumont, Paris 2008. Pierre Pierrard, Juifs et catholiques français. D’Édouard Drumont à Jacob Kaplan (1886– 1994), Paris 1997. Michel Winock, Edouard Drumont et Cie. Antisémitisme et fascisme en France, Paris 1982.

Francs-Maçons et Juifs → Les juifs, nos maîtres! Franz Eher Nachfolger GmbH → Eher-Verlag Freie Presse → Deutsche La Plata Zeitung

Freiheit! (Österreich, 1895–1900) Die Zeitung „Freiheit!“ war ein Periodikum, das zwischen 1895 und 1900 in Wien von Protagonisten der christlichsozialen Arbeiterbewegung in Österreich herausgegeben wurde. Ihre Gründung fiel in die Phase der Etablierung der Christlichsozialen als Massenpartei und nicht zuletzt des Konflikts um die Ernennung von Karl Lueger zum Wiener Bürgermeister. Gegründet und herausgegeben wurde die „Freiheit!“ von Leopold Kunschak, der 1892 den Christlichsozialen Arbeiterverein gegründet hatte und

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Freiheit! (Österreich, 1895–1900)

ab 1907 Mitglied des Abgeordnetenhauses, dem Unterhaus des Reichsrats der Habsburgermonarchie, war. Kunschaks gesamte politische Laufbahn war von seinem massiven Antisemitismus geprägt, zu dem er sich selbst noch Ende 1945 bekannte. Im November 1895 erschien die „Freiheit!“ zum ersten Mal als Flugblatt, das die regelmäßige Herausgabe der Zeitung ab dem 1. Januar 1896 ankündigte. Zuerst trug die Zeitung den Untertitel „Organ für die christliche Arbeiterschaft Oesterreichs“, ab 1897 den stärker auf die wahlwerbende „Christlichsoziale Partei“ verweisenden Untertitel „Central-Organ der christlich-socialen Arbeiterpartei Oesterreichs“. Ab August 1897 erschien die „Freiheit“ dreimal im Monat. Im März 1900 wurde die „Freiheit!“ umbenannt in „Christlich-sociale Arbeiterzeitung“, die nunmehr wöchentlich bis 1934 erschien. Leopold Kunschak fungierte als Herausgeber und ab 1922 als Verleger. Der christlichsoziale Antisemitismus in der Habsburgermonarchie Ende des 19. Jahrhunderts vereinigte traditionelle christliche antijüdische Topoi mit dem modernen säkularen Antisemitismus. Die Gleichzeitigkeit der Politisierung des Religiösen und Biologisierung des Sozialen diente dabei nicht nur der politischen Mobilisierung, sondern war Folie der ideologischen Deutung gesellschaftlicher Strukturen und Phänomene. Die als homogen vorgestellte Gruppe „der Juden“ wurde dabei als verantwortlich für negative oder als negativ empfundene ökonomische, politische und kulturelle Transformation betrachtet. Dieser modernisierte und explizite Antisemitismus prägte auch die inhaltlich-programmatische Ausrichtung der „Freiheit!“. Der Antisemitismus wurde in diesem Zusammenhang als Notwendigkeit und Bedingung christlich(sozial) er Politik gesehen: Zur „Vertheidigung der geistigen und materiellen Reichthümer des christlichen Volkes“ müsse „jeder ehrliche und rechtlich denkende Christ, Antisemit sein“. Dieser christlichsoziale Antisemitismus lehnte eine Konversion durch Taufe ab. Deutlich wurde dies nicht zuletzt an der oftmaligen diskursiven Verknüpfung von „christlich“ mit „arisch“ in Abgrenzung zu „jüdisch“. „Rassenantisemitismus“ wurde nur dann abgelehnt, wenn er antiklerikal motiviert war und sich gegen die Habsburgermonarchie richtete. Die einzelnen Beiträge und abgedruckten Reden christlichsozialer Protagonisten bedienten sich oftmals einer dem christlichen Antijudaismus entlehnten Terminologie und Symbolik. Der Vorwurf des Gottesmordes oder die Konstruktion der Ritualmordlegende wurden nicht zuletzt mit dem antisemitischen Topos „jüdischer Macht“ verknüpft, die das Christentum nicht nur in religiöser Hinsicht, sondern in allen sozialen Sphären bedrohen würde. Damit in Zusammenhang standen weitere zentrale Motive des Antisemitismus, nämlich die Identifikation von Juden mit kapitalistischer Ökonomie und Geldwirtschaft vermittels der konstruierten Dichotomie von „ehrlicher und christlicher“ Lohnarbeit einerseits und als jüdisch bezeichneter „raffender“ Ausbeutung andererseits. Ausdruck dieses gegenmodernen und romantischen Antikapitalismus in der christlichsozialen Arbeiterbewegung war das Idealbild einer Ständegesellschaft nach mittelalterlichem Vorbild. Antisemitismus war in diesem Zusammenhang untrennbar mit Antiliberalismus und Antisozialismus verknüpft. Sowohl Liberalismus als auch Sozialismus wurden als „jüdisch“ bzw. „verjudet“ denunziert. Die Sozialdemokratie wurde als „natürliche Tochter des Judenliberalismus“ bezeichnet und über einzelne sozialdemokratische Akteure wurde oftmals mit dem Hinweis auf ihre jüdische Herkunft oder dem antisemitischen Wortspiel „und Cohnsorten“ berichtet. Im

Der Freund Israels (Schweiz, seit 1838)

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Kampf um Wählerstimmen wurde an nichtjüdische Sozialdemokraten appelliert, sich von den „Judensoci“ zu emanzipieren. Bei ihrer Gründung wurde die „Freiheit!“ explizit als christliche Alternative zur „judenliberalen und judensocialistischen Presse“ positioniert. Die Verunglimpfung nichtantisemitischer Blätter als „jüdisch“ wurde dabei teilweise mit dem transformierten mittelalterlichen Topos der Brunnenvergiftung verbunden. Diese würde die Menschen moralisch „vergiften“ und somit die „Fundamente der christlichen Gesellschaftsordnung“ bedrohen. Antisemitismus als Abwehr gesellschaftlicher Modernisierung und kulturellen Wandels war integrales Moment des christlichsozialen Ressentiments gegen die Moderne.

Matthias Falter

Literatur Matthias Falter, Politisierung des Religiösen und Biologisierung des Politischen. Die christlichsoziale Modernisierung des Antisemitismus am Beispiel der Zeitung Freiheit (1895– 1900), in: Michael Nagel (Hrsg.), 500 Jahre Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse, Bremen 2012. Reinhard Knoll, Zur Tradition der Christlichsozialen Partei. Ihre Frühgeschichte bis zu den Reichstagswahlen 1907, Wien, Köln, Graz 1973.

Der Freund Israels (Schweiz, seit 1838) Über eineinhalb Jahrhunderte war „Der Freund Israels“ das Publikationsorgan des in Basel beheimateten judenmissionarischen Vereins der Freunde Israels, dessen Mitglieder sich neben dem schweizerischen auch aus dem süddeutschen Raum, dem Elsass und dem französischen Jura rekrutierten. Der erste Jahrgang erschien 1838. Er knüpfte an die 1834–1837 in 10 Lieferungen erschienenen „Nachrichten von der Ausbreitung des Reiches Gottes unter Israel“ an und wurde dreimal jährlich herausgegeben, ab 1874 in neuer Folge sechsmal pro Jahr. Die 1997 erfolgte Namensänderung in „Lamed. Zeitschrift für Kirche und Judentum“ nahm die sich seit den 1970er Jahren im Trägerverein manifestierenden Veränderungen von der Judenmission hin zum interreligiösen Dialog auf. War die Auflage des „Freund Israels“ anfänglich noch sehr klein (1873: 200), stieg sie nach der Umwandlung in ein an die Vereinsmitglieder versandtes Kollektenblatt stetig an. Um 1900 betrug sie 3.500 und zu Beginn der 1930er Jahre 8.000. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte die Auflage mit 22.000 ihren Höchststand, ging aber bis 1996 auf unter 8.000 zurück. Im „Ami d’Israël“ besaß die Missionszeitschrift ein in wesentlich kleinerer Auflage erscheinendes französischsprachiges Schwesterblatt, das phasenweise einer Übersetzung des „Freund Israels“ entsprach. Der amtierende Vereinsdirektor war jeweils auch der Redakteur des „Freund Israels“. Das ambivalente, christlichzentrierte „Judenbild“ des im Pietismus verwurzelten Vereins der Freunde Israels charakterisierte die Juden als Missionsobjekt, als Feindbild und Konkurrenz, aber auch als Heilsträger. Gerade die heilsgeschichtlichen Erwartungen und Projektionen waren für den Blick der biblizistisch geprägten Zeitschrift auf das Judentum von zentraler Bedeutung. Vor dem Hintergrund des auf christlichem Wahrheitsanspruch und Superioritätsdenken basierenden Missionsimpe-

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Der Freund Israels (Schweiz, seit 1838)

tus wurde zwischen „guten“, d.h. konversionswilligen, und „schlechten“, für die Mission unzugänglichen Juden unterschieden. Der „gute“ Jude war somit derjenige, der das Judentum aufgab. In diesem dichotomen „Judenbild“ bildeten judenfeindliche Diskurse einen fixen Bestandteil. Zum einen waren Diskurse einer religiös motivierten Judenfeindschaft in dieser streng konservativ-christlichen Zeitschrift häufig. So sind der Gottesmord-Vorwurf oder die Anschuldigung, „blind“ gegenüber der christlichen „Wahrheit“ oder „Gegner des Christentums“ zu sein, zahlreich. Zum anderen sind phasenweise Negativstereotypen und Feindbilder eines kulturell und sozioökonomisch argumentierenden Antisemitismus stark präsent. Die Juden wurden mit den vermeintlichen „Übeln der Moderne“ assoziiert, und ihnen wurde Macht- und Einflussstreben unterstellt, wobei insbesondere das in den Augen des Vereins „moderne“ Judentum zum Feindbild wurde. Die judenfeindliche Phase, besonders die Präsenz des kulturell und sozioökonomisch argumentierenden Antisemitismus, erstreckte sich fast ausschließlich auf die Zeit von 1874, als Johann Friedrich Carl Gottlob Heman (1839–1919) die Schriftleitung übernahm, bis zum Kriegsende 1945. Innerhalb dieser Zeitspanne war der Antisemitismus von Mitte der 1870er bis Mitte der 1890er Jahre sowie von 1933–1945 besonders intensiv, indem sich antisemitische Wellen in Deutschland im „Freund Israels“ niederschlugen. Die Präsenz antisemitischer Positionen schloss nicht aus, dass simultan andere Ausformungen von Judenfeindschaft abgelehnt wurden, vor allem dann, wenn diese das Christentum und damit die Judenmission kritisierten. Typisch für diese Hochphasen des Antisemitismus waren Diskurse eines nationalistisch aufgeladenen Antisemitismus, der die Juden als „nationale Fremdkörper“ oder als „Staat im Staate“ stigmatisierte. Diskursiv am Antisemitismus in Deutschland orientiert, wurde ein realer Konflikt zwischen „Deutschtum“ und „Judentum“ suggeriert, der den deutschen Antisemitismus im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr als verständliche Abwehrreaktion darstellte. Die Präsenz solcher Topoi verdeutlicht die übernationale Ausrichtung des Vereins auf den (protestantischen) deutschsprachigen Raum und die deutschnationalen Sympathien, vor allem der beiden langjährigen Vereinsdirektoren und Schriftleiter des „Freund Israels“, Friedrich Heman (1874–1912 Redakteur und Vereinsdirektor) und August Gerhardt (1925–1941 Redakteur und Vereinsdirektor), die die Zeitschrift in den zwei antisemitischen Hochphasen redigierten. Für die Zeit der nationalsozialistischen Judenverfolgungen fällt deren heilsgeschichtliche Verortung auf. Sie wurden vor dem Hintergrund der christentumszentrierten, biblizistischen Optik des „Freund Israels“ als Strafe und Zeichen Gottes sowie als notwendiger Schritt hin zur Bekehrung der Juden in der Endzeit gedeutet. In ihrem theologischen Korsett gefangen, verharmloste die Zeitschrift daher den Genozid am europäischen Judentum und vereinnahmte zudem das jüdische Leiden heilsgeschichtlich für das Christentum. Wiederkehrendes Element der heilsgeschichtlichen Interpretation der nationalsozialistischen Judenverfolgungen stellte der Hinweis auf den „Blutruf“ – die „Selbstverfluchung“ des jüdischen Volkes am Karfreitag (nach Mt. 27, 25) – dar. In der Nachkriegszeit löste sich „Der Freund Israels“ von seinen antijudaistischen und antisemitischen Positionen.

Thomas Metzger

Fritt Folk (Norwegen, 1936–1945)

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Literatur Sara Janner, Zwischen Machtanspruch und Autoritätsverlust. Zur Funktion von Religion und Kirchlichkeit in Politik und Selbstverständnis des konservativen alten Bürgertums im Basel des 19. Jahrhunderts, Basel 2012. Thomas Metzger, Zwischen heilsgeschichtlichen Erwartungen und Judenfeindschaft: Der judenmissionarische „Verein der Freunde Israels“ 1870 bis 1945, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 104 (2010), S. 335–363.

Fritt Folk (Norwegen, 1936–1945) Die vom 26. März 1936 bis zum 7. Mai 1945 erschienene Zeitung „Fritt Folk“ [Freies Volk] war das Hauptpresseorgan der norwegischen nationalsozialistischen Partei Nasjonal Samling. 1933 gegründet, war die Partei unter Leitung ihres „Führers“ Vidkun Quisling zunächst vom Faschismus Mussolinis inspiriert, orientierte sich aber im Verlauf der 1930er Jahre zunehmend am deutschen Nationalsozialismus. Nach der deutschen Okkupation Norwegens am 9. April 1940 und im Zuge der nationalsozialistischen „Neuordnung“ des Landes am 25. September 1940 bildete sie bis zum 8. Mai 1945 die norwegische Kollaborationsregierung. Quisling wurde am 1. Februar 1942 durch den deutschen Reichskommissar Josef Terboven zum Ministerpräsidenten ernannt. Vorläufer von „Fritt Folk“ war die Parteizeitung „Nasjonal Samling“, die zwischen 1933 und 1936 erschien. Im gleichen Zeitraum gab die Partei bis zu neun weitere Tages- und Wochenzeitungen, vor allem auf regionaler und lokaler Ebene, heraus. Die Nasjonal Samling verfügte damit frühzeitig über eine umfangreiche Parteipresse; Druck und Layout waren von hoher Qualität. Von März bis Oktober 1936 wurde „Fritt Folk“ als Tageszeitung, bis zum 30. März 1940 als Wochenzeitung und vom 1. April 1940 bis zum Ende der Besatzungszeit erneut als Tageszeitung verlegt. Die letzte Ausgabe erschien am 7. Mai 1945. Im ersten Jahr war Herlof Harstad Redakteur, von 1937 bis 1944 Arnt Rishovd und von 1944 bis zum Ende der Okkupationszeit Odd Melsom, der als ideologischer Vertreter des sozialistischen Flügels in der Nasjonal Samling in einer Reihe von Artikeln für die sozialistische Ausrichtung des Nationalsozialismus agitierte. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre unternahm die Parteiführung der Nasjonal Samling mehrere Versuche, finanzielle Unterstützung für „Fritt Folk“ vonseiten der NSDAP zu erlangen, um die Zeitung erneut als Tageszeitung ausbauen zu können und so propagandistisch einen politischen Meinungsumschwung in Norwegen zu erzielen. Bereits seit 1935 orientierte sich die Nasjonal Samling verstärkt in Richtung Nationalsozialismus und Antisemitismus. Dies kam insbesondere in der zunehmend aggressiven Parteipresse zum Ausdruck, in der antisemitische und rassistische Artikel und Kommentare deutlich zunahmen. In diesem Zusammenhang spielte besonders die Propagandamitarbeiterin und überzeugte Antisemitin Halldis Neegård Østbye eine wichtige Rolle. Während der Okkupationszeit propagierte „Fritt Folk“ vor allem für die Politik der deutschen Besatzungsmacht und der Nasjonal Samling, die nationalsozialistische „Neuordnung“ der norwegischen Gesellschaft und die Weiterführung des Krieges. Zudem machte sie mit publizistischen Ausfällen gegen die norwegische Wider-

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Gândirea (Rumänien, 1921–1944)

standsbewegung von sich reden und veröffentlichte Werbekampagnen zur Rekrutierung von norwegischen Freiwilligen für die SS. Gleichzeitig äußerte sie auch Kritik an administrativen Maßnahmen der Nasjonal Samling, insbesondere gegen Ende des Krieges. Auf deutscher Seite reagierte man mit Unmut darauf, dass „Fritt Folk“ – obwohl sie den Direktiven der Presseabteilung des Reichskommissariats unterlag – sich nicht selten über Bestimmungen und Verbote hinwegsetzte. Die Auflagenzahl von „Fritt Folk“ ist nicht genau dokumentiert, soll jedoch selten bei über 20.000 gelegen haben; eigene Angaben gehen von bis zu 100.000 aus.

Nicola Karcher

Literatur Hans Fredrik Dahl, Bernt Hagtvet, Guri Hjeltnes, Den norske nasjonalsosialismen. Nasjonal Samling 1933–1945 i tekst og bilder [Der norwegische Nationalsozialismus. Nasjonal Samling 1933–1945 in Text und Bildern], Oslo 1982. Idar Flo, Norske aviser fra A til Å [Norwegische Zeitungen von A bis Å], in: Hans Fredrik Dahl (Hrsg.), Norsk presses historie 1660–2010 [Norwegische Pressegeschichte 1660– 2010], Oslo 2010, S. 134. Nicola Karcher, Zwischen Nationalsozialismus und nordischer Gesinnung. Eine Studie zu den rechtsgerichteten Verbindungen norwegisch-deutscher Milieus in der Zwischenkriegszeit, Diss. Universität Oslo 2012. Hans-Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven. Zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, Stuttgart 1970.

Die Front → Der Eiserne Besen Für die Legionäre → Pentru legionari

Gândirea (Rumänien, 1921–1944) „Gândirea“ [Das Denken] ist von Cezar Petrescu und D. I. Cucu in Cluj gegründet worden. In den Anfangsjahren hieß die Zeitschrift „Gândirea Literară – Artistică – Socială“ [Das literarische, künstlerische und soziale Denken]. Sie erschien erstmalig am 1. Mai 1921 als literarische Beilage der ebenfalls in Cluj ansässigen „Voinţa“ [Der Wille] und war ursprünglich eine vom Modernismus und Expressionismus beeinflusste Zeitschrift. Die Redaktion der „Gândirea“ zog im Oktober 1922 nach Bukarest, wo ihr 1926 der nationalistische Theoretiker Nichifor Crainic beitrat; 1928 avancierte Crainic zum ideologischen Leiter der Zeitschrift. Mit nur zwei Unterbrechungen (1925 und 1933/34) in ihrer Publikationszeit entwickelte sich die „Gândirea“ zu einer der wichtigsten kulturellen Zeitschriften der rumänischen Zwischenkriegszeit. Nichifor Crainic (1889–1972) war Theologe. Er entwickelte eine ideologische Stoßrichtung, die nationalistische sowie neo-orthodoxe soziale und kulturelle Tendenzen vereinte. Crainic propagierte einen „rumänischen Geist“, der „in Theorie und Praxis antisemitisch“ war. Er nutzte seine theologischen Kenntnisse und rhetorischen Fähigkeiten, um die religiösen Verknüpfungen von Judentum und Christentum zu leugnen. 1934 wurde die Veröffentlichung von „Gândirea“ aufgrund von Crainics Verstrickungen in den Prozess gegen die Mörder des Premierministers Ion G. Duca verboten.

Gândirea (Rumänien, 1921–1944)

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Die Attentäter waren Mitglieder der faschistischen Bewegung Eiserne Garde, der auch Crainic nahestand. Zudem galt Crainic als geistiger Anstifter des Mordkomplottes, weshalb ihm ebenfalls der Prozess gemacht wurde und die Behörden vorübergehend seine Zeitschriften „Gândirea“ und „Calendarul“ einstellten. Der Prozess gegen Crainic endete zwar mit einem Freispruch, doch die weitere Veröffentlichung von „Calendarul“ wurde verboten. Stattdessen steckte Crainic seine Energien in die Herausgabe der Zeitschrift → „Sfarmă-Piatra“. 1935 trat Crainic, der bis dahin Vizepräsident der von Alexandru C. Cuza geführten Liga zur Christlich-Nationalen Verteidigung (Liga Apărării Naţionale Creştine) war, der National-Christlichen Partei bei. Er schied bereits 1937 wieder aus, als seine ethnokratischen Ideale von älteren Parteipolitikern zurückgewiesen wurden. In seinen Kolumnen für „Gândirea“ konzentrierte sich Crainic auf die Erläuterung seiner ethnokratischen Ideale in Verbindung mit den allgemeinen Zielen der Zeitschrift. Dazu gehörte auch die Denunziation von „fremden Elementen“ und „Minderheiteninseln“, mit besonderem Augenmerk auf die jüdischen Gemeinden Rumäniens („Juden profitieren schamlos von der Gastfreundschaft, um unsere Nation ihres historischen Erbes zu berauben“) und deren vermeintlichen Verbindungen zur politischen Führung („In ihren Äußerungen, Reden und den Taten der Regierung haben unsere Demokraten sich immer aufseiten der Eindringlinge und Fremdkörper gestellt“). Crainic schloss sich 1938 König Carols II. „Front zur Nationalen Wiedergeburt“ an. Er unterstützte auch das autoritäre Kabinett von Ion Gigurtu, wo er 1940 als Leiter des Propagandaministeriums den antisemitischen Gesetzen zustimmte. Crainic hielt im Dezember 1941 fest: „Heute ist der Judaismus am Boden. Ein glanzvoller Akt der Gerechtigkeit hat die Zeitungen Adevărul, Dimineaţa und Lupta beseitigt [1937]. Den Rest konnte ich erst 1940 erreichen, als ich in der Eigenschaft des Propagandaministers alle jüdischen Tages-, Wochenzeitungen und monatlichen Zeitschriften in Rumänien auslöschte. Das heilige Recht, für alle Rumänen zu sprechen, gehört ausschließlich den Rumänen. Wir können für die Fremden in unserem Land sprechen, denn wir sind die Herren unseres Landes.“ Nach der Wiedereingliederung Bessarabiens 1941 beteiligte sich die „Gândirea“ an der Kampagne, die die Juden für die Besetzung Bessarabiens durch die Sowjetunion im Juni 1940 verantwortlich machte. Crainic identifizierte die sowjetischen Strategien als vermeintlichen Judeo-Bolschewismus. Nach dem 23. August 1944 wurde „Gândirea“ eingestellt. Im Mai 1945 machte das Volkstribunal Crainic, als Mitglied der „faschistischen Journalisten-Gruppe“, in Abwesenheit den Prozess. Ihm wurde Anstiftung zum Rassenhass, Unterstützung des Krieges gegen die Sowjetunion und die Vertuschung der Kriegsverbrechen des Antonescu-Regimes vorgeworfen. Er wurde für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft und Zwangarbeit verurteilt; nach seiner Festnahme 1947 verbrachte er 15 Jahre in den Gefängnissen der Rumänischen Volksrepublik.

Gabriela Bădescu Übersetzung aus dem Englischen von Miriam Bistrovic

Literatur Final Report of the International Commission on the Holocaust in Romania, Bucharest 2007.

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Die Gartenlaube (1853–1944)

Zigu Ornea, Anii treizeci. Extrema dreaptă românească [Die dreißiger Jahre. Die rumänische extreme Rechte], Bucureşti 1995. Leon Volovici, Nationalist Ideology and Anti-Semitism: The Case of Romanian Intellectuals in the 1930s, Oxford 1991.

Ganz Israel bürgt füreinander → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Die Gartenlaube (1853–1944) „Die Gartenlaube“ (1853–1944, ab 1938 „Die neue Gartenlaube“) war das bekannteste und auflagenstärkste Familienblatt seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seinen immensen Erfolg verdankte es dem breiten inhaltlichen Angebot. Der Begründer, Ernst Keil (1816–1876), hatte wegen seiner liberalen Einstellung als Journalist schon im Vormärz Schwierigkeiten mit der Zensur gehabt, und die Wiedereinführung von Zensurmaßnahmen nach der gescheiterten Achtundvierziger Revolution brachte ihm 1852 aufgrund eines Verstoßes gegen das Pressegesetz eine neunmonatige Freiheitsstrafe. Im Gefängnis entwarf Keil den Plan einer Familienzeitschrift, die dem Bürgertum, das sich nach den gescheiterten Hoffnungen auf politische Veränderungen dem Wirtschaftlichen und Kulturellen zuwandte, zur „geistigen Ertüchtigung und Aufklärung wie zur Unterhaltung“ dienen sollte. Darin ersah Keil seine Gelegenheit, ein breiteres Publikum anzusprechen und gleichzeitig durch Verzicht auf politische Stellungnahmen weitere Konflikte mit den Obrigkeiten zu vermeiden. Nach seiner Freilassung erwarb Keil die Zeitschrift „Der illustrirte Dorfbarbier“ und ließ „Die Gartenlaube“ zunächst als Beilage erscheinen. Der Name „Gartenlaube“ deutete programmatisch, wie das Titelblatt, auf das Familiäre, Gemütliche und daher Unpolitische hin. Bald füllte Keil die Bildungslücken seiner Leserschaft mit einer Vielfalt von Beiträgen zu allerlei Themen: Geschichte, Kindererziehung, Kulturkritik, Literatur (vor allem Gedichte, Erzählungen und Serienromane), Naturwissenschaft, Reiseberichte und Wirtschaft. Das Blatt sollte alle Interessen ansprechen und den charakteristischen Optimismus der bürgerlichen Kultur verbreiten. Die hohen Auflagenzahlen bezeugen die breite Popularität und Reichweite der Zeitschrift. Am Ende des ersten Jahres (1853) hatte sie 5.000 Abonnenten, doch deren Zahl stieg schon 1865 auf mehr als 200.000 und 1875 auf knapp 400.000; damit erreichte das Blatt eine Leserschaft von zwei bis vier Millionen Menschen. Unter Keils Herausgeberschaft erschienen informative kulturelle Beiträge über das Judentum, welche die Hoffnungen der Juden auf Emanzipation sowie die Vorstellungen der Liberalen von deren Integration widerspiegelten, wie etwa der Artikel „Aus den vier Wänden des jüdischen Familienlebens“ (1863) von A. Franckel, oder biographische Artikel über jüdische Denker und Dichter wie Baruch Spinoza und Heinrich Heine sowie über Politiker und Unternehmer wie Eduard Lasker und die Familie Rothschild. Die Reichsgründung und die von Keil ersehnte Einigung der Deutschen unter Bismarck veränderten den Ton der „Gartenlaube“. Danach ergriff die Zeitschrift sowohl Partei gegen sogenannte Reichsfeinde wie die römisch-katholische Kirche als auch in

Das Gebot der Stunde

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einer zwölfteiligen Artikelserie zum „Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin“ von Otto Glagau gegen die Juden. Glagau, der einstige liberale Journalist, der 1873 sein ganzes Vermögen im Börsenkrach verlor, wollte in der Artikelserie die Verantwortlichen entlarven, und er nutzte dazu wegen ihrer hohen Auflage die „Gartenlaube“. Wie Glagau selbst berichtete, erschien Keil schon Ende 1874 der erste Beitrag unter dem Titel „Zur Einleitung“ zu scharf, und er befürchtete, dass die Fortsetzungen noch schärfer ausfallen würden. Schließlich wollte Keil eher „belehren, aber nicht erbittern und beleidigen“. Lesermeldungen nach dem ersten Aufsatz gaben ihm Anlass, seine eigene Meinung zu Glagaus Beitrag zu erläutern, was dieser als Dementi empfand. Die beiden versöhnten sich jedoch, und als die weiteren Beiträge folgten, wunderte sich Keil, dass eine negativere Reaktion in der Presse ausblieb. Obwohl der Ton in dem mit einem Vorwort versehenen Nachdruck der Artikelreihe 1876 unmissverständlich antisemitisch gefärbt war, wo Glagau u. a. behauptet hatte, dass 90 Prozent der Börsianer Juden seien, richtete sich der Angriff eher gegen die Gründer an sich, und die Identifizierung dieser als Juden geschah weitgehend durch die Verwendung stereotypisch klingender jüdischer Namen. Glagau habe Keil zuliebe auch direkte Anspielungen auf das Judentum sowie abfällige Ausdrücke wie „Schmu“ oder „koscher“ gestrichen oder gemäßigt. Nach dem Tode Keils 1878 leitete Ernst Ziel die Redaktion der „Gartenlaube“, bis der Verleger Adolf Kröner 1884 die Zeitschrift übernahm und bis 1904 weiterführte. Durch den Verlust des Altliberalen Keil sowie die generelle Abkehr vom wirtschaftlichen Liberalismus gegen Ende der 1870er Jahre geriet die „Gartenlaube“, wie auch andere Zeitschriften und Zeitungen, auf eine nationalistisch-konservative Bahn. Die Zahl ihrer Abonnenten ging darauf allmählich zurück. 1904 kaufte der rechtsnationale Verleger August Scherl die „Gartenlaube“, die Alfred Hugenberg 1916 schließlich in seinen Medienkonzern eingliederte. Ab 1938 führte das Blatt den Titel „Die neue Gartenlaube“, 1944 wurde es eingestellt.

Matthew Lange

Literatur Kirsten Belgum, Popularizing the Nation. Audience, Representation, and the Production of Identity in „Die Gartenlaube“, 1853–1900, Lincoln 1998. Henry Wassermann, Jews and Judaism in the Gartenlaube, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute XXIII (1978), S. 47–60. Daniela Weiland, Otto Glagau und „Der Kulturkämpfer“. Zur Entstehung des modernen Antisemitismus im frühen Kaiserreich, Berlin 2004. Frank John Zaremba, Die Gartenlaube. A Study of a German Middle Class Family Journal, Dissertation, Rutgers University 1974.

Das Gebot der Stunde → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

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Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert (Jan van Helsing, 1993)

Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert (Jan van Helsing, 1993) „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ ist ein von Jan Udo Holey unter dem Pseudonym Jan van Helsing 1993 im Ewert-Verlag Meppen publiziertes Buch, in dem antisemitische Verschwörungstheorien vertreten werden. Holey, der am 22. März 1967 in Deutschland geboren wurde, verbreitet in seinem Buch obskure Verschwörungstheorien, in deren Kern er eine jüdische Weltverschwörung eines Geheimbundes, der sich „Illuminati“ nennt, sieht. Diese „Illuminati“ sind nach Holey eine jüdisch-freimaurerische Elite, die mittels Banken und Wirtschaftskonzernen die Weltwirtschaft beherrscht. Als Drahtzieher nennt Holey in seinem Buch immer wieder die Familie Rothschild, die laut seinen Angaben beispielsweise beide Seiten des amerikanischen Bürgerkriegs finanziert habe, um daraus Vorteile zu erzielen. Die Familie Rothschild, so Holey weiter, habe direkten Kontakt zu Luzifer und werde von den „Illuminati“ als Gottheit in Menschenform verehrt. Ziel der „Illuminati“ sei es, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der die Menschheit versklavt werden soll. Zu diesem Zweck, so Holey, wurde bereits der Zweite Weltkrieg angezettelt, ein Dritter solle folgen. Als Beweis der jüdischen Weltverschwörung führt Holey die längst als Fälschung enttarnten → „Protokolle der Weisen von Zion“ an. Die „Weisen von Zion“ waren laut Holey wiederum ein Zusammenschluss von „reichen jüdischen Rabbinern, die die religiösen und politischen Führer des zerschlagenen jüdischen Volkes waren“. Holey nimmt in seinem Buch immer wieder Anleihen bei Rechtsextremisten wie Dieter Rüggeberg, William Cooper oder Gary Allen ebenso wie bei Antisemiten wie William Guy Carr und der Britin Nesta Webster. Er versucht in seinen Büchern einen wissenschaftlichen Stil vorzutäuschen, ohne seine Angaben tatsächlich wissenschaftlich belegen zu können. Vielmehr stellt sein Buch eine Zusammenführung von bereits vorhandenen, ebenso obskuren und teils antisemitischen Werken dar. So nennt er z. B. die amerikanische Wochenzeitung „The Spotlight“, die das Sprachrohr der antisemitischen und rassistischen „Liberty Lobby“ war, eine „einigermaßen unabhängige Zeitung“. Auch die Zeitschrift „Code“, in der der Holocaust geleugnet wurde, führt Holey als Quelle an. Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg reihte Holeys Bücher 1996 in den Bereich „rechtsextremistische Einflussnahme auf die Esoterik-Szene“. Das Amtsgericht Mannheim ordnete im Mai 1996 die Beschlagnahme von „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ an und erhob im September 1996 Anklage wegen Volksverhetzung. In der Anklageschrift wurde Holeys Buch als „durchgängig antisemitische Schrift“ beschrieben. Tatsächlich gleichen die antisemitischen Verschwörungstheorien Holeys jenen der Nationalsozialisten. Über die Anklage gegen ihn verfasste Holey ein eigenes Buch, in dem er diese als Teil einer Verschwörung gegen seine Person deutet und sich damit selbst zum Opfer stilisiert. Trotz der Beschlagnahmung wurde das von Holey verfasste Buch „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ ins Französische, ins Englische und ins Rumänische übersetzt und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. In der französischsprachigen Schweiz beispielsweise wird Holeys Schrift von Aldo Ferraglia ver-

Die Geißel der Welt (Oskar Liskowsky, 1936)

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trieben. Dieser wurde bereits wegen des Vertriebes eines von Roger Garaudy verfassten Buches, das den Holocaust leugnet, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Holey selbst leugnet jede Verbindung zum Antisemitismus, wie auch zum Rechtsextremismus. Der Inhalt von Holeys Buch zeigt das Gegenteil. So betont er gleich anfangs, dass Juden ihren alttestamentarischen Vater nicht „Jahwe“, sondern vielmehr „El Schaddai“, also Satan, nannten. Im entsprechenden Kontext, den Holey in seinem Buch liefert, bedienen solche Aussagen antisemitische Argumentationsmuster. Gleichzeitig wird eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben, wenn Holey nochmals auf diese Thematik zu sprechen kommt und die rhetorische Frage stellt, warum Hitler denn gerade gegen die Juden vorging, und als Antwort das alttestamentarische El-Schaddai-Zitat liefert. Auch die Betonung „des jüdischen“ bei Personen ist ein klassisches antisemitisches Muster. So verwendet er dieses, wenn er z. B. Karl Marx „den Juden Moses Mordechai Marx Levi“ nennt. Holey folgt in seinem Buch dem klassischen antisemitischen Motiv der „jüdischen Weltverschwörung“ und bringt dies in Zusammenhang mit esoterischen Themen wie UFOs, Wiedergeburt, germanische Mythologie. Er gibt vor, das Treiben der wirklich Mächtigen, die sich hinter Politik, Kultur, Wirtschaft und Finanzwelt verbergen und vermeintlich die Geschicke von Völkern und Nationen lenken, aufzudecken. Das Gefährliche an Holeys Schrift ist einerseits die pseudowissenschaftliche Popularisierung und gleichzeitig die Verharmlosung des Antisemitismus mit Tendenzen zur Leugnung des Holocaust. Holey kann der rechtsextremen und antisemitischen Esoterik zugerechnet werden. Gerade in Zeiten, in denen ein zunehmendes Interesse an Esoterik beobachtbar und gleichzeitig eine Abwendung von der herkömmlichen, von Parteien getragenen Politik festzustellen ist, können Schriften wie jene Holeys eine negative Repolitisierung und einen diffusen Hass bewirken.

Christian Pape

Literatur Wolfgang Benz, Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007. Friedrich Paul Heller, Anton Maegerle, Die Sprache des Hasses. Rechtsextremismus und völkische Esoterik – Jan van Helsing, Horst Mahler ..., Stuttgart 2001. Wolfgang Wipperman, Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute, Berlin 2007.

Geheimnisse der Weisen von Zion → Protokolle der Weisen von Zion

Die Geißel der Welt (Oskar Liskowsky, 1936) Das Buch „Die Geißel der Welt. Juda auf verlorenem Posten“ erschien 1936 im Deutschen Verlag für Politik und Wirtschaft Berlin als zweite Folge der Reihe „Deutschlands Kampf um die abendländische Kultur“ (1933/1934: Auflage 350.000 Exemplare), Berlin 1936. Verfasser war Dr. Oskar Liskowsky (1901–1954), ein Mitarbeiter von Hans Hinkel, dem Sonderbeauftragten von Reichsminister Goebbels zur Überwachung der „geistigen und kulturellen Tätigkeit von Juden und Nichtariern“. Hinkel schrieb eine Einführung für das Buch. Die Schrift gliedert sich in sechs Kapitel und

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Die Geißel der Welt (Oskar Liskowsky, 1936)

verfügt über einen statistischen Anhang. Im ersten Abschnitt „Jüdische Überfremdung des deutschen Volkslebens“ behauptet Liskowsky, dass die „jüdische Rasse“ die Herrschaft in Deutschland übernehmen wolle. Er verbindet mit den Juden eine „Krankheit“, einen moralisch verdorbenen sowie femininen Charakter und körperliche Schwäche bzw. „degenerative Minderwertigkeit“. Ein Beispiel dafür, wie Juden durch „destruktive Philosophie“ die deutschen Sitten, den deutschen Charakter, den Glauben sowie die Ehre von innen heraus zerstören wollen, ist für Liskowsky Kurt Tucholsky, der Soldaten als Mörder bezeichnet hatte. In den folgenden Kapiteln versuchte der Autor zu beweisen, dass Juden bewusst Deutschland unterwanderten, um ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Ausgangspunkt ist der Marxismus, wobei er Karl Marx als Juden diffamiert, der die homogenen „Organismen der Volkskörper“ durch den Klassenkampf zerreiße und somit dafür sorge, dass sich Verräter gegen Deutschland, das nur noch eine Provinz der jüdischen Internationalen sei, verschworen hätten. Ferner beschreibt Liskowsky, dass Marx’ Ideen die bolschewistische Revolution ausgelöst hätten und man deshalb von einem jüdischen Bolschewismus sprechen sollte. Dieser habe die Weltherrschaft durch eine Weltrevolution als Ziel. Die heimliche Weltregierung tagte vermeintlich in Moskau, denn von dort aus wurde die Komintern geleitet, die einem Plan folgte: Zuerst wurde eine „Weltrevolution der Farbigen“ ausgerufen, die sich gegen die „weißen Europäer“ zur Wehr setzten; es folgten Klassen- und Lohnkämpfe. Die Komintern habe auf der ganzen Welt Agenten, welche die Revolution vorbereiten sollten. Liskowsky versuchte im vierten Kapitel zu zeigen, dass „Weltjudentum und Weltkommunismus“ zusammengehörten. Er verdeutlichte durch mehrere Beispiele, dass die Juden für ihn eine eigene „Rasse“ seien, die die Weltherrschaft anstrebten. Die Zukunft Europas sei bereits besiegelt, wenn nicht Adolf Hitler das Treiben durchschaut hätte; denn nichts anderes als eine „asiatische Herrschaft“ über das Abendland drohe. Perfiderweise legitimierte Liskowsky die nationalsozialistische Machtausübung seit 1933 als Reaktion auf die „bolschewistisch-jüdische […] Weltgefahr“. Der Autor betonte, dass der Bolschewismus im Gegensatz zum Nationalsozialismus militant und gewalttätig sei, während in Deutschland seit 1933 versucht werde, der Armut entgegenzuwirken und friedlich gegen die Überfremdung vorzugehen. Der „Arierparagraph“ sowie die Nürnberger Rassegesetze waren für Liskowsy eine notwendige Maßnahme, um Deutschland davor zu schützen, ins Verderben zu stürzen. Die „deutsche Rasse“, so argumentiert Liskowsky, hat nämlich keine oben beschriebenen Merkmale, sondern ist Ausdruck der Reinheit und Überlegenheit. Andere Nationen sollten sich laut dem Schriftsteller die deutsche Lösung der „Judenfrage“ vor Augen halten, denn es herrsche keineswegs ein „Judenhass“. Vielmehr wolle Deutschland weiterhin eine eigenständige Nation sein. Deshalb lehne man auch die Demokratie oder Parlamente ab, um im Einklang zu leben. Deutschland wird von Liskowsky als diejenige Nation stilisiert, die das Abendland gegen die „asiatischen Horden“, das Weltjudentum, verteidigt, um eine neue Völkerwanderung zu verhindern. Wenn nötig, bekräftigt Liskowsky, wird bis zum letzten Mann gegen den „jüdischen Bolschewismus“ gekämpft. Das gesamte Werk ist als eine ideologischen Implikationen folgende, von bewussten Geschichklitterungen ausgehende, infame Hetzschrift zu deuten.

Germania (1871–1938)

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Im Anhang (Die Juden in Deutschland im Spiegel der Statistik) wird auf diffamierende Art und Weise gezeigt, in welchen Bereichen Juden in Deutschland, Europa sowie der ganzen Welt Macht hätten. Vor allem der Einfluss auf die Wirtschaft, akademische Berufe (Ärzte, Rechtsanwälte, etc.) und auf Kulturschaffende (Theater, Schriftsteller, Maler, etc.) wurde als schädlich dargestellt; es gebe kaum jüdische Arbeiter („Der Jude meidet Handarbeit!“). Immer wieder wird im Buch, das typisch für die nationalsozialistische Propaganda war, hervorgehoben, dass eine kleine jüdische Elite alles steuere. Explizit Bezug genommen wird auf das Werk „Die Juden in Deutschland“, das vom „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ 1935 in Berlin herausgegeben wurde.

Claus Oberhauser

Literatur Jürgen Elvert, Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918–1945), Stuttgart 1999. Herbert S. Levine, A Jewish Collaborator in Nazi Germany: The Strange Career of Georg Kareski, 1933–37, in: Central European History 8 (1975), 3, S. 251–281.

Germanentum, Christentum → Christentum und Judentum

Germania (1871–1938) Der Name dieser am 1. Januar 1871 erstmals erschienenen Abendzeitung wagte einen Spagat: „Germania. Zeitung für das katholische Volk“. Lag in „Germania“ ein nationalistisches Bekenntnis zu Deutschland während des offiziell noch laufenden Krieges mit Frankreich, stellte der Untertitel „für das katholische Volk“ die konfessionalistische Nähe zur katholischen Bevölkerungsminderheit her. Die Zeitung war von einem Komitee Berliner Katholiken um Friedrich von Kehler, zugleich Mitbegründer der Zentrumspartei, lanciert worden. Ursprünglich sollten die lokalen Bedürfnisse der katholischen Diaspora in Berlin bedient werden, doch die Zeitung entwickelte sich rasch zum inoffiziellen Zentralorgan der Zentrumspartei. Der erste Chefredakteur Friedrich Pilgram wurde schon im März 1871 vom schlesischen Kaplan Paul Majunke abgelöst, einem militanten Streiter für katholische Rechte im Kulturkampf, seit 1874 Reichstagsabgeordneter für das Zentrum und Mitarbeiter der → „Historisch-politischen Blätter“ für das katholische Deutschland. Allein während des Kulturkampfes zeichneten elf verschiedene Redakteure für die „Germania“ verantwortlich, darunter auch Christoph Cremer. 1878 übernahm Adolf Franz von Majunke die leitende Redaktion. Seit 1881 erschien die Zeitung auch morgens. Ihre Auflage von 8.000 während des Kulturkampfes – bei einer angenommenen Leserschaft von 20.000 – sank bis 1891 auf unter 3.000, vervielfachte sich aber bis 1931 auf 43.000. Besonders den Kulturkampf begleitete die „Germania“ immer wieder mit antisemitischen Tönen. Nachdem die konservative → „Kreuzzeitung“ aus protestantischer Warte den Kulturkampf in einer Artikelserie zwischen Ende Juni und Anfang Juli 1875 als „jüdisch“ gebrandmarkt hatte, führte die „Germania“ unter der Redaktion Cremers den Feldzug gegen den „Ungeist“ des jüdischen Kulturkampfes von August

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Germania (1871–1938)

bis Dezember fort, ermuntert durch antisemitische Zuschriften. Im August 1875 rief sie ihre Leser dazu auf, weitere Berichte einzuschicken, die von dem „Haß“ der Juden gegen das Christentum, ihrem Wucher und ihren „Orgien“ zeugten. Ausdrücklich erwartete die „Zeitung für das katholische Volk“ vom „Arbeiter, Handwerker und Bauersmann“ bessere Ideen zur „Judenfrage“ als von „manchen Gelehrten und Gebildeten“. Die Artikelserie „Zur Judenfrage“ brachte alle antisemitischen Argumente der Zeit vor, vom Antitalmudismus über den antiliberal-antiwirtschaftlich-antikulturkämpferischen Komplex bis hin zu rassistischen Anklängen. Vor allem forderte das Zentrumsblatt, den falschen Kampf von der katholischen Kirche weg auf die Juden umzulenken: „Der wahre ‚Culturkampf’ [...] gegen den Christentum und deutsches Wesen bedrohenden jüdischen Geist [...] ist dringend notwendig geworden und glücklicherweise auch schon weithin populär.“ Das Publikum war, wie Leserbriefe zeigen, gespalten: Manche waren hoch zufrieden und verlangten eine noch härtere Gangart; anderen mangelte es an „christlicher Liebe“. Während der „Antisemitendebatte“ im Preußischen Abgeordnetenhaus im November 1880, als über die Antisemitenpetition und Ausnahmeregeln für Juden diskutiert wurde, tadelte die „Germania“ den Zentrumsführer Ludwig Windthorst für seine tolerante Haltung gegenüber den Juden, die keineswegs repräsentativ für die katholischen Parlamentarier und die katholische öffentliche Meinung war. In den Diskussionen der Weimarer Republik über die „Ostjudenfrage“ und die von Nationalsozialisten vereinnahmte Ritualmordlegende folgte die „Germania“ insgesamt der Linie der katholischen Presse, die den gewalttätigen und Radauantisemitismus wie auch einen übertriebenen und rassistischen Antisemitismus eindeutig ablehnte. Im Januar 1924 schrieb sie: „Die Zentrumsleute dürften durchweg auf dem Standpunkte stehen, daß man ihretwegen die jüdischen Wucherer ruhig aufknüpfen möge, aber die ‚christlichen’ und ‚arischen’ und ‚völkischen’ auch, und zwar noch einen Ast höher, weil sie sich einbilden besser zu sein als die jüdischen. Wogegen das Zentrum aber sich wendet, ist dies: daß man die jüdische Rasse bekämpft, als sei sie die Trägerin des Kapitalismus [...]. Bekämpft man den Geist des Kapitalismus, dann macht das Zentrum mit, nicht aber den Kampf gegen eine Rasse.“ Den Aufstieg der NSDAP nahm die Zeitung, wie andere auch, erst nach den Septemberwahlen 1930 ernst. Wenn sie über „Hakenkreuz und Sowjetstern“ schrieb, malte sie den Bolschewismus eindeutig als die größere Gefahr aus. Die „Germania“, im Juli 1933 gleichgeschaltet, erschien bis 1938.

Olaf Blaschke

Literatur Amine Haase, Katholische Presse und die Judenfrage. Inhaltsanalyse katholischer Periodika am Ende des 19. Jahrhunderts, München 1975. Walter Hannot, Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 1923–1933, Mainz 1990. Klaus Martin Stiegler, Germania (1871–1938), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach 1972. Leo Woerl, Die Publicistik der Gegenwart. Eine Rundschau über die gesammte Presse der Welt, 6 Hefte, Würzburg 1879–1881.

Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815)

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Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815) Saul Ascher (1767–1822), Sohn aus einer assimilierten bürgerlichen jüdischen Familie, war eine zentrale Gestalt im publizistischen Meinungsstreit um die Emanzipation der Juden und die deutsch-nationalistische, antifranzösische und antisemitische Deutschtumsideologie. Seine Frankophilie, seine Verehrung Napoleons, sein Kampf gegen Antisemitismus und gegen die gesellschaftliche Diskriminierung der Juden waren vielen Nationalisten, wie beispielsweise Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Rühs und Ernst Moritz Arndt ein Dorn im Auge. Als sich Fichte bereits 1793 mit ausgesprochen judenfeindlichen Anschauungen zu Wort meldete, erkannte Ascher in ihnen die neue Form einer politischen, sich zudem noch philosophisch und rational begründet gebenden Judenfeindschaft, sodass er sich als Sechsundzwanzigjähriger mit der Streitschrift „Eisenmenger der Zweite“ (1794) gegen den berühmten Philosophieprofessor wandte, den er mit Johann Andreas Eisenmenger, „dem Ahnherrn der Judenfeinde“, verglich. Zwei Jahrzehnte später nahm Ascher den Kampf gegen die nationalistischen Judenfeinde erneut auf, als er sich 1815 mit seiner 40-seitigen Schrift „Die Germanomanie“ gegen die „Germanomanen“, namentlich Fichte, Arndt, Friedrich Ludwig Jahn, Adam Müller und vor allem Rühs, wandte, wobei er die größte Gefahr in der Identifizierung von Deutschtum und Christentum sah, da dies Juden aus der Nation grundsätzlich ausschloss. Der Spätaufklärer Ascher schildert in seiner Schrift zunächst die durch die Französische Revolution ausgelösten, von ihm als progressiv eingeschätzten geistigen Entwicklungen, wobei die Philosophen und Intellektuellen des deutschen Idealismus zunächst lebhafte Anhänger der Ideen und Grundsätze der Revolution waren, aber nach der blutigen Wendung der Revolution und den napoleonischen Kriegen eine nationale Wende vollzogen hätten und nunmehr eine „Idee der Deutschheit“ verträten. Die für die gesamte Menschheit geltenden Ideen der Französischen Revolution über Religion, Vaterland und Recht bekamen nach Ascher bei den nationalistischen Denkern jetzt ein eigenes Gepräge, wonach sie in einer spezifischen Fassung nur für die Deutschen gelten sollten. Diese Gemütsverfassung nannte er „Germanomanie“, mit der die „Germanomanen“ ein Gegengewicht zur Gallomanie schaffen wollten, um das „Joch der gallischen Tyrannei“ abzuschütteln. Die deutschsprachige Nation, die sich unter dem Einfluss des Auslandes fast aufgelöst hatte, sollte durch die Idee der Deutschheit zur Freiheit, Einheit und Selbstständigkeit gebracht werden. Die Germanomanen sahen in der religiösen Spaltung des Landes das größte Hindernis und entwickelten laut Ascher ein dem Katholizismus angenähertes, protestantisches Christentum, in dem letztlich Christentum und Deutschheit untrennbar zu einem „deutschen Christentum“ oder einer „christlichen Deutschheit“ verschmolzen. Durch diese Identität von Deutschtum und Christentum wurden die Juden aus der Nation ausgeschlossen, ja sie wurden als „Hindernis für den Fortschritt des gesteigerten Christentums betrachtet“. Ascher verweist auf Fichte und seine Schüler und Verehrer, die schon früher gegen das Judentum und die Juden losgestürmt seien. Da die Juden weder Christen noch Deutsche seien, könnten sie nach Auffassung der Deutschtümler auch nie Deutsche werden, ja seien „der Deutschheit entgegengesetzt“ und könnten allenfalls mit Einschränkungen unter den Deutschen geduldet werden. Ascher wirft

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Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815)

den Germanomanen vor, ihre Grundsätze in Broschüren und Pamphleten sowie in Vereinigungen wie dem „deutschen Tugendbund“ und der „deutschen christlichen Gesellschaft“ zu verbreiten. Um das Feuer der Begeisterung für ihre Überzeugungen zu schüren, bräuchten sie Brennstoff. „In dem Häuflein Juden wollten unsere Germanomanen erste Bündel Reiser zur Verbreitung der Flamme des Fanatismus hinlegen.“ Sie blieben aber nicht bei den Juden stehen, sondern wollten nun auch alles Französische und Englische aus der deutschen Nation ausscheiden. Für den Feudalismuskritiker Ascher wollten sie das Mittelalter mit seinem „Pfaffengeist“ und Feudalismus wiederaufleben lassen und würden ein fanatisches katholisierendes Denken vertreten, das gegenüber dem realen einen idealen Katholizismus propagierte und damit den besonnenen Protestantismus zu verdrängen suche. Dieser Enthusiasmus für den idealen Katholizismus wollte nun der eigenen Nation eine Sonderstellung einräumen, indem nun „Deutschland, deutsches Volk, deutsche Sitte und deutsche Gemütlichkeit“ von ihnen als das Höchste und Würdigste herausgestellt wurde. Diese Denker würden die Errungenschaften der europäischen Kultur und Sitte abschütteln wollen, um die Identität des echten Deutschtums wiederherzustellen. Ascher wirft den gelehrten Germanomanen vor, die tatsächlichen Verhältnisse in dem politisch, religiös und in seinen Interessen zersplitterten Deutschland nicht wahrzunehmen und – statt darin einen Mangel der Politik zu sehen – mit ihren Entwürfen in höheren Regionen ohne festen Boden zu schweben. Ascher fragt schließlich, was „diese Fanatiker“ im Eifer ihrer Germanomanie eigentlich mit ihrem Kreuzzug gegen alles Undeutsche und Ausländische bezweckten, und ob es nicht andere Mittel gebe, dass Deutschland seine Eigenheit und Selbstständigkeit erhalten könne. Gegenüber der Irrealität der politischen Vorstellungen der Germanomanen lobt Ascher die Regierungen dafür, dass sie sich von diesen Ideen nicht hätten beeinflussen lassen, sondern nach dem Sieg über Napoleon Realpolitik auf dem Boden des Staatsrechts betrieben. Damit machte sich Ascher die deutschen Nationalisten zum Feind, da diese ja gegen die restaurativen Kräfte der Fürsten auf eine freiheitliche Verfassung und nationale Einigung setzten. Ascher verweist demgegenüber darauf, dass man in staatsrechtlicher Hinsicht die Idee der Menschheit vertrete und diese nicht mehr in Rassen oder Stämme einteile. Die Abgeschlossenheit der Nationen, die die Germanomanen mit ihrer Propagierung eines „deutschen Urvolkes“ mit „deutscher Ursprache“ im Sinn hätten, gehöre auf eine frühere historische Entwicklungsstufe und negiere, was die Deutschen von ihren Nachbarn im Laufe der Jahrhunderte gelernt hätten. Erst im letzten Teil seines Werkes kommt Ascher auf den eigentlichen Zweck seiner Schrift zu sprechen, indem er nämlich auf die Folgen dieses neuen deutschen Patriotismus und der Deutschheit für die Juden hinweisen will. Konkret setzt er an einem antisemitischen Aufsatz des Philosophieprofessors Friedrich Rühs aus dem Jahre 1815 an (→ Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht), der zwar seiner Meinung nach nichts Neues für oder gegen die Juden sagte, aber ganz in der Denkungsart der Germanomanen, die auf den philosophischen Systemen Fichtes und Schellings basiere, geschrieben sei. Damit mischte sich Ascher in den seit Anfang 1815 tobenden „Federkrieg“ ein, den die Schrift von Rühs zwischen Gegnern und Befürwortern der Judenemanzipation ausgelöst hatte. Rühs lehnte es in dieser Schrift ab,

Die Germanomanie (Saul Ascher, 1815)

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den Juden das Bürgerrecht zu verleihen, was er damit begründete, dass diese dann aufhören müssten, Juden zu sein, da sich die Einheit eines Volkes nicht politisch über eine Verfassung herstelle, sondern durch ein „Zusammenwachsen aller seiner Eigentümlichkeiten“, durch gleiche Gesinnung, Sprache, Glauben und Verfassung. Ascher fragt sich, wie ein Jude oder Franzose als Individuum aufhören könnte, Jude oder Franzose zu sein, um ganz und gar Deutscher zu werden. Rühs bediene sich zur Ablehnung des Bürgerrechts für Juden der alten Argumente der Judengegner, etwa dass diese einen „Staat im Staate“ bildeten oder dass die jüdische Religion in der Beobachtung der Zeremonialgesetze bestehe – eine Auffassung des Judentums, die Ascher selbst 1792 gegen Moses Mendelssohn in seiner Schrift „Leviathan oder über Religion in Rücksicht des Judentums“ angegriffen hatte, indem er Offenbarung und Ritualgesetz voneinander trennte. Ascher kritisiert die Vorschläge, die Rühs für eine kommende deutsche Reichsverfassung aufstellte, in der das Verhältnis von Juden zu den Deutschen genau bestimmt werden sollte, in der eine Vermehrung durch Einwanderung verhindert und den Juden der Übergang zum Christentum, eine Vorbedingung ihrer Umbildung zu Deutschen, erleichtert werden sollte, während sie vom Kriegsdienst ausgeschlossen bleiben sollten, als germanomanisch und verweist ironisch darauf, dass auch die alten Deutschen des Tacitus keine Christen gewesen seien. Nachdem Ascher die germanomanischen Ideen von Rühs dargestellt und mit rationalen Argumenten kritisiert hat, schließt er mit der rhetorischen Frage, ob diese Denkungsart „die Grundsätze hegt, welche sowohl dem Geiste der Zeit überhaupt als dem Fortschritt der Menschenbildung entgegenstehen und noch ein Verdienst darin suchen, ihn mit solchem kecken Ernst zu höhnen“. Er sah in dieser voraufklärerischen Haltung einen gefährlichen historischen Rückschritt der Romantiker. Ascher betont, er habe der lesenden Welt einen ersten Umriss der germanomanischen Idee geben wollen, der spätere Denker vielleicht einmal in der Galerie der „deutschen Verirrungen“ neben der Gallomanie und Anglomanie eine würdige Stelle zuweisen würden. Mit dieser Schrift machte sich Ascher die „Deutschtümler“ zu Feinden, und beim Wartburgfest am 18. Oktober 1817 wurde sie zusammen mit Schriften der politischen Reaktion durch deutschnationale Studenten verbrannt, begleitet von dem Spruch „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wollen über unser Volkstum schmähen“. Ascher kommentierte diesen Vorgang 1818 in einer weiteren Schrift „Die Wartburgfeier. Mit Hinsicht auf Deutschlands religiöse und politische Stimmung“, in der er das Heraufkommen eines „protestantischen Papsttums“ im Sinne einer „geschlossenen Kirche“ voraussah, in der ein bloßer Glaube herrschen, Vernunft und Freiheit aber ausgeschlossen sein sollten. Dieser Glaube verbände sich mit der Idee des Deutschtums unter Ausschluss alles Fremden. In einem wahren nationalistischen „Paroxysmus“ hätten sich die Deutschtümler an die Spitze aller Völker gestellt.

Werner Bergmann

Literatur Saul Ascher, Vier Flugschriften, hrsg. von Peter Hacks, Berlin 1991. Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln, Weimar, Wien 2000. Walter Grab, Saul Ascher. Ein jüdisch-deutscher Spätaufklärer zwischen Revolution und Restauration, in: Walter Grab, Radikale Lebensläufe, Berlin 1980, S. 73–103.

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Germany must perish (Theodore N. Kaufman, 1941)

Germany must perish (Theodore N. Kaufman, 1941) Unter dem Titel „Germany must perish“ erschien Anfang 1941 in New York eine Broschüre, in der die Aufteilung Deutschlands an die Nachbarstaaten und die biologische Ausrottung der Deutschen durch Sterilisierung propagiert wurde. Verfasser war Theodore N. Kaufman, der das Büchlein auch selbst verlegte und vertrieb. Der nationalsozialistischen Propaganda war die Geschichte hochwillkommen, sie wurde im → „Völkischen Beobachter“ (24. Juli 1941) in großer Aufmachung zu einem „ungeheuerlichen jüdischen Vernichtungsprogramm“ hochstilisiert. Der Verfasser sei ein enger Mitarbeiter des US-Präsidenten Roosevelt, der die Hauptthesen des Buches persönlich inspiriert und diktiert habe. Die ganze NS-Presse beschäftigte sich ausführlich mit dem Pamphlet und brachte Auszüge, in denen „die letzten Ziele der jüdischen Politik gegenüber Deutschland“ enthüllt wurden. Das Reichspropagandaministerium publizierte im September 1941 eine Broschüre in Millionenauflage, in der bewiesen werden sollte, daß Kaufman „kein namenloser Einzelgänger, kein vom Weltjudentum abgelehnter Fanatiker, kein geisteskranker Sonderling“ sei. Aber der angebliche Roosevelt-Intimus und „Präsident der amerikanischen Friedensliga“ war nichts anderes als ein unbekannter kleiner Mann, der Theaterkarten verkaufte und ganz aus eigenem Antrieb handelte. Die amerikanische Öffentlichkeit lehnte seine abstrusen Ideen entrüstet ab. So war es in einem Artikel im US-Magazin „Time“ zu lesen, der einzigen größeren Würdigung, die der „KaufmanPlan“ fand. Der Beamte im Goebbels-Ministerium, der die „Zusammenhänge“ erfunden hat, kannte diesen Artikel wohl, aber er verdrehte ihn ins Gegenteil. Bewiesen werden musste ja, dass „die Juden“ die Vernichtung der Deutschen propagierten, dass sich das Deutsche Reich also in einer Situation der Notwehr befinde, wenn es Juden verfolge. Dass Deutschland von Vernichtungsplänen bedroht sei, spielte in der Durchhaltepropaganda im Zweiten Weltkrieg eine große Rolle. Goebbels stellte am 27. Mai 1944 im „Völkischen Beobachter“ „Beweise“ für den „Vernichtungswillen der Alliierten“ zusammen und zitierte unter anderen eine Londoner Zeitung: „Wir sind dafür, jedes in Deutschland lebende Lebewesen auszurotten: Mann, Frau, Kind, Vogel und Insekt. Wir würden keinen Grashalm wachsen lassen.“ Und in der nationalsozialistischen Berichterstattung über die Jalta-Konferenz im Februar 1945 hieß es: „Es wächst die Erkenntnis, daß Deutschland genannt, aber Europa gemeint ist, daß nach Auslöschung des deutschen Volkes der Kontinent seine feste Mitte verlieren und der schrankenlosen Willkür der Bolschewisten überantwortet wäre.“ Benützten die NS-Propagandisten die Vernichtungsfantasien zur Stärkung des Durchhaltewillens, so dienen sie Neonazis und Apologeten des NS-Staats bis zum heutigen Tag dazu, um vom Holocaust abzulenken und die Schuld am Völkermord den Opfern zuzuweisen. Für die Behauptung, das planmäßige Vernichtungsprogramm des NS-Regimes gegen die Juden sei ein Akt der Notwehr gewesen, bildet der „Kaufman-Plan“ das wichtigste Indiz. Paul Rassinier, ein Goebbels-Epigone, grub 1963 die Schrift Theodore N. Kaufmans wieder aus, um zu beweisen, daß „die Juden“ an allem schuld sind, andere Rechtsradikale folgten ihm. Heinz Roth brachte 1970 den Morgenthau-Plan und den Kaufman-Plan in einen inneren Zusammenhang mit der Wannseekonferenz, bei der am 20. Januar 1942 deutscherseits „keine Ausrottung“, sondern

Das Gesetz des Nomadentums (Adolf Wahrmund, 1887)

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„Auswanderung“ der Juden vorgesehen gewesen sei. Die Juden seien also schlimmer als die Deutschen gewesen, legt der Autor nahe. In den 1980 veröffentlichten Erinnerungen Adolf Eichmanns wird dann auch die Judenvernichtung auf die „Provokation Kaufmans“ zurückgeführt. Für die rechtsextremistische Propaganda ist der Kaufman-Plan offenbar unentbehrlich. 1977 erschien erstmals eine Übersetzung in deutscher Sprache, im Frühjahr 1983 waren in der rechtsextremen „National-Zeitung“ (→ Deutsche Soldaten– und Nationalzeitung) unter der Überschrift „Holocaust-Verbrechen gegen Deutschland – Die Pläne zur Ausrottung unseres Volkes“ Auszüge aus dem Pamphlet zu lesen, garniert mit längst widerlegten Legenden und Lügen über seine Entstehung, die im GoebbelsMinisterium erfunden worden waren. Der „Kaufman-Plan“ wird seither auf der rechtsextremen Szene und darüber hinaus häufig zitiert, um den Holocaust zu relativieren.

Wolfgang Benz

Literatur Wolfgang Benz, Judenvernichtung aus Notwehr? Die Legenden um Theodore N. Kaufman, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29 (1981), S. 615–630.

Das Gesetz des Nomadentums (Adolf Wahrmund, 1887) Die Bedeutung dieses zu den Klassikern der Judenfeindschaft am Ende des 19. Jahrhunderts gehörenden Textes liegt in der Kombination antisemitischer und orientwissenschaftlicher Figuren. Sein Verfasser Adolf Wahrmund (1827–1913) war ein renommierter deutsch-österreichischer Orientalist mit dem Schwerpunkt neuarabische Philologie. Seit den 1880er Jahren tat sich Wahrmund als Verfasser judenfeindlicher Publikationen hervor. 1882 erschien seine Schrift „Babylonierthum, Judenthum und Christenthum“ im renommierten Brockhaus Verlag (Leipzig). Darin behauptete er u. a., die Juden hätten ihre wesentliche Prägung durch die antiken Punier bzw. Phönizier erhalten und die jüdische Religion sei aus dem babylonischen Heidentum hervorgegangen. Auffällig an diesen Ausführungen ist vor allem die in Fußnoten dokumentierte Vertrautheit mit der zeitgenössischen Forschung zur Geschichte des Alten Orients. Das 1887 im antisemitischen H. Reuther Verlag (Karlsruhe) erscheinende Pamphlet „Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft“ hingegen verzichtet weitgehend auf wissenschaftliches Instrumentarium wie Fußnoten. Wenn auch kaum vom Inhalt, so fällt die spätere Publikation vom Stil her deutlich radikaler aus. Hauptgegenstand sind die Gefahren des „Asiatismus“ und „Nomadismus“ für Europa. Im Anschluss an tradierte Ängste gegenüber nomadischen Lebensformen fungiert der „Nomadismus“ bei Wahrmund als ewiger Gegenpol zur menschlichen Kultur: „Die Nomadenherrschaft verödet die Stätten der Kultur und verwandelt die Erde in eine Wüste.“ Das entscheidende Moment besteht in der Koppelung des Nomadismus an bestimmte Völker: Während Sesshaftigkeit, Bauerntum, Staatlichkeit und Kultur durch die „Arier“ repräsentiert werden, bindet er den Nomadismus unmittelbar an den „Semitismus“. Die Assoziation des Jüdischen mit dem Nomadischen gehört zwar zu den tradierten Topoi des Antisemitismus. Wahrmund jedoch versucht die Dichotomi-

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Der Giftpilz (Ernst Hiemer, 1938)

sierung von sesshaften Ariern und nomadischen Semiten durch Rückgriff auf die zeitgenössische orientwissenschaftliche Literatur zu begründen. In diesem Sinne stellt er die arabischen Beduinen als „eigentlichen Urkern des Semitismus“ dar und verweist dabei sowohl auf den mittelalterlichen arabischen Historiker Ibn-Chaldun als auch auf zeitgenössische Orientalisten und Forschungsreisende. Anders als in anderen judenfeindlichen Publikationen der Zeit schließt der Begriff „Semiten“ bei Wahrmund also explizit die Araber mit ein. Dass er die Juden dennoch von den Arabern unterscheidet, liegt an der Assoziation der Juden mit den Puniern bzw. Phönikern. Erst von den phönikischen Kanaanäern nämlich hätten die semitischen Hebräer ihre einschlägige „Erziehung oder Schulung zu Handels- oder Kaufleuten“ erhalten. Folglich hält Wahrmund resümierend fest, „der Jude“ sei ein „punitisierter Nomade“. Der Schwerpunkt des Pamphletes liegt indes auf den religionshistorischen Ausführungen. Im Anschluss an seinerzeit geläufige Gegenüberstellungen zwischen arischen und semitischen Religionen beschreibt Wahrmund einen furchterregenden nomadischen „Wüstengott“. Anders aber als etwa Ernest Renan, will er die semitische „Wüstenreligion“ nicht als monotheistisch, sondern als „ausschließenden Henotheismus“ verstanden wissen (das Attribut eines wahrhaft „umfassenden Monotheismus“ behält er den arischen Religionen vor, zu denen er auch das Christentum zählt). In diesem Sinne verberge sich hinter dem jüdischen Jahwe wie dem muslimischen Allah „der altsemitische Nomadengott“, der seine Anhänger regelmäßig zum Heiligen Krieg gegen die übrige Menschheit aufhetze. Trotz dieser ausdrücklichen Gleichsetzung werden indes auch gewichtige Differenzen – etwa in der Kriegsführung – zwischen Judentum und Islam vorgenommen, die die Juden als gefährlicher für Europa erscheinen lassen als die Muslime. Ein resümierendes Schlusskapitel handelt von den Möglichkeiten einer „Ausscheidung dieser jüdischen Nomaden aus unserer Mitte“. Auch hier erweist sich Wahrmund als äußerst radikal und denkt offen die physische Vernichtung in Form einer zu veranlassenden „Selbstausrottung“ der Juden an. Er plädiert schließlich für „Deportationen großer Gruppen“ europäischer Juden. Wahrmunds Text hat erheblichen Einfluss auf die antisemitische Literatur um 1900 ausgeübt. Zu nennen wären hier Houston Stewart Chamberlain, Theodor Fritsch sowie Willibald Hentschel. Nicht zuletzt wegen der expliziten Identifizierungen von Juden und Arabern bzw. von Judentum und Islam scheint der Text zudem exemplarisch ein Ineinanderlaufen antisemitischer und „orientalistischer“ Figuren (im Sinne Edward Saids) zum Ausdruck zu bringen. Die bei Wahrmund eingeführten gewichtigen Differenzierungen weisen jedoch zugleich auf die Komplexität dieses Verhältnisses und die Grenzen entsprechender Vergleiche hin.

Felix Wiedemann

Die Gesundheitsführung. Ziel und Weg → Ziel und Weg

Der Giftpilz (Ernst Hiemer, 1938) 1938 erschien im Stürmer-Verlag eines der auflagenstärksten (70.000) Kinderbücher des Nationalsozialismus. Der Verfasser Ernst Hiemer war Schriftsteller und Lehrer

Der Giftpilz (Ernst Hiemer, 1938)

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und arbeitete von 1938 bis 1942 für die Wochenzeitung → „Der Stürmer“, für die er als Hauptschriftleiter zahlreiche antisemitische Hetzartikel schrieb. Das mit zahlreichen Bildern versehene Werk beginnt mit einem Gespräch zwischen einer deutschen Mutter und ihrem Kind, die im Wald Pilze sammeln. „Wie die Giftpilze oft schwer von den guten Pilzen zu unterscheiden sind, so ist es oft sehr schwer, die Juden als Gauner und Verbrecher zu erkennen.“ Die Mutter erklärt: „Wie ein einziger Pilz eine ganze Familie töten kann, so kann ein einzelner Jud ein ganzes Dorf, eine ganze Stadt, sogar ein ganzes Volk zerstören.“ Dann fragt sie ihr Kind, ob es denn Bescheid wisse und ihr Sohn versichert, in der Schule würden die Lehrer die Wahrheit über „den jüdischen Giftpilz“ erzählen. Die Lehrer erklärten ihnen, „was der Jude wirklich ist: Der Teufel in Menschengestalt!“ Das Buch besteht aus einzelnen Geschichten, in denen Kinder ihren Eltern aus der Schule berichten und die die „Verworfenheit und Niederträchtigkeit der jüdischen Rasse“ aufdecken. In einer Geschichte lernen die Kinder die angeblichen äußeren Merkmale des Juden kennen: Hakennase, aufgeblasene Lippen, fleischige, dicke Augenbrauen, abstehende Ohren, verlauste Bärte, kurze, krumme Beine und Augen, an denen man erkennen könne, „daß der Jude von falscher, hinterlistiger Art ist“. Jedes Kapitel endet mit einem Vers, der zusammenfasst, wie schlecht der Jude ist. In der Geschichte „Was ist der Talmud“ begleitet der Leser den dreizehnjährigen Solly, Sohn eines jüdischen Viehhändlers, in die Synagoge, wo dieser im Talmud, dem „geheime[n] Gesetzbuch der Juden“ liest: „Arbeit ist Gift, ist nicht zu erledigen“ und „Die Nichtjuden sind geschaffen um den Juden zu dienen, sie müssen bebauen, Graben, Säen, Ernten, Sieben und Mahlen. Die Juden sind geschaffen um alles fertig zu bekommen.“ Der Rabbiner weist Solly auf weitere Stellen im Talmud hin, die besagen „Es ist für Juden verboten ihre Brüder zu betrügen, bei Nichtjuden ist es erlaubt.“ Und „Schrecken aller Nationen o Juda! Erhebt eure Hände gegen die Nichtjuden. Hetzt ihren Zorn heraus, und lasst ihn gegen sie selber strömen! Zerschlagt die Prinzen, die Feinde der Juden sind!“ Die kleine Anne erzählt in der Geschichte „Warum lassen sich Juden taufen“, dass „genausowenig wie ein Neger durch die Taufe Deutscher“ ein Jude durch die Taufe zum Nichtjuden werden könne. Sie zitiert einen Vers: „Wenn ein Jude von einem Priester getauft werden will, dann sei auf der Hut, denn der Jude bleibt Jude von der Seele und vom Blut. Taufwasser hilft nicht im geringsten. Das macht den Juden nicht besser! Er ist ein Teufel auf Lebenszeit, und das währt für die Ewigkeit.“ Das ist eine „kindgerechte“ Variante der Rasseideologie. Weitere Geschichten handeln davon „Wie ein deutscher Bauer von Haus und Hof geleitet wird, Wie jüdische Händler betrügen“, sie greifen Vorurteile auf, die Juden würden Kinder entführen, ihre deutschen Angestellten schlecht behandeln und als Rechtsanwälte ihre Mandanten hereinlegen. Eine Geschichte hat das Schächten der Tiere zum Thema, der kleine Kurt erklärt dazu: „Ja, die Juden sind ein mörderisches Volk. Mit der selben Brutalität und blutigen Lust, mit der sie Tiere töten, morden sie auch Menschen. Hast Du je von Ritualität gehört? Bei solch einem Ereignis töten die Juden Jungen und Mädchen, Männer und Frauen. Sie sind Teufel in menschlicher Form.“ Hier wird die Legende vom Ritualmord aufgegriffen.

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Gli ebrei in Italia (Paolo Orano, 1937)

In der letzten Geschichte „Ohne die Lösung der Judenfrage gibt es keine Rettung der Menschheit“ kommen einige Pimpfe zu Wort, die voller Stolz ihre Uniformen tragen und zu einem Vortrag von Julius Streicher gehen. Sie sind von seiner Botschaft überzeugt, die Judenfrage müsse endgültig geklärt werden. Mit dem Vers „Die Welt erwacht in Juda`s Ketten. Deutschland alleine kann sie retten. Deutsches Denken und Deutsch sein, wird einst die ganze Welt befrein. Sieg Heil!“ endet das Buch. Angereichert waren die Geschichten mit Bildern des Zeichners und Dekorateurs Philipp Rupprecht, dem als „Fips“ bekannten Illustrator des „Stürmers“. Mit seinen aggressiven Beispielen und den Vergleichen von Juden mit Parasiten, Giftpilzen und dem Teufel ist der „Giftpilz“ ein Beispiel, wie bereits Zehn- bis Zwölfjährige darauf fixiert wurden, das „Judenproblem“ sei nur radikal zu lösen und Juden müssten immer und überall bekämpft werden, da sie ein Übel und eine ernste Gefahr für alle Deutschen darstellten. Diese antisemitische Kinderliteratur trug mit dazu bei, dass die Juden aus der Gesellschaft entfremdet und ausgestoßen wurden.

Angelika Benz

Literatur Hans Maas, Verführung der Unschuldigen: Beispiele judenfeindlicher Kinderliteratur im 3. Reich, Karlsruhe 1990.

Gli ebrei in Italia (Paolo Orano, 1937) Trotz einer ersten antisemitischen Kampagne im faschistischen Italien im Jahr 1926 pflegte Mussolini weiterhin Kontakte mit Vertretern der internationalen zionistischen Bewegung. Auch unterhielt Italien gute bilaterale Beziehungen mit Großbritannien, dem der Völkerbund das Mandat über Palästina erteilt hatte. Obgleich 1928 eine neue Welle antisemitischer Propaganda durch das faschistische Italien gegangen war, nahm das Land nach 1933 bereitwillig jüdische Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland auf. Nach diesen diversen Volten in der Frage des Antisemitismus näherte sich Mussolini im Jahr 1936 an das nationalsozialistische Deutschland an. Im Inneren versuchte er eine, wie es in der Sprache des Faschismus hieß, totalitäre Herrschaft zu errichten, und im Frühjahr des kommenden Jahres setzte eine erneute, fortan nicht wieder unterbrochene antisemitische Kampagne in Italien ein. Auslöser dieses Kampfes gegen die italienischen Juden war die im März 1937 erschienene Schrift des einflussreichen faschistischen Journalisten, Politikers und Wissenschaftlers Paolo Orano „Die Juden in Italien“ (Gli ebrei in Italia). Schon der Titel zeigt an, dass sich die neue antisemitische Kampagne nicht mehr nur, wie noch die Wellen der 1920er Jahre, gegen das angeblich internationale jüdische Finanzkapital, das jüdische Freimaurerwesen oder die Weltverschwörung der Juden richtete, sondern konkret auf die in Italien lebenden Juden zielte. Orano ging es vor allem darum, die Feinde des totalitären, faschistischen Italien zu demaskieren. Als besonders bedrohlich erschienen ihm die „ebrei ebraizzanti“, die „judaisierenden Juden“, jene, die ein eigenes jüdisches Selbstverständnis und ein kollektives Bewusstsein jenseits der überlieferten religiösen Riten entwickelt hatten. Was ihn empörte, war nicht nur deren angeblich doppelte oder zwiespältige Loyalität, sondern auch, dass sie sich für die aus

Gli ebrei in Italia (Paolo Orano, 1937)

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dem nationalsozialistischen Deutschland in das faschistische Italien geflohenen deutschen Juden einsetzten, die Politik Hitlers kritisierten und gegen die Allianz der beiden Diktaturen protestierten. Mit seinen Anklagen konzentrierte sich Orano, ohne in seiner Schrift auf die überlieferten antisemitischen Gemeinplätze zu verzichten, vor allem auf zwei Gruppen unter den italienischen Juden: erstens die italienischen Zionisten und zweitens die faschistischen Juden. Den italienischen Zionisten warf Orano vor, den britischen Imperialismus im Nahen Osten zu unterstützen und sich damit gegen die Interessen Italiens zu stellen. Die faschistischen Juden wiederum beschuldigte er, trotz aller Bekundungen von Ergebenheit gegenüber Mussolini und dem faschistischen Staat keinen wahren Patriotismus zu empfinden. Er warf ihnen vor, nicht als Faschisten, sondern als Juden zu sprechen und forderte sie auf, sich von den antifaschistischen Juden im In- und Ausland unmissverständlich zu distanzieren. Loyalität gegenüber Mussolini, so ermahnte Orano die Juden in der faschistischen Partei, hieße im Zeichen der Achse zugleich Loyalität gegenüber Hitler. Bemerkenswerterweise verwendete Orano in diesem nur ein Jahr vor den italienischen Rassegesetzen erschienenen Buch die Sprache des Rassismus nicht. Zwar tauchte das Wort Rasse gelegentlich auf, aber weder verwendete Orano einen biologisch-sozialdarwinistischen noch einen kulturanthropologischen Begriff von Rasse. Vielmehr griff er auf sein bereits 1895 erschienenes religionsgeschichtliches Pamphlet zurück, in dem er einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Judentum und Christentum konstruierte und das Judentum als eine passive, das Christentum hingegen als eine aktive Religion bestimmte. Neben einer Reihe von historischen Betrachtungen, etwa über den christlichen Charakter des römischen Imperiums oder die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492, attackierte Orano in seiner Schrift immer wieder auch konkret Juden aus der aktuellen Politik Italiens wie den Bürgermeister von Rom Ernesto Nathan oder den Ministerpräsidenten Luigi Luzzatti. Auch griff er seinen einstigen jüdischen Weggefährten aus der frühen nationalistischen Bewegung Raffaele Ottolenghi als Romantiker des Judentums scharf an und warf ihm vor, nichts als ein Nostalgiker der antiken Geschichte seines Stammes zu sein. Auch für die beiden entscheidenden Angriffsziele, die jüdischen Zionisten und die faschistischen Juden, wählte Orano konkrete Personen. Für die jüdischen Zionisten bezog er sich auf den Rabbiner und Sekretär des Bundes der Zionisten in Italien Dante Lattes, und für die Juden in der faschistischen Bewegung griff er Ettore Ovazza, den Herausgeber der Zeitschrift der faschistischen Juden „La nostra bandiera“ scharf an. In den italienisch-jüdischen Zeitschriften wurde das Buch scharf kritisiert, und Ettore Ovazza antwortete mit einer eigenen Gegenschrift. Gleichwohl waren die Juden in Italien durch das Buch von Orano äußerst beunruhigt, zumal es schon im Dezember in zweiter Auflage erschien und in der faschistischen Presse weite Beachtung und große Zustimmung gefunden hatte. Auch hieß es, die Schrift sei unmittelbar von Mussolini in Auftrag gegeben worden. Mussolini selbst allerdings erklärte, er stimme mit der Position Oranos nicht überein, auch äußerte er Bedenken gegenüber der positiven Kritik in der faschistischen Zeitung „Il popolo d’Italia“. Das Thema müsse, so erklärte Mussolini, auf rassischer, und nicht wie bei Orano auf politischer oder religiöser Ebene behandelt werden.

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Glöß-Verlag (1882–1903)

Im selben Monat, in dem Oranos „Die Juden in Italien“ erschien, veröffentlichte Telesio Interlandi in der Zeitschrift „Il Tevere“ einen rassenantisemitischen Artikel, in dem er die Idee der Reinheit der Rasse und des Blutes propagierte, jene Konzepte, die im folgenden Jahr unmittelbar in die Formulierung der italienischen Rassegesetze eingingen.

Ulrich Wyrwa

Literatur Kilian Bartikowski, Lateinische Feldzüge. Paolo Orano als Wegbereiter der Judenfeindschaft im italienischen Faschismus, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 13 (2004), S. 51–65. Anselmo Calò, Stampa e propaganda antisemita del Regime Fascista. Primadelle leggi razziali, in: Francesco del Canuto (Hrsg.), Israel – „Un decennio“ 1974–1978. Saggi sull’Ebraismo italiano, Roma 1984, S. 115–163. Renzo De Felice, Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo, Torino 1961. Meir Michaelis, Mussolini and the Jews. German-Italian Relations and the Jewish Question in Italy 1922–1945, London, Oxford 1978. Michele Sarfatti, The Jews in Mussolini's Italy. From equality to persecution, Madison/Wisconsin 2006.

Glöß-Verlag (1882–1903) Der Dresdner Verlag Glöß, ansässig in der Pirnaischen Straße unweit des Stadtzentrums, zählte in den 1890er Jahren zu den bedeutendsten Publikationsorten für völkisch-antisemitisches Schrifttum in Deutschland. Dem Verlag waren eine Druckerei und eine Buchhandlung angeschlossen. Alleiniger Eigentümer des Unternehmens war seit 1882 der Kaufmann Ferdinand Woldemar Glöß, der für den antisemitischen Dresdner Reformverein dem Stadtrat angehörte. Zunächst machte der Verlag durch Abdrucke der Schriften österreichischer Antisemiten, wie des Wiener Pfarrers Joseph Deckert, auf sich aufmerksam. Anfang der 1890er Jahre publizierten mit Hermann Ahlwardt, Max Bewer und Julius Langbehn drei namhafte Größen des deutschen Antisemitismus bei Glöß. Die drei Autoren zeichneten sich durch eine radikale Judenfeindlichkeit aus, in die völkische, antikonservative, antiliberale, verschwörungstheoretische und bei Langbehn und Bewer auch katholische Elemente einflossen. In den → „Judenflinten-Broschüren“ (1892) unterstellte Ahlwardt der Gewehrfabrik Ludwig Loewe, als Teil einer jüdisch-französischen Verschwörung fehlerhafte Waffen an das Heer zu liefern. Die Pamphlete erlebten 32 Auflagen und wurden 100.000 Mal verkauft. Großes öffentliches Aufsehen erregten ebenso Max Bewers Bismarck-Schriften, die die Entlassung des Reichskanzlers durch Wilhelm II. kritisierten und dahinter jüdische Machenschaften witterten. Für die ebenfalls bei Glöß erschienene Karikaturenserie → „Politische Bilderbogen“ (1892– 1901) verfasste Bewer die Begleittexte. Mit ihren paranoiden Verschwörungstheorien und apokalyptischen Gewaltfantasien weisen die Bilderbogen einen radauantisemitischen Radikalismus auf, der im Kaiserreich insgesamt noch untypisch war. Auf den Einfluss Bewers dürfte der Wechsel des Kulturphilosophen Julius Langbehn vom Leipziger Verlag Hirschfeld zu Glöß zurückzuführen sein. Damit verbunden war eine

Göta Lejon (Schweden, 1890–1891)

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deutliche Radikalisierung des Antisemitismus in den Neuauflagen von Langbehns kulturkritischem Bestseller → „Rembrandt als Erzieher“ (1. Aufl. 1890). Langbehns Hauptwerk wurde auch außerhalb der völkischen Bewegung über einen langen Zeitraum hinweg rezipiert und kontrovers diskutiert. Das Buch erlebte innerhalb von zwei Jahren 39 Auflagen, und bis 1945 wurden 250.000 Exemplare verkauft. Neben den genannten auflagenstarken Werken erschienen bei Glöß zahlreiche weitere politische und literarische Schriften von Ahlwardt, Bewer und Langbehn, deren Leserschaft aber auf kleine völkische Zirkel beschränkt blieb. Glöß’ Publikationen wurden häufig zum Gegenstand von Beleidigungs- und Verleumdungsprozessen, in die Ahlwardt, Bewer, Langbehn und Glöß als Angeklagte oder Zeugen verwickelt wurden. Neben der Beleidigung des Judentums und jüdischer Personen des öffentlichen Lebens ging es auch um die Verächtlichmachung des Reichskanzlers Caprivi (in den „Politischen Bilderbogen“), falsche Anschuldigungen (im Fall Loewe) und den Vorwurf der Pornographie (gegen Langbehn). Das juristische Vorgehen gegen Glöß und seine Autoren offenbart exemplarisch das Dilemma einer Strafverfolgungspraxis, die sich an der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung und nicht am Minderheitenschutz orientierte. Zweimal wurde der Verleger zu Geldstrafen wegen der Darstellung des Reichskanzlers Caprivi als „Judengünstling“ verurteilt, während gleichzeitig die Kollektivbeleidigung aller Juden unbeanstandet blieb. Während die radauantisemitischen Tiraden Bewers, soweit bekannt, nicht strafrechtlich verfolgt wurden, musste Ahlwardt mehrmonatige Gefängnisstrafen verbüßen, weil er in seinen Reden und Schriften neben den Juden auch staatliche Institutionen verunglimpft hatte. Die Tätigkeit des Verlags wurde durch die Prozesse kaum behindert. Glöß nutzte die juristische Verfolgung sogar, um für seine Druckerzeugnisse zu werben. 1903 verkaufte Ferdinand Woldemar Glöß den Verlag. 1912 erwarb Langbehns Biograph Benedikt Momme Nissen die Rechte an einigen Werken Langbehns und Bewers. Ein Verlagsarchiv existiert nicht.

Thomas Gräfe

Literatur Thomas Gräfe, Antisemitismus in Gesellschaft und Karikatur des Kaiserreichs. Glöß’ Politische Bilderbogen 1892–1901, Norderstedt 2005. Christoph Jahr, Antisemitismus vor Gericht. Debatten über die juristische Ahndung judenfeindlicher Agitation in Deutschland (1879–1960), Frankfurt am Main 2011. Matthias Piefel, Antisemitismus und völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879– 1914, Göttingen 2004. Justus H. Ulbricht, Das völkische Verlagswesen im Kaiserreich, in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1996, S. 277–301.

Göta Lejon (Schweden, 1890–1891) „Göta Lejon“ [„Der Löwe Götalands“], benannt nach dem Wappentier des Göteborger Stadtwappens und des schwedischen Großen Staatswappens, war eine konservative Göteborger Wochenzeitung mit antisemitischen Inhalten und eines der frühesten Foren für einen „modernen“, ideologischen Antisemitismus in Schweden. Sie erschien

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Le Goglu (Kanada, 1929–1933)

nur in einem kurzen Zeitraum vom 2. August 1890 bis 17. Januar 1891 jeweils samstags mit einem Umfang von vier Seiten im zeittypischen Großformat. Über die Auflage der Zeitung liegen keine Zahlen vor, die fortdauernden finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens deuten jedoch auf einen nur mäßigen Verkaufserfolg hin. „Göta Lejon“ ging aus Kreisen um die 1888 gegründete konservative Tageszeitung „Göteborgs Aftonblad“ hervor, nachdem es dort im Mai 1889 zu heftigen Auseinandersetzungen um die Eigentumsverhältnisse an dem Unternehmen gekommen war. Als Herausgeber des „Göta Lejon“ fungierte Niklas (Nils) Ekstam, der zuvor bereits Mitarbeiter der moderat konservativen „Göteborgs-Posten“ gewesen war. Wichtigster redaktioneller Mitarbeiter war allerdings der Publizist und Volksschullehrer Mauritz Rydgren, der später als Verfasser antisemitischer Schriften und Herausgeber der Zeitung → „Uplands-Posten“ hervortreten sollte. Die Zeitung war als preisgünstiges, regionales Nachrichtenorgan konzipiert. Den größten Teil ihres Inhalts machten daher lokale Nachrichten und allgemeine in- und ausländische Meldungen aus. In ihren redaktionellen Beiträgen propagierte sie ein konservatives Programm nationaler Bewahrung, das wesentlich auf der Vorstellung einer idealen Symbiose zwischen schwedischem Volk, königlicher Autorität und lutherischer Kirche beruhte. Als Ursache für den angeblichen Verfall dieser Gesellschaftsordnung identifizierte „Göta Lejon“ eine jüdische Verschwörung mit dem Ziel der Entchristlichung und Demoralisierung der Gesellschaft, während eine jüdisch kontrollierte Presse das schwedische Publikum über diese Zusammenhänge im Unklaren lasse. Inhalte und Semantiken des Antisemitismus in „Göta Lejon“ lassen eine enge Anlehnung an deutsche Vorbilder vermuten, wobei die Argumentation der Zeitung überwiegend in christlichen Bahnen blieb. Bereits in einer der ersten Ausgaben der Zeitung publizierte Rydgren einen Aufruf zur Gründung des antisemitischen Vereins Fosterländska Förening [Vaterländischer Verein] und rief zur Sammlung von Adressen jüdischer Firmen in Schweden auf. Die Zahl der Leser des „Göta Lejon“ und die Anhängerschaft der „Fosterländska Förening“ ist schwer einzuschätzen. Die fortdauernden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Zeitung deuten aber darauf hin, dass ihre Reichweite überschaubar blieb. Erstaunlicherweise wurde „Göta Lejon“ nach mehreren Wechseln der Druckerei auch im Betrieb des jüdischen Unternehmers Knut Felix Bonnier hergestellt. Als die Zeitung in Zahlungsverzug geriet, stoppte Bonnier am 20. Dezember 1890 ihre Produktion und behielt die Titelvignette ein. Trotz kurzfristiger Unterstützung durch die Druckerei des konservativen „Göteborgs Aftonblad“ musste „Göta Lejon“ nach nur fünf weiteren Ausgaben ihr Erscheinen zum 17. Januar 1891 endgültig einstellen.

Christoph Leiska

Goethe und die Juden → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Le Goglu (Kanada, 1929–1933) Die Wochenzeitung „Le Goglu“ wurde von Adrien Arcand und Joseph Ménard veröffentlicht. Unter dem Hauptautor Arcand wandelte sich die Zeitung von einem konser-

Le Goglu (Kanada, 1929–1933)

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vativen Satireblatt zu einem antisemitischen Hetzblatt und Sprachrohr des Ordre Patriotique des Goglus. Die Erstausgabe von „Le Goglu“ erschien am 8. August 1929. Zum Stückpreis von fünf Cents kam die achtseitige Zeitung jeden Freitag in den Verkauf. Alle Artikel waren mit dem Pseudonym „Émile Goglu“ gezeichnet. Im ersten Halbjahr finanzierte sich „Le Goglu“ überwiegend durch eine stetig wachsende Zahl von Anzeigen von Zahnärzten, Ärzten, Versicherungen, Apothekern, einem Theater und Einzelhändlern. „Le Goglu“ hatte einen konservativen Grundton und lieferte inhaltlich weitgehend satirische Beiträge wie etwa eine regelmäßige fiktive Kriminal-Meldung auf der Titelseite, die als eine Parodie auf die gängigen Skandalblätter gedacht war. Zahlreiche politische Karikaturen unterstützten den satirischen Charakter der Zeitung. Spöttische Attacken richteten sich überwiegend gegen den „La Presse“-Verleger Pamphille du Tremblay, der Arcand entlassen hatte, sowie gegen Mitglieder der liberalen Regierung. Wegen seiner aggressiven Angriffe auf Personen des öffentlichen Lebens wurde „Le Goglu“ wiederholt verklagt, u. a. vom Landwirtschaftsminister Joseph-Léonide Perron und dem stellvertretenden Justizminister Charles Lanctôt. „Le Goglu“ propagierte das angeblich gesunde Landleben und kontrastierte es zu dem Stadtleben voller Krankheiten und moralischer Versuchungen. Über die Höhe der Auflage von „Le Goglu“ existieren keine gesicherten Zahlen, da Arcands und Ménards Angaben stets vage oder offensichtlich übertrieben waren. Die Zeitung wurde überwiegend in der Stadt gelesen, aber zirkulierte auch auf dem Land. Es ist davon auszugehen, dass die Leserschaft zahlreicher war als die Höhe der verkauften Auflage. Parallel zu „Le Goglu“ veröffentlichten Arcand und Ménard die seriösere Sonntagszeitung „Le Miroir“ (Dezember 1929 – März 1933) und „Le Chameau“ (März 1930 – November 1931). Mit Einbruch der Depression in der franko-kanadischen Gesellschaft wandelte sich „Le Goglu“ ab Frühjahr 1930 von einem Satire-Magazin zu einer Zeitung mit klar formulierter politischer Agenda. Am 21. Februar 1930 kündigte „Le Goglu“ das erste Treffen des Ordre Patriotique des Goglus in Québec City an. Wegen eines am 4. April 1930 verabschiedeten Gesetzes, das den Juden Montréals die Errichtung eines eigenen Schulsystems ermöglichen sollte, verfasste Adrien Arcand erstmals eine Reihe explizit antisemitischer Artikel in „Le Goglu“. Es folgte die Konzentration auf eine fast ausschließlich antisemitische Thematik. So wurden etwa Hitlers Stimmenzuwachs bei den Wahlen 1932 euphorisch gefeiert, ebenso wie die wachsende Gewalt der Nationalsozialisten gegen deutsche Juden. Die Cartoons erhielten nach und nach antisemitische Inhalte. Mit der Radikalisierung von „Le Goglu“ blieben immer mehr gewerbliche Anzeigen aus, was dazu führte, dass die Zeitung ab Mai 1930 aktiv Wahlkampf für den konservativen Oppositionsführer Richard B. Bennett betrieb, der dafür „Le Goglu“ finanziell unterstützte. Die Konservative Partei stattete die Verleger bis März 1933 mit unregelmäßigen Zahlungen aus, was zeitweise die Haupteinnahmequelle von „Le Goglu“ darstellte. Drei Feuer, die 1930, 1931 und 1933 in Ménards Druckerei ausgebrochen waren, sowie zahlreiche Gerichtsprozesse hatten „Le Goglu“ zusätzlich finanziell geschwächt. Mit dem Ende der finanziellen Unterstützung von Bennetts Partei

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Grabert-Verlag (seit 1974)

stellten Arcand und Ménard auf dessen dringenden Rat das Erscheinen von „Le Goglu“ mit der letzten Ausgabe am 10. März 1933 ein.

Hans Strömsdörfer

Literatur Lita-Rose Betcherman, The swastika and the maple leaf: fascist movements in Canada in the thirties, Toronto 1975. Jean-François Nadeau, The Canadian Führer: the life of Adrien Arcand, Toronto 2011. Martin Robin, Shades of right: nativist and fascist politics in Canada 1920–1940, Toronto 1992. David Rome, Clouds in the thirties: on antisemitism in Canada, 1929–1939, Montréal 1977–1978.

Goldene Ratten und rothe Mäuse → Antisemitische Hefte

Grabert-Verlag (seit 1974) Der Grabert-Verlag mit Sitz in Tübingen, der nach seinem Gründer Herbert Grabert (1901–1978) benannt ist und heute unter Leitung von dessen Sohn Wigbert Grabert (geb. 1941) steht, gehört zu den traditionsreichen und marktführenden rechtsextremen Verlagen in Deutschland. Er ging aus dem 1953 begründeten Verlag der „Deutschen Hochschullehrerzeitung“ hervor. Seitdem hat er alle Konjunkturen des Rechtsextremismus überdauert. Das umfangreiche Programm umfasst vor allem Veröffentlichungen zu zeitgeschichtlichen Themen, die nach Ansicht des Verlags durch das „einseitige Geschichtsbild der Sieger“ geprägt würden und deshalb einer „Korrektur“ bedürften. Dabei gibt der Verlag insbesondere Geschichtsrevisionisten ein Forum, die Führungseliten des Dritten Reiches verklären, Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen oder leugnen sowie antisemitische Ansichten vertreten. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Veröffentlichungen zu aktuellen politischen sowie zu vor- und frühgeschichtlichen Themen. Darüber hinaus publiziert der Grabert-Verlag vierteljährlich die Zeitschrift → „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“, die bis 1972 als „Deutsche Hochschullehrerzeitung“ erschienen war. Der Geschichtsrevisionismus der Autoren wird dabei als „historische Wahrheitsforschung“ ausgegeben. Verlagsnachrichten und Kommentare zum politischen Zeitgeschehen erscheinen im Periodicum „Euro-Kurier“. Herbert Grabert, der sich während des Nationalsozialismus als völkischer Religionswissenschaftler exponiert und eine Hochschullaufbahn angestrebt hatte, nach 1945 aber nicht wieder an die Universität zurückkehren konnte, betätigte sich zunächst als Lobbyist „amtsverdrängter“ Hochschullehrer. Nachdem er damit gescheitert war, vollzog er Ende der 1950er Jahre einen Wandel zum Verleger geschichtsrevisionistischer Literatur. Für eine öffentliche Kontroverse sorgte das 1961 erstmals publizierte Buch → „Der erzwungene Krieg“ des amerikanischen Historikers David L. Hoggan (1923– 1988). Es erschien als Band 1 der Veröffentlichung eines eng mit dem Verlag verbundenen Instituts für deutsche Nachkriegsgeschichte, das im Wesentlichen aus Grabert selbst bestand. In der Schriftenreihe dieses Instituts sind seitdem zahlreiche geschichtsrevisionistische Machwerke erschienen, u.a. 1979 → „Der Auschwitz-My-

Großer Gott wir loben dich (1941)

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thos“ von Wilhelm Stäglich (1916–2006). Der Hamburger Finanzrichter sprach darin von einer „Judenvernichtungslegende“, die alleine der „politischen Niederhaltung des deutschen Volkes“ diene. Das Buch steht seit 1982 auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften. Eine besondere Bedeutung in den geschichtsrevisionistischen Bemühungen des Verlags kommt auch der Veröffentlichung „Grundlagen der Zeitgeschichte: Ein Handbuch über strittige Fragen des 20. Jahrhunderts“ aus dem Jahr 1994 zu. Initiator und maßgeblicher Autor war der Chemiker Germar Rudolf (geb. 1964), der sich dadurch als Holocaustleugner profilieren wollte. Wigbert Grabert wurde daraufhin wegen Volksverhetzung, Beleidigung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 DM verurteilt. In den vergangenen Jahren musste er sich für zahlreiche weitere Veröffentlichungen im Grabert-Verlag wie auch seines Ablegers, des Hohenrain-Verlags, vor Gericht verantworten. Jenseits seiner geschichtsrevisionistischen Publizistik, die eine inzwischen Jahrzehnte währende Kontinuität aufweist, hat der Verlag sich immer wieder neuen Themenfeldern geöffnet. Dazu zählten in den frühen 1980er Jahren Übersetzungen des einflussreichen Vertreters der französischen Nouvelle Droite, Alain de Benoist, und seiner Adepten in der Bundesrepublik Deutschland. In den Veröffentlichungen seit 2001 werden verstärkt die Folgen der Terroranschläge vom 11. September, der Globalisierung und der Einführung des Euro aufgegriffen. Dem Verlag gelang es dabei auch, jüngere Autoren an sich zu binden, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemühen.

Martin Finkenberger

Literatur Martin Finkenberger, Horst Junginger (Hrsg.), Im Dienste der Lügen. Herbert Grabert (1901–1978) und seine Verlage, Aschaffenburg 2004.

Großer Gott wir loben dich (1941) Die Arbeit an einem „entjudeten“ Gesangbuch wurde bereits weit vor 1941 in Arbeitsgruppen der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen vorangetrieben, sodass der Arbeitskreis „Gesangbuchrevision“ des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (→ Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche), der im Sommer 1939 seine Arbeit aufnahm, bereits auf umfangreichen Vorarbeiten aufbauen konnte. Das Gesangbuch mit dem Titel „Großer Gott wir loben dich“, das am 13. Juni 1941 mit einer Feier in der Kapelle der Wartburg der Öffentlichkeit übergeben wurde, kann demnach als ein Gemeinschaftsprojekt des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ mit der Nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen, in der sich unterschiedliche deutschchristliche Gruppierungen unter der Führung der Thüringer Deutschen Christen zusammengeschlossen hatten, angesehen werden. Das Gesangbuch erschien im deutschchristlichen Verlag „Der neue Dom“ in Weimar. Für die „Entjudungsarbeit“ im Gesangbuch gab der Arbeitskreis in den „Richtlinien für die Reform des Gesangbuches“ folgende Ausschlusskriterien an: „Wegzulassen

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Großer Gott wir loben dich (1941)

sind Lieder, bezw. Strophen 1.) die jüdisch sind in Wort und Denken, 2.) die von ausgesprochen dogmatischer Haltung sind, 3.) die süsslich, geschmacklos, selbstentwürdigend oder dichterisch unmöglich sind.“ Dies führte dazu, dass über 70 Prozent des bisherigen Gesangbuchliedbestandes weggelassen wurden. Die Vorgehensweise bei der „Entjudung“ der Lieder war ähnlich wie bei der Arbeit am „entjudeten“ Neuen Testament (→ Botschaft Gottes): Entweder wurden Lieder gleich vollständig entfernt oder, wenn die Lieder so bekannt waren, dass sie mit Rücksicht auf die „Volksseele“ erhalten werden mussten, entweder einzelne Strophen weggelassen oder der Liedtext verändert. Aber nicht nur Lieder mit alttestamentlichen oder jüdischen Bezügen wurden derart behandelt, sondern auch die Lieder, in denen Jesus nicht dem „arisch-heldischen Idealtypus“ der Deutschen Christen entsprach, wie etwa in den Passionsliedern. Hierzu einige Beispiele: In dem Lied „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ von Paul Gerhardt, das ein „Abba“ enthält, ist dieses im deutsch-christlichen Gesangbuch mit „Vater“ wiedergegeben. In den aufgenommenen Liedern, die das Wort „Hosianna“ beinhalten, wurden die entsprechenden Strophen weggelassen. Lieder mit den Wörtern „Sabbat“, „Micha“, „David“, „Gideon“, „Elia“ oder „Adam“ wurden nicht ins Gesangbuch aufgenommen. Im Gerhardt-Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ fehlt die eigentliche Strophe 10, die das Wort „Seraphim“ enthält. Das Lutherlied „Ein feste Burg ist unser Gott“, das in einem thüringisch-deutschchristlichen Gesangbuch nicht fehlen durfte, ist in der zweiten Strophe aus dem Liedtext: „Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth“ ein „Er heißt Jesus Christ, der Retter in Not“ geworden. Ebenso wurde im Lied „Wunderbarer König“ von Joachim Neander die Strophe drei „Er ist Gott, Zebaoth“ ersetzt durch „Er ist Gott, unser Gott“. In dem Lied „Großer Gott wir loben dich“, das dem deutsch-christlichen Gesangbuch seinen Namen gab, steht nicht nur für „Zebaoth“ in Strophe zwei ein „Herre Gott“, sondern aus dem „Heilig, Herr der Himmelsheere“ wurde auch noch ein „Heilig, Herr der Kriegsheere“ gemacht. Die eigentliche Strophe zwei ist entfernt worden, da sie die Wörter „Cherubim und Seraphim“ enthält. Das Gesangbuch unterscheidet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch im Aufbau von den sonst üblichen evangelischen Gesangbüchern: Vorangestellt sind unter der Überschrift „Lobgesang“ Danklieder sowie Lobpreisungen Gottes und seiner Schöpfung, worauf ein Abschnitt „Heilig Vaterland“ folgt. Im dritten Kapitel finden sich unter der Überschrift „Feiernde Gemeinde“ Lieder für den Gottesdienst. Erst im vierten Teil „Im Jahreslauf“ kommen Lieder des Kirchenjahres vor, danach folgt ein Teil, der mit „In der Stille“ überschrieben ist. Den Abschluss bilden Lieder „Von frommer deutscher Lebensart“ mit Gebetsteil und „Lieder der Kameradschaft“, die für Feiern außerhalb der Kirche gedacht waren. Zwischen den Liedern und einzelnen Abschnitten enthält das Gesangbuch darüber hinaus Bilder, Zitate berühmter Persönlichkeiten, fromme Sätze sowie Sprüche über Volk und Heimat. Am Ende finden sich Angaben über die Herkunft der Texte und Lieder, ein Verzeichnis der Lieder nach dem Inhalt, ein alphabetisches Verzeichnis und ein Quellenverzeichnis. Die künstlerische Gestaltung des Gesangbuches stammte vom Kunstmaler Emil Ernst Heinsdorff aus Irschenhausen bei München. Die zunächst geplante weitere Ausgestaltung des Gesangbuches mit NS-Symbolen und Runen untersagten die nationalsozialistischen Instanzen.

Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (Houston Stewart Chamberlain, 1899)

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Das Gesangbuch wurde für die Nationalkirchliche Einung und das kirchliche „Entjudungsinstitut“ zu einem Erfolgsprojekt. Die Erstauflage von 50.000 Exemplaren war schnell vergriffen und eine zweite Auflage von 100.000 geplant, allerdings wurde aufgrund der kriegsbedingten Druckbeschränkungen staatlicherseits keine Druckgenehmigung erteilt. So konnte in den deutsch-christlich geführten Landeskirchen das „entjudete“ Gesangbuch die alten Gesangbücher noch nicht flächendeckend ersetzen. Passagen des Gesangbuches wurden abgedruckt im „entjudeten“ Katechismus (→ Deutsche mit Gott). In deutsch-christlichen Kreisen fand das Gesangbuch überwiegend begeisterte Aufnahme. Am 8. August 1942 schrieb ein Kriegspfarrer von der Front: „Ich glaube: 1000 dieser Gesangbücher verschenkt und es werden 1000000 gekauft daraufhin. 1000000 dieses Buches im Volk – und wir brauchen für unsere Sache nicht mehr reden. Das Gesangbuch ist eine gewonnene Schlacht.“

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“– Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Birgit Gregor, ... von jüdischem Einfluß befreit: „Großer Gott wir loben dich“. Ein deutschchristliches Gesangbuch aus dem Jahre 1941, in: Thüringer Gratwanderungen. Beiträge zur fünfundsiebzigjährigen Geschichte der evangelischen Landeskirche Thüringens, hrsg. von Thomas A. Seidel, Leipzig 1998, S. 124–142. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008.

Gründungsmanifest der NPD → NPD-Publikationen

Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (Houston Stewart Chamberlain, 1899) Houston Stewart Chamberlain (1855–1827) wurde mit seinem 1899 veröffentlichten zweibändigen trivialphilosophischen Werk „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ einer der erfolgreichsten Schriftsteller des Wilhelminischen Kaiserreichs, dessen Wirkung weit darüber hinaus reichte. Bis 1944 erzielte die völkisch-antisemitische Deutung der Weltgeschichte, die zugleich Utopie mit agitatorischem Appell war, 30 Auflagen. Während seriöse Wissenschaftler einmütig Chamberlains Traktat verwarfen, begeisterte sich das Bildungsbürgertum für das in der Nachfolge von Gobineaus → „Essai sur l’inégalité des races humaines“ stehende Gedankengebäude. Kaiser Wilhelm II., der mit dem Verfasser korrespondierte, schätzte das Buch so sehr, dass er die Anschaffung durch alle deutschen Schulbibliotheken wünschte. Der Autor, einer britischen Adelsfamilie entstammend, hatte wegen psychischer Probleme keine militärische Karriere wie sein Vater einschlagen können. Er machte Reisen, hielt sich in Sanatorien auf, führte das Leben eines wohlhabenden Kosmopoliten und studierte Botanik, ohne akademischen Abschluss. Er etablierte sich in Deutschland als Privatgelehrter und vielschreibender völkischer Autor. Von Richard Wagners Persönlichkeit, Musik und dessen Denken angezogen suchte Chamberlain die Nähe Bayreuths, wurde 1888 nach einem Gedankenaustausch mit

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Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (Houston Stewart Chamberlain, 1899)

Cosima, der Witwe Richard Wagners (die ihn auf Gobineau aufmerksam machte) in den Bayreuther Kreis aufgenommen und heiratete 1908 Eva, eine Tochter Richard und Cosima Wagners. Mit seiner Geschichtsauffassung, die auf rassistischem Nationalismus basierte und für sein Welterklärungskonstrukt beliebig sowohl Elemente einer Zyklentheorie mit regelmäßigen historischen Katastrophen als auch das Stufenmodell eines voranschreitenden Fortschritts benutzte, lieferte Chamberlain eine Inkunabel nationalsozialistischer Ideologie. An die „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ schloss Alfred Rosenbergs → „Mythus des 20. Jahrhunderts“ unmittelbar an. Chamberlain sieht die Geschichte als Kampf zwischen positiven und negativen Kräften in einer manichäischen Welt, in der die „jüdische Rasse“ das Böse verkörpert und die „Arier“ für das Gute stehen. Zu seinen Ideologiekonstruktionen im Dienst einer völkischen Heilslehre gehört auch die Definition Jesu Christi vor dem Hintergrund einer Weltgeschichte, die als Rassenkampf interpretiert wird, als „Arier“: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Christus kein Jude war, dass er keinen Tropfen echt jüdischen Blutes in den Adern hatte, ist so groß, dass sie einer Gewißheit fast gleich kommt.“ Diese Argumentation ist typisch für die leichtfertige und populistische Vorgehensweise Chamberlains, dem Fakten irrelevant sowie Rationalität und Logik belanglos sind bei seinem Bemühen, durch demagogische Kulturphilosophie eine bestimmte Weltsicht agitatorisch durchzusetzen. Der obsessive Antisemitismus Chamberlains verwies direkt auf den nationalsozialistischen Rassenwahn. Ebenso prophetisch nahm der geborene Brite, der 1916 die deutsche Staatsbürgerschaft erwarb, das germanomanische Sendungsbewusstsein des Nationalsozialismus vorweg: Es gelte, schrieb er im Vorwort zu den „Grundlagen“, „die von der Wissenschaft inzwischen als unfraglich wahr erwiesene Tatsache der Rasse allen unseren Volksgenossen noch weit lebendiger und plastischer vor das Bewusstsein zu bringen und zu einer Triebkraft ihres Handelns zu machen, zugleich die Überzeugung in ihnen zu wecken, dass Deutschland, wenn es nur will, wenn es zu wollen versteht – weit entfernt, dem Untergang geweiht zu sein, erst am Morgen seines grossen Tages steht, verpflichtet zu morgendlichen Entschlüssen und Taten. Das walte Gott!“ Der von Gobineau, Paul de Lagarde und Richard Wagner geprägte Chamberlain konnte durch seinen eingängigen und demagogischen Schreibstil, durch Selbstinszenierung und die Bedienung der Heilserwartungen und Weltdeutungswünsche seines Publikums nicht nur seinen Dilettantismus verbergen, mehr als andere machte er den Antisemitismus salonfähig. Leo Spitzer publizierte als Wissenschaftler 1918 eine wenig beachtete Streitschrift gegen Chamberlain, in der er ihm „gefällige Wirkung“ sowie „markige Eleganz der Sprache“ attestierte und ihn als Blender entlarvte. Der Wirkung erst beim gebildeten Publikum, dann bei der Gefolgschaft Hitlers tat diese Kritik keinerlei Eintrag. Hitler, den Chamberlain emphatisch als „Führer“ eines neuen Deutschland pries (er hatte ihn im September 1923 bei dessen Besuch in der Villa Wahnfried persönlich kennengelernt), stand 1927 trauernd am Grab seines Vordenkers.

Wolfgang Benz

Die Grundlagen des Nationalsozialismus (Alois Hudal, 1936)

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Literatur Jonathan Carr, Der Wagner-Clan. Geschichte einer deutschen Familie, Hamburg 2008. Geoffrey G. Field, Evangelist of race. The Germanic vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981. David Clay Large, Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Dieter Borchmeyer u. a. (Hrsg.), Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144–159. Anja Lobenstein-Reichmann, Houston Stewart Chamberlains rassentheoretische Geschichts-„philosophie“, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 139–166. Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert, Rheda-Wiedenbrück 1988, S. 18–50. Leo Spitzer, Anti-Chamberlain. Betrachtungen eines Linguisten über Houston Stewart Chamberlains „Kriegsaufsätze“ und die Sprachbewertung im allgemeinen, Leipzig 1918.

Die Grundlagen des Nationalsozialismus (Alois Hudal, 1936) Das 1936 in Wien erschienene Buch „Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Eine ideengeschichtliche Untersuchung von katholischer Warte“ von Bischof Alois Hudal (1885–1963), Rektor der deutschen Nationalstiftung Santa Maria dell’Anima in Rom von 1923–1952, strebte eine Synthese zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus an. Seine ideengeschichtliche Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Gedankengut suchte nach Anknüpfungspunkten, die dem Christentum eine ideologische Bedeutung im Dritten Reich sichern sollten. Unter diesem Gesichtspunkt wird es verständlich, dass Hudal einerseits die „guten, wertvollen Anregungen“, die der Nationalsozialismus dem deutschen Volk gebracht habe, in dem Buch hervorhob und unterstützte, andererseits aber innerhalb der Römischen Kurie auf eine Verurteilung nationalsozialistischer Irrtümer drängte. So lässt sich die Indizierung von Alfred Rosenbergs → „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ ebenso auf Hudals Engagement zurückführen wie die Vorbereitung des im Heiligen Offizium (Inquisition) geplanten Syllabus mit allen zu verurteilenden Irrtümern der nationalsozialistischen Ideologie. Vor allem die Vergötzung der Rasse, der radikale Nationalismus und die Staatstotalität sollten nach Hudal verurteilt werden. Vergleicht man diese Aktivitäten, die erst durch die neueste kirchenhistorische Forschung bekannt wurden (Burkard), mit dem Buch, so zeigt sich, dass Hudal nicht den Nationalsozialismus selbst, sondern lediglich die radikalen Lehren, die antichristliche Konsequenzen hervorriefen, kritisierte. Hudal sah im Nationalsozialismus eine legitime politische Bewegung, der das deutsche Volk „die Unterhöhlung der Menschenrechtsideologie, die das Weimarer Gebäude trug, ferner die Zerstörung des Glaubens an formale Rechtskonstruktionen, an die Dialektik des bisherigen parlamentarischen Lebens und der Demokratie“ verdanke. Als politische Bewegung, die „konservatives Gedankengut“, wie etwa die Lösung der Judenfrage, umzusetzen versuche, bedürfe sie der christlichen Religion als weltanschaulichen Überbau, um nicht in Extreme zu verfallen. Nach diesem Schema verurteilte Hudal Rosenberg als Ideologen und verteidigte Hitler als Politiker, der seiner Meinung nach offen gegenüber der christlichen Weltanschauung gewesen sei.

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Die Grundlagen des Nationalsozialismus (Alois Hudal, 1936)

Das Buch untersucht die Kernthemen der nationalsozialistischen Bewegung und unternimmt den Versuch, diese christlich zu deuten. Am Antisemitismus der Nationalsozialisten tadelte Hudal zwar die Behandlung des „Judenproblems“ als „Rassenphänomen“, da Rasse kein genuin christlicher Begriff sei, dennoch erklärte er den rassistischen Antisemitismus für verständlich, da aufgrund der Zuwanderung von Juden aus dem Osten diese „Fremdlinge“ den Deutschen ihre Erwerbsgrundlage weggenommen hätten. So lobte Hudal katholische Antisemiten wie etwa Sebastian Brunner (1814– 1893), August Rohling (1839–1931), Josef Scheicher (1842–1924) und Ottokár Prohászka (1858–1927) dafür, diese „völkische Not“ erkannt zu haben. Hudal zeigt sich in dem Buch als Gegner der jüdischen Emanzipation, indem er bedauert, dass in der Moderne die zahlreichen „Abwehrmaßnahmen“ und Gesetze der katholischen Kirche des Mittelalters gegenüber den Juden abgebaut worden seien. Durch die Emanzipation sei es zu einer „Vormachtstellung der Juden“ in den sozialen und kulturellen Institutionen des deutschen Volkes gekommen, gegen die man seiner Meinung nach vorgehen musste. Gerade in diesem Punkt zeitigt Hudals Unterscheidung zwischen politisch und ideologisch verheerende Konsequenzen: So werde die Kirche zwar weiter Juden in ihre Gemeinschaft aufnehmen, so Hudal, gegen eine staatliche Gesetzgebung aber, „die aus Notwehr und gegen eine Überflutung fremder Elemente das eigene Volkstum schützt“, keine Einwände erheben. Solche Rechtfertigungen der Nürnberger Rassegesetze finden sich an mehreren Stellen des Buches. Besonders schwer wiegt das Urteil Hudals, dass das Judentum aufgrund seiner Beteiligung an der marxistischen und bolschewistischen Bewegung die Rassegesetze selbst verschuldet habe. Diese Mitschuld am Antisemitismus vertritt Hudal auch in seiner bizarren These, dass es hinsichtlich des Rassismus eine „jüdisch-deutsche Geschichtsparallele“ gäbe. Da das Judentum den Auserwählungsgedanken, wie er im Alten Testament beschrieben werde, zu einem „naturhaften Vorrang seiner Rasse“ umgedeutet habe, vergötze es selbst die Rasse. Sowohl die deutschen Rassisten als auch die Juden betrieben nach Hudal eine vom Christentum zu tadelnde „Rassenvergöttlichung“. Hudal attestierte den Nürnberger Rassegesetzen lediglich eine „gewisse Härte“, scheint sie aber, wie die Schlussreflexion seines Buches nahelegt, nicht für einen Verstoß gegen das Naturrecht und die Morallehre der Kirche gehalten zu haben. Der Versuch, zwei sich ausschließende Systeme zu verbinden („christlicher Nationalsozialismus“), muss als Widerspruch in sich bezeichnet werden, da Hudal trotz seiner Kritik einzelner Punkte einen Großteil der nationalsozialistischen Terminologie – und damit der Ideologie – unwidersprochen übernommen hat. So wirkten für ihn zwar nicht alle Juden „zersetzend“ auf den deutschen Nationalstaat, sondern nur die zugewanderten Ostjuden und religiös entwurzelten, allerdings übernahm er damit ein antisemitisches Klischee des Nationalsozialismus, das sich bewusst gegen alle Juden richtete, zumal Hudal den gläubigen Juden in Deutschland – Juden werden von Hudal nicht als Deutsche, sondern als „Gastvolk“ bezeichnet – vorwarf, sich nicht deutlich genug von diesen Juden distanziert zu haben. Die von Hudal angenommene Verbindung von Bolschewismus und Judentum belegt, dass Hudal bereit war, den rassistischen Antisemitismus zu tolerieren: Indem er den Nationalsozialismus als Bollwerk gegen den Bolschewismus propagierte, akzeptierte er auch dessen Deutung des Bolschewismus als jüdische Bedrohung (Besier). Unter diesen Voraussetzungen verwun-

Güterschlächterliste (1890)

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dert es nicht, dass Hudal denjenigen „Nichtariern“, die materialistisch eingestellt seien und die Geistigkeit des Menschen leugneten, das Recht verweigert, die Rassegesetzgebung zu kritisieren. Diese Juden müssten sich damit abfinden, dass sie ausschließlich „rassisch-biologisch“ beurteilt würden. Hudal war trotz seiner Tätigkeit in der Römischen Kurie ein „Deutschnationaler, Antibolschewist und Sympathisant des Nationalsozialismus“ (Burkard). Seine starke Affinität für den Nationalsozialismus und zu dessen „konservativem Gedankengut“ zeigt sich zum einen daran, dass Hudal auch kirchliche Kritik für sein Buch in Kauf genommen hat. So wurde sein Ansatz nicht nur in der österreichischen Wochenzeitschrift „Der christliche Ständestaat“ von dem katholischen Publizisten Alfred Missong (1902–1965) und dem katholischen Philosophen Dietrich von Hildebrand (1889–1977) als unvereinbar mit dem christlichen Glauben kritisiert, sondern auch der deutliche Verlust an Einfluss innerhalb der Kurie zeigt, dass man in Rom Hudals Ansichten nicht teilte. Zum anderen zeigt sich diese Affinität an seiner Haltung nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes. In seinen 1962 abgeschlossenen „Römischen Tagebüchern“ vertrat Hudal unbeirrt rechtskonservatives Gedankengut und verschwieg auch nicht seine Tätigkeit als Fluchthelfer für hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die er zu einer „karitativen Arbeit“ verklärte. Hudal ließ die Tagebücher im → Leopold Stocker Verlag erscheinen, der durch nationalsozialistische und antisemitische Literatur bekannt geworden ist.

Markus Thurau

Literatur Gerhard Besier, Antibolshevism and Antisemitism: The Catholic Church in Germany and National Socialist Ideology 1936–1937, in: The Journal of Ecclesiastical History 43 (1992), S. 447–456. Dominik Burkard, Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts. Rosenbergs nationalsozialistische Weltanschauung vor dem Tribunal der Römischen Inquisition, Paderborn u. a. 2005. Dominik Burkard, Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? Zur Diskussion um die Haltung des Vatikans gegenüber dem Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte 59 (2007), S. 61–89. Peter Godman, Hitler and the Vatican. Inside the Secret Archives that Reveal the New Story of the Nazis and the Church, New York 2004. Markus Langer, Alois Hudal. Bischof zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Versuch einer Biographie, Wien 1995. Gerald Steinacher, Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen, Innsbruck 2008.

Güterschlächterliste (1890) Die Globalisierung des Agrarmarktes führte in Deutschland seit Mitte der 1870er Jahre zum Verfall der Vieh- und Getreidepreise. Diese Entwicklung traf die hessische Landwirtschaft besonders hart, die aufgrund karger Böden, rückständiger Produktionsmethoden und der Zersplitterung der Besitzverhältnisse durch das Realteilungsrecht ohnehin kaum konkurrenzfähig war. Um wirtschaftlich überlebensfähig zu bleiben, versuchten viele hessische Bauern zu expandieren und überschuldeten sich dabei.

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Güterschlächterliste (1890)

In dieser Situation machten Konservative und Antisemiten die jüdischen Viehhändler und Kreditgeber für die Misere der Bauern verantwortlich. Angeblich wucherten sie die von ihnen abhängigen Bauern aus, zwangsversteigerten ihren Besitz („Güterschlächterei“), um mit ihm Bodenspekulation zu betreiben. Die Böckelbewegung nutzte seit Mitte der 1880er Jahre den Wuchermythos besonders effektiv, um kleinbäuerliche Protestwähler für die Antisemitenparteien zu mobilisieren. Um ihre Vorwürfe zu belegen, erstellten die Antisemiten eine Güterschlächterliste. Diese Liste stellte in zwei Spalten „jüdische Güterschlächter“ und die von ihnen „ausgeschlachteten“ christlichen Bauern einander gegenüber. Die Angaben beruhten auf Denunziationen aus der Bevölkerung. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass für die Güterschlächterliste auch die vom Verein für Socialpolitik erstellte Studie zum „Wucher auf dem Lande“ (1888) ausgewertet wurde, die selbst antisemitische Tendenzen aufwies. Über ein Jahrzehnt hinweg wurden verschiedene Versionen der Güterschlächterliste in den antisemitischen Zeitungen „Reichsgeldmonopol“ (Kassel) und → „Reichs-Herold“ (Marburg) veröffentlicht. Otto Böckel verarbeitete die Liste in seiner Flugschrift über die „Güterschlächterei in Hessen“ (1887). 1890 erschien die Güterschlächterliste unter dem Titel „Wie der Jude im Hessenlande arbeitet“ beim Leipziger Verleger Theodor Fritsch als Flugblatt, das massenhaft in ganz Deutschland verbreitet wurde. Diese Version enthielt einen Wahlaufruf zugunsten der Deutschsozialen Partei. Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus entlarvte die Güterschlächterliste als plumpe Fälschung. Viele Fälle lagen Jahrzehnte zurück. Einige „jüdische Güterschlächter“ wurden mehrfach aufgeführt, bei anderen handelte es sich um Christen. Viele der angeblichen Zwangsversteigerungen waren nicht wucherbedingt oder hatten nie stattgefunden. Aufgrund des Anti-Wucher-Gesetzes von 1880 wurden mehr Christen als Juden verurteilt, obwohl der Viehhandel in Hessen und anderen Regionen Mittel- und Südwestdeutschlands traditionell eine jüdische Domäne war. Der Nachweis der Fälschungen konnte die Glaubwürdigkeit des Wuchermythos jedoch nicht erschüttern. Obwohl die Legende vom „Judenwucher auf dem Lande“ wenig mit den tatsächlichen Geschäftsbeziehungen zwischen Bauern und Viehhändlern und den Strukturproblemen der hessischen Landwirtschaft zu tun hatte, wurde sie damals selbst von seriösen Sozialwissenschaftlern und entschiedenen Gegnern des Antisemitismus kaum angezweifelt. Beispielsweise ging die hessische Regierung entschlossen gegen die Böckelbewegung vor, nahm aber an, dass die jüdischen Viehhändler mit ihren Wuchergeschäften die antisemitische Stimmung unter den Bauern provoziert hätten. Propagandaschriften wie die Güterschlächterliste, aber auch populäre Belletristik trugen zur Realitätsresistenz des Wuchermythos erheblich bei.

Thomas Gräfe

Literatur Antisemiten-Spiegel. Die Antisemiten im Lichte des Christenthums, des Rechtes und der Wissenschaft, Danzig 1900², S. 157–172. Thomas Klein, Der preußisch-deutsche Konservatismus und die Entstehung des politischen Antisemitismus in Hessen-Kassel 1866–1893, Marburg 1995. David Peal, Anti-Semitism and rural Transformation in Kurhessen. The rise and the fall of the Böckel movement, Ann Arbor 1985.

HALT (Österreich, 1980–2006)

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Stefan Rohrbacher, Über das Fortwuchern von Stereotypvorstellungen in der Geschichtswissenschaft, in: Johannes Heil, Bernd Wacker (Hrsg.), Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in jüdischer und christlicher Tradition, München 1997, S. 235–252. Eugen Schmahl, Die antisemitische Bauernbewegung in Hessen von der Böckelzeit bis zum Nationalsozialismus, Gießen 1933. Helmut Walser Smith, The Discourse of Usury. Relations between Christians and Jews in the German Countryside 1880–1914, in: Central European History 32 (1999), S. 255–276.

HALT (Österreich, 1980–2006) Die neonazistische Zeitschrift „HALT“ erschien in unregelmäßigen Abständen zwischen 1980 und 2006 in behaupteten Auflagen zwischen 10.000 und 20.000 Exemplaren. Als Herausgeber und beinahe alleiniger Autor fungierte der Wiener Neonazi Gerd Honsik (geb. 1941), langjähriger Vorsitzender der vom Bundesministerium für Inneres nicht als Partei anerkannten Ausländer-HALT-Bewegung. Honsik ist seit den frühen 1960er Jahren im militanten Neonazismus aktiv und hat sich auch international als führender Holocaustleugner einen Namen gemacht. Sein „revisionistisches“ Buch „Freispruch für Hitler? 36 ungehörte Zeugen wider die Gaskammer“ wurde 1988 behördlich beschlagnahmt und gab den Anstoß zu einem der zahlreichen Gerichtsverfahren nach dem NS-Verbotsgesetz, welchen sich Honsik ausgesetzt sah. Gemeinsam mit Horst Jakob Rosenkranz und Franz Radl jun. versuchte Honsik 1990 mit der Liste „Nein zur Ausländerflut“ bei den Nationalratswahlen zu kandidieren, was von der Wiener Kreiswahlbehörde unter Hinweis auf das Verbot nazistischer Betätigung untersagt wurde. Nach der Verurteilung zu einer 18-monatigen Haftstrafe durch ein Wiener Geschworenengericht setzte sich Honsik 1992 nach Spanien ab, von wo er weiter an der Produktion und am Vertrieb von „HALT“ und mehreren Büchern (z. B. „Schelm und Scheusal. Meineid, Macht und Mord auf Wizenthals Wegen“) arbeitete. Erst 2007 war Honsik verhaftet und nach Österreich ausgeliefert worden, wo er zuerst seine Haftstrafe von 1992 verbüßte und danach zu weiteren vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nach einer vorzeitigen Haftentlassung 2011 hat sich Honsik mittlerweile in Spanien zur Ruhe gesetzt, womit ein zentrales Kapitel der Geschichte des österreichischen Neonazismus und internationalen „Revisionismus“ abgeschlossen wurde. Zwischen Dezember 1980 und April 1983 waren abwechselnd Gottfried Küssel und Waltraud Schönangerer nach dem Presserecht für „HALT“, die zunächst als „Wandzeitung des österreichischen Abwehrkampfes“ erschien, verantwortlich. In der Folge übernahm die neonazistische Volksbewegung (später Ausländer-HALT-Bewegung) Honsiks die Herausgabe von „HALT“, die sich nun „Demokratisches Kampfmittel gegen ausländische Unterwanderung“ nannte und ab April 1985 „Dem deutschen Volke verpflichtet“ als Untertitel führte. Nach seinem 2011 von der Justiz erzwungenen Rückzug „aus dem Feld des politischen Journalismus“ wollte sich Honsik künftig mit seinem „dichterischen Schaffen begnügen“ und die Herausgabe von „HALT“ in die Hände von drei „Kameraden“ aus Deutschland, Spanien und Schweden legen. Bis Frühsommer 2012 ist jedoch keine weitere Ausgabe erschienen. „HALT“ verbreitete offen rassistische und antisemitische Propaganda und verherrlichte das Dritte Reich sowie dessen Führungsclique. Mit der Zeit versteifte sich

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Hammer (1902–1940)

„HALT“ immer mehr auf die Leugnung oder Verharmlosung der NS-Verbrechen, insbesondere des Holocaust. Damit einher gingen wüste Angriffe und Beschimpfungen jüdischer Überlebender, allen voran Simon Wiesenthal. Als einer der ersten Neonazis versuchte Honsik, einen Zusammenhang herzustellen zwischen der Annahme historischer Schuld und der angeblichen Duldung eines „Völkermordes“ durch Einwanderung seitens der politischen Nachkriegseliten in Deutschland und Österreich. Auch erging sich „HALT“ regelmäßig in Verschwörungsmythen: Juden seien „überproportional und augenfällig an allen Schalthebeln der Macht vertreten“ (72/1994), und „das jüdische Wesen“ sei „für die hundert Millionen zivilen Opfer des Kommunismus (Marx, Beria, Ehrenburg, Lenin) und die Millionen von Opfern seiner demokratischen Verbündeten (Roosevelt, Morgenthau, Eisenhower und Churchill)“ (89/1998) verantwortlich zu machen. Die jüdische Religion wurde von Honsik mit „groteskem Aberglauben und dreitausendjähriger Menschheitsverachtung“ in Verbindung gebracht: „Wer mit dem Teufel Zwiegespräche hält, Gott ständig übers Ohr zu hauen versucht und 99,7 Prozent der (als ungeliebte Tierwelt eingestuften) Menschheit in einem gigantischen Apartheidswahn bis ans Ende der Zeiten auszubeuten und auszugrenzen gedenkt, hat allen Verhandlungsspielraum mit allen Kirchen und Religionen verwirkt.“ (91/1998) Das Nürnberger Gerichtsverfahren gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher sei der „Versuch einer verbrecherischen Allianz, die Mittel- und Osteuropa der Stalindiktatur überließ, die Spuren der eigenen Verbrechen zu verwischen“. (121/ 2004) Und der NS-Tarnbegriff „Sonderbehandlung“ habe nicht für Massenmord, sondern für ein „Privilegium“ gestanden (111/2002). Der Staat Israel gründe „auf Völkermord“ und wolle gemeinsam mit den USA Deutschland zerstören (107/2001). Dazu hätten die „Sieger“ ein Regime von „Marionetten“ auf deutschem Boden etabliert, das „die Drohungen, Forderungen und Schmähungen der jüdischen Seite nicht nur bereitwillig, sondern sogar lustvoll entgegengenommen“ habe (104/2001).

Andreas Peham

Literatur Wolfgang Purtscheller, Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk, Wien 1993. Stiftung DÖW (Hrsg.), Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus, Wien 1996.

Hammer (1902–1940) Der „Hammer. Blätter für deutschen Sinn“ gilt als größte und am weitesten verbreitete Zeitschrift der Völkischen im Wilhelminischen Kaiserreich. Die 1902 von Theodor Fritsch gegründete und bis März 1940 ununterbrochen monatlich erscheinende Zeitschrift avancierte zum wichtigsten publizistischen Organ der völkischen Bewegung und trug in der Gründungsphase wesentlich zur Konsolidierung der sich seit der Jahrhundertwende formierenden Bewegung bei. Indem er vorbehaltlos allen völkischen Strömungen, Ideologemen und Ideologen, Organisationen und Bündnissen eine Plattform der Artikulation bot und damit die dynamischen und häufig widerstreitenden Elemente miteinander in Verbindung und Dialog setzte, verhalf der „Hammer“ der sich an alle kulturellen wie gesellschaftlichen Strömungen der Zeit andockenden völkischen Bewegung maßgeblich zu einer raschen Profilentwicklung. Zentral war hier-

Hammer (1902–1940)

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bei der von Theodor Fritsch geprägte Antisemitismus als verbindendes Element der im „Hammer“ geführten Diskussionen. Theodor Fritsch (1852–1933) war seit 1879 Inhaber eines mühlentechnischen Büros mit angeschlossener Verlagsanstalt in Leipzig, in der er seit 1880 die Zeitschrift „Deutscher Müller. Zentralorgan für die Interessen des allgemeinen Mühlengewerbes“ herausgab, die seine weltanschaulichen Publikationen und Projekte wie den seit 1887 erscheinenden „Antisemitenkatechismus“, der später als → „Handbuch der Judenfrage“ erschien oder die Herausgabe der „Antisemitischen Correspondenz“ (→ „Deutsch-Soziale Blätter“) von 1885 bis 1894 maßgeblich finanziell absicherte. Nachdem Fritsch sich in den 1880er und 1890er Jahren erfolglos im parteipolitischen Antisemitismus engagiert hatte, baute er mit der Herausgabe des „Hammer“ eine agitatorische Plattform für ein umfassendes Erneuerungsprogramm auf, das fernab des eindimensionalen und parteilich gebundenen politischen Antisemitismus das Bindeglied der völkischen Sammelbewegung werden sollte. Ganz bewusst präsentierte Fritsch widerstreitende Meinungen und Standpunkte, um eine Debatte und letztlich einen Konsens in bestimmten Punkten zu finden, der durch die Leser des „Hammer“ in die Gesellschaft getragen werden sollte. Fritsch, der den Antisemitismus als eine soziale Verantwortung aller Deutschen begriff, adressierte als Trägerschichten der antisemitischen Weltanschauung den alten und neuen Mittelstand, also neben mittleren und kleinen Selbstständigen in Handel, Handwerk und bäuerlichen Bevölkerungsschichten vor allem mittlere und untere Beamte sowie Angestellte und sozialkonservativ eingestellte Teile des Bürgertums. Entsprechend wichtig war ihm, dass die Richtung des „Hammer“ „eine besonnen nationale“ war, „ohne Chauvinismus und Sondertümelei“. Als klar akzentuierte ideologische Gegner wurden der Ultramontanismus, der Sozialismus und der Kapitalismus als supranationale Prinzipien herausgestellt, wobei der Antisemitismus als Ausgangspunkt und Grundlage aller Erörterungen und Gedanken fungierte. Dennoch vertrat Fritsch keinen dogmatischen Rassenantisemitismus, sondern ließ neben den rein biologisch argumentierenden Rassetheoretikern im „Hammer“ auch Vorstellungen Raum, die die Überwindung des Judentums durch Konzepte einer über dem Biologischen stehenden „Rassenseele“ für denkbar hielten. Dennoch blieb in der Diskussion um die Rassenideologie der immer wieder geschilderte Rassenkampf der arisch-nordischen Völker gegen Juden und Slawen als permanentes Bedrohungsszenario das leitende Bild im „Hammer“. Entsprechend stellten die Autoren Forderungen nach Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, Schaffung einer arteigenen Religion, „Arisierung“ von Kunst und Kultur, Umstellung der Wirtschaft auf den Binnenmarkt, Einschränkung des Börsenhandels, Stärkung der Landwirtschaft, Förderung des Auslandsdeutschtums und Reform des Erziehungs- und Rechtswesens. Der „Hammer“ nahm hierbei die Aufgabe einer integrierenden Funktion innerhalb der heterogenen völkischen Bewegung wahr und forcierte nicht nur die Konsensfähigkeit unter den Völkischen, sondern bemühte sich um die Vermittlung der Themen über den Rand der völkischen Bewegung hinaus, mit dem Ziel, gesellschaftliche Multiplikatoren unter den Lesern zu adressieren, welche diese Weltanschauung in breitere gesellschaftliche Kreise zu tragen bereit waren.

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Hammer (1902–1940)

Der „Hammer“ nahm daher nicht nur eine enorm vitalisierende Rolle für das antisemitische Netzwerk ein, sondern ermöglichte es über das organisatorische Talent Fritschs, einen Verbund von Ortsgruppen von Hammerlesern für agitatorische Zwecke zu etablieren und zu nutzen, der sich rasch zu einer Art lokalen Vor-Ort-Präsenz der völkischen Weltanschauung entwickelte. Fritsch, der Vereine als Mittel zur Infiltration aller gesellschaftlichen Schichten mit dem völkischen Gedanken gegenüber den antisemitischen Parteien präferierte, förderte früh die Leserkreise des „Hammer“, aus denen bis 1914 knapp zwanzig Ortsgruppen hervorgingen und die ab 1912 in dem organisatorisch wie ideologisch auf Fritsch zugeschnittenen Reichshammerbund zusammengeschlossen waren, der 1920 im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund aufging. Als geheime Schwesterorganisation des Reichshammerbunds und Sammelbecken seiner radikalen Mitglieder entstand 1912 der logenartig organisierte und an der Ariosophie orientierte Germanenorden. Bereits 1904 hatte Fritsch zudem mit Willibald Hentschel die Deutsche Erneuerungs-Gemeinde ins Leben gerufen, die im Sinne der im „Hammer“ diskutierten völkischen Blut und Boden-Ideologie mit der 1908/09 in der Ostprignitz bei Rheinsberg errichteten Siedlung „Heimland“ das von Willibald Hentschel entworfene rassenhygienische Programm in Verbindung mit Fritschs lebens- und bodenreformerischer Siedlungsutopie umzusetzen suchte. Dass der „Hammer“ besonders in der Gründungs- und Hochphase der völkischen Bewegung im Wilhelminischen Kaiserreich von größter Relevanz war, zeigte sich schließlich in der Weimarer Republik, deren politischer Klima- und Strukturwandel die völkische Bewegung in eine schwere Krise stürzte. Wie wenig der „Hammer“ auf die völkische Bewegung noch Einfluss nehmen konnte, zeigte sich an der rapide schwindenden Auflage, die von 11.000 (1925) auf zunächst 8.000 (1928), dann 6.000 (1930) und schließlich auf 2.500 (1933) sank und deutlich machte, dass die Zeitschrift keine geeignete Antwort auf das politische System der Weimarer Republik oder die zunehmende Zersplitterung der völkischen Bewegung mehr fand. Nach der Machtübertragung an den Nationalsozialismus verlor sich die Bedeutung des „Hammers“ vollends, der zwar nicht im Nationalsozialismus aufging, aber nach dem Tod Fritschs im September 1933 auch keine weiteren Akzente für die sich unter den neuen Machthabern orientierenden Restbestände der völkischen Bewegung mehr setzen konnte.

Gregor Hufenreuter

Literatur Andreas Herzog, Theodor Fritschs Zeitschrift Hammer und der Aufbau des „Reichs-Hammerbundes“ als Instrument der antisemitischen völkischen Reformbewegung (1902– 1914), in: Mark Lehmstuhl, Andreas Herzog (Hrsg.), Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900, Wiesbaden 1999, S. 153–182. Uwe Puschner, Die völkischen Europapläne in der Zeitschrift Hammer 1933–1940, in: Michel Grunewald (Hrsg.), Der Europadiskurs in den deutschen Zeitschriften (1933–1939), Bern u. a. 1999, S. 353–367. Alexander Volland, Theodor Fritsch (1852–1933) und die Zeitschrift „Hammer“, Mainz 1993.

Handbuch der Judenfrage (Theodor Fritsch, 1887)

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Handbuch der Judenfrage (Theodor Fritsch, 1887) Theodor Fritsch (1852–1933) war als erfolgreicher Verleger völkisch-antisemitischer Schriften eine Schlüsselfigur der antisemitischen Bewegung des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und muss zu den „Ahnen des Nationalsozialismus“ (Hans-Ulrich Wehler) gezählt werden. 1887 publizierte Fritsch unter dem Pseudonym Thomas Frey ein „kurzgefasstes antisemitisches Vademecum“ mit „praktischen Winken und Regeln für die Agitation sowie dem nothwendigen statistischen Material“, sein wohl erfolgreichstes und wirkungsmächtigstes Buch, den „Antisemiten-Katechismus. Eine Zusammenstellung des wichtigsten Materials zum Verständniss der Judenfrage“, den er in seinem eigenen Verlag in Leipzig herausbrachte (die 25. Auflage von 1893 erschien im Hermann Beyer Verlag Leipzig). Dieses handliche Werk im Taschenformat (10,5 x 14,5 cm), das in seiner 1. Auflage 212 Seiten umfasste und nur eine Mark kostete, erschien 1889 in einer auf 130 Seiten gekürzten Fassung unter dem Titel „Thatsachen zur Judenfrage (ABC des Antisemiten). Auszug aus dem Antisemiten-Katechismus“ für ganze 40 Reichspfennige. Ab der 26. Auflage wurde der Antisemiten-Katechismus 1907 dann in „Handbuch der Judenfrage. Eine Zusammenstellung des wichtigsten Materials zur Beurteilung des jüdischen Volkes“ umbenannt. Bis 1944 erlebte das Buch 49 Auflagen mit über 300.000 Exemplaren, es gehört wohl zu den am meisten gelesenen antisemitischen Büchern. Es wurde 1907 zunächst bei der Hanseatischen Druck und Verlagsanstalt in Hamburg verlegt, später auch im Sleipner Verlag Hamburg (28. Auflage 1919) und ab der 29. Auflage 1923 in Fritschs eigenem „Hammer Verlag“ in Leipzig. Eine zusammenfassende Charakterisierung dieses einflussreichen Werkes ist schwierig, da es in den siebenundfünfzig Jahren seines Erscheinens von Auflage zu Auflage, vor allem aber im Übergang vom „Antisemiten-Katechismus“ zum „Handbuch“ sowie ab der 30. völlig neu bearbeiteten Auflage aus dem Jahre 1931 zahlreiche Erweiterungen, Streichungen und Umstellungen mit wechselnden Betitelungen der einzelnen Kapitel erfahren hat, sodass sein Inhalt die je aktuellen Themen und Gewichtungen der zeitgenössischen „Judenfrage“ reflektiert. Deshalb unterscheiden sich die Auflagen in einigen Punkten deutlich voneinander und auch ihr Umfang schwankt erheblich, hat insgesamt aber deutlich zugenommen (1887: 212 S.; 1891: 314 S.; 1910: 440 S.; 1919: 656 S.; 1931: 512 S.; 1944: 604 S.). Das Buch behielt aber den Aufbau eines Lehrwerkes bei, bediente sich einer einfachen Darstellungsweise und gab Antworten auf vermeintlich wichtige Fragen zum Judentum sowie aktuelle Informationen, z. B. Adressen und Statistiken. Es war im „Grunde genommen ein klassisches ‚Agit-prop’-Handbuch“ (Massimo Ferrari Zumbini), das eine Summe der Ideologie des Antisemitismus in Handbuch-Form enthält. Fritsch hat bei der Zusammenstellung des Buches auf eine Reihe von Mitarbeitern zurückgegriffen, darunter wohl Wilhelm Marr und Ludwig Schemann, doch sind die Beiträge nicht namentlich gekennzeichnet. In seiner „Einführung“ zur ersten Ausgabe des nun unter dem neuen Titel „Handbuch der Judenfrage“ erscheinenden Buches, das den seit 1896 vergriffenen „Antisemiten-Katechismus“ ersetzen sollte, betont Fritsch, dass das „Handbuch“ anders als sein Vorgänger nicht mehr parteipolitische Absichten verfolge, sondern „rein sachlich ein Stück Wissenschaft, einen Abschnitt der Gesellschaftskunde behandeln“ wolle.

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Handbuch der Judenfrage (Theodor Fritsch, 1887)

Diese längere Einführung ersetzte den im Antisemiten-Katechismus vorangestellten Abschnitt „Antworten auf alltägliche Redensarten“, wo in der Form des für religiöse Lehrwerke typischen Frage- und Antwortkatalogs einundzwanzig Fragen zu den Ursachen des Judenhasses und zum Charakter des Antisemitismus gestellt und jeweils kurz beantwortet werden, etwa „Was wollen die Antisemiten eigentlich?“, „Warum sollen die Juden nicht dieselben Rechte haben, wie die übrigen Bürger?“ In seiner „Einführung“ bemüht sich Fritsch deutlich um eine gewisse Seriosität und Objektivität, er vermeidet krasse antisemitische Invektiven. Er setzt sich zunächst mit der Rolle von Vorurteilen und Leidenschaften in der Behandlung der „Judenfrage“ auseinander und erhebt für die Judengegner (er vermeidet das Wort „Antisemiten“) den Anspruch auf Vorurteilslosigkeit und Wissenschaftlichkeit, während er aufseiten der Judenfreunde gerade „Leidenschaft“ und „Vorurtheil“ am Werke sieht: „Unter denen, die von reiner Menschlichkeit geleitet, die Partei der Juden nahmen, war nur zu oft eine völlige Unkenntnis des jüdisches Volkes daran schuld, dass sie die gegen die Juden gerichtete Bewegung missverstanden und den Blick verschlossen vor unleugbaren Thatsachen. […] Das vorliegende Büchlein will dazu beitragen, sachliches Material zu einer vorurtheilsfreien Betrachtung der Frage zu liefern.“ Fritsch teilt zwar den guten Glauben an Moral und Fortschritt aller Menschen, doch dürfe dieser nicht blind machen und „uns an der Erkenntnis der Wahrheit hindern“. Er wendet sich explizit gegen eine religiös begründete Judenfeindschaft, beruft sich vielmehr auf „Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung“ über die angeborene Unterschiedlichkeit der menschlichen Rassen sowohl nach dem Äußeren wie nach Temperament, intellektueller und sittlicher Anlage, womit für ihn eine Gleichheit aller Menschen (-Rassen) nicht gegeben ist. Die „Lieblings-Vorstellung vieler HumanitätsFreunde“ über die Verschmelzung der Rassen habe sich als „verhängnisvoller Wahn erwiesen“. Fritsch orientierte sich früh an Eugen Dührings Rassenantisemitismus mit seiner radikalen Dichotomisierung der Welt in zwei einander feindlich gegenüberstehende Spezies. Für ihn war es deshalb eine „kranke Phantasie“, alle sittlichen Schranken zu verleugnen und jenseits von Gut und Böse eine neue Welt errichten zu wollen. Die „verhängnisvolle Rolle der Hebräer“ wiederum wäre „durch die Blätter der Geschichte zu erweisen“. Sie sind für ihn in physischer wie psychischer Hinsicht Träger „gewisser Völkergifte“. Mit dem „Fortschritt der soziologischen Erkenntnis“ wird deshalb nach Fritsch auch der Wunsch reifen, die jüdische Nation aus der arischen auszuscheiden. Die antisemitische Bewegung begreift Fritsch als „Aufklärungs-Kampf“, denn die große Masse des Volkes, aber auch der Gebildeten sei über das wahre Wesen des Judentums und des Antisemitismus getäuscht worden. Diese Aufklärung soll nun das „Handbuch“ leisten, wobei Fritsch angesichts der jüdischen Macht, die er zuvor beschworen hat, auf den Mut anspielt, der zu einer solchen Veröffentlichung gehört: „Nur wer auf irdische Glücksgüter wie auf öffentliche Ehren in gleichem Maße zu verzichten bereit ist, kann heute noch wagen, über Juda die Wahrheit zu sagen.“ Mit der Publikation des „Handbuchs“ will er den geschmähten, falsch verstandenen Antisemitismus durch den Bezug auf die Heroen des deutschen und internationalen Gei-

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stes rehabilitieren, da sich seiner Meinung nach die freiesten Geister als Judengegner bekannt haben. Entsprechend beginnt der Textteil denn auch mit dem insgesamt fast ein Drittel des Buches einnehmenden Abschnitt „Urteile über Juden“, in dem er ablehnende Äußerungen bekannter historischer wie zeitgenössischer Persönlichkeiten in Textausschnitten präsentiert, die er damit alle zu den „geschmähten Antisemiten“ zählt. Für ihn handelt es sich dabei „um ein Stück unterdrückter bzw. unterschlagener Literatur“. Zunächst werden „Jüdische Selbst-Beurteilungen“ präsentiert, denen Fritsch offenbar höchste Beweiskraft zumisst. Mehr oder weniger prominente Juden, auch getaufte wie Heinrich Heine und Karl Marx zählt er dazu, werden hier entweder mit negativen Äußerungen über Juden und Judentum oder aber mit Textstellen zitiert, in denen sie vom Rassencharakter der Juden sprechen, einen wirtschaftlichen oder politischen Herrschaftsanspruch erheben oder aber die Wirkungslosigkeit von Konversionen bestätigen. Es folgen dann in fünf weiteren Abschnitten Urteile antiker römischer Autoren, arabischer und persischer Schriftsteller und Gelehrter, dann „Urteile aus dem 6. bis zum 16. Jahrhundert“, wo neben Martin Luther, Johannes Eck und Giordano Bruno auch heute kaum oder gar nicht mehr bekannte Autoren zitiert werden. Im nächsten Abschnitt über die „Urteile von Schriftstellern, Staatsmänner und Philosophen vom Dreißigjährigen Krieg bis zu den Befreiungskriegen“ werden vor allem Aussagen von Herrschern sowie von Geistesheroen wie Voltaire, Kant, Fichte und Goethe abgedruckt. Im Abschnitt, der die Zeit bis zur Revolution von 1848 umfasst, wird eine Mischung von expliziten Antisemiten wie Hartwig von Hundt-Radowsky und in der Geschichte des Antisemitismus nicht verzeichneten Autoren wie Victor Hugo oder Ludwig Feuerbach präsentiert. Mit über sechzig Seiten nehmen dann die „Urteile nach 1848 bis zur Gegenwart“ den größten Raum ein. Hier finden sich Texte der führenden Antisemiten der Zeit von Richard Wagner über Wilhelm Marr, Otto Glagau, Heinrich von Treitschke, Eugen Dühring bis zu Édouard Drumont, es werden aber auch explizite Gegner des Antisemitismus wie Theodor Mommsen, Rudolf Virchow und Émile Zola mit ausgewählten Äußerungen für den Antisemitismus vereinnahmt. Der kompilatorische Charakter des „Handbuchs“ wird besonders darin deutlich, dass nach diesem Durchgang durch die abendländische Geschichte der Judenfeindschaft nochmals Abschnitte mit Zitaten von Zeitgenossen angehängt werden, sowohl von einschlägigen Antisemiten wie Houston Stewart Chamberlain oder Friedrich Lange als auch von „Jüdischen Stimmen“ (Rabbiner, jüdische Organisationen und Presseorgane), die belegen sollen, dass Juden sich auch heute noch als eine besondere Nation betrachteten. Ein Abschnitt geht zudem auf die von Hermann Bahr herausgegebene Schrift → „Antisemitismus – Ein Internationales Interview“ von 1891 ein, die als Text zur „Gesinnungskontrolle“ bezeichnet wird, in der 90 Prozent der Befragten, ironisch als „Ritter vom Geiste“ bezeichnet, sich als Gegner des Antisemitismus präsentiert hätten. Abgedruckt werden aber nicht deren Stellungnahmen, sondern die Kritik, die völlig unbekannte Deutsche daran geübt hätten. Ein längeres Kapitel widmet sich dann den Juden in anderen europäischen Ländern (Russland und Polen, Ungarn, Rumänien, Walachei, Elsass-Lothringen). Auch dies geschieht in Form des Abdrucks von längeren Textpassagen aus historischen und ethnographischen Werken sowie aus Zeitungsartikeln. Es folgt ein Kapitel über die „Ge-

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schichte des jüdischen Volkes“ von seinen Anfängen bis in die Gegenwart. Zwar betont Fritsch entsprechend seiner rassenantisemitischen Überzeugung, dass die antisemitische Bewegung eigentlich mit Religion nichts zu tun habe, doch drückt sich für ihn in den „verbrecherischen Lehren des Talmud“ geradezu der nationale Geist des Judentums aus. Er schließt damit an die bis zu Andreas Eisenmengers → „Entdecktes Judenthum“ zurückgehende Tradition der Talmud-Polemik an, die seit dem Buch → „Der Talmudjude“ von August Rohling von 1871 wieder weit verbreitet war. Ein späterer Abschnitt fügt dem noch „Bemerkenswerte Bibelstellen“ hinzu, in denen sich die negativen Züge der Juden offenbaren würden. Die weiteren Kapitel des Buches behandeln verschiedene Aspekte des jüdischen Lebens der Gegenwart in Europa. Zunächst werden unter der Überschrift „Jüdische Geheimgesellschaften“ jüdische Organisationen wie die Alliance Israélite Universelle, die Anglo-Jewish-Association, die Kahal (im Zarenreich) usw. behandelt, die für Fritsch ein Beweis dafür sind, dass „das gesamte Judentum eine Geheimgesellschaft mit verborgenen Gesetzen und Absichten“ bildet. Es folgt ein längeres Kapitel zur „Statistik der Juden“, in dem zunächst die Zahl der jüdischen Einwohner weltweit und ein Verzeichnis der jüdischen Gemeinden in den deutschen Städten aufgeführt werden. Anschließend wird der derzeitige Anteil von Juden in verschiedenen Berufsgruppen (Justiz, Höhere Verwaltung, Medizin, Presse, Literatur, Theater, Musik, Bildungswesen, Börse, Politik) in Deutschland, aber auch in einigen anderen Ländern bis hin zum Abdruck von Namenslisten aufgeschlüsselt. Den Schluss des „Handbuchs“ bildet ein Kapitel, in dem Fritsch Antworten auf die Frage „Wie ist die Judenfrage zu lösen?“ gibt. Da für ihn eine Lösung vonseiten des Staates derzeit nicht zu erwarten ist, setzt er auf unterschiedliche Formen privater Initiative. Zunächst erscheint es ihm wichtig, die „arglosen Kulturvölker“ darüber aufzuklären, dass ihnen in den Juden ein bewusster Feind gegenüberstehe, der bekämpft werden müsse. Diese Aufgabe zur Rettung des Vaterlandes habe die antisemitische Bewegung übernommen, die den Antisemitismus nach unklaren Anfängen der 1880er Jahre inzwischen zu einer umfassenden, wissenschaftlich fundierten Weltanschauung weiterentwickelt habe. Diese müsse nun auf dem Weg der „Volks-Belehrung“ verbreitet werden. Gewalt im Kampf gegen das Judentum lehnt er ab, er versteht ihn als reinen „Geisteskampf, der mit einer Selbstläuterung beginnen müsse, d. h., man muss erst den inneren Juden aus sich selbst verbannen, bevor man mit dem äußeren fertig werden kann. Dann würde sich wie von selbst eine Isolierung und Ausscheidung des Judentums vollziehen. Anschließend werden die sich daraus ergebenden Aufgaben der verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen wie Schule und Presse skizziert, hinzu müssten Reformen der Volkswirtschaft und der gesamten gesellschaftlichen Organisation kommen. Für die Heilung von der „Juden-Krankheit“, so sein Fazit, gebe es kein Universalrezept, sondern es bedürfe vieler Kräfte und Hilfen, damit man zuversichtlich ans Werk der „Wiedergeburt“ gehen könne. In seinem „Nachwort“ räumt Fritsch ein, dass ihm in der Eile der Publikation Fehler beim Zitieren unterlaufen sein könnten, ein Eingeständnis, das die schon früh von Paul de Lagarde an seinem sorglosen Umgang mit den Quellen geübte Kritik reflektiert, der ihm geraten hatte, den Tal-

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mud lieber herauszulassen und nur moderne Autoren zu zitieren. Das Buch enthält auf den letzten Seiten Werbeanzeigen für antisemitische Schriften seines Verlages. Spätere Ausgaben des „Handbuchs“ in der Zeit des Nationalsozialismus, die nach Fritschs Tod 1933 von anderen zusammengestellt wurden, zeigen einen veränderten Aufbau bzw. eine andere Gewichtung der früheren Teile. Die letzte Auflage von 1944 beginnt mit einer „Rassenkunde des jüdischen Volkes“, gefolgt von einem Abriss der „Geschichte des Judentums“ von der Frühzeit bis in die Gegenwart. Das Buch enthält Kapitel über die „Jüdische Lehre“, über „Jüdische Kampforganisationen“ und das Wirken von Juden in allen gesellschaftlichen Teilbereichen unter dem Titel „Das Judentum in der deutschen Kulturgemeinschaft“. Die Sammlung judenfeindlicher Aussagen über „Das Judentum im fremden und eigenen Urteil“, das Kernstück des frühen „Handbuchs“, ist dagegen nur noch stark gekürzt übernommen worden. Das neue Schlusskapitel bildet ein Durchgang durch die „Geschichte des deutschen Antijudaismus“, die im „völkischen Erwachen“ und in der Gestalt der NSDAP ihr Ziel erreicht habe. Die Radikalität des „Antisemiten-Katechismus“ blieb bei seinem Erscheinen nicht unbeachtet. Das Buch wurde 1888 wegen der Angriffe auf die jüdische Religion beschlagnahmt, und in dem folgenden Prozess wurde Fritsch zu einer Woche Haft und zur Streichung einiger Textstellen verurteilt. 1889 publizierte Fritsch daraufhin eine gekürzte Fassung unter dem Titel „Thatsachen zur Judenfrage (ABC des Antisemiten). Auszug aus dem Antisemiten-Katechismus“. Spätere ungekürzte Auflagen des „Antisemiten-Catechismus“ blieben ab 1891 ohne juristische Folgen. Im Jahre 1921 veröffentlichte der später als Rassenantisemit hervorgetretene evangelische Theologe, Neutestamentler und Talmudist Paul Fiebig seine Schrift „Juden und Nichtjuden. Erläuterungen zu Th. Fritschs ‚Handbuch der Judenfrage’“, in der er das Talmud-Kapitel des „Handbuchs“ wissenschaftlich prüft und zu dem Schluss kommt, dass Fritsch kein „sachliches Material zu einer vorurteilsfreien Betrachtung“ liefere, ja ihn der „absichtlichen Fälschung“ bezichtigte. Fritsch, der wegen seiner Angriffe auf die jüdische Religion immer wieder in Gerichtsverfahren verwickelt war, antwortete ihm und einigen anderen theologischen Kritikern (u.a. Hermann L. Strack, Gerhard Kittel), die ihn bzw. andere antisemitische Autoren wegen ihrer Ausführungen zum Talmud kritisiert hatten, in der Schrift „Der Streit um den Talmud. Meine Antworten an Strack, Kittel, Fiebig, Caro und andere“. Er tut dort die Schrift Fiebigs als ein „unwissenschaftlich einseitiges Judenschriften- und Judenschutzbüchlein“ ab, die sein „Handbuch der Judenfrage“ sachlich nicht nur nicht widerlegt, sondern wider Willen in seinen Ausführungen bestätigt habe“. Sein Versuch, ihn „‚wissenschaftlich’ mausetot“ zu schlagen, sei misslungen. Schon früh benutzte Fritsch eine Sprache der Gewalt, in der er zur Bekämpfung der jüdischen Rasse als der Inkarnation des Bösen aufruft, deren Ausschluss aus dem „arischen Völkerleben“ er propagierte. Nicht zu Unrecht wurde er in der letzten Auflage des „Handbuchs der Judenfrage“ 1944 in einem Nachruf als „Schöpfer des praktischen Antisemitismus“ gefeiert, der nicht müde wurde, zum Kampf gegen die Juden aufzurufen, die er als „Untermenschen“ ansah. Bereits 1930 hatte Hitler in einem

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Brief an Fritsch dessen „Antisemiten-Katechismus“ die Rolle eines Wegbereiters zugeschrieben.

Werner Bergmann

Literatur Elisabeth Albanis, Anleitung zum Hass: Theodor Fritschs antisemitisches Geschichtsbild. Vorbilder, Zusammensetzung und Verbreitung, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 167–192. Michael Böhnisch, Die „Hammer-Bewegung“, in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1996, S. 341–365. Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Paul Fiebig, Juden und Nichtjuden. Erläuterungen zu Th. Fritschs „Handbuch der Judenfrage“ (28. Auflage), Leipzig 1871. Günter Hartung, Völkische Ideologie, in Uwe Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München 1996, S. 22–44. Andreas Herzog, Theodor Fritschs Zeitschrift „Hammer“ und der Aufbau des „Reichs-Hammerbundes“ als Instrumente der antisemitischen völkischen Reformbewegung (1902– 1914), in: Mark Lehmstedt, Andreas Herzog (Hrsg.), Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900, Wiesbaden 1999, S. 153–182. Alexander Volland, Theodor Fritsch und „Der Hammer“, Mainz 1994.

Hanse Buchwerkstatt → Verlag Wieland Körner

Hanseatische Verlagsanstalt (seit 1893) In der späten Weimarer Republik der führende Verlagskonzern der „Konservativen Revolution“ und völkischen Rechten, entwickelte sich die Hanseatische Verlagsanstalt (HAVA) zu einer publizistischen Denkfabrik im nationalsozialistischen Deutschland. Von Anfang an, seit ihrer Gründung 1893 als Hanseatische Druckanstalt in Hamburg, war dem Verlag des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV) eine antisemitische Tendenz eingeschrieben: Der DHV, zu seiner Blütezeit in den 1920er Jahren mit über 400.000 Mitgliedern die größte Angestelltengewerkschaft der Welt, nahm grundsätzlich keine jüdischen Mitglieder auf. Diese programmatische Grundorientierung eines solchen Organisationsverlages unterscheidet die Hanseatische Verlagsanstalt von einer Vielzahl rechter Privatverlage, deren Produktion grundsätzlich von der Ideologie bzw. dem aktuellen Geschäftsinteresse des Eigentümers, also von biographischen Zufälligkeiten abhängt. Allerding kam es um 1909 im Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband zu einem scharfen Richtungsstreit zwischen den parteiantisemitischen Gründern des Verbandes und einer mehr pragmatisch-gewerkschaftlich orientierten Führungsgruppe, die dezidiert und erfolgreich eine Politik der „Querverbindungen“ zu allen bürgerlichen Parteien rechts von der SPD anstrebte. Zu diesem Zweck, um die Akzeptanz im bürgerlichen Lager und bei den christlichen Gewerkschaften zu verbessern, wurde die ursprünglich antisemitische Verbandsideologie marginalisiert und zu dem seit dem Ersten Weltkrieg besonders vom „geistigen Leiter“ der Hanseatischen Verlagsanstalt

Hanseatische Verlagsanstalt (seit 1893)

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und 1919–1938 Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ Wilhelm Stapel vertretenen Konzept einer preußisch-protestantisch geprägten „deutschen Bildung“ sublimiert. Gerade der von Stapel in Abgrenzung zur „radauantisemitischen“ Agitation eines Adolf Bartels sogenannte kultiviertere Salonantisemitismus entwickelte in den 1920er Jahren in den weitgehend von der Inflation gebeutelten bildungsbürgerlichen Kreisen eine gefährliche Virulenz und führte besonders in den Universitäten und meinungsführenden Pfarrhäusern der norddeutschen Tiefebene zu der verbreiteten Akzeptanz eines spezifisch „völkischen“ Literaturkanons. Es waren Autoren wie Hans Grimm, Erwin G. Kolbenheyer, Hans Friedrich Blunck, Wilhelm Schäfer, Friedrich Griese und Paul Ernst, die hier als „deutsche Dichter“ propagiert wurden, während man jüdische Schriftsteller wie Emil Ludwig, Kurt Tucholsky, Franz Werfel und Stephan Zweig als „Asphalt-Literaten“ in der „Heine-Tradition“ systematisch ausgrenzte: Im Grunde wurden hier die Listen der Bücherverbrennung vorbereitet: die Hanseatische Verlagsanstalt entdeckte den literarischen Antisemitismus als durchschlagendes und zukunftsträchtiges Marketingprinzip. Innerhalb der rechten Szene, ob es sich um die Ausläufer der bündischen Jugendbewegung, um den „jungkonservativen Ring“ oder um militante Nationalrevolutionäre handelte, entwickelte die Hanseatische Verlagsanstalt eine schier unwiderstehliche Anziehungskraft, gestützt auf das finanzstarke Milieu des DHV, der in seiner Versicherung „Deutscher Ring“ die SA wie den Stahlhelm und den Reichslandbund versichern konnte, der der völkischen Szene auch eine Krankenversicherung und die Wohnungsbaugesellschaft GAGfAH zu bieten hatte, der in den Bildungseinrichtungen des Johannesstifts Spandau genauso präsent war wie in der bündischen Jugendbewegung, an den studentischen Bursen und, etwa bei der Organisation einer Pressefront für den Reichskanzler Brüning, in den rechten politischen Klubs von Berlin. Von besonderer Attraktivität für Autoren und befreundete Verlage war die 1916 gegründete älteste Buchgemeinschaft der Welt, die Deutsche Hausbücherei. Hier wurde erstmals systematisch eine gesinnungsmäßig geschlossene, in den Konsumgewohnheiten berechenbare rechte Klientel von etwa 40.000 Mitgliedern (1932) mit entsprechenden Großauflagen bewirtschaftet. Seit 1926 verfügte die Hanseatische Verlagsanstalt auch über eine eigene Großdruckerei in Wandsbek, die den Verlag zur Expansion zwang. Dabei kam der Hanseatischen Verlagsanstalt zustatten, dass die Mehrzahl der deutschen Buchhandlungsgehilfen im DHV organisiert war, wo die Buchhändler eine Art intellektuelle Avantgarde bildeten. Hierdurch stand der Hanseatischen Verlagsanstalt ein unvergleichliches buchhändlerisches Know-how zur Verfügung. Es ist evident, dass genau dieses Wissen der Hanseatischen Verlagsanstalt um die Organisation eines politischen Massenbuchhandels dem Buchhandelssystem im Dritten Reich entscheidende Impulse vermittelte. Vom Chefredakteur des Börsenblatts Hellmuth Langenbucher über den Geschäftsführer der Reichsschriftumskammer Gunther Haupt bis hin zum Bücherwart der SS Niels Hansen besetzten Lektoren und Redakteure der Hanseatischen Verlagsanstalt nach 1933 entscheidende Positionen. Höhepunkt der Verlagskonzernbildung des DHV bzw. der Hanseatischen Verlagsanstalt in der Weimarer Republik war der Kauf und 1931 die Zusammenlegung der Verlage Georg Müller und Albert Langen zum Langen-Müller-Verlag. Die Absatzstra-

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tegen der Hanseatischen Verlagsanstalt sorgten, gestützt auf die Drücker-Kolonnen der arbeitslosen DHV–Angestellten dafür, dass ein so ungenießbarer Wälzer wie → „Volk ohne Raum“ von Hans Grimm zum Bestseller und 500.000-mal verkauft werden konnte. Mit Autoren wie Paul Alverdes, Konrad Beste, Hermann Claudius, Paul Ernst, Richard Euringer, Friedrich Griese, Hans Grimm, Knut Hamsun, Hanns Johst, Erwin G. Kolbenheyer, Benno von Mechow, Selma Lagerlöf, Wilhelm Schäfer, Heinz Steguweit, Emil Strauß, Will Vesper, J. M. Wehner und Ernst Wiechert wurde Langen-Müller der konkurrenzlose belletristische Leitverlag der NS-Zeit. Die meisten dieser Autoren fanden sich an der preußischen Akademie der Dichtung wieder, wo Langen-Müller seit 1933 eine ausgesprochene Dominanz entfaltete und darin S. Fischer als belletristischen Leitverlag der Weimarer Republik abgelöst hatte. Während in den 1920er Jahren das Verlagsprogramm der Hanseatischen Verlagsanstalt, also des Hamburger Stammverlags, mehr nach Gesichtspunkten des innergewerkschaftlichen Flügelproporzes ausgehandelt worden war, politisierte sich das Profil 1931 mit dem neuen Verleger Benno Ziegler. Furore machten jetzt vor allem Schriften der beiden neuen Hausautoren Ernst Jünger (Der Arbeiter) und Carl Schmitt (Der Begriff des Politischen), aber auch der zukunftsprägende Titel „Das Dritte Reich“ Arthur Moeller van den Brucks. „Der totale Staat“ und „Die totale Mobilmachung“ im Hinblick auf die Revision des Versailler Vertrages standen konzeptionell im Mittelpunkt. In der Endphase der Weimarer Republik richtete sich die Politik des DHV dezidiert gegen den Hugenberg-Flügel der DNVP und (im Bündnis mit Brüning und Schleicher) bis zuletzt, Ende Januar 1933, gegen eine Kanzlerschaft Hitlers. Umso entschiedener wurde die alte DHV-Führung 1933 von der NSDAP bekämpft, bis der DHV schließlich „gleichgeschaltet“ war und auch sein Verlagsimperium von der Deutschen Arbeitsfront übernommen wurde. Zwischen 1933 (zum Zeitpunkt der Bücherverbrennung wurde der DHV gleichgeschaltet, und der Verlag war handlungsunfähig) und 1935 geriet die Hanseatische Verlagsanstalt in eine Anpassungskrise, in der sie im Kampf um die Existenz auf der Suche nach mächtigen Verbündeten aggressiv auf ihre Verdienste um „Das Dritte Reich“ pochte. Dabei wurden mit dem gewohnten Erfindungsreichtum zugleich für das neue System typische Märkte erschlossen. Man kooperierte bei der Aufrüstung mit der Wehrmacht und zum Nutzen einer totalen Wehrwirtschaft mit den führenden Wirtschaftsinstituten, den heutigen „fünf Weisen“, man bediente den KdF-Markt mit dem Herrschaftswissen der Jugendbewegung und lieferte Carl Schmitt das Forum, um für die Meinungsführerschaft als „Kronjurist des Dritten Reiches“ zu kämpfen. Dabei radikalisierte sich innerhalb weniger Jahre das Programm und, wie Wilhelm Stapel konstatierte, das Formniveau brach zusammen. So unterstützte die Hanseatische Verlagsanstalt den Aufstieg Walter Franks und sein „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“. Bei der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienen dessen berüchtigte → „Forschungen zur Judenfrage“, und man arbeitete zunehmend auch mit den radikalsten SS-Autoren wie Franz-Alfred Six zusammen. Paradoxerweise publizierten die Hanseaten, sei es, wie nach 1945 behauptet aus ideologischer Überzeugung, sei es aus Gründen einer intelligenten Marktdiversifikation, gleichzeitig Titel, die zu Recht als die Aushängeschilder einer klar vom Nationalsozialismus distanzierten „Inneren Emigration“ gehandelt wurden, vor allem Werner Bergengruens „Der Großtyrann und das Gericht“ (1935)

Der Heide (1901)

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und Ernst Jüngers „Auf den Marmorklippen“ (1939), Bücher, deren tapfere Publikation bestaunt wurde und dem Verlag auch in regimefernen bürgerlichen Kreisen Anerkennung brachte – für die einstigen Handlungsgehilfen ein erstrebenswertes Ziel. Bis 1943 Teil des DAF-Konzerns, wurde der Verlag mit Hilfe Hamburger Reeder von Benno Ziegler privatisiert, während die Buchgemeinschaft „Deutsche Hausbücherei“ an den nationalsozialistischen → Eher-Verlag verkauft wurde und die 1942 kriegszerstörte Druckerei bei der DAF blieb. Im August 1943 wurden auch das Verlagsgebäude am Alsterdamm zerstört und das Verlagsarchiv bis auf wenige Akten vernichtet. Nach dem Krieg wurde dem Verlag von der britischen Information Control die Lizenz verweigert, obwohl Benno Ziegler auf gute Kontakte zum Widerstandskreis des 20. Juli verweisen konnte. Die Überreste der Firmen gingen nach 1945 zunächst in das Eigentum der Deutschen Angestellten Gewerkschaft über, um schließlich an Georg von Holtzbrinck verkauft zu werden.

Siegfried Lokatis

Literatur Iris Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband 1893–1933, Frankfurt am Main 1967. Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966. Heinrich Kessler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, Nürnberg 1967. Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich“, Frankfurt am Main 1992. Andreas Meyer, Die Verlagsfusion Langen-Müller. Zur Buchmarkt- und Kulturpolitik des DHV in der Endphase der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1989.

Der Heide (1901) Mit der Berliner Wochenschrift „Der Heide. Blätter für religiöse Renaissance“ begründete der Publizist Martin Hildebrandt (1854–1925) im September 1901 einen kurzlebigen Beitrag im diffusen Spektrum der zeitgenössischen Debatten über Religion. Die redaktionelle Leitung der knapp acht Monate lang erschienenen Zeitschrift ging mit der sechsten Ausgabe, aufgrund eines Gerichtsprozesses wegen Beschimpfung religiöser Einrichtungen, an Max Freiherrn von Münchhausen (1868–1920) über. Dieser war zuvor als Schriftsteller, von 1900–1902 als Mitherausgeber der vom völkischen Wortführer Ernst Wachler initiierten „Deutschen Zeitschrift“ und später am Weimarer Nietzsche-Archiv aktiv. Der Autoren- und Leserkreis des „Heiden“, mit einer angeblichen, wohl viel zu hoch gegriffenen Auflage von 5000 Exemplaren, bleibt weitgehend unbekannt. Bemühungen der Redaktion zur Gründung eines dem Blatt assoziierten „Heidenbundes“ scheiterten. Ende Mai 1902 wurde die Publikation ohne Angabe konkreter Gründe eingestellt. Eine klare Einordnung der Zeitschrift in die Reihe zeitgenössischer Religionsentwürfe neuheidnischer Provenienz, wie es der Titel nahelegt, ist nicht möglich. Man beabsichtige weniger, „eine neue Religion bewußt zu schaffen“, als „durch sorgfältige Pflege der religiösen Keime dem religiösen Genie der Zukunft die Wege zu ebnen“.

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Der Heide (1901)

Der thematische Schwerpunkt lag im Antikatholizismus. Anhand dieses Alteritätskonzeptes wurden in synkretistischer Manier diverse, mitunter einander widersprechende, Themen und Topoi zu einem Zeugnis „vagierende[r] Religiosität“ (Thomas Nipperdey) zusammengeführt. So annoncierte man als Belege für die wahrgenommene Kluft zwischen christlicher Lehre und den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft, disziplin- und denkformübergreifend, u. a. Arbeiten von Ernst Haeckel, Ludwig Büchner, Wilhelm Bölsche, Friedrich Nietzsche und David Friedrich Strauß. Annäherungen in Richtung der Bremer Linksprotestanten Friedrich Steudel und Albert Kalthoff, der Berliner „Neuen Gemeinschaft“ und dem „Giordano Bruno Bund“ dokumentieren den Versuch – im Vorfeld des 1906 von Haeckel gegründeten „Deutschen Monistenbundes“ – zwischen reformprotestantischen, freireligiösen, lebensreformerischen, monistischen und naturwissenschaftlichen Ansätzen zu vermitteln. Eine diesseitsorientierte, „natürliche Welt- und Lebensanschauung“ sollte den christlichen Glauben an einen „persönlichen außer-weltlichen Gott“ ersetzen. Die im völkisch-religiösen Denken grundgelegte Verbindung von Religion und Rasse, d. h. die Annahme durch Rassenzugehörigkeit bedingter religiöser Anlagen, spiegelt sich u. a. in propagierten Geschichtsbildern des Christentums wider: Als eine artfremde, im „Völkerchaos“ des späten Römischen Reiches gewachsene Hybridreligion semitischen Ursprungs, sei diese den Germanen, der identitären Referenzgröße des Blattes, aufgezwängt worden. Luther, Goethe und Nietzsche geraten zu Ikonen heidnisch-religiösen Empfindens und Strebens gegen kirchenchristliche Unterdrückung. Zur Entfaltung des Volkstums „der Söhne Alldeutschlands“ gelte es – im Schulterschluss mit der österreichischen „Los von Rom – Bewegung“ – durch einen „neuen Kulturkampf“ den Konfessionalismus, insbesondere „die politische Gefahr des Ultramontanismus“, zu überwinden. Dem unter eklektischem Rekurs auf Thesen Paul Anton de Lagardes, Houston Stewart Chamberlains und Wachlers religiös ausgedeuteten Rasseparadigma des Blattes ist antisemitisches Denken immanent. In der Anwendung zeigt sich ein hohes Maß an ideologischer Flexibilität: Neben bewunderten, rassistisch-religiösen Stilisierungen der jüdischen „Volksgemeinschaft“ und ihrer „Volkshygiene“ erfolgte eine vermeintliche Solidarisierung mit dem antisemitischen Personenmotiv „Ahasver“. Innerhalb einer Vorveröffentlichung kam mit Gustav Landauer sogar ein jüdischer Autor in der Zeitschrift zu Wort. Doch wesentlich präsenter fungierte das Konstrukt des „jüdischen Rassegottes“ in unmittelbar abwertender Weise als Kernargument der antichristlichen Polemik. Demnach wurzele das proklamierte Rationabilitätsdefizit des Christentums in „jüdisch-orientalischen Mythen“. Der dem Judentum entlehnte monotheistische Gottesglaube sei mit Worten Ernest Renans „in Wirklichkeit die Frucht einer Menschenrasse, deren religiöse Bedürfnisse sehr gering sind“.

Felix Tesch

Literatur Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Band 1, München 1990. Uwe Puschner, Arteigene Religionsgemeinschaften und völkischreligiöse Gemeinschaften im frühen 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 68 (2011), S. 143–166.

Helm und Schild (Christian Ludwig Paalzow, 1817)

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Stefanie von Schnurbein, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe „arteigener“ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg 2001.

Heimatverlag Leopold Stocker → Leopold Stocker Verlag Heimatwehr → Schweizerbanner

Helm und Schild (Christian Ludwig Paalzow, 1817) Der von der radikalen Aufklärung beeinflusste Jurist und Schriftsteller Christian Ludwig Paalzow (1753–1824) verfasste bzw. gab zahlreiche Schriften und Broschüren zu rechtlichen, historischen und religiösen Fragen heraus. Er beteiligte sich in den Jahren 1799 bis 1804 mit seinen Schriften an laufenden Debatten zum Judentum und zu Fragen des Bürgerrechts für Juden (am sogenannten Hausväterstreit mit seiner Schrift → „Die Juden“ sowie an der Grattenauer-Kontroverse 1803). Als sich nach 1815 wieder eine antijüdische Debatte über die Emanzipation entspann, nahm neben Autoren wie Friedrich Rühs und Jakob Friedrich Fries auch Paalzow 1817 daran teil, nämlich mit seiner bekanntesten antijüdischen Polemik, dem fingierten Zwiegespräch „Helm und Schild. Gespräche über das Bürgerrecht der Juden“. In dieser 151-seitigen Schrift verteilte er in drei „Gesprächen“ die Argumente für und gegen das Bürgerrecht für Juden auf einen Juden (Helm) und einen Christen (Schild). Da Paalzow bereits in seinen früheren Schriften als Judenfeind hervorgetreten war, diente „Schild“ ihm hier offenbar als Sprachrohr. Die Ausführungen Paalzows zeigen in den Passagen „Helms“, dass er der jüdischen Seite durchaus große Gelehrsamkeit zubilligte und gute Argumente in den Mund legte, die den Vorwurf entkräften, alle Juden seien unehrliche Menschen, und die Forderung nach einer Konversion zum Christentum überflüssig erscheinen lassen. Dabei zeigt er sich als Kenner der antijüdischen Debatten über die Konversion, wenn er etwa den Pfefferkornstreit oder das Schreiben Moses Mendelssohns an Lavater zitiert, und er räumt „Helm“ breiten Raum zur Ausbreitung seiner Argumente ein, die am Ende durch die judenfeindlichen Ausführungen „Schilds“ jedoch immer wieder entkräftet werden. Unter der Prämisse, dass die „Wohlfahrth des Staates das höchste Gut sei“, sieht „Schild“ für die Juden folgendes Dilemma: Wenn Gott diese Wohlfahrt der Staaten will, aber den Juden am Sinai ein eigenes Gesetz gegeben habe, dann könne für sie die Wohlfahrt in den christlichen Staaten nicht das höchste Gut sein, sondern nur das ihres eigenen Staates. Das heißt, die Juden müssen entweder ihr besonderes Gesetz oder aber den Anspruch auf das Bürgerrecht aufgeben. Solange die Juden rechtlich benachteiligt und somit die „schwächere Partei“ seien, träten sie nachgiebig auf, würden sie aber gleichberechtigt, würden sie zur stärkeren Partei und gingen aus ihrem angeborenen Hass gegen alle anderen Menschen zum Angriff über. Paalzow greift hier ältere Vorwürfe vom Menschenhass der Juden (Tacitus) und der Gefahr eines „Staates im Staate“ auf. Er stellt seine Bildung unter Beweis, indem er lange historische Ausführungen und einen Rekurs auf Aristoteles als Begründung von „Schilds“ Meinung folgen lässt und berechtigte Einwände „Helms“ übergeht.

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„Schild“ schließt nun ein weiteres, bekanntes judenfeindliches Argument an, nämlich dass die Juden aufgrund ihres Religionsgesetzes Nicht-Juden „bewuchern“ dürften. Es entspinnt sich ein höchst gelehrter Disput zwischen den Kontrahenten, in dem beide den Talmud, Rabbiner und jüdische Philosophen als Beleg für das Gebot der Bewucherung von Fremden bzw. dessen Nichtgeltung heranziehen. Es folgt eine längere Auseinandersetzung über das Für und Wider der Missionierung zum christlichen Glauben, die „Helm“ für überflüssig und letztlich nicht begründbar hält, zumal man den konvertierenden Juden materielle Interessen unterstellt und sie als Christen nicht voll akzeptiert. „Helm“ fragt nun, was die Juden tun sollen, um des Bürgerrechts würdig zu sein. „Schild“ antwortet ihm mit einem längeren Forderungskatalog, wonach die Juden ohne Einschränkung ihr Judentum, die Beschneidung, ihre Zeremonien und ihre Absonderung aufgeben und sich ganz den Gesetzen des Staates unterwerfen müssten. Da die Juden schon in ihrer eingeschränkten Lage den Staaten durch ihren Wucher und ihre starke Vermehrung höchst nachteilig seien, würde die rechtliche Gleichstellung ohne die Konversion den Schaden noch dramatisch vergrößern. Er führt eine ganze Reihe von historischen Beispielen an, um die wegen der Bedrückung der Christen nötig gewordene Vertreibung der Juden zu rechtfertigen. Während „Helm“ diese Verfolgungen auf den christlichen Vorwurf des Christusmordes zurückführt, geht „Schild“ wiederum weit in die Geschichte zurück (Ägypten, Antiochus Epiphanes, Tacitus), um darzulegen, dass die Juden ihrerseits voller Hass, Grausamkeit und Feindschaft gegen alle Fremden seien, und umgekehrt wiederum von allen Völkern schon immer gehasst wurden, was wiederum „Helm“ durch den Verweis auf historische Fälle christlicher Grausamkeit zu kontern sucht. Im zweiten Gespräch geht es um die anstehende Judenemanzipation. Während „Helm“ eingangs davon ausgeht, dass die Juden, falls sie derzeit noch unvollkommenere Bürger seien, den Christen bald gleichkommen und dem Staate nützlich sein würden, lehnt „Schild“ diesen Vertrauensvorschuss ab, fordert von ihnen entsprechende Vorleistungen und sieht das Haupthindernis in der Religion, auf der die ganze Verfassung der Juden gebaut sei. Der Dialog variiert die schon im ersten Gespräch abgehandelten Themen von Ausbeutung der Christen und vom Menschenhass der Juden und greift auch auf die dort verwendeten historischen Beispiele zurück. „Schild“ lehnt eine Gleichstellung der Juden ab, da die Freiheit sie nicht besser und des Bürgerrechts fähiger mache. Das dritte Gespräch, in dem „Helm“ zunächst auf das Ergebnis des Wiener Kongresses hinweist, wonach der Deutsche Bund den Juden Bürgerrechte zugestanden habe, führt auf das Gebiet des Natur-, Völker- und Staatsrechts, da „Schild“ einwendet, dass die Fürsten zu ihren Staaten nicht in einem Vertragsverhältnis stünden, sodass sie ihre Entscheidungen jederzeit revidieren könnten. Hintergrund war das vonseiten der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingereichte Gesuch an die Reichsdeputation um wenigstens eingeschränkte Bürgerrechte. Es folgt ein gelehrter Streifzug durch die Geschichte des Staatsdenkens, des Handelns der Machthaber und der Regierungsformen von der Antike bis zu Napoleon, um am Ende des Dialogs bei der Frage der Entscheidungsbefugnisse der Bundesversammlung zu landen, in die „Helm“ große Hoffnung setzt, da er ihren Hauptzweck in der Gewährung der Bürgerrechte für die Juden sieht. Da sich die Fürsten bereit erklärt hätten, einer Verfassung zuzustimmen, hätten

Hirtenbrief über wahren und falschen Nationalismus

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die Juden als ihre Untertanen das Recht, von ihnen Bürgerrechte zu fordern und sie durch die Bundesversammlung dazu anhalten zu lassen. Dagegen wendet „Schild“ in seiner letzten Replik ein, dass der Souverän, wenn es die Wohlfahrt des Staates erfordere, Verträge annullieren könne. Solange nicht erwiesen sei, dass die Einbürgerung der Juden nicht schädlich sei, könnten die Juden auf die Bürgerrechte keinen Anspruch erheben bzw. sie könnten ihn auch wieder verlieren. Die Bedeutung von Paalzows Schriften für die frühantisemitische Diskussion (zusammen mit denen Grattenauers und Friedrich Buchholz’) liegt neben der Einführung eines deutlich antijüdischen Tones – der jüdische Historiker Heinrich Graetz schrieb sogar von einem „wutschnaubenden Judenhass“ – darin, dass sie in der Abwehr des kulturellen und ökonomischen Hervortretens der Juden nicht auf vormoderne Lösungen zurückgreifen und auch noch nicht nationalistisch geprägt sind, sondern den aufklärerischen Universalismus mit Zwangsmaßnahmen des Staates zur Judenemanzipation verbinden, d. h., sie fordern die Aufhebung jeglichen Sonderstatus’ der Juden und die Übernahme aller Staatsbürgerpflichten ohne jede Einschränkung, um so eine völlige kulturelle wie physiologische Transformation des jüdischen Charakters zu erreichen. Dieses Ziel sah Paalzow durch das Festhalten der Juden an ihrer Eigenart und durch ihr Streben nach ökonomischer Vorherrschaft bedroht, weshalb er sie mit besonderer Schärfe angriff.

Werner Bergmann

Literatur Heinrich Graetz, Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die Neueste Zeit (1848), Band 11, S. 239 ff. Jonathan M. Hess, Germans, Jews, and the Claims of Modernity, New Haven, London 2002.

Hierarchie der Verschwörer → Das Komitee der 300 Die Hintermänner → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Hirtenbrief über wahren und falschen Nationalismus (Johannes Maria Gföllner, 1933) Johannes Maria Gföllner (1867–1941) wurde am 18. Oktober 1915 zum Bischof von Linz geweiht. Der überzeugte Monarchist, der 1895/96 auch als Prinzenerzieher in der Familie von Erzherzog Karl Stephan von Österreich wirkte, stand den demokratischen Entwicklungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges immer skeptisch gegenüber und unterstützte ab 1933 den autoritären „Ständestaat“ und dessen politischen Katholizismus. Schon früh kritisierte Gföllner den Nationalsozialismus und bezeichnete bereits im Jahr 1929 Hitler und dessen Umfeld als „falsche Propheten“. Am 21. Januar 1933 veröffentlichte er schließlich seinen „Hirtenbrief über wahren und falschen Nationalismus“, in dem er aus seiner Ablehnung gegen den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten keinen Hehl machte. Gleichzeitig reproduzierte er in seinem

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Hirtenbrief über wahren und falschen Nationalismus

Schreiben eine Reihe antisemitischer Klischeebilder in der Tradition der österreichischen Christlich-Sozialen und des katholischen Antijudaismus. Antisemitismus als Instrument politischer Überzeugungskraft und weltanschauliche Maxime hatte in Österreich sowohl in der christlich-sozialen Partei als auch unter den Katholiken Tradition. Mit dem Erfolg der Nationalsozialisten bei den Wahlgängen in Österreich und Deutschland Anfang der 1930er Jahre sahen sich diese Kräfte veranlasst, ihren Standpunkt in der „Judenfrage“ zu verdeutlichen und ihre antisemitischen Aussagen zu verschärfen, um die Zustimmung der eigenen Anhängerschaft nicht einzubüßen. Den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten wollten jedoch viele Katholiken nicht mittragen. Gföllners Hirtenbrief steht exemplarisch für den ambivalenten Standpunkt, den Vertreter der katholischen Kirche gegenüber der jüdischen Bevölkerung und deren Bedrohung durch die nationalsozialistische Rassenideologie einnahmen: Teile des Hirtenbriefes lesen sich als schonungslose Abrechnung mit dem Nationalsozialismus auf der Basis eines katholischen Wertekanons. Der rassistische Antisemitismus der Nationalsozialisten, der das Primat der Abstammung postulierte, stand in offenkundigem Gegensatz zur Position der Kirche, für die ein getaufter Jude kein Jude mehr war. Die Verfolgung von Juden aufgrund ihrer Abstammung wies Gföllner in seinem Hirtenbrief folglich zurück: „Der nationalsozialistische Rassenstandpunkt ist mit dem Christentum völlig unvereinbar und muß daher entschieden abgelehnt werden.“ In Rassenhass und Antisemitismus in seiner nationalsozialistischen Ausprägung sah er einen „Rückfall in abscheuliches Heidentum“. „Der Nationalsozialismus“ kranke, so Gföllner, „innerlich an materialistischem Rassenwahn – an unchristlichem Nationalismus – an nationalistischer Auffassung der Religion – an bloßem Schein-Christentum; sein religiöses Programm weisen wir daher zurück“. Es sei daher unmöglich, „gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein“. Hätte es Gföllner bei dieser Kritik am Nationalsozialismus und dessen rassistischem Antisemitismus belassen, wäre er wahrscheinlich als Vorreiter der kirchlichen Opposition gegen den Nationalsozialismus in die Geschichte eingegangen. Stattdessen ließ Gföllner aber keinen Zweifel an seiner Zustimmung zu einer breiten Palette etablierter antijüdischer Klischees offen. Er unterschied zwischen dem „jüdischen Volkstum“ bzw. der jüdischen Religion und dem „jüdischen, internationalen Weltgeist“ – für dessen „Eindämmung“ er plädierte: „Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einen überaus schädlichen Einfluss auf fast alle Gebiete des modernen Kulturlebens, Wirtschaft und Handel [...], Advokaten und Heilpraxis aus.“ Viele gesellschaftliche und politische Veränderungen wären, so Gföllner, „durchsetzt und zersetzt von materialistischen und liberalen Grundsätzen, die meist vom Judentum stammen“. Medien und Unterhaltungsindustrie würden unter jüdischem Einfluss „die christliche Volksseele bin ins Innerste vergiften“. „Das entartete Judentum“ so schreibt Gföllner weiter, ist auch mitverantwortlich für den „mammonistischen Kapitalismus und [...] Sozialismus und Kommunismus, der Vorboten und Schrittmacher des Bolschewismus“. Diesen schädlichen Einfluss des Judentums zu brechen wäre „nicht nur gutes Recht, sondern strenge Gewissenspflicht eines jeden überzeugten Christen“. „Die moderne Zeit braucht zwar die Juden nicht des Landes zu verweisen“, zum Schutz vor diesem „schädlichen Einfluss“ des Judentums sollte man aber „in Gesetzgebung und Verwal-

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tung einen starken Damm aufrichten gegen all den geistigen Unrat und die unsittliche Schlammflut, die vorwiegend vom Judentum aus die Welt zu überschwemmen drohen“. Der Hirtenbrief wurde von jüdischer wie nationalsozialistischer Seite heftig angegriffen. Seinen Kritikern antwortete Gföllner im Linzer „Diözesanblatt“ vom 22. März 1933: „Es bleibt denn auch der Hirtenbrief trotz aller Kritik und Anfeindung vollinhaltlich aufrecht; nicht ein einziger Satz und Gedanke wird zurückgenommen oder abgeschwächt.“

Alexander Salzmann

Literatur Gerhard Botz, Ivar Oxaal, Michael Pollack, Nina Scholz (Hrsg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, Wien 2002. Richard Kutschera, Johannes Maria Gföllner. Bischof dreier Zeitenwenden, Linz 1972. Andreas Laun (Hrsg.), Unterwegs nach Jerusalem. Die Kirche auf der Suche nach ihren jüdischen Wurzeln, Eichstätt 2004. Maximilian Liebmann, Hans Paarhammer, Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Staat und Kirche in der Ostmark, Frankfurt am Main 1998. Bruce F. Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien 1993.

Histoire du cinéma (Maurice Bardèche, Robert Brasillach, 1935) Der Literaturwissenschaftler und Essayist Maurice Bardèche und der Journalist Robert Brasillach hatten sich im Laufe ihres gemeinsamen Studiums an der „École normale supérieure“ in Paris für das Kino begeistert. Ihre „Histoire du cinéma“ [Geschichte des Kinos] erschien 1935 in zwei Bänden, von denen sich der eine dem Stummfilm und der andere dem Tonfilm widmete. Diese von den Autoren gewählte Aufteilung entsprach einer historischen Realität und trug den vom Tonfilm ausgelösten Umwälzungen Rechnung. Daneben ging es aber auch um die Möglichkeit, eine in ihren Augen verwerfliche Entwicklung zu analysieren. Für Bardèche und Brasillach war Kino ein Spiegel nationaler Werte: Es werde von nationalen Traditionen geprägt, die respektiert werden sollten. Diese Feststellung mündete in eine Forderung, eine Nostalgie und schließlich einen Protest der Autoren. Die Forderung betraf den französischen Beitrag zur Kinogeschichte: Dieser war beachtlich, ja sogar maßgeblich, sowohl bezüglich technischer Gesichtspunkte als auch im Hinblick auf die französischen Produktionen; er dominierte in der Zeit der Stummfilme (für die Autoren eine Gelegenheit, den Regisseur Georges Méliès in den Vordergrund zu stellen). Die Nostalgie bezog sich auf das goldene Zeitalter, das zum Erscheinungsdatum der „Histoire“ für immer vergangen war, nachdem der Tonfilm den Stummfilm völlig überholt hatte. Der Protest betraf diesen Sieg des Tonfilms. In den Augen der Autoren verfolgte dieser auf scheinbar widersprüchliche Weise die Tendenz, die Grenzen und nationalen Werte des Kinos, welche dem Stummfilm zugrunde lagen, zu verwischen. Außerdem war der siegreiche Tonfilm, so wie er sich Mitte der 1930er Jahre darstellte, ein Vertreter des Auslands: Er verdrängte die französische Kinoproduktion (Aufkauf der Gesellschaft Pathé durch die Brüder Natan, rumänische

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Juden) und warf Genies in die Armut (so Méliès, dessen Fall Brasillach in seinem Buch „Notre avant-guerre“ später beschreiben sollte) und zeigte eine Dekadenz, die jene in Frankreich widerzuspiegeln schien. Das Kinowesen wurde nun von deutschen und amerikanischen Produktionen und Gesellschaften dominiert. Hollywood wurde damit für die Autoren zur Inkarnation der Geschmacklosigkeit. Dies betraf den Inhalt selbst der Kinoproduktion: Er folgte höchst kommerziellen Gesichtspunkten und einer „morbiden jüdischen Perversität“, die sich nach dem vermeintlichen Geschmack des breiten Publikums ausrichtete und nicht mehr die Kreativität der Regisseure reflektierte. Deren Wert werde ohnehin von Hollywood verfälscht, wie die Verschlechterung der Produktion europäischer Filmemacher zeige, die sich dort niederließen. Auch gehe es vor allem um das nunmehrige Erscheinungsbild des Kinomarktes und die wichtigen Positionen von Juden (auf welche Brasillach auf groteske Weise in seiner autobiographischen Erzählung „Notre avant-guerre“ zurückkommen sollte), die nur an ihre Profite denken würden, auf Kosten der Qualität sowie der Autoren und Schauspieler. Im Gegensatz dazu zeigten sich Bardèche und Brasillach für die Jugend und die Kraft, so wie sie zu diesem Zeitpunkt von der faschistischen und vor allem nationalsozialistischen Kinoproduktion dargestellt wurden, äußerst begeistert: Leni Riefenstahl und ihre Ikonographie, die im Geist des nationalsozialistischen Körperkults konzipiert wurde, kamen ihrem Ideal sehr nahe. Daneben bot die Wochenschau im Tonfilm – ein anderer wichtiger Aspekt des Kinos dieser Zeit – jede Menge Möglichkeiten, die von ihnen bewunderten Diktatoren in den Vordergrund zu stellen. Diese persönlich zu erleben, hatte Brasillach 1935 Gelegenheit, als er zum ersten Mal dem Nürnberger Parteitag der NSDAP beiwohnte. Italien und Deutschland fungierten für ihn als positiver Gegenpol zu den verabscheuten Demokratien. Die antisemitischen Konnotationen, die es bereits in der Ausgabe von 1935 gab, verschärften sich in der Ausgabe, die unter dem deutschen Besatzungsregime in Frankreich 1943 erschien. Der Antisemitismus hatte Eingang in das offizielle politische Leben gefunden; der radikale Standpunkt etwa von Lucien Rebatet schlug sich auch in diesem Werk nieder: So wurde der ursprünglich bewunderte Charlie Chaplin in der neuen Ausgabe als Jude abgetan. „L’Histoire du cinéma“ wurde zum Klassiker, der auch nach 1945 mehrmals neu aufgelegt wurde. Veranlasst wurden die Neuauflagen von Maurice Bardèche, der darauf bedacht war, auf die Version von 1935 und nicht auf jene von 1943 zurückzugreifen, um eine Ächtung zu vermeiden. Tatsächlich wird das Werk auch heute als Handbuch betrachtet, als neutrales Werk, das von den übrigen Arbeiten von Bardèche und Brasillach, die in den meisten Fällen aufgrund der Reputation und der Persönlichkeit der beiden Autoren verworfen werden, zu unterscheiden sei.

Dominique Trimbur

Literatur Ghislaine Desbuissons, Itinéraire d’un intellectuel fasciste: Maurice Bardèche, Dissertation, Institut d’Études Politiques, Paris 1990. Mary Jean Green, Fascists on Film: The Brasillach and Bardèche Histoire du cinéma, in: South Central Review 6 (1989), 2, S. 32–47. Alice Yaeger Kaplan, Fascist Film Esthetics: Brasillach and Bardèche’s Histoire du cinéma, in: Modern Language Notes 95 (1980), S. 864–883.

Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland (1838–1923)

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Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland (1838–1923) Die „Historisch-politischen Blätter“, das einflussreichste intellektuelle Organ des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert, waren ein Kind des Kölner Mischehenstreits, der im November 1837 mit der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Freiherr von Droste zu Vischering eskalierte. Zur Verteidigung der katholischen Freiheit trat der Publizist Joseph Görres mit der bahnbrechenden Flugschrift „Athanasius“ hervor (Manuskript: Januar 1838). Im Februar 1838 wurden die „Historisch-politischen Blätter“ vom Görreskreis in München angekündigt, die seit dem 1. April unter der Verantwortung der Juristen Karl Ernst Jarcke und George P. Phillips sowie Joseph Görres’ Sohn Guido erschienen. Die Ausrichtung des Blattes war streng konservativ und ultramontan, monarchistisch und staatskritisch. Es entwickelte sich rasch zum Initiator und Sprachrohr des politischen Katholizismus. Seit 1852 bestimmte der Archivar, Politiker und Publizist Josef Edmund Jörg ein halbes Jahrhundert lang das Profil der „gelben Hefte“, die er (seit 1858 mit Franz Binder) durch die liberale Ära, die Reichsgründungszeit und den Kulturkampf bis zur Jahrhundertwende 1901 führte. Die Zeitschrift war unter seiner Ägide streng großdeutsch, antiliberal und antikapitalistisch; sie repräsentierte zunehmend den katholischen Konservativismus. Schon 1838 erschien der erste Artikel über „Die jüdische Frage“. Darin warnte der Würzburger Staatsrechtler Kraft Karl Ernst Freiherr von Moy de Sons, später Präsident des Katholikentages, davor, den Juden – die „erklärten, ursprünglichen Feinde des christlichen Namens“, die sie immer noch seien – die Gleichberechtigung zu gewähren. Diesem Einstieg folgten sieben weitere Wellen judenfeindlicher Artikel, zunächst im Umfeld der Revolution von 1848, als die „Historisch-politischen Blätter“ eine „Verschmelzung von Juden und Unchristen zu einer antichristlichen Masse“ fürchteten, sodann in den 1860er Jahren, weil das Österreichische Konkordat von 1855 zunehmend ausgehöhlt wurde. Jörg wähnte es einem „Sturmlauf“ der Juden ausgesetzt. Für den Gymnasiallehrer Joseph Matthias Haegele bedeutete 1864 das Ende des Konkordates „die Knechtung des katholischen Österreich durch Protestanten, Freimaurer und Juden“. Die vierte Welle setzte im preußisch-deutschen Kulturkampf ein und verstärkte sich nach dem „Börsen- und Gründungsschwindel“ 1873. Beide Probleme wurden auch den Juden angelastet. Kaum war der Kulturkampf vorbei, hob die erste parteipolitische antisemitische Welle in Deutschland an, zu der sich die „Historisch-politischen Blätter“ in ein ambivalentes Verhältnis setzten. Jörg persönlich reflektierte 1881 darüber, wie „das alte Jahr dem neuen die Judenfrage vermacht“. Ab 1890 begann die sechste Welle judenfeindlicher Artikel in den „gelben Heften“, zunächst, weil nach dem Fall des Sozialistengesetzes Sozialdemokraten und Juden in eine zweifelhafte Verbindung gebracht wurden, dann, als 1891 der angebliche Xantener Ritualmordfall die Gemüter erhitzte. Die beiden letzten Wellen um 1900 und um 1910 hingen erneut mit Ritualmordvorwürfen, aber auch mit der Verwissenschaftlichung der Inferioritätsfrage zusammen sowie mit der Abwehr reformkatholischer Tendenzen. Als antisemitische Beiträger der „Historisch-politischen Blätter“ traten neben Jörg und Haegele im Kaiserreich vor allem der Verleger und Zentrumspolitiker Josef Bachem, Paul Majun-

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Historische Tatsachen (seit 1974)

ke, Freiherr M. J. von Freyberg-Eisenberg, Frhr. von Ow-Felldorf, Georg Emanuel Haas, der Jesuit Athanasius Zimmermann sowie Pfarrer Georg Ratzinger und der Augsburger Publizist Hans Rost hervor, beide waren auch durch andere antisemitische Schriften bekannt. Dennoch waren die Blätter kein antisemitisches Organ in dem Sinne, als sei dies ihr Hauptzweck gewesen. Im Vordergrund stand die Abwehr der Freimaurerei, der Pressefreiheit als „Pressefrechheit“, des Liberalismus und Sozialismus sowie über allem der Gottlosigkeit in Politik und Gesellschaft. Antisemitismus machte höchstens ein Prozent des Inhaltes aus, war aber mit den Hauptthemen eng verwoben. Nach Jörgs Tod 1901 drifteten die Blätter unter Franz Binder und Georg Maria von Jochner, dem Urenkel von Joseph Görres, von der rechten Mitte an den rechten Rand des Katholizismus. Die Auflage sank von 2.000 auf 1.200. Der in der Weimarer Republik vertretene antidemokratische und ständisch-monarchistische Kurs hatte sich überlebt und führte 1923 zur Einstellung des Blattes.

Olaf Blaschke

Literatur Dieter Albrecht, Bernhard Weber (Hrsg.), Die Mitarbeiter der Historisch-Politischen Blätter für das Katholische Deutschland 1838–1923. Ein Verzeichnis, Mainz 1990. Karl Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei, Band 1, Köln 1928, S. 131–141. Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1999². Amine Haase, Katholische Presse und die Judenfrage. Inhaltsanalyse katholischer Periodika am Ende des 19. Jahrhunderts, München 1975. Hans-Christoph Kraus, Die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland”. Ihr Anteil an der Formierung des katholischen Milieus in Deutschland zwischen Reichsgründung und früher Weimarer Republik, in: Michel Grunewald u. a. (Hrsg.), Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), Bern 2006, S. 85–109. Dieter J. Weiß, Katholischer Konservatismus am Scheideweg. Die „Historisch-Politischen Blätter” und die „Gelben Hefte”, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003, S. 97–114.

Historische Tatsachen (seit 1974) Die seit 1974 erscheinende Schriftenreihe „Historische Tatsachen“ (zunächst „Historische Tatsache“) gilt als eine der wichtigsten deutschsprachigen Zeitschriften des geschichtsrevisionistischen und holocaustleugnenden Spektrums. Zunächst überwiegend von dem Politologen Udo Walendy verfasst und in Deutschland verlegt, erscheint das Periodikum mittlerweile in den USA. Die Zeitschrift erschien unter dem Titel „Historische Tatsache“ erstmals 1974 bei dem einschlägigen Verlag Historical Review Press in Richmond (England). In Deutschland wurde sie durch den ehemals hohen NPD-Funktionär Udo Walendy in dessen Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung in Vlotho vertrieben; 1979 übernahm er die Zeitschrift und änderte den Titel in „Historische Tatsachen“. In den

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folgenden Jahren erhöhte sich die Erscheinungsfrequenz von ehemals einem Heft pro Jahr auf bis zu fünf Ausgaben. Nach Walendys Verurteilung zu längeren Haftstrafen u. a. wegen Volksverhetzung wurde die Zeitschrift ab 1997 von der Gruppierung Stichting Vrij Historisch Onderzoek [VHO/Europäische Stiftung zur Förderung freier historischer Forschung] der Brüder Siegfried und Herbert Verbeke in Belgien herausgegeben. Ab 2002 wurde sie zugleich bei The Barnes Review publiziert, einem Verlag antisemitischer und geschichtsrevisionistischer Druckwerke in Washington. Seit 2004 erscheinen die „Historischen Tatsachen“ ausschließlich dort, wobei Walendys Verlag nach wie vor den deutschen Vertrieb übernimmt. Ob oder inwiefern der betagte Walendy (geb. 1927) inhaltlich noch Einfluss auf die Zeitschrift nimmt, ist nicht festzustellen. Thematisch umfasst die Zeitschrift fast ausschließlich die NS-Zeit, aber auch über aktuelle Aktivitäten von Holocaustleugnern und Strafverfahren wird oft berichtet. Die Apologie des Nationalsozialismus und seiner Führer, das Abstreiten der deutschen Kriegsschuld und von Verbrechen auf deutscher Seite bei gleichzeitiger Beschuldigung der Kriegsgegner sowie insbesondere die Verharmlosung und Leugnung des Holocaust mit oftmals brachialer antisemitischer Rhetorik machen den überwiegenden Teil der Zeitschrift aus. Die stets 40 Seiten umfassenden Hefte im Format A4 stehen jeweils unter einem Oberthema und sind meist von einem einzigen Autor verfasst. Als repräsentativ für Ausgaben mit historischem Fokus können etwa die Ausgaben „Lügen um Heinrich Himmler“ (45/1991, 47/1991), „Endlösung für Deutsche“ (38/1989), „‚Massentötungen’ oder Desinformation?“ (24/1985), „US-amerikanische Konzentrationslager“ (41/1990), „Immer neue Bildfälschungen“ (63/1993, 64/1994) oder „Diffamierte Medizin im Dritten Reich“ (55/1992) gelten. Aktuelle und selbstbezogene Schwerpunkte weisen „Die Methoden der Umerziehung“ (2/1976), „Israel = Vorkämpfer für die Zivilisation?“ (70/1997) oder „Kriminalisierte Geschichtsforschung“ (67/1995) auf. In handwerklich-gestalterischer Hinsicht erreichen die einzelnen Ausgaben der Zeitschrift lediglich Amateurstandards, entsprechend bescheiden ist die über Jahrzehnte unverändert gebliebene Gesamterscheinung. Obwohl Walendy seinen akademischen Abschluss „Dipl. Pol.“ bei jeder Gelegenheit herausstellte und die Zeitschrift als „wissenschaftliches Sammelwerk“ auswies, sind nur rudimentär Fußnoten, Quellen- und Literaturnachweise vorhanden, auch andere Merkmale von Wissenschaftlichkeit wurden meist nicht einmal vorgeschützt; der fast durchgängig suggestive Stil der Beiträge kann bestenfalls als polemisch charakterisiert werden. Innerhalb der Ausgaben sind weder Struktur noch innerer Zusammenhang erkennbar, in der Regel werden lediglich kurze Texte aneinandergereiht. Diese wiederum bestehen zum Großteil aus langen Zitaten, die in vielen Fällen lediglich kommentiert werden. Von Fotos und sonstigen Illustrationen wird großzügig Gebrauch gemacht, und auch das Eiserne Kreuz findet sich als vielgenutztes Gestaltungselement. Großer Raum wird regelmäßig aktuellen Medienberichten im Zusammenhang mit der NS-Zeit oder Israel sowie einer einschlägigen Kommentierung eingeräumt. Seit den 1980er Jahren wurden vermehrt Mitteilungen über Straf- oder Indizierungsverfahren gegen Walendy und Gesinnungsgenossen aufgenommen, in zunehmendem Maße auch entsprechende Korrespondenz und Schriftsätze abgedruckt. Zahlreiche Ausgaben der „Historischen Tatsachen“ wurden von der Bundesprüfstelle für

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jugendgefährdende Schriften indiziert und/oder gerichtlich eingezogen. Dazu zählt neben „Ein Prozeß, der Geschichte macht“ (36/1988), in dem der → „Leuchter-Report“ abgedruckt wurde, die Ausgabe „Naturwissenschaft ergänzt Geschichtsforschung“ (60/1993) über das → „Rudolf-Gutachten“ und vor allem das weitverbreitete und bekannte Heft „Starben wirklich sechs Millionen?“ (1/1974) (→ „Did six million really die?“) des Rechtsextremisten Richard Verrall unter dem Pseudonym Richard Harwood. Der Autorenkreis der Zeitschrift ist sehr beschränkt; über die Hälfte der bis 2012 erschienenen insgesamt 119 Hefte stammt aus der Feder Walendys, der zugleich auch im beratenden Herausgebergremium des → „Journal of Historical Review“ tätig war. Vor allem mit den Wechseln der Verlage 1997 und 2002/04 stießen neue Autoren hinzu. Dass es sich bei diesen Beitragenden – Siegfried Egel, William Douglas und Anthony Schlingel – um Pseudonyme Walendys handelt, ist zwar eher unwahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Lediglich einzelne Hefte stammen nicht von den Vorgenannten, sondern von Autorinnen und Autoren wie Ingrid Weckert, Wilhelm Stäglich (→ „Der Auschwitz-Mythos“), dem vormaligen NS-Wirtschaftsfunktionär Hans Kehrl oder eben Richard Verrall alias Harwood. Jedoch nutzte auch Walendy das Pseudonym Richard Harwood, teilweise plagiierte er Verralls „Starben wirklich sechs Millionen?“ für das unter seiner eigenen Autorschaft erschienene Heft „Kriegs-, Verbrechens- oder Propagandaopfer?“, das anstelle von Verralls Text ab 1994 als erste Ausgabe der „Historischen Tatsachen“ ausgewiesen wurde. Die Verbreitung und der Stellenwert der „Historischen Tatsachen“ innerhalb der einschlägigen Kreise sind seit Walendys Rückzug in den 1990er Jahren merklich geschwunden. Zuvor besaß seine Schriftenreihe aufgrund ihres langen Bestehens und der personellen und inhaltlichen Kontinuität, ihrer Themenvielfalt und zunehmend als Informationsmedium über aktuelle Vorgänge und Entwicklungen große Bedeutung für die deutschsprachige geschichtsrevisionistische Szene. Jedoch gab es von Walendys pseudowissenschaftlich ausgerichteten Gesinnungsgenossen auch Kritik. So beklagte der Holocaustleugner Germar Rudolf, selbst Herausgeber einer Zeitschrift (→ „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“) im Jahr 1993, dass Walendy einen „oft politisch-polemischen Ton“ pflege, der die Zeitschrift „sehr anrüchig“ mache – selbst „einigen Revisionisten“ bereite „dieses Periodikum ab und zu Bauchschmerzen, da es mit seiner Holzhammermethode mehr abschreckt als überzeugt“.

Christian Mentel

Historische Zeitschrift (seit 1859) Die „Historische Zeitschrift“, 1859 von Heinrich von Sybel ins Leben gerufen, ist eine der ältesten und einflussreichsten Fachzeitschriften der deutschen Geschichtswissenschaft. Seit ihrer Gründung erscheint die „Historische Zeitschrift“ im Rudolf Oldenbourg Verlag in München, der auch den mit ihrer Veröffentlichung verbundenen finanziellen Aufwand trägt. Dadurch soll der Anspruch parteipolitischer und institutioneller Unabhängigkeit gewährleistet werden. Als Hauptherausgeber zeichneten – von einem Mitherausgebergremium unterstützt – Heinrich von Sybel (1859–1895), Heinrich von

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Treitschke (1895–1896), Friedrich Meinecke (1896–1935), Karl Alexander von Müller (1935–1943), Ludwig Dehio (1949–1956), ab 1956 Theodor Schieder und schließlich Lothar Gall verantwortlich. Neben umfangreichen Aufsätzen enthält die Zeitschrift einen ausführlichen Rezensionsteil und die Abteilung „Notizen und Nachrichten“, die Raum bietet für Berichte über Kongresse und Aktivitäten wissenschaftlicher Institute oder Hinweise auf Veröffentlichungen in anderen Zeitschriften. Mit der Übernahme der Herausgeberschaft durch Karl Alexander von Müller hielten verstärkt antisemitische Inhalte Einzug in die „Historische Zeitschrift“. „Eine meiner ersten Maßnahmen war“, so von Müller 1941 an den Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust, „in dieser weit ins Ausland wirkenden Zeitschrift, die in der Systemzeit stark verjudet war, ein regelmäßiges, streng wissenschaftliches Referat zur ‚Geschichte der Judenfrage’ einzurichten“. Diese neue Rubrik im Rezensionsteil, die erstmals im Band 153 der „Historischen Zeitschrift“ erschien, betreute zwischen 1936 und 1938 Wilhelm Grau. Nach einer etwa zweijährigen Unterbrechung (Band 159 bis 161) übernahm Walter Frank die Leitung des Referats, verlor diese aber 1941 auf Veranlassung Alfred Rosenbergs. Nachfolger Franks war der österreichische Historiker Ludwig Bittner. Besprochen wurden neben den Publikationen der „Forschungsabteilung Judenfrage“ des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“, wie etwa den → „Forschungen zur Judenfrage“ (6 Bände), Arbeiten zur Judenfeindschaft in der Antike, zur Namensgebung im Mittelalter, zur Auswanderungsbewegung des 19. Jahrhunderts, zum deutschen Volkslied, über die zionistische Bewegung bis zum Ersten Weltkrieg, zur Situation der Juden in der Sowjetunion bis zur Mitte der 1930er Jahre, zur Geschichte der Juden in Deutschland sowie biographische Studien über Luther, Napoleon I. und Benjamin Disraeli. Den Werken jüdischer Historiker sprachen die Rezensenten um Wilhelm Grau (z. B. Karl Georg Kuhn und Clemens August Hoberg) jeden wissenschaftlichen Wert und die Objektivität in der Darstellung ab oder hielten sie nur deshalb von Interesse, weil durch sie der „jüdische Geist“ des Materialismus, der „zersetzende Einfluss“, das „parasitäre Dasein“ und Weltherrschaftsstreben des Judentums besonders anschaulich werde. Dagegen bescheinigten sie den antisemitischen Publikationen ihrer Kollegen, als „scharfe Waffe“ des politischen Kampfes wesentlich zur „Entlarvung der Herrschaft des Weltjudentums“ beizutragen. Ihre Bedeutung ergebe sich zudem aus der Tatsache, dass die Erforschung der „Geschichte der Judenfrage“, der „Schnittfläche des jeweils nichtjüdischen Lebenskreises mit dem jüdischen“, mit wenigen Ausnahmen jüdischen Gelehrten überlassen worden sei. Das Ergebnis habe darin bestanden, dass nur das Schicksal der Juden betrachtet, nicht aber vom „deutschen Schicksal, das durch diese Judenheit im deutschen Geschichtsraum bedingt war“, gesprochen wurde. Walter Frank formulierte es folgendermaßen: „Die Geschichte der Judenfrage ist seit zwei Jahrtausenden die Geschichte einer parasitären Existenz des Juden zwischen den Völkern. Wer sie nur von der Spezialität des Judentums her schreiben wollte, der würde höchstens Judenkunde schreiben – eine nützliche Vorarbeit für die Geschichte der Judenfrage – aber er würde bald in die Gefahr kommen, über die Geschichte des Parasiten die Hauptsache zu vergessen, nämlich die Geschichte jener großen schaffen-

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Hitler’s War (David Irving, 1977)

den Völker, die sich mit diesem Parasiten nur als mit einem Prinzip der Negation auseinanderzusetzen hatten.“

Mario Wenzel

Literatur Hans Schleier, Die Historische Zeitschrift 1918–1943, in Joachim Streisand (Hrsg.), Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Band 2: Von der Reichseinigung von oben bis zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus, Berlin [DDR] 1965, S. 251–302. Ursula Wiggershaus-Müller, Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. Die Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs von 1933–1945, Hamburg 1998.

Hitler’s War (David Irving, 1977) Im Frühjahr 1977 erschien das Buch „Hitler’s War“ des britischen Publizisten David Irving, in dem er die Behauptung aufstellte, der Holocaust sei – mindestens bis Oktober 1943 – ohne Wissen Hitlers und gegen dessen Weisungen umgesetzt worden. Trotz Irvings Hitler-Apologetik und geschichtsfälschender Behauptungen gilt „Hitler’s War“ als wichtige Anregung der wissenschaftlichen Diskussion über die Frage, wie der Holocaust in Gang gesetzt wurde („Intentionalismus/Strukturalismus“-Debatte). „Dem Historiker ist vergönnt, was selbst den Göttern verwehrt ist – das einmal Geschehene zu ändern.“ Mit diesem bekannten Wort Samuel Butlers leitete Irving, ein als Provokateur berüchtigter Autor erfolgreicher populärhistorischer Bücher, in enthüllender Weise sein Buch ein. Erklärtes Ziel des späteren Holocaustleugners war es, in der Rolle des „Restaurators“ systematisch „Verkrustungen und Tünchschichten“ des „Monuments“ Hitler abzutragen, diesen also zu entdämonisieren. Doch nahm Irving nicht etwa die distanzierte Perspektive des Historikers ein, sondern schilderte die Geschehnisse vom „Standpunkt Hitlers, gleichsam von seinem Schreibtisch aus“. Entsprechend ließ er die Forschungsliteratur außer Acht, da ihm zufolge Historiker „die von Vorgängern geschaffenen Fehldeutungen nur wiederholt oder ausgewalzt“ hätten. Hingegen berief sich der 1938 geborene Irving nicht nur auf eine Hitler-Anekdote, nach der er sich von Hitler persönlich zu dessen Biographen bestimmt sah, sondern stützte sich fast ausschließlich auf Primärquellen von Hitlers Entourage. In „Hitler’s War“ beschreibt Irving auf über 900 Seiten in einem an historische Romane angelehnten, lebendigen Stil Vorgänge und Entscheidungen aufseiten der deutschen Führung während des Zweiten Weltkriegs. Als Protagonist steht Hitler im Zentrum der Darstellung, und Irving schildert dessen Beweggründe und Ansichten anhand von „unbezweifelbaren Fakten“. In empathischer Weise wird Hitler als „machtvoller, unnachgiebiger Feldherr“ porträtiert, der „gleichzeitig als politischer Führer lax und zaghaft“ gewesen sei. So sei Hitler zunächst davor zurückgeschreckt, dem deutschen Volk die Härten des Krieges in vollem Umfang aufzuerlegen und auch in der Kriegsführung sei er – zu seinem Nachteil – weitaus rücksichtsvoller als umgekehrt seine Kriegsgegner gewesen. Zudem habe Hitler „allzu lange Nachsicht“ gegen seine inneren Widersacher geübt und „unfähige Minister und Generale“ auf ihren Posten belassen. Zwar habe Hitler mit seinen antisemitischen Hetzreden eine „haßerfüllte Atmo-

Hitler’s War (David Irving, 1977)

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sphäre“ geschaffen und die Deportationen von Juden in den Osten verfügt, die Verantwortlichen vor Ort hätten sich jedoch als „unfähig“ erwiesen, die „durch diese Massenevakuierung aufgeworfenen Probleme mitten im Krieg zu bewältigen“. Folglich hätten jene in zunehmend systematischer Weise die Verschleppten ermordet, und zwar ohne Befehl oder Wissen Hitlers und sogar gegen eine Weisung vom November 1941, in der er Liquidierungen explizit untersagt habe. Insbesondere Heinrich Himmler habe Hitler hintergangen und falsch informiert – frühestens im Oktober 1943, vielleicht auch erst im Oktober 1944, habe Hitler vom Holocaust erfahren. Hitlers „Erfolglosigkeit“ oder „Unvermögen“ dem entgegenzuwirken, habe die „Mordmaschinerie bis zum Ende des Krieges am Laufen gehalten“. Bevor „Hitler’s War“ 1977 in Großbritannien und den USA erschien, veröffentlichte Irving bereits 1975 im Ullstein-Verlag unter dem Titel „Hitler und seine Feldherren“ eine deutsche Fassung. Jedoch strich bzw. entschärfte der Verlag insbesondere die Passagen zu Hitlers angeblicher Unkenntnis über den Holocaust, sodass Irving sich von der Ausgabe distanzierte und eine weitere Verbreitung des Buches zu verhindern suchte. Eine zweite, dem englischen Originaltext näher stehende deutsche Ausgabe erschien als „Hitlers Krieg“ 1983 und 1986 im Herbig-Verlag (Band 1: „Die Siege 1939–1942“; Band 2: „‚Götterdämmerung’ 1942–1945“). Obwohl Irving für seine Argumentation unverzichtbare Deutungen von Dokumenten zurücknahm oder maßgeblich abschwächte, weist diese „völlig überarbeitete Fassung“ noch immer die gleiche Grundaussage wie die englische Originalausgabe auf. Nach schrittweisen Annäherungen an rechtsextreme und geschichtsrevisionistische Organisationen und seinem Eintritt ins Lager der Holocaustleugner im Jahr 1988 publizierte Irving 1990 in den USA und 1991 in seinem Londoner Verlag Focal Point Publishers eine zweite englische Auflage seines Buches. Diese Ausgabe fasste „Hitler’s War“ und den erstmals 1978 publizierten Band „The War Path – Hitler’s Germany 1933–1939“ (dt. „Hitlers Weg zum Krieg“, 1979) in gekürzter und inhaltlich überarbeiteter Form zusammen. Einschlägige Bezeichnungen wie „Vernichtung der Juden“ waren nun durch vage Begriffe wie „jüdische Tragödie“ oder „Misshandlung der Juden“ ersetzt, zahlreiche Ausdrücke wie „Mordmaschinerie“ oder „Vernichtungszentrum“ waren ebenso getilgt wie Aussagen über die Ermordung ungarischer Juden in Auschwitz im Jahr 1944. Erneut überarbeitet, publizierte Irving 2001 schließlich eine dritte englische Auflage dieses Doppelbandes. Auf einen wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Fußnotenapparat wurde – mit Ausnahme der deutschen Ausgabe von 1975 – stets verzichtet. Lediglich abschnittsweise wurden summarische Kommentare und unspezifische Quellennachweise sowie Literaturangaben beigefügt. Obwohl nur auf vergleichsweise wenigen Seiten thematisiert, führten Irvings Behauptungen zu Hitler und zum Holocaust Ende der 1970er Jahre dazu, dass „Hitler’s War“ sowohl in der Fachwelt als auch der allgemeinen Öffentlichkeit breit diskutiert und Irving zu entsprechenden Diskussionsrunden eingeladen wurde. Aufsehen erregte Irving nicht zuletzt mit der bei der Buchvorstellung getätigten Aussage, dass er jedem 1.000 US-Dollar zahle, der ein Dokument vorlegen könne, aus dem hervorgehe, dass Hitler die Judenvernichtung befohlen oder vor Oktober 1943 auch nur davon gewusst habe. Für die überwiegende Anzahl der zeitgenössischen Rezensionen von „Hitler’s War“ war eine ebenso vernichtende wie differenzierte Kritik charakteristisch. Einer-

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Hitler’s War (David Irving, 1977)

seits bestand Übereinstimmung darin, dass Irving nicht nur zu einseitig und zu unkritisch auf unzuverlässige Quellen aus Hitlers unmittelbarem Umfeld gesetzt habe, sondern dass sein Umgang mit Dokumenten vielmehr tendenziös und manipulativ sei; Aussagen wie diejenige über Hitlers Rolle in Bezug auf den Holocaust wurden unisono als unhaltbar und absurd qualifiziert. Andererseits wurde aber auch stets Irvings Fähigkeit zur plastischen Schilderung der Atmosphäre in Hitlers Hauptquartier, seine grundsätzliche Sachkenntnis sowie insbesondere die Sammeltätigkeit von bislang unbekannten und unerschlossenen Primärquellen wie Briefen und Tagebüchern – die Irving zudem Forschungsinstituten und Archiven stiftete – lobend hervorgehoben. Trotz der fast einhellig negativen Einschätzung der wissenschaftlichen Güte des Bandes und angesichts Irvings – das gesamte Buch durchziehender – Quellen- und Geschichtsfälschung kam „Hitler’s War“ eine wichtige Bedeutung für die Geschichtswissenschaft zu. Da sich Irving mit seinen Behauptungen zum Holocaust auf einem Feld bewegte, das von der Historikerzunft zum damaligen Zeitpunkt nur unzureichend erforscht war, wirkten seine Aussagen als Katalysator – innerhalb der Geschichtswissenschaft wurde nun in neuer Intensität darüber diskutiert, wie es zum Holocaust kam, ob es einen schriftlichen Befehl Hitlers zum Judenmord gegeben oder es dessen überhaupt bedurft habe. Entsprechend gilt der auf einer Rezension von Irvings Buch fußende Aufsatz von Martin Broszat über die Genese der „Endlösung“ als einer der zentralen Texte dieser langjährigen Diskussion zwischen den „Intentionalisten“, die von einem früh gefassten Plan zum Holocaust ausgingen und Hitler als entscheidenden Motor sahen, und den „Strukturalisten“, die einen sich radikalisierenden Prozess unter maßgeblicher Beteiligung niederer Ränge für wahrscheinlicher hielten. Auch wenn strukturalistische Arbeiten zur Ingangsetzung des Holocaust in ihrer Konzentration auf die Rolle von Funktionsträgern jenseits von Hitler eine ähnliche Tendenz wie Irving aufweisen: Im Gegensatz zu diesen Historikern widmete sich Irving – der sich zumal bei jeder Gelegenheit scharf vom wissenschaftlichen Diskurs abgrenzte – lediglich der Apologie Hitlers. Dennoch war es Irving auch nach „Hitler’s War“ noch jahrelang möglich, in Nachrichtenmagazinen wie dem „Spiegel“ und bei renommierten Verlagen wie Hoffmann und Campe zu publizieren – wenn auch zuweilen mit der gewagten Verlagsangabe im Klappentext, dass Irving „eine Exkulpation Hitlers fernliegt“.

Christian Mentel

Literatur Martin Broszat, Hitler und die Genesis der „Endlösung“. Aus Anlaß der Thesen von David Irving, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), S. 739–775. Richard J. Evans, Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess, Frankfurt am Main, New York 2001. Guido Knopp (Hrsg.), Hitler heute. Gespräche über ein deutsches Trauma, Aschaffenburg 1979. Charles W. Sydnor, The Selling of Adolf Hitler. David Irving’s „Hitler’s War“, in: Central European History 12 (1979), 2, S. 169–199.

Hitler-Rede vom 30. Januar 1939

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Hitler-Rede vom 30. Januar 1939 Am 30. Januar 1939 hielt Hitler vor dem gleichgeschalteten deutschen „Reichstag“ eine berüchtigte Rede, in der er, den anhaltenden stürmischen Beifall der Versammelten auslösend, offen mit der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ drohte: „Ich will heute wieder Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerund außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“ Die genozidale Intention scheint in diesen Worten unüberhörbar zum Ausdruck zu kommen. Doch die Zeitgenossen verstanden sie zumeist noch nicht wörtlich. Auch Hitler selbst konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass seine Vernichtungsdrohung gegen die europäischen Juden Realität werden würde. Denn erst durch Deutschlands erfolgreiche Expansion im Zweiten Weltkrieg wurde der Völkermord zu einer realen politischen Option. Hitlers Rede wurde von allen deutschen Rundfunksendern übertragen, in der Wochenschau gezeigt, in allen deutschen Tageszeitungen in zentralen Passagen wörtlich abgedruckt und als Buch „Der Führer vor dem ersten Reichstag Großdeutschlands. Reichstagsrede vom 30. Januar 1939“ (München 1939) in mehreren Auflagen (Erstauflage: 200.000 Exemplare) publiziert. Damit nicht genug: In dem antisemitischen Propagandafilm „Der ewige Jude“, der im November 1940 im Vorfeld des Genozids in die Kinos kam, wurde die Passage der Rede Hitlers als Höhepunkt des Streifens präsentiert. Als „Wochenspruch der NSDAP“ hing Hitlers Vernichtungsdrohung vom 7. bis zum 13. September 1941 – kurz vor der Einführung der Zwangskennzeichnung der Juden und dem Beginn der reichsweiten Deportationen „in den Osten“ – in zehntausenden Schalterhallen, Amtsstuben und Büros. Hitler hat seine Vernichtungsdrohung immer wieder in seinen Reden fast wortgleich wiederholt, sodass sie zu einem Topos wurde. So erklärte er am 30. Januar 1941, „dass wenn die andere Welt vom Judentum in einen allgemeinen Krieg gestürzt würde, das gesamte Judentum seine Rolle in Europa ausgespielt haben wird. […] Sie mögen heute noch lachen, genau so wie sie früher über meine Prophezeiungen lachten. Die kommenden Monate und Jahre werden erweisen, daß ich richtig gelegen habe.“ In den folgenden Jahren hat Hitler bei folgenden Anlässen an seine „Prophezeiung“ erinnert: In seiner Neujahrsansprache für das Jahr 1942, seinen Reden zum Jahrestag der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1942, zum Jahrestag der Parteigründung am 24. Februar 1942, zur Eröffnung des Kriegswinterhilfswerks 1942/43 am 30. September 1942, zum Jahrestag des Hitler-Putsches am 8. November 1942, in seiner Neujahrsansprache 1943, in seiner Rede zur Parteigründungsfeier am 24. Februar 1943, zum „Heldengedenktag“ am 21. März 1943 und in seiner Neujahrsansprache zum Jahresanfang 1944. In Hitlers Proklamation an die NSDAP-Mitglieder vom 24. Februar 1942 hieß es: „Meine Prophezeiung wird ihre Erfüllung finden, daß durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet werden wird. Was immer auch der Kampf mit sich bringen, oder wie lange er dauern mag, dies wird sein endgültiges Ergebnis sein.“ In seiner Rede im Berliner Sportpalast am 30. September 1942 erklärte Hitler: „Ich habe am 1. September 1939 in der damaligen Reichstagssitzung zwei Dinge ausgesprochen: […] zweitens, daß, wenn das Judentum

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Der Hoheitsträger (1937–1944)

einen internationalen Weltkrieg zur Ausrottung etwa der arischen Völker Europas anzettelt, dann nicht die arischen Völker Europas ausgerottet werden, sondern das Judentum. Die Juden haben einst über meine Prophezeiungen gelacht. Ich weiß nicht, ob sie auch heute noch lachen oder ob ihnen das Lachen bereits vergangen ist. Ich kann aber jetzt nur versichern: Es wird ihnen das Lachen überall vergehen.“ Hitler hat seine „Prophezeiung“ vom 30. Januar 1939 regelmäßig falsch auf den 1. September 1939, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, datiert. In dieser Konsequenz ist ein Irrtum seinerseits sehr unwahrscheinlich. Ihm lag vielmehr daran, den unterstellten Zusammenhang zwischen Krieg und „jüdischer Kriegsverantwortung“ zu unterstreichen. Insgesamt hat Hitler mindestens zehnmal – besonders oft im Jahre 1942, als das Morden einen Höhepunkt erreichte – an seine Vernichtungsdrohung erinnert und damit den Völkermord an den europäischen Juden öffentlich zu legitimieren versucht. Hitlers „Prophezeiung“ war im nationalsozialistischen Deutschland kaum zu überhören, weil sie in der NS-Publizistik große Resonanz fand und häufig zitiert wurde. So nahmen Joseph Goebbels, diverse Gauleiter, Journalisten und Publizisten wiederholt auf Hitlers Ausrottungsdrohung öffentlich Bezug. Deshalb hat Hitlers geradezu omnipräsente „Prophezeiung“ die Realisierung des Genozids an den europäischen Juden gesellschaftlich begleitet.

Bernward Dörner

Literatur Max Domarus (Hrsg.), Adolf Hitler, Reden und Proklamationen 1932–1945, 2 Bände, München 1963/1965. Ian Kershaw, Hitler’s Prophecy and the „Final Solution“, in: Moshe Zimmerman, On Germans and Jews under the Nazi Regime, Jerusalem 2006, S. 49–66. Stefan Kley, Intention, Verkündung, Implementierung. Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 197–213. Hans Mommsen, Hitlers Reichstag speech of January 1939, in: history & memory: studies in representation the past 9 (1997), S. 147–161.

The Hoax of the Twentieth Century → Der Jahrhundert-Betrug

Der Hoheitsträger (1937–1944) Die Zeitschrift „Der Hoheitsträger“ wurde von der NSDAP-Reichsorganisationsleitung zur internen Schulung und Unterweisung von Parteifunktionären herausgegeben. DAF-Chef und Reichsorganisationsleiter Robert Ley bezeichnete den seit 1937 monatlich erscheinenden „Hoheitsträger“ als „ein modernes Hilfsmittel systematischer nationalsozialistischer Menschenführung“ und als „unentbehrlicher Kamerad und Helfer im täglichen Dienst“. Durch die Lektüre sollten die Hoheitsträger der Partei und die Leiter der wichtigsten politischen Ämter „mehr wissen als der Parteigenosse und der Volksgenosse“. Im Gegensatz zum → „Schulungsbrief“ richtete sich die in geringerer Auflage erscheinende parteiamtliche Zeitschrift an einen fest umrissenen Kreis zumeist hauptamtlicher Funktionsträger. Der „Hoheitsträger“ wurde u. a. von Gaulei-

Hoheneichen-Verlag

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tern als „redaktionelles Führungsmittel“ und von führenden Politischen Leitern der NSDAP bezogen. Chefredakteur war Franz Hermann Woweries. Anders als in auf positive Darstellung des NS-Regimes abzielenden PropagandaSchriften wurden im „Hoheitsträger“ auch von den Autoren empfundene Mängel des NS-Staates, wie Mangelwirtschaft oder Fehlverhalten von Parteifunktionären, zur Sprache gebracht. Man klärte deshalb die Bezieher darüber auf, dass jede andere Verwendung sowie absichtliche oder fahrlässige Preisgabe des Inhalts an andere Personen disziplinarisch und strafrechtlich geahndet würde. Jeder Empfänger dieses „vertraulichen Informations-Organs“ hatte den Erhalt der erschienenen Folgen des „Hoheitsträgers“ zu quittieren und zu bestätigen, „dieselben unter Verschluß genommen zu haben“. Neben Parteiinterna und praktischen Hinweisen zur alltäglichen Arbeit wurden die Leser über die angebliche „Methodik jüdischer Menschenführung“ und „jüdische Weltherrschaftsbestrebungen“ unterrichtet. Die „jüdische Infektion“ müsse erbarmungslos bekämpft werden, so der Tenor. Der Antisemitismus der Zeitschrift „Hoheitsträger“ unterschied sich von anderen Propagandaschriften durch das scheinwissenschaftliche Gewand, mit dem er umhüllt wurde. In zumeist nüchternem und unaufgeregtem Ton wurde von der angeblich notwendigen „Entrassung“ der Völker vom Judentum oder dem deutschen Abwehrkampf gegen einen als „jüdisch-bolschewistisch“ bezeichneten Feind berichtet. Im Frühjahr 1939 druckte der „Hoheitsträger“ einen von Reichsorganisationsleiter Robert Ley verfassten Leitartikel mit der Überschrift „Wir oder die Juden“. Ley erklärte darin, dass in der „Welt kein Raum mehr für den Juden“ sei und der Nationalsozialismus darauf hinarbeite, „daß der Jude weicht, daß er vernichtet“ wird. 1944 wurde im „Hoheitsträger“ bekräftigt, dass der angeblich von „den Juden“ gelenkte Weltkrieg mit der „sicheren Ausrottung“ des Judentums in Europa beantwortet werde. Immer wieder wurde von den Autoren das Bild eines hasserfüllten, nach der totalen Vernichtung des deutschen Volkes trachtenden Judentums gezeichnet, bei dessen Bekämpfung alle Mittel erlaubt seien.

Phillip Wegehaupt

Literatur Phillip Wegehaupt, „Wir grüßen den Haß!“ Die ideologische Schulung und Ausrichtung der NSDAP-Funktionäre im Dritten Reich, Berlin 2012.

Hoheneichen-Verlag Der im Ersten Weltkrieg gegründete Münchner Verlag gehörte dem völkischen Schriftsteller Dietrich Eckart (1868–1923), der als Mentor Adolf Hitlers in der frühen NSDAP eine wichtige Rolle spielte. Der Verlag war extrem rechts, völkisch und antisemitisch. Eckart gab im Hoheneichen-Verlag die antisemitische Zeitschrift → „Auf gut deutsch“ und vor allem eigene Werke heraus. 1929 ging der Hoheneichen-Verlag im Zentralverlag der NSDAP (→ Eher Verlag) auf, der für einige Titel den alten Verlagsnamen beibehielt. Insbesondere die Schriften Alfred Rosenbergs, der 1921 erstmals im Hoheneichen-Verlag publizierte, wurden weiter unter dem alten Verlagsnamen verlegt. Größter Erfolg war 1930 Rosenbergs → „Der Mythus des 20. Jahrhun-

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Der Holocaust auf dem Prüfstand (Jürgen Graf, 1992)

derts“. Neben den antisemitischen Titeln erschienen auch Kampfschriften gegen die christlichen Kirchen, gepflegt wurden außerdem die Gebiete Volks- und Rassenkunde. Eine Vereinbarung zwischen dem Chef des Eher-Verlages, Max Amann, und Alfred Rosenberg vom Herbst 1938 bestimmte den Hoheneichen-Verlag zum weltanschaulich-wissenschaftlichen Verlag, in dem philosophische, historische, volkskundliche Schriften aus dem Umkreis des „Amtes Rosenberg“ und der „Hohen Schule der NSDAP“ veröffentlicht wurden.

Wolfgang Benz

Literatur Margarete Plewnia, Auf dem Weg zu Hitler. Der „völkische“ Publizist Dietrich Eckart, Bremen 1970.

Der Holocaust auf dem Prüfstand (Jürgen Graf, 1992) Der Schweizer Holocaustleugner Jürgen Graf (geb. 1951) veröffentlichte 1992 die Monographie „Der Holocaust auf dem Prüfstand. Augenzeugenberichte versus Naturgesetze“. Das Buch erschien im Basler Burg-Verlag, und auf einschlägigen Internetportalen kursieren verschiedene Versionen des Werkes. Das Buch folgt zwei Argumentationssträngen: Zu Beginn der Monographie wird der Mehrheitsgesellschaft und speziell der Geschichtsforschung als „Magd der Politik“ vorgeworfen, durch eine sogenannte Tabuisierung von Revisionismus die Meinungs- und Forschungsfreiheit zu untergraben. Für die Erforschung des Zeitraums zwischen 1941 und 1945 – so Graf – „tritt an die Stelle des kritischen Denkens und des freien Forschens das staatlich befohlene Dogma“. Die von Graf als „Vertreter der Ausrottungstheorie“ verleumdeten Holocaustforscher werden als Exterministen bezeichnet, denen er „Phrasendrescherei und Schimpfkanonaden“ vorwirft. Eine dieser Phrasen sei die Behauptung, dass Revisionisten „Antisemiten und Nazis“ sind; Graf kommentiert dies, indem er konzidiert, dass sich sehr wohl nationalsozialistisches Gedankengut bei einigen Revisionisten manifestiert habe, um im gleichen Satz aber festzuhalten, dass „zwei und zwei auch dann vier [ergeben], wenn ein Nationalsozialist dies sagt“. Ein solches willkürliches Argumentationsschema zieht sich durch das gesamte Buch. Der zweite Argumentationsstrang folgt dem Versuch, Beweise zu erbringen, warum der Holocaust nicht stattgefunden hat bzw. gar nicht stattgefunden haben kann. Mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten soll dabei wissenschaftlich untermauert werden, dass die offiziellen Opferzahlen des Holocausts erlogene Fantasieziffern seien, die hauptsächlich der Legitimierung des Staates Israel dienten. So wird z. B. behauptet, dass die „Endlösung der Judenfrage“ nie die Vernichtung der Juden zum Ziel hatte, sondern primär die jüdische Auswanderung forcieren sollte, was, so Graf, ja auch im Sinne der Zionisten gewesen sei. In Folge von Arbeitskräftemangel während des Krieges sollten die Juden, als eine zur Verfügung stehende Arbeitsressource in Konzentrationslagern herangezogen werden. Aber nicht nur die Anzahl der Ermordeten wird vom Autor revidiert, auch die Todesursache wird umgedeutet. So sei die häufigste Todesursache laut Graf der Aus-

Hrvatski narod (Kroatien, 1939–1940)

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bruch von Epidemien und hier vor allem Fleckfieber gewesen, das mit einem „Insektizid namens Zyklon B“ behandelt werden sollte, „das die Holocaust-Schamanen später zum Menschenvernichtungsmittel umlogen“. Diverse Naturgesetze werden herangezogen, um die angebliche Unmöglichkeit des Funktionierens von Gaskammern darzulegen, und die Unterernährung in den Konzentrationslagern wird als Folge der gezielten Bombardements der Alliierten abgetan. Eine weitere Methode ist das Heranziehen von Augenzeugenberichten über Gaskammern, die angebliche Falschaussagen beinhalten und so von Graf als Lügen und gleichzeitig als Beweis für die Nichtexistenz von Gaskammern interpretiert werden. Auch wird die gesamte Nachkriegsjustiz als Farce abgetan und wiederholt angeprangert, dass „Israel und zionistische Organisationen“ sowie „individuelle Juden“ große Geldbeträge als „Buße für frei erfundene Gaskammern“ von der Bundesrepublik Deutschland erhalten hätten. Jürgen Graf, der als Lehrer tätig war, wurde 1993 u. a. wegen seiner Publikation aus dem Dienst entlassen und ist unter den Revisionisten weltweit mittlerweile eine anerkannte Persönlichkeit. „Der Holocaust auf dem Prüfstand“ wurde in diverse Sprachen übersetzt; ein weiteres Buch mit nahezu identischen Argumentationen veröffentlichte Graf 1995 unter dem Titel „Todesursache Zeitgeschichtsforschung” (auch geläufig unter „Der Holocaust im Klassenzimmer”).

Sandro Fasching

Der Holocaust im Klassenzimmer → Der Holocaust auf dem Prüfstand Horst-Mahler-Online → Verdener Manifest

Hrvatski narod (Kroatien, 1939–1940) Im März 1939 begründete Mile Budak, Jurist, Publizist und späterer Kulturminister im Unabhängigen Staat Kroatien, die Zeitung „Hrvatski narod“ [Kroatisches Volk]. Sie sollte als publizistisches Organ der kroatischen Ustaša-Bewegung fungieren. Die Zeitung veröffentlichte zahlreiche judenfeindliche Artikel und Berichte. So wurden Juden beschuldigt, Kroatien und die kroatische Bevölkerung auszubeuten, und sie wurden ausschließlich als „Fremde“ dargestellt. Ein Jahr später, im März 1940, erging das Verbot der kroatischen Landesregierung, die Zeitung weiter zu vertreiben. Mit der Machtübernahme der radikal nationalistischen und faschistischen Ustaša im April 1941 wurde „Hrvatski narod“ erneut herausgegeben und zum Hauptorgan der neuen Regierung erklärt. Ziel dieser Zeitung war die Glorifizierung des neuen Staates, des Kroatentums, der Ustaša-Bewegung und der „Neuordnung“ Europas durch Adolf Hitler. Zu Feinden des Staates wurden Juden, Serben und Kommunisten erklärt. „Hrvatski narod“ erschien täglich in einer Auflage von etwa 50.000 Exemplaren, sonntags sogar in 75.000 Exemplaren. Kamen antisemitische Angriffe und Artikel bis 1941 darin häufig vor, eröffnete die Zeitung ab April 1941 eine offene und aggressive Hetze gegen kroatische Juden. Mit Artikeln wie „Gegen Juden müssen die strengsten Maßnahmen getroffen werden“ vom 20. April betrieb die Zeitung eine extrem judenfeindliche Propaganda, die zudem alle judenfeindlichen Verordnungen, Maßnahmen und Gesetze des Frühjahrs 1941

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Huy! und Pfuy! Der Welt (Abraham a Sancta Clara, 1707)

flankierte und propagierte. Unverhohlen forderte sie die „Befreiung vom nichtarischen Element, besonders die von den Juden“. Die umfangreiche antijüdische Kampagne sollte die Entrechtung, Verhaftung und schließlich Deportation der kroatischen Juden rechtfertigen, indem beispielsweise Juden als eine Gefahr oder als Verräter diffamiert wurden. Mit Fortgang des Krieges und der nahezu vollständigen Vernichtung der kroatischen Juden nahm die antisemitische Hetze des Blattes sukzessive ab. So erschienen im Jahre 1945 „nur“ fünf antisemitische Artikel. Die Presse spielte im Unabhängigen Staat Kroatien und bei der Verbreitung der nationalistischen, faschistischen und judenfeindlichen Ideologie der Ustaša eine entscheidende Rolle. „Hrvatski narod“, als ihr wichtigstes Sprachrohr, nahm dabei vor allem unmittelbar nach der Machtübernahme eine Schlüsselfunktion ein.

Marija Vulesica

Literatur Ivo Goldstein, Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001. Božidar Novak, Hrvatsko novinarstvo u 20. Stoljeću [Kroatisches Zeitungswesen im 20. Jahrhundert], Zagreb 2005. Boško Zuckerman-Itković, Funkcija protužidovske propagande zagrebačkih novina u Nezavisnoj Državi Hrvatskoj od travnja do srpnja 1941. godine [Funktion der antijüdischen Propaganda der Zagreber Zeitungen im Unabhängigen Staat Kroatien von April bis Juli 1941], in: Časopis za suvremenu povijest 38 (2006), 1, S.79–89.

Huy! und Pfuy! Der Welt (Abraham a Sancta Clara, 1707) „Huy! und Pfuy! Der Welt oder Auffrischung zu allen schönen Tugenden oder Abschreckung allen schändlichen Lastern“ ist ein von Abraham a Sancta Clara (eigentlich Johann Ulrich Megerle) verfasstes barockes Emblembuch. Es erschien 1707 in Würzburg. Das Buch enthält 100 eigenständige Abschnitte, die sich je mit einem der Natur und der Lebenswelt des Menschen entnommenen Thema befassen (Wettererscheinungen, verschiedene Tiere, die Lebensalter des Menschen etc.). Als Vorlage diente Abraham a Sancta Clara das 1700 erschienene Werk „Ethica Naturalis“ von Jan Luyken. Abraham übernimmt die Kupferstiche und lateinischen Motti und Verse von Luyken, übersetzt diese frei ins Deutsche und fügt einen eigenen Prosakommentar sowie am Ende jedes Abschnittes eine Fabel hinzu. Kommentar wie Fabel beziehen sich auf den jeweiligen Betrachtungsgegenstand. Zusätzlich ist das Buch, „worinnen der Poet/Prediger und Standes-Personen für ihren Kram etwas finden können“ mit einem thematischen Register versehen. In jenem findet man unter dem Stichwort „Jud“ fünf Einträge. Die dazugehörigen Passagen bedienen antijüdische Klischees und laufen immer nach einem bestimmten Schema ab: Juden wollen Christen schaden bzw. den christlichen Glauben „schmähen“, die Christen durchschauen dies aber; es endet mit der Bloßstellung und Bestrafung der Juden. Die antijudaistischen Passagen des Werkes gipfeln in der Verteidigung von Judenverfolgung und Pogromen. Vor dem Hintergrund der Vertreibung der Juden aus Wien unter Leopold I. (1669/1670), die Abraham als Hofprediger miterlebt hatte, schreibt er in dem „Das Eis“ betitelten Abschnitt: „Daß man diese verruchte Bösewicht allerseits verfolget/ ist gar nicht unrecht/ zumahlen die Christen nach dem Satan

Im Schatten des Koran

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keine größere Feinde haben/ als die Juden: Ihre tägliche Gotteslästerungen verdienen/ daß man diese Bestien nicht soll anschaun/ noch weniger mit ihnen handlen (…) Sie beten alle Tag mehrmal/ Gott wolle uns Christen vertilgen durch Pest/ Hunger und Krieg/ ja alle Creaturen und Geschopffe sollen denen Christen zuwider seyn: können denn grössere Schelmen in der gantzen Welt gefunden werden/ als die Juden?“ Abraham a Sancta Clara war ein einflussreicher Prediger und Prosaschriftsteller; vor allem auf dem Gebiet Österreichs und des katholischen Süd- und Westdeutschlands fand er schon zu Lebzeiten Nachahmer seines Kanzelstils und seiner Rhetorik. Auch spätere Generationen bezogen sich auf sein umfangreiches Werk, dessen „Sprachgewalt“ und Einfallsreichtum immer wieder hervorgehoben werden. Die Einschätzung von Abrahams Judenfeindschaft, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, bewegt sich zwischen zwei Polen. Die einen sehen in ihm den seiner Zeit verhafteten Prediger, der das von der Katholischen Kirche autorisierte Judenbild mit seinen Mitteln propagierte und sich dabei auf die approbierten Handbücher der Katholischen Kirche (vor allem auf die jesuitischen Kompendien für Glaubenspropaganda und Predigt) stützte. Die anderen weisen ihm durch seine Popularität und sein sprachliches Können eine Schlüsselrolle in der Verbreitung des kirchlichen Antijudaismus zu. „Huy! und Pfuy! Der Welt“ ist eines der letzten Werke von Abraham (er starb 1709), das auch für seine zunehmend radikalere Haltung gegenüber den Juden steht. Eybl kommt in seiner ausführlichen Studie zu dem Schluss, dass dahinter nicht immer nur allein Abrahams antijüdische Gesinnung stand, sondern die verschärfte Rhetorik teilweise auf Bearbeitungen durch Dritte zurückgeht, bzw. auch eine Strategie zur weiteren Verbreitung seiner Schriften war. Eybl schreibt: „Die Zunahme des Antijudaismus parallel zum Erfolg als Schriftsteller und die Vergröberung und Verschärfung antijüdischer Klischees durch die Nachlassbearbeiter sprechen dafür, den Ausbau der Klischees als Funktion des Druckes und der Popularisierung der Schreibart zu lesen, mit denen gerade ein überregionales Publikum erreicht werden sollte, und als Folge der pastoralen Textstrategie, die Handlungsmuster propagiert und durch Abgrenzung Identitäten herstellt“. „Huy! und Pfuy! Der Welt“ gehört zu jenen Werken Abrahams, die in verschiedensten Ausgaben und Bearbeitungen immer noch aufgelegt werden. Die judenfeindlichen Partien werden in diesen Auswahlbänden meist weggelassen.

Martina Aicher

Literatur Franz M. Eybl, Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller, Wien 1990. Abraham a Sancta Clara. Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Ausstellungskatalog, Karlsruhe 1982. Robert A. Kann, Kanzel und Katheder. Studien zur österreichischen Geistesgeschichte vom Spätbarock zur Frühromantik, Wien 1962.

Im Deutschen Reich → C.V.-Zeitung Im Schatten des Koran → Fi Zilal al-Qur‘an

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The International Jew (Henry Ford, 1920–1922)

The International Jew (Henry Ford, 1920–1922) Unter dem Titel „The International Jew: The World’s foremost Problem“ publizierte der Automobilhersteller Henry Ford Senior (1863–1947) zwischen 1920 und 1922 eine vierbändige antisemitische Publikation. Die in „The International Jew“ zusammengetragenen Texte waren zunächst in der Henry Ford gehörenden Wochenzeitung → „The Dearborn Independent“, auch bekannt als „The Ford International Weekly“, veröffentlicht worden, die mit über 700.000 gedruckten Exemplaren in den 1920er Jahren zu den auflagenstärksten Blättern der USA gehörte. Dem ersten antisemitischen Beitrag in der Ausgabe vom 22. Mai 1920 folgten 91 weitere einschlägige Texte. Henry Ford Sr. schrieb diese nicht selbst; viele entstanden aber in seinem Sinne aus der Zusammenarbeit von Ernest Liebold, seinem Privatsekretär, mit dem Herausgeber William J. Cameron. Dieser hatte E. G. Pipp abgelöst, der im April 1920 zurückgetreten war, nachdem er von der geplanten antisemitischen Berichterstattung Kenntnis erlangt hatte. Ein Großteil der Texte wurde in Buchform erneut aufgelegt: so erschienen im November 1920 „The International Jew, the World’s foremost Problem“, im April 1921 „Jewish Activities in the United States“, im November 1921 „Jewish Influences in American Life“ sowie im Mai 1922 „Aspects of Jewish Power in the United States”. Unter dem Gesamttitel „The International Jew: The World’s foremost Problem“ wurden sie in zahlreiche Sprachen übersetzt und weltweit verbreitet. Eine erste deutsche Übersetzung erschien 1921 in dem von Theodor Fritsch (1852–1933) in Leipzig 1902 gegründeten antisemitischen Hammer-Verlag. Die Publikation bezieht sich affirmativ auf den antisemitischen Text → „Die Protokolle der Weisen von Zion“ und unterstellt die Existenz eines monolithisch handelnden weltweiten Judentums, das die Kontrolle der zentralen Schaltstellen wirtschaftlicher Macht sowie öffentlicher Meinungsbildung erstrebe. Weltanschauliche Differenzen im Judentum, beispielsweise zwischen sozialistisch ausgerichteten Juden und jüdischen Unternehmern, wurden als Trick und gezielte Desorientierung charakterisiert. Die antisemitischen Pogrome in Russland wurden als Erfindungen abgetan. Zudem behaupteten die Autoren, dass der russische Bolschewismus wesensmäßig jüdisch gewesen sei – eine Denkfigur, die auch zur Polemik gegen die zeitgenössische US-Gewerkschaftsbewegung genutzt wurde. Erst nach 1945 gelang es den Gewerkschaften tatsächlich, in den Ford-Betrieben Fuß zu fassen. Trotz zahlreicher prominenter zeitgenössischer Kritiker, darunter mehrere frühere Präsidenten, setzte „The Dearborn Independent“ den Abdruck antisemitischer Beiträge fort. Erst nachdem der jüdische Anwalt Aaron Sapiro juristisch gegen die Unterstellung vorgegangen war, er selbst würde zusammen mit jüdischen Bankiers und Händlern den Weizenanbau des Landes unter Kontrolle bringen wollen, und einem daraus resultierenden außergerichtlichen Vergleich, entschuldigte sich Ford Sr. persönlich und bei den Juden als Gruppe. 1927 wurde „The Dearborn Independent“ von Henry Ford Sr. eingestellt, die Restauflage des Buches ließ er vernichten. Über die Ernsthaftigkeit dieses Sinneswandels existieren unterschiedliche Einschätzungen, zumal Ford Sr. 1938 als erster US-Amerikaner mit dem „Adlerschild des Deutschen Reiches“ und mit dem „Großkreuz des Deutschen Adlerordens“ ausgezeichnet wurde. Anfang 1942 kritisierte er in einem Schreiben an die „Anti-Defamation League“

A Invasão dos Judeus (Mário Saa, 1925)

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scharf den Hass gegen Juden und formulierte die Hoffnung, dass die Hetze gegen sie ein Ende finden werde. Führende Vertreter der NS-Diktatur wie Heinrich Himmler (1924) oder Baldur von Schirach (1945) verwiesen auf die große Bedeutung, die die Publikation für die Herausbildung und Propagierung der eigenen Weltanschauung gehabt habe. In der NSDAP-Parteizentrale hing in Hitlers Büro ein großes Porträt Fords. Seit dem Tod Henry Fords Sr. haben sich die Familie und das Unternehmen wiederholt für jüdische Kultur- und Wohltätigskeitsorganisationen eingesetzt. Im Jahr 1997 wurde mithilfe der Ford Motor Company die Erstausstrahlung des Films „Schindler’s Liste“ frei von Werbeunterbrechungen im Fernsehen ausgestrahlt. In jüngerer Zeit wird „The International Jew“ u. a. von iranischen Verlagen angeboten und ist auf zahlreichen antisemitischen und neonazistischen Internetseiten (z. B. der „Aryan Nations“ oder „Blood & Honour“) zum Download verfügbar. In der Bundesrepublik Deutschland hatte sich der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann in einer Rede am 3. Oktober 2003 zustimmend auf das Buch bezogen.

Fabian Virchow

Literatur Neil Baldwin, Henry Ford and the Jews: the Mass Production of Hate, New York 2001. Armin Pfahl-Traughber, Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993. Victoria Saker Woeste, Henry Ford’s War: Law, Antisemitism, and the Legal Battle against Hate Speech, Palo Alto 2012.

A Invasão dos Judeus (Mário Saa, 1925) Mário Saa (1893–1971) veröffentlichte 1921 in Lissabon sein Werk → „Portugal Cristão-Novo ou Os Judeus na República“ und 1925 „A Invasão dos Judeus“ (Nachdruck Lissabon 1998). Für den Antisemiten Mário Saa ist die Vertreibung der Juden aus Portugal nur eine infame Geschichtsfälschung: Portugal sei seit der Einführung der Inquisition den Juden ausgeliefert, denn erst mit der Zwangstaufe wären die Juden in der Lage, über die portugiesische Gesellschaft, die sie mit ihrem Blut verseuchen, zu herrschen und sie bis aufs Blut auszulaugen. Und da es „rassereine“ Portugiesen (pessoas isentas de avós hebreus) nicht mehr gebe, hätten nicht nur die Portugiesen etwas zu befürchten: „Etwas Schreckliches geschieht in Europa und bedroht die gesamte Welt – die Invasion der Juden.“ Mit diesen Worten beschwört Mário Saa das Gespenst der jüdischen Macht und den Niedergang der „arischen Rasse“. Der Jude ist verantwortlich für die „Dekadenz“ der christlichen und arischen Kultur. Jeder Jude ist ein potenzieller Revolutionär, Kommunist oder Bolschewik, bereit, das den Juden von den Christen zugefügte „Unrecht“ zu rächen und sich die Weltherrschaft anzueignen. Durch die Intrigen der Juden verfügt nun der Staat über die Macht und nicht mehr das Volk, und der Staat wird natürlich beherrscht von den Juden. Er sieht Verwaltung, Justiz, Universitäten und Militär in der Hand der Juden. „Wer das Parlament betritt“, schreibt er, „betritt eine Synagoge“. In seinen dämonologischen Fantasien sieht sich Mário Saa durch die jüdische Weltverschwörung bedroht und fürchtet die Vernichtung der „germanischen“ Rasse. Um

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„Isidor“-Bücher (Joseph Goebbels, 1928 und 1929)

die Welt von den Juden und ihren verblendeten Gefolgsleuten zu befreien, ist die physische Vernichtung der Juden die Voraussetzung für die Wiederherstellung der natürlichen Rangordnung der Nationen und der Rasse. Um die Trennung von Juden und Nicht-Juden durchführen und die Blutreinheit künftiger Beamter garantieren zu können, fordert Saa die Einrichtung eines neu-germanischen Rassegerichtshofs (Instituto genealógico e antropológico). Es geht ihm in seinem Kampf nicht um Parteien und Ideologien, sondern allein um den Kampf der Rassen (a luta das raças).

Michael Studemund-Halévy

Literatur Jorge Martins, Portugal e os Judeus, 3 Bände, Lissabon 2006. Luiz Nazário, Auschwitz no horizonte. Os furores de Mário Saa e as visões de Adolfo Benarús, I Colóquio Internacional O Património Judaico Português, Lissabon 1999.

„Isidor“-Bücher (Joseph Goebbels, 1928 und 1929) Die „Isidor“-Bücher sind zwei antisemitische Text- und Karikaturensammlungen, die der Berliner NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels zusammen mit dem Zeichner Hans Schweitzer alias Mjölnir (1901–1980) verfasste. „Das Buch Isidor. Ein Zeitbild voll Lachen und Haß“ mit 165 Seiten (1928; Autorenangabe auf dem Buch: Mjölnir/Dr. Goebbels) und „Knorke. Ein neues Buch Isidor für Zeitgenossen“ (1929; Autorenangabe: Dr. Goebbels unter Mitarbeit von Mjölnir, Knipperdolling, Dax, Jaromir + Orje) mit 157 Seiten entstanden im Kontext der „Isidor“-Kampagne, mit der Goebbels gegen den Berliner Vize-Polizeipräsidenten Bernhard Weiß (1880–1951) zu Felde zog, nahmen diese jedoch nur zum Anlass für ein Amalgam aus antisemitischer und antidemokratischer Hetze sowie Mobilisierungsparolen für die eigene Anhängerschaft. Beide Bücher erschienen im Münchener Verlag Franz Eher Nachfolger (→ Eher-Verlag), dem Parteiverlag der NSDAP, und erlebten mehrere Auflagen. Seit der Gründung der Berliner NSDAP-Gauzeitung → „Der Angriff“ gehörten antisemitische Attacken gegen Bernhard Weiß zu ihrem Kern: Unter dem Spottnamen „Isidor“, der das Jüdischsein des Vize-Polizeipräsidenten verdeutlichen sollte, wurde er zur antisemitischen Karikatur. Es erschien 1927/28 überhaupt nur eine einzige „Angriff“-Ausgabe, in der „Isidor“ nicht auftauchte und zum Feindbild stilisiert wurde. Der Erfolg dieser öffentlichen Denunziation in Texten und Karikaturen brachte Goebbels auf die Idee, seine Hetzkampagne über Berlin hinaus zu verbreiten. Zusammen mit Schweitzer, der zu einem der wichtigsten Karikaturisten und Werbezeichner der NS-Zeit avancieren sollte, modifizierte Goebbels die „Isidor“-Kampagne, da Bernhard Weiß zwar in Berlin bekannt war (nicht zuletzt aufgrund der Kampagne), jedoch kaum außerhalb der Stadt. Die Angriffe gegen ihn bezogen sich darüber hinaus meist auf Berlin-spezifische Gegebenheiten, denen schwerlich überregionale Bedeutung zukam. Daher beginnt das „Buch Isidor“ mit einem „Motto“: „Isidor“ sei „kein Einzelmensch“, sondern „ein Typ, ein Geist, [...] eine Visage“. Eine Einleitung und 30 gegen Bernhard Weiß gerichtete Karikaturen bildeten auch nur den Auftakt des Buches und richteten sich daneben allgemein gegen die Weimarer Republik und die vermeintliche

„Isidor“-Bücher (Joseph Goebbels, 1928 und 1929)

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Jagd auf Nationalsozialisten. Zur Gleichsetzung von „Demokratie“ und „Juden“ hieß es im „Motto“: „Isidor heißt zu deutsch: Geschenk des Ostens. Kein Name charakterisiert das Deutschland von heute so treffend wie dieser. Darum haben wir dieses Buch Isidor genannt.“ Abgesehen davon, dass „Isidor“ keineswegs „Geschenk des Ostens“ heißt, sondern „Geschenk der Isis“ oder allgemeiner „Geschenk Gottes“ bedeutet, war „Osten“ in Goebbels’ Terminologie eine Metapher für „jüdisch“, die folglich „das Deutschland von heute“ kennzeichnen sollte. Inhaltlich spielte die Beschäftigung mit der Hauptstadt-Polizei im Karikaturenteil eine wichtige Rolle. Deren Vizepräsident Weiß wird meist als feige, hinterhältig und mächtig dargestellt, wobei ihm ein Heer höriger Polizisten zur Verfügung steht, das „Gräuel“ gegen NSDAP-Mitglieder begeht. Andere Karikaturen zeigen „Isidor“, der versucht, die NSDAP mit Verboten zu bekämpfen, sie damit jedoch nur noch stärker macht. Das Buch spart nicht mit Drohungen über zukünftige „Abrechnungen“: Der Karikaturenteil endet mit einem geschlagenen, in sich zusammengesunkenen „Isidor“, der von Hakenkreuzfahnen umgeben ist. Der zweite Teil – „So sieht er aus – Dreißig Charakterköpfe dieser Republik“ betitelt – verunglimpfte in hämischen Portraits (inklusive Karikaturen) die Republik. Nicht-Juden wurden dabei als „judenhörig“ oder „Judenknechte“ dargestellt. Neben demokratischen deutschen Politikern (u. a. Gustav Stresemann, Walther Rathenau, Matthias Erzberger, Joseph Wirth) stehen die Amerikaner Charles Dawes und Parker Gilbert, denen die „Auspressung Deutschlands“ vorgeworfen wird, die Spitzen der Berliner Polizei (Karl Zörgiebel, Bernhard Weiß, Albert Grzesinski, Magnus Heimannsberg), eine wahllose Ansammlung bekannter jüdischer Persönlichkeiten (Bankier Max Warburg, Publizist Maximilian Harden, der Industrielle Jacob Goldschmidt usw.) und einige Konservative bis Deutsch-Nationale (u.a. Hjalmar Schacht, Cuno Westarp, Otto Meißner) am Pranger. Die einzige Frau unter den „dreißig Charakterköpfen“ ist Käte (fälschlich „Käthe“ geschrieben) Kleefeld, die als „jüdisch“ bezeichnete Ehefrau Gustav Stresemanns (obwohl sie evangelisch war), die eigentlich Politik mache, während ihr Mann nur „die Musike dazu“ gebe, sich dafür aber „der uneingeschränkten Liebe aller Jüden und Jüdenknechte“ erfreue. Auch der dritte und letzte Teil des Buches, „Trotz und Glauben – Dreißig Predigten in der Wüste“, hatte nicht direkt mit der „Isidor“-Kampagne zu tun, viel eher wurden angebliche oder tatsächliche Missstände der Weimarer Republik nationalsozialistisch gedeutet und mit Kampfaufrufen an die eigene Anhängerschaft versehen. Ganz am Schluss steht mit „Was wir wollen!“ eine Art Programmschrift. Hervorstechend ist der exzessive Antikommunismus des Buches, wobei jegliche Form des „Marxismus“ dank des „judenernährenden Klassenhasses“ durchweg „zur höheren Ehre Judas“ diente. Ausfälle gegen die „Judenpresse“, Banken und „Börsenpaläste“ sollten die Volksnähe der NS-Ideologie betonen. Das zweite „Isidor“-Buch, „Knorke“, behandelte weitgehend dieselben Themen in derselben Weise. Das muss wohl auch Goebbels’ Leser ermüdet haben, denn während das „Buch Isidor“ letztmalig 1931 in der fünften Auflage erschien – etwa 14.000 Exemplare wurden gedruckt –, ist „Knorke“ nur in zwei Auflagen (wobei die zweite als „revidierte Erstauflage“ firmierte) im Jahr 1929 nachweisbar. „Knorke“, der Haupttitel des „Buches für Zeitgenossen“, war ein umgangssprachliches Berliner Mo-

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Iudajizm bez prykras (Trofim Kitschko, 1963)

dewort, das „prima“, „super“, „ausgezeichnet“ bedeutet und 1929 schon nicht mehr ganz den Zeitgeschmack der Berliner traf, aber außerhalb als „echt Berlinisch“ galt. Interessant sind daneben vor allem Gobbels’ Ko-Autoren, die samt und sonders dem „Angriff“-Repertoire entstammten: Die Zeichnungen kamen erneut von „Mjölnir“, „Knipperdolling“ war der „Angriff“-Chefredakteur Julius Lippert (1895–1956), der spätere Staatskommissar, Oberbürgermeister und Stadtpräsident von Berlin, und „Orje“ (Berlinische Form von Georg) war eine journalistische Erfindung: ein frecher SAMann, dessen im Berlinischen Dialekt geschriebene Geschichten als Dauerrubrik im „Angriff“ erschienen. Goebbels, Mjölnir und der „Orje“-Autor Karl Martin Friedrich gaben 1931 sogar ein ganzes Buch („Der kesse Orje. Spaziergänge eines Berliner Jungen durch das System“, Eher-Verlag München) heraus, das in erster Linie antisemitische Hetze betrieb und in dem „Isidor“ und seine „Isidore“ – wie die Polizisten verspottet wurden – ebenfalls auftraten. Analog zu der „Isidor“-Kampagne im „Angriff“ übten die „Isidor“-Bücher keinerlei Sachkritik. Es ging einzig um Verunglimpfung, Denunziation und das Lächerlichmachen. Dieses Hauptziel betonte Goebbels auch in seinem Buch „Der Kampf um Berlin“ (1932), denn „wer die Lacher auf seiner Seite hat, der hat bekanntlich immer recht. Das machten wir uns zunutze“. Doch darf die Wirkung der Bücher nicht überschätzt werden, da die „Isidor“-Kampagne hauptsächlich vom „Angriff“ getragen wurde und die Bücher eher den Mythos von der „Eroberung“ des ebenso „roten“ wie „verjudeten“ Berlin zementierten, der für die Berliner NS-Anhängerschaft ein wichtiges Identifikationsmoment bildete und für die NS-Anhänger außerhalb den „Kampf um die Reichshauptstadt“ symbolisierte.

Bjoern Weigel

Literatur Dietz Bering, Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Stuttgart 1991. Joseph Goebbels/Mjölnir, Das Buch Isidor. Ein Zeitbild voll Lachen und Haß, München 1928. Joseph Goebbels (unter Mitarbeit von Mjölnir, Knipperdolling, Jaromir, Dax und Orje), Knorke. Ein neues Buch Isidor für Zeitgenossen, München 1929.

Israel Triumphator! → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Iudajizm bez prykras (Trofim Kitschko, 1963) „Ungeschminkter Judaismus“ war eine sowjetische Propagandaschrift gegen die jüdische Religion und den Zionismus. Ihr Autor Trofim Kitschko arbeitete vor dem Krieg im ukrainischen Innenministerium. Nach 1941 war er für die deutschen Besatzer tätig und wurde deshalb 1948 aus der Partei ausgeschlossen. Unterstützt von einem Schriftsteller, der ihn als Organisator des Widerstands darstellte, gelang ihm die Rehabilitierung. Er wurde „Experte“ für das Judentum und publizierte dazu ab 1957. Ende 1963 veröffentlichte die Ukrainische Akademie der Wissenschaften „Iudajizm bez prykras“ mit 190 Seiten in einer Auflage von 12.000 (Trochym Kyčko, Iudaïzm bez prykras [Ungeschminkter Judaismus], Kiew 1963). Die Herausgabe als Broschüre in ukraini-

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scher Sprache lässt schließen, dass eine starke, aber keine sowjetunionweite Verbreitung angestrebt war und dass nichtjüdische Leser angesprochen werden sollten – im Widerspruch zur Intention atheistischer Propaganda unter Juden (die in der Ukraine eher Russisch sprachen). Dabei verzichtete Kitschko weitgehend auf den Hinweis, dass viele „entlarvte“ Schriften auch Bestandteil der christlichen Tradition waren. Das Buch betonte mit Fußnoten den akademischen Anspruch einer Analyse der jüdischen Religion, die durchgängig mit „Judaismus“ (und dem Adjektiv „iudejs'kyj“) bezeichnet wurde, während neutral über jüdische („jevrejs'kyj“) Personen und Institutionen gesprochen wurde. Doch auch gegen diese brachen Spitzen durch den Deckmantel der antireligiösen „Aufklärung“ – etwa dass der antike jüdische Staat keine Kultur hervorgebracht habe oder dass die Juden nur deshalb keine völlige Herrschaft angestrebt hätten, damit es weiter Nichtjuden als Arbeitskräfte gebe. Vordergründig wurden Juden (als „Werktätige“) zumeist vom „Judaismus“ abgehoben, geradezu als dessen Opfer dargestellt. Auch Beispiele jüdischer Religionskritik wie Spinoza dienten diesem Zweck. Dabei wurde nicht nur argumentiert, dass der „Judaismus“ eine Waffe der reichen gegen die armen Juden sei, er wurde als Gefahr für die Nichtjuden gedeutet. Jede Religion sei Werkzeug des Imperialismus, aber die jüdische sei durch Israel zum besonderen politischen Problem geworden. Doch Kitschko holte viel weiter aus. Die gesamte Geschichte des religiösen Judentums stellte er als Feindschaft zur nichtjüdischen Umwelt dar – manifest vor allem im Talmud, der der Thora nur wenig hinzugefügt habe. Kitschko bezog seine Ansichten aus russischen vorrevolutionären sowie sowjetischen Schriften über oder gegen den Talmud. Dieser beziehe ethische Gebote nur auf Glaubensgenossen, billige Vergehen an Nichtjuden und lehre die Verachtung körperlicher Arbeit. Die einzig legitime Aktivität neben dem Gebet sei der Handel. Mit Zitaten aus der Schrift → „Zur Judenfrage“ von Karl Marx wurde der jüdische Kultus als Übersetzung des Kommerzes in religiöse Sprache erklärt. Dies wurde mit drastischen Beispielen für angebliche Geschäftemacherei in sowjetischen Synagogen illustriert. Diese seien Treffpunkte der Schwarzhändler – illegale Gebühren für das Schächten, Gebetbuchhandel, Devisengeschäfte und Schlägereien seien dort an der Tagesordnung. Jede Religion habe Riten, aber keine so viel wie der „Judaismus“, und hier dienten Bräuche wie die Beschneidung besonders dem Schüren nationalistischer Gesinnung. Die Schädlichkeit der Religion für die Juden selbst wurde an einem angeblichen jüdischen NS-Kollaborateur gezeigt oder daran, dass Rabbiner Gottesdienste abgehalten hätten, statt gegen den Faschismus aufzurufen. Nur mit dieser Tendenz wurde auf Antisemitismus und Holocaust eingegangen. Von der Kollaboration von Ukrainern war nicht die Rede, hingegen von Rabbinern, die Hitler als Gegner des Kommunismus priesen, und von jüdischen Bankiers als Financiers der Nationalsozialisten. Zionisten hätten die Weißen im russischen Bürgerkrieg unterstützt und später mit der Gestapo paktiert. Dies wurde mit einer Karikatur illustriert, auf der eine „jüdisch“ gezeichnete Figur sich kriecherisch vor einem Hakenkreuzstiefel verneigte. Insgesamt enthielt die Schrift Versatzstücke, die in der antireligiösen Propaganda seit den 1920er Jahren immer wiederkehrten. Mehr als die Vorgängerschriften suggerierte Kitschko aber, dass die Religion das Misstrauen gegen alles Jüdische erzwinge. Es war zwar auch von ehrlichen gläubigen Juden die Rede (die sich gegen Spenden

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aus Israel verwahrten), doch musste sich ein Leser angesichts des enthüllten „Judaismus“ fragen, wie dieser überhaupt ehrliche Anhänger haben könne. Letztlich waren es aber weniger die Inhalte, die weltweit für Empörung sorgten, als die Illustrationen des Buches. Angefangen mit dem Titelbild enthielt es Darstellungen von krummnasigen, dicklippigen Juden, gierig nach Geld greifend, in Schacher und Raufereien verwickelt. Da sich Strafprozesse gegen Rabbiner und Synagogenbesucher als angebliche Wirtschaftskriminelle häuften, kam es Anfang 1964 im Westen zu zahlreichen Presseberichten und Appellen, die den „Stürmer-Stil“ des Buches und seiner Illustrationen angriffen. Alarmierend wirkte für die sowjetische Führung die Kritik aus den kommunistischen Parteien in Italien und besonders Frankreich, wo in entlarvender Absicht eine Übersetzung des Buches erschien (Trokhym Kytchko, Judaisme sans fard, Paris 1964). So entschloss sich die Ideologiekommission des ZK der KPdSU zu einer in der „Prawda“ am 4. April 1964 publizierten Kritik an dem Buch, das Fehler enthalte, die die Gefühle von Gläubigen verletzen und als antisemitisch interpretiert werden könnten. Kitschko überstand den Skandal unbeschadet. 1968 publizierte er kurz vor Beginn der Welle der → sowjetischen „antizionistischen“ Publikationen ein weiteres Buch über „Judaismus und Zionismus“ und erhielt eine Auszeichnung für seine Verdienste in der atheistischen Propaganda.

Matthias Vetter

Literatur Moshe Decter, Judaism Without Embellishment, in: Ronald I. Rubin (Hrsg.), The Unredeemed. Anti-Semitism in the Soviet Union, Chicago 1968, S. 135–145. Benjamin Pinkus, The Soviet Government and the Jews. 1948–1967. A Documented Study, Cambridge 1984.

J. F. Lehmanns Verlag (1890-1979) Gegründet 1890 als Verlag der Münchner Medizinischen Wochenschrift entwickelte sich der J. F. Lehmanns Verlag in wenigen Jahren zu einem führenden Produzenten medizinischer Fachbücher und Bildatlanten. Der Erfolg auf diesem Feld erlaubte J.F. Lehmanns den Aufbau eines politischen Buch- und Zeitschriftensegments, das bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs völkisch-nationalistische und antisemitische Züge trug. Nach Ende des Ersten Weltkriegs erweiterte er sein Sortiment wehrkundlicher Schriften um eine Reihe von Weltkriegserinnerungen und beteiligte sich rege an der Verbreitung der Dolchstoßlegende. Bereits 1919 gründete J.F. Lehmann mit dem von Dr. Ernst Boepple geleiteten Deutschen Volksverlag einen Ableger zur Verbreitung antisemitischer Schriften. Seit 1917 gab der J. F. Lehmanns Verlag mit „Deutschlands Erneuerung“ eine Art Programmzeitschrift des Alldeutschen Verbands (ADV) heraus. Die Idee zur Gründung des Blattes geht auf den Rassetheoretiker Houston Stewart Chamberlain zurück, der neben Heinrich Claß, dem Vorsitzenden des ADV, als Herausgeber fungierte und sogar einige Beiträge beisteuerte. Die Zeitschrift wurde zu einem Instrument in J.F. Lehmanns anhaltender Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik. So bot das Blatt etwa den Angeklagten im sogenannten Hitlerprozess Raum zur Selbstrechtferti-

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gung und tat sich auch in der Verteidigung einiger als Fememörder angeklagter Offiziere der „Schwarzen Reichswehr“ hervor. In diesem Kontext versuchte der Verlag, mit dem Band „Gefesselte Justiz“ im Jahr 1930 sogar einen Justizskandal zu initiieren. Viele, vor allem antisemitische Aufsätze, die bereits in „Deutschlands Erneuerung“ erschienen waren, wurden durch den Verlag in tausendfacher Auflage als Flugschriften verbreitet. Im Falle der seit 1918 erschienenen „Flugschriften zur Judenfrage“ ging hieraus sogar eine eigenständige Publikationsreihe hervor. Auch die Zeitschrift → „Volk und Rasse“ erschien seit 1926 zwei Jahre lang zunächst als Beilage von „Deutschlands Erneuerung“. J. F. Lehmann gelang es, eine ganze Reihe namhafter Wissenschaftler und Redakteure verwandter Publikationsreihen als Mitherausgeber des Blattes zu gewinnen. Zu den prominentesten Autoren gehörte u. a. Walther Darré, dessen 1930 erschienener Aufsatz „Das Zuchtziel der deutschen Rasse“ die radikale Stoßrichtung des Blattes wohl am treffendsten beschreibt. Die Zeitschrift ist damit sowohl Zeugnis der politischen Vernetzungsaktivität J. F. Lehmanns als auch ein Beispiel für die geschickte Vermarktungsstrategie seines Verlags. So genossen alle Abonnenten des Blattes das Privileg einer kostenlosen Mitgliedschaft in dem von J. F. Lehmanns gegründeten „Werkbund für deutsche Volkstums- und Rasseforschung“, der sich der Unterstützung einschlägiger Forschung verschrieb. Als solche waren sie berechtigt, Bücher dieser Themenrichtung zu vergünstigten Konditionen zu erwerben. Meist handelte es sich hierbei um Titel aus dem Hause Lehmanns, die in den Rezensionsteilen der verlagseigenen Zeitschriften beworben wurden. Zu den größten Verkaufserfolgen des Verlags zählten neben der von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz herausgegebenen „Menschlichen Erblehre und Rassenhygiene“ vor allem die pseudowissenschaftlichen Werke Hans F. K. Günthers. Allein die von ihm verfasste → „Rassenkunde des deutschen Volkes“ erlebte von 1922 bis 1933 sechzehn Auflagen. Eine 1929 herausgebrachte gekürzte Fassung des nach dem Vorbild medizinischer Atlanten illustrierten Standardwerks über die germanische Rasse wurde bis 1945 hundertausendfach verkauft. Mit den Werken Günthers und den ebenfalls von J. F. Lehmann verlegten Schriften Darrés über „Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse“ und den vermeintlichen „Neuadel aus Blut und Boden“ avancierte der Verlag zum Branchenführer im Bereich der Rassenkunde und lieferte ideologische Eckpfeiler der späteren NS-Rassen- und Vernichtungspolitik. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten demonstrierte der Verlag eine vorauseilende Staatsnähe, indem er z. B. aus eigener Initiative einen Kommentar zum „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ veröffentlichte, dem 1936 ein Kommentar zu den „Nürnberger Gesetzen“ folgen sollte. Insgesamt fand der Verlag, dessen Schriften fortan im Rang wissenschaftlicher Lehrwerke standen, seine Rolle in der publizistischen Unterstützung und Erläuterung der NS-Rassen-und Bevölkerungspolitik, die ihm von staatlicher Seite mit höchster Wertschätzung honoriert wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war eine Wiederaufnahme der Verlagstätigkeit zunächst unmöglich. Der Verlag Urban & Schwarzenberg übernahm wesentliche Teile des medizinischen Buchprogramms des J. F. Lehmanns Verlags und erwarb J. F. Lehmanns Medizinische Buchhandlung in München. Erst mit Gründung der BRD ergab sich die Gelegenheit zur Neugründung des Verlags, der unter Führung von J. F. Leh-

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Der Jahrhundert-Betrug (Arthur R. Butz, 1977)

manns Schwiegersohn Otto Spatz erneut ein medizinisches, aber auch wehrkundliches Sortiment aufbaute. Auch einzelne Titel Hans F. K. Günthers wurden neu aufgelegt, mussten nach öffentlichen Protesten aber wieder vom Markt genommen werden. Die endgültige Auflösung des Verlags erfolgte 1979. Nur zwei Jahre später feierte der Name „J. F. Lehmanns“ eine unerwartete Auferstehung als neuer Firmenname der 1981 vom Verlag Urban & Schwarzenberg an den Deutschen Ärzte-Verlag verkauften „Rothacker“-Buchhandlungen. Nach anhaltenden öffentlichen Irritationen über ihren Namensgeber tilgte die Buchhandelskette „J. F. Lehmanns“ 1997 zunächst dessen Initialen aus ihrem Namen und firmiert seit 2011 nur noch unter dem Namen ihres 1988 gegründeten Verlags Lehmanns Media.

Christian Gaubert

Literatur Gary Stark, Der Verleger als Kulturunternehmer. Der J. F. Lehmanns Verlag und Rassekunde in der Weimarer Republik, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens 16 (1976), Sp. 291–318. Gary Stark, Entrepreneur of Ideology. Neoconservative Publishers in Germany, 1890–1933, Chapel Hill 1981. Sigrid Stöckel (Hrsg.), Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Berlin 2002.

Das Jahr des Schreckens → Baigais Gads

Der Jahrhundert-Betrug (Arthur R. Butz, 1977) Das 1976 auf Englisch als „The Hoax of the Twentieth Century“ erschienene Buch „Der Jahrhundert-Betrug“ des Naturwissenschaftlers und Technikers Arthur R. Butz (geb. 1933) gilt als das erste Werk holocaustleugnender Literatur, das durch seine Struktur, Argumentation und seinen Fußnotenapparat gezielt einen wissenschaftlichen Eindruck zu erwecken suchte. Die Entstehungsgeschichte seines einzigen Buches gibt der US-amerikanische Universitätsdozent für Elektrotechnik Butz, einem gängigen Muster folgend, als Erleuchtungs- und Aufklärungsgeschichte wieder. Zunächst habe er den Holocaust für bare Münze genommen und erst durch intensives Selbststudium „den ganzen erbärmlichen Schmutz durchschaut“. Trotz der verfügbaren revisionistischen Schriften, die meist „nicht nur nicht überzeugend“, sondern vielmehr „unzuverlässig und oberflächlich in der Auswertung von Quellen“ gewesen seien, sei er Anfang 1972 zur Überzeugung gelangt, dass „die Legende von der vergasten und mehrere Millionen zählenden Judenschaft Betrug sein müßte“. Er habe es nun „als eine unausweichliche Verpflichtung“ empfunden, „im notwendigen Interesse der Menschheit das möglichst weit zu verbreiten“, was er „über diesen widerlichen Schwindel herausgefunden hatte“. Obgleich das Manuskript nach Erweiterungen und Überarbeitungen Ende 1974 abgeschlossen worden sei, entstand Butz zufolge der „grundsätzliche Text“ bereits im Sommer 1972. Dass seine Schlussfolgerungen gleichzeitig auch seine Ausgangsprämissen sind, hat Butz selbst betont, als er schrieb, es begreife es als seine Aufgabe, die „Vernichtungslegende“ „zu begraben“.

Der Jahrhundert-Betrug (Arthur R. Butz, 1977)

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In seinem Buch schreibt Butz, es sei eine „Tatsache“, dass außer den „mündlichen Zeugenaussagen und eidesstattlichen Erklärungen“, die durch die Nürnberger Prozesse überhaupt „erst gezeugt [sic] wurden, es keinerlei andere Anhaltspunkte dafür gibt, daß das Programm für die Ermordung von Juden überhaupt existierte“. Das Beweismaterial bezüglich der Vernichtungen in Auschwitz sei ein „Fantasiegebilde aus Meineid, Fälschung, Tatsachenentstellung und unrichtiger Auslegung von Dokumenten“, die Angeklagten „hirngewaschen“ – somit sei für die Ankläger und Richter nichts „unerreichbar“ gewesen. Laut Butz bedeutet die „Endlösung der Judenfrage“ lediglich „die Vertreibung der Juden aus dem deutschen Einflußbereich in Europa“, die Vernichtungslager seien in Wahrheit Durchgangslager in jenem groß angelegten Umsiedlungsplan nach Osten gewesen. Die „Behauptungen über Massenvernichtungen“ sowie die Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden bezeichnet Butz als einen jüdischen und zionistischen „Schwindel“, der bis zum Jüdischen Weltkongress zurück verfolgbar und vom Talmud inspiriert sei. Nicht umsonst handle es sich bei den fünf prominentesten „Vernichtungsmythologen“ (gemeint sind Historiker wie Raul Hilberg) um Juden. Zwar sei während des Zweiten Weltkriegs eine große Anzahl von Juden auf verschiedene Art und Weise ums Leben gekommen – Butz nennt eine Million als „möglich“, obwohl sie ihm „ziemlich hoch“ erscheint –, die Gaskammern seien jedoch „Fantasien der Kriegs- und Nachkriegspropaganda“. Entsprechend sei die Mehrzahl der Juden nicht ermordet, sondern von der Sowjetunion „absorbiert“ worden, der „verbliebene Rest […] nach Palästina, in die USA, nach Europa oder sonstwohin“ ausgewandert. Die Erstausgabe von „Der Jahrhundert-Betrug“ erschien 1976 unter dem Titel „The Hoax of the Twentieth Century“ bei Historical Review Press im südenglischen Richmond, wo bereits zahlreiche andere einschlägige Schriften publiziert worden waren. Bereits im Jahr darauf folgte eine leicht veränderte zweite Auflage, die durch Noontide Press, einen in Kalifornien ansässigen Verlag rechtsextremer und antisemitischer Schriften, nun auch in den USA verbreitet wurde. Mit dem Untertitel „The Case Against the Presumed Extermination of European Jewry“ versehen, erfuhr das Buch bis 2002 durch den mit dem Institute for Historical Review verbundenen Verlag neun Nachdrucke – substanziell blieb der Text zwar stets unverändert, jedoch wurden zusätzliche Anhänge und Vorworte beigegeben. Ein als dritte Auflage ausgewiesener Druck erschien schließlich 2003 in Chicago bei Theses and Dissertations Press, dem Verlag des in die USA geflohenen deutschen Holocaustleugners Germar Rudolf (→ Rudolf-Gutachten; → Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung). Außer einem überarbeiteten Vorwort enthielt diese Ausgabe jedoch keine Veränderungen oder Ergänzungen im Vergleich zu Nachdrucken der 1990er Jahre. Substanzielle Änderungen und Überarbeitungen lehnte Butz stets ab, da das Buch sonst seinen Zusammenhalt verlöre; bereits die vorliegende Fassung weise „lange und irritierende Abschweifungen“ auf. Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel „Der Jahrhundert-Betrug“ im Jahr 1977. Obwohl wie die englische Erstausgabe von Historical Review Press verlegt, wurde der Band durch den Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung in Vlotho vertrieben. Dessen Inhaber Udo Walendy (→ Historische Tatsachen), ein seit langen Jahren aktiver revisionistischer Autor, zeichnet auch als Co-Übersetzer verant-

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J’accuse! (Émile Zola, 13. Januar 1898)

wortlich. Zuvor erschien unter dem Titel „Der Schwindel des 20. Jahrhunderts“ in der „Deutschen National-Zeitung“ bereits ein Vorabdruck. Abgesehen von der dürftigen handwerklichen Qualität der Übersetzung durchziehen die gesamte deutsche Ausgabe erhebliche inhaltliche Veränderungen. Nicht nur an Schlüsselstellen wurden Abschnitte gestrichen und neue umfangreiche Passagen eingefügt, auch Butz’ Bewertungen wurden teilweise so verändert, dass sie im Widerspruch zum Wortlaut und zum Geist des Originaltexts stehen. Auch wenn Walendy an anderer Stelle angab, Butz habe die deutsche Ausgabe „bearbeitet und verbessert bzw. ergänzt“, resultieren die Veränderungen meist nicht nur in einer Zuspitzung der ursprünglichen Aussage, sondern in einer inhaltlichen Angleichung an Walendys eigene Positionen und Publikationen. 1999 erfolgte durch die belgische Stichting Vrij Historisch Onderzoek [VHO/Europäische Stiftung zur Förderung freier historischer Forschung] ein unveränderter Nachdruck der deutschen Ausgabe; 2002 erschien eine französische Ausgabe, der ein Vorwort des Holocaustleugners Robert Faurisson vorangestellt war. Butz’ 400 Seiten starke und in bescheidener Druckqualität erschienene Ausarbeitung stellt durch den Ausbau und die Verfeinerung revisionistischer Argumentationsmuster sowie durch eine Präsentationsstrategie, die auf äußerliche Merkmale von Wissenschaftlichkeit setzt und damit Seriosität suggeriert, eine Zäsur in der Geschichte der Holocaustleugnung dar. Unter Holocaustleugnern besitzt „Der Jahrhundert-Betrug“ den Rang eines Standardwerks und wurde entsprechend nachgeahmt, am bekanntesten durch → „Der Auschwitz-Mythos“ von Wilhelm Stäglich. Auch nach Jahrzehnten sieht der sich als revisionistischer Altmeister gebende Butz, der auch im beratenden Herausgebergremium des → „Journal of Historical Review“ vertreten war, sein Buch trotz geringfügiger Fehler als unerreicht, unwiderlegt und nach wie vor als wegweisend an. Im Großen und Ganzen sei das Narrativ seines Buch noch heute „richtig“, die „historischen Teile“ passten „perfekt“ zusammen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften setzte Butz’ Buch bereits im Jahr 1979 erstmals auf den Index, 2004 wurde der Beschluss bestätigt.

Christian Mentel

Literatur John S. Conway, Frühe Augenzeugenberichte aus Auschwitz. Glaubwürdigkeit und Wirkungsgeschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 27 (1979), 2, S. 260–284. Bradley F. Smith, Two Alibis for Inhumanities: A.R. Butz, The Hoax of the Twentieth Century and David Irving, Hitler’s War, in: German Studies Review 1 (1978), 3, S. 327–335.

J’accuse! (Émile Zola, 13. Januar 1898) Am 5. Januar 1895 führte der Prozess gegen Hauptmann Alfred Dreyfus wegen Hochverrats zu seiner militärischen Degradierung. Die französische Armee und die öffentliche Meinung in Frankreich fühlten sich in ihren Ressentiments bestärkt, da das Urteil die weitverbreitete Annahme einer Schuld des jüdischen Hauptmannes bestätigte. Französische antisemitische Kreise konnten die indirekte Bestätigung der Schmähreden von Édouard Drumont gegen Juden, die in der Armee dienten, nur begrüßen. Das Lager der Fürsprecher von Dreyfus wurde aber ein Jahr später aktiv: Das Buch „La vérité sur l’affaire Dreyfus“ [Die Wahrheit über die Dreyfus-Affäre] von Bernard La-

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zare, das im Oktober 1896 erschien, rief sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Es führte zur Aufdeckung des tatsächlichen Schuldigen, des Offiziers Esterházy, und ließ damit die Forderung nach einer Revision des Prozesses laut werden. Vor diesem Hintergrund schaltete sich Ende November 1897 der Schriftsteller Émile Zola in die Debatte ein – ein von Lazare geforderter Schritt, den er noch Ende 1896 abgelehnt hatte. Für Zola ging es nunmehr darum, ein „bewundernswertes Werk“ („admirable oeuvre“) zu vollbringen, um dem offensichtlichen Justizirrtum entgegenzutreten. Seine Intervention wurde zum wesentlichen Faktor für die Wende in der Angelegenheit; er stand in der Logik früherer Stellungnahmen im Kampf gegen den Antisemitismus (z.B. „Pour les Juifs“ in „Le Figaro“ vom 16. Mai 1896). Der Text, den Zola verfasste, „J’accuse!“ [Ich klage an!], ein an den Präsidenten der Republik gerichteter Brief, erschien am 13. Januar 1898 in der Tageszeitung „L’Aurore“ in einer Auflage von 300.000 Exemplaren. Als Ergebnis eines Reifeprozesses von einigen Monaten verstand er sich als Reaktion auf den Freispruch Esterhazys und schlug wie eine Bombe ein. In seinem Text versuchte Zola über die „einfache“ Dreyfus-Affäre hinauszugehen. Es ging ihm um die Bekämpfung der Dummheit und der „grölenden Antisemiten“, darum, für die Wahrheit und die Gerechtigkeit zu kämpfen und zur Tat zu schreiten in einer Zeit, in der die niedersten Instinkte triumphierten, während bedeutende Denker schwiegen. Der Antisemitismus, der wahrhaft „Schuldige“, lasse Frankreich „1.000 Jahre zurückfallen“ in die Zeit der Religionskriege und der religiösen Verfolgungen. Denn „das Gift steckt im Volk, wenn nicht gar das gesamte Volk vergiftet wird“. Der Antisemitismus sei bereits Ausgangspunkt der Korruptionsaffäre rund um den Bau des Panama-Kanals (1892) gewesen, er bilde nun die Grundlage für die Dreyfus-Affäre und die Hartnäckigkeit, mit welcher am Justizirrtum festgehalten werde. Dieses Gift werde über die Presse verbreitet, tagtäglich, „im Namen der Moral, im Namen Christus’, als Rächer und Verfechter der Gerechtigkeit“. Das deklarierte Ziel sei, gegen den „Juden und Verräter“ zu kämpfen, zwei Begriffe, die zu Synonymen geworden seien. Im Gegensatz dazu wollte Zola dem Antisemitismus den Prozess machen, vor allem der „Sekte“, die ihn trug, damit die Vernunft siegen könne. Zola zufolge sei Frankreich „lediglich auf einen Abweg geraten, fern von seinem Herzen und Genie. Man soll ihm von Menschlichkeit und Gerechtigkeit erzählen, und es wird als Ganzes zu seiner legendären Großzügigkeit zurückkehren.“ Diese Rückkehr Frankreichs zu seinen wirklichen Werten müsse besonders die Jugend des Landes betreffen: Im Gegensatz zu ihrer früheren Warmherzigkeit agiere sie nun von Hass getrieben, infiziert vom „dummen Antisemitismus“. Menschlichkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit müssten sie wie in der Vergangenheit leiten. Zola appellierte aber auch an Frankreich im Allgemeinen. Es solle reagieren, wenn die Kirche auf den Antisemitismus als einziges Mittel zurückgreife, um die Massen zurückzugewinnen. In ihrem Bestreben, das Feuer des Antisemitismus zu schüren, damit Gott die Herzen danach wiedererobern könne, greife sie zunächst die Juden an; im Anschluss daran seien die Protestanten an der Reihe. Für Zola ging es also um ein Erwachen Frankreichs. Es sollte sich von dem befreien, was er als Einfluss verschworener Mächte wahrnahm: die katholische Kirche, vor allem die Jesuiten, die Armee, deren klerikales Oberkommando einen umso heftigeren

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Feldzug führe, als dieser gegen einen Juden gerichtet war. Es existiere demnach über eine umgekehrte Verschwörung eine Intrige, die sich auf die Armee und deren Ehre sowie auf die „widerwärtige“ Presse stütze, um den antisemitischen Anspruch zu festigen. Jedoch sei es „ein Verbrechen, den Patriotismus für Werke des Hasses auszunutzen, und es ist letztlich ein Verbrechen, aus dem Säbel den modernen Gott zu machen, wenn die ganze menschliche Wissenschaft für das kommende Werk der Wahrheit und der Gerechtigkeit arbeitet“. Zola gab sich über seinen Text als Provokateur, um langfristig zu wirken: Einen derartigen Appell an den französischen Präsidenten zu richten, der die öffentliche Moral in der Dritten Republik verkörperte, zwang die Regierung, zu reagieren und ihre ablehnende Haltung in der Affäre aufzugeben. Es ging nicht nur darum, einen Unschuldigen zu verteidigen, sondern auch darum, gegen die Schuldigen vorzugehen. Der Text erzielte die gewünschte Wirkung. Kurzfristig lieferte er den Stoff für eine „Zola-Affäre“ innerhalb der Dreyfus-Affäre. Dem Schriftsteller wurde öffentlich der Prozess gemacht, der die Gegensätze noch verstärkte: Er wurde beschimpft als „Nicht-Franzose“ (Barrès) und als ein von der Interessenvertretung der Juden Gekaufter, der Frankreich verderbe (Drumont und „La Croix“). Just in diese Zeit fiel auch eines der seltenen französischen Pogrome, nämlich im Département von Algerien. Mittelfristig wurde die Dreyfus-Affäre zur großen „Affäre“: Sie wuchs über den engen juristischen Rahmen hinaus und beschäftigte die Gesellschaft, die sich in zwei Lager spaltete, wie auch die neue Figur des Intellektuellen unterschiedlich Partei ergriff. Langfristig verhalf Zolas Text, obwohl er zur gerichtlichen Verurteilung des Schriftstellers und zu dessen Exil in Großbritannien führte, der Sache zum Sieg, denn der Prozess gegen Dreyfus wurde 1899 wiederaufgenommen. Eine Revision wurde ihm zwar nicht zugestanden, aber er wurde wenige Tage später begnadigt, um im Juli 1906 definitiv rehabilitiert zu werden. Dieser letzte Schritt blieb insofern unvollendet, als Dreyfus den durch die Verurteilung erlittenen Karriereverzug nicht aufholen durfte. Auch wurden die tatsächlichen Schuldigen nicht vor Gericht gestellt. Émile Zola, der am 29. September 1902 bei einem Unfall ums Leben kam, erlebte diesen späten Erfolg seines „bewundernswerten Werkes“ nicht mehr.

Dominique Trimbur

Literatur Jean-Denis Bredin, L’Affaire, Paris 1983. Vincent Duclert, L’affaire Dreyfus, Paris 20114. Vincent Duclert, Die Dreyfus-Affäre: Militärwesen, Republikfeindschaft, Judenhass, Berlin 1994. Philippe Oriol, L’histoire de l’affaire Dreyfus, Paris 2013. Émile Zola, J’accuse, et autres textes sur l’affaire Dreyfus, hrsg. von Philippe Oriol, Paris 1998.

Je suis partout (Frankreich, 1930–1940; 1941–1944) Die Wochenzeitung „Je suis partout“ wurde 1930 vom damaligen Verlagshaus der französischen nationalistischen Rechten, Fayard, gegründet. Die Redakteure kamen meist aus Kreisen um die Zeitung → „L’Action française“ (Pierre Gaxotte, Robert

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Brasillach, Lucien Rebatet, Pierre-Antoine Cousteau). Sie formulierten hier ihren Hass auf den Kapitalismus, spezialisierten sich auf internationale Fragen und vertraten ausgrenzende Ideen: das Bekenntnis zum Nationalismus kombiniert mit der Überzeugung eines universellen, von Genf, Moskau und Berlin aus angestrengten anti-französischen Komplotts; die Bewunderung für faschistische Regimes, vor allem des italienischen, und die allmählich wachsende Faszination für NS-Deutschland. Die Referenz-Autoren der ersten Zeit waren Maurras, Drumont, Toussenel. Auf literarischem Gebiet glorifizierte „Je suis partout“ das antisemitische Pamphlet von Céline, „Bagatelles pour un massacre“, bei seiner Erscheinung 1937. Die französischen und europäischen Turbulenzen der 1930er Jahre verstärkten den Extremismus von „Je suis partout“, so vor allem die blutigen Ereignisse vom 6. Februar 1934, als rechtsextreme Gruppierungen (ligues) das Parlament zu stürmen suchten. Im Mai 1936 zog sich Fayard aus der Publikation zurück, sie wurde von nun an von ihren Redakteuren getragen, die damit freie Hand bei der Präsentation ihrer Standpunkte erlangten. 1937 wurde Robert Brasillach Chefredakteur. „Je suis partout“ war eifrig bemüht, das demokratische System zu verunglimpfen. Die Wochenzeitung führte einen heftigen Kampf gegen die Volksfrontregierung, die vom Sozialisten Léon Blum angeführt und von ihr verdächtigt wurde, im Dienst der Juden Kriegshetze zu betreiben. Die Angriffe gegen bestimmte jüdische Persönlichkeiten (neben Blum vor allem der Erziehungsminister Jean Zay) bildeten das Gegenstück zu den Reportagen über die Olympischen Spiele in Berlin (1936) oder den Nürnberger Parteitag (1937), die als Symbole des deutschen Aufstiegs gesehen wurden, der für „Je suis partout“ in Kontrast zum vermeintlichen französischen Niedergang stand. Man appellierte an eine „nationale Revolution“ gegen zerstörerische internationale Organismen, darunter jüdische; die Katholische Kirche, die traditionell am Beginn des Antisemitismus stehe, müsse sich diesem Kreuzzug anschließen. Dem antijüdischen Ressentiment wurde große Aufmerksamkeit zuteil: Brasillach und Rebatet widmeten ihm zwei Sondernummern, 1938 über „Die Juden“, 1939 über „Die Juden und Frankreich“, die große Resonanz fanden. Zwar distanzierte sich „Je suis partout“ vom metaphysischen Antisemitismus eines Alfred Rosenberg, und physische Verfolgung oder Pogrome wurden abgelehnt; patriotische Juden sollten sogar Ehrungen empfangen dürfen. Aber die Ablehnung des Jüdischen war virulent: Der katholische Philosoph Jacques Maritain wurde auf diese Weise wegen seiner jüdischen Ehefrau als „Rassenschänder“ bezeichnet. Die Argumentation griff auf klassische Motive zurück: Die Bezeichnung als Rasse wurde – anfangs – abgelehnt; angegriffen wurde ein nicht assimilierbares Volk, dessen Interessen sich von denjenigen der Nationen, inmitten derer es lebte, unterschieden. Trotz ihrer Ablehnung des Kommunismus applaudierte die Wochenzeitung „Je suis partout“ Stalins Antisemitismus, als dieser sich in den großen Säuberungswellen entlud. Die Lösung liege im „vernünftigen“, aus der monarchischen Tradition hervorgegangenen Antisemitismus (antisémitisme de raison) und der Einrichtung eines Minderheitenstatus, innerhalb dessen sich die Juden entfalten könnten. Was den Zionismus betraf, blieb die Haltung von „Je suis partout“ ambivalent und schwankte zwischen Faszination und Ablehnung. Angesichts der Ereignisse in Palästina ergriffen bestimmte Redakteure Partei für das arabische Anliegen, und im französischen Algerien

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unterstützte die Wochenzeitung die Idee einer Zusammenarbeit zwischen Europäern und Moslems gegen die in ihren Augen von Paris zu sehr geschonten Juden. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg nähert sich „Je suis partout“ den rechtsextremen Bewegungen und ihren Verantwortlichen, wie Joseph Darnand und Jacques Doriot. Der Antisemitismus wurde immer eklatanter und veranlasste die französische Regierung, per Dekret die Anstiftung zum Hass in der Presse zu ahnden. Um dieser Gesetzgebung auszuweichen, bezeichnete „Je suis partout“ die Juden fortan mit dem Begriff „Bewohner“ (habitants). Der von „Je suis partout“ vertretene Pazifismus leitete sich von seinem Nationalismus ab: Der von Sozialisten und Kommunisten (und Juden) gewollte Krieg sei der Krieg Moskaus und keiner, der Frankreich zugute komme. Der tatsächliche Ausbruch des Konfliktes wurde mit Resignation hingenommen; Die meisten Redakteure wurden in die Armee einberufen. Mit dem Sitzkrieg (drôle de guerre) von September 1939 bis April 1940 ging eine Pause in Sachen Antisemitismus einher: Die Ernennung von Georges Mandel, einem konservativen Juden, zum Innenminister wurde sogar begrüßt (allerdings ließ derselbe zwanzig Tage nach Beginn der deutschen Westoffensive eine Hausdurchsuchung gegen „Je suis partout“ durchführen im Kampf gegen die „fünfte Kolonne“, die man für den sich abzeichnenden Zusammenbruch Frankreichs verantwortlich machte). Nach einer Unterbrechung von Mai 1940 bis Februar 1941 nahm „Je suis partout“ in Paris ihre Tätigkeit wieder auf, um künftig zum politischen und literarischen Hauptorgan der Kollaboration zu werden (1941 erreichte sie eine Auflagenstärke von 100.000 Exemplaren, die bis 1944 auf 300.000 anstieg). Die Wochenzeitung dominierte im intellektuellen Milieu, umso mehr als ihre Redakteure sich als Journalisten und Schriftsteller betätigten (Cousteau veröffentlichte „L’Amérique juive“, Rebatet „Les Décombres“, mit großem Erfolg). Die Zeichen der Zeit standen auf Radikalisierung und auf Ablehnung von Demokratie und Republik: Es wurde gefordert, die Verantwortlichen der Dritten Republik und der Niederlage vor Gericht zu stellen und sie mit der Todesstrafe zu bestrafen (Mandel, bereits in der ersten Nummer der Neuausgabe Zielscheibe heftiger Angriffe, kam tatsächlich ins Gefängnis in Erwartung eines Prozesses; er wurde im Juli 1944 von der Miliz ermordet). „Je suis partout“, das sich offen deutschfreundlich gab, konzentrierte die Angriffe auf die angelsächsische Welt, die „verjudet“ sei und dem „Terroristen“ und im Dienste der Juden stehenden De Gaulle Deckung gebe. Der Antisemitismus von „Je suis partout“ war fortan radikal: Er betraf gleichermaßen prominente und unbekannte Juden, Ausländer und Franzosen. Deren tatsächliches Schicksal entsprach den Erwartungen von „Je suis partout“, das aber darüber hinauszugehen wünschte: Die Wochenzeitung bot eine eigene Rubrik zur namentlichen Denunziation, um versteckte Juden ausfindig zu machen und auszuliefern. Einige Artikel stellten unzweideutige Aufrufe zum Mord dar. Der berüchtigtste stammte vom 25. September 1942: Als Antwort auf eine judenfreundliche Erklärung von Monsignor Jules-Gérard Salièges, Erzbischof von Toulouse, der die im Laufe des Sommers in großem Maßstab eingeleiteten Deportationen von Juden verurteilte, widmete sich Brasillach den vermeintlichen Machenschaften der „sieben Internationalen gegen das Vaterland“. Er rechtfertigte die im Gange befindlichen Abschiebungen und fand folgende Worte: „Man muss sich von den Juden als Ganzes trennen und darf die

Jesus der Galiläer und das Judentum (Walter Grundmann, 1940)

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Kleinen nicht behalten“, womit der Autor offen für die Deportation – und dadurch zweifellos die Ermordung – auch der jüdischen Kinder plädierte. Im Juli 1943 verließ Brasillach „Je suis partout“, die sich immer stärker im Extremismus exponierte. Am 15. Januar 1944 schloss Rebatet eine Rede mit einem durchdringenden „Tod den Juden! Es lebe die nationalsozialistische Revolution! Es lebe Frankreich!“ „Je suis partout“ zeigte sich auch zufrieden über die Neuigkeit von der Ermordung Mandels. Im August 1944, wenige Tage vor der Befreiung von Paris, prangerte sie noch die kommende, „super jüdische“ (hyper juive) Vierte Republik an. Die deutsche Niederlage war für „Je suis partout“ dementsprechend das Ende ihrer Welt. Die wichtigsten Redakteure wurden wegen Feindbegünstigung zum Tode verurteilt (aber alle – außer Brasillach – begnadigt). Seine Ideen wurden von Maurice Bardèche, dem Schwager von Brasillach, dauerhaft weiter getragen, der damit auch den Negationismus gegenüber der Shoa einleitete.

Dominique Trimbur

Literatur Pierre-Marie Dioudonnat, Je suis partout, 1930–1944. Les Maurrassiens devant la tentation fasciste, Paris 1973. Michel Laval, Brasillach, ou la trahison du clerc, Paris 1992. Pascal Ory, Les collaborateurs, 1940–1945, Paris 1980.

Jesus der Galiläer und das Judentum (Walter Grundmann, 1940) Das Buch „Jesus der Galiläer und das Judentum“ des Jenaer Professors für „Völkische Theologie“ und Neues Testament Walter Grundmann, im Jahr 1940 im Verlag Georg Wigand in Leipzig erschienen, markiert den Höhepunkt der nationalsozialistischen antisemitischen „Jesusforschung“. Grundmann publizierte es als Veröffentlichung des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, dessen Direktor er seit dessen Gründung im Jahr 1939 war. Das Buch diskutiert die Stellung Jesu zum Judentum und sucht insbesondere, die für die völkische Theologie der Deutschen Christen fundamentale Frage der „völkischen Zugehörigkeit Jesu“ zu beantworten. Grundmanns Hauptthese ist: Jesus ist nicht als Reformer des jüdischen Lebens aufgetreten, sondern als Begründer einer „neuen Lebensform“. Eine genaue Durchsicht der Evangelien zeige, dass er im Widerspruch zur jüdischen Gesetzesauslegung „und weithin zum Gesetz selbst“ gestanden habe. Alles, was dem entgegenzustehen scheine, sei „eine judenchristliche Konstruktion“, eine Verfälschung des ursprünglichen Evangeliums. Jesu Verhältnis zum jüdischen Tempel sei das einer „bestimmten Absage“ gewesen, auch in vielen anderen, für das Judentum grundlegenden Punkten habe er „in einem grundsätzlichen Widerspruch gegen das System“ gestanden. So überwinde er die jüdische Vorstellung vom Reich Gottes und den jüdischen Messiasgedanken, er löse die jüdische „Lebensverfassung“ auf, mit den Pharisäern habe er nichts zu tun. Er sei ein einsamer Sucher und Kämpfer, als Sohn Gottes spreche er aus eigener Vollmacht und bringe das Reich Gottes, d.h. „eine neue Gottes- und Menschengemeinschaft“. Das Alte Testament benutze er völlig frei und „von seinem Gottesverhältnis her“. Die Pharisäer, so Grundmann weiter, hätten all das gespürt und ihn

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Jesus der Galiläer und das Judentum (Walter Grundmann, 1940)

verworfen, aber auch Jesus selbst habe die Trennung vollzogen. Schuld an seinem Tod sei „die einen Justizmord heraufführende Lüge der Juden“ gewesen. Jesus war nach Grundmanns Überzeugung Galiläer und als solcher „mit größter Wahrscheinlichkeit kein Jude, vielmehr völkisch einer der in Galiläa vorhandenen Strömungen“ zugehörig. Seine Mutter Maria „war eine galiläische Nichtjüdin“, Gleiches gelte für seinen Vater; die Behauptung der Stammbäume im Matthäus– und Lukasevangelium, Jesus stamme aus dem Geschlecht Davids, sei spätere Konstruktion. Das Buch ist ein Produkt nationalsozialistischer Wunschexegese im Gewand vermeintlicher historischer Kritik. Gesucht wurde nicht die wissenschaftliche Erkenntnis, sondern ein Weg, zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Grundmann selbst hat später betont, es sei ihm in seiner Arbeit darum gegangen, die Meinung zu widerlegen, das Christentum sei „Judentum für Nichtjuden“, und man könne also als guter nationalsozialistischer Deutscher kein Christ mehr sein. Gegen diese für die Deutschen Christen gefährliche Behauptung kämpfte er mit der These, Jesus sei in Wahrheit kein Jude gewesen. Das hieß für Grundmann anfangs: Er war „innerlich“ kein Jude. Nun heißt es darüber hinaus: Jesus war auch „völkisch“ kein Jude – jedes andere Ergebnis wäre nach Grundmanns Einschätzung im Jahr 1940 politisch nicht opportun gewesen. Lediglich vor der letzten Konsequenz scheute er zurück: Dass Jesus „Arier“ war, behauptet Grundmann nicht – vermutlich hinderte ihn das Berufsethos des seriösen Bibelwissenschaftlers, für den er sich bei all dem hielt, diese von den Quellen her offenkundig irrwitzige These auszusprechen. Man wird dem Buch allerdings nicht gerecht, wenn man in ihm lediglich das Werk eines verblendeten Nationalsozialisten sieht, der mit der Bibel beliebig verfährt. Denn Grundmann stand mit seinen Thesen keineswegs allein. Der theologische Antijudaismus des Buches war seinerzeit so selbstverständlich, dass er nicht zur Debatte stand, und die These, Jesus sei ein Galiläer und ergo (wahrscheinlich) kein Jude gewesen, ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von vielen Christen und Juden vertreten worden, und dies zum Teil sehr viel deutlicher und forscher, als es bei Grundmann der Fall ist (Deines, 2007). Dem entspricht, dass die ersten Rezensionen keineswegs, wie man vermuten sollte, vernichtend ausfielen, sondern in der Regel milde und mit dem Hinweis darauf, dass man bei Grundmann trotz des hier und da nötigen Widerspruchs vieles lernen könne. Dass Grundmanns Buch einen politischen Ausgangspunkt und erhebliche politische Konsequenzen hatte, dass er durch explizit nationalsozialistische Veröffentlichungen hervortrat, nicht zuletzt durch eine im selben Jahr publizierte „entjudete“ Bibel (→ Die Botschaft Gottes, 1940), all das scheint für die ersten Rezensenten kaum eine Rolle gespielt zu haben.

Wolfgang Reinbold

Literatur Roland Deines u.a. (Hrsg.), Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich, Leipzig 2007. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008. Peter von der Osten-Sacken (Hrsg.), Das mißbrauchte Evangelium. Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen, Berlin 2002.

Jesus und die Juden (Gerhard Kittel, 1926)

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Leonore Siegele-Wenschkewitz (Hrsg.), Christlicher Antijudaismus und Antisemitismus. Theologische und kirchliche Programme Deutscher Christen, Frankfurt am Main 1994.

Jesus und die Juden (Gerhard Kittel, 1926) Die im Jahr 1926 im Berliner Furche-Verlag als Band 42 der „Stimmen aus der Deutschen Christlichen Studentenbewegung“ publizierte Broschüre „Jesus und die Juden“ (40 Seiten) geht zurück auf einen Vortrag, den der Greifswalder und spätere Tübinger Professor für Neues Testament Gerhard Kittel im November 1924 in Mannheim gehalten hat. Die Schrift fasst allgemeinverständlich zusammen, was Kittel in dem im selben Jahr veröffentlichten, seinem Lehrer und Freund Israel Kahan gewidmeten Buch „Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum“ (Stuttgart 1926) erarbeitet hatte. Der Grundton des Textes ist, das mag bei seinem Autor überraschen, ein apologetischer. Kittel verteidigt Juden und Judentum gegen die Angriffe, denen sie Mitte der 1920er Jahre ausgesetzt waren, nicht zuletzt in der deutschen Studentenschaft, an die sich die Publikation in erster Linie wendet. Zwar teilt Kittel einige der für die Zeit typischen, negativen Urteile über Juden und Judentum: Der nicht religiöse, „durchschnittsaufgeklärte“ Jude sei in seiner Plattheit und Eitelkeit zuweilen schwer erträglich, das Talmudjudentum sei „starr“, es fröne dem „Ritualismus“, Jesus habe mit seiner absoluten Konzentration auf den Gotteswillen eine neue Religion gegründet, die „das Erbgut des Judentums aufnimmt“. Zugleich und vor allem aber wendet sich Kittel gegen die antijüdische Polemik und protestiert auf beinahe jeder Seite gegen Versuche, dem Judentum den sittlichen Ernst rundheraus abzusprechen, das Alte Testament zu verwerfen oder Jesus der Frömmigkeit oder gar der Rasse nach zum NichtJuden zu erklären. So gelte es zur Kenntnis zu nehmen: „Jesus war nicht nur nach seiner Rasse, sondern er war auch nach seiner Frömmigkeit zunächst Glied des Judentums.“ Das Judentum bilde keine Einheit, sondern „ein überaus komplexes Gebilde“, dessen Werte „anzuerkennen“ seien. Der Talmud enthalte „echte Töne reinen sittlichen Strebens“, die man nicht ignorieren dürfe. Das Wesen des Judentums sei „sittliche Religion“. Ausdrücklich protestiert Kittel gegen Versuche, „Jesus und das Christentum vom Alten Testament und von der geistigen Geschichte seines Volkes loslösen zu wollen“. Solche Versuche seien „widersinnig und […] historisch falsch ohne jede Ausnahme“. Das gelte insbesondere für die These, Jesus sei seinem Blute nach kein Jude gewesen: „Man hat […] in neuerer Zeit auch gewisse Rassefragen auf das Verhältnis ‚Jesus und das Judentum’ angewendet. Es ist wirklich nicht der Mühe wert, darüber sehr viele Worte zu verlieren. [...] Wenn es sich darum handelt, ob Jesus selbst seinem Geschlecht und seiner Rasse nach ein Arier oder ein Jude war, dann muss man allerdings als einfachen historischen Tatbestand, an dem gar nicht zu deuteln ist, feststellen: es ist denkbar, daß Jesus, wenn er Galiläer war, ein paar Tropfen nichtjüdisches Blut in seinen Adern hatte – ich sage: das ist denkbar, ist nicht ganz ausgeschlossen; aber absolut sicher ist, daß er auf alle Fälle sehr viele Tropfen echt semitischen Blutes in sich getragen hat.“

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Jesus und die Rabbinen (Gerhard Kittel, 1914)

Kittel gilt nicht wenigen als einer der antisemitischsten deutschen Bibelwissenschaftler, und man hat die Meinung geäußert, dass sich sein Antisemitismus auch in den vor 1933 publizierten Arbeiten niedergeschlagen habe (Rese, 1979). Das Büchlein aus dem Jahr 1926 zeigt, dass dieses Urteil nicht sachgerecht ist. „Jesus und die Juden“ ist kein antisemitisches Werk. An zeitgenössischen Maßstäben gemessen, ist die Broschüre nicht einmal ein antijüdisches Werk. Kittel verzichtet auf alles, was der Polemik Material liefern könnte. Selbst die seines Erachtens wissenschaftlich korrekte, andernorts von ihm vertretene These, die Juden bzw. ihre Führer seien schuld am Tod Jesu, erwähnt er mit keinem Wort. Stattdessen dringt er auf Differenzierung, kritisiert die Polemiker und fordert Fairness im Umgang mit dem Judentum. Antijüdisch ist die Schrift nur in dem Sinne, in dem beinahe jede christliche Publikation zur Sache bis in die 1960er Jahre hinein antijüdisch gewesen ist. Der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann hat Kittels im Jahre 1926 erschienene Publikationen in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums rezensiert. Er urteilt: „Mit besonderer Freude liest man als Jude seine Bücher, denn kaum je ist in der jüngsten Zeit ein auf diesem Gebiete Arbeitender dem Judentum so gerecht geworden wie Kittel. Er räumt mit vielen Behauptungen und Fehlurteilen auf, die seitens einer gewissen Richtung der protestantischen Bibelwissenschaft beharrlich festgehalten wurden, und gegen die man seit langem ankämpft, und er macht Feststellungen und erhebt Forderungen, die man nur dankbarst begrüßen kann.“ Kittels Ausführungen würden „in einem erfreulichen und selten gewohnten Maße dem Judentum gerecht“ (Dienemann, 1927).

Wolfgang Reinbold

Literatur Max Dienemann, Judentum und Urchristentum im Spiegel der neuesten Literatur, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 71 (1927), S. 401–416. Martin Rese, Antisemitismus und neutestamentliche Forschung. Anmerkungen zu dem Thema „Gerhard Kittel und die Judenfrage“, in: Evangelische Theologie 39 (1979), S. 557– 570. Leonore Siegele-Wenschkewitz, Neutestamentliche Wissenschaft vor der Judenfrage. Gerhard Kittels theologische Arbeit im Wandel deutscher Geschichte, TEH 208, München 1980.

Jesus und die Rabbinen (Gerhard Kittel, 1914) Die im Jahr 1914 in der Reihe „Biblische Zeit- und Streitfragen“ im Verlag Edwin Runge in Berlin veröffentlichte kleine Broschüre „Jesus und die Rabbinen“ (32 Seiten) ist die erste Publikation des evangelischen Bibelwissenschaftlers Gerhard Kittel nach seiner im Jahr 1913 abgeschlossenen Dissertation über die Oden Salomos. Das Bild, das der junge Kittel vom Verhältnis zwischen Jesus und den „Rabbinen“ skizziert, ist das eines Gegensatzes, und zwar, wie er bereits im dritten Satz ohne jede Erläuterung feststellt, eines tödlichen Gegensatzes. „‚Jesus und die Rabbinen’ – diese Worte bedeuten ein Problem. Nicht nur ein Problem der Vergangenheit; – das ist klar, daß, was wir Rabbinen nennen, die Kreise waren, mit denen der Herr während seines Lebens sich auseinandergesetzt hat. Der Gegensatz zu ihnen hat ihm den Tod ge-

Jesus und die Rabbinen (Gerhard Kittel, 1914)

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bracht. Aber auch für die Gegenwart liegt in den beiden Worten ein Problem, ein Problem unseres historischen Erkennens.“ Um solches historische Erkennen geht es Kittel, näherhin um die Frage, welcher Nutzen zu ziehen sei „aus der historischen Erkenntnis des Rabbinentums für die historische Erkenntnis Jesu“, der „in derselben Welt von Kultur und Sitte“ gelebt habe und „Glied des jüdischen Volkes“ gewesen sei. Stelle man Jesus und den Talmud nebeneinander, dann finde man in der Tat eine ganze Reihe von Worten, die gleich oder ähnlich klingen. Die jüdische Apologetik habe daraus gefolgert, Jesus habe aus den talmudischen Quellen geschöpft. Doch dieser Eindruck trüge, denn diese Worte seien keineswegs typisch für den Talmud. Vielmehr seien sie „Ausnahmen in ihrer Umgebung“, „einzelne Höhepunkte in der großen Masse des Korpus Rabbinikum“, während sie für Jesus und das Evangelium typisch seien: Hier die „lebendige […] Reich-Gottes-Arbeit“, da „totes Gesetzesstudium und Gelehrtentum“. Zwar gehe es auch den Rabbinen um Sittlichkeit, doch sei der Unterschied gewaltig. Bei den Rabbinen handele es sich um „Ausklügelung aller schmutzigen Möglichkeiten“, während Jesus mit ein „paar reinen, klar leuchtenden Sätzen die ganze Sittlichkeitsfrage erledigt“. Möge Jesus gelegentlich auch ein Wort eines Rabbinen im Ohr gehabt haben, im Ganzen sei er originell und „in keinem einzigen Falle“ von den Rabbinen abhängig: „Die Worte, die uns am Talmud gefallen, sind ihm im Grunde wesensfremd; man könnte fast sagen: es sind die Worte, die nicht in den Talmud gehören.“ Ein ähnliches Bild ergibt sich für Kittel, wenn er Jesu Gebet mit den geläufigen jüdischen Gebeten vergleicht. Es könne im Vaterunser „Anknüpfung an gute Sitten des Judentums vorliegen“, aber Jesus sei einzigartig in seiner Konzentration auf das Wesentliche, ihm reiche „ein einziges kurzes Sätzchen, in dem alles enthalten ist“. Das Büchlein endet mit einem Vergleich der Gleichnisse Jesu mit rabbinischen Gleichnissen und der Wundergeschichten der Evangelien mit rabbinischen Wundergeschichten. Kittel schließt, wie er begonnen hat: „Auch hier kommt zum Ausdruck, daß die Worte ‚Jesus und die Rabbinen’ nicht einen Zusammenklang geben, sondern einen Gegensatz darstellen.“ Kittels für den allgemeinen Leser verfasste Broschüre ist ein typisches Werk ihrer Zeit. So oder ähnlich stellte man sich das Verhältnis zwischen Jesus und den „Rabbinen“ um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf christlicher Seite gemeinhin vor: Trotz mancher Ähnlichkeiten ist es ein tödlicher Gegensatz, der die Trennung von „Judentum“ und „Christentum“ mit sich bringt; das Judentum zur Zeit Jesu ist „Spätjudentum“, ohne geistliche Kraft, dem Untergang nah; im Christentum kommt die Geschichte Israels an ihr Ziel. Das ist gemeiner christlicher Antijudaismus, wie er noch bis in die 1960er Jahre hinein üblich gewesen ist und als theologisch und historisch richtig galt. Misst man Kittels Ausführungen an denen seiner Zeitgenossen, fällt auf, dass er der Polemik vergleichsweise wenig Raum gibt und sich um Sachlichkeit bemüht, insbesondere gegenüber der andernorts oft nur aus der Sekundärliteratur zitierten talmudischen Literatur. In seinen späteren Publikationen „Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum“ (Stuttgart 1926) und → „Jesus und die Juden“ (Berlin 1926) bleibt Kittel dieser Linie zunächst (→ Die Judenfrage, 1933) treu und kritisiert seine erste Veröffentlichung zur Sache sogar dafür, dass sie es sich, auch wenn das Ergebnis

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Journal of Historical Review (USA, 1980–1986; 1988–2002)

zutreffend sei, doch mit der Überordnung der einen über die andere Religion zu leicht gemacht habe: „Ich habe vor 12 Jahren in der kleinen Schrift ‚Jesus und die Rabbinen’ versucht, durch Herausarbeitung einzelner, besonders hoher ethischer Maximen die eine Religion der anderen überzuordnen. In steigendem Masse, je länger ich mit den Quellen des Spätjudentums mich beschäftigt habe, hat sich mir die Unmöglichkeit aller solcher Versuche erwiesen.“

Wolfgang Reinbold

Literatur Leonore Siegele-Wenschkewitz, Neutestamentliche Wissenschaft vor der Judenfrage. Gerhard Kittels theologische Arbeit im Wandel deutscher Geschichte, TEH 208, München 1980.

Jewish Activities in the US → The International Jew Jewish Influences in America → The International Jew

Journal of Historical Review (USA, 1980–1986; 1988–2002) Die englischsprachige Zeitschrift „Journal of Historical Review“ stellte während ihres Erscheinens von 1980 bis 1986 und von 1988 bis 2002 die weltweit wichtigste Publikationsplattform des internationalen Netzwerks pseudowissenschaftlich argumentierender Holocaustleugner dar. Die erste Ausgabe des zunächst vierteljährlich erschienenen „Journal of Historical Review“ wurde im Frühjahr 1980 publiziert; herausgegeben wurde es während seines gesamten Bestehens vom „Institute for Historical Review“ (IHR). Im Jahr 1978 von dem rechtsextremen Aktivisten Willis Carto gegründet und angebunden an den einschlägigen Verlag Noontide Press, stellte das „Institute for Historical Review“ in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre das wichtigste Forum und die zentrale Schaltstelle für Holocaustleugner dar. Wie die Organisation insgesamt, war auch die Zeitschrift darauf angelegt, sich als wissenschaftliches Debattenforum zu präsentieren. Entsprechend lehnten sich beide in ihrer Namensgebung an renommierte Institute und Periodika wie das – ebenfalls mit IHR abgekürzte – Institute of Historical Research der Universität London und Zeitschriften wie die „American Historical Review“ (AHR) an. Die Autorinnen und Autoren folgten ebenfalls dieser Strategie und ahmten äußerliche Merkmale von Wissenschaftlichkeit nach, indem sie etwa Fußnoten setzten und auf Quellen und Literatur verwiesen. Trotz der Absicht, als wissenschaftliches Periodikum wahrgenommen zu werden, wurde in Editorials jedoch oft antisemitisches Vokabular verwendet oder zumindest auf gängige antisemitische und antizionistische Ressentiments rekurriert, wenn etwa von „zionistischer Gedankenpolizei“ oder „machtvollen Interessen“ hinter Politikern und Journalisten gesprochen wurde. Dementsprechend publizierte die Zeitschrift Anfang der 1990er Jahre auch Aufrufe zur finanziellen Unterstützung des Holocaustleugners David Irving (→ „Hitler’s War“) mit der Aufforderung: „Der Kampf geht weiter – bis zum Endsieg!“. Auch wenn die wechselnden Redakteure der Zeitschrift stets betonten, den Fokus auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen und auf die zwei Weltkriege im Speziellen zu legen, befasste sich die weit überwiegende Zahl der abgedruckten

Journal of Historical Review (USA, 1980–1986; 1988–2002)

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Texte ausschließlich mit dem Holocaust, der NS-Zeit oder aktuellen Berichten über Aktivitäten und Justizverfahren von Holocaustleugnern. Bereits in der ersten programmatischen Positionierung der Zeitschrift wurde der Holocaust in den Mittelpunkt gestellt – wenn man in der Lage sei zu zeigen, dass dieser ein „Produkt machiavellischer Einbildungen der Zionisten“ war, könne man einen Dritten Weltkrieg im Nahen Osten unter Beteiligung der USA an der Seite Israels verhindern. Entsprechend war die wissenschaftlich verbrämte Leugnung des Holocaust und insbesondere der Ermordung durch Giftgas das zentrale Thema des „Journal of Historical Review“. Ergänzt wurde dies durch die Apologie des Nationalsozialismus, die Herausstellung des Leids von Deutschen bei gleichzeitiger Anklage insbesondere der politisch Verantwortlichen auf alliierter Seite, wobei die Schuld am Ausbruch bzw. der Eskalation des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle spielte. Zahlreich wurden zu unterschiedlichen Aspekten Aufsätze abgedruckt, darunter „Is the Diary of Anne Frank Genuine?“ (2/1982), „‚Crystal Night’ 1938 – The Great Anti-German Spectacle“ (2/1985), „Crematoriums II and III of Birkenau – A Critical Study“ (3/1988) und „Neither Trace Nor Proof – The Seven Auschwitz ‚Gassing’ Sites“ (2/1991). Teils erschienen auch Artikel, deren antisemitische Stoßrichtung nicht einmal in der Titelgebung kaschiert wurde, etwa „Jewish Power“ (1/1999) oder „The Mendacity of Zion“ (2/1980). Doch fand selbst Abseitiges wie „Plato’s Dialectic v. Hegel and Marx – An Evaluation of Five Revolutions“ (1/1985) oder „Whatever Happened to the Dead Sea Scrolls?“ (2/1982) Platz. Bei den im „Journal of Historical Review“ veröffentlichten Texten handelt es sich in vielen Fällen um Vorträge, die auf den Konferenzen des „Institute for Historical Review“ von bekannten Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugnern gehalten wurden. Dazu zählten neben David Irving und Fred A. Leuchter (→ „Leuchter-Report“) auch Carlo Mattogno, Ernst Zündel und Germar Rudolf (→ „Rudolf-Gutachten“; → „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“). Meist waren diese Autoren zugleich auch im beratenden, teils über 20 Mitglieder umfassenden Herausgebergremium der Zeitschrift vertreten, im Fall von Robert Faurisson, Arthur R. Butz (→ „Der Jahrhundert-Betrug“) und Udo Walendy (→ „Historische Tatsachen“) sogar über den gesamten Erscheinungszeitraum. Doch auch Alt- und Neonazis wie Otto Ernst Remer, Wilhelm Stäglich (→ „Der Auschwitz-Mythos“) und Thies Christophersen (→ „Die Auschwitz-Lüge“) kamen zu Wort, teils wurden sogar Texte von Autoren wie Václav Havel oder Mark Twain nachgedruckt. Das Erscheinungsbild des „Journal of Historical Review“ wandelte sich im Laufe der Jahre erheblich. Bis 1992 wurde die Zeitschrift als Quartalsperiodikum in bescheidener Qualität im Kleinformat gedruckt und umfasste zu Beginn knapp 90, wenige Jahre später regelmäßig 130 Seiten. Ab 1993 wurde sie als populäres Magazin im Großformat präsentiert, erschien nun zweimonatlich im Umfang von ca. 45 Seiten und machte ausgiebig Gebrauch von Fotos. Auch inhaltlich veränderte sich die Zeitschrift mehrmals: Während Aufsätze und Buchbesprechungen eine Konstante der Zeitschrift darstellten, waren Leserbriefe nur zu Beginn und wieder ab den 1990er Jahren enthalten. Ab Mitte der 1990er Jahre nahm der redaktionell erstellte und auf Aktuelles fokussierte Anteil deutlich zu. Nachdem es zum Bruch des „Institute for Historical Review“ mit seinem Gründer und Finanzier Carto und langjährigen Auseinandersetzungen vor Gericht gekommen war, sank sowohl die Bedeutung der Zeitschrift

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Judas der Erz-Schelm (Abraham a Sancta Clara, 1686–1695)

als auch der Organisation insgesamt deutlich. Finanzielle Schwierigkeiten sowie schwindende Absatzzahlen führten im Sommer 2002 schließlich zur Einstellung der Zeitschrift. Trotz dieses Bedeutungsverlusts stellte die Zeitschrift bis zu ihrem Ende das wichtigste internationale Forum für die Leugnung des Holocaust dar – nicht zuletzt, weil Artikel in der Regel frei verbreitet werden durften und im Internet zur Verfügung gestellt wurden. Aufmerksamkeit außerhalb des einschlägigen Leserkreises erzielte die Zeitschrift jedoch kaum, und auch die Strategie, Einfluss auf den wissenschaftlichen Diskurs zu nehmen, war zu keinem Zeitpunkt erfolgreich, selbst wenn das „Journal of Historical Review“ im Jahr 1994 meinte, mit einem Interview des Historikers Ernst Nolte – der sich bereits mehrfach positiv über Holocaustleugner geäußert hatte – an akademischem Renommee gewinnen zu können.

Christian Mentel

Literatur George Michael, Willis Carto and the American Far Right, Gainesville 2008. Michael Shermer, Alex Grobman, Denying History. Who Says the Holocaust Never Happened and Why Do They Say It? Berkeley, Los Angeles, London 2009².

Judas der Erz-Schelm (Abraham a Sancta Clara, 1686–1695) „Judas der Erz-Schelm für ehrliche Leut“ ist ein von Abraham a Sancta Clara (eigentlich Johann Ulrich Megerle) verfasstes Predigthandbuch, das zwischen 1686 und 1695 in vier Teilen bei Melchior Haan in Salzburg erschienen ist. Den formalen Rahmen des Buches bildet das Leben des Judas. Basierend auf der „legenda aurea“ wird dessen Biographie aufgerollt: als Kind ausgesetzt, tötet er später unwissentlich seinen Vater, heiratet seine Mutter und führt ein lasterhaftes Leben. Jede Station in seinem Leben, jedes seiner Laster ist Thema einer Predigt oder predigtähnlichen Betrachtung. Abraham schildert den Verrat des Judas nicht als einmalige historische Begebenheit, sondern als etwas, das sich in scheinbar harmlosen Fehlern im alltäglichen Tun der Menschen wiederholt. Das insgesamt mehr als 2.000 Seiten umfassende Werk ist durch Register und Indices, zum Beispiel der Bibelzitate und Predigtmärlein, erschlossen. „Judas der Erz-Schelm“ ist das Hauptwerk Abraham a Sancta Claras. Abraham gilt als einer der bekanntesten und produktivsten barocken Prediger und Schriftsteller, der vor allem im österreichischen Raum und im katholischen Süd- und Westdeutschland höchst einflussreich war. Neben einer ganzen Reihe von Vorwürfen gegen die Juden zieht sich durch alle vier Teile des „Judas“ das ganze Spektrum katholischer Antijudaismen. Die Juden hätten Jesus nicht als Messias erkannt und ermordet, weswegen sie „zur ewigen Straff von Gott/ haben ein gewissen üblen Gestanck/ daß sie meistens nach Bocksambra schmäcken“ (nach einer christlichen Taufe würde dieser Geruch allerdings verschwinden); Zwiebel und Knoblauch hätten „die ohngereimbte Israelitische Maul-Affen“ dem göttlichen Manna vorgezogen, „die undankbaren Gesellen und stinkende Knoblach-Mäuler“ wären lieber in Ägypten geblieben „bey den Zwiffeln“, anstatt dankbar für ihre Errettung aus der Gefangenschaft zu sein. Sie seien geldgierig

Judas Schuldbuch (Paul Bang, 1919)

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und wären stets darauf aus, zu betrügen („ein Jud der keinen Christen betriegt“ ist ein „seltsame Ding in dieser Welt“) und würden Christen dazu anstiften bzw. erpressen, Hostien zu stehlen, nur um diese dann zu schänden. In allen Teilen finden sich Juden als Negativhelden moralisierender Geschichten. So zum Beispiel schreibt Abraham, er selbst habe bei einer turbulenten Flussüberquerung in Orth an der Donau einen reichen „Rabbiner oder Jud“ beobachtet, der sich wie die anwesenden Christen bekreuzigte, als das Boot in Gefahr geriet, woraufhin er, Abraham, „die saubere Monstranzen ohne Heiligthumb“ ausgelacht und dem Juden versichert hätte, dass „er nit werde ersauffen“, denn „was am Galgen gehört, findet in der Donau kein Grab“. Abrahams beinahe sprichwörtliche „Wortgewalt“ bekommen die Juden auch anhand einer Vielzahl von Beschimpfungen im Text zu spüren, sie seien „unverschämte Bestien“, „verstockte Leut“, „jüdische Scherganten“, „hebräische Rauppen-Gesind“, „verruchte Lottersknecht“ und „unverschamte Boswicht“, „verstockte Sathans-Gemüther“, um nur einige zu zitieren. Sicher auch aufgrund des Umfang des Werkes gibt es keine aktuellen Neuauflagen des kompletten „Judas der Erz-Schelm“. Auszüge des Werkes finden sich in Auswahlbänden der Werke Abrahams, wobei die stark antisemitischen Teile ausgespart werden.

Martina Aicher

Literatur Abraham a Sancta Clara. Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Ausstellungskatalog, Karlsruhe 1982. Franz M. Eybl, Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller, Wien 1990. Robert A. Kann, Kanzel und Katheder. Studien zur österreichischen Geistesgeschichte vom Spätbarock zur Frühromantik, Wien 1962.

Judas Herrschgewalt → Rathenau-Hetze

Judas Schuldbuch (Paul Bang, 1919) Im März 1919 veröffentlichte Paul Bang (1879–1945) unter seinem Pseudonym Wilhelm Meister seine antisemitische Schmähschrift „Judas Schuldbuch“ im Deutschen Volksverlag anlässlich der Gründung des Deutschen Schutz- und Trutz-Bundes, der als Herausgeber fungierte. Bereits ein Jahr nach seiner Veröffentlichung erschien die 6. Auflage. Zu Lebzeiten von Paul Bang wurde das Buch zehnmal aufgelegt, zuletzt 1924. 2010 erschien eine Neuauflage beim US-amerikanischen Verlag BiblioLife. Das Werk umfasst 27 Kapitel, die sich inhaltlich mit dem vermeintlichen Aufstieg „Judas“ und dem einhergehenden deutschen Niedergang befassen, der mit der Reichtagswahl von 1912, der sogenannten Judenwahl, bei der die Sozialdemokraten als stärkste Fraktion hervorgingen, begann. Der Ausgang der Wahl hatte seiner Ansicht nach die verhängnisvolle Folge, dass die Deutschen den Ersten Weltkrieg bzw. den „Judenkrieg“ verloren. Diese Ereignisse und die gegenwärtige gesellschaftliche und politische Lage führten ihn zu dem Schluss, dass das deutsche Volk dem Untergang

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Der Jude und der Christ

geweiht sei, wenn es sich nicht alsbald von den Fesseln der angeblichen jüdischen Herrschaft befreite. Kapitel für Kapitel versucht Bang anhand von Statistiken, deren Quelle er nicht nennt, und mithilfe von Zitaten zu beweisen, wie sich „Juda“ den Weg zur politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht erschlichen habe. Jede Aussage, die seiner Argumentation diente, schien ihm recht zu sein. So zitierte er nicht nur gerne deutsche Größen wie Goethe, Nietzsche oder Martin Luther, Aussagen von Juden wurden genauso oft seinem Zwecke gebeugt. Seine Argumentationslinie folgt in großen Teilen den gängigen Vorurteilen gegenüber Juden. Demzufolge beherrschen sie beinahe das ganze Banken- und Börsengeschäft, die Presse und den Kulturbereich. Den jüdischen Charakter bezeichnet er als parasitär. Juden verfügen seiner Meinung nach nicht nur über eine eigene Kultur und übertragen ihre Eigenschaften als Schnorrer und Hausierer auf ihr „Wirtsvolk“. Doch am bevorstehenden Untergang des deutschen Volkes seien nicht nur die Juden schuld. Gutmütigkeit und Offenheit der Deutschen gegenüber Fremden würden diesen Umstand genauso begünstigen. Er spricht den jüdischen Bürgern jegliche Zugehörigkeit zum deutschen Volk ab. Die Emanzipation der Juden erscheint ihm als Trugbild für den vermeintlich modernen und intellektuellen Menschen, der sich allzu gern täuschen lässt. Ein Jude bleibt für ihn ein Jude, selbst wenn er zum Christentum übertritt und vor dem deutschen Gesetz als vollwertiger deutscher Bürger gilt. Als Komplizen „Judas“ bei seiner Machtübernahme sah Bang die Regierungsparteien, allen voran die Sozialdemokraten, die vom jüdischen Großkapital auf vielerlei Weise finanziert würden. Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. spielte als schwacher und beratungsresistenter Regent ebenfalls eine gewichtige Rolle; durch seine Entscheidungen habe er letztendlich nur die Macht der Juden im Staate vergrößert. Die Betrachtung der Zustände in England, Amerika, Frankreich und Österreich-Ungarn führte Bang zur Schlussfolgerung, dass das Ziel „Judas“ die weltweite Machtübernahme sei, da diese Länder noch deutlicher als Deutschland unter jüdischem Einfluss stünden. Trotz der für ihn offensichtlich ausweglosen Situation äußerte er die Hoffnung, dass sich das deutsche Volk noch befreien könne. Dazu bedürfe es einerseits der Entlarvung des jüdischen „Internationalismus“. Andererseits müssten die Deutschen endlich erkennen, dass es eine Judenfrage gebe, die zu lösen sei, und dazu könne nur die „Wiederaufrichtung des nationalen Gedankens“ führen.

Patricia Fromme

Literatur Hans Otto Horch (Hrsg.), Conditio Judaica – Teil 3: Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom Ersten Weltkrieg bis 1933/1938, Tübingen 1993.

Der Jude, das Judentum und die Judaisierung der christlichen Völker → Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens Ein Jude hat geschossen → Anschlag gegen den Frieden Der Jude und der Christ → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Die Juden (Christian Ludwig Paalzow, 1799)

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Die Juden (Christian Ludwig Paalzow, 1799) Der Jurist und Schriftsteller Christian Ludwig Paalzow (1753–1824) war von der radikalen Aufklärung beeinflusst und Autor oder Herausgeber zahlreicher Schriften zu rechtlichen, historischen und religiösen Fragen. Einen Anlass, sich mit Fragen des Judentums und des Bürgerrechts für Juden zu befassen, bot die Diskussion um die von David Friedländer anonym veröffentlichte Schrift „Gespräch über das Sendschreiben von einigen jüdischen Hausvätern an den Probst Teller. Zwischen einem christlichen Theologen und einem alten Juden“ (Berlin 1799). An der vielstimmigen und kontroversen Debatte über die mögliche, von Friedländer skizzierte Konvergenz der Religionen durch eine „Glaubensreinigung“ von Judentum und Protestantismus sowie durch weitgehende Konzessionen vonseiten der Juden bis hin zur Taufe, ohne allerdings damit alle kirchlichen Dogmen anzuerkennen, beteiligte sich Paalzow mit seiner 74-seitigen Schrift „Die Juden. Nebst einigen Bemerkungen über das Sendschreiben an den Herrn Oberkonsistorialrat und Probst Teller zu Berlin von einigen Hausvätern jüdischer Religion und die darauf erfolgte Tellersche Antwort“ von 1799. Paalzow beginnt seine Schrift mit einem Rekurs auf die religiöse Toleranzidee Friedrichs II. und fragt, ob der Staat das Recht habe, religiösen Gemeinschaften ihre Glaubensartikel und Zeremonien zu verbieten, wenn diese abwegig oder gar gemeingefährlich wären. Wenn der Staat also in Letztere nicht eingreifen will, kann er dann Anhängern einer religiösen Gemeinschaft staatsbürgerliche Rechte vorenthalten – wie es hinsichtlich der Juden der Fall ist? Paalzow erteilt nun den Juden das Wort, die in einer längeren Passage die möglichen Gründe für die zeitgenössische Benachteiligung befragen und mit guten Gründen zurückweisen. Wenn diese jüdischen Apologeten Recht haben, so folgert er, dann könne man diese nicht, nur weil man ihre Religion für statuarisch halte, von den Bürgerrechten ausschließen. Er plädiert aber keineswegs dafür, Juden das Bürgerrecht zu geben, da ihr Ausschluss sich gar nicht auf ihre Religion allein beziehe. Er sieht in dieser Debatte ein Missverständnis walten, denn seiner Meinung nach besäßen die Juden im christlichen Sinne gar keine Religion. In längeren historischen Rückgriffen führt Paalzow ganz im Sinne der aufklärerischen radikalen Religionskritik aus, dass in der jüdischen Priesterherrschaft die bürgerlichen Gesetze unauflöslich mit der Religion, die er als rein äußerliche, zeremonielle Praktiken ohne wahren Gottesglauben charakterisiert, verbunden seien. Er führt dies auf die Übernahme ägyptischer Vorbilder durch Moses zurück. Die Einhaltung der Riten würde ein gottgefälliges Leben im christlichen Verständnis ersetzen. Dem Judentum spricht er somit den Charakter einer Religion ab, dessen Gesetze für ihn stattdessen eine theokratische Staatsverfassung darstellten. Das jüdische Gemeinwesen sei somit kein ethisches und religiöses und damit keine Kirche, sondern ein weltliches Staatswesen. Er beruft sich in dieser Kritik auf die philosophische Autorität Kants, indem er mehrere Seiten lang aus dessen Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ zitiert. Paalzow stellt als Schlussfolgerung erneut die Frage, was denn der bürgerlichen Aufnahme der Juden entgegenstehe, wenn es nicht ihre Religion sein kann. Er beginnt seine Antwort darauf mit langen Ausführungen darüber, dass den Juden schon von jeher der Hass auf alle anderen Menschen von den Gesetzen Mose zur Pflicht gemacht worden sei und „belegt“ dies mit Rekurs auf das Alte Testament und die dort verzeich-

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Die Juden (Christian Ludwig Paalzow, 1799)

neten Grausamkeiten sowie auf die Texte antiker Autoren. Hatte man die Juden daher zunächst gefürchtet, so begegnete man ihnen nach Verlust ihres Staates nurmehr mit Verachtung wegen ihrer seltsamen religiösen Gebräuche, an denen sie aber gerade deshalb weiterhin hartnäckig festhielten, was für ihn einerseits ein Beleg ihrer Verstocktheit gegenüber den Wissenschaften ist, zum anderen aber aus dem Glauben an den Messias resultiert, der sie zur Herrschaft über alle anderen Völker führen werde. Als weitere Gründe für das Festhalten an ihren religiösen Bräuchen nennt er noch die Überzeugung der Juden, dass das Christentum und der Islam aus dem Judentum hervorgegangen und Christen und Muslime damit Ketzer bzw. Verderber des Judentums seien, sowie dass diese Gebräuche den Zusammenhalt, den Separatismus sowie das Gefühl der Auserwähltheit unter ihnen verstärkten. Diese historisch gewordenen Eigenschaften besäßen die Juden auch heute noch, die sie deshalb auch weiterhin von allen anderen Völkern abtrennten. Die Verachtung, d. h. die Verweigerung der Ehre seitens der anderen Völker, führe außerdem dazu, dass sie gegenüber Christen kein Ehrgefühl hegten und deshalb im wirtschaftlichen Verkehr alle Mittel von Betrug bis Schmeichelei einsetzten, während sie untereinander enge Freundschaft pflegten. Aus dieser Zustandsbeschreibung folgert Paalzow, dass die Juden bei Gewährung gleicher Rechte schnell Handel und Gewerbe zum Schaden der Christen an sich zögen, was er als „starken Grund“ gegen die Verleihung dieser Rechte ansieht, zudem stünden auch die religiösen Gebräuche der Übernahme von Ämtern und bürgerlichen Gewerben entgegen. Was aber, wenn die Juden anböten, sich zur Gewährung gleicher Rechte taufen zu lassen, fragt Paalzow. Auch dann rät er dem Staat ab, dies mit der Gewährung von Bürgerrechten zu honorieren, da die Taufe kein hinlänglicher Beweis für eine geänderte Einstellung sei. Es gibt seiner Meinung nach jedoch auch noch weitere Gründe, den Juden die Bürgerrechte vorzuenthalten. Einer davon ist ihre Abscheu vor dem Soldatenstand, da ein Bürger auch prinzipiell bereit sein müsse, Soldat zu werden. Auf die Frage, wie denn nun angesichts der Tatsache, dass die Juden bereits einen Staat im Staate bildeten, die Juden dahin gebracht werden könnten, die bürgerlichen Pflichten zu erfüllen, weist Paalzow das zumeist angebotene Mittel „Aufklärung“ höhnisch zurück, da sich bereits jetzt die Juden für genauso moralisch hielten wie die Christen. Aufklärung würde auch nicht verhindern, dass die Juden die durch ihre Unehrlichkeit bestehenden Vorteile, die sie bereits besäßen, nicht ausnutzten, wenn sie alle Bürgerrechte bekämen. Dann könnten sie die Christen ökonomisch völlig versklaven. Deshalb, so das Resultat seiner Untersuchung, müsse der Staat den jüdischen Staat im Staate auflösen. Damit zielt er auf die völlige Assimilation der Juden, die ihre Zeremonialgesetze aufgeben, ihre Kinder nicht mehr in eigenen Schulen unterrichten, ihre Korrespondenz und Akten in der Landessprache abfassen und sich nicht mehr zu religiösen Treffen zusammenfinden sollten. Schließlich sollten sie mit anderen Bürgern durch Heiraten „völlig zusammenschmelzen“ und alle bürgerlichen Pflichten einschließlich der Wehrpflicht übernehmen. Der letzte Teil der Schrift nimmt dann kritisch auf ihren Anlass, das „Sendschreiben“, Bezug. Er wirft den „jüdischen Hausvätern“ vor, dass sie eine natürliche oder Vernunftreligion, also eine Weltanschauung, die unabhängig von den konkreten Aus-

Die Juden, Könige unserer Epoche

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prägungen historisch vorfindlicher Religionen ist, für ausreichend hielten und zwar bereit wären, die Taufe und einige christliche Zeremonien zu übernehmen, wenn diese nicht mit einer spezifischen Glaubenslehre verbunden seien. Vom Probst Teller hätten die Verfasser des „Sendschreibens“ wissen wollen, was von der protestantischen Konfession sie zu übernehmen hätten, um für Protestanten gehalten zu werden. Darin sieht Paalzow, wie andere an der Debatte beteiligte christliche Autoren, eine Geringschätzung des christlichen Glaubens, zumal in dem „Sendschreiben“ auch ganz deutlich werde, dass es den Verfassern nur um einen Weg zur Erlangung der Bürgerrechte gehe. Das Christentum besäße für sie offenbar keine über das im Judentum oder aber die allgemeine Vernunft hinausgehende Sittenlehre. Es folgt dann abschließend eine seitenlange kritische Erörterung über die vom Probst Teller in einem Antwortschreiben an die „jüdischen Hausväter“ formulierten Anforderungen des christlichen Bekenntnisses. Paalzow sollte in den nächsten Jahren diese Gedanken in einer ganzen Reihe weiterer Schriften wiederholen und variieren, so in seinem „Tractatus historico-politicus de civitate Judaeorum“ (Berlin 1803). Auf diesen bezog sich wiederum sein Kollege am Kammergericht, Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, in seiner extrem judenfeindlichen Schrift → „Wider die Juden“ (Berlin 1803), woraufhin 1803–1805 ein Pamphlet-Krieg über die Judenemanzipation losbrach, an dem sich Paalzow mit der deutschen Übersetzung seines Tractatus unter dem Titel „Über den Juden-Staat (de civitate Judaeorum) oder über die bürgerlichen Rechte der Juden. Eine historisch-politische Abhandlung“ (Berlin 1803; auch: „Über das Bürgerrecht der Juden. Übersetzt von einem Juden“, Berlin 1803) und mit dem Streitgespräch →„Der Jude und der Christ: eine Unterhaltung auf dem Postwagen“ (Berlin 1804) beteiligte. Darin ging er rhapsodisch die Geschichte der Juden von Ägypten bis zur Gegenwart durch, um wie in seiner Schrift „Die Juden“ zu dem Schluss zu gelangen, dass die Juden aufgrund ihrer Religion, vor allem wegen der Zeremonialgesetze, des Separatismus und des angeblichen Gebots, alle anderen Religionen zu hassen, und ihres Charakters derzeit nicht zu gleichberechtigten Staatsbürgern taugten, dass sie aber die notwendigen Eigenschaften erwerben könnten, indem sie den Zeremonialgesetzen und den falschen Lehren des Judentums entsagten sowie von Handel und Geldverleih abrückten und Militärdienst leisteten.

Werner Bergmann

Literatur Jonathan M. Hess, Germans, Jews, and the Claims of Modernity, New Haven, London 2002.

Die Juden, das Judentum und der Zionismus → Al-Yahud wa al-Yahudiya wa al-Sihyuniya Die Juden, Könige unserer Epoche → Les Juifs, rois de l’époque

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Die Juden – Die Könige unserer Zeit (Otto Böckel, 1887)

Die Juden – Die Könige unserer Zeit (Otto Böckel, 1887) Der Marburger Bibliothekar und Volksliedforscher Otto Böckel (1859–1923) war eine Schlüsselfigur in der Anfangszeit des parteipolitischen Antisemitismus in Deutschland. Mit seiner Bauernbewegung verschaffte er dem Antisemitismus in Hessen eine starke soziale und regionale Verankerung, von der noch die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren profitieren konnten. Böckel selbst war zwischen der Mitte der 1880er Jahre und 1894 als „hessischer Bauernkönig“ die unumstrittene Führerfigur der Antisemiten in Hessen und wurde 1887 für den Wahlkreis Marburg-Frankenberg-Kirchhain als erster unabhängiger Antisemit in den Reichstag gewählt. Böckels Erfolg beruhte u. a. auf einem volksnahen Wahlkampfstil und einer geschickten Mediennutzung. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen Antisemiten, die eine bildungsbürgerliche Attitüde pflegten, verzichtete Böckel auf voluminöse theoretisch-ideologische Abhandlungen zur „Judenfrage“. Stattdessen trat er als charismatischer Redner in öffentlichen Versammlungen auf und ließ seine Reden in lokalen Zeitungen und als Broschüren in hoher Auflage veröffentlichen. So erschienen in kurzer Folge „Die europäische Judengefahr. Sonnenklar beleuchtet“ (1886), „Die Juden – Die Könige unserer Zeit“ (1887) und „Die Quintessenz der Judenfrage“ (1889). Seine erfolgreichsten Reden in großen Versammlungen hielt Böckel nicht in Hessen, sondern zwischen Mitte und Ende der 1880er Jahre in Berlin. Er warb damit um die Unterstützung prominenter Berliner Antisemiten für seine im Aufbau befindlichen Reformvereine, aus denen 1890 die Antisemitische Volkspartei hervorging. Möglicherweise erhoffte er sich auch eine größere mediale Resonanz als im provinziellen Marburg. In dieser Hinsicht war Böckels programmatische Rede „Die Juden – Die Könige unserer Zeit“ auf einer Versammlung des Deutschen Antisemitenbundes in der Berliner Bockbrauerei vom 4. Oktober 1886 ein voller Erfolg. Der im Februar 1884 gegründete Deutsche Antisemitenbund versammelte unter der Führung Wilhelm Pickenbachs Exponenten der „Berliner Bewegung“, die, ähnlich wie Böckel, einen antikonservativen Antisemitismus vertraten. Böckel forderte die antisemitische Bewegung zur überparteilichen Einheit auf und pries seine hessische Bauernbewegung als Vorbild für einen Neuanfang. Es fällt auf, dass sich Böckels Rede von seiner hessischen Agitation thematisch unterscheidet. Neben dem im hessischen Wahlkampf voll und ganz dominierenden Topos vom „jüdischen Wucher auf dem Lande“ traten in seiner Berliner Rede stärker nationalistische, rassistische und verschwörungstheoretische Aspekte des Antisemitismus in den Vordergrund. Zu Beginn seiner Rede stellte Böckel klar, dass die Juden keine Deutschen seien: „Es gibt in Deutschland zwei verschiedene Nationen: Deutsche und Juden; erstere sind die Herren des Landes, letztere sind Gäste, die zwar das Gastrecht, aber niemals das Recht des Herren besitzen dürfen. […] Deutschland den Deutschen, das ist die Parole des Antisemitismus!“ Auch handle es sich bei den Juden um eine „der unsrigen fernstehenden Rasse“, weshalb Taufe, „Mischehen“ und Assimilation die „Judenfrage“ nicht lösen könnten. Vielmehr böten sie den Juden eine Tarnung, um ihre Unterwanderung und Beherrschung der nichtjüdischen Gesellschaft zu verschleiern. Die Juden würden sich in Deutschland und ganz Europa durch Wucher, Spekulation und juristische Tricks Vermögen und Landbesitz der Nichtjuden parasitär aneignen. Dies äußere sich auf lokaler Ebene, wie in der „Güterschlächterei“ in Hes-

Die Juden – Die Könige unserer Zeit (Otto Böckel, 1887)

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sen (→ „Güterschlächterliste“), ebenso wie auf internationaler Ebene in Form der undurchsichtigen Finanzgeschäfte der Rothschilds. Der Alliance Israélite Universelle warf der Redner vor, gegen das Deutsche Reich zu konspirieren und die Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft anzustreben. Böckel führte den sozioökonomisch motivierten ländlichen Antisemitismus mit dem völkischen Antisemitismus zusammen, indem er die angebliche Ausbeutung der nichtjüdischen Völker auf den Nations- und Rassencharakter der Juden zurückführte. Die „Judenfrage“ sei allein durch die Aufhebung der Emanzipation zu lösen. Eine Absage erteilte Böckel hingegen der religiösen Judenfeindlichkeit der Stoeckerschen Richtung, die am Ziel der Konversion der Juden zum Christentum festhielt. Als Quellen für seine Rede dürfte Otto Böckel auf die „Klassiker“ des Antisemitismus der 1870/80er Jahre zurückgegriffen haben. Von Eugen Dühring und Wilhelm Marr übernahm er die konsequente Behandlung der „Judenfrage“ als „Rassenfrage“, während er die Verbindung von Nationalismus und Antisemitismus bei dem von ihm verehrten Georg Ritter von Schönerer abschaute. Mit der Zusammenführung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bewegte sich Böckel früh im Rahmen der völkischen Ideologie, während viele Zeitgenossen der 1880er Jahre die „Judenfrage“ noch als religiösen Gegensatz oder „soziale Frage“ auffassten. Bezeichnend ist, dass Böckel „Deutscher“ als Antonym für „Jude“ in seiner Rede erst noch einführen und erläutern musste, während dieser Sprachgebrauch spätestens seit der Jahrhundertwende für Antisemiten selbstverständlich geworden war. Als eher konventionell ist dagegen seine sozioökonomische Judenfeindschaft mit ihren Wucher- und Ausbeutungsvorwürfen einzuschätzen. In diesem Feld bediente sich Böckel bei Otto Glagau, der den Juden die „Große Depression” angelastet hatte. Seine Aussagen über die Rothschilds und die Alliance Israélite Universelle entnahm Böckel den Schriften der französischen Antisemiten Édouard Drumont und Alphonse de Toussenel. Das Motto seiner Rede ist sogar eine wörtliche Übersetzung des Buchtitels Toussenels → „Les juifs, rois de l’époque“ (1845). Böckels Rede „Die Juden – Die Könige unserer Zeit“ wurde zwischen 1887 und 1892 mehrfach als Broschüre in hoher Auflage veröffentlicht. Zuerst erschien sie im Berliner Verlag A. Rusch, später im Verlag der Marburger Zeitung → „Der ReichsHerold“ und 1892 nochmals bei Rothwisch in Marburg. Nach Böckels eigenen Angaben wurden insgesamt 1,5 Millionen Exemplare gedruckt. Die Aufmachung war für den Einsatz zu Wahlkampfzwecken ausgerichtet. Der Text war als Redeprotokoll konzipiert und notierte Beifallsbekundungen und Zwischenrufe. Einzelne Schlüsselbegriffe und spektakuläre Zahlenangaben waren fett gedruckt, um einen schnellen Zugriff zu ermöglichen. Auf der letzten Seite wurden antisemitische Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland und Österreich beworben. Außerdem wurde zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Nach einer Unterschlagungsaffäre und dem von ihm nicht gebilligten Zusammenschluss seiner Deutschen Reformpartei mit der Deutschsozialen Partei verlor Böckel die Kontrolle über seine hessische Bauernbewegung. Er zog sich 1894 von Marburg nach Berlin zurück, von wo aus er mehrfach erfolglos ein politisches Comeback versuchte. So gründete er 1898 mit Paul Förster und Hans von Mosch den Deutschen Volksbund, der sich in die zersplitterte Vereinslandschaft der völkischen Bewegung

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Juden hinter Stalin (Johann von Leers, 1942)

einreihte. 1901 hielt Böckel in einer Versammlung des Volksbundes einen Vortrag mit dem Titel „Nochmals! Die Juden – Die Könige unserer Zeit“, der ebenfalls als Broschüre in hoher Auflage veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine Erweiterung seiner Rede von 1886 zu einer 40-seitigen antisemitischen Materialsammlung mit zahlreichen Statistiken und Zitaten prominenter Persönlichkeiten zur „Judenfrage“.

Thomas Gräfe

Literatur Thomas Gräfe, Antisemitismus in Deutschland 1815–1918. Rezensionen – Forschungsüberblick – Bibliographie, Norderstedt 2010², S. 169–183. Thomas Klein, Der preußisch-deutsche Konservatismus und die Entstehung des politischen Antisemitismus in Hessen-Kassel (1866–1893). Ein Beitrag zur hessischen Parteiengeschichte, Marburg 1995. Rüdiger Mack, Otto Böckel und die antisemitische Bauernbewegung in Hessen 1887–1894, in: Wetterauer Geschichtsblätter 16 (1967), S. 113–147. David Peal, Anti-Semitism and Rural Transformation in Kurhessen. The Rise and Fall of the Böckel-Movement, New York 1985. Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003.

Die Juden, unsere Herren → Les juifs, nos maitres Juden hinter Stalin (Rudolf Kommoss, 1938) → Juden hinter Stalin (Johann von Leers, 1942)

Juden hinter Stalin (Johann von Leers, 1942) Die Schrift des im NS-Deutschland einflussreichen antisemitischen Publizisten und Propagandisten Johann von Leers (1902–1965) wurde 1942 von der Deutschen Informationsstelle, einer Propaganda-Agentur des Auswärtigen Amtes, vertrieben. Auf knapp 16 Druckseiten wird nach der eingehenden Schilderung von Gräueltaten, Folter und Mord an Unschuldigen, begangen von „Sowjetjuden“, d. h. von jüdischen Funktionären des Sowjetsystems (darunter auch mordlüsternen Frauen), die angebliche Durchsetzung der Ideologie des Bolschewismus durch Juden beschrieben. Der Autor behauptet, jüdische Bankiers hätten die Entstehung des Bolschewismus finanziert, maßgebende Rabbiner ihn gelobt und gefördert, Bolschewismus und Judentum stimmten in ihren Zielen überein; „uralter Rassenhass der Juden gegen die anderen Völker tobt sich in den grauenvollen Bluttaten des Bolschewismus aus“, und der Kommunismus sei das Instrument, mit dem das Judentum die Weltherrschaft zu erlangen trachte. Die Schrift endet mit einem Goebbels-Zitat, das „den Juden“ als Feind der Welt, Vernichter der Kulturen, Parasiten unter den Völkern brandmarkt. Das Pamphlet diente offensichtlich dem Zweck, den deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu rechtfertigen mit der Gleichsetzung einer angeblichen jüdischen Verschwörung gegen die Welt und der durch die Sowjetunion verkörperten bolschewistischen Gefahr. Unter dem gleichen Titel, aber mit sehr viel größerem Umfang, ist 1938 im Nibelungen-Verlag (Berlin und Leipzig) ein Buch von Rudolf Kommoss erschienen, das ebenso eindeutig die gleiche Absicht verfolgte, nämlich die Verknüpfung von Antise-

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mitismus und Antikommunismus zu einem kohärenten Bedrohungsszenario. Das Buch mit dem Untertitel „Die jüdische Vormachtstellung in der Sowjetunion, auf Grund amtlicher Sowjetquellen dargestellt, Lage und Aussichten“ erlebte bis 1943 mehrere Neuauflagen. Der Autor war Leiter der Pressestelle der Antikomintern und eines Instituts zum Studium von Bolschewismus und Judentum. Der Text besteht aus der Reihung geläufiger antisemitischer Stereotypen, nach denen die Sowjetherrschaft von Juden installiert worden sei, Staatsapparat, Partei, Armee, Wirtschaft, Presse und Kultur der Sowjetunion von Juden in verschwörerischer Absicht durchsetzt seien und dass man die Judenherrschaft in der Sowjetunion als Etappe auf dem Weg zur jüdischen Weltherrschaft verstehen müsse. Die Schrift erfüllte durch Denunziation des Stalinregimes als Judenherrschaft die doppelte Absicht antikommunistischer und antisemitischer offizieller Propaganda.

Wolfgang Benz

Literatur Martin Finkenberger, „Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert“. Johann von Leers (1902–1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945, in: Bulletin des Deutschen Historischen Instituts Moskau 2 (2008), S. 88–99.

Die Juden im Heere (Alfred Roth, 1919) Am 11. Oktober 1916 ordnete der preußische Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn, veranlasst durch zahlreiche, zumeist anonyme Klagen über „jüdische Drückebergerei“, eine Zählung aller jüdischen Kriegsteilnehmer an der Front, in der Etappe und in den Garnisonen an. Diese „Judenzählung“ bedeutete ein Nachgeben gegenüber der anschwellenden antisemitischen Stimmung in Militär und Zivilgesellschaft und öffnete dieser ein Ventil, wenn auch das statistische Material angeblich dazu dienen sollte, den antijüdischen Angriffen und Diffamierungen den Boden zu entziehen. Das Unterfangen des preußischen Kriegsministers war in Zielsetzung und Durchführung höchst fragwürdig und umstritten. Ein ergänzender Durchführungserlass vom 11. November 1916, die Ablösung des Kriegsministers und die Geheimhaltung des statistischen Materials konnten den angerichteten Schaden nicht beheben. Mit Andauern des Krieges, der Verschlechterung der Versorgungslage und der zunehmenden Brüchigkeit der Zensur radikalisierten sich die antisemitischen Kampagnen, die sich nach dem Krieg noch verschärften. Einer der Protagonisten war Alfred Roth (1879–1948), Bundeswart des Reichshammerbundes und Hauptgeschäftsführer des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes. Er veröffentlichte unter dem Pseudonym Dr. Hans Friedrich zunächst einen sechsseitigen Aufsatz „Die Juden im Heere“ im Dezemberheft 1919 der alldeutschvölkischen Monatsschrift → „Deutschlands Erneuerung“ des Münchener → J. F. Lehmanns Verlags, die zu der Zeit in rund 9.000 Exemplaren ausgeliefert wurde. Wenig später erschien das 96 Seiten umfassende Buch „Die Juden im Heere. Eine statistische Untersuchung nach amtlichen Quellen“, nun unter dem Pseudonym Otto Armin, in einer Auflage von 10.000 Exemplaren im Deutschen Volksverlag München. Roth konnte bei der Abfassung seines Pamphlets auf die statistischen Unterlagen und Brief-

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wechsel im Kriegsministerium zurückgreifen, die ihm zugänglich gemacht worden waren, obwohl jüdischen Organisationen bzw. Persönlichkeiten seitens des Kriegsministers seinerzeit versichert worden war, dass die Akten im Archiv verschlossen bleiben würden. Roth verfügte außerdem über zahlreiche Zeitungsmeldungen bezüglich des Verhaltens von Juden im Krieg, deren Sammlung sich der Reichshammerbund schon mit Kriegsbeginn zur Aufgabe gemacht hatte. Das erlaubte ihm zwar, die Vorgänge um die Erhebungen insgesamt richtig darzustellen und mit Zahlen zu operieren, die in großen Teilen zutreffend waren, aber Charakterisierung und Beurteilung der einzelnen Vorgänge sowie manipulative Verwendung der einzelnen Zahlenreihen lassen keinen Zweifel an der Absicht, die Teilnahme der jüdischen Deutschen am gesamten Kriegsgeschehen als Drückebergerei und bewusste Zersetzung des deutschen Kampfeswillen hinzustellen. Ausgehend von der seit Langem propagierten Behauptung einer angeblich wesensbedingten „militärischen Unbrauchbarkeit und Drückebergerei der Juden“, prangert Roth die „unglaubliche Bevorzugung“ der Juden in Heer, Etappe und Heimat an. Diese würde sich in einer deutlichen Unterrepräsentanz an der Front und bei den Verlusten sowie in der unverhältnismäßig starken Besetzung wichtiger Posten in der Kriegsverwaltung und -wirtschaft widerspiegeln, was Roth durch Zahlen und Dokumente aus den ministeriellen Unterlagen und durch verunglimpfende Darstellungen von Einzelfällen mit namentlich genannten Personen und deren Verallgemeinerung zu belegen versucht. Nach Roth sei das im Wesentlichen das Ergebnis eines jüdischen Netzwerkes von Schiebung, Bestechung und Erpressung, was auch als Erklärung dafür herhalten muss, warum jüdische Soldaten in Vorgesetzten-Positionen aufrückten, obwohl ihnen jeglicher „Sinn für Gerechtigkeit und deutsches Ehrgefühl“ fehle, und warum sie so viele Auszeichnungen erhalten hatten. Wo Roth einräumen muss, dass Juden sich zahlreich als Kriegsfreiwillige gemeldet hatten, werden diese in ihrer Motivation denunziert: Während der deutsche Soldat seinem „heiligen Drange, dem Vaterland mit Leib und Leben zu dienen“, gefolgt sei, habe der jüdische Soldat dabei nur in der „Aussicht auf einen sicheren Posten in der Heimat oder schlimmstenfalls in der Etappe“ gehandelt. Im letzten, mit zahlreichen Dokumenten versehenen Kapitel beschäftigt sich Roth mit den Versuchen jüdischer Organisationen und einzelner Persönlichkeiten im Verlauf der Erhebungen, die schlimmsten Auswüchse bei deren Durchführung einzudämmen bzw. die Veröffentlichung des Datenmaterials zu verhindern und schließlich vom neuen Kriegsminister Hermann von Stein eine öffentliche Anerkennung der von deutschen Juden erbrachten Leistungen zu erwirken. Diese Bemühungen, die Nichtveröffentlichung der Statistik und das Ausbleiben einer offiziellen Ehrenerklärung wertet Roth zusätzlich als Beleg dafür, dass die statistischen Unterlagen den mangelnden Einsatz der deutschen Juden und deren Defaitismus im Kriege beweisen würden mit dem Fazit: Das Fehlen „einer viel klareren und den deutschen Belangen gerecht werdenden Haltung dem Judentum gegenüber“ seitens der führenden und verantwortlichen Männer habe „wesentlich den deutschen Zusammenbruch verschuldet, wenn nicht gar allein verursacht“. Den diffamierenden Verlautbarungen Roths, auch in öffentlichen Versammlungen und auf zahllosen Handzetteln und Flugblättern des Schutz- und Trutz-Bundes ver-

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breitet, traten umgehend etliche jüdische Stimmen mit eigenständig erhobenen Daten entgegen. Zwei von ihnen, die ehemaligen Feldrabbiner Dr. Bruno Lange und Dr. Leopold Rosenack, hatte Roth bereits in seiner Schrift attackiert, ihnen eine „Verhimmelung“ der jüdischen Soldaten und Gefallenen und eine Verschleierung der tatsächlich herrschenden „himmelschreienden Zustände“ unterstellt sowie Rabbinern allgemein vorgeworfen, „ihren Stammesgenossen bei solcher Drückebergerei Vorschub geleistet“ zu haben. Abgesehen davon, dass der Soziologe Franz Oppenheimer in seiner gründlichen Analyse der Daten 1922 die „Judenzählung“ von vornherein als „die größte statistische Ungeheuerlichkeit“ bezeichnete, wurde Roth zu Recht nachgewiesen, wesentliche Grundsätze der Statistik völlig außer Acht gelassen und mit falschen Basiszahlen gearbeitet zu haben. Tatsächlich entsprachen – wie in mehreren Veröffentlichungen dargelegt – die Anteile der deutschen Juden an den Kriegsteilnehmern, Kriegsfreiwilligen, Frontkämpfern und Gefallenen insgesamt dem allgemeinen Durchschnitt. Doch alle sachliche Aufklärung änderte nichts an der weiteren Verfestigung des Vorurteils von der „jüdischen Drückebergerei“, der auch Adolf Hitler in → „Mein Kampf“ das Wort redete. Im Nachkriegsdeutschland, in dessen öffentlichem Diskurs dem Fronterlebnis und der Frage nach der Schuld für Krieg und Niederlage eine hervorgehobene Bedeutung zukam, wog das besonders schwer, umso mehr als der demokratische Reichswehrminister Otto Geßler auf Anfrage am 26. Juli 1920 erklärt hatte, dass die statistischen Angaben im Rothschen Buch „richtig“ seien, und der als ehemaliger Direktor des Allgemeinen Kriegsdepartements an der Durchführung der Judenstatistik unmittelbar beteiligte Ernst von Wrisberg in seinen Erinnerungen 1921 mit eben denselben Zahlen operierte. Der jüdische Abwehrkampf in dieser Frage mit Wort und Schrift, wie zum Beispiel durch den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, dauerte denn auch bis zum Ende der Weimarer Republik an. In der „Judenzählung“ und ihrer diskriminierenden propagandistischen Ausnutzung manifestierte sich deutlich der Beginn eines tiefen Risses in der deutschen Politik und Gesellschaft.

Uwe Lohalm

Literatur Werner T. Angress, Das deutsche Militär und die Juden im Ersten Weltkrieg. Dokumentation, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 19 (1976), S. 77–146. Michael Berger, Eisernes Kreuz und Davidstern. Die Geschichte jüdischer Soldaten in deutschen Armeen, Berlin 2006. Werner Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, in: Werner E. Mosse unter Mitwirkung von Arnold Paucker (Hrsg.), Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916– 1923. Ein Sammelband, Tübingen 1971, S. 409–510. Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, Hamburg 1970. Franz Oppenheimer, Die Judenstatistik des preußischen Kriegsministeriums, München 1922. Jacob Rosenthal, „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen, Frankfurt am Main, New York 2007. Jakob Segall, Die deutschen Juden als Soldaten im Krieg 1914–1918. Eine statistische Studie, Berlin 1921.

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Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften (Alfred Roth, 1921)

Volker Ullrich, „Dazu hält man für sein Land den Schädel hin!“ Die „Judenzählung“ im deutschen Heer, in: Volker Ullrich, Fünf Schüsse auf Bismarck. Historische Reportagen 1789–1945, München 2002, S. 108–117. Egmont Zechlin unter Mitarbeit von Hans-Joachim Bieber, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969.

Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften (Alfred Roth, 1921) Die Rolle von Juden in der deutschen Kriegswirtschaft und in den sogenannten Kriegsgesellschaften nahm bereits während des Ersten Weltkrieges und in steigendem Maße in den darauf folgenden Jahren eine zentrale Stelle in der antisemitischen Hetzpropaganda ein. Mit den Kriegsgesellschaften waren seit Kriegsbeginn nach und nach mehr als 130 neuartige Hilfsorganisationen unterschiedlicher Rechtsformen und Funktionsweisen geschaffen worden. Als selbstständige Verbindungsorgane zwischen Staat und Wirtschaft sollten sie dazu beitragen, die deutsche Wirtschaft auf die Kriegsführung auszurichten und eine planmäßige Beschaffung, Preisgestaltung und Verteilung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln sicherzustellen. Sie blieben nach Kriegsende teilweise noch in Funktion, bis sie mit Gesetz vom 15. Juli 1921 abgewickelt wurden. Die Initiative zur Gründung von Kriegsgesellschaften ging von Walther Rathenau aus, nach Kriegsbeginn Leiter der von ihm geschaffenen zentralen Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium. Noch 1914 richtete der Hamburger Großreeder Albert Ballin mit seiner HAPAG eine Zentraleinkaufsgesellschaft ein, die die Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung gewährleisten sollte. Rathenau und Ballin, beide als Juden bereits vor dem Krieg im Visier antisemitischer Hetze, schieden nach kurzer Zeit aus der Leitung der jeweiligen Institution wieder aus, dennoch wurde ihnen das Odium der Begründung jüdischer Herrschaft in der deutschen Kriegswirtschaft angeheftet. Eine Erhebung vom Februar 1918 ergab, dass von den Direktoren der erfassten Gesellschaften knapp zehn Prozent jüdischen Glaubens waren. Ihr Anteil übertraf damit den Anteil der Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung um das Zehnfache. Die auch von offiziellen Stellen eingeräumte stärkere Repräsentanz, im Wesentlichen begründet in der sozialen Struktur der jüdischen Bevölkerung, nutzten die Antisemiten, um die Verbitterung der Bevölkerung über den andauernden Krieg und die zunehmende Mangelversorgung, öffentlich wirksam auf die Juden abzulenken. Im Oktober 1916 sah sich die Reichsregierung u. a. auf Initiative des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger aufgefordert, eine detaillierte Erhebung über das gesamte Personal in allen Kriegsgesellschaften zu erstellen, allerdings ohne – wie verlangt – auch die Konfessionszugehörigkeit zu erfassen. Die Juden als „Herrscher und Kriegsgewinnler“ in der deutschen Wirtschaft bildeten auch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ein wirkungsvolles Agitationselement; die Vorwürfe wurden mit Anschuldigungen gegen „jüdische Revolutionsgewinnler“ aktualisiert und die stärker hervortretenden Erscheinungen von Wucher und Schleichhandel den Juden angelastet. Dabei taten sich besonders Alfred Roth (1879– 1948), schon während des Krieges in ähnlicher Weise aktiv, und der von ihm geleitete Deutschvölkische Schutz- und Trutz-Bund hervor. Roth fasste 1921 diese Angriffe

Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften (Alfred Roth, 1921)

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und „Enthüllungen“ in dem Pamphlet „Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften und in der Kriegs-Wirtschaft. Unter Benutzung amtlicher und anderer Quellen dargestellt“ zusammen, das unter dem Pseudonym Otto Armin in einer Auflage von 20.000 Exemplaren im Deutschen Volksverlag München erschien. Roths 156 Seiten umfassende Schrift basiert auf der Auswertung zahlreicher Berichte der regionalen und überregionalen Presse vorwiegend antisemitischer und konservativer Provenienz, öffentlicher Eingaben von Wirtschaftsverbänden und Handelsorganisationen sowie amtlicher Bekanntmachungen und Stellungnahmen, darunter u. a. der von der Geschäftsführung des Kriegsausschusses der deutschen Industrie 1918 herausgegebene streng vertrauliche „Wegweiser durch die Deutsche Kriegswirtschaft. Systematisches Verzeichnis der amtlichen und privaten Kriegswirtschafts-Organisationen, sowie der übergeordneten und zusammenfassenden Organisationen der Bundesstaaten“ und die kurze Abhandlung von Hanns Falk „Die Juden in den Kriegsgesellschaften. Nach amtlichen Material“, die der jüdische Philo-Verlag als Heft 1 seiner neuen Schriftenreihe „Das Licht“ im April 1920 veröffentlichte. Roth wollte zeigen, wie die Juden in der Kriegswirtschaft, die er als „ein aus Judengeist“ geborenes „System Ballin-Rathenau“ charakterisierte, „geradezu ein jüdisches Geschäftsmonopol gezüchtet“ hätten, das „den wirtschaftlichen und seelischen Zusammenbruch des deutschen Volkes verschuldet“ und damit „die Deutschen um den Ertrag ihrer glänzenden Waffenerfolge betrogen“ habe. Er schloss daran die Drohung: „Darum werden auch seine hauptsächlichen Urheber der Vergeltung nicht entgehen.“ Für Roth war die behauptete Vorherrschaft der Juden in fast allen Zweigen der deutschen Kriegswirtschaft „keine zufällige Erscheinung“, sondern er sah sie in der im unversöhnlichen Gegensatz zum „Deutschtum“ stehenden „Eigenart des Judentums“ begründet. Er knüpfte dabei bewusst an das jahrhundertealte Stereotyp des Juden als „Schieber und Wucherer“ an, das angeblich ein unveränderbares Rassemerkmal darstelle und in den jüdischen Gesetzbüchern und religiösen Geheimlehren verankert sei. Dementsprechend ging es Roth bei der Darstellung der Personalverhältnisse in den „Kriegsamtsstellen und Kriegsgesellschaften“ ausschließlich darum, in zahlreichen, kaum zu überprüfenden Aufzählungen und Übersichten Juden aufzuführen. Er kam durch Addition der „Konfessionsfraglichen“ auf einen jüdischen Anteil von rund zwanzig Prozent in den führenden Stellen und mutmaßte einen noch weit größeren in den übrigen Positionen. Ausführlich handelte Roth dann das nach ihm verhängnisvolle Wirken von Juden und jüdischen Firmen mit ihrer „nur auf den Gewinn gerichteten Wirtschaftsweise“ in den unterschiedlichen Wirtschaftszweigen ab. Dabei betonte er jene Bereiche, die schon länger in der antisemitischen Agitation eine Rolle spielten oder in der Nahrungsmittelversorgung besonders wichtig waren wie den Vieh-, Fleisch- und Getreidehandel sowie die Fett- und Fischversorgung. Hier hätten „die abscheulichen Machenschaften jüdischer Habgier“ die bedrängte deutsche Bevölkerung noch tiefer ins Elend gestoßen, während zur gleichen Zeit Juden aus rituellen Gründen Sonderzuteilungen erhalten hätten. Obwohl er nur eine „Blütenlese“ liefere, meinte Roth, daraus ohne Weiteres Rückschlüsse auf die allgemeinen Zustände ziehen zu können: Es sei „unbestreitbar“, „dass in fast allen Erwerbszweigen sich während des Krieges Juden als Zwischenhändler und Vermittler – wie das ihrer Naturanlage entspricht – zwischen Erzeuger und Verbraucher hineingedrängt und auf solche Weise

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Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften (Alfred Roth, 1921)

sich schließlich zu Beherrschern des ganzen Wirtschaftslebens aufgeschwungen haben“. Dadurch sei im Krieg letztlich alles zerbrochen, was die deutsche Wirtschaft „groß und stark“ gemacht habe: „die unbedingte Ehrlichkeit in Handel und Wandel, Treu und Glauben im geschäftlichen Verkehr“. Mit den üblichen Mitteln der Diffamierung und der Verallgemeinerung von Einzelbeispielen aus der Übergangswirtschaft 1919 und 1920, in der angeblich jüdische Firmen, insbesondere bei der Verwertung ehemaligen Heeresgutes, in ungeheuerlicher Weise bevorzugt worden seien, suchte Roth dann das Fortbestehen einer jüdischen Vorherrschaft zu belegen. „Juden und Judengenossen“ in der Revolutionsregierung und in der Sozialdemokratie hätten den Juden dazu die Hand gereicht, wodurch „nun erst recht Schieber- und Wuchertum emporwucherten“, die Roth für die anhaltende, die Bevölkerung stark belastende Lebensmittelknappheit und Teuerung verantwortlich machte. Damit ordnete sich seine Publikation in den allgemeinen demagogischen Kampf der Völkischen gegen die Weimarer Demokratie ein, der darauf abzielte, diese insgesamt als jüdisch und damit als korrupt und undeutsch zu denunzieren. Abschließend bekräftigt Roth noch einmal seine antisemitische Fundierung der Dolchstoßlegende: „Deutschland hat zwar mit den Waffen gesiegt, aber es hat den Krieg verloren; Rathenaus und seiner Rassegenossen geheimste Seelenwünsche sind in Erfüllung gegangen. Das Deutsche Reich und Volk liegen am Boden – Juda triumphiert und sonnt sich gleich unsern Feinden im Siegestaumel.“ Die angebliche jüdische Wirtschaftsdiktatur und ihre Auswirkungen blieben in den folgenden Jahren ein von völkischen, nationalsozialistischen und konservativen Kreisen vielfach eingesetztes Argumentationsmuster. Erich Ludendorff bediente sich seiner, ebenso Adolf Hitler, der in → „Mein Kampf“ mehrfach von den jüdisch gesteuerten Kriegsgesellschaften spricht. In der antisemitischen Agitation gegen die Weimarer Republik war die „Verseuchung“ der deutschen Wirtschaft durch den „jüdisch-mammonistischen Geist“ weiterhin präsent und wurde durch Skandalisierungen von Wirtschafts- und Korruptionsprozessen immer wieder beschworen. Daran beteiligte sich auch Roth. 1925 veröffentlichte er, wiederum unter dem Pseudonym Otto Armin, eine neue Schmähschrift „Von Rathenau zu Barmat. Der Leidensweg des deutschen Volkes“. In ihr brachte er die ersten vierzig Seiten seines inzwischen vergriffenen Buches aus dem Jahr 1921, auf denen er das „System Ballin-Rathenau“ abhandelt, erneut zum Abdruck; dieses sah er im Folgenden nahtlos in ein „System Barmat“ überführt.

Uwe Lohalm

Literatur Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970. Momme Rohlack, Kriegsgesellschaften (1914–1918). Arten, Rechtsformen und Funktionen in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges, Frankfurt am Main, u.a. 2001. Regina Roth, Staat und Wirtschaft im Ersten Weltkrieg. Kriegsgesellschaften als kriegswirtschaftliche Steuerungsinstrumente, Berlin 1997. Martin Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Berlin 2011. Egmont Zechlin unter Mitarbeit von Hans-Joachim Bieber, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969.

Die Juden in Österreich (Viktor Reimann, 1974)

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Die Juden in Österreich (Viktor Reimann, 1974) „Die Juden in Österreich“ lautete der Titel einer im April und Mai 1974 erschienenen 42-teiligen Artikelserie in der österreichischen „Neuen Kronen Zeitung“ (kurz „Die Krone“). Autor war Viktor Reimann (1915–1996). Reimann hatte sich seit 1936 in der illegalen NSDAP engagiert, wandte sich später aber dem Widerstand zu und wurde von den Nationalsozialisten inhaftiert. Nach 1945 war er Gründungsmitglied des Verbands der Unabhängigen (VdU, gegründet 1949). Der VdU war ein Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten, aus dem später die FPÖ hervorging. Von 1949 bis 1956 war Reimann Abgeordneter im österreichischen Nationalrat. Reimanns journalistische Tätigkeit begann 1945, als er Redakteur bei den „Salzburger Nachrichten“ und im selben Jahr dort stellvertretender Chefredakteur wurde. Ab 1949 war er auch Chefredakteur der VdU-Zeitung „Neue Front“, in der er Beiträge gegen die Entnazifizierungsgesetzgebung verfasste. Zur „Kronen Zeitung“ kam Reimann 1970 als Kolumnist; von 1974 bis 1987 leitete er deren Kulturredaktion in Wien. Vom 7. April 1974 bis zum 19. Mai 1974 publizierte Reimann in der „Kronen Zeitung“ die 42-teilige Serie „Die Juden in Österreich“. Bereits am 23. März 1974 erschien die erste Ankündigung der Serie. Weitere Werbung folgte von nun an bis zum eigentlichen Beginn in jeder Ausgabe, teilweise ganzseitig, mit Bildern und rhetorischen Fragen als Stilmittel. So fragte Reimann z. B. „Wieso nimmt das zahlenmäßig so kleine jüdische Volk einen so großen Platz in der Geschichte ein?“, oder ob es einen jüdischen Typus, einen jüdischen Geist gäbe. Am 7. April 1974 titelte die „Kronen Zeitung“ „Dr. Viktor Reimann schreibt in dieser Serie weder gegen die Juden noch für die Juden“. Schon der Titel der Serie „Die Juden in Österreich“ deutete darauf hin, dass der Autor die Juden als nicht zugehörig zu Österreich sah. Dies zeigte sich auch darin, dass Reimann immer wieder betonte, Juden wären anders, würden sich außerhalb der Gesellschaft stellen und „im Grunde ihre Ghettos selbst“ schaffen. Die Hauptursache für den Antisemitismus „muß wohl im Juden selbst zu suchen sein“, meinte Reimann am 8. April 1974 in der „Kronen Zeitung“. Der weitere Verlauf der Serie betrachtete die Geschichte der Juden, beginnend mit dem Auszug aus Ägypten bis hin zum Jahre 1946. Speziell versuchte Reimann die Geschichte der „Juden in Österreich“ darzustellen, wobei er beispielhafte Erzählungen über einzelne Juden als Gesamtgeschichte ausgab. Der Grad des Antisemitismus stieg dabei je allgemeiner das angesprochene Thema war. Reimann thematisierte, wenn auch latent, sehr häufig klischeehafte und feindselige Vorstellungsinhalte. Bezeichnend für Reimanns „Die Juden in Österreich“ war die Diktion. Er schrieb von der „Judenfrage“, dem „Stammland Juda“, von den „Judenländern“ Deutschland und Österreich und von der „jüdischen Presse“, von der „Judenstadt New York“ oder von Karl Marx als dem „Moses des Sozialismus“. Auch die Themenwahl zeigte Reimanns Verständnis; er widmete sich beispielsweise ausgiebig der Familie Rothschild, betonte ihre Rolle als Finanziers von diversen Herrschern und Kriegen und zitierte unreflektiert in diesem Zusammenhang das Stück „Rothschild siegt bei Waterloo“, die „Komödie eines NS-Schriftstellers“, so Reimann. Ab 10. April 1974 wurden regelmäßig Leserbriefe zur Serie veröffentlicht, von denen viele anonym verfasst waren. Die Inhalte waren teilweise massiv antisemitisch

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Die Juden in USA (Hans Diebow, 1939)

und enthielten obszöne Beschimpfungen. So wurde von Juden als „Gesindel“ und „Parasiten“ und von Wien als „Christus-Stadt“, in der Juden „nichts zu suchen“ hätten geschrieben. Immer wieder waren Behauptungen der „Andersartigkeit“ von Juden und Mutmaßungen über das „Judenproblem“ zu lesen. Teilweise gab es jedoch auch Leserbriefe, in denen Reimann Antisemitismus und Aufhetzung vorgeworfen wurde. Auch ein Leserbrief Simon Wiesenthals, in dem er Reimanns Ungenauigkeit im Umgang mit der Anzahl ermordeter Juden im Holocaust kritisierte, wurde publiziert. Reimanns Serie „Die Juden in Österreich“ war heftiger Kritik ausgesetzt. So attestierte etwa der „Verband der sozialistischen Studenten Österreichs“, dass die Serie „in subtiler Weise antisemitische Emotionen“ anspricht. Die „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ übte Kritik an den ungenauen Informationen, der Auswahl des Materials, den Formulierungen und den Akzentsetzungen. Auch die „ArbeiterZeitung“, der „Österreichische Presserat“, der Reimann Neonazismus vorwarf, und der ORF kritisierten die Serie. Reimann bezeichnete die Kritiken als „Haßorgien, die an NS-Terror“ erinnern würden. Die Serie „Die Juden in Österreich“, deren Ziel es laut Reimann war, „dem Phänomen Judentum nachzugehen und die Wurzeln des Antisemitismus aufzudecken“, baute auf antisemitischen Stereotypen auf, die vor allem anfänglich weitgehend unwidersprochen blieben. Durch die Veröffentlichung antisemitischer Leserbriefe, in denen Reimann auch vorgeworfen wurde, er sei zu „judenfreundlich“, wurde suggeriert, dass die Serie nicht antisemitisch sein könne. Bernd Marin wies den Fortbestand antisemitischer Ideologie in der Serie anhand eines Vergleichs der Diktionen mit dem → „Stürmer“ nach. Die Serie war, fast 30 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft in Österreich, auch ein Ausloten der Gesellschaftsfähigkeit von Antisemitismus. Gleichzeitig zeigte sie, was von einem tendenziell antisemitischen Politiker im Österreich der Nachkriegszeit als nicht-antisemitisch und somit publizierbar angesehen wurde, und damit die sprachlich und kulturell verfestigten, feindseligen antisemitischen Stereotypen.

Christian Pape

Literatur Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus, München 2004. Bernd Marin, Antisemitismus ohne Antisemiten. Autoritäre Vorurteile und Feindbilder, Frankfurt am Main, New York 2000. Alexander Pollak, Konturen medialen Antisemitismus in Österreich, in: Context XXI (2001), 1, S. 9–12. Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005, Wien 2005.

Die Juden in USA (Hans Diebow, 1939) Als denunziatorische Collage konzipiert, erschien 1939 im Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. (→ Eher Verlag) die Broschüre „Die Juden in USA. Über hundert Bilddokumente“, zusammengestellt von Dr. Hans Diebow. Der Autor hatte schon 1937 zur Münchner Propagandaausstellung → „Der ewige Jude“ das Begleitheft kompiliert. Mit größter Infamie waren die unvorteilhaftesten Posen gewählt, in denen Juden dargestellt wurden, und die Diffamierung vollzog sich weiter in den Bildlegenden.

Juden sehen Dich an (Johann von Leers, 1933)

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„Finanzminister des judengesättigten Bundesstaates ist natürlich ein Jude: Henry Morgenthau“ ist unter dessen Foto zu lesen. Neben vielen Hinweisen auf „Rassenschande“ einflussreicher Juden der Filmszene findet sich die Behauptung „Das amerikanische Gangstertum ist eine fast ausschließlich jüdische Angelegenheit“. Der Geiger Yehudi Menuhin erscheint als „fettes Wunderkind“ und Charlie Chaplin wird als „plattfüßiger Ghetto-Clown“ vorgeführt. Ziel der Broschüre war es, die USA als von jüdischen Politikern beherrschte und von jüdischen Bankleuten dominierte Nation darzustellen, deren kulturelle Bedeutungslosigkeit Folge des übergroßen jüdischen Einflusses in der Unterhaltungsindustrie war. Auf einen einführenden Text verzichtete Diebow, es kam ihm offensichtlich darauf an, durch manipulierte Bilder den Eindruck eines durch jüdische Machenschaften zivilisatorisch inferioren und sittlich verwahrlosten Landes zu erwecken.

Wolfgang Benz

Literatur Wolfgang Benz, „Der ewige Jude“. Metaphern und Methoden nationalsozialistischer Propaganda, Berlin 2010.

Juden sehen Dich an (Johann von Leers, 1933) 1933 erschien eine Broschüre mit dem Titel „Juden sehen Dich an“. Zu verantworten hatte sie Dr. Johann von Leers (1902–1965), einer der fleißigsten Propaganda-Autoren des Dritten Reiches mit Titeln wie „14 Jahre Judenrepublik“ (1933), „Die Kriminalität des Judentums“ (1936), „Judentum und Gaunertum“ (1940), „Juden hinter Stalin“ (1941), „Kräfte hinter Roosevelt“ (1942), „Die Verbrechernatur der Juden“ (1944). Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Promotion 1926 war er als Attaché ins Auswärtige Amt eingetreten. Die Ausbildung zum Diplomaten musste er 1928 abbrechen, da sein offen zur Schau getragener aggressiver Antisemitismus damals noch nicht karrierefördernd war. 1929 trat er der NSDAP bei und betätigte sich als Propagandist der Bewegung und als Journalist der Goebbels-Zeitung → „Der Angriff“. 1936 trat er der SS bei, 1940 wurde er ordentlicher Professor für Geschichte (insbesondere des Bauerntums und Handwerks) in Jena. Leers’ Weltbild war von Verschwörungsfantasien und Blut- und Boden-Mythen bestimmt; in monotoner Obsession propagierte er Ritualmordlegenden, die Vorstellung eines einflussreichen „Weltjudentums“ und die Überzeugung vom kriminellen Charakter „der Juden“. Damit war von Leers einer der Protagonisten der antisemitischen Staatsdoktrin des NS-Staats. 1945 wurde er interniert, konnte 1946 aus dem Lager fliehen. 1950 ließ er sich in Buenos Aires nieder, betätigte sich weiterhin als Propagandist des Nationalsozialismus, schrieb unter vielen Namen für rechtsextreme Blätter auch in der Bundesrepublik. Seit 1956 lebte er in Kairo, trat zum Islam über, stand zeitweise in Diensten der antiisraelischen Propaganda Ägyptens. Er starb 1965. Das schmale Buch „Juden sehen Dich an“, das 1933 in Berlin erschien, dem ab der dritten Auflage eine wortreiche Widmung an den Antisemiten Julius Streicher als „furchtlosem und treuem Kämpfer“ gegen „den Verderber Deutschlands“ und frühen

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Juden sehen Dich an (Johann von Leers, 1933)

Weggefährten Hitlers vorangesetzt ist, bildet eine der Inkunabeln nationalsozialistischer Judenfeindschaft. Sowohl die Argumentation durch eintönige Beschwörung stereotyper Judenbilder als auch die Methode der Beweisführung durch Kombination von Behauptung, Zitat, Konnotation und Assoziation machten Schule und waren Vorbild und Muster antisemitischer Agitation im Dritten Reich. Die als negativer Topos verwendete Metapher vom „Ewigen Juden“, die später den Titel der Ausstellung (1937) und dann des Filmes (1940) bildet, findet sich in der Schrift „Juden sehen Dich an“. Der Autor mutmaßt, dass die den Juden zugeschriebene Eigenschaft des Betrügens „eine tiefe sittliche Erkrankung des jüdischen Volkskörpers“ sei. Viele „ernste Forscher“ würden diese Eigenschaft auf das Fehlen eines Siedlungsraumes zurückführen. Es werde notwendig sein, „die von Land zu Land ziehenden jüdischen Massen, die die Zersetzung wie die Judenfeindschaft stets in neue Länder tragen, irgendwo auf eigenem Grund unter verständiger Kontrolle anzusiedeln“. Das war keineswegs eine Sympathiebekundung für den Zionismus, denn die Ressourcen Palästinas reichten nach Meinung von Leers nicht aus. Seit Langem gängige Vorstellungen von einer Ansiedlung der Juden in Übersee aufgreifend machte von Leers deutlich, dass es nicht um ein philanthropisches Kolonisationsprojekt ging, sondern um Deportation und Ghettoisierung in weiter Ferne ohne Selbstbestimmung der deportierten Juden. Madagaskar war seit dem 19. Jahrhundert ebenso wie andere unwirtliche Gebiete in solchem Zusammenhang immer wieder erwähnt worden. Auch von Leers nannte die Insel vor Ostafrika, als er empfahl, nicht zu lange mit einer solchen Lösung zu warten: „Darum – man gebe Ahasver ein wirklich eigenes Heim! Macht er einen Garten und ein Ackerfeld daraus, so erhalte man es ihm auch – macht er eine Schieberhöhle daraus, so sperre man ihn endgültig ein. Aber geben muss man ihm diese Gelegenheit!“ Der deklamatorische Charakter der Forderung ist nicht nur deshalb evident, weil Deutschland über kein überseeisches Territorium verfügte, auf dem die pseudozionistischen Projektionen des Johann von Leers hätten Niederschlag finden können, der hasserfüllte Ton des ganzen Pamphlets (in dem mehrfach betont wird, keiner der angeprangerten Juden sei nach dem nationalsozialistischen Machterhalt hingerichtet worden) spricht gegen jede auch nur einigermaßen menschenfreundliche Absicht. Von Leers’ Pamphlet ist ein getreues Abbild der offiziellen Haltung gegenüber der jüdischen Minderheit zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft: In der „Kampfzeit der Bewegung“ hatte die Schuldzuweisung an die Juden und deren Diffamierung einen erheblichen Anteil an der Propaganda und den Kampagnen der NSDAP, die vorhandene Abneigung im Publikum bediente und instrumentalisierte. Als Regierungspartei hielt die NSDAP das Rad im Schwung, forderte durch ihre Protagonisten die Entfernung der Juden aus dem öffentlichen Leben, stigmatisierte sie nach Kräften, demütigte sie individuell und als Gruppe, sprach Boykotte und Berufsverbote aus. Aber einen Plan, wie mit den Juden nach ihrer Diskriminierung und Entrechtung dann verfahren werden sollte, gab es noch nicht. Die Broschüre „Juden sehen Dich an“ war ein Muster nationalsozialistischer antisemitischer Agitation, das auch in den beiden Großprojekten unter dem Titel „Der ewige Jude“, der Ausstellung 1937 und dem Film 1940, angewendet wurde. Von Leers

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zeigt ein auf die Wirkung von Bildern rechnendes Panoptikum mit sechs Abteilungen, die durch die Schlagworte „Blutjuden“, „Lügenjuden“, „Betrugsjuden“, „Zersetzungsjuden“, „Kunstjuden“, „Geldjuden“ gekennzeichnet sind. Von Leers bietet keine Definitionen, er listet Prominente, beginnend mit Karl Marx, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Béla Kun und Leo Trotzki auf, um den politischen Einfluss des „internationalen Judentums“ darzustellen, das stets bei der Unterdrückung der nichtjüdischen Völker zusammengearbeitet habe. „Kapitalistische und kommunistische Juden decken sich gegenseitig, sitzen in denselben Freimaurerlogen zusammen.“ Grundmotiv des Autors ist ein mit Judenhass amalgamierter Antibolschewismus, der die Sozialdemokratie (als angeblich zugleich marxistische und jüdische politische Erscheinung) einschließt und auf völkischen Überzeugungen gründet. „Dem Juden“ als metaphorischem Feind stellt Leers den Führer der NSDAP als Retter und Erlöser gegenüber: „Vor dieser Ausrottung der Blutjuden im furchtbarsten Bolschewismus hat Adolf Hitler und die nationalsozialistische Bewegung – der bürgerliche Nationalismus wäre dazu gar nicht in der Lage gewesen – das Deutsche Volk bewahrt und damit sich um die ganze Welt ein unsterbliches Verdienst erworben.“ Das Pamphlet atmet noch ganz den Geist der NSDAP-Kundgebungen der zwanziger Jahre und versteht sich als Abrechnung mit der Weimarer Republik, den „November-Verbrechern“ und der „Systemzeit“. Ob der Autor es nicht besser wusste oder ob er zwei Politiker der Zentrumspartei, exponierte Katholiken und Demokraten, auf die in seinem Verständnis bösartigste Weise, nämlich als Juden, stigmatisieren wollte, bleibt ungeklärt. In die Galerie der „Blutjuden“ hat er jedenfalls auch den 1921 von Rechtsextremisten ermordeten Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (als „Zerstörer des Reiches“) und den 1933 aus dem Amt gejagten Oberbürgermeister Konrad Adenauer (diffamiert als „Großprotz von Köln“) aufgenommen. Das zweite Kapitel („Lügenjuden“) folgt der These, die Lüge sei „eine alte jüdische Waffe“, angewendet durch die sozialdemokratische, kommunistische und bürgerliche Presse, die sich in jüdischer Hand befinde und die öffentliche Meinung lenke. Erst mit der Kanzlerschaft Adolf Hitlers sei dem Judentum das Lügenmaul durch Presseverbote verschlossen worden. Vorgeführt werden der Nobelpreisträger Albert Einstein, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger („schrieb schlechte Romane, hetzte in Amerika gegen Adolf Hitler und log“), der Chefredakteur des SPD-Zentralorgans „Vorwärts“ Friedrich Stampfer („hetzte und log gegen Adolf Hitler“), der Schriftsteller Emil Ludwig („schrieb verlogene Bücher“), Theodor Lessing („Lügner und Hetzer im Hintergrund“), Theodor Wolff, Rudolf Hilferding. Die Beweisführung im folgenden Abschnitt „Betrugsjuden“ exemplifiziert die Behauptung, die Verbindung des Judentums zum Verbrechertum sei Jahrtausende alt mit Hinweisen auf die Gaunersprache, die hebräischen Ursprungs sei, und mit Diffamierungen der jüdischen Religion, die angeblich betrügerische Geschäfte erlaube und diese gegenüber Nichtjuden sogar vorschreibe, bewegt sich der Autor in ausgefahrenen Geleisen. „Das im Betrug besonders geschulte Ostjudentum“ habe nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland überschwemmt, „Deutschland drohte an der Giftwolke der jüdischen Korruption zu ersticken“. Zum Beweis karikiert Johann von Leers die sozialdemokratischen Politiker Heilmann und Weismann, die Unternehmer Julius Bar-

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mat, Heinrich Sklarz, Kutisker, Katzenellenbogen und die Brüder Sklarek, die in Korruptions- und Betrugsaffären der Weimarer Republik verwickelt waren. Die „Zersetzungsjuden“, denen das vierte Kapitel gewidmet ist, repräsentieren der Sexualforscher Magnus Hirschfeld („verteidigt die Homosexualität in besonders schmutziger Weise, propagiert alle Art von Sittenlosigkeit“) und der Berliner Schulrat Löwenstein („machte aus der ‚Karl-Marx-Schule’ eine kommunistische Pflanzschule des Untermenschentums, lehrte die Kinder Volk, Rasse und Deutschtum zu verachten“). „Die sittliche Zersetzung“ sei „vom Judentum gern als Mittel benutzt worden, um das deutsche Volk innerlich aufzulösen“, lautet das Motto, das Leers mit Zitaten aus antisemitischen Klassikern wie Theodor Fritsch und unter Berufung auf jüdische Schriftsteller illustriert. Unter der Rubrik „Kunstjuden“ wird im fünften Kapitel Klage geführt gegen die „innere Aushöhlung des deutschen Volkes“ durch die Dominanz der Juden in Kunst, Theater, Literaturkritik und Film. Nirgends habe sich die Macht des Judentums so deutlich gezeigt wie auf dem Gebiet der Kultur. Zur Beweisführung werden u.a. Erwin Piscator, Julius Bab, Max Reinhardt, Ernst Toller, Alfred Kerr aufgeführt, einzelne Stücke wie die Oper „Jonny spielt auf“ und pauschal ganze Sparten des Kulturlebens werden denunziert: „Völlig verjudet ist auch der Film, der Jahre lang bewußt das Verbrechertum pflegte, eine ebenso häßliche wie alberne Possenfigur, den Juden Charlie Chaplin, in den Himmel hob, und einen Rummel mit jüdischen Stars, wie die Elisabeth Bergner, Gitta Alpar und ähnlichen Judenkallen entfesselte, der die deutsche Filmkunst ruinierte.“ Auch der sechste Abschnitt „Geldjuden“ folgt dem Muster, einen gängigen Topos als These zu fixieren, sie mit allgemein präsenten Behauptungen zu „beweisen“ und mit Zitaten aus schwer nachprüfbaren oder gar nicht existierenden Quellen zu untermauern. Das populäre Klischee vom jüdischen Geld und von jüdischer Wirtschaftsmacht wird mit Namen aus der Bank- und Börsenwelt wie Jakob Goldschmidt, Max Warburg, Carl Melchior und bekannten Unternehmern wie Georg und Martin Tietz dokumentiert und auf vermutete historische Entwicklungslinien in der Tradition der Judenfeindschaft zurückgeführt: „Im langsamen Weg vom Wucherjuden des Mittelalters über den Hofjuden der Barockzeit bis zum beherrschenden Bankjuden des Industriezeitalters geht ein ungeheuerer Aufstieg des jüdischen Volkes, der ihm erst die wirtschaftliche Grundlage zur Beherrschung anderer Völker gab.“

Wolfgang Benz

Literatur Wolfgang Benz, „Der ewige Jude“. Metaphern und Methoden nationalsozialistischer Propaganda, Berlin 2010.

Die Juden und der deutsche Staat (Naudh, 1861) Die 1861 unter dem Pseudonym „Naudh“ veröffentlichte Schrift belegt eindrücklich die rassistische Fundierung des Antisemitismus in den frühen 1860er Jahren. Als Autoren gelten Johannes Nordmann, Lothar Bucher und Hermann Wagener. Diese Zuordnung ist nicht unproblematisch. Aufgelöst wurde das Pseudonym erst in der 13.

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Auflage des Buchs, die 1920 im Hammer-Verlag erschien, und in der sich Theodor Fritsch auf eine entsprechende Mitteilung Nordmanns beruft. Gegen Wageners Beteiligung spricht die falsche Wiedergabe seines Vornamens dort, wie u. a. die nationalstaatliche Tendenz der Schrift selbst. Naudh wendet sich gegen die Emanzipation der Juden. Facettenreich ist das Bild, mit dem er sie als unwürdig und ungeeignet zur Übernahme obrigkeitlicher Ämter präsentiert. Angeführt werden ihr „schmutziger Materialismus“ und ihre religiös-national begründete Asozialität: Ihr „Gottesvertrag“ sei eine „Kriegserklärung“ gegen alle anderen Völker. Der „Ruin von Staaten“ stehe „so sehr mit der Ausdehnung des jüdischen Elements“ in Zusammenhang, dass es schwerfalle zu entscheiden, was Ursache und was Folge sei. Jedes Volk müsse sich daher „vor dem Juden hüten“. Zentral für Naudhs Argumentation ist der Rassegedanke: „Mehrtausendjährige Abschließung und Inzucht“ hätten den „Racentypus befestigt“, „jüdisches Blut und jüdischer Sinn“ seien untrennbar geworden. Juden beschreibt Naudh als minderwertig und unästhetisch: Ihr ganzer Körperbau sei „fehlerhaft“ und „nicht stark, wie bei den Germanen“. Daraus entstünden „jene energielosen und unschönen Bewegungen, die wir an ihnen belächeln und jene Scheu vor körperlicher Arbeit“, die wesentliche Auswirkungen auf ihre Geschichte gehabt habe. Ihre Unfähigkeit zu Arbeit und militärischer Verteidigung begründet für Naudh, dass Juden nie gleichberechtigt einer Nation zugehören könnten – wenn man das Risiko eingehen wolle, diese gemeingefährliche Gruppe zu integrieren. Entsprechend resümiert Naudh, eine „Race“, die den „Cultus des materiellen Nutzen“ zur Religion und den Eigennutz zum „Princip ihrer Existenz“ mache, sei „jedem Staate zuwider und der Menschheit Feind“. Der deutsche Staat dürfe seinen Bürgern nicht „das Risiko dreitausend Jahre vererbter jüdischer Anlage in den Beamten zumuthen“: „Wir halten es für ein Unglück, als Jude geboren zu werden, sowie wir es für ein Unglück halten, als Krüppel zur Welt zu kommen. Aber unser Mitleid kann uns nicht nöthigen, [...] den Juden unsere Staatsverwaltung oder den Krüppeln unsere Vertheidigung“ zu übertragen. Als „Race“ wurden die Juden dabei in tiefstem Gegensatz zu den Deutschen geschildert. Es existiere kein Beispiel derVermischung von „Zweigen des indogermanischen Stammes“ mit „semitischen“: „Diese Racen sind sich so fremd, wie Oel und Wasser.“ Die Deutschen seien dabei der „edelste“ Zweig der Indogermanen, die Juden „der unedelste Sproß“ „innerhalb der semitischen Raubthiergruppe“. Keiner Nation sei „der Jude“ so zuwider wie der deutschen. Auch die „Rassenmischung“ von Individuen wurde abgelehnt: „Nur wenige deutsche Frauen“ würden „so verloren sein, einem Juden in der Vermehrung Israels zu helfen, um täglich in ihren Kindern [...] den Vorwurf der verdorbenen germanischen Race [...] zu empfinden“. Um ein politisches Ziel argumentativ zu untermauern, operierte die Schrift mit Vorstellungen, deren Grundsätzlichkeit für das antisemitische Weltbild bestimmend werden sollte. In der Gegenwart, so warnte Naudh, nehme der „ethisch und politisch verderbliche Einfluß der Juden“ dadurch zu, dass sie sich „in den staatlichen Mittelpunkten“ und Hauptstädten sammelten: Die Zahl „judenreiner Blätter“ sei verschwindend, „die Verjüdelung“ in Berlin sei „erschreckend“; noch stärker sei sie in Frankfurt, Hauptstadt eines künftigen deutschen Reichs, welches „‚Judenland’ heißen wird“. Maßnahmen

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gegen die dominante und schädliche Gruppe zu ergreifen, wird so als notwendig ausgegeben. In seinen Vorschlägen zur Lösung der „Judenfrage“ blieb Naudh nicht bei der rechtlichen Benachteiligung der Juden stehen: Juden zu vertreiben, forderte der „Statistische Anhang“, der unterstellte, Preußen habe, verglichen mit England und Frankreich, „über 200,000 Juden zuviel“. Wenn nun „die Throne mit jüdischen Königinnen geschmückt“ und Ministerposten „in jüdische Hände“ gegeben würden, wäre es möglich, „daß ‚Michel’ eine gründliche Reinigung seines Hauses der Beschneidung vorzöge“. „Der klügste Staat“, so Naudh, würde ohnehin „die meisten Juden los werden“. Die „Judenfrage“ liege daher einfach: „Entweder die Juden begnügen sich damit, mit uns gleichberechtigt als Privatpersonen zu leben, oder sie machen [...] von ihrem Talente zur Ertragung fremder Climate Gebrauch. Den Schmerz der Trennung werden wir überstehen.“ Es ist auch der höhnische Stil, der diesem Buch besondere Schärfe verleiht. Sein rassistischer Antisemitismus diente der Konstruktion identitär-nationaler Kollektive und erschien im Rahmen einer Täter-Opfer-Verkehrung als nationale Notwehr. Bereits 1861 erschienen mehrere Auflagen. Wilhelm Marr lobte das Buch als „Pronunciamento des antijüdischen Genius“ und „Meisterwerk“. Auch, dass Theodor Fritsch es 1920 in der 13. Auflage herausgab, spricht für seine nachhaltige Wirkung.

Henning Albrecht

Literatur Alex Bein, Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems, Band 2, Stuttgart 1980.

Juden und Verbrechen → Judentum und Gaunertum

Die Juden und das Wirtschaftsleben (Werner Sombart, 1911) Mit der 1911 erschienenen Abhandlung „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ löste Werner Sombart nicht nur eine Kontroverse aus, sondern festigte die antisemitische Tendenz, Juden als „eigenartige“ Wirtschaftssubjekte zu betrachten. Der 1863 geborene Volkswirtschaftler Werner Sombart verfasste seine Abhandlung über die Juden und das Wirtschaftsleben einerseits in Reaktion auf Max Webers Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, die in zwei Teilen 1904 und 1905 erschienen war. Neben der Lektüre von Webers Text wurde Sombart offenbar andererseits davon inspiriert, dass er 1906 an die von der Berliner Kaufmannschaft gestiftete Handelshochschule Berlin berufen worden war. Denn seine neue Wirkungsstätte lag in direkter Nachbarschaft zur Berliner Börse, mitten im alten Geschäftsviertel an der Spandauer Straße, in der viele Unternehmen ansässig waren, die er aufgrund ihres Namens als jüdisch betrachtete. Die Konzentration „jüdischer“ Gewerbetreibender kannte Sombart mithin aus eigener Anschauung, aus „persönlichen Beobachtungen“, wie er selbst im Vorwort schrieb. In seiner Studie verstieg sich Sombart zu der Behauptung, dass die Juden als Wander- und Wüstenvolk für den Kapitalismus geschaffen seien. Da sie niemals sesshaft geworden wären, hätten sie eine besondere Bindung zum abstrakten Wert des Geldes entwickelt. Insbesondere im Geldleihgeschäft glaubte Sombart einen Umstand „aufge-

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deckt“ zu haben, der „Juden objektiv befähigte, kapitalistisches Wesen zu schaffen“. Darüber hinaus hätten die Maximen des Judentums sie maßgeblich beeinflusst und dazu prädestiniert, zu den Begründern und Vermittlern des Kapitalismus zu werden. „Um es gleich herauszusagen: ich finde in der jüdischen Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakterisieren, ich sehe sie von demselben Geiste erfüllt wie diesen.“ Nachdem er im 12. Kapitel Houston Stewart Chamberlains → „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ zustimmend angeführt hatte, behandelte Sombart im – wie er selbst zugab – spekulativen 13. Kapitel seines Buches die Juden als „Rassenproblem“. Dabei galt Sombart als Jude auch „derjenige, der aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausscheidet“. Selbst seine Nachkommen blieben „Juden, soweit historisches Erinnern reicht“. Im Text wird deutlich, dass sich Sombart bei seiner Konstruktion im Wesentlichen an Namen orientierte, selbst wenn er gelegentlich physiologische Merkmale als Beweisführung aufbot. So unterstellt Sombart dem schottischen Wirtschaftspolitiker John Law, er sei wahrscheinlich Jude, weil der Nachname Law eigentlich von Levy stamme und sein Vater Goldschmied sei, aber vor allem, weil „das jüdische Aussehen des Mannes auf manchen Bildern“ seine Herkunft verrate. Über eine Fülle solcher fragwürdiger Zuschreibungen und Andeutungen konstruierte Sombart eine jüdische „Essenz“, die sich über Jahrtausende hin erfolgreich konserviert habe und eine besondere Affinität zu Geld aufweise. Ihre historische Beständigkeit sowie ihre finanziellen Talente sollten es den Juden ermöglicht haben, marktwirtschaftliche Prozesse in Gang zu setzen und sich der wichtigsten Märkte zu bemächtigen. Doch die Juden waren in Sombarts Ausführungen nicht nur Urheber, sondern auch Träger kapitalistischer Prinzipien und Praxen, weil sie sich überall in Europa verbreiteten; schließlich sei „die europäische Judenheit wie ein Ameisenhaufen, in den man einen Stock steckt, in Bewegung“ geraten. Wenig überraschend entspann sich nach der Veröffentlichung eine Kontroverse um Thesen des Buches. So veröffentlichte der Karlsbader Rabbiner Ignaz Ziegler in der → „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ zwischen dem 9. Juni und dem 2. Juli 1911 eine mehrteilige Serie, in der er die Behauptungen Sombarts nicht nur widerlegte, sondern auch nachwies, dass der Berliner Volkswirtschaftler unwissenschaftlich gearbeitet und argumentiert hatte. Doch Zieglers tiefgreifende Kritik der Sombartschen Methodologie hinderte manchen jüdischen Kommentator nicht daran, die Studie als Beweis dafür zu begreifen, dass es einen besonderen jüdischen Beitrag zur Entstehung des Kapitalismus gegeben habe. So haben z. B. Rabbiner Max Eschelbacher in der liberalen Zeitschrift „Ost und West“ (1911) oder der Wissenschaftler Julius Guttmann im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ (1913) bei aller Kritik an Sombarts Ignoranz über das Judentum versucht, dessen Buch zu nutzen, um die jüdischen Verdienste um die Entwicklung der Wirtschaft dem grassierenden Antisemitismus entgegenzuhalten. Anderen gingen Sombarts Thesen nicht weit genug. So führte der einflussreiche Münchener Nationalökonom Lujo Brentano aus, die Interpretation, dass die Juden den Kapitalismus beflügelten, treffe nicht zu, sondern sie ließen sich immer dort nieder, wo sie einen Aufschwung erwarteten. Unter dem Pseudonym F. Roderich-Stoltheim ergänzte Theodor Fritsch in seinem 1913 erschienenen Buch „Die Juden im Handel

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Juden werden „Schweizer“ (Alfred Zander, 1935)

und das Geheimnis ihres Erfolges. Zugleich eine Antwort und Ergänzung zu Sombarts Buch ‚Die Juden und das Wirtschaftsleben’“, dass „dem Hebräer der Kapitalismus wohl weniger Selbstzweck, als vielmehr ein Mittel zur eigenen Macht-Erhöhung und zur Knechtung der Nichtjuden“ sei. Trotz der erstaunlichen Oberflächlichkeit und pseudowissenschaftlichen Vorgehensweise hat das Buch auch nach der Shoah als wissenschaftlicher Impulsgeber gedient. In Abgrenzung zu Sombart betonte Simon Kuznet in seiner bahnbrechenden Arbeit über die Positionierung von Minderheiten und Migranten in der Marktwirtschaft die Bedeutung marktwirtschaftlicher Rahmendaten (und nicht bestimmter sozialer Gruppen) für die Entwicklung der Wirtschaft. Gleichwohl fanden seine fragwürdigen Ansichten ihren Niederschlag weiterhin in – meist apologetischen – Arbeiten über angeblich „jüdische“ Wirtschaftsleistungen.

Christoph Kreutzmüller/Jonathan Zatlin

Literatur Avraham Barkai, Judentum und Kapitalismus. Ökonomische Vorstellungen von Max Weber und Werner Sombart, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 5 (1994), S. 25–38. Bernhard vom Brocke, Werner Sombart, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 616–634. Theodor Fritsch (alias F. Roderich Stoltheim), Die Juden im Handel und das Geheimnis ihres Erfolges. Zugleich eine Antwort und Ergänzung zu Sombarts Buch „Die Juden und das Wirtschaftsleben“, Steglitz 1913. Simon Kuznets, Economic Structure and Life of the Jews, in: Louis Finkelstein (Hrsg.), The Jews: Their History, Culture and Religion, New York 1960, S. 1597–1666. Friedrich Lenger, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 1994. Paul R. Mendes-Flohr, Werner Sombart`s The Jews and Modern Capitalism: An Analysis of its Ideological Premises, in: Leo Baeck Yearbook 21 (1976), S. 87–107. Arthur Mitzman, Sociology and Estrangement: Three Sociologists of Imperial Germany, New York 1973. Karl-Siegbert Rehberg, Das Bild des Judentums in der frühen deutschen Soziologie. ‚Fremdheit’ und ‚Rationalität’ als Typusmerkmale bei Werner Sombart, Max Weber und Georg Simmel, in: Carsten Klingemann (Hrsg.), Rassenmythos und Sozialwissenschaft in Deutschland, Opladen 1987, S. 80–127.

Juden werden „Schweizer“ (Alfred Zander, 1935) Das unter seinem Pseudonym „Arnold Ambrunnen“ von Alfred Zander (1905–1997) verfasste Pamphlet „Juden werden ‚Schweizer’. Dokumente zur Judenfrage in der Schweiz seit 1798“ erschien 1935 im Zürcher Verlag Eidgenössische Schriften, der frontistische Literatur vertrieb. Mit ihrem Fokus auf die Zeit von der Helvetik (1798– 1803) bis in die Anfangsjahrzehnte des 20. Jahrhunderts schloss die Broschüre im Umfang von 64 Seiten zeitlich an die ebenfalls 1935 von Zander verfasste Schrift „Dokumente zur Judenfrage in der Schweiz“ an. Der Pädagoge Zander war in den 1930er und 1940er Jahren einer der zentralen Exponenten der rechtsextremen Fronten in der Schweiz. Er gehörte zu deren radikalem Flügel, der sich offen an den deutschen Nationalsozialismus anlehnte. Als Redakeur

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des radikalantisemitischen → „Eisernen Besens“ und als Mitglied der Landesleitung bekleidete er in der Anfangszeit zentrale Positionen in der Nationalen Front, der größten und wichtigsten Frontenorganisation der Schweiz, aus der er 1934 kurzzeitig ausgeschlossen wurde. Nach der Trennung von der Nationalen Front gründete er im März 1938 den Bund Treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung, als dessen „Führer“ er 1938–1940 amtierte und dessen Kampfblatt „Schweizerdegen“ er redigierte. Als Verfasser zahlreicher antisemitischer und antifreimaurerischer Zeitungsartikel und Schriften sowie als Propagandaredner besaß Zander eine große Bedeutung für den gesamten Frontismus. Nach einer Haftstrafe wegen Spionage setzte er sich 1941 nach Deutschland ab, wo er sich der Waffen-SS anschloss. Er wurde in der Folge ausgebürgert und nach dem Krieg in Abwesenheit als Landesverräter zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. „Juden werden ‚Schweizer’“ stellt eine Collage judenfeindlicher Dokumente und Aussagen aus der Schweizer Geschichte dar, die teilweise durch Bemerkungen und Einführungen des Autors ergänzt und in frontistischem Sinne ausgelegt werden. In chronologischer Abfolge will Zander in den ersten zehn Kapiteln zeigen, wie der Gedanke der Gleichberechtigung der Juden in der Schweizer Bevölkerung auf großen Widerstand stieß und zu zahlreichen antijüdischen amtlichen Regelungen und Volksbewegungen führte. Dass Zander die Juden – gemäß der Doktrin des Frontismus – nicht als Schweizer ansah, beweist nicht zuletzt die Verwendung von Anführungszeichen für den Begriff „Schweizer“ im Titel des Pamphlets. In seiner Darstellung thematisiert er insbesondere die Diskussionen während und nach der Helvetik und die Debatte um die Gleichberechtigung der Juden im Kanton Aargau zu Beginn der 1860er Jahre. In den abschließenden drei Kapiteln gibt der Autor, losgelöst vom bis dahin gewählten chronologischen Aufbau, antisemitische Äußerungen von Heinrich Pestalozzi, Albert Maria Weiß, Jacob Burckhardt und Frédéric Godet wieder, die die von ihm gezogenen Schlüsse bestätigen sollten. Aus dem Pamphlet lassen sich drei Hauptargumentationslinien Zanders herausarbeiten, die vor dem Hintergrund der Ideologie des Frontismus und dessen Situation in der schweizerischen Gesellschaft zu betrachten sind. Erstens sei die Emanzipation der Juden den Schweizern von ausländischen Mächten – sprich Frankreich – aufgezwungen worden, sei dies 1798 bei der Errichtung der Helvetik oder bei der endgültigen Gleichberechtigung in den Jahren 1866/74. Das Schweizer Volk hätte von sich aus nie einer solchen Maßnahme zugestimmt. Die Frankophobie Zanders war gepaart mit antisemitischen Weltverschwörungsfantasien, stand für ihn letztendlich doch das Judentum hinter der in seinen Augen erzwungenen Emanzipation der Schweizer Juden. Eine zentrale Rolle maß er hierbei der Alliance Israélite Universelle und der Freimaurerei bei, die über „Hilfstruppen“ in der „Festung“ Schweiz verfügt hätten. Zweitens konstruierte Zander in typisch frontistischer Manier eine Kluft zwischen Volk und politischer Elite. Während das Volk noch über einen natürlichen Abwehrinstinkt gegen die Juden verfügt habe, hätte die fremdgesteuerte Regierung die Emanzipation der Juden nicht verhindert. Drittens, und dies ist die eigentliche Intention hinter Zanders Schrift, wird eine antisemitische Einstellung als genuin schweizerisch dargestellt. Dem Autor ging es darum, die antisemitische Weltanschauung des Frontismus zu rechtfertigen, da sich dieser einer zunehmenden Ablehnung durch die schweizerische Öffentlichkeit

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Judenflinten-Broschüre (Hermann Ahlwardt, 1892)

gegenüber sah. Im Zuge des nationalen Masterdiskurses der „Geistigen Landesverteidigung“ wurden die Fronten zunehmend als „fremdes“, „unschweizerisches“ Gebilde apostrophiert und mittels einer vordergründigen Tabuisierung des Antisemitismus auch dieser als „ausländische Importware“ dargestellt. Zander bezweckte folglich mit der Auflistung judenfeindlicher Beschlüsse und Stellungnahmen aus der Geschichte der Schweiz, den Vorwurf zu entkräften, Antisemitismus sei eine „unschweizerische“ Einstellung: „Heute will man den Gutgläubigen ansuggerieren, die Judenabwehr sei etwas durch und durch ‚unschweizerisches’, der Antisemitismus sei ein bloßer geistiger ‚Import’ aus ‚Nazideutschland’! Tausende glauben dieser Geschichtslüge und merken nicht, dass sie schon längst keine freien Eidgenossen mehr sind, sondern nur Puppen im jüdischen Welttheater.“

Thomas Metzger

Literatur Beat Glaus, Die Nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung 1930–1940, Zürich u. a. 1969. Martin Näf, Alfred Zander 1905–1997. Pädagoge, Frontist, Landesverräter, in: Traverse 10 (2003), 3, S. 144–159. Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz, 1930–1945, Zürich 1969. Klaus-Dieter Zöberlein, Die Anfänge des deutsch-schweizerischen Frontismus. Die Entwicklung der politischen Vereinigungen Neue Front und Nationale Front bis zu ihrem Zusammenschluss im Frühjahr 1933, Meisenheim am Glan 1970.

Judenflinten → Judenflinten-Broschüre

Judenflinten-Broschüre (Hermann Ahlwardt, 1892) Der 1890 wegen Unterschlagung aus dem Dienst entlassene Volksschulrektor Hermann Ahlwardt hatte sich bereits durch Sensationsgeschichten (u. a. „Der Verzweiflungskampf der Arischen Völker mit den Juden“, 3 Bände 1890–1892; „Die Prozesse Manché und Bleichröder“, 1891) einen Namen als antisemitischer Autor gemacht. Aufsehen in ganz Deutschland und auch im Ausland erregte jedoch erst die in zwei Teilen erschienene „Judenflinten-Broschüre“. Aufgrund von Berichten über angebliche Ungenauigkeiten bei der Berliner Gewehrfabrik Ludwig Loewe begann Ahlwardt mit Recherchen und befragte Arbeiter der Fabrik. Die Ergebnisse dieser suggestiv vorgenommenen Nachforschungen fasste er im Stil einer journalistischen Sensationsgeschichte zusammen. Offensichtlich glaubte er, damit die staatlichen Behörden zum Einschreiten bewegen zu können und nutzte dafür seine Bekanntschaft zu dem konservativen Reichstagsabgeordneten Friedrich Ernst Freiherr von Langen. Der Berliner Polizeipräsident, Bernhard Freiherr von Richthofen, lehnte die Aufnahme von Ermittlungen jedoch ab. Danach wurde Langen beim Preußischen Kriegsministerium vorstellig, das eine Untersuchung der Vorwürfe zusagte. Ohne das Ergebnis möglicher Ermittlungen abzuwarten, entschloss sich Ahlwardt Anfang April 1892 zur Publikation der Broschüre „Neue Enthüllungen. Judenflinten“ bei dem für seine antisemitischen Schriften bekannten Dresdner Verlag Glöß (→ Glöß-Verlag). Die in emotiona-

Judenflinten-Broschüre (Hermann Ahlwardt, 1892)

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lem Stil verfasste Broschüre erlebte 33 Auflagen und wurde über 100.000 Mal verkauft. Die Schrift beginnt mit einer Zusammenfassung und Bewertung des angeblich aufgedeckten Skandals. Deutschland habe zwar seine äußeren Feinde in offenem Kampf besiegt und die Reichseinigung herbeigeführt, werde nun aber von einem mit allen Mitteln der List und Täuschung arbeitenden Feind, dem „internationalen Judentum“ in unsichtbare Fesseln gelegt. Da trotz aller „Zersetzungsarbeit“ von Deutschland immer noch die größte Gefahr für die angestrebte jüdische Weltherrschaft ausgehe, hätten die Juden einen neuen Plan ersonnen. Von der Berliner Waffenfabrik Ludwig Loewe seien 425.000 schadhafte Gewehre hergestellt und an die deutsche Armee ausgeliefert worden, die diese im Falle eines Krieges gegen die in die von der Alliance Israélite Universelle in Paris gesteuerten Verschwörung eingebundenen Länder Frankreich und Russland wehrlos machen würden. Da die kriegerische Bewegung – wie Ahlwardt sie nannte – gegen das „Judentum“ nicht von den zögerlichen Fürsten angeführt werde, richte sich diese Schrift an das Volk, das allein noch die Rettung bringen könne. Noch schlimmer als die Juden selbst seien jedoch jene christlichen Deutschen, die sich von ihnen korrumpieren ließen. Gemeint waren damit vor allem die Liberalen und Sozialdemokraten, aber auch die Konservativen, die teilweise ebenfalls den Juden auf den Leim gingen, genauso wie manche arglose Armeeoffiziere. Danach beschrieb Ahlwardt detailliert, mit welchen Täuschungsmanövern es dem Fabrikbesitzer Isidor Loewe und seinem christlichen Waffeninspektor Kühne – der durch das Namensspiel „Kohn“ ebenfalls in diffamierender Absicht als Jude gekennzeichnet wurde – angeblich gelang, die Waffenkontrolleure, sämtlich Offiziere, zu hintergehen. Als Beleg für seine Behauptungen druckte Ahlwardt einige „eidesstattliche Aussagen“ von Loewe-Arbeitern ab. In dem wenige Wochen später ebenfalls im Verlag Glöß erschienenen zweiten und mit knapp 70 Seiten sehr viel ausführlicheren Teil der Schrift unter dem Titel „Judenflinten, II. Theil“ druckte Ahlwardt einige weitere „eidesstattliche Erklärungen“ und unterstützende Briefe an ihn ab, breitete im Wesentlichen jedoch seine antisemitische Verschwörungstheorie aus. Seine ohne direkten Zusammenhang mit den „Judenflinten“ auskommende Argumentation war durch eine argumentative Zwickmühle gekennzeichnet. Einerseits griff er die staatlichen Behörden, die Justiz sowie den Adel als „verjudet“ an und appellierte an „das Volk“, das allein noch die Rettung bringen könne, andererseits betonte er immer wieder seine streng konservativ-monarchische Gesinnung. Auch musste er sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, durch seine „Enthüllungen“ dem Ansehen der deutschen Armee geschadet zu haben, indem er das Vertrauen der Soldaten in ihre Waffen untergraben habe. Inhaltlich sind die Vorwürfe gegen die Gewehrfabrik Löwe völlig haltlos gewesen. Ende Mai 1892 dementierte der preußische Kriegsminister Georg von Kaltenborn offiziell die Vorwürfe Ahlwardts. Weitere Folgen der „Judenflinten-Broschüre“ waren ein breites Presseecho sowie zahlreiche Publikationen, in denen sich Gegner und Befürworter Ahlwardts eine erregte Debatte lieferten. Aufgrund der Unhaltbarkeit seiner Vorwürfe und des beleidigenden Inhalts der beiden Schriften wurde Ahlwardt angeklagt und nach einigen Verzögerungen schließlich verurteilt.

Christoph Jahr

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Die Judenfrage (Bruno Bauer, 1843)

Literatur Christoph Jahr, Ahlwardt on Trial: Reactions to the Antisemitic Agitation of the 1890s in Germany, in: Leo Baeck-Institute Year Book 48 (2003), S. 67–85.

Die Judenfrage (Bruno Bauer, 1843) Bruno Bauer (1809–1882) war ein deutscher Theologe, Philosoph und politischer Publizist, der Theologen als Bibelexeget, Marxforschern hingegen als Gründungsmitglied des Kreises der Junghegelianer noch in historischer Erinnerung ist. Historisch wichtiger sind jedoch Bauers Schriften über die Juden. Bauer wuchs zunächst im ostthüringischen Eisenach, ab 1815 in Berlin auf, wo er ab 1829 an der dortigen Universität Theologie studierte. 1834 wurde er zum Dr. theol. promoviert und gleichzeitig zur Habilitation zugelassen. Doch weder in Berlin noch ab 1839 in Bonn gelang dem Privatdozenten eine dauerhafte akademische Karriere. In Bonn wurde jedoch Karl Marx sein Hörer, mit dem er auch im Kreis der Junghegelianer verbunden war. 1841 wurde Bauer die Lehrberechtigung entzogen, nachdem er geschrieben hatte, die Evangelien seien bloßer Ausfluss eines religiösen Bewusstseins und keineswegs historisch irgendwie begründet oder verbürgt. Zunächst erwartete Bauer von den Juden die Taufe als Gegenleistung für die staatsbürgerliche Gleichberechtigung. 1842 veröffentlichte er in den „Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst“ einen Aufsatz mit dem Titel „Die Juden-Frage“, der 1843 in Braunschweig als „Die Judenfrage“ in Broschürenform erschien. Darin suchte Bauer zu beweisen, dass die Juden als Gruppe nicht „verbessert“, also durch rechtliche Gleichstellung zur Integration erzogen werden könnten, da auch aufgeklärte Juden an ihrem traditionellen religiösen Anspruch des exklusiven Auserwähltseins festhielten. Deshalb würden auch sie laut Bauer nach Alleinherrschaft streben und damit letztlich einen Krieg gegen die Menschheit führen. Die Juden könnten sich nur durch Aufgabe ihres Judentums zugunsten eines allgemeinen Menschentums in die bürgerliche Gesellschaft integrieren. Laut Bauer sei es jedoch sinnlos, die politische Emanzipation für die Juden in einem christlichen Staat zu fordern. Es sei sowohl für die Christen als auch für die Juden zunächst notwendig, ihren Glauben und ihre religiöse Identität aufzugeben, um eine wirkliche Emanzipation zu erlangen. In einem wahrhaft demokratischen Staat gebe es kein Bedürfnis nach religiöser Ideologie. Aus der Sicht der Linkshegelianer war das Christentum die letzte religiöse Hülle, in der sich der Kampf für die Emanzipation des Menschen historisch ausgedrückt hat. Folglich müssten die Juden dabei weitergehen als die Christen: Da sie die universalistische Botschaft des Christentums ablehnen, müssten sie zwei Schritte tun, während die Christen nur einen machen müssten. „Der Christ und der Jude müssten mit ihrem ganzen Wesen brechen: aber dieser Bruch liegt dem Christen näher, da er aus der Entwicklung seines bisherigen Wesens unmittelbar als seine Aufgabe hervorgeht .“ Als Antwort auf Bauer schrieb Marx → „Zur Judenfrage“ und betonte, der Kampf um die Herbeiführung demokratischer Verhältnisse verlange weder von Juden noch von Christen, ihre Religion aufzugeben.

Die Judenfrage (Gerhard Kittel, 1933)

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Nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848/1849 rückte Bauer als Mitarbeiter der „Neuen Preußischen Zeitung“ (→ Kreuzzeitung) nach rechts. In dem vom Kreuzzeitungs-Gründer Hermann Wagener herausgegebenen → „Staats- und Gesellschaftslexikon“ schrieb er die entsprechenden Artikel über die Juden. Sie widerspiegeln am Beispiel Bauers die Umformung der religiös grundierten Judenfeindschaft zum modernen Antisemitismus, der gleichwohl viele vormoderne Elemente enthielt und auf Rassenmystik setzte. Schließlich wurde Bauer wichtigster Autor der „Internationalen Monatsschrift“, einer im Chemnitzer Schmeitzner-Verlag (→ Ernst Schmeitzner Verlag) publizierten antijüdischen Hetzpostille, deren Rechte 1885 Theodor Fritsch übernahm, der spätere Verfasser des antisemitischen → „Handbuchs der Judenfrage“.

Mario Keßler

Literatur Hermann-Peter Eberlein, Bruno Bauer. Vom Marx-Freund zum Antisemiten, Berlin 2009. Douglas Moggach, Philosophie und Politik bei Bruno Bauer, Frankfurt am Main 2009. Zvi H. Rosen, Bruno Bauer and Karl Marx, Den Haag 1977.

Die Judenfrage (Gerhard Kittel, 1933) Die Schrift des Tübinger Neutestamentlers Gerhard Kittel „Die Judenfrage“, hervorgegangen aus einem Universitätsvortrag vom 1. Juni 1933 und kurz darauf erweitert als Buch erschienen, dürfte als eine der einflussreichsten protestantischen Stellungnahmen zu diesem Thema in der Zeit des Dritten Reiches gelten. Als Herausgeber des „Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament“ und international renommierter Erforscher des antiken Judentums gehörte Gerhard Kittel (1888–1948) zu den führenden deutschen Universitätstheologen seiner Zeit. Er war 1926 als Nachfolger Adolf Schlatters nach Tübingen berufen worden. Kittel schloss sich 1933 der NSDAP und der kirchlichen Massenbewegung der Deutschen Christen (DC) an. Seinen Vortrag hielt er im Rahmen einer von der evangelisch-theologischen Fachschaft organisierten Deutsche Christen-Vortragsreihe, in der neben ihm der Eugeniker Bernhard Bavink über „Eugenik und Weltanschauung“ und der völkische Publizist Wilhelm Stapel über „Gottes Reich und Drittes Reich“ sprachen. Kittel führt eingangs aus, er wolle prüfen, ob die nationalsozialistische Judenpolitik und Judengesetzgebung unter ethischen und christlichen Gesichtspunkten zu rechtfertigen sei. Zielsetzung sei für ihn, den Kampf gegen das Judentum – an dessen Notwendigkeit er in seiner Schrift nicht den geringsten Zweifel aufkommen lässt – religiös zu untermauern und ihm eine christliche Sinndeutung zu geben. Vielfache Äußerungen zur „Judenfrage“ und die antisemitische Bewegung seien bislang zu stark von Gefühlen bestimmt worden. Auszugehen sei nach Kittel von zwei Grundtatsachen: dem Untergang des alten israelitisch-jüdischen Staates mit der Folge der „Zerstreuung“ sowie, zweitens, von der seit dem 18. Jahrhundert einsetzenden Judenemanzipation durch sukzessive rechtliche Gleichstellung und Assimilation. Kittel diskutiert vier Lösungsmöglichkeiten der „Judenfrage“: 1.) Man könne die Juden ausrotten: eine Variante, die er verwirft; 2.) die jüdische Nationalbewegung des Zionismus mit dem Ziel

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einer jüdischen Staatsgründung: insgesamt in seinen Augen ein fragwürdiges Projekt, dem er geringe Realisierungschancen zubilligt; 3.) die Assimilation, wie sie im 19. Jahrhundert in Europa großteils erfolgt sei: diese führe jedoch zu schlimmen Erscheinungen der „Dekadenz“ und sei daher strikt abzulehnen bzw. wieder rückgängig zu machen; 4.) die Behandlung der Juden als „Gastvolk“, das unter einem eingeschränkten Sonderrecht stehen müsse: eine Option, die Kittel favorisiert. Den größten Teil seiner Ausführungen nehmen Kittels Betrachtungen und Klagen über die angeblich verderblichen Folgen der jüdischen Assimilation ein. Er lässt dabei kaum eines der bekannten antisemitischen Klischees aus. In der tief eingerissenen „Blut- und Rassenmischung“ und deren Folgen sieht er das eigentliche und durch harte deutsch-völkische Politik zu behebende Übel in der „Judenfrage“. Kittel zitiert mehrfach zustimmend aus Hitlers → „Mein Kampf“, wenn er von echten und gesunden „Instinkten des Volkes“ spricht, und er beklagt zugleich das Versagen der deutschen geistigen Eliten in der Vergangenheit. Es müsse „Sinn unseres antisemitischen Kampfes“ sein, Juden wieder unter ein strenges Fremdenrecht zu stellen. Ihre überproportionale Präsenz in der Beamtenschaft, Presse, Literatur, an den Universitäten, bei freien Berufen müsse wieder zurückgeführt werden. Kittel hebt lobend seine eigene Tübinger Universität hervor: Sie sei schon zum jetzigen Zeitpunkt gänzlich frei von jüdischen Lehrern. In Assimilation und Zionismus erkenne er als Christ – ganz in Übereinstimmung mit Vertretern der jüdischen Orthodoxie – ungehorsames, gegen Gott sich auflehnendes Judentum. Auch der Christ, so betont der Tübinger Theologe abschließend, habe seinen Platz an der Front dieses Kampfes. Als gläubiger Christ meine er sagen zu können: Die Erfüllung des Judentums liege in der Anerkennung Jesu von Nazareth als Erlöser auch der Juden, als der Christus. Durch vielfaches und leichtfertiges Taufen der Juden habe die christliche Kirche seit über einem Jahrhundert schwere Schuld auf sich geladen. Zu Recht stellten nun die Deutschen Christen die Frage, welche Stellung der evangelische „Nichtarier“ in der künftigen deutschen Kirche haben solle. Kittel spricht sich für die Mission an Juden aus. Aber die Taufe berühre nicht deren „Judesein“. Ein konvertierter Jude werde durch den Übertritt nicht Deutscher, sondern „Judenchrist“. Diese sollten nicht befugt sein, Pfarrer oder Kirchenälteste in einer deutschen Kirchengemeinde zu werden. Das zukünftige Ziel für diese Gruppe müsse eine gesonderte judenchristliche Kirche sein. Die Juden, so schließt Kittel, waren einmal das Volk Gottes – sie seien es nun nicht mehr. Weil sie Jesus kreuzigten, seien sie heimatlos geworden. Kittels Schrift ist zweifellos als ein kräftiges Statement eines weit verbreiteten christlichen Antijudaismus im Dritten Reich zu werten. Wiederholt betont er als theologischer Experte, dass das Neue Testament das „antijüdischste Buch der ganzen Welt“ sei. Das ist für Kittel sowohl christliche Glaubenstatsache, zugleich aber auch einzige theologisch korrekte Lesart der Heiligen Schrift. Aber sein Statement von 1933 geht darüber hinaus: Der gläubige Christ und Theologieprofessor reiht sich ein in den völkisch-nationalsozialistischen Kampf gegen die Emanzipation der Juden, deren rechtliche Gleichstellung und Assimilation. Einen (biologischen) Rassenbegriff verwendet er eher zurückhaltend und sparsam. Gleichwohl sieht er eine unheilvolle „Blut- und Rassenmischung“ seit der Aufklärung am Werk, ein „Gift“, das die „Zer-

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setzung“ des deutschen Volkes bewirkt habe und nur durch entschieden völkische Politik wieder korrigiert werden könne: Assimilierte sollten wieder Juden werden, nur „Deutschblütige“ könnten als deutsche Staatsbürger gelten. Der gläubige Christ Kittel sieht in dieser bevölkerungspolitischen Umkehr einen Weg zur Gesundung, letztlich zur Erhaltung der postulierten Schöpfungsordnung – einen notwendigen Kampf, zu dem er als evangelischer Christ und Theologe mit seinen Mitteln einen Beitrag zu liefern sich berufen fühlte.

Manfred Gailus

Literatur Robert P. Ericksen, Theologen unter Hitler. Das Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus, München 1986. Anders Gerdmar, Roots of theological anti-Semitism. German biblical interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann, Leiden 2009. Horst Junginger, Die Verwissenschaftlichung der „Judenfrage“ im Nationalsozialismus, Darmstadt 2011.

Die Judenfrage (Ernst Dobers, 1936) Die Schrift „Die Judenfrage. Stoff und Behandlung in der Schule“ von Ernst Dobers (1892–1945) wurde 1936 als 9. Heft in der Reihe „Neuland in der Deutschen Schule: Beiträge zur praktischen Volksschularbeit“ im Verlag Julius Klinkhardt herausgegeben. Die Reihe „Neuland in der deutschen Schule“ (15 Hefte/1936–1943) war vom Verlag Julius Klinkhardt vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Ideologie ebenso neu gegründet worden wie die Reihe „Völkisches Lehrgut: Schriftenreihe zur Neugestaltung des Volksschulunterrichts“ (15 Hefte/1934–1943). Ernst Dobers – zunächst Studien- und Oberstudienrat (Biologie, Mathematik, Physik), seit 1930 Professor für Biologie an der Pädagogischen Akademie Stettin, seit 1933 Professor für Vererbungslehre und Rassenkunde an der Hochschule für Lehrerbildung Elbing, 1942 Habilitation an der Universität Königsberg über „Westpreußische Nehrungsfischer“, Mitglied im NS-Lehrerbund und in der NSDAP sowie Funktionär im NS-Dozentenbund und in der HJ – veröffentlichte in beiden Reihen, deren pädagogischer Anspruch bereits im jeweiligen Reihentitel programmatisch angezeigt wird. Dass beide Reihen auf große Resonanz stießen, belegen die Neuauflagen einzelner Hefte. Während Dobers’ Schrift „Rassenkunde. Forderung und Dienst“ in der Reihe „Völkisches Lehrgut“ (1936) noch zweimal (1939/1942) aufgelegt wurde, erreichte sein in der Reihe „Neuland in der deutschen Schule“ erstmals 1936 erschienenes Heft zur „Judenfrage“ drei weitere Auflagen (1938, 1939 und 1941). Der Erfolg dieser Schrift weist auch darauf hin, dass einige der wichtigsten Bücher zur „Judenfrage“ für den Schulunterricht von Biologiedidaktikern wie Dobers verfasst worden sind. Dobers hat auch thematisch einschlägige Aufsätze zur „Judenfrage“ in verschiedenen Lehrerzeitungen und -zeitschriften verfasst wie „Grundsätzliches zur Behandlung der Judenfrage in der Volksschule“ (→ Die Deutsche Schule, 41/1937), in denen er die Behandlung der „Judenfrage“ in der ganzen Breite des Schulunterrichts forderte. In seiner Publikation „Die Judenfrage“, die laut Entscheidung vom 10. Juni 1937 in die „NS-Bibliographie“ aufgenommen wurde, bietet Dobers eine Fülle an Stoff sowie

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Anmerkungen zur Methode und damit auch zu Unterricht und Erziehung des Lehrers. Dass die „Judenfrage“ im Unterricht zu behandeln sei, setzt er vor dem Hintergrund des „dramatisch zugespitzten Rassenkampfes“ als selbstverständlich voraus. Die Darbietung des Stoffes ist von der Intention bestimmt, der deutschen Jugend „klare Erkenntnisse über den Juden“ zu vermitteln und diese dadurch über den „zersetzenden Geist der jüdisch bolschewistischen Verseuchung der Völker“ aufzuklären. Die „Judenfrage“ sollte in der Regel nicht als „eine besondere Lehreinheit“ im Unterricht behandelt, sondern aufgrund ihrer „engen Verflechtung mit allen nationalpolitischen und geschichtlichen Gedankengängen“ wiederholt problematisiert und unter Bezugnahme auf tagesaktuelle Ereignisse sowie entsprechendes Material der NS-Presse thematisiert werden. Neben dem → „Völkischen Beobachter“ empfiehlt Dobers als Lehrmittel den → „Stürmer“ – trotz des „rauhen Tones“ und partieller Bedenken. Als „scharfe und wirksame Waffe für die entscheidungsschwere Auseinandersetzung mit dem Weltjudentum“ gereiche der „Stürmer“ zum Vorbild für eine leidenschaftliche, einsatzbereite und kompromisslose Kampfeshaltung, die der Lehrer in seiner Erziehung der Schüler erzielen sollte. Mit seinen pädagogischen Erwägungen, die einen aktuellen Bezug auf tagespolitische Ereignisse als wirksamer einstufen als eine „schablonenhafte ‚Durchnahme’ der Judenfrage“ und ihre „lehrplanmäßige“ Erledigung, schließt Dobers an seine grundsätzlichen Überlegungen an, dass die „Judenfrage“ niemals zu erledigen sei. Diese Erwägung ist für ihn wiederum Anlass, in der dritten Auflage seiner Schrift das abschließende Kapitel zur Methode um den Hinweis zu ergänzen, dass es vor dem Hintergrund „sittlicher Entartung“ auch „einen Juden in uns selbst“ gäbe, dessen Bekämpfung und Vernichtung „die schwerste, aber deshalb auch entscheidend wichtige Aufgabe jeder Erziehung im Zeichen des Nationalsozialismus“ sei. Dobers bietet eine Fülle an Stoff zum „Gesetz und Schicksal der Arteigenheit“ des „tapferen nordischen Menschen“ als „Leistungsmensch“ einerseits und des „feigen Juden“ als „Schmarotzer“ und „Zerstörer“ andererseits, zur Geschichte der Juden, zum „großen Kampf“ der Juden und der damit einhergehenden „Verjudung“ der deutschen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, zum „jüdischen Großangriff gegen Deutschland im Weltkrieg und in der Novemberrevolte“ sowie zur „Zeitenwende“, in der sich das deutsche Volk aus den „jüdischen Verstrickungen“ löse. Indem Dobers in seinem Ausblick nicht nur betont, wie tief das deutsche Volk unter die „Judenherrschaft“ habe geraten können, sondern auch auf die „unerschütterte Machtposition des internationalen Judentums“ verweist, stellt er erneut die Virulenz der „Judenfrage“ heraus. Dobers reichert seine Ausführungen jeweils durch Zahlenmaterial und Verweise auf andere Autoren an, deren – allerdings aus dem Kontext gelöste – Zitate seine Annahmen sachlich flankieren sollen. Die weiteren Auflagen erfahren jeweils stoffliche Ergänzungen sowie eine Aktualisierung der Zahlenangaben nach dem jeweils neuesten Stand. Dobers’ Ausführungen sind auch in seiner Schrift „Die Judenfrage“ von einem Rassenantisemitismus bestimmt, dessen Argumentationslogik auf die Vernichtung der Juden zielte. Dabei sind seine Explikationen davon geleitet, das Verhältnis von Tätern und Opfern umzukehren. Dass die Juden in der Geschichte und vor dem Hintergrund des aktuell notwendigen „Rassenkampfes“ als Opfer dargestellt werden, sucht Dobers

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als dezidierte „Lügen“ zu entlarven, während er ihr vermeintliches Täter- und Verbrecherprofil darzustellen trachtet. Die vordergründig betont sachlich vorgetragenen methodischen Überlegungen Dobers’, die sich gegen „Schmähungen“ und „Haßgesänge“ und für die Darbietung überlegenen und sicheren Wissens in der unterrichtlichen Vermittlung der „Judenfrage“ aussprechen, werden durch seine antisemitischen Invektiven in der stofflichen Darbietung konterkariert.

Matthias Blum

Literatur Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Bio-bibliographisches Handbuch, Berlin 2006. Jörg-W. Link, Publizieren im Erziehungsstaat. Der Verlag Julius Klinkhardt im Nationalsozialismus im Spiegel seiner Publikationen, in: Uwe Sandfuchs, Jörg-W. Link, Andreas Klinkhardt (Hrsg.), Verlag Julius Klinkhardt 1834–2009. Verlegerisches Handeln zwischen Pädagogik, Politik und Ökonomie, Bad Heilbrunn 2009, S. 109–140. Matthias Schwerendt, „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, und keinem Jud bei seinem Eid“: Antisemitismus in nationalsozialistischen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien, Berlin 2009. Gregory Paul Wegner, Anti-semitism and schooling under the Third Reich, New York 2002.

Die Judenfrage (Andreas Amsee, 1939) Anfang 1939 erschien im Luzerner Verlag Räber & Cie „mit Druckerlaubnis des bischöflichen Ordinariats Basel“ die Broschüre „Die Judenfrage“, herausgegeben „im Auftrag des Apologetischen Instituts des Schweizerischen Katholischen Volksvereins“. Als Autor zeichnete „Andreas Amsee“, dahinter verbarg sich der Jesuit Mario von Galli (1904–1987), später bekannt für seine Berichterstattung über das Zweite Vatikanum. Den Verlagsvertrag unterzeichnete jedoch Richard Gutzwiller, Leiter des Apologetischen Instituts. Von Galli hatte aus dem nationalsozialistischen Deutschen Reich fliehen müssen und arbeitete seit 1936 für das Institut. Die Schrift beansprucht „weltanschaulichen Charakter“, stellt aber – Monate nach dem Scheitern der Flüchtlingskonferenz von Evian und den Novemberpogromen – auch die tagespolitische Frage, ob Katholiken den verfolgten Juden Schutz und Asyl geben sollen oder nicht. Sie stellte zwei Positionen einander gegenüber: einerseits „die pazifistischen Kreise und die religiösen Sozialisten“, die, gestützt „auf dem Grundsatz der Menschlichkeit und der Nächstenliebe“, die Juden „gastlich in unserem Land“ aufnehmen wollen. Andererseits berufe sich auch die „Gegenseite“ auf „die Grundsätze des Christentums“, sie verweise auf den Fluch, „den die Juden auf sich herabriefen, als das Volk schrie: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder’“. Als Antwort skizziert die Schrift einen „christlichen Standpunkt“, wonach die Juden ihrem Schicksal ausgesetzt bleiben sollten. Ein Staat sei „berechtigt“, dem „schädigendem Einfluss einen Damm entgegenzusetzen“, zur „eigenen Selbstverteidigung“. Und dies alles in Gottes Namen: „Er, Gott, will den Juden als ewigen Juden.“ In den Erwägungen skizziert die Schrift zuerst die „falschen Lösungsversuche“ der „Judenfrage“, nämlich „der Jude“ als „Klasse“, als „Rasse“, als „Nation“ und als „Verfluchter“. Anschließend billigt sie den Juden zwar zu, dass sie auch Menschen

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seien, lehnt aber die Forderung der Französischen Revolution nach der Gleichheit vor dem Gesetz ab. Sie kritisiert – teils mit markanten Worten – die nationalsozialistischen Judenverfolgungen, doch sie verbreitet viele bekannte Judenbilder: Todfeindschaft und Hass der Juden auf Christen, die Unverbesserlichkeit der Juden. Sie behauptet, dass nach der Emanzipation „der Jude vielfach an die Spitze des Großkapitals“ getreten sei, auch seien „ihm Bewegungen, wie der Sozialismus oder Kommunismus, überhaupt die gesichtslosen Internationalismen“ sehr sympathisch. „Der Jude“ sei „ein Schädling der Völker“ geworden, selbst die „Bekehrung durch das Taufwasser [vermöge] diese Eigenschaften nicht sogleich auszulöschen“. Die Schrift ist damit nahe jener biologistisch-rassistischen Position, die sie eben noch kritisierte. Sie äußert weiter Verständnis für vergangene Judenverfolgungen, den Juden sei auch bei Justinian ein „beschränktes, so doch vollauf menschenwürdiges Dasein geblieben“. Und bei den großen Wellen der Judenverfolgung „im 6. Jahrhundert“, in Südfrankreich, im Frankenreich, dann auch in Spanien sei „der Grund die Gefährdung der Religion und der Staatseinheit“ gewesen. Die Schrift zitiert ausführlich den Reformator Martin Luther und stellt dann fest: „So scharfes Vorgehen hat die offizielle katholische Kirche niemals befürwortet.“ Aber es sei ersichtlich, „dass auch Martin Luther jedes eigene disziplinlose Handeln der Straße verbietet und nur der Obrigkeit die Regelung der Judenfrage übergibt“. Luther wolle „den Juden“ nicht aus rassenpolitischen Gründen verfolgen, „sondern einzig um ihrer Feindschaft willen gegen das Christentum“. Es sei äußerst oberflächlich, „wenn heutige Antisemiten, die ganz auf dem Boden des Rassenmythos stehen, immer wieder Martin Luther als ihren Vorläufer zitieren“. Bei ihrem Erscheinen im Februar 1939 erfuhr die Schrift wohlwollende Aufnahme bei den Schweizer Katholisch-Konservativen, mit Ausnahme der kleinen linkskatholischen Zeitschrift „Entscheidung“. Die Schweizer Geschichtsschreibung hat sich erst spät mit dem Antisemitismus der Schweizer Katholisch-Konservativen und mit diesem „für den katholischen Antisemitismus typischen Buch“ (Urs Altermatt) auseinandergesetzt. Noch Mitte der 1990er Jahre schrieb der Historiker Patrick Bernold, dass keine „biografischen Angaben zum Verfasser Andreas Amsee“ bekannt seien. Unbeachtet blieb eine Zeitlang, dass Gallis apologetischer Biograph Alois Schifferle das Pseudonym gelüftet hatte. Schifferle argumentiert widersprüchlich. Zuerst erklärt er, die Schrift ergreife „Partei“ und verurteile den Antisemitismus, wenn sie auch „mit einigen Vorbehalten gegenüber den jüdischen Zeitgenossen“ belastet sei. Später würdigt er von Galli als „Kind seiner Zeit“, der „Gedankengut des Nazismus“ übernommen habe und auch mit „dem Rassegedanken“ argumentiert habe.

Hans Stutz

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenten, Frauenfeld 1999. Patrick Bernold, Der schweizerische Episkopat und die Bedrohung der Demokratie 1919– 1939. Die Stellungsnahme der Bischöfe zum modernen Bundesstaat und ihre Auseinandersetzung mit Kommunismus, Sozialismus, Faschismus und Nationalsozialismus, Bern 1995. Alois Schifferle, Mario von Galli. Eine prophetische Existenz, Freiburg 1994.

Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (Eugen Dühring, 1881)

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Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (Eugen Dühring, 1881) Eugen Dühring (1833–1921) hatte mit seinen rassenantisemitischen Schriften erheblichen Einfluss auf den radikalen Flügel der antisemitischen Bewegung, etwa auf Theodor Fritsch, der lange Passagen aus Dührings Werk im → „Handbuch der Judenfrage“ abdruckte. Er selbst betrachtete sich als Begründer des Antisemitismus, blieb aber ein reiner „Vordenker“ des Rassenantisemitismus, der sich keiner der antisemitischen Gruppierungen anschloss. Dühring, der sich 1863 in Philosophie und 1864 in Nationalökonomie habilitiert hatte und ab 1864 Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin war, beeinflusste mit seinen Schriften zur Nationalökonomie die frühe sozialistische Bewegung, was ihn in Gegensatz zu Marx und Engels brachte. Sein antimarxistischer Sozialismus trug, als „Sozialismus des arischen Volkes“ gedacht, bereits rassistische Züge. Ab 1875 begann er mit wütenden Attacken gegen seine Professorenkollegen und gegen die Universität, was 1877 zum Entzug der Lehrbefugnis führte. Über die Jahre verschärften sich seine hasserfüllten Angriffe auf die universitäre Wissenschaft, den Marxismus, den Militarismus, die Sozialdemokratie und den Bismarckschen Staat sowie gegen die Religion und das Judentum. Friedrich Nietzsche nannte Dühring 1887 den „Berliner Rache-Apostel“. Beruflich gescheitert, wissenschaftlich totgeschwiegen und politisch isoliert, stellte Dühring nun die „Judenfrage“, die vorher bei ihm nur eine Nebenrolle gespielt hatte, ins Zentrum seiner Publikationstätigkeit. Seine antisemitischen Hauptthesen entwickelte Dühring in den Jahren 1880–1883 und wandelte sie später nur ab. Im November 1880 veröffentlichte er sein einflussreiches Buch „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Mit einer weltgeschichtlichen Antwort“ im Verlag H. Reuther in Karlsruhe und Leipzig (1881), das als klassische Schrift zur Begründung eines extremen, aggressiven Rassenantisemitismus gelten kann, obwohl Dühring im Grunde keine allgemeine Rassentheorie besaß. Bei ihm diente der Rassenbegriff (anstelle der Religion) allein zur Ausgrenzung und Diffamierung der „jüdischen Rasse“, während eine Höherwertung anderer Rassen, etwa der „Arier“ oder „Germanen“ fehlt. Der Begriff der Rasse war für ihn nur ein Mittel, die Juden als Sonderfall aus allen anderen Völkern herauszupräparieren und ihnen mit seinem biologischen Ansatz jeden assimilatorischen Ausweg zu versperren. In seiner „Vorrede“ behauptet Dühring, dass er schon seit Jahren in seinen Arbeiten zu verschiedenen Wissenschaften „auf den Racencharakter der Juden“ habe eingehen müssen. Da nun alle „Racen- und Nationalitätsfragen“ immer wichtiger würden, habe er sich zu einer Gesamtdarstellung der „Judenfrage“ entschlossen, die diese in die „allgemeinen sowie die politischen und sozialen Wissenschaften“ einreihe. Damit wolle er eine sichere Wissensbasis für einen politischen und sozialen „Lösungsentwurf der Judenfrage“ bieten. Er deutet die dabei an den Tag gelegte Radikalität an, indem er versichert, sich vor „keiner geschichtlichen Consequenz, welche von Sitte, Humanität und Cultur gefordert wird und mit der politischen und socialen Freiheit verträglich bleibt“, zu scheuen. Seine Schrift sei keine Gelegenheitsschrift, sondern ihm gehe es um „weittragende Grundsätze“.

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In sechs Kapiteln behandelt Dühring die jüdische Religion, die Rolle der Juden in Wissenschaft, Literatur und Kunst sowie ihre politische und soziale Rolle. Die beiden letzten Kapitel wollen einen Weg zur Lösung der „Judenfrage“ zeigen, die für ihn eine übergreifende „Völkerfrage“ ist. Im ersten Kapitel, das sich dem „gesellschaftlichen Aufkommen der Juden in der neuesten Zeit“ widmet, geht es Dühring zunächst darum, die Juden nicht länger über ihre Religion zu definieren, sondern konsequent als Rasse zu betrachten, sodass eine kollektive Konversion die „Judenfrage“ nicht lösen würde, da diese den Rassencharakter keineswegs verändere. Anschließend schildert Dühring den wachsenden korrumpierenden Einfluss der Juden in Deutschland, den er in der Politik, Literatur, Presse, Gesetzgebung und Wirtschaft ausmacht. Das zweite Kapitel befasst sich mit der jüdischen Religion und Moral, wobei er Religionen als Völkerfantasien bezeichnet, die als Spiegel für den Charakter eines Volkes dienen können, was besonders für die Juden gelte, die sich über ihre Religion definierten. Dabei will er sich gar nicht auf den zumeist für die Kritik der jüdischen Moral herangezogenen Talmud beziehen, sondern auf das Alte Testament. Damit wird natürlich auch eine Kritik des Christentums unvermeidlich, und Dühring warnt davor, deshalb aus Scheu „die Kritik am Judentum zu beschränken“. Er kritisiert den „Judenstamm“ aufgrund seiner religiösen Vorstellungen als extrem selbstsüchtig und intolerant sowie primär auf äußere Macht und äußeren Erfolg versessen. Er sieht das Judentum als „Knechtsreligion“, da die Juden ihre Macht durch „politischen Herrendienst“ erlangten, etwa als Finanziers der Könige, um sich so zu „Oberknechten“ aufzuwerfen und Macht über andere Völker zu gewinnen. Dühring spricht von einem „Unterdrückungsund Ausbeutungskrieg“, den die Juden seit Jahrtausenden gegen andere Völker geführt hätten und in „modernisierter Façon“ noch immer führten. Es fehlen nicht die üblichen antijüdischen Stereotype der Arbeitsscheu, der Feindschaft gegen alle Nichtjuden und das „Handeln und Markten“, die ihm als „Ureigenschaften der Juden“ gelten. Dieser „allgemeine Charakter der Juden“ würde vom gesamten Volk mit seinen naturwüchsigen Instinkten leicht erkannt werden, da es von Wucher und Ausbeutung betroffen sei, doch habe die „Judenfrage“ auch eine geistige Seite, die nicht die Volksmasse, wohl aber die Gebildeten betreffe, die also doppelt auf der Hut sein müssten. Deshalb befasst sich das zweite Kapitel mit dem Wirken der Juden in der Kultur, wo gerade die Gebildeten den üblen literarischen Einflüssen und der „Geistesfälschung“ durch die Juden ausgesetzt seien. Dühring spricht ihnen jede wissenschaftliche Leistung und Begabung ab, ja sie hätten auch von fremder Wissenschaft nichts angenommen, dies gilt selbst für Spinoza, dessen Philosophie sich Dühring über mehrere Seiten kritisch widmet. Bei seinem Durchgang durch die verschiedenen Wissenschaften, wie Ökonomie und Mathematik, kann Dühring keine nennenswerten Beiträge vonseiten der Juden erkennen, sie „reichen selten auch nur an den dritten Rang heran“. Auch Heine und Börne finden im Bereich der Literatur als „das am wenigsten Schlechte“ keine Gnade als eigenständige Künstler, sondern stehen für den von Dühring angenommenen bloßen Eklektizismus der Juden. Noch weit schärfer geht Dühring mit der „Judenpresse“ und dabei vor allem mit den für die sozialdemokratischen Blätter schreibenden Juden ins Gericht. Wie Heinrich von Treitschke beklagte er sich über deren Gemeinheit des Stils, den Mangel an Gemütskraft und die Beschimpfung

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des deutschen Wesens. Nicht anders wird die Fähigkeit der Juden in der Bildenden Kunst und in der Musik charakterisiert. Für Dühring sind „die schöne Kunst und das Judenthum Gegentheile, die einander ausschließen“. Als Ursache nimmt er ihre „angestammte Phantasielosigkeit“ an. Von der derzeitigen Kunst und Wissenschaft, die den Juden zu sehr dienstbar und von ihnen abhängig seien, könne man daher im Kampf gegen die Juden wenig erwarten, dies müsse auf der sozialen und politischen Ebene geschehen, bevor die Künste und Wissenschaften ihren Beitrag dazu leisten könnten. Im vierten Kapitel wendet sich Dühring der politischen und gesellschaftlichen Sphäre zu, in der er aber ebenfalls die Untauglichkeit der Juden konstatiert. Sie hätten seit einem Jahrtausend trotz ihres Reichtums keine eigene Staatsgründung zuwege gebracht, sondern bildeten ein zersetzendes Element in anderen Völkern. Während wahre und dauerhafte Gemeinwesen durch das sittliche Element gegenseitiger Treue und Pietät zusammengehalten würden, wie dies insbesondere unter den germanischen Völkern anzutreffen sei, so sei das Band, das die Juden verbindet, der Eigennutz; und zu ihrem Stammescharakter gehöre der Verrat. So würden sie als Störenfried in den anderen Völkern Unfrieden säen, etwa indem sie die „zwieträchtige Parole“ von Klassenbewusstsein und Klassenhass verbreiteten, wobei ihnen die „verjudete Sozialdemokratie“ helfe. Dieser Klassenhass solle die Gesellschaft spalten und damit umso leichter ausbeutbar machen. Dühring kommt dann noch einmal auf den verderblichen Einfluss der Juden in Politik und Gesetzgebung zu sprechen, wo er den Einfluss des „Judenund Advokatentums“ und ihre Rolle in der Nationalliberalen Partei kritisiert. Er lässt seinen Ressentiments gegen die Professorenschaft freien Lauf, so wie er anschließend den Einfluss von Jüdinnen auf die Ausbildung von Frauen und den Kampf um die Frauenrechte in Deutschland für korrumpierend hält. Dabei wird sichtbar, wie Dühring hier seinen Hass auf Professoren und (jüdische) Frauen in seinen Antisemitismus integriert. Durch das Mitwirken von Juden wird für ihn jedes Gemeinwesen, jede Partei, ja überhaupt jede Sache ruiniert. In den letzten beiden Kapiteln will Dühring einen Weg zur Lösung der „Judenfrage“ zeigen, die für ihn eine internationale sein muss. Zunächst wendet er sich ganz klar gegen den Gedanken gegenseitiger religiöser Toleranz, denn dies sei nur unter Aufgabe des eigenen Religionsanspruchs zu haben: Islam und Judentum müssten unterdrücken oder unterdrückt werden, ein Drittes gibt es nach Dühring nicht. Die Juden würden die religiöse Toleranz für ihre Zwecke nutzen, dabei ginge es gar nicht um die Tolerierung eines Dogmas, sondern einer Rasse, nämlich um das moralische, ökonomische und gesellschaftliche Handeln der Juden. In diesem Fall sei aber Toleranz nicht angebracht, zumal die religiösen Körperschaften der Juden zugleich auch politische seien. Dühring geht von dem Grundsatz aus, dass jeder Verband und jeder Staat sein spezielles Recht in sich selbst habe und daher fremde Gruppen nicht als gleichberechtigt integrieren müsse. Man könne die Juden als Fremde dulden, sie könnten aber keinen Anspruch auf vollständige Aufnahme erheben. Dühring plädiert also für eine Rücknahme der Emanzipation und die Schaffung eines neuen Judenrechts, da an eine Entfernung der Juden (noch) nicht zu denken sei und in eine weitere, energischere Zukunft verschoben werden müsse. Er diskutiert die Internierung in einem „Judenstaat“, der aber aufgrund der Unsozialität der Juden zugrunde gehen würde, sodass die

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Juden ihrem Nomadentum folgend sich wieder in die anderen Völker zerstreuen würden. Nicht anders würde es mit einem eigenen Judenstaat in Palästina gehen; dies hieß für ihn zudem, die Geschichte um mehrere Jahrtausende zurückzuschrauben. Hätten die Landesfürsten den Juden Schutz- und Wohnrechte gewährt, so seien selbstständige und nationalbewusste Staatsbürger heute nicht mehr bereit, mit den Juden zusammenzuleben. Eine Deportation sei nur bei einem kollektiven Landesverrat der Juden möglich, sodass nun ein neuer modus vivendi gefunden werden müsse, da „auf dem Fusse der Gleichheit […] kein andauerndes Zusammenleben mit den Juden möglich“ sei. Da die Juden zu einer Veränderung ihres Wesens nicht fähig wären, so müssten die anderen Völker dies „an ihnen mit anderen als geistigen Mitteln vollziehen“, nämlich „die Welt von allem Judenwesen erlösen“. Nach Dühring würden dies politische, wirtschaftliche und soziale Mittel sein müssen, allein geistige Mittel reichten dafür nicht aus. Diese „nächsten Mittel und Ziele“ sind der Gegenstand des letzten Kapitels. Da die Verjudung der Völker und Verhältnisse eine Tatsache sei, bestehe die Aufgabe in der Entjudung, die nicht auf einmal, sondern nur schrittweise zu erreichen sei. Dührings Vorschläge laufen auf eine gesetzlich geregelte Zurückdrängung und Reduzierung jüdischer Präsenz und jüdischen Einflusses in der Beamten und Richterschaft, in der Mitwirkung an der Gesetzgebung hinaus. Er fordert die Entjudung der Presse und der Gewerbe und die gesellschaftliche Kontrolle (Mediatisierung) der jüdischen „Finanzfürsten“. Juden sollten aus Positionen in Staat und Gemeinden ebenso ausgeschlossen werden wie vom öffentlichen Unterricht in christlichen Schulen. Dühring nimmt gedanklich die „Nürnberger Gesetze“ vorweg, wenn er fordert, Ehen mit Juden seien zu verhindern, da die „Verjudung des Bluts moderner Völker“ von Übel sei. Auch im sozialen Leben sollten die Einzelnen wie die Vereine den Einfluss von Juden bekämpfen. Um dies zu erreichen, sei eine „systematische Agitation“ nötig. Diese habe von der Religion völlig abzusehen, müsse sich vielmehr ganz auf die Rasseneigenschaften konzentrieren. Die „Judenfrage“ ist für Dühring eine soziale Frage, die der allgemeinen sozialen Frage vorgeordnet sei, da sie nicht allein die Arbeiterklasse, sondern die Existenz der modernen Völker insgesamt betreffe. „Die Abschüttelung des Judenalps ist eine Angelegenheit der Nationen.“ Das Erfordernis der Selbsterhaltung stehe über allen Sonderinteressen. Die „Judenfrage“ war nach Dühring nur mit den aus allen Jahrhunderten bekannten Mitteln zu lösen. Die Stärke und Nachhaltigkeit der Mittel müsse der Größe des Übels angemessen sein. Darin bestehe die „weltgeschichtliche Beantwortung“ der „Judenfrage“. Die Völker müssten die innere Bedrohung durch die Juden brechen, um nicht selbst von ihnen „eine Zerstörung ihrer sittlichen und materiellen Grundlagen zu erleiden“. Den Rassengedanken spitzte Dühring in späteren Auflagen seines Buches immer schärfer zu. Ab der 3. Auflage von 1886 zeigt sich diese Radikalisierung schon im Titel: „Die Judenfrage als Frage der Rassenschädlichkeit für die Existenz, Sitte und Cultur der Völker. Mit einer weltgeschichtlichen Antwort“. In der 5. umgearbeiteten, nun im Personalist-Verlag (Nowawes-Neuendorf bei Berlin) seines Sohnes Ulrich Dühring erschienenen Auflage („Die Judenfrage als Frage des Racencharakters und seiner Schädlichkeiten für Völkerexistenz, Sitte und Cultur, mit einer denkerisch frei-

Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (Eugen Dühring, 1881)

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heitlichen und praktisch abschließenden Antwort“, 1901) sind die beiden Kapitel zur Lösung der „Judenfrage“ von einem neuen Schlusskapitel „Völker- und Volksmittel gegen Hebräerwucherung“ abgelöst worden, das noch radikaler im Ton und in seinen Lösungsvorschlägen geworden ist, etwa wenn Dühring als lokale Lösungen für Rumänien und Algerien als einzige Möglichkeit „das völlige Verschwinden der Hebräer“ vorschlägt, und in dem er am Ende der Hoffnung Ausdruck gibt, dass der bessere Teil der Menschheit schließlich Gemeinwesen schaffen werde, deren Prinzipien überall gelten würden und „dabei keinen Raum für die Hebräerexistenz“ übrigließen. Seine Lösungsvorschläge gehen damit über die anderer zeitgenössischer Antisemiten hinaus, da sie nicht nur auf eine Einschränkung der Emanzipation hinauslaufen, sondern die „völlige Ausnahmenatur aller antijüdischen Reformen“ betonen und auf die Notwendigkeit hinweisen, die „kraftvollsten Mittel“ zur Bekämpfung der Juden einzusetzen. Das letzte Ziel musste nach Dühring aber „die Ausscheidung der Judenrace aus dem modernen Völkerleben“ sein. 1900 gebrauchte Dühring sogar die noch direktere Formulierung von der „Vernichtung des Judenvolkes“. Damit gehört Dühring in die Reihe der Vordenker des Vernichtungs- bzw. Erlösungsantisemitismus und der nationalsozialistischen Judenpolitik. Mit seiner religionskritisch-rassistischen Fundierung des Antisemitismus positionierte sich Dühring gegen Adolf Stoeckers konservativ-klerikalen Flügel und avancierte zum „Hausheiligen“ der antikonservativen, antireligiösen und radikal-rassenantisemitischen Strömung, die seine Gedanken in ihren Publikationsorganen wie der „Westfälischen Reform“ und in Ernst Henricis Organ des Socialitären Bundes „Der moderne Völkergeist“ fortschrieb. Seine antijüdischen Ausfälle übertrafen an Radikalität und Aggressivität die Äußerungen Adolf Stoeckers, Wilhelm Marrs oder Heinrich von Treitschkes bei Weitem, erreichten aber doch aufgrund seiner wissenschaftlichen Reputation ebenfalls die gebildeten Schichten. Wegen der Teilnahme, die die Schrift „sofort bei ihrem Erscheinen in allen Schichten des Publikums gefunden“ habe, wie Dühring in der noch im selben Jahr erschienenen 2. Auflage schreibt, sei eine weitere Auflage nötig geworden Bis 1930 sollte die Schrift sechs Auflagen erreichen (1881, 1886, 1892, 1901 und 1930), deren Titel und Inhalt immer wieder mehr oder weniger stark verändert wurden.

Werner Bergmann

Literatur Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Jeanette Jakubowski, Eugen Dühring. Antisemit, Antifeminist und Rassist, in: Barbara Danckwortt (Hrsg.), Historische Rassismusforschung. Ideologien, Täter, Opfer, Hamburg 1995, S. 70–90. Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Vom Konkurrenten des Karl Marx zum Vorläufer Hitlers: Eugen Dühring, in: Karl Schwedhelm (Hrsg.), Propheten des Nationalsozialismus, München 1969, S. 36–55. Birgitta Mogge, Rhetorik des Hasses: Eugen Dühring und die Genese seines antisemitischen Wortschatzes, Neuss 1977. Egon Schwarz, Paradigmen eines „grenzenlosen“ Antisemitismus. Dühring und Drumont im Vergleich, in: Renate Heuer, Ralph-Rainer Wuthenow (Hrsg.), Antisemitismus. Zionismus. Antizionismus, 1850–1940, Frankfurt am Main, New York 1997, S. 129–149.

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Die Judenfrage im Preußischen Abgeordnetenhaus (1880)

Die Judenfrage gegenüber dem deutschen Handel und Gewerbe → Judenhetze oder Nothwehr?

Die Judenfrage im Preußischen Abgeordnetenhaus (1880) Am 20. November 1880 brachte der Abgeordnete Albert Hänel von der Fortschrittspartei eine Interpellation im Preußischen Abgeordnetenhaus ein. Anlass dazu gab die sogenannte Antisemitenpetition. Mitglieder der antisemitischen Berliner Bewegung forderten darin, die Rechte der jüdischen Bürger und damit ihre verfassungsmäßige Gleichberechtigung erheblich zu beschneiden. Albert Hänel verlangte in seiner Interpellation von der preußischen Staatsregierung eine Stellungnahme, die eindeutig die bestehende Gleichberechtigung der Juden garantieren und sich damit von der antisemitischen Bewegung distanzieren sollte, um dieser schon in ihrem Anfang die Legitimation zu nehmen. Im Namen der preußischen Staatsregierung beantwortete der Vizepräsident des Staatsministeriums Graf zu Stolberg-Wernigerode knapp die Anfrage des Abgeordneten Hänel. Er wies darauf hin, dass eine Petition zum Zeitpunkt der Interpellation an die Staatsregierung noch nicht eingegangen war, und deshalb eine inhaltliche Prüfung nicht möglich gewesen sei. Er bestätigte dennoch, dass das Staatsministerium nicht vorhabe, den Rechtszustand der Gleichberechtigung zu verändern. Anschließend beantragte der Abgeordnete Freiherr von Minnigerode die Diskussion der Interpellation. Achtzehn Abgeordnete meldeten sich, die dagegen sprechen wollten. Demgegenüber standen neun Abgeordnete, die dafür plädieren wollten. Die Argumente der Gegner lassen sich insgesamt zu einer Ansammlung von Klischees gegen die jüdische Bevölkerung zusammenfassen. Den Juden wurde vorgeworfen, eine allzu wichtige Rolle im Verhältnis zu ihrem niedrigen Anteil an der Gesamtbevölkerung auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens zu spielen. Hauptforderung der Gegner war daher, dass die jüdischen Bürger sich zurückhalten sollten, um die Gefühle der christlichen Mehrheit nicht zu verletzen. Die vermeintlich verletzten Gefühle rührten nach Ansicht der Gegensprecher von dem Auftritt der Presse her, die sich angeblich mehrheitlich in jüdischen Händen befand und gegen „die Deutschen“ agitierte. Als tagesaktuelles Beispiel dafür erwähnten sie mehrfach den Fall Kantorowicz, bei dem am 8. November 1880 der jüdische Spirituosenfabrikant Edmund Kantorowicz, provoziert durch ihre antisemitischen Bemerkungen, zwei Lehrer und Angehörige der „Berliner Bewegung“ in der Pferdebahn körperlich angriff. In ihren Augen wurde der Zwischenfall von der jüdischen Presse künstlich dramatisiert, um die Deutschen zu diskreditieren. Des Weiteren wären die Juden für den grassierenden Wucher verantwortlich, und durch unlauteren Wettbewerb würden sie „die Deutschen“ unterdrücken. Besonders bemerkenswert war der Vorwurf, dass die Juden zu häufig ihren Kindern eine höhere Bildung ermöglichten, was dazu führe, dass sie mit der Zeit immer mehr Führungspositionen übernähmen. Die Fürsprecher der Interpellation konstatierten, dass innerhalb der jüdischen Bevölkerung Einzelne negativ hervorstechen. Sie warnten aber davor, alle Juden gleichzumachen, schließlich käme dies auch unter Deutschen vor. Den Vorwurf der Gegner, wonach Deutschland von einer jüdischen Einwanderungswelle aus dem Osten über-

Die Judenfrage in der modernen Welt (Wilhelm Ziegler, 1937)

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rollt werde, widerlegte der Abgeordnete Dr. Virchow mit der vom Mathematiker Salomon Neumann erstellten Statistik, die das Märchen einer Masseneinwanderung mit genau nachprüfbaren Ergebnissen entzauberte. Die Befürworter der Interpellation erinnerten daran, dass Juden in der Vergangenheit in den Zünften keine Aufnahme fanden, keinen Ackerbau betreiben durften und erst Bürger einer Stadt werden konnten, wenn sie über ein bestimmtes Eigenkapital verfügten. Große Sorge bereitete den Fürsprechern das Ansehen Deutschlands im Ausland, das durch die antisemitische Bewegung erheblichen Schaden genommen habe, wie sie mit der „Times“ belegten. Insgesamt dauerte die Diskussion zwei Tage. Nachdem am 20. November die Sitzung auf Antrag vertagt wurde, setzte sie das Abgeordnetenhaus am 22. November 1880 fort. Mehrfach beantragten die Gegenparteien das Ende der Debatte. Sie scheiterten aber bei der Abstimmung, bis letztendlich nach der Rede des Abgeordneten Freiherr von Minnigerode sich die Mehrheit dafür aussprach. Die → „Allgemeine Zeitung des Judentums“ widmete der Analyse der Anfrage mehrere Artikel und kam zum Fazit, dass die Ziele der antisemitischen Bewegung, die Juden stellvertretend für die liberalen Parteien anzugreifen, entlarvt worden seien.

Patricia Fromme

Literatur Karsten Krieger, Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879–1881: Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation – Kommentierte Quellenedition , München 2003.

Die Judenfrage in der modernen Welt (Wilhelm Ziegler, 1937) Der promovierte Historiker und Theologe Wilhelm Ziegler (1891–1962) war seit 1933 als „Judenreferent“ im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda nicht nur einer der zentralen Organisatoren der „Judenforschung“ im Dritten Reich. Er trat auch als Autor antisemitischer Schriften hervor. Eine davon trägt den programmatischen Titel „Die Judenfrage in der modernen Welt“. Sie erschien 1937 als Heft 27 in der Reihe „Idee und Gestalt des Nationalsozialismus“ der Deutschen Hochschule für Politik, an der Ziegler zu diesem Zeitpunkt als Dozent wirkte. Die Schrift stellt die „Judenfrage“ in eine pseudohistorische Perspektive, die einerseits die Praxis der nationalsozialistischen Judenpolitik rechtfertigen soll und andererseits Vorschläge zu ihrer „Lösung“ begründet. Die „Judenfrage“, vom Autor verstanden als „Gegensatz zwischen dem Judentum und den Völkern, unter denen es siedelt“, sei „so alt wie die Geschichte der Juden selbst“. Als wurzelloses „Volk des Asphalts“, das „art- und landfremd“ sei und nach „mühelosem Geldverdienen“ strebe, trage es stets Spannungen in andere Länder und bringe dort „das altansässige Volk“ in „geistige und wirtschaftliche Abhängigkeit und Hörigkeit“. Neben Epochen, die sich durch eine „Scheinlösung“ ausgezeichnet hätten, weil „die Judenfrage nur schlummert und in Wirklichkeit unter der Oberfläche genau so weitergärt wie vorher“, gebe es Zeiten, in denen „die Judenfrage auf der ganzen Front wieder in ihrer ganzen Schärfe entbrannt ist“. Einen solchen „akuten Charakter“ habe die „Judenfrage“ nach dem „Zusammenbruch des Zeitalters der liberalen Demokratie“ angenommen, dessen Vorstel-

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Die Judenfrage in der modernen Welt (Wilhelm Ziegler, 1937)

lung von staatsbürgerlicher Gleichheit sich als „schwerer und bitterer Trugschluss“ erwiesen habe. Eine weitere Ursache sieht Ziegler in dem „ganz unerhörten Bevölkerungszuwachs des Judentums“ in Osteuropa, der „gigantische Wanderungsprozesse“ ausgelöst habe. Wie selbstverständlich resultiert für Ziegler, der für seine Schrift den Vorwurf der „Tendenzpropaganda“ zurückweist, daraus die „Judengesetzgebung des Jahres 1933“ gegen die jüdische „Überfremdung“. Sie habe vor allem dort eingegriffen, „wo die Juden sich breitgemacht haben“ und „die Vorherrschaft an sich gerissen hatten“. Damit verbindet der Autor die Hoffnung, dass diese Politik „eine geistige Bewegung“ anzufachen vermöge, „die immer mehr auf andere Länder übergreift“. Ein daraus folgender „neuer Auswanderungsdrang der Juden in der europäischen Welt“, den Ziegler für einige Staaten bereits konstatiert, müsse allerdings das Ziel der „Emigration“ klären, zumal verschiedene Staaten in Nord- und Südamerika für „Zivilisationsjuden“, die „nicht mit Schippe und Axt den Boden des Landes roden und kolonisieren“ könnten, ihre Grenzen wieder geschlossen hätten. Ein solches Ziel sah Ziegler in der Insel Madagaskar, die er mit Verweis auf die Mitte der 1930er Jahre virulente Diskussion, welche durch eine „Expedition“ der polnischen Regierung ausgelöst worden war, nennt. Wesentlich ausführlicher setzt er sich allerdings mit der Frage auseinander, ob in Palästina die „Idee vom Judenstaat“ verwirklicht und damit „eine Lösung der Judenfrage“ gefunden werden könne. Dies scheine „nach außen hin“ der Fall zu sein. Aus Zieglers Sicht aber sprächen das „Wesen der jüdischen Rasse“ und politische Zwänge dagegen: Bei näherer Betrachtung sei nämlich festzustellen, dass man es hier „im besten Fall mit einer romantischen Utopie“ zu tun habe, aber „im schlimmsten Fall mit einer der ‚Gründungen’, in denen die Juden immer Meister gewesen sind!“ Hinzu komme, dass Juden in Palästina „ausschließlich von der Gunst und dem freien Willen der Engländer abhängig“ seien und in einem „erbitterten Gegensatz zu den Arabern“ lebten. Das „Gebäude der nationalen Heimstätte in Palästina“ stehe deshalb „auf tönernen Füßen“. Dementsprechend vage und widersprüchlich bleibt Ziegler in seinen Schlussfolgerungen. Zwar lasse sich mit einem „ruhigen Gewissen“ sagen, „dass wir die Judenfrage bei uns in Deutschland gelöst haben“. Ob dies freilich auch im internationalen Maßstab erreicht werden könne, „ist schwer zu entscheiden“. Denkbar sei, „dass sie lösbar wäre in Form einer geschlossenen Siedlung, die den Juden irgendwo in der Welt draußen angewiesen würde“. Voraussetzung dafür sei allerdings „der Entschluss und der aufrichtige Wille der Juden als Gesamtheit, eine Existenz genau nach Art der anderen Völker zu führen“. Eben dazu aber sieht Ziegler sie, wie er in Anlehnung an bekannte antisemitische Stereotype behauptet, aufgrund ihrer „Scheu vor der körperlichen Arbeit“ und ihrem Streben danach, „vom Schweiße der anderen“ zu leben, nicht in der Lage. Insofern überrascht es nicht, wenn Ziegler abschließend seine Zweifel äußert, „dass die Juden diese Bahn wählen werden“, und darin – beinahe drohend – „Verhängnis“ und „Fluch“ sieht, der „über der Geschichte dieses ganzen Volkes waltet“.

Martin Finkenberger

Judenhetze oder Nothwehr? (Alexander Pinkert, 1880)

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Literatur Dirk Rupnow, Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie, Baden-Baden 2011.

Die Judenfrage in Politik, Recht, Kultur und Wirtschaft → Mitteilungen über die Judenfrage

Judenhetze oder Nothwehr? (Alexander Pinkert, 1880) Die antisemitischen Hetzschriften „Die Judenfrage gegenüber dem deutschen Handel und Gewerbe. Ein Manifest an die deutsche Nation“ und „Judenhetze oder Nothwehr? Ein Mahnwort“ von Alexander Pinkert (geb. 1847, Todesdatum unbekannt), veröffentlicht unter dem Pseudonym Egon Waldegg, erschienen in kurzer Folge, Anfang September 1879 und Anfang 1880, in Dresden. Ende Dezember 1879 startete Pinkert außerdem die Herausgabe der antisemitischen Zeitschrift „Deutsche Reform“, die zum wöchentlichen Organ der Deutschen Reform-Partei avancierte. Pinkerts Veröffentlichungen bildeten den publizistischen Auftakt der antisemitischen Bewegung im Königreich Sachsen. Der in Dresden ansässige Pinkert war einer der wichtigsten Protagonisten der Anfänge des parteipolitischen Antisemitismus in Sachsen, das neben Berlin zu einer der Hochburgen dieser neuen organisierten Judenfeindschaft wurde. Sein Bestreben galt der Vereinigung aller Judenfeinde über die verschiedenen Strömungen hinweg in einer Partei, langfristig auch international. Privat war Pinkert vor seinem bis 1886 andauernden politischen Engagement, von seinem Schwiegervater finanziell unterstützt, als Unternehmer zunächst im Textil-, dann im Blumengeschäft gescheitert und in Konkurs gegangen. Unmittelbar vor den berüchtigten „Judenreden“ des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker im September 1879 erschien Pinkerts erste Broschüre „Die Judenfrage...“ in Dresden. Darin, wie in „Judenhetze oder Nothwehr?“, abgedruckt war Pinkerts umfangreiches Flugblatt „Ein Appell an die Deutsche Nation“ von Ostern 1879, anonym unterzeichnet („ein protestantischer, nicht confessionsloser Fabrikant“), das tausendfach in Dresden verteilt worden war. In dem mit Schimpftiraden durchsetzten Pamphlet beschwor Pinkert, beeinflusst von Wilhelm Marr, den „Sieg des Judenthums über das Deutschthum“ herauf, warnte vor der „verjudeten Tagespresse“ und rief zur Organisierung in der, fälschlich als bereits bestehend behaupteten, antiliberalen und antijüdischen Deutschen Reform-Partei auf, um gegen die „goldene Internationale“, dem Synonym einer vermeintlich jüdischen Wirtschaftselite, und ihre „auf Weltherrschaft gerichteten Umsturzpläne“ anzutreten. Die „Judenfrage im deutschnationalen, nicht im confessionellen Sinne“ lösen wollend, gelte es jedoch, anders als bei Marr, so Pinkert, einen „christlichen, nicht confessionslosen Staat“ anzustreben. In seiner Broschüre „Die Judenfrage...“, die in kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebte, bezog sich Pinkert auf die Kampfschriften verschiedener antisemitischer Autoren, vor allem Wilhelm Marrs → „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“, August Rohlings → „Der Talmudjude“ und Otto Glagaus Artikelserie von 1876 → „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“, die er sämtlich ausführ-

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Judenhetze oder Nothwehr? (Alexander Pinkert, 1880)

lich zitierte. Aber auch eine Zusammenstellung seine judenfeindlichen Thesen untermauernder Literaturauszüge bekannter Philosophen wie Fichte, Kant und Schopenhauer findet sich in seiner Hetzschrift. Sein formuliertes Ziel war die Bildung einer „Mittel- oder Bürgerpartei“, der Deutschen Reform-Partei, durch die Mobilisierung des verunsicherten gewerblichen Mittelstands; zum theoretischen Diskurs trug Pinkert weniger bei. Die zentralen Forderungen beider Schriften zielten auf die Entfernung der Juden aus dem Staatsdienst und den Parlamenten, die Rücknahme der rechtlichen Gleichstellung und die Aufhebung der Emanzipation der Juden, ein Einwanderungsverbot für Juden und die Verdrängung des vermeintlichen jüdischen Einflusses aus der Presse, die er erneut bezichtigte, „verjudet“ zu sein. Durch die „Gründerkrise“ in Dresden, die insbesondere hochverschuldete Grundstückseigentümer mit dem Ruin bedrohte, orientierte sich Pinkert auf die antisemitische Anbindung von Hausbesitzern und schwächte seine Ausführungen des Judenhasses in seiner zweiten Schrift „Judenhetze oder Nothwehr?“ deshalb leicht ab, wenn auch seine judenfeindliche Ausrichtung in Dresden allgemein bekannt war. Die Buchhandelsausgabe dieser Broschüre verlegte das Führungsmitglied der „Antisemitischen Liga“ Otto Hentze, der Berliner Verleger früher antisemitischer Schriften. Noch im Jahre 1879, am 27. Dezember, brachte Pinkert die Vereinszeitung „Deutsche Reform“ erstmals heraus, die Erstausgabe enthielt neben Pinkerts programmatischer Propaganda aus seiner „Judenfrage...“ Heinrich von Treitschkes Aufsatz → „Unsere Aussichten“ mit der später legendären Parole „Die Juden sind unser Unglück“. Laut Pinkert wurde bereits im Februar 1880 eine Auflage von 1.400 Exemplaren mit 800 Abonnenten erreicht. Als Pinkert am 15. September 1879 seine Schrift „Die Judenfrage...“ auf dem Ersten Kongress der Hausbesitzer-Vereine Deutschlands referierte, gegen den Liberalismus als „Raubsystem“ polemisierte und indirekt Juden als „Manchesterleute mit ihrem fluchwürdigen Anhang von Wucherern, Gründern und Weltbankiers“ attackierte, wurde Pinkert der Tribüne verwiesen. Auch auf der ersten Versammlung des Reformvereins am 1. November 1879 kam es wegen seiner Ausführungen zu Tumulten, sodass die Veranstaltung polizeilich abgebrochen wurde. Als Pinkert am 8. März 1880 vor 450 Zuhörern, vielfach von Sozialdemokraten in der Annahme eine Rede August Bebels zu hören besucht, seine zweite Schrift „Judenhetze oder Nothwehr?“ vorstellte, führte auch dies zum vorzeitigen Abbruch der Versammlung. Die Anhängerschaft der Reformvereinsbewegung des Antisemiten Pinkert wuchs jedoch kontinuierlich an. Gegen Pinkerts Schriften gingen zahlreiche Klagen ein. Eine der Klagen gegen seine Broschüre „Die Judenfrage...“ wies die Dresdner Staatsanwaltschaft im Juli 1880 mit der Begründung zurück, „Beschimpfungen der mosaischen Religionsgenossenschaft“ seien nicht erkennbar, und andererseits könnten die Lehren des Talmud nicht genügend kritisiert, müssten vielmehr allgemein bekämpft werden. Mobilisieren konnte Pinkert vor allem den städtischen gewerblichen Mittelstand Sachsens für die Judenfeindschaft und Propaganda der „Reformer“, doch bildete sich auch überregional ein Netz antisemitischer Reformvereine heraus. Pinkerts Erfolg von 1879/1880 mit seinen frühen publizistischen Angriffen und Propagandaauftritten zur Initiierung einer Bewegung des politischen Antisemitismus lag vor allem in der Identifizierung der Juden mit der „Gründerkrise“ und dem Liberalismus, auf Basis tradier-

Der Judenkenner (1935–1936)

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ter Ressentiments des Judenhasses und der Wahrnehmung der Juden vornehmlich als wirtschaftliche Konkurrenten.

Monika Schmidt

Literatur Matthias Piefel, Antisemitismus und die völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879–1914, Göttingen 2004. Hansjörg Pötzsch, Antisemitismus in der Region. Antisemitische Erscheinungsformen in Sachsen, Hessen, Hessen-Nassau und Braunschweig 1870–1914, Wiesbaden 2000. Michael Schäbitz, Juden in Sachsen – jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700 bis 1914, Hannover 2006.

Der Judenkenner (1935–1936) Die völkisch-antisemitische Wochenzeitung „Der Judenkenner“ erschien von Februar 1935 bis März 1936 in Berlin. Seine antisemitische Haltung trug das Blatt ganz offen im Titel, denn der Begriff „Judenkenner“ stand im zeitgenössischen Sprachgebrauch für „Antisemit“. Die Zeitung war das Vereinsblatt der deutschen Sektion des Weltbunds der Völkischen (Alliance Raciste Universelle). Ziel des Weltbunds, der Anfang Oktober 1934 gegründet worden war, war „die Erweckung und Förderung des völkischen Gedankens innerhalb der einzelnen arischen Völker des europäischen Kulturkreises, damit diese sich freimachen von rassefremden und überstaatlichen Einflüssen, welche die Völker trennen, ihre Beziehungen vergiften und die Freiheit des Gewissens beeinträchtigen“. Der „Weltbund“ richtete sich – ähnlich wie sein Presseorgan – insbesondere gegen „das Judentum, die Freimaurerei, die volksfremde Geldwirtschaft, die über das religiöse Gebiet hinausgreifende politische Kirche und den Bolschewismus“. Präsident des Weltbundes war zunächst der antisemitische Publizist und Historiker Johann von Leers. Nachdem Leers vorgeblich wegen Überlastung auf sein Amt verzichtet hatte, avancierte sein Stellvertreter – der 1874 in Worms geborene Regierungsrat i.R. Ernst Pistor – am 23. Oktober 1934 zum Präsidenten. Weitere Gründungsmitglieder waren Horst Dorn, Harald Baron Loudon, Max Meyer, Ludwig Pauler, Dr. Josef Leonhard von Ziegesar und Friedrich Hasselbacher, der sich durch diverse Publikationen über die Freimaurerei bereits einen Namen gemacht hatte und seit 1931 Herausgeber der Zeitung „Der Volkswart. Parteifeindliche politische Wochenschrift. Kampfblatt gegen Rom, Juda und Freimaurerei (seit November 1933: „Der Volkswart. Unabhängige deutschvölkische Wochenschrift“) war, die sogar noch 1933 wiederholt das Vorgehen Hitlers und der NSDAP gegen die Freimaurerei als zu lasch kritisierte. „Der Judenkenner“, dessen erster Chefredakteur Hasselbacher war, erschien zunächst im Verlag Der Freiheitskämpfer, ab April 1935 dann im Eigenverlag Ernst Pistors. Zu den Mitarbeitern der Zeitung zählte auch Ulrich Fleischhauer, Gründer des → U. Bodung-Verlags und des antisemitischen Pressedienstes → „Welt-Dienst“. Als Organ eines Weltbundes hatte der „Judenkenner“ den Anspruch, eine internationale Leserschaft zu erreichen. Deswegen wurde er in Antiqua gedruckt und mit einer englischen, französischen, russischen und italienischen Beilage versehen. Trotz des internationalen Zuschnitts wurde bereits in der ersten Ausgabe des Blattes ein Aufruf an

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Die Judenmacht (1939)

die Berliner Bevölkerung veröffentlicht, Juden zu denunzieren und die Veröffentlichung der Zuschriften in einer eigenen Rubrik angekündigt. Durch Werbung in Schaufenstern und -kästen sowie durch Werbefolgen für SA und SS gelang es Pistor, die Auflage seiner Zeitung von zunächst 24.000 Exemplaren auf 31.000 Exemplare im Juni 1936 zu steigern. Auch wenn der „Judenkenner“ nie die Absatzzahlen des „Stürmers“ erreichte, so kokettierte er dennoch damit, neben dem „Stürmer“ das wegweisende antisemitische Blatt zu sein. Mit Streichers Hetzschrift wurde er deswegen fälschlicherweise immer wieder in Verbindung gebracht. So hielten die Gewährsleute der Exil-SPD den „Judenkenner“ zunächst für „eine Streicher-Propagandafiliale in großem Stil“ und einen „Ableger des Stürmer“ (Deutschland-Bericht, Juli 1935). Dabei war die Etablierung eines antisemitischen Konkurrenzblattes wohl einer der Gründe für den „Stürmer“, im Sommer 1935 selbst eine Dependance in Berlin zu eröffnen. Im Gegensatz zum Herausgeber des „Stürmers“ waren die Gründerväter des „Judenkenners“ jedoch nicht fest in der NSDAP verankert. Bereits im August 1935 hatte Martin Bormann, zu dem Zeitpunkt Stabsleiter des Stellvertreters des Führers, auf Anfrage mitgeteilt, „dass eine Mitgliedschaft von Parteigenossen im sogenannten Weltbund der Völkischen“ unerwünscht sei. Anfang April 1936 wurde der Weltbund dann vom Chef der preußischen Gestapo, Reinhard Heydrich, mit der Begründung verboten, dass „seine weitere Tätigkeit geeignet ist, die Maßnahmen der Reichsregierung auf dem Gebiete der Rassenfrage zu gefährden“. Die Ziele des Weltbundes seien zwar an sich begrüßenswert gewesen, doch befänden sich unter seinen führenden Mitgliedern solche Personen, „die im Hinblick auf ihr bisheriges Verhalten eine mit der Zielsetzung der Reichsregierung übereinstimmende Tätigkeit nicht gewährleisten“. Damit wurde auch das Vereinsorgan des Weltbundes, „Der Judenkenner“, verboten. Letztmalig erschien er im Mai 1936. Pistor versuchte zwar, gegen das Verbot seiner Zeitung zu intervenieren und verlegerisch tätig zu bleiben, musste jedoch im Februar 1937 die Löschung seines Verlages aus dem Berliner Handelsregister beantragen.

Christoph Kreutzmüller, Elisabeth Weber

Literatur Louis W. Bondy, Racketeers of Hatred. Julius Streicher and the Jew-Baiter’s International, London 1946. Christoph Kreutzmüller, Elisabeth Weber, Unheilvolle Allianzen Die Rolle des Stürmer bei der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit in Berlin, in: NURINST, Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte, Nürnberg 2008, S. 81–98.

Der Judenkrieg → Sieg des Judenthums über das Germanenthum

Die Judenmacht (1939) Das Buch „Die Judenmacht, ihr Wesen und Ende“ ist eine Anthologie antisemitischer Aufsätze Erich Ludendorffs (1865–1937) und seiner Frau Mathilde (1877–1966) aus deren Zeitschriften der Jahre 1927 bis 1939 und ist 1939 im Ludendorff Verlag GmbH München erschienen. Aufgrund der Datierung des Vorworts auf den Geburtstag des 1937 verstorbenen Generals, den 9. April 1939, sowie den Schlusssatz ist es sein geistiges Testament: „Über das Grab hinaus dringt des Feldherrn ernstes Mahnen, möge

Die Judenmacht (1939)

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es denn auch diesem Werke die Wege in das Volk bahnen.“ Der letzte Aufsatz Erich Ludendorffs, „Freiheit oder Kollektiv?“, endet in dem Schlachtruf „Es siege die Wahrheit! Es lebe die Freiheit!“ Datiert ist er auf den „Lüttichtag, den 6.8.1936“. Am 6. August 1914 war es Ludendorff gelungen, unter hohen Verlusten Lüttich zu erobern, wodurch die Niederlage der Belgier eingeläutet und Ludendorffs Ruhm begründet wurde. Mit diesem Totengedenken sollte 1939 dem Schwund der Mitglieder, den Adressaten des Buches, begegnet werden. Das Buch ist in vier Teile gegliedert: „Des Juden Aberglaube und ‚fromme’ Pflichten“, „Des Juden Kampfscharen“, „Der Jude erfüllt die politischen und wirtschaftlichen frommen Pflichten“ sowie „Über jüdische Kampfesweise und wirksame Abwehr“. Beigegeben sind Buchillustrationen von Johann Lund (1638–1686) sowie antisemitisch uminterpretierte Abbildungen von Gemälden, etwa des „Juden Max Liebermann“ oder von Carl Bloch (1834–1890). In Blochs „Simson in der Mühle bei den Philistern“ (1863) sitzt ein Philister in Herrscherpose auf der Mühle, die Simson antreibt. In der Bildunterschrift werden der Philister zum Juden und der israelitische Samson zum „blonden Simson in schwerer Fron“ zum Arier uminterpretiert. Der biblischen Samsongeschichte wird nachgesagt, ein arischer Mythos zu sein. Darin folgen die Ludendorffs den schon um 1900 widerlegten Behauptungen des französischen Orientalisten und Journalisten Louis Jacolliot (1837–1890) und des britischen Freidenkers William Stewart Ross (1844–1906), alle biblischen Geschichten seien eine jüdische Fälschung indischer Mythen. Fälschen gehöre laut den Ludendorffs zur „Seele“ „des“ Juden. Zudem sei er abergläubisch, was sich am Festhalten des Alten Testaments als der Gottesoffenbarung und der Idee des Auserwähltseins zur Weltherrschaft, der „jüdischen Weltrepublik“, zeige. „Jahweh“ habe den Auftrag zum „Zerstörungskampf“ gegen alle Völker und deren „arteigene“ Wesen, „Antigojismus“ genannt, gegeben. Mitstreiter in diesem welthistorischen Kampf, „der Juden Kampfscharen“ bzw. „künstliche Juden“ genannt, seien Christen, Geheimorden wie Jesuiten, Freimaurer und Burschenschaften sowie alle, die für Toleranz und Humanität einträten. Kampfmittel der „jüdischen Kampfscharen“ seien die „Kollektivierung“ bzw. „Bolschewisierung“ durch die kapitalistische und kommunistische Wirtschaftsform sowie der Alkohol, die Revolutionen und die Kriege. Die Christen als „gelähmte Antisemiten“, da selbst semitisch, taugten nicht im Kampf für die Freiheit des deutschen Volkes. Die nationalsozialistische Rassegesetzgebung sei unzureichend ohne die gleichzeitige Bekämpfung der Kirchen. Antiklerikalismus ist Teil des Antisemitismus. Statt positive Kampfziele zu nennen, verweisen die Aufsätze auf die Lehre der Deutschen Gotterkenntnis von Mathilde Ludendorff, wo die „arteigene“ Religion formuliert sei. Die Konstruktion des „Antigojismus“ ist eine Variante des antisemitischen Typs, wonach der Jude selbst schuld am Antisemitismus sei.

Ulrich Nanko

Literatur Bettina Amm, Die Ludendorff-Bewegung im Nationalsozialismus – Annäherung und Abgrenzungsversuche, in: Uwe Puschner, Clemens Vollnhals (Hrsg.), Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus, Göttingen 2012, S. 129–147.

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Die Judenschule (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1822/23)

Die Judenschule (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1822/23) Der verkrachte mecklenburgische Rittergutsbesitzer und Jurist Hartwig von HundtRadowsky (eigentlich Joachim Hartwig Hundt, 1780–1835), ein radikaler Propagandist der Nationalbewegung, hatte im Herbst 1819 den → „Judenspiegel“ herausgebracht, mit dem er den modernen Vernichtungsantisemitismus begründete. Ein großer Teil des Inhaltes der ersten beiden Bände von Hundt-Radowskys „Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden“ sollte ursprünglich in eine durch einen zweiten Band vermehrte Neuauflage eben dieses „Judenspiegel“ einfließen. Der Plan wurde jedoch nach der Ankündigung eines unautorisierten Nachdrucks des „Judenspiegel“ zugunsten eines dreibändigen neuen antisemitischen Hauptwerks aufgegeben, das dann 1822/23 unter obigem Titel erschien. Ein dem ersten Band der „Judenschule“ vorangestellter Stich des Augsburgers Joseph Hutter zeigt eine „Judensau“, an deren Zitzen mehrere Juden saugen. Die Bände eins und zwei wollen Glauben und Brauchtum der Juden diskreditieren, der dritte Band hat die „weißen Juden“ zum Thema. Hundt propagierte ein antitrinitarisches, von allen jüdischen „Zusätzen“ gereinigtes, aber auf die Gestalt Jesus’ konzentriertes Christentum, das die bestehenden Konfessionen ersetzen sollte. „Jehova“ sei ein rachgieriger und blutdürstiger Nationalgötze, der christliche Gott „der gütige liebevolle Vater aller seiner Menschen“. Das Judentum sei „eine Religion des Hochmuths, des Menschenhasses, der Grausamkeit“, Sittenlosigkeit und Habgier, das „wahre“ Christentum dagegen eine der Demut, Menschenliebe und Milde. Alle Juden hätten einen „unbezwingbaren Hang zum Wucher, zum Betrug, Diebstahl, Müßiggang, zur Sodomiterei“. Deren „übler Geruch“ sei Resultat der „widernatürlichen Befriedigungsarten des Geschlechtstriebes“. Schon die kleinen Judenkinder seien notorische Übeltäter und die verworfensten Schelme der Welt. Wer Juden taufe, „der brennt der Sau nur ein anderes Zeichen auf den Hintern!“ Die Juden seien verlogen, prahlerisch und hochmütig, roh und ungebildet, „von Habsucht, Wucher- und Schachergeist, Faulheit und Arbeitsscheu, Unduldsamkeit und bitterm, unauslöschlichem Haß gegen alle Andersdenkenden geleitet“. Resümee: „Fort also mit den Juden!“ Der dritte Band der „Judenschule“ schließt die Lücke, die die extrem antisemitische Weltanschauung noch offen lässt. Denn mit dem bösesten Willen konnten bisher nicht sämtliche Übel der letzten Jahrtausende den Juden in die Schuhe geschoben werden. Die „weißen Juden“, die sich praktisch überall tummeln, sind laut Hundt nicht nur von gleichem Wesen wie die „schwarzen“, sie sind „Rasse“juden. Die führenden, reichen Vertreter der „weißen Juden“ stammten direkt vom biblischen Abraham und seiner zweiten Frau Ketura ab, die „kleineren“ seien die Abkömmlinge Abrahams und seiner Mätressen. Zahlreiche Staatsmänner, Politiker, Adlige und Kirchenführer sind dem Verfasser zufolge verworfene „Söhne der Ketura“. Wie den „schwarzen Juden“ sei deren „weißen Brüdern“ jedes Mittel zur Erreichung ihrer schändlichen Ziele recht. Sie trügen die Schuld am Obskurantismus im Christentum, an Unterdrückung und Ausbeutung ihrer Mitmenschen seit Jahrtausenden. Hundts Scheinprogressismus steht im Dienste des Judenhasses. Alles als negativ Bewertete entstammt den Juden und fällt auf sie zurück, muss von ihnen und den „Judengenossen“ ausgebadet werden. Mit dem Konstrukt der „weißen Juden“ sieht der

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extreme Antisemit die Juden auch dort am Werk, wo sie eindeutig nicht sind. Nichtjuden können bei Bedarf der verhassten Fremdgruppe zugeordnet und „sonderbehandelt“ werden. Der dritte Band der „Judenschule“ schließt mit dem Wort „Amen“. „Die Judenschule“ entstand im schweizerischen Aarau, Hundts damaligem Exil. Der Publikationsort ist Aarau oder Stuttgart. (Das Verlegerpseudonym „James Griphi“ wurde seinerzeit durch den Verlag J. B. Metzler verwendet!) Der erste Band der „Judenschule“ wurde sogleich von Johann Jakob Mäcken in Reutlingen nachgedruckt. Zur Zeit der Unruhen des Jahres 1830 brachte Hundt, wiederum in Zusammenarbeit mit Mäcken und unter dem neuen Titel „Die Juden, wie sie waren, wie sie sind und wie sie seyn werden“, eine komplette Neuausgabe der „Judenschule“ auf den dankbaren Markt.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Judenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1819) Hartwig von Hundt-Radowsky (eigentlich Joachim Hartwig Hundt, 1780–1835) aus Mecklenburg sah sich nach seinem Scheitern als Rittergutsbesitzer und später als Jurist zur Schriftstellerei berufen und schloss sich 1813 der deutschen Nationalbewegung an. Ab 1819 entwarf er in mehreren Büchern ein hermetisches, in seiner praktischen Dimension auf die Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus vorausweisendes ideologisches System. Er gilt als Begründer des modernen Vernichtungsantisemitismus. Der „Judenspiegel. Ein Schand- und Sittengemälde alter und neuer Zeit“ von Hundt-Radowsky, verlegt im November 1819 in Sondershausen, zählt zu den radikalsten antijüdischen Publikationen des 19. Jahrhunderts. Der „Judenspiegel“ erreichte in drei Wochen zwei Auflagen von je 5.000 Stück und wurde 1821 in einer vollständigen und einer gekürzten Fassung nachgedruckt. In mehreren deutschen Ländern wurde er wegen „Störung des Religionsfriedens“ verboten. Mit dem „Judenspiegel“ kam nach dem satirischen Roman „Truthähnchen“ binnen zweier Monate eine weitere extrem judenfeindliche Schrift Hundts auf den Markt. Vorwiegend kompilierte er darin die Motive des älteren wie des neueren Judenhasses, woraus er folgerte, dass die Juden ausgerottet werden sollten. Die Zusammenfassung der vorhandenen antijüdischen Elemente allein steigerte schon die Intransigenz eines Antisemitismus, der unverkennbar paranoide Züge angenommen hatte. Hundt leitete die behauptete unvergleichliche Gefährlichkeit aller Juden insbesondere aus der biblischen Geschichte, der „Richtschnur unseres Glaubens“ ab. Von Beginn an seien sie zutiefst und unwandelbar verderbt, in physischer, moralischer und geistiger Hinsicht unheilbar defekt. Hundt definiert die Juden als Teufelskinder und geschworene Feinde der gesamten Menschheit, als das Gegen- oder Antivolk schlechthin. Ewige „Grundbestandteile des jüdischen Volkscharakters“ sind laut Hundt: „Heimtückische lauernde Arglist, schmutziger Geiz und Wuchersinn, ein un-

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besieglicher Hang zu Betrügereien und Ränken, Neid, eitler Hochmuth verbunden mit sklavischer, schmarotzender Kriecherei, Wollust, unerbittliche Rachgier und Grausamkeit, trotziges Prahlen im Glück und verzagte Feigheit im Unglück.“ „Jede Annäherung oder Verschmelzung“ von Juden und Nichtjuden würde „für jedes nichtjüdische Volk ein gänzliches physisches und sittliches Verderben zur Folge haben“. Keinen Juden könne die Taufe bessern, diese ändere nichts an den „unvertilgbaren Beschaffenheiten des Gemüths und des Körpers“. Das Verbot der Konversion gehört wie etwa die Forderung, Juden dürften keine Christen beschäftigen oder sie müssten vom Buch-, Presse- und Verlagswesen ausgeschlossen werden, zu den als bloß vorläufig gedachten Maßnahmen. Hundts Lösungsvorschläge sind Absonderung der Juden von der nichtjüdischen Umwelt, Enteignung und Raub des jüdischen Besitzes, Versklavung und Einsatz zur Zwangsarbeit, Unfruchtbarmachung, Deportation sowie „Vertilgung“, möglichst mit Hilfe anderer Völker. Hundt hat das von ihm angeregte Tribunal gegen die Juden als zentralen Teil eines umfassenderen Umsturzes verstanden. Der von Jakob Friedrich Fries prophezeite Volksaufstand gegen die Juden erschien ihm damals wohl unausweichlich. Ergriffen die radikalen Nationalisten dann die Initiative, ließe der bloße Pogrom sich zur Revolution erweitern. Neben den Juden würden alle von der „jüdischen Kapitalmacht“ abhängigen Regierungen sowie die anderen inneren Feinde des Vaterlands hinweg gefegt. Der Judenmord, das Gründungsverbrechen der befreiten Nation, würde die Deutschen zur unauflöslichen Schicksalsgemeinschaft verschweißen, in einem tausendjährigen Reich des Heils.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Der Judenspiegel (Wilhelm Marr, 1862) In seinen frühen Schriften, in denen es um eine radikale Kritik an den reaktionären deutschen Zuständen und um Religionskritik geht, spielten die Juden für Wilhelm Marr keine Rolle. Erst die Enttäuschung der politischen Hoffnungen von 1848 führte bei ihm zu einer radikalen Umorientierung, in der das Judentum zunehmend in den Mittelpunkt der Kritik rückte, da nach seiner Auffassung mit der Judenemanzipation auch die Judenherrschaft eingesetzt habe. Anders als andere enttäuschte 1848er, die zu nationalen und konservativen Liberalen oder gar zu Konservativen wurden, behielt Marr seine radikal-demokratischen Überzeugungen bei. Die Ursachen für seine Wendung gegen das emanzipierte Judentum liegen in der sich in Hamburg nach 1848 entwickelnden politischen Rivalität zwischen „Liberalen“ und „Radikalen“, in die auch Gabriel Riesser, der liberale Vorkämpfer der Judenemanzipation, und der „Radikale“ Marr involviert waren. Neben weiteren politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Riesser und Marr waren Emanzipation und „Judenfrage“ in Hamburg Gegenstand heftiger politischer

Der Judenspiegel (Wilhelm Marr, 1862)

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Auseinandersetzungen. Marrs Streit mit Riesser kulminierte nach Moshe Zimmermann in der Auseinandersetzung um die Einführung der Zivilehe, da Letzterer im Namen der Gewissens- und Glaubensfreiheit gegen die verbindliche Festschreibung der Zivilehe protestierte – für Marr ein Beweis, dass auch die liberalen Juden nur für das Wohl und die Exklusivität des Judentums eintraten. Den Kern des Konflikts bildet also ein unterschiedliches Verständnis über die Ziele und Folgen der Emanzipation. Während Riesser liberale Prinzipien nicht nur gegen die Fürstenherrschaft stellte, sondern zugleich auch gegen die radikaldemokratische Position der absoluten Geltung von Mehrheitsbeschlüssen den Schutz der Minderheit vor der Mehrheit einforderte, sah Marr die Freiheit im Individuum beschlossen und lehnte Gruppenloyalitäten und eine Gleichberechtigung bei gleichzeitigem Beharren auf dem „Besonderen“ einer Minderheit ab. Marr warf Riesser und den Juden „Abtrünnigkeit“ vor, da sie von der Fahne der radikalen politischen Reformen gegangen und zu Reaktionären geworden seien, obwohl doch gerade sie Nutznießer des Reformprozesses gewesen seien. Seine Schrift sollte dazu dienen, den Juden diesbezüglich einen „Spiegel“ vorzuhalten. Nach Zimmermann war bis 1861 trotz aller Konflikte allerdings keine klare judenfeindliche Haltung Marrs gegenüber Riesser zu erkennen. Bevor dieser mit seiner im Selbstverlag in Hamburg herausgebrachten, 58-seitigen Schrift „Der Judenspiegel“ eine dezidiert judenfeindliche Position veröffentlichte, hatte er 1862 zunächst sogar vorgehabt, mit einer philosemitischen Schrift das assimilatorische Reformjudentum zu unterstützen und die Orthodoxie anzugreifen. Auf Anraten eines befreundeten jüdischen Advokaten, der ihn auf die Gefahr hinwies, mit dieser Schrift des Judenhasses verdächtigt werden zu können, verzichtete er auf eine Veröffentlichung, publizierte dann aber Ende 1862 in einer überraschenden Wendung seinen „Judenspiegel“, in dem er nun sowohl die orthodoxen wie die Reformjuden angriff. Als Grundgedanken seiner Schrift sieht Marr die Charakterisierung des jüdischen Gemeindewesens als eine „Nationalität“ in der Nationalität, einen Staat im Staate und eine Gesellschaft in der Gesellschaft, die die Juden „wie in einer chinesischen Mauer conservirten“. Sein Angriff im „Judenspiegel“ zielte auf diesen jüdischen Partikularismus, dessen historische Gründe und Berechtigung er bestritt: Die Juden seien niemals ein „racen-reines Urvolk“ noch eine „consolidirte Nation“ gewesen. Er wirft ihnen vor, in der „falschen Idee zu leben, Beides zu sein“. Solange die Juden an diesen Überzeugungen festhielten, sind und bleiben sie für Marr „ein fremdes Element im Staate“. Da für ihn die Religion des Judentums ganz spezifisch national-jüdisch angelegt ist, kann man den Juden als Juden keine Gleichberechtigung gewähren, denn deren Satzungen kollidierten mit der bürgerlichen Ordnung. Entsprechend ist für ihn das „böse Geschwür der Exklusivität“ nur durch eine Operation, d.h. die „Aufhebung des Judenthums“ zu heilen. Auch wenn er zu dieser Aufhebung praktisch die Taufe vorschlug, so ging es ihm dabei nicht – wie Kritiker ihm vorhielten – um einen christlichen Staat, den er vehement ablehnte, sondern um die Trennung des Getauften von seiner Gruppe, also um dessen Austritt aus dem religiösen Verband und nicht um den Eintritt in einen neuen, christlichen Verband. Denn in gut junghegelianischer Manier hatte Marr letztlich eine revolutionäre Umwälzung hin zu einem freien Menschentum im Auge. Und so lautet sein zentraler Vorwurf an die Adresse Riessers und der Juden generell, ihr politisch-religiöses Bewusstsein höher zu stellen als das freie Menschen-

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tum. Marr betont, „keinen Haß gegen diesen oder jenen Juden“ zu hegen, sondern er „hasse das Judenthum“, das er im Stil der Aufklärungskritik à la Voltaire im Rückgriff auf das Alte Testament als barbarisch beschreibt und im Anschluss an Feuerbach und Bauer als „anthropologische Illusion“ kritisiert. Obwohl Marr die Juden als einen historisch gewordenen „anderen Menschenstamm“ bezeichnete, sah er sie im „Judenspiegel“ als ein Mischlingsvolk“ an und zählte sie wie die Germanen, Slawen und Romanen zur „kaukasischen Rasse“. Er plädierte auch keineswegs für eine Rücknahme der Emanzipation, sondern für deren Forcierung durch weitere Schritte zur Assimilation, etwa durch Einführung der Zivilehe („fleischliche Assimilation“ durch „Mischehen“), Verstaatlichung der jüdischen Armenfürsorge, Reform des Erbschaftsrechts, Auflösung der jüdischen Gemeinden. Als Vorbild stellt Marr die Entwicklung in den Vereinigten Staaten hin, wo die Juden ihre Eigentümlichkeiten verlören, da sie offiziell nichts als „Staatsbürger“ sein dürften und der Staat keine Juden als Juden anerkenne. Die deutsche Emanzipationspolitik nennt er deshalb eine „heuchlerische Lüge“: „Wir erkennen das Judenthum an ohne Reciprocität“. Und er fragt weiter, wie man emanzipieren wolle, was man als Objekt anerkennt. Denn man könne nur den Menschen emanzipieren, nicht den Juden. Entsprechend ist für ihn die Judenemanzipation auch die „Selbstemanzipation vom Judenthum“, in der sie sich zur allgemeinen Menschlichkeit emanzipieren. Die jüdische Religion kann deshalb nur als Privatangelegenheit weiterbestehen, die Gemeindeverbände dagegen müssen aufgelöst werden, denn „das Judenthum muß aufhören, wenn das Menschenthum anfangen soll“. Marr sieht das Ziel der Judenemanzipation letztlich im „Ein- und Aufgehen [der Juden] in die Form und das Wesen der Majorität im Staate“. Komplementär richtet er seine Forderungen auch an den christlichen Staat, der sich ebenfalls emanzipieren und weltanschaulich neutral werden müsse. Der später Marrs Weltsicht so dominierende Aspekt der jüdischen Vorherrschaft findet sich im „Judenspiegel“ erst angedeutet. Einem Kritiker, der ihm vorwarf, er sei inkonsequenterweise für das allgemeine Wahlrecht auch für Juden eingetreten, gab Marr im Vorwort der 5. Auflage zur Antwort, dass er geglaubt habe, den Juden dies nicht verweigern zu dürfen. Er habe aber zugleich „gewarnt und protestirt, das jüdische Element zu mächtig werden zu lassen“. Nach seiner Ansicht habe sich der Staat in ein Dilemma verrannt, da er den Juden durch das allgemeine Wahlrecht den Zugang zu Staatsstellen ermöglicht habe, ohne „Garantien von den Juden zu verlangen“, d.h. ohne wirkliche Emanzipation vom Judentum. Solange dies nicht vollzogen ist, kann nach Meinung Marrs das Judentum solche Garantien nicht geben, „weil es den jüdischen Staat höher stellt als jeden anderen“. Marr knüpft hier an die weitverbreitete Auffassung an, dass es sich beim Judentum um eine Form der Theokratie handele, „in welcher das Bekenntniß identisch ist mit einer jüdischen Staatsverfassung und Polizeiordnung“. Die Furcht vor einer „Übermächtigung“ ist damals bei ihm offenbar noch ganz auf den Staatsdienst beschränkt. Auch der Rassengedanke spielte noch eine Nebenrolle. Zwar verwendet er im „Judenspiegel“ die Begriffe „Race“ und „Stamm“, doch ist der Rassenbegriff, wie bei vielen Zeitgenossen, kein biologisch fixierter Begriff, sondern die Juden werden von ihm als historisch gewordenes Mischvolk charakterisiert, dessen Eigentümlichkeiten im Verlauf der Assimilation, die er ja als „fleischliche Vermischung“ dachte, wieder

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verschwinden würden, auch wenn er andererseits gerade zwischen Germanen und Orientalen einen besonders großen Rassenunterschied sah. Allerdings deutet die Formulierung: „der Unterschied zwischen Germanen und Orientalen ist noch zu groß in der Race, um den Ueberläufer ohne Sicherheit bei uns aufzunehmen“, doch auf die Möglichkeit, diesen in Zukunft verringern zu können. Sein Radikalismus, ein antijüdischer Artikel, den er 1862 im „Courier an der Weser“ veröffentlichte, und schließlich vor allem die Publikation seines „Judenspiegels“ hatten für Marr drastische Konsequenzen: Er wurde öffentlich als „Judenfresser“ angegriffen, seine demokratischen Parteigenossen gingen auf Distanz, und er verlor bei der Neuwahl zur Bürgerschaft sein Mandat, sodass er aus der Politik ausscheiden musste und von da an nur noch als politischer Publizist und Journalist tätig war. „Der Judenspiegel“ fand nach seinem Erscheinen keine große Resonanz. Er war trotz seiner judenfeindlichen Anwürfe letztlich noch ein Ausläufer der demokratischen, die Judenemanzipation mit radikalen Assimilationsforderungen weitertreibenden junghegelianischen Position, die in dem sich nach 1859 entwickelnden Antisemitismus des sozialkonservativen Flügels des Konservatismus keinen Platz mehr hatte.

Werner Bergmann

Literatur Henning Albrecht, Preußen, ein „Judenstaat“. Antisemitismus als konservative Strategie gegen die „Neue Ära“ – Zur Krisentheorie der Moderne, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 455–481. Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009. Uwe Puschner, Wilhelm Marr, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band V, 1993, Sp. 879–889. Paul Lawrence Rose, Revolutionary Antisemitism in Germany. From Kant to Wagner, Princeton 1990. Moshe Zimmermann, Wilhelm Marr. The Patriarch of Anti-Semitism. New York, Oxford 1986.

Der Judenspiegel (E. V. von Rudolf, 1937) Hinter E. V. von Rudolf verbirgt sich Rudolf von Elmayer-Vestenbrugg. Dieser war Diplomingenieur, SA-Obersturmführer und pseudowissenschaftlicher Schriftsteller. Der Anhänger der „Welteislehre“ trat später auch als Ufologe hervor. „Der Judenspiegel“ steht zusammen mit dem Text „Totengräber der Weltkultur“, in dem von Rudolf den Judenhass mit Antimarxismus und Antibolschewismus verknüpft, als „Kampfschrift der Obersten SA-Führung“ für den vom Nationalsozialismus vertretenen Antisemitismus. Die Juden definiert sie als minderwertige „Bastardrasse“, als „eine mulattenhafte Mischung Gelbweißer mit Schwarzen“. Die Vermengung „arischen Blutes“ mit „Judenblut“ sei eine „himmelschreiende Sünde wider den Geist der Schöpfung“. „Die Judenfrage“ gilt als „der Schlüssel zur Weltgeschichte“, und der Verfasser erhebt den Anspruch, „die alles zersetzende Tätigkeit des Judentums, vom grauen Altertum an bis in unsere Tage“ aufzudecken. Überall auf der Welt übe „der Jude“ „sein unheilvolles Schmarotzertum“ aus. Er wird als das Urbild der Verworfenheit und La-

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sterhaftigkeit vorgestellt sowie als „der typische Materialist“, der im Bereich des Geistigen und der Kunst niemals etwas Bedeutendes geschaffen habe. Von Rudolf unterstellt den Juden Ritualmorde und beruft sich auf Luther, der die Juden als „Satansvolk“ tituliert habe. „Der Jude“ wird als Anstifter und Profiteur sämtlicher Kriege der letzten dreitausend Jahre verteufelt. Er verspotte „alle sittlichen Ideale des Ariers; sein Weltentraum war und ist die Unterjochung oder gar Ausrottung aller nichtjüdischen Völker“. Der NS-Propagandist betrachtet die biblische Figur des Haman mit seinem Plan der Judenausrottung als verpasste Chance, sich eines Gutteils der Juden zu entledigen. Der europäische Hochadel sei in einem erschreckenden Umfange „judenverseucht“, ebenso das Christentum, insbesondere der Katholizismus. Die Juden hätten das Papsttum „semitisiert“, woraus sich dessen „Greuel und Schandtaten“ erklärten. „Im Verein mit Juda brachte es ein Meer von Blut und Tränen auch über unser deutsches Volk.“ Der antisemitische „Internationalismus“, auf den Arnold Zweig und Hannah Arendt verwiesen haben, zeigt sich auch in dieser Schrift. Von Rudolf gibt sich sicher, dass in Deutschland das Volk geschlossen gegen die Juden stehe. Die Deutschen könnten den antijüdischen Kampf jedoch nicht alleine bestehen. Unter Hitlers Führung gingen sie freilich „der ganzen Welt voran“, um sie „vom alles vergiftenden und alles ertötenden Judentum“ zu befreien.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Das Judenthum (Karl Kautsky, 1890) Karl Kautsky (1854–1938), tschechisch-deutscher Sozialist, Schriftsteller und Theoretiker der Zweiten Internationale, befasste sich erstmals 1882 mit der „jüdischen Frage“. „Es ist ein charakteristisches Zeichen“, schrieb er im Zürcher „Sozialdemokrat“, dass die Judenhetzen gerade in den Ländern ausbrechen, wo das ‚Gottesgnadenthum’ unbestritten herrscht.“ Ein Jahr später machte er in der „Zürcher Post“ auf die „bedrohliche Stärke“ des Antisemitismus aufmerksam. Neun Zehntel der Bevölkerung würden offen oder heimlich zum Antisemitismus tendieren, warnte er im „Österreichischen Arbeiter-Kalender für das Jahr 1885“. Kautskys bis dahin ausführlichster Essay zum Thema erschien 1890 unter dem Titel „Das Judenthum“ in der „Neuen Zeit“, der theoretischen Zeitschrift der SPD. Die Antisemiten würden die Juden angreifen, weil sie diese als ökonomische Konkurrenten sähen. Sie würden dies aber nicht zugeben, sondern behaupten, dass ihre Gegnerschaft zu den Juden in den „ewigen Naturgesetzen“ begründet sei „als naturnothwendige Folge des Rassengegensatzes“. Die Abneigung gegen die Juden sei eine alte Erscheinung, die man schon bei den Römern beobachten könne. Sie sei zudem weit verbreitet, selbst in Asien. Doch sei die Opposition gegen die Juden weder ein natürliches Gefühl, noch unveränderlich oder immer vorhanden gewesen. Die unterstellten natürlichen Merkmale der Juden

Das Judenthum und der Staat (Hermann Wagener/Hrsg., 1857)

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seien in Wirklichkeit Produkte sozialer Verhältnisse, „Eigenthümlichkeiten von Bewohnern bestimmer Lokalitäten unter bestimmen Produktionsverhältnissen“. Daraus erkläre sich auch, dass es den Juden gelungen sei, ihre eigene „Nationalität“ zu bewahren. So spielten die Geographie und der Bevölkerungsdruck im alten Palästina eine Rolle. Als die Juden aufgrund des Bevölkerungsdruckes und der Kriegsgeschehnisse Palästina verlassen mussten, dachten sie stets daran, zurückzukehren. So wählten sie nicht-landwirtschaftliche Berufe, die ihnen die Rückkehr erleichtern sollten, und wurden zu einem Handelsvolk mit all den Charakterzügen der Städter. „Erst durch das einseitige städtische Leben hat der Typus des semitischen Bergvolkes seine spezifischen sogenannten jüdischen Züge erhalten.“ Mit der allgemeinen Verstädterung infolge der industriellen Revolution würden aber diese Merkmale aufhören, spezifisch jüdisch zu sein. Der Kapitalismus würde die soziale Differenzierung unter den Juden beschleunigen und sie in Arbeiter, Intellektuelle und selbst in Bauern verwandeln. Damit gehe die Auflösung des Judentums als eigenständiger Gemeinschaft einher. So sehr Kautsky hier die Verbindung von Religiösität und Ethnizität der Juden wie auch ihren Drang, die Tradition zu bewahren, unterschätzte, so sehr kann dieser Aufsatz als ernsthafter Versuch gewertet werden, die antisemitischen Mythen zu entschleiern und ihnen mit historisch-materialistischen Argumenten entgegenzutreten.

Mario Keßler

Literatur Jack Lester Jacobs, Kautsky on the Jewish Question, Ph.D. Thesis, Columbia University, New York 1983. Jack Lester Jacobs, Sozialisten und die „jüdische Frage“ nach Marx, Mainz 1994. Enzo Traverso, Die Marxisten und die jüdische Frage. Geschichte einer Debatte (1843– 1943), Mainz 1995.

Das Judenthum und der Staat (Hermann Wagener/Hrsg., 1857) Das Buch „Das Judenthum und der Staat“ ist die erste eigenständige Schrift des Politikers und Publizisten Hermann Wagener zur „Judenfrage“. 1857 veröffentlicht, ist an ihr die Herausbildung des abwertenden Judenbildes zu beobachten, das die preußischen Sozialkonservativen gegen den Emanzipationsanspruch der Reformjuden richteten und das ab 1859 für ihren anti-liberalen Antisemitismus bestimmend war. Die Schrift markiert so den Übergang zu einer politisch-funktionalen Behandlung der „Judenfrage“. Hierzu sind insbesondere das Vorwort und ihr letzter Teil einschlägig. Die Zuordnung zu Wagener ist nicht unproblematisch, da er sich lediglich als Herausgeber und Verfasser des Vorworts bezeichnet. Eventuell gab es einen unbekannten Co-Autoren, möglicherweise Selig Paulus Cassel oder Bruno Bauer. Ziel der Schrift war es, zwei Anträge zu rechtfertigen, die Wagener Anfang März 1856 in das preußische Abgeordnetenhaus eingebracht hatte. Sie zielten darauf, die rechtliche Gleichheit der Staatsbürger und die Gleichstellung aller Religionen aus der Verfassung zu tilgen, um so vorbürgerliche Verhältnisse in Preußen wiederherzustellen. Nachdem im Vorfeld 264 jüdische Gemeinden Petitionen gegen die Anträge an

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das Abgeordnetenhaus gerichtet hatten, verhinderte die Regierung deren parlamentarische Beratung. Die Schrift geht aus vom Konzept des „christlichen Staates“, in dem Juden keine staatsbürgerlichen Rechte beanspruchen könnten. Argumentative Hauptstrategie ist es, das Judentum auf die Orthodoxie zu reduzieren, um die Emanzipation zu verhindern: Nur in „Absonderung“ könne es „seine religiöse und nationale Persönlichkeit“ bewahren; die Aufnahme der Juden in eine „andere Nation“ durch die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte sei für deren Religion hingegen tödlich. Insbesondere der lange Exkurs über das „rechtgläubige Judenthum“ im Mittelteil dient dazu, religiösen Vorschriften und überlebten rabbinischen Auffassungen den Ausschluss der Juden von politischen Rechten zu entleihen. Darauf aufbauend propagiert die Schrift eine „Reorganisation der preußischen Judenschaft“ auf Basis der Gesetze vom 23. Juli 1847 und der Kabinetts-Ordre vom 13. Dezember 1841. Die Reformjuden werden in der Schrift zum Hauptgegner, da gegen jene diese Argumentation nicht verfing. In der Konsequenz wird gegen sie gerichtet ein abwertendes Judenbild entworfen, das in seinen Verallgemeinerungen (wie ab 1859 geschehen) auch auf die Orthodoxen zurückfallen musste. Das Reformjudentum schildert „Das Judenthum und der Staat“ nicht als religiöse Reformbewegung, sondern als politische Strategie, die darauf ziele, das Judentum „bürgerfähig erscheinen zu lassen“, ohne dass ihr „an einer Modernisirung des Kultus und der Lehre viel gelegen wäre“. Über das vom „christlichen Staat“ ausgehende Argument hinaus behauptet die Schrift nun, „dem Juden“ sei das „nationale Princip“ mental verschlossen, daher müsse Juden das auf „religiös-nationale Einheit gegründete Staatsbürgerthum“ verwehrt bleiben. Die hierbei verwendeten völkischen Stereotype markieren für das sozialkonservative Lager den Übergang zu einer im Schwerpunkt nicht mehr religiös fundierten Form des Judenhasses. Auch ökonomische Stereotype wandte die Schrift gegen eine volle Gleichberechtigung der Juden. Bereits die bürgerlichen Rechte seien gewährt worden, um sie zu nützlichen Gliedern der Gesellschaft zu machen; ihre „Abneigung gegen Gewerbebetrieb und Ackerbau“ und ihr „Hang“ „zum Handel und zum Geldgeschäft“ seien dadurch aber nur „schädlicher geworden als jemals zuvor“. Die volkswirtschaftliche Schädlichkeit der Juden setzt Wagener dann mit den sozialen Problemen der Gegenwart in Verbindung: Der Handel bedürfe deswegen stärkerer gesetzlicher Reglementierung, weil sich „die Juden“ dort breitmachten. Bereits im Vorwort unterstellt Wagener den „Reformjuden“ gesellschaftliches Machtstreben, warnt vor dem „Kulminiren der Geldherrschaft“ in ihren Händen und vor einem „antichristlichen Königthum“. Die Behauptung, es bestünde eine Verbindung zwischen liberal geregeltem Markt und den Interessen des Judentums, sowie die Warnung, das liberale Bürgertum dränge gemeinsam mit den Juden als „Geld-Kapital“ zur Macht und es drohe eine „Judenherrschaft“, gewannen für die Sozialkonservativen nach Anbruch der Neuen Ära zentrale politische Bedeutung, als sie mit dem Judenhass antiliberale Politik betrieben. Das hier geprägte Bild eines „Judenkönigs“ wandten sie gegen die deutsche Nationalbewegung. In Frankreich, warnte Wagener, sei die „Herrschaft des modernen Judenthums“ bereits verwirklicht; dort würden sich als Erstes die sozialen Missstände und „der Haß“

Das Judentum in der Musik (Richard Wagner, 1850)

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der „unter der Herrschaft des Geldes seufzenden Schichten“ in einer Revolution entladen. Die dadurch virulente Frage, wie mit den Juden umzugehen sei, beantwortet er nicht allein mit der Forderung nach Minderprivilegierung, sondern er plädiert für deren räumliche Separierung: „Je zerstreuter sie leben, desto schädlicher wirken sie“; Preußen habe „noch Raum genug für eigene Judendörfer, jüdische Ackerbau-Kolonien“. Insofern markiert die Schrift auch den Beginn der Radikalisierung sozialkonservativer „Lösungsansätze“ für die „Judenfrage“.

Henning Albrecht

Literatur Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855–1873, Paderborn, u.a. 2010.

Das Judentum in der Musik (Richard Wagner, 1850) Richard Wagners gesammelte Werke umfassen neben Musik auch Tausende von Seiten über Politik, Dramen- und Musiktheorie, Philosophie und andere Themen. Keine davon dürfte auch nur annähernd ähnlich viele Kontroversen ausgelöst haben wie ein knapper Aufsatz mit dem Titel „Das Judentum in der Musik“ von 1850, der 1869 erneut in erweiterter Form als Broschüre erschien. Der ursprüngliche Aufsatz ist erstmals in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ erschienen, 31 Seiten lang. Darum spannen sich als „Rahmenhandlung“ 26 weitere Seiten in Form eines Briefes an Marie Muchanoff, eine russische Aristokratin und Verehrerin Wagners. Die Originalversion von 1850 war unter dem Pseudonym „K. Freigedank“ an prominenter Stelle erschienen. Die „Neue Zeitschrift“ war eine Gründung Robert Schumanns und erschien inzwischen zweimal wöchentlich als seriöses Fachorgan unter der Leitung des Leipziger Musikwissenschaftlers und -theoretikers Franz Brendel. Weit bekannter wurde aber die Version von 1869, die am Text nur wenige, ganz überwiegend stilistische Korrekturen vornahm, ihn aber mit einem interpretatorischen Essay verband und nun auch mit dem Namen des Autors offen verknüpfte. Der Aufsatz von 1850 ist eigentümlich aufgebaut. Er kulminiert in einem Angriff auf Felix Mendelssohn Bartholdy und auf einen ungenannten Komponisten, ein „weit und breit berühmter jüdischer Tonsetzer unsrer Tage“, der so offensichtlich der damals weltberühmte Giacomo Meyerbeer ist, dass man sich fragt, warum Wagner hier den Namen verschweigt. Die Ausführungen über Musik umfassen nur ca. zwei Drittel des Textes. Am Anfang verbringt Wagner viel Zeit damit, „die unbewußte Empfindung, die sich im Volke als innerlichste Abneigung gegen jüdisches Wesen kundgibt, zu erklären“. Das „unwillkürlich Abstoßende“ der Juden ist nicht religiös zu erklären, sondern führt in frühe Formen des Rassenantisemitismus, auch wenn der Begriff der „Rasse“ noch nicht fällt. Vergebens sei es, „durch die christliche Taufe auf die Verwischung aller Spuren seiner Abkunft hinzuwirken. Dieser Eifer hat den gebildeten Juden aber nie die erhofften Früchte gewinnen lassen wollen; er hat nur dazu geführt, ihn vollends zu vereinsamen, und ihn zum herzlosesten aller Menschen in einem Grade zu machen, daß wir selbst die frühere Sympathie für das tragische Geschick seines Stammes verlieren mußten.“

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Das Judentum in der Musik (Richard Wagner, 1850)

Wagner bemüht bereits alle antisemitischen Stereotypen, von der vermeintlichen jüdischen Geldherrschaft bis zur eigenen Nationalität des Juden, die durch den eigenen Gott zementiert wird und die ihn überall als Fremden dastehen lässt. Aber im Kern steht für Wagner die „Verjüdung“ des Kulturlebens. Da der Jude ein Fremder im Volkskörper bleibe, fehle ihm die Verbindung, aus der erst die schöpferische Leidenschaft entspringen könne. „Was so der Vornahme der Juden, Kunst zu machen, entsprießt, muß daher notwendig die Eigenschaft der Kälte, der Gleichgültigkeit, bis zur Trivialität und Lächerlichkeit an sich haben, und wir müssen die Periode des Judentums in der modernen Musik geschichtlich als die der vollendeten Unproduktivität, der verkommenden Stabilität bezeichnen.“ Die Unfähigkeit, schöpferisch tätig zu werden, beginne bereits mit der Sprache. Juden bleiben „Ausländer“ in jeder Sprache, und als „durchaus fremdartig und unangenehm fällt unsrem Ohre zunächst ein zischender, schrillender, summsender und murksender Lautausdruck der jüdischen Sprechweise auf“. Wenn dies schon für die Sprache gilt, dann erst recht für die Musik, denn „Gesang ist eben die in höchster Leidenschaft erregte Rede: die Musik ist die Sprache der Leidenschaft“. Hier sei der Jude mangels Verständnis für die deutsche (oder andere) Musik des Volkes auf die Synagoge angewiesen, und in dieser notwendigen – eben rassischen – Minderwertigkeit liege auch die Tragik Mendelssohns in seinem „Bemühen, einen unklaren, fast nichtigen Inhalt so interessant und geistblendend wie möglich auszusprechen“. Noch schlimmer steht es um den ungenannten Meyerbeer: „Wir glauben wirklich, daß er Kunstwerke schaffen möchte, und zugleich weiß, daß er sie nicht schaffen kann: um sich aus diesem peinlichen Konflikte zwischen Wollen und Können zu ziehen, schreibt er für Paris Opern, und läßt diese dann leicht in der übrigen Welt aufführen – heut’ zu Tage das sicherste Mittel, ohne Künstler zu sein, doch Kunstruhm sich zu verschaffen.“ Der Aufsatz schließt mit einigen überwiegend abfälligen Worten über Heine und Börne, bevor dem Judentum lapidar die „Erlösung Ahasvers, – der Untergang!“ empfohlen wird. Spätestens in der Passage zu Meyerbeer wird eine Quelle von Wagners Antisemitismus deutlich: der blanke Neid auf den so viel erfolgreicheren Kollegen, der zudem Wagner in dessen finsterster Zeit in Paris 1839–1842 vielfach hilfreich unter die Arme gegriffen hatte. Die musiktheoretische Auseinandersetzung mit Meyerbeer erfolgte umfangreicher in Wagners voluminöser Abhandlung über „Oper und Drama“ (1852), wo er Meyerbeers Musik als „Wirkung ohne Ursache“ und bloßen Effekt denunzierte. Der Zusatz von 1869 fügt inhaltlich wenig zum Text hinzu. Er ist ein einziges Lamento über die Verfolgung und das Ignorieren, das Wagner und jeder ihm Verbundene angeblich erfahren haben, vor allem in der „Judenmusikweltstadt“ Leipzig. Dies grenzt an Verfolgungswahn; gerade darin, dass der Artikel von 1850 nicht erwähnt wird, sieht Wagner das sicherste Anzeichen dafür, dass hier das rachsüchtige Judentum am Werke ist. Neue Gegner wie der Wiener Kritiker Eduard Hanslick werden aufs Korn genommen, selbst Schumann wird angegriffen, und insgesamt ist Wagner vom „vollständigen Sieg des Judentums auf allen Seiten“ überzeugt. Es fällt schwer, beide Texte anders denn als Psychogramm ihres Autors ernst zu nehmen. Vor allem der Zusatz von 1869 ist von dem Versuch gekennzeichnet, die eigene relative Erfolglosigkeit durch eine gigantische jüdische Verschwörung zu erklä-

Judentum und Gaunertum (Johann von Leers, 1940)

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ren. Aber man muss konstatieren, dass bereits 1850 fast alle Elemente eines rein rassisch argumentierenden Antisemitismus vorliegen und diese Gedanken in der weiteren geistigen Entwicklung des deutschen und internationalen Antisemitismus eine große Rolle gespielt haben; nicht zuletzt deshalb, weil der spätere Ruhm des Komponisten Wagner auch seinen politischen Ausfällen ein Gewicht und bürgerliche Akzeptanz verlieh, die der bloße Text niemals hätte erlangen können.

Michael Dreyer

Literatur Dieter Borchmeyer, Ammi Ma’ayani, Susanne Vill (Hrsg.), Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000. Jens Malte Fischer, Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Franfurt am Main, Leipzig 2000.

Das Judentum in der Rechtswissenschaft → Judentum und Gaunertum

Judentum und Gaunertum (Johann von Leers, 1940) Mit dem Untertitel „Eine Wesens- und Lebensgemeinschaft“ erschien 1940 in der Reihe „Schriften zur Judenfrage“ im Theodor Fritsch Verlag die Broschüre „Judentum und Gaunertum“ aus der Feder Johann von Leers’ (1902–1965). Ein Vorwort von Ministerialrat Wilhelm Ziegler, der Referent im Propagandaministerium war und das Institut zum Studium der Judenfrage leitete, betonte den offiziösen Charakter der 64Seiten-Schrift und der Serie, in der die Titel „Wie kam der Jude zum Geld“ (Leers) und „Alljuda als Kriegstreiber“ bereits erschienen und weitere wie „Jude und Weib“, „Jüdisches und deutsches Rechtsempfinden“ sowie „Die Verleihung der Staatsbürgerrechte an die Juden – ein Weltirrtum!“ angekündigt waren. Die Reihe wurde laut Verlagsankündigung nur geschlossen abgegeben, erhebliche Mengenrabatte wurden angeboten beim Bezug von 50 bis 1.000 Exemplaren eines Titels. Beginnend in der Antike bemühte sich Leers um den Nachweis, dass die Kriminalität den Juden aus rassischen wie religiösen Gründen wesensimmanent sei. Als Belege führte der Autor vom Geldverleih gegen Zins bis zur Ritualmordlegende alle Stereotype an, die vom Mittelalter über die Neuzeit bis in die Gegenwart als Machenschaften „der Juden“ gelten wie Hehlerei, Diebstahl, Wechselbetrug. Geläufig war auch der Vorwurf, der Gründerkrach in den 1870er Jahren sei von Juden herbeigeführt worden, und die Behauptung, Juden seien Kriegsgewinnler. Leers’ Schlussfolgerung aus den von ihm angeführten Beispielen jüdischer Kriminalität in aller Welt lautet, das Judentum sei kein Volk wie andere Völker: „Es ist ein bewußt gegen alle schaffenden Völker im Dienst des Bösen zusammengeschlossenes Erbgaunertum.“ Ähnlich wie in der Broschüre „Judentum und Gaunertum“ argumentiert Johann von Leers in seinem Buch „Die Verbrechernatur der Juden“, das 1944 im Verlag Paul Hochmuth Berlin erschien. Mit Literaturangaben und Fußnoten suchte der Autor den Eindruck seriöser Recherche und wissenschaftlicher Fundierung seiner Propaganda– Tiraden zu erwecken. In großer Ausführlichkeit behandelte Leers wieder die von ihm behauptete jüdische Veranlagung zur Kriminalität und die Gaunersprache als „jüdi-

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Judentum, Christentum, Germanentum (Michael Kardinal von Faulhaber, 1934)

sches“ Phänomen. Einzelne Kapitel sind der Falschspielerei, dem Diebstahl und der Hehlerei gewidmet. Betrug, Hochstapelei, Schiebertum werden in weiteren Abschnitten als jüdische Delikte dargestellt. Der angeblichen jüdischen Disposition zu „Geschlechtsverbrechen“ wird Raum gegeben, wobei Mädchenhandel als spezifisch jüdischer Erwerbszweig eine besondere Rolle spielt. Schmutzliteratur führt von Leers als jüdische Domäne vor (einschließlich des Revuetheaters). Jüdische Mordlust bis hin zum Genozid (am biblischen Stamm der Amalekiter), historische Attentate, die Leers den Juden zuschreibt, Gräuel der Bolschewisten, die von Juden verursacht worden seien, oder das Gangstertum in den USA werden mit Hilfe der üblichen antisemitischen Topoi zum Schreckensgemälde jüdischer Verbrechen inszeniert, das die Identität von Judentum und Verbrechen beweisen soll. Eine vom Deutschen Rechts-Verlag publizierte Serie „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ widmete die dritte Ausgabe (1936) dem Thema „Judentum und Verbrechen“. Darin war eine weitere Abhandlung „Die Kriminalität des Judentums“ von Johann von Leers abgedruckt, die das Thema variierte und den Nachweis versuchte, die „jüdische Kriminalität“ als Gebot Jahwes, als Folge jüdischer „Rasse“ und Religion darzustellen.

Wolfgang Benz

Literatur Martin Finkenberger, Johann von Leers und die „faschistische Internationale“ der fünfziger und sechziger Jahre in Argentinien und Ägypten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 522–543.

Judentum, Christentum, Germanentum (Michael Kardinal von Faulhaber, 1934) Unter dem Titel „Judentum, Christentum, Germanentum“ hat Michael Kardinal von Faulhaber (1869–1952), Erzbischof von München und Freising, seine im Advent und zu Silvester 1933 gehaltenen Predigten 1934 im Druck erscheinen lassen. Obwohl Faulhaber, der durch seine Sozialisation tief von autoritären, ademokratischen Strukturen geprägt war, die Legitimität der Weimarer Republik öffentlich anzweifelte, Hitler aber noch 1936 als die „gottgesetzte Obrigkeit“ bezeichnete, der man „Ehrfurcht und Gehorsam“ schulde, muss sein Verhältnis zum Nationalsozialismus als ambivalent bezeichnet werden, da er dessen antichristliche Ausprägungen frühzeitig in München kennengelernt hatte (Hastings). Gleichwohl war er davon überzeugt, dass eine Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus möglich sei. Vor diesem Hintergrund muss man die Predigten Faulhabers verstehen, in denen er das Alte Testament als christliche Schrift gegen antisemitische Verunglimpfungen der nationalsozialistischen Ideologie in Schutz nahm. Lehnte Faulhaber den rassistischen Antisemitismus der Nationalsozialisten auch ab, so hatte er ihm aufgrund seines tiefgreifenden strukturellen Antijudaismus, der sich in den Predigten niederschlug, nur wenig entgegenzusetzen. Seine Verteidigung des Judentums verfolgte ausschließlich christliche Interessen. Gleich zu Beginn der ersten Predigt verwies Faulhaber auf die Intention seiner Ausführungen: „Wenn die

Judentum, Christentum, Germanentum (Michael Kardinal von Faulhaber, 1934)

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Rassenforschung, an sich eine religiös-neutrale Sache, zum Kampf gegen die Religion sammelt und an den Grundlagen des Christentums rüttelt, wenn die Abneigung gegen Juden von heute auf die Heiligen Bücher des Alten Testamentes übertragen und das Christentum wegen seiner ursprünglichen Beziehungen zum vorchristlichen Judentum verdammt wird, [...] kann der Bischof nicht schweigen.“ Faulhaber, der streng zwischen vor- und nachchristlichem Judentum unterschied, interessierte sich ausschließlich für Ersteres, da nur dieses „Träger der Offenbarung“ gewesen, die aber mit Jesus Christus auf das Christentum übergegangen sei. Da die Juden Jesus gekreuzigt hätten, sei ihr Bund mit Gott zerbrochen: „Die Tochter Sion erhielt den Scheidebrief, und seitdem wandert der ewige Ahasver ruhelos über die Erde.“ Von diesem antijüdischen Motiv zur Beschreibung der gegenwärtigen jüdischen Existenz ist Faulhaber derart überzeugt, dass ihm ein unparteiischer Blick auf das Judentum nicht möglich ist. Dies ist deswegen hervorzuheben, da in der Literatur häufiger behauptet wurde, dass Faulhaber das Judentum mit seinen Predigten in einer Zeit der Verfolgung schützen wollte. Diese Deutung ist auch deswegen zu verneinen, da in den Predigten die antijüdischen Topoi der Substitutionstheologie, die das Judentum als Religion negierte, breit rezipiert wurden (Zenger). Die Bücher des Alten Testaments, die Faulhaber gegen Angriffe verteidigte, waren für ihn keine Bücher, die „von Juden verfasst“, sondern vom „Geiste Gottes eingegeben“ worden seien. Daher dürfe eine „Abneigung gegen Juden von heute“ nicht auf diese Bücher übertragen werden. Ein Urteil über diese „Abneigung“ fällt Faulhaber nicht, da sich seine Kritik am Antisemitismus allein auf die Bedeutung dieser Bücher für das Christentum bezieht. Seine Lesart des Alten Testaments, die den Juden absprach, im Besitz ihrer Heiligen Schriften zu sein, da es nur eine christliche Auslegung dieser Schriften geben könne, hat Faulhaber bereits in seiner Promotionsschrift „Die griechischen Apologeten der klassischen Väterzeit“ (Würzburg 1896) vorgestellt. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht auf der historischen Darstellung, sondern auf der systematischen Entfaltung spätantiker Apologetik lag, empfiehlt Faulhaber den „Kampf gegen die Brüder Ahasvers“, den die Kirchenväter geführt hätten, auch für seine Zeit. Der vermeintliche „Partikularismus des Judentums“ wurde bereits hier gegen den „Universalismus des Christentums“ ausgespielt, sodass das „nachchristliche Judentum“ zu einer in sich defizitären Erscheinung wird. Im Hinblick auf seine Predigten von 1933 ist hier die – vor allem an Eusebius entwickelte – Enterbungslehre wichtig, die dem Judentum absprach, eine biblische Religion zu sein, da alle Verheißungen, die ihnen als Volk zuteil geworden, auf die Christen übertragen worden seien. Eine gottgefällige Ausübung ihrer Religion, wie etwa das Halten der Gesetze, sei Juden daher nicht mehr möglich. Durch ihr Verhalten seien sie vom „wahren Israel“ ausgeschlossen worden, das sich nun allein aus Christen zusammensetze. Auch wenn die Predigten Faulhabers selbst in jüdischen Kreisen ein positives Echo fanden, wie etwa bei dem Münchner Rabbiner Leo Baerwald (1883–1970), der in der Hoffnung, einen Verbündeten in bedrängter Zeit zu finden, alle eklatant antijüdischen Ausführungen Faulhabers zu beschwichtigen versuchte (C.V.-Zeitung vom 21. Dezember 1933 und vom 4. Januar 1934), so müssen sie aufgrund der Bedeutung, die Faulhaber für den deutschen Katholizismus während dieser Zeit hatte, und aufgrund des Mutes, den er hinsichtlich kirchlicher Belange aufbrachte, als eine verpasste

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Judenviertel Europas (Hans Hinkel, 1939)

Chance gesehen werden (Brenner). Gegen die in jüdischen Kreisen entstandene Deutung, dass die Predigten eine Verteidigung des zeitgenössischen Judentums seien, hat sich Faulhaber im November 1934 im Amtsblatt seiner Diözese verwahrt, indem er explizit darauf verwies, dass er in den Predigten keine Stellung zur Judenfrage genommen habe. Diese Äußerung wiegt auch deswegen schwer, weil Faulhaber in seiner Silvesterpredigt zeigte, dass er durchaus bereit war, auf Herausforderungen, die durch die nationalsozialistische Ideologie entstanden waren, zu reagieren. So verwies Faulhaber darauf, dass vom kirchlichen Standpunkt nichts gegen „die ehrliche Rassenforschung und Rassenpflege“ einzuwenden sei. Auch habe man nichts gegen „das Bestreben, die Eigenart eines Volkes möglichst rein zu erhalten und durch den Hinweis auf die Blutsgemeinschaft den Sinn für die Volksgemeinschaft zu vertiefen“. Dies dürfe lediglich nicht zu Hass, Entsittlichung und Feindschaft gegenüber dem Christentum führen. Da die rassistisch-antisemitischen Übergriffe jener Zeit Faulhaber bekannt waren, lässt sich an der von ihm vorgenommenen Abgrenzung aller christlichen Belange von jüdischen die Erbarmungslosigkeit des christlichen Antijudaismus studieren, der die Boykotte und Pogrome, denen Juden ausgesetzt waren, ausgeblendet hat. Von dieser Haltung her erklärt sich sowohl der Hinweis Faulhabers vom April 1933, dass ein zum Katholizismus konvertierter Jude von diesem Schritt keinerlei „irdische Vorteile“ erwarten dürfe, als auch zwei Briefe – an Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli und an den Journalisten Alois Wurm – aus demselben Monat, in denen Faulhaber das Vorgehen gegen Juden zwar als unchristlich bezeichnete, aber davon ausging, dass es Wichtigeres gäbe und man davon ausgehen dürfe, dass die Juden sich selbst helfen können.

Markus Thurau

Literatur Michael Brenner, Von der Novemberrevolution bis zu den Adventspredigten. Zum Verhältnis zwischen Juden und Katholiken in Bayern zwischen 1918 und 1933, in: Florian Schuller, Giuseppe Veltri, Hubert Wolf (Hrsg.), Katholizismus und Judentum. Gemeinsamkeiten und Verwerfungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 270–281. Georg Denzler, Widerstand ist nicht das richtige Wort. Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003. Derek Hastings, Catholicism and the roots of Nazism. Religious identity and National Socialism. Religious identity and National Socialism, Oxford 2010. Erich Zenger, Nostra aetate. Der notwendige Streit um die Anerkennung des Judentums in der katholischen Kirche, in: Günther Bernd Ginzel, Günter Fessler, Die Kirchen und die Juden. Versuch einer Bilanz, Gerlingen 1997, S. 49–81.

Judenviertel Europas (Hans Hinkel, 1939) Das „Judenviertel Europas“ ist ein von Hans Hinkel, Staatskommissar im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und Sonderbeauftragter für die „Überwachung der kulturell tätigen Nichtarier“, herausgegebener propagandistischer Sammelband, der rassistisch-völkische Ideen vertritt. Erschienen ist er 1939 im Volk und Reich Verlag in Berlin. Das Buch trägt den Untertitel „Die Juden zwischen Ostsee

Judenviertel Europas (Hans Hinkel, 1939)

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und Schwarzem Meer“ und beinhaltet NS-typische Stereotype über Juden, mit dem Schwerpunkt auf den Regionen Ost- bzw. Südosteuropas. Das Buch beginnt mit einer Einführung Hinkels über „Deutschland und die Juden“; es folgen Aufsätze über Juden in Nord- und Osteuropa, d. h. etwa im Russischen Reich, Finnland, im Baltikum, Ungarn oder Rumänien. Die verschiedenen Autoren bemühen sich einheitlich darum, den Nachweis zu erbringen, dass zum Zeitpunkt der Publikation ein rasanter Anstieg der jüdischen Bevölkerung zu verzeichnen sei. Die Autoren sind zumeist prominente Wissenschaftler, deren vermeintlich seriöser Hintergrund sie für die Veröffentlichung auszeichnet. So schrieben hier Karl Christian von Loesch, Universitätsprofessor und Ethnologe sowie Berater in „Volkstumfragen“ unter Gustav Stresemann, Hermann Raschhofer, Jurist und Völkerrechtslehrer, sowie Franz Riedl, der 1939 auch über „Juden in Osteuropa“ publizierte. Dort sowie in Hinkels Buch betonte er immer wieder die vermeintlich kriegerischen Bestrebungen von Juden in aller Welt. Auch in den anderen Beiträgen des Sammelbandes gibt es vermeintlich Nachweise über die „Verjudung“, etwa der Kaufmannschaft, zudem belegen pseudowissenschaftliche Statistiken, jeweils ohne Quellenangabe, einen europaweiten jüdischen Bevölkerungsanstieg, wie etwa in Finnland, dem der Autor eine „Invasion des Judentums nach oben“ attestiert. Im Beitrag von Peter Heinz Seraphim, dem „Vordenker“ des nationalsozialistischen Ghettos, über „Das Judentum in Polen“ illustrieren insbesondere 25 antisemitische Bilder Unterwanderungsfantasien durch „Ostjuden“, und antisemitische Ressentiments werden hier für den Leser visualisiert. Übertitelt sind diese mit „Jüdische Welt“. Beispielsweise wird ein dem Stereotyp entsprechender „Ostjude“, der die charakteristischen Merkmale der Orthodoxen aufweist, gezeigt, der – so die Assoziation – an den Grenzen des Reiches steht und sich in die deutsche Gesellschaft einzuschleichen versucht, um diese zu unterwandern. Dieses Bild knüpft an judenfeindliche Bilder und Ressentiments an, wie sie im Zuge der seit den 1880er Jahren erfolgten Auswanderung von Juden aus Polen, Galizien oder Russland entstanden, und die als „Anti-Figur“ zum europäischen, modernen Menschen benutzt wurden. Teils äußerst abstoßende Fotografien lassen Assoziationen, wie sie damals bereits seit Jahrzehnten selbstverständlich waren, zum „armen“, „unhygienischen“ und „jiddisch sprechenden“ sowie dem „Bolschewismus zugeneigten“ Juden aufkommen. Die Bilder ähneln antijüdischen Karikaturen, in denen Attribute und Konnotationen wie „Zigarre“, „dicker Mann mit langer, krummer Nase“ und „junges hübsches Mädchen“ für antisemitische Hetzpropaganda missbraucht werden. Ähnlich wie Seraphim stigmatisieren auch die Autoren der anderen Artikel das osteuropäische Judentum, das außerhalb der jeweiligen Gesellschaften stets „fremd“ bleibe. Auch werden Verbindungen zu Stalin, d. h. dem „jüdischen Bolschewismus“ gezogen. Auf dem letzten Bild wird die „Zersetzung des Blutes der Gastvölker“ thematisiert, untertitelt mit „eine Mischehe wird geschlossen“. Gezeigt werden eine (unausgesprochen: deutsche) blonde Frau und ein dicker Mann mit einer Hakennase. Bilder prominenter Juden wie Albert Einstein („Weltwissenschaft“), des US-amerikanischen Schauspielers Jackie Coogan oder von Leo Trotzki („Kommandeur der russischen Armee“) dienen dem Autor als Beweis für die „Durchsetzung“ verschiedener gesellschaftlicher Bereiche durch Juden. Mit dem Titel „Jüdischer Zeitvertreib“ werden Stereotype des jüdischen „Verführers“ unter der Bildunterschrift „Rothschild hat Gefallen

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Os Judeus e os Protocolos dos Sábios de Sião (Portugal)

an der Jugend in Kalifornien“ vor Augen geführt. Auch die quasi „hässliche Seite“ wird mit dem Bild einer weinenden Jüdin mit dem Titel „Jüdisches Alter schreit an der Klagemauer“ illustriert; gemeinsam mit dem folgenden Foto „Jüdische Menge drängt sich in Tel Aviv“ werden Ängste geweckt. Den Schluss markiert der Satz „Das jüdische Werk: Die Vergiftung der Seelen. Englische Jugend marschiert für Moskau“, mit einem Bild, auf dem Kinder während eines nicht näher zu identifizierenden Marsches zu sehen sind. Der Autor Seraphim war in den 1940er Jahren bekannt, insbesondere da er das Konzept des nationalsozialistischen Ghettos konkretisierte. Noch in den 1950er Jahren galt er in der Bundesrepublik als „Theoretiker der Ghettopolitik“ und publizierte auch weiterhin. So gab er eine Schrift über deutsche Vertriebene und Flüchtlinge heraus. Auch verschiedene Beiträge des Journalisten Franz Riedl, etwa zu „Juden in Ungarn“, betonen immer wieder den überproportionalen Anteil von Juden unter den Gewerbetreibenden, so seien 40 bis 80 Prozent in „jüdischer Hand“. Zudem gehöre auch die „Finanzaristokratie fast restlos dem Judentum“ an. Riedl wurde 1945 in Ungarn als Kriegsverbrecher verurteilt. Das Buch wurde, ebenso wie andere Schriften und Veröffentlichungen Hans Hinkels, in der Sowjetischen Besatzungszone auf die „Liste der auszusondernden Literatur“ gestellt.

Verena Buser

Literatur Peter Patzelt, Ein Bürokrat des Verbrechens. Hans Hinkel und die „Entjudung“ der deutschen Kultur, in: Markus Behmer (Hrsg.), Deutsche Publizistik im Exil 1933–1945. Personen – Positionen – Perspektiven. Festschrift für Ursula E. Koch, Münster 2000, S. 307– 317.

Os Judeus e os Protocolos dos Sábios de Sião (Portugal) Zwischen 1923 und 1976 wurden die → „Protokolle der Weisen von Zion“ mehrfach in Portugal publiziert: 1923 unter dem Titel „Os Planos da Autocracia Judaica: Protocolos dos Sábios de Sião“ [Die Pläne für eine jüdische Herrschaft über den Staat. Die Protokolle der Weisen von Zion], herausgegeben von der konservativ-monarchistischen Jugend, 1937–1939 unter dem Titel „Os Judeus e os Protocolos dos Sábios de Sião: história e comentários“ [Die Juden und die Protokolle der Weisen von Zion: Geschichte und Kommentare], herausgegeben von João Paulo Freire und 1976 unter dem Titel „Os Protocolos dos Sábios de Sião“ [Die Protokolle der Weisen von Zion], mit einem Vorwort von Fernando Ferreira. Die vierbändige Ausgabe von 1937–1939 stammt von João Paulo Freire, der 1939 „Adolf Hitler und sein Buch Mein Kampf“ veröffentlichte, und der die Juden nicht a priori verurteilt, die Geschichte der Juden aber auf der Grundlage der „Protokolle“ präsentiert und interpretiert, deren Richtigkeit für ihn außer Frage steht. Freire bewundert die Juden wegen ihrer Fähigkeit, sich behauptet zu haben, macht sie aber auch verantwortlich für Kapitalismus, Marxismus und Liberalismus. Sein Antisemitismus ist subtil und stellt zahlreiche der in den 1930er Jahren in Portugal populären antisemitischen Thesen vorsichtig infrage. Auch wenn sich seine Thesen von den rassisti-

Das Jüdel (13. Jahrhundert)

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schen Hetztiraden eines Paulo de Tarso und Mário Saa abgrenzen, trägt sein wissenschaftlich-neutraler Stil zur Verbreitung der „Protokolle“ bei.

Michael Studemund-Halévy

Literatur Jorge Martins, Portugal o Judeus, Band 2, Lissabon 2006.

Das Jüdel (13. Jahrhundert) „Das Jüdel“ ist eines der ältesten deutschen Marienmirakel, verfasst in 459 Reimpaarversen. Es entstand Anfang des 13. Jahrhunderts im bairisch-österreichischen Sprachraum und fand weite Verbreitung. In der Schilderung wird ein jüdischer Junge von dem um seine Ausbildung besorgten Vater auf eine christliche Schule geschickt. Mithilfe finanzieller Zuwendungen findet er nach und nach Aufnahme bei seinen christlichen Schulkameraden, die ihn in einer Kapelle auch in die Gebete zur Gottesmutter Maria einweihen. In seinem kindlichen Glaubenseifer befreit er ihre Statue mit seinem Gewand von Spinnweben. Die innere Bekehrung zum Christentum wird durch ein Hostienwunder ausgelöst und durch die Teilnahme am Abendmahl abgeschlossen. Nach Hause zurückgekehrt, bedroht er mit seinem „Verrat“ die jüdische Glaubensgemeinschaft, sodass ihn sein Vater nach dem Judenratsbeschluss eigenständig erstechen soll. Als dieser dazu nicht fähig ist, wird der Junge zum Feuertod verurteilt und gefesselt in den Backofen gestoßen. Doch die Gottesmutter erinnert sich seines kindlichen Eifers in der Kapelle, erbarmt sich seiner, fordert ihn zur Taufe auf und rettet ihn vor den Flammen. Nur unter dem Schutz eines herbeieilenden Bischofs ist der Junge bereit, das Feuer zu verlassen. Das Wunder seines Überlebens endet mit seiner Taufe und der freiwilligen Konversion seines Vaters und anderer Juden. Wie für die Literatur des Hochmittelalters üblich, ist „Das Jüdel“ in verschiedenen Fassungen überliefert, die Autorenschaft und genaue Entstehungszeit sind unbekannt. Motivgeschichtliche Vorläufer des Stoffes um einen Judenknaben sind in lateinischer, griechischer und französischer Sprache bezeugt, wobei sich die älteste Erzählung bereits Ende des 6. Jahrhunderts in griechischer Sprache bei Euagrios Scholastikos findet. Marienmirakel waren im Mittelalter weit verbreitet und dienten dazu, die Gottesmutter zu verehren. Im Zentrum der Schilderungen steht ein Mensch, an dem durch die Hand Marias ein Wunder geschieht. Dabei werden im „Jüdel“ gängige antijudaistische Stereotype bemüht, um die Überlegenheit des Christentums herauszustellen. So gehört der Vater zu den reichen Juden einer großen Stadt; Vater und Sohn erkaufen sich zunächst die Akzeptanz in der Dom- oder Kathedralenschule durch materielle Zuwendungen. Die Abkehr von den mosaischen Gesetzen wird als Gefahr für die Integrität, für das Ansehen der jüdischen Gemeinde gedeutet; diese bestraft Abweichungen erbarmungslos mit einem grausamen Tod, auch wenn es sich dabei um ein Kind handelt. In Anspielung auf den jüdischen Wucher wird im Text konstatiert, dass das Wort Gottes den Konvertiten nun ein begehrlicherer Schatz wäre „danne golt od edel gestæine“. Wie in Vorwegnahme der bevorstehenden Taufe weinen sie vor Erleichterung, dass sie nun nicht mehr nach dem Gebot des Teufels leben müssen.

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Jüdische Merkwürdigkeiten (Johann Jacob Schudt, 1714 und 1718)

Im Vergleich zu den motivgeschichtlich verwandten „Judenknaben“-Schilderungen sind die judenfeindlichen Darstellungen hier etwas abgemildert. Den Argumenten der Juden im Judenrat wird Raum gegeben, die jüdische Gemeinde versucht zunächst, den Jungen von seinem neuen Glauben abzubringen und ihn wieder zurückzuführen, die Liebe zu seinem Sohn macht den Vater unfähig, dessen Vergehen eigenhändig zu ahnden – in dem lateinischen Vorläufer „De Gloria Martyrum“ (6. Jahrhundert) von Gregor von Tours ist es der Vater selbst, der das Kind in den Ofen stößt und feuerfangend verbrennt. Diese christliche Heilsutopie der freiwilligen Konversion stand dabei im Gegensatz zur gesellschaftlichen Realität, in der freiwillige Übertritte zum Christentum trotz antijüdischer Beschränkungen und Pogrome kaum bezeugt sind.

Kerstin Hasdorf

Literatur Heike A. Burmeister, „Der Judenknabe“. Studien und Texte zu einem mittelalterlichen Marienmirakel in deutscher Überlieferung, Göppingen 1998. Cordula Hennig von Lange, „Das Jüdel“ – Judenfiguren in christlichen Legenden, in: Ursula Schulze (Hrsg.), Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte – Feindbilder – Rechtfertigungen, Tübingen 2002, S. 135–162.

Jüdische Merkwürdigkeiten (Johann Jacob Schudt, 1714 und 1718) Johann Jacob Schudt wurde am 14. Januar 1665 in Frankfurt am Main in eine lutherische Familie hineingeboren und starb am 14. Februar 1722 in seiner Geburtsstadt. Sein Studium der Theologie führte ihn von Frankfurt nach Wittenberg. Von dort wechselte er nach Hamburg, wo er unter dem christlichen Hebraisten und Judenmissionar Esdras Edzard Orientalistik und Hebraistik studierte. Nach seinem Studium kehrte Schudt nach Frankfurt zurück und lehrte dort ab 1691 an einem Gymnasium, zu dessen Rektor er im Jahr 1717 berufen wurde. Die „Jüdischen Merkwürdigkeiten“ zählen zu seinen bekanntesten Werken, neben dem „Compendium historiae judaicae“ (1700) und der „Neuen Frankfurter jüdischen Kleider-Ordnung“ (1716). Das Werk „Jüdische Merkwürdigkeiten“ besteht aus insgesamt vier Bänden, wobei die ersten drei Bände zusammen im Jahr 1714 erschienen sind, der vierte und letzte Band folgte 1718. Der Anlass für das Werk war für Schudt der Brand im jüdischen Viertel in Frankfurt am Main, bei dem am 14. Januar 1711 mehrere hundert Häuser zerstört wurden und vier Menschen starben. Als Augenzeuge der Feuerkatastrophe wollte Schudt ursprünglich eine Chronik des Frankfurter Judentums verfassen, doch er kam bald zu der Einsicht, dass er „eine solche Materie vom Brand – ohne vieles von unsern hiesigen Juden mit einzubringen nach Würden nicht abhandeln könnte“. Somit setzte sich Schudt als Ziel, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Juden in deutscher Sprache zu verfassen. In den ersten Bänden beschäftigte er sich intensiv mit der Geschichte der Juden in Russland, Frankreich, England, Polen, Spanien und Böhmen. Der zweite Band ist alleine der Geschichte der Frankfurter Juden von ihrer ersten urkundlichen Nennung im Jahr 1240 bis in die Gegenwart Schudts, das frühe 18. Jahrhundert, gewidmet. Die detaillierte Beschreibung jüdischen Lebens stellt die erste

Jüdische Merkwürdigkeiten (Johann Jacob Schudt, 1714 und 1718)

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ethnographische Darstellung der Juden in Frankfurt dar. Zum Ausdruck kommen die Belesenheit des Autors und seine Kenntnisse der hebräischen und lateinischen Sprache. Dennoch lässt das Werk eine klare Ordnung und Struktur missen, was sich im Umfang von ungefähr 3.000 Seiten bemerkbar macht. Im Mittelpunkt steht nicht nur die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte, sondern auch mit jüdischen Bräuchen, Ritualen und den Berufen sowie der Kleidung der jüdischen Bevölkerung. Im dritten Band setzt sich Schudt mit der „jüdischen Sprache“ auseinander, die er unter anderem am Beispiel von jiddischen Gedichten untersucht. Das Werk, das in der Frühen Neuzeit entstanden ist, ist gespickt mit antijüdischen Vorurteilen eines lutherischen Hebraisten. Ein inhaltlicher Fokus liegt auf der Beschreibung des angeblich antichristlichen Verhaltens der Juden; Schudt stellt Juden als abergläubische Menschen dar, die sich nicht an die biblischen Gesetze hielten. Dennoch nahm er zu gewissen antijüdischen Vorurteilen, wie z. B. der Hostienschändung, eine distanzierte Haltung ein. Schudt war bemüht, seine Ausführungen wissenschaftlich mit schriftlichen Quellen zu belegen. Ein Teil seiner Erkenntnisse fußt zudem auf seinen persönlichen Kontakten zu Juden. Die ausführliche Beschäftigung mit dem „jüdischen Körper“ hebt Schudts Werk von anderen zeitgenössischen Werken ab. In den letzten Jahren bezeichneten einige Forscher Schudt und andere Hebraisten seiner Zeit als frühneuzeitliche Antisemiten. Sie behaupten, Schudts Auseinandersetzung mit dem „jüdischen Körper“ bzw. der „jüdischen Sprache“ markierte den Übergang von dem aus religiösen Vorurteilen gespeisten theologischen Antijudaismus zu dem rassistisch motivierten säkularen Antisemitismus. Dieser Interpretation ist allerdings mit Vorsicht zu begegnen, ist Schudts Interesse am „jüdischen Körper“ doch rein religiös motiviert. Für Schudt war – anders als einer rassistischen Argumentation zufolge – ein Wandel der Juden möglich, der durch die Taufe vollzogen werden könne. Er verfolgt mit seinem Werk eindeutig missionarische Bestrebungen, seiner Meinung nach sollten Juden durch die Taufe „geheilt“ werden. Auch wenn die Argumentation, Schudt sei ein frühneuzeitlicher Antisemit, anachronistisch ist, so bietet sie eine Erklärung für die enorme Nachwirkung des Werkes bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die „Jüdischen Merkwürdigkeiten“ lieferten einem im 19. Jahrhundert aufkommenden Antisemitismus zahlreiche pseudo-wissenschaftliche Argumente und Anknüpfungspunkte. Beispielsweise finden sich die in dem Werk enthaltenen antijüdischen Kupferstiche als Nachdrucke in antisemitischen Schriften. Wie zentral das Werk in der antisemitischen Publizistik war, zeigt sich daran, dass das Werk als Ganzes im Jahr 1922 und in Auszügen im Jahr 1934 neu aufgelegt wurde.

Stefanie Fischer

Literatur Fritz Backhaus, Gisela Engel, Robert Liberles, Margarete Schlüter (Hrsg.), Die Frankfurter Judengasse. Jüdisches Leben in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2006. Nicoline Hortzitz, Die Sprache der Judenfeindschaft in der frühen Neuzeit, 1450–1700. Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation, Heidelberg 2005.

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Der jüdische Selbsthass (Theodor Lessing, 1930)

Der jüdische Ritualmord (Hellmut Schramm, 1943) Mit einer Widmung an Alfred Rosenberg und einem rühmenden Vorwort von Johann von Leers, der dem Verfasser Wissenschaftlichkeit und Quellennähe attestierte, erschien 1943 die umfangreiche Monografie von Hellmut Schramm über „jüdische Blutmorde“, die den Rang einer „historischen Untersuchung“ beanspruchte und als Frucht langjähriger Forschung dargestellt wurde. Der Autor aus dem Umkreis von Leers und des Instituts zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt am Main hatte aber unter dem Titel „Der jüdische Ritualmord“ lediglich auf 475 Druckseiten die üblichen Legenden über Ritualmorde kompiliert und das zusammengetragen, was in der antisemitischen Literatur, in Pamphleten und Traktaten zum Thema Ritualmord überliefert ist. In den von Alfred Rosenberg herausgegebenen → „Nationalsozialistischen Monatsheften“ erfuhr das Buch 1944 eine vernichtende Rezension aus der Feder des weithin bekannten Antisemiten und „Stürmer“-Mitarbeiters Hans Jonak von Freyenwald. Vorgeworfen wurden dem Verfasser mangelndes Quellenstudium, oberflächliche Kompilation und zahlreiche historische Irrtümer. Schramm habe lediglich die vorhandene Ritualmord-Literatur ausgeschrieben. Das Buch sei eine Fundgrube von Unrichtigkeiten und unbewiesenen Behauptungen, biete nichts Neues, enthalte noch mehr Fehler als andere Schriften dieses Genres: Die „Art und Weise, wie er das Thema behandele“, müsse „als Hohn auf jede ernste Geschichtsbetrachtung“ bezeichnet werden. Das Verdikt des Rezensenten wog umso schwerer, als es sich um einen überzeugten Antisemiten handelte, der für den „Stürmer“ schrieb und als Spezialist für Ritualmorde galt. Weniger kritisch zeigte sich der Reichsführer SS, Heinrich Himmler. In einem Brief an den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner ließ er am 19. Mai 1943 wissen, er lasse eine größere Anzahl von Exemplaren des Buches bestellen, um es an SS-Offiziere bis hinab zum SS-Standartenführer zu verteilen. Kaltenbrunner erhielt mehrere hundert Exemplare für die SS-Männer, die „mit der Judenfrage zu tun haben“. Für Himmler war das Buch auch Anlass zu Überlegungen, wie die angeblichen Ritualmorde propagandistisch bei der Verfolgung und Deportation der Juden im verbündeten Ausland (Ungarn, Rumänien, Bulgarien) benutzt werden könnten. Himmler glaubte, mit einer „sehr starken Ritualmordpropaganda in englischer, vielleicht auch sogar in russischer Sprache den Antisemitismus in der Welt ungeheuer aktivieren“ zu können. Zusammen mit Hellmut Schramm, dem Verfasser des Buches „Der Jüdische Ritualmord“, sollten Kaltenbrunner und seine Mitarbeiter entsprechende Vorschläge für Himmler ausarbeiten.

Wolfgang Benz

Literatur Helmut Heiber, Reichsführer! Briefe an und von Himmler, Stuttgart 1968.

Der jüdische Selbsthass (Theodor Lessing, 1930) Das Buch „Der jüdische Selbsthass“ ist 1930 im Jüdischen Verlag Berlin erschienen, es umfasst 256 Seiten (Neuauflagen erschienen 1984 und 2004).

Der jüdische Selbsthass (Theodor Lessing, 1930)

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„Über das Thema ‚Selbsthass’ wird in diesem Buche gesprochen werden. Das ist ganz und gar nicht nur ein jüdisches Thema. Es ist ein Phänomen des gesamten Menschengeschlechtes! Aber dieses allgemein menschliche Phänomen ‚Selbsthass’ kann an der Psychopathologie der jüdischen Volksgeschichte besonders glänzend beleuchtet werden.“ Theodor Lessing (1872–1933) ist der erste Autor, der das Phänomen mit dem Begriff „jüdischer Selbsthass“ bezeichnet und durch den Titel seiner Publikation öffentlich macht. Im Hinblick auf den theoretischen Überbau dieser psychopathologisch gewerteten Erscheinung beruft sich Theodor Lessing auf den aus Meiningen stammenden, von 1917 bis 1936 in die Niederlanden lebenden und anschließend nach Palästina emigrierten Zionisten und späteren Mitunterzeichner der israelischen Unabhängigkeitserklärung, Fritz (Peretz) Bernstein (1890–1971). Dieses Phänomen der Selbstverleugnung und -verachtung einer (Volks-)Gruppe resultiere aus der Folge der Etikettierung als Außenseiter; Lessing bezieht sich auf Bernsteins Buch „Der Antisemitismus als Gruppenerscheinung“ (1926) und charakterisiert Judenfeindschaft als Urtatsache der Psychologie. Der Philosoph und Kulturkritiker Theodor Lessing setzt sich in seiner im September 1929 beendeten Schrift anhand von sechs Biografien mit den seiner Meinung nach ursächlich aus der vergeblichen Assimilationsbereitschaft erwachsenen Erscheinungen von Selbstverleugnung und Antisemitismus auseinander. Nach einer Einleitung, die einen Abriss des „historischen Schicksals“ der „Ost- und Westjuden“, der Psychologie und Pathologie sowie der Leiden des Selbsthasses und deren Heilung gibt, folgen sechs Lebensgeschichten von Zeitgenossen, die jüdischen Ursprungs, allerdings meist zum Christentum konvertiert waren, sowie abschließend ein als „Kuppel“ bezeichnetes Fazit. Als Fallbeispiele für diejenigen, die das Jüdische an und in sich ablehnten, beschreibt Lessing den Philosophen und Nietzsche-Vertrauten Paul Reé (1849–1901); den zu fragwürdiger Bekanntheit gelangten Verfasser von „Geschlecht und Charakter“, Otto Weininger (1880–1903); den glühenden Antisemiten Arthur Trebitsch (1880–1927); den heute kaum mehr bekannten Verfasser der Schrift „Die Lehre Darwins in ihrer letzten Folge“, Max Steiner (1884–1910); den Dichter Walter Calé (1881–1904), der einen Großteil seiner Schriften vernichtete; sowie den Publizisten und Gründer der Wochenzeitschrift „Die Zukunft“, Maximilian Harden (1861–1927). Während Harden an den Folgen eines antisemitischen Attentats starb, begingen Weininger, Steiner, Calé und vermutlich auch Rée bereits im Alter von Anfang bis Mitte Zwanzig Selbstmord. Trebitsch, der unter Verfolgungswahn litt und glaubte, von Juden mit „elektrischen Strahlen vergiftet“ zu werden, verbrachte die letzten Lebensjahre in psychiatrischen Einrichtungen. Laut Lessing seien alle sechs an ihrer Angepasstheit, an ihrer vermeintlich gelungenen Mimikry gescheitert: „Du wirst ‚einer von den anderen’, wirkst fabelhaft echt. Vielleicht ein wenig zu deutsch, um völlig deutsch zu sein.“ Lessing bietet in seiner Schrift verschiedene Definitionsansätze für das Phänomen des jüdischen Selbsthasses an. Religionsphilosophisch betrachtet, resultiere der jüdische Selbsthass aus den jahrhundertealten Leiden als Strafe dafür, dass die Juden als Gottes auserwähltes Volk vom Christentum abgelehnt würden. Aus kulturphilosophischer bzw. zivilisationskritischer Perspektive definierte Lessing den jüdischen Selbst-

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Die jüdische Weltpest (Hermann Esser, 1927)

hass als ein Symptom der Selbstentfremdung des jüdischen Volkes infolge der europäischen Aufklärung und der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft. Weder eine rechtliche Gleichstellung noch eine vermeintliche deutsch-jüdische Symbiose hätten zu einer Akzeptanz der Juden in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft geführt. Vielmehr habe die Assimilationsbereitschaft jüdischerseits, einhergehend mit dem Verlust der eigenen Identität, die Außenseiterrolle manifestiert, die wiederum der Selbstverleugnung Vorschub leistete. Die Heilung des Selbsthasses könne nur in der Wiedergewinnung jüdischer Identität erfolgen – diese Erkenntnis stand ganz im Zeichen Lessings wachsender Sympathie für den Zionismus und der Besinnung auf eine eigene jüdische Identität: „Durch alle Höllen unseres menschlichen Ich gelangst du immer wieder in den Himmel deines Selbst. Zu deinem ewigen Volke.“

Elke-Vera Kotowski

Literatur Fritz Bernstein, Der Antisemitismus als Gruppenerscheinung. Versuch einer Soziologie des Judenhasses, Berlin 1926. Sander L. Gilman, Jüdischer Selbsthaß. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden, Frankfurt am Main 1993. Kurt Lewin, Selfhatred among Jews, in: Kurt Lewin, Resolving Social Conflicts, New York 1948.

Die jüdische Weltpest (Hermann Esser, 1927) 1927 erschien im Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. GmbH (→ Eher-Verlag) das Pamphlet „Die jüdische Weltpest, Judendämmerung auf dem Erdball“; der Autor Hermann Esser schrieb vorweg: „Die Erkenntnis der Gefahr der jüdischen Weltpest in weiteste Kreise unseres geeinten Volkes zu tragen, ist der Zweck dieses Buches.“ Hermann Esser, 1900 in Röhrmoos bei Dachau geboren, war Journalist und Politiker, der bereits 1923 am Hitlerputsch teilgenommen hatte und bis 1925 Propagandaleiter der NSDAP war. Er gehörte bis 1939 zu der kleinen Gruppe von Hitlers Vertrauten. Seine antisemitische Überzeugung zeigte er bereits als Redakteur im → „Völkischen Beobachter“. Er war auch am 25-Punkte-Programm der NSDAP aktiv beteiligt. In seinem 1938 überarbeiteten Pamphlet, in das er das Attentat des 17-jährigen Herschel Grünspan auf den Diplomaten Ernst vom Rath, das er als eine besonders hinterlistige Tat bezeichnet, eingearbeitet hatte, beschreibt Esser ausführlich die Gefahr, die von der „jüdischen Rasse“ ausgehe. Er listet eine Vielzahl an Einzelbeispielen auf, beschreibt aber vor allem das jüdische Kollektiv pauschal: „Das Judentum ist verkörperter Materialismus in höchster Potenz der Sinnlichkeit, des Erraffens, des Ergaunerns, des Eigennutzes, der Herzlosigkeit und der Herrschsucht.“ Esser bemüht auch eine Reihe von Antisemiten, die er zitiert und auf die er verweist, um damit zu untermauern, dass schon früher bekannt gewesen sei, „daß der Jude seit Anbeginn eine Weltpest war, sie durch Jahrhunderte geblieben ist und immer sein wird“. Ägypter, Perser, Römer, sie alle hätten bereits unter den Juden gelitten. Die Juden hätten „im grauen Altertum indisches, babylonisches und ägyptisches Geistesgut, Geld und Kultur, spä-

Jüdisches und arisches Schach (Alexander Aljechin, 1941)

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ter griechische Wissenschaft und Philosophie“ gestohlen. Esser greift stereotype Vorurteile auf, den Tempel von Jerusalem beispielsweise bezeichnet er als „jüdisches Zentralbankhaus“, das Alte Testament würde zur Ausbeutung aller Nichtjuden aufrufen. Er behauptet, die Juden bemühten sich um eine strikte Geheimhaltung des Talmuds, da in ihrer heiligen Schrift ihre Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft aufgezeichnet seien: „Von und in fremdem Volkstum zu leben, gelte den Juden von jeher als ihre ‚göttliche Bestimmung’.“ Um diese Theorie zu untermauern, zitiert Esser ausgiebig aus den → „Protokollen der Weisen von Zion“. Dem Treiben der Juden könne man nur mit Härte begegnen, und so schlägt er eine „massenhafte Ausrottung“ vor. Im für den Nationalsozialismus üblichen radikalen Stil versucht Esser, jede andere Meinung zu diffamieren, so äußert er über die internationale Berichterstattung: „Was die von jüdischem Geld bestochene und gemästete Auslandsjoürnaille über innerdeutsche Angelegenheiten schreibt, läßt jeden Deutschen kalt bis ans Herz hinan.“ Im Vorwort der Neuauflage der „Jüdischen Weltpest“ schreibt Esser 1938, die Juden würden nun endlich das erhalten, was sie verdienten, „Adolf Hitler und die von ihm geschaffene und geführte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei haben den Kampf gegen den Juden und den Judengeist in allen Lagern durchkämpft und so Volk und Reich wieder frei und glücklich gemacht“. 1935 wurde Esser auf die politisch irrelevante Position des Vorsitzenden der Reichsgruppe Fremdenverkehr gesetzt, im Januar 1939 wurde er Staatssekretär in der Abteilung Fremdenverkehr des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Der am Ende des Krieges von den Amerikanern internierte Esser verleugnete die Autorenschaft des Pamphlets und behauptete, der bereits hingerichtete Alfred Rosenberg habe „Die jüdische Weltpest“ verfasst. Esser wurde zunächst als Mitläufer eingestuft, 1949 jedoch erneut verhaftet und bei einem Verfahren in München als Hauptschuldiger eingestuft und zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt. 1952 wurde er vorzeitig entlassen.

Angelika Benz

Literatur Norbert Frei, Nationalsozialistische Eroberung der Provinzpresse. Gleichschaltung, Selbstanpassung und Resistenz in Bayern, Stuttgart 1980.

Jüdisches und arisches Schach (Alexander Aljechin, 1941) Unter dem Titel „Jüdisches und arisches Schach“ (niederländische Version) wie auch umgekehrt als „Arisches und jüdisches Schach“ (Paris) erschienen im März 1941 einige Artikel, die das Perfideste sein dürften, was je über Schach geschrieben wurde. Autor war der amtierende Weltmeister Dr. Alexander Aljechin (1892–1946), der als emigrierter Russe im deutsch besetzten Paris lebte. Die Artikel wurden 1941 gleichzeitig in zwei deutschen Besatzungszeitungen veröffentlicht; zunächst als „Arisches und jüdisches Schach“ in der „Pariser Zeitung“ (16. und 18.-23. März) und dann unter dem bekannteren, oben angegebenen umgekehrten Titel in der „Deutschen Zeitung in den Niederlanden“ (23. und 28. März sowie 2. April). Die Version aus den Niederlanden fand einen Abdruck in der „Deutschen Schachzeitung“, dem führenden Fachblatt (96.

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Jüdisches und arisches Schach (Alexander Aljechin, 1941)

Jahrgang, Nr. 4–6, April-Juni 1941). Es gibt keine befriedigende deutsche Edition, sondern nur eine fehlerhafte Version von 1983 sowie eine gute englische Übersetzung von 1986. Der Grundgedanke ist simpel: Aljechin unterscheidet zwei grundsätzliche Arten des Schachspiels. Die eine sei angriffsorientiert und risikofreudig, die andere feige und auf reine Verteidigung ausgerichtet. Die erste sei die „arische“ Art, Schach zu spielen, die zweite die „jüdische“. Nach dieser einfachen Dichotomisierung teilt Aljechin nicht nur das Schach seiner Gegenwart ein, sondern auch die Schachgeschichte. Während geniale „arische“ Meister wie der Deutsche Adolf Anderssen und der Amerikaner Paul Morphy Mitte des 19. Jahrhunderts ein mitreißendes Angriffsschach geboten hätten, sei das Spiel danach unter den verhängnisvollen Einfluss der Juden Wilhelm Steinitz (Weltmeister 1866–1894) und Emanuel Lasker (Weltmeister 1894– 1921) geraten. Letzterem „war die Idee des Angriffs als eine freudige, schaffende Idee durchaus fremd, und in dieser Beziehung war Lasker ein natürlicher Nachfolger von Steinitz, dem größten Grotesken, den die Schachgeschichte erleben mußte“. Jüdisches Schach sei charakterisiert durch materiellen Gewinn um jeden Preis und Opportunismus, der jede Gefahr und jedes Risiko vermeidet. Die Fixierung auf die Verteidigung führe dazu, dass Partien nur noch nach Fehlern des Gegners gewonnen werden könnten, und wenn dieser keine Fehler mache, dann sei der Remistod des Schachspiels erreicht. Kann dies Erfolg haben? „Ja, die Juden sind zur Ausnutzung des Schachs, des Schachgedankens und der sich daraus ergebenden praktischen Möglichkeiten äußerst begabt. Aber einen wirklichen jüdischen Schachkünstler hat es bis jetzt noch nicht gegeben.“ Als Hauptverfechter der arischen Angriffsidee sieht Aljechin sich selbst. In der Tat war er ein begnadeter Angriffsspieler. Diese Fähigkeit wird hier aber zu einer geradezu heiligen Mission umgedeutet, um die Idee des Schachs von der jüdischen Dekadenz zu retten. Aljechin war von 1927–1935 und ab 1937 Weltmeister. 1935 wurde er vom Niederländer Max Euwe bezwungen, der zwei Jahre später den Rückkampf verlor. Euwe wird von Aljechin als Spieler verunglimpft, der sich ganz in die Hand der jüdischen Verschwörung begeben habe. Interessanterweise lehnt Aljechin den Typus des Berufsspielers nicht grundsätzlich ab. Auch hier gebe es zwei Typen; die Ersten „können unmöglich dafür getadelt werden, daß sie ihr Brot von ihrem Lebenswerk zu erwerben suchen, denn sie verschaffen ihren Mitmenschen ästhetische und geistige Freuden zur Genüge“. Umgekehrt verhalte es sich mit dem „ostjüdischen Typus des Berufsschachspielers“, den Aljechin wieder auf Steinitz zurückführt. Aljechin selber, obwohl promovierter Jurist, hat niemals einen anderen Beruf als den des professionellen Schachmeisters ausgeübt. Ein Hauptproblem der Gedankenführung Aljechins liegt darin, dass die Erfolge im Schach sehr einfach quantifizierbar sind. Er musste hinwegerklären, warum Steinitz und Lasker zusammen für 55 Jahre die stärksten Schachspieler der Welt waren, ganz zu schweigen von unzähligen Turniererfolgen jüdischer Meister. Das konnte nicht gelingen, und natürlich wusste auch Aljechin selber, dass sein Versuch, Schachstile rassisch zu begründen, absurd war. Warum hat er diese Artikel, von denen er sich 1945 zu distanzieren versuchte, verfasst? Vor 1941 ist er niemals als Antisemit aufgefallen, und in der Tat gab es nach

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der Veröffentlichung Kritiker in Deutschland (Max Blümich, NS-Chefredakteur der Deutschen Schachzeitung), die darauf verwiesen, dass Aljechin 1939 bei der Schacholympiade in Buenos Aires deutschfeindlich agiert habe. Auch gibt es 1934 eine gut dokumentierte Lobrede von Aljechin auf Lasker, den er als den alles überragenden Lehrmeister der Schachwelt darstellt. Die Antwort liegt vermutlich einfach darin, dass Aljechin als Berufsspieler und grenzenloser Opportunist die Artikel nutzte, um sich bei den neuen Machthabern Europas einzuschmeicheln. Das war kurzfristig von Erfolg gekrönt; bei zahlreichen Turnieren im besetzten Europa war Aljechin der Stargast der Nazis – anders als der niederländische Weltmeister Euwe, der seine Mitwirkung beharrlich verweigerte. Eng verbunden war Aljechin mit Krakau, wo der schachbegeisterte deutsche Generalgouverneur Hans Frank glanzvolle Turniere mit einem blutigen Schreckensregiment vereinte. Seit 1945 sind Name und Reputation Aljechins untrennbar mit diesen Machwerken verbunden.

Michael Dreyer

Literatur Alexander Aljechin, Jüdisches und arisches Schach. Propagandaartikel 1942 (sic!), hrsg. von Herbert Grießhammer, Hamburg 1983. Ken Whyld (Hrsg.), Alekhine. Nazi Articles, o.O. 1986.

Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens (Roger Gougenot des Mousseaux, 1869) Im Jahr 1869 veröffentlichte Roger Gougenot des Mousseaux (1805–1876) unter seinem Adelstitel Le Chevalier Gougenot des Mousseaux beim Verlag Plon in Paris sein antisemtisches Buch „Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens“ [Der Jude, das Judentum und die Judaisierung der christlichen Völker]. Wenn es auch das einzige antisemitische Werk des hochkonservativen Adligen blieb und er selbst zeitlebens nichts als ein relativ einflussloser, politisch der alten Monarchie verhafteter Sonderling war, der sich in seinen zahlreichen Büchern mit übernatürlichen Phänomenen, Freimaurerei und dem teuflischen Leben befasste, wurde das Buch mit dem Aufkommen des Rassenantisemitismus schnell zu einem frühen Standardwerk. Das Buch beschreibt in drei Abschnitten und insgesamt 13 Kapiteln die Genese des Judentums und die angeblichen Gefahren, die der Christenheit daraus erwachsen. Dabei ist schon „Christenheit“ ein sehr eng gefasster Begriff: Er meint den Katholizismus als das einzig „wahre Christentum“ und hierin auch noch eine strikt ultramontane Ausrichtung. Protestanten und vor allem Martin Luther seien demgegenüber bereits „judaisiert“. Das Alte Testament wird hingegen positiv beurteilt, jedoch habe es das Judentum versäumt, sich der Lehren Christi anzuschließen und stattdessen angefangen, die Bibel in eine rabbinische Tradition einzuordnen, sie mithin zu „deformieren“ und mit allerlei moralischen Fehlern durchsetzt zu verbreiten. Zu diesen „Fehlern“ gehöre nach Gougenot wiederum vor allem der Talmud, dem zunächst ein ganzes Kapitel gewidmet wird, bevor er als „Ursache des Hasses und der Verachtung der Völker für den Juden“ sowie als religiöses Gesetz für Wucher und Mord beschrieben wird. Es

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bleibt allerdings nicht bei aufgewärmten Stereotypen vom „jüdischen Ritualmörder“, sondern Juden – die durchweg als Religionsgemeinschaft verstanden werden, die er wiederum in „Abendländische Orthodoxie“, „Die Reformierten“ und den „jüdische[n] Freigeist“ einteilt – seien auch die Ursache aller schlechten moralischen und gesellschaftlichen Einflüsse, denen sich der Autor gegenübersah. Der Bedeutungsverlust der (christlichen) Religion, dessen Ursache die gesellschaftlichen Veränderungen seien, hinter denen „die Juden“ steckten, müsse aufgehalten werden, denn dies sei das Einfallstor zur „Judaisierung der christlichen Völker“. Das Werk entstand im Kontext der Industrialisierung, der kurzlebigen Zweiten Republik (1848–1852) und dem nahenden Ende des Kaiserreichs, das 1870 zugunsten der Dritten Republik verschwand. Viele der Ängste Gougenots sind aus heutiger Perspektive deutlich als Reaktion auf gesellschaftliche, soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen seiner Zeit zu lesen – und er war nicht der Einzige, der auf die „Modernisierung“ mit Antisemitismus und Überfremdungsängsten reagierte. Er ging auch nicht so weit, „rassische“ Eigenschaften von Juden zu konstruieren. Doch ließ sich seine Argumentation problemlos dafür nutzen: Der Weg von der „Unterwanderung“ der „christlichen Völker“ durch planmäßige jüdische Machenschaften zur „Unterwanderung“ der „arischen Rasse“ durch eine geplante „jüdische Weltverschwörung“ ist beileibe nicht weit und wurde schon 1886 von Édouard Drumont beschritten, der sich in seinem antisemitischen Mammutwerk → „La France Juive“ explizit auf Gougenot des Mousseaux bezog. Schon 1871 hatte sich August Rohling für seinen → „Talmudjuden“ ausgiebig bei Gougenot bedient, allerdings ohne die Quelle zu nennen (was ihm noch im selben Jahr nachgewiesen wurde). Wenn auch heute vor allem die → „Protokolle der Weisen von Zion“ als antisemitischer Weltverschwörungsmythos par excellence gelten, steht es außer Zweifel, dass der Boden, auf den sie in Westeuropa fielen, durch Werke wie „Le Juif...“ vorbereitet wurde. 568 Seiten widmete Gougenot des Mousseaux seinen Gedanken zum „Juden“, doch ein Erfolg wurde das Buch zunächst nicht. Erst 1886 – nachdem Drumonts „La France Juive“ die Kassen klingeln ließ – brachte der Pariser Verlag F. Wattelier eine zweite Auflage heraus. Dabei blieb es in Frankreich. Heute ist das Buch allerdings auf antisemitischen Webseiten im Internet weit verbreitet, der US-amerikanische Verlag Elibron Classics brachte 2001 sogar eine Faksimile-Ausgabe heraus. 1920 erschien eine deutsche Übersetzung des Buches als „Der Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker“ im Münchener → Hoheneichen-Verlag (mindestens drei Auflagen), der auch Schriften von Dietrich Eckart herausgab und allerlei weitere antisemitische Traktate im Programm führte. Es illustriert die Wirkung von Gougenot des Mousseaux’ Werk, dass der deutsche Übersetzer NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg war.

Bjoern Weigel

Literatur Frederick A. Busi, Faith and Race: Gougenot des Mousseaux and the Development of Antisemitism in France, in: Leonard H. Ehrlich u. a. (Hrsg.), Textures and Meaning: Thirty Years of Judaic Studies at the University of Massachusetts Amherst, Department of Judaic and Near Eastern Studies, elektronische Veröffentlichung der University of Massachusetts Amherst 2004, S. 119–139.

Les juifs, nos maîtres! (Emmanuel Augustin Chabauty, 1882)

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Marie-France James, Ésotérisme, occultisme, franc-maçonnerie et christianisme aux XIXe et XXe siècles. Explorations bio-bibliographiques, Paris 1981.

Les juifs, nos maîtres! (Emmanuel Augustin Chabauty, 1882) Emmanuel Augustin Chabauty (1827–1914) war Pfarrer in der Diözese Poitiers. Während in seinen frühen Schriften (1871 und 1874) die „Judenfrage“ praktisch keine Rolle spielte, stand sie in seinem umfangreichen Werk „Francs-Maçons et Juifs. Sixième âge de l’Eglise d’après l’Apocalypse“, das 1880 unter dem Pseudonym C. C. de Saint-André bei der Société générale de librairie catholique in Paris erschien, an zentraler Stelle. Darin erforschte Chabauty in eschatologischer Perspektive die angeblichen Beziehungen zwischen dem Judaismus und der Freimaurerei. Dieses Thema war zuvor bereits ausführlich von Gougenot des Mousseaux in → „Le juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens“ (1869) behandelt worden, von dem Chabauty sich jedoch durch seine Überzeugung unterschied, dass die Freimaurerei vollständig von Juden, die er als Werkzeuge des Antichristen ansah, dominiert sei. Diese These ist auch der Ausgangspunkt von „Les juifs, nos maîtres! Documents et développements nouveaux sur la question juive“ (Société générale de Librairie catholique, Paris 1882), das der Pfarrer diesmal – vielleicht bestärkt durch die positive Aufnahme von „Francs-Maçons et Juifs“ durch die katholische Kirche – unter seinem richtigen Namen veröffentlichte. Die Bibelexegese ist in diesem Werk kaum noch von Bedeutung: Zweifellos steht die Apokalypse im Gedankengebäude des Autors noch immer an erster Stelle, doch sein Text kann gänzlich im Rahmen säkularer Argumente verstanden werden. Wie Augustin de Barruel, der schon weit früher (1797–1799) die Französische Revolution als Resultat der Verschwörung einer Geheimgesellschaft interpretiert hat, bediente sich Chabauty im gesamten Text einer historischen Argumentation. Auch er zeigte eine Vorliebe für „okkulte Ursachen“ und die Überzeugung, dass es „unter der sichtbaren Geschichte, eine unterirdische Geschichte gab und noch immer gibt“. Das Werk beginnt mit dem Versuch, die Authentizität der „jüdischen Briefe“ zu beweisen, die angeblich aus dem späten 15. Jahrhundert stammen und in denen mysteriöse Führer in Konstantinopel spanischen und provenzalischen Juden zur Konversion rieten, um die christliche Gesellschaft zu unterwandern. Diese Dokumente, die der Geistliche in der „Revue des études juives“ fand (wo sie als Fälschung deklariert wurden), veranschaulichen seine Überzeugung, dass seit der Diaspora eine „einzige Kommandozentrale“ existierte, die im Dienste des ewigen Projektes Israels, der Rückkehr nach Palästina und der Weltherrschaft stand. Ab diesem Zeitpunkt machte sich Chabauty auf die Suche nach Indizien für die Verschwörung, die er ebenso bei diversen antijüdischen Autoren fand wie in religiösen und nicht-religiösen jüdischen Texten oder auch in zeitgenössischen Ereignissen – der Affäre Damas (1840). Die Originalität des Buches „Les juifs, nos maîtres!“ liegt vor allem im Schema der Verschwörungstheorie, denn bis dahin hatte noch niemand in so präziser Form die Idee eines seit Jahrhunderten heimlich verfolgten Umsturzversuches entwickelt, der Chabauty zufolge nun kurz bevorstand. Bisher hatte auch nie jemand die Juden als Spitze einer – wie der Geistliche sie sieht – komplexen pyramidalen Struktur bezeich-

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Les Juifs, rois de l’époque (Alphonse Toussenel, 1845)

net, deren Funktionsweise er sehr detailliert beschreibt: So ist ihm zufolge die große Mehrheit der Juden keineswegs bewusst am Plan ihrer Führer beteiligt; und Chabauty gibt zu, nicht zu wissen, wer diese seien noch wo sie sich aufhielten, an ihrer Existenz jedoch gebe es keinen Zweifel. Die zweite Besonderheit des „Les juifs, nos maîtres!“ ist sein Zusammenfallen mit den Anfängen der antisemitischen Bewegung, zu der Chabauty eine ambivalente Beziehung hatte. Auch wenn seine antijüdischen Schriften im Trend der Zeit lagen, waren sie gleichzeitig Ergebnis einer relativ autonomen Entwicklung: am Rande des radikalisierten Ultramontanismus. Chabauty, der sich sehr früh für den Antisemitismus interessierte, begann allmählich an dessen Wirksamkeit und sogar an seinen Zielen zu zweifeln: Könnte es nicht sein, dass diese von Protestanten ausgehende Agitation letztendlich den Interessen der „Fürsten Israels“ diente? Diese Zweifel verhinderten jedoch nicht, dass sein Name und einige seiner Texte im Folgejahr in der ersten französischen antisemitischen Zeitung, dem → „Anti-Sémitique“, auftauchten. Abgesehen von dieser Mitarbeit hielt Chabauty zum militanten antijüdischen Lager Distanz. Seine Werke und besonders „Les juifs, nos maîtres!“ werden dort dennoch regelmäßig als Referenz herangezogen.

Damien Guillaume

Les Juifs, rois de l’époque (Alphonse Toussenel, 1845) „Les Juifs, rois de l’époque“ [Die Juden, Könige unserer Zeit] ist ein 1845 erschienenes Werk von Alphonse Toussenel. Das Buch ist charakteristisch für das doppelte Erbe des antijüdischen Ressentiments in Frankreich. Der Autor selbst stammte aus der französischen Provinz und war katholisch: Toussenel griff insofern zuerst den christlichen Antijudaismus mit bestimmten zentralen Themen auf, wie beispielsweise dem Gottesmord-Vorwurf, indem Juden dargestellt wurden als blutrünstiges Volk, hasserfüllt und arrogant gegenüber Nichtjuden; ein Volk als Feind der Menschheit, das unfähig zu Konstruktivem sei, fremd und ohne Heimat, wie es die Figur des herumirrenden Juden illustriere; ein Volk, das durch die Emanzipation von 1791 befreit wurde, sich aber letztlich nicht zu assimilieren vermöge; ein Volk, das die traditionelle, göttliche Ordnung verfälsche. Das Werk gehörte zum Ausdruck eines linken Antisemitismus, der sich gleichzeitig mit dem beginnenden Kapitalismus, der industriellen Revolution und dem utopischen Sozialismus manifestierte. In diesem Sinne reihte sich Toussenel in die Linie der ersten französischen Sozialisten ein, Pierre Leroux (De la Ploutocratie, 1843) und Charles Fourier, dessen Schüler er war. Es war im Übrigen auch die „École sociétaire fouriériste“, die sein Buch veröffentlichte. In seiner Argumentation stützte sich Toussenel auf Tacitus, Bossuet oder Voltaire. In seinen Augen wandten die Juden im Hinblick auf ihre künftige Herrschaft in Frankreich ihr wichtigstes Instrument an, das Geld; denn Juden wurden mit Geld und Modernität assoziiert. Es gehe demnach darum, gegen diese Parvenüs zu kämpfen, als Parasiten, die sich durch Spekulation auf Kosten der „echten“ Arbeiter bereichern würden. In diesem Gefüge fungierte der Name Rothschild als Symbol: Er verkörperte den Prototyp des „Finanzjuden“. Und Toussenel lie-

Junge Freiheit (seit 1986)

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ferte hier seinen Beitrag zur Genese des Mythos von der jüdischen Bank und der Anprangerung der Allgegenwart von Juden im „finanziellen Feudalismus“. Für ihn verkörperten die Rothschilds die jüdische Allmacht in Frankreich über die Vorherrschaft auf wirtschaftlicher und politischer Ebene, wie es ihr Eigentum an der neuen Eisenbahn Nordfrankreichs zeige. Dieser Drang nach Vormacht illustriere ihren traditionellen Hang zur Vorherrschaft, der sich über Komplotte äußere, die ihnen zugeschrieben wurden. Das Zensuswahlrecht verschaffe ihnen alle Macht. Die antijüdische Besessenheit Toussenels ließ ihn übersehen, dass Nichtjuden in den von ihm genannten Sektoren viel stärker vertreten waren; auch verkannte er eine andere Realität: Jüdische Bankiers bildeten nur eine Minderheit innerhalb der jüdischen Gesellschaft, die in Frankreich selbst nur eine kleine Minderheit darstellte (0,2 Prozent der französischen Bevölkerung). Sie beteiligten sich außerdem nur in geringem Maße an der Industrialisierung Frankreichs. Das Buch „Les Juifs, rois de l’époque“, hatte einen gewissen Publikumserfolg. Toussenel verließ 1851 die Politik, um sich der Naturgeschichte zu widmen. Die Werke, die er in diesem Bereich veröffentlichte, dienten aber ebenfalls dazu, Juden anzuprangern. Toussenel kann als Vorläufer einer Schule gelten: Er führte den Antisemitismus über die Analyse der französischen Wirtschaft ein und stellte den jüdischen Einfluss im Bankwesen und im Kapitalismus heraus. Seine Thesen wurden schon 1847 neu rezipiert und parallel dazu von Proudhon aufgenommen, dessen Antisemitismus jedoch privat blieb. Sie kamen erneut auf die Tagesordnung, als Édouard Drumont mit → „La France juive“ (1886) einen großen Erfolg feierte. Drumont würdigte in seinem Vorwort Toussenels Verdienste und verstärkte in seinem eigenen Text den von Toussenel aufgeworfenen rassistischen Aspekt. „Les Juifs, rois de l’époque“ wurde 1886 neu aufgelegt; 1898, am Höhepunkt der Dreyfus-Affäre, wurde in der Geburtsstadt des Autors ein Denkmal für ihn errichtet, das den „subtilen Beobachter“ würdigte. Der linke Antisemitismus, den das Werk verkörpert, fand sich im Gedankengut der entstehenden Gewerkschaftsorganisationen wieder. Das Ressentiment wechselte dann ins rechte politische Lager und taucht später auch bei einigen französischen Pazifisten der 1930er Jahre auf. Die Erinnerung an das Werk von Toussenel und sein Einfluss wurden während der Okkupation neu belebt; Brasillach bekannte sich unter anderem zu ihm. „Les Juifs, rois de l’époque“ ist auch heute über Neuauflagen durch rechtsextreme Verlagshäuser in Frankreich noch im Verkauf.

Dominique Trimbur

Literatur Michel Dreyfus, L’antisémitisme à gauche, Paris 2011². Jean-Philippe Schreiber, Les Juifs, rois de l’époque d’Alphonse Toussenel, et ses avatars: la spéculation vue comme anti-travail au XIXè siècle, in: Revue belge de philologie et d’histoire 79 (2001), 2, S. 533–546.

Junge Freiheit (seit 1986) Die überregionale deutsche Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ist 2011 in einer Auflage von rund 28.000 Exemplaren (Eigenangabe) erschienen. Chefredakteur Dieter Stein

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Junge Freiheit (seit 1986)

gründete die Zeitung, die heute ihren Sitz in Berlin hat, 1986 in Freiburg i. Br. Ursprünglich war sie eine Schüler- und Studentenzeitung der nur kurzlebigen rechtskonservativen Freiheitlichen Volkspartei. Selbst gestecktes Ziel der Zeitung ist es, „die große kulturelle und geistige Tradition der deutschen Nation in Ehren“ zu halten und „die Bewahrung der Identität und der Freiheit der Völker der Welt“ zu forcieren. Konkret möchte die Zeitung Begriffe in ihrem Sinn besetzen und prägen sowie Diskurse beeinflussen, um politisch-kulturelle Deutungshoheit zu erringen. Ihre Leserschaft ist größtenteils hoch gebildet (77 Prozent Hochschulreife), männlich (nur 7 Prozent Frauen) und älteren Jahrgangs, 52 Prozent der Leser sind über 60 Jahre alt, nur 7 Prozent unter 30. Die „Junge Freiheit“ gilt als zentrales Forum der „Neuen Rechten“ in Deutschland. Die „Neue Rechte“, ursprünglich in Frankreich als Gegenmodell zur linken Studentenbewegung der 1960er Jahre gegründet, bezieht sich in Deutschland auf autoritäre und elitäre Denkschulen der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik (u. a. Carl Schmitt und Ernst Jünger) und sucht sich gegenüber der nationalsozialistisch oder faschistisch geprägten „alten Rechten“ abzugrenzen. Sie bezieht sich auf den italienischen Soziologen Antonio Gramsci und möchte gesellschaftliche Diskurse prägen. Dabei setzt sie auf die Ansprache gesellschaftlicher Eliten. Strategisches Ziel ist eine „Kulturrevolution von rechts“, die auch durch eine Relativierung des Grundgesetzes befördert werden soll. So bietet sie neurechten Strategiedebatten eine Plattform und agiert gegen Normen des Grundgesetzes (u. a. der Würde des Menschen, Parlamentarismus). Das Blatt wird als „Brückenspektrum“ oder „Scharnier“ zwischen „Konservativismus und Rechtsextremismus“ bezeichnet und als intellektueller Teil des Rechtsradikalismus beschrieben. So intendiere die „Junge Freiheit“, demokratisch-konservative und rechtsradikale Positionen zu verschmelzen, um rechtsradikale Positionen aufzuwerten. Ihre vereinnahmende Strategie zeigt sich auch darin, dass demokratische Politiker zu Interviews eingeladen werden, während gleichzeitig rechtsradikale Stammautoren schreiben (u. a. der Repräsentant der „Nouvelle Droite“ Alain de Benoist und der FPÖ-Politiker Andreas Mölzer) und für rechtsradikale Organisationen geworben wird (u.a. für die antisemitischen „Unabhängigen Nachrichten“, die rechtsradikale Partei Republikaner und die Münchener Burschenschaft Danubia). Ideologisch vertritt die Zeitung einen aus der Weimarer Zeit bekannten Kulturpessimismus, der die Zerstörung der Nation und des Nationalstolzes behauptet. Schuldig gesprochen an der Diskreditierung völkischer Werte werden die AchtundsechzigerGeneration, der politische Liberalismus, „Überfremdung“ durch Ausländer und die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Die Sprache der „Jungen Freiheit“ ist radikal und aggressiv. Insgesamt ist der Ton allerdings von einer paranoiden völkischen Weltsicht bestimmt. Das als völkisch verstandene Eigene wird als durch Deutschfeinde unterjocht empfunden, die „das Deutsche“ angeblich zerstören wollen. Somit zeigt sich ein ausgeprägter Opfermythos in dem Blatt – ständig gilt es sich gegen angebliche existenzielle Bedrohungen zur Wehr zu setzen. Als Aggressor und Gegenbild zum Eigenen werden neben der Berliner Politik und den USA häufig „die Juden“ gesetzt: Die antisemitische Orientierung der Zeitung wird vor allem durch indirektes Sprechen („z. B. „Internationalisten“) und assoziative Bilder artikuliert. Es finden sich regelmäßig Formen christlichen Antijudaismus, die mit modernen und se-

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kundären Formen des Antisemitismus verbunden werden. Die antisemitische Grundhaltung des Blattes zeigt sich zudem darin, dass die Zeitung öffentliche Debatten über Antisemitismus und antisemitische Vorfälle nutzt, um der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen entgegenzutreten. So ist es charakteristisch, dass die „Junge Freiheit“ in der Vergangenheit Personen, die entsprechende öffentliche Debatten provozierten, umgehend als Interviewpartner einlud (u. a. Hohmann, Möllemann, Karsli). Es zeigt sich, dass die „Junge Freiheit“ mit ihren Debattenbeiträgen einen langen Atem hat: Sie bleibt an den Fällen und wiederholt ihre radikalen Interpretationen auch dann noch, wenn andere Zeitungen und Akteure diese schon längst nicht mehr erinnern. Damit gelingt ihr ein erstaunlich nachhaltiger Effekt auf die Deutung bestimmter Ereignisse und die kollektive Erinnerung. Typisch für die Zeitung ist auch die permanente Agitation gegen eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und dem Holocaust. Dabei ist das Diktum eindeutig: Eine kritische Auseinandersetzung wird als „political correct“ diskreditiert. So heißt es, „an den Holocaust muss man glauben: wer Zweifel erkennen lässt, verschwindet hinter Gittern“. Wieder gräbt die Zeitung an den Grundfesten des Grundgesetzes und zielt darauf ab, die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Sinne zu prägen. Seit Mitte der 1990er Jahre wird die „Junge Freiheit“ von einzelnen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Im Bericht des Landes Baden-Württemberg wird sie seit 1997 erwähnt. Die Zeitung führte einen jahrelangen Rechtsstreit gegen ihre verfassungsschutzrelevante Einordnung. 2005 entschied das Bundesverfassungsgericht mit Verweis auf die Pressefreiheit für die „Junge Freiheit“. Seither ist ihre Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht juristisch erschwert, die Zeitung wird jedoch weiterhin durch einige Landesverfassungsschutzämter (Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg) beobachtet. Eine Kooperation mit dem Blatt als Interviewpartner oder Autor wird in der Politik und in den Medien heute kontrovers diskutiert. Personen wie Charlotte Knobloch (ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden) und Heinz Buschkowsky (Bürgermeister des Bezirks Berlin Neukölln, SPD), die der Zeitung ein Interview gaben, sprachen später öffentlich ihr Bedauern darüber aus.

Britta Schellenberg

Literatur Stephan Braun, Ute Vogt, Die Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Kritische Analysen zu Programmatik, Inhalten, Autoren und Kunden, Wiesbaden 2007. Britta Schellenberg, „Rechtsextremismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Die Debatte über den Fall Mügeln, Phil. Diss., TU Berlin 2012. Regina Wamper, Das Kreuz mit der Nation. Christlicher Antisemitismus in der „Jungen Freiheit“, Münster 2008.

Junge Kirche (1933–1941) Das von 1933 bis 1941 im traditionsreichen Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienene Informationsblatt „Junge Kirche. Halbmonatschrift für reformato-

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Junge Kirche (1933–1941)

risches Christentum“ (JK) kann als wichtigste überregionale Zeitschrift der Bekennenden Kirche (BK) gelten. Für das Jahresende 1934 werden ca. 34.000 Exemplare (Bezieher) als Spitze in der Auflagenhöhe genannt. Von da an sank die Auflage kontinuierlich. Im Kriegsjahr 1941, als das Blatt eingestellt werden musste, war die Abonnentenzahl bei 14.000 Personen angelangt. Die in Berlin ansässige Redaktion des Blattes besorgten maßgeblich der aus der hannoverschen Landeskirche stammende lutherische Theologe Hanns Lilje (bis 1936) und der aus der christlich-völkischen Bewegung kommende junge Publizist Fritz Söhlmann, unterstützt durch den Göttinger Verlegersohn Günther Ruprecht. Als maßgeblich prägende Autoren des Blattes traten bekennende Lutheraner aus dem Umkreis der sogenannten intakten Landeskirchen hervor: etwa Walter Künneth, der Redakteur Lilje selbst mit theologischen Leitartikeln, Hans Asmussen und Hermann Sasse. Die entschiedene Kirchenopposition der preußischen „Dahlemiten“ war mit Martin Niemöller und Eitel-Friedrich von Rabenau anfangs vereinzelt, in späteren Jahren überhaupt nicht mehr vertreten. Insofern repräsentierte die „Junge Kirche“ nicht das gesamte Spektrum der Bekennenden Kirche, sondern überwiegend ihren gemäßigten lutherischen Flügel. Zu den wichtigsten Themenfeldern der zweimal monatlich ausgelieferten Hefte zählten: die Beobachtung des kirchenpolitischen Gegners Deutsche Christen und deren Abwehr; theologische Selbstvergewisserung als Bekennende Kirche, Konfessionsund Bekenntnisfragen (Lutheraner, Unierte, Reformierte); Kritik des „Neuheidentums“ (Deutsche Glaubensbewegung, Ludendorff-Bewegung, Alfred Rosenberg); eigene theologie- und kirchenhistorische Wurzeln, Reformation und Martin Luther. Die „Judenfrage“ sowie die Problematik eines „Arierparagraphen“ innerhalb der Kirche – beides für die Identität von Pfarrernotbund und Bekennende Kirche ganz konstitutive Problemstellungen – spielten in den Spalten der „Jungen Kirche“ eine vergleichsweise eher marginale Rolle. Das mochte zum einen an der Unsicherheit in den Reihen der Bekennenden Kirche liegen, diese brisanten Themen überhaupt auf die öffentliche Agenda zu setzen. Zugleich spielten Zensur und wachsende Selbstzensur der Herausgeber eine gewisse Rolle, denn das Blatt unterlag rigiden presserechtlichen Richtlinien des NS-Regimes sowie häufigen Kontrollen der Gestapo. Insofern war der im Oktober 1933 erschienene einschlägige Artikel „Sätze zur Arierfrage in der Kirche“ von Martin Niemöller eher eine Ausnahme. Der Dahlemer Pfarrer bekräftigte hierin die kurz zuvor anlässlich der Gründung des Pfarrernotbunds beschlossene Grundhaltung, dass der „Arierparagraph“ innerhalb der Kirche keine Anwendung finden könne. Christen jüdischer Herkunft seien als vollgültige Glieder in die Kirche aufzunehmen. Niemöller konzedierte allerdings gegenüber dem vorherrschenden Zeitgeist, es sei angeraten, dass „nichtarische“ Amtsträger in der Kirche sich „Zurückhaltung“ auferlegten und keine Ämter im Kirchenregiment anstrebten. Die „Junge Kirche“ dokumentierte im Herbst 1933 zugleich die in der Sache konträren Marburger und Erlanger theologischen Gutachten zum „Arierparagraphen“. Eine eindeutige Stellungnahme der Schriftleitung zu dieser Frage fehlt freilich. In der Folgezeit legte sich die „Junge Kirche“ zu „Nichtarierfragen“ große Zurückhaltung auf. Die nationalsozialistische Rassenpolitik als solche wurde niemals thematisiert. Nach dem Ausscheiden Liljes aus der Redaktion im Jahr 1936 prägte der schon von Beginn an präsente christlich-völkische Ton des Hauptredakteurs Söhlmann das

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Blatt immer deutlicher. In seiner Rezension von Adolf Schlatters „Wird der Jude über uns siegen?“ meinte Söhlmann, diese antijüdische Schrift des Tübinger Theologen führe zu einer ganz neuen, vertieften Sicht der „Judenfrage“. Der neue Ton kam nicht zuletzt in der auffallenden Sympathie für den bayerischen NSDAP-Pfarrer und Träger des Goldenen Parteiabzeichens Eduard Putz zum Ausdruck. Zeitweilig hatten Söhlmann und Ruprecht sogar erwogen, ihn als Redaktionsmitglied zu gewinnen. Nachdem Ruprecht einen Vortrag von Putz gehört und für „ganz hervorragend“ befunden hatte, druckte die „Junge Kirche“ diesen Text 1937 ab. Der Aufsatz „Der Kampf Jesu gegen die Juden“ kann als Musterbeispiel eines in den 1930er Jahren weitverbreiteten christlichen Antijudaismus gelten, der auf indirekte Weise zweifellos auch der NSRassenpolitik zuarbeitete: „Die Pharisäer, die völkischen und kirchlichen Führer des jüdischen Volkes, haben versucht, den Herren der Welt, den Gott aller Völker für ihr jüdisches Volk zu reservieren. Sie wollten ihn daran binden. Sie sahen Gott als einen Judengott an. Sie sagten stolz: Unser Volk hat Gott vor allen Heiden erwählt. Wir sind das auserwählte Volk!“ Gottes Heil sei damit ausschließlich zu einer völkischen Sache der Juden geworden. Diese „Pharisäermeinung“ und den dahinterstehenden „Rassestolz des jüdischen Menschen“ beklagte Putz im Jahre 1937 vehement. Jesus habe diese „rassische Fessel“ zerbrochen und sich der ganzen Welt als Sohn Gottes offenbart. Gott sei eben kein „Judengott“. Er lasse sich nicht gefangen nehmen als „jüdischer Rassegott“, auch nicht als nordischer oder japanischer Rassegott. Die Kirche Christi sei übernational. Putz konnte sich in seinen Betrachtungen auf eine Reihe antijüdischer Belegstellen aus dem Neuen Testament stützen und insofern beim zeitgenössischen Leser den Anschein einer bibelgetreuen, theologisch korrekten Deutung für sich beanspruchen. Eine solche Position war von den krassen antisemitischen Bekenntnissen der Deutschen Christen deutlich unterschieden, schuf aber zugleich ein gewisses Gemeinsamkeitsgefühl zwischen bekennenden Christen und Nationalsozialisten für einen gemeinsam zu führenden Kampf gegen einen gemeinsamen jüdischen Feind. Ein großes Thema waren die „Judenfrage“ und damit zusammenhängende antijüdische bzw. antisemitische Statements in der „Junge Kirche“ zweifellos nicht. Ein öffentliches Wort für die Verfolgten fehlte, so wie generell in der Bekennenden Kirche. Schon aus Gründen der Pressezensur und vorauseilender Selbstzensur sowie aus kircheninterner theologischer Unsicherheit mied die Redaktion dieses heikle Thema. Gleichwohl kam in den Spalten der „Jungen Kirche“ ein mehr oder minder deutlich ausgeprägter christlicher Antijudaismus von Zeit zu Zeit zur Geltung, insbesondere in der Zeit nach 1936. Er war nicht zuletzt mit den frühzeitigen, bereits vor 1933 ausgebildeten völkischen Sympathien und explizit antijüdischen Positionen seines Hauptredakteurs Söhlmann verbunden, der aus der christlich-völkischen Bewegung der Weimarer Republik stammte und einen von dorther verinnerlichten Geist auch der „Jungen Kirche“ ein Stück weit aufzuprägen vermochte.

Manfred Gailus

Literatur Manfred Gailus, Die Bekennende Kirche und ihre Zeitschrift „Junge Kirche. Halbmonatschrift für reformatorisches Christentum“, in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.),

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Kalender des Preußischen Volksvereins (1863–1882)

Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), Bern 2008, S. 457–481. Ralf Retter, Zwischen Protest und Propaganda. Die Zeitschrift „Junge Kirche“ im Dritten Reich, München 2009.

Kalender des Preußischen Volksvereins (1863–1882) Der „Kalender des Preußischen Volksvereins“ war das zentrale Organ des Preußischen Volksvereins, der ersten konservativen Proto-Partei. Treibende Kraft bei seiner Gründung wie beim Aufbau seiner Organe war der Sozialkonservative Hermann Wagener. Ziel war es, nach Anbruch der Neuen Ära in Preußen den Konservativen unter Handwerkern und Grundbesitzern, aber auch industriellen Arbeitern eine stärkere Wählerbasis zu gewinnen. Verlegt wurde der Jahreskalender zunächst bei Hickethier in Berlin, nachgewiesen ist er bis zur 19. Ausgabe für 1881. Unter der Redaktion von Hermann Goedsche entwickelte er sich zu einem ausgesprochenen Verkaufserfolg: Die erste Ausgabe für 1863 hatte eine Gesamtauflage von fast 15.000 Exemplaren, die für 1865 21.000, die für 1866 gar 30.000. Der erste Teil des Kalenders war jeweils reich an praktischen Notizen und Kalendarien, ihm folgte ein illustrierter literarischer Teil mit unterhaltend-trivialen, aber hochgradig politischen zeitgeschichtlichen Darstellungen, verfasst von konservativen Erfolgsautoren wie Hermann Goedsche, George Hesekiel oder Friedrich Adami. Gerade sie dürften zum Erfolg des Kalenders beigetragen haben. Diese Belletristik war für Bevölkerungsgruppen konzipiert, die nur selten oder nie politische Schriften oder Zeitungen lasen. Politische und soziale Ideen wurden in der Handlung entfaltet; sie funktionierten als „Blendlaterne des Ideenschmuggels“ (Volker Neuhaus). Besonders die Sozialkonservativen nutzten dies; Hermann Goedsche wurde mit Tendenzromanen unter dem Pseudonym „Sir John Retcliffe“ zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit. In literarischer Form versuchte der Kalender, eine kritische Rezeption zu unterlaufen und das Gesellschaftsmodell der Sozialkonservativen zu propagieren, dominiert von den Ideen ständischer Statik und sozialer Hierarchie. Indem die Erzählungen Werbung für den Volksverein betrieben, nutzten sie die Judenfeindschaft als Motivationsideologie: die Juden schilderten sie als Verursacher und Profiteure der sozialen Probleme der Träger- und Zielgruppen des Volksvereins, also der ländlichen Grundbesitzer und Handwerker. Um den politischen Gegner während des Verfassungskonflikts zu diskreditieren, wurden die Liberalen in enge Verbindung gesetzt zu den drastisch negativ beschriebenen Juden: Als verschwörerische, internationale Organisation hätten diese den deutschen Liberalismus in Abhängigkeit gebracht und benutzten ihn nun erfolgreich als Instrument ihrer politischen Interessen und gesellschaftlichen Herrschaftsbestrebungen. Die liberalen Gesetzgebungsvorhaben der Neuen Ära wurden als „Judengesetze“ verunglimpft. Auch außerhalb des literarischen Teils hatte der Kalender eine antisemitische Tendenz und setzte Liberale und Juden in enge Beziehung. Die Ausgabe für 1863 brachte in jedem Monat Bildwitze und Karikaturen mit judenfeindlichem Charakter. Mit stereotypen Mitteln äußerer und sprachlicher Kennzeichnung wurden Juden als national

Der Kampf gegen das Judenthum (Gustav Stille, 1891)

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fremd sowie parasitäres, die politische und soziale Ordnung dominierendes Element präsentiert, das seinen Aufstieg zulasten der Handwerker und Grundbesitzer verwirkliche. Die Karikaturen schürten Sozialneid und warnten vor einer „Judenherrschaft“. Soziale Distanz zu Juden zu halten, wurde als überlegene Haltung, gewaltsam gegen die Juden vorzugehen als Lösung der Sozialen Frage geschildert. Diese Illustrationen fanden sich an einer Stelle, die bei Benutzung des Kalenders immer wieder aufgeschlagen werden musste. Ihre wiederholte Rezeption war somit garantiert. Nach Beginn der Einigungskriege und zwischen 1864 und 1868 lag – wie in allen sozialkonservativen Medien – der inhaltliche Schwerpunkt auf Berichten über das Militär, Kriegserfolge und Außenpolitik. 1868 wurde die judenfeindliche Agitation im Rahmen der Versuche zur Gründung einer sozialkonservativen Partei wieder aufgenommen. Die Texte und Karikaturen des Kalenders, der seit 1868 im Verlag Hermann Goedsches und dessen Sohn erschien, nahmen aktuelle politische Debatten auf (etwa über die Börsensteuer) und stellten liberale Projekte wie die konfessionslose Schule als „jüdische“ Vorhaben dar. Zur Lösung der angeblich von Juden verursachten Probleme propagierte der Kalender deren Ausweisung. Aktuelle Pogrome in Rumänien nahm der Kalender amüsiert zur Kenntnis. Die antiliberal-antisemitische Agitation der Sozialkonservativen ging auf im antisemitischen Klima der Gründerjahre. Später unterstützte der Kalender Stoecker und Treitschke. Noch die letzten überlieferten Ausgaben, die nach dem Erlöschen des Volksvereins 1872 von der Redaktion des „Reichsboten“ herausgegeben wurden und in Aufbau und antisemitischer Tendenz völlig unverändert auf eine Leserschaft hin konzipiert waren, die diese gewöhnt und an ihr orientiert war, forderten eine Rücknahme der Emanzipationsgesetze (eine „Emanzipation von den Juden“), und belegen so die Verbindung konservativer und antisemitischer Kreise.

Henning Albrecht

Literatur Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855–1873, Paderborn, u.a. 2010. Hugo Müller, Der Preußische Volks-Verein, Berlin 1914. Volker Neuhaus, Der zeitgeschichtliche Sensationsroman in Deutschland 1855–1878. „Sir John Retcliffe“ und seine Schule, Berlin 1980.

Der Kampf gegen das Judenthum (Gustav Stille, 1891) Gustav Stille (1845–1920), Sohn einer niedersächsischen Pastorenfamilie, studierte Medizin in Tübingen und Kiel und ließ sich 1872 als praktischer Arzt im ländlichen Raum zwischen Elbe und Weser nieder. 1904 verlieh ihm Kaiser Wilhelm II. den Titel Sanitätsrat und 1917 schließlich den des Geheimen Sanitätsrats; damit würdigte er Stilles Tätigkeit als Landarzt und als Freiwilliger Arzt in verschiedenen Lazaretten der Armee. Neben seiner medizinischen Karriere wurde Gustav Stille einem breiten Publikum jedoch durch seine publizistischen Aktivitäten als Heimatdichter einerseits und bekennender Antisemit andererseits bekannt. Zwischen 1902 und 1915 verfasste er zahlreiche Artikel mit antisemitischem Inhalt im → „Hammer“, jenen „Blättern für deut-

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Der Kampf gegen das Judenthum (Gustav Stille, 1891)

schen Sinn“, die von Theodor Fritsch verlegt wurden, der auch für den „AntisemitenKatechismus“ und das → „Handbuch der Judenfrage“ verantwortlich war. Neben Otto Glagau, Theodor Fritsch und Adolf Bartels war Gustav Stille einer der bekanntesten Antisemitismus-Verfechter seiner Zeit. Der publizistische Durchbruch gelang Gustav Stille im Jahre 1891 mit seinem in Leipzig erschienenen Werk „Der Kampf gegen das Judenthum“, das bis 1912 acht Auflagen erzielte, darunter „billige Volksausgaben“, die das Buch für jedermann zugänglich machen sollten. In diesem seinem Hauptwerk fokussiert er die antisemitischen, nationalistischen, völkischen und rassenideologischen Strömungen seiner Zeit, die in dem Ausruf gipfeln: „Das erlösende Wort, das wir auf unsere Fahne schreiben müssen, aber heißt: Kampf! Kampf gegen die Judenmacht bis zu ihrer völligen Vernichtung!“ Der Kampf „für die antisemitische Sache“ werde nicht aufhören, „bis das ganz große Ziel erreicht ist: Deutschland den Deutschen“. Einleitend stellt Stille deutlich heraus, dass schon die „offensichtlichen Mängel des jüdischen Charakters“ eine Gleichberechtigung mit den „arischen“ deutschen Staatsbürgern unmöglich mache und baut auf dieser These seine 15 Kapitel umfassende Kampfschrift auf. Ausführliche Beschreibungen der angeblichen „Rasse-Eigenschaften“ der Juden, „all die Eigenschaften, welche uns die Juden so unsympathisch, widerwärtig, gefährlich machen“, ziehen sich durch das gesamte Werk und bilden die Grundlage für seine im Buch ausgeführten Ideen und Forderungen: Alle Juden müssten „unter ein Fremdengesetz gestellt werden, ohne irgend welche staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten zu haben“, zudem sei „im allgemeinen Staatsinteresse eine gründliche Revision der gesamten neueren, unter dem Einfluss der Juden und Judengenossen zustande gekommenen liberalen Gesetzgebung“ notwendig. Folglich sollte ihnen das deutsche Staatsbürgerrecht und das Wahlrecht komplett entzogen werden. Eine „Reinigung“ der Presse, des Theaters und aller öffentlichen Ämter von Juden bildet einen weiteren unumgänglichen Schritt in Stilles Weltanschauung, um sein Hauptziel, die „jüdische Übermacht“ zu brechen, erreichen zu können. Eine Verhinderung der „übermäßigen Anhäufung des Kapitals in ihren Händen“ würde Stille zufolge auch das „Ende der Judenherrschaft“ bedeuten. Er geht sogar noch weiter: „Wir wären froh, wenn wir uns ihrer möglichst bald entledigen könnten. Vorläufig gibt es dazu kein Mittel; denn ausrotten wollen wir sie nicht und auswandern wollen sie nicht. Wir müssen also sehen, uns so einzurichten, daß wir es neben ihnen aushalten.“ Dieses „Aushalten“ sei allerdings nur möglich, wenn man dem jüdischen Volk jegliche Rechte abspräche, denn „entweder sie müssen unterdrückt werden oder sie unterdrücken“, eine andere Möglichkeit eines Nebeneinanders existiert für den überzeugten Antisemiten grundsätzlich nicht. Dass Gustav Stille mit seinen Ansichten genau den Nerv vieler antisemitischer Zeitgenossen traf, zeigt sich am deutlichsten in der Besprechung seines Werkes in den → „Deutsch-Sozialen Blättern“, dem Organ der Deutschsozialen Partei. Gustav Stille wird bereits kurz nach dem Erscheinen seines Buches begeistert als „neuer, mannhafter und gewandter Streiter“ gelobt, der „in den Kampf gegen das überwuchernde, anmaßende und verderbliche Judentum“ gezogen sei. Gustav Stille, der schon im Kaiserreich die späteren zentralen ideologischen Thesen des Nationalsozialismus formulierte, gilt unumstritten als Propagandist und intel-

Kamptegnet (Dänemark, 1939–1943)

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lektueller Vorläufer des Rassenantisemitismus, dessen Ansichten sich in vielen Parolen der NS-Herrschaft fast wortwörtlich wiederfinden.

Kristin Birkenmaier

Literatur Hans-Jürgen Döscher, Kampf gegen das Judenthum, Gustav Stille (1845–1920) – Antisemit im deutschen Kaiserreich, Berlin 2008.

Kampf gegen die Hochfinanz → Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft

Kamptegnet (Dänemark, 1939–1943) „Kamptegnet“ [Der Schlachtruf] wurde von der dänischen antisemitischen Partei NSAP [Nationalsozialistische Arbeiterpartei], die später neu organisiert und in Dansk Antijødisk Liga [Dänische Anti-Jüdische Liga] umbenannt wurde, herausgegeben und erschien 1939 bis 1940 monatlich und 1941 bis 1943 wöchentlich. „Kamptegnets“ wechselnde Herausgeber waren die Schriftstellerin Olga Eggers und der Leiter der Dänischen Anti-Jüdischen Liga Aage H. Andersen. Eggers verfasste tragische Liebesgeschichten mit feministischen, sozialdemokratischen und eugenischen Themen, die sich bestens verkauften. Bekannt war sie zudem durch ihre eigene Liebesgeschichte mit dem extravaganten Protagonisten eines radikalen Modernismus in Dänemark Georg Brandes, der wegen seiner jüdischen Herkunft scharfer Diffamierung durch seine Zeitgenossen ausgesetzt war. Andersen war seit 1933 in dänischen nationalsozialistischen Kreisen aktiv, war aber 1935 aus der größten Dänischen Nationalsozialistischen Partei (DNSAP) wegen seines kompromisslosen und radikalen Antisemitismus, der nicht zu den politischen Ambitionen der DNSAP passte, ausgeschlossen worden. Daraufhin gründete er seine eigene Partei, die NSAP. Ein weiterer berüchtigter Mitarbeiter war der Genealoge Paul Hennig, der später während der deutschen Besatzung Dänemarks für die Gestapo als inoffizieller Judenreferent fungierte. Als Vorbild diente „Kamptegnet“ die deutsche antisemitische Wochenzeitung → „Der Stürmer“, deren Artikel und Karikaturen wiederholt in „Kamptegnet“ abgedruckt wurden. „Kamptegnets“ Layout war das einer modernen Boulevardzeitung mit großem Schriftbild und üppiger Illustrierung mit Fotografien deutscher Fotoagenturen sowie eigenen Fotografien und Karikaturen. Auch inhaltlich orientierte es sich an einem Boulevardblatt, vorzugsweise mit den Themen Sex, Verbrechen und Skandalen und eben auch mit Schnüffeleien in der Privatsphäre berühmter Personen. Eine regelmäßige Kolumne mit dem Titel „Die Rassenschande der Woche“ diffamierte reißerisch Liebesverhältnisse und Hochzeiten von Juden und Nichtjuden. Die Neuigkeiten der Schlagzeilen des Magazins verbreiteten sich wie ein Lauffeuer; wahrscheinlich wurde es von weit mehr Personen gelesen, als es die Auflagenzahlen vermuten lassen. Doch die öffentliche Reaktion auf „Kamptegnet“ war unmissverständlich. Zeitungskioske weigerten sich, Schlagzeilenplakate aufzustellen, und wenn sie es taten, wurden diese häufig und wiederholt zerstört. In der zweiten Veröffentlichungsperiode während der deutschen Besatzung Dänemarks finanzierte das deutsche Auswärtige Amt die Zeitschrift zur Unterstützung der

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Kamptegnet (Dänemark, 1939–1943)

dänischen nationalsozialistischen Parteien. Die einzige Information über die Auflagenhöhe geht auf Angaben der Herausgeber selbst zurück. Diese Zahlen wurden dem Reichsbevollmächtigten und SS-Obergruppenführer Werner Best, Statthalter in Dänemark, gemeldet und zeigen Schwankungen zwischen einem Maximum von 14.000 und einem Minimum von 1.800 wöchentlichen Exemplaren in den Jahren 1941 bis 1943. Doch die deutsche Taktik änderte sich im Frühjahr 1943. In einem der spektakulärsten Fälle der dänischen Justizgeschichte reichte der Direktor eines großen dänischen Warenhauses P. M. Daell wegen einer Artikelserie in „Kamptegnet“, die ihm ein romantisches Verhältnis mit seiner jüdischen Sekretärin unterstellte, eine Privatklage gegen die Zeitschrift ein. Auch wenn die formale Anklage auf Beleidigung und Diffamierung lautete, war es in der Zeit der Besatzung durch NS-Deutschland doch für jeden offensichtlich, dass die tatsächlich strafbare Handlung die antisemitische Hetze war. Im Frühjahr 1942 wurden die Herausgeber von „Kamptegnet“ der Beleidigung und Diffamierung schuldig befunden, im Falle von Olga Eggers mit explizitem Bezug auf ihre eigene romantische Liaison mit Georg Brandes. Sie wurde zu 80 Tagen und Andersen zu 120 Tagen Gefängnisstrafe verurteilt, und beide mussten eine beträchtliche Entschädigungssumme bezahlen. Im März 1943 erhöhte ein Berufungsgericht die Strafe beider auf 160 Tage. Der Reichsbevollmächtigte widerrief seine Verpflichtungen gegenüber „Kamptegnet“, die finanzielle Unterstützung wurde mit sofortiger Wirkung entzogen und die Herausgeber wurden vorübergehend ins Exil nach Deutschland geschickt. Die Reaktionen auf die namentlichen Nennungen und die Zurschaustellungen als Juden in „Kamptegnet“ variierten. Einige Opfer spielten das Risiko herunter, während andere, vor allem mit Juden verheiratete Nichtjuden sowie „Halbjuden“, Verfolgungen fürchteten und nach Schweden flohen, als die Razzien gegen Juden im Oktober 1943 einsetzten. „Kamptegnets“ Aktivitäten hatten fatale Folgen. Paul Hennig, im September 1943 bei der Gestapo beschäftigt, setzte seine „genealogische“ Tätigkeit aus der Zeit bei „Kamptegnet“ fort und wurde beauftragt, eine Adressenliste zu aktualisieren, die während der Massenverhaftungen der dänischen Juden am 1. Oktober 1943 verwendet wurde. Darüber hinaus nutzte er das von den „Kamptegnet“-Herausgebern betreute Netzwerk zuverlässiger Informanten. Seit die bei der Judenverfolgung eingesetzten deutschen Polizeieinheiten nach der Massenverhaftung auf ein Minimum reduziert waren, gingen Verhaftungen geflohener Juden und Retter vor allem auf Denunziationen zurück. Paul Hennig wurde in den Nachkriegsprozessen zum Tode verurteilt, aber ein Berufungsgericht umwandelte die Strafe in lebenslänglich. Aage H. Andersen, der während der Razzien abwesend gewesen war, wurde für seine antisemitische Propaganda, die als Verstoß gegen den 1939 im dänischen Strafgesetzbuch ergänzten Antirassismus-Absatz gewertet wurde, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Olga Eggers starb vor der Anklageerhebung im Gefängnis.

Sofie Lene Bak Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Sofie Lene Bak, Dansk Antisemitisme 1930–1945 [Dänischer Antisemitismus 1930–1945], Kopenhagen 2004.

Kehraus-Kalender (1883–1890/1895)

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Katholische Rundschau → Przeglad Katolicki

Kehraus-Kalender (1883–1890/1895) Die Kehraus-Kalender bezeichneten sich selbst als „antisemitische Volkskalender“. Sie erschienen zwischen 1883 und 1890 einmal jährlich und stellten sich in ihrer Aufmachung in die Tradition von Bauernkalendern. Die Kalender umfassten anfänglich 90, später bis zu 200 Seiten. Die antisemitischen Inhalte im Unterhaltungsteil waren gezielt auf ein ländliches Leserpublikum zugeschnitten. Zunächst erschien der „Kehraus“ als Jahreskalender der antisemitischen Satirezeitschrift → „Die Wahrheit“ (1880–1885), deren Herausgeber und Autoren im Umkreis der Antisemitenliga Wilhelm Marrs und Hector de Grousilliers zu suchen sind. Während „Die Wahrheit“ versuchte, dem liberalen → „Kladderadatsch“ in der Reichshauptstadt Konkurrenz zu machen, richteten sich die Kehraus-Kalender an ein ländliches Publikum. Jeder Kalender beinhaltete einen landwirtschaftlichen Informationsteil im Umfang von etwa 30 Seiten mit Angaben über Saatgut, Jagdzeiten, Trächtigkeit und Brunft, Maße und Gewichte sowie Termine von Jahr- und Viehmärkten. In einem Anzeigenteil wurden überwiegend landwirtschaftliche Geräte, aber auch antisemitische Presseerzeugnisse beworben. Der Unterhaltungsteil bot Kurzgeschichten, Karikaturen, Bildergeschichten, Gedichte, Lieder und Witze, die ausschließlich judenfeindliche Inhalte transportierten. In einer speziellen Rubrik wurden die Leser über die Tätigkeit der antisemitischen Bewegung im zurückliegenden Jahr informiert. In Ausrichtung auf seine bäuerliche Zielgruppe operierte der „Kehraus“ ganz überwiegend mit sozioökonomischen Judenstereotypen, während man auf religiöse und rassentheoretische Betrachtungen zur „Judenfrage“ verzichtete. Den Juden wurde die Schädigung der christlichen Bauern, Handwerker und Kaufleute durch Wucher, „Güterschlächterei“ (→ „Güterschlächterliste“), unlauteren Wettbewerb und juristische Tricks vorgeworfen. Daneben versuchte der „Kehraus“ in Wort und Bild, die Nichtzugehörigkeit der Juden zu Bürgertum und Nation zu beweisen. Die Bemühungen der Juden um Akkulturation und Verbürgerlichung wurden als lächerliche und aufdringliche Integrationsversuche dargestellt. Der Belustigungseffekt vieler Erzählungen, Karikaturen und Witze beruhte darauf, dass Juden versuchen, einen bürgerlichen Habitus nachzuahmen, jedoch durch jiddischen Jargon, schnöden Materialismus, talmudische Gesetzesethik, mangelnde Geschlechterordnung und Feigheit im Militär als unbürgerlich und undeutsch entlarvt werden. Die Judenemanzipation habe zur Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse zwischen Christen und Juden geführt, was der „Kehraus“ durch Einst-Jetzt-Bilderfolgen verdeutlichte. Allerdings wird die „Judenherrschaft“ nicht als apokalyptisches Bedrohungsszenario geschildert, sondern als Vordringen jüdischer Parvenüs in Gesellschaftsbereiche, deren Anforderungen sie nicht gewachsen sind. Mit diesen „xenophobic assertions“ (Gavin Langmuir) knüpfte der „Kehraus“ geschickt an den Mentalitätshorizont der Landbevölkerung an, bei der frühantisemitische Vorstellungen über die Schädlichkeit und erwünschte Pariaexistenz der Juden eine größere Rolle spielten als der theorie- und ideologielastige moderne Antisemitismus. 1889 ging die Publikation der Kehraus-Kalender vom Berliner Verlag M. Schulze an den Verlag der Zeitung → „Reichs-Herold“ in Marburg über. Damit wurden die

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Kikeriki (Österreich, 1861–1933)

Kalender zum Sprachrohr der antisemitischen Bauernbewegung in Hessen unter Otto Böckel. Fortan bezogen sich die Berichte über die antisemitische Bewegung nur noch auf Hessen, es wurden erstmals politische Essays abgedruckt, und neben den Antisemitismus trat ein radikaler Nationalismus, zumeist in Form der Berichterstattung über die deutschnationale Bewegung in Österreich-Ungarn. Mit der siebenten Ausgabe wurden die Kehraus-Kalender 1890 eingestellt. Nach seinem Ausscheiden aus der hessischen Bauernbewegung versuchte Böckel von Berlin aus, die Kalender wiederzubeleben. Es kam aber offenbar nur zu einer weiteren Nummer im Jahr 1895. Die Auflage des „Kehraus“ soll 15.000 Exemplare pro Band betragen haben. Der Verlagswechsel deutet darauf hin, dass er vorwiegend im hessischen Raum vertrieben wurde. Die meisten Autoren blieben anonym oder versteckten sich hinter Pseudonymen. Bislang konnten Hector de Grousilliers, Christian Radenhausen und Theodor Fritsch als Autoren identifiziert werden. Einige der Zeichnungen lassen sich dem Kunstmaler und antisemitischen Reichstagsabgeordneten Friedrich Bindewald zuordnen.

Thomas Gräfe

Literatur Ursula E. Koch, Der Teufel in Berlin. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848–1890, Köln 1991.

Kikeriki (Österreich, 1861–1933) Die satirisch-humoristische Zeitung „Kikeriki“ wurde im Jahr 1861 gegründet. Zu den Gründungsvätern gehörte neben dem Wiener Bühnenautor und Publizisten Ottokar Franz Ebersberg [Pseudonym: O.F. Berg] (1833–1886) auch der ehemalige Geschäftsmann und journalistische Autodidakt Franz Ignaz Singer [F.J. Singer] (1828– 1886), mit dem Berg seit 1872 das „Illustrierte Wiener Extrablatt“ herausgab. O.F. Berg bekleidete knapp ein Jahrzehnt lang die Funktion des verantwortlichen Redakteurs; bis Mitte der 1880er Jahre war er auch Herausgeber und Eigentümer des „Kikeriki“. 1885 schied Berg wegen einer Verschlechterung seiner geistigen Gesundheit aus der Redaktion aus, er wurde in eine Wiener Heilanstalt eingewiesen, wo er im darauf folgenden Jahr verstarb. Der Umfang der Satirezeitung betrug vier Seiten; seit 1864 wurde jeder Ausgabe ein „Kikeriki-Anzeiger“ beigelegt, der zumindest vier Seiten stark war und neben Fahrplan-Auszügen diverse Inserate für Waren und Dienstleistungen beinhaltete. Seit 1872 wurde im Anzeiger auch die unregelmäßig erscheinende Rubrik „Kikeriki im Theater“ – später in „Theatertelegramme“ umbenannt – veröffentlicht, welche die Leser über das aktuelle Theatergeschehen informierte. In den ersten Jahren erschien der „Kikeriki“ einmal wöchentlich, seit 1873 zweimal pro Woche. Die Satirezeitung erfreute sich außergewöhnlicher Popularität. Sie erreichte in den 1870er Jahren eine Auflage von 25.000 Stück und wurde von zahlreichen anderen Blättern („Pester Kikeriki“, „Neuer Freier Kikeriki“, „Wiener Jüdischer Kikeriki“, „Der junge Kikeriki“), die ihm teils zustimmend und teils ablehnend gegenüberstanden, nachgeahmt.

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Inhaltlich wetterte der „Kikeriki“ in den Anfangsjahren häufig gegen Klerus, Bürokratie und Militär. Die Autoren der Zeitung erörterten in ihren Beiträgen aktuelle Entwicklungen aus Politik und Kultur. Der „Kikeriki“ war in seiner Berichterstattung hauptsächlich auf ein Wiener Publikum ausgerichtet, Ereignisse aus der Provinz wurden in dem Satireblatt nur selten behandelt. Aufgrund der derben und gehässigen Schreib- und Darstellungsweise, derer sich die Zeitung oftmals bediente, wurden gegen sie zahlreiche Gerichtsprozesse geführt. Während der „Kikeriki“ zu Beginn der 1870er Jahre als philosemitisches Medium in Erscheinung trat, gab es gegen Ende des Dezenniums, also noch unter O.F. Berg, erste antijudaistische und antisemitische Artikel und Beiträge. So vertrat das Blatt in einem Leitartikel aus dem Jahr 1879 beispielsweise die Position, dass sich jüdische Lehrer aus dem Unterricht in Volkschulen zurückziehen und dieses Feld katholischen Unterrichtenden überlassen sollten, da der „echte [...] überzeugungstreue Jude [...] immer bestrebt sein wird, seine Charakterzüge auch dem unerfahrenen Kinde einzuimpfen“. Als Friedrich Ilger [Pseudonym: Fritz Gabriel] um die Jahrhundertwende Redakteur des Blattes wurde, wandelte sich der „Kikeriki“ endgültig zu einer antisemitischen Zeitung. Nach dem Ersten Weltkrieg erschien der „Kikeriki“ als Parteiwitzblatt der Christlichsozialen und hetzte in militanter und aggressiver Manier gegen Juden. So wurden sie beispielsweise in den Karikaturen des Magazins als hässliche, hinterlistige, gewinnsüchtige, bärtige Gestalten mit Schlapphut, Schläfenlocken und Krummnase dargestellt, die in ihrem Handeln stets auf den eigenen Vorteil bedacht sind und eine ständige Gefahr für alle Nichtjuden darstellen. Der „Kikeriki“ machte das Judentum für alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme verantwortlich und versuchte mit seiner Hetze Selbstständige, Gewerbetreibende, Handwerker und Arbeiter christlichen Glaubens anzusprechen. Sich offen und stolz zum Antisemitismus bekennend, appellierte das Blatt wiederholt an alle Christen Österreichs, sich gegen den vermeintlichen jüdischen Feind zu solidarisieren. So schrieb die Zeitung beispielsweise Anfang des Jahres 1919: „Deutscher Christ bewahr dein Recht, Eh du wirst ein Judenknecht!“ oder „Deutsche Christen, schließt die Reihen, Österreich darf nicht jüdisch sein!“ In seiner mehr als siebzigjährigen Geschichte änderte der „Kikeriki“ mehrmals seine politische Ausrichtung. Bezeichnete er sich in den ersten Jahrzehnten seiner Existenz als treuer Anhänger des Liberalismus, so näherte er sich in den 1890er-Jahren den Deutschnationalen und in späterer Folge der Christlichsozialen Partei an. Nach dem Justizpalastbrand im Jahr 1927 unterstützte das Blatt offen die nationalsozialistische Bewegung. Der „Kikeriki“ druckte in den letzten Jahren seines Bestehens immer wieder Bilder aus nationalsozialistischen Fotoillustrierten (beispielsweise dem „Notschrei“) ab. 1933 übernahm der NSDAP-Parteiverlag das Blatt. Noch im selben Jahr wurde der „Kikeriki“ von den Behörden des autoritären Notverordungsregimes der Regierung Dollfuß „wegen mehrfacher Beleidigung von Mitgliedern der Bundesregierung“ beschlagnahmt. Das Medium stellte kurz darauf sein Erscheinen ein.

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Die Kirche Christi und die Judenfrage (1937)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Versuch unternommen, den „Kikeriki“ wiederzubeleben. 1948 erschienen einige Ausgaben der Satirezeitung, deren Erscheinen nicht einmal ein Jahr später eingestellt wurde.

Philipp Rohrbach

Literatur Christa Bader, Der „Kikeriki“ unter O.F. Berg, phil. Dipl., Wien 1985. Hannes Haas, Die politische und gesellschaftliche Satire der Wiener humoristisch-satirischen Blätter vom Zusammenbruch der Monarchie bis zum Justizpalastbrand (1918– 1927), phil. Diss., Wien 1982. Karl-Heinz Kossdorff, „Die Wiener liberale Lokalpresse im 19. Jahrhundert“. Von der Gründung des ersten Volksblattes bis zur Aufhebung des Zeitungsstempels (1850–1900), phil. Diss., Wien 1969. Julia Schäfer, Vermessen – gezeichnet – verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918–1933, Frankfurt am Main, New York 2005.

Die Kirche Christi und die Judenfrage (1937) Im Februar 1937 veröffentlichte das Wiener Pauluswerk eine umfangreiche „Denkschrift“ mit dem Titel „Die Kirche Christi und die Judenfrage“, die auf eine Initiative des früheren deutschen Reichskanzlers und Zentrumspolitikers Joseph Wirth (1879– 1956) zurückging und von 14 namhaften katholischen Wissenschaftlern und Politikern aus verschiedenen Ländern Europas unterschrieben war. Neben den beiden Philosophen Jacques Maritain und Dietrich von Hildebrand zählten zu den Unterzeichnern des Memorandums auch der flämische Mediävist Edgar de Bruyne, der Schweizer Theologe und spätere Kardinal Charles Journet sowie Eduard Pant, der Vorsitzende der Christlichen Deutschen Volkspartei in Polen. Dem Kreis gehörten auch mehrere Ordensleute an wie der österreichische Franziskanerpater Cyrill Fischer, bekannt für seine zahlreichen Artikel über die Gefahren des Nationalsozialismus, der Benediktiner Basilius Lang, ein führendes Mitglied der liturgischen Bewegung in Prag, und vier Dominikaner, unter ihnen der ehemalige Leiter der Katholischen Friedensbewegung in Deutschland, Pater Franziskus M. Stratmann OP, der 1933 vorübergehend verhaftet worden und nach seiner Entlassung ins römische Exil geflüchtet war. Das von ihnen unterschriebene Memorandum erschien zunächst in der vom Pauluswerk herausgegebenen Zeitschrift „Die Erfüllung“, wurde in den folgenden Monaten aber auch in andere Sprachen übersetzt und als eigenständige Broschüre verbreitet. Im Auftrag der „Catholic Peace League in the United States“ entstand beispielsweise eine englische Übersetzung, die 1937 unter dem Titel „The Church and the Jews. A Memorial Issued by Catholic European Scholars” publiziert wurde (Washington, D.C. 1937); eine französische Fassung erschien ein Jahr später unter dem Titel „L’Église catholique et la question juive“ (Paris 1938). Der Text gliedert sich in zwei Abschnitte und behandelt sowohl die „theologischgrundsätzliche“ als auch die „politisch-praktische Seite der heutigen Judenfrage“. Während im ersten Teil hervorgehoben wird, dass Jesus und seine Jünger Juden waren, setzt sich der zweite Teil kritisch mit der Judenfeindschaft des Mittelalters und der Neuzeit auseinander. Das Ziel der „Denkschrift“ wird schon in der Einleitung aus-

Die Kirche Christi und die Judenfrage (1937)

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drücklich benannt: „Angesichts der Verwirrung, die auch in christlichen Kreisen [...] seit mehreren Jahrzehnten, vor allem aber in den letzten Jahren, ein bewußt oder unbewußt antichristlicher Antisemitismus in der Judenfrage gestiftet haben, halten wir es für unsere Christenpflicht, an die Lehren der Kirche Christi [...] zu erinnern und von da aus zu den Lösungsversuchen Stellung zu nehmen, wie sie heute, besonders im deutschen Sprachgebiet, durchgeführt und propagiert werden.“ Das Memorandum kritisierte also insbesondere die Situation in Deutschland, vor allem die nationalsozialistischen Sondermaßnahmen gegen die Juden, da diese nicht, wie von der deutschen Regierung behauptet werde, „das öffentliche Leben von schädlichen Erscheinungen“ reinigen, sondern „zu einer Aufhebung der naturrechtlich begründeten Staats- und Rechtsauffassungen“ führen würden. Die „Entrechtung“ der Juden erfolge nur, „um einen Sündenbock zu haben und das Volk [...] gegen einen vorgeblichen Feind zu einigen“. Was mit den Juden geschehe, könne bald schon den Katholiken und jeder anderen missliebigen Minderheit drohen. Neben diesen grundlegenden Aussagen zur deutschen Sondergesetzgebung enthält das Memorandum auch einen längeren Abschnitt über die Rassenlehre, deren pseudowissenschaftlicher Charakter offengelegt wird. Kein Gläubiger dürfe „der Häresie des Rassismus“ erliegen, denn diese „Irrlehre geht auf ein naturalistisches Menschenbild zurück, das mit dem christlichen Gottesglauben völlig unvereinbar ist. Ist dieses Menschenbild auf dem Wege der Verfemung der ‚jüdischen Rasse’ einmal in die Gedankenwelt eines Volkes eingedrungen, dann führt es zu weiteren Konsequenzen: zu naturalistischen Züchtungsmethoden, zur Vernichtung des sogenannten lebensunwerten Lebens, also zur Tötung der Unheilbaren und Schwachen, [...] zur Einführung einer arteigenen Religion und Moral. [...] So wird der Rassismus zum Todfeind des Evangeliums und der Kirche.“ Mit explizitem Bezug auf die lehramtliche Verurteilung des Rassenantisemitismus durch Papst Pius XI. (→ Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ von 1928) werden diese Worte auch autoritativ begründet. In ihrer Argumentation gingen die beiden Verfasser des Memorandums, Waldemar Gurian (1902–1954) und Karl Thieme (1902–1963), zwei deutsche Emigranten, die in der Schweiz Zuflucht gefunden hatten, jedoch noch einen entscheidenden Schritt weiter als das päpstliche Dekret von 1928. Beide waren nämlich der Meinung, dass neben dem Rassenantisemitismus auch „jeder Versuch, den Antisemitismus ‚christlich’ oder ‚kirchlich’ rechtfertigen zu wollen, auf das schärfste zurückgewiesen werden“ müsse. Auch ein scheinbar gemäßigter „völkisch-konservativer“ Antisemitismus sei entschieden abzulehnen, selbst wenn er von überzeugten Christen propagiert werde: Denn der Rassismus werde von Vertretern dieses Antisemitismus „zwar grundsätzlich verworfen, aber praktisch wird gegen ihn nichts oder höchstens etwas in aller Stille eingewendet.“ Während diese „gemäßigten“ Antisemiten „volles Mitgefühl für einzelne unschuldige Opfer der Maßnahmen gegen das Judentum“ hätten, zeigten sie für antijüdische Gesetze und Sonderregelungen dennoch viel Verständnis, „mindestens aber zahlreiche Entschuldigungsgründe“, und statt der Rassentheorien würden sie abstruse Ritualmordlegenden verbreiten oder an eine jüdische Weltverschwörung glauben. Das Memorandum wandte sich damit also auch gegen eine zweite Form des Antisemitismus, die in vielen katholischen Lexika der Zeit noch als unproblematisch oder harmlos bezeichnet wurde.

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Die Initiatoren der „Denkschrift“ wussten nämlich aus eigener Erfahrung, dass die Grenzen zwischen beiden Formen des Antisemitismus fließend sein konnten: Im März 1936 war es im Wiener Pauluswerk zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem angesehenen Jesuiten Georg Bichlmair (1890–1953) gekommen, nachdem dieser in einem Vortrag erklärt hatte, dass man es auch katholischen Vereinen nicht verwehren dürfe, in ihre Statuten einen „Arierparagraphen“ aufzunehmen. Insbesondere Johannes M. Oesterreicher (1904–1993), ein katholischer Priester jüdischer Herkunft, der im Auftrag des Pauluswerks die „Erfüllung“ herausgab, war über Bichlmairs Ausführungen so empört, dass er erfolgreich darauf drängte, dass der Jesuit von seinem Amt als Vizepräsident des Pauluswerks zurücktreten musste. Aufgrund dieser Erfahrung warnte das Memorandum daher eindringlich vor noch so kleinen Zugeständnissen gegenüber der Rassenideologie. Denn auch der als harmlos geltende, traditionell-konservative Antisemitismus nehme den Juden nicht mehr als Nächsten wahr, sondern sehe in ihm nur noch ein politisches oder soziales Objekt. Stattdessen müssten die Christen „heute alles tun, um die Atmosphäre der Lüge und des Hasses zu entgiften“, und „gegen die Ächtung der Juden und gegen Sondermaßnahmen, die sich nicht nur gegen die Juden, sondern gegen uns alle richten, weil ihre Konsequenzen so unheilvoll sind“, öffentlich ihre „Stimme erheben“. Mit diesem Appell wandte sich der Text zwar an alle Christen, aber das Memorandum richtete sich vor allem an die römische Kurie und den Papst. Joseph Wirth schickte daher im März 1937 den Text an Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (1876–1958, ab 1939 Pius XII.) mit der Bitte, ihn Papst Pius XI. vorzulegen. Mehrfach reiste Wirth sogar persönlich nach Rom und sprach im Staatssekretariat vor, um den Vatikan zu einem öffentlichen Protest gegen den Antisemitismus zu bewegen; aber zu einer öffentlichen Stellungnahme seitens des Vatikans kam es nicht, und auch die Bemühungen Thiemes, einige Schweizer Bischöfe zur Unterstützung des Memorandums zu bewegen, blieben erfolglos. Die Initiatoren der „Denkschrift“ waren dagegen davon überzeugt, dass die Kirche gegen den zeitgenössischen Antisemitismus und die nationalsozialistische Judenverfolgung öffentlich protestieren müsse, auch wenn einige von ihnen wie Thieme und Oesterreicher noch lange am theologischen Antijudaismus, z. B. an der traditionellen Substitutionslehre, festhielten und ihre religiöse Einstellung gegenüber dem Judentum erst nach 1945 änderten.

Elias H. Füllenbach

Literatur John Connelly, From Enemy to Brother. The Revolution in Catholic Teaching on the Jews, 1933–1965, Cambridge/Mass. u. a. 2012. Elias H. Füllenbach, Shock, Renewal, Crisis. Catholic Reflections on the Shoah, in: Kevin P. Spicer (Hrsg.), Antisemitism, Christian Ambivalence, and the Holocaust, Bloomington u. a. 2007, S. 201–234. Elias H. Füllenbach, Das katholisch-jüdische Verhältnis im 20. Jahrhundert. Katholische Initiativen gegen den Antisemitismus und die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschland, in: Reinhold Boschki, Albert Gerhards (Hrsg.), Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft? Neue Perspektiven für den christlich-jüdischen Dialog, Paderborn u. a. 2010, S. 143–163.

Kladderadatsch (1848–1944)

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Ulrike Hörster-Philipps, Joseph Wirth 1879–1956. Eine politische Biographie, Paderborn u. a. 1998. Heinz Hürten, Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Mainz 1972.

Kladderadatsch (1848–1944) Der „Kladderadatsch“ war ein Berliner Satireblatt, das von 1848 bis 1944 erschien, gegründet von dem Possendichter David Kalisch, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, zunächst mit dem Untertitel „Organ für und von Bummler“, später „Humoristisch-satyrisches Wochenblatt“. Ab 1869 erschien das Blatt unter dem Namen „Kladderadatsch. Das deutsche Magazin für Unpolitische“. Mit witzigen und kritischen Beiträgen und Karikaturen behielt das Blatt sein Format durchgehend bei. Es setzte sich neben einem Leitartikel, der das politische Leben kritisch bewertete, aus kleineren Texten und Illustrationen zusammen. Mit einer Mischung aus schnoddrigem Berliner Humor und jüdischem Witz gab das Blatt die politischen Ansichten der Autoren in deren persönlichem Stil wieder. Mit 50.000 Exemplaren (1827) erreichte es eine hohe Auflage. Im Laufe der Zeit wurde das Blatt immer konservativer, was sich z. B. an einer kritischen Bewertung der streikenden Arbeiterschaft oder der wohlwollenden Haltung bezüglich der Kriegsvorbereitungen zeigte. 1909 schlug sich dies auch personell nieder und führte zur Auswechslung der Redakteure. Johannes Trojan verließ das Blatt, und der nationalistisch ausgerichtete Paul Warncke stieg ein. 1923 verkaufte der Hofmann Verlag den „Kladderadatsch“, dessen Auflage stark gesunken war, an die Stinnes Company. Das Blatt rückte damit weiter in die rechte Ecke und wetterte nun gegen die gemäßigten Politiker der Weimarer Republik, wie z. B. die wenig respektvolle Kommentierung des Todes des deutschen Außenministers Walther Rathenau zeigte, der einem Attentat zum Opfer fiel. Der „Kladderadatsch“ sympathisierte offen mit Hitler, nachdem 1923 der Münchner Putsch gescheitert war. Die Politik Hitlers in den 1930er Jahren wurde vom „Kladderadatsch“ wohlwollend kommentiert, während die Sozialdemokraten als Zerstörer Deutschlands diffamiert wurden. In den Karikaturen des Blattes gewann der Antisemitismus zunehmend Raum. Bereits in der Ausgabe vom 2. November 1930 warnte das Blatt in der üblichen satirischen Art vor einer „Überfremdung“, im gleichen Jahr kündigte es dem jüdischen Annonceur Rudolf Mosse nach 60-jähriger Zusammenarbeit. Die Weihnachtsausgabe 1932 beinhaltete eine Hitlerkarikatur, die ihn als Engel „unter dem deutschen Weihnachtsbaum“ zeigte, mit den Insignien Schwert und Kerze, umschwirrt von den beiden Engelchen „Gleichberechtigung“ und „Nationale Einigkeit“. 1933 erschien eine Hitlerkarikatur, die ihn als Menschenformer zeigt, der die kleinen Menschenfiguren eines jüdischen Künstlers zerschlägt und mit der Faust einige der Figuren zusammenknetet, um einen neuen Menschen zu formen, einen „Helden“. Ein Beitrag vom 9. April 1933 titelte mit „Die Rettung“, es folgte ein Bild, das Hitler als Ritter zeigte. Seine Lanze steckt in einem tigergesichtigen Wesen mit spitzer Mütze, der Personifizierung des „bösen Geistes“, der es auf die „Arbeiterseele“ abgesehen hatte. 1933 verstarb Paul Warncke, was einen weiteren Rechtsruck des „Kladderadatsch“ bewirkte. Bemerkenswert ist, dass der „Kladderadatsch“ bis September

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Das kleine abc des Nationalsozialisten (Joseph Goebbels, 1925)

1944 erschien und nicht kriegsbedingt eingestellt wurde. Innerdeutsche Probleme und Ereignisse tauchten nicht mehr auf, Durchhalteparolen und die Darstellung der vier Hauptfeinde des Deutschen Reiches in immer größeren und raumgreifenden Karikaturen bestimmten das Blatt. Die Gewichtung dabei war klar: Während die Juden für alle Nationalitäten und in allen Kombinationen als Drahtzieher und personifiziertes Übel benutzt wurden, wurde die Sowjetunion, deren Abbildung klar das Ziel der Abschreckung und Angst erfüllen sollte, meist individualisiert durch einen übermächtigen Soldaten, der Unrecht begeht, dargestellt: so beispielsweise in der Ausgabe 35/1944, in der ein sowjetischer Soldat mit Brandfackel achtlos auf eine ihr Baby umklammernde Frau tritt. Das Feindbild „Amerikaner“ und „Briten“, die als sittenlos dargestellt wurden, trat meist in Kombination mit anti-sowjetischer oder antijüdischer Symbolik auf. Neben der umfassenden Stigmatisierung der Feinde des Deutschen Reiches wurden auch Durchhalteparolen abgedruckt.

Angelika Benz

Literatur Ingrid Heinrich-Jost (Hrsg.), Kladderadatsch. Die Geschichte eines Berliner Witzblattes von 1848 bis ins Dritte Reich, Köln 1982. Klaus Schulz, „Kladderadatsch“. Ein bürgerliches Witzblatt von der Märzrevolution bis zum Nationalsozialismus 1848–1944, Bochum 1975.

Klassowaja suschtschnost sionisma → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen

Das kleine abc des Nationalsozialisten (Joseph Goebbels, 1925) Die häufig aufgelegte Flugschrift geringen Umfangs verfasste Joseph Goebbels im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der West- und Norddeutschen Gaue der NSDAP im Herbst 1925. Im Tagebuch vermerkt er unter dem 26. Oktober 1925 die Fertigstellung. Am 13. Januar 1926 notiert er das Erscheinen der 2. Auflage (11. – 20. Tausend). Die erste Auflage erschien in der Vorpommerschen Buch- und Kunstdruckerei Greifswald, zahlreiche weitere Ausgaben publizierten verschiedene Verlage. Die Schrift diente der Erläuterung der Ziele der NSDAP, der Autor fügte die gängigen antikapitalistischen, antimarxistischen, antidemokratischen und antiparlamentarischen Phrasen zum plakativen Appell. Antisemitische Stereotype werden in verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt. Die kommunistische Partei wird als „russisch-jüdisch“ denunziert. Die grundsätzliche Judenfeindschaft der NSDAP wird mit rassistischen, vor allem aber mit politischen und wirtschaftlichen Stereotypen begründet: „Weil der Jude ein zersetzender Fremdkörper im deutschen Volke ist, weil er durch seine lügenhaften ‚Kulturinstitute’ die deutsche Volksmoral vergiftet, weil er niederreißt, statt aufzubauen, weil er der Vater des Klassenkampfgedankens ist, durch den er das deutsche Volk in zwei Teile zerreißt, um es desto brutaler beherrschen zu können, weil er der Schöpfer und Träger des internationalen Börsenkapitalismus, des Hauptfeindes der deutschen Freiheit, ist.“ Das parlamentarisch-demokratische System wird denunziert als „gehalten und geführt von Juden und Judengenossen“; als Hauptfeind der kulturellen Erneuerung Deutschlands wird „das Judentum“ diffamiert, weil es „den deutschen

Der kleine Reaktionär (1862–1867)

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Geist“ systematisch vergifte, weshalb Juden aus allen deutschen Kulturinstituten entfernt werden müssten. („Der Jude kann und darf nicht Träger deutscher Bildung und deutschen Geistes sein.“) Unter der Überschrift „Der Jude und der Deutsche“ sind gängige Diskriminierungen in der Form von Frage und Antwort proklamiert wie die angebliche Dominanz der Juden in der Presse, im Theater, an der Universität, die durch „Deutsche“ ersetzt werden müssten. In der Propagandaschrift des jungen Goebbels steht die antikapitalistische Argumentation auch in den antisemitischen Passagen im Vordergrund. Die Wirkung beruhte auf der rational erscheinenden Reduktion von Behauptungen auf Merksätze.

Wolfgang Benz

Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes → Rassenkunde des deutschen Volkes

Der kleine Reaktionär (1862–1867) Fast zeitgleich mit den ersten illustrierten politischen Satire-Journalen, die im Zuge der 1848er Revolution „das moderne Berlinertum“ (Theodor Fontane) begründeten, finden sich in der hochkonservativen → „Kreuzzeitung“ Attacken gegen den „jüdischen Witz“. Sie richteten sich u. a. gegen den erfolgreichen → „Kladderadatsch“ und dessen protestantisch getaufte Redakteure (David Kalisch, Ernst Dohm, Rudolf Löwenstein), drei Vettern aus Breslau. In den Jahren des Heeres- und Verfassungskonflikts (1862–1866) unter Ministerpräsident Otto von Bismarck vertrat der „Kladderadatsch“ – wie die Mehrzahl der Berliner Tageszeitungen – die politischen und wirtschaftlichen Ideen der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, die im Juni 1861 als „Exekutive des National-Vereins in Preußen“ gegründet worden war. Vor diesem Hintergrund erschien (nach einer Probenummer vom 20. September) seit dem 4. Oktober 1862, unter dem Titel „Der kleine Reactionär“, der erste, nicht alsbald wieder eingestellte „Anti-Kladderadatsch“. Als Organ des im September 1861 gegründeten Preußischen Volksvereins, zu dessen Klientel sowohl der um seinen Grundbesitz bangende Kleinadel als auch viele Handwerker zählten, vervollständigte er das Spektrum der maßgeblich von Hermann Wagener beeinflussten sozialkonservativen, d. h. antiliberalen, antikapitalistischen und tendenziell judenfeindlichen Publizistik. Vorbilder für die Aufmachung waren sowohl der Meinungsführer „Kladderadatsch“ (Titelleitgedicht, ganzseitige Karikatur auf der letzten Seite, den Lesern vertraute Dialogpartner, Briefkasten für eine interaktive Kommunikation) als auch die Münchner humoristische Familienwochenzeitschrift → „Fliegende Blätter“ (Beiträge aus dem Leserkreis, zahlreiche kleinere Holzschnitte und Bildwitze). Der „Kleine Reactionär“ (8 Seiten im Quartformat, Auflage zwischen 2.000 und 3.000 Exemplare), dessen Autoren und Zeichner anonym blieben, fand seine Abonnenten vorwiegend in den ländlich geprägten altpreußischen Provinzen, aber auch im Rheinland, im Königreich Sachsen und in Österreich. In Berlin hingegen sahen sich Lokale, die das Blatt auslegen wollten, nicht selten Einschüchterungsversuchen „der verschiedensten Art“ ausgesetzt.

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Der kleine Reaktionär (1862–1867)

Insbesondere der erste Jahrgang – als Verleger und verantwortlichen Redakteur nennt das Impressum Martin Berendt – fällt durch eine extreme Judenfeindlichkeit auf, und dies 17 Jahre vor dem „Berliner Antisemitismusstreit“. Ein Leitmotiv ist das verhängnisvolle Amalgam zwischen führenden Vertretern des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus (Abgeordnete, Presseleute, Fabrikanten) und der jüdischen Bevölkerung allgemein. Für dieses Blatt waren der Deutsche National-Verein und die Deutsche Fortschrittspartei kurzerhand „der große Bund der Juden und Judengenossen“. Liberale und Juden (die „Verführer der Nation“) galten somit gleichermaßen als Verursacher der „sozialen Frage“. Der auch bildlich (mit Eisernem Kreuz) dargestellte „Kleine Reactionär“ argumentierte bereits durchaus rassistisch und lehnte die Assimilation der Juden, für ihn „Fremde“, wenn nicht gar „orientalische Fortschrittsaffen“, und „Mischehen“ ab. So erscheint auf einer die NS-Presse (→ „Der Stürmer“) vorwegnehmenden Karikatur der vom Zeichner verfremdete National-Verein in der Gestalt eines abstoßenden, geilen Juden, der von der blondbezopften, tugendhaften Nationalfigur Germania nur mit geballter Faust abgewehrt werden kann. Tatsächlich nahm die Zeitschrift, die wegen Abgeordnetenbeleidigung einmal konfisziert wurde (am 28. Februar 1863), die seit dem Mittelalter übliche Typisierung der Juden in Wort („mauscheln“, der Name als Stigma) und Bild wieder auf. Um ihre Botschaft zu transportieren, veröffentlichte sie u. a. Rubriken wie „Die modernen Raubritter“, ganzseitige, mit Texten versehene Einzel- oder Abfolgekarikaturen („Wie der Jude Levy Philippsbloch sein Leben machte“), antithetische Gegenüberstellungen, Bilderfolgen (z. B. „Der Ritter A.J.M. Itzig hat das Rittergut Waldegg gekauft“) und „stehende Figuren“. Genannt seien die beiden jüdelnden Gesprächspartner Jussuf, ein aus den östlichen Provinzen stammender „Kaftanjude“, und Levy, ein „anglisierter“ politisierender Literat, der durch unsaubere Nebengeschäfte wie Menschenhandel vermögend geworden war. An seinem ersten Jahrestag ersetzte das Blatt in seinem Titel das altmodische „c“ durch ein „k“ und wechselte den Verlag. Ab 3. Oktober 1863 fungierte der bisherige Drucker Hermann Müller außerdem als Verleger, Herausgeber in Stellvertretung und verantwortlicher Redakteur. Schriftleitung und Tendenz änderten sich nicht. Doch bereits seit dem 2. April 1864 erschien der „Kleine Reaktionär“, versehen mit dem Untertitel „In Satira Tragoedia“, im Selbstverlag des Hugenotten-Abkömmlings Jean Conrad Rodolphe Blan[c]bois. Dieser zeichnete verantwortlich, versorgte das Blatt mit Holzschnitten aus seinem xylographischen Institut und ließ es in der von seinem Großvater geerbten C. Feisterschen Buchdruckerei drucken. Da antijüdische Hasstiraden plötzlich auffällig selten wurden, vermuteten manche Zeitgenossen eine Einflussnahme des konservativen „Eisenbahnkönigs“ Bethel Henry Strousberg. Am 24. Dezember 1864 und 11. Februar 1865 trug der „Kleine Reaktionär“, ein Anhänger der Bismarckschen Außenpolitik, dem preußischen Sieg über Dänemark nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen Rechnung und benannte sich zunächst in „Sturmblatt Düppel“ und anschließend in „Sturmblatt“ um. Am 1. April 1865 übernahm der Buchhändler Gottfried Hickethier, der auch den → „Kalender des Preußischen Volksvereins“ herausgab, Druck, Redaktion und Verlag, was zunächst einen Wiederanstieg der „Judenangriffe“ zur Folge hatte.

Kniga kagala (Jakov Brafman, 1869)

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Ein letzter Abschnitt in der bewegten Geschichte dieses „humoristisch-satyrischen Organs der conservativen Partei“ begann im Oktober 1865. Neuer verantwortlicher Redakteur war der Spross einer berühmten Schriftstellerfamilie, Wolfgang Bernhardi. Zwar verherrlichte auch der „Berliner Punsch“ – wie das Blatt ab 6. Januar 1866 hieß – Preußens Gloria und verhöhnte den „Parlamentarismus“, doch blieb die antijüdische Tendenz trotz einer zunehmenden Anzahl von „Jüden“ als Witzblattfiguren vergleichsweise gemäßigt. Nach Bernhardis krankheitsbedingtem Ausscheiden am 3. März 1867 stellte die Verlagshandlung das Erscheinen am 30. März „bis auf weiteres“ ein. Erst im Januar 1880 nahm eine humoristisch-satirische Neugründung, das antisemitische Wochenblatt → „Die Wahrheit“, den Kampf gegen „Liberalismus“, „Materialismus“ und den „jüdischen Geist“ wieder auf.

Ursula E. Koch

Literatur Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855–1873, Paderborn, u.a. 2010, S. 360–407. Hubertus Fischer, Der kleine Reaktionär. Illustrirtes humoristisch-satyrisches Wochenblatt für die conservative Partei – Antisemitische Agitation in der Krise der preußischen Monarchie 1862/63, in: Hubertus Fischer, Florian Vaßen (Hrsg.), Politik, Porträt, Physiologie. Facetten der europäischen Karikatur im Vor- und Nachmärz, Bielefeld 2010, S. 309–378. Ursula E. Koch, Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848–1890, Köln 1991. Ursula E. Koch, Attacken gegen den jüdischen ‚Geist’ und ‚Witz’ in der Hochburg des Liberalismus: Berlin. Ein Mosaikstein zur Rezeptions- und Antisemitismusforschung am Beispiel ausgewählter Satire-Journale des 19. Jahrhunderts, in: Willi Jasper, Joachim H. Knoll (Hrsg.), Preußens Himmel breitet seine Sterne… Beiträge zur Kultur-, Politik- und Geistesgeschichte der Neuzeit. Festschrift zum 60. Geburtstag von Julius H. Schoeps, Band 2, Hildesheim, Zürich, New York 2002, S. 483–511.

Klüter-Blätter → Druffel Verlag

Kniga kagala (Jakov Brafman, 1869) Das „Buch vom Kahal“ (im russischen Original „Kniga kagala“) wurde erstmals 1869 in Wilna von Jakov Brafman (1825–1879) herausgegeben. Brafman gilt in der jüdischen Geschichtsschreibung als „infamer Apostat“ (Jacob Katz). Sein Hauptwerk denunziert die jüdischen Gemeinden im Russischen Reich als „Staat im Staate“. Mit dieser Darstellung prägte Brafmans Begriff und Konzept des Kahal den russländischen Diskurs zur sogenannten jüdischen Frage und wurde davon ausgehend auch zum wichtigen Baustein antisemitischer Vorstellungen und Schriften weltweit. Der Begriff Kahal (im Russischen „kagal“) stammt von der hebräischen Bezeichnung „kehilla“ für Gemeinde. Die Gemeinde spielte in der Geschichte der jüdischen Diaspora eine zentrale Rolle. Unter den besonderen Existenzbedingungen einer religiösen und ethnisch-kulturellen Minderheit in den von ständischen Ordnungsvorstellungen geprägten Gemeinwesen im östlichen Europa stellte die Gemeinde die wichtigsten Institutionen des jüdischen Lebens für den Einzelnen bereit: Dazu zählten nicht nur die Synagoge oder ein Friedhof, sondern auch eine Obrigkeit, die Schutz vor der

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Kniga kagala (Jakov Brafman, 1869)

Außenwelt gewährte, und eine rechtliche Instanz, welche auf die Einhaltung der religiösen Gesetze achtete und Streitfragen schlichtete. So nahm die Gemeinde die Funktion war, Recht zu sprechen, Steuern zu erheben sowie die Ordnung nach innen und außen aufrechtzuerhalten. Die dazu nötigen Autonomierechte wurden den jüdischen Gemeinden im 16. Jahrhundert von dem polnischen König Sigismund August verliehen. Dieses Zeitalter ging auch deshalb als „Goldenes Zeitalter der Juden in Polen“ in die jüdische Geschichtsschreibung ein. Die Selbstverwaltung lag in den Händen der Gemeindeobrigkeit, die zwar gemäß der Überlieferung gewählt wurde, deren Zusammensetzung aber keineswegs modernen demokratischen Ansprüchen genügte. Auf diese Gemeindeobrigkeit vor allem bezog sich der Begriff Kahal. Zum Zwecke der Sozialdisziplinierung verfügte die Gemeindeobrigkeit über den Bann (cherem). Zudem hatte sie das Recht, Niederlassungsund Pachtrechte zu gewähren (chasaka). Trotz aller politischen und sozialen Veränderungen im östlichen Europa blieb das jüdische Leben, das von den Institutionen der jüdischen Gemeinde gleichsam umzäunt wurde, bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend stabil, bis die Gemeinde als Institution im Jahre 1844 im Zuge der Modernisierung des Russischen Reiches abgeschafft wurde. Jakov Brafmans „Buch vom Kahal“ besteht hauptsächlich aus einer Edition und Übersetzung der Aufzeichnungen des Minsker Kahal von 1794 bis 1833, die er mithilfe eines Stipendiums des russischen Heiligen Synod erforschte. Zudem wurden aus den Mitteln der Steuer, welche der russische Staat auf koscheres Fleisch erhob, die Übersetzungen der Gemeindebücher durch Lehrer und Schüler des Wilnaer Rabbinerseminars bezahlt. Zwar ist die Quelle als solche authentisch, die Edition und Übersetzung der Gemeindebücher aber ist ungenau und fehlerhaft. Vor allem der Kommentar durch Jakov Brafman ist tendenziös und evoziert das Bild von den jüdischen Gemeinden als einem System, in dem der einzelne Jude durch die Gemeindeobrigkeit mithilfe von cherem und chasaka unterdrückt und durch die Auferlegung von Steuern ausgebeutet wurde. Zudem erscheint der Kahal auch als Instrument, um die nicht-jüdische Umgebung zu übervorteilen. Die jüdische Gemeinde sichere die Absonderung der Juden von den sie umgebenden zarischen Untertanen und halte sie zur Feindseligkeit und Falschheit an. Solcherart sei der Kahal ein „Staat im Staate“ – eine gesellschaftliche Bedrohung, die sich auf gesamtstaatlicher Ebene in einem allrussischen jüdischen Kahal manifestiere. Diese Institution, so Brafman, tarne sich als die philanthropische „Gesellschaft zur Verbreitung der Aufklärung unter den russischen Juden“. Auf internationalem Niveau agiere dieses System als „Weltkahal“, dessen Instrument die Alliance Israélite Universelle sei. Das Buch vom Kahal erlebte zahlreiche Auflagen in unterschiedlichen Sprachen. Im Russischen Reich wurde es zudem nicht nur von der antisemitischen, sondern auch von der liberalen Öffentlichkeit breit rezipiert und erschien in Auszügen in Tagesund Wochenzeitschriften. Jakov Brafman wurde wegen dieses Buches von einer breiten Öffentlichkeit als Experte zur „jüdischen Frage“ konsultiert. So wurde Brafmans „Kahal“ zum Schlüsselbegriff im russischen Diskurs zur „jüdischen Frage“, weil er auf einen Schlag eine Erklärung für die Vielfalt von Problemen bot, die sich dahinter verbargen. Vor allem die liberale Öffentlichkeit kritisierte die „jüdische Absonde-

Das Komitee der 300 (John Coleman, 1992)

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rung“, religiösen Fanatismus, Rückständigkeit und die ökonomische Ausbeutung der Juden. Alle Probleme, die zuvor einzeln diskutiert worden waren, ließen sich nun auf ein einziges Phänomen zurückführen – auf den „Kahal“. Ausgehend davon fand der „Kahal“ auch Eingang in den internationalen antisemitischen Diskurs. In den → „Protokollen der Weisen von Zion“ wird die weltweite jüdische Geheimregierung als „Kahal“ bezeichnet: Als solche symbolisierte Brafmans „Kahal“ die Idee von der „jüdischen Weltverschwörung“.

Anke Hilbrenner

Literatur Jacob Katz, A State within a State. A History of an Anti-Semitic Slogan, Jerusalem 1969. John D. Klier, Imperial Russia’s Jewish Question 1855–1881, Cambridge 1995.

Knorke → „Isidor“-Bücher

Das Komitee der 300 (John Coleman, 1992) „Die Hierarchie der Verschwörer – Das Komitee der 300“ ist ein Buch des Verschwörungstheoretikers John Coleman, das im amerikanischen Original 1992 erschien und sich in verschwörungstheoretischen und antisemitischen Kreisen, insbesondere im Internet, reger Beliebtheit erfreut. Die 2010 erschienene deutsche Übersetzung erfolgte pseudonym und enthält neben zahlreichen Ergänzungen ebenso zahlreiche Fehler. Coleman legt in seinem Buch eine durchweg negative Geisteshaltung an den Tag, nach der sich Veränderungen in der Welt „fast immer zum Schlechteren“ auswirken und nach einem vorsätzlichen Plan ablaufen. Dieser Plan wird ihm zufolge vom „Komitee der 300“ gesteuert, das als „oberste Körperschaft“ und „ultimative Geheimgesellschaft“ durch ein weitverbreitetes, hierarchisches System sämtliche Geheimgesellschaften sowie die Politik, die Wirtschaft und nahezu alle Bereiche des Lebens kontrolliert. Das „Komitee der 300“ strebe dabei eine „Eine-Welt-Regierung“ und eine „Neue Weltordnung“ an, deren Etablierung bereits auf dem Vormarsch sei. Diese „Neue Weltordnung“ wird als eine gottlose, „überarbeitete Form des internationalen Kommunismus und eine brutale und grausame Diktatur“ beschrieben. Der Ursprung des „Komitees“ liegt laut Coleman in der britischen „East India Company“ und im britischen Hochadel, der bis zum heutigen Tage eine zentrale Rolle spiele und die Geschicke der USA und der restlichen Welt maßgeblich beeinflusse. Die weiteren Mitglieder des „Komitees“ setzen sich Coleman zufolge aus den europäischen Königshäusern, verschiedenen „Round-Table-Gruppen“, Bankern, Politikern, Vertretern des Militärs, der Universitäten, der Medien sowie unzähliger weiterer Gruppen und Organisationen zusammen. Somit seien Vertreter und Abgeordnete des „Komitees“, dessen ranghöchste Mitglieder auch „die Olympier“ genannt würden, auf jeder Ebene der Gesellschaft vertreten. Die angeblichen Ziele und Mittel des „Komitees“ sind dabei überaus vielfältig und erweisen sich in der Außensicht als widersprüchlich. Neben dem übergeordneten Ziel, die Weltherrschaft in einem autoritären, „kommunistischen“ System zu erlangen, solle die industrielle Produktion abgeschafft und die Welt in ein „dunkles Zeitalter der mittelalterlichen Feudalherrschaft“ gestürzt werden. Gleichzeitig sollen Coleman zufolge „menschenähnliche Roboter“ und ein

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System der „Bewusstseinskontrolle“ erschaffen werden, während die „überflüssige Weltbevölkerung“ durch Kriege und Krankheiten dezimiert würde. Die „Eine-WeltRegierung“ strebe zudem an, unter der Scheinherrschaft von internationalen Organisationen wie der UNO und einer gemeinsamen Religion, der Teufelsanbetung, die Erde zu regieren. Die „300“ seien dabei nicht nur verantwortlich für fast alle negativen Entwicklungen der Neuzeit, wie sämtliche Kriege, den Sklaven- und Drogenhandel, die Benachteiligung der Entwicklungsländer, die Attentate auf Franz Ferdinand von Österreich und John F. Kennedy, die Ausbreitung der „spanischen Grippe“ und von AIDS, den Genozid in Kambodscha sowie den angeblichen „Völkermord an den Irakern“. Sie seien überdies auch die Drahtzieher hinter allen anderen „Geheimgesellschaften“ der Geschichte: Freimaurer, Rosenkreuzer, Bilderberg-Gruppe, Illuminaten, „Skull and Bones“, „Thule-Gesellschaft“, und selbst „die Zionisten“ und „die Bolschewisten“ gehören zu den Gruppen, die dem „Komitee“ bei der Durchsetzung seiner „satanischen Ziele“ behilflich seien. Verwirklicht würden diese Ziele u. a. durch gezielte „Gehirnwäsche“ und Manipulation der Massen. Einerseits würden die Menschen unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Terrorismus komplett überwacht, andererseits kontrolliere das „Komitee“ die Presse, sozialwissenschaftliche Forschungsinstitute und unabhängige „Think Tanks“. Dabei spiele neben Drogen zur Bewusstseinskontrolle auch die Unterhaltungsindustrie eine zentrale Rolle. In diesem Kontext habe Theodor W. Adorno, den Coleman als „Karl Marx der Musik“ bezeichnet, im Auftrag des „Komitees“ die Beatles und Rock and Roll „entwickelt“, um das Bewusstsein der Massen durch „afrikanische Voodoo-Rhythmen“ sowie Einflüsse des „Dionysos-Kultes“ und des Jazz zu betäuben, die Generationen gegeneinander aufzubringen und Hedonismus, Dekadenz und moralischen Verfall hervorzurufen. Daneben sieht Coleman auch viele der modernen gesellschaftlichen Entwicklungen als „Teil des vorsätzlichen Plans“. Ehescheidung trage ebenso zur Zerstörung der traditionellen Werte und Strukturen bei, wie die Legalisierung der Abtreibung, die Coleman für die „Ermordung von 25 Millionen Kindern“ verantwortlich macht. Die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft und die Ausbreitung der Pornographie seien eine Plage und hätten einen „zersetzenden Effekt“. Die nationale Identität sei durch Einwanderung, Multikultur und den Verlust des „Rassenstolzes“ massiv gefährdet. Die Emanzipation der Frauen sei ein systematischer Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, genau wie die zunehmende Akzeptanz von Homosexualität, die er fälschlicherweise als „Sodomie“ bezeichnet. Durch derartige Formulierungen gibt Coleman rechtsextreme und christlich-fundamentalistische Muster zu erkennen, die in seinen Ausführungen über eine „Verschwörung gegen Gott und die Menschen“, die „Herrschaft des Anti-Christen“ oder die „Blasphemie über Jesus Christus“ bestätigt werden. Stilistisch setzt Coleman auf unzählige Wiederholungen, teilweise ganzer Textpassagen, sowie auf zahlreiche Superlative, polemische Ausfälle und verabsolutierende Formulierungen. Zudem verwendet er Hervorhebungen durch Fettdruck, rhetorische Fragen, Anspielungen und Insinuationen. Dabei versucht er, seiner Abhandlung einen wissenschaftlichen Charakter zu verleihen, indem er betont, ein „sorgfältiger Student der Weltgeschichte“ zu sein, der über vier Jahrzehnte geforscht und dabei Zugang zu zahlreichen „geheimen Dokumenten“ gehabt habe. Um seine Aussagen zu

Das Komitee der 300 (John Coleman, 1992)

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„belegen“, verweist er auf Zitate von Persönlichkeiten aus Politik, Geschichte und der „Geheimdienstszene“, für die er meist keine oder nur ungenaue Quellen nennt. Zudem beruft er sich auf Dystopien berühmter Autoren wie H.G. Wells, George Orwell und Aldous Huxley, die selbst Mitglieder oder Vertraute des „Komitees“ gewesen seien und in ihren Büchern dessen Pläne beschrieben hätten. Als den wichtigsten „Beweis“ zitiert er Walther Rathenaus Artikel „Unser Nachwuchs“ aus der „Neuen Freien Presse“ vom 25. Dezember 1909, in dem Rathenau, der selbst ein „geheimer Diener des Komitees“ gewesen sei, von „dreihundert Männern“ schreibt, die „die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents“ leiten. Dieses Zitat, das einem kritischen Aufsatz Rathenaus zur Ausbildung junger Nachwuchskräfte entnommen ist, wird als „eindeutiger Hinweis“ auf die Existenz des „Komitees“ gedeutet, der schlussendlich zur Ermordung Rathenaus geführt habe. Coleman greift mit dieser Deutung eine Tradition der antisemitischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts auf, die dieses Zitat aus dem Kontext zu lösen und es als „Beleg“ für eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“ zu nutzen pflegte. Obwohl Coleman nicht von „den Juden“ als zentralem Bestandteil der Verschwörung spricht, finden sich in seinem Buch zahlreiche geschichtsrevisionistische und antisemitische Elemente. So berichtet er von einer „Plutokratie, die die britischen Banken kontrolliert“ und sowohl für Kriege als auch für den weltweiten Gold- und Drogenhandel verantwortlich sei, und offenbart damit Reminiszenzen an die antijüdische Rhetorik des Nationalsozialismus. Des Weiteren bezeichnet er den ehemaligen USAußenminister Kissinger als „Hofjuden“ und attestiert dem israelischen Geheimdienst Mossad einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Geheimdiensten, da „jedes Land auf der Erde [...] eine große jüdische Gemeinde“ habe. Diese Haltung wird durch seine Ausführungen über die „Rothschild-Dynastie“ noch verdeutlicht, die er als eine der wichtigsten Familien des „Komitees der 300“ darstellt. Er behauptet dabei, die Rothschilds hätten zahlreiche Kriege ausgelöst, die Vernichtung der römisch-katholischen Kirche angestrebt und durch den „zionistisch geführten“ Zweiten Weltkrieg die „Zerstörung Deutschlands“ finanziert. Zudem spricht er von einem „Terrorangriff“ auf Dresden und behauptet, der jüdische Psychologe Kurt Lewin hätte diese Methode der Kriegsführung entwickelt, um „deutsche Arbeiterhäuser“ zu bombardieren und die Fabriken, die sich angeblich in Besitz der „internationalen Banker“ befanden, zu verschonen. In diesen und weiteren Textpassagen zeigen sich Einflüsse zahlreicher antisemitischer Mythen, insbesondere des antisemitischen Pamphlets → „Die Protokolle der Weisen von Zion“, auf das durch die Nennung eines ominösen „Order of the Elders of Zion“ auf der Liste der „ehemaligen Mitglieder des Komitees“ sogar indirekt verwiesen wird. Coleman ist mit seinem Buch den modernen Verschwörungstheoretikern der extremen Rechten und ihrer Wahnvorstellung von einer „Neuen Weltordnung“ zuzurechnen. Seine Ängste vor einem Verlust der nationalen Souveränität und der christlichen Sittlichkeit, der Herrschaft der „Plutokraten“, einer Überflutung durch Einwanderer und der omnipräsenten kommunistischen Bedrohung kennzeichnen das Buch als klassisches paranoides Verschwörungswerk. Coleman sieht sich dabei als Verkünder der Wahrheit, der die Menschheit unter Einsatz seines Lebens wachzurütteln sucht. Sein Buch stellt eine Mischung aus den meisten bekannteren Verschwörungstheorien und

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Kompass durch die Judenfrage (Walter Hoch, 1944)

Legenden über Geheimgesellschaften dar, die zu einem großen, zusammenhängenden und hierarchischen Netzwerk verbunden werden. Wesentlich an seinem Stil ist, dass er hinter allen bedeutenden historischen Ereignissen einen großen, zielgerichteten Plan zu erkennen glaubt. Dass seine Aussagen dabei äußerst widersprüchlich und sprunghaft sind, wird durch den Charakter der allgegenwärtigen, zusammenhängenden Verschwörung begründet und damit als ein weiterer „Beweis“ für deren Existenz angeführt.

Carl-Eric Linsler

Kompass durch die Judenfrage (Walter Hoch, 1944) Mit dem 1944 im Zwingli-Verlag in Zürich erschienenen Buch „Kompass durch die Judenfrage“ (328 Seiten) verfasste der protestantische Pfarrer Walter Hoch (1886– 1954) laut Vorwort des Zürcher Professors für Kirchen- und Dogmengeschichte Fritz Blanke die erste von evangelischer Seite geschriebene „Judentumskunde“. Der der sogenannten positiven Richtung des Protestantismus zuzuordnende Hoch galt in protestantischen Kreisen als Spezialist für die „Judenfrage“. Seit den 1920er Jahren hatte sich der u. a. in Sissach, St. Gallen und Zollikon wirkende Pfarrer in zahlreichen Artikeln und Rezensionen in protestantischen Zeitschriften sowie in Vorträgen zur „Judenfrage“ geäußert. Trotz gegenteiliger Beteuerungen waren seine Schriften judenfeindlich geprägt. Hochs „Kompass zur Judenfrage“ fasste seine während rund 20 Jahren vertretenen Ansichten in Buchform zusammen. Das heilsgeschichtlich geprägte und auf einer Realkonfliktskonstruktion basierende Erklärungskonzept Hochs für die nationalsozialistischen Judenverfolgungen ist ein Beispiel dafür, wie tief antijudaistische und antisemitische Denkstrukturen sowie heilsgeschichtliche Erklärungsmuster im Schweizer Protestantismus trotz des Wissens um den Genozid am europäischen Judentum verankert waren. Die judenfeindlichen Äußerungen Hochs führten deshalb zu heftigen Reaktionen vonseiten des Schweizer Judentums. Der ehemalige Nationalrat David Farbstein (1868–1953) erkannte den judenfeindlichen Charakter des Buches und verfasste 1946 eine Widerlegung („Walter Hoch’s ‚Kompass durch die Judenfrage’“). Er demaskierte die Ansichten Hochs und deckte dessen fehlerhafte und pseudowissenschaftliche Arbeitsweise auf. Charakteristisch für Hochs Buch ist die gleichzeitige Präsenz von sachlichen Darstellungen, vereinzelten anti-antisemitischen Positionen und explizit judenfeindlichen Passagen. In elf Hauptkapiteln liefert Hoch eine auf schmaler Literaturbasis verfasste Geschichte des Judentums und der jüdisch-christlichen Beziehungen. Teilweise in sachlichem Ton beleuchtet er Aspekte der jüdischen Geschichte und wendet sich an mehreren Stellen gegen antisemitische Vorurteile. So weist er den Ritualmordvorwurf zurück und klassifiziert die → „Protokolle der Weisen von Zion“ als Fälschung. Wiederholt betont er, dass seine Positionen nicht antisemitisch seien – eine Strategie, die in antisemitischen Werken regelmäßig anzutreffen ist. Nicht selten verbunden mit der Antisemitismuskritik bezog Hoch aber selbst judenfeindliche Positionen. Hochs antisemitische Positionen vereinen religiöse mit völkischen Vorstellungen. Er nennt die von ihm als existent dargestellte „Judenfrage“ eine sowohl politische als

Konservative Monatsschrift (1879–1922)

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auch völkische, vor allem aber heilsgeschichtliche Frage. Judenfeindliche Stereotype finden sich gerade auch in Hochs Darstellungen über den Talmud und in der Charakterisierung des jüdisch-christlichen Verhältnisses. An antitalmudische Bilder anschließend, unterstellt er den Juden eine negativ konnotierte Sittlichkeit und äußert essentialisierende Vorstellungen von einem angeblich eigentümlichen talmudischen Denken. Zudem bezeichnet er das Judentum als Gegner des Christentums. Am heftigsten tritt Hochs Antisemitismus jedoch in seiner Interpretation von Judenverfolgungen hervor. Er konstruiert eine Parallelität zwischen den Verfolgungen im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spanien und den zeitgenössischen in Deutschland und offenbart hierbei ein zyklisches Geschichtsverständnis. Hoch war davon überzeugt, „Gesetzmäßigkeiten“ für das Auftreten von Judenverfolgungen feststellen zu können. Hochs „Gesetzmäßigkeiten“ basieren auf der Behauptung eines realen Konflikts zwischen Christen und Juden und auf der perfiden Umkehr von Täter und Opfer. So werden die Juden als Mitschuldige an ihrer eigenen Verfolgung dargestellt, da sie die „Vorrechte“, die sie angeblich immer wieder erhalten hätten, ausgenutzt und somit eine Reaktion der restlichen Bevölkerung provoziert hätten. Es sei deshalb ihre eigene Saat, die aufgegangen sei. Als weitere Gesetzmäßigkeit sah er gegeben, dass eine Zerstörung des „christlichen Mittelstandes“ und die Landflucht zu einer „Verjudung“ führen würden, wie sie in Deutschland passiert sei. Die heilsgeschichtliche Dimension in Hochs Denken zeigt sich schließlich in seiner funktionalen Sicht auf die Judenverfolgungen. Diese hätten den positiven Effekt, dass die Juden sich wieder als Volk wahrnehmen würden, weshalb der „Kreislauf der Geschehnisse“ von vorne beginnen könne. Einen wichtigen Aspekt des judenfeindlichen Charakters von Hochs Buch stellt seine Arbeitsmethode dar. Unkritisch im Umgang mit Literatur stützt er sich zum einen auf wissenschaftliche Werke (z.B. Simon Dubnow), zum anderen aber auf tendenziöse Darstellungen von jüdischen Konvertiten und Judenmissionaren (z.B. Mark Lidzbarski, Friedrich Heman, J.F.A. de le Roi) sowie von ausgesprochen antisemitischen Autoren (z.B. Theodor Fritsch, Eugen Dühring). Diese Literatur unkritisch und teilweise falsch zitiert und interpretiert in einem gelehrt erscheinenden Anmerkungsapparat mischend, wollte Hoch seiner Studie einen wissenschaftlichen Anstrich geben.

Thomas Metzger

Literatur Zsolt Keller, Abwehr und Aufklärung. Antisemitismus in der Nachkriegszeit und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, Zürich 2011. Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918–1939, Fribourg 2006. Hanna Zweig-Strauss, David Farbstein (1868–1953). Jüdischer Sozialist – sozialistischer Jude, Zürich 2002.

Konservative Monatsschrift (1879–1922) Die „Konservative Monatsschrift“ begriff sich als publizistische Vertreterin der Grundsätze der Deutschkonservativen Partei im Deutschen Kaiserreich, war jedoch kein offizielles Parteiorgan. Die Zeitschrift stand in der Tradition des 1843/44 auf Initiative preußischer Regierungskreise gegründeten „Volksblattes für Stadt und Land

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Konservative Monatsschrift (1879–1922)

zur Belehrung und Unterhaltung“ und hat sich unter wechselnden Titeln und unter der Leitung zahlreicher Herausgeber und Schriftleiter rund achtzig Jahre lang auf dem Pressemarkt gehalten. Von 1879 bis 1900 erschien sie unter dem Namen „Allgemeine Konservative Monatsschrift für das christliche Deutschland“, von 1900 bis 1905 als „Monatsschrift für Stadt und Land“, von 1905 bis 1910 als „Konservative Monatsschrift für Politik, Literatur und Kunst“, schließlich von 1910 bis zur Einstellung 1922 als „Konservative Monatsschrift“. Seit Herausgeber und Mitarbeiter in den 1880er Jahren die antisemitische Christlich-soziale Bewegung des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker unterstützt hatten, verschärfte sich der Antisemitismus der Zeitschrift ständig. Dabei rekurrierte die „Konservative Monatsschrift“ nicht allein auf religiöse Differenzen, sondern auch auf den „Rassenunterschied“. Großen Einfluss auf die Entwicklung der Zeitschrift hat die Familie Nathusius gehabt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle in der preußisch-deutschen Presselandschaft spielte. Nach Friedrich von Tippelskirch und Franz von Florencourt, die das „Volksblatt“ nicht zum gewünschten Erfolg führen konnten, übernahm 1849 mit Philipp Nathusius einer der engsten Vertrauten des hochkonservativen Vordenkers Ludwig von Gerlach die Leitung. Der 1861 in den erblichen Adelsstand erhobene Nathusius gab dem „Volksblatt“ das Profil eines konservativen, protestantisch geprägten Organs für die „ganze Familie“, wobei seine Frau Marie Nathusius bis zu ihrem frühen Tod 1857 als Mitarbeiterin stark eingebunden war. Als Philipp von Nathusius 1872 starb, trat sein Sohn Martin von Nathusius das Erbe des Vaters an. Fast zeitgleich wurde Martins älterer Bruder Philipp von Nathusius-Ludom auf den Posten des Chefredakteurs der einflussreichen „Neuen Preußischen Zeitung“ (→ Kreuzzeitung) berufen, die er zu einem Sprachrohr der rechtskonservativen Opposition gegen die Regierung Bismarck umbaute. Die von Nathusius-Ludom 1873 gegründete Tageszeitung → „Der Reichsbote“ war seit ihren Anfängen stark antisemitisch geprägt. Sowohl die „Monatsschrift“ als auch die „Kreuzzeitung“ und der „Reichsbote“ etablierten sich als leidenschaftliche Fürsprecher jenes Flügels innerhalb der konservativen Partei, der den antisemitischen, christlich-sozialen und kapitalismuskritischen Gedanken der Stoecker-Bewegung anhing. In diesem Kontext wurde das angeblich international agierende „Judentum“ gleichermaßen als Weltfinanzmacht wie auch als Triebkraft des Sozialismus attackiert. Mit Dietrich von Oertzen trat 1882 ein ausgewiesener Gefolgsmann Stoeckers an die Spitze der „Monatsschrift“. Als Stoecker im Zuge des Zerfalls der Christlich-Sozialen die Deutschkonservative Partei 1896 verlassen musste, wurde Oertzen als redaktioneller Leiter der „Monatsschrift“ unhaltbar; Martin von Nathusius, der weiterhin als Herausgeber verantwortlich zeichnete, übergab die Schriftleitung an den Offizier Ulrich von Hassell, der die „Monatsschrift“ in eine Krise lenkte. 1905 trat der junge bürgerliche Berliner Verleger Reimar Hobbing an die Spitze der Zeitschrift. Er war mit dem Versprechen der Modernisierung angetreten, blieb jedoch dem überlieferten altpreußischen Konservatismus noch lange Zeit treu. Das Programm, das Hobbing seiner Leserschaft in der Septemberausgabe von 1909 präsentierte, sah die „Erhaltung und Kräftigung der christlichen Lebensanschauung in Volk und Staat“ vor, die sich auch in der Gesetzgebung niederzuschlagen habe. Noch am Vorabend des Ersten Weltkrieges artikulierte die „Konservative Monatsschrift“ ständische Thesen und pro-

Kräfte hinter Roosevelt (Johann von Leers, 1940)

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pagierte den Grundsatz der Ungleichheit alles Lebendigen. In einem Beitrag vom Dezember 1909 wurden „unversöhnliche Gegensätze [...] zwischen deutscher und jüdischer Art“ und „die moderne Zersetzung unseres nationalen Lebens“ durch „semitischen“ Einfluss konstatiert. Weder die gemeinsame Sprache noch die Gleichberechtigung vor dem Gesetz hätten die Kluft zu überbrücken vermocht, denn es seien „die Geister, die von einander geschieden sind und noch durch Jahrhunderte geschieden bleiben werden, durch Herkunft, Rasse und Geschichte“. Im Februar 1911 verneigte sich die „Monatsschrift“ vor dem „heldenhaften Hofprediger“ Adolf Stoecker, der es „gewagt“ habe, gegen die „Majestät des Judentums“ in Deutschland aufzustehen. Der Antisemitismus war zu diesem Zeitpunkt Kernbestandteil der politischen Programmatik der „Monatsschrift“. Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus spielten für die „Konservative Monatsschrift“ lange Zeit keine entscheidende Rolle. Dies änderte sich mit Beginn des Ersten Weltkrieges, der als Kampf der deutschen „Kultur“ mit der westlichen „Zivilisation“ interpretiert wurde. Ein deutscher Sieg wurde als Triumph über Liberalismus, Rationalismus und das Erbe der französischen Revolution erwartet und erhofft. Je aussichtsloser die militärische Situation für das Deutsche Reich wurde, desto mehr näherte sich die „Konservative Monatsschrift“ alldeutschen Positionen an. Ein radikaler deutscher Nationalismus verband sich zunehmend mit den obskuren pseudowissenschaftlichen Theorien selbsternannter „Rassenkundler“, mit Sozialdarwinismus und Führer-Gefolgschafts-Gedanken. Als „undeutsch“, ergo: „jüdisch“ wurden in dieser Lesart einerseits der westliche Kapitalismus, andererseits die sozialistische Revolution im Osten gebrandmarkt. Ab 1918/19 stand die „Monatsschrift“ der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahe. Auf dem Pressemarkt der jungen Republik konnte sie sich nicht lange halten. Ihre letzte Ausgabe erschien im August 1922.

Dagmar Bussiek

Literatur Philippe Alexandre, „Avec Dieu pour le Roi et la Patrie“. La Konservative Monatsschrift (1905–1922), in: Michel Grunewald und Uwe Puschner in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock, Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890–1960), Bern 2003, S. 111–137. Dagmar Bussiek, „Das Vaterland über der Partei!“ Die Konservative Monatsschrift 1905– 1918, in: Michel Grunewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Krise und Umbruch in der deutschen Gesellschaft in der Wilhelminischen Epoche. Zeitschriften als Diskussionsforen der Umbruchzeit um 1900, Bern 2010, S. 241–261.

Kräfte hinter Roosevelt (Johann von Leers, 1940) Mit dem Pamphlet „Kräfte hinter Roosevelt“, das mit knapp 200 Seiten Umfang erstmals 1940 im Theodor Fritsch Verlag erschien und 1942 die dritte Auflage (14.-28. Tausend) erreichte, setzte Johann von Leers (1902–1965), einer der wirkungsstärksten nationalsozialistischen Agitatoren des Antisemitismus, seine verschwörungstheoretisch argumentierende Publizistik fort, die mit → „14 Jahre Judenrepublik“ und → „Juden sehen Dich an“ (beide 1933) begonnen hatte und sich mit → „Juden hinter Stalin“ sowie den Schriften zum Thema → „Judentum und Gaunertum“ fortsetzten.

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Kräfte hinter Roosevelt (Johann von Leers, 1940)

Das Buch ist als Geschichte der Juden in den USA angelegt, das mit der Zuwanderung seit Kolumbus beginnt, den Einfluss der Juden auf Politik und Gesellschaft zu beweisen sucht und nach einer massiven Einwanderung von Ostjuden im 19. Jahrhundert in der Wilson-Ära einen ersten Höhepunkt jüdischer Macht konstatiert. Unter dem Stichwort „militanter Rabbinismus“ wird das angeblich nach politischer Macht strebende „Talmud Judentum“ behandelt, das durch die Denunziation einzelner Prominenter Beweiskraft beansprucht. Jüdischer Geist beherrschte nach Leers’ Meinung auch die christlichen Kirchen in den USA zu Beginn der Amtszeit Roosevelts, während jüdische Organisationen (vor allem American Jewish Committee, American Jewish Congress, Anti-DefamationLeague, Jewish Labor Committee) die politische Macht erstrebten. Unter Gebrauch einschlägiger Stereotypen widmet der Autor ein Kapitel dem Thema „Judentum und Gangstertum in den USA“ und erhebt unter Berufung auf angebliche religiöse Gebote und jüdisches Recht monströse Anschuldigungen über das Ausmaß von Verbrechen wie Mädchenhandel, Erpressung, Raub etc., das von jüdischer Hand organisiert gewesen sein soll. Juden hätten von den USA aus den Ausbruch des Krieges 1939 betrieben, um Europa zu vernichten, lautet eine weitere These von Leers’. Dass das Kabinett Roosevelt unter Aufsicht des Rabbinats stehe, behauptet er im 8. Kapitel und stellt zu diesem Zweck die Mitglieder der US-Regierung vor, die Juden waren, vom Finanzstaatssekretär Henry Morgenthau jun. über den Berater Wilsons Bernard M. Baruch und den Juristen Felix Frankfurter, der nach Leers’ Überzeugung als einflussreicher Agent des Kommunismus hinter den Kulissen agiere, bis zu Funktionären der Verwaltung, die Leers als Juden denunziert. Dass das amerikanische Volk unter der „Judenherrschaft“ leide, ist Gegenstand weiterer Ausführungen, die das Elend der von Juden ausgebeuteten Farmer, die Vernichtung des Mittelstands und die Ausplünderung der kleinen Leute beklagen. Die „Zusammenballung des Kapitals in jüdischen Händen“, die Ursache der Missstände sei, wird durch eine Statistik bewiesen, nach der 95 Prozent der Pelzindustrie, 90 Prozent der Unterwäschefabrikation, 95 Prozent der Warenhäuser und 100 Prozent der Tabakindustrie von Juden beherrscht seien. Ausführlich werden US-amerikanische Publizisten zitiert, die vor Präsident Roosevelt (dessen 2. Amtszeit 1936 begann) als „Judenknecht“ warnten. Dass Roosevelt seine Gegner gezielt ermorden ließ, wenn sie seine judenfreundliche Politik kritisierten und dass er von der dankbaren Judenheit Amerikas mit Lob und Dank überschüttet werde, steigert die Anklage ins Obsessive und dass der US-Präsident dem Bolschewismus die Wege ebne (Schlusskapitel), macht den Charakter der wenig originellen Agitationsschrift von Leers’ als offiziöse nationalsozialistische Propaganda deutlich.

Wolfgang Benz

Literatur Martin Finkenberger, „Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert“ – Johann von Leers (1902–1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945, in: Bulletin des Deutschen Historischen Instituts Moskau 2 (2008), S. 88–99.

Kreuz.net (2004–2012)

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Kreuz.net (2004–2012) Die antisemitische, islamfeindliche und homophobe, sich als seriöses katholisches online-Nachrichtenportal gerierende Internetplattform „kreuz.net“, von der sich die Deutsche Bischofskonferenz und ebenso Radio Vatikan eindeutig distanzieren, ist ein seit 2004 aktiver anonymer Blog, der eine Vielzahl von Informationen zur Priesterbruderschaft Pius X. bereitstellt und zumindest den Eindruck einer engen Verbundenheit mit diesem sektiererischen Ableger der Katholischen Kirche erweckt. Die inhaltlichen Übereinstimmungen sind offensichtlich, etwa in Bezug auf die Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils und dessen Distanzierung von antisemitischen Inhalten der katholischen Liturgie oder die zustimmende Haltung von „kreuz.net“ gegenüber dem Holocaustleugner Richard Williamson, den das Portal als „Heldenbischof“ bezeichnet. Nach Eigenangaben im Impressum ist „‚kreuz.net’ die Initiative einer internationalen privaten Gruppe von Katholiken in Europa und Übersee, die hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig sind“. Betrieben wird der Blog von der in Kalifornien ansässigen, anonym agierenden „Sodalicium for ‚Religion and Information’“, die seit April 2012 in Hongkong registriert ist. Seit August 2012 wird „kreuz.net“ über einen Server in San Francisco ins Netz gestellt. „Kreuz.net“ bedient eine Vielzahl von Themen, die sich in der Grauzone zwischen erzkatholischen und rechtsextremen Inhalten bewegen, so wird etwa die Abtreibung mit dem Holocaust gleichgesetzt bzw. gar behauptet, eine solche Gleichsetzung würde die Abtreibung – „die Kinderschlachtung“ verharmlosen, sie sei also schlimmer als der Holocaust (2. Oktober 2009). Der Holocaustüberlebende Elie Wiesel wird als Holocaustleugner bezeichnet, weil er angeblich kein Mitgefühl für „die jüdischen Grausamkeiten an den Palästinensern“ habe, und es wird behauptet, der Holocaust sei finanziell und politisch immer noch ein „Bombengeschäft“ (30. Oktober 2009). Am 22. März 2011 war bei „kreuz.net“ unter dem Titel „Der Judenstaat mordet wieder Kinder“ zu lesen: „Die Welt befindet sich in der Antisemitismus-Leichenstarre und schaut teilnahmslos zu, wie Israel im besetzten Palästina einen neuen Holocaust organisieren [sic].“ Unter der Überschrift „Holocaust 2.0“ behauptete „kreuz.net“ Ende August 2012 „Von den USA und von Israel unterstützte Terroristen massakrieren in Syrien christliche Familien“. Kurz zuvor berichtete das angebliche Nachrichtenportal unter dem Titel „Der Antisemitismus, über den niemand heult. Zehntausende leben im Schatten des jüdischen Terrors“: „Die Hand hinter diesen Angriffen gehört israelischen Juden, die das Völkerrecht verletzen, indem sie in der Westbank leben.“ (14. August 2012) Leserkommentare faseln von einer jüdischen Dominanz der bundesdeutschen Presse und von der Bosheit der „jüdischen Führer und ihrer Schergen“. Ebenso werden antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet, wie etwa solche, die unterstellen, Juden würden illegalen Organhandel betreiben. Der Leser „Giftpilz“, dessen Pseudonym offensichtlich Programm ist, kommentierte den „kreuz.net“- Artikel „Sie raubten Organe für israelische Patienten“ wie folgt: „Wer in seinem Religionsbuch (Talmud) Inzest, Sodomie und den Sex mit kleinen Mädchen, sogar unter drei Jahren gutheisst und Menschenopfer im alten Israel durchaus üblich waren und an diesen steinzeitlichen, vom Talmud vorgeschriebenen Gebräuchen nichts geändert werden darf, so sind auch die hunderten Ritualmorde der Vergangenheit und sicher auch heute noch – traurige Realität.“ (10. Oktober 2010)

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Kreuzzeitung (1848–1939)

Wenige Berührungsängste scheint „kreuz.net“ mit den ansonsten negativ beurteilten Muslimen zu haben, wenn es um den gemeinsamen Feind Israel geht. Im Oktober 2011 erschien ein Bericht über den von Ayatollah Khomeini 1979 erstmals ausgerufenen Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag), der seit Jahren Anlass für Propagandaveranstaltungen radikaler Islamisten in europäischen Städten ist. Für den Artikel wurde der Betreiber der islamistischen Webseite „Muslim-Markt“ und Organisator der alljährlichen antizionistischen Al-Quds-Demonstration in Berlin interviewt und durfte die Hetzreden des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad wiederholen, die dieser aus Anlass des Jerusalem-Tages in Teheran gehalten hatte. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat Teile der Webseite wegen der Leugnung des Holocaust auf den Index gesetzt, trotzdem ist die Seite in vollem Umfang abrufbar, darf aber nicht beworben und Kindern nicht zur Verfügung gestellt werden. Auf Facebook wehrt sich die Gruppe „Initiative gegen Kreuz.net“ gegen die antisemitischen und rassistischen Inhalte des Weblogs, und „Watch Kreuz.net“ ist aktiv gegen „eine Website von reaktionären und rechtsradikalen Kräften, die unter dem Deckmantel der katholischen Kirche, versteckt in der Anonymität des Internets, Hass und Homophobie predigt“, allerdings häufig unter Verwendung einer stark polemisierenden Sprache. Nachdem „kreuz.net“ im Oktober/November 2012 eine hetzerische homophobe Kampagne gestartet hatte, formierte sich die „Stoppt kreuz.net“-Initiative, die eine Belohnung für Informationen über die Betreiber des Onlineportals auslobte. Namen von Verdächtigen konnten ausgemacht werden, und die Staatsanwaltschaften in Berlin sowie in Wien begannen wegen Volksverhetzung zu ermitteln. Der Druck auf die Betreiber wurde offensichtlich so groß, dass sie Anfang Dezember 2012 die Internetseite vom Netz nahmen. Bereits im Oktober war es Hackern gelungen, die Seite vorübergehend lahmzulegen. Auszuschließen ist freilich nicht, dass die Inhalte unter anderem Namen bald wieder im Internet öffentlich zugänglich sein werden.

Juliane Wetzel

Kreuzzeitung (1848–1939) Die „Kreuzzeitung“ war vom Revolutionsjahr 1848, als sie begründet wurde, bis zum Ende des Kaiserreiches das Sprachrohr des preußischen ländlichen Junkertums, der orthodoxen protestantischen Pfarrer und aller hochkonservativen Feinde der Moderne. Nie hatte sie mehr als 10.000 Abonnenten, aber da die Leser der „Kreuzzeitung“ zur Machtelite in Preußen gehörten, war auch die Zeitung einflussreich. Eigentlich hieß sie „Neue Preußische Zeitung“, aber das Eiserne Kreuz im Titel gab ihr von Anfang an den saloppen Namen. Ihr Motto lautete „Vorwärts mit Gott für König und Vaterland“, und da mit dem König die Institution, nicht notwendig immer der konkrete Inhaber des Thrones gemeint war, konnte die „Kreuzzeitung“ durchaus auch als konservative Opposition gegen die Regierung angehen, etwa zur Zeit des Bündnisses zwischen Bismarck und den Nationalliberalen. Nach 1918 stand die „Kreuzzeitung“ den Deutschnationalen nahe und bekämpfte Republik und Demokratie von Weimar. 1937 übernahmen die Nationalsozialisten die Redaktion und 1939 stellte die Zeitung ihr Erscheinen ein.

Kreuzzeitung (1848–1939)

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Die „Kreuzzeitung“ war keine antisemitische Zeitung, die auch konservativ war, sondern sie war eine preußisch-konservative, fortschritts- und modernitätsfeindliche Zeitung, die sich gegen Liberalismus und Kapitalismus, gegen Sozialdemokratie und Internationalismus, gegen Demokratie und Republik stemmte. Dazu gehörte bei dieser Klientel fast automatisch auch die Judenfeindschaft als rassistischer Antisemitismus, und in der Tat hat die „Kreuzzeitung“ durchweg antisemitische Positionen vertreten. Aber sie waren nie die Hauptsache für die Position der Zeitung. Damit hing die konkrete Bedeutung, die in der „Kreuzzeitung“ dem Antisemitismus gegeben wurde, stark von den persönlichen Einstellungen der Chefredakteure und führender Autoren ab. Unter Hermann Wagener (Chefredakteur 1848–1854) und Wilhelm von Hammerstein (1881–1895) trat der antisemitische Charakter stärker hervor als unter anderen Chefredakteuren. Nach 1918 gehörten die Verurteilung der vermeintlich jüdischen Novemberrevolution und die Verunglimpfung der „Judenrepublik“ von Weimar zum Standardrepertoire auch der „Kreuzzeitung“. Die „Kreuzzeitung“ stand an der Nahtstelle zwischen Politik und Publizistik. Viele Autoren und Redakteure waren zugleich als konservative Politiker aktiv und (wie etwa Hammerstein) Mitglieder im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus. Hammerstein, einer der vehementesten Antisemiten in der deutschen Politik, musste 1895 von allen Ämtern zurücktreten, da ihm Korruption zum Schaden der „Kreuzzeitung“ nachgewiesen wurde, wofür er 1896 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. In direkten Konflikt mit Bismarck geriet die „Kreuzzeitung“ vor allem über eine Artikelserie im Juni und Juli 1875, in der der Journalist und spätere deutschkonservative Reichstagsabgeordnete Franz Perrot „Die Ära Delbrück-Camphausen-Bleichröder“ angriff. In diesen als „Ära-Artikel“ bekanntgewordenen Schmähungen führte Perrot die Wirtschaftskrise in Deutschland nach dem Gründerkrach auf die liberale Wirtschaftspolitik Bismarcks und auf dessen Verbindung mit jüdischen Beratern und Bankiers zurück. Der stereotype Antisemitismus, mit dem hier der geldgierige „Börsenjude“ gegeißelt wurde, führte Bismarck dazu, von „Lüge und Verleumdung“ zu sprechen und zum Boykott der „Kreuzzeitung“ aufzurufen. Die Zeitung verfolgte während des Kaiserreiches einen „gemäßigten“ Antisemitismus, der sich bewusst vom „Radauantisemitismus“ eines Wilhelm Marr oder Hermann Ahlwardt absetzte. Praktisch verschwammen diese Linien jedoch, und die Abgrenzung diente eher der Beruhigung einer auf Ruhe und Sicherheit bedachten Klientel als dem Ausdruck entschiedener Differenzen zu anderen antisemitischen Strömungen. Nach 1918/19 wird der Ton schärfer und zugleich auch die Konkurrenz mit anderen rechtskonservativen Zeitungen wie der „Deutschen Tageszeitung“. Bei den Verfassungsberatungen glossierte die „Kreuzzeitung“ die Fahne der neuen Republik: „ein Sozialdemokrat hat rot mit weißem Stern (Davidsstern?) verlangt“ (Kreuzzeitung vom 14. März 1919). Gegen demokratische Politiker wurde gehetzt, und wenn sie Juden waren, wie Hugo Preuß, der Vater der Reichsverfassung, oder Außenminister Walther Rathenau, dann war dies Teil der Hetze. Allerdings war es nicht notwendig; auch der DNVP-Politiker und frühere Vizekanzler Karl Helfferich wählte für seine Angriffe auf den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger die „Kreuzzeitung“ als Medium. Der Antisemitismus war Mittel zum Zweck. Dieser Zweck aber war eine konser-

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Kroatisches Volk

vativ-ständische christliche Monarchie, die gegen jeden modernen Gedanken ein Bollwerk aufrichten sollte.

Michael Dreyer

Literatur Dagmar Bussiek, „Mit Gott für König und Vaterland!“ Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848–1892, Münster 2002. Meinolf Rohleder, Burkhard Treude, Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung (1848–1939), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 209–224.

Kriminalität des Judentums → Judentum und Gaunertum

Kritik – Die Stimme des Volkes (seit 1971) Seit 1971 verlegte Thies Christophersen unter dem Titel „Kritik – Die Stimme des Volkes“ in unregelmäßigen Abständen neofaschistische Schriften. Deren thematischer Schwerpunkt war die Leugnung der Shoah, an der sich Christophersen auf Anregung von Manfred Roeder mit seinem 1973 erschienenen Text → „Die Auschwitz-Lüge“ (Kritik-Folge 23) früh beteiligte; darin behauptete er, dass im KZ Auschwitz die Häftlinge gut behandelt worden seien. Die Verpflegung sei angemessen gewesen, bei der Arbeit sei getanzt und gesungen worden. Mit der 1978 von den deutschen Behörden eingezogenen Broschüre wurde Christophersen zu einer wichtigen Bezugsperson des internationalen Netzwerkes der Holocaust-Leugner. In der Folge nutzten auch andere Negationisten wie Henning Fikentscher (Folge 51; 1980), Wilhelm Stäglich (Folgen 38 und 45), Robert Faurisson (Folge 58; 1991) oder Jürgen Graf (Folge 84; 1992) die Reihe. Während Christophersens Schrift hinsichtlich seiner Überzeugungskraft auf die Augenzeugenschaft setzte, versuchten andere Autoren, der Leugnung der Shoah durch die Wissenschaftsförmigkeit ihrer Texte Substanz zu verleihen. Noch das letzte veröffentlichte Heft mit einem Text von Ingrid Weckert zur „Auswanderung der Juden aus dem Dritten Reich“ (Folge 88; 1994) widmete sich diesem Themenkomplex. Neben der Holocaust-Leugnung wurde rassistisches Gedankengut verbreitet, z. B. durch den Schweizer Faschisten Gaston-Armand Amaudruz (Folge 33: „Ist Rassebewußtsein verwerflich?“), die Verantwortung für den Beginn des Zweiten Weltkrieges geleugnet (Folgen 50 und 67), die NS-Diktatur gepriesen (Folge 63) oder Person und Taten Adolf Hitlers gerechtfertigt (Folge 70). Zudem erschienen mehrfach Hefte, in denen Rassismus, Revanchismus und NS-Verherrlichung in Gedichtform gefasst wurden. Die Hefte erschienen im Format DIN A5 in einem Umfang zwischen 24 und 180 Seiten. Christophersen nutzte wechselnde Verlagsbezeichnungen – „Kritik-Verlag“ im schleswig-holsteinischen Mohrkirch, „Nordland-Verlag“ bzw. „Nordwind-Verlag“ in Kollund sowie „Nordland Forlag“ in Aalborg (beide Dänemark) – und die Kooperation mit Amaudruz in Lausanne, um den Versand der Hefte abzusichern.

Fabian Virchow

Kroatisches Volk → Hrvatski narod

Der Kulturkämpfer (1880–1888)

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Der Kulturkämpfer (1880–1888) „Der Kulturkämpfer. Zeitschrift für öffentliche Angelegenheiten“ war eine antisemitische Halbmonatsschrift, die von dem Journalisten Otto Glagau (1832–1892) gegründet und herausgegeben wurde. Bald nach seiner Umsiedlung nach Berlin im Jahr 1863 zeigten sich beim ursprünglich liberalen Journalisten Glagau die ersten Ansätze antijüdischer Positionen. Der Börsenkrach 1873, bei dem er sein ganzes Vermögen verlor, verschärfte seine judenfeindlichen Ansichten, als er die Verantwortlichen für den Schwindel suchte. Seine Artikelserie über den „Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin“ (1874/75) in der → „Gartenlaube“ markierte seinen endgültigen Bruch mit dem Liberalismus und war zugleich Anlass seines von Rachsuch angeheizten Enthüllungsjournalismus, der ihn schließlich immer tiefer in das antisemitische Lager führte. Auf den erweiterten Nachdruck seiner „Gartenlaube“-Artikel folgte seine Umdeutung des Bismarckschen Kulturkampfes gegen den Katholizismus als auch seine Verschleierung der sozialen Frage. Das belegte 1879 Glagaus Streitschrift zum Thema „Des Reiches Noth und der neue Culturkampf“, in der er den Kampf auf die sogenannte Judenherrschaft aufnahm, um die Protestanten mit den Katholiken zu versöhnen und gegen die Juden als die „wahren ‚Reichsfeinde’“ zu vereinen. Die Entstehung antisemitischer Reformvereine und Parteien bestärkten Glagau in seinem Bemühen, diese Entwicklung zu nutzen. Schon 1878 wurde Glagau vom Centralverein für Social-Reform und Rudolf Todt gebeten, die Redaktion für deren Vereinsorgan „Staats-Sozialist“ zu übernehmen. Doch Glagau blieb bei seinem Plan, eine nicht nur antiliberale, sondern auch antisemitische Zeitschrift zu gründen. Demzufolge veröffentlichte er im Dezember 1879 eine Broschüre unter dem Titel „Der Kulturkämpfer“. Den Zweck seiner Zeitschrift erklärte Glagau im Vorwort dieser Broschüre: Sie trete ein für „die Erhaltung Deutscher Art und Deutscher Sitte gegenüber einem fremden Stamme, der mit seinem Wesen und Treiben Alles überwuchert und unsere ganze Kultur bedroht“, und „gegen Schwindel und Corruption, gegen Gründerthum und Gründerwirtschaft, gegen die manchesterlichen After-‚Freiheiten’, gegen die gemeingefährlichen Börsen- und Judenprivilegien“. Im Sinne des Titels sollte der „Kulturkämpfer“ eher eine antisemitisch und antiliberal gefärbte „Zeitschrift für öffentliche Angelegenheiten“ als ein Parteiorgan oder gar ein radikales Blatt des Radauantisemitismus sein. Glagau sah die Zeitschrift als überparteiliches und überkonfessionelles Organ und ließ deshalb alle Beiträge anonym erscheinen, um jegliche Bindung an eine bestimmte politische Richtung zu vermeiden und eine einheitliche Tonlage zu wahren. Kurz nach dem Berliner Antisemitismusstreit brachte Glagau am 1. Januar 1880 das erste Heft seiner Halbmonatsschrift im Verlag von Friedrich Luckhardt heraus. Nach einem Jahr übernahm Glagau, bis dahin vor allem Herausgeber und Redakteur, auch die Rolle des Verlegers. Da Glagau auf die gebildeten Schichten zielte, behandelten die Beiträge eine breite Vielfalt von Themen, ob nun Wirtschaft und Börse, Politik, Wissenschaft (das elektrische Licht), Kultur (Cranach und Hebbel), die Frauenfrage, Vegetarismus, das Ausland (Chinesen in Amerika, Sport in England), Orthographie und gar das Berliner Weißbier. Dabei war der Antisemitismus Bestandteil vieler Beiträge und wurde teils offensichtlich, teils verdeckt integriert, um das anspruchs-

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Kurucinfo (Ungarn, seit 2005)

volle Publikum dieses Blatts nicht abzuschrecken oder zu empören. Die Gestaltung der Zeitschrift in den 144 Heften bis zu ihrer Einstellung 1888 blieb weitgehend unverändert. Am Anfang der antisemitischen Bewegung bewies der „Kulturkämpfer“ seine Unabhängigkeit, indem er anderen Vertretern dieser Bewegung auch kritisch gegenüberstand. Ganz früh warf die Zeitschrift dem Hofprediger Adolf Stoecker politische Naivität vor, als dieser mit seiner Christlich-Sozialen Arbeiterpartei 1881 für den Reichstag kandidierte, und hielt sowohl den Historiker Heinrich von Treitschke als auch den Publizisten Wilhelm Marr für Opportunisten. Glagau, der sich als Wegbereiter des Antisemitismus betrachtete, hatte kein Verständnis für die plötzliche „Bekehrung“ solcher opportunistischen Geschäftsantisemiten. Doch später bemühte er sich, Unterschiede der Ideologie lieber zu übersehen, um alle Antisemiten bei der Lösung der „Judenfrage“ zu vereinigen. In den acht Jahren seiner Existenz lagen die Auflagenzahlen des „Kulturkämpfers“ zwischen 1.000 und 3.000 Stück bei etwa 150 Abonnenten, vergleichbar mit denen der → „Preußischen Jahrbücher“. Schon ab 1885 erschienen jedoch die Hefte in unregelmäßigen Abständen, bis die Zeitschrift 1888 eingestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt musste Glagau einsehen, dass die antisemitische Bewegung von einer jüngeren Generation von Agitatoren wie Otto Böckel und Theodor Fritsch angeführt wurde und sich zudem von der Großstadt Berlin in andere Gebiete wie Hessen und Sachsen verlagerte, wo das Publikum anfälliger war.

Matthew Lange

Literatur Daniela Weiland, Otto Glagau und „Der Kulturkämpfer“. Zur Entstehung des modernen Antisemitismus im frühen Kaiserreich, Berlin 2004.

Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus → Volksbuch von Ahasver

Kurucinfo (Ungarn, seit 2005) Die Bezeichnung „Kuruc“ steht vor allem für die antihabsburgischen Freiheitskämpfer im Königreich Ungarn von 1671 bis 1711. „Kurucinfo“ ist der Name eines ungarischsprachigen rechtsradikalen Internetportals, das somit als Portal der „nationalen Befreiung“ verstanden werden soll. „Kurucinfo“ ging am 30. Dezember 2005 am Domains by Proxy Inc. in Scottsdale im amerikanischen Bundesstaat Arizona ins Netz. Der Betreiber des Providers sicherte den Vertragspartnern uneingeschränkte Anonymität zu. Den Autoren von „Kurucinfo“ war von Anfang an wichtig, unter Pseudonym schreiben zu können. Deshalb wählen sie bis heute Namen u. a. von bekannten deutschen NS-Größen, sodass ihre ideologische Nähe zum Nationalsozialismus alleine schon dadurch offensichtlich wird. Auch viele Themen haben eine eindeutige Nähe zum nationalsozialistischen Deutschland, wobei diese so gewählt werden, dass sie mit den Geschehnissen im heutigen Ungarn in einen aktuellen Bezug gestellt werden. Die Artikel deuten darauf hin, dass die Autoren erstaunlich gute deutsche Sprachkenntnisse und ein hohes Fachwis-

Lehmanns-Verlag

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sen bezüglich der Themen aus dem nationalsozialistischen Deutschland haben. Öfters wird auf seltene Originalpublikationen hingewiesen, was auf das tiefe Verständnis der nationalsozialistischen Ideologie hindeutet. Nachdem das Portal im Zusammenhang mit dem antisemitisch motivierten Angriff gegen das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Fernsehens 2006 mehrfach rassistische Hetze betrieben und die privaten Daten und Portraits ihnen unliebsamer Menschen veröffentlicht hatte, wandte sich die ungarische Regierung (damalige sozialliberale Koalition) Anfang Januar 2007 an das US-Bundesjustizministerium und bat um Auskünfte über die Betreiber des Servers von „Kurucinfo“. Dies wurde ihr zwar aufgrund des Datenschutzes verwehrt, doch die erneute persönliche Anfrage des damaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány und die diplomatische Vermittlung des damaligen US-Botschafters in Ungarn, H. Foley führten zum Erfolg: Der Server wurde im Juli 2007 mit der Begründung der terroristischen Bedrohungen und der Verletzungen der persönlichen Rechte abgeschaltet. Die Arbeit des Servers ist in Texas unterbrochen, dann in Arizona wieder aufgenommen und erneut eingestellt worden. Der damalige Minister für Datenschutz, György Szilvásy, bagatellisierte die Angelegenheit und meinte, das Amt für Datenschutz hätte eigentlich keine besondere Aufgabe, „all dies bedeutet uns [...] keine Probleme“. Er wurde eines Besseren belehrt. Schon einige Tage später war „Kurucinfo“ wieder online, und zwar mit den persönlichen Angaben und mit der Handynummer des Ministers, jetzt aber von zwei Servern, die sich an zwei verschiedenen Orten der Welt befinden, damit ihnen die Staatssicherheit nie mehr schaden könne. Sollte einer von ihnen abgeschaltet werden, würde der andere weiter funktionieren. Ein Server befindet sich heute weiterhin in den USA, bei der Firma FirtessITX, der andere in Japan, bei Concept LTD. Die sozialliberale Koalition konnte auch danach nicht mit dem Problem des Rechtsradikalismus umgehen. 2008 wurden infolge einer internen Intrige die Namen sämtlicher Autoren und der Sitz der Redaktion in Ungarn bekannt, dennoch war das Hetzportal weiter online und veröffentlicht weiterhin Adressen und Telefonnummern von vermeintlich „antimagyarischen Feinden“. So ist das professionell aufgebaute „Kurucinfo“ weiterhin das beliebteste rechte Portal in Ungarn. Die Koalitionsregierung (Fidesz und Christlich Demokratische Volkspartei), seit 2010 im Amt, versucht erst gar nicht, es verbieten zu lassen. Im Gegenteil: Als sich im Sommer 2012 fünfzig Abgeordnete des US-Senats über den Antisemitismus in Ungarn beschwerten, bat Ministerpräsident Viktor Orbán, ihm dabei behilflich zu sein, die „aus den USA unterstützten antisemitischen Provokationen“ einzustellen.

Magdalena Marsovszky

Literatur Magdalena Marsovszky, Die fremde Besatzung ist weg, doch der „Freiheitskampf“ geht weiter. Und wo ist der Feind?, in: Thomas Flierl, Elfriede Müller (Hrsg.), Osteuropa – Schlachtfeld der Erinnerungen, Berlin 2010, S. 71–90.

Lachen links → Der wahre Jacob Lamed → Der Freund Israels Lehmanns-Verlag → J. F. Lehmanns Verlag

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Leopold Stocker Verlag (Österreich, seit 1917)

Leopold Stocker Verlag (Österreich, seit 1917) Der 1917 gegründete Grazer Leopold Stocker Verlag (früher Heimatverlag Leopold Stocker) stand von Anfang an auch und vor allem im Dienste der Verbreitung des christlichen wie des deutsch-völkischen Antisemitismus. Bereits 1920 forderte der Verlagsgründer Leopold Stocker (1886–1950) die Ausweisung der „Ostjuden“ mit den Worten „und wenn es nicht auf gesetzlichem Weg gehen sollte, diese Parasiten zu vertreiben, dann müssen andere Mittel gefunden werden und wenn es der Pogrom ist“. Dementsprechend gestaltet war das Verlagsprogramm in der Ersten Republik, dementsprechend begeistert stellte sich Stocker 1938 in den Dienst des NS-Regimes. Unter den antisemitischen Werken ragen Karl Paumgarttens (alias Karl Hufnagl) „Juda. Kritische Betrachtungen über Wesen und Wirken des Judentums“ (1921) und „Repablick. Eine galgenfröhliche Wiener Legende aus der Zeit der gelben Pest und des roten Todes“ (1924) heraus. Als steirischer „Vertrauensmann“ des „Deutschösterreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels“ hatte er u. a. die Aufgabe, „die arischen buchhändlerischen Betriebe“ seines Bereiches „einwandfrei festzustellen“. Auch nach der Befreiung vom NS-Regime blieb Stocker der großdeutschen und antisemitischen Sache verpflichtet, was ihm ein (1949 eingestelltes) Strafverfahren nach dem Verbotsgesetz und eine mehrmonatige Untersuchungshaft einbrachte. Das Verlagsprogramm beinhaltete weiterhin Schriftsteller, die bereits unter dem NS-Regime Erfolge gefeiert hatten, wie z. B. Natalie Beer, Bruno Brehm oder Erwin G. Kolbenheyer. Nach dem Tod Stockers übernahm dessen Tochter Ilse Dvorak-Stocker (1922– 2011) die Leitung des Verlages, was an dessen politischer Ausrichtung nichts änderte. So fanden sich auch in den 1980er und 1990er Jahren rechtsextreme und neonazistische Autoren wie David Irving („Rudolf Heß. Ein gescheiterter Friedensbote“, 1987) oder Fritz Becker („Im Kampf um Europa. Stalins Schachzüge gegen Deutschland und den Westen“, 1991) im Verlagsprogramm. Zudem vertrieb man über einen Buchversand (Bücherquelle) die Werke von Jean Marie Le Pen, Franz Schönhuber, Wilfred von Oven und anderen Größen des internationalen Rechtsextremismus und Neonazismus. Die anhaltende Bedeutung des Leopold Stocker Verlages für den deutschsprachigen Rechtsextremismus wird auch durch die Tatsache verdeutlicht, dass Ilse DvorakStocker 1985 den „Joseph Hieß Gedenkpreis“ des 1999 behördlich aufgelösten neonazistischen Vereines „Dichterstein Offenhausen“ verliehen bekam. 2002 wurde Dvorak-Stocker zudem der „Ulrich von Hutten Preis“ der deutschen rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) verliehen. In seiner Laudatio hob der Doyen des österreichischen Rechtsextremismus, Otto Scrinzi, die Bedeutung des Leopold Stocker Verlages für rechtsextreme Geschichtsfälschungen („Revisionismus“) hervor: „Sehr früh wandte man sich der Zeitgeschichte in bestem revisionistischen Geiste zu. Diese sich ständig ausweitende Sparte des Verlages erfreut sich natürlich des besonderen Zuspruches unseres Gesinnungskreises und sichert ihr unsere große Dankbarkeit. Mit ebenso viel Festigkeit wie Klugheit hat die Jubilarin das Schifflein des Verlages durch die Untiefen und Stürme einer hoffentlich bald endenden Epoche geleitet, in der Sondergesetze, Staatsanwälte und Gerichte über vorgebliche Wahrheiten und über ‚gerichtsnotorische Fakten’ mit Strafurteilen entscheiden.“

Leuchter-Report (Fred A. Leuchter, 1988)

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Nach massiver öffentlicher Kritik an der Verlagspolitik und an der Tatsache, dass das Land Steiermark den Verlag 1992 mit der Verleihung des „Landeswappens“ (für „besondere im Interesse des Landes gelegene Leistungen“) würdigte, sah sich Wolfgang Dvorak-Stocker (geb. 1966), der 1995 die Leitung von seiner Mutter übernommen hatte, gezwungen, die problematischen Schriften auszulagern. Dazu gründete er 2005 den Ares Verlag, in dem nun die politischen und historischen Werke und die rechtsextreme Vierteljahreszeitschrift „Neue Ordnung“ publiziert werden, während man sich im Stammhaus weitgehend auf (bäuerliche) Ratgeber- und Gesundheitsliteratur beschränkt. Dennoch hielt die Kritik an, Dvorak-Stocker antwortete darauf mit mehreren Klagen, die jedoch allesamt abgewiesen wurden. Nachdem im steirischen Landtag auch die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) auf Distanz zum Leopold Stocker Verlag gegangen war, verzichtete Dvorak-Stocker 2006 schließlich auf das Recht, mit dem „Landeswappen“ zu werben.

Andreas Peham

Literatur Murray G. Hall, Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938, Band 2: Belletristische Verlage der Ersten Republik, Graz, Wien, Köln 1985.

Leuchter-Report (Fred A. Leuchter, 1988) Als „Leuchter-Report“ (auch „Leuchter-Bericht“) ist der 1988 erstellte Schriftsatz „An Engineering Report on the Alleged Execution Gas Chambers at Auschwitz, Birkenau and Majdanek, Poland“ des vorgeblichen Ingenieurs Fred A. Leuchter bekannt. Das für ein Gerichtsverfahren bestimmte, vermeintlich technisch-naturwissenschaftliche Gutachten bildet seit seinem Erscheinen einen zentralen Referenztext unter Holocaustleugnern, da es behauptet, es habe in Auschwitz und Majdanek keine Gaskammermorde gegeben. Untersuchungsgegenstand des sich selbst als Experten für Hinrichtungstechnologie bezeichnenden US-Amerikaners Fred A. Leuchter ist die Klärung der Frage, ob die „angeblichen Hinrichtungsgaskammern und Krematorien an drei Orten in Polen, nämlich in Auschwitz, Birkenau und Majdanek, in der Art und Weise betrieben wurden, die ihnen von der Holocaust-Literatur zugeschrieben wurde“. Hierzu inspizierte Leuchter vor Ort die Bauten bzw. deren Überreste, nahm widerrechtlich Proben des Mauerwerks, schmuggelte diese außer Landes und ließ sie in den USA chemisch analysieren. Aufgrund seiner „forensischen Untersuchungen“, Kalkulationen und Vergleiche mit modernen Hinrichtungsgaskammern in den USA stellt Leuchter fest, die von ihm untersuchten Gaskammern seien „außerstande, ihren angeblichen Zweck zu erfüllen“, zudem hätten sie wegen ihrer „außerordentlich dürftigen und gefährlichen Konstruktion“ weder für das unmittelbar beteiligte deutsche Personal noch für umliegende Gebäude auf sichere Art und Weise betrieben werden können. So gebe es keine „Vorrichtungen für gasdichte Türen, Fenster oder Entlüftungsöffnungen“ und keine „Ventilationssysteme, um das Gas nach Gebrauch zu entfernen und keine Heizkörper oder Vorrichtungen zur Verteilung, mit denen das Zyklon B eingebracht oder freigesetzt werden kann“. Darüber hinaus stellten die nahegelegenen Krematorien „eine poten-

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Leuchter-Report (Fred A. Leuchter, 1988)

zielle Explosionsgefahr“ dar, sei die allgemein behauptete Anzahl der in den Gaskammern ermordeten und in den Krematorien verbrannten Menschen weder mit der Größe der Gaskammern noch mit den Kapazitäten der Krematorien übereinzubringen, aber auch die Gebäude seien zu klamm und zu kalt, um das Gas effektiv einsetzen zu können. Aus dem Ergebnis der chemischen Analyse, dass in den Gemäuerproben der Gaskammern von Auschwitz und Birkenau weit geringere Werte an Blausäure – dem Wirkstoff von Zyklon B – nachweisbar waren als in Proben einer für Entlausung von Kleidung genutzten Entwesungskammer, schließt Leuchter, „daß diese Anlagen keine Exekutions-Gaskammern waren“. Insgesamt gebe es „keinen Beweis dafür, daß irgendeine der Einrichtungen, von denen normalerweise behauptet wird, sie seien Gaskammern gewesen, jemals als solche benutzt worden sind“. Schon angesichts ihrer „Konstruktion und Ausstattung“ hätten diese „nicht als Gaskammern zur Menschentötung […] verwendet werden können“. Leuchter verfasste seinen Bericht im Auftrag des NS-Propagandisten Ernst Zündel, der seit Januar 1988 in Toronto (Kanada) wegen seiner holocaustleugnenden Aktivitäten vor Gericht stand. Als Sachverständigengutachten sollte der Text das Gericht zwingen, vermeintliche Gegenbeweise zum Holocaust zu erörtern und entsprechend propagandistisch wirken; Leuchters Aussage wurde darum auf den 20. April 1988, Hitlers 99. Geburtstag, hinausgezögert. Jedoch musste Leuchter eingestehen, über keinerlei Ausbildung oder Kenntnisse im naturwissenschaftlichen oder technischen Bereich zu verfügen, die ihn zur Erstellung eines solchen Gutachtens befähigt hätten, darüber hinaus hatte er auch keine Erfahrungen mit Gaskammern vorzuweisen – entsprechend wurde sein Text nicht als Gutachten akzeptiert. Später räumte Leuchter zusätzlich ein, sich unrechtmäßig als (Chef-)Ingenieur ausgegeben und über keinerlei Kenntnisse der Geschichte oder des Zwecks der Konzentrations- und Vernichtungslager verfügt zu haben. Den Bericht erstellte er innerhalb kürzester Zeit – lediglich zwei Monate liegen zwischen der erstmaligen Kontaktierung Leuchters durch Zündels Mitstreiter Robert Faurisson während des bereits laufenden Prozesses am 3. Februar 1988 und dem Abschluss des Textes am 5. April. Kurz nach Leuchters Auftritt vor Gericht wurde der Schriftsatz, der nur knapp 30 Seiten sowie das fünf- bis sechsfache an Anhängen umfasst, als „The Leuchter-Report – The End of a Myth“ von Zündel in seinem Verlag Samisdat Publishers in Toronto veröffentlicht. Im darauffolgenden Jahr publizierte der anlässlich Leuchters Bericht ins Lager der Holocaustleugner übergetretene, ebenfalls für Zündel als Zeuge aufgetretene Publizist David Irving (→ „Hitler’s War“) in seinem Verlag → Focal Point Publishers eine Ausgabe für den britischen Markt. Kurzfassungen, um die Anhänge erleichtert und inhaltlich mitunter deutlich verändert und zugespitzt, erschienen in zahlreichen Ländern und Sprachen, entweder als eigenständige Broschüren oder als Abdrucke in Zeitschriften des rassistischen und rechtsextremen Spektrums. Die erste deutsche Übersetzung wurde bereits 1988 in einer von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indizierten Ausgabe der Zeitschrift → „Historische Tatsachen“ publiziert, eine von Zündel verlegte deutschsprachige Broschüre folgte. Auch wenn zuverlässige Angaben über die Auflagenhöhe fehlen, ist Zündels Aussage, dass allein in Deutschland 500.000 Exemplare zirkulierten, als rein propagandistisch zu werten. In Zündels Auftrag erstellte Leuchter bald danach „The Second Leuchter-Re-

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port – Dachau, Mauthausen, Hartheim“ (1989, mit Robert Faurisson und Mark Weber), „The Third Leuchter-Report – A Technical Report on the Execution Gas Chamber at Mississippi State Penitentiary Parchman, Mississippi“ (1990) und „The Fourth Leuchter-Report – A Technical Evaluation of Jean-Claude Pressac’s Book ‚Auschwitz: Technique and Operation of the Gas Chambers’“ (1991). Während der u. a. im → „Journal of Historical Review“ veröffentlichte zweite Bericht trotz abermaliger Gemäuerproben kaum mehr als eine Zusammenstellung diverser Aussagen über die jeweiligen Gaskammern in der Literatur darstellt, entfernte sich der dritte Bericht über eine moderne Hinrichtungsgaskammer in den USA noch weiter vom ursprünglichen Schema, der vierte Bericht stellt schließlich nur noch eine Buchbesprechung dar. Alle Nachfolgeschriften fanden – im Gegensatz zum ersten Bericht – selbst in Holocaustleugner-Kreisen nur wenig Beachtung. Bedeutsam ist der erste „Leuchter-Report“ vor allem deshalb, weil er als erste Publikation innerhalb des holocaustleugnenden Schrifttums auf eine technische und naturwissenschaftliche Argumentation abstellte. Rasch fand Leuchters Schrift Nachahmer, am bekanntesten das 1991 unter ähnlichen Umständen entstandene → „RudolfGutachten“ des Chemikers Germar Rudolf, der 2005 gemeinsam mit Faurisson und Leuchter eine sogenannte kritische Ausgabe aller vier „Leuchter-Reports“ veröffentlichte, die 2012 in die dritte Auflage ging. Durch die neue Strategie, lediglich vermeintlich sachliche Analysen vorzulegen, wurde Leuchters Bericht das entscheidende Moment für den Aufschwung, den die Holocaustleugnung seit Ende der 1980er Jahre nahm. In der sogenannten Revisionismus-Kampagne der extremen Rechten stand Leuchters Bericht im Mittelpunkt, er selbst trat mehrfach bei einschlägigen Veranstaltungen auf. Ein solcher Vortrag mit dem NPD-Vorsitzenden Günter Deckert führte 1993 zur Verhaftung Leuchters unmittelbar vor einem Talkshowauftritt im deutschen Fernsehen; einem Prozess entzog sich Leuchter jedoch durch Flucht in die USA. Der „Leuchter-Report“ generierte nicht nur bei Erscheinen großes Interesse in den Medien, noch im Jahr 1999 wurden Leuchter und die Entstehung seiner Schrift in dem Dokumentarfilm „Mr. Death – The Rise and Fall of Fred A. Leuchter, jr.“ von Errol Morris kritisch porträtiert. Abgesehen von revisionismuslastigen Historikern wie Ernst Nolte, der Leuchters Ausarbeitung im Jahr 1994 zwar nicht als wissenschaftlich, aber dennoch als „wichtig“ bezeichnete, wurde der „Leuchter-Report“ außerhalb einschlägiger Kreise durchgängig als pseudowissenschaftliche Geschichtsfälschung eingeordnet. Zahlreiche Historiker und Naturwissenschaftler machten nicht nur auf Leuchters fehlende fachliche Kompetenz aufmerksam, sondern benannten dessen massive Fehler, unseriöse Arbeitsweise, abwegige Schlussfolgerungen sowie gezielte Täuschungen. Darüber hinaus führten Wissenschaftler des Instytutu Ekspertyz Sądowych [Institut für forensische Forschung] in Krakau im Jahr 1990 eine forensische Untersuchung der Wände der Gaskammern durch – deren Ergebnis widerlegte nicht nur Leuchters Behauptungen, sondern unterfütterte die altbekannten Ergebnisse der historischen Forschung mit zusätzlichen Daten.

Christian Mentel

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Das Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangs-Sprache

Literatur Josef Bailer, Die „Revisionisten“ und die Chemie, in: Brigitte Bailer-Galanda, Wolfgang Benz, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Die Auschwitzleugner. „Revisionistische“ Geschichtslüge und historische Wahrheit, Berlin 1996, S. 130–152. Jan Markiewicz, Wojciech Gubała, Jerzy Łabędź, A Study of the Cyanide Compounds Content in the Walls of the Gas Chambers in the Former Auschwitz and Birkenau Concentration Camps, in: Z Zagadnień Nauk Sądowych 30 (1994), S. 19–27. Shelly Shapiro (Hrsg.), Truth Prevails. Demolishing Holocaust Denial – The End of the „Leuchter Report“, New York 1990. Robert Jan van Pelt, The Case for Auschwitz. Evidence from the Irving Trial, Bloomington, Indianapolis 2002. Achim Trunk, Die todbringenden Gase, in: Günter Morsch, Bertrand Perz (Hrsg.), Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung. Unter Mitarbeit von Astrid Ley, Berlin 2011, S. 23–49.

Das Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangs-Sprache (Itzig Feitel Stern, 1832) „Das Lexicon der jüdischen Geschäfts- und Umgangs-Sprache“ zählt zu den populären antisemitischen Schriften des 19. Jahrhunderts. Veröffentlicht wurde das Werk im Jahr 1832 im Friedrich-Gödsche-Verlag (Meißen) unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern, es fand in verschiedenen Formen zahlreiche Nachahmer. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde bekannt, dass sich hinter dem stereotyp jüdisch klingenden Namen ein nichtjüdischer Autor verbarg. Das gewählte Pseudonym, Itzig Feitel Stern, soll hinter den Schriften einen jüdischen Autor vermuten lassen, um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Bis heute ist jedoch unklar, wer das Werk tatsächlich verfasst hat. In der Literatur wird mindestens vier Autoren die mögliche Urheberschaft zugesprochen. Der Erste ist der Oberfranke Heinrich Holzschuher, der ähnliche antisemitische und volkstümliche Schriften und Gedichte in diesen Zeitraum veröffentlicht hatte. Im Jahr 1928 glaubte der Erlanger Archivar Ludwig Göhring, den Nürnberger Johann Friedrich Siegmund Freiherr von Holzschuher (1796–1861) als Verfasser enttarnt zu haben. Holzschuher war nach dem Abschluss seines Jurastudiums als Richter an zahlreichen mittelfränkischen Landgerichten tätig, wo er oft in Rechtsstreitigkeiten zwischen jüdischen Viehhändlern und Bauern zu entscheiden hatte. Als weitere mögliche Urheber werden in der Forschungsliteratur der Ziviladjunkt Johann Georg Friedrich Seiz, der am mittelfränkischen Landgericht Markt Erlbach wirkte, und der Kriminaladjunkt Strößenreuther genannt. Einige Forscher, darunter die Sprachwissenschaftler Hans Peter Althaus und Alfred Klepsch, gehen davon aus, dass möglicherweise mehrere Autoren unter diesem Pseudonym publizierten. Sämtliche unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern erschienene Schriften sind geprägt von hämischen, hetzerischen Geschichten über Juden, die die angebliche ausbeuterische Natur der jüdischen Händler entlarven sollen. Neben dem „Lexicon“ zählen „Das Schabbes-Gärtle vun unnere Leut: Chittische Meloche“ (1851) und „Die linke Massematten der houchlöbliche Jüdenschaft: E Pfillelich zon

Lexikon der Juden in der Musik (Theophil Stengel, Herbert Gerigk, 1940)

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Unterricht unn zor Erbauung fer unnere Leut“ (1833) zu den bekanntesten Werken von „Itzig Feitel Stern“. Das „Lexicon“ erschien begleitend zum Emanzipationsprozess der Juden in Bayern, der sich in diesem Land länger als in anderen deutschen Regionen hinzog. Es gibt vor, die „Geheimsprache“ der Juden zu enttarnen und damit Christen zu helfen, sich gegen die „Hinterhältigkeit“ der jüdischen Händler zu wehren. Bereits in seiner Einleitung erklärt der Verfasser in herablassender Sprache, dass „die Lussnekoudische oder jüdische-deutsche (eigentlich heilige) Sprache ein verworrenes Gemenge von verunstalteten hebräischen und deutschen Urwörtern“ sei. Besonders gebräuchlich war das Judendeutsch im Viehhandel. Die Viehhändlersprache, die sprachhistorisch ein Überbleibsel des Westjiddischen ist, besteht aus hebräischen, jiddischen und deutschen Elementen und gilt als die einzige Händlersprache, die noch im 20. Jahrhundert gesprochen wurde. Insbesondere auf Märkten diente sie den Viehhändlern als ein wichtiges Handelsinstrumentarium zur Preisabsprache, um sich vor großen Preisverlusten zu schützen. Jüdische und christliche Händler, aber auch Bauern, verstanden und benutzten gleichermaßen die Viehhändlersprache und somit das Juden-Deutsch. Das „Lexicon“ gliedert sich in eine Einführung und in ein Nachschlagewerk, in dessen erstem Teil deutsch-jüdische Wörter und im zweiten Teil deutsche Wörter in einer alphabetisch sortierten Liste verzeichnet und mit erklärenden Informationen versehen sind. Bei den Informationen handelt es sich nicht – wie für ein Wörterbuch üblich – um neutrale sprachliche Sachinformationen, sondern um antisemitisch eingefärbte Erläuterungen. Beispielsweise schreibt der Verfasser in der Einleitung, die Juden würden sich dieser Sprache im Handel und Umgang mit Christen bedienen, um untereinander „Geheimnisse, Plane [sic] und Absichten vor [Christen] sorgfältig verschleiert zu halten“. Auch wenn die antisemitische Wirkung und Tendenz des „Lexicons“ unbestritten sind, so würdigen dennoch Wissenschaftler wie Max Weinrich, die sich sprachhistorisch mit dem Jiddischen beschäftigen, die linguistische Forschungsarbeit des Verfassers. Wie populär seine Schriften waren, zeigen die zahlreichen Nachahmer und Neuauflagen. Im Jahr 1858 gab der Gödsche Verlag eine zehnbändige Gesamtausgabe der unter dem Pseudonym Itzig Feitel Stern verfassten Werke heraus.

Stefanie Fischer

Literatur Hans Peter Althaus, Mauscheln. Ein Wort als Waffe, Berlin 2002. Max Weinreich, History of the Yiddish language, New Haven 2008.

Lexikon der Juden in der Musik (Theophil Stengel, Herbert Gerigk, 1940) Das „Lexikon der Juden in der Musik“ ist ein Verzeichnis jüdischer Künstler aus dem Bereich Musik und ihrer Werke und erschien im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP in der ersten Ausgabe 1940 als Band 2 der „Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage“. Bis Juli 1943 wurden vier, jeweils aktualisierte Auflagen des Lexikons gedruckt. Als Autoren fungierten Theophil Stengel

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Lexikon der Juden in der Musik (Theophil Stengel, Herbert Gerigk, 1940)

(Referent in der Reichsmusikkammer) und Herbert Gerigk (Leiter der Hauptstelle Musik in der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP). Im Vorwort von Gerigk werden zusätzlich Dr. Lily Vietig–Michaelis, Dr. Wolfgang Boetticher und Dr. Hermann Killer, Angehörige der Dienststelle des Reichsleiters Rosenberg, als Mitarbeiter genannt. Das „Lexikon der Juden in der Musik“ besteht aus einer Auflistung von Juden und Jüdinnen bzw. nach antisemitischen Kategorien als solche definierten Menschen, die als Musiker, Musikwissenschaftler, Musiklehrer und Komponisten tätig waren. Die alphabetisch geordneten, personenbezogenen Einträge enthalten Namen, Geburtsort und Angaben zur Tätigkeit im Bereich Musik. Teilweise sind sie durch biographische Informationen und Kommentare ergänzt. Außerdem sind, soweit den Herausgebern bekannt, die letzten deutschen Adressen angegeben. Nicht immer konnten sie die jüdische Herkunft einer Person ausreichend klären. In diesen Fällen sind die Einträge mit einem Kreuz markiert. Der zweite Teil des Lexikons besteht aus einem Titelverzeichnis von Werken jüdischer Komponisten. Neben den Namen der Komponisten werden die deutschen Werktitel und gegebenenfalls die Originaltitel alphabetisch aufgelistet. Als Quellen dienten den Autoren Lexika, die vielfach nicht antisemitisch waren, aber biographische Rückschlüsse auf Musiker zuließen, wie etwa das „Deutsche Musikerlexikon“ oder die „Jüdische Nationalbiographie“. Zusätzlich als Quellen verwendet wurden Listen „nicht-arischer Musiker“ der Reichsmusikkammer, Akten des Reichssippenamtes, der Einwohnermeldeämter und der Pfarrämter sowie Dokumente jüdischer Gemeinden. Außerdem stellten die Herausgeber persönliche Anfragen an diverse Ämter und Institutionen. In den Auflagen des Lexikons, die während des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht wurden, sind vermehrt auch Musiker aus den besetzten und annektierten Gebieten verzeichnet, die von Mitarbeitern des „Sonderstabs Musik“ recherchiert wurden. Herbert Gerigk definiert in seinem Vorwort das Lexikon als „Nachschlagewerk“, „Aufklärungs- und Schulungsmaterial“ und als „Handhabe zur schnellsten Ausmerzung aller irrtümlich verbliebenen Reste [‚jüdischen Erzeugnisses’] aus unserem Kultur- und Geistesleben“. Das Lexikon wurde in diesen Funktionen als Notwendigkeit betrachtet, da frühere, ähnliche Publikationen als zu fehlerhaft und unzulänglich betrachtet wurden (vor allem: Hans Brückner, Christa Maria Rock, Judentum und Musik: mit dem ABC jüdischer und nichtarischer Musik, 1935). Als Adressaten definiert Gerigk Musiker, Musikerzieher, Politiker, Musikfreunde, Bühnenleiter, Dirigenten, den Rundfunk, die NSDAP und ihre Gliederungen sowie Leiter von Unterhaltungskapellen und Wissenschaftler. Der wissenschaftliche Anspruch des „Lexikons“ wird besonders betont: „Die Wissenschaft erhält damit ein Hilfsmittel, das im Zuge ihrer Neuorientierung an den Gegebenheiten der Rasse seinen Wert besitzt.“ Die Denunziation weiterer Juden bzw. als jüdisch definierter Werke durch die Leser war explizit erwünscht, in der Einleitung des Buches wird darauf hingewiesen, dass Ergänzungen und Berichtigungen an die Hauptstelle Musik gesandt werden sollten. In

La Libre Parole (Frankreich, 1892–1924)

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weiteren Ausgaben sind dann auch tatsächlich Denunziationsschreiben berücksichtigt und in das „Lexikon“ eingearbeitet worden.

Lukas Meissel

Literatur Amaury du Closel, Erstickte Stimmen. „Entartete Musik“ im Dritten Reich, Wien u. a. 2010. Willem de Vries, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940–1945, Köln 1998. Eva Weissweiler, Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen, Köln 1999.

La Libre Parole (Frankreich, 1892–1924) „La Libre Parole“ [Das freie Wort] war mit einer Auflage von durchschnittlich 100.000 Exemplaren zwischen 1892 und 1906 die bedeutendste antisemitische Zeitung in Frankreich. Ihr Gründer und hauptsächlicher Autor, Édouard Drumont (1844– 1917), bezeichnete sich selbst als „Papst des Antisemitismus“. Als am 20. April 1892 die erste Ausgabe der Tageszeitung „La Libre Parole“ in Paris erschien, täuschte sich niemand über ihre Ziele: Ihr Gründer und Eigentümer Édouard Drumont war bereits mit seinem äußerst erfolgreichen Mammutwerk → „La France Juive“ (1886) als wortgewaltiger Antisemit hervorgetreten, vertrat öffentlichkeitswirksam einen überbordenden Nationalismus und war als Gründer der Ligue nationale antisémitique de France (1890) auch politisch aktiv geworden. Der Untertitel seiner Zeitung „La France aux Français“ [Frankreich den Franzosen] ließ ebenfalls keinen Zweifel an Drumonts Gesinnung zu. Er machte offenbar, dass in der „Libre Parole“ ein Rassenantisemitismus vertreten wurde, der sich in Textbeiträgen und Karikaturen äußerte. Von Anfang an gehörten Skandalisierungen, aber auch Verleumdungen zum journalistischen Profil der „Libre Parole“. So musste Drumont ab November 1892 eine dreimonatige Haftstrafe absitzen, nachdem er dem Abgeordneten Auguste Burdeau (erwiesenermaßen zu Unrecht) Bestechlichkeit unterstellt hatte. Bereits kurz zuvor, im September 1892, hatte Drumont Kenntnis von einer Affäre erhalten, die in besonderer Weise die Macht seines Blattes illustriert: Der Konkurs der „Compagnie universelle du canal interocéanique de Panama“, einer französischen Gesellschaft zum Bau des Panama-Kanals, mündete in die Aufdeckung eines großen Korruptionsskandals, in den auch ranghohe Politiker Frankreichs (u. a. der spätere Ministerpräsident Georges Clemenceau) verwickelt waren. Drumont machte die Affäre unter dem Schlagwort „Panama-Skandal“ publik, das bis heute die gültige Bezeichnung des Geschehens ist. Zwei Regierungen der Dritten Republik (Émile Loubet 1892 und Alexandre Ribot 1893) mussten aufgrund der Affäre zurücktreten. Die „Libre Parole“ leistete dem Antisemitismus in Frankreich nachhaltig Vorschub, indem sie die (unbestrittene) Beteiligung einiger jüdischer Finanziers (u.a. Cornelius Herz, der nach England floh, und Baron Jacques de Reinach, der Selbstmord beging) zu antisemitischer und antiparlamentarischer Propaganda nutzte, die wesentlich zum Vertrauensverlust in die Republik beitrug und geschickt die Politisierung bisher politikferner Schichten für die eige-

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La Libre Parole (Frankreich, 1892–1924)

nen Ziele in Gang setzte. Vor dem Hintergrund dieses bis dahin größten politisch-wirtschaftlichen Skandals der französischen Geschichte betonte Drumont in seinen Kolumnen unablässig, das politisch-finanzielle System Frankreichs läge „fast vollständig in jüdischen Händen“ – eine „Erkenntnis“, die es ihm sogar wert war, seine „Libre Parole“-Kolumnen 1896 unter dem Titel „De l’or, de la boue, du sang. Du Panama à l’anarchie“ [Von Gold, Schlamm und Blut. Von Panama zur Anarchie] als Buch zu veröffentlichen. Der „Panama-Skandal“ akzentuierte gleichzeitig die scharf antikapitalistische Einstellung des Blattes und gab Drumont und seinen Mitstreitern Gelegenheit, sämtliche antisemitischen Stereotype von „Juden“ und „Kapital“ durchzudeklinieren. Zur erfolgreichen Verbreitung antisemitischer Stereotype trug auch die Wochenbeilage der „Libre Parole“, → „La Libre Parole illustrée“ bei, die von Juli 1893 bis September 1897 erschien und auf 16 Seiten eine Kolumne („Chronique à la mode“), Bildsatiren, antisemitische Lieder, Witze, Anekdoten und Fortsetzungsgeschichten bot. Die Wortführerschaft in Sachen Antisemitismus behauptete die „Libre Parole“ ab 1894 in der Dreyfus-Affäre. Das einmal für die „Judenfrage“ sensibilisierte Publikum unterstützte die antisemitisch motivierte Verurteilung des zu Unrecht der Spionage verdächtigten Hauptmanns Alfred Dreyfus und bescherte dem Blatt Auflagenhöhen von bis zu 200.000 Exemplaren, was vorher nur auf dem Höhepunkt des PanamaSkandals erreicht worden war. Dabei kam es der „Libre Parole“ zupass, durch wohlkalkulierte „undichte Stellen“ im Kriegsministerium – dessen mehrheitlich antisemitische Einstellung bekannt war – als erste Zeitung über den vermeintlichen Verräter berichtet (1. November 1894) und mithin noch vor dessen Verurteilung eine Kampagne gegen Juden in der französischen Armee lanciert zu haben. Dies verschaffte der „Libre Parole“ auch im katholisch-klerikalen Milieu Glaubwürdigkeit und Leser. Besonders weit ging die Zeitung nach Dreyfus’ erster Verurteilung und forderte am 23. Dezember 1894: „Juden raus aus Frankreich! Frankreich den Franzosen!“ Während der eigentlichen Dreyfus-Affäre heizte die „Libre Parole“ ab 1896 die Stimmung nach Kräften auf und hatte wesentlichen Anteil an der tiefen gesellschaftlichen Spaltung Frankreichs und den daraus resultierenden Ausschreitungen im Frühjahr 1898. Wirkmächtig war auch die Ausgabe vom 10. September 1899, die anlässlich der zweiten Verurteilung Dreyfus’ mit dem fettgedruckten Satz „À bas les juifs!“ [Nieder mit den Juden] unter der Schlagzeile aufwartete und damit eine der bedeutendsten antisemitischen Kampfparolen prägte. Drumont hatte die Herausgeberschaft der „Libre Parole“ bereits 1898 abgegeben, als er zum Abgeordneten der Stadt Algier ins französische Parlament gewählt wurde. Er blieb jedoch weiterhin ihr Eigentümer und Kolumnist. Nach der Dreyfus-Affäre ließ der Erfolg allerdings spürbar nach, und als 1910 ultra-konservative Katholiken die Leitung der „Libre Parole“ übernahmen, war es auch um die stilistischen Kennzeichen – den pamphletartigen, reißerischen und daher überaus populären Stil Drumonts – geschehen. Am 7. Juni 1924 erschien die letzte Nummer. Dennoch hatte die „Libre Parole“ ein langes Nachleben in rechtsextremistischen und antisemitischen Kreisen: So erschien von November 1926 bis April 1929 eine „Libre parole républicaine“ (deren erste Nummer schlicht „La Libre Parole“ hieß), eine „Libre Parole de Paris“ (später „de Fontainebleau“) stellte sich 1928/29 als Nach-

La Libre Parole illustré (Frankreich, 1893–1897)

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folger des Drumont-Blattes dar. Einer der selbst ernannten Jünger Drumonts, der rechtsextreme Journalist, aktive Antisemit und NS-Kollaborateur Henry Coston (1910–2001), stellte zwischen 1930 und 1939 gleich mehrere „Libre Parole“ auf die Beine, die aber zunächst vom Justizminister Paul Marchandeau (21. April 1939) verboten, später auch von den deutschen Besatzern zur Neuveröffentlichung abgelehnt wurden.

Bjoern Weigel

Literatur Frederick Busi, The Pope of Antisemitism. The Career and Legacy of Édouard Adolphe Drumont, Lanham u. a. 1986. La Jean Nelson Jensen, Editorials of Edouard Drumont in „La Libre Parole“, 1892–1906. A reflection of the times, Ph.D. diss., Brigham Young University 1980. Grégoire Kauffmann, Édouard Drumont, Paris 2008. Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im Deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main 2009.

La Libre Parole illustré (Frankreich, 1893–1897) Die Herausgeber der am 20. April 1892 gegründeten Tageszeitung → „La Libre Parole“ verstanden sehr schnell, noch vor dem Erfolg zahlreicher Karikatur-Zeitschriften, dass das Bild einen bedeutenden Träger guter Propaganda darstellt. Aus diesem Grund veröffentlichten die Herausgeber ab dem 17. Juli 1893 eine wöchentliche illustrierte Beilage im Format 28 x 39 cm, deren Programm Édouard Drumont in der ersten Ausgabe deutlich artikulierte: „Das Bild soll das Werk der Feder vollenden. Es soll sich an die wenden, die die Schrift noch nicht berührt hat.“ Die Zeitung stützte sich auf die Enthüllungen im Zusammenhang mit dem PanamaSkandal und die bestechlichen Verantwortlichen: Dabei handelt es sich zunächst um den Werbechef der Kompagnie, Jacob Adolphe Reinach, genannt Jacques de Reinach. Dieser lancierte auch auf kleinere Investoren ausgerichtete Werbekampagnen und verließ sich dann auf seinen Vertrauensmann, Émile Arton, um Abgeordnete und Minister zu bestechen und so dafür zu sorgen, dass das Parlament die Aufhebung des Darlehens genehmigte. Zusammen mit Cornélius Herz sind dies die Hauptakteure der Affäre und sie sind alle „Israeliten“. In dem Moment, als Drumont die Liste der „chéquarts“ (das heißt, der bestochenen republikanischen Abgeordneten) in „La Libre Parole“ publizierte, veröffentlichte Caran d’Ache ein illustriertes Scheckheft, „Le Chéquier“, das in humoristischem und deutlich antisemitischem Ton die Leichtigkeit, mit der Drumont diese Repräsentanten der Nation bloßgestellt hatte, kommentierte. Die Wochenzeitung, die insgesamt 220 Ausgaben umfasst (vom 17. Juli 1893 bis zum 25. September 1897), versammelte die großen Karikaturisten der Zeit, darunter häufig junge Persönlichkeiten, wie Lucien Emery, Jacques Villon, Charles Huard, Emile Cohl (Courtet), aber auch profiliertere wie Henri de Sta, Gravelle, Willette, Gyp oder Job. Vor allem im Fall von Gravelle ist ihr Duktus in herausstechender Weise angriffslustig. So fertigte auch Henri de Sta fast jede Woche einen Comic an, dessen Inhalt ausschließlich antisemitisch war.

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Linzer Fliegende Blätter (Österreich, 1899–1914)

Bei dieser Publikation handelte es sich somit tatsächlich um den Schmelztiegel des graphischen Antisemitismus in Frankreich. Die im Zuge der Französischen Revolution entstandene politische, republikanische, antiklerikale Karikatur wurde nicht zuletzt geschätzt, weil sie den Klerus „unter der Gürtellinie“ attackierte, das heißt, mit anstößigen, wenn nicht sogar pornographischen Themen. Die „konformistische“ Presse konnte es ihr kaum in gleicher Weise nachtun, da die katholische Illustration sich traditionsgemäß religiösen und erzieherischen Themen widmete. Der Antisemitismus bot ihr das vulgäre Sujet, mithilfe dessen sie widersprechen konnte. In der zeitgenössischen Presse stieß „La Libre Parole illustré“ auf sehr positive Resonanz, wovon eine Rezension in der literarischen und musischen Wochenzeitung „Paris-Joyeux“ zeugt: „Ein neuer Kollege hat das Licht der Welt erblickt. Er heißt La Libre Parole illustré. Libre, das erklärt sich von selbst, solange dort nur über die Juden gesprochen wird und ausschließlich gegen die Juden. Er umfasst 16 Seiten, die in wunderbarer Weise um das gleiche Thema kreisen. Ah Gott: Was für ein Schriftstück für zwei Sous!“ Die Wochenzeitung stellte ihr Erscheinen kurz vor Beginn der Kampagne zur Rehabilitation des Hauptmanns Dreyfus und der Publikation des berühmten → „J’accuse!“ von Émile Zola ein.

Didier Pasamonik Übersetzung aus dem Französischen von Marie-Christin Lux

Linda Sudholt Versandbuchhandlung → Druffel Verlag

Linzer Fliegende Blätter (Österreich, 1899–1914) Im Jahre 1899 erschienen in Linz erstmals die „Fliegenden Blätter“, als Herausgeber fungierten der alldeutsche Gemeinderat Sepp Melichar und der Lehrer Sepp Beyer. Die Zeitschrift wurde 1900 verboten, geringfügig umbenannt und erschien schließlich als „Linzer Fliegende Blätter. Völkisches Witzblatt“ durchgängig von 1902 bis 1914. Sie war alldeutsch ausgerichtet, im Sinne der Positionen Georg Ritter von Schönerers, und stellten eine im deutschen Sprachraum bekannte Publikation mit ausgeprägtem Lokalkolorit dar. Genaue Angaben zur Auflage gibt es nicht. Karikaturen und Witze kaufte die Redaktion regelmäßig in Berlin und München zu. Der Seitenumfang erreichte bis zu 16 Seiten. Die Zeitschrift betrieb Germanenkult und verstand sich als „antisemitisches Kampfblatt“. Erscheinungsort war laut Impressum Linz, die Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Oberösterreich. In Linz war bereits 1882 das Grundsatzpapier des österreichischen Deutschnationalismus, das „Linzer Programm“, erarbeitet worden. In der Donaustadt mit etwa 70.000 Einwohnern waren die Bürger per Gemeindestatut dem deutschen Charakter der Stadt verpflichtet. Die Amtsgeschäfte wurden von 1900 bis 1919 von einem deutschnationalen Bürgermeister geführt. Dem deutschnationalen Lager galt Linz als „nationaler Hort“, als „urdeutsch“. Ein Konglomerat von deutschnationalen Parteien und Fraktionen dominierte die Stadt. Die Dominanz wurde durch ein Kurienwahlrecht ermöglicht. Von 1905 bis 1913 war es den Deutschnationalen gelungen, im IV. Wahlkörper, bei den einkommensschwächsten Wählern, eher bildungsfernen Schichten, Terrain zu gewinnen: Verbuchten die Sozialdemokraten 1905 fünfmal so viele Man-

Linzer Fliegende Blätter (Österreich, 1899–1914)

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date wie die Deutschnationalen, so konnte man 1911/13 von einem Gleichstand ausgehen. Bei dieser Verschiebung spielte der antisemitische Antikapitalismus der Deutschnationalen eine Rolle. 1911 feierte auch die „Alldeutsche Vereinigung – Schönerianer“ Erfolge, die hinter den „Fliegenden Blättern“ stand. Das kulturelle Mikroklima der Stadt Linz galt als nicht judenfreundlich. 1895 bezeichnete Theodor Herzl Linz als „Antisemitenhauptort“, Eduard Bloch, der jüdische Hausarzt Hitlers, und andere Juden haben Linz um 1900 in autobiografischen Zeugnissen als „Hochburg des Antisemitismus“ dargestellt. Es wird bezeugt, dass der Schüler Adolf Hitler, der in Linz aufwuchs, die „Fliegenden Blätter“ gelesen hat. Die „Fliegenden Blätter“, aber auch andere antisemitische Magazine wie „Der Scherer“ hingen in Schaukästen auf der zentralen Linzer Geschäftsstraße aus. Die „Fliegenden Blätter“ waren markanter Teil eines einschlägigen Pressespektrums. Bis etwa 1905 hielt sich der aggressive Antisemitismus in Grenzen, ein gegen tschechische Zuwanderer gerichteter Antislawismus, massiver Antiklerikalismus und die Gegnerschaft zum Hause Habsburg charakterisierten die Blattlinie. In der Folge wurden in den Linzer „Fliegenden Blättern“ „Judenmarken“ vertrieben, Klebezettel mit Inhalten wie: „Die Juden sind der Abscheu des Menschengeschlechts.“ In dem „völkischen Witzblatt“ inserierten national gesinnte Unternehmer, ein männliches Publikum wie Burschenschafter, Turner und andere zählte zu den Abonnenten. Es wurden völkische und antisemitische Gebrauchsartikel wie Abzeichen, Bierkrüge, Zigarettenspitzen und Spielkarten angeboten. Hinsichtlich der „Judenmarken“ erstattete die Österreichisch-Israelitische Union, eine nationaljüdische Organisation, 1907 Strafanzeige. Das Blatt verwendete nun Begriffe wie „jüdische Versauung“ und „jüdisches Schwein“, „Krummnasen“ wurde die „Ehre“ abgesprochen, man machte den Rabbiner verächtlich, vor allem aber jüdische Geschäftsleute, die persönlich angegriffen wurden. Weihnachten 1909 versuchte die Zeitschrift, anhand von „Judenverzeichnissen“ einen Geschäftsboykott zu organisieren. Die „Fliegenden Blätter“ vertraten einen rassistischen Antisemitismus: „Der Taufschein ist nicht imstande, die Urkunde ungiltig zu machen, die von der Natur mit Blut geschrieben, dem Individuum als Rasseneigenart eingeprägt wurde.“ Infolge ihres Rassismus, der verbalen Radikalität und grob antisemitischer Karikaturen ist die Zeitschrift als Vorläufer des nationalsozialistischen Hetzblattes → „Der Stürmer“ bezeichnet worden. Im Jahre 1912 sollte erneut ein Weihnachtsboykott organisiert werden. Der Abdruck eines „Judenverzeichnisses“ wurde nun von den Behörden zensuriert und die entsprechende Nummer des Blattes beschlagnahmt. Das k. k. Landesgericht Linz hat das Delikt der „Verhetzung“ festgestellt. Die „Fliegenden Blätter“ wurden in den Jahren 1910 bis 1912 insgesamt 14-mal beschlagnahmt. Es wurden Blasphemie, Majestätsbeleidigung und antisemitische Boykottattacken inkriminiert. Mit zunehmender Radikalität hatte sich die Zeitschrift in Richtung eines „Einzelkämpfer“-Blattes des Schriftleiters Sepp Beyer entwickelt. Die Linzer „Fliegenden Blätter“ gerieten finanziell und juristisch stark unter Druck und wurden im Jahre 1914 eingestellt.

Michael John

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Die Lösung der Judenfrage (Thomas Mann, 1907)

Literatur Michael John, Die Linzer Fliegenden Blätter und andere Zeitschriften. Antisemitismus in der lokalen und regionalen Presse Oberösterreichs 1890–1920, in: Michael Nagel, Moshe Zimmermann (Hrsg.), Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte, Bremen 2012. Kurt Tweraser, Der Linzer Gemeinderat 1880–1914. Glanz und Elend bürgerlicher Herrschaft, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1979, Linz 1980, S. 293–342. Verena Wagner, Jüdisches Leben in Linz, Band 1, Linz 2008, S. 737–742.

Die Lösung der Judenfrage (Thomas Mann, 1907) „Die Lösung der Judenfrage“ ist der Titel eines kurzen Essays von Thomas Mann aus dem Jahre 1907, in dem er auf eine Umfrage des deutsch-jüdischen Mediziners und Publizisten Julius Moses reagierte. Dieser entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee, sich bei Persönlichkeiten aus Politik und Kultur nach ihren Vorstellungen über die „Lösung der Judenfrage“ zu erkundigen und die einkommenden Antworten in einem Sammelband zur Diskussion zu stellen. Unmittelbarer Anlass zur Umfrage waren gewalttätige Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung in Russland zwischen 1903 und 1906, bei der Tausende Juden ermordet wurden. Grundsätzlich nutzte Moses die Rundfrage, die ausdrücklich an „Judenfreund und Judenfeind“ gleichermaßen gesandt wurde, zu einer intensiven publizistischen Kampagne in seiner Zeitschrift „General-Anzeiger für die gesamten Interessen des Judentums“. Die Buchveröffentlichung 1907 bot schließlich eine weitere Möglichkeit, die eingegangenen Antworten über den Leserkreis des General-Anzeigers hinaus bekannt zu machen. Unter den im Buch veröffentlichten Beiträgen finden sich Texte von bekennenden Antisemiten und Rassisten wie Carl Peters, Karl-Felix von Schlichtegroll oder Adolf Bartels neben solchen von Dichtern und Intellektuellen wie Maxim Gorki, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann. Diese Zusammenstellung der knapp hundert Texte stellt somit eine aufschlussreiche Mischung der verschiedensten Positionen dar. Julius Moses formulierte vier Fragen, die er an „ca. 3.000 der bedeutendsten Männer und Frauen der Welt, an Minister, Politiker und Parlamentarier, an Vertreter der Kunst und Wissenschaft, an Dichter und Schriftsteller, an Philanthropen, Finanziers und Großindustrielle“ schickte: 1. Worin besteht nach Ihrer Anschauung das Wesen der Judenfrage? 2. Glauben Sie, dass das Judenproblem ein für alle Länder gleiches Problem ist oder glauben Sie, dass die Judenfrage in den verschiedenen Ländern auch eine verschiedene Lösung erheischt? 3. Worin besteht nach ihrer Anschauung die Lösung der Judenfrage? 4. Wenn Sie für die verschiedenen Länder eine verschiedene Lösung der Judenfrage für nötig erachten, worin besteht diese Lösung der Judenfrage a) für Deutschland b) für Russland? Thomas Mann war einer der bekanntesten befragten Dichter, die auf die Rundfrage reagierten. Der Erstabdruck seiner Antwort erschien am 3. März 1907 unter dem Titel „Die Lösung der Judenfrage“ im „General-Anzeiger“ und erregt aufgrund seiner deut-

Die Lösung der Judenfrage (Thomas Mann, 1907)

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lichen Ambivalenz zwischen philosemitischem Bekenntnis und antisemitischen Klischees bis heute Aufsehen. Thomas Mann beginnt seine Antwort mit den Worten: „Ich bin, entgegen einer bestechenden Hypothese des Herrn Adolf Bartels, kein Jude und stelle, obwohl der große germanische Lyriker und Literaturhistoriker das als ‚höchst wahrscheinlich’ bezeichnet, keine jüdische, sondern nur eine romanische Blutmischung dar. Immerhin habe ich weder Recht noch Lust zu irgendwelchem Rassen-Chauvinismus, bin, wenn auch sonst mit ganz zweifellosen Überzeugungen nicht sehr reich gesegnet, ein überzeugter und zweifelloser ‚Philosemit’ und glaube steif und fest, dass ein Exodus, wie die Zionisten von der strengen Observanz ihn träumen, ungefähr das größte Unglück bedeuten würde, das unserem Europa zustoßen könnte. Diesen unentbehrlichen europäischen Kultur-Stimulus, der Judentum heißt, heute noch, und zumal in Deutschland, das ihn so bitter nötig hat, in irgendeinem feindseligen und aufsässigen Sinne zu diskutieren, scheint mir so roh und abgeschmackt, dass ich mich ungeeignet fühle, zu solcher Diskussion auch nur ein Wort beizusteuern.“ Doch eben jenes Bekenntnis zum Philosemitismus, zum Judentum als „Kultur-Stimulus“ wird bereits einige Zeilen später ad absurdum geführt, indem geläufige antisemitische Klischees von Mann selbst hervorgehoben werden: „Es besteht schlechterdings keine Notwendigkeit, daß der Jude immer einen Fettbuckel, krumme Beine und rote, mauschelnde Hände behalte, ein leidvoll-unverschämtes Wesen zur Schau trage und im ganzen einen fremdartig schmierigen Aspekt gewahre.“ Im Gegenteil sei dieser Typus des Juden „wie er im Buche steht, eigentlich schon recht selten geworden, und unter dem wirtschaftlich bevorzugten Judentum gibt es heute schon junge Leute, die bei englischem Sport und unter aller Gunst der Bedingungen erwachsen, ohne ihre Art zu verleugnen, doch einen Grad von Wohlgeratenheit, Eleganz und Appetitlichkeit und Körperkultur darstellen, der jedem germanischen Mägdlein oder Jüngling den Gedanken einer ‚Mischehe’ recht leidlich erscheinen lassen muß.“ Der „überzeugte und zweifellose“ Philosemit wiederholt ebenjene Stereotype mit Nachdruck, die er eingangs so entschieden verworfen hat. In diesem kurzen Essay Thomas Manns mit seinem widersprüchlichen Argumentationsgang ist somit ein eklatanter Widerspruch in der Auseinandersetzung mit Juden und Judentum unübersehbar und liefert nach wie vor anregende Forschungsansätze auch für die wissenschaftliche Analyse des Frühwerkes Thomas Manns, in welchem eben jenes Thema wiederholt aufgegriffen wird.

Kristin Birkenmaier

Literatur Astrid Blome, Holger Böning, Michael Nagel (Hrsg.), Die Lösung der Judenfrage von Julius Moses im Jahre 1907 mit Antworten von Eduard Bernstein, Otto Julius Bierbaum, Arthur Fitger, Henriette Fürth, Maxim Gorki, Thomas Mann, Lina Morgenstern, Rainer Maria Rilke und 90 weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Presse und Geschichte, Bremen 2010. Heinrich Detering, Juden, Frauen und Literaten – Zu einer Denkfigur beim jungen Thomas Mann, Frankfurt am Main 2005.

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Ludendorffs Volkswarte-Verlag (seit 1929)

Ludendorffs Volkswarte-Verlag (seit 1929) Erich Ludendorff gründete 1929 nach seinem Bruch mit der alten Führung des Tannenberg-Bundes den Ludendorffs Volkswarte-Verlag und ersetzte das bisherige Organ „Deutsche Wochenschau“ durch „Ludendorffs Volkswarte“. Der Verlag bildet bis heute das organisatorische Rückgrat der Ludendorffbewegung. Aus Vorsicht vor einem Verbot wandelte Ludendorff seinen Verlag 1933 in eine GmbH, die Ludendorff Verlag G.m.b.H. Verlag, Vertrieb und Versand, mit Sitz in München um. Die Landesführer des Bundes wurden zu Handelsvertretern des Verlags umfunktioniert. Buchpräsentationen waren getarnte Gemeindeversammlungen der Ludendorffbewegung, die so die Verbotszeit 1933–1937 überstand. Nach 1945 übertrug Mathilde Ludendorff wegen ihres Publikationsverbots den Verlag ihrem Schwiegersohn Franz Freiherr Karg von Bebenburg (1910–2003), verheiratet mit der Tochter aus Mathilde Ludendorffs erster Ehe, und wandelte ihn in eine Kommanditgesellschaft um. Der Verlag Hohe Warte-Franz von Bebenburg KG verlegte seinen Sitz von München nach Pähl/Obb. Dem Bruch mit der alten Führung von 1929 vorausgegangen war Erich Ludendorffs Strategiewechsel von 1927, der in der strikten Absetzung seiner Organisation von der NSDAP und anderen völkischen Gruppierungen und in der Favorisierung einer völkischen Kulturarbeit bestand, das heißt Antisemitismus und Antiklerikalismus. Mit dem Verlag bekam Mathilde Ludendorff die Vertriebsstätte für ihre Weltanschauung, die Deutsche Gotterkenntnis. 1927 öffnete Ludendorff den Tannenberg-Bund auch Frauen und Kindern, für die es jeweils eigene Zeitschriften gab, die der politischen „Volkswarte“ beigelegt wurden. Seit 1931 baute er seine Bewegung zu einem straff-militärisch geführten Verlagsunternehmen um und beugte so dem totalen Verbot von 1933 bis 1937 vor. Da der gesamte Buchhandel den Verkauf der Schriften des Volkswarte-Verlags verweigerte, wurden 1931 eigene Tannenbergbund-Buchhandlungen, 1934 in Ludendorff-Buchhandlungen umbenannt, und 1932 auch eigene Lesehallen eröffnet. Die 1929 ursprünglich für Frauen gegründete Zeitschrift „Am Heiligen Quell. Monatsschrift des Deutschvolks“ (1933–1939) ersetzte nach dem Verbot unter dem Namen „Am Heiligen Quell Deutscher Kraft“ sämtliche Zeitschriften des Tannenberg-Bundes. Die in den Zeitschriften veröffentlichten Karikaturen von HansGünther Strick hatten ihresgleichen nur noch in Julius Streichers → „Stürmer“. Trotz des Verbots, das ein Entgegenkommen Hitlers an den Vatikan im Kirchenkampf war, gab es Signale aus Regierungsstellen, dass der „Kulturkampf“ gegen „Juda“, „Rom“ und „Freimaurer“ gewünscht sei. Die Politik der Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens von 1935 erlaubte dann das Auslegen des „Quells“ in den Kasernen. Die von den Nationalsozialisten geführten Schau-Devisenprozesse gegen katholische Ordensmitglieder spiegeln sich im Ludendorffschen Schrifttum ebenso wider wie die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Priester nach der Enzyklika → „Mit brennender Sorge“ von 1937. Nach der Aussöhnung Hitlers und Ludendorffs 1937 stiegen die Auflagenzahlen der Zeitschrift auf 86.000 Exemplare und gingen nach Ludendorffs Tod auf 64.000 zurück. Der Papierentzug im Zweiten Weltkrieg traf den Verlag und damit die Bewegung schwer. Durch Briefkontakte und Reisen wurde die Organisation zusammengehalten.

Luxemburger Wort (Luxemburg, seit 1848)

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Nach der Wiederzulassung des Bundes für Gotterkenntnis 1946 und im Zuge der Reorganisation 1949 nahm der Verlag Hohe Warte auch andere völkische Autoren wie Hans F. K. Günther oder Bernhard Kummer ins Programm. Das alte Vereinsorgan wurde als „Der Quell. Zeitschrift für Geistesfreiheit“, die „Volkswarte“ ab 1957 als „Volkswarte – Freie Urteile zur Weltpolitik“ fortgeführt. Ein 1959 unter Pseudonym erschienener antisemitischer Aufsatz von Johann von Leers führte 1961 zum Verbot von Organisation und Zeitschriften, nicht aber des Verlags. Wieder dienten bis zur Aufhebung des Verbots 1977 Vortragsveranstaltungen des Verlags als Gemeindetreffen der Ludendorff-Bewegung. In die Verbotszeit fiel die Herausgabe der Prozessakten und des zwölfbändigen Gesamtwerks Mathilde Ludendorffs. Der Verlag arbeitet mit rechten Versandbuchhandlungen zusammen.

Ulrich Nanko

Literatur Bettina Amm, Die Ludendorff-Bewegung. Vom nationalistischen Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte, Hamburg 2006. Gert Borst, Die Ludendorff-Bewegung 1919–1961. Eine Analyse monologer Kommunikationsformen in der sozialen Zeitkommunikation, München 1969. Frank Schnoor, Mathilde Ludendorff und das Christentum, Frankfurt am Main, München, New York 2001.

Lüftl Report → Die Aula Luxemburger Freiheit → National-Echo

Luxemburger Wort (Luxemburg, seit 1848) Das „Luxemburger Wort“ wurde 1848 nach Aufhebung der Pressezensur gegründet und ist heute die am weitesten verbreitete Tageszeitung Luxemburgs. Herausgeber ist die St.-Paulus Druckerei, die sich bis heute im Besitz des Erzbistums Luxemburg befindet. Seit 1864 erscheint das „Wort“, dessen Artikel weitgehend in deutscher Sprache verfasst sind, als Tageszeitung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sie etwa 8.000, 1922 bereits 27.000 und in den 1930er Jahren über 50.000 Abonnenten und war damit flächendeckend auf dem Zeitungsmarkt des Landes. Ihre Leserschaft fand sie in der Hauptsache im katholischen Bürgertum, dem konfessionell gebundenen Mittelstand und vor allem in ländlichen Kreisen, während das sozialistische „Escher Tageblatt“ (gegründet 1913) im südlichen Industriegebiet Verbreitung fand. Der Einfluss des katholischen Klerus im „Luxemburger Wort“ war sehr groß: In den Gründerjahren bestand die Redaktion ausschließlich aus Geistlichen, und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmten Kleriker an führenden Positionen die politische und konfessionelle Ausrichtung des Blattes entscheidend mit. In der ersten Nummer von 1848 betonte das „Luxemburger Wort“, dass man kein Parteiblatt sein wollte, sondern eine Zeitung für alle Stände. In der weiteren Entwicklung verdeutlichte sich aber die ultramontane und antiliberale Grundhaltung der Tageszeitung, die sich als eine Hauptstütze der katholischen Kirche im Kulturkampf verstand. In der Auseinandersetzung mit den sozialistischen Linkskräften unterstützte das

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„Luxemburger Wort“ die katholischen Abgeordneten, später wurde es das Sprachrohr der konservativen katholischen Rechtspartei. Zwar gab sich das „Luxemburger Wort“ anfangs in religiösen Fragen tolerant („Wir werden Protestanten, Juden und Freimaurer friedlich neben uns bestehen lassen“), was aber nicht verhinderte, dass das „Wort“ bis in die 1930er Jahre hinein antijüdische Tendenzen aufwies. Neueste Studien haben herausgefunden, dass allein zwischen 1848 und 1900 mehr als 1.000 Zeitungsartikel Juden und ihre Religion thematisierten und tendenziell als antisemitisch einzuordnen sind. Besonderes Aufsehen im In- und Ausland erregten zwei Artikel, die 1888 unter dem Titel „Die Gefährlichkeit der Juden“ bzw. „Die Juden, die Könige unserer Zeit“ erschienen. Die Juden wurden darin u. a. als Diebe und Betrüger verunglimpft und mit den „ärgsten Sozialisten, Anarchisten, Communisten und Nihilisten“ gleichgesetzt. Beide Artikel waren Nachdrucke aus der in USA erscheinenden „Luxemburger Gazette“. Explizit bezog sich der zweite Artikel auf die Hetzschrift → „Les Juifs, rois de l’époque“ (1845) des französischen Antisemiten Alphonse Toussenel, der den Einfluss der Juden in Frankreich und den USA als „Könige des Kapitals“, „Könige der Presse“ und „Landlords“ geißelte. Auch wenn die Autorenschaft bislang nicht geklärt ist, so sind die Artikel möglicherweise von Schriften des deutschen Antisemiten Otto Böckel beeinflusst, dessen Rede → „Die Juden - Die Könige unserer Zeit“ (1886) ebenfalls im „Luxemburger Wort“ rezipiert worden war. Auf Betreiben des Rabbiners Blumenstein und des jüdischen Konsistoriums kam es zu einem langwierigen Gerichtsprozess, in dessen Verlauf die liberale Tageszeitung „Luxemburger Zeitung“ Partei für die jüdische Minderheit ergriff. 1889 wurde schließlich der „Luxemburger Wort“-Redakteur Andreas Welter wegen der Veröffentlichung von Artikeln, die „einen böswilligen Angriff, eine Beschimpfung und Beleidigung des jüdischen Glaubens, eines im Großherzogtum rechtmäßig betriebenen Cultus enthalten und bezwecken“, zu einer Geldstrafe verurteilt. Noch nach der Jahrhundertwende fanden sich regelmäßig Auslandsberichte, in denen größtenteils christlich geprägte Vorurteile, z. B. Greuelmärchen über Ritualmorde, das Klischee des jüdischen Wucherers und Ausbeuters oder das Zerrbild des „Mauscheljuden“ unkommentiert wiedergegeben wurden. Vielfach wurde auch unkritisch über Pogrome im Zarenreich berichtet. Dennoch schien sich im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg das Verhältnis des „Luxemburger Worts“ zum Judentum allmählich zu entspannen, zumindest nimmt die Zahl judenkritischer Beiträge ab. Zur selben Zeit fällt auf, dass jüdische Kaufhäuser beginnen, im „Luxemburger Wort“ zu inserieren. Dennoch verstummen judenkritische Stimmen nie, ob es Klagen über „galizische Juden“ oder Vorurteile über den angeblich jüdischen Einfluss in bestimmten Berufsgruppen oder Teilen der Gesellschaft waren. In den 1930er Jahren spielten die Geistlichen Batty Esch und Jean Origer eine wichtige Rolle in der Leitung des „Luxemburger Worts“ und durch die Nähe zur Rechtspartei auch in der Innenpolitik. In dieser Zeit befasst sich das „Luxemburger Wort“ auch mit aktuellen außenpolitischen Fragen, vor allem nach 1933. Es kam zu einer fatalen Fehlinterpretation des NS-Regimes, indem man den Antikommunismus Hitlers begrüßte. Die wahre Dimension der NS-Rassenideologie wurde nicht erkannt, da die Redakteure an ihren katholisch geprägten Denkweisen festhielten. Das „Lu-

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xemburger Wort“ spielte beispielsweise in dem Artikel „Viel Geschrei“ den organisierten Boykott gegen Juden herunter, deutete Verständnis für das Vorgehen gegen den angeblich zu großen Einfluss der Juden an. Die Verfolgung der Katholiken durch die Nationalsozialisten stellte die Tageszeitung hingegen in den Vordergrund. Letztlich führte dies bereits 1934 zu einer dezidierten Einstellung des „Luxemburger Worts“ gegen das NS-Regime. Der Terror des NS-Regimes gegen die deutschen Juden wurde allgemein von der konservativen und liberalen Luxemburger Presse mit einer gewissen Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen, während lediglich die linke Presse deutlich von Anfang an die Unrechtsmaßnahmen der braunen Machthaber verurteilte. Das „Luxemburger Wort“, dessen Verbreitung im Reich schon in den 1930er Jahren verboten worden war, wurde nach der Besetzung des Landes zunächst zensiert, dann von der deutschen Zivilverwaltung „gleichgeschaltet“. Die Verantwortlichen des „Luxemburger Worts“ wurden in deutsche Konzentrationslager deportiert, wo die beiden Geistlichen Jean Origer und Batty Esch ums Leben kamen. Unter reichsdeutscher Leitung verbreitete das „Luxemburger Wort“ – ebenso wie das „Escher Tageblatt“ – bis zur Befreiung im Jahre 1944 NS-Propaganda, u. a. auch antisemitischen Inhalts. Judenfeindliche Artikel verschwanden nach dem Zweiten Weltkrieg völlig aus den Spalten des „Luxemburger Worts“ und machten einer ausgewogenen Berichterstattung über das Judentum in Luxemburg Platz. Seit den späten 1960er Jahren setzte sich die größte Tageszeitung des Landes auch für den interkonfessionellen Dialog ein.

Marc Schoentgen

Literatur Georges Hellinghausen, 150 Jahre Luxemburger Wort. Selbstverständnis und Identität einer Zeitung. 1973–1998, Luxemburg 1998. Romain Hilgert, Zeitungen in Luxemburg 1704–2004, Luxemburg 2004. Carole Mersch, Le national-socialisme et la presse luxembourgeoise de 1933–1940, Luxemburg 1977. Laurent Moyse, Du rejet à l’intégration. Histoire des Juifs du Luxembourg des origines à nos jours, Luxemburg 2011. Tanja Muller, „Nichts gegen Juden als solche…“. Das „Judenproblem“ im Luxemburger Wort und in der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, in: Forum für Politik, Gesellschaft und Kultur, Nr. 312, November 2011, S. 54–57.

Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft (Gottfried Feder, 1919) 1919 veröffentlichte Gottfried Feder (1883–1941), Diplomingenieur, Programmatiker, Wirtschaftstheoretiker und Politiker der DAP und NSDAP, „Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft“ und gründete den „Deutschen Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft“. Als Teilhaber einer Baufirma, für die er Großbauten in Europa errichtete, machte er bei einer Kreditaufnahme negative Erfahrungen mit Geldgeschäften und Zinssätzen. Nach eingehender Beschäftigung mit der Finanzpolitik entwickelte er eine Wirtschaftstheorie, die maßgeblich von der deutschen Niederlage im

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Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft (Gottfried Feder, 1919)

Ersten Weltkrieg und der sich daraus ergebenden hohen Staatsverschuldung geprägt war. Das von ihm ersonnene Wirtschaftssystem sollte eine Unabhängigkeit von Großbanken und privaten Gläubigern ermöglichen und dafür sorgen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsame gesellschaftliche Ziele verfolgen, und so den Klassenkampf überwänden. „Nur durch die Brechung der Zinsknechtschaft kann eine Versöhnung des heute in Klassen zerrissenen Volkes erreicht werden, dadurch, daß ein arbeitsloses Einkommen aus reinem Geldbesitz unmöglich gemacht wird. Die Brechung der Zinsknechtschaft ist die wichtigste sittliche Forderung in sozialer Hinsicht, sie erhebt sich in ihrer allgemeinen Bedeutung weit über alle Tagesfragen, sie ist die Lösung der sozialen Frage, sie ist der einzige Ausweg aus der furchtbaren Wirrnis dieser Zeit.“ Kernpunkt seiner Theorie stellte das Zinssystem dar, in diesem „raffenden“ Kapital sah er das eigentliche Übel der Finanzwelt. Zur Lösung müsste das Zinssystem gänzlich abgeschafft werden. Eine Verstaatlichung von Banken und Börse war ein weiterer wichtiger Punkt seiner Theorie. „Der Deutsche Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft fordert die Verstaatlichung der Banken, die ihre eigentliche soziale Aufgabe, Geldverkehr zu vermitteln, nicht mehr erfüllen, sondern das Wirtschaftsleben gewalttätig beherrschen und von aller Arbeit in Form hoher Zinsen rücksichtslos Tribut erpressen.“ Dadurch sollte eine Ablösung des „raffenden Kapitals“ durch „schaffendes Kapital“, also Geld, das aus Leistung entstanden sei, ablösen. Am 20. November 1918 übergab er sein Werk der Regierung Eisner. Zustimmung und Sympathien erhielt er von den rechten Parteien. Ab 1922 suchte er Kontakt zur NSDAP, nahm 1923 am Hitlerputsch teil, 1924 wurde er für die Nationalsozialistische Freiheitspartei in den Reichstag gewählt, wo er sich für eine Enteignung der Juden und eine Abschaffung der Zinssätze einsetzte. Er wurde finanzpolitischer Sprecher, später Finanzminister der Partei. Trotz seiner populären Finanztheorie wurde er 1933 zum Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium, und er veröffentlichte neben „Kampf gegen die Hochfinanz“ eine Sammlung seiner Reden und vorherigen Publikationen, auch die antisemitische Hetzschrift „Die Juden“. In dieser vertritt er, wie auch schon in der 1923 publizierten Schrift „Der Deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage“, die These, dass die Juden nicht nur selbst für den Antisemitismus verantwortlich, sondern auch völlig entbehrlich für den deutschen Staat seien, da sie nur als Schmarotzer aufträten und nie arbeiten würden. Dazu führt er an, es seien keine Juden unter Handwerkerzünften bekannt und eingetragen, lässt jedoch unerwähnt, dass diese oft von den Handwerksberufen ausgeschlossen waren. Er beschreibt die Juden pauschal als gefährlich für den deutschen Staat, da sie beständig an seiner Unterwanderung und Zerstörung interessiert seien. Er bedient stereotype Vorurteile wie die, die Presse sei völlig in jüdischer bzw. „jüdisch-versippter“ Hand. Bereits im April 1934 endete seine politische Karriere, er wurde Honorarprofessor.

Angelika Benz

Manifesto della razza (Italien, 1938)

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Manifesto della razza (Italien, 1938) Am 14. Juli 1938 erschien in der italienischen Tageszeitung „Il Giornale d’Italia“ der anonyme Artikel „Il Fascismo e i problemi della razza“, der von der italienischen Presse aufgegriffen wurde. Sowohl im konventionellen als auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch war die Veröffentlichung bald als „Manifesto degli scienzati razzisti“ oder als „Manifesto della razza“ bekannt. Bereits 1936 begann das faschistische Regime mit der propagandistischen Vorbereitung einer offiziellen antisemitischen Politik. Das „Manifesto della razza“ wurde veröffentlicht, um zu zeigen, dass man von nun an eine rassistische Politik verfolge, um Juden aus der italienischen Mehrheitsgesellschaft auszugrenzen. In Form eines Dekalogs präsentierte das Manifest den Rassismus italienischer Machart. Es ging von der Ungleichheit verschiedener Rassen aus, behauptete das Bestehen einer wissenschaftlichen und biologisch fundierten Rassenlehre sowie die Existenz einer „razza italiana“ arischen Ursprungs. Vermischungen zwischen europäischen und außereuropäischen Rassen seien zu vermeiden. Juden galten als eine Rasse nicht europäischen Ursprungs, die mit den Italienern nichts gemein habe. Am 25. Juli 1938 veröffentlichte das „Giornale d’Italia“ einen Artikel des Parteisekretärs der faschistischen Partei, Achille Starace, in dem eine Erklärung zur Entstehungsgeschichte des Manifests abgegeben wurde. Zehn italienische Naturwissenschaftler – renommierte Professoren und junge Nachwuchswissenschaftler – hätten das Manifest unterzeichnet, weil sie die rassistischen Thesen darin befürworten würden. Wie es zu dieser Unterschriftenaktion kam, kann nicht mehr exakt rekonstruiert werden. Als gesichert gilt jedoch, dass der junge Anthropologe Guido Landra von Benito Mussolini im Februar 1938 beauftragt wurde, die Grundlagen der faschistischen Rassenpolitik zu verfassen. Die weiteren neun Wissenschaftler wurden nachträglich hinzugezogen, um die scheinbare Wissenschaftlichkeit dieser Politik zu untermauern. 1949 meldete sich der Mediziner Nicola Pende als einer der Unterzeichner des Rassenmanifests in einem apologetischen Artikel der Zeitschrift „Israel“ zu Wort und wies darauf hin, dass er und sein Kollege Sabato Visco von den faschistischen Machthabern zur Unterschrift gedrängt worden wären. Da Pende und Visco während des Faschismus nicht wirklich lautstark protestierten und die antisemitische Politik des faschistischen Regimes teilweise mittrugen, ist davon auszugehen, dass ihr Protest von einem akademischen Konkurrenzkampf herrührte. Die italienische Bevölkerung und der deutsche Bündnispartner waren ob der drastischen Ankündigungen im Manifest, mit denen Mussolini sein Bekenntnis zum Rassismus vollzog, erstaunt. Die nationalsozialistischen Machthaber nahmen diese Wende äußerst positiv auf, sodass man das faschistische Italien für kurze Zeit als potenziellen Partner einer gemeinsamen Rassenpolitik wahrnahm. Gleichzeitig betonte die deutsche Seite, sich nicht in die inneritalienische Situation einmischen zu wollen, um den Bündnispartner nicht zu verstimmen. Heute gilt das „Manifesto della razza“ als ein Meilenstein in Mussolinis Hinwendung zu einer offenen Rassenpolitik.

Kilian Bartikowski

Literatur Girogio Israel, Il Documento il Fascismo e i Problemi della Razza del luglio 1938, in: La Rassegna Mensile di Israel 73 (2007), 2, S. 103–118.

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Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud (Sayyid Qutb, 1950)

Roberto Maiocchi, Scienza italiana e razzismo fascista, Scandicci, Firenze 1999. Meir Michaelis, Mussolini and the Jews. German-Italian relations and the Jewish question in Italy, 1922–1945, London 1978. Michele Sarfatti, Gli ebrei nell’Italia fascista. Vicende identità persecuzione, zweite erweiterte Auflage, Turin 2007. Thomas Schlemmer, Hans Woller, Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), S. 165–200. Mario Toscano, Marcello Ricci: una testimonianza sulle origini del razzismo fascista, in: Storia Contemporanea 27 (1996), 5, S. 879–897.

Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud (Sayyid Qutb, 1950) Der 18 Seiten umfassende Essay „Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud“ [Unser Kampf mit den Juden] wurde 1950 in der Zeitschrift der ägyptischen Muslimbruderschaft AdDa‘wa erstmalig veröffentlicht. Sayyid Qutb (1906–1966) gilt als einer der einflussreichsten Ideologen des radikalen Islamismus. Von herausragender Bedeutung ist seine Schrift „Wegmarken“ (ma‘alim fi-l-tariq), die bis auf den heutigen Tag in dschihadistischen Strömungen rezipiert wird. „Unser Kampf mit den Juden“ gilt als einer der Schlüsseltexte des islamistischen Antisemitismus. Qutb synthetisiert in diesem Essay die antijüdischen und antisemitischen Narrative des europäischen Antisemitismus zu einer propagandawirksamen Version eines islamisierten Antisemitismus. Von zentraler Bedeutung ist in dieser Schrift die Behauptung, dass die Juden seit mehr als vierzehnhundert Jahren einen geradezu überzeitlichen Krieg gegen den Islam führten. Heute werde dieser Kampf von einer jüdischen Weltverschwörung geleitet, die unter anderem auch das Christentum dazu benutze, um dem Islam schweren Schaden zuzufügen. Darüber hinaus vertritt der Autor die Ansicht, dass die Juden als Vertreter eines „atheistischen Materialismus“ und einer „animalistischen Sexualität“ den Zerfall der Familie und intakter gesellschaftlicher Strukturen zu verantworten hätten. Die Verbindung von aus Europa stammenden antisemitischen Stereotypen mit Narrativen aus Koran und Hadith ist, anders als gelegentlich behauptet, keine originäre Leistung von Sayyid Qutb. Bereits der berühmte islamische Gelehrte Raschid Rida (1865–1935) veröffentlichte nach den Aufständen in Palästina von 1929 eine Reihe von Aufsätzen zur Palästinafrage, in denen eine allmächtige „jüdische Weltverschwörung“ behauptet wurde, die den Islam bedrohe. Zu Lebzeiten Qutbs fand der Aufsatz in den islamistischen Strömungen Ägyptens keine besondere Beachtung. Nach Emmanuell Sivan befassten sich die islamistischen Bewegungen der 1950er und frühen 1960er Jahre fast ausschließlich mit ihren eigenen inneren Angelegenheiten. Hauptziel war die Bildung einer islamischen Gesellschaft, deren Prinzipien aus einem idealisierten frühen Islam („islamische Ursprünglichkeit“) abgeleitet wurden. Nach Auffassung der Islamisten kam die größte Gefahr von innen. Der moderne Nationalstaat und die mit ihm verbundenen Ideologien wie Säkularismus, Nationalismus, Liberalismus, Konsumismus und Demokratie wurden als Hauptprobleme angesehen. Folglich bekleidete der nachkolonialistische islamische Staat den Rang des Hauptfeindes. Diese Sicht der Dinge vertrat auch Sayyid Qutb. Zwar

Marco Polo (Japan, 17. Januar 1995)

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widmete er den Juden immer wieder feindliche Kommentare, die er während seiner Inhaftierungszeit verfasste. Nach seiner Haftentlassung fokussierte er in seinen Aktivitäten jedoch vor allem Nassers (Gamal Abd an-Nasir, 1918–1970) „Heidentum“, das den Islam gefährde. Eine umfassende Revision der Feindbilder setzte erst nach dem verlorenen Krieg von 1967 ein. Innerhalb von nur sechs Tagen war es den israelischen Streitkräften gelungen, den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem zu besetzen. Nach Sivan war der erhebliche Verlust von islamischem Land selbst für den radikalen Kern der „Gefängnisgeneration“ ein Schock. Besonders schwer wog die Einnahme Ostjerusalems – nach Mekka und Medina die drittheiligste Stadt im Islam. Eine unmittelbare Kriegsfolge war das Wiedererstarken des Antisemitismus, der nun auch die Ideologie einiger islamistischer Bewegungen in einem erheblichen Ausmaß prägte. In diese Phase fällt die Wiederveröffentlichung von „Unser Kampf mit den Juden“ durch einen saudischen Verlag in Jedda, der 1970 mehrere Aufsätze von Qutb in einem kleinen Band herausgab. Erst ab diesem Zeitpunkt gab es von Qutbs antisemitischem Traktat eine nennenswerte Rezeption, die über die Grenzen Ägyptens hinausreichte. Wiederauflagen erfolgten im Verlag Dar al-Shuruq (Beirut/Kairo) 1980, 1983, 1988 und 1993. Mittlerweile ist die Aufsatzsammlung auch im Internet erhältlich.

Michael Kiefer

Literatur Sabine Damir-Geilsdorf, Herrschaft und Gesellschaft: Der islamistische Wegbereiter Sayyid Qutb und seine Rezeption, Würzburg 2003. Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations: A Muslim Fundamentalist`s View of the Jews, Oxford 1987. Sayyid Quţb, Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud, Bayrut, Al-Qahirah 1980. Emmanuell Sivan, Islamischer Fundamentalismus und Antisemitismus, in: Herbert A. Strauss, Werner Bergmann, Christhard Hoffmann (Hrsg.), Der Antisemitismus der Gegenwart, Frankfurt am Main, New York 1990, S. 84–101.

Marco Polo (Japan, 17. Januar 1995) „Marco Polo“ war eine Monatszeitschrift des Bungei Shunju Verlages in Tokio im Stile des „Esquire“ mit durchschnittlich 200.000 bis 250.000 verkauften Exemplaren und einer vornehmlich männlichen Käuferschaft im Alter von 30 bis 40 Jahren. Am 17. Januar 1995 veröffentlichte sie den wohl folgenreichsten antisemitischen Text der Nachkriegszeit in Japan: „Das größte Tabu der globalen Nachkriegsgeschichte: Es gab keine Nazi ‚Gaskammern’.“ Die Zeitschrift war nicht auf Boulevardjournalismus spezialisiert, sondern enthielt auch seriöse, gewissenhaft recherchierte Beiträge. Nur drei Jahre zuvor hatten die früheren Betreiber einen autobiografischen Bericht veröffentlicht, der sowohl die Lebensbedingungen im Konzentrationslager beschrieb, als auch den aktuellen Umgang der polnischen Regierung mit diesem Kapitel ihrer Vergangenheit kritisch behandelte. Vor diesem Hintergrund war die Veröffentlichung eines holocaustleugnenden Artikels, insbesondere im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des 50. Jahrestages der Auschwitzbefreiung, umso auffälliger.

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Nach Aussage der Herausgeber handelte es sich um eine Notlösung, da überraschend ein Text für die Februarausgabe gefehlt habe. Diese Erklärung wird von mehreren Forschern angezweifelt, vielmehr ist wirtschaftliches Kalkül zu vermuten: Skandalöse Geschichten steigern die Absatzzahlen. Selbst Redaktionsmitglieder antworteten im Nachhinein auf die Frage, warum sie Derartiges drucken ließen, dass es sich einfach gut verkaufe. Der Autor des Textes, Nishioka Masanori, besaß als Neurologe keinerlei historische Vorbildung. Seine Kenntnis von Auschwitz beschränkte sich auf die Teilnahme an Führungen. Er hatte bereits erfolglos verschiedene Verlage angeschrieben, ehe er sich an die Redaktion von „Marco Polo“ wandte. Auf knapp zehn Seiten fasste er die gängigen Theorien internationaler Holocaustleugner zusammen. Sein Manuskript enthielt weder Hinweise auf Primärquellen noch Augenzeugenberichte, sondern berief sich ausschließlich auf revisionistische Autoren wie Arthur Butz, Wilhelm und Paul Rassinier. Nishioka bestätigte zwar die Existenz der Konzentrationslager, leugnete aber zugleich jegliche Mordabsicht der Nationalsozialisten. Stattdessen behauptete er, es habe sich um Aufenthaltslager gehandelt und die „Endlösung“ sei nur eine groß angelegte Umsiedlungsaktion gewesen. Es habe auch keine Gaskammern gegeben. Die von den Alliierten vorgefundenen Toten seien nicht durch Gas ermordet worden, sondern Epidemien zum Opfer gefallen, die kurz vor Kriegsende in den Lagern grassiert hätten. Nishiokas Argumentationsweise folgte dem Vorbild anderer Holocaustleugner: Die Beweise für den Holocaust versuchte er entweder zu ignorieren oder durch absurde Vergleiche der Lächerlichkeit preiszugeben. Dennoch betonte Nishioka gegen Ende seines Textes, dass dieses „größte Trauerspiel des Jahrhunderts“ nicht vergessen werden dürfe und es daher gelte, „die Wahrheit zu enthüllen“. Aus diesem Grunde widme er diesen Zeitungsbericht auch „den in Auschwitz und an anderen Orten gestorbenen Juden“. Binnen weniger Stunden erreichten die ersten entrüsteten Reaktionen, u.a. der israelischen Botschaft, die Herausgeber von „Marco Polo“. Anfänglich verwies die Redaktion auf die Pressefreiheit und ignorierte weitere Beschwerden. Um sich dennoch Gehör zu verschaffen, wandten sich Mitglieder des Committee against Anti-Semitism in Japan, einem Zusammenschluss jüdischer Privatpersonen, an amerikanische Interessengruppen wie die Anti-Defamation League und das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles und baten um Intervention. Die Anti-Defamation League kontaktierte die Herausgeber und verlangte einen Widerruf in der nächsten Ausgabe, während das Simon Wiesenthal Center in einem Schreiben auf die antisemitische Natur des Artikels einging. Das Simon Wiesenthal Center faxte das Schreiben zusammen mit einer Übersetzung von Nishiokas Text an die Werbekunden von „Marco Polo“. Die angeschriebenen Firmen, darunter Volkswagen, Cartier und Mitsubishi Motors, reagierten prompt mit einem sofortigen Anzeigenboykott. Sie drohten damit, den Boykott auf alle Publikationen Bungei Shunjus auszuweiten und dem Verlag somit erhebliche finanzielle Einbußen zu bescheren, wenn die Verantwortlichen sich nicht zu dem Vorfall äußerten. Was danach geschah, sorgte für Schlagzeilen in fast allen japanischen Zeitungen und veranlasste mehrere Zeitschriften zu Sonderausgaben. Bungei Shunju entschuldigte sich am 27. Januar 1995 öffentlich für den Artikel. Alle noch unverkauften

Matze von Zion

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Exemplare würden zurückgerufen und „Marco Polo“ eingestellt. Am 2. Februar 1995 fand eine abschließende Pressekonferenz in Anwesenheit eines Vertreters des Simon Wiesenthal Centers statt. Wenig später traten sowohl der Herausgeber von „Marco Polo“ als auch der Firmenpräsident von Bungei Shunju zurück. Die Einstellung des Magazins und deren mögliche Hintergründe beschäftigten die Presse noch wochenlang. Unter anderem hieß es, die Verkaufszahlen „Marco Polos“ seien hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Auch hätte die Verlagsleitung eine Neuausrichtung Bungei Shunjus angestrebt und die Gelegenheit genutzt, um den bisherigen Präsidenten zu entmachten. Die Entscheidung, „Marco Polo“ einzustellen, überrumpelte selbst Kritiker des Artikels. Sie hatten ein derartiges Vorgehen nie gefordert und bedauerten die vertane Chance, antisemitische und holocaustleugnende Publikationen in Japan zu thematisieren und die Bevölkerung mithilfe von Pressekonferenzen oder Diskussionen für diese Vorgänge zu sensibilisieren. Stattdessen bewirkte die übereilte Schließung das Gegenteil. Sie leistete judenfeindlichen Vorurteilen Vorschub. Einige Reporter vermuteten sogar, dass das Ende „Marco Polos“ auf die „jüdische Macht über die Medien“ zurückzuführen sei und sich die Pressefreiheit Japans in Gefahr befände. Aber auch seriöse Journalisten und wissenschaftliche Beobachter zeigten sich besorgt über die Entwicklung. Im direkten Anschluss an die Vorkommnisse schrieben sie Beiträge in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, um darin über die Hintergründe aufzuklären. Sie befürchteten eine zukünftige Selbstzensur von Autoren bei Berichten über das Judentum oder den Nahostkonflikt und die Umdeutung Nishiokas zum Märtyrer durch antisemitische Akteure, die den Skandal um Marco Polo nutzen könnten, um ihre Vorstellungen einer „jüdischen Weltverschwörung“ zu untermauern. Tatsächlich bestand Nishioka auch weiterhin auf der Richtigkeit seiner Behauptungen. 1997 veröffentlichte er ein Buch, in dem er seine Sicht auf die Einstellung „Marco Polos“ darlegte und sein Repertoire um weitere antisemitische Unterstellungen ergänzte. Seit Bekanntwerden des „Marco Polo-Skandals“ erschienen aber auch wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dem Vorfall befassten. Deren Autoren sprachen sich vor allem für mehr Aufklärung über den Holocaust aus, um die Bevölkerung vor aktiven sowie zukünftigen Holocaustleugnern und Revisionisten zu schützen.

Miriam Bistrovic

Literatur Till Bastian, Yûji Ishida, Aushuwittsu to „aushuwittsu no uso“, Tokio 2005. Miriam Bistrovic, Antisemitismus und Philosemitismus in Japan. Entwicklungen und Tendenzen seit dem 19. Jahrhundert, Essen 2011. Adam Gamble, Takesato Watanabe, A Public Betrayed. An inside look at Japanese media atrocities and their warnings to the West, Washington D.C., Lanham 2004. David G. Goodman, Anti-Semitism in Japan. Its History and current Implications, in: Frank Dikötter (Hrsg.), The construction of racial identities in China and Japan. Historical and Contemporary Perspectives, London 1997, S. 177–198. Masanori Nishioka, Nachi „gasu shitsu“ wa nakatta, in: Marco Polo (1995), 2, S. 170–179. Masanori Nishioka, Aushuuittsu „gasu shitsu“ no shinjitsu, Tokio 1997.

Matze von Zion → Fatir Ziun

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Mein Beweis-Material gegen Jahwe

Der Mauscheljude (1879) Unter dem Begriff „mauscheln“ findet sich im Duden der Eintrag „jiddisch sprechen“ und „[heimlich] Vorteile aushandeln, Geschäfte machen“. Deutlich ist, dass mit dem Begriff negative Assoziationen einhergehen. Ursprünglich stammt das Wort aus dem Jiddischen. Das antisemitische Pamphlet „Der Mauscheljude“ trägt den Zusatz „Von einem deutschen Advokaten. Ein Volksbüchlein für deutsche Christen aller Bekenntnisse“ und erschien in zweiter Auflage 1879 in Paderborn in der Bonifacius-Druckerei, die auch für andere antisemitische Publikationen wie „Christenschutz – nicht Judenhatz“ (→ Nicht Judenhatz – aber Christenschutz) verantwortlich zeichnete. Der „Muscheljude“ ist geprägt von einem religiös motivierten Judenhass. Der Verfasser bleibt anonym und beschäftigt sich in der Schmähschrift mit einem bestimmten Typus des Juden, mit dem Mauscheljuden, den er von den „durch körperliche oder geistige Arbeit ehrenhaft sich und ihre Familie ernährenden Juden oder Semiten“ unterscheidet. Demzufolge seien Mauscheljuden eine „besondere Species der emanzipierten Juden“, die er u. a. charakterisiert als „frivol, frech und vorlaut“ und weiter als „arbeitsscheu und faul“. In fünf Kapiteln und deren Unterparagraphen versinnbildlicht der Autor die Gefahren, die vom Mauscheljuden ausgehen. Befehle wie „Wählet keinen Mauschel“, „Fort mit der Mauschel-Presse“ oder „Vor Allem von Mauschel kein Geld leihen!“ bedienen stereotype Vorstellungen von Juden und deren negative Charaktereigenschaften. Als „Zeugen“ für seine Ausführungen zieht er Dichter und Autoren wie Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Johann Gottfried Herder oder Arthur Schopenhauer heran. Letztlich sei es dem anonymen Autor zufolge das Ziel des Mauscheljuden, die Weltherrschaft zu übernehmen, was er aus dem Talmud zu belegen bemüht ist. Hier gibt es Parallelen zu antisemitischen Argumentationsketten aus dem Barockzeitalter. Insbesondere Ausdrücke aus der Wortfamilie „Mauscheln“ werden gebetsbuchartig wiederholt, um den Leser zu und von seinen Ausführungen zu überzeugen. Zudem unterscheidet der Autor noch verschiedene „Untertypen“: den großen oder den kleinen Mauschel, das internationale „Mauschelthum“ oder den „Preß-Mauschel“, als Kritik an der liberalen Presse. Die jahrhundertelange, gesellschaftliche Ausgrenzung von Juden wird in dieser Schmähschrift gegen sie benutzt, indem ihnen vorgeworfen wird, sie bildeten eine „eigene Art und wollen das bleiben“. Dies führt den Autor wiederum zu dem Schluss, es gäbe eine „Mauschel-Race“. Die Mittel, mit denen der Autor auf 39 Seiten argumentiert, sind denen der Nationalsozialisten äußerst ähnlich, mit denen sie ab den 1930er Jahren Juden ausgrenzten und verunglimpften und Rassenhass propagierten.

Verena Buser

Literatur Hans-Peter Althaus, Mauscheln. Ein Wort als Waffe, Berlin, New York 2002.

Mecklenburger Warte → Das Deutsche Tageblatt Meggendorfer Blätter → Fliegende Blätter Mein Beweis-Material gegen Jahwe → Der falsche Gott

Mein Kampf (Adolf Hitler, 1925/26)

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Mein Kampf (Adolf Hitler, 1925/26) Adolf Hitlers Hauptwerk „Mein Kampf“ wird heute in Deutschland als eine wirre „Hetzschrift“ abgetan, aus der in jeder Zeile das Böse spreche. Das wirft die Frage auf, warum viele Deutsche – und nicht nur Deutsche – dem darin formulierten antisemitischen Programm gefolgt sind. Vielleicht wäre das Buch und in der Folge das NS-Regime mit dem Verbrechen der Shoah der Welt erspart geblieben, wenn die Weimarer Republik mit dem Putschisten Adolf Hitler (1889–1945) konsequenter verfahren wäre, anstatt ihm Gelegenheit zu geben, seine rassistische Ideologie in eine publikationsreife Form zu bringen. Hitler und seine Anhänger hatten am 8./9. November 1923 in München den dilettantischen Versuch unternommen, die Macht in Bayern und im ganzen Reich mit Gewalt an sich zu reißen. Am 1. April 1924 wurde Hitler dafür zusammen mit drei Mitangeklagten vom Volksgericht unter dem Vorsitz des deutschnationalen Richters Georg Neidhardt zu fünf Jahren „Festungshaft“ verurteilt. Von denen musste er aber nur acht Monate in Landsberg/Lech unter Bedingungen absitzen, die es ihm erlaubten, von April bis Dezember 1924 den ersten Band von „Mein Kampf“ niederzuschreiben bzw. zu diktieren. Nationalsozialisten seiner Umgebung waren ratgebend, korrigierend und redigierend an der Produktion beteiligt, u. a. Rudolf Heß (1894–1987). Für den zweiten Band brauchten der Autor und seine Helfer in Freiheit länger. Anders als vom → Eher-Verlag und Hitler selbst behauptet, ist der Text in den zahlreichen Auflagen zwischen 1925/26 und 1944 nicht unverändert geblieben. Die Überarbeitungen waren allerdings im Wesentlichen stilistischer Art, nachträgliche inhaltliche Eingriffe waren selten und ephemer. „Mein Kampf“ kam zuerst 1925/26 in zwei Bänden (Bd. I: „Eine Abrechnung“, Bd. II: „Die nationalsozialistische Bewegung“), ab 1930 als ein Band im Verlag Franz Eher Nachf. (München) heraus. Der Eher-Verlag entwickelte sich nach 1933 unter der Leitung Max Amanns (1891–1957) zum beherrschenden Pressekonzern des NS-Regimes, musste aber in den 1920er Jahren vom NSDAP-Zentralorgan → „Völkischer Beobachter“ eingefahrene Verluste u. a. durch überschüssige Einnahmen aus den Erlösen des Bestsellers „Mein Kampf“ kompensieren. Der erlebte bis 1945 über tausend Auflagen mit einer Gesamtzahl von 12 bis 13 Millionen Exemplaren. Niemand wurde gezwungen, Hitlers Hauptwerk zu kaufen, und auch nicht alle Brautpaare bekamen es bei der Heirat geschenkt. Gemeinden, deren Standesämter diese Service-Leistung erbringen wollten, mussten das Buch beim Verlag zum vollen Festpreis kaufen, was längst nicht alle taten, besonders Großstädte nicht. Dank der üppigen Tantiemen aus dem Verkauf seines Buchs konnte Hitler glaubhaft und publicitywirksam behaupten lassen, auf sein Salär als Reichskanzler zu verzichten. Der Eher-Verlag hat bis zum Ende des NS-Regimes Rechte für Übersetzungen in etwa 15 Sprachen vergeben, u. a. sind seit den 1930er Jahren englische („My Struggle“), US-amerikanische („My Battle“), italienische („La mia vita/La mia battaglia“), spanische („Mi Lucha“), skandinavische („Min Kamp“), portugiesische („Minha Luta“) und ungarische („Harcom“) Versionen erschienen. Die alliierten Siegermächte haben den Eher-Verlag nach 1945 aufgelöst, Hitlers Vermögen einschließlich seiner Urheberrechte wurden durch Beschlüsse des Landgerichts München vom 15. Oktober 1948 und der Bezirksfinanzdirektion München vom

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26. Januar 1965 auf den Freistaat Bayern übertragen, in dessen Hauptstadt Hitler seinen privaten Wohnsitz und der Verlag seinen Standort gehabt hatte. Der bayerische Finanzminister hat vom Copyright an „Mein Kampf“ jedoch keinen positiven Gebrauch gemacht, weder aus ökonomischen Gründen noch um die Bevölkerung aufzuklären. Vielmehr blockiert er auf dieser privatrechtlichen Grundlage bis heute durch gerichtliche Maßnahmen sogar die Publikation kritisch kommentierter Auszüge, soweit das in seiner Macht steht. Das wird mit der Gemeinfreiheit des Werks 70 Jahre nach dem Tod des Autors ab 1. Januar 2016 nicht mehr möglich sein. Der erste Band des Buches „Mein Kampf“ sollte sich laut Vorwort mit Hitlers Werdegang befassen, der zweite die Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung und der NSDAP bis zum Staatsstreich von 1923 nachzeichnen. Tatsächlich handelt es sich, abgesehen von Lücken und Beschönigungen in den autobiografischen und zeitgeschichtlichen Darlegungen, um eine programmatische Schrift, an der sich die brutale und waghalsige Politik des NS-Regimes in ihren Grundzügen, teilweise auch in ihren strategischen und taktischen Details, bereits acht Jahre vor der Machtübergabe an Hitler ablesen ließ. Man verkennt die Verführungskraft des Buches, wenn man es als wirres, irrationales, kulturloses Sammelsurium abtut, dem es an Stringenz mangele. Zwar ist der Text in einer unbeholfenen, schwülstigen Sprache verfasst: nach bildungsbürgerlichen Stilnormen ein miserables Machwerk, das aber durchaus den Ton bildungsferner Schichten treffen mag. Jedoch mangelt es ihm, wie Barbara Zehnpfennig in einer Studie gezeigt hat, keineswegs an gedanklicher Geschlossenheit. Sofern man Hitlers barbarische Prämissen akzeptiert, erscheint vieles folgerichtig. In „Mein Kampf“ wird eine Verschwörungstheorie formuliert, und für Verschwörungstheorien ist immanente Unwiderleglichkeit charakteristisch. Hinzu kommt, dass Hitler im Rahmen seiner geschlossenen Ideenwelt Einzelfeststellungen trifft und partielle Überzeugungen äußert, die zur europäischen und besonders zur deutschen Kulturtradition gehören und deshalb bei vielen Lesern Zustimmung finden mussten. Aus beidem, der immanenten Folgerichtigkeit wie der Triftigkeit etlicher Details, erklären sich der Erfolg des Buchs beim Publikum und die Überzeugungskraft der NS-Ideologie. Fundamental für Hitlers politisches Programm ist der Judenhass. Ein Ansatz, der den Faschismus als notwendiges Stadium der bürgerlichen Entwicklung betrachtet, in der das durch Krisen in die Enge getriebene Kapital seine Verantwortung für die Verelendung der Massen auf austauschbare Sündenböcke projizieren muss, verharmlost den Nationalsozialismus. Für Hitler waren „die“ Juden nicht austauschbar, dass sie „unschädlich“ zu machen seien, war seine und seiner Anhänger tiefste Überzeugung. An „Mein Kampf“ wird deutlich: Die Nationalsozialisten dachten nicht in erster Linie zweckrational an die Erhaltung der eigenen Herrschaft, sondern sie haben an ihren Antisemitismus „fanatisch“, wie sie es selbst nannten, geglaubt. Der Romanist Victor Klemperer (1881–1960) hat in seiner „LTI“ („Lingua Tertii Imperii“) auf das hingewiesen, was den Antisemitismus der Nationalsozialisten von dem bis dahin in Europa verbreiteten Antisemitismus unterschied: Statt sich gegen eine Religionszugehörigkeit, also ein kulturelles Stigma zu richten, das durch Konfessionswechsel (Taufe) notfalls getilgt werden kann, gilt Hitlers Hass den Juden als Rasse. Indem er seinen Antisemitismus in eine biologistische Rassenlehre integriert,

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wird aus einem veränderbaren kulturellen Stigma ein als naturhaft und damit untilgbar gedachtes. Vor der barbarischen Kulisse der Theorie vom Überlebenskampf der Völker und Rassen um knappe Lebensmittel (Land), die der Autor gleich auf der ersten Seite seines Buches aufbaut und die er dann als selbstverständlich voraussetzt, bleibe der angeblich überlegenen „arischen“ Rasse deshalb nur die Möglichkeit, den Konkurrenten um die für beide unzureichenden Ressourcen physisch zu beseitigen. Von der vermeintlichen Notwendigkeit, sich der jüdischen Rasse blutig zu entledigen, ist in „Mein Kampf“ in einer Deutlichkeit die Rede, die im NS-Regime keine Zweifel daran lassen konnte, zu welchem Ende das in aller Öffentlichkeit vollzogene Ausgrenzen und Enteignen der jüdischen Bevölkerung führen sollte. Klemperer hat Gründlichkeit, Konsequenz und Systematik als Spezifika des nationalsozialistischen Antisemitismus erkannt, die in der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte ihre Wurzeln haben. Die immanente Folgerichtigkeit der antisemitischen Verschwörungstheorie in „Mein Kampf“, die gerade in Deutschland mit seiner Tradition der idealistischen Philosophie einen Teil der Überzeugungskraft des Buches ausmacht, wird z. B. deutlich, wenn man anhand des Textes dem scheinbaren Widerspruch nachgeht, wie Hitler „die“ Juden gleichzeitig für den Kapitalismus und den Bolschewismus verantwortlich machen konnte. Die Antwort, die sein Buch auf die Frage nahelegt, wie trotz der Gegnerschaft zwischen diesen Systemen z. B. die AntiHitler-Koalition zwischen den USA und der UdSSR möglich war, ist von einer Frappanz, die für Verschwörungstheorien typisch ist: Die Haupteigenschaft der Juden, so Hitler, sei ihre Anpassungsfähigkeit. Sie schlichen sich in jedes System ein und höhlten es im Interesse der von ihnen angestrebten jüdischen Weltherrschaft von innen aus. Neben der immanenten Folgerichtigkeit der Grundideen streut Hitler bewusst oder unbewusst Details in den Text, die aus der Kulturtradition der Leserschaft stammen und mit ihren Denkweisen korrespondieren. Dass er behauptet, den Judenhass nicht anerzogen bekommen, sondern erst allmählich aufgrund eigener Alltagserfahrung und Beobachtung selbst herausgebildet zu haben, korrespondiert mit dem empirischen Wahrheitsbegriff der europäischen Moderne. Was Hitler in „Mein Kampf“ über Presse und Propaganda schreibt, entspricht weitgehend den Erkenntnissen späterer empirischer Massenkommunikationsforschung, z. B. der Lehre vom USP („unique selling proposition“), die bei ihm Mitte der 1920er Jahre nur noch nicht so heißt. Dass er sich über karitative „Humanitätsduselei“ lustig macht und mit Emphase vertritt, man müsse soziales Elend an seinen Ursachen bekämpfen, passt zur antipragmatischen Radikalität des deutschen Idealismus und seiner sozialistischen Abkömmlinge. Hitlers Plädoyer für gründliches Bücherlesen kommt bildungsbürgerlicher Statusorientierung entgegen. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Nicht zuletzt nutzt Hitler die Muster christlicher Eschatologie, auf die seine profane Selbstvergöttlichung anspielt. All das war geeignet, dem Publikum den rassistischen Antisemitismus und seine brutalen Konsequenzen schmackhaft zu machen. Das ist zweifellos in beträchtlichem Maße gelungen. „Mein Kampf“ hat dazu beigetragen, die NS-Ideologie in die Köpfe (nicht nur) der Deutschen zu pflanzen und das NS-Regime auf legalem Wege durch Wahlen und Abstimmungen zu installieren. Das wäre ohne breite Zustimmung zum nationalsozialistischen Programm, wie es in

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„Mein Kampf“ formuliert wird, nicht denkbar gewesen. Selbst die flüchtigsten unter den Millionen von Besitzern des Buchs, die vielleicht nur die erste Seite des Textes überflogen haben, werden später nicht glaubhaft behaupten können, von den verbrecherischen Absichten der Nationalsozialisten nichts gewusst oder wenigstens geahnt zu haben. Schwieriger ist die Frage, welche Folgen es (gehabt) hat, dass der Freistaat Bayern einen breiten Zugang zu Hitlers Buch in Deutschland seit Jahrzehnten blockiert. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss (1884–1963) hat bereits 1959 gefordert, alle sollten durch eine wohlfeile kommentierte Ausgabe die Möglichkeit bekommen, an Hitlers Hauptwerk zu lernen, wie Nationalsozialisten dachten und handelten. „Ein besseres Mittel gegen eine Renaissance Hitlerischer Vorstellungen als ‚Mein Kampf’“, so meinte Heuss, könne es kaum geben. Das mag in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland verfrüht gewesen sein, in der die Öffentlichkeit noch wenig darüber informiert war, zu welchen Ungeheuerlichkeiten die NS-Ideologie geführt hatte. Spätestens seit der breiten Aufklärung über die Shoah, nicht zuletzt durch den Eichmann- und den Auschwitz-Prozess sowie die intensive Medienberichterstattung darüber in den 1960er Jahren, ist jedoch anzunehmen, dass die Verbannung des Textes in wissenschaftliche Bibliotheken, unter die Ladentische von Militaria-Trödlern und neuerdings ins Internet zur Tabuisierung dessen beigetragen hat, was viele normale Deutsche zum Mitmachen im NS-Regime verführte und welche Untaten daraus resultieren können. Warum traut man ausgerechnet den Deutschen, die am meisten Grund haben, an Hitler zu lernen, einen verständigen Umgang mit seiner Ideologie nicht zu? Es steht zu befürchten, dass es einen unheilvollen Schock auslösen wird, wenn „Mein Kampf“ 2016 als Taschenbuch auf den Markt kommt und die Leser merken, dass es nicht nur die krude Hetzschrift ist, die sie erwartet haben. Für eine nachhaltige Verarbeitung der NS-Vergangenheit ist es kontraproduktiv, die verführerischen Seiten von Hitlers Text und Denkweise auszublenden. Es kommt vielmehr darauf an, auch diesen Aspekten offen ins Auge zu blicken, wenn sie ihre Verführungskraft nicht wieder entfalten sollen. Dazu ist es erforderlich, auf den barbarischen, Jahrtausende Kulturentwicklung leugnenden Rahmen hinzuweisen, in den die plausibel erscheinenden Komponenten eingebettet sind. Und es ist notwendig, ein konkretes und genaues Bewusstsein zu entwickeln, wo die plausiblen, an die europäische Kulturtradition anknüpfenden Argumente in Hitlers Werk ins Falsche, Wertlose und Verbrecherische umschlagen. Beides erfordert, dass viele das Buch kritisch und genau lesen – anders als die Leser der l920er und 1930er Jahre in voller Kenntnis dessen, was daraus folgte.

Horst Pöttker

Literatur Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Stuttgart 1975 [zuerst 1947]. Werner Maser, Adolf Hitlers Mein Kampf. Geschichte – Auszüge – Kommentare, Esslingen 1966. Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1945, München 2006.

Miesbacher Anzeiger (1875–1945)

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Horst Pöttker, Das unlesbare Buch. Teil I: Autobiographie, Hamburg 2012 [Beilage zur Edition „Zeitungszeugen“]. Barbara Zehnpfennig, Adolf Hitler: Mein Kampf. Eine Interpretation, Paderborn 2006. Christian Zentner, Adolf Hitlers Mein Kampf. Eine kommentierte Auswahl, München 1974.

Miesbacher Anzeiger (1875–1945) Der „Miesbacher Anzeiger“, 1874 vom lokalen Buchdrucker der oberbayerischen Kreisstadt gegründet, erschien seit 1904 täglich und vertrat bis etwa 1900 liberale, dann konservative Positionen. 1919 verpachtete die Witwe des Herausgebers, Kreszenz Mayr, das Blatt an den Redakteur Klaus Eck (1881–1929), der es bis Juli 1922 leitete. Eck stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, war Holzknecht und Landarbeiter gewesen, ehe er als Autodidakt 1909 in die Redaktion des „Miesbacher Anzeigers“ eintrat. Politisch gehörte Eck ursprünglich zur Bayerischen Volkspartei, und zwar zum extrem föderalistischen und reaktionären Flügel. Eck brachte den „Miesbacher Anzeiger“ auf Rechtskurs mit antisozialistischer und antisemitischer Tendenz. Das unter bayerischen Kleinbürgern und Bürgern weitverbreitete Trauma der Novemberrevolution 1918 und der Wirren der Münchner Räterepublik 1919 wurde durch die Beschwörung bayerischer Eigenart unter Verurteilung fremder Einflüsse – Kommunismus und Sozialismus und des Judentums – bestätigt durch Schuldzuweisungen an die Berliner Reichsregierung wegen ihrer republikanischen, demokratischen und zentralistischen Positionen. Prominenter, wenngleich anonymer Autor des „Miesbacher Anzeigers“ war der Schriftsteller Ludwig Thoma. Von Juli 1920 bis August 1921 veröffentlichte der „Miesbacher Anzeiger“ 149 anonyme Artikel Thomas (und einige wenige weitere, die der Autor mit seinem Namen zeichnete), in denen er grobschlächtig und beleidigend seine im Ersten Weltkrieg vom liberalen Zeitkritiker zum reaktionären Chauvinisten gewandelte Gesinnung verkündete. Die Beleidigung republikanischer Politiker wie Erzberger, Geßler oder Rathenau und der Sozialdemokratie in toto bildete meist in Verbindung mit antisemitischen Stereotypen das Repertoire. Die Nationalfarben der Weimarer Republik wurden von Thoma im „Miesbacher Anzeiger“ als „SchabbesFlagge“ denunziert. Eine „systematische Hetze der jüdischen Presse“ war unterstellt, und Ostjuden wurden generell in pejorativen Zusammenhang (Unsauberkeit, Schachermentalität usw.) gebracht. Berlin, hieß es in der Steigerung von antipreußischem Affekt und Judenhass, sei eine „Mischung von galizischem Judennest und New Yorker Verbrecherviertel“. In derber Polemik, die vor Obszönitäten nicht zurückschreckte, griff Thoma Demokraten und Republikaner und vor allem jüdische Intellektuelle und Politiker an, beschwor bayerische Wesensart und die „gute alte Zeit“, empfahl gewalttätiges Brauchtum als Heilmittel gegen die ungeliebten neuen Zustände. So brüstete sich Thoma in einem Artikel „Anti-arisch“ im April 1921 mit einer Satire gegen den ermordeten jüdischen Ministerpräsidenten Bayerns „der Hinrichtung des Eisner“, in einem anderen beschimpfte er den Berliner Zeitungsverleger Rudolf Mosse mit den Worten, er und seinesgleichen seien „aus den galizischen Judenvierteln, wo man stinkenden Mist in Wohnlöchern züchtet“, eingewandert. Jüdische Intellektuelle und Politiker wie Maxi-

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milian Harden, Siegfried Jacobsohn, Karl Kraus, Erich Mühsam, Béla Kun hätten „das Feuer des Rassenhasses“ angefacht, sie seien die Brandstifter. Thoma behauptete, „das Berliner Tageblatt züchtet an einem Tag mehr Antisemitismus als die Hakenkreuze an jeder Straßenecke“ (Artikel „Antisemitismus“ vom 17. Juli 1920). Die Identität des Verfassers der judenfeindlichen Hass-Tiraden war ein offenes Geheimnis. Ludwig Thoma, der sich außerhalb des „Miesbacher Anzeigers“ nie antisemitisch äußerte, dementierte seine Verfasserschaft, und in Gerichtsverfahren bekannte sich deshalb der Redakteur Eck als Autor der inkriminierten Artikel. Die Auflage wurde durch die antisemitischen Tiraden Thomas erheblich gesteigert. Die normale Auflage bis zum Ende des Ersten Weltkriegs betrug 4 – 5.000 Exemplare. In den Jahren 1920 bis 1923 stieg die Auflage auf etwa 18.000, das Blatt wurde auch überregional wahrgenommen, gekauft und zitiert. Die Wirkung des „Miesbacher Anzeigers“ beruhte vor allem auf den politischen Streitigkeiten zwischen Bayern und dem Reich mit dem Höhepunkt im Herbst 1923, in denen schlichte und pauschale Schuldzuweisungen für alle politischen Folgen des verlorenen Weltkriegs und der neuen Zustände an Sozialisten und Juden Konjunktur hatten. Danach sank die Bedeutung des Blattes wieder auf das Niveau einer anspruchslosen Heimatzeitung in der oberbayerischen Provinz.

Wolfgang Benz

Literatur Ludwig Thoma, Sämtliche Beiträge aus dem „Miesbacher Anzeiger“ 1920/21. Kritisch ediert und kommentiert von Wilhelm Volkert, München 1989.

Miroir → Le Goglu

Mit brennender Sorge (Papst Pius XI., 1937) Die Enzyklika „Mit brennender Sorge – Über die Lage der Katholischen Kirche im Deutschen Reich“, gemäß der kirchlichen Sprachregelung nach den Eingangsworten benannt, wurde von Papst Pius XI. am 21. März 1937 veröffentlicht; sie richtet sich gegen die Verletzungen des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 und die kirchenfeindlichen Aktionen der Nationalsozialisten. Darüber hinaus erfolgt eine Auseinandersetzung mit den ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus, sodass diese Enzyklika als Ergänzung zu der am 19. März veröffentlichten „Divini redemptoris“, in der der Papst den atheistischen Kommunismus verurteilte, gelten kann. Die Initiative zu dem päpstlichen Schreiben, das die einzige in deutscher Sprache abgefasste Enzyklika ist, ging von Graf von Galen, Bischof von Münster, aus, der in einem Schreiben die Meinung vertrat, dass die Situation der Kirche im Deutschen Reich ein öffentliches Eintreten erfordere. Nachdem sich die Mehrzahl der deutschen Bischöfe dieser Analyse angeschlossen hatte, reiste eine Gruppe von Kardinälen, Faulhaber (München-Freising), Bertram (Breslau), Schulte (Köln), und Bischöfen, Graf von Galen (Münster) und Graf von Preysing (Berlin), nach Rom und nahm Gespräche mit dem Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli auf. Kardinal Faulhaber verfasste den Entwurf für den Text, der insbesondere im politischen Teil von Pacelli ergänzt und überarbeitet wurde. Weiterhin floss Material aus der vatikanischen Untersu-

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chung von Hitlers → „Mein Kampf“ ein. Nachdem das Heilige Offizium Alfred Rosenbergs → „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ am 7. Februar 1934 auf den Index gesetzt hatte, war eine Kommission mit der Prüfung des Hitlerschen Buches befasst und hatte Ergebnisse vorgelegt, die übernommen wurden. Das päpstliche Schreiben ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil ist politisch orientiert und zeigt ohne Namensnennung das antikirchliche Verhalten des Staates und seiner Teilorganisationen auf. Sein zentrales Urteil spricht von einem „Vernichtungskampf“ gegen die Kirche. Der zweite Teil kann als Darstellung des katholischen Glaubens nach seinen Hauptartikeln, Gotteslehre, Christologie und Ekklesiologie, in Abgrenzung von der nationalsozialistischen Ideologie gelesen werden. Der dritte Teil richtet sich an die Katholiken im Deutschen Reich und fordert sie auf, am Katholizismus festzuhalten. Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus geschieht im theologischen Teil. Die Rasse als normative Größe wird als der Gotteslehre und dem Naturgesetz widersprechende Konstruktion verworfen; dabei überwiegt in der Argumentation die Wahrnehmung des nationalsozialistischen Rassismus als Bestandteil eines pseudoreligiösen Systems, das mit dem Katholizismus unvereinbar ist: „Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat, oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung – die innerhalb der irdischen Ordnung einen wesentlichen und ehrengebietenden Platz behaupten – aus dieser ihrer irdischen Wertskala herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge. Ein solcher ist weit von wahrem Gottesglauben und einer solchem Glauben entsprechenden Lebensauffassung entfernt.“ Allerdings wird den Katholiken nicht erklärt, wie sie in einem Staat als Katholiken leben und sich verhalten sollen, der eben fern vom Gottesglauben ist und all das tut und durchsetzt, was in der Enzyklika verworfen wird. Anders als in der Enzyklika zum Kommunismus fehlt das ausdrückliche Verbot der Kollaboration. Obwohl sich die Lage der Katholischen Kirche im Reich nicht verbesserte und die Ideologie der Nationalsozialisten weiterhin in öffentlichen Verbrechen realisiert wurde, gab es nach der Enzyklika keine weiteren Konsequenzen und keine weitere öffentliche Erklärung zur Lage der Kirche. Nicht nur, aber auch deswegen ist ihre Bewertung in der Geschichtsschreibung umstritten.

Rainer Kampling

Literatur Holger Arning, Die Macht des Heils und das Unheil der Macht. Die Diskurse von Katholizismus und Nationalsozialismus im Jahr 1934 – eine exemplarische Zeitschriftenanalyse, Paderborn 2008. Thomas Brechenmacher, Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ als Höhe- und Wendepunkt der päpstlichen Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland, in: Wolfram Pyta u. a. (Hrsg.). Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918–1943/45, Tübingen 2009, S. 271–300. Heinz-Albert Raem, Pius XI. und der Nationalsozialismus. Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937, Paderborn 1979. Hubert Wolf, Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (2005), S. 1– 42.

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Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus (1891–1933)

Hubert Wolf, „Wechsel in der Kampftaktik?“ 75 Jahre nach Erscheinen der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in: Stimmen der Zeit 137 (2012), S. 241–252.

Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus (1891–1933) Der 1890 aus dem liberalen Bürgertum hervorgegangene Verein war gegründet worden, um der aufkommenden Judenfeindschaft in Staat und Gesellschaft entgegenzuwirken. Im Fokus der Arbeit stand die Aufklärung der Öffentlichkeit, die – neben Flugschriften und Broschüren – vor allem durch das Zentralorgan des Vereins, die „Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ erreicht werden sollte. Im Vorwort der ersten Ausgabe vom 21. Oktober 1891 ist das Ziel deutlich formuliert: „Mit den Waffen der Wahrheit und Thatsachen wollen wir unsere Gegner bekämpfen und ihren, nach unserer festen Überzeugung für das Vaterland verderblichen Bestrebungen entgegentreten. Nicht darauf kommt es an, die Gegner persönlich anzugreifen, sondern die innere Unwahrheit ihrer Bestrebungen und die Gefahr ihrer hetzerischen Agitationen darzuthun.“ Die „Mitteilungen“ wurden von 1891 bis 1933, seit 1925 unter dem prägnanteren Titel „Abwehrblätter“, herausgegeben. Waren sie zunächst noch ein regelmäßiges Presseerzeugnis – sie erschienen erst wöchentlich, ab 1911 zweiwöchentlich und ab 1923 in Doppelausgaben monatlich – kommen die späten Jahrgänge kaum noch auf ein Dutzend Nummern, der letzte schließlich noch auf drei. In der vom Berliner Hauptbüro des Abwehrvereins erstellten Publikation, die sich der Mitgliederstruktur entsprechend hauptsächlich an das liberale Bürgertum richtete, finden in erster Linie antisemitische Vorfälle und politische Strömungen in Deutschland Beachtung. Doch wird auch über das europäische Ausland und – in geringerem Maße bzw. nur vereinzelt – über Afrika, Amerika und Asien berichtet. Darüber hinaus druckten die „Mitteilungen“ neben vielem anderen auch Informationen über das jüdische Leben in Deutschland, Auszüge aus Reichstagsdebatten, Neuigkeiten „aus dem antisemitischen Lager“, Meldungen über Antisemitismus an Schulen und Universitäten, Kritiken anderer Zeitungen an den „Mitteilungen“ sowie – in limitiertem Umfang – auch Vereinsinterna wie z. B. Berichte von Mitgliederversammlungen. In der Oktoberausgabe von 1925 wurde schließlich auch der erste Band von Hitlers → „Mein Kampf“ ausführlich besprochen, wenn auch das abschließende Urteil des Rezensenten von der Geschichte überholt wurde: „Man legt Hitlers Buch mit einem Gefühl der Befriedigung beiseite: Solange die völkische Bewegung keine anderen Führer an ihre Spitze zu stellen weiß, solange werden noch manche Wasser ins Meer fließen, bis sie im Land der Dichter und Denker siegen wird.“ Um die Reichweite der „Mitteilungen“ zu vergrößern, war es von den Herausgebern ausdrücklich erwünscht, dass andere Zeitungen sämtliche Artikel auch ohne entsprechende Quellenangabe übernehmen konnten, was das Vereinsorgan zu einer entscheidenden Quelle für den liberalen Teil der deutschen Presselandschaft machte (Wyrwa/Suchy). Kostenlose Exemplare wurden auch an Universitäten und Bibliotheken sowie ausgewählte Personen des öffentlichen Lebens verteilt. Trotzdem blieb ihr Wirkungsbereich als Medium zur Aufklärung der breiten Öffentlichkeit begrenzt. Für

Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur (1929–1931)

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eine Zeitschrift, die sich bewusst von den Methoden ihrer Gegner unterschied und sich einer gemäßigteren Sprache bediente, war es in Zeiten moderner Massenpropaganda während der Weimarer Republik schwer, mit der reißerischen und ungehemmten Agitation von Antisemiten zu konkurrieren, zumal sich die Leserschaft ohnehin hauptsächlich aus Personen zusammensetzte, die sich bereits für die Thematik interessierten und den sich ausbreitenden Antisemitismus als Problem wahrnahmen. Um neue, über den angestammten Kreis hinausgehende Leserschichten zu gewinnen, waren die „Mitteilungen“ anscheinend nicht offensiv genug (Zeiß-Horbach). Genaue Aussagen über die Auflagenstärke einzelner Jahrgänge sind schwer. Die Forschung zeichnet ein schwankendes Bild und nennt für die Jahre von 1915 bis 1930 eine Zahl von 10.000 bis 50.000 Exemplaren, mit Ausnahme des Jahres 1929, in dem 350.000 Ausgaben erschienen. Problematisch war zu jeder Zeit die Finanzierung der „Mitteilungen“, deren Einnahmen durch Abonnements 1897 60 Prozent der Herstellungskosten deckten, wobei 1893 weniger als die Hälfte der rund 13.000 Mitglieder die Zeitschrift regelmäßig bezog. Am 3. März 1933 – wenige Wochen vor der Selbstauflösung des Vereins – erschien die letzte Ausgabe der „Abwehrblätter“.

Jan-Philipp Pomplun

Literatur Barbara Suchy, The Verein zur Abwehr des Antisemitismus, in: Leo Baeck Institue Yearbook 28 (1983), S. 205–239 und 30 (1985), S. 67–103. Ulrich Wyrwa, Die Reaktion des deutschen Judentums auf den Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich: Eine Rekapitulation, in: Einspruch und Abwehr. Die Reaktion des europäischen Judentums auf die Entstehung des Antisemitismus (1879–1914), Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts, Frankfurt, New York 2010, S. 25–42. Auguste Zeiß-Horbach, Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Zum Verhältnis von Protestantismus und Judentum im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Leipzig 2008.

Mitteilungen des Alldeutschen Verbandes → Alldeutsche Blätter

Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur (1929–1931) Die „Mitteilungen“ waren das Nachrichtenblatt des Kampfbundes für deutsche Kultur (KfdK). Die von Alfred Rosenberg im Auftrag Hitlers Anfang 1929 gegründete und geleitete Organisation trat nicht als offizielle Gliederung der NSDAP auf, um möglichst breit bildungsbürgerliche Kreise erreichen zu können. Der KfdK beklagte „den modernen Kulturverfall“ und bekämpfte die atonale Musik, den Jazz, die moderne bildende Kunst, das Zeittheater sowie grundsätzlich alle Künstler ausländischer und vor allem jüdischer Abstammung. Zwar blieb die Mitgliederzahl des KfdK ebenso wie sein gestaltender Einfluss auf das Kulturleben überschaubar – allerdings trug er erheblich zur Ablehnung der kulturellen Moderne bei. Die „Mitteilungen“ dienten dem KfdK, um einerseits die „geistige Verbindung zwischen den Mitgliedern herzustellen“, und um andererseits bei Interessenten für seine Ziele zu werben. Im Januarheft 1929 veröffentlichte der Kampfbund seinen Gründungsaufruf: „Die Zeit ist gekommen, da es gilt, der feindlichen Front eine eigene

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Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur (1929–1931)

Front gegenüberzustellen.“ Um die Zerstörung der Kultur aufzuhalten, sei der „Zusammenschluß aller Kräfte des schöpferischen Deutschtums“ notwendig. Daher beabsichtige er die Aufklärung des deutschen Volkes „über Zusammenhänge zwischen Rasse, Kunst und Wissenschaft, sittlichen und willenhaften Werten“. Unterzeichner waren 60 Personen des öffentlichen Lebens, unter anderem der Literaturkritiker Adolf Bartels, die Verleger Hugo und Elsa Bruckmann sowie J. F. Lehmann, Richard Wagners Tochter Eva Chamberlain, Alfred Rosenberg und der Architekt Paul SchultzeNaumburg; es handelte sich fast ausnahmslos um Akademiker, die Mehrzahl von ihnen waren Professoren. In der Rubrik „Zeichen der Zeit“ wollte die von Rosenberg geleitete Redaktion der „Mitteilungen“ das Augenmerk „unserer Mitkämpfer auf die typischen Erscheinungen des heutigen Lebens lenken, um urkundlich darzutun, wie weit die Dinge gediehen sind“ – und polemisierte hierin unablässig gegen die Weimarer Kultur, deren Repräsentanten – vor allem gegen alle jüdischen Künstler – und internationalen Verflechtungen: Die „geldkräftigen Internationalen“ hielten eng zusammen, weshalb etwa Thomas Mann, Ernst Toller, Jakob Wassermann und Lion Feuchtwanger in viele Sprachen übersetzt würden; ihnen allen sprach der KfdK aber das Deutschtum und damit auch ihren Werken die Bezeichnung „deutsche“ Literatur ab. Eine Hauptzielscheibe der „Mitteilungen“ war 1929 zunächst Emil Ludwig, den die Mitarbeiter des Blattes – wie etwa Joseph Goebbels auch – konsequent unter Hinzufügung seines ursprünglichen Familiennamens „Cohn“ erwähnten. Der KfdK sprach Ludwig aufgrund dessen Selbstcharakterisierung (er hatte sich als weltoffen, nicht an eine Weltanschauung gebunden, Pazifist, Europäer, partei- und konfessionslos bezeichnet) die Befähigung ab, etwa das Wesen Bismarcks zu verstehen und diesen in einer Biographie beschreiben zu können. Ludwig werde von der „internationalen deutschfeindlichen Presse befürwortet“; dies sei begreiflich, da dieser „‚deutsche’ Historiker der antigermanischen Arbeit vorzüglich in die Hände arbeitet“. Kurz darauf monierte man das „bolschewistische Bekenntnis Emil Ludwig (Cohns)“. Weiteres Augenmerk der „Mitteilungen“ galt der Entwicklung der deutschen Bühnen. Obgleich formell unabhängig, pflegte man dabei unverhohlen den Schulterschluss mit der NSDAP. Als Hitler im April 1929 auf zwei Kundgebungen gegen die Ernennung Max Reinhardts zum Leiter geplanter Theaterfestspiele in München agitierte, griffen die „Mitteilungen“ dies auf: Die geplante Verpflichtung Reinhardts (der eigentlich Goldmann heiße) sei ein weiteres „Kapitel ‚kulturelle[n] Niedergang[s]’“. Zwar habe der bayerische Kultusminister Franz Xaver Goldenberger versucht, die Staatstheater vor „fremdem Kunstwillen“ zu schützen, sei aber durch Landtag, Stadtrat und Brauereivertretungen überstimmt worden. Der „Reinhardt-Kultus“ bestehe, obwohl dieser nichts Deutsches spiele. Hieran knüpfte Rosenberg in einem in den „Mitteilungen“ wiedergegebenen Vortrag über die „Sumpfkultur“ an, in dem es hieß, Reinhardt sei in „Berlin bereits zur Herrschaft“ gelangt. Rosenberg leitete daraus für München die Aufgabe ab: „Für Gestalt gegen das Chaos.“ Das Verbandsblatt urteilte schließlich auch über Walter Mehrings umstrittenes Drama „Der Kaufmann von Berlin“ kurz und bündig: „Dreck! Weg damit!“ Das Werk zeige, „wie tief die heutige Gesellschaft gesunken ist.“ Und Dr. Walter Stang, seit Anfang August 1930 Leiter des „Dramaturgischen Büros“ des KfdK in München, ereiferte sich in den „Mitteilungen“

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darüber, dass Theater nur noch als Wirtschaftsunternehmen behandelt würden – was sich wiederum gegen Reinhardt und vermutlich insbesondere gegen Alfred und Fritz Rotter richtete. Im Theater der Demokratie stehe, so Stang, der „Durchschnittsmensch“ im Mittelpunkt, das Kranke und Schwache; Ziel des Bolschewismus sei die Entwurzelung und Seelenlosigkeit des Menschen, und auf diesem Weg befinde sich das deutsche Theater. Eindeutig bezogen die „Mitteilungen“ Stellung, als sie den berüchtigten, vom thüringischen NSDAP-Volksbildungsminister Wilhelm Frick verantworteten Erlass „Wider die Negerkultur – für deutsches Volkstum“ vom 5. April 1930 begrüßten: „Es ist das erstemal seit 1918, daß von amtlicher Seite etwas gegen die rassisch-seelische Zersetzung unternommen wird. Gerade zu dieser Zeit, da in Thüringen ein deutscher Kulturwille aktiven Ausdruck findet, gastiert in Berlin unter dem Jubel der ‚großen’ Asphaltpresse der von Reinhardt (Goldmann) eingeschleppte Negersänger Paul Robeson im sog. Deutschen Künstlertheater!“ In ihrer „Buch- und Zeitschriftenschau“ wiesen die „Mitteilungen“ regelmäßig auf einschlägige Publikationen aus dem völkischen Lager hin. Die Rubrik „An unsere Mitglieder und Freunde“ hingegen bot nicht nur Hinweise auf eigene Veranstaltungen, sondern registrierte auch das Echo auf die Tätigkeit des KfdK, wobei ablehnende Reaktionen mitunter zu drastischen Polemiken führten. Als die „Frankfurter Zeitung“ den Kampfbund als „nichts anderes als eine auf kulturell frisierte SA der Nationalsozialisten“ bezeichnete, nahmen die „Mitteilungen“ dies zur Kenntnis. Heftiger reagierte man auf einen Artikel im „Berliner Tageblatt“, in dem der Münchner Universität der Vorwurf gemacht wurde, Räumlichkeiten für KfdK-Veranstaltungen zur Verfügung gestellt zu haben. Die „Mitteilungen“ echauffierten sich über die „Unverfrorenheit der Zeitung des Ruben Moses (Rudolf Mosse)“, gegenüber einer deutschen Hochschule derart anmaßend aufzutreten. Ab Januar 1929 erschienen die „Mitteilungen“ zunächst monatlich, seit Juni 1929 – vermutlich aus Kostengründen – bereits unregelmäßig. Nach einer Halbjahresnummer (Juli bis Dezember 1931) stellte der KfdK das Blatt ein. Informationen zu dessen Auflagenhöhe liegen nicht vor. Nachfolgerin der „Mitteilungen“ war die von Hans Hinkel, dem Berliner Landesleiter des KfdK, ab Oktober 1932 zunächst für „Groß-Berlin“ herausgegebene, zwei Monate später von Rosenberg aber schließlich als Zeitschrift für den gesamten Kampfbund anerkannte „Deutsche Kultur-Wacht“. Diese erschien bis Dezember 1933.

Jörg Osterloh

Literatur Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Mit einem bibliographischen Essay von Stephan Lehnstaedt, München 2006². Jürgen Gimmel, Die politische Organisation kulturellen Ressentiments. Der „Kampfbund für Deutsche Kultur“ und das bildungsbürgerliche Unbehagen an der Moderne, Münster, Hamburg, London 2001. Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005. Alan Steinweis, Weimar Culture and the Rise of National Socialism. The „Kampfbund für deutsche Kultur“, in: Central European History 24 (1991), S. 402–423.

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Mitteilungen über die Judenfrage (1937–1943)

Mitteilungen über die Judenfrage (1937–1943) Das 1934 gegründete und in Berlin ansässige Institut zum Studium der Judenfrage, das nach außen hin vorgab, „unabhängig von staatlichen oder propagandistischen Interessen“ zu arbeiten, tatsächlich aber aus Mitteln des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda finanziert wurde, veröffentlichte seit Februar 1937 die „Mitteilungen über die Judenfrage“. Nachdem das Institut Ende 1939 in Antisemitische Aktion umbenannt worden war, änderte der Informationsdienst im Juni 1940 seinen Titel in „Die Judenfrage“. Im Januar 1941 kam es zu einer Ergänzung, sodass der Informationsdienst bis 1943, als er sein Erscheinen einstellen musste, „Die Judenfrage in Politik, Recht, Kultur und Wirtschaft“ hieß. Er umfasste zumeist zwischen acht und zwölf Seiten und erschien 14-tägig, zeitweise auch wöchentlich. Seit 1940 enthielt er außerdem die Beilage „Judentum und Recht“, die über die Rechtsprechung und Gesetzesänderungen sowie Entwicklungen in den besetzten Gebieten berichtete. Im Gegensatz zu den Beiträgen in dem Informationsdienst, deren „Nachdruck und Auswertung gestattet“ waren, wurde dieses Material allerdings als „vertraulich“ eingestuft und war nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Die Auflage des Informationsdienstes soll bei 1.200 Exemplaren gelegen haben. Abonnenten fanden sich überwiegend in Kreisen der NSDAP, unter Universitätsangehörigen sowie bei Redakteuren und Autoren anderer antisemitischer Forschungseinrichtungen. Die Beiträge befassten sich mit der „Judenfrage“ und der „Verjudung“ in europäischen und außereuropäischen Staaten. Regelmäßige Rubriken hießen „Das Judenporträt“ oder, seit Oktober 1939, „Der Krieg und die Juden“. Hinzu kamen Buchrezensionen und eine internationale Zeitschriftenumschau. Damit sollte einerseits vor dem angeblichen Einfluss gewarnt werden, den Juden in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auszuüben in der Lage seien. Andererseits berichteten die Autoren ausführlich über antisemitische Aktionen der „Gegenkräfte“ in diesen Staaten, mit denen Versuche zur „Lösung der Judenfrage“ unternommen wurden. Breiten Raum nahm in den ersten Jahrgängen auch die Zuwanderung von Juden nach Palästina ein. Eine Sondernummer Ende November 1940 befasste sich zudem ausschließlich mit dem Propagandafilm „Der ewige Jude“, der kurz zuvor seine Uraufführung erlebt hatte. Verantwortliche Schriftleiter des Informationsdienstes waren Georg Haller (Februar 1937 bis Februar 1938), Hansgeorg Trurnit (März 1938 bis April 1939), Wolff Heinrichsdorff (Mai 1939 bis Februar 1940) und Wolfgang Fehrmann (ab März 1940). Zu den Autoren zählten unter anderem der Volkskundler und Historiker Heinz Ballensiefen und der Sprachwissenschaftler Otto Rössler, die zugleich wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts waren. Regelmäßig Beiträge verfassten mit Wolf (eigentlich Wolfgang) Meyer-Christian, Johannes Pohl und Klaus Schickert auch überzeugte Antisemiten, die später für das konkurrierende Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt am Main tätig wurden, das unter der Kontrolle des Amtes Rosenberg stand. Nachweisbar sind zudem zahlreiche Aufsätze und Rezensionen des Propagandaexperten Johann von Leers. Der Informationsdienst konnte sich zudem auf ein Netz von rund 400 Mitarbeitern im Ausland stützen, die dem Institut Informationen zur Verfügung stellten. Im Gegenzug erhielten sie Material und Anregungen, aber auch finanzielle Unterstützung. Den Autoren arbeiteten außerdem Archiv- und Bibliotheksmitar-

Moses und Jesus (Friedrich Buchholz, 1803)

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beiter sowie Übersetzer und eine Reihe von Lektoren zu, die verschiedene europäische und außereuropäische Sprachen beherrschten.

Martin Finkenberger

Literatur Dirk Rupnow, Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie, Baden-Baden 2011.

Monatsschrift für das deutsche Geistesleben → Deutsches Volkstum Monatsschrift für Stadt und Land → Konservative Monatsschrift Montagsblatt → Wiener Neueste Nachrichten Montagsfrühblatt der Wiener Neuesten Nachrichten → Wiener Neueste Nachrichten Moreh Zedek→ Mostrador de justicia

Moses und Jesus (Friedrich Buchholz, 1803) Das Buch „Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältniß der Juden und Christen, eine historisch-politische Abhandlung“ (Berlin 1803) des Publizisten und Privatgelehrten Friedrich Buchholz (1768–1843) gehört zu den wichtigsten antijüdischen Publikationen der Jahre um 1800. Die angebliche Gefährlichkeit und Minderwertigkeit aller Juden leitet der Autor aus deren „thierischer Religiosität“ ab, die er als Antithese zur christlichen Religion definiert. Tierisch sei die jüdische Religiosität, „weil sie jeder freien Entwickelung widerstrebt, und den höchsten Vorzug des Menschen vor dem Thier, die Vervollkommnungsfähigkeit, vernichtet. Giebt es Individuen jüdischer Nazion, auf welche diese Charakteristik nicht anzuwenden ist, so behaupt’ ich von ihnen, daß sie keine Juden sind.“ Mit konträren Begriffspaaren werden Christentum und Judentum einander gegenübergestellt: Liebe – Hass, Wahrheit – Lüge, Rechtlichkeit – Ungesetzlichkeit, Geselligkeit – Ungeselligkeit; Gemeinschaftsgeist – Individualismus, Fortschrittlichkeit – Zurückgebliebenheit, produktiv – parasitär, idealistisch – materialistisch, moralisch – unmoralisch. Nur die Christen würden die Gesellschaftsordnung aufrechterhalten, während die Juden die Nation systematisch zugrunde richteten. Als „Schmarotzerpflanzen“ hätten sie keinerlei Anteil an der „Nazionalarbeit“, sondern eigneten sich nur deren Ergebnisse an. Über den erzielten Reichtum wollten sie die Weltherrschaft erringen. Überall bildeten sie einen feindlichen „Staat im Staate“, in allen Gesellschaften wirkten sie zersetzend und demoralisierend. An den Verfolgungen der Vergangenheit trügen die Juden selbst die Schuld, denn die Gesellschaften seien erst dann über sie hergefallen, „wenn der jüdische Wucher sie zu Sklaven gemacht hatte, und ihnen nichts anders übrig blieb, als sich auf dem Wege der Gewalt in Freiheit zu setzen“. Die Juden verweigerten die Identifikation mit der Nation und hätten „die produzirende Klasse arm gemacht“. Von allem, was über das Geld hinausginge, könne der Jude sich „kein richtiges Urtheil bilden“, und von „Tiefsinn und eigentlichem Genie“ bleibe er „ewig entfernt“. Weil die Juden keine

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Mostrador de justicia (Alfonso von Valladolid, 14. Jahrhundert)

Vervollkommnungsfähigkeit besäßen, sind sie für Buchholz eigentlich keine Menschen. „Mensch und Jude“ vertrügen sich nicht miteinander, „weil der Jude unaufhörlich den Menschen in sich zerstört.“ Gerade um der Entdogmatisierung des Glaubens willen müsse das Judentum verschwinden. Seine Existenz behindere die positive Entfaltung des Christentums und schließe die Perfektionierung der Gesellschaft aus. Nur „durch das gänzliche Versinken des Judenthums“ könne das Christentum das werden, „was es werden soll“. Hörten die Juden nicht auf, „Juden zu seyn, um Menschen werden zu können“, dürften sie keinerlei Rechte erhalten. Sie seien jedoch moralisch so tief gesunken, dass eine Besserung nicht zu erhoffen sei. Konversionen lehnte Buchholz ab, die Taufe ändere nichts am „jüdischen Wesen“. Die Austreibung der Juden schien ihm nicht mehr opportun, sie könne zu Verwerfungen in den Handelsbeziehungen der europäischen Länder führen. Die Juden müssten „dem mosaischen Gesetz entsagen“ und bis ins hohe Alter Militärdienst leisten, dann seien sie „zum Schacher unbrauchbar“. Toleranz fordere hingegen die Gewalt des Volkes heraus. Man könne die Juden nicht „begünstigen“, „ohne in den nächsten Generazionen grausam mit ihnen zu verfahren“. Die jüdische Weltherrschaft erschien Buchholz keine unausweichliche Entwicklung. Hierfür müsste der jüdische Gott fähig sein, „die Intelligenz der ganzen Welt zu vernichten“. Als „Parasiten“ benötigten die Juden aber die Nichtjuden, zu autonomer Machtausübung seien Juden unfähig. Ihre Hoffnungen auf Freiheit und einen eigenen Staat müssten daher vergeblich bleiben. Am Ende drohte der Verfasser recht offen mit blutiger Gewalt. Sollten die Juden sich nicht „veredeln“, was sie nach dem Ausgeführten wenigstens aus eigener Anstrengung unmöglich leisten könnten, seien sie „ganz verloren“. Denn „alles Gold der Welt hat nicht die Kraft, die Erfindung eines Barthold Schwarz zu vernichten“. Dieser galt als Erfinder des Schießpulvers.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Mostrador de justicia (Alfonso von Valladolid, 14. Jahrhundert) „Mostrador de justicia“ [Lehrer der Gerechtigkeit] ist das früheste erhaltene und zugleich wichtigste Werk des kastilischen jüdischen Konvertiten zum Christentum Abner von Burgos (gest. ca. 1347), nach seiner Konversion um 1320 bekannt als Alfonso von Valladolid. Es ist eines der längsten im Mittelalter entstandenen antijüdischen polemischen Werke, das im Umfang mit → „Pugio fidei“ von Ramon Martí vergleichbar ist. Das hebräische Orginal „Moreh Zedek“ ist verloren, das Werk ist nur in spanischer Übersetzung als „Mostrador de justicia“ in Form eines einzigen langen Manuskripts (Bibliothèque Nationale de France) von 330 Blatt (700 Seiten in der gedruckten Ausgabe) überliefert. Das Manuskript beginnt mit einer Ich-Erzählung, in der der Autor über seine Konversion zum Christentum nach einem langen Kampf mit seinem Glauben berichtet. Seine Glaubenskrise begann, nachdem er in der Synagoge während der Predigt einge-

Mostrador de justicia (Alfonso von Valladolid, 14. Jahrhundert)

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schlafen war und von einem „bedeutenden Mann“ träumte, der ihn wegen seines Mangels an Gläubigkeit rügte. Seine Träume kehrten über viele Jahre wieder, während derer er eifrig jüdische und muslimische Texte der Theologie und Philosophie studierte. Als er schließlich die Wahrheit im Christentum anhand von Belegen, die er der Bibel, dem Talmud und anderen rabbinischen und philosophischen Schriften entnommen hatte, fand, begann seine dreißigjährige Karriere als hebräischer antijüdischer Autor, während der er gleichzeitig als Sakristan der Stiftskirche von Valladolid arbeitete. Der Text hat die Form eines ausgedehnten Dialogs zwischen einem christlichen „Lehrer“ (oder „Mostrador“, eine Übersetzung des hebräischen „Moreh“) und einem jüdischen „Rebellen“ („Rebelle“, eine Übersetzung des hebräischen „Mored“). Nach seiner Feststellung, dass rabbinische Quellen als pro-christliche Nachweise genutzt werden können, verteidigt Abner/Alfonso die christlichen Vorstellungen vom Messias und die Lehren von der Dreifaltigkeit und der Fleischwerdung. Daraufhin erörtert er genau, wie nach seiner Lesart jüdischer Quellen der Messias handeln und sein Wesen beschaffen sein müsse und folgert am Ende, dass dieses Bild dem von Jesus von Nazareth, wie es in der christlichen Tradition verstanden würde, entspräche. Er schließt daraus, dass sich die Juden im Irrtum befänden, wenn sie Jesus zurückwiesen, dass sie die Ankunft des Messias falsch berechneten und deshalb Gottes Gunst verspielt hätten und durch die Christen als von Gott auserwähltem Volk ersetzt worden seien. Die Entwicklung dieser sehr verbreiteten polemischen Argumente korrespondiert mit der Struktur der zehn langen Kapitel des Textes. Das wichtigste Charakteristikum, das Abner/Alfonsos Schrift von früheren Polemiken unterscheidet, liegt darin, dass er unzweideutig betont, für eine jüdische Leserschaft zu schreiben. Nicht nur verfasste Abner/Alfonso sein Werk auf Hebräisch (was es unter den mittelalterlichen antijüdischen Polemiken einzigartig macht), sondern er gab sich auch größte Mühe, seine antijüdischen Argumente in jüdischen Lesern vertraute Begriffe zu übertragen. Mit einer Fülle von Zitaten zeigt er profunde Kenntnisse nicht nur der wichtigen rabbinischen Ausführungen im Talmud und in den größeren Midraschim, sondern auch anderer Werke aus vielen verschiedenen Perioden jüdischen Schrifttums. Abner/Alfonsos polemisches Ziel war es, ein zwingendes Argument zur Förderung des Christentums aus der jüdischen Tradition heraus zu finden, indem er für die Beweisführung hauptsächlich jüdische Quellen verwendete, auf Hebräisch schrieb und in einem Stil argumentierte, der eher mit talmudischen Debatten als mit logischer scholastischer Ordnung und dem Register vieler christlicher Polemiker verwandt ist. Abner/Alfonsos Werk übte großen Einfluss auf spätere antijüdische Polemiken aus. Die Überlieferung des Textes in nur einem Manuskript ist kein exakter Indikator für seine Wirkung, weil Juden wenig Interesse gehabt haben dürften, einen solchen Text, den die meisten für sehr bedrohlich hielten, zu bewahren und zu kopieren. Abner/Alfonsos Schrift wurde von späteren christlichen Autoren wie Pablo de Santa María und Alonso de Espina, deren Werke im ersten Jahrhundert der Druckkunst weit verbreitet waren, überliefert und zitiert, und sie rief mehr direkte Erwiderungen späterer jüdischer Autoren hervor als jeder andere christliche Polemiker des späten Mittelalters.

Ryan Wesley Szpiech Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

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El Mundo (Spanien, 5. September 2009)

Literatur Abner de Burgos/Alfonso de Valladolid, Mostrador de justicia, hrsg. von Walter Mettmann, 2 Bände, Opladen 1994–1996. Yitzhaq Baer, Toledot ha-Yehudim bi-Sefarad ha-Notsrit [Geschichte der Juden im christlichen Spanien], Tel Aviv 1959. Dwayne E. Carpenter, Alfonso de Valladolid, in: Carlos Alvar, José Manuel Lucía Megías (Hrsg.), Diccionario filológico de literatura medieval española. Textos y transmission, Madrid 2002, S. 140–152. Carlos Sainz de la Maza, Vi en visión de sueño: Conversión religiosa y autobiografía onírica en Abner de Burgos, alias Alfonso de Valladolid, in: Compás de letras: monografías de literatura española 1 (1992), S. 186–208. Ryan Szpiech, Conversion and Narrative: Reading and Religious Authority in Medieval Polemic, Philadelphia 2013.

Münchner Beobachter → Völkischer Beobachter

El Mundo (Spanien, 5. September 2009) „El Mundo“ ist, nach „El País“, die zweitgrößte Zeitung Spaniens mit durchschnittlich 310.000 verkauften Exemplaren pro Tag (Stand 2009). In dem Jahr erregte die Zeitung durch den Abdruck antisemitischer Positionen mehrfach die Aufmerksamkeit von internationalen Beobachtern. Am 8. Januar 2009 veröffentlichte sie im Rahmen der Berichterstattung über die militärische Operation „Gegossenes Blei“ (27. Dezember 2008 – 18. Januar 2009) einen Cartoon, der einen orthodoxen Juden mit überdimensionaler Hakennase und Schläfenlocken aus Stacheldraht vor einem Hintergrund aus Rauchsäulen zeigte. Daraufhin wandte sich die Anti-Defamation League an die Redaktion und erwähnte den Vorfall später auch in einer Studie zum Umgang mit Antisemitismus innerhalb der spanischen Medien. Wenig später, am 6. Februar 2009, veröffentlichte Antonio Gala einen Text auf der Meinungsseite von „El Mundo“. Darin warf er die rhetorische Frage auf, ob die Juden sich nicht selber fragen sollten, warum es immer sie träfe oder ob es tatsächlich der Rest der Welt sei, der sich irre. Trotz dieser Vorfälle genoss „El Mundo“ den Ruf einer konservativen, mitunter sensationslüsternen, aber dennoch kritischen Zeitung, weshalb sich im Spätsommer 2009 mehrere international anerkannte Historiker bereit erklärten, an einer Serie zum Zweiten Weltkrieg mitzuwirken. Die Texte und Interviews der Experten erschienen zwischen dem 30. August 2009 und 6. September 2009. Zu den gewonnenen Interviewpartnern gehörten u.a. der Hitler-Biograf Ian Kershaw (30. August 2009) und der Leiter des Yad Vashem Holocaust Museums Avner Shalev (3. September 2009). Kurz danach gab „El Mundo“ bekannt, zum Ende der Reihe auch ein Interview mit David Irving zu publizieren. Die Ankündigung rief Entrüstung hervor. Der israelische Botschafter Raphael Schutz bat von einer Veröffentlichung abzusehen und attestierte in seinem offenen Brief „die Abwesenheit von jeglichem moralischen, historischen und ethischen Bezugspunkten desjenigen, der die Entscheidung traf, Irving zusammen mit weiteren, herausragenden Experten der Materie zu interviewen“. Ebenso ließ der spanische Außenminister, Miguel Ángel Moratinos, über seinen Sprecher mitteilen, er bedauere es,

El Mundo (Spanien, 5. September 2009)

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„dass einem Historiker, der eine der größten Tragödien der Gegenwartsgeschichte leugnet, ein Raum zur Verfügung gestellt wird“. Auch die bisherigen Interviewpartner äußerten sich und sandten Beschwerdebriefe an die Redaktion. Shalev betonte, dass er einer Teilnahme niemals zugestimmt hätte, wenn er „gewusst hätte, dass Irving Teil der Retrospektive sein würde“. Noch deutlichere Worte fand Kershaw, der befand, dass „El Mundo“ verpflichtet gewesen wäre, „die interviewten Historiker auf die Absicht hinzuweisen, einen Beitrag von David Irving in die Serie aufzunehmen. […] Nur wenige, wenn überhaupt, hätten sich bereit gefunden, an seiner Seite präsentiert zu werden.“ Ungeachtet dessen wurde das Interview mit Irving am 5. September 2009 veröffentlicht. Im Editorial verteidigten die Herausgeber ihre Entscheidung. Sie hoben hervor, dass Irving ein kontrovers diskutierter Historiker sei und das Interviewen einer Person nicht bedeute, mit deren Meinung einverstanden zu sein: „Irving relativiert den Holocaust und unterhält einen perversen antisemitischen Diskurs, den unsere Zeitung komplett ablehnt. Wir teilen nicht die Mehrheit dessen, was er sagt, aber wir verteidigen sein Recht, dies zu sagen.“ Dieses zugesicherte Recht nutzte Irving, um sich erneut als Revisionist und Holocaustleugner zu profilieren. Im Interview betonte er, dass er nicht die Ermordung von Juden per se als Verbrechen erachtet, sondern nur die Ermordung unschuldiger Juden. Er bezweifelte die Größenordnung des Holocaust („Mich interessieren keine Zahlen. Und ich zähle keine Leichen. Der Holocaust interessiert mich nicht einmal übermäßig. Mich interessiert Himmler“), und er bedauerte, dass man nicht öffentlich fragen dürfe, „ob sie die Architekten ihres eigenen Unglücks waren, da man dafür ins Gefängnis gesperrt wird“. Am deutlichsten trat die Natur seiner Äußerungen zum Ende des Interviews zutage, als er nochmals zum Holocaust Stellung bezog: „Die Juden haben ihn zu einer Marke gemacht und dafür eine Technik von Goebbels höchstpersönlich verwendet. Sie erfanden einen Slogan […]. Ein Produkt. Wie Kleenex oder Xerox-Drucker. Sie haben aus ihm ein kommerzielles Phänomen gemacht und sich dazu verschrieben, mit ihm Geld zu machen.“ (El Mundo vom 5. September 2009) Angesichts der Aussagen, die Irving in seinem zweiseitigen Interview traf und die nur vereinzelt durch den Reporter hinterfragt wurden, wirkte die Illustrierung (ein großformatiges Foto Irvings auf der einen und ausgezehrte Leichname auf der anderen Seite) des Artikels ähnlich perfide wie dessen Platzierung. Direkt neben dem Interview druckte die Redaktion sowohl die Reaktionen der internationalen Presse auf ihre Veröffentlichungsankündigung als auch Zitate aus den erhaltenen Beschwerdebriefen ab, und nur vier Seiten vorher erinnerte sie mit einem ganzseitigen Artikel an einen kürzlich verstorbenen Mauthausen-Zeitzeugen.

Miriam Bistrovic

Literatur Alejandro Baer, Spain’s Jewish Problem, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 18 (2009), S. 89–110. Newspaper’s Interview with Holocaust Denier. „An Embarrassment for Spain”, Anti-Defamation League vom 3. September 2009. Polluting the Public Square: Anti-Semitic Discourse in Spain, Anti-Defamation League vom 21. September 2009.

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Mutter, erzähl von Adolf Hitler! (Johanna Haarer, 1939)

Mutter, erzähl von Adolf Hitler! (Johanna Haarer, 1939) Die Ärztin Johanna Haarer (1900–1988), überzeugte Nationalsozialistin und Mutter von vier Kindern, kam 1934 mit ihrem Ratgeber zur Säuglingspflege „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ zu Autorenruhm. Das Buch im → F. J. Lehmanns Verlag erzielte Traumauflagen, 1943 waren mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft. Der Erfolg setzte sich nach einer kurzen Pause nach 1945 fort, als der Text äußerlich leicht modernisiert, vor allem im Titel retuschiert, neu aufgelegt wurde. Das Erziehungsbuch blieb bis in die 1990er Jahre auf dem Markt, trotz der reaktionären und rigiden Erziehungsideologie, die die Autorin vertritt. Vom Erfolg beflügelt ließ Dr. med. Haarer in der NS-Zeit weitere einschlägige Werke folgen, in denen sie die Autorität der Medizinerin mit nationalsozialistischer Gesinnung verband. Mit dem Titel „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ verließ Haarer 1939 das Terrain der Ratgeberbücher und zeigte sich als Missionarin nationalsozialistischer Ideologie und speziell des Führerkultes. Haarers Motiv, deutsche Geschichte Kindern durch Belehrung ihrer Mütter zu Hause zu vermitteln, folgt zum einen der Absicht, von vorneherein zu verhindern, dass Kinder anderweitig „lieblos“, d. h. wohl kritisch über die Wirklichkeit des Dritten Reichs informiert würden. Ihr zentrales zweites Motiv ist die frühe Indoktrinierung von Kindern mit antisemitischen Vorurteilen und Feindbildern vor der Schulzeit unter Ausnutzung kindlicher Emotionalität und Loyalität zur Mutter. Antisemitismus, Rassismus und absolute Intoleranz gegen politisch Andersdenkende hat leitmotivische und dramaturgische Bedeutung in Haarers Buch. Politische Vorurteile werden in szenischen Darbietungen wie schleichendes Gift auf methodisch geschickte, didaktisch-pädagogische Weise in Form von angeblich kindlichen Fragen und mütterlichen Antworten in Kinderseelen geträufelt. Systematisch wird die antisemitische Verhetzung von Kindern unter dem Deckmantel familiärer Werterziehung betrieben. Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht die Frage, wie systematisch die Hitlerbegeisterung als Erfüllung kindlicher omnipotenter Retterfantasien betrieben wird, sondern die Frage nach der parallelen Installation des negativen Komplementärkontrastes, der totalen Judenverachtung im kindlichen Denken. Denn sämtliche Schilderungen deutscher Nöte seit dem Ersten Weltkrieg zielen darauf ab, Juden als die hässlichen Ausbeuter, als gemeine Bösewichte, als Verursacher immer größer werdenden deutschen Elends so zu brandmarken, dass der den mitfühlenden Kindern in den Mund gelegte Schrei nach dem Verjagen der Juden und der Ruf nach dem von allem Übel erlösenden Retter Adolf Hitler nur logisch wirkt. Die Erzähl-Szene wird als Rahmenhandlung etabliert: Erzeugt wird die ideale Vorstellung einer vertrauten, gemütlichen Atmosphäre in der Familie, fern von Schule und langweiligem Geschichtsunterricht. Die Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, agieren in der Rolle der unermüdlich Wissbegierigen, der emotional Mitgehenden, der Stichwortgebenden, der Weiterfragenden, die wie beim abendlichen Märchenerzählen gar nicht genug bekommen können. Die Mutter tritt auf in der Rolle der vorbildlichen Hausfrau und der freundlichen Erzählerin, die alles weiß und sieht, kindliche Schwächen bei passender Gelegenheit in erzieherischer Absicht aufgreift. Längere Textpassagen werden systematisch aufgelockert durch kurze Sätze direkter Rede, die den

Mutter, erzähl von Adolf Hitler! (Johanna Haarer, 1939)

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Eindruck von Aktualität und kindlicher emotionaler Spontaneität und von lebhaftem Kontakt zwischen Mutter und Kindern vermitteln. Der Kunstgriff direkter kindlicher Rede und mütterlicher Antworten dient zum einen als Instrument zur Erzeugung intimer Nähe und des Vertrauens zwischen Mutter und Kind, womit die Mutter die kindliche Einfühlungsfähigkeit wecken und polarisierend steuern kann. Auf der einen Seite weckt Haarer stets Gefühle wie Bestürzung, Schrecken, Angst, Abscheu, Ungeduld, Empörung, Zorn, Verachtung, glühender Hass, die von der Mutter legitimiert und forciert werden bis hin zu psychosomatischen Gefühlen des Ekels. Auf der anderen Seite evoziert Haarer Mitleid, Sehnsucht nach Erlösung, Hoffnung, Bewunderung, mitreißende gewaltbereite Begeisterung für den unerschütterlich starken Retter Hitler. Zwischen den Polen Abscheu und Bewunderung aber gibt es keine Verbindung außer Hass. Kompositorisch dienen die kindlichen Sätze vor allem dem Zweck, einen roten Faden zu bilden, mit dem ein logisch erscheinender Zusammenhang als „historische Wahrheit“ konstruiert wird, wo Haarer tatsächlich Geschichtsklitterung treibt. Die einprägsame Beschreibung zweier extrem gegensätzlicher Familien erzeugt ein Leitmotiv, auf das Haarer später immer wieder als Refrain zurückgreifen kann. Zuerst schildert sie die Familie Schmitthammer als gute, arme, opferbereite, ehrliche, leidende, magere Deutsche und dann als Kontrastprogramm die Familie Veilchenstein als böse, reiche, egoistische, hinterhältige, geldgierige, dicke Juden. Diese Konstruktion von Gegensätzen wird im Laufe des Buches systematisch vertieft bis hin zur Akkumulation aller schlechten Eigenschaften bei Juden mitsamt ihren stets verächtlich und feindlich geschilderten Aktivitäten. In die kollektive Dimension erweitert wird das solcherart absolut negativ gezeichnete Bild der Juden aber weiter durch die Behauptung der Kumpanei mit angeblich Gleichgesinnten, mit den summarisch verächtlich als Gesindel bezeichneten anderen bösen Leuten (die „Kommunisten“ und der „Trödeljakob“), die wie Ungeziefer geschildert werden, das überall aus den Kellern kriecht, um sich breit zu machen. Die dramatische Steigerung der Inszenierung von Juden als bösen, gemeinen Menschen wird schließlich auf die Spitze getrieben, dass am Ende der Wunsch nach Befreiung durch die Vertreibung der Juden als natürliches Bedürfnis in den Kindermund gelegt werden kann, noch bevor der angeblich spontane Wunsch der Kinder legitimiert wird durch Erwachsene, durch die Mutter und ihre Aufklärung über Hitlers Ziele. Gegen die Juden, exemplifiziert in der Familie Veilchenstein, werden die geläufigen Stereotypen in Stellung gebracht: „Wir alle mochten die Veilchensteins nicht, auch die Kinder nicht. Sie sahen ganz anders aus als wir und hatten gebogene Nasen und ganz dunkles Haar. Sprach man einmal mit ihnen, so wurden sie gleich frech und machten sich wichtig.“ Juden sind mit diesen Figuren als abscheuerregende, unlautere Minderheit stigmatisiert. Die Erweiterung und Verallgemeinerung des antisemitischen Feindbildes erfolgt durch permanente Wiederholung und Ausschmückung negativer Zuschreibungen, bis Haarer endlich Hitler als den Retter aus aller Not präsentiert und der Begeisterung über seine Taten freie Bahn gibt mit der Schilderung des Berliner Fackelzugs, des Reichsparteitags, der Wohltaten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), der Eintopfgerichte, der Heimholung der Österreicher ins Reich und der Rache an allen Feinden.

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Der Mythus des 20. Jahrhunderts (Alfred Rosenberg, 1930)

Auf 248 mit Zeichnungen illustrierten Seiten zeigt Haarer, wie sie sich kindgemäße Aufklärung über die Geschichte Deutschlands im Dritten Reich vorstellte. Ihr Werk ist ein Konglomerat willkürlichen, unsachlichen Umgangs mit Geschichte, voller unzulässiger Vereinfachungen komplexer Zusammenhänge, willkürlicher Ursache-Wirkungserklärungen bei Unterschlagung wichtiger Fakten und Unterlassung von Differenzierungen. Parteipolitisch war das Buch ein großer Erfolg, 1941 kam das Werk in vierter Auflage im 49.-78. Tausend auf den Markt.

Ute Benz

Literatur Rose Ahlheim (Hrsg.), Johanna Haarer/Gertrud Haarer, Die deutsche Mutter und ihr letztes Kind. Die Autobiographien der erfolgreichsten NS-Erziehungsexpertin und ihrer jüngsten Tochter, Hannover 2012. Ute Benz, „Mutter erzähl von Adolf Hitler!“. Demagogie im Kinderzimmer, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur, Berlin 2010, S. 161–182. Ute Benz, Brutstätten der Nation. Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind oder der anhaltende Erfolg eines Erziehungsbuches, in: Dachauer Hefte 4 (1988), S. 144–163.

Der Mythus des 20. Jahrhunderts (Alfred Rosenberg, 1930) Alfred Rosenberg, Parteiideologe und Reichsleiter der NSDAP, wurde am 12. Januar 1893 in Reval (heute Tallinn) geboren. Nach Studien in Riga und einem Abschluss als Architekt in Moskau führte Rosenberg ab 1919 ein Emigrantendasein in München. Er wurde aktives Mitglied der dem Okkultismus zuneigenden Thule-Gesellschaft und trat bereits 1919 der Deutschen Arbeiterpartei – der Vorläuferorganisation der NSDAP – bei. Im Jahre 1923 avancierte er zum Hauptschriftleiter der Parteizeitung → „Völkischer Beobachter“, nahm wenig später am fehlgeschlagenen Putschversuch des 9. November 1923 teil, gründete 1929 den Kampfbund für deutsche Kultur und wurde 1930 in den Reichstag gewählt. Als „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ (1934) prägte Alfred Rosenberg den ideologischen Überbau seiner Partei sowie Denkkategorien in Kultur und Wissenschaft. Im Gegensatz zu seinen Parteigenossen wie Joseph Goebbels oder Hermann Göring, die das Zusammenspiel von Ideologie und Herrschaftskalkül beherrschten, galt Rosenberg als Außenseiter. Er wurde in den Phasen der Ämterverteilung übergangen und von Parteigenossen für seine Schriften und Eigenheiten belächelt. In seiner Position als Kulturzensor und Chefideologe veröffentlichte Rosenberg zahlreiche Pamphlete, die sich vor allem gegen das Judentum, gegen den Kommunismus (Der Bolschewismus als Aktion einer fremden Rasse, 1935) sowie gegen das Christentum (An die Dunkelmänner unserer Zeit, 1935) wandten. Zentraler Bestandteil seiner Publikationen war die Propagierung der nationalsozialistischen Weltanschauung (Gestaltung der Idee, 1936). In seinem Hauptwerk „Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltungskämpfe unserer Zeit“ verkündete Rosenberg eine neue Religion der Rasse und einen Mystizismus der Seele. Nach eigenen Angaben hatte Rosenberg das Werk in den Jahren 1927/28 geschrieben. Die Anfänge reichen indes wahrscheinlich bis in die Moskauer Zeit zurück. Vor allem

Der Mythus des 20. Jahrhunderts (Alfred Rosenberg, 1930)

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seine Reflexionen zur Kunst sind zu einem früheren Zeitpunkt entstanden. Die Erstausgabe erschien im Herbst 1930 und wurde in den Folgejahren nahezu unverändert publiziert. Trotz der hohen Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren und der Einordnung als wichtigstes Werk nach Adolf Hitlers → „Mein Kampf“ erhielt das Buch keine parteioffizielle Anerkennung. Goebbels bezeichnete Rosenbergs Mythus als „philosophischen Rülpser“ und wetterte 1936 in seinen Tagebüchern gegen „Kult, Thing, Mythos und anderen Schwindel“. Rosenbergs Mythus stellte dennoch den einzigen nennenswerten Versuch dar, eine systematische Darstellung der NS-Philosophie aus nationalsozialistischer Sicht zu geben. „Aber die Werte der Rassenseele, die als treibende Mächte hinter dem neuen Weltbild stehen, sind noch nicht lebendiges Bewußtsein geworden. Seele aber bedeutet Rasse von innen gesehen. Und umgekehrt ist Rasse die Außenseite einer Seele.“ Der zentrale Deutungsansatz des Mythus liegt in dem Nachweis und der Begründung einer Rassenseele. Rasse wird in diesem Zusammenhang als die sich in Abhängigkeit befindliche Verkörperung der Seele verstanden. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei die definitorische Einbettung des Blutes als Bewertungsgrundlage für Persönlichkeitsund Charaktereigenschaften ein. Der Körper dient hierin lediglich als sekundäres Heim und ursächlicher mystischer Aufenthaltsort der Seelenmerkmale. Aufgrund der Widersprüche in seiner pseudowissenschaftlichen Schrift gelingt es Rosenberg aber nicht, das Leib-Seele-Verhältnis zu definieren. Starken Einfluss auf die Lehren des Mythus hatten die rassistischen Thesen des französischen Schriftstellers und Diplomaten Joseph Arthur Comte de Gobineau (1816–1882) und des Autors und Kulturphilosophen Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) ausgeübt. In seinem Werk → „Essai sur l’inégalité des races humaines“ vertrat Gobineau die Ansicht einer körperlichen und geistigen Verschiedenheit der Rassen und suchte die Überlegenheit der arischen zu begründen. Gobineau wirkte nachhaltig auf Chamberlain, dessen Buch → „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ auf eine Verherrlichung des Germanentums und des deutschen Volkes zielte. Chamberlain übertrug naturwissenschaftliche Kategorien auf menschheitsgeschichtliche Entwicklungsprozesse und entwickelte damit eine arische Rassenideologie, die Alfred Rosenberg grundlegend prägte. Rosenberg zufolge hängen Kunst, Wissenschaft, Recht, Gesetz, Wahrheit und Irrtum von der rassischen Substanz jeder einzelnen Seele ab, denn die ganze Weltgeschichte sei nichts anderes als Rassengeschichte. Die Wertvorstellungen der nordischen Rasse würden die Überlegenheit ihrer Rassenseele widerspiegeln; alle kulturellen und zur Staatenbildung führenden Leistungen wären ihr zuzuschreiben: von den „Ariern“ in Indien und im Iran über die Griechen und Römer bis zu den heutigen germanischen Völkern des Abendlandes. Judentum und Christentum bezeichnete er als tödliche Feinde der germanischen Seele und ihres Ehrbegriffs, wobei das Judentum vage als Religion und Rasse referiert wird. Rosenberg predigte ein Neuheidentum und propagierte anstelle der alten Glaubensvorstellungen und -symbole Wotanverehrung, Sonnenwendfeiern, den Kult der alten nordischen Götter und Runen sowie das Hakenkreuz als Zeichen einer Rassenreinheit: „Rasse und Ich, Blut und Seele stehen im engsten Zusammenhange.“

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Der Mythus des 20. Jahrhunderts (Alfred Rosenberg, 1930)

Mit der Projektion seelischer Eigenschaften auf die körperliche Existenz ging Rosenberg konform mit dem antisemitischen Repertoire seit dem 19. Jahrhundert. Die NS-Propaganda wie das Berliner NSDAP-Organ → „Der Angriff“ („Krumme Nasen, krumme Wege“, Januar 1933) wiederum reproduzierte diese Stereotype, um umgekehrt von körperlichen Merkmalen auf seelische Eigenschaften zu schließen. Charakter und Persönlichkeit werden an der Rasse und hierin am Blut festgemacht. Nur eine Rassenseele könne Träger einer wirklichkeitsgestaltenden Idee sein. Einerseits dient die Rasse als Außenansicht seelischer Funktionen und Eigenheiten, andererseits wird die Wertigkeit der Seele an der Art des Blutes gemessen. Der psychische Komplex wird mit dem physischen verwechselt, zusammengeworfen und nach Belieben zu Rassemerkmalen verschmolzen. Die Kultur – Ergebnis geistigen und schöpferischen Schaffens – wird stellvertretend „als Organismus“ verstanden. Der Körper funktioniert als Bildnis von Wertvorstellungen und der Beschaffenheit von Geist und Willen. Er ist den Bedürfnissen des Geistes unterworfen. Nach Rosenberg ist Rassengeschichte zugleich Naturgeschichte und Seelenmystik, die Religion des Blutes aber umgekehrt die große Welterzählung vom Aufstieg und Untergang der Völker. Rosenbergs Mythus war zentral durch ein biologistisch-metaphysisches Rassedenken geprägt. Der Ausdruck „rein“ wird darin weniger als Prinzip einer reinen Lebensauffassung, sondern mehr als Reinheitsgehalt der Rasse, des Blutes als ganzheitliche Vorsehung gebraucht. Alfred Rosenberg und sein Mythus sind daher nicht zu verwechseln mit der obszönen Hetze Julius Streichers sowie dessen häufig bildhaften Anspielungen auf die sexuelle Reinheit der arischen in Gegenüberstellung zur sexuellen Verdorbenheit der jüdischen Rasse. Blut wird im Ursprung von Rosenberg nicht materiell, sondern als ein höheres, dem Menschen zukommendes Schicksal begriffen, ohne dafür eine nachvollziehbare Definition vorzulegen. Die „nordische Rassenseele“ könne nur als Mythus erlebt werden; sie müsse geglaubt und folglich einer rein metaphysischen, mythischen Ebene zugeordnet werden. Die gelegentliche und in sich widersprüchliche Rückkehr Rosenbergs zu einer materiellen, biologistischen Auffassung resultiert möglicherweise aus Anpassungsdruck und der Notwendigkeit der Anschlussfähigkeit an die plastische Propaganda seiner Parteigenossen. Im Resultat entwirft Rosenberg ein „rassisch organisch gegliedertes Staatensystem“. Inmitten der Kombination aus seiner neuen Religion einer übersinnlichen Bestimmungsgewalt des Blutes und den Forderungen der NSDAP nach empirischen Daten einer Rassenbiologie postuliert er den Begriff der Rassenseele. Letztlich haben sich die geistigen Vertreter des Nationalsozialismus mit Alfred Rosenberg nie vollständig von der mystischen Argumentationsebene gelöst. Sie wollten eine neue Philosophie, die im Einklang mit der Veränderung des bestehenden Weltbildes stand. Trotz Rosenbergs tief verankertem Antisemitismus kam sein Mythus nie wirklich über ein Nischendasein hinaus und rangierte in seiner Einflussnahme auf rassistische Stereotype und den modernen Antisemitismus deutlich hinter den gängigen NS-Sprachrohren wie dem „Angriff“, dem → „Schwarzen Korps“ oder dem → „Stürmer“ mit ihren plakativen, vulgären und sexualisierten Darstellungen.

Stefan Hördler

Die Nathanaelfrage unserer Tage (Karl Schwarzmann, 1938)

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Literatur Alfred Baeumler, Alfred Rosenberg und der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1943. Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005. Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltungskämpfe unserer Zeit, München 1930.

Nasjonal Samling → Fritt Folk

Die Nathanaelfrage unserer Tage (Karl Schwarzmann, 1938) „Die Nathanaelfrage unserer Tage: Kann denn aus Palästina etwas Gutes kommen?“ lautet der Titel einer von dem Journalisten Karl Schwarzmann verfassten Broschüre von 31 Seiten Umfang, die 1938 mit dem Imprimatur des Erzbischöflichen Generalvikariates Köln erschien und sich mit dem Verhältnis von Christentum und Judentum befasste. Nachweisbar ist eine allgemeine Verbreitung der Broschüre im Bistum Münster (Bischof von Galen) am 26. Juni 1938. Die Gläubigen wurden informiert, dass in dieser Schrift „die heute so viel gestellte Frage nach dem Verhältnis von Judentum und Christentum […] in ruhiger und sachlicher Weise behandelt“ werde; die Seelsorger wurden angewiesen, das Thema in Predigt und Katechese zu behandeln. Weitere Hintergründe der Publikation und ihrer Verbreitung sind bisher nicht bekannt. Die Einleitung konstatiert, es gebe „zweifelsohne viele katholische Christen […], denen der Gedanke, Christus und Kirche mit dem Judentum in nähere Verbindung zu bringen, noch gar nicht recht gekommen ist. […] Andere Christen aber gibt es, denen diese Frage durchaus eine ernste Frage geworden ist, nicht zuletzt, weil sie von außen her immer und immer wieder gestoßen worden sind. Sie sprechen vielleicht so bei sich: Es mag etwas daran sein. Aus dem Judentum kann nichts Gutes kommen; andererseits aber sind das Christentum und die Kirche aus dem Judentum gekommen. Sind also Christentum und Kirche ohne jeden Zweifel und in jeder Richtung gut und heilbringend?“ Aus dieser Fragestellung leitet sich der Titel der Broschüre ab, der ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium (1,45f) abwandelt: Als Philippus dem Nathanael begeistert von Jesus von Nazareth berichtet, erhält er die Rückfrage: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Damit ist der diskursive Kontext bezeichnet: In der völkisch-nationalsozialistischen Vorstellungswelt galt für antisemitische Gruppen das Judentum des Jesus von Nazareth als Stein des Anstoßes, weil es mit seiner Funktion als Offenbarungsträger nicht zu vereinbaren war. Deutungsversuche für dieses Dilemma stritten entweder den „jüdischen“ Charakter Jesu ab oder verwarfen umgekehrt das Christentum selbst. Auf diese Ausweitung des antisemitischen Diskurses reagiert die „Nathanaelfrage“: Bemerkenswert ist die Einschätzung, dass viele Katholiken das Christentum bislang überhaupt nicht mit dem Judentum in Verbindung gebracht hätten, dass sich diese Disposition nun aber durch das Hinzutreten der auf beide Religionen bezogenen antisemitischen Deutungsmuster verschob. In einem ersten Kapitel wird der historische Zusammenhang behandelt. Gegen völkische Spekulationen, Jesus sei Arier gewesen usw., wird der historische Zusammenhang von Judentum und Christentum anerkannt. Im zweiten Kapitel wird jedoch ein

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Die Nathanaelfrage unserer Tage (Karl Schwarzmann, 1938)

ursächlicher Zusammenhang bestritten. „Das Christentum ist nicht aus dem Judentum hervorgegangen, wie die Frucht aus der Pflanze.“ In der Frucht sei das Wesen der Pflanze enthalten, das Wesen des Judentums sei aber nicht das Wesen des Christentums. Dieses sei einzig eine Schöpfung Gottes. Als Schöpfung Gottes sei das Christentum aber zu allen Rassen gesandt: „Christi Lehre [ist] allen Menschen aller Völker arteigen.“ Das dritte Kapitel setzt sich mit nationalsozialistischer Kritik an der Kirche auseinander: „Hat sie nicht der Rassenvermischung Vorschub geleistet durch Judentaufe, Rassenmischehe, Lehre von der Gleichheit der Rassen? Hat sie nicht die Gegenwehr der Völker erschlafft durch die Forderung der Feindesliebe?“. Diesen Vorwürfen hielt der Autor entgegen, dass jeder Mensch, „aus welchem Volke er auch immer sein mag“, durch die Taufe „ein neuer Mensch […], ein Kind Gottes“ werde. Die „rassische Eigenart“ werde davon nicht berührt. Allerdings gelte: „Wenn heute manche behaupten, daß der Jude, eben weil er Jude sei, der Erlösungsgnade unfähig und zur Verdammnis bestimmt sei, so erheben solche gegen Gott den ungeheuerlichen Vorwurf, daß er – unabhängig von Verdienst oder Sünde – Menschen ohne deren eigene Schuld der Verdammnis überantwortet habe.“ Zur Lehre von der Gleichheit der Rassen hieß es, jeder Mensch sei als Ebenbild Gottes geschaffen; die Unterschiede der Völker stellten eine Offenbarung seiner Herrlichkeit dar. Zur Feindesliebe hieß es, dass Christus „den Begriff des Nächsten über die Volkszugehörigkeit hinaus“ geweitet habe. Der Autor folgt bis zu diesem Punkt den universalistischen Traditionen der christlichen Dogmatik, ohne dass Anleihen bei „völkischen“ Spielarten der Theologie zu beobachten wären. Gleichwohl findet sich am Ende der Broschüre ein gegenläufiger Akzent: Die Verwerfung des Erlösers habe den Juden nicht nur den Status des auserwählten Volkes genommen, sondern dieser Akt habe den Juden auch – so klingt es an – eine Kollektivschuld und Kollektivstrafe auferlegt: „Die Verwerfung Jesu Christi und seines Werkes durch das jüdische Volk hat für dieses unsagbar traurige Folgen gehabt: Es lebt unter den Völkern als ein sichtbares Zeichen dafür, wie unheimlich es ist und wie furchtbar es sich rächt, wenn ein Volk den Sohn Gottes verwirft.“ Diese Formulierung steht in einer deutlichen Spannung zu dem vorangegangenen Text, in dem ausdrücklich erklärt worden war, Gott verwerfe niemanden ohne eigene Schuld. Insofern spiegelt auch die „Nathanaelfrage“ die bis Mitte des 20. Jahrhunderts verbreiteten theologischen Ambivalenzen gegenüber dem Judentum wider. Dazu zählt auch der Befund, dass der Autor die zentrale Referenzstelle des Neuen Testaments zu dieser Thematik, das Gleichnis vom dem einen Ölbaum (Römerbrief Kapitel 11), ignoriert, was rückblickend ein erschreckendes Beispiel exegetischer Selektivität darstellt. Auch an diesem Befund wird erkennbar, dass die theologische Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum in der „Nathanaelfrage“ insgesamt durch unvermittelte Ambivalenzen zwischen Elementen der Identifikation und der Distanzierung charakterisiert ist. Eine Aufnahme weiterführender Ansätze der zeitgenössischen Theologie ist nicht zu erkennen.

Wilhelm Damberg

Literatur Wilhelm Damberg, Moderne und Milieu 1802–1998, Münster 1998.

Nation Europa (seit 1951)

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Nation Europa (seit 1951) Die in Coburg erscheinende Monatsschrift „Nation Europa“ – ab 1990 „Nation & Europa“ – war über Jahrzehnte das parteiübergreifende Leitmedium des deutschen Nachkriegs-Rechtsextremismus. Gründer der Zeitschrift war der frühere Volksschullehrer, Militärschriftsteller und Kleinkriegexperte Arthur Ehrhardt, der sie bis zu seinem Tod 1971 maßgeblich bestimmte. Auch nach 1945 blieb er der völkisch-rassistischen Ideologie, und namentlich einem aggressiven Rassenantisemitismus, verbunden und verherrlichte Hitler und den Nationalsozialismus. Die Monatschrift „Nation Europa“ erschien im eigenen Verlag, der auch Bücher publizierte; angeschlossen waren ein Druckereibetrieb und die Versandbuchhandlung „Buchdienst NATION EUROPA“. Längere Zeit erschienen die Beilagen „Suchlicht“ und „Büchersuchlicht“ bzw. „Das politische Buch“. Der Titel der ab Januar 1951 erscheinenden „Monatsschrift im Dienst der europäischen Erneuerung“ lehnte sich an ein Buch des britischen Faschistenführers Oswald Mosley an. Nach Ehrhardts Tod 1971 übernahm Peter Dehoust, zuvor ein Aktivist rechtsextremer Jugend- und Studentenverbände, Verlag und Zeitschrift. 1990 fusionierte das Blatt mit den ähnlich positionierten „Deutschen Monatsheften“ (bis dahin im → Druffel Verlag) und wurde in „Nation & Europa. Deutsche Monatshefte“ umbenannt, 1994 kam die ebenfalls rechtsextreme „Deutsche Rundschau“ hinzu, deren Titel nun den Untertitel ersetzte. Die Auflage soll bei rund 15.000 Exemplaren gelegen haben. 2009 wurde die Zeitschrift durch den Verleger Dietmar Munier aufgekauft, um die Platzierung eines neuen Zeitschriftenprojekts auf dem rechtsextremen Medienmarkt zu begünstigen. Seit 2010 erscheint in Muniers Verlagshaus das „Deutsche Nachrichtenmagazin ZUERST!“, ausweislich des Impressums „vereinigt mit Nation & Europa, Deutsche Monatshefte“. Ideologisch knüpfte „Nation Europa“ vor allem in ihrer ersten Phase bewusst an die Europa-Propaganda des NS-Regimes während des Zweiten Weltkriegs an, wobei die „Freiwilligen“-Verbände der Waffen-SS zum Vorbild für die Einheit der europäischen Nationalisten stilisiert wurden. Neben der Mitwirkung zahlreicher Autoren und Korrespondenten aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland, oft prominente Repräsentanten der Kollaboration, kam die europäische Vernetzung der Zeitschrift auch dadurch zum Ausdruck, dass ausländische Rechtsextreme zu den Anteilseignern zählten. Die Zeitschrift sah sich stets als Plattform für die verschiedenen Strömungen der „nationalen Opposition“ und bevorzugte konkrete Parteien in der Regel dann, wenn sie in diesen Kräften erfolgversprechende Sammlungsversuche der gesamten deutschen Rechten erblickte – wie etwa bei der NPD in den 1960er, den Republikanern in den 1980er oder der Deutschen Liga für Volk und Heimat in den 1990er Jahren. „Nation Europa“ war zugleich eng verwoben mit dem Geflecht rechtsextremer Jugendverbände, Kulturgemeinschaften, Verlage, das sich seit den 1950er Jahren als „nationales Lager“ konstituierte. Hier wirkte sie stichwortgebend an der Ausformulierung von Kernelementen rechtsextremer Ideologie mit. Ein Beispiel ist die Engführung xenophober Einstellungen auf einen „Kampf gegen Überfremdung“, verbunden mit der Mutmaßung, Zuwanderung werde als Instrument zur Zersetzung des deutschen Volks planmäßig gesteuert; sie sei die eine Seite eines „biopolitischen“ Angriffs auf die Sub-

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Nation Europa (seit 1951)

stanz des Volkstums, deren andere im „Volkstod“ durch Geburtenrückgang und „Volksmord“ durch Abtreibung zu sehen sei. Insgesamt war die rechtsextreme Weltanschauung, die in „Nation & Europa“ einheitlich zum Ausdruck kam, zutiefst antisemitisch grundiert. Offen artikuliert wurde diese Judenfeindschaft erstens durch die Verherrlichung und Verharmlosung der nationalsozialistischen Epoche, verbunden mit der Leugnung der Judenvernichtung (z. B. Udo Walendy: Zur 6-Millionen-Legende, Heft 5/1980) und Diffamierung der Entschädigungspolitik und Erinnerungskultur; zweitens durch die wiederholte Diskussion des Themas „Deutsche und Juden“ oder „Deutschtum und Judentum“, wobei ein deutschjüdischer Gegensatz konstruiert wurde; drittens durch Stellungnahmen zur Weltpolitik und insbesondere zum Nahostkonflikt, die von israel-bezogenem Antisemitismus geprägt waren; schließlich viertens durch eine allgemein zugrunde liegende Weltverschwörungstheorie, die in unterschiedlichen – und mitunter skurrilen – Kontexten offenbar wurde. Bereits im zweiten Jahrgang 1952 erschien ein erstes Themenheft „Deutschland und die Judenheit“, das u. a. einen aggressiv antisemitischen Beitrag von Helmut Sündermann (unter Pseudonym Heinrich Sanden) „Das Volk unter den Völkern“ und eine bagatellisierende Darstellung über „Die jüdischen Opfer des Zweiten Weltkriegs“ enthielt. Wie in späteren Ausgaben auch, bemühte sich „Nation Europa“, jüdische oder vermeintlich jüdische Stimmen zu drucken, setzte diese aber vornehmlich zur Bestätigung antijüdischer Ressentiments sehr selektiv und willkürlich ein. Ebenfalls typisch war – insbesondere in den Editorial-Beiträgen und den einleitenden Abschnitten von Grundsatzartikeln – die Argumentation, man sei an „ehrlichem Ausgleich“ interessiert, der allerdings an der Starrsinnigkeit der Gegenseite, dem „antideutschen“ Hass der Juden scheitere. Besonders intensiv widmete sich die Zeitschrift dem Komplex „Deutsche und Juden“ im letzten Lebensjahrzehnt ihres Herausgebers Arthur Ehrhardt: Es erschienen 1962, 1965, 1967, 1968 und 1970 entsprechende Themenhefte. Frühzeitig begann „Nation Europa“, eine gezielte nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden zu leugnen und die Opferzahlen radikal herunterzurechnen. Arthur Ehrhardt benutzte bereits 1959 die Formulierung „erlogene Millionen“, bald darauf präsentierte er eine Berechnung, der zufolge im deutschen Machtbereich nicht mehr als 1,5 Millionen Juden umgekommen sein könnten, davon höchstens 350.000 durch „verbrecherische Vernichtungsmaßnahmen“. In einem weiteren Artikel machte er für diese Opfer jüdische bzw. zionistische Kreise verantwortlich. Dabei mobilisierte er das antisemitische Motiv einer weltumfassenden jüdischen Konspiration. Dieser Gedanke hat Ehrhardts rassenantisemitische Weltanschauung offenbar zutiefst durchdrungen. In seinem letzten Lebensjahr, im Maiheft 1970 mit dem Thema „Judentum“, räumte er zwar angesichts neuer Forschungsergebnisse ein, dass es sich bei den → „Protokollen der Weisen von Zion“ um eine Fälschung handelte, fragte aber, warum sie „glaubhaft“ gewesen seien, und konstatierte: „Bis in viele Einzelheiten – Finanzkontrolle, Zersetzung des Nationalbewußtseins, Wohlstandsversumpfung – liest sich der fingierte Operationsplan von 1890 wie ein kulturhistorischer Lagebericht von 1970.“ Denn die moderne Industriegesellschaft sei „in jeder Hinsicht durch den jüdischen Geist bestimmt“. Für eine ökologische „Katastrophe“ – die Erhardt in

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seinen späten Jahren immer stärker heraufziehen sah – fiele die „Verantwortung […] ‚den Juden’ zu, wenn sie sich weiterhin so rückhaltlos mit der Progressionsraserei gleichsetzen“ würden. Im Kontext dieser Ausführungen schrieb Ehrhardt über sich selbst, er fühle sich „frei von ‚Antisemitismus’, den er für sinnlos“ halte. Insgesamt hat „Nation Europa“ maßgeblich daran mitgewirkt, die rassenantisemitischen Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung in einen post-nationalsozialistischen, rechtsextremen Antisemitismus zu überführen.

Gideon Botsch

Literatur Peter Dudek, Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, 2 Bände, Opladen 1984. Manfred Jenke, Verschwörung von rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961. Monika Krieg, Umschlagplatz für rechtes Denken: NATION EUROPA, in: Siegfried Jäger (Hrsg.), Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten, Berlin, Bonn 1988, S. 147–166. Armin Pfahl-Traughber, Zeitschriftenporträt: Nation Europa, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 12 (2000), S. 305–322. Thomas Pfeiffer, Für Volk und Vaterland. Das Mediennetz der Rechten – Presse, Musik, Internet, Berlin 2002. Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism Since 1945, Middleton, Connecticut 1967.

National-Echo (Luxemburg, 1936–1937) In Luxemburg sind in den 1930er Jahren einige Periodika erschienen, die antisemitische Hetze verbreiteten. Zu den nennenswerten zählen das „National-Echo“ sowie die „Luxemburger Freiheit“. Sie entstanden im Dunstkreis radikaler, rechtsextremer Parteien und Gruppierungen (Luxemburger Nationalpartei, Korporatistische Luxemburger Volksbewegung, Luxemburger Nationale Volkspartei, Mouvement Antisémitique Luxembourgeois), die vor allem in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg das innenpolitische Klima vergifteten. Gemeinsam ist allen Publikationen, dass ihnen nur eine kurze Lebensdauer beschieden war. Dies lag daran, dass die Mehrheit der Luxemburger Bevölkerung nur wenig empfänglich für rechtsextreme und antisemitische Propaganda war, vor allem wenn sie ideologisch dem deutschen Nationalsozialismus nahestand. Die Presselandschaft des kleinen Landes, das knapp 300.000 Einwohner zählte, war vor dem Zweiten Weltkrieg mit sechs Tageszeitungen (Gesamtauflage schätzungsweise 80.000) gut besetzt. Neben dem dominierenden katholischen → „Luxemburger Wort“ (mit über 50.000 Abonnenten) und dem sozialistischen „Escher Tageblatt“ gab es die liberale „Luxemburger Volkszeitung“, die kommunistische „Volksstimme“ sowie mehrere Lokal- und Regionalblätter. Seit 1933 erschien das „Luxemburger Volksblatt“, das unter dem Motto „Arbeit, Autorität, Heimattreue“ rechtsextreme Tendenzen vertrat und mit dem belgischen Rexismus sympathisierte. Der Herausgeber Léon Müller, Leitfigur der Nationaldemokratischen Bewegung, war ab 1937

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im Parlament vertreten. So war das populistische Potenzial zum größten Teil abgeschöpft, was es ausgesprochen antidemokratischen und rechtsextremen Parteien und Zeitungen schwer machte, sich längerfristig zu behaupten. Die Wochenzeitung „National-Echo“ wurde von der 1936 gegründeten rechtsextremen Luxemburger Nationalpartei (LNP) herausgegeben. Mitbegründer des eigens gegründeten Verlagshauses EDIM war Alphonse Schmit, einer der Protagonisten der LNP. Angeblich hatte das „National-Echo“ eine Auflage von 5.000 Exemplaren, von denen 1.400 in den freien Verkauf gekommen sein sollen, während der Rest gratis verteilt wurde. Die Zahl der Abonnenten belief sich auf etwa 150; es dürfte sich in der Hauptsache um Mitglieder und Sympathisanten der LNP gehandelt haben. Das „National-Echo“ erschien deshalb nur wenige Monate von November 1936 bis Februar 1937. Mit Alphonse Schmit war auch Albert Kreins, ein späterer Kollaborateur, für die Redaktion zuständig. Zum Teil bediente man sich bei Artikeln nationalsozialistischer Zeitungen aus Deutschland und rexistischer Blätter aus Belgien. In den wenigen erschienenen Nummern versuchte das „National-Echo“, Stimmung gegen jüdische Immigranten und Flüchtlinge zu machen, die vor allem nach 1933 nach Luxemburg gekommen waren. Gemäß dem Programm der Luxemburger Nationalpartei hetzte das „National-Echo“ gegen den vermeintlichen jüdischen Einfluss in Banken, Handel, Politik und Kultur. Der erhoffte Erfolg blieb allerdings aus; die ursprünglich angestrebte Auflage von 25.000 Exemplaren konnte nie erzielt werden. Das lag an Querelen an der Verlagsspitze, ihrem amateurhaften Vorgehen, aber sicher auch an der Kontroverse, die das „National-Echo“ mit dem sozialistischen „Escher Tageblatt“ führte. Das Tageblatt enthüllte der Luxemburger Öffentlichkeit die Beziehungen der LNP und damit des „National-Echos“ zu deutschen Parteidienststellen in Luxemburg und Deutschland. Tatsächlich gab es Kontakte der Herausgeber mit Trierer Stellen, allerdings hüteten sich Gauleiter Gustav Simon und das Auswärtige Amt aus diplomatischen Gründen, rechtsextreme Parteien und deren Druckerzeugnisse in Luxemburg offen zu unterstützen. Ungeklärt ist aber bis heute, inwieweit Deutschland an der Finanzierung der Zeitung beteiligt war. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch wurde das gesamte Druckereiinventar versteigert, kein anderer Drucker war bereit, das „National-Echo“ weiter herauszugeben. Über die Rezeption und die Verbreitung dieser offen antisemitischen Zeitung, die von den Zeitgenossen mit dem → „Stürmer“ verglichen wurde, kann folglich nur spekuliert werden. Die Behauptungen des SD, das Blatt finde „bei der Bevölkerung in Luxemburg lebhaften Beifall“, sind zweifellos übertrieben. In Kreisen des Mittelstandes dürfte aber vor allem die Hetze gegen jüdische Geschäftsleute auf eine gewisse Zustimmung gestoßen sein. Die antisemitische und chauvinistische „Luxemburger Freiheit“ kann man als Nachfolger des „National-Echo“ betrachten. Die „Luxemburger Freiheit“ erschien von Juli bis November 1939 mit insgesamt fünf Nummern. Treibende Kraft war der Luxemburger Emmanuel Cariers, der das Hetzblatt im belgischen St. Vith drucken ließ. Auf Anordnung des sozialistischen Justizministers René Blum wurde die „Luxemburger Freiheit“ jedoch von den Behörden beschlagnahmt. Nach dem 1. Septem-

Der nationale Sozialismus (Rudolf Jung, 1919)

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ber 1939 versuchte Cariers weiter, das Blatt nach Luxemburg zu schmuggeln, mit nur mäßigem Erfolg. Wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz wurde Cariers, der inzwischen nach Deutschland geflohen war, mehrfach von der Luxemburger Justiz verurteilt. Ideologisch stand die „Luxemburger Freiheit“ in der Nähe des „National-Echos“. Sie versuchte, bei den Geschäftsleuten Angst vor der jüdischen Konkurrenz zu schüren, und verbreitete systematisch Unwahrheiten über die Juden in Luxemburg, z. B. durch die Behauptung, 20.000 Juden lebten in Luxemburg und 80 Prozent der Geschäfte seien in ihrer Hand. Wie im Fall des „National-Echos“ prangerte auch diesmal das „Escher Tageblatt“ die „dreisten, verlogenen Methoden“ an und klärte die Leser über die „Greuelmärchen“ der „Luxemburger Freiheit“ auf. Nach der deutschen Besetzung Luxemburgs im Mai 1940 tauchte das „NationalEcho“ wieder auf, allerdings nur als hektographiertes Mitteilungsblatt für die Mitglieder der rechtsradikalen Luxemburger Nationalen Volkspartei (LNVP), welche die LNP beerbt hatte. Nach der Machtübernahme des Gauleiters und Chefs der Zivilverwaltung Gustav Simon im August 1940 wurde rasch deutlich, dass weder die rechtsextremen Parteien und Gruppierungen noch ihre Presseerzeugnisse eine politische Rolle spielen würden. Die Zivilverwaltung nutzte nach einer Bereinigung des Pressemarktes die nunmehr gleichgeschalteten Luxemburger Tageszeitungen („Luxemburger Wort“, „Escher Tageblatt“) sowie eine Luxemburger Ausgabe des gaueigenen Nationalblatts als Träger der antisemitischen Propaganda.

Marc Schoentgen

Literatur Lucien Blau, Histoire de l’extrême-droite au Grand-Duché de Luxembourg au XXe siècle, Esch-Alzette 20052. Romain Hilgert, Zeitungen in Luxemburg 1704–2004, Luxemburg 2004. Emile Krier, Deutsche Kultur- und Volkstumspolitik von 1933–1940 in Luxemburg, Bonn 1978.

National-Zeitung → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung

Der nationale Sozialismus (Rudolf Jung, 1919) 1919 erschien im Neue-Zeit-Verlag in Troppau (ČSR) das Buch „Der nationale Sozialismus. Eine Erläuterung seiner Grundlagen und Ziele“ von Rudolf Jung, einem führenden sudetendeutschen Nationalsozialisten. Jung hatte bereits die Leitlinien der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in Österreich-Ungarn mitformuliert und 1913 gemeinsam mit dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Walter Riehl eine Erweiterung des Parteiprogramms durchgesetzt. Dieses betonte den „nationalen Sozialismus“ als Antagonisten des „internationalen Marxismus“ und enthielt Angriffe auf Kapitalismus und Sozialdemokratie, Juden und alles „Fremde“, vor allem auf alles Tschechische. Zu den Traditionen der DAP bekannte sich die am 5. Mai 1918 in Wien gegründete Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP). Ein von Rudolf Jung ausgearbeitetes Programmpapier forderte die „Befreiung des Staates von den zinsgierigen Geldmächten durch eine Bodenrechts- und Währungsreform, Verstaatlichung der großkapitali-

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Der nationale Sozialismus (Rudolf Jung, 1919)

stischen Privatmonopole, Gewinnbeteiligung für Arbeitnehmer, vor allem aber Beseitigung der überwuchernden Macht des jüdisch-händlerischen Geistes“. Nach dem endgültigen Ende der Donaumonarchie spaltete sich die Partei in einen österreichischen und einen sudetendeutschen Zweig, der am 16. November 1919 in Dux ins Leben gerufen wurde. Die nationalsozialistischen Parteien aus Deutschland, Österreich und der ČSR stimmten sich in den folgenden Jahren mehrfach auf „zwischenstaatlichen Tagungen“ ab. Jung war einer der Chefs und ideologischer Kopf der DNSAP im Sudetenland. In „Der nationale Sozialismus“ beschrieb er auf 117 Seiten die Ziele seiner Partei, die sich „zur Kultur- und Schicksalsgemeinschaft des gesamten deutschen Volkes“ bekannte. Das Werk (Auflage: 3.000 Exemplare) spiegelte das auf der einen Seite sozialstaatliche und nationalvölkische, auf der anderen Seite antikapitalistische, antidemokratische, antikommunistische und antisemitische Programm der Partei wider. Jung knüpfte an den verbreiteten Antiliberalismus an und betonte: „Nicht die römisch-jüdische Herrschaft, sondern der germanische Führergedanke soll im deutschen Staat maßgebend sein.“ An der judenfeindlichen Haltung seiner Partei ließ Jung keinen Zweifel. Im Kapitel „Der jüdische Geist“ versuchte er zunächst mit Bibelzitaten nachzuweisen, dass das Judentum „aus einer Anzahl geradezu unmöglicher Rassemischungen mit weit getriebener Inzucht“ entstanden sei. Zersetzend sei der jüdische Einfluss auf das Kulturleben in Deutschland: Nie habe „der Jude aufgebaut, stets nur zerstört. Wo ist seine Kultur, wo bleiben die Geisteswerke und Kunstschätze, die er geschaffen? Der letzte Negerstamm hat wenigstens etwas auf diesem Gebiete geleistet, der Jude aber stets nur mit fremden Federn sich geschmückt, mit fremden Erzeugnissen gehandelt.“ Unter Berufung auf Karl Marx bezeichnete Jung „Eigennutz“ und „Schacher“ als wesentliche Merkmale des „jüdischen Geistes”. Dieser könne auch Menschen anderen Blutes und selbst ganze Völker ergreifen. Für ihn stand fest, dass „das Judentum die Weltherrschaft“ anstrebe. Dies zeigten auch die Friedensbedingungen in Versailles und offenbarten die „grausam jüdische und dabei feige Art der Kriegführung“ wie auch die „Zermürbung des Hinterlandes durch Flugschriften und im Dienste des Judentums stehende Zeitungen und Parteien“. Die Demokratie sei „nichts anderes als der politische Niederschlag des jüdischen Geistes, dient keinem anderen Zwecke, als der Aufrichtung der Herrschaft des Judentums“. Nach dem Krieg habe sich in keinem anderen modernen Staat das Judentum „so restlos“ wie in Deutschland „der Führung auf dem Gebiete von Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft bemächtigt“. Er kam zu dem Fazit: „Das Deutsche Reich ist letzten Endes deshalb in Trümmer gegangen, weil es – wenngleich ein Staat mit überwiegend deutscher Bevölkerung – in seiner Führung und Leitung sich gänzlich undeutschen Einflüssen gefügig erwies.“ Daraus folgerte Jung, die Juden seien letztlich auch Schuld am Schicksal der Sudetendeutschen: „Unter der geistigen Führung Judas stehend, hat das Deutsche Reich seine weltgeschichtliche Aufgabe vollständig verkannt. Sie musste in erster Reihe auf die Stärkung und Wiedergewinnung aller außerhalb des Reichsverbandes befindlichen Deutschen gerichtet sein, statt sie die Rolle des Kulturdüngers in Österreich, Rußland usw. spielen zu lassen.“ Um zu einer Er-

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neuerung Deutschlands zu kommen, müsste daher zuerst alles „Undeutsche“ aus dem geistigen Leben des deutschen Volkes entfernt werden. Jung reproduzierte damit die gängigen antisemitischen Stereotype, die zu dieser Zeit im Deutschen Reich, in Österreich wie auch unter den Deutschen in der ČSR weitverbreitet waren. Unter dem Titel „Der nationale Sozialismus. Seine Grundlagen, sein Werdegang und seine Ziele“ erschien die Schrift 1922 in zweiter Auflage (6.000 Exemplare) im Deutschen Volksverlag, Dr. E. Boepple in München, nunmehr in einem Umfang von 189 Seiten. Jung betonte die Bedrohung durch den „jüdischen Bolschewismus“: Man sehe, „wie die Verjudung gegen links zunimmt”. Noch eingehender als zuvor befasste er sich mit der angeblichen jüdischen Dominanz im Kulturleben in Deutschland: „In Presse und Schrifttum endlich betätigen sich von 1.000 Deutschen einer, von 1.000 mosaischen Juden aber 10. [...] Von der gesamten reichsdeutschen Presse befinden sich bloß 5 v.H. unter bewusst deutscher Leitung, während 35 unter bewusst jüdischer Leitung stehen. Der Rest wird vom jüdischen Anzeigenmonopol (Mosse usw.) beherrscht. Von den 806 bedeutendsten Verlegern sind 365, also 45 v.H. (statt 1 v.H.) Juden!“ Jung stützte sich sowohl auf die → „Protokolle der Weisen von Zion“ als auch auf das → „Handbuch der Judenfrage“ von Theodor Fritsch sowie das kurz zuvor in deutscher Übersetzung erschienene Pamphlet von Henry Ford („Der internationale Jude. Ein Weltproblem/→ The International Jew). Nur ein Jahr später brachte Boepple eine dritte Auflage im Umfang von 160 Seiten auf den Markt; die Auflagenhöhe ist nicht bekannt. Jungs Buch war der erste Versuch, die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus zusammenzufassen. Es wurde daher von Anfang an nicht nur im Sudetenland und in Österreich, sondern auch im Deutschen Reich rezipiert, wo schließlich auch die späteren Auflagen im rechtsextremen und antisemitischen Deutschen Volksverlag erschienen. Der „Bayerische Kurier“, eine der Bayerischen Volkspartei nahestehende Zeitung, berichtete ausführlich über Jungs Werk, da es als „offizielle Programmschrift anzusehen“ sei, auf den Versammlungen der NSDAP verkauft werde und einen „vollständigen Kommentar zum Münchener Parteiprogramm vom 24. Februar 1920“ darstelle. Tatsächlich empfahl die NSDAP im April 1922 in einem von Hitler gezeichneten Rundschreiben „Der nationale Sozialismus“ den Parteigenossen zur Lektüre: „Wir weisen auf dieses Werk besonders hin und ersuchen alle Ortsgruppen, für weiteste Verbreitung des Buches Sorge zu tragen.“ Gregor Straßer bezeichnete es 1927 als eines der „grundlegendsten Werke unserer Literatur“, und 1929 erhob Alfred Rosenberg es in den Rang einer der wesentlichen NS-Schriften. Die Bedeutung von Jungs Buch für Adolf Hitlers → „Mein Kampf” ist noch nicht eindeutig geklärt. Rudolf Jung, der seit 1934 in Deutschland lebte, und sein Werk gerieten im Dritten Reich, wo Hitlers „Mein Kampf“ die zentrale Schrift der NSDAP war, indes zunehmend in Vergessenheit. Lediglich Adalbert Forstreuter hob 1939 – in einem allerdings von Jung selbst herausgegebenen Buch – lobend hervor, dass sich in dessen Programmschrift manches von dem finde, „was heute in der nationalsozialistischen Weltanschauung fundamentalen Wert“ besitze.

Jörg Osterloh

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Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft (Constantin Frantz, 1874)

Literatur Francis L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München 1977. Jörg Osterloh, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938– 1945, München 2006. Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1935, München 2006. Michael Wladika, Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u.k. Monarchie, Wien, Köln, Weimar 2005.

Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft (Constantin Frantz, 1874) Unter dem Titel „Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft“ erschien 1874 eine Broschüre von 62 Seiten, die einen doppelten Angriff führte: zum einen gegen die als rassischer Fremdkörper in Deutschland verunglimpften Juden, zum anderen gegen das neugegründete Reich und seine nationalliberale Politik unter Bismarck. Autor war Constantin Frantz (1817–1891), der seit den 1840er Jahren in vielen Büchern und kleineren Schriften den Föderalismus als Weltanschauung propagiert hatte. 1874 war Frantz als preußischer und deutscher Publizist auf einem Tiefpunkt angelangt. Bismarck hatte triumphiert; die kleindeutsche Reichsgründung war für Frantz kein föderatives Reich (nach dem Ideal des Mittelalters), sondern ein zentralisierter Staat. Dessen Entstehung durch Kriege bedeutete für den Pazifisten Frantz, dass das Ende des Bismarck-Reiches ebenfalls durch Gewalt kommen werde. Zudem führte die Reichsgründung zur rechtlichen Gleichstellung der Juden, was Frantz als weiteren Geburtsfehler ansah. In dieser Stimmungslage ist die Abhandlung entstanden. Die Broschüre gliedert sich in eine Einleitung und zehn kurze Kapitel. In der Einleitung rechnet Frantz mit der → „Kreuzzeitung“ ab, die eigentlich „von ihrem Anfang an eine markirte Antipathie gegen den Einfluß des Judenthums kund gegeben“ hatte, die nun aber die Reichsgründung unterstütze – und damit eben die Herrschaft der Juden. Die Grundlage seines Antisemitismus legt Frantz im ersten Kapitel dar: Die Juden sieht er als eigene Nation, die niemals in Deutschland (oder anderswo) heimisch sein könne. Daran schließt sich im zweiten Kapitel die Behauptung an, dass die Christen die Juden immer positiv gesehen hätten, während umgekehrt die „Moral des Talmud“ es den Juden erlaube, Christen als Mittel zum Zweck auszunützen. Im dritten Kapitel verknüpfen sich Zeitkritik und Antisemitismus: Von Revolutionen, der Idee des neutralen Rechtsstaates und Verfassungen hätten von jeher nur die Juden profitiert, und der Höhepunkt sei der jetzige Kulturkampf. Damit verfestige sich die Herrschaft der Juden über Handel, Börse und Presse, die stereotyp als „Beweis“ herhalten müssen. Die Absurdität der neuen Reichsverfassung steht im Zentrum des Kapitels fünf; da sie religiös neutral sei, könne es auch einen jüdischen Reichskanzler oder gar Kaiser geben – für Frantz das klare Zeichen, dass der Rechtsstaat keine geeignete Staatsgrundlage sei. Ging es bislang um den judenfreundlichen Liberalismus, so wird im sechsten Kapitel der jüdische Ursprung des Sozialismus durch den Verweis auf Marx gezeigt. Hier-

Nationalsozialistische Monatshefte (1930–1944)

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bei geht Frantz bis zu der Behauptung, dass Marx nur deshalb vom Industriekapital spreche, weil er das jüdische Börsenkapital ungeschoren lassen wolle. Im siebten Kapitel folgt die Klage, dass die öffentliche Meinung keine Kritik an den Juden zulasse, während das Christentum offen verhöhnt werde – etwa in der Oper „Die Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer. Die Erwähnung Meyerbeers war eine Verbeugung vor Richard Wagner, mit dem Frantz in engem Kontakt stand, der aber gerade in diesen Jahren kurzfristig und zu Frantz’ Leidwesen zum Bismarck-Verehrer mutiert war. Im achten Kapitel verlangt Frantz, dass die deutsche Nation offen christlich sein müsse – der formale Rechtsstaat reiche nicht aus; ja, er führe direkt in den „Judenstaat“. Gleichberechtigung sei aber schon deshalb verfehlt, weil die Juden angeblich keinerlei produktive Arbeit leisteten, sondern lediglich „lucrativen Geschäften“ nachgingen. Das zehnte Kapitel rundet die Narration ab und weist die Schuld der jüdischen Fremdheit der Ablehnung des Messias zu: „Ahasverus der ewige Jude – das ist das Judenthum selbst“. Der Schrift war kein Erfolg beschieden. Sie ging, wie viele Anti-Bismarck-Pamphlete Frantz’ aus dieser Zeit, spurlos unter. Der Hauptangriff zielte auf Bismarck und das neue Reich. Die Gleichberechtigung der Juden als Folge von Verfassung, Rechtsstaat und Kulturkampf wird als Argument eingesetzt. Eine Beweisführung, selbst nach antisemitischen Kriterien, wird nirgendwo unternommen. Der Schluss kehrt sich um: Weil Juden im Reich gleichberechtigt sind, ist die Konstruktion des Kaiserreiches von Grund auf verfehlt; ja, es führt in ein „deutsches Reich jüdischer Nation“. Frantz hat sich in dieser Abhandlung die Frustration über das neue Reich von der Seele geschrieben – seinen Antisemitismus hatte er anderswo begründet; hier war er bereits selbstverständlich vorausgesetzt.

Michael Dreyer

Literatur Michael Dreyer, Judenhaß und Antisemitismus bei Constantin Frantz, in: Historisches Jahrbuch 111 (1991), S. 155–172.

Nationalsozialistische Monatshefte (1930–1944) Die einzige Zeitschrift der NSDAP, die mit wissenschaftlichem Anspruch auftrat, richtete sich an die Führungselite der Partei sowie an nationalistisch, völkisch und antisemitisch eingestellte Intellektuelle. Sie erschien erstmals im April 1930, wenige Monate nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise und noch vor den spektakulären Wahlerfolgen der NSDAP im September dieses Jahres, im parteieigenen Zentralverlag Franz Eher Nachf. GmbH (→ Eher-Verlag) in München. Die Auflage der im DIN-A5-Format erscheinenden „Nationalsozialistischen Monatshefte“ lag im Jahre 1937 bei 52.200 Exemplaren. Auf dem hellbraunen Cover war ein Adler mit einem Hakenkreuz in den Krallen abgebildet, über ihm prangte die Parole „Freiheit und Brot“. Die Bedeutung, die die NSDAP dem Periodikum beimaß, kam schon darin zum Ausdruck, dass Adolf Hitler persönlich die Rolle des Herausgebers übernahm (1930–1933). Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten diente die Zeitschrift dazu, der NSDAP ein seriöses, wissenschaftlich fundiertes, bei aller Radikalität realpolitisches Image zu

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Nationalsozialistische Monatshefte (1930–1944)

verschaffen. Ab 1933 firmierte Alfred Rosenberg, der zuvor schon das Amt des „Schriftleiters“ und des „Hauptschriftleiters“ bekleidete, als Herausgeber. Motiviert war dieses formale Revirement wahrscheinlich dadurch, dass Hitler als Reichskanzler und „Führer“ möglichen Konflikten aus dem Weg gehen wollte, die aus seiner Rolle als Herausgeber einer „ideologischen Speerspitze“ der NS-Bewegung erwachsen konnten. „Schriftleiter“ der Zeitschrift waren stets ideologisch zuverlässige „Alte Kämpfer“: bis April 1933 Gerhard L. Binz, dann bis Mai 1934 Thilo von Trotha, später Matthes Ziegler. Die „Nationalsozialistischen Monatshefte“ hatten den Anspruch, alle wichtigen Fragen der Politik aus der Sicht der NSDAP grundlegend zu beantworten. Folglich wurde in den Heften ein breites Themenspektrum bedient. Dabei zeigt sich, dass die Nationalsozialisten schon in der Weimarer Zeit kaum verhüllt ihre politischen Absichten propagierten. Im Mittelpunkt der Hefte stand zumeist ein thematischer Schwerpunkt: Er umfasste so unterschiedliche programmatische Felder wie die „Neugeburt des Reiches“ (Oktober 1930) oder die „Deutsche Erziehung“ (November 1930). Ein immer wieder gepflegtes Essential war der Antisemitismus: „Rassenhygiene. Bevölkerungspolitik“ (Dezember 1930), „Ein abschließendes Wort zur Judenfrage“ (Januar 1933), „Die Rassenfrage und das neue Reich“ (Mai 1933). Dadurch bereiteten die Nationalsozialisten vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler ihre Regierungsübernahme zunächst programmatisch vor; nach dem 30. Januar 1933 dienten solche Beiträge dazu, die NSDAP und die Öffentlichkeit auf die judenfeindlichen Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen vorzubereiten bzw. diese „wissenschaftlich“ zu legitimieren. Wiederholt Verfasser von Beiträgen sind Herbert Groß („Die Propheten. Friedrich Nietzsche, Paul de Lagarde und Houston Stewart Chamberlain in ihrer Bedeutung für uns“), Baldur von Schirach („Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund“), Ernst Graf Reventlow („Nemesis über das Bürgertum“), der spätere Teilnehmer der Wannsee-Konferenz Georg Leibbrandt, der sich wiederholt mit dem „Weltbolschewismus“ auseinandersetzt. Als Autoren antisemitischer Elaborate treten neben prominenten Parteigrößen wie Alfred Rosenberg u. a. folgende Beiträger in Erscheinung: Hans Frank („Der Kampf ums deutsche Recht“), Gerhard L. Binz („Das Judentum in der nationalsozialistischen Rechtsordnung“), Johannes Stark („Die Verjudung der deutschen Hochschulen“), Thilo von Trotha („Juda, wir und die anderen Völker“), Achim Gercke („Grundsätzliches zur Mischlingsfrage“), Arno Schickedanz („Ein abschließendes Wort zur Judenfrage“), Ludolf Haase („Marxismus und Nationalsozialismus. Die Ablösung der Zerstörung durch organischen Aufbau“) und einer der fanatischsten Judenhasser der NS-Bewegung, Johann von Leers („Das Ende der jüdischen Wanderung“). 1934, im Jahr der Ermordung Ernst Röhms und des damit verbundenen Aufstiegs der SS, erscheint zum ersten Mal ein Beitrag Heinrich Himmlers („Die Aufgaben der S.S.“). Und der spätere „Hauptschriftleiter“ der SS-Zeitung → „Das Schwarze Korps“, Gunter d’Alquen, erhält die Gelegenheit, die politisch motivierten Liquidierungen im Rahmen des angeblichen Putsches zu rechtfertigen. Die Zahl der Anzeigen in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ wuchs nur langsam. Es ist davon auszugehen, dass die Hefte im Rahmen einer Mischkalkulation aus den Gewinnen des Eher-Verlages subventioniert wurden. Seit 1934 enthalten die

Nationalt Tidsskrift (Norwegen, 1916–1945)

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„Nationalsozialistischen Monatshefte“ die ersten Farbdrucke. Die Motive sind im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie konventionell: Landschaften, Bauern, Handwerker, Soldaten, Mütter, große deutsche Männer etc. Lichtbildreihen („Arbeitsdienst im Einsatz“, 1935; „Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage“, 1937; „Der deutsche Feldzug in Polen“, 1939; „Der Krieg im Osten“, 1943 etc.) zielen ebenfalls darauf ab, die ideologische Ausrichtung der NS-Funktionäre ästhetisch und emotional zu unterstützen. Das amtlich anerkannte Parteiorgan erschien trotz der mit dem „Totalen Krieg“ und dem Bombenkrieg verbundenen wachsenden logistischen Schwierigkeiten bis 1944 (Nr. 163 der „Nationalsozialistischen Monatshefte“).

Bernward Dörner

Literatur Wilfried Scharf, Nationalsozialistische Monatshefte (1930–1944), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitschriften des 17. und 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1973, S. 409–420.

Nationalt Tidsskrift (Norwegen, 1916–1945) Die norwegische Zeitschrift „Nationalt Tidsskrift. Sannheten“ [Nationale Zeitschrift. Die Wahrheit] erschien in den Jahren 1916 bis 1945 in Kristiania/Oslo mit einem Gesamtumfang von über 4.000 Seiten. Redakteur und Herausgeber war der Typograph Mikal Sylten (1873–1964), das Titelemblem war ein Hakenkreuz. Die Auflage betrug ca. 600 Exemplare, gegen Ende des Erscheinens ca. 350. Vorbilder waren vor allem Theodor Fritsch und dessen Publikationen, besonders → „Der Hammer – Blätter für deutschen Sinn“. In der ersten Zeit stammte ein Großteil des Stoffes aus ausländischen, vor allem deutschsprachigen Publikationen („Deutsche Hochschulblätter“, „Auf Vorposten“, „Die Wahrheit“, → „Rasse“), wobei es im Verlauf der 1920er Jahre zu einer deutlichen Radikalisierung und Vulgarisierung kam. Neben Fritsch bestanden Kontakte u.a. zu der dänischen → „Dansk Nationalt Tidsskrift“ (1919–1927) und dessen Redakteur Hans Peter Brunøe sowie dem schwedischen antisemitischen Magazin → „Nationen“ (1925–1941) und dessen Redakteur Elof Eriksson, wahrscheinlich auch zum Ostara-Kreis und Johann Warthari Wölfl, den → „Deutschvölkischen Blättern“ in Hamburg und Ludendorffs „Volkswarte“. Wie Eriksson verstand Sylten seine Zeitschrift als Instrument der „Aufklärung“ über die angeblich weltweite verschwörerische Tätigkeit der Juden in Form von Kommunismus, Kapitalismus, Zerstörung der Agrargesellschaft, Presse, Kunst, Frauenemanzipation, Schwindel und Untergrabung moralischer Werte, wobei die „versteckten Juden“ eine besondere Gefahr darstellten. „Nationalt Tidsskrift“ propagierte die → „Protokolle der Weisen von Zion“ und vertrat die Ansicht, dass die Presse und die Universitäten bereits unter „jüdischer Zensur“ stünden. 1927 wurde erstmals ein Numerus clausus für jüdische Studenten und ein Verbot für Juden, Theater zu leiten, gefordert. Individuell stellten Juden für „Nationalt Tidsskrift“ eine Gefahr als „biologische Bedrohung“ dar, da ihr Blut stärker als das germanische sei. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Sylten mehrfach (auch als Beilage zur Zeitschrift) seine eige-

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Nationen (Schweden, 1925–1941)

nen „Wer ist wer in der Judenwelt?“-Versionen (1925, 1932, 1938 und 1941) – Sammelsurien mit Übersichten über Menschen, die Sylten für Juden hielt und die nach seiner Ansicht eine Gefahr verkörperten. Diese Übersichten dienten später der deutschen Besatzungsmacht bei der Registrierung der Juden in Norwegen. Sylten blieb mit seinem Ein-Mann-„Lebensprojekt“ (Brattelid) ein Außenseiter in der norwegischen Gesellschaft, doch war seine Zeitschrift die langlebigste in Skandinavien. Gegenüber Quisling und dessen Partei Nasjonal Samling (NS) wollte Sylten seine parteipolitische Selbstständigkeit bewahren. Der NS trat er erst im Frühjahr 1942 bei, nachdem das Quisling-Regime den Paragraphen 2 der Verfassung von 1814 reaktiviert hatte, der den Juden den Aufenthalt im Lande verbot. Im bürgerlichen und agraren Norwegen blieben die von „Nationalt Tidsskrift“ verbreiteten Ansichten nicht unbeachtet. Die wichtigste Tageszeitung des Bauernverbandes und der Bauernpartei („Nationen“) sowie deren Lokalzeitungen ebenso wie andere bürgerliche Presseorgane und die Zeitschrift der katholischen Kirche in Norwegen, „St. Olav“, nahmen keinen Anstoß am rabiaten Ton der Zeitschrift und übernahmen Artikel aus „Nationalt Tidsskrift“, z. T. sogar als Leitartikel. Knut Hamsun sandte zur Jubiläumsnummer von 1926 eine Grußbotschaft. Selbst im Zentralorgan der Norwegischen Arbeiterpartei, „Arbeiderbladet“, waren Beiträge aus „Nationalt Tidsskrift“ zu lesen.

Einhart Lorenz

Literatur Kristin Brattelid, Mikal Sylten. Et antisemittisk livsprosjekt [Mikal Sylten. Ein antisemitisches Lebensprojekt], Examensarbeit Universität Oslo 2004.

Nationen (Schweden, 1925–1941) „Nationen. Tidsskrift för Upplysning“ [Die Nation. Zeitschrift für Aufklärung] hieß eine schwedische konservative politische Zeitschrift mit antisemitischer, antisozialistischer und antifreimaurerischer Ausrichtung. Während der Zwischenkriegszeit war sie außerhalb der Parteiorgane der schwedischen Nationalsozialisten die bedeutendste Plattform antisemitischen Gedankenguts in Schweden. „Nationen“ erschien zunächst (1925–1930) wöchentlich im Umfang von 4–8 Seiten, später monatlich (1931–1938), bzw. alle zwei Monate (1939–1941), dann als umfangreiche Zeitschrift. Ihre Auflage lag in den 1930er Jahren bei etwa 6.000–8.000 Exemplaren bei bis zu 200 festen Abonnenten. Seit 1935 wurde der Vertrieb der Zeitschrift durch einen Boykott des Zeitschriftenhandels allerdings erheblich erschwert. Initiator und leitender Redakteur der Zeitschrift war Elof Eriksson (1883–1965), der sich zuvor in der schwedischen Bauernbewegung engagiert hatte und ab Mitte der 1930er Jahre enge Kontakte zu nationalsozialistischen Kulturinstitutionen in Deutschland unterhielt. In den ersten Jahren ihres Erscheinens behandelte „Nationen“ als politische Wochenzeitung zunächst ein relativ breites Spektrum tagesaktueller Fragen aus Gesellschaft und Ökonomie, wobei die Frage des staatlichen Tabak- und Branntweinmonopols sowie Berichte über den italienischen Faschismus relativ breiten Raum einnahmen. Seit 1927 erhielten auch rassentheoretische und antisemitische Inhalte erhebli-

Neamul românesc (Rumänien, 1906–1940)

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ches Gewicht. „Nationen“ veröffentlichte nun Beiträge des zeitweise im schwedischen Uppsala arbeitenden deutschen Rasseforschers Hans Friedrich Karl Günther (1891– 1968) sowie international bekannte antisemitische Texte, wie die → „Protokolle der Weisen von Zion“ und Arbeiten Theodor Fritschs (1852–1933), aber auch Martin Luthers Schrift → „Von den Juden und ihren Lügen“. Nachdem 1931 die nur ein Jahr zuvor gegründete Zeitschrift „Svea Rike“ Carl Ernfrid Carlbergs (1889–1962) in „Nationen“ aufgegangen war, erhielt die Zeitschrift zunächst eine stärker kulturkonservative Ausrichtung. Carlberg, der sich u. a. stark in der schwedischen Turnbewegung engagierte, hatte in seinen früheren Arbeiten eine Ideologie des „turnerischen Geistes“ propagiert, in der kulturkonservative Vorstellungen mit rassentheoretischen und männerbündischen Idealen verschmolzen. Seit Mitte der 1930er Jahre enthielt „Nationen“ zahlreiche antisemitische Texte und Reden deutscher Nationalsozialisten und zeigte eine deutliche Radikalisierung hinsichtlich ihrer Sprache und Inhalte. In den Jahren 1935 bzw. 1938 fungierte die Zeitschrift kurzzeitig als Vereinsorgan für die kleineren nationalsozialistischen Organisationen „Frihetsvärnet“ [Freiheitswehr] und „Frihetsrörelsen“ [Freiheitsbewegung]. Neben der Verbreitung rassenmystischen Gedankenguts widmete sie sich nun zunehmend einem extremen weltanschaulichen Antisemitismus und publizierte umfangreiche Beiträge mit antisemitischen und antifreimaurerischen Verschwörungsmythen. Kurz vor der Einstellung der Zeitschrift 1941 vermuteten die schwedischen Sicherheitsbehörden, dass „Nationen“ in erheblichem Maße finanzielle Unterstützung von deutscher Seite erhielt.

Christoph Leiska

Literatur Lena Berggren, Nationell upplysning. Drag i den svenska antisemitismens idéhistoria [Nationale Aufklärung. Ausschnitte aus der Ideengeschichte des schwedischen Antisemitismus], Stockholm 1999. Lena Berggren, Svensk antisemitisk press – exemplet „Nationen“ 1925–1941 [Schwedische antisemitische Presse – das Beispiel „Nationen“ 1925–1941], in: Presshistorisk årsbok 1997, S. 106–120. Heléne Lööw, Nazismen i Sverige 1924–1979. Pionjärerna, partierna, propagandan [Der Nationalsozialismus in Schweden 1924–1979. Seine Pioniere, seine Parteien, seine Propaganda], Stockholm 2004. Eric Wärenstam, Fascismen och nazismen i Sverige 1920–1940. studier i den svenska nationalsocialismens, fascismens och antisemitismens organisationer, ideologier och propaganda under mellankrigstiden [Faschismus und Nationalsozialismus in Schweden 1920– 1940. Studien zu Organisationen, Ideologien und Propaganda des schwedischen Nationalsozialismus in der Zwischenkriegszeit], Stockholm 1970.

Neamul românesc (Rumänien, 1906–1940) Nachdem Nicolae Iorga (1871–1940) die Zeitschrift → „Sămănătorul“ [Der Säer] verlassen hatte, gründete er die politische Zeitung „Neamul românesc“ [Der rumänische Volksstamm] mit Sitz in Bukarest, die zwischen dem 1. Mai 1906 und dem 11. Oktober 1940 erschien. Bis zum Jahresende 1907 wurde „Neamul românesc“ zweimal wö-

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Neamul românesc (Rumänien, 1906–1940)

chentlich veröffentlicht, zwischen 1908 und 1916 wurden drei Ausgaben pro Woche gedruckt, danach erschien sie täglich. Zur Redaktion gehörten G. Taşcă, N. Georgescu, Emil Gârleanu, Alex. Cuzin, E. Ciuceanu. Weitere Beiträger waren G. Topârceanu, A. Cotruş, Elena Farago, I. Ciorănescu, N. Cartojan. Bis 1918 thematisierte die Zeitung auch die Frage der Rumänen, die sich außerhalb des Nationalstaates befanden (u. a. diejenigen, die in Siebenbürgen/Ungarn lebten). Zur Täuschung der ungarischen Behörden erschien die Zeitschrift unter verschiedenen Titeln: 1909 als „Sfătuitorul” [Der Ratgeber], „De la noi” [Über uns], 1910 als „Din ţară” [Aus dem Land] oder „Foaia Jiului” [Blatt des Schiltals]. Nicolae Iorga vertrat eine nationalistische Ideologie und sprach sich für die „nationale Essenz“ innerhalb der Kunst und Kultur Rumäniens aus. Er konzentrierte sich auf die traditionellen Werte des rumänischen Landlebens und kritisierte, dass sich die Lage der Bauern nicht schnell genug verbesserte und der Staat nicht ausreichend engagiert sei. Für die Ziele sollte sich die 1910 gegründete Nationaldemokratische Partei (Partidul Naţional-Democrat) einsetzen. Die antisemitische Programmatik der Partei wurde auch in der „Neamul românesc“ verbreitet. Zeitweilig erschien sie sogar mit dem Zusatz „Foaia Partidului Naţional-Democrat“ [Blatt der Nationaldemokratischen Partei]. Während dieser Phase standen im Mittelpunkt der Zeitschrift Themen wie die vermeintlich jüdische Vorherrschaft und deren negative Auswirkungen auf die Bauern: Demnach wäre die ungelöste Bauernfrage der „jüdischen Ausbeutung“ geschuldet. Ein weiteres Thema war die Sicherung der Vorherrschaft der Rumänen in allen sozialen und ökonomischen Einrichtungen. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich der rumänische Nationalismus in extremistischer Richtung. „Neamul românesc“ stellte eine wichtige Plattform für antisemitische Agitationen dar. Sie griff regelmäßig Zeitungen an, die Juden gehörten, und auch rumänische Intellektuelle wie den Schriftsteller Ion Luca Caragiale, die als „judenfreundlich“ galten, wurden attackiert und der „Judaisierung“ des intellektuellen Milieus Rumäniens beschuldigt. Antisemitismus entwickelte sich zum definierenden Element der sozialen und politischen Doktrin, wodurch die „Judenfrage“ als politisches, soziales und kulturelles Problem erachtet wurde. Nachdem die Eiserne Garde ab September 1940 im sogenannten Nationallegionären Staat an der Regierung beteiligt worden war, stellte die „Neamul românesc“ am 11. Oktober 1940 ihr Erscheinen ein.

Luciana Banu

Literatur Zigu Ornea, Sămănătorismul [Der Sămănătorismus], Bucureşti 1998. Leon Volovici, Ideologia naţionalistă şi problema evreiască în România anilor '30: Eseu despre formele antisemitismului intelectual în România anilor '30 [Die nationalistische Ideologie und die Judenfrage im Rumänien der dreißiger Jahre: Ein Essay über die Formen des intellektuellen Antisemitismus im Rumänien der dreißiger Jahre], Bucureşti 1995.

Neo-Nazi-Blogs

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Neo-Nazi-Blogs Das Web bietet Neo-Nazis eine moderne Plattform, um ihre ideologischen Inhalte zu verbreiten. Es wird zur Selbstdarstellung und Werbung ebenso wie als Kommunikations- und Informationsmedium genutzt. Im Jahr 2011 dokumentierte jugendschutz.net, das im Auftrag der Obersten Landesjugendbehörden Angebote der Telemedien überprüft, 1.671 rechtsextreme Webseiten. Besonders viele Webseiten stammten aus dem Umfeld der Neonazi-Kameradschaften (391 Webseiten), hinzu kamen 63 Seiten von Gruppierungen der Autonomen Nationalisten und 52 Angebote, die speziell der Mobilisierung für bestimmte Kampagnen oder Szeneevents dienten. Besonders aktiv zeigten sich Neo-Nazi-Gruppen aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen. Die NPD ist mit 238 Webseiten ein wichtiger Akteur in der digitalen Welt, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern. Vertreten im Netz sind auch diverse Webseiten von rechtsextremen Versandhändlern (164), die Musik, Kleidung und Lifestyleprodukte anbieten, auch findet sich eine beträchtliche Anzahl an Internet-Radiosendern (17). Neben den Webseiten erlangen Soziale Medien zunehmende Bedeutung. Facebook und YouTube werden besonders häufig genutzt, aber auch der Mikroblogging-Dienst Twitter wird stark frequentiert. Die meisten Neo-Nazi-Webseiten lagen im Jahr 2011 auf deutschen Servern (65 Prozent), gefolgt von Servern aus den USA. Mehr als zwei Drittel aller Szeneblogs fanden sich bei einem einzigen Neo-Nazi-Blogprovider (logr.org). Die Möglichkeit, durch digitale Medien schnell und für eine unbegrenzte Zahl Einzelner sichtbar, einprägsame Zeichen zu setzen, wird von Neo-Nazis zunehmend stark genutzt. Das Netz wird zum effektreichen Transmitter für neo-nazistische Narrativen und verändert die Szene selbst: Sie ist zunehmend besser vernetzt, hartnäckig beim Schreiben eigener Narrative und treibt ihre visuelle Faszination auf die Spitze. Typisch sind simple politische Kampagnen: Nach der Entdeckung der NSU-Morde fanden sich auf Webseiten von Neo-Nazis Banner mit der Aufschrift „Wir sind keine Terroristen“. Die Ambivalenz der Aussage ist charakteristisch für den deutschen Neo-Nazismus des beginnenden 21. Jahrhunderts. Das Statement betont, so die eine Lesart, dass sich die Neo-Nazis nicht als Terroristen, sondern als Verteidiger eines völkischen Deutschtums, auch gegen den Staat „Bundesrepublik“, verstehen. In diesem Sinne handelt es sich bei den NSU-Morden nicht um Terrorismus, sondern um Befreiungsakte. Nach anderer Lesart wird der Vorwurf des Mordes und Terrorismus durch NeoNazis als Verschwörungstheorie zurückgewiesen. Dabei werden Beziehungen zum klassischen Repertoire der Neo-Nazis gesetzt: Schuldabwehr, das Einnehmen der Opferrolle und die Verbreitung von Verschwörungstheorien. In dieser Lesart sind es böse Mächte, die den Neo-Nazis Terrorismus unterstellen, um ihnen bzw. dem „völkisch Deutschen“ den Todesstoß zu versetzen. Die ambivalente Aussage ermöglicht sowohl die gewinnbringende Ansprache der Anhänger als auch die Präsentation von Harmlosigkeit gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit und bundesdeutschem Strafrecht. Insgesamt zeigt sich, dass in Neo-Nazi-Blogs besonders emotionale und konflikthafte Themen aufgegriffen werden. Auch sie dienen der Selbstbestätigung und der Werbung für Zustimmung über das neonazistische Spektrum hinaus. Dabei werden die kruden Ideologien im digitalen Gewand durch einen Klick auf jeden Monitor transportiert.

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Neue Freie Presse (Österreich, 1864–1939)

Einige jüngere Aktionsformen der Neo-Nazis zeigen, dass die virtuelle Welt bereits mehr zählt als die Aktivitäten in der realen Welt. Ein Beispiel sind die Auftritte „der Unsterblichen“, eine moderne Variante der Ku-Klux-Klan- und SS-Aufmärsche. „Die Unsterblichen“, mit weißen Masken und schwarzer Kleidung kostümierte Neo-Nazis, marschieren nachts mit Fackeln durch (verlassene) Straßen. Diese Fackelmärsche werden visuell ästhetisch aufgenommen, die Neonazis wollen Stärke demonstrieren und Zuschauer emotional treffen. Die Botschaft wird knapp formuliert und knüpft in der direkten Ansprache an den Einzelnen vor dem Computer, an Userfantasien in der digitalen Spielwelt an: „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist.“ Entsprechende Aktivitäten können auf Neo-Nazi-Blogs, auch bei youtube, jederzeit und von jedem angeschaut werden. Auf den Webseiten der Szene werden Aufnahmen von Aktivitäten bzw. Links zu ihnen wie Trophäen bereitgestellt. Insgesamt fällt auf, dass auf den zum Teil sehr professionell gestalteten Homepages der lokal oder regional aufgestellten Neonazi-Kameradschaften und Autonomen Nationalisten dominant Banner, Bilder und Videoclips zu finden sind – und damit Visualität eine große Rolle spielt. Eingestellt sind darüber hinaus häufig textliche Anleitungen für den Umgang mit Ermittlungsbehörden oder Hinweise zu rechtlichen Fragen bei der Darbietung der nationalsozialistischen Ideologie. Oft gibt es auch eine Rubrik, die Namen und Fotos von „Feinden“ der Neo-Nazis veröffentlicht. Hier finden sich Personen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, insbesondere Antifa-Aktivisten. Der Hass gegen Juden ist ein besonderer Schwerpunkt der Neo-Nazi-Seiten: Antisemitismus wird nicht nur in Texten, Slogans und Bildern sichtbar, dem Thema „Juden“ wird häufig eine eigene Rubrik auf Webseiten eingeräumt. So liefern die sogenannten „Freie Kräfte“ unter dem Stichwort „ZOG“ (Abkürzung für „Zionist Occupied Government“: Damit wird eine verschwörerische Herrschaft der Juden über Regierungen und Staaten unterstellt) diffamierende Berichte über Israelis oder Juden sowie antisemitische Propaganda. Hier finden sich neben historischen antisemitischen Texten (wie Luthers → „Von den Juden und ihren Lügen“) und jüngeren antisemitischen Schriften (etwa der → „Leuchter-Report“) auch eigenständige aktuelle Traktate und Hasstiraden. Wie argumentiert wird, ist hierbei unerheblich: Es findet sich religiöser Antijudaismus, rassistisch argumentierender und sekundärer Antisemitismus, ebenso wie eliminatorische Israelfeindschaft.

Britta Schellenberg

Literatur Jugendschutz.net, Rechtsextremismus online. Beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2011, Mainz 2012 (verantwortlich Stefan Glaser).

Neue Enthüllungen → Judenflinten-Broschüre

Neue Freie Presse (Österreich, 1864–1939) Die erste Ausgabe der „Neuen Freien Presse“ erschien am 1. September 1864 in Wien. Hervorgegangen war die Zeitung aus einem Redaktionsstreit der in den Revolutionstagen 1848 von dem Unternehmer August Zang (1807–1888) gegründeten libera-

Neue Freie Presse (Österreich, 1864–1939)

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len „Presse“, in dessen Folge fast die gesamte Redaktion zum neuen Blatt gewechselt war. Unter der Leitung von Max Friedländer (1829–1872) und Michael Etienne (1827–1879) wuchs die „Neue Freie Presse“ rasch zum führenden deutschsprachigen Blatt des Donauraums, zum – wie der Historiker Adam Wandruszka meinte – „Weltblatt der Donaumonarchie“ heran. Weltanschaulich vertrat die „Neue Freie Presse“ einen pointierten Liberalismus, der sowohl reaktionäre als auch radikal-demokratische Tendenzen verwarf. Das bald in zwei Ausgaben täglich erscheinende Blatt war betont deutschfreundlich, vertrat auch nach 1867 einen Zentralismus in der Donaumonarchie, war antiklerikal und – in seinem Eintreten gegen das Konkordat – antikatholisch. In der Frage der Unterstützung der Forderung nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts stand die „Neue Freie Presse“ den Sozialdemokraten nicht fern. Dieses Eintreten für die Prinzipien von Freiheit und Fortschritt, Recht und Gerechtigkeit, für das enge Bündnis Habsburgs mit Deutschland und für die Vorherrschaft des deutschen Elements innerhalb der Monarchie sicherten dem Blatt eine Monopolstellung innerhalb der deutsch-liberalen, großbürgerlichen Schichten. „Selbstverständlich ‚fortschrittlich’ und liberal in seiner Weltanschauung, solid und vorsichtig in seiner Haltung, repräsentierte dieses Blatt in vorbildlicher Art den hohen kulturellen Standard des alten Österreich“, charakterisierte Stefan Zweig die Zeitung in seinem autobiographischen Werk „Welt von gestern“. Den raschen Aufstieg des Blattes, der sich in laufend steigenden Auflagenzahlen niederschlug, ermöglichte eine Fülle journalistischer, redaktioneller und wirtschaftlicher Innovationen: Die „Neue Freie Presse“ etablierte in der österreichischen Presselandschaft ihrer Zeit Formate wie den Leitartikel, das Feuilleton, den Fortsetzungsroman in deutscher Sprache und regelmäßig erscheinende eigene Fachblätter, in denen bedeutende Wissenschafter und Publizisten – darunter Theodor Herzl, Felix Salten oder Franz Molnar – Beiträge, Essays, Analysen und Kommentare verfassten: Der „Economist“ als eine solche Beilage gehörte bald zu den führenden Wirtschaftsblättern der Epoche und der Region. Als eine der ersten Zeitungen auf dem europäischen Kontinent führte die „Neue Freie Presse“ 1872 den Rotationsdruck ein. Allein zum Massenblatt wurde die Zeitung nie. Als Sprachrohr des Finanz- und Industriekapitals erachtet, war die „Neue Freie Presse“ mit dem Aufkommen antiliberaler und antisemitischer Massenbewegungen ab den 1880er Jahren vermehrt Angriffen von dieser Seite ausgesetzt, häufig als „Judenblatt“ diffamiert. 1879 übernahm Moriz Benedikt (1849–1920) die Chefredaktion, der in den Folgejahren mit seinen Leitartikeln zu einer politischen Instanz wurde. Wegen seiner Einstellung und seinem Stil war er aber auch häufiger, durchaus auch antisemitisch gefärbter Kritik und ätzendem Spott – u. a. auch von Karl Kraus (1874–1936) – ausgesetzt, wenn er in der „Fackel“ (Nummer 40) im Mai 1900 seinen „synagogale[n] Tonfall“ verhöhnte, oder ihm in Nummer 71 im März 1901 vorwirft, er wolle die jüdische Assimilation umkehren und strebe die „Assimilation der Bevölkerung an die Abonnenten der ‚Neuen Freien Presse’“ an. Auch nach 1918 erschien das Blatt weiter zweimal täglich, ab 1920 unter der Chefredaktion von Ernst Benedikt (1882–1973). Allein der Umstand, dass sich der Liberalismus weder in der Parteienlandschaft noch in der politischen Kultur des neuen Staa-

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Das Neue Reich

tes etablieren konnte, stellte die Zeitung vor gravierende Probleme. Wenn auch zurückhaltend, unterstützte das Blatt das bürgerliche Lager, trat für die Sanierungsprogramme der bürgerlichen Regierungen im Zuge der Völkerbundanleihen 1922 bzw. 1932 ein. Trotz redaktioneller Modernisierungen – so führte das Blatt 1925 einen Sportteil ein – hatte das Blatt ab Mitte der 1920er Jahre laufend wirtschaftliche Schwierigkeiten. Von der Depression der Weltwirtschaftskrise schwer getroffen, wurde die Aktienmehrheit des Blattes 1932/33 zuerst an ein Konsortium, im Weiteren an den Bundespressedienst verkauft, ohne dass dies öffentlich wurde. Hatte das Blatt noch Anfang 1933 vor den Bestrebungen, das Parlament aufzulösen, gewarnt und immer wieder auf die Gefahren einer Zerstörung der Demokratie hingewiesen, wurde die „Neue Freie Presse“ nach 1933/1934 so zu einem quasi Regierungsblatt des autoritären Österreich. In seiner Kritik gegenüber NS-Deutschland zeigte sich das Blatt nach 1933 abwartend bis betont zurückhaltend. Auch die Leitartikel und Kommentare blieben akzentuiert sachlich und bedacht, über einschneidende Ereignisse – wie die Verabschiedung der Nürnberger Gesetze im September 1935 – wurde teilweise nur darstellend und kommentarlos berichtet. Nachdem das geheime Zusatzprotokoll des Juli-Abkommens zwischen Österreich und NS-Deutschland 1936 die Möglichkeit des Vertriebs der „Neuen Freien Presse“ im Deutschen Reich eröffnete, wurde die Blattlinie gegenüber dem Nationalsozialismus noch konzilianter – was aber auch zu einem Verlust vieler Abonnenten und Leser führte. In den Februar- und Märztagen vor dem „Anschluss“ unterstützte die Zeitung Bundeskanzler Schuschnigg. Unmittelbar nach dem 13. März 1938 wurde das Blatt unter kommissarische Verwaltung gestellt, Redakteure, die den sogenannten Ariernachweis nicht erbringen konnten, wurden zum Teil sofort, zum Teil – im Zuge der Einführung des „Schriftleitergesetzes“ – bis Juni 1938 entlassen und der Verlag enteignet. Erste Pläne der Nationalsozialisten, die Zeitung, u. a. auch wegen ihres Renommees, zu einem Sprachrohr der deutschen Außenpolitik in Südosteuropa zu machen, wurden (auch wegen der hohen Verluste, die die Zeitung inzwischen einfuhr) nicht umgesetzt: Die letzte Nummer der inzwischen gleichgeschalteten „Neuen Freien Presse“ erschien am 26. Januar 1939.

Béla Rásky

Literatur Petronilla Ehrenpreis, Die „reichsweite“ Presse in der Habsburgermonarchie, in: Adam Wandruszka, Helmut Rumpler (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band 8, Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft: Teilband 2, Die Presse als Faktor der politischen Mobilisierung, Wien 2006, S. 1715–1818. Theodor Venus, Die dunklen Jahre. Österreichs Ende und das Ende der „Neuen Freien Presse“, in: Julius Kainz, Andreas Unterberger (Hrsg.), Ein Stück Österreich. 150 Jahre „Die Presse“, Wien 1998, S. 136–153. Adam Wandruszka, Geschichte einer Zeitung. Das Schicksal der „Presse“ und der „Neuen Freien Presse“ von 1848 zur Zweiten Republik, Wien 1958.

Neue Preußische Zeitung → Kreuzzeitung Das Neue Reich → Schönere Zukunft

Das Neue Volk (Schweiz, 1929–1965)

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Neue Republikanische Blätter → Schweizerische Republikanische Blätter

Das Neue Volk (Schweiz, 1929–1965) Die integralistisch-rechtskatholische Wochenzeitung „Das Neue Volk“ wurde 1929 von den Gebrüdern Carl Weder (Theologe und Journalist, 1897–1981) und Fridolin Weder (Priester, 1892–1983) gegründet und im Eigenverlag in Rorschach herausgegeben. Die Mitarbeiterschaft der Zeitschrift setzte sich in erster Linie aus Schweizern, mehrheitlich Geistlichen, zusammen, darunter Carl Boxler, Joseph Rutché (auch unter dem Pseudonym „Parmil“), Alois Henggeler und Paul de Sury. Letzterer, auch Mitglied des antifreimaurerischen Comité d’Action Romand Antimaçonnique, gehörte zu den sich besonders vehement antisemitisch äußernden Autoren. Die Kreise um „Das Neue Volk“, die mit Josef Beck und anderen Exponenten der → „Schildwache“ in Beziehung standen, bildeten in den 1930er Jahren ein weitläufiges rechtskatholisches Netzwerk. Der Fribourger de Sury war ein Verbindungsglied zwischen den integralistischen Kreisen der deutschsprachigen Schweiz und französischsprachigen rechtskonservativen Exponenten. Kurz nach dem Machterhalt Hitlers und im Zuge der Frontenbewegung in der Schweiz initiierten die Gebrüder Weder 1933 die Katholische Front. Diese Bewegung, die 1933 und 1934 sogenannte Fronttage organisierte, strebte nach einer „totalen Erneuerung des nationalen Lebens“ in Verbindung katholisch-integralistischer und vaterländisch-schweizerischer Zielsetzungen. Zum einen war die Katholische Front eine radikale, auf einem integralistisch-katholischen Absolutheitsanspruch aufbauende exklusive Rekatholisierungsbewegung, zum anderen betonte sie wie andere Frontenbewegungen die nationale Erneuerung und die „Volksgemeinschaft“. Eine wichtige Rolle in der Front spielte neben den Gebrüdern Weder Heinrich Metzler, der zugleich weitere integralistische Bewegungen leitete, so die Pro ecclesia et pontifice St. Gallen sowie den Eucharistischen Weltkreuzzug; er gründete auch einen eigenen Pressedienst, die „Schweizerische Pressekorrespondenz“. Ein antisemitischer, antifreimaurerischer und gegen das „Gottlosentum“ gerichteter, aggressiver Diskurs war Grundbestandteil der meisten im „Neuen Volk“ erschienenen Artikel; Antisemitismus war ein konstitutives Element im Programm und den Veranstaltungen der Katholischen Front. Der Antisemitismus war wesentlicher Bestandteil eines Komplexes antimodernistischer Diskurse und stellte ein Bindeglied in den aus diesen hervorgehenden Verschwörungskonstrukten dar. Die gleichen Feindbilder und der offene Antisemitismus von Zeitschrift und Bewegung führten bis in den Herbst 1933 zu einer Reihe von Artikeln, die den nationalsozialistischen Antiliberalismus und Antibolschewismus befürworteten. Die Nähe zu anderen Frontenbewegungen zeigte sich in der Nationszentriertheit nicht zuletzt der Verschwörungsdiskurse sowie auf der personellen Ebene etwa im Auftritt von Theodor Fischer vom Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen an einem Fronttag. In den 1930er Jahren erhob die Katholische Front radikale antisemitische Postulate nach einem Judenboykott wie sie im katholischen Raum bzw. am Rande desselben einzig noch die ebenfalls im Frontenfrühling entstandene Zeitschrift → „Das Aufgebot“ und deren gleichnamige Bewegung vertraten. Die Zeitschrift nahm auch rassistisch-biologistische Diskurse auf. Durchgehend führten der heilsgeschichtliche Fokus und die christozentrische Perspektive der

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Neuer Judenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1828)

Integralisten zu einem Transfer antijudaistischer Argumentationsmuster in den modernen Antisemitismus hinein. Im religiös-gesellschaftlichen Erneuerungs- und Endzeitdiskurs waren antijudaistische, vermeintlich heilsgeschichtliche Interpretationen der Geschichte der Juden bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges und damit der Shoah zentraler Bestandteil der Argumentation. Nach dem Niedergang der Katholischen Front waren Beziehungen des „Neuen Volks“ – bald schon in enger Zusammenarbeit mit der „Schildwache“ und seit 1937 mit identischem Inhalt – zu religiös-mystisch ausgerichteten Bewegungen wichtig, die allerdings ein auf die ganze Gesellschaft bezogenes Rekatholisierungspostulat vertraten. Nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, lag der Hauptfokus der Zeitschrift in der innerkatholischen Frontstellung gegen eine Öffnung der katholischen Kirche zur Welt hin. Federführend waren Autoren wie Albert Drexel, der in der Zwischenkriegszeit in Publikationen einen rassistischen Antisemitismus vertreten hatte, Alois Schenker, der sich noch während des Krieges als Redakteur der „Schweizerischen Kirchenzeitung“ radikal antisemitisch geäußert hatte, Carl Boxler, nun neben den Gebrüdern Weder Redakteur der Zeitschrift, und Edgar Schorer. Verbindungen zur traditionalistischen Bewegung der Priesterbruderschaft Pius X. um Marcel Lefebvre, ebenso zur schweizerischen Sektion der internationalen traditionalistischen Bewegung Una Voce sind Ausdruck dieser innerkatholischen Frontstellung in Fragen der kirchlichen Erneuerung, aber auch etwa der Sexualmoral. In der Nachkriegszeit erschienen im „Neuen Volk“ gelegentlich antijudaistische, latent antisemitische Beiträge, wobei keine Unterscheidung zwischen dem Judentum der Zeit Jesu und dem gegenwärtigen Judentum gemacht wurde. Darin zeigt sich, dass in der integralistischen Zeitung eine weniger starke Tabuisierung des Antisemitismus als in anderen katholischen Publikationen der Nachkriegsjahrzehnte stattfand.

Franziska Metzger

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz 1918–1945, Frauenfeld, Wien, Stuttgart 1999. Franziska Metzger, Die „Schildwache“. Eine integralistisch-rechtskatholische Zeitung 1912–1945, Fribourg 2000. Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918–1939, Fribourg 2006. Simona Sigrist, „Das Neue Volk“. Eine katholisch-fundamentalistische Zeitung 1950–1975, Fribourg 2005.

Neuer Judenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1828) Der „Neue Judenspiegel, oder Apologie der Kinder Israels“ von Hartwig (von) Hundt-Radowsky (1780–1835) ist im Schweizer Kanton Appenzell-Ausserrhoden entstanden und 1828 im württembergischen Cannstadt verlegt worden. Äußerer Anlass des Buches war das neue württembergische „Judengesetz“, dessen Entwurf eine antijüdische Debatte auslöste. Es handelte sich nicht um ein Emanzipationsgesetz, zielte es doch darauf, „daß der Jude entjudet werde“. Die Juden in Württemberg sollten gänzlich assimiliert werden, was einer Auflösung des Judentums dort gleichgekommen wäre. Die vielen Restriktionen des Judengesetzes ermöglichten es Hundt, dafür

Neuer Judenspiegel (Hartwig von Hundt-Radowsky, 1828)

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einzutreten, ohne sich zu stark verleugnen zu müssen. Dass er nicht wirklich an eine „Erziehbarkeit“ der Juden glaubte, belegt die Neuausgabe seiner Trilogie → „Die Judenschule“ im Jahre 1830. Neben den Vernichtungsantisemitismus seines Buches → „Judenspiegel“ stellt Hundt hier einen „fürsorglichen“ Antisemitismus, der die Juden vor ihresgleichen warnt und ihnen das Judesein austreiben will. Die Schrift enthält Attacken gegen das positive Christentum, weshalb Hundt im Dezember 1828 aus Appenzell ausgewiesen wurde. Laut dem „Neuen Judenspiegel“ sind die Juden ein zutiefst verderbtes Volk und überall „Staatsunrath“. Kein Jude könne als Jude ein guter Bürger eines nichtjüdischen Staates sein. Eigenschaften, die er den Juden zuschreibt, sind geistige und sittliche Verderbtheit, hartnäckiger Unglauben und Verblendung, Verstocktheit, Dünkel und Hochmut, Rachgier, Hass und Grausamkeit, Wucher und Egoismus. Die Juden würden überall eine abgesonderte Nation bilden, ihr Gott, der „rachgierige Feind aller Völker“, wird als Ausdruck des jüdischen Wesens begriffen. Die Juden müssten Glauben und Sittenlehre aufgeben und sich einer Art von rationalisiertem Protestantismus angleichen. Ihre Gemeinden sollten entmachtet, Rabbiner und Lehrer zu staatlich ausgebildeten, streng überwachten Staatsdienern werden. Juden dürfe man nicht in die Landwirtschaft lassen, ihr „Wuchergeist“ würde bei schlechten Ernten Hungersnöte hervorrufen. Hielten die Juden daran fest, ihre „im mosaischen Gesetz aufgestellten Vorschriften in einem christlichen Staat nachleben“ zu wollen, „so würden sie die gefährlichste, verderblichste Classe von Menschen seyn, und jeder Christ müßte laut und ernstlich von der höchsten Staatsgewalt begehren, sie sämmtlich aus dem Lande zu verbannen“. Ihre Austreibung lehnt Hundt letztlich nur aus praktischen (und opportunistischen) Gründen ab, weil kein anderes Land sie haben wolle. Entjudeten Juden will Hundt die Mischehe gestatten. So könne „die israelitische Race [...] veredelt“ werden, auch würden viele Reichtümer, die sonst für die Christen verloren seien, an diese zurückfallen. Für ihre vermeintliche Reinrassigkeit scheint Hundt die Juden nun zu beneiden. Bislang seien diese durch den Hass auf alle Nichtjuden und durch ihre religiösen Einrichtungen vor einer „Verschmelzung“ mit anderen Nationen bewahrt worden. Sie hätten diesbezüglich „ein günstigeres Los gehabt, als manche andere, weit größere und mächtigere Nationen“. Das Judengesetz könne die Juden allenfalls auf die sittliche Stufe erheben, auf der sie sich befunden hätten, bevor sie Wucher und Schacher zu ihrem beinahe einzigen Nahrungszweig gemacht hätten. Um auf eine höhere Stufe der Sittlichkeit zu gelangen, müssten sie ganz die Grundsätze ihrer Religion und Sittenlehre aufgeben. Sollten sie nicht bald „wieder ebenso tief versinken“, müsse man sie also vom Judentum wegbringen. Wie die entjudeten Juden sich nennen würden, sei irrelevant, wenn sie sich nicht doch taufen ließen, um Staatsbürger „und dereinst auch Himmelsbürger zu werden“. Mit dem „Neuen Judenspiegel“, von dem auch ein gekürzter Nachdruck erschien, wollte sich Hundt, der seit geraumer Zeit die Übersiedlung nach Württemberg plante, gewiss nicht nur Aufmerksamkeit bei der württembergischen Regierung verschaffen.

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Nicht Judenhatz – aber Christenschutz! (1875–1893)

Er fand damit auch den geistigen Anschluss an die großenteils judenfeindliche deutsch-liberale Opposition.

Peter Fasel

Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Neues Conversations-Lexikon → Staats- und Gesellschaftslexikon Neues Montagsblatt → Wiener Neueste Nachrichten

Nicht Judenhatz – aber Christenschutz! (1875–1893) Unter dem Motto „Nicht Judenhatz – aber Christenschutz!“ erschienen mehrere Pamphlete, die auf die spezifische Form des katholischen Antisemitismus verweisen, der davon ausging, dass es einen doppelten – einen guten und einen schlechten – Antisemitismus gäbe. So verwahrte man sich zwar gegen einen als „Judenhatz“ deklarierten Antisemitismus, der zu Pogromen gegen Juden aufrief und sie des Landes verweisen wollte, hielt es aber für notwendig, gegen vermeintlich verderbliche Einflüsse des Judentums auf die christliche Gesellschaft vorzugehen. Dieses Vorgehen wurde als „Christenschutz“ bezeichnet. Wurden die antijüdischen Invektiven dieser Pamphlete auch zu einer Pflicht christlicher Nächstenliebe verklärt, da man lediglich auf einen Notstand aufmerksam mache, so diente diese Unterscheidung zur Legitimierung des eigenen Antisemitismus, da man sich zwar gegen antisemitischen Rassismus und Hass verwahrte und Gewalttaten ablehnte, das Anliegen des nachemanzipatorischen Antisemitismus gleichwohl teilte: Ausschluss der Juden aus dem kulturellen, öffentlichen und wirtschaftlichen Leben durch ein Rückgängigmachen der Emanzipation. Die ersten beiden Schriften unter obigem Titel erschienen im Paderborner Bonifacius-Verlag, der in verschiedenen Broschüren eine Antwort auf die „Judenfrage“ geben wollte. Da hier wie in anderen Broschüren des Verlages christliche antijüdische Vorurteile mit explizit politischen Forderungen verbunden wurden, kommt dem Verlag eine grundlegende Bedeutung für die Etablierung des katholischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert zu. Die anonym erschienene Schrift „Nicht Judenhatz – aber Christenschutz! Ein Beitrag zur ‚Judenfrage’“ (Paderborn 1875) bezeichnete Juden als einen „Krebsschaden“, der das Volkswohl bedrohe. Zum Beleg dieser These wiederholte die Broschüre ausführlich die verheerende Talmudkritik, die August Rohling in seinem Pamphlet → „Der Talmudjude“ wenige Jahre zuvor geübt hatte, und verkehrte so die tatsächliche Bedrohung, die für Juden vom traditionellen Antijudaismus und modernen – von diesen Schriften rezipierten – Antisemitismus ausging, in ein imaginäres Gegenteil: Christen müssten vor den vermeintlichen Verbrechen der Juden bewahrt werden, nicht umgekehrt. Der anonyme Schreiber versuchte damit, die von Christen initiierte Judenverfolgung des Mittelalters zu rechtfertigen, da diese erst durch die menschenverachtenden Lehren des Talmuds begreifbar würden. Wie sehr diese Schriften über den Antijudaismus hinausgingen und antisemitisches Gedankengut rezipierten, zeigt sich an der in den Texten entwickelten Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung. Juden

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würden nach Weltherrschaft streben und hätten ihr Ziel auch schon fast vollständig erreicht, da sie die zwei wichtigsten „Zweige des öffentlichen Lebens“ beherrschten: Durch die Presse würden sie die öffentliche Meinung bestimmen und durch das Finanzwesen den Geldmarkt, die Börse, den Kapital- und Grundbesitz dominieren. Die „Judenherrschaft“ und ihr „talmudischer Durst nach Christenblut“ führe nach der Emanzipation zwangsläufig zu Beherrschung, Unterdrückung und Ausbeutung von Christen. Besonders Verarmung und mangelnde Bildung der katholischen Bevölkerung wurden den Juden vorgeworfen (arme Katholiken – reiche Juden). Durch ein geschicktes Spiel mit Emotionen versuchten die Verfasser, Ekel und Abscheu gegenüber Juden bei ihren Lesern zu erzeugen. Die Schriften, die sich explizit volksnah gaben, suggerierten eine Solidarität mit den Schwachen der Gesellschaft, an deren Schicksal die Juden schuld seien. Die Verfasser sind zum einen davon überzeugt, dass man gegen die Judenemanzipation vorgehen müsse, da Juden von ihrem Selbstverständnis her niemals Bürger eines Landes werden könnten. Dies drücke sich etwa darin aus, dass sie weder der Militär- noch der Arbeitspflicht (jüdische Arbeitsscheu) nachkämen. Zum anderen glaubten die Verfasser, dass die Emanzipation bereits negative Folgen habe: Es sei bereits zu einer „Verjudung“ der Gesellschaft gekommen, die nun eine „Christen-Emanzipation“ nötig mache. Hiermit war vor allem gemeint, Juden ihre Erwerbsgrundlagen zu entziehen: Die Schriften bieten konkrete Hinweise, wie man jeden Handel mit Juden unterbinden könne – dies würde dazu führen, dass sie sich nicht mehr „so stark vermehren“ oder auswandern oder zu „ehrlicher“ Arbeit gezwungen würden. Das vom Deutsch-Israelitischen Gemeindebund angestrengte Strafverfahren gegen das 1875 erschienene Pamphlet war das einzige erfolgreiche Strafverfahren des Gemeindebunds, durch das der Inhaber des Bonifacius-Verlages, der Paderborner Domvikar J. W. Schröder, zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt wurde. Aufgrund der im Zusammenhang mit der Anklage stehenden Konfiskation des Pamphlets verfasste der Paderborner Professor für Neues Testament und antisemitische Publizist, Joseph Rebbert (1837–1897), eine Broschüre, die nicht nur Titel und Titelbild, sondern auch Inhalt der konfiszierten Schrift deutlich imitierte: In „Christenschutz – nicht Judenhatz. Ein Volksbüchlein“ (Paderborn 1876) wiederholte Rebbert, der in demselben Jahr Konrad Martins → „Blicke in’s Talmud’sche Judenthum“ neu herausgab, einen Großteil der Vorwürfe. An neuen Quellen sind von Rebbert die Schrift „Die ‚goldene’ Internationale und die Nothwendigkeit einer socialen Reformpartei“ (Berlin 1876) des antisemitischen Politikers Karl Willmanns (1835–1898) und das „Hülfsbüchlein gegen den Wucher. Ein Freund des Elsässer Bauernstandes“ (Herisau 1853) des elsässischen katholischen Priesters Joseph Guerber (1824–1909) hinzugekommen. 1893 erschien eine Artikelserie aus dem „Linzer Volksblatt“ unter dem Titel „Christenschutz oder Judenschutz? Erwägungen über Ursprung, Umfang und Berechtigung der Judenfrage vom katholisch-conservativen Standpunkt“ (Linz 1893) im Druck. Auch wenn es zeitliche und regionale Unterschiede zu den 1870er Publikationen gibt, so findet sich doch die gleiche Argumentation wieder. Der anonyme Verfasser, der seine katholischen Leser zu einem „Krieg gegen das Bestehende“ aufrief, vertrat ebenfalls einen doppelten Antisemitismus: Man könne zwar nicht den „Religionsoder Rassenhaß“ des modernen Antisemitismus teilen, aber zu den „guten Inhalten“

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Der Norden (1921–1944)

der antisemitischen Bewegung, die einen Christenschutz bedeuten, müsse man sich bekennen. Den Antisemitismus abzulehnen, bedeute daher das Gegenteil: Judenschutz. Die Judenemanzipation verstoße gegen die kirchliche Tradition, sodass es Pflicht des Katholiken sei, ihre Beseitigung zu erstreben und sich für eine antijüdische Gesetzgebung einzusetzen. Michael Langer erklärt die Schriften mittels einer Krisentheorie: Die krisenhafte Begegnung der katholischen Kirche mit der Moderne, der vor allem das ultramontane Milieu, dem die Autoren entstammten, ablehnend begegnete, lässt die Gegenwart als bedrohlich erscheinen. Negative Folgen durch Kulturkampf und „Liberalismus“ – wie etwa die katholische Inferiorität im Deutschen Kaiserreich – werden auf das Judentum projiziert. Die Warnung vor einer „Verjudung“ der Gesellschaft ist unter diesen Bedingungen eine Chiffre für die Moderne. So erklärt sich auch, dass 1893 von dem anonymen Autor die moderne Wissenschaft – vor allem die Natur- und Geschichtswissenschaften – als „verjudet“ bezeichnet wurden. Neben dem verschwörungstheoretischen Ansatz ist für alle drei Schriften kennzeichnend, dass durch Statistiken die eigenen antijüdischen Invektiven als Tatsachen untermauert werden sollten. Der Autor von 1893 zitiert ausgiebig die Schrift „Die Juden und die deutsche Kriminalstatistik“ (Leipzig 1893) von Wilhelm Giese, einem Abgeordneten der Deutschen Reformpartei, um zu zeigen, dass Juden auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens einen verderblichen Einfluss haben.

Markus Thurau

Literatur Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 19992. Michael Langer, Zwischen Vorurteil und Aggression. Zum Judenbild in der deutschsprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts, Freiburg/Br. 1994. Helmut Walser Smith, The Learned and the Popular Discourse of Anti-Semitism in the Catholic Milieu of the Kaiserreich, in: Central European History 27 (1994), S. 315–328.

Der Norden (1921–1944) Die Monatsschrift „Der Norden“ war das Organ der Nordischen Gesellschaft in Lübeck. Die Nordische Gesellschaft war 1921 zur „Förderung und Vertiefung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den nordischen Ländern“ gegründet worden und wurde 1933 durch das Außenpolitische Amt der NSDAP unter der Leitung von Alfred Rosenberg gleichgeschaltet. Die Zielsetzung änderte sich zwar offiziell nach 1933 nicht, letztendlich sollte sie aber verdeckt als ideologisch-propagandistische „Zentralstelle für die Verkündung und Verwirklichung des Nordischen Gedankens“ wirken. Seit 1924 gab die Nordische Gesellschaft im Anschluss an die „Nordischen Blätter“ die zunächst 14-tägig und später als Monatsschrift erscheinende „Ostsee-Rundschau“ heraus, die Mitgliedern kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Zwar war die „Ostsee-Rundschau“ ursprünglich keine Publikation der Gesellschaft, wurde jedoch von dieser übernommen. 1934 wurde sie in „Der Nordische Aufseher“ umbenannt; ab 1935 und bis zu ihrer Einstellung 1944 erschien sie als „Der Norden“. Der Grund für

Der Norden (1921–1944)

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die rasche Namensänderung sollen Vorbehalte in Skandinavien und Deutschland gewesen sein, der Name „Der Nordische Aufseher“ impliziere eine belehrende Absicht. Ursprünglich referierte der Titel zu einer gleichnamigen Zeitschrift, die im 18. Jahrhundert von dem deutschstämmigen dänischen Hofprediger Johann Andreas Cramer in Kopenhagen herausgegeben worden war. Sowohl „Der Nordische Aufseher“ als auch „Der Norden“ gaben sich einen betont modernen Anstrich. Dies zeigen insbesondere die Titelgestaltungen durch den bekannten Graphiker und Maler Alfred Mahlau. Während „Der Nordische Aufseher“ im Verlag Charles Coleman erschien, wurde „Der Norden“ im Wilhelm-Limpert-Verlag herausgegeben. In den ersten Jahren wurden in der Monatsschrift der Nordischen Gesellschaft vor allem Artikel zu Wirtschaftsthemen veröffentlicht. Ziel war u. a., sie zur größten und maßgebenden deutsch-nordischen Zeitschrift auf diesem Gebiet auszubauen. Seit Ende der 1920er Jahre wandelte sie sich zunehmend zu einer Unterhaltungszeitschrift mit kulturellem Schwerpunkt. Dies änderte sich mit der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Gesellschaft nicht. Die Zeitschrift widmete sich wie auch zuvor der Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Nordeuropa. Die Themen erstreckten sich von folkloristischen Reportagen über Land und Leute zu Beiträgen über Kunstausstellungen und Theateraufführungen, Reiseberichte, Romanauszüge und Belletristik sowie Artikel über Geschichte, Kultur und Wirtschaft der nordischen Länder, zu denen auch Deutschland, vor allem aber der Ostseeraum gezählt wurden. Hinzu kamen Portraits über führende Persönlichkeiten des nordisch-deutschen Kulturlebens, wie über den norwegischen Schriftsteller und „Freund“ der Nordischen Gesellschaft, Knut Hamsun, anlässlich dessen 80. Geburtstages 1939. Die Zielsetzung und Arbeitsweise der Gesellschaft wurde regelmäßig unter der Rubrik „Aus der Arbeit der Nordischen Gesellschaft“ zusammengefasst. Grußworte, Reportagen und Redeauszüge von den jährlich stattfindenden „Reichstagungen“ der Nordischen Gesellschaft gaben zwar Aufschlüsse über die nationalsozialistische Ausrichtung, im Großen und Ganzen bemühte man sich aber, die Gesellschaft nach außen als reine Kultur- und Wirtschaftsvereinigung zu präsentieren, um die Nordeuropäer nicht abzuschrecken und auf diesem Weg zur Zusammenarbeit zu gewinnen. Politische Themen wurden daher in der Monatsschrift bewusst gering gehalten, und die nationalsozialistische Zielsetzung kam nur am Rande zum Ausdruck. Dementsprechend fanden sich auch nur vereinzelt Artikel zu „Rassenfragen“, wie 1934 der Beitrag „Rassentypen und Rassenmischung in Norwegen“ des Direktors des rassenbiologischen Laboratoriums in Vinderen bei Oslo, Jon Alfred Mjøen. Themen zu „rassischen“ Aspekten wurden vorrangig in einer weiteren Zeitschrift der Nordischen Gesellschaft, in → „Rasse“, publiziert, die zwischen 1934 und 1944 erschien, sich der Verbreitung des Nordischen Gedankens in Deutschland widmete und ursprünglich das Organ des Nordischen Ringes gewesen war. Die Hinwendung an alle Nordeuropäer, ohne dass „rassisch“ unterschieden wurde, zeigt sich auch darin, dass die Nordische Gesellschaft und deren Monatsschrift sich an den gesamten Norden wandten, ohne die Position Finnlands genauer zu definieren, das theoretisch außerhalb des „nordrassischen“ Raumes lag. In der Verwendung der Begriffe „skandinavisch“ und „nordisch“ blieb man bis zuletzt inkonsequent.

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Nordische Welt (1933–1937)

Rechtfertigungen der nationalsozialistischen Aggressionspolitik seit den späten 1930er Jahren kamen vereinzelt in Artikeln zur germanischen Altertumskunde zum Tragen, wie 1939 in dem Beitrag „Die germanische Frühgeschichte in den Sudetenländern“. Die inhaltliche Ausrichtung von „Der Norden“ änderte sich jedoch mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und der Okkupation Dänemarks und Norwegens nicht grundlegend. Eine Ausnahme bildete der Beitrag „Ein offenes Wort“ von Anfang 1940, in dem es heißt, der Norden habe das „neue Deutschland“ nicht verstanden und auf den „deutschen Appell an die Idee einer Schicksalsgemeinschaft des Ostseeraumes“ nicht geantwortet.

Nicola Karcher

Literatur Birgitta Almgren, Jan Hecker-Stampehl, Ernst Piper, Alfred Rosenberg und die Nordische Gesellschaft. Der „nordische Gedanke“ in Theorie und Praxis, in: NORDEUROPAforum 2 (2008), S. 7–51. Nicola Karcher, Zwischen Nationalsozialismus und nordischer Gesinnung. Eine Studie zu den rechtsgerichteten Verbindungen norwegisch-deutscher Milieus in der Zwischenkriegszeit, Dissertation Universität Oslo 2012. Hans-Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven. Zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, Stuttgart 1970.

Der Nordische Aufseher → Der Norden Nordische Blätter → Der Norden

Nordische Welt (1933–1937) Die „Nordische Welt“ erschien von Februar 1933 bis März 1937 und ist dem Umfeld des Vereins „Ahnenerbe“ der SS zuzuordnen. Bis 1936 führte sie den Untertitel „Zeitschrift der Gesellschaft für Germanische Ur- und Vorgeschichte“. Darin kam auch der Charakter eines Vereinsorgans der Gesellschaft gleichen Namens zum Ausdruck, der es insbesondere um die Verbreitung der Ideen Herman Wirths (1885–1981) ging. Von Januar 1937 an führte die „Nordische Welt“ den Untertitel „Monatsschrift für nordische Überlieferung und Geschichtserkenntnis auf rassischer Grundlage“. Die „Nordische Welt“ war als Monatsschrift konzipiert, konnte diesen Rhythmus jedoch zu keinem Zeitpunkt einhalten. Schon bald nach der Erstausgabe erschienen Doppelnummern, 1936 und 1937 nur jeweils drei Ausgaben. Herausgeber und „Verantwortlicher Schriftleiter“ war der antisemitische Propagandist und Publizist Johann von Leers (1902–1965). Der „Nordischen Welt“ lag etwas spezifisch Laienhaftes zugrunde. Neben Fachgelehrten beabsichtigte sie auch, „Außenseiter auf dem Gebiete der Frühgeschichte zu Wort kommen zu lassen“. Dazu hielt sie ihre Spalten jenen offen, „die abseits vom Pfade der amtlichen Wissenschaft neue Erkenntnisse bringen oder zu bringen hoffen“ und in „völkischer Grundhaltung“ die geistige Auseinandersetzung suchten. Zu ihren Mitarbeiter gehörten Alfred Baeumler (1887–1968), Lenore Kühn (1878–1955), Ernst Bergmann (1881–1945) und Gustav Neckel (1878–1940), der 1920 in Berlin den renommiertesten nordistischen Lehrstuhl im Deutschen Reich übernommen hatte. Viele

Nordische Zeitung (seit 1933)

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ihrer Autoren sind den Völkisch-Religiösen zuzuordnen, die sich 1933/34 in der „Deutschen Glaubensbewegung“ sammelten. Das Ende der Zeitschrift 1937 lag einerseits im ökonomischen Misserfolg begründet. So soll die Zahl ihrer Abonnenten 1936 bei nur rund 300 gelegen haben. Hinzu kam, dass die „Nordische Welt“ zu diesem Zeitpunkt auch für von Leers keinen Zweck mehr erfüllt. Spätestens 1934 hatte er sich aus der „Deutschen Glaubensbewegung“ zurückgezogen und begonnen, sich auf eine Laufbahn als Hochschullehrer zu konzentrieren. Entscheidend aber dürfte die Neuausrichtung des „Ahnenerbes“ gewesen sein. Nachdem Himmler veranlasst hatte, Wirth aus dem Verein zu drängen, sollte auch die Publizistik im Umfeld des „Ahnenerbes“ neu geordnet werden.

Martin Finkenberger

Literatur Michael Kater, Das „Ahnenerbe“. Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft in der SS. Organisationsgeschichte von 1935 bis 1945, Diss. phil., Heidelberg 1966.

Nordische Zeitung (seit 1933) Die „Nordische Zeitung“ ist ein Organ radikaler germanisch-neuheidnischer Kräfte. Diese bemühten sich, eine „arteigene“ Glaubensbewegung zu entwickeln, die auf der Grundlage eines vermeintlichen kulturellen, spirituellen und vor allem auch „rassischen“ Erbes der „Ahnen“ stehe, tatsächlich aber als ein völkisch-antisemitisches Randphänomen aus dem Bereich der sogenannten Neuen Religionen des 20. Jahrhunderts zu betrachten ist. Die „Nordische Zeitung“ entstand als monatliches Sprachrohr der radikal „nordischen“ Kräfte innerhalb der „deutschen Glaubensbewegung“ um 1933 und wurde, nach einer Pause während der Kriegs- und Besatzungsjahre, 1950 als vierteljährliches Organ der Artgemeinschaft e. V. neu belebt. Inzwischen dem Neonazi-Spektrum verbunden, dürfte sie gegenwärtig zu den am offensten antisemitisch argumentierenden Printmedien im deutschsprachigen Raum zählen. Die „Nordische Zeitung“ steht ideologisch in der Tradition Ludwig Fahrenkrogs. 1928 trat dessen Germanische Glaubensbewegung mit anderen gleichgerichteten Gruppierungen der Nordischen Glaubensgemeinschaft unter Leitung von Wilhelm Kusserow bei und schloss sich 1931 mit dieser der Nordisch-religiösen Arbeitsgemeinschaft unter Norbert Seibertz an, die laut Ulrich Nanko „einzig und allein der Förderung des Rassegedankens“ gedient habe. Zwar erklärte die Nordische Glaubensgemeinschaft in einer Selbstdarstellung um 1933, die Zeitschrift „WIDAR“ vertrete ihre „religiösen Anschauungen“, doch sei deren Erscheinen „zur Zeit wegen Papiermangels eingestellt“ (Nanko). Da die Nordische Glaubensgemeinschaft nicht die erhoffte Unterstützung seitens der nationalsozialistischen Religionspolitik erhielt, wirkte sie 1933 zunächst in der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Glaubensbewegung mit, einer von Jakob Wilhelm Hauer forcierten Zusammenfassung nicht-konfessioneller religiöser Gruppierungen. Innerhalb dieses Rahmens verstand sich die „Nordische Zeitung“ als „Kampfblatt der Nordischen Glaubensbewegung“ und wurde zum Sprachrohr des radikal rassistischen und antisemitischen, auf germanische Religiosität zielenden Spektrums. Ihre Autoren polemisierten heftig gegen Hauer, dem u. a. seine

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Nordische Zeitung (seit 1933)

frühere Zusammenarbeit „mit dem Juden Martin Buber“ vorgeworfen wurde (Buchheim). Im Oktober 1934 verließen Seibertz und Kusserow mit der Nordischen Glaubensbewegung Hauers Arbeitsgemeinschaft. Die „Nordische Zeitung“ erschien im eigenen Verlag mit Sitz in Verden an der Aller, wo nach germanophiler Lesart im Jahre 782 u. Z. Tausende heidnischer Krieger durch Karl den Großen ermordet worden seien, und wo die Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe“ der SS 1935 die Kultstätte „Sachsenhain“ errichten ließ. Das letzte nachgewiesene Monatsheft der „Nordischen Zeitung“ erschien im September 1940. 1951 gründete Kusserow einen Vertrauenskreis freigläubiger Gefährten, aus dem 1957 die Artgemeinschaft e. V. wurde. Bereits seit 1950 erschien die „Nordische Zeitung“ unter Verwendung der alten Jahrgangszählung als „Rundbrief des Freundeskreises zur Erhaltung des Nordischen Kulturerbes“, zunächst in Göttingen, dann in Berlin (West); später trug sie den Untertitel „Die Stimme des Artglaubens“. Sie war über Jahrzehnte hinweg das Organ des kleinen Traditionszirkels um Kusserow, der ihr aber erst mit seiner Pensionierung ab 1967 seine volle Aufmerksamkeit widmen konnte. 1980 wurde Kusserow von einer Gruppe jüngerer „Gefährten“ um Jürgen Rieger aus der Artgemeinschaft verdrängt und sammelte seine wenigen Anhänger im Treuekreis volksreligiöser Bewegungen, der mit seinem Zirkular „Zeitung des Artglaubens“ in Stil und Aufmachung unmittelbar an die „Nordische Zeitung“ anknüpfte. Kusserows Nachfolger Guido Lauenstein bezeichnete die „Nordische Zeitung“ im Jubiläumsheft 1982 als „heidnisches artgläubiges Mitteilungsblatt“ und „Verbindungsglied zwischen Freunden und Gefährten der artgläubigen Bewegung in aller Welt“. Befördert durch mehrere Wellen staatlicher Repression gegen offen neonazistische Organisationen in den 1980/90er Jahren, strömten vermehrt Personen aus dem organisierten Neonazi-Spektrum in die Artgemeinschaft ein. Der rechtsextreme Aktivist Jürgen Mosler berichtet in einem Nekrolog auf Rieger, dass ihm die Führung der neonazistischen Wiking-Jugend um 1983 nahegelegt habe, „mit anderen Führungskameraden“ der Artgemeinschaft beizutreten. 1989 löste Jürgen Rieger, ein wichtiger Aktivist im neo-nationalsozialistischen Milieu, Lauenstein ab und blieb bis zu seinem Tod 2009 Schriftleiter der „Nordischen Zeitung“. In dieser Zeit wurden Druckqualität und Layout verbessert; seit 1997 gibt es eine Internetpräsenz. Die Verfassungsschutzbehörden vermuten eine Auflage von 300 Exemplaren. Waren schon zuvor die alten „deutschen“ Monatsnamen anstelle der gebräuchlichen lateinischen gesetzt worden, so ersetzte die „Nordische Zeitung“ jetzt auch die übliche Zeitrechnung „nach Christi“ und führte eine Fantasiezeit „nach Stonehenge“ ein (z. B. 2013 n. Chr. = 3813 n. St.). Die Artgemeinschaft hat sich unter Rieger in eine „esoterische Wagenburg gegen eine feindlich gesehene Lebenswelt“ (Fromm) verwandelt. In Konkurrenz zur Mehrheitskultur mit ihren teils christlichen, teils säkularen und zunehmend auch multikulturellen Elementen will sie eine eigenständige, vorgeblich artgerechte Alltags- und Feiertagskultur etablieren, die sich in regelmäßig wiederkehrenden kultischen Ereignissen im Jahreslauf (z. B. Julfest, Sommersonnwende, Erntedank) ebenso manifestieren soll wie im individuellen Lebenslauf (z. B. Wiegenfest, Jugendfeier, Eheweihe). Besondere Bedeutung misst die Artgemeinschaft dabei der Begründung kinderreicher, „deutschblütiger“ Familien zu, für die eine Erziehung im Sinne der germanisch-heid-

Den nordiske race (Norwegen, 1920–1931)

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nischen Gegenkultur angestrebt wird. Die „Nordische Zeitung“ fungiert durch ihr regelmäßiges Erscheinen als Garant für Kontinuität. Ausführliche Hauptbeiträge – darunter viele Nachdrucke älterer völkischer Texte – diskutieren verschiedene Aspekte der eigenen Weltanschauung, liefern eigenwillige und oft faktenwidrige Interpretationen der Geschichte oder geben lebenspraktische Empfehlungen. Antisemitische Motive fließen dabei immer wieder ein oder strukturieren ganze Grundsatzartikel (z. B. Wielant Hopfner: Jehova – ein „Gott“ wird demaskiert, Heft 2/1998). In der regelmäßigen Rubrik „Neues vom alten Feind“ werden vorrangig abwertende Kommentare und Berichte über die christlichen Kirchen und zunehmend über Israel und das Judentum gebracht. Ähnlich gestaltet sich die Rubrik „Heidenspaß“ mit Witzen über kirchliche Würdenträger und über Juden. Jedes Heft enthält das „Artbekenntnis“ (in der Neufassung von 1983), in dessen zwölf Artikeln der Bezug auf Ahnen, Vererbung und Veranlagung in einem offen rassistischen Sinne eine zentrale Rolle spielt. Die scharf antichristliche Ideologie, die die „Nordische Zeitung“ einheitlich prägt, basiert auf der Grundannahme, das Christentum sei durch seine jüdischen Wurzeln eine „vorderasiatische Religion“, die dem germanischen bzw. nordischen Wesen fremd und feindselig gegenüberstehe. Ihr totalitärer und lebensfeindlicher Anspruch äußere sich u. a. als Verachtung der Natur des Menschen und seiner „Mitwelt“. Anders als bei vielen anderen Spielarten moderner Kirchenkritik wird am Christentum namentlich das humanistische, friedfertige und rationale Erbe bekämpft. Eine judenfeindliche Grundhaltung prägte die „Nordische Zeitung“ bereits vor 1980. Spätestens seit die Artgemeinschaft ins neonazistische Lager abglitt, manifestiert sich die antichristliche Haltung der „Nordischen Zeitung“ als offenes und kämpferisches Bekenntnis zur Judenfeindschaft.

Gideon Botsch

Literatur Hans Buchheim, Glaubenskrise im Dritten Reich. Drei Kapitel nationalsozialistischer Religionspolitik, Stuttgart 1953. Rainer Fromm, Rechtsradikalismus in der Esoterik, in: Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Brennpunkt Esoterik. Okkultismus – Satanismus – Rechtsextremismus, Hamburg 2006, S. 149–235. Friedrich-Wilhelm Haack, Wotans Wiederkehr. Blut-, Boden- und Rasse-Religion, München 1981. Ulrich Nanko, Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung, Marburg 1993. Stefanie von Schnurbein, Göttertrost in Wendezeiten. Neugermanisches Heidentum zwischen New Age und Rechtsradikalismus, München 1993. Andreas Speit (Hrsg.), „Ohne Juda, ohne Rom“. Esoterik und Heidentum im subkulturellen Rechtsextremismus, Braunschweig 2010.

Den nordiske race (Norwegen, 1920–1931) Die Zeitschrift „Den nordiske race“ [Die nordische Rasse] wurde von 1920 bis 1931 von dem norwegischen Pharmazeuten und Eugeniker Jon Alfred Mjøen (1860–1939) herausgegeben. Mjøen, der 1881 sein Apothekerexamen bestanden hatte, studierte zu-

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Den nordiske race (Norwegen, 1920–1931)

nächst in den USA, dann in Leipzig Pharmakologie und Chemie, wo er 1894 promoviert wurde. Nach seiner Rückkehr nach Norwegen im gleichen Jahr erhielt er ein Staatsstipendium und 1896 ein Universitätsstipendium. 1899 wurde ihm die Goldmedaille der Wissenschaftsgesellschaft (Videnskapsselskapets gullmedalje) verliehen. Durch die Gründung des „Vinderen Biologiske Laboratorium“ bei Oslo 1906 stieg Mjøen zum profiliertesten und meist umstrittenen Verfechter der Eugenik in Norwegen auf. Mit einem Vortrag zur Rassenbiologie und Reproduktionshygiene legte er 1908 sein eugenisches Programm fest, das wesentliche Elemente seines rassenhygienischen Denkens beinhaltete. 1912 gründete Mjøen zusammen mit Alfred Ploetz „The Permanent International Eugenic Commitee“, dessen stellvertretender Vorsitzender er wurde. Darüber hinaus stand er dem Programmausschuss des Komitees vor, wodurch er wesentlichen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung nehmen konnte. Obwohl sein 1914 erschienenes Buch „Racehygiene“ [Rassenhygiene] massiver wissenschaftlicher Kritik in Norwegen ausgesetzt war, erhielt sein Laboratorium in Vinderen seit 1916 staatliche Unterstützung. Während er in Norwegen keine volle wissenschaftliche Anerkennung erlangte und sein Leben lang umstritten blieb, verfügte er über internationale Verbindungen. Zu seinen Kontakten zählten neben Alfred Ploetz Fritz Lenz, Ernst Rüdin, Otto Reche und Hans F. K. Günther. Zudem arbeitete er mit dem Nordischen Ring sowie der Nordischen Gesellschaft in Lübeck zusammen, für die er als Vortragsredner aktiv war. Gleichzeitig war er ständiger Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Rasse“. 1936 wurde vom Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Erwägung gezogen, ihm eine Professur an der Universität Jena zu verleihen. In „Den nordiske race“, in der international bekannte Eugeniker wie Madison Grant und Fritz Lenz sowie Marie Adelheid Reuß zur Lippe und der „Prophet“ des norwegischen Rechtsextremismus, Erling Winsnes, publizierten, wurde intensiv Werbung für die Nordische Bewegung und den Nordischen Gedanken gemacht. Darüber hinaus diente die Zeitschrift vor allem als Sprachrohr der Eugenik. Mjøens rassistische Ideen wurden nach 1933 von der norwegischen pro nationalsozialistischen Partei Nasjonal Samling aufgegriffen.

Nicola Karcher

Literatur Nicola Karcher, Zwischen Nationalsozialismus und nordischer Gesinnung. Eine Studie zu den rechtsgerichteten Verbindungen norwegisch-deutscher Milieus in der Zwischenkriegszeit, Diss. Universität Oslo 2012. Jon Røyne Kyllingstad, Kortskaller og langskaller. Fysisk antropologi i Norge og striden om det nordiske herremennesket [Kurzschädel und Langschädel. Physische Anthropologie in Norwegen und der Streit über den nordischen Herrenmenschen], Oslo 2004. Arve Monsen, Torben Hviid Nielsen, Tore Tennøe, Livets tre og kodenes kode. Fra genetikk til bioteknologi. Norge 1900–2000 [Der Baum des Lebens und der Code der Code. Von Genetik bis Biotechnologie. Norwegen 1900–2000], Oslo 2000. Nils Roll-Hansen, Den norske debatten om rasehygiene [Die norwegische Debatte über Rassenhygiene], in: Historisk tidsskrift 3 (1980), S. 259–283. Nils Roll-Hansen, Norwegian Eugenics: Sterilization as Social reform, in: Gunnar Broberg, Nils Roll-Hansen (Hrsg.), Eugenics and the Welfare State: Sterilization Policy in Denmark, Sweden, Norway, and Finland, East Lansing 1996, S. 151–194.

Nordland-Verlag (1933–1945)

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Nordland-Verlag (1933–1945) Der Nordland-Verlag gehörte neben zwei anderen Buchverlagen zu den Wirtschaftsunternehmen der Schutzstaffel der NSDAP (SS). Während des Krieges entwickelte sich der Nordland-Verlag zum drittgrößten Buchverlag Deutschlands und erzielte mit belletristischen, (populär-) wissenschaftlichen und politischen Büchern z. T. hohe Auflagen. Gegründet wurde der Nordland-Verlag im Herbst 1933 als Unternehmen des völkischen Schriftstellers Frithjof Fischer, der es aus finanziellen Gründen 1934 der SS überschrieb, die den Verlag in eine GmbH umwandelte. Fischers neu-heidnische, gleichermaßen antichristliche wie antisemitische Dichtung „Die Stimme der Ahnen“, die er unter dem Pseudonym Wulf Sörensen publizierte, erschien weiter in hohen Auflagen. Fischer blieb zunächst Geschäftsführer des Verlages, bis er 1936 in Ungnade fiel und zeitweise wegen „Beleidigung des Führers“ inhaftiert war. Seit Ende 1936 war der Nordland-Verlag mit der verlegerischen Betreuung der SS-Stiftung „Ahnenerbe“ betraut, vermehrt wurden nun vor- und frühgeschichtliche Themen aufgegriffen. 1938 übernahm die „Ahnenerbe-Stiftung“ auch die Mehrheit der Geschäftsanteile, die zuvor der Himmler-Vertraute Paul Hirschberg besessen hatte. Mit der Neustrukturierung der SS-Wirtschaft wurde der Verlag 1939/40 vom „Ahnenerbe“ gelöst und kam in den Einflussbereich des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes; er war Bestandteil der SS-eigenen Deutschen Wirtschaftsbetriebe, die nun die Geschäftsanteile übernahmen. Der Nordland-Verlag verlegte während seines rund zehnjährigen Bestehens etwa 200 Titel, „vor allem politisch-propagandistische Literatur antisemitischen, antifreimaurerischen und antikirchlichen Charakters, daneben Romane und Erzählungen zur Verherrlichung nordisch-germanischen Wesens“ (Enno Georg). Bis 1941 erschien die Zeitschrift „Nordland“ in unterschiedlicher Erscheinungsweise und mit wechselnden Untertiteln. Seit 1939 erschienen zahlreiche im weitesten Sinne belletristische Titel (auch) als Taschenbücher in der „Nordland-Bücherei“. Zu den hohen Auflagen während des Krieges kam es vor allem wegen verschiedener Großauflagen, darunter Feldpostausgaben für die Waffen-SS, die innerhalb der SS verteilt und vertrieben wurden. Einige SS-offiziöse Schriften erschienen im Nordland-Verlag, anzuführen sind etwa die Broschüren und Bücher der SS-Firma „Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung“, die Broschüren „SS im Kampf“ und „Der Untermensch“, herausgegeben vom SS-Hauptamt-Schulungsamt, und die Rede Heinrich Himmlers „im Dom zu Quedlinburg“ vom 2. Juli 1936. Die großformatige und illustrierte Hetzschrift „Der Untermensch“ wurde in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt und fand so im ganzen besetzten Europa Verbreitung. Weitere Publikationen der SS erschienen in anderen Verlagen, wie beispielsweise die Zeitung → „Das Schwarze Korps“, die im parteieigenen Franz Eher Verlag (→ Eher-Verlag) verlegt wurde. Im Programm des Nordland-Verlages fallen einige dezidiert antisemitische Titel auf, die die „Judenfrage“ in verschiedenen Ländern und Zeiten thematisieren, so z. B. Peter Aldag (d. i. Fritz Peter Krüger): „Juden beherrschen England“, Heinz Ballensiefen: „Juden in Frankreich“ oder Walter Hansen: „Judenkunst in Deutschland“. Als SS-Firma galt der Verlag als Tochtergesellschaft der Deutsche Wirtschaftsbetriebe und wurde somit nach dem Krieg durch das Kontrollratsgesetz 2 aufgelöst, der Handelsregistereintrag wurde 1954 von Amtswegen gelöscht.

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Nouvelle Revue romande (Schweiz, 1922-1945)

Unter Verwendung der Motive eines der historischen Verlagssignets existiert gegenwärtig ein Nordlandverlag (und Internetvertrieb) der Ehefrau eines bekannten rechtsextremen Aktivisten, der überwiegend Verlagsprodukte anderer (meist rechtsextremer) Verlage verkauft. Ab Ausgabe 1–2011 erscheint sechsmal jährlich die Zeitschrift „Volk in Bewegung – Der Reichsbote“ im Nordlandverlag. Das neonazistisch ausgerichtete Periodikum erscheint seit 2000 mit wechselnden Untertiteln und Verlagsangaben. Zur Geschichte des historischen „Nordland-Verlages“ existiert keine wissenschaftliche Monographie, sie wird allerdings in den Darstellungen zur SS-Wirtschaft mit behandelt. Verlagsunterlagen sind teilweise im Bundesarchiv, Bestand NS3 (SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt), überliefert. In einem als rechtsextrem einzuschätzenden Verlag erschien 2005 eine umfangreiche Bibliographie, die auch zahlreiche Dokumente zur Verlagsgeschichte enthält.

Christoph Kopke

Literatur Enno Georg, Die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS, Stuttgart 1963. Hermann Kaienburg, Die Wirtschaft der SS, Berlin 2003. Heinrich W. Schild, Audrey Gregory, Der Nordland Verlag und seine Bücher. Eine Bibliographie. Mit Dokumentation zur Verlagsgeschichte und Verlagsproduktion, Toppenstedt 2005.

Notweg der 131er → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung

Nouvelle Revue romande (Schweiz, 1922-1945) Im November 1917 erschien in Lausanne die erste Ausgabe der Monatsschrift „Revue romande“. In ihren Anfängen verstand sich die Zeitschrift als ein rein literarisches und kulturelles Organ. In den folgenden Jahren konnte sie ihren Erfolg steigern, erschien ab 1919 zweimal im Monat und wurde im Mai 1922 in „Nouvelle Revue romande“ unbenannt. Die Leitung hatten ab 1919 Jules-Ernest Gross und Jacques-René Fiechter inne. Später kam besonders Jules-Ernest Gross auch mit Georges Oltramare in Verbindung (→ „Le Pilori“). Im November 1920 erschienen in der „Nouvelle Revue romande“ meist aus der Feder von Jules-Ernest Gross Artikel mit stark antisemitischen Stereotypen. Die „Juden“ waren u. a. für Kriege, Revolutionen, Streiks und Krisen verantwortlich. Ähnlich der Argumentation im „Le Pilori“ waren auch sie es, die den Ruin des Kleinhandels vorantrieben. Aus diesem Grund erging ein Appell an die Leserschaft, bei christlichen Händlern einzukaufen. Proteste des Genfer Rabbiners Ernst Ginsburger blieben ungehört. Die Zeitschrift litt jedoch Zeit ihres Bestehens an Geldsorgen. Im April 1921 zählte sie lediglich 160 Abonnenten. Um den Wirkungskreis der Zeitschrift zu erweitern, versuchte Gonzague de Reynold, seinem Selbstverständnis nach ein katholischer Freiburger Patrizier, ihr ein schärferes Profil zu geben und die „Nouvelle Revue romande“ in eine intellektuelle, katholische Zeitschrift umzuformen. Auf Wunsch von Monseigneur Marius Besson, dem Bischof der Diözese Lausanne-Genf(-Freiburg), wurden

NPD-Publikationen

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diese Pläne verworfen. Reynold, der u. a. einen Lehrstuhl für „Histoire de la littérature en Suisse Romande“ sowie „Histoire de la civilisation à l’époque moderne“ an der Universität Freiburg/Schweiz innehatte und somit über ein Netzwerk verfügte, erhielt Spenden von namhaften Persönlichkeiten wie z. B. von Bundesrat Jean Marie Musy. Die judenfeindlichen Artikel – und dies hielt auch der Historiker Aaron Kamis-Müller mit einer gewissen Verwunderung fest – schienen sie nicht groß gestört zu haben. Reynolds Neuausrichtung lief ins Leere und die Zeitschrift sollte liquidiert werden. Jules-Ernest Gross machte während interner Diskussionen über die Zukunft der „Nouvelle Revue romande“ geltend, dass die zu wenig spitz geführte Kampagne gegen „die Juden“ den Mangel an Inseraten und Abonnenten herbeigeführt hätte. Seiner Vorstellung nach bildeten das Zielpublikum weniger Intellektuelle als vielmehr Kleinhändler. 1922 gründete Jules-Ernest Gross aus diesem Grund seine eigene „Nouvelle Revue romande“ und verlieh der Zeitschrift eine starke antisemitische Ausrichtung. Bereits vor Oltramares „Le Pilori“ ging Gross gegen jüdische Warenhäuser und Apotheken vor und prangerte die Anstellung jüdischer Assistenten an der Universität Genf an. Auch dieser Neuauflage war kein Erfolg beschieden. Die Zeitschrift blieb wenig verbreitet und erreichte vermutlich nie mehr als 400 Abonennten. 1925 verließ Gross Lausanne, und die Zeitschrift wurde bis 1945 in Genf herausgegeben. Bereits unter Gross erschien „La Nouvelle Revue romande“ nur noch sporadisch. Zu Beginn der 1930er Jahre gründete Gross zusammen mit Oltramare die sich am Faschismus orientierende Bewegung „Ordre politique nationale“, aus der 1932 die „Union Nationale“ wurde.

Zsolt Keller

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz 1918–1945, Frauenfeld 1999. Alain Clavien, Georges Oltramare. Von der Theaterbühne auf die politische Bühne, in: Aram Mattioli (Hrsg.), Intellektuelle von rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918–1939, Zürich 1995, S. 157–170. Aaron Kamis-Müller, Antisemitismus in der Schweiz 1900–1930, Zürich 2000².

NPD-Publikationen In ihrem „Gründungsmanifest“ von 1964 bekennt sich die NPD nicht offen zum Nationalsozialismus, fordert aber einen starken Staat und völkischen Kollektivismus. Für ihre Gesinnung charakteristisch sind Auslassungen über das „zersetzende Meinungsmonopol“ des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland, ihre Behauptung, Deutsche hätten gegenüber Ausländern einen geringeren Rechtsanspruch auf Arbeitsplätze, und ihre Agitation gegen die NS-Kriegsverbrecherprozesse. Die Partei vermied Antisemitismus und präsentierte sich als national-konservative Kraft, ohne ihren rechtsextremen Habitus völlig verschleiern zu können. Im „Politischen Lexikon“ von 1966, das sich an die Mitglieder der Partei richtet, finden sich rechtsextreme Überzeugungen offener formuliert. Das „Dritte Reich“ wird positiv konnotiert, und zeitgenössische autoritäre Rechtsdiktaturen in Europa werden gelobt. Geworben wird für eine identitä-

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NPD-Publikationen

re Demokratie à la Carl Schmitt, in deren Zentrum eine ethnisch und politisch homogene „Volksgemeinschaft“ steht, geleitet von einer elitären Führung. Etwas mildere Töne stimmt die NPD in ihrem ersten offiziellen „Parteiprogramm“ von 1967 an, in dem sie sich formal zu „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ bekennt, ohne jedoch deren Inhalte zu definieren. Hier präsentiert sie sich als Vertreterin von Bauerntum und Mittelstand und plädiert für Marktwirtschaft und Unternehmertum. Sie geißelt den angeblichen Vorwurf einer „Kollektivschuld“ der Deutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus, artikuliert nationalistische und rassistische Forderungen, protestiert gegen die Teilung Deutschlands und vertritt einen aggressiven Antikommunismus. Gleichzeitig stimmt sie kulturpessimistische Töne an. In ihrem neuen „Parteiprogramm“ von 1996 fordert die NPD den Austausch der Mächtigen und artikuliert damit offen Systemfeindschaft. Neu sind auch die anti-kapitalistischen und nationalrevolutionären Elemente, die enthoben jeglicher Kommunismus-Kritik nun im Plädoyer für einen „nationalen Sozialismus“ münden. Forderungen nach ethnischer Homogenität der „Volksgemeinschaft“ klingen jetzt radikaler. Das Parteiprogramm vom Juni 2010 unterscheidet sich kaum von seinem Vorgänger, nur Wortwahl und Themen beziehen sich deutlicher auf aktuelle öffentliche Diskurse und Begriffe (etwa zur „Integrationspolitik“, „Bildung“, „Nationalen Identität“). Sichtbar wird, dass die NPD den Islam als neues Feindbild neben das der Ausländer, USA und Juden stellt. Im „Europaprogramm“ von 2003 formuliert die Partei EU-feindliche Positionen und warnt vor einem angeblichen Plan von „Kapitalbesitzern“, die europäischen Völker zu zerstören. Zur Orientierung und Einstimmung auf Bundestagswahlkämpfe gibt sie zudem 2002 ein „Aktionsprogramm für ein besseres Deutschland“ sowie im Jahr 2009 ein „Bundestags-Wahlprogramm. Deutschlands starke Rechte 09“ heraus. Durch einen „Plan zur Ausländerrückführung“ sollen soziale Probleme gelöst werden. Antisemitische Weltverschwörungstheorien werden sichtbar, wenn die NPD gegen „die ‚neue Weltordnung’ der US-Ostküste“ (ein Code-Begriff für jüdischen Einfluss) und deren Ziel die Welt zu beherrschen, wettert. Noch deutlicher werden rassistische, antisemitische und systemfeindliche Aussagen in Publikationen, die für interne Schulungen gedacht sind. In unverkennbarem Neo-Nazi-Jargon heißt es in der Handreichung „Argumente für Kandidaten & Funktionsträger“ (Juni 2006): „Der von jüdischer Seite seit 60 Jahren betriebene Schuldkult und die ewige jüdische Opfertümelei muß sich kein Deutscher gefallen lassen. Es muß endlich Schluß sein mit der psychologischen Kriegsführung jüdischer Machtgruppen gegen unser Volk. Schließlich ist klar, daß die Holocaust-Industrie mit moralischen Vorwänden die Deutschen immer nur wieder finanziell auspressen will.“ Insgesamt verzichtet die NPD in der Handreichung auf eine Annäherung an übliche gesellschaftliche Normen und aktuellen Sprachgebrauch. Bis 1973 publizierte die NPD die Wochenzeitung „Deutsche Nachrichten“, die dominant von ehemaligen Akteuren der NSDAP und der Deutschen Reichspartei getragen wurde. Die Zeitung fusionierte 1974 mit der „Deutschen Wochen-Zeitung“ zur „Deutschen Wochen-Zeitung–Deutsche Nachrichten“, die später der rechtsextreme Millionär und DVU-Gründer Gerhard Frey aufkaufte. Als zentrales Parteipresseorgan wurde 1976 die Partei-Zeitung → „Deutsche Stimme“ gegründet, die monatlich erscheint. Mit dem Aufbruch der Partei Mitte der 1990er Jahre erlebte auch die „Deut-

NPD-Publikationen

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sche Stimme“ (Auflage 2010: 25.000/Eigenangabe) einen deutlichen Wandel: Das Blatt emanzipierte sich von einem Mitteilungsblatt zu einer lebendigen Zeitung. Aktuelle Politik wurde ins Zentrum gestellt, ideologische Klassiker besprochen und neue Strategien, um Sympathisanten zu gewinnen, diskutiert. Verantwortlich für diese Entwicklung waren junge, akademisch gebildete Redakteure wie Jürgen Gansel, Andreas Molau und Jürgen Schwab. Gleichwohl blieb der Kampf um den Umgang mit der NSGeschichte und der affirmative Bezug zum Nationalsozialismus Thema. Die Globalisierung wird als Teil einer „jüdischen Weltverschwörung“ beschrieben, die USA als „Marionette“ der Juden. Ziel der Juden sei die Zerstörung Deutschlands und der Deutschen. Beispielhaft sind Aussagen wie: „Das, was zu Beginn des Weltkrieges die beiden US-Liberalen Morgenthau und Kaufman, beide Volksgenossen von Ignatz Bubis, mit Deutschland nach dessen Niederwerfung vorhatten, nämlich die Liquidierung des deutschen Volkes durch Massenverschleppung, Aushungern, Ausmordung und Sterilisation der verbliebenen Männer und Masseneinwanderung raumfremder Ausländer mit dem Ziel der ‚Durchrassung’ des deutschen Restvolkes, wird heute im Zeitalter der ‚Menschenrechte’ von interessierter Seite mit etwas ‚humaneren’ Mitteln umgesetzt.“ An die „Deutsche Stimme“ sind weitere kleine Zeitschriften und Regionalausgaben angegliedert, so zum Beispiel „Blickpunkt Dresden“ und „NN Aktuell – Nationale Nachrichten“. Ihre Themen sind stärker regionalpolitisch. Intellektuellere Publikationen wie die „Nationaldemokratische Schriftenreihe Profil“ setzen ähnliche Akzente. Mit dem Ziel, subkulturell Orientierte und junge Menschen zu erreichen, entwickelte die NPD neue Publikationsformen. Die „Schulhof-CDs“ werben für Partei und Ideologie, indem sie Musik mit Propaganda verbinden. So legt die NPD nach dem Vorbild einer vereitelten Aktion der Neo-Nazikameradschaften seit 2004 CDs als Werbeträger für Ideologie und Partei auf. Die erste CD trug den populistisch-aggressiven Titel „Schnauze voll? Wahltag ist Zahltag!“ und wurde vier Wochen vor der sächsischen Landtagswahl (November 2004) mit 25.000 Exemplaren in Umlauf gebracht. Die Texte sind gut verständlich und transportieren rechtsextreme Botschaften. Antisemitismus spielt auch hier eine dominante Rolle: So wird etwa im Lied „Die Macht des Kapitals“ von der Musikgruppe „Faustrecht“ Kapitalismus- und Systemkritik mit antisemitischen Anspielungen verbunden. „Der Jude“ wird als personifizierter Feind schuldig an den gesellschaftlichen und persönlichen Missständen gesprochen. Aggressiv-systemfeindlich gibt sich das vom Bundesvorstand der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ herausgegebene Jugendmagazin „Der Aktivist“. Die Verantwortlichen bezeichnen sich als „Vertreter des nationalrevolutionären Flügels innerhalb der NPD“, kritisieren zu starkes parlamentarisches Engagement und plädieren für „Widerstand und Kritik“. Als grundlegende Partei-Publikationen müssen auch Jürgen Gansels Schriften zur „Dresdener Schule“ und Holger Apfels Buch „Alles Große steht im Sturm. Tradition und Zukunft einer nationalen Partei“ gelten. Beide dienen der strategischen Orientierung der NPD. Die „Dresdener Schule“ möchte der „Frankfurter Schule“ Adornos, Horkheimers etc. eine rassistische und ethnozentrische, eine völkisch-deutsche Theorie entgegensetzen. Antisemitische Weltverschwörungsideen und Opfermythen bilden das Zentrum dieser „intellektuellen Schule“ der Neonazis.

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NS-Frauen-Warte (1932–1945)

Insgesamt zeigt sich anhand der Publikationen, dass sich die NPD verändert hat: Sowohl inhaltlich (offener Neonazismus, insbesondere Antisemitismus, Systemfeindschaft und „nationaler Sozialismus“) als auch strukturell (Zielgruppen und Form der Ansprache).

Britta Schellenberg

Literatur Uwe Backes, Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007. Andrea Röpke, Andreas Speit (Hrsg.), Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft, Bonn 2009.

NS-Frauen-Warte (1932–1945) Die „NS-Frauen-Warte“ erschien vom 1. Juli 1932 bis zum Frühjahr 1945; ab 1. Januar 1934 wurde sie im Untertitel als „Die einzige parteiamtliche Frauenzeitschrift“ bezeichnet. Die Illustrierte wurde zunächst zwei-, später dreiwöchentlich herausgegeben und hatte 1934 eine Auflage von knapp 300.000 Exemplaren, die sie auf 1,4 Millionen im Jahr 1938 steigern konnte, damit war sie die auflagenstärkste Frauenzeitschrift des NS-Regimes. Das Sprachrohr der NS-Frauenschaft war mit zuerst 20, später 30 Pfennigen Kaufpreis recht preiswert. Die ersten Herausgeberinnen, Elsbeth Zander und Lydia Gottschewski, übten diese Funktion parallel zu ihrer Tätigkeit als Leiterinnen der NS-Frauenschaft aus. Ab Heft 7 des 2. Jahrgangs (1933/34) war als Herausgeberin die Reichsleitung der NS-Frauenschaft angegeben. Einen Zwangsbezug für die 2,3 Millionen Mitglieder der NS-Frauenschaft gab es jedoch nicht, sie wurde aber vorwiegend von diesen neben Hausfrauen und Bäuerinnen gelesen. Die Zeitschrift richtete sich nicht nur an Parteigenossinnen, sondern sollte von allen deutschen Frauen wahrgenommen werden. Ziel war es, nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten zu helfen und die deutsche Frau auf ihre Hauptaufgaben, möglichst viele Kinder zu erziehen, sich um den Haushalt zu kümmern und den Mann zu unterstützen, zu fixieren. Dieser Aufgabe trugen auch die Themen der „NS-Frauen-Warte“ Rechnung, die eine große Masse von Frauen ansprechen und so die ideologische Botschaft unauffällig unterbringen sollte. Neben den Rubriken Mode, Rezepte und Literaturempfehlungen wurden praktische Ratschläge zu Haushalt, Ehe und Mutterschaft erteilt. Die „NS-Frauen-Warte“ enthält zumeist einige wenige politische Seiten, die sich mit der aktuellen Politik oder mit dem Kriegsverlauf beschäftigen. Wird in den Vorkriegsausgaben die Rolle der deutschen Frau zunächst als Mutter und Hausfrau dargestellt, ändert sich dies entsprechend ihrer Bedeutung für die Kriegswirtschaft. Je weiter der Krieg fortschritt (vor allem nach 1941), umso positiver wurden z. B. weibliche Naturwissenschaftlerinnen oder Fließbandarbeiterinnen dargestellt. Häufig finden sich in den Heften gegen Jahresende auch Arbeits- und Erfolgsberichte der NS-Frauenorganisationen. Vervollständigt wird dieses Angebot durch Werbeanzeigen (Nivea Creme, Hipp usw.), den Fortsetzungsroman sowie Unterhaltungsrubriken (Kreuzworträtsel, Preisausschreiben). Zur „Rassen- und Judenfrage“ bot die „NS-Frauen-Warte“ unterschiedliche „Ausrichtungen“. Diese unterscheiden sich zwar nie in grundlegenden Aspekten, man kann

NS-Frauen-Warte (1932–1945)

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aber trotzdem zwischen gemäßigten und radikalen Positionen differenzieren. Die insgesamt gemäßigten Redakteurinnen äußerten sich nicht zur „Judenfrage“. Die eher gleichgültige Einstellung mancher Redakteurinnen wurde durch ebenso viele radikale Beiträge anderer Autorinnen und Autoren ausgeglichen. Eine Vertreterin der radikalen Richtung war vor allem Marta Heß. Scholtz-Klink dagegen äußerte sich in ihren Schriften und auch in der „NS-Frauen-Warte“ immer vage zur „Rassenproblematik“ und praktisch nie zur „Judenfrage“. Doch auch sie vertrat rassistische und antisemitische Positionen, was aus ihren späteren Äußerungen während des Entnazifizierungsprozesses in Tübingen hervorgeht. Mit ihren wenigen Äußerungen ist Scholtz-Klink eher auf einer konservativen, fremden- und judenfeindlichen Stufe anzusiedeln als auf der streng hetzerischen Ebene der anderen Parteileiter. Es steht aber außer Frage, dass die Reichsfrauenführerin von Beginn an die antisemitische Kampagne der NSDAP befürwortete. In der „NSFrauen-Warte“ hieß es schon im März 1933: „14 Jahre lang habt ihr, Parteigenossinnen, Schulter an Schulter mit der Braunen Front gegen den Juden, den Todfeind des deutschen Volkes, gekämpft, habt jüdische Lüge aufgedeckt und jüdische Geschäfte gemieden. Keinen Groschen mehr an ein jüdisches Geschäft, keinen jüdischen Arzt, keinen jüdischen Rechtsanwalt für die deutsche Frau oder deutsche Familie! Frauen, unterschätzt nicht den furchtbaren Ernst dieses Entscheidungskampfes. Der Jude will ihn führen bis zur Vernichtung des deutschen Volkes. Wir führen ihn bis zur Vernichtung des Judentums.“ Auch wenn sich die Reichsfrauenführerin meist zurückhielt, im Gegensatz zu anderen Frauenzeitschriften (z. B. → „Die deutsche Kämpferin“) befassten sich sehr viele Artikel in der „NS-Frauen-Warte“ mit antisemitischen Themen. Diese Aufsätze wurden außerdem überproportional häufig von Männern verfasst, oftmals stehen unter den Artikeln aber nur die Initialen der Autorin oder des Autors. Auffällig ist auch das niedrige sprachliche und inhaltliche Niveau dieser Beiträge. In regelrechten Hasstiraden wird ein Bild von „dem Juden“ gezeichnet, das in seiner Irrationalität und Aggressivität dem → „Stürmer“ gleichkommt. Oftmals sind die Artikel auch mit einer oder mehreren antisemitischen Karikaturen illustriert. So heißt es im Artikel „Die armen Juden“ als Reaktion auf die Ereignisse in der „Reichskristallnacht“: „Betrug, Skrupellosigkeit, Ausbeutung, Börsengaunereien und politische Korruption größten Stils, Bürgerkrieg, Schmutz und Schund, Triumph der Sittenlosigkeit und Entwürdigung der Frau zum seelenlosen Lustobjekt, Zerstörung der Familie, grenzenloser Verfall des Geschmacks, der Weg der Kultur in die Gosse und immer wieder das V e r b r e c h e n in jeder Form, der M o r d als politisches Kampfmittel, das sind die Leistungen des Judentums für die Menschheit und insbesondere für das deutsche Volk.“ Antisemitische Äußerungen kommen in der „NS-Frauen-Warte“ vornehmlich in drei Zusammenhängen vor: Jegliche mit Lustgewinn verbundene, nicht auf Kindererzeugung bedachte Sexualität gilt als „verjudet“. Auch die Sowjetunion und der Bolschewismus sind besonders verhasst. So schreibt der Autor Heinz Schweibold unter der Überschrift „Der Marsch auf Moskau. Der letzte Pfeiler des Judentums auf dem Kontinent fällt“: „Wir erkennen in dem Führeraufruf […] das alte, uns wohlbekannte Gesicht des Bolschewismus, der Organisation der Völkerverhetzung und -zersetzung, der Spionage und Sabotage, des Terrors und der blutigen Unterdrückung mit dem Ziel

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Odin (1899–1901)

der Weltdiktatur des Judentums.“ (1941/42) Laufend wird auch auf „jüdische Geldgeschäfte“ angespielt: „Der Krieg ist für die Juden ein hochwillkommenes Geschäft. Je unsicherer die Zeiten sind, je mehr in der Welt Panik entfacht werden kann, desto günstiger sind die Aussichten dafür, im Trüben zu fischen, zu spekulieren und zu schieben“. (1943/44) Antisemitische Äußerungen finden sich in der „NS-Frauen-Warte“ von der ersten bis zur letzten Seite. Selbst in den letzten, vermeintlich harmlosen Rubriken wird an „den Juden“ erinnert. So schreibt zum Beispiel Ingrid Binné in der monatlichen Filmschau „Venus vor Gericht“: „Der von Bauern gefundene Torso wird für ein Werk der Antike gehalten und von einem jüdischen Kunsthändler für teures Geld an den Staat verschachert.“ (1941/42)

Ramona Ehret

Literatur Kirsten Döhring, Renate Feldmann, Von „N.S. Frauen-Warte“ bis „Victory“. Konstruktionen von Weiblichkeit in nationalsozialistischen und rechtsextremen Frauenzeitschriften, Berlin 2004. Karin Fontaine, Nationalsozialistische Aktivistinnen (1933–1945). Hausfrauen, Mütter, Berufstätige, Akademikerinnen. So sahen sie sich und ihre Rolle im „tausendjährigen Reich“, Würzburg 2003. Massimiliano Livi, Gertrud Scholtz-Klink. Die Reichsfrauenführerin, Münster 2004.

Obiectiones in Thalmut Judaeorum → Errores Judaeorum in Thalmut

Odin (1899–1901) Die Zeitschrift „Odin. Ein Kampfblatt für die alldeutsche Bewegung“ (seit April 1900 „Kampfblatt für Alldeutschland“) mit drei unregelmäßig alternierenden Beilagen („Niederdeutsch“, „Das Kirchenlicht“, „Deutschland über See“) erschien von April 1899 bis Juli 1901 zunächst monatlich, ab März 1900 meist wöchentlich im Münchener Deutschvölkischen Verlag Odin in einem Umfang von acht Quartseiten und in einer im ersten Quartal 1900 angeblichen Auflage von 10.000 Exemplaren. Mitbegründer, Verleger, Geschäftsführer und zeitweiliger Schriftleiter war der aus Thüringen gebürtige Karl Rudolf Lencer (auch Lenzer), der eine Zeit lang erster Vorsitzender des 1897 gegründeten Deutschvölkischen Vereins „Odin“ und später in verschiedenen völkischen Organisationen wie der 1910 eingerichteten Deutschen Kanzlei und nach dem Ersten Weltkrieg in der Deutschvölkischen Freiheitspartei aktiv war. Chefredakteur war seit Anfang 1900 der Kärntner Hans Kordon [Pseudonyme: Apostata, Gawein, Markward], vormals Schriftleiter der „Münchner Neuesten Nachrichten“. Nachdem Lencer Verlag und Zeitschrift hoch verschuldet hatte, übernahm beide im April 1901 der aus Böhmen stammende Verleger Ignaz Kutschera, der die Unternehmen nicht retten konnte. Maßgeblich für das Ende der Zeitschrift war neben Lencers ruinösen Geschäftspraktiken vor allem das bereits im April 1899 vom K.u.K. Innenministerium ergangene Beförderungsverbot durch die staatliche Post in der Donaumonarchie, das die Odin-Verantwortlichen mit wechselnden Titeln („Süddeutsche Volkszeitung“, „Isarbote“, „Schmeck's“, „Deutsch und frei“) vergeblich zu unterlaufen versuchten.

Öffnet die Augen ihr deutschen Zeitungsleser

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Die Zeitschrift wie auch der Verlag und der Verein sind nicht nur Belege für das bereits in der Entstehungsphase der völkischen Bewegung vorhandene radikalnationalistische und damit auch antisemitische Potenzial im süddeutschen katholischen Raum, sie verweisen zugleich auf die engen institutionellen, personellen und ideologischen Beziehungen der österreichischen und reichsdeutschen alldeutschen und völkischen Kräfte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Namhafte alldeutsch-völkische Agitatoren der Habsburgermonarchie (u. a. Guido List, Franz Xaver Kießling, Oswald Plawina, Aurelius Polzer) und des Deutschen Reichs (u. a. Paul Bräunlich, Harald Grävell, Graf Paul von Hoensbroech, Paul Langhans, Johannes Lehmann-Hohenberg, Friedrich Lienhard, Hermann von Pfister-Schwaighusen, Kurd von Strantz, Franz Winterstein) lieferten Beiträge für den „Odin“, der zugleich sowohl einen regen Austausch mit zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften vor allem des österreichischen, insbesondere böhmischen, in geringerem Maße des deutschen alldeutschen, völkischen und antisemitischen Lagers pflegte, als er auch Kontakte zu verschiedenen Organisationen aus diesem Umfeld unterhielt. Die Zeitschrift verstand sich als reichsdeutsche Stimme der österreichischen Alldeutschen, namentlich des Schönerer-Flügels, worauf das Motto der Zeitschrift („Durch Kampf zum Siege! Durch Reinheit zur Einheit!“) und die Datierung nach der Schlacht von Noreja 113 v. Chr. hinweisen. Dementspechend war es zunächst das Anliegen des „Odin“, die österreichischen Alldeutschen agitatorisch und finanziell zu unterstützen. Unter der Ägide Kordons fand Anfang 1900 – nicht zuletzt aufgrund der aus dem österreichischen Beförderungsverbot resultierenden wirtschaftlichen Erwägungen und mit Blick auf die anwachsende deutsche alldeutsch-völkische Klientel – insofern eine Neuausrichtung statt, als fortan ein Schwerpunkt der Agitation darin bestehen sollte, „den radikaldeutschen Gedanken mit Entschiedenheit ins Reich selbst zu tragen.“ Der Nationalitätenkonflikt in der Habsburger Monarchie und die publizistische Unterstützung der österreichischen Alldeutschen in diesem Zusammenhang waren neben dem Interesse für das sogenannte Grenz- und Auslandsdeutschtum und den aus imperialen, germanen- und rassenideologischen Überzeugungen resultierenden Forderungen nach einem alldeutschen Staat die Themenschwerpunkte im „Odin“ sowie ferner vor dem Hintergrund der alldeutsch-völkischen Ideologie der in vielen Beiträgen ausformulierte dezidierte Antikatholizismus, Antislawismus, Antiromanismus und Antisemitismus.

Uwe Puschner

Literatur Uwe Puschner, Katholisches Milieu und alldeutsch-völkische Bewegung. Die Münchner Zeitschrift „Odin“ (1899–1901), in: Le milieu intellectuel catholique en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1871–1963) [Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963)], hrsg. von Michel Grunewald, Uwe Puschner, Bern u. a. 2006, S. 143–167.

Öffnet die Augen ihr deutschen Zeitungsleser → Antisemitische Hefte

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Der österreichische Volksfreund (Österreich, 1881–1897)

Der österreichische Volksfreund (Österreich, 1881–1897) „Der österreichische Volksfreund“ war ein antisemitisches Blatt, das 1881 von Karl von Zerboni in Wien gegründet wurde und zunächst alle zwei Wochen, später wöchentlich erschien. Der „Volksfreund“ war als zentrales Propagandablatt einer neu zu gründenden antisemitischen Partei gedacht und wurde ab der Gründung des dezidiert antijüdischen Österreichischen Reformvereins 1882 zu dessen zentralem Medium. Als solches spielte „Der Volksfreund“ eine gewichtige Rolle in der Entwicklung des politischen Antisemitismus und des radikalen Rassenantisemitismus auf dem Gebiet der damaligen Habsburgermonarchie. 1884 übernahm Ludwig Psenner das Blatt, das er bis zu dessen Einstellung 1897 besaß und leitete. Der „Volksfreund“ widmete sich ab der ersten Ausgabe der antijüdischen Agitation. Die überwiegende Mehrheit der Artikel befasste sich mit diesem Thema. Das Blatt sah seine Aufgabe in der Unterstützung und Verbreitung des Antisemitismus und wollte die Gründung einer antisemitischen Partei befördern. „Der ‚Österreichische Volksfreund’ sieht in der Emanzipation von der Judenherrschaft die Vorbedingung einer gedeihlichen Entwicklung Österreich Ungarns und es gereicht ihm zur besonderen Genugtuung, hierin von allen denkenden Patrioten (...) unterstützt zu werden“, heißt es in einem Aufruf von 1881, die Zeitschrift zu unterstützen; man sei für ein „starkes, christliches Österreich“, das Ziel liege in der „Emanzipation von dem Terrorismus der Alliance israélite, dem Freimaurerthum und dem Nihilismus und der diesen dienstbaren Judenpresse!“ In der Anfangszeit berichtete man verstärkt über antijüdische Tätigkeiten im Ausland (man druckte z. B. Reden deutscher Antisemiten) und startete eine „Kauf nur bei Christen!“ Kampagne. Auch wurden Auszüge aus August Rohlings → „Der Talmudjude“ veröffentlicht, in dem dieser behauptete (bzw. beweisen wollte), dass der Talmud Juden vorschreibe, Nichtjuden zu schaden. Nach der Gründung des Österreichischen Reformvereins, einem der ersten Vereine in Wien mit einem dezidiert antisemitischen Programm, erschien der „Volksfreund“ ab Juli 1882 mit dem Zusatz „Organ der Österreichischen Reformpartei“. Ausführlich wurde über die Tätigkeiten des Reformvereins berichtet. Durch die unterschiedliche politische Ausrichtung seiner Mitglieder, deren gemeinsamer Nenner der Antisemitismus war, wurde der Reformverein zu einem Bindeglied zwischen dem deutschnationalen Lager und dem politischen Katholizismus. Dadurch spielten er und der „Volksfreund“ als sein Medium eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des politischen Antisemitismus, wie auch bei der Herausbildung eines radikalen Rassenantisemitismus. Ludwig Psenner, der sich publizistisch der Verbindung von Christentum und Antisemitismus widmete, lenkte das Blatt in diese Richtung. Während seiner Zeit als Herausgeber und Chefredakteur des „Volksfreundes“ gründete er den Christlichsozialen Verein Alsergrund, einen Vorgängerverein der späteren Christlichsozialen Partei. Auch verfasste Psenner 1896 das erste von der Parteileitung empfohlene Programm der Christlichsozialen. Aufgrund seines aggressiv antisemitischen Kurses wurde der „Volksfreund“ Zeit seines Bestehens oft konfisziert bzw. zensuriert, da, laut Urteil des Pressegerichts und der k. u. k. Staatsanwaltschaft, das Blatt wiederholt „zu Feindseligkeiten gegen den jüdischen Volksstamm und die Israeliten als Religionsgesellschaft auffordern (...) oder

Ordnung in der Judenfrage (1933)

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dazu verleiten“ würde und damit den „Tatbestand des Vergehens gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung“ erfülle. 1897 wurde der „Volksfreund“ endgültig eingestellt. Ludwig Psenner (wie auch andere am „Volksfreund“ Beteiligte) blieb weiterhin publizistisch wie politisch (für die Christlichsozialen) aktiv.

Martina Aicher

Literatur John Boyer, Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf, Wien u. a. 2010. Peter G. J. Pulzer, Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004. Michael Wladika, Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u. k. Monarchie, Wien 2005.

Österreichische Wochenschrift → Dr. Bloch’s österreichische Wochenschrift

Ordnung in der Judenfrage (1933) „Ordnung in der Judenfrage“ erschien im Herbst 1933 im Reinhold-Verlag WienLeipzig. Der im Rahmen der – von Nikolaus Hovorka (1901–1966) und Viktor Matejka (1901–1993) herausgegebenen – Reihe „Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte“ veröffentlichte Band wurde umgehend von der Wiener Presse rezensiert und sorgte im Spätherbst 1933 für intensive Diskussionen. Zwei Autoren zeichneten für die Broschüre verantwortlich: Der christlich-soziale Politiker Emmerich Czermak (1885– 1965) für das Kapitel „Verständigung mit dem Judentum?“ und Oskar Karbach (1897–1973) für den Abschnitt „Wende der staatlichen Judenpolitik“. Sowohl der katholisch geprägt Antisemit und Cartellverbands-Bruder als auch der, so die zeitgenössische Charakterisierung, „nationalbewußte Jude“ gingen davon aus, dass die jüdische Assimilation gescheitert sei. Sie plädierten für eine Anerkennung der Juden als „gesonderte Nationalität“, was Czermak im Wesentlichen als „Segregation“ umschrieb, Karbach als „Dissimilation“. Rund zwei Jahre vor den Nürnberger Gesetzen fasste Karbach als Verfechter des Zionismus den staatlichen Antisemitismus in NS-Deutschland in seinem Beitrag äußerst konziliant zusammen. Im Weiteren versuchte er, betont sachlich, Wege und Möglichkeiten der Dissimilation der Juden zu erörtern und resümierte am Schluss seines Beitrages: „Das kann nur in einer neuen, reinen Atmosphäre einer Übereinkunft beider Bevölkerungsteile gelingen, die auf eine freiwillige und friedliche Dissimilation auf der Basis der Gleichberechtigung gerichtet ist.“ Czermak beschrieb in seinem Kapitel die Assimilation als Gefahr einer Verwässerung des „Volkscharakters“: Vermischung vermindere den Wert jedes nationalen Wesens, zerstöre das „gesunde, organisch gegliederte Volk“. Dies gelte auch für die Juden, die zur Kultur ihrer Väter zurückkehren und sich ebenfalls in einer eigenen Nation vereinen mögen. Czermak vereinnahmte zionistische Argumentationen, um seine assimilationsfeindliche Haltung zu begründen. Sprache und Argumentation der Schrift sind nur aus dem zeitgenössischen Kontext, aus dem essentialistischen Denken und biologistischen Sprachgebrauch der Zeit her-

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Ordnung in der Judenfrage (1933)

aus nachvollziehbar. Vor allem Czermak geht von Prämissen wie „völkischer Authentizität“, „gesundem, organisch gegliedertem Volk“, Angst vor „Vermischung“ oder Konstruktionen wie „Volkskörper“ und „Fremdkörper“ aus. Zu schützen sei demnach das deutsche Volk nicht vor jenen, die sich zur jüdischen Nation und Religion bekennen, sondern vielmehr vor jenen, die zur Assimilation bereit seien. Ziel war der Kampf „gegen das wurzellose, gegen das entartete Judentum“. Dabei werden Juden von Czermak durchaus nicht als subaltern, sondern als kulturell ebenbürtig erachtet, aber eben als „anders“ und damit als Gefahr für die angeblich authentisch nationale Ordnung klassifiziert. Als Zwischenlösung für die „Behandlung des Fremdkörpers in einem Organismus“ schlug Czermak – bis zur Auswanderung in einen neuen Staat – die Anerkennung als Nationalität vor, und dass für die „jüdischen Mitbürger ein besonderes Minderheitenrecht geschaffen werden muß, das der spezifischen Situation der Juden gerecht wird und das insbesondere die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Juden in das Gastvolk so regelt, daß möglichst wenig Anlaß und Gelegenheit zu Haßkonflikten übrig bleibt“. Zwar nannte Czermak seinen Beitrag salbungsvoll „Versuch einer Verständigung von Volk zu Volk“ und argumentierte – gemessen am damals üblichen NS-Jargon – gemäßigt, stand aber letztlich doch für die Aufhebung der verfassungsmäßig garantierten vollen Rechtsgleichheit aller Bürger ohne Unterschied des Glaubens und der Abstammung, gegen die freie und individuelle Entscheidung in Identitätsfragen. Irene Harand (1900–1975), eine prononcierte Kämpferin gegen den Antisemitismus in der Ersten Republik Österreich, erkannte in ihrer Kritik Czermaks in der von ihr redigierten Zeitschrift „Gerechtigkeit“ vom 3. November 1933 die Forderung nach Einführung einer Sondergesetzgebung für Juden. Die katholisch-konservative → „Reichspost“ fasste Czermaks Beitrag in einer Rezension auf ihrer Titelseite vom 16. November 1933 wie folgt zusammen: „Man braucht das Getto des Mittelalters, dem noch das Wesen der Judenfrage geläufig war, durchaus nicht für eine ideale Lösung zu halten, etwas für die Gegenwart Symbolhaftes und Wegweisendes haftet ihm an, in dem es die Tatsache der Zerstreuung als gegeben und gottgewillt hinnimmt und gleichzeitig für ein geordnetes Auseinander und Nebeneinander des so Wesensverschiedenen sorgt.“ Schon als Unterrichtsminister hatte Czermak 1932 versucht, mittels einer Initiative für ein „Bundesgesetz über eine Studentenschaftsordnung an den Hochschulen“ – ähnlich der 1931 am Verfassungsgerichtshof gescheiterten „Studentenordnung“ des Rektors der Universität Wien, Wenzel von Gleispach – „Studentennationen“ einzuführen, denen zufolge nicht die Staatsbürgerschaft, sondern eine rassistische „Volksbürgerschaft“ Aufnahmekriterium für die Universität sein sollte. Auch Czermaks Versuch der schleppenden Einführung eines „numerus clausus“ war, da er noch vor Einbringung ins Parlament der Öffentlichkeit bekannt wurde, gescheitert. Die Verbreitung der „Ordnung in der Judenfrage“ wurde in NS-Deutschland 1934 untersagt. Nach dem „Anschluss“ wurde Emmerich Czermak als Würdenträger des austrofaschistischen Regimes verhaftet, überdauerte aber die NS-Zeit relativ unbehelligt. Nach 1945 war Czermak als öffentlicher Verwalter im Versicherungswesen tätig. Oskar Karbach emigrierte 1939 über die Niederlande in die USA, wo er in verschiedenen Funktionen beim World Jewish Congress tätig war, u. a. auch im Austrian Jewish

L’Osservatore Cattolico (Italien, 1864–1907)

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Representative Committee und später als Leiter der Abteilung für die Verfolgung von NS-Verbrechen.

Béla Rásky

Literatur Peter Eppel, Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Die Haltung der Zeitschrift „Schönere Zukunft“ zum Nationalsozialismus in Deutschland 1934–1938, Wien, Köln, Graz 1980. Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über Freud zu Kelsen. Österreichische Wissenschaftsgeschichte 1848–1938, Bielefeld 2010. Oskar Karbach, The Liquidation of the Jewish Community in Vienna, in: Jewish Social Studies 2 (1940), 3, S. 255. Brigitte Lichtenberger-Fenz, „...Deutscher Abstammung und Muttersprache“. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien, Salzburg 1990.

L’Osservatore Cattolico (Italien, 1864–1907) Die katholische Zeitung „L’Osservatore Cattolico“ ist 1864 von jenen Teilen des Mailänder Klerus gegründet worden, die die unversöhnliche, intransingente und gegen den italienischen Nationalstaat gerichtete Politik des Vatikans unterstützten. Ziel der Zeitung war es, die in der Mailänder Kirche noch immer einflussreichen katholischliberalen Tendenzen, insbesondere die Anhänger der Theologie von Antonio Rosmini, zu bekämpfen. Unterstützung erfuhr die Zeitung dabei von Papst Pius IX., der dem Blatt auch eigene Beiträge lieferte. Die Ernennung eines liberalen Geistlichen zum Erzbischof von Mailand im Jahr 1867 führte zu heftigen Konflikten zwischen der Diözesanverwaltung und der Zeitschrift „L’Osservatore Cattolico“, die sich 1869 deutlich zuspitzten, als mit Davide Albertario ein extrem unnachgiebiger und zu keinen Kompromissen bereiter Verfechter der Politik des Vatikans in die Redaktion eintrat. Neben der unbedingten Verpflichtung auf den Papst sowie dem unerbittlichen Kampf gegen den Liberalismus und die politische Klasse des jungen Nationalstaates zeichnete sich die journalistische Mission von Davide Albertario durch sein Engagement in der sozialen Frage, sein Eintreten für eine katholische Sozialbewegung und nicht zuletzt durch seine Judenfeindschaft aus. Zwar unterstützte Albertario die strenge Verweigerungshaltung des Vatikans hinsichtlich der nationalen Politik, gleichzeitig aber trat er für das öffentliche Engagement der Katholiken ein. Die Konflikte zwischen der Zeitung und dem Mailänder Erzbischof eskalierten soweit, dass Letzterer Anfang 1878 die Einstellung der Zeitung anordnete. Da Davide Albertario die Unterstützung des Papstes genoss, musste der Erzbischof seine Anweisung jedoch wieder zurücknehmen. Die judenfeindliche Agitation des „Osservatore Cattolico“ trat insbesondere nach dem Berliner Kongress hervor. So kritisierte die Zeitung die Aufforderung an die Regierung Rumäniens, die rumänischen Juden als Staatsbürger anzuerkennen, denn die Juden in Rumänien seien wahre „Finanztyrannen“. In den 1880er Jahren brachen die innerkatholischen Konflikte in Mailand mehrfach auf, zumal sich Albertario mit weiteren Bischöfen und Theologen der Stadt angelegt hatte. Zwischenzeitlich nach Neapel verbannt, kehrte Albertario Anfang 1884 nach

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Mailand zurück und setzte seinen Kampf gegen den liberalen und reformorientierten Klerus ebenso unvermindert fort wie seine Kampagne gegen die Juden. Diese seien nicht nur die eigentlichen Herren von Österreich-Ungarn, Deutschland und Frankreich, sondern würden die ganze Welt beherrschen. Die Juden seien verantwortlich für die Entstehung des Liberalismus und würden die Parlamente sowie den Journalismus dominieren. Innerhalb der kirchlich gebundenen Bevölkerung Mailands fand die Zeitung mit ihrem Antisemitismus und ihrem unversöhnlichen Kampf gegen den Staat jedoch geringe Unterstützung. Nur eine Spendensammlung und die finanzielle Unterstützung des Papstes konnten die Zeitung retten. Zu den Förderern im Vatikan gehörte u. a. der durch seine antisemitische Position hervorgetretene und 1887 zum Staatssekretär ernannte Mariano Rampolla. Europaweite Beachtung fand der „Osservatore Cattolico“ vor allem in den Jahren 1891 und 1892 durch eine breite antisemitische Kampagne gegen die angeblichen jüdischen Ritualmorde. Auf dem Höhepunkt dieser Agitationswelle sind nahezu täglich antisemitische Artikel erschienen. Die deutschen Antisemiten lieferten dem Mailänder Blatt dazu Berichte über angebliche Ritualmordfälle, die im „Osservatore Cattolico“ unter dem Titel „Berliner Briefe“ erschienen. Anschließend druckten die deutschen Antisemiten diese Berichte in ihren Blättern ab, nun mit der Autorität einer internationalen katholischen Zeitung versehen. Zwischen März und April 1892 veröffentlichte der „Osservatore Cattolico“ darüber hinaus eine 18 Folgen umfassende Serie über angebliche rituelle jüdische Morde, die sich auf die breite Fülle an antisemitischer Literatur von August Rohling, über Henri Roger Gougenot des Mousseaux, die einschlägigen Artikel der → „Civiltà Cattolica“ bis hin zu Édouard Drumont bezog. Diese Kampagne löste in der Öffentlichkeit Mailands eine heftige Kontroverse aus, und die liberale Zeitung „Corriere della Sera“ erhob schwere Vorwürfe gegen die Agitation des „Osservatore Cattolico“. Gleichzeitig arbeitete Albertario in diesen Jahren mit einer Reihe von jüngeren politisch engagierten katholischen Journalisten zusammen, für die jedoch weniger die alten Ritualmordvorwürfe im Mittelpunkt des Interesses standen als vielmehr die soziale Frage, die auch der Papst in der im Mai 1891 erlassenen Enzyklika „Rerum Novarum“ angesprochen hatte. Der „Osservatore Cattolico“ rief nun die katholischen Arbeiter und Bauern zu politischen Aktionen und zur Gründung von Selbsthilfevereinen auf, was nicht nur zu neuen Konflikten mit der Mailänder Kurie führte, sondern auch im Vatikan Irritationen hervorrief. Zur entscheidenden Figur der jungen Generation katholischer Journalisten wurde Filippo Meda, der 1893 die Leitung des „Osservatore Cattolico“ übernahm. Im Unterschied zur älteren Generation konzentrierte sich Meda nicht mehr auf den kirchlichen Kampf gegen den Nationalstaat, sein Ziel war vielmehr die „Christianisierung“ der Politik. Die Kampagne gegen die angeblichen jüdischen Ritualmorde stellte er ein, dafür interessierte er sich umso stärker für politische und soziale Fragen. Die „Judenfrage“, so hieß es nun in der Rubrik „Soziale Bewegung“, sei integraler Bestandteil der sozialen Frage. Semitismus bedeute Vorherrschaft des Goldes, denn „der Jude“ besitze „fast alle großen Banken“, und „wer das Geld besitzt, besitzt auch die Presse, und wer die Presse besitzt, besitzt die Macht“. In einem Beitrag über die „Judenfrage“ in

L’Osservatore Romano (Italien, seit 1861)

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Frankreich betonte der „Osservatore Cattolico“, dass der Liberalismus die Völker den beutegierigen, wucherischen und heuchlerischen Juden ausliefere. Mit besonderem Interesse verfolgte die Zeitung die Entwicklung der christlich-sozialen Partei in Österreich, und breite Aufmerksamkeit schenkte sie der Dreyfus-Affäre in Frankreich. Welche Bedeutung der „Osservatore Cattolico“ den sozialen Konflikten beimaß, zeigte sich im Jahr 1898, als im Mai in Mailand eine breite Protestbewegung der Arbeiter gegen die massive Erhöhung der Brotpreise ausbrach, die mit militärischer Gewalt niedergeschlagen wurde und bei der 80 Menschen getötet wurden. Albertario hatte die Forderungen der Arbeiterschaft unterstützt und der liberalen Regierung die Schuld an der Verschärfung der sozialen Krise gegeben. Obgleich Albertario in den Tagen des Aufstandes das Erscheinen des „Osservatore Cattolico“ von sich aus eingestellt hatte, wurde die Zeitung vorübergehend verboten und Albertario zu drei Jahren Haft verurteilt. Als der Ausnahmezustand im September aufgehoben wurde, konnte der „Osservatore Cattolico“ wieder erscheinen. Dabei entwickelte die Zeitung das Konzept der christlichen Demokratie weiter, akzentuierte ihr Engagement für soziale und politische Fragen, ohne dabei den alten Kampf gegen den Liberalismus als „Ursache aller Übel“ zu vernachlässigen, wobei diesem nun auch die Verantwortung für die Entstehung des Sozialismus gegeben wurde. Zwar erschien im März 1901 erneut ein Artikel mit dem Titel „Der jüdische Kapitalismus“, in dem noch einmal die nichtreligiösen Motive des katholischen Antisemitismus artikuliert wurden und der Aufstieg des Bankhauses Rothschild als Beleg für die angebliche Herrschaft der Juden über die Hauptstädte Europas herhalten musste. Gleichwohl traten die antisemitischen Kampagnen in der Zeitung nun zurück. Das verstärkte sozialpolitische Engagement führte dazu, dass das Blatt eine deutliche Auflagensteigerung erfuhr. So hatte die Zeitung unter der Leitung von Davide Albertario anfangs lediglich eine Auflage von knapp 2.000 Exemplaren, und Ende der 1880er Jahre konnte sie nur durch eine Spendensammlung sowie die finanzielle Hilfe des Papstes überleben. Unter Leitung von Meda und dessen neuer sozialpolitischer Linien steigerte das Blatt in den Jahren um 1900 die Auflage auf etwa 8.000 Exemplare, bis der „Osservatore Cattolico“ 1907 in der Zeitung „La Lega Lombarda“ aufging.

Ulrich Wyrwa

Literatur Alfredo Canavero, Albertario e „L’osservatore cattolico“, Roma 1988. Annalisa Di Fant, Don Davide Albertario propagandista antiebraico. L’accusa di omicidio rituale, in: Storicamente. Rivista del Dipartimento di Discipline Storiche, Antropologiche e Geografiche, Università di Bologna 7 (2011), art. 21 online. Annalisa Di Fant, Stampa cattolica italiana e antisemitismo alla fine dell’Ottocento, in: Catherine Brice (Hrsg.), Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique, Roma 2003, S. 121–136.

L’Osservatore Romano (Italien, seit 1861) „L’Osservatore Romano“, 1861 gegründet, ist die offizielle Tageszeitung des Vatikans und eng verbunden mit dem vatikanischen Staatssekretariat. „L’Osservatore Romano“ veröffentlicht regelmäßig päpstliche Erklärungen und Stellungnahmen. Obwohl auf

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L’Osservatore Romano (Italien, seit 1861)

Italienisch geschrieben, dient die Zeitung auch international als Informationsquelle in vatikanischen Angelegenheiten. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden wöchentliche Ausgaben in anderen Sprachen veröffentlicht, in deutscher Sprache seit 1971. Von Beginn an war „L’Osservatore Romano“ ein Vertreter des Antijudaismus, Juden als ein verdammtes Volk darstellend. Nach der Emanzipation der Juden in Italien 1870 polemisierte die Zeitung gegen jüdische Politiker und Journalisten in Rom. In den 1890er Jahren, inspiriert durch die Kampagnen in → „La Civiltà Cattolica“ und Davide Albertarios → „L’Osservatore Cattolico“, schenkte „L’Osservatore Romano“ der Blutbeschuldigung Glauben und unterstützte die Anti-Dreyfusarden in Frankreich und die antisemitische Christlichsoziale Partei in Österreich. Gegen Ende der 1890er Jahre argumentierte die vatikanische Tageszeitung, dass Antisemitismus durch die Handlungen der Juden selbst hervorgerufen würde und plädierte für einen christlichen und gewaltlosen Antisemitismus. „L’Osservatore Romano“ nahm während des Faschismus nicht Partei für die Juden und kritisierte die Rassengesetze von 1938 einzig in dem Punkt, der die Heirat zwischen Katholiken und Konvertiten verbot, da dies einen Verstoß gegen das Konkordat darstellte. Während des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte das Organ des Vatikans keine offenkundig antisemitischen Stellungnahmen. Obwohl geistliche Kanäle die Redakteure gut informierten über die Verfolgung von Juden in den von Deutschland besetzten Teilen Polens, verurteilte die Zeitschrift diese Geschehnisse nie. Sie war nur geringfügig direkter in Hinsicht auf die Verfolgung katholischer Polen durch die Nationalsozialisten. Andererseits erwähnte der Vatikan explizit die in Teilen Polens unter sowjetischer Besatzung verübten Gräueltaten. „L’Osservatore Romano“ widersetzte sich dem Zionismus seit dem späten 19. Jahrhundert. Zu Beginn, basierend auf antijudaistischen Annahmen, sah sie die Gründung eines jüdischen Staates aus theologischer Sicht als unangemessen an. Später deutete die Zeitung den Zionismus als Versuch eines sowjetischen Imperialismus, als einen heimlichen Versuch der jüdischen Erlangung der Weltherrschaft und als einen Anlass für Unsittlichkeit im Heiligen Land. Die vatikanische Zeitung verteidigte die Internalisierung der Heiligen Orte und den Schutz der Rechte katholischer Araber. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil modifizierte „L’Osservatore Romano“ seinen Standpunkt in Bezug auf den Judaismus im Einklang mit den generellen Änderungen in der Kirchenpolitik. Doch sie distanzierte sich nicht von ihrer ehemaligen Unterstützung des Antisemitismus.

David L. Dahl

Literatur Annalisa Di Fant, La polemica antiebraica nella stampa cattolica romana dopo la Breccia di Porta Pia, in: Mondo Contemporanea 1 (2007), S. 87–118. Annalisa Di Fant, Questione ebraica e antisemitismo in alcune voci della stampa cattolica italiana dopo l`Unità (1870–1893), Diss. Università di Trieste, 2005. Annalisa Di Fant, L’Affaire Dreyfus nella stampa cattolica italiana, Trieste 2002. David I. Kertzer, Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus, München 2001.

Ostara (1905–1931)

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Susan Zuccotti, L’Osservatore Romano and the Holocaust, 1939–1945, in: Holocaust and Genocide Studies 17 (2003), 2, S. 249–277.

Ostara (1905–1931) Die zunächst als freisinniges Monatsmagazin konzipierte Schriftenreihe „Ostara“ erschien seit 1905 nach der von dem Lanz-Biographen Wilfried Daim eingeführten und heute etablierten, aufgrund von Lanz’ und seiner – zum Teil im 1900 gegründeten Ordo Novi Templi (ONT) organisierten – Anhänger Überzeugung von der inneren Einheit und in Hinblick auf die substanziell kaum veränderten Neuauflagen jedoch problematischen, an den Erscheinungsorten orientierten Systematisierung in drei Serien (Rodaun-Mödling, Magdeburg und Wien). Von den 100 angekündigten Heften der Rodaun-Mödlinger Serie (1905–1917) sind 89 Hefte sowie drei von Ernst Wachler verantwortete Sonderhefte erschienen bzw. nachgewiesen; für die in ihrer Existenz fragwürdige Magdeburger Serie sind hingegen nur zwei Hefte belegt. Die auf 100 Titel angelegte Wiener Serie wurde 1926 von dem österreichischen Industriellen und ONT-Mitglied Johann Walthari Wölfl angeregt; sie erschien bis 1931 unregelmäßig in insgesamt 38 Heften. Die überwiegende Mehrheit der Hefte stammt aus der Feder von Lanz und bildet seine aus dem alldeutsch-völkischen Weltanschauungspotenzial schöpfende und besonders von dem Wiener Ariosophen Guido von List beeinflusste „rassen-, wirtschafts- und staatspolitische Ideologie“ (Ekkehard Hieronimus) ab. Lediglich 15 – in der Wiener Serie durch Arbeiten von Lanz ersetzte – Titel der ersten 25 „Ostara“-Hefte sind von ariosophischen Autoren wie Harald Grävell (Arjuna van Jostenoode), Adolf Harpf und Guido von List verfasst. Den Anstoß für die Schriftenreihe gab das im Vorwort des zweiten Heftes von 1906 formulierte „Bedürfnis einiger Männer, der deutschen Öffentlichkeit Wahrheiten in wissenschaftlicher und gemeinverständlicher Form vorzulegen, die unter Umständen in keinem Parteischema Platz haben“. Mit der vollständigen Übernahme durch Jörg Lanz von Liebenfels (i.e. Adolf Lanz) im Jahr 1908 dominierte eine religiös überwölbte Rassenlehre die Schriftenreihe. Diese fand ihren Niederschlag in dem seit 1910 mit Heft 33 verwendeten Untertitel „Bücherei der Mannesrechtler und Blonden“ und ihren Ausdruck in dem programmatischen, 1913 in Heft 70 abgedruckten, antisozialistisch, antisemitisch und vor allem antifeministisch-misogyn unterlegten rassistischen Selbstverständnis, demzufolge „‚Ostara’ […] die erste und einzige illustrierte arisch-aristokratische Schriftensammlung [ist], die in Wort und Bild den Nachweis erbringt, daß der blonde heldische Mensch der schöne, sittliche, adelige, idealistische, geniale und religiöse Mensch, der Schöpfer und Erhalter aller Wissenschaft, Kunst und Kultur und Hauptträger der Gottheit ist. Alles Häßliche und Böse stammt von der Rassenmischung her, der das Weib aus physiologischen Gründen mehr ergeben war und ist als der Mann. Die ‚Ostara’ ist daher in einer Zeit, die das Weibische und Niederrassige sorgsam pflegt und die blonde heldische Menschenart rücksichtslos ausrottet, der Sammelpunkt aller vornehmen Schönheit, Wahrheit, Lebenszweck und Gott suchenden Idealisten geworden.“ „Ostara“ ist als das „eigentliche Propagandaorgan“ (Ekkehard Hieronimus) der Lanzschen Ideologie und seines Ordo Novi Templi anzusehen. Über die Verbreitung

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Die Ostjudenfrage (Georg Fritz, 1915)

und Wirkung der „Ostara“-Hefte und mit ihnen die im alldeutschen und völkischen Lager insbesondere aufgrund ihrer Misogynie wie auch ihrer Rassenmystik kritischablehnend kommentierten Lanzschen Weltanschauung ist viel spekuliert worden, namentlich über den Einfluss auf Hitler, den bereits Lanz und anschließend sein Biograph Daim und nachfolgend andere zu suggerieren suchten. Einzelne „Ostara“-Hefte wie auch der in der alldeutschen Presse Österreichs präsente Autor Lanz waren Hitler aus seinen Wiener Jahren wohl bekannt, ohne dass Lanz jedoch zum Ideengeber Hitlers wurde, zumal dieser auf eine umfangreiche publizistische alldeutsch-völkische Ideeenzirkulation zurückgreifen konnte und die völkisch-religiösen Ideologen und deren Vorstellungen entschieden ablehnte und nach 1933 marginalisierte.

Uwe Puschner

Literatur Wilfried Daim, Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Von den religiösen Verirrungen eines Sektierers zum Rassenwahn des Diktators, München 1958 (2., verb. u. erw. Aufl. Wien 1985; 3., erw. u. verb. Aufl. Wien 1994). Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, Graz, Stuttgart 1997 (engl. Originalausgabe 1982). Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München, Zürich 1996. Ekkehard Hieronimus, Lanz von Liebenfels. Eine Bibliographie, Toppenstedt 1991. Ekkehard Hieronimus, Jörg Lanz von Liebenfels, in: Handbuch zur „völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u.a. 1996, S. 131–146.

Ostdeutsche Rundschau → Deutschösterreichische Tageszeitung

Die Ostjudenfrage (Georg Fritz, 1915) Georg Fritz (1865–1944), der nach einem abenteuerreichen Lebensweg 1914 dem Alldeutschen Verband beitrat, wurde zu einem engen Mitarbeiter des Vorsitzenden Heinrich Claß. 1915 meldete er sich mit der 48-seitigen Broschüre „Die Ostjudenfrage. Zionismus und Grenzschluß“, erschienen im völkisch-antisemitischen Verlag → J. F. Lehmanns in München, zu einer aktuellen Streitfrage zu Wort, nämlich der schon vor dem Krieg und intensiv in den Jahren ab 1915 debattierten „Ostjudenfrage“. Man sah mit dem Ausgreifen Deutschlands nach Osten die Gefahr einer Masseneinwanderung heraufziehen. Die Schrift beginnt mit einer kurzen rassentheoretischen Einführung, in der Fritz von der Annahme von ursprünglichen reinen Rassen ausgeht, wobei er klimatheoretisch zwei starke „Wurzelgeschlechter“ postuliert, die Indogermanen des Nordens und die Ursemiten der Wüste. Dazwischen sah er ein durch Rassenmischung entstandenes „mittelländisches Völkerchaos“. Er musste aber durchaus konzedieren, dass auch die Germanen bzw. die Deutschen keineswegs mehr reinrassig wären, doch sah er im Aufkommen des Nationalitätsprinzips und schließlich in der zeitgenössischen „Anerkennung der Rasse“ einen Schritt zur erneuten „Rassenpflege“ und ein Ringen um Läuterung der Arier von den nichtarischen Beimischungen. Er erkennt aber die bestehende Rassenmischung an und macht darin im deutschen Fall sogar einen Vorzug aus: nämlich den Ursprung der „Vielseitigkeit des deutschen Wesens“. Dieses Deutsch- und Germanentum steht für ihn nun in einem Mehrfrontenkampf gegen die

Die Ostjudenfrage (Georg Fritz, 1915)

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„Rassenbastarde im Westen und Süden“, gegen „entartete Slawen“ und vor allem gegen die „gelbe Gefahr“ aus dem Osten. Anschließend folgt ein historischer Exkurs über die deutsche Ostkolonisation und den späteren Verfall dieser Position durch eine „Entvölkerung des Ostlandes“ bis hin zu den Plänen für neue Eroberungen und Ansiedlungen in diesem Gebiet als Ergebnis des siegreichen Krieges. Erst jetzt kommt er auf die Juden, den Antisemitismus und die Hauptrichtungen des Judentums zu sprechen. Zwischen Deutschen und Juden sieht er den „größten anthropologischen Abstand“, dem auf deutscher Seite ein Gefühl der jüdischen Wesensverschiedenheit korrespondiert. Er gesteht zwar durchaus zu, dass die deutschen Juden das Land vor allem wirtschaftlich stark geprägt hätten, doch sei das deutsche Wesen davon letztlich unberührt geblieben. Im deutschen Antisemitismus sieht Fritz entsprechend eine „Fiebererscheinung“, allerdings im Sinne eines Gesundungsvorgangs, in dem die Judengegnerschaft das Bewusstsein der Rasse (auch bei den Juden) wieder geschärft habe. So unterscheidet er im Judentum wesentlich zwischen den Zionisten, denen er „Rassestolz“ zubilligt und denen er positiv gegenübersteht, und den Assimilanten, dazwischen steht für ihn noch die Orthodoxie. Gestützt auf die demographischen Analysen jüdischer Wissenschaftler beschreibt er den „Untergang“, d. h. das Aufgehen der deutschen bzw. westlichen Juden durch „Mischehen“ und Taufen in der Mehrheitsbevölkerung. Die Auflösung betrifft seiner Meinung nach aber nicht die orthodoxen bzw. zionistischen Ostjuden. In durchaus positivem Tonfall und gut informiert gibt er eine Darstellung der Auswanderung der russischen Juden und ihrer Aufnahme in England, in den USA und in anderen Ländern Europas bzw. in Übersee. Dem Zionismus und seinen Siedlungsplänen in Palästina, an denen die Deutschen seiner Meinung nach „lebendigen Anteil haben“, steht er überaus wohlwollend gegenüber und betont auch die Vorteile für das Osmanische Reich, allerdings unter der Bedingung, dass die Juden dort wieder primär zu Ackerbauern würden und ihre Spezialisierung auf die Wirtschaft aufgäben. Beide Seiten würden durch die Rückkehr der Juden in ihr semitisches Ursprungsland profitieren. Vorteile erkennt Fritz aber vor allem für Deutschland, da er ansonsten wegen der zunehmend restriktiven Einwanderungspolitik Amerikas, Australiens und Großbritanniens die Gefahr sieht, dass es zum Ziel massenhafter ostjüdischer Einwanderung werden könnte. Er spricht von einer „gelben Flut zwar anderer aber nicht minder gefährlicher Art als die mongolische“, die Deutschland überschwemmen werde. Fritz bedauert sehr, dass es keine amtliche Statistik über die Einwanderung dieser „fremden Elemente“ gibt, weiß aber, gestützt auf jüdische Zeitungen, zu berichten, dass seit 1900 eine ostjüdische Masseneinwanderung vor allem aus Galizien ins Deutsche Reich eingesetzt habe. Zwar gebe es für ausländische Juden gewisse Aufenthaltsbeschränkungen in den preußischen Provinzen und auch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz böte eine gewisse Handhabe, doch reiche dies nicht aus, den Strom der Zuwanderer wirkungsvoll zu begrenzen. Deshalb fordert Fritz einen „reichsgesetzlichen Grenzschluß“ gegen alle östlichen Zuwanderer mit Ausnahme der Wanderarbeiter. Er zitiert geschickt Presseartikel „einsichtiger Juden“, die die Massenzuwanderung verarmter Juden auch als Gefahr für die Integration der deutschen Juden einschätzten und in den Ostjuden „kulturell Fremde“ sahen, denen man in ihrer Heimat helfen, sie aber nicht

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einwandern lassen sollte. Er zitiert jedoch fairerweise nicht nur ablehnende Stimmen der „Assimilanten“, sondern auch aus Zeitungsartikeln, die für die Ostjuden Partei ergriffen und auf die Herkunft vieler deutsch-jüdischer Kritiker aus Russisch-Polen hinwiesen. Fritz selbst bestreitet keineswegs, dass auch die heutigen ostjüdischen Zuwanderer langfristig assimilierbar wären, doch warnt er angesichts Millionen erwarteter Zuwanderer in rassistisch herabsetzender Diktion vor der Flut von „Millionen nicht nur armer, leiblich und sittlich verkümmerter Menschen, sondern rassefremder, verjudeter Mongolen, deren Massenaufnahme den Gesamtcharakter des deutschen Volkes einseitig und nachteilig beeinflussen“ würde. Seiner Auffassung nach lag eine Regelung der Einwanderung nach „rassischen“ Kriterien auch im Interesse der deutschen Juden, sonst drohe als Folge der Zuwanderung ein Auflodern der „Judenfrage“ und die „Aufhebung der Gleichberechtigung“, oder wie er noch radikaler formulierte, die „gründlichste Ausjätung“ der Juden in Deutschland. Er warnt die liberalen deutschen Juden, sich aus humanitären Gründen der Sache der Ostjuden anzunehmen, die er als „Bedroher unseres Volkstums“ bezeichnet. Denn nach dem Krieg würden sie angesichts des durch den Krieg entfachten Deutschbewusstseins ihre wirtschaftliche und kulturelle Vormachtstellung verlieren und sollten deshalb an einer Lösung der „brennenden Ostjudenfrage“ interessiert sein, die Fritz eben nicht in der Einwanderung nach Deutschland oder in der Zerstreuung in viele Länder sieht, sondern in der zionistischen Lösung einer geschlossenen Ansiedlung (in Palästina). Er stellt den Zionisten wie den Reformjuden die Vorzüge dieser Lösung vor Augen, betont aber auch die rassischen Vorteile für die Deutschen, die ihre deutsche Art und Kultur festigen könnten, womit auch die Judenfrage an „völkischer Bedeutung“ verlieren und der Antisemitismus in der allgemeinen sozialen Frage aufgehen würde. Abschließend diskutiert Fritz im Anschluss an die Gesetzgebung in den USA und Australien zwei Alternativen, wie ein Schutz der deutschen Reichsgrenzen „vor der Überflutung durch die ostjüdischen Massen“ aussehen könnte: entweder nach dem Muster Australiens die völlige Ausschließung aller fremden Rassen, wozu er neben den Asiaten auch die Slawen zählte, oder die amerikanische Lösung einer scharfen Auslese im Einzelfall ungeachtet der Rassenzugehörigkeit. Fritz plädiert für die australische Lösung und möchte die Rassenzugehörigkeit, ergänzt durch die Staatsangehörigkeit als Zugangskriterium einführen. Dies muss seiner Meinung nach sehr schnell geschehen, da er die Judenverfolgungen in Russland auf eine Katastrophe zutreiben sieht und daher den Zuwanderungsdruck der bedrängten Ostjuden fürchtet. Zugleich mit dem Schutz der Deutschen gegen die Ostjuden durch eine Grenzsperre fordert er aber auch „jeden möglichen Schutz und Förderung“ der Siedlungsbestrebungen der osteuropäischen Juden. In der Schrift von Georg Fritz verbinden sich eindeutig rassistisch-antisemitische Denkweisen mit einer gewissen Kenntnis der innerjüdischen Diskussion und einer durchaus sachlichen und sogar wohlwollenden Haltung gegenüber den „rassebewussten“ Zionisten. Da es sich ja um eine Art politischen Denkschrift handelt, vermeidet der Autor – bis auf einige krasse Ausfälle – den Ton einer antisemitischen Propagandaschrift, sondern bemüht sich um eine sachlich klingende, nicht völlig einseitige Darlegung des Problems und seiner gewünschten Lösung aus der Sicht der Alldeutschen.

Ostjüdische Zeitung (1919–1937)

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Fritz veröffentlichte inmitten der innenpolitischen Krise im Juni-Juli 1917 in der „Deutschen Zeitung“ den Artikel „Die Ostjudenfrage“, in dem er mit nun deutlich antisemitischer Stoßrichtung nochmals die Einwanderungsfrage aufgriff und für den Fall, dass kein striktes Einwanderungsgesetz erlassen würde, ein Wiederaufleben der innerdeutschen „Judenfrage“ androhte: nämlich die völlige „Neuorientierung gegenüber dem Judentum im Allgemeinen und seiner staatsbürgerlichen Gleichberechtigung“. Was er damit meinte war, auch die deutschen Juden unter Fremdenrecht zu stellen. Er befürwortete allerdings auch weiterhin eine Verbesserung der Lage des Ostjudentums, weil er sich davon dessen Abwanderung nach Osten statt nach Westen erhoffte, wobei die osteuropäischen Juden mittels des Jiddischen sogar als Vermittler bei „der notwendigen Ausdehnung unseres wirtschaftlichen und politischen Einflusses“ nach Osten hilfreich sein könnten.

Werner Bergmann

Literatur Heinrich Claß, Wider den Strom. Vom Werden und Wachsen der nationalen Position im alten Reich, Leipzig 1932. Trude Maurer, Ostjuden in Deutschland 1918–1933, Hamburg 1986. Egmont Zechlin, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969.

Ostjüdische Zeitung (1919–1937) Die zionistische „Ostjüdische Zeitung“ erschien zwei- bis dreimal wöchentlich zwischen 1919 und 1933 in Czernowitz. In der Landeshauptstadt des ehemaligen Habsburger Kronlandes Bukowina blieb das Deutsche auch nach dem Anschluss an Rumänien die Umgangssprache der meisten Juden. Die Zeitung gab Meyer Ebner (1872– 1955) heraus, der 1891 zu den Mitbegründern der jüdischen Burschenschaft „Hasmonäa“ gehört hatte. Diese vertrat er 1897 beim ersten Zionistenkongress in Basel. Im April 1918 gehörte Ebner zu den Initiatoren des Jüdischen Nationalrates, der sich im Oktober gegen den Anschluss der Bukowina an Rumänien wandte, solange dort die Mehrheit der Juden keine Staatsbürgerrechte hätte. Die „Ostjüdische Zeitung“ war bis 1922 das Organ der Bukowiner Jüdischen Nationalpartei. Sie wandte sich vor allem gegen die Repressionsmaßnahmen der rumänischen Verwaltung, die viele Juden auswies, die keine Heimatscheine in der Bukowina vorweisen konnten. Ebner kritisierte auch die Verdrängung vieler Juden aus dem Staatsdienst, die nur weiter beschäftigt wurden, wenn sie Rumänisch-Prüfungen bestanden. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten vom Jüdischen Arbeiterbund, die für Volksschulen mit jiddischem Unterricht eintraten, forderte die „Ostjüdische Zeitung“ den Aufbau hebräischer Schulen. Der Unterrichtsminister entschied jedoch 1924, dass jüdische Schüler rumänische Staatsschulen besuchen mussten. Die forcierte Rumänisierung des Schulwesens führte 1926 in Czernowitz zu einem folgenreichen Konflikt, über den die „Ostjüdische Zeitung“ ausführlich berichtete. Nachdem ein als Antisemit bekannter rumänischer Prüfer sehr viele jüdische Oberschüler bei der Abschlussprüfung durchfallen hatte lassen, wurde er von einigen zur Rede gestellt. Wegen der folgenden Handgreiflichkeiten wurden einige Schüler verhaftet. Beim Prozess erschoss ein Rechtsradikaler den jüdischen Schüler David Fallik

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Ostsee-Rundschau

(1908–1926). Der Mord und das Lob des Innenministers für den Mörder wurden in der „Ostjüdischen Zeitung“ verurteilt. Der Herausgeber Ebner war 1926 in das Parlament gewählt worden und trat dort gegen den wachsenden Einfluss von Antisemiten auf. Seine Reden erschienen in der Zeitung. Damals leitete er auch die israelitische Kultusgemeinde in Czernowitz, über deren Tätigkeit regelmäßig berichtet wurde. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise behaupteten Antisemiten, dass das Elend der Bauern durch die jüdischen Pächter ausgelöst worden sei. Die „Ostjüdische Zeitung“ kritisierte, dass die Regierung nicht entschieden gegen antijüdische Ausschreitungen vorging. Als die Regierung nach Massenprotesten von Bauern deren Schulden stundete, warnte die „Ostjüdische Zeitung“, dass nun ein großer Teil der jüdischen Mittelschicht durch den Verlust der Zahlungen in Not geraten würde. Die Zeitung warb seit 1930 für die nun in allen Landesteilen begründete Jüdische Nationalpartei, die einige Abgeordnete ins Parlament entsandte. Einer von ihnen war Ebner 1931/1932. Die „Ostjüdische Zeitung“ berichtete auch oft über den „Europäischen Minderheitenkongress“ in Genf, dessen Vizepräsident Ebner 1933 wurde. Ebner kritisierte Hitlers antisemitische Politik. Er sah in ihr auch einen Wendepunkt, weil sich die Juden nicht mehr um die Assimilation an die Deutschen bemühen und sich Erez Israel zuwenden würden. Für die Aufbauarbeit in Palästina warb die „Ostjüdische Zeitung“ um Spenden. Die Zeitung hatte eine Auflage von 4.800 Exemplaren (um 1934) und wurde außer in der Bukowina auch in Bessarabien und Ostgalizien vertrieben. Im Dezember 1937 übertrug der rumänische König die Regierungsverantwortung an die kleine antisemitische National-Christliche Partei von Alexandru C. Cuza (1857–1947) und Octavian Goga (1881–1938), die nur 9,15 Prozent der Wählerstimmer erlangt hatte. Eine ihrer ersten Maßnahmen war im Januar 1938 das Verbot der jüdischen Presse, darunter war auch die „Ostjüdische Zeitung“. Ihre folgenreichste Tat war ein Gesetz zur Überprüfung der Staatsbürgerschaft aller Juden. Dagegen initiierte Ebner eine Klage beim Völkerbund. Bis 1939 verlor ein Drittel der Juden Rumäniens die Bürgerrechte. 1940 war Ebner auf einer Reise nach Palästina, als die Bukowina von der sowjetischen Armee eingenommen wurde, er verstarb dort.

Mariana Hausleitner

Literatur Hildrun Glass, Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938), München 1996. Mariana Hausleitner, Die Folgen der Weltwirtschaftskrise aus der Sicht der „Ostjüdischen Zeitung“, in: Susanne Marten-Finnis, Markus Winkler (Hrsg.), Presse und Stadt: Zusammenhänge – Diskurse – Thesen, Bremen 2009, S. 203–217. Markus Winkler, Die „Ostjüdische Zeitung“ – Zur Geschichte einer deutschsprachigen zionistischen Zeitung aus Czernowitz, in: Susanne Marten-Finnis, Walter Schmitz (Hrsg.), Zwischen dem Osten und dem Westen Europas, Dresden 2005, S. 87–96.

Ostoroshno: Sionism → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen Ostsee-Rundschau → Der Norden

Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ (25. März 1928)

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Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ (25. März 1928) Am 22. März 1928 approbierte Papst Pius XI. (Pontifikat 1922–1939) ein Dekret „de consociatione vulgo ‚Amici Israel’ abolenda“, das unter dem Datum vom 25. März in den „Acta Apostolicae Sedis“, dem offiziellen Amtsblatt des Heiligen Stuhls, veröffentlicht wurde. Es enthält die erste lehramtliche Stellungnahme seitens des Vatikans zum Antisemitismus. Wörtlich heißt es: „Die katholische Kirche [...] hat sich daran gewöhnt, für das jüdische Volk, dem die göttliche Verheißung bis zum Kommen Christi anvertraut gewesen ist, stets zu beten.“ Und so wie der Apostolische Stuhl „allen Neid und alle Feindschaft unter den Völkern verwirft, so verdammt er um so mehr den Haß gegen das von Gott einst auserwählte Volk, jenen Haß nämlich, den man heute mit dem Namen ‚Antisemitismus’ zu bezeichnen pflegt“. (Wolf, 2008) Auch wenn das Dekret am überlieferten Antijudaismus, z. B. an der christlichen Substitutionslehre, nach der das Judentum von Gott verworfen und durch die Kirche ersetzt worden sei, festhielt, fand die Verurteilung des zeitgenössischen Antisemitismus durch Pius XI. doch vielfach Beachtung. Mit ausdrücklichem Verweis auf das päpstliche Dokument beklagten 1928 beispielsweise mehrere protestantische Theologen wie Karl Barth, Otto Baumgarten und Paul Tillich in ihrer gemeinsamen Werbung für das Buch „Evangelische Kirche und Judentum“ des Stuttgarter Stadtpfarrers Eduard Lamparter, dass es im Unterschied zur katholischen Kirche noch keine vergleichbare Verwerfung des Antisemitismus von offizieller evangelischer Seite gebe. Wiederholt beriefen sich auch Gegner der nationalsozialistischen Judenverfolgung wie die Verfasser der Denkschrift → „Die Kirche Christi und die Judenfrage“, die 1937 in der österreichischen Zeitschrift „Die Erfüllung“ erschien und von einigen namhaften katholischen Wissenschaftlern und Politikern unterstützt wurde, auf das Dekret von 1928 und unterstrichen dessen autoritativen Charakter. Allerdings war die päpstliche Verurteilung des Antisemitismus bereits wenige Wochen nach ihrer Veröffentlichung schon wieder relativiert worden: Im Auftrag des Heiligen Offiziums und mit Billigung des Papstes veröffentlichte der Jesuit Enrico Rosa (1870–1938) im Frühjahr 1928 einen offiziösen Kommentar zu dem Dekret, der unter dem Titel „Il pericolo giudaico e gli ‚Amici d’Israele’“ in der römischen Zeitschrift → „Civiltà Cattolica“ erschien. In ihm nahm der Jesuit eine folgenschwere Unterscheidung vor, indem er zwischen zwei Formen des Antisemitismus zu differenzieren versuchte: Der Papst habe lediglich einen „nach Form und Geist antichristlichen“ Antisemitismus, der rassisch begründet werde, verurteilt; gegen eine Zurückweisung „der jüdischen Gefahr“ sei dagegen, so Rosa, nichts einzuwenden, da die Juden „Pläne zur Eroberung der Weltherrschaft“ schmieden würden. Diese Unterscheidung zwischen einem verbotenen und einem angeblich erlaubten Antisemitismus war zwar nicht neu, wie ein Blick in zeitgenössische katholische Lexika deutlich macht; aber Rosas Kommentar zum päpstlichen Dekret von 1928 legitimierte sie nun auch von Rom aus. Als offizielle kirchliche Lehre wurde Rosas Interpretation in den folgenden Jahren insbesondere von dem einflussreichen katholischen Sozialethiker Gustav Gundlach SJ (1892–1963) verbreitet, der 1938 auch zu den Verfassern einer von Pius XI. in Auftrag gegebenen, aber nach dessen Tod nicht mehr veröffentlichten Enzyklika gegen Rassismus gehörte. Eine uneingeschränkte Verurteilung aller „Manifestationen des Antisemitismus“ erfolgte erst in der Konzilserklärung „Nostra aetate“ (1965).

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Päpstliches Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ (25. März 1928)

Die zeitgenössische Kritik an dem päpstlichen Dekret von 1928 konzentrierte sich freilich weniger auf die Aussagen zum modernen Antisemitismus und deren Interpretation, sondern vor allem auf die übrigen Passagen des Dokuments, in denen die Aufhebung der „Amici Israel“, einer 1926 gegründeten Priestervereinigung, die zur Versöhnung mit den Juden aufrief, aber zugleich für deren Bekehrung betete, bekannt gegeben wurde. Obwohl dieser philosemitischen Gruppierung auch einige Bischöfe und Kardinäle angehörten, wurde sie im Dekret mit scharfen Worten verurteilt, ohne die angeordneten Maßnahmen, d. h. die Auflösung der Vereinigung und das Verbot ihrer Schriften, weiter zu begründen; im Text heißt es nur lapidar, dass die „Amici Israel“ eine dem „sensus ecclesiae“ widersprechende Handlungs- und Denkweise angenommen hätten, die nicht gebilligt werden könne. In einigen Zeitungen wie dem niederländischen „Nieuw Israelitisch Weekblad“ und der „Jewish World“ wurde das vatikanische Dekret daraufhin heftig kritisiert. Einige Kommentatoren äußerten sogar die Vermutung, dass die Verurteilung des Antisemitismus nur aus taktischen Erwägungen erfolgt sei, um von dem harten Vorgehen gegen die „Amici Israel“ abzulenken. Tatsächlich war das Dekret, wie sich aus den inzwischen zugänglichen Akten des Vatikanischen Archivs rekonstruieren lässt, das Ergebnis monatelanger Diskussionen an der römischen Kurie, in denen antisemitische Klischees und Stereotypen eine zentrale Rolle gespielt hatten. Die Debatte war durch ein Schreiben des Präsidenten der „Amici Israel“, Abt Benedikt Garriador OSB (1859–1936), vom 2. Januar 1928 ausgelöst worden, in dem der Papst um eine Reform der traditionellen Karfreitagsfürbitte für die Juden gebeten wurde. Denn auch wenn das erstrangige Ziel der „Amici Israel“ die Judenmission war, so gehörte die Bekämpfung antijüdischer Vorurteile außerhalb wie innerhalb der Kirche doch zu ihren Aufgaben. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Europa bat Garriador daher in seinem Schreiben unter anderem darum, die negativ konnotierten Ausdrücke „perfidis“ und „judaicam perfidiam“ in der Fürbitte zu streichen. Pius XI. ließ den Brief zunächst an die zuständige Ritenkongregation weiterleiten. Doch während deren Votum positiv ausfiel und einer Änderung der Fürbitte im Sinne der „Amici Israel“ zustimmte, sah der päpstliche Hoftheologe, der Dominikaner Marco Sales (1877–1936), überhaupt keinen Grund dafür, das „perfidis“ zu streichen, da es doch gar keine bessere Bezeichnung für die Verblendung der Juden gebe. Die von antijüdischen Äußerungen durchzogene Stellungnahme des Dominikaners löste eine Kette weiterer Reaktionen an der römischen Kurie aus: Nun nahm sich das Heilige Officium der Frage an und entschied schließlich, dass nicht die Liturgie geändert werden dürfe, sondern stattdessen die „Amici Israel“ wegen ihrer traditionskritischen und judenfreundlichen Haltung zu verbieten seien. Wie aus den erhaltenen Quellen hervorgeht, war insbesondere Kardinal Rafael Merry del Val (1865–1930), der in der Priestervereinigung eine dem Modernismus und den Freimaurern nahestehende Bewegung sah, deren Gutgläubigkeit von den Juden ausgenutzt worden sei, für die Aufhebung der „Amici Israel“ verantwortlich. Da sich Pius XI. der Problematik dieser Entscheidung durchaus bewusst war, wurde die Entstehungsgeschichte des Dekrets verschleiert, im endgültigen Text die von Garriador angestoßene Diskussion um die Karfreitagsfürbitte nicht mehr erwähnt und stattdessen eine Stellungnahme zum Antisemitismus eingefügt. Trotz dieser ausdrücklichen Verurteilung des Rassenantisemitismus durch den Papst kann das Aufhebungsdekret der „Amici Israel“ daher selbst

Parole der Woche (1936–1943)

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als ein Zeugnis judenfeindlicher Haltungen innerhalb der römischen Kurie verstanden werden.

Elias H. Füllenbach

Literatur Thomas Brechenmacher, Der Vatikan und die Juden. Geschichte einer unheiligen Beziehung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2005. Laurence Deffayet, Amici Israel: Les raisons d’un échec. Des éléments nouveaux apportés par l’ouverture des archives du Saint-Office, in: Mélanges de l’École Francaise de Rome 117 (2005), S. 831–851. Elias H. Füllenbach, Das katholisch-jüdische Verhältnis im 20. Jahrhundert. Katholische Initiativen gegen den Antisemitismus und die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschland, in: Reinhold Boschki, Albert Gerhards (Hrsg.), Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft. Neue Perspektiven für den christlich-jüdischen Dialog, Paderborn u. a. 2010, S. 143–163. Menahem Macina, Causes de la dissolution d’Amici Israel (1926–1928), in: Annette Becker, Danielle Delmaire, Frédéric Gugelot (Hrsg.), Juifs et Chrétiens: entre ignorance, hostilité et rapprochement (1898–1998), Villeneuve d’Ascq 2002, S. 87–110. Theo Salemink, Katholische Identität und das Bild der jüdischen ‚Anderen’. Die Bewegung Amici Israel und ihre Aufhebung durch das Heilige Offizium im Jahre 1928, in: „theologie.geschichte“ Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte 1 (2006), S. 91–105. Hubert Wolf, „Pro perfidis Judaeis“. Die „Amici Israel“ und ihr Antrag auf eine Reform der Karfreitagsfürbitte für die Juden (1928). Oder: Bemerkungen zum Thema katholische Kirche und Antisemitismus, in: Historische Zeitschrift 279 (2004), S. 611–658. Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 2008.

Der Panzerbär → Der Angriff

Parole der Woche (1936–1943) Die zwischen April 1936 und Februar 1943 wöchentlich erschienene „Parteiamtliche Wandzeitung der NSDAP“, herausgegeben von der Hauptstelle „Aktive Propaganda“ der Reichspropagandaleitung der NSDAP, entstand als Propagandamittel für die Reichstagswahl am 29. März 1936. Als Adressaten definierten die NS-Propagandisten alle Kreise der Bevölkerung, weshalb die Wandzeitung zum öffentlichen Aushang in Dienststellen, Fabriken, Bahnhöfen, Postämtern, Hotels und Gaststätten bestimmt war. Entsprechend dem Anspruch, die „Parole der Woche“ solle „laufend Zeugnis ablegen von nationalsozialistischer Tat und Art“, also für die nationalsozialistische Ideologie werben, griff sie bis zum Kriegsausbruch politische Ereignisse (Spanischer Bürgerkrieg, Olympiade, Reichsparteitage) auf, verkündete und interpretierte nationalsozialistische Gedenk- und Feiertage (Muttertag, Sonnwendfeier, Erntedanktag, Hitlerputsch, Tag der „Machtergreifung“) und stellte Erfolge der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik (Überwindung der Arbeitslosigkeit, Vierjahresplan, Winterhilfswerk, „Anschluss“ Österreichs, Münchner Abkommen) heraus. Antisemitische Hetze findet sich in dieser Zeit, wenn über angebliche Verbrechen während des Spanischen Bürger-

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Parole der Woche (1936–1943)

krieges berichtet wird („Die bolschewistische Praxis in ihrer schauderhaften, bluttriefenden Grausamkeit ist nur in Händen von Juden vorstellbar“), und wenn zur Werbung für die Ausstellung „Entartete Kunst“ zeitgenössische Malerei als „jüdisch-entartet“ diffamiert wird. Ab dem Frühjahr 1939 reduzierte sich der Inhalt der Wandzeitung durch immer wiederkehrende Drohungen und Beschimpfungen („Wir werden jedenfalls bei der Schlußabrechnung nichts vergessen!“) auf bloße Hetzpropaganda gegen einzelne Personen oder Personengruppen, die zunehmend antisemitisch aufgeladen wurde. Im Stil des Enthüllungsjournalismus geschrieben und verstärkt die Form eines Plakats annehmend, vermengte die „Parole der Woche“ Berichte über politische Ereignisse, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus ausländischen Zeitungen, Graphiken und Photographien. Durchgängiges antisemitisches Motiv war, dass Politiker wie Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin immer im Auftrag „der Juden“ handelten, die – sich selbst vor dem Kampf drückend – die Menschheit in den Krieg getrieben hätten, um daraus für sich materiellen Gewinn zu ziehen und das deutsche Volk vernichten zu können. Dieses eigentliche Kriegsziel der „jüdischen Weltverschwörung“ würde sich aus der angeblich unter Mitwirkung Roosevelts verfassten Broschüre Theodore N. Kaufmans mit dem Titel → „Germany must perish“ ablesen lassen, in der die Aufteilung Deutschlands und die biologische Ausrottung durch Sterilisation der deutschen Bevölkerung gefordert wurde. Die Dolchstoß-Legende von 1918 reaktivierend, wonach die „jüdisch-bolschewistischen Machthaber in Moskau“ den Hitler-Stalin-Pakt gebrochen und sich insgeheim auf einen Angriff gegen Deutschland vorbereitet hätten, stellten die NS-Propagandisten den Krieg gegen die Sowjetunion als Verteidigungskampf gegen das durch die westlichen „Plutokraten“ auf das zivilisierte Europa gehetzte „vertierte bolschewistische Untermenschentum“ dar. Die Stilisierung des Krieges als „Schicksalskampf“ des deutschen Volkes war nicht neu: Unter der Überschrift „Im Namen der Zivilisation hat das verjudete und vernegerte Frankreich nun zum dritten Male seine schwarzen Bestien auf uns gehetzt“ aktualisierte die „Parole der Woche“ bereits während des Westfeldzuges ebenso rassistische Vorurteile aus der Zeit der Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen nach dem Ersten Weltkrieg wie das antisemitische Stereotyp vom westlichen Politiker als Handlanger jüdischer Interessen. Nur einmal, Anfang Juli 1942, nahm die „Parole der Woche“ direkt Bezug auf antisemitische Gesetze im Deutschen Reich. Unter dem Titel „Die Katze lässt das Mausen nicht!“ artikulierte sie das bekannte Stereotyp, „die Juden“ hetzten die Völker in den Krieg, „schachern, schieben und betrügen und füllen sich ihre schmutzigen Taschen auf Kosten ihrer Gastvölker“, um danach stolz berichten zu können, in Deutschland sei ihnen durch die Kennzeichnung das Handwerk gelegt worden. Abschließend findet sich der dick gedruckte Satz: „Jedermann weiß: Wer dieses Zeichen [Judenstern] trägt, ist ein Feind unseres Volkes“.

Mario Wenzel

Literatur Franz-Josef Heyen (Hrsg.), Parole der Woche. Eine Wandzeitung im Dritten Reich 1936– 1943, München 1983.

Le Patriote (Kanada, 1933–1938)

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Parteiprogramm der NPD → NPD-Publikationen

Le Patriote (Kanada, 1933–1938) Die Wochenzeitung „Le Patriote“ veröffentlichte unter der Leitung von Adrien Arcand und Joseph Ménard antisemitische Artikel von kanadischen und ausländischen Autoren. Sie fungierte gleichzeitig als ideologisches Leitorgan für Arcands faschistische Parti National Social Chrétien. Mit Hitlers Aufstieg wurde auch Arcand politisch aktiver und überließ seinem Verleger Ménard immer mehr die journalistischen und propagandistischen Aktivitäten. Nach der Einstellung von → „Le Goglu“ übernahm Ménard daher die Leitung der neuen Zeitung „Le Patriote“. „Le Patriote“ erschien ab 4. Mai 1933 jeweils donnerstags mit vier bis acht Seiten zum Jahrespreis von drei Dollar. Nach 1935 erschien der Montréaler „Le Patriote“ auch in einer Ottawa-Ausgabe. „Le Patriote“ war eng verknüpft mit der Parti National Social Chrétien (PNSC), die Arcand im Februar 1934 gründete und deren Parteiprogramm zeitgleich in der Zeitung veröffentlicht wurde. Wie die Partei propagierte auch „Le Patriote“ den Faschismus als Teil der christlichen Lehre. Das Emblem der Zeitung zeigte ein Hakenkreuz, das von einem christlichen Kreuz überragt wurde. Offizielles Parteiorgan der PNSC war jedoch das Mitteilungsblatt „Le Fascist Canadien“ (1935–1938), dessen Lektüre für Parteimitglieder verpflichtend war und dessen Erscheinen subventioniert wurde. Mit „Le Patriote“ verschärfte sich noch einmal der antisemitische Ton des Vorgängers „Le Goglu“. Hitlers Machterhalt versorgte die Zeitung mit antisemitischen Pamphleten aus zahlreichen ausländischen Quellen, etwa aus Julius Streichers → „Der Stürmer“. Abweichend von dem Pseudonym-System in „Le Goglu“ wurden Gastbeiträge nun auch von den Autoren gezeichnet. Die populären antisemitischen Karikaturen wurden nach wie vor von „A. Goglu“ gezeichnet. „Le Patriote“ veröffentlichte Lokalnachrichten, Berichte aus Kanada und dem Ausland, Leitartikel und Gastbeiträge. Die Texte waren in Stil und Sprache professioneller als die in „Le Goglu“. Der Fokus des „Le Patriote“ war auf die Juden Québecs gerichtet. Affären, Gerichtsverhandlungen, geschäftliche und politische Aktivitäten prominenter Juden wurden detailliert beobachtet und kommentiert. Die oft falsch dargestellten, teilweise frei erfundenen Attacken auf Juden beinhalteten häufig den kompletten Namen. Anti-jüdische Aktivitäten im Ausland, vor allem in Deutschland, wurden als Vorbild für Kanada dargestellt. Die Publikationen, die mit den Opfern Hitlers sympathisierten, wie etwa der „Citizen“ in Ottawa, wurden verunglimpft. Ménard druckte zu einem großen Teil Artikel aus faschistischen Zeitungen in aller Welt ab, beschäftigte aber auch Autoren, die exklusiv für „Le Patriote“ schrieben. Dazu gehörten der Architekt J. A. Gaudin, der jüdische Immobiliengeschäfte „entlarvte“, Urbain Gohier, der bereits 1924 die → „Protokolle der Weisen von Zion“ ins Französische übersetzt hatte, sowie der Polizist Jean Tissot. Im Mai 1935 hetzte Tissot in der Ottawa-Ausgabe von „Le Patriote“ zu einem Boykott jüdischer Läden auf und verunglimpfte insbesondere den Geschäftsmann A. J. Freiman, den er namentlich angriff. Freiman, Präsident der Zionist Federation of Canada, verklagte daraufhin Tissot wegen Verleumdung. Der Oberste Gerichtshof von Ontario erklärte Tissot am 8. Oktober 1935 für schuldig.

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Pentru legionari (Rumänien, 1936)

Aus Mangel an Anzeigen wandte sich Ménard im Juli 1934 in einem verzweifelten Aufruf an die Leser und bat um Spenden. Obwohl nur ein Bruchteil des benötigten Geldes einging, erschien „Le Patriote“ weiter. 1936 wurde Arcand Redakteur der konservativ-antikommunistischen Zeitung „L’Illustration Nouvelle“, Ménard erhielt eine Stelle am Ministerium für Kolonisierung. Am 3. September 1936 erschien daher die letzte Ausgabe von „Le Patriote“. Ménard nahm die Publikation am 21. Oktober 1937 wieder auf, stellte sie jedoch endgültig im Januar 1938 ein.

Hans Strömsdörfer

Literatur Lita-Rose Betcherman, The swastika and the maple leaf: fascist movements in Canada in the thirties, Toronto 1975. Jean-François Nadeau, The Canadian Führer: the life of Adrien Arcand, Toronto 2011. Martin Robin, Shades of right: nativist and fascist politics in Canada 1920–1940, Toronto 1992. David Rome, Clouds in the thirties: on antisemitism in Canada, 1929–1939, Montréal 1977–1978.

Le Pèlerin → La Croix und Le Pèlerin

Pentru legionari (Rumänien, 1936) Das 1936 in Sibiu (dt. Hermannstadt) veröffentlichte Buch von Corneliu Zelea Codreanu (1899–1938) „Pentru legionari“ [Für die Legionäre] hat in der rumänischen Faschistenbewegung den gleichen Stellenwert wie Adolf Hitlers → „Mein Kampf“ für die deutschen Nationalsozialisten. „Für die Legionäre“ ist eine Mischung aus pathetischen autobiografischen Aufzeichnungen, nationalistischen Versatzstücken, ideologischen Überlegungen und einem radikal potenzierten, eklektischem Antisemitismus. Andererseits ähnelt das in polemischem Ton verfasste Werk einem rassistisch-fremdenfeindlichen Pamphlet und einer antikommunistischen Streitschrift. Das in einem orthodox-klerikal verbrämten Stil verfasste Buch sollte das militant-nationalistische Sendungsbewusstsein des Gründers der „Legion des Erzengels Michael“ belegen und ihn seinen Anhängern als nachahmenswertes, charismatisches Vorbild nahebringen. Im ersten Teil des Buches beschreibt Codreanu seine autochthonen nationalen, ideologischen Inspirationsmodelle aus der rumänischen Literatur, Politik, Geistesgeschichte und Philosophie, die ihn und die von ihm 1927 gegründete rechtsextremistische Legionärsbewegung (auch als Eiserne Garde bekannt) geprägt haben. In diese Ahnengalerie reiht er den rumänischen Spätromantiker und proto-völkischen Nationaldichter Mihail Eminescu ein, den nationalistischen Historiker und Politiker Nicolae Iorga, den Gründer der antisemitischen Liga zur Christlich-Nationalen Verteidigung (LANC) A. C. Cuza und den ersten rumänischen Theoretiker eines biologisch argumentierenden Rassismus, Nicolae Paulescu. Im zweiten Teil erläutert Codreanu seine politischen und ideologischen Absichten sowie seine Vorstellungen für die Errichtung eines autoritär regierten Einparteienstaates. Eng verknüpft mit dieser erklärten Zielsetzung ist die Schaffung einer von Juden

Pharetra fidei (13.-14. Jahrhundert)

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gesäuberten rumänischen Volksgemeinschaft, bestehend aus „Neuen Menschen“. Der „Neue Mensch“ wiederum ist in der Vorstellung Codreanus, der in seiner Schrift die Grenzen zwischen Religion und Politik verwischt, eine Art gläubiger homo orthodoxus. Allein der „Neue Mensch“ besitzt die Kraft, die in der von Codreanu romantisch verklärten historischen Vorzeit angesiedelte ethnische Einheit und Harmonie des Rumänentums wieder herzustellen; er ist gleichzeitig bereit, für dieses Ideal sein Leben zu opfern. In der Auffassung Codreanus besteht die Volksgemeinschaft nämlich nicht nur aus der Summe aller lebenden Individuen, die den nationalen Volkskörper ausmachen, sondern auch aus den Toten, die am jüngsten Tage auferstehen werden: „Das Endziel ist nicht das Leben. Sondern die Auferstehung. Die Auferstehung der Völker im Namen des Erlösers, Jesus Christus.“ Um diese mystisch überzeichneten Vorstellungen durchzusetzen, plädiert der Legionärsgründer für ein hartes Durchgreifen, um die „Judenfrage“ in allen Bereichen der rumänischen Gesellschaft zu lösen. Seiner Meinung nach tragen die Juden (er bezeichnet sie in seinem Buch fast ausschließlich mit dem pejorativen und beleidigenden Wort „jidan“) und die „verjudete Politikerkaste“ die Hauptschuld an der prekären sozialen Situation Rumäniens, an der weitverbreiteten Korruption und an der wirtschaftlichen Rückständigkeit. In seiner Auffassung sind die Juden nicht nur kapitalistische „Blutsauger“, sondern auch die Verfechter des zersetzenden Bolschewismus, mit dessen Hilfe die rumänische Nation unterwandert und geschwächt werden sollte. Eine Gesundung könne nur dann erfolgen, wenn der Volkskörper von den „jüdischen Parasiten“ und deren korrupten Komplizen gereinigt werde. Mit dieser, auf den ideologischen Direktiven Codreanus beruhenden primitiven Gewissheit überzogen die Legionäre Rumänien mit Terror, mit antijüdischen Pogromen und unvorstellbaren Gewaltexzessen.

William Totok

Literatur William Totok, Rechtsextremismus und Revisionismus in Rumänien (I-VII), in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 13–16 (2001–2004). Francisco Veiga, Istoria Gărzii de Fier 1919–1941. Mistica ultranaţionalismului [Die Geschichte der Eisernen Garde 1919–1941. Die Mystik des Ultranationalismus], Bucureşti 1993. Leon Volovici, Ideologia naţionalistă şi ‚problema evreiască’ în România anilor '30, [Die nationalistische Ideologie und die „Judenfrage“ im Rumänien der 30er Jahre], Bucureşti 1995.

Le péril social → L’Anti-Sémitique

Pharetra fidei (13.-14. Jahrhundert) Einige mittelalterliche Schriften tragen den Titel „Pharetra fidei“ [Köcher des Glaubens], drei von ihnen stehen im Zusammenhang der spätmittelalterlichen antijüdischen Polemik; zur Unterscheidung werden sie „Pharetra 1“, „Pharetra 2“ und „Pharetra 3“ genannt.

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Pharetra fidei (13.-14. Jahrhundert)

Die „Pharetra 1“, um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden, ist ein kurzer Traktat, in dem die Prinzipien des christlichen Glaubens anhand von überwiegend alttestamentarischen Bibelstellen verteidigt werden. Der Autor gibt genaue Anweisungen, wie jüdischen Gegenargumenten zu begegnen sei. Die „Pharetra 1“ ist in weit über 100 Handschriften überliefert, in den meisten von ihnen wird sie von einem (in der Regel nachgestellten) kurzen Traktat mit dem Titel → „Errores Judaeorum in Thalmut“ oder „Obiectiones in Thalmut Judaeorum“ begleitet. Beide Traktate haben eigenständige Prologe, in vielen Handschriften ist außerdem eine gemeinsame Einleitung beiden Schriften vorangestellt. Da bisher die Überlieferung nicht untersucht wurde, ist noch nicht bekannt, ob „Pharetra 1“ und „Errores“ ursprünglich als zwei Teile eines einzigen Werkes geplant waren, oder ob sie zuerst separat zirkulierten und später zusammengefügt wurden. In vielen Handschriftenkatalogen werden beide Schriften als ein einziges Werk mit dem Titel „Pharetra fidei“ behandelt. Im Gegensatz zu den „Errores“ trägt die „Pharetra 1“ in der handschriftlichen Überlieferung keinen Autornamen. Der Traktat „Pharetra 2“ (Dialogus pro ecclesia contra Synagogam) trägt in den Handschriften den Titel „Pharetra fidei“ mit unterschiedlichen Varianten, wurde aber Ende des 15. Jahrhunderts von Paul Hurus in Zaragoza mit dem Titel „Dialogus pro ecclesia contra synagogam“ gedruckt. Der Text war für den Druck von Gonzalo de Santa María vorbereitet worden, einem weitläufigen Verwandten des Bischofs von Burgos und Verfassers des „Scrutinium Scripturarum“ Pablo de Santa María. Der Text beginnt mit einer kurzen Erzählung. Eine hübsche junge Frau geht von Jericho nach Jerusalem, um im Tempel zu opfern, und trifft auf dem Weg eine alte blinde Frau. Ihr Name ist Synagoga und sie erblindete, als sie im Tempel opferte. Die Jüngere will die Ältere führen. Beide kommen zu einem Ort, der allegorisch interpretiert wird. Aus einem Felsen entspringt ein Brunnen, der sich in zwei Bäche teilt. Der Fels, erklärt der Autor, ist Jesus, der Brunnen seine Lehre, und die zwei Bäche sind die zwei Sinnebenen der Schrift, litteral und allegorisch. Die junge Frau stellt sich zwischen beide Bäche und erklärt Synagoga den Grund für ihre Erblindung: Synagoga sei nämlich vom Weg der Wahrheit abgekommen und habe den wahren Glauben abgelehnt. Synagoga will wissen, wer die Person ist, die so mit ihr zu reden wagt. Ecclesia sei ihr Name, sagt ihre Weggefährtin, und sie werde ihr die Irrtümer des Talmuds aufzeigen. Der darauf folgende Dialog ist literarisch wenig gelungen: Synagoga redet kaum, während die junge Ecclesia Passagen aus dem Talmud zitiert und sie im Stile eines Scholastikers widerlegt. Der Text erweist sich als eine kaum geänderte Dialogisierung der „Pharetra 1“ und der „Errores Judaeorum in Thalmut“. Dabei hat der Verfasser nicht alle Möglichkeiten zur Dialogisierung ausgeschöpft. Es gibt nur wenige Ergänzungen, und der Text der Traktate wurde auch kaum verändert. Es ist allerdings nicht möglich, den Umfang der Auslassungen genau zu bestimmen, da der Bestand beider Texte in der Überlieferung stark variiert. Im Kolophon einer Handschrift wird als Verfasser Nicolaus de Argentina genannt. Damit ist wohl Nikolaus von Straßburg OP, Lektor in Köln, und ab 1325 Vikar der Provinz Teutonia, gemeint. Von Nikolaus sind mehrere Werke erhalten, darunter ein Traktat „De adventu Christi et Antichristi et de fine mundi“, der sein Interesse für die antijüdische Polemik dokumentiert und in dem er ähnlich wie in der „Pharetra 2“ zwei

Pharetra fidei (13.-14. Jahrhundert)

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ältere Traktate kaum verändert übernimmt und mit seinem Namen versieht. Von der „Pharetra 2“ sind bisher sechzehn Handschriften und die seltene Inkunabel von Paul Hurus bekannt. Die „Pharetra 3“ (Liber contra Judaeos) ist in zwei Fassungen überliefert. Von einer nur handschriftlich überlieferten Fassung sind sechs Textzeugen bekannt, die älteste Handschrift ist um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden. Im Vorwort dieser Fassung wird der Text „Liber contra Judaeos“ genannt. Der Name des Verfassers ist unbekannt; da im Text das deutsche Wort endechrist (Antichrist) ausgelegt wird, dürfte er Deutscher gewesen sein. Der Text ist ein Dialog zwischen einem Christen und einem Juden, die über verschiedene altbekannte Themen der antijüdischen Polemik diskutieren, einerseits die Befolgung des Gesetzes durch Juden und Christen (Beschneidung oder Taufe, Feier des Sabbats, Nahrungsgesetze), andererseits christliche Dogmen (Dreifaltigkeit, Inkarnation und jungfräuliche Geburt, Jesus als Messias). Die Personen werden nicht weiter charakterisiert, eine narrative Umrahmung fehlt, sodass das Gespräch unvermittelt anfängt. Die Rede wechselt oft, allerdings bringt der Jude nur kurze Einwände oder Fragen ein, und der Christ antwortet ausführlicher. Im Text ist eine Prophezeiung enthalten, die sonst unbekannt ist. In einem seiner Redebeiträge sagt der Jude: „Wir haben im Hebräischen das Wort alcvm, in dem alle römische Kaiser enthalten sind: unter Aleph wird Kaiser Albrecht I. verstanden, unter Lamed Ludwig, unter Waw Friedrich, unter Qoph Konrad, unter Mem der Messias. Der letzte von ihnen war Friedrich, nach ihm wurde der Messias jedoch nicht erblickt.“ Die Interpretation dieser konfusen Stelle ist schwierig. Wenn mit „cesares“ nicht nur Kaiser, sondern auch deutsche Könige gemeint sind, kommen wohl Albrecht I. (1298–1308), Ludwig der Bayer (1314–1347) und Konrad IV. (1250–1254) infrage. Die Identifizierung des genannten Friedrich ist besonders problematisch. Friedrich II., der „Endzeitkaiser“ schlechthin, bietet sich an, allerdings stört die Bemerkung, Friedrich sei der Letzte gewesen. Als jüngere Träger des Namens kommen zwei Staufer mit dem Namen Friedrich infrage, die wegen Name und Abstammung als „dritter Friedrich“ angesehen werden konnten: Friedrich der Freidige (1257–1323), Markgraf von Meißen und Landgraf von Thüringen, und Friedrich II. (III.) von Aragón, König von Sizilien (ca. 1272–1337). Allerdings war keiner der beiden römischer Kaiser oder deutscher König. Möglich wäre noch der Gegenkönig Friedrich der Schöne (1314– 1330), obwohl er in eschatologischen Berechnungen keine Rolle spielt. Da die (datierte) älteste Handschrift Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist, kommen spätere Träger des Namens nicht mehr infrage. Aber auch bei den drei Friedrich aus dem 14. Jahrhundert stehen wir vor dem Problem, dass sie alle vor Ludwig dem Bayern gestorben sind, dass also keiner von ihnen als „Letzter“ bezeichnet werden konnte. So scheint eine überzeugende Identifizierung kaum möglich. Die zweite Fassung ist in elf Drucken überliefert, die zwischen ca. 1490 und 1518 im Deutschen Reich entstanden. Der Prolog der handschriftlichen Fassung wurde in ihnen durch den gemeinsamen Prolog der „Pharetra 1“ und der „Errores“ ersetzt, in dem Anweisungen für die Disputation mit Juden gegeben werden. Auch im Text selbst gibt es Änderungen. Die Sprache wird grammatikalisch und stilistisch geglättet,

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Der Philister vor, in und nach der Geschichte (Clemens Brentano, 1811)

einige Wiederholungen gestrichen. Der Ton der Diskussion wird aber eindeutig verschärft, denn fast jeder Beitrag wird mit einer Beleidigung eingeleitet, und einige Behauptungen, die in den Handschriften allgemein aufgestellt werden, werden im Druck personalisiert und auf den mitdiskutierenden Juden bezogen. Inhaltlich wird die weitschweifige Diskussion über die Dreieinigkeit der handschriftlichen Fassung gekürzt, die zitierte Prophezeiung, die sich ja auf ältere deutsche Könige und Kaiser bezog, wird weggelassen. Am Ende werden einige Textstellen hinzugefügt, die aus den „Errores Judaeorum in Thalmut“ übernommen wurden und den polemischen Ton der Schrift zusätzlich verschärfen. Es handelt sich nämlich um Textstellen, in denen geschildert wird, dass die Juden die Christen belügen und betrügen dürfen und jeden Tag um den Untergang der christlichen Reiche beten. Auch der Autor der zweiten Fassung ist unbekannt. Beide Fassungen sind bisher unediert.

Carmen Cardelle de Hartmann

Literatur Carmen Cardelle de Hartmann, Drei Schriften mit dem Titel Pharetra fidei, Aschkenas 11 (2001), 2, S. 327–349. Carmen Cardelle de Hartmann, El Dialogus pro ecclesia contra synagogam impreso por Pablo Hurus: autoría, fecha y transmisión manuscrita, in: Sefarad 62 (2002), S. 3–19. Carmen Cardelle de Hartmann, Lateinische Dialoge 1200–1400. Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007, S. 388–392. Gilbert Dahan (Hrsg.), Le brûlement du Talmud à Paris 1242–1244, Paris 1999. Heinrich Denifle, Der Plagiator Nikolaus von Strassburg, in: Archiv für Literatur und Kirchengeschichte des Mittelalters 4 (1888), S. 312–329. Moisés Orfali, El Dialogus pro ecclesia contra synagogam: un tratado anónimo de polémica antijudía, in: Hispania 18 (1994), S. 679–732. Alexander Patschovsky, Der „Talmudjude“. Vom mittelalterlichen Ursprung eines neuzeitlichen Themas, in: Alfred Haverkamp, Franz-Josef Ziwes (Hrsg.), Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 13–27.

Der Philister vor, in und nach der Geschichte (Clemens Brentano, 1811) Clemens Brentanos „scherzhafte Abhandlung“ geht auf einen Vortrag zurück, den der Autor 1811 vor der Deutschen Tischgesellschaft in Berlin gehalten hat, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte. In erweiterter Fassung wurde er kurze Zeit später veröffentlicht. Der Text ist das wichtigste Zeugnis der spezifisch romantischen Semantik des Philisters, zugleich aber Einsatzpunkt eines aus der deutschen Romantik hervorgehenden rassistisch argumentierenden Antisemitismus. Die kulturpolitische Schlagrichtung der Abhandlung muss vor dem Hintergrund der Tischgesellschaft erklärt werden. Die intern demokratisch organisierte Gesellschaft gründete sich 1811 auf der Grundlage von vier Ausschlussregeln: Nicht zugelassen wurden Frauen, Ausländer (d. h. zur Zeit der französischen Besatzung in erster Linie Franzosen), Philister und Juden. Die Gesellschaft traf sich zu Festmahlen, in deren Rahmen Tischreden vorgetragen wurden, darunter auch Brentanos „Philisterrede“. Die exklusive Gruppe, die sich aus der bürgerlichen wie adeligen Elite Berlins rekru-

Der Philister vor, in und nach der Geschichte (Clemens Brentano, 1811)

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tierte, meldete demonstrativ Führungsansprüche auf dem Gebiet der deutschen Kultur an. Die in der Gesellschaft betriebene Satire auf Philister wie Juden galt der Gruppe als Ausweis der eigenen Fortschrittlichkeit. Brentanos Abhandlung gliedert sich in eine lockere Reihe von Abschnitten, die um die im Titel genannte Abfolge organisiert ist. Als ‚Philister vor der Geschichte’ beschreibt Brentano in einer pseudo-mystischen Satire ein kosmisches Prinzip der Negation, als ‚Philister in der Geschichte’ gilt das im Alten Testament erwähnte Volk. Der ‚Philister nach der Geschichte’, also der Philister in Brentanos Gegenwart, ist der zentrale Gegenstand der Ausführungen. In der Rezeption des Textes wurde lange Zeit versucht, die antisemitischen Passagen des Textes von der Philistersatire getrennt zu behandeln. Wurden Erstere aus dem sozialhistorischen Hintergrund heraus erklärt (als Gegenbewegung zur Emanzipation der Juden in Preußen), glaubte man, an Letztere teils ungebrochen anschließen und ‚Philister’ als Terminus aktueller philologischer wie kulturpolitischer Argumente verwenden zu können. Erst in jüngerer Zeit wird der Zusammenhang zwischen Philister- und Judensatire genauer in den Blick genommen. Die Ablehnung, die beide Gruppen trifft, leitet sich auf den ersten Blick aus unterschiedlichen Gründen her. In den Philistern wird eine Geisteshaltung abgelehnt. Die Juden werden aus ethnischen Gründen ausgeschlossen – auch Konvertierte dürfen der Tischgesellschaft nicht beitreten. Als Philister gilt Brentano jemand, der die Abhängigkeit des eigenen Denkvermögens vom Eigenwillen der Imagination und überhaupt die Grenzen transzendentaler Selbsterkenntnis nicht bemerkt und sich in dieser Beschränktheit wohl fühlt: Ein Philister kann nicht wissen, dass er ein Philister ist. Daher ist niemand vor dem Philistertum gefeit. Die scherzhafte Geselligkeit der Tischgesellschaft dient dann dazu, das Philiströse in sich selbst durch das Verlachen (auch) seiner selbst auszutreiben. Aus der Fähigkeit hierzu leitet die Gruppe ihren kulturpolitischen Führungsanspruch ab. Der Ausschluss der Juden folgt zunächst einer anderen Strategie. Ihnen unterstellt der Text das Begehren, das eigene Herkommen gänzlich abzuschütteln. Daraus wird gefolgert, dass sie die freie Geisteshaltung nicht einnehmen können, die die selbstironische antiphiliströse Kulturpolitik der Tischgesellschaft voraussetzt. Dieses Argument schließt an die transzendentalphilosophische Grundlegung der Philistersatire an, überführt sie aber in eine Logik des Seins. Den Juden wird vorgehalten, aufgrund ihres So-Seins zur Teilhabe nicht fähig zu sein. Damit kippt die vorgeblich scherzhafte Abhandlung ins Rassistische. Dieses Kippen ist aber in der Philistersatire bereits angelegt. Denn auch hier wird die Fähigkeit der antiphiliströsen Lachgemeinschaft zur transzendentalen Selbsterkenntnis als Seinsmerkmal ausgewiesen, das Exklusivität legitimiert.

Till Dembeck

Literatur Clemens Brentano, Der Philister vor, in und nach der Geschichte, in: Ludwig Achim von Arnim, Texte der deutschen Tischgesellschaft, hrsg. von Stefan Nienhaus, Tübingen 2008, S. 38–90. Till Dembeck, Transzendentale Exklusionen. Philister, Juden, Zigeuner und Deutsche bei Achim von Arnim, Clemens Brentano und Johann Gottlieb Fichte, in: Remigius Bunia

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Philosophische Betrachtungen über Theologie und Religion

u. a. (Hrsg.), Philister. Problemgeschichte einer Sozialfigur der neueren deutschen Literatur, Berlin 2011, S. 253–283. Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003. Günter Oesterle, Juden, Philister und romantische Intellektuelle. Überlegungen zum Antisemitismus in der Romantik, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 2 (1992), S. 55–89.

Philisterrede → Der Philister vor, in und nach der Geschichte

Philosophische Betrachtungen über Theologie und Religion (Johann Heinrich Schulz, 1784) Der protestantische Theologe und Pfarrer Johann Heinrich Schulz (1739–1823) veröffentlichte 1784 die „Philosophischen Betrachtungen über Theologie und Religion überhaupt und über die jüdische insonderheit“, die ein Beispiel für den frühmodernrationalistischen Antisemitismus sind. Schulz leitete die konstante Schädlichkeit der Juden aus der biblischen Geschichte ab. Er formulierte bereits eine Idee, die von Hundt-Radowsky 1822/23 in → „Die Judenschule“ noch weiter radikalisierte, um die Hermetik der antisemitischen Wahnvorstellungen zu garantieren: Alle als negativ bewerteten Erscheinungen in Geschichte und Gegenwart lassen sich auf die Juden und ihre schändlichen Prinzipien zurückführen. Schulz behauptete nicht, dass die Juden in persona überall seien, aber er machte ihre angeblichen religiös-moralischen Grundsätze für jeden Fanatismus und für jede inhumane Tat verantwortlich, die Menschen seit Jahrtausenden begangen haben mögen. Die Einführung der jüdischen Religion bezeichnete Schulz als den größten Fluch des ganzen Menschengeschlechts. Grausamkeit und religiöser Fanatismus jeder Art seien erst mit den Juden in die Welt gekommen. So habe kein Volk etwas von Menschenopfern gewusst, bis diese Praxis sich durch die Juden auch auf andere Kulturen verbreitet habe. Vor allem im Christentum trage der Einfluss des „Jehova“-Glaubens die Verantwortung für den bis heute verbreiteten Religions- und Menschenhass. Intoleranz und Verbrechen von Nichtjuden betrachtete Schulz als Resultat der jüdischen Religion. Das Judentum galt ihm als Krankheit, die alle anderen Völker und Religionen infiziert habe. Je nachdem, wieviel sie „von der jüdischen Religion annahmen; nach demselben Maaße ging auch der wüthende Fanatismus mehr, oder weniger, zu ihnen über. [...] Wo, bey irgend einer Religion auf dem Erdboden, ein wüthender Fanatismus je gefunden worden ist? oder noch gefunden wird? da kann man mit Gewißheit voraussezen, daß derselbe von dem Sauerteige der jüdischen Religion herrühre.“ Alle Völker müssten deshalb der Maxime folgen, „die unter ihnen lebenden Juden nicht empor kommen zu lassen; sondern ihre bürgerliche Freyheit eingeschränkt, und die Flügel [...] ihnen immer beschnitten zu halten“. Trotz dieser Intransigenz will der Verfasser den Juden die Bürgerrechte immerhin dann zugestehen, wenn diese ihrer Religion zugunsten einer „natürlichen Moral“ abgeschworen hätten: „Sagt euch von euerer Religion los! so ist der Staat befriediget.“

Peter Fasel

Physiognomische Fragmente (Johann Kaspar Lavater, 1775–1778)

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Literatur Peter Fasel, Revolte und Judenmord. Hartwig von Hundt-Radowsky (1780–1835). Biografie eines Demagogen, Berlin 2010.

Physiognomische Fragmente (Johann Kaspar Lavater, 1775–1778) Johann Kaspar Lavater (1741–1801) war evangelischer Theologe, Philosoph und Schriftsteller und ab 1769 als Diakon und Pfarrer in verschiedenen Zürcher Kirchengemeinden tätig, war aber auch weit darüber hinaus als Prediger geschätzt. Lavaters politische und theologische Position ist nicht eindeutig zu bestimmen. Er sympathisierte mit den revolutionären Tendenzen in Frankreich, und seine Theologie besaß aufklärerische Züge, doch neigte er zugleich dem Pietismus zu und betonte die religiöse Erfahrung. Lavater genoss als Gelehrter aufgrund seiner weit ausgreifenden Schriften in ganz Europa großes Ansehen, so war er etwa mit Herder und Goethe befreundet und hatte auf seinen Reisen auch Kontakte mit Christian Fürchtegott Gellert, Friedrich Gottlieb Klopstock, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai geknüpft. 1769/70 provozierte Lavater einen Streit, als er Moses Mendelssohn die von ihm übersetzte und mit Bemerkungen versehene Apologie des Christentums von Charles de Bonnet (1723–1793) „Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christentum“ zusandte und ihn in der gedruckten Widmung aufforderte, Bonnets Beweisführung entweder öffentlich zu widerlegen oder zum Christentum zu konvertieren. Lavaters Vorstoß ist als Ausdruck eines religiösen Fanatismus und des vorherrschenden theologischen Überlegenheitsgefühls gegenüber dem Judentum, aber nicht als judenfeindlich motiviert zu werten. Das Konversionsansinnen an den von ihm hochgeschätzten Mendelssohn sollte diesen keineswegs beleidigen. Bedeutung für die Geschichte des Antisemitismus hat jedoch das Hauptwerk Lavaters gewonnen. In dem vierbändigen, zwischen 1775 und 1778 entstandenen und bald ins Französische und Englische übersetzten Werk „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“, in dem er nachzuweisen suchte, dass man aus den Merkmalen des Kopfes und Gesichts auf die Charaktereigenschaften eines Menschen schließen könne, schrieb Lavater den Juden ein bestimmtes, überall erkennbares Aussehen und Verhalten zu, wobei er gängige diskriminierende Stereotypen übernahm. Er behandelt die Juden im fünften Abschnitt des vierten Bandes über „National- und Familienphysiognomien“. Nationale und rassische Stereotypen finden sich im gesamten Werk immer wieder, wobei Lavater nicht rein deskriptiv vorgeht, sondern, obwohl er als Theologe alle Menschen als Kinder Gottes ansieht, aus einer eurozentrischen Sicht gewisse Nationen über andere stellt, d. h. mit Wertungen verbindet. Dabei stützt er sich auf philosophische und naturwissenschaftliche Autoritäten sowie Schriftsteller seiner Zeit wie Immanuel Kant, Johann Joachim Winckelmann, Georges Buffon und Jakob Lenz. Er gesteht durchaus zu, dass Differenzen zwischen den Völkern zwar leicht zu erkennen, aber häufig schwer wissenschaftlich zu erklären seien. Insgesamt weist er, den wissenschaftlichen Standards seiner Zeit entsprechend, dem Klima und der geographischen Beschaffenheit eines Landes den größten Einfluss auf die Ausprägung der Physiognomie zu. So folgte Lavater dem Diktum von Jakob Lenz, dass man „den Juden das Zeichen ihres Vaterlandes, des

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Physiognomische Fragmente (Johann Kaspar Lavater, 1775–1778)

Orients“ ansehe und schrieb ihnen, auch hier Lenz folgend, aufgeworfene Lippen, ein spitzes Kinn und Habichtsnasen zu. Für ihn war insbesondere die Nase als „Wiederlage des Gehirns“ für den ausgewogenen Charakter eines Gesichts zentral, und hier entsprachen die Juden, wie andere Gruppen auch, aufgrund der ihnen zugeschriebenen Hakennase nicht dem von Lavater ausführlich beschriebenen Ideal einer „vollkommen schönen Nase“: In seinen posthum veröffentlichten „100 Physiognomischen Geheimregeln Lavaters (1802) findet sich folgende Charakterisierung: „Starke abwärts sinkende Nasen sind niemals gut, wahrhaft froh oder edel oder groß. Immer sinnen sie erdwärts, sind verschlossen, kalt, unherzlich, unmittheilsam oft boshaftwitzig, übellaunig oder tief hypochondrisch oder melancholisch, obenher gebogen furchtbar wollüstig.“ So wird die Abbildung eines Mannes mit einer entsprechenden Nase kommentiert mit „ein hartsinniger Rabbi“. Es überrascht deshalb nicht, dass jüdische Physiognomien fast ausnahmslos im Profil abgebildet wurden. Lavaters Physiognomik behielt die hergebrachten Wertkategorien bei und verband, wie er im Abschnitt „Von der Harmonie der moralischen und körperlichen Schönheit“ darlegte, entsprechend die Hässlichkeit von Gesichtern mit einer negativen moralischen Bewertung einer Person, wobei diese Zuschreibung nicht auf Individuen begrenzt blieb, sondern für ganze Menschengruppen galt. Auch im Fall der Juden erfolgt bei ihm eine generalisierende Zuordnung von lasterhaften, verwerflichen Zügen zu der gesamten ethnischen Gruppe, sodass diese zu kollektiven, typisierenden Eigenschaften werden. Lavater hing der dogmatisch-intoleranten Vorstellung an, dass sich in der Physiognomie eines jeden Christen etwas von Christus widerspiegelte, der ihm als Idealbild des vollkommenen Menschen galt, womit sich in den Physiognomien von Juden und alle anderen Nicht-Christen dieser Glanz des Göttlichen nicht zeige. Zusammen genommen liefern also Lavaters Physiognomische Studien mit ihren Vermessungen von Gesicht und Körper sowie mit ihrem systematischen Anspruch Voraussetzungen für spätere Rassentypologien. Auch wenn im Allgemeinen die Kommentare Lavaters zu Abbildungen von Juden negativ ausfallen, so ist nach Judith Wechsler der Ton in seinen Beschreibungen weniger generalisierend und ordinär als in zeitgenössischen antisemitischen Schriften. Sie weist zudem auf das methodische Problem hin, dass Lavater als Vorlagen Gemälde und Zeichnungen verwendet hat, sodass die stereotype Darstellung auf den jeweiligen Künstler zurückgeht und Lavaters negative Charakteristiken der abgebildeten Physiognomien sich auf das dargestellte Gesicht beziehen und nicht unbedingt als generalisierende Urteile über die Gruppe gelesen werden können. Zudem widmet er der Physiognomie der Juden keineswegs besondere Aufmerksamkeit, er behandelt sie in einem Fragment über „Vermischte Nationalgesichter“ zusammen mit einem Türken. Von den Zeitgenossen erfuhren die „Physiognomischen Fragmente“ große Beachtung, insbesondere Lavaters Verwendung von Schattenrissen trug zur Popularisierung dieses Mediums bei. Überwiegend wurden die physiognomischen Schriften aber kritisch aufgenommen, da man sie für oberflächlich und vorurteilshaft hielt. Moses Mendelssohn äußerte methodische Bedenken und Georg Christoph Lichtenberg kritisierte in seiner Schrift „Über Physiognomik wider die Physiognomen“ (1777) ironisch Lavaters Auffassung, man könne den Charakter eines Menschen aus seiner Physiognomie und seinem Knochenbau ableiten. Er hielt Lavaters Theorien für unbegründet und

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publizierte 1783 ein satirisches „Fragment von Schwänzen. Ein Beitrag zu den Physiognomischen Fragmenten“, in dem er dessen Vorgehensweise karikierte.

Werner Bergmann

Literatur Alexander Altmann, Moses Mendelssohn. A Biographical Study, London 1973. Peter Dittmar, Die Darstellung des Juden in der populären Kunst zur Zeit der Emanzipation, München, London 1992. Karl Heinz Rengstorf, Siegfried von Kortzfleisch (Hrsg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden, Band 2, München 1988. Judith Wechsler, Lavater, Stereotype and Prejudice, in: Ellis Shookman (Hrsg.), The Faces of Physiognomy. Interdisciplinary Approaches to Johann Caspar Lavater, Columbia 1993, S. 104–125.

Le Pilori (Schweiz, 1923–1940) Das Hetzblatt „Le Pilori“ [deutsch etwa „der Schandpfahl“] erschien am 25. Mai 1923 in seiner ersten Ausgabe. Als Herausgeber fungierte der aus einer Genfer Aristokratenfamilie entstammende Georges Oltramare. Oltramare hatte nach dem Erlangen des Reifezeugnisses im Sommer 1915 sich nicht an einer Universität eingeschrieben, sondern ging als Hauslehrer des Fürsten Ghika nach Bukarest. Einige Monate nach seiner Ankunft wurde die rumänische Hauptstadt von deutschen Truppen belagert. Oltramare nutzte diese Gelegenheit und begann, dem „Journal de Genève“ Kriegsberichte zuzusenden. 1917 kehrte er in die Schweiz zurück und immatrikulierte sich an der Juristischen Fakultät. Das Studium der Rechtswissenschaften schloss er jedoch nicht ab. Oltramare gab sich vielmehr der Schriftstellerei und dem Theater hin und verkehrte in Genfer Künstlerkreisen. 1923 erschien ein zweiter Sammelband seiner Kolumnen unter dem Titel „Mystère de Genève“, der u. a. stark antisemitische „Judenportraits“ enthielt. Hierauf wurde ihm seine Stelle bei der Tageszeitung „La Suisse“ gekündigt. Die Herausgabe des „satirischen Blattes“ „Le Pilori“ erfolgte u. a. als eine Art Racheakt auf seine Entlassung. Im Leitartikel der ersten Ausgabe beschrieb er, wie die Genfer Juden seinen Rauswurf bei „La Suisse“ erwirkt hätten. Ohne Zweifel wollte Oltramare mit der Herausgabe des „Le Pilori“ provozieren, es war aber nicht seine Absicht, ein Periodikum ins Leben zu rufen. Der beinahe überwältigende Erfolg der ersten Nummer veranlasste ihn, sein „satirisches Blatt“ zweimal im Monat herauszugeben. Die Hetzschrift erschien unter der Führung Oltramares bis 1940. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Oltramare an seine früheren journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeiten anzuknüpfen, was ihm jedoch nicht gelang. Am 8. Juli 1958 berichtete „Die Ostschweiz“ vom Wiederaufleben des „Le Pilori“. Der Effekt war jedoch gering. „Le Pilori“ hatte vornehmlich eine antisemitische Ausrichtung. Als seine Feinde galten die „affairistes“ [üble Geschäftemacher], Großfirmen (so z. B. das sich in jüdischem Besitz befindende Warenhaus „Le Grand Passage“) oder die „Pharmacie Principale“, die sich ebenfalls in jüdischem Besitz befand. Die verunglimpfenden Texte des „Le Pilori“ ließ Oltramare mit äußerst judenfeindlichen Karikaturen von Noël Fontanet illustrieren. Mit antisemitischen Artikeln gingen solche, die Machtmissbräu-

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che einzelner Beamter oder Verfehlungen und Unredlichkeiten von Unternehmern anprangerten, einher. Oltramare verfolgte in seinem Blatt eine Mission, nämlich die „Kleinen“ gegen die „Großen“ zu verteidigen. Auf Parteizugehörigkeit oder gesellschaftliche Reputation der Angegriffenen nahm er keine Rücksicht. Nach eigenen Angaben sollte das Blatt eine Auflage von 20.000 Exemplaren erreicht haben. Oltramare wurde als Herausgeber des „Le Pilori“ gefürchtet und genoss es, sich in Szene zu setzen. Speziell in intellektuellen Kreisen Genfs schien seine Hetzschrift vor dem Krieg einen gewissen Anklang gefunden zu haben. 1942, im Zuge eines Prozesses wegen Mords an einem jüdischen Viehhändler in Payerne, gab einer der Beschuldigten gar als Motiv an, von antisemitischen Artikeln des „Le Pilori“ beeinflusst worden zu sein. In den folgenden Jahren näherte sich Oltramare mehr und mehr faschistischen Kreisen an und wurde eine der prägenden Figuren des Westschweizer Faschismus. 1940 betrieb er mit anderen Westschweizer Faschisten im deutschbesetzten Paris eine ausgedehnte Propaganda- und Spitzeltätigkeit im Auftrag der deutschen Botschaft. Oltramare sah sich als künftiger Gauleiter der romanischen Schweiz. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wurde er 1947 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. In Frankreich verurteilte ihn 1950 ein Gericht in absentia zum Tode.

Zsolt Keller

Literatur Alain Clavien, Georges Oltramare. Von der Theaterbühne auf die politische Bühne, in: Aram Mattioli (Hrsg.), Intellektuelle von rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918–1939, Zürich 1995, S. 157–170. Aaron Kamis-Müller, Antisemitismus in der Schweiz 1900–1930, Zürich 2000². Zsolt Keller, Abwehr und Aufklärung. Antisemitismus in der Nachkriegszeit und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, Zürich 2011.

Politisch-Anthropologische Monatsschrift → Politisch-Anthropologische Revue

Politisch-Anthropologische Revue (1902–1922) Die im April 1902 gegründete „Politisch-Anthropologische Revue“ war über Jahre hinweg eines der einflussreichsten Diskussionspodien völkischer Rasse- und Gesellschaftstheorien. Begonnen hatte sie als eine von zahlreichen anthropologischen Zeitschriften um 1900 und war für die Etablierung der biologischen Anthropologie in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von herausragender Bedeutung. Ihr Gründer war der Augenarzt Ludwig Woltmann (1871–1907), der Medizin, Philosophie und Theologie studiert hatte und während seiner Studienzeit Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wurde. Neben seiner Arbeit als Arzt trat Woltmann als Vortragsredner der SPD auf und unternahm mehrere publizistische Versuche, Darwinismus und Marxismus miteinander in Einklang zu bringen. Während dieser innerhalb der SPD zu diesem Zeitpunkt rege geführten Debatte wurde er Anhänger des Revisionismus Eduard Bernsteins und wandte sich schließlich immer deutlicher vom Marxismus ab, da bei seinen Bemühungen, das biologische mit dem ökonomischen

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Gesellschafts- und Geschichtsbild zu verbinden, der Primat der Biologie in seinen Arbeiten immer stärker an Gewicht gewann und Woltmann schließlich in das Lager der noch kleinen Schar der Sozialanthropologen trieb, einen Teil des um die Jahrhundertwende vielschichtig ausgelegten Sozialdarwinismus. „Der Kampf ums Dasein“, Zuchtwahl und Auslese waren die beherrschenden Begriffe eines kulturellen wie biologischen Rassedenkens, mit deren Hilfe die Sozialanthropologen gesellschaftliche und historische Vorgänge verstanden und Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart auf biologische Gesetze zurückführten. Geschichte und Soziologie wurden auf eine naturwissenschaftliche Grundlage gestellt, die Entwicklung der Völker wurde anhand biologischer Prinzipien und mechanischer Kausalitätsketten erklärt. Die „Politisch-Anthropologische Revue“ stellte sich hierbei die Aufgabe, diese Synthese zu einer „sozialen Naturgeschichte“ bzw. einer naturwissenschaftlich begründeten Sozial- und Kulturgeschichte auszubauen, und erschien in der eigens dafür gegründeten „Thüringischen Verlags-Anstalt“ in Eisenach und gewann bereits nach dem ersten Jahr über 2.000 Abonnenten. Als Herausgeber trat neben Ludwig Woltmann noch der Verleger Hans K. E. Buhmann auf, der jedoch nach kurzer Zeit aus der Leitung der Zeitschrift ausschied. Ziel und Aufgabe der Zeitschrift war es, „die folgerichtige Anwendung der natürlichen Entwicklungslehre auf die organische, soziale und geistige Entwicklung der Völker“ darzulegen. Inhaltlich wies die Monatsschrift hierfür einen breit gefächerten Rahmen auf. Aufsätze, Berichte über Biologie, Anthropologie, Psychologie, Medizin, über Sozial- und Rassenhygiene bis hin zu Bevölkerungsstatistiken im internationalen Vergleich sowie Buchbesprechungen dominierten das Blatt. Besonders anhand der gebotenen Statistiken bemühten sich die Autoren, ihren Lesern einen längerfristigen Niedergang vor Augen zu führen, dessen Symptome sich in verhältnismäßig kurzfristigen und ereignisabhängigen Krisen der Gegenwart zu äußern begannen und an den Kräften der nordischen Rasse zehren würden. Als wichtigste und treueste Autoren gewann Woltmann führende Köpfe der Sozialanthropologie wie den Wiener Gymnasialprofessor Karl Penka, den Karlsruher Arzt Ludwig Wilser oder den Schöpfer einer politischen Rassenanthropologie in Frankreich, den französischen Privatgelehrten Georges Vacher de Lapouge, die in ihren Publikationen der nordischen Rasse vorbehaltlos eine Führungsrolle in der Geschichte zuerkannt hatten. Alle waren im Gefolge der Ideen des Franzosen Artur Comte de Gobineau, der in seinen Schriften die kulturelle und staatliche Entwicklung der Völker aus ihrer Rassenzusammensetzung erklärt hatte, vom höheren Wert der nordischen Rasse überzeugt, wenngleich sie in ihrer Arbeit unterschiedliche Akzente verfolgten. Von der Anwesenheit der nordischen Rasse als Trägerin der wertvollsten menschlichen Eigenschaften hing in den Augen der Autoren folglich das politische und geistige Schicksal der Nationen Europas ab. Entsprechend intensiv setzte man sich mit Fragen der Bevölkerungspolitik und den negativen Seiten der Industrialisierung auseinander. Häufig erörterte man in diesem Zusammenhang die Frage nach der besten Regierungsform und entwarf Strukturen einer zukünftigen Politik auf naturwissenschaftlicher Basis. Selten deutlich, aber oft im Subtext wurde der Anspruch erhoben, dass die Politik der Zukunft in letzter Konsequenz nicht mehr Gegenstand freier Entscheidung sein könne. Nach Ansicht der Autoren standen alle

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kommenden politischen Entscheidungen unter dem Zwang, den natürlichen Gesetzen nachzukommen, um den rassischen Niedergang der zentralen europäischen Völker zu verhindern, ein Zwang, der nicht von einem Parlament, politischen Parteien oder ihren Wählern ausgehen könne. In dieser Ablehnung des Parlamentarismus entwarf man streng hierarchisierte Gesellschaftsmodelle, die zentral geführt und ständisch organisiert, in ihrem Bestand durch gezielte Rassezuchtprojekte und „systematische Auslese“ gesichert werden sollten. Bemerkenswert ist, dass trotz des in den Rassentheorien vertretenen Antisemitismus und einiger abfälliger Auslassungen über das Judentum keine dezidiert antisemitischen Beiträge in den ersten Jahren in der Zeitschrift platziert werden konnten, zumal der jüdische Mitarbeiter der Revue, Leo Sofer, Woltmanns Unvoreingenommenheit gegenüber der „Rassenkunde der Juden“ betonte. Tatsächlich verpflichtete Woltmann mehrfach jüdische Autoren, die, zionistisch argumentierend, auf dem Boden des Rassegedankens standen, aus ihrer Erfahrung mit dem Antisemitismus jedoch für die rechtliche Freiheit und gegen jede Form der Unterdrückung von Juden eintraten. Zudem bemühte sich Woltmann um Autoren, die der von ihm im Programm der Zeitschrift angestrebten inhaltlichen wie auch gesellschaftlich-politischen Pluralität entsprachen wie den „Verdienst und Besonderheit“ der „Politisch-Anthropologischen Revue“ lobenden evangelischen Theologen und liberalen Politiker Friedrich Naumann, den Schweizer Sozialreformer und Psychologen Auguste Forel oder den aus der politisch-pädagogischen Richtung des Anarchismus stammenden Walther Borgius, der sich mit Wirtschaftsfragen und Aspekten der Sexualreform beschäftigte und als Kritiker des Militarismus in der Zeitschrift auftrat. Am 30. Januar 1907 ertrank Ludwig Woltmann in Italien. Seine Nachfolge trat der Eisenacher Arzt und Lebensreformer Friedrich Landmann an, der mit Woltmann am 12. November 1904 zu den Erstunterzeichnern des in Leipzig gegründeten Bundes für Mutterschutz gehört hatte und die Zeitschrift im Sinne Woltmanns und ohne inhaltliche Veränderungen fast fünf Jahre weiterführte. Nach seiner Übersiedlung in die Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg übergab er sie im Oktober 1911 Otto Schmidt-Gibichenfels, der seit 1903 der Gobineau-Vereinigung angehörte und die Zeitschrift auf einen dezidiert antisemitischen Kurs ausrichtete, in dem das Anthropologische in eine noch engere Verbindung zum Politischen als bisher gesetzt wurde. Ihren Ausdruck fand diese inhaltliche Justierung 1914 in der Verdeutschung und Umbenennung des Titels. Aus der Revue mit dem Untertitel „Monatsschrift für das soziale und geistige Leben der Völker“ wurde die „Politisch-Anthropologische Monatsschrift für praktische Politik, für politische Bildung und Erziehung auf biologischer Grundlage“. Wenngleich die Zeitschrift bereits unter Woltmann als ein völkisches Organ betrachtet werden kann, trat mit Schmidt-Gibichenfels eine markante ideologische Verengung ein, die auf die praktische politische Anwendung und Umsetzung der vertretenen Thesen abzielte und zu einem Rückgang der Abonnenten auf 1.200 Leser innerhalb eines Jahres führte. In den folgenden zehn Jahren schmolz die Zahl der Bezieher schließlich auf 800 zusammen, weshalb die Zeitschrift im Sommer 1920 in finanzielle Schwierigkeiten geriet und vom Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bund übernommen wurde, der sie als pseudowissenschaftliches Sprachrohr für seine antisemitische Propaganda

Politische Bilderbogen (1892–1901)

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nutzte. Nach dessen Verbot stellte die „Politisch-Anthropologische Monatsschrift“ aufgrund der allgemeinen Teuerung nach 21 Jahren im Herbst 1922 ihr Erscheinen ein.

Gregor Hufenreuter

Literatur Peter Emil Becker, Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus und Völkischer Gedanke, Stuttgart, New York 1990. Gregor Hufenreuter, Wege aus den „inneren Krisen“ der modernen Kultur durch „folgerichtige Anwendung der natürlichen Entwicklungslehre“: Die Politisch-Anthropologische Revue (1902–1914), in: Michel Grunwald, Uwe Puschner (Hrsg.), Krisenwahrnehmungen in Deutschland um 1900. Zeitschriften als Foren der Umbruchzeit im Wilhelminischen Reich, Bern 2010, S. 281–293.

Politische Bilderbogen (1892–1901) Die „Politischen Bilderbogen“ sind eine antisemitische Karikaturenserie, die zwischen 1892 und 1901 in loser Folge im Dresdner Verlag F. W. Glöß (→ Glöß-Verlag) erschien. Sie wurden als großformatiges Faltblatt (40 x 60 cm) gedruckt, das aufgeklappt eine Karikatur oder Bildergeschichte in der Größe eines Posters freigab. Das Hauptbild war mit einem motivisch auf die jeweiligen Inhalte abgestimmten Rahmen umgeben. Auf der Rückseite befand sich ein Begleittext, der das Dargestellte erläuterte und weitergehende Betrachtungen zur „Judenfrage“ anstellte. Die Zeichnungen stammen von Siegfried Horn, der auch vergleichbare Werke wie das „Lied vom Levi“ (1895) des Kölner Antisemiten Eduard Schwechten illustriert hatte. Die anonym abgedruckten Begleittexte lassen sich dem völkischen Schriftsteller Max Bewer zuordnen. Von der Bilderbogenserie erschienen insgesamt 33 Nummern. Zeitgenössische Quellen erwähnen eine 34. Nummer (1902), von der allerdings kein Exemplar überliefert ist. Die „Politischen Bilderbogen“ bedienten in Anknüpfung an das politische Tagesgeschehen die gesamte Palette der zeitgenössischen Stereotype und Feindbilder über „die Juden“. Ihnen wurde die Wirtschaftspolitik des „Neuen Kurses“ angelastet, die Landwirtschaft und Handwerk schädige und zu einer gezielten Proletarisierung des Mittelstandes führe. Die Bilderbogen unterstellten den Juden eine parasitäre Lebensweise, die auf Betrug, Wucher und „Güterschlächterei“ basiere. Mittels der „goldenen“ (Linksliberalismus) und „roten Internationale“ (Sozialdemokratie) sowie der „Verjudung“ gesellschaftlicher Institutionen (Börse, Presse, Universitäten, Rechtswesen) erfolge eine antinationale Unterwanderung des Reiches zum Zweck der Errichtung einer „Judenherrschaft“. Als Symptome hierfür wurden ostjüdische Einwanderung und rassische Überfremdung gedeutet. Aber auch religiöse Motive, wie die Vorwürfe, Christenfeindlichkeit, Atheismus und Materialismus zu verbreiten, sind in den Bilderbogen präsent. Die Juden gelten als Profiteure der Konfessionsspaltung (Nr. 29), die in einem antisemitischen Deutschchristentum überwunden werden sollte. Im Zusammenhang mit dem Xantener Mordfall (1892) wird in der Nr. 13 die Ritualmordlegende vertreten und mit einer esoterischen Blutmystik untermauert. Mithilfe der religiösen Motive versuchte Bewer, eine Brücke zwischen katholischem und völkischem Antisemitismus zu schlagen. Die in den Bilderbogen unterbreiteten „Lösungen

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der Judenfrage“ reichen von der Forderung nach Ausnahmegesetzen (Nr. 16) über Vertreibungsfantasien (Nr. 17) bis hin zur offenen Befürwortung pogromartiger Gewalt (Nr. 14). Zur Legitimierung seiner antisemitischen Konstrukte suggerierte Bewer die Nähe zu prominenten Persönlichkeiten, Institutionen und Bewegungen. Besonders auffällig ist die Anbiederung an den Altreichskanzler Otto von Bismarck, dem in der Nr. 10 erfundene antisemitische Aussagen in den Mund gelegt werden. Die „Politischen Bilderbogen“ wurden über spezialisierte antisemitische Buchhandlungen wie Hensel in Köln, Dewald in Berlin und Westphal in Nossen reichsweit zum Preis von 30 Pfennigen pro Stück vertrieben. Über Auflagen- und Verkaufszahlen gibt es keine verlässlichen Angaben, es ist allerdings zu vermuten, dass von jeder Nummer mehrere Tausend Exemplare hergestellt wurden. An der Verbreitung beteiligte sich Max Bewer persönlich, indem er den kostenlosen Versand vieler Exemplare aus einem Preisgeld finanzierte. Die Bilderbogen waren Bestandteil einer kommerzialisierten antisemitischen „Bekenntnisindustrie“ und wurden in Schaufenstern von Buchhandlungen, Restaurants, Hotels, Kolonialwarenläden und Frisören ausgehängt. Dennoch handelt es sich nicht um eine reine Bildquelle. Die Lektürespuren in vielen überlieferten Exemplaren deuten darauf hin, dass auch die Begleittexte durchaus rezipiert wurden. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Max Bewer die Bilderbogentexte in seinen zahlreichen anderen Monographien und Aufsätzen wiederverwertete. In einigen Fällen wurden die „Politischen Bilderbogen“ zur unmittelbaren politischen Agitation eingesetzt. Im Prozess um den Konitzer Mordfall (1900) verteilten Antisemiten im Gerichtssaal unter den Zuschauern den „Ritualmordbilderbogen“ Nr. 13. Die Einstellung der Bilderbogenserie im Jahr 1901 oder 1902 ist wohl auf die Krise des politischen Antisemitismus in Sachsen nach der Jahrhundertwende und den Rückzug von Ferdinand Woldemar Glöß aus dem Verlagsgeschäft zurückzuführen. In insgesamt über 100 Prozessen versuchten jüdische Organisationen, zumeist erfolglos die Verbreitung der Bilderbogenserie verbieten zu lassen. Insbesondere die zuständigen sächsischen Staatsanwaltschaften und Gerichte stuften die Inhalte der Bilderbogen als legale politische Meinungsäußerung ein und schmetterten die erhobenen Klagen ab. 1894 strengte Reichskanzler Leo von Caprivi eine Beleidigungsklage gegen den Verleger Glöß an. Gegenstand war die Textzeile „In Deutschland hausen Cahn und Cohn, / Caprivi ist ihr Schutzpatron“ und eine Karikatur, die den Reichskanzler als Judengünstling darstellt. Glöß wurde zu einer Geldstrafe von 500 Mark verurteilt und der Bilderbogen Nr. 8 beschlagnahmt. Kurz darauf erschien jedoch eine Neuauflage dieser Nummer, in der lediglich die Caprivi-Figur fehlte. 1894/95 lieferte sich Glöß in offenen Briefen einen Schlagabtausch mit dem Herausgeber der „Jüdischen Presse“ Hirsch Hildesheimer über die Inhalte der Bilderbogen Nr. 10 und 13. Das Berliner Landgericht verurteilte beide Kontrahenten zu einer geringfügigen Geldstrafe, ohne sich mit den fraglichen Bilderbogen näher zu befassen. Zwar gelang es nicht, Herstellung und Vertrieb der Bilderbogen zu verhindern. Jedoch wurde ihr öffentlicher Aushang mehrfach wegen groben Unfugs und illegalen Plakatierens polizeilich unterbunden und mit Geldstrafen belegt. Die zeitgenössische Presse ordnete die Politischen Bilderbogen einem unbürgerlichen Radauantisemitismus zu. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Bilderbogen neben den anstößigen Gewaltdarstellungen und paranoiden Verschwörungs-

Portugal Cristão-Novo ou Os Judeus na República (Mário Saa, 1921)

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theorien auch die gängigen sozioökonomischen Judenstereotype verbreiteten, die weit über die Kreise eingefleischter Antisemiten hinaus konsensfähig waren.

Thomas Gräfe

Literatur Thomas Gräfe, Antisemitismus in Gesellschaft und Karikatur des Kaiserreichs. Glöß’ Politische Bilderbogen 1892–1901, Norderstedt 2005. Thomas Gräfe, Zwischen katholischem und völkischem Antisemitismus. Die Bücher, Broschüren und Bilderbogen des Schriftstellers Max Bewer (1861–1921), in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 34 (2009), 2, S. 121–156. Michaela Haibl, Zerrbild als Stereotyp. Visuelle Darstellung von Juden zwischen 1850 und 1900, Berlin 2000. Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main 2009.

Polsutschaja kontrrevoljuzija → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen

Portugal Cristão-Novo ou Os Judeus na República (Mário Saa, 1921) Schon das Titelblatt ist ein Programm: „Wer ein Parlament betritt, betritt eine Synagoge“ (Entrar no Palarmento português o mesmo é que entrar numa sinagoga). Damit gibt der Autor Mário Saa (1899–1971) seiner Überzeugung Ausdruck, Staat und Gesellschaft seien von Juden penetriert. Das Buch „Portugal Cristão-Novo ou Os Judeus na República“ [Das neuchristliche Portugal oder die Juden in der Republik] ist das Ergebnis eines 1921 mit Guilherme de Lencastre geführten Interviews, das noch im selben Jahr in Lissabon erschien. Er stützt sich auf die Thesen von Houston Stewart Chamberlain, auf Wilhelm Marrs „Finis Germaniae“ und auf Henry Fords „Der Internationale Jude“ (→ The International Jew) sowie auf die → „Protokolle der Weisen von Zion“. Der Jude ist für Mário Saa ein unersättlicher Blutsauger (mosquito), ein teuflischer Geist in einem schlaffen Körper (corpo mole e espirito do Diabo). Er macht die Juden für alles Böse verantwortlich, von den Freimaurern und der Französischen Revolution bis zu den Bolschewiken. Für den dezidiert antichristlich argumentierenden Autor stellt die christliche Religion eine semitische Gefahr dar, war doch Christus ein Jude und das Christentum ein degeneriertes Hebräertum. Und weil König und Kirche den Juden die Aufnahme ins Christentum ermöglichten, wurden nicht die Juden, sondern die Portugiesen aus Portugal vertrieben. Folglich macht er nicht nur die Juden für den Niedergang des heroischen portugiesischen Volkes verantwortlich, sondern die Neuchristen (cristãos novos). Der „rassebewusste“ Jude rächt sich an den „rasseverseuchten“ Christen (vingança étnica), sodass der Arier (der heldenhafte Gote!) der bösen, hinterhältigen jüdischen Rasse unterliegen muss. Resigniert konstatiert Mário Saa die Unmöglichkeit, Portugal von den Juden befreien zu können, hätten diese doch mit ihrem Blut den Adel, die Kirche und die Bourgeoisie für alle Zeiten rassisch verseucht.

Michael Studemund-Halévy

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Porunca Vremii (Rumänien, 1932–1944)

Literatur Jorge Martins, Portugal o Judeus, Band 2, Lissabon 2006.

Porunca Vremii (Rumänien, 1932–1944) „Porunca Vremii“ [Befehl der Zeit] war eine rechte, antisemitische Wochenzeitung, die vom 18. Dezember 1932 bis zum 28. Dezember 1933 in Bukarest herausgegeben wurde. Danach erschien sie als Tageszeitung (1. Januar 1934 bis 30. Juni 1944). „Porunca Vremii“ fungierte als halboffizielle Zeitung der antisemitischen Bewegung. Sie hob sich insbesondere durch ihre scharfen, tendenziösen und demütigenden Attacken gegen Juden von anderen Zeitungen hervor. Viele antisemitische Beiträge wurden in der Anfangsphase von ihrem Chefredakteur Ilie Rădulescu (1932–1944), später von Nichifor Crainic und N. Crevedia (1941–1944) geschrieben. Die Sprachrohre der antisemitischen Strömungen in Rumänien formulierten variierende Lösungen zum Ausschluss von Juden aus der rumänischen Gesellschaft, um dieses „Übel zu eliminieren“. Obwohl sich „Porunca Vremii“ selbst als unabhängige Zeitung bezeichnete, nahm sie die von Alexandru C. Cuza propagierte Ideologie begeistert an. Alexandru C. Cuza war ein rechtsradikaler Politiker, Theoretiker und von 1937 bis 1938 Staatsminister der Goga-Cuza Regierung. Er forderte mit seiner Partei – der Liga zur Christlich-Nationalen Verteidigung (Liga Apărării Naţionale Creştine) – eine komplette Auslöschung von Juden. Sein parlamentarisches Programm beinhaltete Bezüge auf Themen des traditionellen politischen Antisemitismus in Rumänien. Seit ihrem zweiten Erscheinungsjahr vertrat „Porunca Vremii“ die Behauptung, dass „alle Reichtümer, jeglicher Handel, jegliche Industrie“ sich „in den Händen von Fremden“ befänden (1933). Sie untermauerte diese Annahme durch die Veröffentlichung von Artikeln und Statistiken. Im Jahre 1934 nahm sich die „Porunca Vremii“ auch des „numerus clausus“ an: „Unter all den Problemen, die die rumänische Seele peinigen, offenbart das jüdische Problem die alarmierendsten Aspekte […]. Das Proportionalitätsprinzip – der numerus clausus im ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben – und der numerus nullus im öffentlichen Dienst und in den Medien müssen ohne Verzögerung angewandt werden“ (5. November 1934). Im darauffolgenden Jahr äußerte sich Ilie Rădulescu weitaus radikaler, als er meinte, dass dem Staat „kein anderer Weg als die totale Enteignung der Fremden und Jidden“ bleibe (17. November 1935). Die Bezeichnung „jidan“ [Jidden] war eine pejorative Bezeichnung der Juden in Rumänien und wurde statt „evrei“ [Juden] benutzt. Antisemitische Losungen wurden täglich in Großbuchstaben abgedruckt, und die meisten Überschriften der Zeitung zielten auf eine Dämonisierung und Verspottung von Juden ab. Laut Ruxandra Cesereanu lassen sich mehrere Kategorien ausmachen: 1. Korruptionsbeschuldigungen: „Evreii deţin o proporţie alarmantă în inginerie“ [Die Zahl der jüdischen Ingenieure ist erschreckend hoch], „Negustori, recuceriţi comerţul jidovit!“ [Händler, erobert den verjudeten Handel zurück!]; 2. Parolen, die zur „Reinhaltung der Rasse“ gemahnten: „Degenerarea jidanilor ca rasă“ [Die rassische Degeneration der Jidden], „Prin antisemitism la mântuirea neamului“ [Durch Antisemitismus zur Volkserlösung]; 3. Ratschläge für die Leser und Aufhetzung des rumänischen Volkes gegen Juden: „Române: nu fi prieten cu jidanul!“ [Rumäne: Sei

Porunca Vremii (Rumänien, 1932–1944)

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kein Freund des Jidden!], „Fii Român! Nici un ban jidanilor!“ [Sei Rumäne! Kein einziger Heller für die Jidden!]. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 kritisierte „Porunca Vremii“ auch die kommunistische Ideologie, wie ein Beitrag von Ilie Rădulescu offenbart: „Nur wenn wir über die Leichen des Judaismus und des Kommunismus schreiten, wird es der Menschheit möglich sein, Frieden, Wohlstand und die von der Vorsehung verliehene spirituelle Berufung zu finden“ (4. September 1942). Die Ausrufung des Legionärstaates wurde von der „Porunca Vremii“ begrüßt und anlässlich des Ereignisses zugleich die Forderung nach der „Lösung der Judenfrage“ erhoben: „Jidden sind überall gleich und es gibt nur eine Maßnahme gegen sie, die von unserem Instinkt des nationalen Erhalts diktiert wird: RAUS!“ (12. September 1940) Am darauffolgenden Tag unterbreitete der Chefredakteur Rădulescu der Regierung von General Antonescu einen Maßnahmenkatalog: „Die Aufhebung der rumänischen Staatsbürgerschaft aller Juden, die diese infolge der Versailler und Trianoner Verträge erhalten hatten, denn die Verträge sind dank der neuen Weltordnung, die die Achsenmächte auf dem Kontinent errichten, nicht länger in Kraft […]; Die Zwangsenteignung von städtischen – und nicht länger nur der ländlichen – Jidden, die unsere Städte entfremdet haben […]; Jidden müssen ausschließlich in städtischen Gebieten leben und jeder Kontakt zum ländlichen Raum soll ihnen verboten sein […]; Jidden dürfen nicht länger im Gesundheitswesen und im Getränkeund Nahrungsmittelhandel arbeiten. Sie können nicht länger als Staatslieferanten fungieren und ihnen wird untersagt, […]; Als Ausländer, zu denen sie nach Entziehung der rumänischen Staatsbürgerschaft zählen, werden die Jidden keinen Beruf ausüben können, ohne die Genehmigung des Arbeitsministeriums.“ Neben derartigen Beiträgen veröffentlichte – laut Analyse von Ruxandra Cesereanu – die „Porunca Vremii“ auch großformatige Karikaturen, die entweder aufgeblähte Juden mit monströsen Gesichtern oder dämonisierte, hagere Juden mit großen Nasen und Lippen zeigten. Rassistische und häufig einfach gestrickte Gedichte dienten ebenfalls dem Zwecke der Demütigung. Vor allem Radu Bardă tat sich als diensthabender Dichter hervor. In seinen Gedichten bestellen die rumänischen Bauern ihr Feld, indem sie Juden statt Ochsen vorspannen. Die „Porunca Vremii“ zählt zu jenen tendenziösen Zeitungen, die über einen längeren Zeitraum den antijüdischen Hass in Rumänien schürten.

Gabriela Bădescu Übersetzung aus dem Englischen von Miriam Bistrovic

Literatur Ruxandra Cesereanu, Imaginarul violent al românilor [Die gewalttätige Imagination der Rumänen], Bucureşti 2003. Final Report of the International Commission on the Holocaust in Romania, Bucureşti 2007. Zigu Ornea, Anii treizeci. Extrema dreaptă românească [Die dreißiger Jahre. Der rumänische Rechtsextremismus, Bucureşti 1995. Leon Volovici, Nationalist Ideology and Anti-Semitism: The Case of Romanian Intellectuals in the 1930s, Oxford 1991.

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Posener Reden (Heinrich Himmler, 4. und 6. Oktober 1943)

Posener Reden (Heinrich Himmler, 4. und 6. Oktober 1943) Am 4. und 6. Oktober 1943 hielt Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei sowie Reichsinnenminister, zwei Geheimreden im Posener Rathaus. Vor versammelter NS-Elite sprach er offen über die Vernichtung der Juden und die Behandlung der beherrschten Völker im Osten als „Sklaven“ für das Deutsche Reich. Heinrich Himmlers Posener Reden standen im Kontext von zwei in der Zeit des Nationalsozialismus fest implementierten Veranstaltungen: den SS-Gruppenführerbesprechungen und den Tagungen der Reichs- und Gauleiter. Der Zweck der Reden bestand in der einheitlichen Ausrichtung der exekutiven und politischen Führungselite in einer Krisensituation angesichts eines sich dramatisch verschlechternden Kriegsverlaufs. Nachdem Himmler am 4. Oktober 1943 zwei Stunden lang vor den 92 anwesenden SS-Gruppenführern über die Lage im fünften Kriegsjahr und über die Feinde außerund innerhalb des Deutschen Reiches geredet hatte, widmete er sich für etwa viereinhalb Minuten jenem „schweren Kapitel“ der nahezu abgeschlossenen Judenvernichtung und begründete die Ermordung der Juden: „Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.“ Himmler würdigte seine SS-Männer, dass sie beim Anblick der Leichenberge „anständig geblieben“ waren und den Auftrag erfüllten, ohne sich dabei „auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern“. Auch am 6. Oktober 1943 kam Himmler innerhalb der deutlich kürzeren Rede vor den Reichs- und Gauleitern auf die „Judenfrage“ zu sprechen und erklärte, warum auch Frauen und Kinder umgebracht wurden: „Ich habe mich entschlossen, auch hier eine klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten, sprich also umzubringen oder umbringen zu lassen – und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es musste der schwere Entschluss gefasst werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen.“ Während Himmler die Vernichtung aller Juden forderte und dies als ein „niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“ beschrieb und seine Zuhörer verpflichtete, das „Geheimnis mit ins Grab“ zu nehmen und niemals darüber zu reden, zeichnete ein Tonaufnahmegerät jedes Wort mit. Zudem ließ Himmler die Rede vor den SS-Gruppenführern vollständig transkribieren und an die ferngebliebenen Gruppenführer verschicken. Damit machte er die Adressaten zu Mitwissern, sodass er die Verantwortung am Mord an den europäischen Juden auf die Schultern seines Publikums legte. Keiner der Zuhörer sollte danach behaupten können, nicht über die Vernichtung der europäischen Juden informiert gewesen zu sein. Himmler glaubte wie Hitler an die „Dolchstoßlegende“. Er ging auf dieses Motiv ein und rechtfertigte damit die Vernichtung der Juden: „Wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.“

Posener Reden (Heinrich Himmler, 4. und 6. Oktober 1943)

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In beiden Reden zeichnete Himmler ein umfangreiches Bild über die gesamte Ausdehnung seines Machtbereichs und gab eine umfassende persönliche Deutung der Lage des Regimes. Die Themenkomplexe, die er in beiden Reden ausbreitete, beinhalteten einen Abriss über den Verlauf der fünf Kriegsjahre, umfangreiche Ausführungen über die Beherrschung der „slawischen Untermenschen“, die Kriegsführung im Osten – etwa das Herunterspielen der negativen Auswirkungen der Banden- und Partisanenkämpfe auf die Versorgung der Ostfront – und den Ausfall Italiens als Verbündeter des Deutschen Reiches, den „Badoglio-Verrat“. Ebenso bot sich Himmler die erste offizielle Gelegenheit, um über seine Aufgaben als neuer Reichsinnenminister und über das Selbstverständnis der SS und die Leistungen der Waffen-SS im Krieg, über die Siedlungstätigkeit der SS und seine abstrusen Vorstellungen von „Wehrbauernhöfen“ und Luftwarnzentralen auf den Kämmen des Ural nach einem gewonnenen Krieg zu sprechen. Zentrales Anliegen Himmlers in beiden Reden war die Verteidigung der „Untermenschentheorie“ als das entscheidende und vermeintlich siegbringende Konzept der Kriegsführung gegenüber jeglicher Alternative. Mit scharfem Ton wies Himmler den „Wlassow-Rummel“ zurück und bekräftigte Hitlers Verbot, eine russische Befreiungsarmee unter dem Kommando des gefangenen russischen Generals Andrej Wlasov aufzustellen. Himmler ging es um die Bestätigung der Richtigkeit von Hitlers Vernichtungs- und Lebensraumstrategie und des hierzu propagierten rassistischen Feindbildes von „den Polen“, „den Russen“ oder „den Slawen“ – subsumiert als „Untermenschen“ und „Menschentiere“ –, denen nach Himmlers Vorstellung nur mit der Einstellung als „Herrenmensch“ und dem Bewusstsein eines höheren rassischen Werts entgegenzutreten sei: „Alles andere ist Seifenschaum, ist Betrug an unserem Volk und ist ein Hemmnis zu einer früheren Gewinnung des Krieges.“ Die zahlenmäßige Überlegenheit des „russischen Menschenpotenzials“ versuchte Himmler zu entkräften, indem er auf den schlechten Zustand der Roten Armee einging. Da der Feind zunehmend auch Frauen und Kinder an seinen Maschinengewehren verwende, kündigte Himmler ebenso den Einsatz von Minderjährigen in den SS-Divisionen an. Um die Masse des „russischen Menschenpotenzials“ zu entwerten, griff Himmler auf das Kriterium „Rasse“ zurück. Zwar seien die Gegner in der Überzahl, aber die Deutschen seien mehr „wert“. Nach Kriegsende wurde die Rede vom 4. Oktober 1943 als Dokument 1919-PS beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vorgelegt, wobei die Ankläger im Verlauf der Verhandlung hauptsächlich die häufig anzutreffenden Passagen zitierten, in der Himmler die „Anständigkeit“ seiner SS-Männer beim Mord an den Juden beschwor und den Raub von Kindern aus den beherrschten Gebieten befürwortete. Himmler verkündete, alles zu versklaven „was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist“. Die zweite Posener Rede vom 6. Oktober 1943 wurde in den Akten des „Persönlichen Stabes Reichsführer-SS“ gefunden und erlangte größere Aufmerksamkeit in den 1970er Jahren im Streit zwischen Erich Goldhagen und Albert Speer. Letzterer leugnete, bei Himmlers Rede dabei gewesen zu sein, obwohl ihn Himmler direkt ansprach, um somit Kenntnisse von der Judenvernichtung und ihrem Ausmaß abstreiten zu können.

Hardy Degner

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Preußische Jahrbücher (1858–1935)

Literatur Bradley F. Smith, Agnes F. Peterson (Hrsg.), Heinrich Himmler Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen, Frankfurt am Main 1974. Peter Longerich, Heinrich Himmler: Eine Biographie, München 2008.

Preußische Jahrbücher (1858–1935) Die Gründung der Zeitschrift „Preußische Jahrbücher“ war eine Reaktion liberaler Konstitutionalisten um Theodor Mommsen sowie dessen Kollegen, dem Historiker Richard Roepell, die nach der 1848/49 gescheiterten Revolution und der schließlichen Übernahme der preußischen Regierungsgeschäfte 1857/58 durch den „Kartätschenprinzen“ Wilhelm Friedrich, den späteren Wilhelm I., die „Deutsche Frage“ weiterhin im Bewusstsein der gebildeten liberalen Öffentlichkeit halten wollten. Den programmatischen Titel setzte Mommsen durch: Pro-preußisch und anti-habsburgisch orientiert sowie auf süddeutsche Autonomiebestrebungen keine Rücksicht nehmend, propagierten die „Jahrbücher“ einen unter preußischer Führung vereinten, nach rechtsstaatlich-liberalen Grundsätzen verfassten Nationalstaat als konstitutioneller Monarchie. Im goldenen Zeitalter des Historismus erfüllten die „Jahrbücher“, ebenso wie die 1859 durch Heinrich von Sybel gegründete → „Historische Zeitschrift“, die Funktion eines politischen Meinungsbildungsforums, dessen Diskurse von einem überschaubaren Zirkel von Historikern dominiert wurden, die sich untereinander kannten und auch persönliche Kontakte pflegten. Mommsen hatte dafür gesorgt, dass die monatlich erscheinende Schrift bei seinem Schwiegervater Karl Reimer verlegt wurde, der auch Mommsens „Römische Geschichte“ publizierte und zusammen mit Salomon Hirzel, der u. a. Heinrich von Treitschkes Verleger werden sollte, die Weidmannsche Buchhandlung führte. Die erste Ausgabe wurde von Max Duncker und Rudolf Haym herausgegeben; Mommsen steuerte eine Rezension der „Histoire de Consulat er de l’Empire“ von Adolf Thiers bei, in der er das bürgerliche Ideal eines Repräsentativsystems gegen die „genial durchgebildete Despotie“ Napoleons I. verteidigte. Aus dieser Zeit stammte auch die Bekanntschaft Mommsens mit seinem späteren Gegner Heinrich von Treitschke, der noch zu den großen Bewunderern des Althistorikers zählte und schon im ersten Band (1858) mit „Die Grundlagen der englischen Freiheit“ erstmals als Autor für die „Jahrbücher“ in Erscheinung getreten war. Haym fungierte bis 1866 als Herausgeber, öffnete das Blatt auch für konservative Autoren und vermied radikal-liberale Positionen. Dies mag letztlich der Grund gewesen sein, warum Mommsen schon bald sein Interesse an der Zeitschrift verlor. 1866 übernahm Treitschke zusammen mit dem liberalen Politiker und Publizisten Wilhelm Wehrenpfennig die Herausgeberschaft der „Jahrbücher“, denen er – nach dem preußischen Sieg über Österreich (1866) wandelte sich Treitschke vom vehementen Kritiker zum geradezu devoten Befürworter Bismarcks – eine eindeutig regierungsfreundliche Ausrichtung gab. Die „Jahrbücher“ hatten unter Hayms Leitung 1861 zur Gründung der Fortschrittspartei beigetragen. Unter Treitschkes Führung und unter dem Eindruck des Preußischen Verfassungskonflikts (1860–1866) trugen sie zur Abspaltung der Nationalliberalen (1867) bei. Damit war die historisch folgenschwere, bis 1948 andau-

Preußische Jahrbücher (1858–1935)

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ernde Spaltung des deutschen Liberalismus vollzogen. Die Nationalliberale Partei bildete nun die parlamentarische Basis zur Unterstützung der Politik Bismarck, bis dieser im Zuge der konservativen innenpolitischen Wende 1878/79 mit den Nationalliberalen brach. Im November 1879 löste Treitschke mit seinem in den „Jahrbüchern“ veröffentlichten Aufsatz → „Unsere Aussichten“ den Berliner Antisemitismusstreit aus. Alle weiteren, im Laufe des Jahres 1880 veröffentlichten und dieser Kontroverse zugehörigen Schriften, die Repliken auf die Einwendungen seiner Gegner, schließlich sein im Januar 1881 nachgeschobener Kurzartikel „Die jüdische Einwanderung in Deutschland“ veröffentlichte er in diesem Periodikum. Der letztgenannte Aufsatz war eine Erwiderung auf die Einwendungen des Berliner Statistikers Salomon Neumann, der mit seiner Schrift „Die Fabel von der jüdischen Masseneinwanderung“ (1880) Treitschkes Behauptung, „über unsere Ostgrenze“ dränge „Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen“ würden (Unsere Aussichten), entgegengetreten war. Zu dieser Zeit betrug die monatliche Auflage des Blattes 1.500 Exemplare, was über den tatsächlichen Wirkungsgrad hinwegzutäuschen vermag: Die „Preußischen Jahrbücher“ waren schlechthin die gelesene, meinungsbildende Fachzeitschrift des Establishments in Deutschland. Was dort geschrieben stand, war mit den Weihen der Wissenschaft gesegnet und wurde anderswo zitiert. Treitschke, der immer schon Talent für die Prägung politischer Slogans sowie ein Gespür für soziale Spannungen besessen hatte, benutzte seine Machtposition als Herausgeber, um seine politischen Vorstellungen, in diesem Falle seine antisemitischen Attacken, in die Öffentlichkeit zu lancieren. Seine Gegner zitierte er entweder verkürzt oder nahm sie, wenn diese kein akademisches Prestige besaßen, nach Möglichkeit überhaupt nicht zur Kenntnis. An dieser Stelle liegt ein entscheidender Grund für das Eingreifen Mommsens, der seinem Kollegen vorwarf, dass dieser seine Autorität als Hochschullehrer und Publizist missbraucht und den Antisemitismus für die „besseren Kreise“ der Gesellschaft „salonfähig“ gemacht habe. Von 1883 bis 1889 gab Treitschke die „Jahrbücher“ zusammen mit seinem Freund und Kollegen, dem Militärhistoriker Hans Delbrück (1848–1929) heraus. Was die beiden verband, war das Bekenntnis zu Bismarck, Reich und Hohenzollern; was sie trennte, waren ihre unterschiedlichen Auffassungen zu den Aufgaben deutscher Außen- und Sozialpolitik, in denen der Konservative Delbrück deutlich gemäßigtere Positionen vertrat als der ehemalige Liberale von Treitschke. Über sozialpolitischen Fragen zerbrach die Freundschaft zwischen den beiden, sodass an eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zu denken war und der Verleger, Hans Reimer d. Ä., schließlich Delbrück 1889 mit der alleinigen Herausgeberschaft sowie mit der Redaktion des Periodikums betraute, eine Aufgabe, die Delbrück die nächsten dreißig Jahre bis 1919 intensiv wahrnahm. 1895 übernahm er Treitschkes Ordinariat an der Berliner Universität. Der „konservative Sozialdemokrat“ (Delbrück) gab den „Jahrbüchern“ eine gemäßigte Ausrichtung und wandte sich insbesondere in der monatlich verfassten „Politische[n] Korrespondenz“ mit scharfer Kritik gegen die Diskriminierung ethnischer

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Die Protokolle der Weisen von Zion (1903)

Minderheiten (Dänen und Polen) und politischer Gegner (Sozialdemokraten). Vom Primat der Außenpolitik überzeugt und anfänglich ein Befürworter des deutschen Flottenbauprogramms, wandte es sich mit der Parole „Weltpolitik ohne Krieg“ gegen die aggressiv-imperiale Politik des Wilhelminischen Deutschland, trat während des Ersten Weltkrieges für einen Verständigungsfrieden ein und unterstützte nach der deutschen Niederlage als „Vernunftrepublikaner“ (Friedrich Meinecke) die Weimarer Republik. Delbrück bekämpfte die „Kriegsschuldlüge“ sowie die „Dolchstoßlegende“ und führte die Feder sowohl gegen Tirpitz und Ludendorff als den „Verderbern“ des Reiches als auch gegen Kautsky als dessen „Zersetzer“-Positionen, die ihn bei der Rechten verhasst und bei der Linken nicht beliebt machten. 1896 wurden die „Jahrbücher“ vom Verlag Georg Stilke übernommen, der u. a. seit 1892 zusammen mit Maximilian Harden die „Zukunft“ herausgab. Die Herausgabe der „Jahrbücher“ ging im Dezember 1919 von Delbrück auf den Journalisten und Historiker Walther Schotte (1886–1958) über. Unter Schottes Leitung rückte die Zeitschrift zunehmend nach rechts und wurde schließlich geradezu zum Gegenteil dessen, was sie unter Delbrück gewesen war: Mitarbeiter wurden eingestellt, die Ideen der „Konservativen Revolution“ sowie völkische und antisemitische Gedanken propagierten. Schriftleiter wurde 1923 Hans Fritzsche, der 1933 in Goebbels Propagandaministerium zunächst das Referat IV a (Deutsche Presse) und 1938 die Leitung der gesamten Presseabteilung übernehmen sollte. Ab 1942 war Fritzsche als Leiter der Rundfunkabteilung mit seinen Durchhalteparolen eine der bekanntesten Stimmen des Dritten Reiches. Als der Danziger Historiker Erich Keyser 1933 im 234. Band der „Jahrbücher“ seinen Aufsatz „Die völkische Geschichtsauffassung“ veröffentlichte, hatte sich das ehemalige Organ des deutschen Bildungsbürgertums im Grunde bereits selber „gleichgeschaltet.“ Allerdings haftete der Zeitschrift nach wie vor ihr bildungsbürgerliches Image an. Anders als die „Historische Zeitschrift“, in der Walter Frank seinen ehemaligen Lehrer, Karl Alexander von Müller, zum Herausgeber bestellt hatte und ein Referat „Geschichte der Judenfrage“ einrichtete, waren die Preußischen Jahrbücher für das neue Regime nicht von Interesse. 1935 wurde ihr Erscheinen eingestellt.

Karsten Krieger

Die Protokolle der Weisen von Zion (1903) Unter dem Titel „Protokolle der Weisen von Zion“ (auch „Geheimnisse der Weisen von Zion“, „Zionistische Protokolle“, „Protokolle Zions“) ist eine anonyme Schrift im Umfang von 60–80 Seiten bekannt, die von Antisemiten in aller Welt benutzt wird, um die Juden zu bezichtigen, auf konspirativ-subversive Weise nach der Weltherrschaft zu streben. Die „Protokolle“ geben angeblich eine Rede wörtlich wieder, die ein anonymer jüdischer Führer vor nicht näher gekennzeichneten Glaubensgenossen an einem ungenannten Ort zu einem ungenannten Zeitpunkt gehalten hat. Darin werden die Methoden und Ziele einer jahrhundertealten jüdisch-freimaurerischen Verschwörung gegen die gesamte nichtjüdische Welt dargelegt.

Die Protokolle der Weisen von Zion (1903)

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Detailliert beschreiben die „Protokolle“ Strategie und Taktik, mit der die angeblichen Verschwörer sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens unterwandern und ihren Zielen unterwerfen wollen. So sollen die Völker durch Parteienhader und Klassenkämpfe, Kriege und Revolutionen, Glaubens- und Rassenhass zermürbt, durch die „Macht des Goldes“ und durch Spekulationsgeschäfte wirtschaftlich ruiniert und durch Rationalismus, Materialismus und Atheismus – genannt werden die Lehren von Darwin, Marx und Nietzsche – moralisch zersetzt werden. Auf diese Weise in Elend, Anarchie und Bankrott getrieben, würden die Nichtjuden aus Sehnsucht nach Sicherheit, Ruhe und Frieden „den Juden“ schließlich die gesamte Macht anbieten. Auf den Trümmern der alten Ordnung würden die jüdischen Führer sodann unter dem Schein der Legalität eine perfekt organisierte zentralistische und patriarchalische Diktatur errichten mit einem König aus dem Hause David an der Spitze. Dieser von den „Weisen“ auserwählte und beratene Weltherrscher wird als eine charismatische Gestalt beschrieben, ein Vorbild an Tugend, Selbstbeherrschung und Verstand. Als wohltätiger „Despot vom Blute Zion“ vom Volk als treu sorgender, liebevoller und gutherziger Vater verehrt und vergöttert, werde der jüdische König über eine befriedete, geeinte und hierarchisch geordnete Welt herrschen. In ihr werde es weder Luxus noch Trunksucht geben, dafür Arbeit für alle, allerdings nicht nur als Recht, sondern auch als Pflicht. Mit den Worten des Redners, der sich und seine Mitverschworenen als „Wohltäter der Menschheit“ bezeichnet: „Ein Jeder, der unsere Gesetze achtet, wird sich der Segnungen des Friedens und der Ordnung erfreuen können. [...] Unsere festgefügte Macht wird die Zügel der Regierung straff in der Hand halten [...]. Sie wird völlige Ruhe und Ordnung verbürgen, worin überhaupt das ganze Glück der Menschen besteht.“ Das Ziel der Verschwörung, wie es die „Protokolle“ ausführlich beschreiben, ist ein konfliktloses „Reich der Vernunft“, in dem die blinde, gefährliche und zur Herrschaft unfähige „Masse“ durch staatliche Fürsorge und Kontrolle vollständig manipuliert, dafür aber ohne die Zumutung der Freiheit saturiert in dumpfem Glück und Frieden leben wird. Die genauen Umstände der Entstehung dieser Schrift sind ungeklärt und von Gerüchten umgeben. Lange glaubte man, sie sei zur Zeit der Dreyfus-Affäre von namentlich bekannten Agenten der zarischen Geheimpolizei (Ochrana) in Paris auf Französisch verfasst und dann nach Russland geschafft worden, um die Reformbestrebungen des russischen Finanzministers Sergej Witte zu bekämpfen. Neuere Forschungen (De Michelis) deuten hingegen auf einen russischen Urtext, der zwischen April 1902 (der ersten Erwähnung in der russischen Presse) und August/September 1903 (der ersten Veröffentlichung einer noch unvollständigen Fassung in einer antisemitischen Petersburger Zeitung) von unbekannter Hand als Parodie auf Theodor Herzls „Judenstaat“ und mit Bezug auf den Fünften Zionistenkongress (1901) verfasst worden sei. Die „Protokolle“ sind zu weiten Teilen eine Kompilation literarischer und publizistischer Texte. Als Hauptquelle diente den Plagiatoren Maurice Jolys 1864 zunächst anonym veröffentlichtes Werk „Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu, ou la politique de Machiavel au XIXe siècle“, eine geistreiche Streitschrift gegen das autoritäre Regime Napoleons III., die keinerlei Anspielungen auf Juden, wohl aber auf den „Machiavellismus“ der Jesuiten enthält. Eine weitere Quelle bildete die „Rede des Rabbiners“ (→ Auf dem Judenkirchhof in Prag). Zudem wurden zahlreiche Ent-

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Protokolle Zions

lehnungen aus Werken der französischen und russischen (Trivial-)Literatur des 19. Jahrhunderts sowie der zeitgenössischen Kulturkritik nachgewiesen. Die „Protokolle“ sind keine Fälschung, da sie sich weder auf ein Original noch auf reale Personen oder Gegebenheiten beziehen. Irreführend ist der Authentizität suggerierende (nachträglich hinzugefügte) Titel „Protokolle“ oder die Bezeichnung als „Sitzungsberichte der Weisen von Zion“, da der Text keine Angaben über Zeit und Ort der Versammlung sowie über den Redner und sein Publikum enthält (die zudem nicht mit den vom Redner gelegentlich erwähnten „Weisen“ identisch sind). Angaben zum Autor und zur Entstehung des Textes, die seine Rezeption als authentisches Dokument und als Zentralschrift eines antisemitischen Verschwörungsglaubens ermöglichen, finden sich erst in den erheblich divergierenden und einander oftmals widersprechenden Paratexten (Vor- und Nachworte, Titel, Zwischentitel, Anmerkungen) der diversen Herausgeber und Kommentatoren. Der als „Protokolle“ bezeichnete Text selbst ist eine reine, wenn auch verschleierte Fiktion. Damit aber ist der Text offen für vielfältige Interpretationen. So können die „Protokolle“ auch als (Anti-) Utopie gelesen werden, antizipieren sie doch – worauf Hannah Arendt hingewiesen hat – mit ihrer eigentümlich modernen Vision einer Fürsorgediktatur, die gekennzeichnet ist durch Führerkult, Massenpropaganda, Denunziantentum, straffe Organisation und das Streben nach Weltherrschaft, wesentliche Merkmale der großen totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts.

Michael Hagemeister

Literatur Wolfgang Benz, Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007. Alfred Bodenheimer, Jüdische (Un-)Heilsvisionen. Theodor Herzls „Judenstaat“ und „Die Protokolle der Weisen von Zion“, in: Judaica 66 (2010), 2, S. 97–106. Norman Cohn, „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung, Baden-Baden, Zürich 1998. Cesare G. De Michelis, The Non-Existent Manuscript: A Study of the „Protocols of the Sages of Zion”, Lincoln, London 2004. Eva Horn, Michael Hagemeister (Hrsg.), Die Fiktion von der jüdischen Weltverschwörung. Zu Text und Kontext der „Protokolle der Weisen von Zion“, Göttingen 2012. Richard Landes, Steven T. Katz (Hrsg.), The Paranoid Apocalypse: A Hundred-Year Retrospective on “The Protocols of the Elders of Zion”, New York 2011. Jeffrey L. Sammons (Hrsg.), „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Die Grundlage des modernen Antisemitismus – eine Fälschung. Text und Kommentar, Göttingen 20116. Vadim L. Skuratovskij, Problema avtorstva „Protokolov sionskich mudrecov“ [Das Problem der Autorschaft der „Protokolle der Weisen von Zion“], Kiev 2001. Pierre-André Taguieff, Les „Protocoles des Sages de Sion“. Faux et usages d`un faux, Paris 2004. Zu Verbreitung und Rezeption der „Protokolle“ siehe den Artikel „Protokolle der Weisen von Zion“ in Band 4 des Handbuchs des Antisemitismus.

Protokolle Zions → Die Protokolle der Weisen von Zion

Przegląd Katolicki (Polen, 1863–1915)

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Przegląd Katolicki (Polen, 1863–1915) Die Warschauer Wochenzeitschrift „Przegląd Katolicki” [Katholische Rundschau] erschien in den Jahren 1863–1915. In späteren Jahren wurde sie noch zweimal neu aufgelegt (in der Zwischenkriegszeit und in den 1980er Jahren). Vor dem Ersten Weltkrieg blieb sie über lange Zeit hinweg das einzige katholische religiöse Periodikum im Polen des russischen Teilungsgebiets. In dieser Zeit unterlag es ständigem Eingriff zaristischer Gewalt und das sowohl seines Inhalts wegen als auch wegen der Redaktionsbesetzung. „Przegląd Katolicki“ wurde vom Priester Michał Nowodworski gegründet und initiiert. In dem von ihm zusammengestellten Redaktionsteam waren Vertreter der intellektuellen Elite des polnischen Klerus, Theologie-Professoren und spätere Bischöfe. Seit Anbeginn wurde dem Klerus die Wochenzeitschrift von der kirchlichen Obrigkeit empfohlen. Gleichzeitig bemühte sich die Zeitschrift, die Anzahl nichtgeistlicher Leser zu erhöhen. Hinsichtlich der Auflage (ca. 2.500 Exemplare) wich das Blatt von den führenden Wochenzeitschriften in Kongresspolen nicht ab. Ein wesentliches Merkmal von „Przegląd Katolicki” war die über die Hälfte des Jahrhunderts erhaltene Ideenkontinuität, unabhängig von den Veränderungen, die in Struktur und Inhalt vorkamen. Die angesprochene Problematik konzentrierte sich hauptsächlich auf seelsorgerische Fragen, die moralische Lage der Gläubigen und Themen des Klerus. Häufig thematisiert wurde auch die finanzielle Situation der katholischen Kirche. Programmatisch wurde festgehalten, dass die Zeitschrift ein Organ der katholischen Presse war, gerichtet an jene, die sich von „falschen Strömungen“ nicht betören ließen. „Przegląd Katolicki” sah ihre Aufgabe darin, neben dem Wort Gottes und der kirchlichen Lehren zusätzlich noch in der Gesellschaft atheistische, liberale, dekadente und sozialistische Tendenzen zu bekämpfen. Viel Raum widmete die Zeitschrift auch dem Freimaurertum, in dem sie eine Bedrohung der Moral der Katholiken sah. Mit der Zeit wurden die Juden von der Zeitschrift mit der Verantwortung für die bekämpften negativen Phänomene belastet. Ab Ende der 1870er Jahre griff „Przegląd Katolicki” öfter die Thematik der Juden auf. Vorurteile und Vorwürfe gegen Juden, die auf „traditionelle“, religiös begründete Argumentationen zurückgriffen, wurden artikuliert. Ab und zu erschienen Betrachtungen über die „tödliche Moral des Talmuds“, die „Frage des durch Juden für Rituale gebrauchten christlichen Bluts“, aber auch die wachsende Bedrohung der „Konfessionslosigkeit“ seitens des „modernen Judentums“. Die Zeitschrift drückte Zustimmung zu den gesellschaftlich-ökonomischen Voraussetzungen des antijüdischen Programms von Jan Jeleński aus. Sie sah darin ein einfaches Mittel für die Beseitigung des angeblich negativen Einflusses der Juden auf die christliche Gesellschaft. Gleichzeitig aber verdammte sie die vom → „Rola“-Herausgeber geförderte Regel des „Daseinskampfs“, indem sie sie als unchristlich bezeichnete. Dies war Folge des Misstrauens, das „Przegląd Katolicki“ dem zu diesem Zeitpunkt an Bedeutung gewinnenden Antisemitismus entgegenbrachte. Antisemitismus sah das Wochenblatt einerseits als ein Produkt des deutschen Protestantismus, andererseits aber als ein Element der Moderne, die dem Christentum feindlich gegenüberstand. „Przegląd Katolicki” wies als informelles Organ der Warschauer Kurie darauf hin, dass die einzige Lösung der „jüdischen Frage“ die „christliche Liebe“ und die Taufe der Juden seien. Als Beispiel

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Psst...! (Frankreich, 1898–1899)

jener Einstellung veröffentlichte die Wochenzeitschrift Briefe katholischer Würdenträger, die sich gegen Pogrome äußerten. Die Jahrhundertwende brachte eine wesentliche Änderung des Standpunkts von „Przegląd Katolicki“. Die Artikel enthielten immer öfter Elemente des bisher verdammten Sozialdarwinismus. Stimmen wurden laut, die von der „Scheinbarkeit“ der jüdischen Konversionen zum Christentum sprachen. „Przegląd Katolicki“ strebte danach, die judenfeindliche Haltung mit katholischen Regeln zu versöhnen, und um dies zu erreichen, engagierte sie sich für die Verbreitung der von Priester Marian Morawski formulierten Doktrin des „Asemitismus“ in ganz Kongresspolen. Das bisher verbreitete Bild des Juden wurde durch Elemente des modernen Antisemitismus ergänzt. Die jüdische Bevölkerung wurde als Quelle aller negativ bewerteten gesellschaftlichen Phänomene betrachtet. Es wurden ihr Liberalismus, kapitalistische Ausbeutung der Gesellschaft, Pornographie, Förderung der Trunksucht und die Armut polnischer Bauern, aber auch Antiklerikalismus, Atheismus und sozialistische Ideen vorgeworfen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich „Przegląd Katolicki” beim Aufruf zum Boykott jüdischer Waren.

Maciej Moszyński

Literatur Brian Porter, Making a Space for Antisemitism: The Catholic Hierarchy and the Jews in the Early Twentieth Century, in: Polin. Studies in Polish Jewry 16 (2003), S. 415–429. Ireneusz Kaczmarek, „Przegląd Katolicki“ w latach 1863–1915 [„Przegląd Katolicki“ in den Jahren 1863–1914], in: Przegląd Tomistyczny 3 (1987), S. 317–342.

Psst...! (Frankreich, 1898–1899) „Psst...!“ bezeichnet eine vier Seiten mit schwarz-weiß Karikaturen umfassende, satirische und dem Lager der Dreyfus-Gegner angehörende Wochenzeitung, deren erste Nummer (5. Februar 1898) als Reaktion auf den berühmten Artikel → „J’accuse...!“ von Émile Zola erschien. Darin hatte sich der Autor am 13. Januar 1898 auf der Titelseite von „L’Aurore“ an den französischen Staatspräsidenten Félix Faure gewandt. „Psst...!“ griff somit auf dem Höhepunkt der Dreyfus-Affäre in das Geschehen ein: Während der Offizier (Dreyfus) auf der Île du Diable inhaftiert war, wurde der wahre Schuldige, Ferdinand Walsin Esterházy, durch das Militärtribunal freigesprochen. In Sorge um die Aufrechterhaltung des Urteilsspruchs durch das Kriegsgericht gegen Dreyfus aus dem Jahr 1894 hatte der Generalstab die Entscheidung des Tribunals manipuliert. Herausgegeben von der Buchhandlung Plon, wurde die Zeitung von zwei der zu ihrer Zeit am meisten geschätzten französischen Karikaturisten gegründet: Emmanuel Poiré, genannt Caran d’Ache (1858–1909) – der manchmal auch mit Caporal Poiré unterzeichnete –, der sich leidenschaftlich für militärische Angelegenheiten begeisterte, und seinem Freund Jean-Louis Forain, überzeugter Monarchist und Katholik. Darüber hinaus erhielten die beiden Karikaturisten Unterstützung durch den Maler Degas und den Schriftsteller Maurice Barrès. Die Hauptzielscheiben eines antisemitischen Blattes, in dem sich satirische Besprechungen des Publikums mit widerlichen Karikaturen der auf der Seite von Dreyfus

Pugio fidei (Ramon Martí, 13. Jahrhundert)

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stehenden Protagonisten der Affäre abwechseln, waren selbstverständlich Alfred Dreyfus und Émile Zola. Dabei wendeten sich die Beiträge vor allem gegen diese „Intellektuellen“ (das Wort wurde von Clemenceau im Rahmen der Affäre entwickelt), die angeblich das Ansehen der Armee und der Nation beschmutzten. Die Juden wurden in diesem Zusammenhang als bestechliche, manipulative Kreaturen und ewige Unterstützer Deutschlands, als Frankreichs Feinde par excellence, dargestellt. So wurde Zola etwa als „erster Grenadier Preußens“ bezeichnet. Insgesamt erschienen 85 Ausgaben von „Psst...!“. Am 16. September 1899, nachdem das Kriegsgericht Dreyfus erneut „unter mildernden Umständen“ für schuldig befunden hatte (ein Urteil, das dennoch eine erste Etappe zum Freispruch des Verurteilten darstellt), wurde das Blatt eingestellt. Als eine Art Requiem schrieben Forain und Caran d’Ache in ihrer letzten Ausgabe: „In dem Moment, als sich eine unverschämte Koalition bildete, um über alles, das uns lieb und teuer ist, herzufallen, haben wir daran geglaubt, uns an dem Kampf beteiligen zu müssen. Natürlich mussten wir nicht die Armee verteidigen, die sich sehr gut selbst zu verteidigen weiß, aber wir wollten die Gruppe derer geißeln, die es sich erlaubt hat, die Armee anzugreifen. Heute wurde Recht gesprochen. Für die guten Franzosen ist die Debatte nun beendet. Wir verneigen uns vor dem Beschluss des Gerichts von Rennes, wir legen das Gewehr zurück in den Ständer und wir beenden nun die Publikation unserer Zeitung, überglücklich, wenn unsere Anstrengungen etwas zum endgültigen Ergebnis beigetragen haben.“

Didier Pasamonik Übersetzung aus dem Französischen von Marie-Christin Lux

Pugio fidei (Ramon Martí, 13. Jahrhundert) „Pugio fidei“ [Glaubensdolch] ist das letzte Werk des katalanischen Dominikaners Ramon Martí (Raimundus Martinus, gest. nach 1284). Als zweites seiner beiden antijüdischen Abhandlungen (das erste, „Capistrum Iudaeorum“ oder „Maulkorb der Juden“, schloss er 1267 ab) beendete er es 1278. Es ist nicht nur Martís umfangreichstes und am weitesten ausformuliertes Werk, sondern auch eines der elaboriertesten polemischen Bücher des Mittelalters. Es repräsentiert den Höhepunkt des dominikanischen Interesses an fremden Sprachen (insbesondere Arabisch und Hebräisch) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, eines Interesses, das in erster Linie der dominikanische Ordensmeister und Kirchenrechtler Ramon de Penyafort (gest. 1275) vertrat. Entsprechend dem Modell der Disputation von Barcelona im Jahre 1263, bei der der konvertierte Dominikaner Pau Cristià (Paulus Christianus, gest. 1274) argumentierte, dass der Talmud und die nachbiblische Literatur genutzt werden könnten, Juden grundlegende christliche Glaubensüberzeugungen zu beweisen, trug Martí Hunderte talmudische und rabbinische Quellen zusammen und arbeitete daran zahlreiche weitere Argumente aus. Im Prolog führt er aus, dass sich das Werk „hauptsächlich gegen Juden und dann gegen Sarazenen und andere Widersacher des wahren Glaubens“ („principaliter contra Iudeos deinde contra Sarracenos et quosdam alios adversarios verae fidei“) richte, und

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tatsächlich wendet sich der größere Teil des Werkes gegen Juden, in den Schlusskapiteln auch mit einem direkten Angriff auf jüdische Ideen und Traditionen. Der Text gliedert sich in drei Teile. Der erste, der ausführlich muslimische und christliche Philosophen zitiert und eine große Nähe zu Thomas von Aquins „Summa contra Gentiles“ [Summa gegen die Heiden] aufweist, befasst sich mit generellen dogmatischen Fragen wie dem Wesen der Erlösung, der Existenz Gottes und der Seele, der Kenntnis von Gott etc. Der zweite Teil ist ein Nachweis des christlichen Verständnisses des Messias, der vor allem auf jüdischen Quellen basiert, darunter der Bibel, dem Talmud, dem Midrasch und mittelalterlichen Kommentaren. Die meisten Zitate sind auf Hebräisch (oder Aramäisch und in einigen Fällen Arabisch) mit anschließender orginallateinischer Übersetzung wiedergegeben. Der dritte Teil behandelt die Dreifaltigkeit, die Schöpfung und die Erlösung und basiert wiederum hauptsächlich auf jüdischen Belegtexten, die sowohl im Original als auch in der Übersetzung zitiert sind. Martí ist sehr auf die Authentizität seiner Zitate und die Genauigkeit seiner Übersetzungen bedacht und begründet dies damit, dass bei dieser Zitierweise der Texte die Juden „kaum werden sagen können, dass [der Text] so für sie keine Gültigkeit habe“ („minime poterunt dicere, non sic haberi apud eos“). Obwohl der Text einen virulenten Angriff auf den jüdischen Glauben darstellt, überliefert er glücklicherweise aber auch eine große Auswahl rabbinischer und mittelalterlicher jüdischer Schriften, einige Texte in ergänzender, andere in unbekannter Fassung. Eines von Martís Hauptargumenten lautet, dass die frühen Rabbiner wussten, dass Jesus der Messias, der in der jüdischen Tradition erwartet wurde, war und sie diese Wahrheit im Talmud und in frühen rabbinischen Schriften, die infolgedessen als Belegtexte in Disputen gegen Juden vorgebracht werden könnten, anerkannten. Nichtsdestotrotz weigerten sie sich aus einer bewussten Häresie und der Verleugnung Gottes und seiner Lehren heraus, Jesus anzuerkennen. Martí unterscheidet zwischen den Israeliten der Bibel und den Juden der talmudischen und mittelalterlichen Periode und argumentiert, dass die Rabbiner und die „Iudei moderni“ zu Recht für ihre Untreue mit Exil und Diaspora bestraft worden seien. Zwölf erhaltene Manuskriptkopien des Pugio sind gegenwärtig bekannt (zwei aus dem 17. Jahrhundert). Während beide Manuskripte des 17. Jahrhunderts alle drei Teile des Textes sowie die hebräischen Texte und ihre lateinischen Übersetzungen enthalten, ist nur ein mittelalterliches Manuskript genauso vollständig überliefert (Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, möglicherweise eine Abschrift der Originalhandschrift). Zwei weitere mittelalterliche Abschriften bewahren Teile der Originalzitate, die verbliebenen Manuskripte dagegen nur Teile des lateinischen Textes. Am bekanntesten ist das Werk in zwei fehlerhaften Drucken des 17. Jahrhunderts, die aus unvollständigen Manuskripten zusammengesetzt wurden. Eine neue kritische Ausgabe des Textes ist derzeit in Vorbereitung.

Ryan Wesley Szpiech Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Robert Chazan, Daggers of Faith. Thirteenth-Century Christian Missionizing and Jewish Response, Berkeley 1989.

Putnik po cijelom svijetu (Kroatien, 1907–1908)

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Jeremy Cohen, The Friars and the Jews: The Evolution of Medieval Anti-Judaism, Ithaca 1982. Görge K. Hasselhoff, Dicit Rabbi Moyses: Studien zum Bild von Moses Maimonides im lateinischen Westen vom 13. bis zum 15 Jahrhundert, Würzburg 2004. Raymundus Martinus (Ramón Martí), Pugio Fidei adversus Mauros et Iudaeos, Leipzig 1687. Faksimileausgabe, Farnsborough 1967. Ina Willi-Plein, Thomas Willi (Hrsg.), Glaubensdolch und Messiasbeweis: die Begegnung von Judentum, Christentum und Islam im 13. Jahrhundert in Spanien, Düsseldorf 1980.

Putnik po cijelom svijetu (Kroatien, 1907–1908) Der in den 1860er Jahren in Divoselo/Kroatien geborene Lehrer Milan Obradović gab die zwischen April 1907 und Oktober 1908 unregelmäßig erscheinende antisemitische Zeitschrift „Putnik po cijelom svijetu“ [Der Weltreisende] in Zagreb heraus. Die Zeitschrift trug den Untertitel „Wissenschaftlich–unterhaltsames–belehrendes Blatt“. Obradović war zudem Eigentümer und Chefredakteur. Er gab an, in Amerika gelebt zu haben, sich besonders gut mit Fragen und Problemen der Ein- und Auswanderer auszukennen, und widmete die ersten Ausgaben hauptsächlich der Thematik der Auswanderung. Gleichzeitig erschienen Artikel mit judenfeindlichem Inhalt, die im Laufe der nächsten Monate ausführlicher wurden. Schließlich agitierte die Zeitschrift spätestens seit September 1907 offen antisemitisch. Ihre Angriffe und Beleidigungen gegen die Juden führten auch dazu, dass die Abteilung für Innere Angelegenheiten den Verkauf der Zeitung auf Zagrebs Straßen und Plätzen verbot. Dies bewog den Herausgeber jedoch keinesfalls dazu, antisemitische Artikel zu reduzieren. Im Gegenteil, in nahezu jeder Ausgabe wurden Juden beschuldigt, die Christen zu betrügen, Mädchenhandel und Wucher zu betreiben und gemeinsam mit den Ungarn kroatische politische Interessen zu desavouieren. Obradović ging es vor allem darum, den Zusammenhalt zwischen Serben und Kroaten als Christen zu propagieren, die wiederum gemeinsam und explizit als Christen gegen die Juden aufstehen und kämpfen müssten. Die Ausgaben bis Januar 1908 waren mit „Milan Obradović, Amerikaner“ gezeichnet, dann änderte der Herausgeber und alleinige Redakteur sein Signum in „Milan Obradović, Antisemit“. So feierte die Zeitschrift im April 1908 offen und stolz das „Einjährige Bestehen der antisemitischen Arbeit“ und Obradović stilisierte sich und seine Zeitschrift zu beherzten Verteidigern des Christentums. Er rief zum Boykott jüdischer Geschäfte auf und beleidigte direkt und persönlich einige kroatische Juden. Einer von ihnen, der Zagreber Händler Leopold Schwartz, ließ sich die Beleidigungen nicht gefallen und verprügelte Obradović inmitten eines bekannten Kaffeehauses. Die kroatische zionistische Zeitschrift „Židovska smotra“ [Jüdische Rundschau] nannte den „Putnik“ im Mai 1908 „ein Sumpfblatt“, „böswillig und primitiv“. Am 15. Oktober 1908 erschien die letzte Ausgabe des „Putnik“, die allerdings nicht als die letzte ausgegeben wurde. Darin erklärte Obradović lediglich, dass Juden, der Stadtmagistrat und die Polizei das Erscheinen der Zeitschrift „stören“ würden. Er selbst schien sich offensichtlich von seinen Lesern mit einer persönlichen Fotografie,

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Ragnarok (Norwegen, 1935–1945)

unterschrieben mit „Milan Obradović, erster, öffentlicher und wichtigster Förderer der antisemitischen Strömung in Kroatien“, verabschiedet haben zu wollen. Obwohl der antisemitische „Putnik“ eingestellt wurde, betätigte sich Obradović bis in die 1920er Jahre als antisemitischer Publizist. Er veröffentlichte mindestens zwanzig judenfeindliche Broschüren, in denen die jüdische Religion diffamiert, an das christliche Bewusstsein der Kroaten und Serben appelliert wurde und in denen die Juden als Wucherer, Ausbeuter und Verschwörer beschimpft wurden. Welchen Wirkungsgrad Obradović mit seiner Zeitschrift und den Broschüren tatsächlich erreichte, ist bisher nicht bekannt. Nach eigenen Angaben erschienen manche Ausgaben des „Putnik“ in einer Auflage von 5.000 Exemplaren, was für den kroatischen Pressemarkt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine beträchtliche Größe gewesen wäre und daher eher als propagandistische Unwahrheit abgetan werden muss. Obradović starb 1944 in Derventa, Bosnien-Herzegowina.

Marija Vulesica

Literatur Divna Zečević, Pučki pamfleti Milana Obradovića [Volkstümliche Pamphlete des Milan Obradović], in: Radovi 30 (1997), S. 198–208. Ivo Goldstein, Antisemitizam u Hrvatskoj, in: Ognjen Kraus (Hrsg.), Antisemitizam, Holokaust, Antifašizam, Zagreb 1996, S. 12–53.

Die Quintessenz der Judenfrage → Der Reichs-Herold

Ragnarok (Norwegen, 1935–1945) Die von 1935 bis 1945 monatlich erschienene radikal nationalsozialistische, pangermanisch-neuheidnische Zeitschrift „Ragnarok“ war Sprachrohr der Renegaten der norwegischen pronationalsozialistischen Partei Nasjonal Samling. Die Etablierung der Zeitschrift resultierte aus den internen ideologischen und politischen Konflikten, die die Partei seit der Gründung 1933 geprägt hatten. Herausgeber von „Ragnarok“ war der Sozialökonom und Schiffsmakler Hans Solgaard Jacobsen (1901–1980), der der Nasjonal Samling 1933 zwar beigetreten war, sie aber bereits 1935 wieder verließ, da er ihr politisches Profil als zu bürgerlich-konservativ und wenig radikal ansah. Darüber hinaus bestand ein erheblicher Konflikt zwischen ihm und dem Parteichef Vidkun Quisling, der seiner Ansicht nach nicht der geeignete „Führer“ für den norwegischen Nationalsozialismus war. Im Kreis um „Ragnarok“ sammelten sich politische Gegner der Nasjonal Samling, die der Partei teilweise angehört hatten, sie aber aufgrund der internen Konflikte im Verlauf der 1930er Jahre wieder verließen. Hierzu zählten der Jurist Albert Wiesener, der sich während der deutschen Okkupation Norwegens einen Namen als Verteidiger norwegischer Widerstandskämpfer machte, der Jurist Otto Sverdrup Engelschiøn, „Ragnarok“-Redakteur im Frühjahr und Sommer 1940, der in der Okkupationszeit dem norwegischen militärischen Widerstand Milorg angehörte, der spätere norwegische SS-Freiwillige Per Imerslund, der bekannte Komponist Geirr Tveit sowie der Journalist und Künstler Stein Barth-Heyerdahl und der frühere Propagandachef der Nasjonal Samling, Walter Fyrst, die beide – wie auch Jacobsen – nach der Okkupation

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Norwegens 1940 der Partei wieder beitraten. Die Mehrzahl der Anhänger des sogenannten Ragnarok-Kreises unterhielt persönliche Verbindungen nach Deutschland und war hier politisch geprägt worden. Hans S. Jacobsen hatte in den 1920er Jahren am Institut für Weltwirtschaft in Kiel studiert und verfügte über eine Reihe von politischen und ideologischen Netzwerken in Deutschland. Seit den 1930er Jahren stand er in enger Verbindung mit dem Leiter der Deutschen Glaubensbewegung Jakob Wilhelm Hauer, war mit dem bekannten Künstler sowie NSDAP- und späteren SS-Mitglied Arno Waldschmidt befreundet und unterhielt Kontakt zu Heinrich Himmler. Sowohl in der Zeitschrift „Ragnarok“ als auch in ihrem Umfeld war der Begriff „Rasse“ die wichtigste ideologische, religiöse und politische Kategorie. Für die Anhänger des Ragnarok-Kreises waren die vermeintliche Rassenzugehörigkeit und der Kampf zwischen den Rassen das zentrale historische und politische Erklärungsmodell. Ihr Ziel war eine fundamentale soziale, politische, religiöse und kulturelle Gesellschaftsänderung, in Übereinstimmung mit den Rasseneigenschaften des norwegischen Volkes. In diesem Zusammenhang sahen sie die „Reinigung“ der norwegischen Kultur von artfremden Ideen als notwendig an. Die christliche Religion sollte durch einen neuheidnischen Glauben ersetzt, die Gesellschaft nach sozialistischem Prinzip mit Planwirtschaft und basierend auf einer reinrassigen Volksgemeinschaft neu organisiert werden. Anstelle eines Nationalstaates sollte die germanische beziehungsweise nordische Rasse in einem Reich gesammelt werden. Die radikale rassische Orientierung des Ragnarok-Kreises beinhaltete auch, dass die Zeitschrift eine konsequent antisemitische Linie vertrat. In ihrem konspirativen Weltbild wurde „der Jude“ als ewiger Gegner der nordisch-germanischen Rasse verstanden. Dennoch äußerten sich zentrale Vertreter des Kreises wie Jacobsen gegen die Novemberpogrome 1938, die sie als „ungermanische“ Vorgehensweise ansahen. Bis zur Okkupation Norwegens betrachtete der Ragnarok-Kreis es als eine seiner wichtigsten Aufgaben, eine radikal nationalsozialistische Opposition zur Nasjonal Samling zu bilden. Die Zeitschrift erschien mit einer Auflage von ca. 3000 Exemplaren und konnte profilierte Autoren wie den Schriftsteller und ehemaligen Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hans Friedrich Blunck, den Leiter der Kulturabteilung der Nordischen Gesellschaft in Lübeck Fred Domes, den früheren Vizevorsitzenden der Nasjonal Samling Johan Bernhard Hjort und den „Parteiphilosophen“ der Nasjonal Samling Herman Harris Aall vorweisen. 1936 erhielt „Ragnarok“ finanzielle Unterstützung durch die Nordische Verbindungsstelle im Reichspropagandaministerium in Höhe von 500 Reichsmark. Nach der Okkupation Norwegens und Quislings Putschversuch am 9. April 1940 versuchte der Kreis um „Ragnarok“, die Regierungsübernahme der Nasjonal Samling zu verhindern. Im Sommer 1940 reiste Jacobsen zu einem Treffen mit Himmler nach Deutschland, um diesen davon zu überzeugen, gegen die Bildung einer Kollaborationsregierung, basierend auf der Nasjonal Samling, vorzugehen. Nachdem die Partei im Zuge der nationalsozialistischen Neuordnung am 25. September 1940 die norwegische Regierung bildete, trat Jacobsen erneut in die Nasjonal Samling ein, um sie von innen heraus zu reformieren. Bis zum Ende des Krieges war er Fykesfører (Art Gauleiter) in Østfold (norwegische Verwaltungseinheit).

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Rasse (Adolf Bartels, 1909)

Obwohl die Zeitschrift „Ragnarok“ während der Okkupationszeit der Zensur unterlag, behielt sie ihre radikale pangermanische Linie bei. Als Publikationskanal für Kritiker innerhalb der Nasjonal Samling kam sie wiederholte Male in Konflikt mit dem Kollaborationsregime und der deutschen Besatzungsmacht, konnte aber aufgrund von Jacobsens Verbindungen weiter herausgegeben werden.

Nicola Karcher

Literatur Terje Emberland, Religion og rase. Nyhedenskap og nazisme i Norge 1933–1945 [Religion und Rasse. Neuheidentum und Nazismus in Norwegen 1933–1945], Oslo 2003. Terje Emberland, „Hvilken Pangermanisme? Ragnarok-kretsen, SS og Ahnenerbe“ [Welcher Pangermanismus? Der Ragnarok-Kreis, SS und Ahnenerbe], in: Jakten på Germania. Fra Nordensvermeri til SS-arkeologi [Auf der Jagd nach Germania. Von Nordenschwärmerei zu SS-Archäologie], hrsg. von Terje Emberland und Jorunn Sem Fure, Oslo 2009, S. 227–243. Nicola Karcher, Zwischen Nationalsozialismus und nordischer Gesinnung. Eine Studie zu den rechtsgerichteten Verbindungen norwegisch-deutscher Milieus in der Zwischenkriegszeit, Diss. Universität Oslo 2012. Øystein Sørensen, Hitler eller Quisling. Ideologiske brytninger i Nasjonal Samling 1940– 1945 [Hitler oder Quisling. Ideologische Brüche in der Nasjonal Samling 1940–1945], Oslo 1989.

Rasse (Adolf Bartels, 1909) Adolf Bartels (1862–1945), ein überzeugter Nationalsozialist und bekennender Antisemit, veröffentlichte 1909 in der Hanseatischen Druck- und Verlagsanstalt in Hamburg (→ Hanseatische Verlagsanstalt) den Band „Rasse. Sechzehn Aufsätze zur nationalen Weltanschauung“ (199 S.). In diesem Band präsentiert er in einer Auswahl von Artikeln (erschienen 1901 bis 1908 in der „Deutschen Welt“) sein völkisch-nationales und antisemitisches Weltbild und versucht, dessen vermeintliche Logik pseudowissenschaftlich zu begründen und mit missionarischem Eifer den Leser von der Notwendigkeit seiner Anschauungen zu überzeugen. Die Artikelanfänge sind jeweils mit einer Jugendstilvignette verziert, die sie zunächst harmloser erscheinen lässt, als sie dann inhaltlich sind. Auf den zweiten Blick bemerkt man die oft plumpe Symbolik der einleitenden Sinnbildchen: z. B. die Darstellung eines heroischen Bismarck in strahlendem Sonnenschein gegenüber einer als jüdisch gekennzeichneten Schlange im Dunklen. Häufig beginnt Bartels seinen Artikel mit dem Zitat eines von ihm erkorenen Gegners, seien es Sozialdemokraten, Nicht-Antisemiten oder aber auch Gesinnungsgenossen, die seines Erachtens den notwendigen völkisch-antisemitischen Erkenntnisgrad noch nicht erreicht haben. Er zitiert, kritisiert oder behandelt u. a. Arthur de Gobineau, Houston Stewart Chamberlain, Friedrich Lange, Friedrich Nauman, den „Vorwärts“, Graf Bülow, August Bebel, Heinrich Heine, Friedrich Hebbels und Richard Dehmel. Seine Texte richten sich an ein gleichgesinntes und dennoch zu belehrendes Publikum. Dieser Zielgruppe versucht Bartels, anhand verschiedener Themenfelder die Lage der deutschen Kultur und Politik, den Wert der Heimat, die allgemeine Bedrohung

Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung (1934–1944)

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durch das Judentum und die nationale Bedeutung der Rassenlehre zu erläutern. In Artikel I „Volk und Kunst“ spannt er den Bogen zu der auch von ihm geforderten Blutreinheit, bezieht sich auf den von ihm verehrten Gobineau und erteilt den Kunstinstituten in Deutschland die Aufgabe, die „gutrassigen Elemente des Volkes“ gegenüber den „schlechtrassigen“ zu fördern. In Artikel II mahnt er an, dass die deutsche Literatur nicht ausreichend deutsch-national ausgerichtet sei, und an anderer Stelle beschreibt er die Entwicklung hin zu einem von ihm gewünschten nationalen Selbstbewusstsein, das sich aus deutschen Werten und Traditionen und kulturellen Errungenschaften speisen soll. Noch direkter und ausführlicher lässt sich Bartels in den Artikeln III, VII, XIV und XVI zu seiner Gesinnung aus, indem er Appelle an den deutschen Rassenstolz formuliert und in dem Kapitel mit dem Titel „Rassenzucht“ seine Bewunderung für die „Intelligenz der Juden bei der Reinhaltung ihrer Rasse“ ausdrückt und ihnen im Anschluss einen ausgeklügelten Plan, nicht nur für die angebliche Reinhaltung der eigenen Rasse, sondern auch für die forcierte Verschmutzung des deutschen Blutes attestiert. Die Sozialdemokratie wird in Kapitel IV abgehandelt. Des Weiteren widmet sich Bartels langatmig einem von ihm empfohlenen, wieder zu entdeckenden deutschen Heimatgefühl und möchte dieses über die Kultur stärken, denn „Kultur ist immer national, es gibt das Wesen eines Volkes aber nicht das Wesen der ganzen Menschheit“. In Kapitel V fordert Bartels eine Literaturgeschichte, die die Bedeutung der Rasse berücksichtigt, ein Projekt, dem er sich selbst mit Eifer und Ausdauer widmete und für das er von den Nationalsozialisten hoch gelobt wurde. Alle hier versammelten Texte Adolf Bartels spiegeln seine völkisch-nationale Gesinnung und gleichermaßen seinen Glauben, andere über seine Weltsicht aufklären und von dieser überzeugen zu müssen. Stilistisch fällt Bartels häufig in ein an das Gemeinschaftsgefühl appellierendes „Wir“, wenn er sein Publikum zu beschwören versucht. Seine Artikel erinnern aufgrund ihres Aufbaus, ihres Inhalts und Stils an Reden für Stammtischrunden und rechtsradikale Vereinstreffen. Kompakt gesammelt, trifft in dieser Veröffentlichung Überheblichkeit, Verbohrtheit und fanatischer Eifer eines Vorreiters und Vorbildes der nationalsozialistischen Ideologie zusammen.

Katharina Kretzschmar

Literatur Karl Otto Conrady, Literatur und Germanistik als Herausforderung. Skizzen und Stellungnahmen, Frankfurt am Main 1974.

Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung (1934–1944) Die Zeitschrift „Rasse. Monatsschrift der Nordischen Bewegung“ erschien von 1934 bis 1944, zunächst wurde sie vom Nordischen Ring herausgegeben, nach Übernahme desselben durch die Nordische Gesellschaft von dieser. Neben Senator Dr. R. von Hoff zählten auch Prof. Dr. Hans F. K. Günther und Dr. L. F. Clauß zu den Herausgebern. Die Zeitschrift erschien zwölfmal im Jahr mit je 30 Seiten Text und 3 bis 5 Seiten Bildmaterial, verlegt wurde sie im Verlag B. G. Teubner in Leipzig. Hans F. K. Günther, der den Nordischen Gedanken, den „Gedanken der Vorbildlichkeit des nordischen Menschen für die Auslese der nordisch-bedingten Völker“, vertrat und als

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Rasse und Judentum (Karl Kautsky, 1914)

„Rassepapst“ von den Nationalsozialisten gefördert und geehrt wurde, schrieb ebenso wie Clauß, der bereits 1929 sein Werk „Rasse und Seele“ publiziert hatte, für die Zeitschrift. Erklärtes Ziel der Zeitschrift war, „im Dienst des nordischen Gedankens in rassenseelischer wie rassenkörperlicher Betrachtung in umfassender Zusammenschau sämtliche Fragen der Rassenkunde und Erbforschung auf allen Gebieten der Geistes- und Naturwissenschaften, des Staatslebens und der Gesittung“ zu erörtern. Die Zeitschrift diente der nordischen Bewegung in Deutschland und im Ausland. Genutzt wurde die Monatsschrift zur Verbreitung rassistischer Überlegungen. Die vier Hauptthesen waren dabei: 1. Es existiert eine nordische Rasse, die sich als die wertvollste und unersetzlichste unter den Rassen auszeichnet. 2. Diese wertvollste Rasse ist bedroht von anderen, minderwertigen Rassen, und zwar durch physischen Tod, durch Durchmischung und Durchsetzung mit anderen, vermeintlich minderwertigen Rassen und durch fremdrassische Einflüsse. 3. Sollte die nordische Rasse untergehen, bedeutet dies auch den Untergang des Abendlandes, beziehungsweise der Kultur generell. 4. Um diesem Untergang vorzubeugen, muss eine „Aufartung“ und „Aufnordung“ erfolgen. Neben dem Thema der Rassehygiene beschäftigte sich die Zeitschrift „Rasse“ mit rassebiologischen Fragen, geopolitischen Problemen und grundsätzlichen Wechselwirkungen und Zusammenhängen von Kultur und Rasse. Neu an dem Ansatz von Clauß und Günther war die extreme Wertung der Rassen und der Versuch, durch „Mehrung der höherwertigen Erbanlagen“ bzw. „Hemmung der Fortpflanzung der Erblich-Minderwertigen“ eine überlegene Rasse zu züchten. Dies stieß bei anderen Vertretern des Nordischen Gedankens auf Kritik, führte aber in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer großen Popularität der Autoren. Antisemitismus gehörte im engeren Sinne nicht zu den Themen der Zeitschrift.

Angelika Benz

Literatur Brigitte Almgren, Jan Hecker-Stampehl, Ernst Piper, Alfred Rosenberg und die Nordische Gesellschaft. Der „nordische Gedanke“ in Theorie und Praxis, in: NORDEUROPAforum. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 2 (2008), S. 7–51.

Rasse und Judentum (Karl Kautsky, 1914) Karl Kautsky (1854–1938), tschechisch-deutscher politischer Schriftsteller und Theoretiker der marxistischen Arbeiterbewegung, befasste sich in zahlreichen Abhandlungen mit der „jüdischen Frage“, den Ursachen des Antisemitismus und den Wegen seiner Überwindung. Systematisch legte Kautsky seine Gedanken in der Broschüre „Rasse und Judentum“ dar, die 1914 als Ergänzungsheft zur „Neuen Zeit“, dem theoretischen Organ der SPD, erschien. Eine zweite, erweiterte Auflage kam 1921 heraus. Die beiden Schwerpunkte der Arbeit sind Überlegungen zur Frage, ob die Juden eine Rasse, eine Nation oder eine sonstige Gemeinschaft seien, besonders thematisiert war das Problem des Zionismus. Hatte Kautsky die Juden im Jahre 1890 als eine „Nation“ bezeichnet, meinte er 1903, sie hätten mit dem Untergang ihres Staatswesens in Palästina aufgehört, eine solche zu sein. 1908 nannte er sie eine „Kaste“.

Rasse und Judentum (Karl Kautsky, 1914)

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So bezeichnete er die Juden auch in seiner Schrift „Rasse und Judentum“. Doch besäßen die osteuropäischen Juden „den Schein einer jüdischen Nationalität“; die jüdische Kultur und Literatur seien „Produkte und Mittel eines regen nationalen Lebens der russischen Juden“. Ihre kulturelle Entfaltung sei jedoch nur vorübergehend, denn, so Kautsky, „das, was man die jüdische Nation nennt, kann nur siegen, um unterzugehen“. Erst mit dem Sieg der sozialistischen Revolution würden die Bedingungen für die nationale Absonderung der Juden dahinschwinden und ihre Assimilation werde eingeleitet. Dann könne auch dem Antisemitismus die Existenzgrundlage entzogen werden. Kautsky war sich jedoch über die Hindernisse im Klaren, die der von ihm gewünschten Assimilation der Juden an die nichtjüdische Bevölkerungsmehrheit entgegenstanden. Im Hinblick auf die jüdische Massenmigration nach Westeuropa, Nordamerika und Palästina schrieb er: „Wenn trotzdem das Wirken der Assimilation anscheinend zum Stillstand gekommen ist und das Judentum als gesonderte Volksschicht an Boden nicht verliert, ist dies der Bewegung zuzuschreiben, die die Juden Osteuropas ergriffen hat.“ Das bedeutete aber keine Zustimmung Kautskys zum Zionismus. Dieser würde die jüdische Frage nicht lösen, sondern sie vielmehr auf den Nahen Osten ausweiten. In Palästina würden die zionistischen Anstrengungen lediglich ein neues Ghetto, ein „Weltghetto“, hervorbringen. „Gewiss“, schrieb er, „die Lage der russischen und rumänischen Juden ist eine verzweifelte, sie ist unerträglich. Aber die Frage ist nicht die, ob sie in Palästina besser leben würden als heute in Russland, sondern ob die Gründung eines jüdischen Gemeinwesens dort ihnen bessere Aussichten bietet als die russische Revolution oder auch nur die Auswanderung nach England oder Amerika.“ Palästina sei zu klein, um auch nur alle osteuropäischen Juden aufzunehmen, es fehle an Mitteln für eine ausreichende landwirtschaftliche Produktion, und noch weniger als andere Völker seien die an ein städtisches Leben gewöhnten Juden imstande, Bauern zu werden. Zudem fehle den Zionisten für großangelegte Projekte zur Industrialisierung Palästinas das wirtschaftliche Hinterland. In der zweiten Auflage schrieb Kautsky, ein Gegner der Bolschewiki, nicht mehr von der russischen Revolution, sondern von der „Revolution im eigenen Lande“. Er kritisierte nunmehr auch, dass in den zionistischen Berechnungen „die arabische Bevölkerung meist völlig ignoriert oder als ein Umstand behandelt [wird], um den man sich nicht viel zu kümmern braucht. Nur gelegentlich erinnert man sich der Tatsache, dass Palästina bereits ein besiedeltes Land ist. Dann nimmt man einfach an, dass seine bisherigen Bewohner verdrängt werden, um den zuziehenden Juden Platz zu machen.“ Nach dem Ersten Weltkrieg, der Balfour-Deklaration und der Errichtung der britischen Mandatsherrschaft in Palästina erkannte Kautsky „die Abhängigkeit der jüdischen Kolonisation von den siegreichen europäischen Großmächten und [den] Gegensatz der Kolonisation zum Arabertum“. Er fürchtete, der Zionismus setze das Leben der palästinensischen Araber, aber auch das der eingewanderten Juden aufs Spiel und warnte davor, dass in Palästina „Pogrome mit größter Macht einsetzen werden, wenn das zionistische Programm auch nur einigermaßen zur Ausführung kommt“. Er schrieb diese Zeilen vor dem Hintergrund erster arabisch-jüdischer Zusammenstöße

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Rassebüchlein für die deutsche Jugend (Rudolf Wiggers, 1936)

im April 1920 und am 1. Mai 1921. Kautskys scharfer Kritik am Zionismus lagen keinerlei antijüdische Ressentiments zugrunde, sondern die Sorge um eine friedliche Existenz der Juden inner- wie außerhalb Palästinas.

Mario Keßler

Literatur Jack Jacobs, Kautsky on the Jewish Question, Ph.D. Thesis, Columbia University, New York 1983. Jack Jacobs, Sozialisten und die „jüdische Frage“ nach Marx, Mainz 1994. Mario Keßler, Zionismus und internationale Arbeiterbewegung 1897–1933, Berlin 1994. Enzo Traverso, Die Marxisten und die jüdische Frage. Geschichte einer Debatte (1843– 1943), Mainz 1995.

Rassebüchlein für die deutsche Jugend (Rudolf Wiggers, 1936) Das „Rassebüchlein für die deutsche Jugend“ von Rudolf Wiggers, ein Heft von 31 Seiten, erschien 1936 in Berlin bei Beenken. Der Autor, ein promovierter Altphilologe und Studienrat aus Rostock, war Gausachbearbeiter für Rassefragen im Nationalsozialistischen Lehrerbund Mecklenburgs und zugleich Mitarbeiter der „Sammel- und Austauschstelle des rassenpolitischen Schrifttums“ in Dresden. Bemerkenswert am „Rassebüchlein“ ist die Synthese von rassenpsychologischen, historischen und naturwissenschaftlichen Rassenkonzepten im Jugendbuch, eingeführt über einen Märchenvergleich und verbunden mit einem radikalen Erlösungsantisemitismus, der endzeitliche Züge annahm. Die meisten pädagogisch schreibenden Antisemiten der NS-Zeit hatten in den historischen Bezügen ihrer Texte deutsche und jüdische Geschichte aus einer verzerrten antisemitischen Perspektive als faktische Geschichte neu erzählt. Diese Narrative waren nur schwerlich mit einer in sich kohärenten rassenpsychologischen Erzählung in Verbindung zu bringen. Mit dem „Rassebüchlein“ liegt eine solche Erzählung mit jugendlicher Ansprache vor. Am Beginn des „Rassebüchleins“ wurden auf der Basis klassischer Motive deutscher Märchen und Erzählungen aus 1001 Nacht „rassische Charaktere“ von „Fremdrassen“ und von „Rassen des deutschen Volkes“ konstruiert und die Charaktere mit „rassenseelenkundlichen“ Fotografien bebildert. Es entstand eine Bilderwelt von rassistischen Typologien: Beschreibungen eines „deutschen Typus“ griffen auf bekannte deutsche Heldensagen zurück, während mit orientalisierten Zerrbildern unter Rückgriff auf die rassenpsychologischen Theorien von Ludwig F. Clauß ein doppelter Typus von „Fremdrassen“, nämlich des „vorderasiatischen“ und „orientalischen“ Juden entworfen wurde. Motive des Geschichtenzyklus aus 1001 Nacht wurden aus einer antisemitischen Perspektive neu gedeutet. Leitfaden der einführenden Erzählungen war die Frage nach dem Weg zu Reichtum und gesellschaftlicher Macht. Die deutschen Protagonisten hätten, so der Autor, für große Schätze immense Leistungen und furchtlose Kämpfe bestehen müssen, während den orientalischen Figuren, die im Textverlauf zum Juden werden, Reichtum ohne nennenswerte Leistung zugefallen sei. Die Neuerzählungen gipfelten in Begegnungen der „jüdischen“ Protagonisten mit „nordischen“ Helden, deren schmale, eher als küchenpsychologische Interpretation daherkommende Dramaturgie den behaupteten Hass der Juden auf die blonden Ger-

Rassebüchlein für die deutsche Jugend (Rudolf Wiggers, 1936)

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manen in bildhafter Sprache schlüssig erklären sollte. Die zweifache Rahmenerzählung endet mit der Aufforderung, alle Stichworte jener Erzählung als Nachweis „rassenseelischer“ Eigenschaften der „vorderasiatischen und orientalischen Rasse“ anzusehen. Um diese Typologien an konkrete politische Kontexte, Normen und Verhaltensanforderungen anzuschließen, erfolgte im Anschluss ein Parforce-Ritt durch die Geschichte von der Antike bis bin zur nationalsozialistischen Machtübernahme. Anhand kruder rassistischer bzw. antisemitischer Interpretationen historischer Ereignisse sowie detaillierter körperlicher oder psychologischer Beschreibungen wurden die in der Rahmenerzählung konstruierte jüdische Wesensidentität einerseits und die Gegensätze zwischen „nordischer Rasse und ihren Einschlagsrassen“ und den jüdischen „Fremdrassen“ andererseits bestätigt. Zwei rassistische Konstruktionen, die des „Herrenvolkes“ und die der „Rassenmischung“, die zu dessen Untergang führen würde, bestimmten den weiteren Text. Die Träger der konstruierten „nordischen Charaktere“ wurden als Soldaten, Politiker oder freie Bauern beschrieben, die sich durch Heldentum, Kampfbereitschaft, Selbstaufgabe und Ehrgefühl auszeichneten: alles Typologien, die den jugendlichen Leser emotional und ästhetisch zur positiven Identifikation einladen sollten. Die antisemitische Gegenerzählung beruhte auf dem Vorwurf der mit verbrecherischer Absicht der gezielten „Rassenmischung“ erfolgten Assimilation der deutschen Juden. Dieses „Verbrechen“ wird im fortlaufenden Text anhand von mehreren antisemitisch aufgeladenen Themenkomplexen markiert. Wiggers entwarf das Bild des hedonistischen und kapitalistischen Juden, der durch Wucher „den Bauern“ seiner wirtschaftlichen Existenz berauben würde. Diese Figur wurde geschickt mit antibolschewistischen Argumenten verbunden, da das Ziel „des Juden“, die restlose Beseitigung eines freien Bauernstandes, in Russland schon verwirklicht sei. Zugleich postulierte der Autor eine vermeintlich kulturelle Bedrohung der Familie durch das „jüdische“ Idealbild der aufstiegs- und konsumorientierten bürgerlichen Kleinfamilie, das eine rapide Abnahme der Bevölkerung zur Folge hätte. Als „schlimmste Lehre des Juden“ sei jedoch nach Wiggers die politische Idee der Gleichheit aller Menschen anzusehen. Mit der Vererbungslehre könne jene Irrlehre widerlegt und zugleich könnten völkische Bindungen zu den Vorfahren geschaffen werden. Zudem sah Wiggers das Einheiraten von Juden in die Mehrheitsbevölkerung als beabsichtigte und irreversible jüdische Kontamination zukünftiger Generationen. Das „Rassebüchlein für die deutsche Jugend“ ist in einer brachialen Anschlagsrhetorik verfasst. Im Rückgriff auf eine „nordische Antike“ betonte Wiggers die Priorität der Judenvernichtung als ersten Schritt hin zur erhofften Renaissance eines vormodernen Rassenstaates. Die Inszenierung Hitlers als Erlöser ist hier von zentraler Bedeutung. Erst dessen antisemitische Radikalität habe den neuen Rassenstaat ermöglicht, der durch weitere Maßnahmen der Rassenhygiene, der Geburtenförderung und der Revitalisierung bäuerlicher Lebenswelten ausgebaut werden sollte.

Matthias Schwerendt

Literatur Matthias Schwerendt, Rudolf Wiggers „Rassebüchlein für die Jugend“. Radikaler Antisemitismus und völkische Orientbilder in antisemitischen Lektüren für den nationalsozialisti-

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Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther, 1922)

schen Unterricht, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur, Berlin 2010, S. 133–159.

Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther, 1922) Mit den Büchern „Rassenkunde des deutschen Volkes“ (1922), dessen Kurzfassung „Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes“ (1928) sowie der „Rassenkunde Europas“ (1929), der eine → „Rassenkunde des jüdischen Volkes“ (1929) folgte, vertrat Hans F. K. Günther eine Rassenlehre, die auf der Vererbung körperlicher, psychischer und emotionaler Merkmale beruhte. Günther illustrierte und belegte seine Beschreibung der europäischen Hauptrassen, die er ursprünglich in vier (nordisch, westisch, ostisch, dinarisch) einteilte, mit Abbildungen und Literaturzitaten, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit erweckten. Günther popularisierte in seinen Büchern das auf Gobineau und Chamberlain zurückgehende Rassedenken im Auftrag des Münchner Verlegers J. F. Lehmann. Die „Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes“ war am erfolgreichsten. 1936 meldete der Verlag das 150.000. Exemplar. Der Schriftsteller und Privatgelehrte Günther (1881–1968) hatte durch das Studium der Germanistik die Befähigung zum Gymnasiallehrer erworben. 1930 wurde er vom nationalsozialistischen thüringischen Minister Frick mit einer Professur für Sozialanthropologie in Jena bedacht. 1935 erhielt er als früher Unterstützer des Nationalsozialismus den Preis der NSDAP für Wissenschaft. Auch die weiteren Bücher Günthers („Adel und Rasse“, 1926; „Rasse und Stil“, 1926) sind nach der gleichen Methode geschrieben, mit der er Lesefrüchte zur ethnischen Phänomenologie in ein völkisches und rassistisches Denkgebäude einsortierte und wertete. Die Wirkung der Schriften war bis 1945 enorm. Sie machten rassistisches Denken populär. Die Bücher Günthers, in betulich-gelehrter Diktion verfasst, verstanden sich als eine Art Wegweiser, in dem die Merkmale und Eigenschaften der europäischen Menschenrassen aufgeführt werden, aber nicht zum Selbstzweck, sondern mit engagiertem Bekenntnis zum „Nordischen Gedanken“ und mit Vorschlägen zur Nutzanwendung der Rassenlehre. Reich bebildert wurden die Unterschiede der nordischen, der westischen, der dinarischen, der ostischen, der ostbaltischen, der fälischen und der sudetischen Rasse beschrieben. Der Aufzählung körperlicher Unterscheidungsmerkmale – „breit- und hochgewachsen, wuchtig“ die einen, „hochbeinig, derb-schlank“ die anderen – folgt die Beschreibung der seelischen Eigenschaften. Viele Passagen lesen sich heute wie Erzeugnisse unfreiwilligen Humors. Wie in den frühen Auflagen von Brehms Tierleben, in denen der Autor psychologisierend den Charaktereigenschaften von Elefant und Nashorn, Känguru und Feldhasen nachspürte, beschrieb der Rassenforscher Günther die Objekte seines wissenschaftlichen Bemühens. In der „Kleinen Rassenkunde des deutschen Volkes“ klang das dann so: „Beschaulichkeit, Erwerbsamkeit und Engherzigkeit sind den Rassenforschern verschiedener Länder am ostischen Menschen aufgefallen, ferner eine gewisse mürrische, misstrauische Verschlossenheit im Verkehr mit fernerstehenden Menschen. Die ostische Rasse stellt den Schlag des ‚Spießbürgers’ – dieses Wort als Bezeichnung einer Gesinnung, nicht eines Standes genommen.“ Oder: „Ostbaltische Menschen neigen zum Massengeist und Geführt-

Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther, 1922)

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werden und werden dadurch bei angemessener Führung, zumal ihnen zumeist ein lebhafter Vaterlandssinn eignet, zu willigen Untertanen, deren Anhänglichkeit an sie leitende Menschen sich bis zur Unterwürfigkeit steigern kann. Nahestehenden gegenüber sind ostbaltische Menschen meist hilfreich und gastfrei, oft überschwänglich entgegenkommend, zu ihren Angehörigen zärtlich. Fernerstehenden gegenüber neigen viele ostbaltische Menschen zur Verschlagenheit und bei Anlässen dazu auch zu berechnender Rachsucht. Eine Neigung zu Rohheit und Hinterlist ist unverkennbar, sie bedingt es wahrscheinlich, daß Ostpreußen, Posen und Schlesien ‚kriminell stark belastet’ (...) erscheinen, vor allem durch gefährliche Körperverletzung und einfachen und schweren Diebstahl.“ Als Krone der Schöpfung mit eigentlich nur guten Eigenschaften erscheint in Günthers Rassenkunde der nordische Mensch: „Tatsächlich möchte man vordenkliche Willenskraft, bestimmtes Urteilsvermögen bei kühl abwägendem Wirklichkeitssinn, Drang zur Wahrhaftigkeit von Mensch zu Menschen, eine Neigung zu ritterlicher Gerechtigkeit als die bei nordischen Menschen immer wieder auffallenden seelischen Züge bezeichnen. Solche Züge können sich bei einzelnen innerhalb der nordischen Rasse steigern bis zu ausgesprochen heldischer Gesinnung, bis zu weitblickendem Führertum im Staate oder Schöpfertum in Technik, Wissenschaft und Kunst. Die verhältnismäßig große Anzahl vorwiegend nordischer und nordischer [sic] Menschen unter den bedeutenden und überragenden Männern und Frauen aller abendländischen Völker ist aufgefallen, ebenso wie die verhältnismäßig sehr geringe Anzahl bedeutender Männer und Frauen ohne merklichen nordischen Einschlag.“ Was Hitler und seine nationalsozialistische Gefolgschaft unter Begriffen wie Aufartung, Auslese, Ausmerze, Rassereinheit und Rassenschande verstanden und praktizierten, dass der Rassengedanke nach Auschwitz und zum Völkermord führen sollte, musste dem naiven Leser von Günthers Rassenkunde nicht unbedingt bewusst sein. Selbst der Antisemitismus zeigte sich in der Rassenkunde des deutschen Volkes scheinbar in moderater Form: „Es ist falsch, die sog. Judenfrage als einen mosaischchristlichen Gegensatz aufzufassen. Ebenso falsch ist es, die sog. Judenfrage als eine wirtschaftliche Frage begreifen zu wollen. Sicherlich sind die Hauptvertreter des übermächtigen internationalen Leihkapitals Juden und sind die Juden, wie Steuerlisten zeigen, durchschnittlich viel begüterter als die Nichtjuden des gleichen Staatsgebietes, aber die Judenfrage deckt sich darum doch keineswegs mit der Frage des Kapitalismus. Es ist der durch wirtschaftliche Übermacht erreichte seelische Einfluß eines Volkes außereuropäischer Rassenherkunft, der eigentlich eine Judenfrage geschaffen hat. Die Judenfrage ist eine völker- und rassenkundliche Frage.“ An der Notwendigkeit der Ausgrenzung der Juden ließ Günther dann keinen Zweifel zu.

Wolfgang Benz

Literatur Erich Freisleben, Grundelemente der Rassenkunde und Rassenhygiene der Weimarer Zeit. Eine Untersuchung zu zwei Standardwerken, Diss. Freie Universität Berlin 2003. Elvira Weißenburger, Der „Rassepapst“. Hans Friedrich Karl Günther, Professor für Rassenkunde, in: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.), Die Führer der Provinz. NSBiographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997, S. 161–200.

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Rathenau-Hetze (1922–1925)

Rassenkunde des jüdischen Volkes (Hans F. K. Günther, 1929) Die ersten elf Auflagen (1922–1927) der → „Rassenkunde des deutschen Volkes“ von Hans F. K. Günther hatten einen Anhang „Rassenkunde des jüdischen Volkes“, aus dem 1929 ein eigenes Buch unter diesem Titel hervorging. Günther stellte weitschweifig die Geschichte der Bevölkerung Palästinas nach rassistischen Kategorien durch Aufzählung von Eigenarten der Hebräer, Kanaaniter und anderer Völker des Vorderen Orients dar, aus deren Vermischung die Juden entstanden seien. Mit seiner Methode, Literaturzitate und Abbildungen aneinanderzureihen, reflektierte er über „Vererbungsund Auslesevorgänge im jüdischen Volke“, um schließlich Eigenschaften („Rassenmerkmale“) der Juden wie Bewegungen und Gebärden, das Mauscheln, den „Judengeruch“, Blutgruppen, Kriminalität usw. zu schildern. Das geschieht mit einer philologischen Gelehrsamkeit, die sich auf den Zettelkasten mit gesammelten Belegen stützt, es entbehrt aber jeden systematischen und wissenschaftlichen Erkenntniswertes. Im Schlusskapitel widmet sich Günther der „Judenfrage“, die er als rassisches Problem, als Folge von Vererbung und Rassenmischung sieht. Günther, der den Begriff „Antisemitismus“ mit der Begründung ablehnt, Wilhelm Marr, der ihn 1879 einführte, sei Jude gewesen (Günther spricht stattdessen von Judengegnerschaft), kommt zu dem Ergebnis, dass die Judenfrage durch Segregation gelöst werden müsse: „Nur die klare Scheidung der Juden von den Nichtjuden und der Nichtjuden von den Juden ist eine würdige Lösung der Judenfrage.“ Das Buch erschien 1931 in zweiter Auflage (8.–12. Tausend) und wurde 1992 und 2002 von rechtsorientierten Verlagen als Faksimile nachgedruckt.

Wolfgang Benz

Literatur Erich Freisleben, Grundelemente der Rassenkunde und Rassenhygiene der Weimarer Zeit. Eine Untersuchung zu zwei Standardwerken, Diss. Freie Universität Berlin 2003. Peter Schwandt, Hans F. K. Günther, Porträt, Entwicklung und Wirken des rassistisch-nordischen Denkens, Saarbrücken 2008. Elvira Weißenburger, Der „Rassepapst“. Hans Friedrich Karl Günther, Professor für Rassenkunde, in: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.), Die Führer der Provinz. NSBiographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997, S. 161–200.

Rassenkunde Europas → Rassenkunde des deutschen Volkes

Rathenau-Hetze (1922–1925) Die exponierte Stellung von Walther Rathenau in der deutschen Wirtschaft und Politik rief radikal-antisemitische Propagandisten wie den Hauptgeschäftsführer des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (DSTB) Alfred Roth auf den Plan, die mit Hetzschriften und Flugblättern gegen den „König der in Deutschland lebenden Juden“ agitierten. Bereits im Ersten Weltkrieg stand Rathenau für das Projektionsziel der angeblichen Judenherrschaft, z. B. in der Denkschrift von Alfred Roth und Theodor Fritsch vom Frühjahr 1916 an Kaiser und Bundesfürsten gegen den angeblich vorherrschenden jüdischen Einfluss in der Kriegswirtschaft.

Rathenau-Hetze (1922–1925)

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Der in einer großbürgerlichen jüdischen Familie geborene Walther Rathenau (1867–1922) war bis in den Ersten Weltkrieg in Führungspositionen bei der AEG in Berlin tätig. Zugleich war er als Verfasser philosophischer, politischer und ökonomischer Schriften zum Zeitgeschehen ein beachteter Intellektueller. Ab Kriegsbeginn bis 1915 leitete er die Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium und stieg zu einem der wichtigsten Organisatoren der deutschen Kriegswirtschaft auf. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte Rathenau zunächst in den Sozialisierungskommissionen und Reparationskonferenzen mit. 1921 wurde er Aufbauminister im Reichskabinett von Joseph Wirth und Ende Januar 1922 Reichsaußenminister. Im deutschen Interesse vertrat der Politiker der Deutschen Demokratischen Partei eine von der Bevölkerungsmehrheit unverstandene und angefeindete Erfüllungspolitik, um die Unmöglichkeit hoher Reparationsleistungen gegenüber den Alliierten zu demonstrieren. Am 24. Juni 1922 wurde Rathenau von Rechtsradikalen in Berlin ermordet. Die zahlreichen Hetzschriften gegen Rathenau schürten ein politisches Klima des Hasses, der Verachtung und der Gewalt, wodurch sich Gewalttäter als Retter Deutschlands legitimiert sahen. Ein herausragendes Beispiel ist die von Roth verfasste 32 Seiten umfassende Broschüre „Rathenau ‚Der Kandidat des Auslandes’“ (Deutschvölkische Verlagsanstalt Hamburg), die wenige Wochen nach Rathenaus Amtsantritt als Außenminister erschien. Sie bildete eine Gesamtausgabe von kurzen Pamphleten, die 1921 und Anfang 1922 in den deutschvölkischen Blättern des DSTB erschienen waren. Durch die Bündelung bisher verstreuter Artikel gegen den Spitzenpolitiker war die Publikation ein zentrales Instrument in der Kampagne gegen den zweitwichtigsten Vertreter der Regierung. In dem 32-seitigen Text wurde von Rathenau das klassische Drahtzieherbild des jüdischen Verschwörers entworfen, der als einer der mächtigsten „Weisen von Zion“ die völlige Unterwerfung und Versklavung Deutschlands unter die Herrschaft des internationalen Judentums betreiben würde. „Damals wie heute aber hat dieser Jude die wichtigste Stellung in der ,deutschen Regierung’ inne. Jetzt hat sich offenbar der ,Sinn der Weltgeschichte’ erfüllt: das deutsche Volk liegt zu Boden und Judas Beauftragte schwingen über seinem Rücken als ,Gerichtsvollzieher der Entente’ die Peitsche.“ Rathenau sei der Exponent der „Judenrepublik“ und der Kandidat des Auslands, er sei die Schlüsselfigur in einem von Juden gesponnenen Netz im Inland und Ausland, dessen Ziel die Vernichtung Deutschlands sei. Dies würde Rathenau nach seinem Aufstieg im AEG-Konzern über den Posten als „Kriegswirtschaftsdiktator“ bis zum einflussreichen Architekten der Reparationen und zum wichtigsten Politiker in der Reichsregierung bald gelingen. Rathenau sei die personifizierte Judenherrschaft, der „König von Alljudaans“. Die Instrumente und ausführenden Organe der weltweiten „Judenherrschaft“ („Alljuda“) seien die Siegermächte, das Internationale Finanzkapital, der Marxismus sowie die deutschen Republikparteien. Schon die Textkomposition in Roths Schrift zeigte die Eskalation der scharfen Angriffe auf Rathenau als dem Hauptvertreter der „Judenherrschaft“ in den Überschriften an. So war die Rede von „Rathenau der Wirtschaftsdiktator im Kriege“, „der Strick ist gedreht“, „Deutschland in den Fängen Judas“, „Rathenau-Rummel“, „Der Ring ist geschlossen“, „Was nun Kommt“ und „Deutschlands Bolschewisierung“. Letztere sei das schreckliche Ergebnis der Ostpolitik (Rapallo-Vertrag) von „Trotzky-Rathenau“. Die hämmernde Sprache und scharfe Verunglimpfungen zielten darauf, extrem negati-

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ve Affekte hervorzurufen. Diese Form der Emotionalisierung durch eine aufputschende, gewalttätige Sprache sollte in der Leserschaft den Hass, die Wut und Aversionen gegen den Juden Rathenau und das deutsche und internationale Judentum auf den Siedepunkt treiben: In psychologischer Sicht war die Hetzschrift gleichsam ein Spiegelbild von Roths Gefühlshaushalt gegen das Judentum, das er ständig in wahnhafter Form verfolgte und zur Zielscheibe aggressiver Destruktivität machte. Gleichzeitig rationalisierte er seinen Kampf im für Antisemiten typischen Diskurs als Notwehr und Abwehr der „reinrassigen Deutschen“ gegen das beherrschende Judentum. Der deutschvölkischen Dichotomie „Deutschtum versus Judentum“ lagen apokalyptische Vorstellungen eines Kampfes auf Leben und Tod zugrunde. Befreiung Deutschlands vom „Judenjoch“ war die negative Utopie. Als idealtypischer Repräsentant eines paranoiden Weltanschauungsantisemitismus sah Roth in jedem Zitat und Schritt von Rathenau den Beweis für das Bestreben Rathenaus und seiner „Rassegenossen“ sowie abhängigen Judenfreunden, um Deutschland durch „Alljuda“ zu versklaven. Jedes Zitat (nicht nur das berühmteste von den „300 Männern, die die Welt beherrschen“) wurde aus dem Zusammenhang gerissen, wenn es nur irgendwie zu passen schien, jede Handlung Rathenaus gegen ihn gekehrt. Die Aussage „Wenn Deutschland siegen würde, hätte die Weltgeschichte ihren Sinn verloren“ kommentierte Roth so, dass der Sinn erfüllt sei, „wenn Deutschland der willenlose Arbeitssklave des Judaismus geworden ist. Auf dem Wege dazu sind wir – dank Rathenau und seinen Helfern.“ Das verfälschte Zitat aus der Unterredung mit dem Kaiser 1914 unterstellte Rathenau den Wunsch nach der deutschen Niederlage und nicht dessen Sorge, den Krieg zu verlieren. Roths Propaganda bediente sich solcher Tricks, Lügen und Täuschungen, denn aufgrund des hermetischen radikal-antisemitischen Weltbilds war er fest davon überzeugt, dass das „System Rathenau“ die Herrschaft über Deutschland mit dem einzigen Ziel seiner Vernichtung übernommen hätte. Dadurch verstrickte sich Roth zuweilen in Widersprüche, als er die Zurücksetzung der von Rathenau angeführten deutschen Delegation durch die Alliierten kritisierte, obwohl der „Erfüllungspolitiker“ Rathenau sich mit den angeblich jüdisch gesteuerten Ländern Frankreich und England sowie neuerdings mit dem Bolschewismus verschworen habe. Hetzschriften wie „Rathenau, ‚Der Kandidat des Auslandes’“ verfehlten ihre aggressive Wirkung in der aufgewühlten politischen Kultur der Weimarer Republik nicht. Wenn auch Flugblätter und Zeitungen eine größere Massenwirkung erzielten, so verstand das rechtsradikale Milieu die unterschwelligen Gewaltbotschaften solcher dort gelesenen Propagandatexte, z. B. in Formulierungen wie „Los von Juda“ oder „Wir sind zum Äußersten entschlossen und bereit“. Die Marschkolonnen der völkischen Radikalen übersetzten solche Signale in den Schlachtruf „Knallt ihn ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau“. Nach dem Mord an Rathenau durch zwei Mitglieder der rechtsradikalen Geheimorganisation Consul (die beiden Täter waren auch Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, und es bestanden zwischen dem DSTB und den militanten Freikorps enge ideologische Verbindungen) wurde kurze Zeit später der Deutschvölkische Schutz- und Trutz-Bund auf der Grundlage des Republikschutzgesetzes in den meisten deutschen Ländern (bis auf Bayern und Württemberg) verboten. Roths Agitationsschrift wurde beschlagnahmt.

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Nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes blieb der DSTB verboten, weil der völkischantisemitische Kampf gegen einzelne Regierungsmitglieder namentlich Rathenau in „gehässigster Weise unter schweren persönlichen Verunglimpfungen geführt wurde“. Auch der Hauptagitator Roth wurde in einem weiteren Verfahren im Mai 1923 wegen Beleidigung und übler Nachrede bei einem Auftritt in Stettin gegen Rathenau zu einer Geldstrafe von 500.000 RM verurteilt. Im Kontext dieses Verfahrens demonstrierte Roth mit seiner 1923 ebenso in der Deutschvölkischen Verlagsanstalt erschienenen Propagandaschrift „Judas Herrschgewalt. Die Deutschvölkischen im Lichte der Behörden und des Staatsgerichtshofes“, die neben den Anklageschriften auch seine apologetischen Verteidigungsreden enthielt, dass er ein hoch motivierter ideologischer Wiederholungstäter war, der in notorischer und aggressiver Weise „den Juden“ als Hauptfeind verfolgte. Dabei machte er auch nicht vor erneuter Verunglimpfung des ermordeten Außenministers halt. Bei allen nach dem Tode Rathenaus verfassten Texten aus der Feder von Roth ist festzustellen, dass er sich nie von der Mordtat distanzierte oder sein Bedauern darüber äußerte, sondern seine Angriffe stereotyp fortsetzte. In Roths Logik war es bei der antijüdisch aufgeladenen Korruptionsaffäre um die ostjüdischen Brüder Julius, Isaak, Salomon und Henry Barmat sowie Iwan Kutisker zum Jahreswechsel 1924/1925 nur konsequent, dass er mit einer ähnlichen Hetzschrift „Von Rathenau zu Barmat. Der Leidensweg des deutschen Volkes“ (5.000 Auflage) unter seinem Pseudonym Otto Armin (zum Schutz vor Strafverfolgung) im eigenen Verlag in Stuttgart aufwartete. Das „System Rathenau“ sei Schrittmacher für den Barmat-Skandal, weil Rathenau einer der wichtigsten Drahtzieher der „Judenrepublik“ und der Architekt der „Korruptions- und Schieberwirtschaft“ gewesen sei. Weiter heißt es, Rathenau und Ballin, der jüdische Reeder und Leiter der Zentraleinkaufsgesellschaft, seien tot, aber Barmat und Kutisker hätten das System fortgeführt und ausgebaut. „Es war der Fluch des System Rathenaus, das es fortzeugend Böses gebären mußte, bis es schließlich im System Barmat-Kutisker zusammenbrach.“ Den Textteil zu Rathenau hatte Roth bereits in seiner Publikation → „Die Juden in den Kriegs-Gesellschaften und der Kriegs-Wirtschaft“ (1921) veröffentlicht. Roth instrumentalisierte die Korruptionsaffäre um die ostjüdischen Unternehmer, in die Teile der SPD und der preußischen Behörden verstrickt waren, für seine radikal-antisemitische Obsession und Mission. Während die volkswirtschaftlichen Folgen durch den Zusammenbruch des Barmat-Konzerns gering waren, entstand wegen der erfolgreichen antisemitischen Skandalisierung für die Republik ein immenser politischer Schaden.

Martin Ulmer

Literatur Wolfgang Brenner, Walther Rathenau: Deutscher und Jude, München 2005. Lothar Gall, Walther Rathenau. Portrait einer Epoche, München 2009. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung, in: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main 1984 (1944), S. 151–186. Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970.

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Recht und Wahrheit (seit 1984)

Martin Sabrow, Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, Frankfurt am Main 1999. Ernst Simmel, Antisemitismus und Massen-Psychopathologie, in: Ernst Simmel (Hrsg.), Antisemitismus, Frankfurt am Main 1993, S. 58–100.

Rathenau. „Der Kandidat des Auslands“ → Rathenau-Hetze

Recht und Wahrheit (seit 1984) Als Zweimonatsmagazin erscheint „Recht und Wahrheit“ seit 1984 mit Darstellungen zu „Politik und Zeitgeschichte aus deutscher Sicht“ im Umfang von 40 bis 44 Seiten. Als Sprachrohr für „Die Deutsche Freiheitsbewegung e. V.“ wurde es von Georg Albert Bosse (1927–2005) in Wolfsburg herausgegeben. Kopf der „Freiheitsbewegung“ war Otto Ernst Remer (1912–1997) in Bad Kissingen. Im Jahr 2001 verlegte Bosse seinen Wohnsitz nach Teneriffa. Nach seinem Tod 2005 übernahm bis 2008 der in Argentinien geborene Armin Mühlbauer die Rolle des Herausgebers. Mühlbauer besaß nicht die Fähigkeiten und Kontakte Bosses, und so konnte er in einer veränderten Medien- und Leserlandschaft dem Siechtum des Magazins keinen Einhalt gebieten. Die genaue Auflagenentwicklung des Blattes ist unbekannt. Die Herausgeber beklagten wiederholt den Verlust der älteren Abonnenten. Folglich war ein kontinuierlicher Auflagenrückgang zu verzeichnen. Zuletzt dürfte die Auflage 2.000 Exemplare kaum überschritten haben. Es wurde vor allem an Abonnenten geliefert, ein Teil der Druckauflage wurde kostenlos an potentielle Interessenten verteilt. Über den Zeitschriftenhandel fand kein Vertrieb statt. Unter den Autoren befanden sich viele überzeugungstreue Nationalsozialisten. Zur Begleiterscheinung dieser Hetze gehörten strafrechtliche Verfolgungen. Dem Verlag war ein Buchversand angeschlossen, für dessen Erzeugnisse regelmäßig auf ein bis zwei Seiten geworben wurde. Meist handelte es sich dabei um Autoren des Magazins, die ihre Ausführungen erweitert als Buch oder Broschüre feilboten, so etwa Otto Ernst Remers „Lüge und Wahrheit über die Ursachen beider Weltkriege“. Als Anfang der 1990er Jahre die Auschwitzleugner ihre wirklichkeitsfremden Behauptungen auf ein „naturwissenschaftliches Fundament“ stellen wollten, warb man für den → „Leuchter-Report“, das „Lachout-Dokument“, die → Remer-Depesche und das → „Rudolf-Gutachten“. Diese Agitation hatte zur Folge, dass Herausgeber und Autoren mit Strafverfahren überzogen wurden. Erwartungsgemäß ließen sich die Belangten nicht beeindrucken, sondern verstanden ihre in den Heften dokumentierten Gerichtsurteile als im Kampf erworbene Auszeichnungen. Die Umschläge illustrierte eine schwarz-weiß Abbildung. Auf einem Jahrgang prangten Pressefotos der Kriegs- und Nachkriegsjahre (Trümmerfotos), auf einem anderen Jahrgang deutsche Köpfe des Blut-und-Boden-Malers Wolfgang Willrich. Titel und Zwischenüberschriften waren in gemäßigter Fraktur gehalten, die grafisch wie typografisch ein Statement setzten, das die Tendenz der Zeitschrift vor Augen führt. Später erfolgte eine gemäßigte Modernisierung, ein neuer Schrifttyp ersetzte die Fraktur. Die Hefte waren vor 2008 nur mäßig illustriert. Zur nationalen Kulturpflege gehörte pro Ausgabe ein Gedicht, teils wurden klassische Beispiele deutscher Lyrik abge-

Recht und Wahrheit (seit 1984)

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druckt, teils Selbstgereimtes der Stammautoren. Ähnlich wie zur Zeit der Befreiungskriege sollte durch politische Poesie eine volkstümliche Bewegung ins Leben gerufen bzw. lebendig gehalten werden. Bewährte Melodien und Strophen sollten helfen, nationalistische Ideen zu verbreiten. Aber erst einer neuen Generation gelang es, durch modernen Rechts-Rock affektive Mittel wie lyrische Bildlichkeit, Melodie und Rhythmus zur wirkungsvollen Politisierung junger Hörer nutzbar zu machen. Intensiv gebrauchte man das Medium des „offenen Briefes“. Fast jede Ausgabe enthielt ein solch rechthaberisches, lamentierendes Schreiben der Dauerempörten und der ungerecht Behandelten mit Mahnungen, Anklagen und Forderungen, adressiert an die Bundeskanzler, an Abgeordnete, an Minister, an die Justiz oder an das Bundesverfassungsgericht. Auch der Versuch mit Personenkult am Beispiel des ehemaligen Wehrmachtsgenerals Otto Ernst Remer wurde unternommen. Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls fanden jährliche Lesertreffen im Harz statt, zu denen bis zu Hundert ältere Teilnehmer anreisten. Das Vortragsprogramm bestritten einschlägig bekannte, ideologisch weit rechts stehende Redner wie z. B. Wolfgang Juchem oder Günter Deckert. Mit dem Titel „Recht und Wahrheit“ wird ein Tableau von Werten mit großem Prestige angesprochen. Geistig wie sittlich hochstehende Menschen würden zu allen Zeiten der inneren Aufforderung folgen, sich für Recht und Wahrheit einzusetzen. Damit war die Zielgruppe definiert. Man richtete sich an eine „Elite“, die noch selbstständig deutsch denken könne und nicht der alliierten Gehirnwäsche erlegen sei. Das Ethos von Recht und Freiheit diente der Legitimation, und das Pathos von Wahrheit sollte die Wirkung des Blattes potenzieren. Programmatisch trat man für die geistige Pflege des „deutschen Freiheitsgedankens, für das Recht des deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung und für die Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches im Rahmen seiner völkerrechtlich gültigen Grenzen“ ein. Fortlaufend erschienen Artikel, die Antisemitismus in verschiedenen Dosierungen enthielten. Den jüdischen Opfern und ihren Nachkommen wurde der Vorwurf gemacht, sie fabrizierten Erinnerungen, um sich aus der Vergangenheit Vorteile zu verschaffen. Insgesamt war das Themenspektrum eng begrenzt. Der Nationalsozialismus wurde nachträglich gerechtfertigt bzw. verharmlost. Zum Beweis publizierte man „verheimlichte Dokumente“ und „Enthüllungen“ über die alliierte Kriegspolitik. Der Kampf um die „historische Wahrheit“ gegen die angeblich von den Alliierten dekretierte Geschichtsschreibung war ein zentrales Thema von „Recht und Wahrheit“. Politische Grundentscheidungen der Bundesrepublik – Westbindung, europäische Integration, Zuwanderung – wurden als Fortsetzung des Krieges gegen Deutschland mit anderen Mitteln „entlarvt“. Die Feinde Deutschland tragen – wenig überraschend – die Namen der USA, der Juden und der Polen. So bezeichnete man die europäische Integration als „kontinentale Diktatur“. Ziel der internationalen Feindmächte sei weiterhin die Auslöschung des Deutschtums, die finanzielle Ausbeutung Deutschlands, letztlich seine Abschaffung. Die Rhetorik der Zuspitzung, das in einem fort beschworene Untergangsszenario, verlieh dem Periodikum seinen apokalyptischen Charakter. Die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird dem „internationalen Judentum“ angelastet. Mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 habe nicht das Unrecht geendet, vielmehr habe das Unrecht hier seinen Anfang genommen. Während

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die deutsche Seite die Waffen niederlegte, habe die andere Seite das Völkerrecht mit Füßen getreten und ihre Eroberungen mit uneingeschränkter Gewalt fortgesetzt. Dokumente enthielten den Beweis, dass die Kriegsalliierten nicht nur das Ziel verfolgten, den Nationalsozialismus zu besiegen, sondern auch das deutsche Volk vernichten wollten. Auf RuW trifft Hans Magnus Enzensbergers Aperçu zu: „Die Demokratie war die Strafe für den verlorenen Krieg.“ Die strukturelle Brutalität des nationalsozialistischen Krieges wird als Einbruch ethnisch und kulturell differenter Aggressoren kodiert, Gewaltenergie auf ein unzivilisiert-barbarisches Draußen, auf Polen und Russen, auf den Terror alliierter Bomber, abgeleitet. Beim Thema Zuwanderung konzentrierten sich die Beiträge auf die permanente Zuweisung der Sündenbock-Rolle an die Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Die kontraststeigernde Polarisierung zwischen Eigen- und Fremdgruppe sollte dabei helfen, die nationale Identität zu wahren und zu festigen. Mit der latent rassistischen Konstruktion nationaler Identität wurden Unterscheidungen nationaler und ethnischer Art dauerhaft essenzialisiert. „Integration ist Völkermord“. Die BRD habe den Tod gewählt. Jede Krise galt als Vorzeichen des Niedergangs. Der Nährstand, der Bauernstand sei ruiniert, die verordnete Staatswahrheit verhindere jede geistige Höherentwicklung. Bereits die Christianisierung Germaniens sei ein Akt der Überfremdung durch eine artfremde „Wüstenreligion“ gewesen. Neben der Reichsidee – „Treue zum Reich“ –, der Bewahrung dieses Weltbildes, ist ein besonderer Gedankenreichtum nicht feststellbar, eintönig wiederholten sich Themen und Interpretationen. Und wo es an Wissen fehlte, schlossen Legenden über heimtückische Verschwörer die Lücken. Im Jahr 2008 übernahm der militante Neonationalsozialist Meinolf Schönborn in Herzebrock-Clarholz (Nordrhein-Westfalen) die Herausgeberschaft. Schönborn war Gründer und Anführer der 1992 wegen paramilitärischer Aktivitäten verbotenen „Nationalistischen Front“ und ist fünffach vorbestraft. Laut Untertitel folgt auch die neue „Recht und Wahrheit“ der alten Zielsetzung „die Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches“ wiederherzustellen. An den medialen Wandel angepasst erhielt das Blatt ein neues Schriftbild, ein farbiges Layout, es wurde verjüngt und modernisiert. Die Texte wurden kürzer, um Abbildungen, Karikaturen und Illustrationen vermehrt, sollten sie die Lesefreudigkeit erhöhen. Zwecks Popularisierung bediente man sich sämtlicher Methoden: nicht nur argumentativ angelegter Texte, sondern auch der symbolischen Kommunikation in all ihrer Vielfalt. Mit dieser Zielsetzung kommt es zu einer antielitären Gedankenführung in leicht verständlicher Sprache. Im Zeichen der „Schwarzen Sonne“ gibt Schönborn dem Heft nach Aufmachung und Inhalt den Charakter einer Szenepostille. Die Namen der Autoren werden nicht mehr in allen Fällen genannt. Das Themenspektrum wird auf ein junges Publikum zugeschnitten, neue RechtsrockTitel werden werbend besprochen, ebenso Aktionen gegen Zuwanderer. Ausschließlich Schönborn wirbt für seinen „Z-Versand“, weitere Inserate fehlen. Insgesamt gleicht „Recht und Wahrheit“ jetzt einem Fanzine, das sich an simplere Gemüter wendet, die nur in schwarz und weiß denken wollen. Schönborn selbst gibt die Auflage mit 700 Exemplaren an. Etwa 200 Exemplare sollen an feste Abonnenten gehen, die übrigen Hefte werden nach seinen Angaben bei Veranstaltungen vertrieben.

Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks (Friedrich Rühs, 1816)

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Von den alten Autoren steuern einige weiterhin Texte bei, aber immer mehr neue Autoren füllen die Seiten, bis zu seinem Tod Jürgen Rieger, Edmund Eminger aus Österreich, und regelmäßig kommentiert Michael Winkler das Tagesgeschehen. Winkler schrieb in einem Artikel „HolocaustTM“ bzw. „Sankt HolocaustTM“. Mit „TM“ für „Trade Mark“ wollte er andeuten, dass es sich beim Holocaust um das Produkt einer Firma handele, die unter einer Marke, einem Handelszeichen agiere. Damit wird suggeriert, der Holocaust sei eine Markenstrategie gerissener Geschäftsleute, dem keine historische Realität zukomme. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Gütersloh gegen Winkler und Schönborn im Frühjahr 2012 Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) erhoben. Unterstützung als Herausgeber erhielt Schönborn vom „Kameraden“ Jörg Lange, der im März 2012 in einer Pension tot aufgefunden wurde. Neben seiner Leiche stellte die Polizei einen Rucksack mit Schusswaffen und Munition fest. Seither wird gegen Schönborn und fünf weitere Personen wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe ermittelt. Kaum Abonnenten, kein finanzieller Rückhalt, dazu die Strafverfolgung und die kostengünstige Konkurrenz des Internets – der baldige Zeitungstod für „Recht und Wahrheit“ käme nicht überraschend.

Rainer Erb

Literatur Gideon Botsch, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute, Darmstadt 2012. Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2010.

Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks (Friedrich Rühs, 1816) Die Schrift „Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks“ des Berliner Professors der Geschichte Friedrich Rühs (1781–1820) mit dem Untertitel „Verteidigt gegen die Ansprüche der Juden und ihrer Verfechter“ erschien 1816 mit einem Umfang von 82 Seiten in der Berliner Realschulbuchhandlung. Es handelt sich um eine judenfeindliche Streitschrift, mit der sich Rühs gegen die öffentliche Kritik, die als Entgegnung auf sein 1815 erstmals veröffentlichtes Pamphlet → „Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht“ geäußert worden war, zu verteidigen versuchte. Dabei reagiert Rühs hauptsächlich auf die Schriften des jüdischen Lehrers Michael Hess „Freimüthige Prüfung der Schrift des Herrn Professor Rühs, […]“ (1816) und des protestantischen Theologen Ludwig Ewald „Ideen, über die nöthige Organisation der Israeliten in Christlichen Staaten“ (1816), wobei er die Argumente seiner Gegner selektiv aufgreift, ihren Gehalt polemisch abwertet, um dann seine eigenen Positionen aus der Schrift „Über die Ansprüche der Juden“ nochmals zu bestätigen und teilweise noch zu radikalisieren. Rühs geht es darum, die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden rigoros abzulehnen und stattdessen die seiner Meinung nach bestehende „Unverträglichkeit des Christenthums und der Deutschheit mit dem Judenthum und der Jüdischheit“ zu beto-

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nen. Diese „Unverträglichkeit“ versucht Rühs zu begründen, indem er die Juden nicht in erster Linie als Religionsgemeinschaft verstehen will, sondern behauptet, sie seien durch die Begriffe „Volk“ und „Nation“ zu definieren. „Daß die Juden samt und sonders, in Tripolis wie in Brody, zusammengehören, und ein Volk, eine Nation ausmachen, ist eine so einleuchtende Wahrheit, daß auf das Jahr 1815 noch kein Schriftsteller sie zu leugnen versucht hat.“ Noch deutlicher als in seiner Schrift „Über die Ansprüche“ hebt Rühs hervor, worin der „Gegensatz gegen andere Völker“, den die Juden „mithin auch gegen die Deutschen“ bilden würden, bestehen soll. Rühs fragt: „Wodurch unterscheidet sich ein Volk; welches sind die Eigenthümlichkeiten, die es ausmachen?“ Hierzu führt er sechs, von ihm „ethnographische Begriffe“ genannte Kriterien ein, wobei er die Relevanz des ersten Kriteriums hervorhebt: „Zuerst die Abstammung; stammen die Juden von Deutschen ab, oder haben sich ihre Stammväter so mit den Deutschen vermischt, daß eine Verschmelzung entstanden ist, wie’s hin und wieder Slawen, Franzosen u.s.w. gethan haben? Wenn […] in einem Volk ein Achtel oder Viertel Procent fremde Mischung ist, so wird dadurch seiner Eigenthümlichkeit eben nicht sehr geschadet.“ Auch das zweite von Rühs erläuterte Kriterium ist eindeutig darauf angelegt, die Juden nach biologischen Merkmalen zu unterscheiden, was ebenfalls darauf hindeutet, dass die Judenfeindschaft bei Rühs bereits rassistische Motive enthielt: „Zweitens, körperliche Eigenschaften, Gestalt, Bildung, Kräfte. Erkennt man den Juden nicht auf den ersten Blick in Galizien, wie in Deutschland? Ist die relative Körperkraft des Juden nicht viel geringer, als der Völker, unter denen er lebt?“ Als weitere „ethnographische Begriffe“ führt Rühs das Vorhandensein einer „bürgerlichen Verfassung“, die gemeinsame „Geschichte“, die „Sprache“ und schließlich die „Lebensart“ bzw. die „Sitten“ eines Volkes an und kommt dann hinsichtlich des „Gegensatzes“ zu einem Resümee, das noch einmal die für das frühe 19. Jahrhundert besondere Radikalität seiner Position unterstreicht: „Der Gegensatz zwischen christlichen Völkern und den Juden, also in unserem Fall zwischen ihnen und Deutschen, ist durch die Natur so fest gestellt, daß er durch die Gleichstellung in bürgerlicher Hinsicht nie aufgehoben wird; er ist so tief in dem Volksgefühl gegründet, daß es sich überall dagegen empört.“ Eine Verschärfung seiner judenfeindlichen Haltung im Vergleich zu seiner Schrift „Ueber die Ansprüche“ ist auch daran feststellbar, dass Rühs die Verfolgung und Vertreibung von Juden bzw. die Anwendung von Gewalt gegen sie nicht mehr prinzipiell ablehnt, sondern implizit sogar gutheißt. Hinsichtlich der ihm bekannten historischen Beispiele von Judenverfolgungen befindet Rühs, dass diese „zu entschuldigen“ oder „durchaus notwendig“ gewesen seien. Die Vertreibung der Juden aus Spanien im späten 15. Jahrhundert beurteilt er als „ein Glück für das Land“. Zugleich versucht Rühs das Ausmaß der historisch belegten Judenverfolgungen, insbesondere die überlieferten Zahlen der jeweils aufgetretenen Todesopfer zu relativieren, wobei auffällt, dass die von ihm bereits 1816 verwandten Argumentationsmuster sich ungebrochen bis heute in geschichtsrevisionistischen Texten wiederfinden. „Überhaupt lässt sich von der Geschichte der Judenverfolgungen sagen, […] daß die Erzählungen ungemein übertrieben, und niemals kritisch untersucht sind. Wären sie so nachdrücklich und allgemein gewesen, wie ein Judenadvokat dem andern nachschreibt, so läßt sich nicht

Reden an die deutsche Nation (Johann Gottlieb Fichte, 1807–1808)

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begreifen, wie noch ein Jude übrig bleiben könnte; […] die Zahlenangaben sind sichtbar übertrieben und höchst unglaublich.“ Angesichts der gesteigert aggressiven Sprache in der Schrift „Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks“, der darin öffentlich geschürten judenfeindlichen Attitüde und der Tatsache, dass Rühs selbst die gewaltsame Verfolgung von Juden relativiert oder sogar positiv bewertet, ist der historische Zusammenhang zwischen seinen genannten Schriften aus den Jahren 1815/16 und den 1819 in Deutschland aufgetretenen pogromartigen, judenfeindlichen Ausschreitungen der sogenannten HepHep-Krawalle als durchaus evident anzusehen.

Werner Treß

Literatur Rainer Erb, Werner Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780–1860, Berlin 1989. Gerald Hubmann, Völkischer Nationalismus und Antisemitismus im frühen 19. Jahrhundert: Die Schriften von Rühs und Fries zur Judenfrage, in: Renate Heuer, Ralph-Rainer Wuthenow (Hrsg.), Antisemitismus – Zionismus – Antizionismus 1850–1940, Frankfurt am Main, New York 1997, S. 10–34. Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik. Konstruktionen des „Deutschen“ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, Tübingen 2008, S. 215–222.

Rede des Rabbiners → Auf dem Judenkirchhof in Prag

Reden an die deutsche Nation (Johann Gottlieb Fichte, 1807–1808) Berlin war von Napoleons Truppen besetzt, als der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762–1813) vom 13. Dezember 1807 bis 20. März 1808, jeweils sonntags zur Gottesdienstzeit, seine vierzehn „Reden an die deutsche Nation“ hielt. Er war zu dieser Zeit ein berühmter Mann. Hörer der im „Runden Saal“ der Preußischen Akademie der Wissenschaften gehaltenen Reden waren Gelehrte, Staatsmänner, Geschäftsleute und Offiziere. Fichte sah in seinem Publikum die Stellvertretung der gesamten Nation und war sich der revolutionierenden Wirkung der „Reden“ sicher, wie er überhaupt der Auffassung gewesen ist, dass „die großen National- und Weltangelegenheiten“ bisher durch freiwillig auftretende Redner an das Volk gebracht worden seien. Er selbst verglich sich mit Luther und wurde von seinen zahlreichen Bewunderern mit diesem verglichen. Die „Reden an die deutsche Nation“, Fichtes letztes Hauptwerk, sind ein nationalistisches Erziehungsprogramm, sie gehören zu den wirkungsmächtigsten Bekundungen des aus dem Geist des Kampfes gegen Napoleon entstehenden deutschen Nationalismus und sind den Schriften Ernst Moritz Arndts oder den chauvinistischen Fantasien Heinrich von Kleists an die Seite zu stellen. 1808 gingen sie erstmals in Druck; in den Freiheits-, aber auch in späteren Kriegen zählten sie zur soldatischen „Tornisterliteratur“; ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts waren sie Stoff in den höheren Klassen der Gymnasien; Heerscharen national gesinnter Festredner beschworen bei den Fichte-Feiern 1862 den Geist der „Reden“, ebenfalls beschworen wurden sie im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg. Wann immer vom „Geist“ Fichtes gesprochen wurde,

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waren die „Reden“ gemeint. Aufgrund ihrer „strukturellen Homogenität“ (Reiß) wurden sie jedoch nicht nur von der völkischen Rechten, sondern etwa auch von Ferdinand Lassalle und Ernst Bloch sowie von Teilen der zionistischen Bewegung positiv aufgenommen. Ziel des Erziehungsprogramms der „Reden“ sollte sein, die deusche Nation zu sich selbst und damit zum Bewusstsein ihrer einmaligen Stellung in der Welt zu führen. Die Deutschen waren für Fichte das auserwählte Volk, Hassgestalt und Minusmenschen dagegen die Franzosen, wenn sie aufgrund der Zensur auch nicht offen beim Namen genannt wurden. Aber für niemanden konnte es zweifelhaft sein, wer gemeint war, wenn Fichte von „Neulateinern“, „neuen Römern“, vom „Ausland“ oder von der „Nation der zweiten Art“ sprach. „Volk der ersten Art“ sind die Deutschen. Ihre Mission sollte sich keinesfalls im Sieg über die französischen Okkupanten oder der Gründung eines Reiches erschöpfen. Fichte sah in der deutschen Nation nichts weniger als die „Wiedergebärerin und Wiederherstellerin der Welt“; ihr Name würde zum „glorreichsten unter allen Völkern“. Diese Rolle könnten die Deutschen beanspruchen, weil sie „das Urvolk der neuen Welt“ seien, worunter Fichte die Welt nach der Antike verstand. Urvolk sind die Deutschen aufgrund ihrer Sprache. Dies ist der Grundstein des gesamten, auf 190 Seiten konstruierten Ideengebäudes der „Reden“. Es bräche in Trümmer, würde die folgende Argument-Reihe widerlegt werden: Zwar sind die Franzosen Germanen wie die Deutschen auch, aber die Deutschen sind zur Zeit der Römerherrschaft an den ursprünglichen Stammsitzen geblieben, wogegen die übrigen Germanen ihre Stammsitze verlassen hätten und Bewohner des Römischen Reiches geworden seien. Daher hätten sie mit dem Latein eine fremde Sprache angenommen, während die Deutschen ihre Sprache beibehielten. Diese Sprache ist auch nach Jahrtausenden dieselbe geblieben. Sprachliche Bezeichnungen sind nicht willkürlich, sondern entströmen einer Tiefe. Die Menschen werden weit mehr von der Sprache als die Sprache von den Menschen gebildet. Da die von den Deutschen beibehaltene Sprache der Tiefe des Stammvolks entströmt und Teil des Lebens ist, bezeichnet Fichte sie als eine „lebendige Sprache“, die in das Leben eingreift. Geistesbildung und Leben machen daher in der lebendigen deutschen Sprache keinen Unterschied. Anders beim Gegenteile, der Nation zweiter Art: hier nur eine auf der Oberfläche sich regende, in der Wurzel aber „tote Sprache“, die nicht aus dem Leben und aus der Tiefe des Stammvolkes strömt, sondern aufgepfropft ist. Daher sind Bildung und Leben bei der Nation der zweiten Art, also den Franzosen, getrennt, gehen „jedes seinen Gang“. So sind die Franzosen leicht und seicht, unfähig zur Dichtung und höheren Kultur, insbesondere der Philosophie. Anders die Deutschen: Auf dem Felde der Religion sei die Reformation die „vollendete Welttat des deutschen Volkes“ gewesen, angestoßen von einem aus der Ursprache rührenden deutschen Religionsverständnis; bei den Nationen zweiter Art dagegen langes Festhalten an ursprünglich asiatischem Christentum, das nichts als stumme Ergebung und blinden Gehorsam fordere. Spreche man von geistiger Bildung, so sei darunter aber „zuallererst die Philosophie […] zu verstehen“. Lebenstiefe und Stammesverbundenheit der deutschen Sprache führten zu selbstständigem deutschen Geist, und dieser hat die eigentliche Philosophie erst erschaffen.

Reden an die deutsche Nation (Johann Gottlieb Fichte, 1807–1808)

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Fichte stand vor dem Problem aller chauvinistischen Trommler, deren Objekt der Anbetung darniederliegt. Denn wenn dem so war, wie ließ sich dann 1803 der Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und 1806 der des alten Preußen erklären? Die Antwort findet sich in den „Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters“, der Vorlesungsreihe, die Fichte vier Jahre vor den „Reden“ gehalten hat. Man befinde sich, kritisiert er 1803 seine Gegenwart, im „Zeitalter der absoluten Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit“, im „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit“ und des „Verfaulens der Ideen“. Wesentlicher Charakterzug dieses Zeitalters sei die „Selbstsucht“ und diese „die Wurzel aller andern Verderbtheit“ gewesen. Krieg und Zusammenbruch, auch die neue Philosophie, hätten die „Sündhaftigkeit“ untergehen lassen. Die Not, so Fichte, hat „uns zum Aufmerken und zum ernsten Nachdenken geneigter gemacht“. Mochten viele Ältere noch im Status der Selbstsucht verharren, so tat sich die Möglichkeit auf, die deutsche Jugend zu erziehen. Wenn sich 1862, bei den Säkularfeiern von Fichtes Geburt, so verschiedene Geister wie Ferdinand Lassalle und Heinrich von Treitschke zum Lobe der „Reden an die deutsche Nation“ zusammengefunden hatten, dann deshalb, so der Historiker Franz Schnabel, weil die sozialistische und die nationalstaatliche Idee in der „Vergötterung des Staates“ eine Gemeinsamkeit gefunden hatte. Nicht alle Reden zum Fichte-Jubiläum waren unkritisch oder im Hurrah-Modus geschrieben. Adolf Trendelenburg (1802–1872), der Philosoph und Pädagoge, konzedierte zwar, dass Fichte die „Reden“ mit dem „Mut Luthers“ gehalten und darin die „Idee der Nation“ vermittelt habe, er kritisierte an Fichte die „Überhebung gegen die Empirie“, die Konzeption des „Geschlossenen Handelsstaates“ mit der „gängelnden, selbst das Reisen verbietenden Polizei“, die „Casernierung der Erziehung“, indem die Kinder den Eltern genommen und dem Staat in die Hände gegeben werden sollten. Weder sei der „Handelsstaat“ noch die Kasernierung der Kinder ein deutscher Gedanke. Der als Philosophiehistoriker noch heute bedeutende Johann Eduard Erdmann (1805–1892) fragte, was jene, die Fichtes Freisinn lobten, wohl sagen würden, läsen sie in dessen vielgerühmter „Berichtigung der Urtheile des Publicums über die Französische Revolution“ über die Juden, das einzige Mittel zu ihrer bürgerlichen Gleichstellung sei es, ihnen die Köpfe abzuschneiden und neue aufzusetzen, in denen keine jüdische Idee Platz habe? Was, läsen sie, dass in Fichtes deutschem Idealstaat die Juden gar keinen Platz hatten? In den „Reden an die deutsche Nation“ spreche Fichte nur den Deutschen „Charakter und Menschenwürde“ zu, obwohl er doch erwogen habe, in französische Dienste zu treten. Juden kommen in Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ nicht vor. Die berüchtigte Juden-Stelle, die Erdmann in seiner Fichte-Rede zitierte, findet sich in einer anderen Schrift, dem Revolutionsbuch, das nicht zu dem vaterländischen Schriftenzyklus gehört, dem die „Reden“ zuzurechnen sind: „Der geschlossene Handelsstaat“ (1800), die „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters“ (1805), „Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“ (1807). Fichte war kein moderner Rassist und konnte es nicht sein, da diese Kategorie an der Schnittstelle zwischen völkischem und vernaturwissenschaftlichtem Denken zu seiner Zeit noch nicht zur „outillage mental“ im Sinne des großen französischen Historikers Lucien Febvre gehörte, also zum geistigen Handwerkszeug. Indes sind die

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Die Rehoboter Bastards (Eugen Fischer, 1913)

„Reden an die deutsche Nation“ ein Baukasten der politischen Mord- und Totschlagrhetorik. Fichtes Hass auf die Franzosen ist ohne jedes Maß. Die Fähigkeit zur Kultur wird ihnen rundweg abgesprochen. Kulturfähig sind allein die Deutschen, das Urvolk, auserwählt zur Wiederherstellung der Welt aufgrund ihrer Ursprache. Der Hass Fichtes hat eine zweite Adresse, den Katholizismus. In beiderlei Hassgesang ist die deutsche Gefolgschaft Fichtes bis zum Ende des Nationalsozialismus unübersehbar groß. „So ist Fichtes Geist in seiner Consequenz gewaltthätig“ (Trendelenburg).

Bernd-A.Rusinek

Literatur J. E. Erdmann, Fichte, der Mann der Wissenschaft und des Katheders, Halle 1862. Karl Köstlin, Fichte. Ein Lebensbild. Rede am 19. Mai 1862 zu Tübingen gehalten, Tübingen 1862. Stefan Reiß, Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ oder: Vom Ich zum Wir, Berlin 2006. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Erster Band: Die Grundlagen, Freiburg i. Br. 19372. Adolf Trendelenburg, Zur Erinnerung an Johann Gottlieb Fichte. Vortrag, gehalten in der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 19. Mai 1862, Berlin 1862.

Die Rehoboter Bastards (Eugen Fischer, 1913) Eugen Fischer, ein auf dem Gebiet der Anatomie und Anthropologie habilitierter Mediziner und später Leiter des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin, war einer der Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassenideologie. Seine 1913 unter dem Titel „Die Rehoboter Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen“ erschienenen Beobachtungen und Auffassungen nach einer Forschungsreise durch Südwest-Afrika sind ein zentrales Dokument für sein rasseorientiertes Denken und die damit verbundene Sicht auf die Wertigkeit der Menschen. Die Wirkung dieses Werkes hielt sich bis in die 1960er Jahre. Die letzten Ehrungen des Autors erfolgten Mitte der 1950er Jahre (Ehrenmitglied der deutschen Gesellschaften für Anthropologie 1952 und für Anatomie 1954). Bei den „Rehoboter Bastards“ handelt es sich um Kinder, die aus Beziehungen von Burenmännern und eingeborenen Frauen aus dem Volk der Nama („Hottentotten“) hervorgingen. Fischer beschreibt das daraus entstandene, in der Umgebung von Rehobot (Namibia) lebende „Bastardvolk“ als stumpf, lau und träge, er attestiert ihm eine gewisse Gelehrigkeit, außerdem Ernst und Eitelkeit, jedoch einen großen Mangel an Kunst, Poesie und Gesang sowie Ausgeprägtheit des Willens, der doch schwach sei. Gutmütig, gefällig und gerecht sind positive Eigenschaften, die Fischer in dem Volk sieht. Er schreibt ihm auch eine generell hohe Intelligenz zu. Seine Bewertung des Volkes ist eindeutig: „Und doch behaupte ich, sie sind kulturell, nach geistiger Leistungsfähigkeit gegen die reinen Weißen minderwertig.“ Das macht Fischer an der Menge an überragenden Individuen fest, die ein Volk hervorzubringen vermag. Die Farbigen seien durchaus so „gut“ wie ein Großteil seines eigenen Volkes (damit meint er einfältige Menschen, niedere Schichten, Bauern und Handlanger), „aber daß wir aus dem Niveau der Gesamtmenge dauernd und in großer Zahl Individuen hervorbringen, die die Menge gewaltig überragen an Leistungsfähigkeit, das hebt uns als Ge-

Das Reich (1940–1945)

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samtheit himmelhoch über alle Farbigen“. Günstige Konstellationen der Erbanlagen kämen bei den Farbigen kaum, vielleicht gar nicht vor. Bei den Bastarden seien sie – wenn auch selten – zu beobachten, einzelne hochbegabte Bastarde seien der Beweis. „In dieser Rasseeigenschaft sind also unsere Bastards dem Europäer weit unterlegen […], verglichen mit der farbigen Stammrasse dagegen schneiden sie gut ab.“ Besonders verwahrte sich Fischer gegen die verbreitete Annahme, Bastarde seien immer „schlechter“ als beide Elternrassen. Fest stehe nur, dass die Rasse der Weißen nicht von Kreuzungen mit den Bastards profitieren könne. Fischer baute auf Grundlage der Mendelschen Vererbungslehre eine Hierarchie der Wertigkeit der Rassen auf. Der Farbige zählte in seiner Rassenlehre gar nichts, der Bastard etwas mehr und der Weiße stand unangefochten an der Spitze. Zur moralischen Frage und dem Umgang mit den „Mischlingen“, aber auch den Erzeugern positionierte sich Fischer klar: „Ich will nicht sagen, Verachtung für den Mann, der sich ein Hottentottenweib oder ein Bastardmädchen nimmt – aber kein Verkehr mit ihm, keine Gemeinschaft, er bricht damit die Brücke zwischen sich und seinem Volke. Seine Nachkommen sind Eingeborene von Glied zu Glied.“ Über seine Vorstellungen von Wichtigkeit und Verwendungsfähigkeit schrieb Fischer, bei den „Rehoboter Bastards“ handele es sich um „ein tüchtiges Völkchen (bei geeigneter Behandlung der zwei Klippen: Stolz und Alkohol) das beste der Kolonie“. Auch den Umgang mit dem Volk und den Nutzen, den es für die Weißen haben könnte und sollte, definierte er klar, es könne bei geeigneter Behandlung und Erziehung als eingeborene Arbeiterschicht verwendet werden. Fischer sah die Rehoboter Bastarde als eine Zwischeninstanz zwischen „dem farbigen Gesindel“ wie Viehdieben und den Weißen. Er empfahl, ihr Selbstwertgefühl, eine Stufe über den Eingeborenen zu stehen, auszunutzen. Gleichzeitig vertrat Fischer die Meinung, die Bastarde seien nur solange schützens- und erhaltenswert, wie sie dem Weißen nützlich seien. Für die Entwicklung der „Rassenhygiene“ und der nationalsozialistischen Rassenideologie bildete die Forschung Fischers einen wichtigen Schritt, der antisemitische Gedankengänge einschloss.

Angelika Benz

Literatur Pasca Grosse, Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland 1850– 1918, Frankfurt am Main, New York 2000. Peter Weingart u. a., Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt am Main 2001.

Das Reich (1940–1945) Die nationalsozialistische Wochenzeitung „Das Reich“ erschien zwischen Mai 1940 und April 1945 im Deutschen Verlag, der dem Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. GmbH (→ Eher-Verlag) angegliedert war. Das Blatt, dessen hohes journalistisches Niveau ein intellektuelles Publikum anzog, war ein Dauererfolg. 1944 hatte es eine Auflage von über 1,4 Millionen und lag damit nur knapp hinter dem → „Völkischen Beobachter“.

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Das Reich (1940–1945)

Initiator und Mitbegründer war der Stabsleiter im „Verwaltungsamt für die Presse der NSDAP“ Rolf Rienhardt (1903–1975). Unter seinem Vorgesetzen Max Amann (1891–1957) arbeitete der Jurist sämtliche Maßnahmen zur „Gleichschaltung“ der Verlage aus. Die staatliche Presselenkung sah er allerdings auch kritisch: 1933 opponierte er gegen das „Schriftleitergesetz“, das die Presse als „öffentliche Aufgabe“ definierte und Journalisten der Kontrolle des Reichspropagandaministeriums von Joseph Goebbels unterwarf. Zur Berufsausübung war ab 1934 die Eintragung in eine „Schriftleiterliste“ der Reichpressekammer nötig. Voraussetzung dafür waren auch Eigenschaften wie „politische Zuverlässigkeit“ und „arische Abstammung“. Diese Bestimmungen implizierten eine ständige Drohung mit Berufsverboten und erzwangen journalistische Anpassung. Mit Presseanweisungen und Tagesparolen wurden die Zeitungsinhalte zusätzlich stark reglementiert. Diese Eingriffe führten im Zusammenspiel mit ökonomischen Steuerungsmaßnahmen rasch zu einer Verödung der Presselandschaft. Insbesondere gebildeten Lesern erschienen Informationsgehalt wie Sprache der Zeitungen kärglich. Rienhardt beklagte 1937 und 1939 in Memoranden an Goebbels, der deutsche Journalismus habe jede Attraktivität verloren, sodass es nun am Zustrom „fähigster Köpfe“ fehle. Mit Kollegen entwickelte er schließlich das Redaktionsprogramm für eine politisch-kulturelle Wochenzeitung, die sich – weitgehend frei von staatlichen Lenkungszwängen – durch ein hohes Maß an Information und eine vielfältige Berichterstattung auszeichnen sollte. Als Mitarbeiter war an besonders fähige Journalisten aus dem bürgerlichen Lager gedacht. Goebbels, der die deutsche Presse „monoform im Willen“, aber „polyform in der Ausgestaltung des Willens“ sehen wollte, fand Gefallen an diesem Konzept. Hier bot sich ihm die Möglichkeit, die bislang in seine Propaganda noch nicht einbezogenen Journalisten der großen Traditionsblätter und deren Leser zu erreichen. Der Propagandaminister wollte sich auch als Leitartikler an die Spitze der für das Regime gewonnenen fähigsten Schreiber setzen. Mit dieser Intention wurde „Das Reich“ trotz tatsächlich gewährter Freiräume in Funktion und Wirkung zu einem wirkungsvollen Herrschaftsinstrument. Zweifellos waren die sachliche, kultivierte Sprache und die seriöse Aufmachung nach dem Vorbild des „Observer“ ein Gewinn für Mitarbeiter wie Leser. Zentrale Inhalte der NSIdeologie transportierte die Zeitung gleichwohl. Nach dem Krieg charakterisierte ein ehemaliger Mitarbeiter die Berichterstattung des „Reichs“ als „Nationalsozialismus im Frack“. Für den Antisemitismus galt das aber nur bedingt. Bezeichnend ist Goebbels’ Leitartikel „Die Juden sind schuld“, der am 16. November 1941 wenige Wochen nach der Einführung des „Judensterns“ und dem Beginn der systematischen Deportationen erschien: Darin gab er Juden die Schuld am gegenwärtigen Krieg und verwies auf Hitlers Prophezeiung von 1939, ein neuer, von Juden verursachter Weltkrieg werde zur „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ führen. Zwar bildeten solche Ausfälle im „Reich“ auch sprachlich eine Ausnahme. Eine antisemitische Diktion und eine entsprechende Weltsicht waren aber durchaus präsent: Die USA etwa galten als „Exponenten des Weltjudentums“, die eine Politik von „jüdischer Heimtücke“ betrieben. Die Identifizierung von „Jude“ und „Feind“ ist durchgängig zu beobachten, gerade auch im Bild des „jüdischen Bolschewismus“. Die Verfolgung der Juden wird, so sie Erwähnung findet, unter Verwendung antisemitischer

Der Reichs-Herold (1887–1894)

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Stereotype als notwendiger Ordnungsvorgang dargestellt. Beispielhaft sind Artikel, in denen die Ghettoisierung der als asozial, kriminell und als „Träger von Krankheitskeimen“ gebrandmarkten Warschauer Juden als effektive Maßnahme zur Befriedung des städtischen Lebens geschildert wird. Ob die Autoren des „Reichs“ – viele waren „bürgerliche Rechte“ – solche Beiträge als Anpassungsleitung oder aus Überzeugung verfassten, ist in der Forschung nicht eindeutig geklärt.

Petra Rentrop

Literatur Erika Martens, Zum Beispiel Das „Reich“. Zur Phänomenologie der Presse im totalitären Regime, Köln 1972. Hans Dieter Müller, Facsimile Querschnitt durch „Das Reich“. Eingeleitet von Harry Pross, München, Bern, Wien 1964. Victoria Plank, Die Wochenzeitung „Das Reich“. Offenbarungseid oder Herrschaftsinstrument?, in: Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.), Medien im Nationalsozialismus, Paderborn 2010, S. 308–328.

Der Reichs-Herold (1887–1894) „Der Reichs-Herold“ war eine deutschsprachige Zeitschrift, die von 1887 bis 1894 vom dem Liedforscher und Antisemiten Otto Böckel in Marburg redigiert und herausgegeben wurde. Sie war Zeit ihres Erscheinens eine der auflagenstärksten Zeitungen in Kurhessen. Die Zeitung richtete sich in erster Linie an Handwerker sowie ländliche Bevölkerung und stellte die Juden als Ursache der wirtschaftlichen Probleme in der Region dar. Die erste Ausgabe erschien zu einem Preis von 70 Pfennigen am 4. Februar 1887 und somit wenige Wochen vor den Reichstagswahlen, aus denen Otto Böckel als erster antisemitischer Reichstagsabgeordneter hervorging. Die Zeitung erschien zunächst wöchentlich, später zweimal wöchentlich. Ihre Auflage stieg bis September 1890 auf 4.600 Exemplare und erreichte ihre höchste Auflage im Frühjahr 1892 mit 11.000 Exemplaren. Obwohl „Der Reichs-Herold“ nach dem 1882 in Kassel gegründeten Wochenblatt „Reichsgeldmonopol“ bereits die zweite antisemitische Zeitung in Kurhessen war, füllte er eine Lücke, die die → „Wucherpille“ von Ernst Henrici 1886 hinterlassen hatte. Dies trug ebenso zum Erfolg bei wie die Mischung aus praktischen Hinweisen an die bäuerliche Bevölkerung und antisemitischen Schuldzuweisungen, die auf betont unterhaltsame Weise mit zahlreichen Illustrationen präsentiert wurden. Dabei propagierte „Der Reichs-Herold“ als Ideal des „deutschen Volkes“ den hart arbeitenden, produktiven Kleinbauern, der Opfer des modernen, jüdischen und unproduktiven Finanzkapitalismus geworden sei. Ursprünglich ausschließlich für seinen Wahlkampf konzipiert, bestimmte Otto Böckel maßgeblich die inhaltliche Linie des „Reichs-Herold“, aber auch bekannte Antisemiten wie Otto Glagau oder Theodor Fritsch steuerten Artikel bei. Böckel, der zuvor bereits unter dem Pseudonym Dr. Capistrano für andere antisemitische Zeitungen geschrieben hatte, verstand den „Reichs-Herold“ jedoch nicht lediglich als Organ seiner Antisemitischen Volkspartei und Instrument zur antisemitischen Agitation, sondern vielmehr als Anleitung zu einem „praktischen Antisemitismus“, die Probleme

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Reichs-Sturmfahne

nicht nur benennen, sondern sie lösen helfen sollte. Das zu lösende Problem stellte „Der Reichs-Herold“ als den Handel dar, der vollkommen in den Händen der Juden läge, die ihn angeblich zur Unterdrückung und Ausbeutung der Bauern nutzten. Obwohl Böckel auch deutsch-nationale Argumentationsmuster nutzte, war seine Zeitung eng mit den regionalen Besonderheiten Kurhessens verbunden, das im Laufe des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung stark an wirtschaftlicher Kraft eingebüßt hatte und von Armut geprägt war. Zudem war Kurhessen eine der wenigen Regionen, in denen Juden in beträchtlicher Zahl auf dem Lande siedelten und wenig assimiliert waren. Zu den üblichen Topoi der Zeitung gehörten der Verlust bäuerlicher Traditionen, die Verarmung der Höfe und die sogenannte Güterschlachterei. Alle wurden dem schädlichen Handeln der Juden angelastet, dem durch die Emanzipation der Juden Tür und Tor geöffnet worden sei. Als antisemitische Praxis zur Lösung der genannten Probleme propagierte „Der Reichs-Herold“ zunächst den Boykott jüdischer Waren, die gesellschaftliche Trennung von Juden und Christen sowie die Organisation „judenfreier Viehmärkte“ und später die Organisation der Bauern in Genossenschaften – insbesondere die Gründung von Darlehenskassen für Bauern. Neben dem Antisemitismus waren die Artikel von einem starken Antimodernismus, Antikonservatismus und Sozialreformismus geprägt. Im Verlag des „Reichs-Herold“ erschien mit der Broschüre „Die Quintessenz der Judenfrage. Ansprache an seine Wähler und alle deutsch-nationalen Männer im Vaterlande von Otto Böckel“ eine der bekanntesten antisemitischen Schriften. Die Broschüre fasste die Ansichten Böckels und des „Reichs-Herolds“ zusammen, stellte dem fleißigen und ehrlichen Bauern den arbeitsscheuen Juden entgegen und stellte jegliche Erfolge der Emanzipation infrage. Seine Argumente versuchte Böckel, der stets betonte, die bäuerlichen Verhältnisse sehr genau zu kennen, mit Statistiken zu untermauern, und forderte abschließend, die Emanzipation zugunsten einer besonderen „Fremdengesetzgebung“ aufzuheben sowie eine Mittelstandspartei zu gründen, die eine konsequente, das Bauerntum stärkende Reformpolitik betreiben sollte. Als Böckels politischer Niedergang einsetzte und er 1894 aufgrund eines Veruntreuungsskandals Marburg verlassen musste, bedeutete dies nach sieben Jahren auch das Ende für den „Reichs-Herold“. Die letzte Ausgabe erschien am 21. Dezember 1894.

Klaus Richter

Literatur David Peal, Anti-Semitism and Rural Transformation in Kurhessen. The Rise and Fall of the Böckel Movement, Ann Arbor 1985. Arne Sudhoff, Agitation und Mobilisierung ländlicher Bevölkerung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die kurhessische Zeitung Reichsherold im Schnittpunkt von Antisemitismus und Agrargesellschaft, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 11 (2001), 1, S. 87–120.

Reichs-Sturmfahne → Deutschvölkische Blätter

Der Reichsbote (1873–1936)

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Der Reichsbote (1873–1936) „Der Reichsbote“ war eine christlich-konservative Tageszeitung mit scharf protestantischem Profil, die zwischen 1873 und 1936 erschien. Sie stand im Kaiserreich den Deutschkonservativen nahe, ohne ein offizielles Parteiorgan zu sein. Innerhalb des konservativen Spektrums vertrat sie jenen Flügel, der antisemitische Ressentiments mit antikapitalistischen Positionen verband. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahre 1933 wurde in den Leitartikeln und Kommentaren des „Reichsboten“ ausdrücklich begrüßt. Zugleich wurde jedoch deutlich, dass die Redaktion ihre politische Hoffnung weniger auf die Nationalsozialisten als vielmehr auf die Deutschnationalen setzte: „Ihr großes Ziel, die absolute, unumschränkte Diktatur haben sie [die Nationalsozialisten] nicht erreicht. Aber sie haben ein höheres Ziel erreicht: die Herrschaft der geeinten, gesammelten Kräfte des deutschen Nationalismus ist aufgerichtet.“ Das Blatt bekannte sich in diesem Kontext zur Politik der „Harzburger Front“ und forderte die Eingliederung der bisher marxistischen Arbeiterschaft in den neuen Staat. Die Geschichte des „Reichsboten“ ist bis heute nur in Ansätzen erforscht. Über verlässliche Angaben verfügen wir lediglich für die Frühphase in den 1870er Jahren. Die Gründung der Zeitung erfolgte auf Initiative von Philipp von Nathusius-Ludom, der seit 1872 die Position des Chefredakteurs der „Neuen Preußischen Zeitung“ (→ „Kreuzzeitung“) bekleidete, die seit den Tagen der Märzrevolution 1848 als wichtigste publizistische Stimme der preußischen Konservativen galt. Die Verbindung zwischen den beiden Blättern war von Anfang an unübersehbar: Als Herausgeber des „Reichsboten“ fungierte Nathusius-Ludom; der erste Leitartikel des frisch gegründeten Blattes vom 1. Juli 1873 war mit dem traditionellen Motto der „Kreuzzeitung“ überschrieben: „Mit Gott für König und Vaterland!“ In Layout und Aufbau war der „Reichsbote“ der „Kreuzzeitung“ fast zum Verwechseln ähnlich, nur die markante Vignette mit dem Eisernen Kreuz fehlte. Der „Reichsbote“ kämpfte für die gleichen politischen Ziele wie die „Kreuzzeitung“, die innerhalb des konservativen Spektrums die orthodoxe Richtung vertrat: für die überlieferten Rechte der christlichen Kirchen, gegen die obligatorische Zivilehe und die konfessionell gemischte „Simultanschule“, für die Beseitigung des liberalen Wirtschaftssystems, die Privilegien der Landwirtschaft und – in gewissem Umfang – für soziale Schutzmaßnahmen für die städtische Industriearbeiterschaft, insbesondere aber gegen die „Auflösung von Zucht, Pietät, Gehorsam, Religiosität und guter Sitte“ und gegen „die Anhänger des Talmud und des Atheismus“. Unterschiede zwischen den beiden Schwesterblättern bestanden in erster Linie im Hinblick auf Sprache, Duktus und intellektuellen Anspruch – hier gab sich der Reichsbote deutlich schlichter. Zudem nahmen Meldungen und Berichte über innerkirchliche Vorgänge größeren Raum ein als bei der „Kreuzzeitung“. Zielgruppe des „Reichsboten“ war der bürgerliche, protestantische Mittelstand, während die „Kreuzzeitung“ in erster Linie im preußischen Adel, von Großgrundbesitzern, Offizieren und hohen Verwaltungsbeamten bezogen wurde. Noch bevor die sogenannten Kreuzzeitungsgruppe innerhalb der Deutschkonservativen Partei in den 1880er/90er Jahren den Schulterschluss mit den christlich-sozialen Kräften um den Berliner Hofprediger Adolf Stoecker praktizierte, signalisierte sie durch die Gründung des „Reichsboten“ den Willen zur Verbreiterung der sozialen Basis der Partei durch Öffnung in Richtung Mittelstand.

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Reichshallen-Rede (Ernst Henrici, 17. Dezember 1880)

Als Chefredakteur des „Reichsboten“ engagierte Nathusius-Ludom im Herbst 1873 den evangelischen Landpfarrer Heinrich Engel, der von der Kanzel seiner Gemeinde im oberhessischen Gelnhaar in die Redaktion nach Berlin wechselte. Als zuverlässiger Gefolgsmann Stoeckers hat Engel den „Reichsboten“ in christlich-soziale, zutiefst antisemitische Bahnen gelenkt. Obwohl selbst innerhalb des konservativen Spektrums Kritik an dem geistigen Niveau des „Reichsboten“ laut wurde, war das Blatt am Markt recht erfolgreich: Schon zwei Jahre nach seinem ersten Erscheinen hatte es knapp 5.000 Abonnenten und expandierte weiter. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges stieg die Auflage auf 11.000 bis 13.000 Exemplare. Damit war der „Reichsbote“ kommerziell erfolgreicher als die „Kreuzzeitung“. Aus der Affäre um die sogenannten Ära-Artikel, in denen die „Kreuzzeitung“ im Sommer 1875 suggerierte, Deutschland werde hinter dem Rücken der christlichen Bevölkerungsmehrheit und mit Billigung eines durch Kredite persönlich abhängigen Reichskanzlers Otto von Bismarck insgeheim von jüdischen Bankiers regiert, ging der „Reichsbote“ unbeschädigt hervor. Nachdem Bismarck im Reichstag zum Boykott der „Kreuzzeitung“ aufgerufen hatte und Nathusius am 1. Mai 1876 als Chefredakteur hatte zurücktreten müssen, zog er sich auf den „Reichsboten“ zurück, den er bis zu seinem Tod im Jahre 1900 als Herausgeber verantwortete. Der Verfasser der Ära-Artikel, Franz Perrot, profilierte sich als regelmäßiger Mitarbeiter des „Reichsboten“ mit kapitalismuskritischen und antisemitischen Texten, die er namentlich zeichnete. Die weitere Entwicklung des Blattes bietet Stoff für eingehende Forschung. Was die NS-Zeit betrifft, so darf vermutet werden, dass sich die „Tageszeitung für das evangelische Deutschland“, wie sich der „Reichsbote“ seit den Weimarer Jahren nannte, nicht systemkonform entwickelte und verhielt. Hellmut von Schweinitz, der letzte Chefredakteur, erhielt 1933 Berufsverbot. In gewisser Hinsicht schloss sich an dieser Stelle ein Kreis: Hatte einst Heinrich Engel, den der „Reichsbote“ in den letzten Jahren seines Erscheinens fälschlicherweise als Begründer im Titel führte, die Kanzel gegen die Feder getauscht, so ging Schweinitz den umgekehrten Weg: Er zog sich aus dem Journalismus zurück, studierte evangelische Theologie und wirkte ab 1941 als Pfarrer, zuletzt in Meisenheim in der Pfalz.

Dagmar Bussiek

Literatur Dagmar Bussiek, „Gute gut und das Böse böse nennen.“ Der Reichsbote 1873–1879, in: Das evangelische Intellektuellen-Milieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), hrsg. von Michel Grunewald und Uwe Puschner in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock, Bern 2008, S. 97–119.

Reichshallen-Rede (Ernst Henrici, 17. Dezember 1880) Mit seiner „Reichshallen-Rede“ vom 17. Dezember 1880 überschritt der antisemitische Gymnasiallehrer und Gründer der Sozialen Reichspartei, Dr. Ernst Henrici, die Grenze zwischen zivilisiert vorgetragener Meinungsäußerung und hasserfüllter, aufwieglerischer Hetze gegen die Juden. Ein am 19. Dezember 1880 erschienener Bericht in der Zeitung „Die Tribüne“ schilderte nicht nur den Inhalt der Rede, sondern auch den turbulenten Verlauf der Versammlung, an der etwa 3.000 Menschen, unter ihnen

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zahlreiche Juden, teilnahmen. Es kam zu wiederholten tätlichen Angriffen auf die anwesenden Juden. In der „Tribüne“ wird mehrere Male über vernehmbar heftige Schläge und furchtbares Geschrei berichtet. Die Leitung der Versammlung übernahm auf Vorschlag Henricis ein Buchdruckereibesitzer namens Ruppel, der sich dazu nur bereit erklärte, „wenn mir versichert wird, dass nur christliche Männer deutscher Abstammung in der Versammlung anwesend sind“. Dazu wurde vermerkt: „(Stürmischer Beifall und Lärm; Rufe: Hier sind Juden, Mauschels, Juden raus, raus!) Im Hintergrund des Saales werden eine Anzahl Juden gewaltsam unter Schlägen und Püffen hinausgeworfen.“ Henrici begann seine Rede an „Deutsche Männer, liebe Mitbürger!“ mit der Berufung auf die in Preußen herrschende Meinungsfreiheit und versicherte: „Was ich sage, wird Wahrheit sein.“ Nach seiner Auffassung sei die „Judenfrage“ äußerst gefährlich, da bereits Plakate mit den Worten „Schlagt die Juden todt!“ aufgetaucht wären, was kein „wehrhaft freisinniger Mann“ wollen könne. „Indessen“, so fuhr er fort: „vox populi, vox dei, des Volkes Stimme ist Gottes Stimme, es muss doch der Haß gegen die Juden irgend einen reellen Grund haben“. Mit einer Statistik wollte er belegen, dass sich die Anzahl der von Juden begangenen Delikte, „Münzverbrechen, Meineid, Verbrechen, gegen die Sittlichkeit, Betrug, Urkundenfälschung und betrügerischem Bankerott“ seit dem Gleichberechtigungsgesetz aus dem Jahr 1869 mehr als verdoppelt hätte. Dies sei auch nicht verwunderlich, da der Talmud Verbrechen gegen die Nichtjuden „protegiere“, und es entspräche darüber hinaus dem jüdischen „Nationalcharakter“. Der Jude sei unehrlich und sein einziges Ziel sei Gelderwerb. Außerdem führte die „Sittenlosigkeit“ der Juden dazu, sich „arme, hungernde Christenmädchen“ zu kaufen. Er beklagte die „Verjudung“ in Presse, Vereinen, Theatern und Ämtern und erklärte: „Weshalb denn, giebt es so viele jüdische Professoren? Weil wir ausgeplünderten Deutsche nicht mehr das Geld haben, uns jahrelang als Dozent herumzutreiben.“ Schließlich forderte Henrici „Ausnahme-Gesetze gegen die Juden!“, um die Juden gesellschaftlich zu isolieren: „Kauft bei keinem Juden mehr! Wählt keinen Juden, wählt keinen Judengenossen, wählt keinen der nicht stimmt für Ausnahme Gesetze gegen die Juden!“ Der Abdruck der Rede vermerkt an dieser Stelle „Stürmischer langanhaltender Beifall und Hurrah-Rufe“. Henrici wetterte auch gegen die Parteien: „Verjudet ist die Fortschrittspartei, verjudet die Secessionisten, verjudet die Nationalliberalen.“ Am Ende der Rede schlug Henrici dem versammelten Publikum eine Resolution gegen eine weitere Identifizierung der liberalen Parteien mit dem Judentum vor. Der „drohenden Haltlosigkeit der Bürgerschaft“ könne nur durch „Gründung einer freisinnigen vom Judenthum unabhängigen Partei“ vorgebeugt werden. Die Resolution wurde mit allen gegen sieben Stimmen angenommen. Der bevorstehende Kampf und Sieg wurde mit den Worten angekündigt: „Was macht es denn wenn Einer fällt? Tausende und Hunderttausende springen auf seinen Platz.“ Der Abdruck der Rede endet mit dem Vermerk: „Eine Menge Menschen stürzt sich auf die Tribüne um dem Redner die Hände zu schütteln oder ihn zu umarmen.“ Der Bericht der „Tribüne“ endet mit dem Satz, „Unter dem Gesang: ‚Schmeißt ihn raus den Juden Itzig, denn was er sieht das nimmt er sich’ wälzten sich die Massen aus dem Saal“.

Barbara Distel

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Reichspost (Österreich, 1894–1938)

Literatur Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Gerd Hoffmann, Der Prozeß um den Brand der Synagoge in Neustettin. Antisemitismus in Deutschland ausgangs des 19. Jahrhunderts, Schifferstadt 1998. Barnet Peretz Hartston, Sensationalizing the Jewish question, anti-Semitic trials and the press in the early German Empire, Leiden 2005.

Reichspost (Österreich, 1894–1938) Die österreichische Tageszeitung „Reichpost“ stand dem christlich-konservativen Lager nahe. In ihr wurden massiv antisemitische Inhalte vertreten. Die „Reichspost“ erschien erstmals am 1. Januar 1894 und richtete sich an „das christliche Volk Österreich-Ungarns“. 1896 nahm Friedrich Funder (1872–1959), der bekannteste Herausgeber der Zeitung, seine Arbeit bei der „Reichspost“ auf. 1902 wurde Funder Chefredakteur, er gab die Zeitung ab 1904 heraus. Die „Reichspost“ war mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren die viertgrößte Zeitung im damaligen Österreich. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 geriet das kaisertreue Blatt in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten und konnte nur durch Subventionen erhalten werden. Seit ihrem Bestehen beschäftigte sie sich mit der „jüdischen Frage“, wobei die Angriffe der „Reichspost“ gegen Juden allgemein und nicht gegen Einzelpersonen gerichtet waren. Sowohl gegen die „Neue Freie Presse“ mit ihren überwiegend jüdischen Redakteuren ritt die „Reichspost“ antisemitische Angriffe als auch gegen die Sozialdemokratie, der unterstellt wurde, sie würde jüdischen Flüchtlingen den Aufenthalt im Land ermöglichen und erlauben. Vor allem in den ersten Nachkriegsjahren war ein Anstieg antijüdischer Artikel zu verzeichnen. Am Tag des Waffenstillstandes zwischen Österreich-Ungarn und der Entente veröffentlichte die „Reichspost“ ein Gedicht, in dem es hieß: „Und werfen trotzig selbst in dieser Stunde/Den alten Spruch dem Feinde ins Gesicht:/Den deutschen Geist erschlugt ihr nicht!/Am deutschen Wesen/Wird doch noch einmal alle Welt genesen.“ Den Friedensvertrag von Versailles bezeichnete die „Reichspost“ als „Schandfrieden“ und leistete auch der Dolchstoßlegende Vorschub. Kurz nach dem Waffenstillstand wurde in der „Reichpost“ behauptet, jüdische Soldaten würden Wertgegenstände aus dem Schloss Schönbrunn und der Hofburg stehlen. Auch ein rassischer Antisemitismus wurde in der „Reichspost“ vertreten, wenn 1919 behauptet wurde, dass sechs Millionen Deutsche in Österreich von Juden regiert würden, die nicht nur einer anderen Nation, sondern auch einer anderen Rasse angehörten. Im gleichen Artikel wurde die Ausweisung der sogenannten Ostjuden gefordert. So titelte die „Reichspost“ am 30. September 1919 „Wien den Wienern!“ und berichtete ausführlich und wohlwollend über eine Kundgebung, bei der die Ausweisung der „Ostjuden“ gefordert wurde. Im selben Jahr wurde die Gründung des „Antisemitenbundes“ von der „Reichspost“ damit legitimiert, dass dies „bescheidene Anfänge eines Christenemanzipationsversuchs“ gegen eine „verschleierte Judenoligarchie“ wären. Ein bevorzugtes Thema des katholischen Blattes waren die angeblichen Bemühungen von Juden, die Weltherrschaft zu übernehmen. So befasste sich ein Arti-

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kel mit den → „Protokollen der Weisen von Zion“. In der „Reichspost“ wurden auch Sondergesetze gegen Juden gefordert, die die Freiheit in der Wahl des Gewerbes, des Berufs und der Niederlassung einschränken sollten. Zudem sollte verhindert werden, dass Juden ein öffentliches Amt bekleiden oder ihr Wahlrecht ausüben könnten. Fritz Schönpflug schuf in der „Reichspost“ eine besonders aggressive Form von Hetzkarikaturen gegen Juden, an die der → „Stürmer“ übergangslos anschließen konnte. In allen Bereichen war die „Reichspost“ stark antimodernistisch engagiert. So wurde gegen Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“, gegen Arthur Schnitzlers „Reigen“ oder gegen die „jüdische“ Psychoanalyse mobilisiert. Diese wäre nur „aus der Mentalität jener Umgebung zu begreifen, aus der ein Sigmund Freud hervorkam und der er durch die ganze Zeit seines Lebens die Treue hält“. Als 1921 Albert Einstein in Wien Vorträge hielt, wurde er als „Fremdling Einstein“ bezeichnet und die Relativitätstheorie als „Eindringen des Bolschewismus in die Wissenschaft“ und als aus einem „jüdisch-talmudischem Geist“ entstammend glossiert. Der Machterhalt der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 wurde von Autoren der „Reichspost“ begrüßt. Friedrich Funder leitete von 1902 bis 1938 die „Reichspost“ und beeinflusste damit maßgeblich die Politik der Christlichsozialen Partei. Funder, der ursprünglich Priester werden wollte, war zunächst Monarchist, galt in der Ersten Republik als Vertrauter von Kanzler Ignaz Seipel und unterstützte ab 1934 den Austrofaschismus. Seipel übernahm ab 1918 den Vorsitz des Trägervereins der „Reichspost“, Herold (während seiner Kanzlerschaft ruhte der Vorsitz). Der Antisemitismus Funders und der „Reichpost“ spiegelte die Phasen des Antisemitismus allgemein wider. Sehr ausgeprägt war dieser zwischen der Gründung der „Reichspost“ 1894 und der Ernennung Karl Luegers zum Bürgermeister Wiens 1897. Während der Amtszeit Luegers ging der „Antisemitismus“ zurück und flammte 1911, nachdem die Christlichsozialen die Wahlen zum Abgeordnetenhaus verloren hatten, wieder auf. Nach der Niederlage der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg, die die Zeitung dem Einfluss des „internationalen Judentums“ zuschrieb, wuchs der Antisemitismus erneut und blieb in den ersten Jahren nach dem Krieg stark ausgeprägt. Erst zwischen 1926 und 1929 ging der Antisemitismus der „Reichspost“ wieder zurück, um mit der Wirtschaftskrise und dem Aufstieg der Nationalsozialisten erneut stark anzusteigen. Als mit 30. September 1938 die „Reichspost“ eingestellt werden musste, wurde Funder verhaftet und in das KZ Dachau gebracht. Nach 1945 verlegte er die katholische Wochenzeitung „Die Furche“, in der jedoch kein Antisemitismus mehr vorkam.

Christian Pape

Literatur Bruce Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien 1993. Ulrich Weinzierl, Die Kultur der Reichspost, in: Franz Kadrnoska (Hrsg.), Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938, Wien, München, Zürich 1981, S. 325–344.

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Der Reichswart (1920–1944)

Der Reichswart (1920–1944) Begründer der seit Herbst 1920 erscheinenden Wochenzeitschrift „Der Reichswart“ war der Journalist, Schriftsteller und spätere deutschvölkische bzw. nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow, der während des gesamten Erscheinungsverlaufs bis zu seinem Tod 1943 als alleiniger Herausgeber und federführender Redakteur agierte. Die Zeitschrift erschien in Berlin in Reventlows eigenem Reichswart-Verlag. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war Reventlow als ein namentlich in außenpolitischen Fragen versierter Mitarbeiter bei Zeitungen unterschiedlichster politischer Provenienz hervorgetreten, etwa der → „Kreuzzeitung“, dem „Berliner Tageblatt“, der „Deutschen Tageszeitung“ oder den → „Alldeutschen Blättern“. Auch für die Zeitschrift „Die Zukunft“ des jüdischen Publizisten Maximilian Harden, von dem er sich später distanzierte, hatte Reventlow vor dem Krieg gelegentlich Beiträge verfasst. „Der Reichwart“, der bis zum Sommer 1922 als „Parteilose Wochenschrift“ und in späteren Jahren als „Wochenschrift für nationale Unabhängigkeit und deutschen Sozialismus“ untertitelt war, stand in weltanschaulicher Hinsicht allerdings von Beginn an fest auf völkisch-antisemitischer Grundlage. Die ersten drei Jahrgänge trugen auf dem Titelblatt noch das programmatische Motto: „Für die Deutschen daheim und draußen. Für ein ungeteiltes Volk. Für unverzagte Arbeit. Für Gemeinbürgschaft aller vergewaltigten Völker. Für Vereinigung mit den österreichischen Brüdern. Für sozialen Ausgleich.“ Die redaktionelle Leitlinie des „Reichswarts“ folgte in der Weimarer Republik überwiegend den völkisch-sozialrevolutionären Auffassungen des Herausgebers. Beiträge zu kulturellen und wirtschaftlichen Fragen spielten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Kulturelle Themen wurden eher in Form von extern entstandenen Beilagen eingebracht, etwa der seit Januar 1923 zweimal monatlich beigefügten Literaturbeilage „Deutsches Schrifttum“ des völkischen Literaturhistorikers Adolf Bartels. Nach dem tödlichen Attentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau, das Reventlow in einem Artikel als „töricht“ bezeichnete, da es die günstige „taktische Lage für Vertreter einer nationalen und völkischen Politik“ unterminiere und den Behörden einen Vorwand für Sanktionen liefere (30. Juni 1922), plädierte „Der Reichswart“ 1922 für eine Abspaltung des radikal antisemitischen Flügels der Deutschnationalen Volkspartei, begrüßte zur Jahreswende 1922/23 die aus dieser Abspaltung resultierende Gründung der Deutschvölkischen Freiheitspartei, empörte sich 1923 gegen deren Verbot und unterstützte im Frühjahr 1924 den ersten Reichstagswahlkampf der wieder zugelassenen Partei. Der in völkischen Kreisen geäußerten und als berechtigt erachteten Kritik an der Entscheidung, sich einer demokratischen Wahl zu stellen, hielt der „Reichwart“ rechtfertigend entgegen, man sei notgedrungen zu der Ansicht gelangt, dass es „kein anderes Mittel […] für politische Geltungsmachung gäbe, als eben parlamentarische Tätigkeit“ (1. März 1924). Am Beispiel der Nationalsozialisten habe man gerade erst beobachten können, dass auf anderen Wegen nicht weiterzukommen sei. Wenngleich es sich beim „Reichswart“ um keine Parteipublikation handelte, berichtete die Zeitschrift, deren Herausgeber 1922 zum Kreis der Gründer der Deutschvölkischen Freiheitspartei zählte und für diese von Mai 1924 bis Februar 1927 ein

Das religiöse Gesicht des Judentums

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Mandat im Reichstag wahrnahm, kontinuierlich über deutschvölkische Belange. Für Abonnenten wurde „Der Reichswart“ ab 1923 zeitweilig in Kombination mit dem von Reinhold Wulle herausgegebenen Parteiorgan → „Das Deutsche Tageblatt“ angeboten. Der Anzeigenteil warb zudem regelmäßig für einschlägige völkische und judenfeindliche Schriften, z. B. für → „Das Handbuch der Judenfrage“ des notorischen Antisemiten Theodor Fritsch. Im Gegensatz zu der in sozialen Fragen konservativ orientierten Führungsspitze der Deutschvölkischen Freiheitspartei befasste sich Ernst Graf zu Reventlow im „Reichwart“ häufig mit dem Sozialismus und sozialrevolutionären Ideen, speziell mit der Frage, ob und wie sozialistische und völkische Interessen miteinander verbunden werden könnten. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den Deutschvölkischen und den Nationalsozialisten, die 1926/27 unter anderem auch auf dem Wege von Artikeln und offenen Briefen im „Reichswart“ ausgetragen wurden, trat Reventlow im Februar 1927 zu den Nationalsozialisten über. Der Parteiwechsel des Herausgebers hinterließ im „Reichswart“ umgehend inhaltliche Spuren, u. a. wurde der NSDAP eine eigene Rubrik eingeräumt. In den 1930er Jahren durchlief die Zeitschrift eine zweite Richtungsanpassung, als Reventlow, der Mitglied der völkisch-religiösen Deutschen Glaubensbewegung war, zu deren Leiter aufstieg. Von 1934 bis zu Reventlows zwei Jahre später erfolgtem Austritt aus der Deutschen Glaubensbewegung diente der „Reichswart“ nun als offizielles Presseorgan dieser das Christentum als „jüdisch“ ablehnenden deutschgläubigen Sekte. „Der Reichswart“ blieb über 1936 hinaus unter dem gewohnten Titel noch bis 1943 bestehen, hatte aber im vormals heterogenen Spektrum der völkisch-antisemitischen Klientel längst nicht mehr dieselbe Bedeutung wie in der Weimarer Republik. Hinzu kam, dass Ernst Graf zu Reventlow verstärkt in anderen antisemitischen Periodika ein Sprachrohr fand, etwa in den → „Nationalsozialistischen Monatsheften“ oder der im Umfeld des Instituts zur Erforschung der Judenfrage erschienenen Zeitschrift → „Der Weltkampf“, für die er auch als Herausgeber tätig war.

Stefanie Schrader

Literatur Stefanie Schrader, Völkische Opposition. Eine Untersuchung zur parteipolitischen und parlamentarischen Partizipation der Deutschvölkischen Freiheitspartei/Deutschvölkischen Freiheitsbewegung in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 2012.

Das religiöse Gesicht des Judentums (Walter Grundmann, Karl Friedrich Euler, 1942) Im Jahr 1942 erschien in der Reihe der Veröffentlichungen des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, das im Mai 1939 in Eisenach gegründet wurde (→ Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche), eine von Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und völkische Theologie in Jena und wissenschaftlicher Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts“, und Karl Friedrich Euler, Dozent für alttesta-

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Das religiöse Gesicht des Judentums

mentliche Wissenschaft, biblische Geschichte und orientalische Sprachen in Gießen, herausgegebene Schrift mit dem Titel: „Das religiöse Gesicht des Judentums“ im Verlag Georg Wigand in Leipzig. Dieses Beiheft zur Reihe „Germanentum, Christentum und Judentum“ (→ Christentum und Judentum) beinhaltet drei Aufsätze: zwei von Euler und einen von Grundmann. Die Publikation geht auf Vorträge zurück, die auf Veranstaltungen des kirchlichen „Entjudungsinstituts“ gehalten wurden. Anliegen der Schrift sei es, so Euler und Grundmann im Vorwort, die „geschichtliche Berechtigung“ Deutschlands „zum Kampf gegen das Judentum“ zu untermauern. In dem Aufsatz „Hebräer, Israeliten, Juden“ setzt sich Euler mit der Frage der Entstehung des Judentums auseinander und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das Judentum keine wirkliche Heimat habe: „Doch der Jude – zwar verrät er noch in seiner Gestalt die Herkunft aus dem Morgenlande, in seinen Vorstellungen aber und Hoffnungen ist er der heimatlose Weltbürger, der keine Völker und Länder kennt, sondern nur die Welt als seinen Besitz. […] Dort von wo heute das Judentum auszieht, um sich die Welt untertan zu machen, dort ist seine Heimat! Nicht der alte Orient, die Heimat der Hebräer, nicht Palästina, die einstige Heimat der Israeliten und Judäer – die Heimat des Judentums ist das Ghetto!“ Auch Grundmann vertritt in dem zweiten Aufsatz „Die geistige und religiöse Art des Judentums“ ähnliche antisemitische Stereotype, indem er dem Judentum die „Aneignung fremder Geschichte und Ideen“ und deren „Zersetzung“ durch einen „rechnerischen Vergeltungsgedanken“, durch das „mechanistisch-formalistische Denken“, „durch materialistische Gesinnung“ und „durch jüdisches Weltherrschaftsstreben“ vorwirft. Dem Judentum sei es sowohl in der antiken als auch in der modernen Welt gelungen, das „Märchen“ zu verbreiten, „im Judentum repräsentiere sich wahres und ältestes Menschentum“. Demgegenüber stelle es die Aufgabe deutscher Geisteswissenschaft dar, „das geistige und religiöse Gesicht des Judentums scharf zu erkennen“, denn: „Der Jude muß als feindlicher und schädlicher Fremder betrachtet werden und von jeder Einflußnahme ausgeschaltet werden.“ Den Gedanken der „Zersetzung“ nimmt auch Euler in seinem zweiten Aufsatz „Die jiddische Sprache als Ausdruck jüdischer Geistesart“ wieder auf, der als Anhang des Buches ausgewiesen ist. In Form einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung versucht er darin zu belegen, dass das Jiddische letztlich nur noch „eine verkommene, zersetzte Sprache“ sei, deren Kennzeichen „sprachliche Instinktlosigkeiten“, das rein analytische Verhältnis der Juden zu ihrer Sprache und die Nutzung des Jiddischen als Geheimsprache, „die nur dem verständlich ist, der mit der jüdischen Geistesart völlig vertraut ist“, seien. Die Thesen Eulers und Grundmanns finden auch heute noch Verbreitung in rechtsextremen Kreisen. Eine Faksimile-Ausgabe besagter Schrift ist 1997 im → Verlag für ganzheitliche Forschung erschienen.

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008.

Rembrandt als Erzieher (August Julius Langbehn, 1890)

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Rembrandt als Erzieher (August Julius Langbehn, 1890) „Rembrandt als Erzieher“ ist das Hauptwerk des Kulturphilosophen August Julius Langbehn (1851–1907). Das Buch unterzieht die Wilhelminische Epoche einer Kultur- und Wissenschaftskritik. Der radikale, kulturpessimistische Tenor des Werks verband sich vor allem in den Folgeauflagen mit antisemitischem Gedankengut. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Langbehn hatte zwischen 1869 und 1880 in Kiel und München Philologie und Archäologie studiert und mit einer kunstgeschichtlichen Arbeit promoviert. In der Folgezeit wandte er sich jedoch unter dem Einfluss der Schriften Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches von der modernen Wissenschaft ab, der er vorwarf, nüchterne Erkenntnisproduktion über poetische Sinnstiftung zu stellen. Langbehn führte seitdem ein unstetes Wanderleben ohne festen Beruf und häufig auch ohne festen Wohnsitz. Längere Stationen lassen sich in Dresden, Wien und München ausmachen. Zunächst bewegte er sich im Umfeld der Lebensreformbewegung, später wandte er sich religiösen Fragen zu und konvertierte 1900 zum Katholizismus. Langbehn fand in geistesverwandten Künstlerkreisen namhafte Unterstützer, die ihn förderten und seine Publikationen ermöglichten. Hierzu zählen Hans Thoma, Karl Haider, Cornelius Gurlitt, Woldemar von Seidlitz sowie sein späterer Biograf Benedikt Momme Nissen. Zum Erfolgsautor machte Langbehn sein Buch „Rembrandt als Erzieher“, das ihm den Beinamen „der Rembrandtdeutsche“ einbrachte. Das Werk erschien 1890 zunächst anonym („von einem Deutschen“) im Leipziger Verlag Hirschfeld. Im Gewand einer kulturwissenschaftlichen Studie missachtete „Rembrandt als Erzieher“ bewusst wissenschaftliche Konventionen und setzte eine intuitive, ganzheitliche Wesensschau an die Stelle seriöser Quellenkritik. Langbehn taufte dieses Verfahren „Makroskopie“. Inhaltlich bot das Werk eine radikale, kulturpessimistische Zeitkritik. Langbehn behauptete, Aufklärung, Wissenschaftsdenken und Urbanisierung hätten eine minderwertige, entindividualisierte Massenkultur entstehen lassen. Die idealistische und sinnstiftende Betrachtungsweise der Welt durch Kunst und Religion werde durch die Verwissenschaftlichung und Ökonomisierung des kulturellen Feldes zunehmend verdrängt. An die Stelle heimatlicher Verwurzelung sei ein identitätsloser Kosmopolitismus getreten. Als Gegenpol zur verhassten Moderne setzte Langbehn den Typus des „Niederdeutschen“, verkörpert durch den Maler Rembrandt. Aus seinem Geist solle eine völkische Wiedergeburt durch Kunst entspringen, initiiert von „Geistesheroen“, die Individualismus, Gemütstiefe, Schlichtheit, Ganzheitlichkeit, Verwurzelung im Volkstum zu neuer Geltung bringen. Obwohl Langbehn bewusst originell wirken wollte, lassen sich doch einige Quellen für sein Gedankengut ausmachen. Von großem Einfluss waren die Rembrandtstudien Wilhelm Bodes, die → „Deutschen Schriften“ Paul de Lagardes und die Lebensphilosophie Friedrich Nietzsches. Der Antisemitismus spielte in Langbehns Kulturkritik zunächst nur eine untergeordnete Rolle. In Übereinstimmung mit dem christlich-konservativen Judenbild differenzierte Langbehn zwischen dem biblischen, dem orthodoxen und dem modernen Judentum. Den alttestamentarischen und orthodoxen Juden gestand er sogar geistesheroische Qualitäten zu, während sich das moderne Judentum von seinem ursprünglichen Wesen entfremdet habe. In den modernen Juden erblickte Langbehn Träger ver-

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hasster Modernisierungsprozesse und ein Hindernis auf dem Weg zur völkischen Wiedergeburt. Schon bald erschienen mehrere Neuauflagen, in denen die Judenfeindschaft an Gewicht und Radikalität zunahm. Entscheidend dafür dürften Langbehns Kontakte zu antisemitischen Kreisen in Dresden gewesen sein. Langbehn wechselte zum antisemitischen → Glöß-Verlag und fand in dem völkischen Schriftsteller Max Bewer einen fanatischen Anhänger. Aus Bewers Feder stammt auch die anonyme Rechtfertigungsschrift „Der Rembrandtdeutsche. Von einem Wahrheitsfreund“ (1892), die die Kritiker des Rembrandtbuches mit vulgärantisemitischen Hasstiraden überzog und lange Zeit irrtümlich Langbehn selbst zugeschrieben wurde. Eine weitere Veränderung in den Neuauflagen ist die positivere Bewertung des Katholizismus, den Langbehn mit völkischem Gedankengut verbinden wollte. Während der Protestantismus Rationalismus und Wissenschaftsdenken fördere, fuße der Katholizismus auf Mystizismus, Tiefe und Innerlichkeit, weshalb er der bessere Ausgangspunkt für eine völkische Wiedergeburt sei. Das Buch existierte nunmehr in drei verschiedenen Fassungen: der ursprünglichen, einer antisemitischen (ab 13. Auflage) und einer prokatholischen (ab 37. Auflage). „Rembrandt als Erzieher“ entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Bestseller in der Geschichte der völkischen Literatur. Zwischen 1922 und 1943 erschien das Buch in günstigen Volksausgaben im Weimarer Verlag Duncker. Bis 1945 kamen über 40 Auflagen mit insgesamt 250.000 Exemplaren auf den Buchmarkt. Zum einen bediente das Buch geschickt den kulturpessimistischen und modernisierungsfeindlichen Zeitgeist in Teilen des Bürgertums. Zum anderen weckte die exzentrische und geheimnisumwitterte Persönlichkeit des Autors das Interesse einer breiten Leserschaft. Langbehn avancierte zu einer medialen Kultfigur, mit der sich Prominente schmückten. Altreichskanzler Otto von Bismarck gewährte dem „Sonderling“ 1891 eine Audienz in Friedrichsruh. Die Urteile über das Buch in der Presse reichten von spöttischen Verrissen bis hin zu enthusiastischen Lobeshymnen. Wegen seiner offenkundigen Wissenschaftsfeindlichkeit wurde „Rembrandt als Erzieher“ von der Gelehrtenwelt überwiegend skeptisch aufgenommen. Es erschienen sogar Persiflagen, die Langbehns Stil nachahmten und sein assoziatives Drauflosphilosophieren demaskierten. Der Literaturkritiker Leo Berg und der Verleger Arthur Seemann verwiesen auf den Antisemitismus des Werks, das einen platten Chauvinismus als tiefgründige Philosophie vermarkte. Inspirierend wirkte Langbehns Gedankengut dagegen auf die junge Heimatkunstbewegung um Zeitschriften wie „Kunstwart“ (herausgegeben von Ferdinand Avenarius) und „Deutsche Heimat“ (herausgegeben von Friedrich Lienhard). Für die geforderte regionale „Erdung“ von Kunst und Kultur lieferte Langbehns Buch den theoretischen Rahmen. Prägend wirkte „Rembrandt als Erzieher“ auf die Jugendbewegung. Die weite Verbreitung der Identifikation des Judentums mit der abgelehnten industriellen Moderne und den bürgerlich-liberalen Werten der Elterngeneration, wie sie von Ludwig Klages und Hans Blüher auf die Spitze getrieben wurde, wäre ohne Langbehns Vorbild nicht denkbar. Eine Zusammenstellung antisemitischer Zitate Langbehns erschien 1920 unter dem bezeichnenden Titel „Jugend und Juden“. Auch die völkische Bewegung lobte die Verbindung von Antisemitismus und Kulturkritik, störte sich aber

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an Langbehns Neigung zum Katholizismus. Gerade diese erklärt dagegen den Erfolg des Buches im Kultur- und Rechtskatholizismus, wo man sich nach der Vereinbarkeit von Katholizismus und Nationalismus sehnte. Der Theologe Paul Wilhelm Keppler lobte in den „Historisch-politischen Blättern“ sogar ausdrücklich Langbehns Antisemitismus, forderte aber, anstelle Rembrandts Christus als völkischen Erneuerer einzusetzen. Für die im Kaiserreich noch sehr kleinen völkisch-katholischen Zirkel in Freiburg und München wurde Langbehn zu einer wichtigen Identifikationsfigur. In den 1920er und 1930er Jahren veröffentlichte Momme Nissen Schriften aus dem Nachlass Langbehns und verfasste eine Biografie. Das Interesse am Rembrandtdeutschen blieb in der Weimarer Republik und im Dritten Reich gleichermaßen groß. Die Nationalsozialisten stilisierten Langbehn zum „Seher“ und „Mahner“, der an den Zeitumständen scheitern musste. Adolf Hitler schätzte „Rembrandt als Erzieher“ und verfügte über ein Exemplar in seiner Privatbibliothek. Tatsächlichen Einfluss dürfte Langbehns Gedankengut aber wohl nur auf den jugendbewegten und altvölkischen Flügel der NSDAP gehabt haben. Julius Langbehns „Rembrandt als Erzieher“ wirkte vor allem auf jene Denker und Bewegungen inspirierend, die sich mit der Moderne in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft nicht abfinden konnten oder wollten. Der Antisemitismus spielte in diesem Zusammenhang eine wachsende Rolle, indem man im „Juden“ die Triebfeder verhasster Modernisierungsprozesse namhaft machte. In der völkischen Bewegung, der Jugendbewegung und zahlreichen geistesverwandten Strömungen wurde das Gefühl der Entfremdung in der Moderne geradezu gewohnheitsmäßig auf eine jüdische Überfremdung von Gesellschaft und Kultur zurückgeführt. Langbehns Rembrandtbuch hat die innige Verbindung zwischen Antisemitismus und Kulturpessimismus nicht ausgelöst, aber erheblich befördert. Die historische Forschung hat den Antisemitismus in „Rembrandt als Erzieher” unterschiedlich bewertet. Ältere Studien haben das Werk primär unter biographischen Gesichtspunkten gedeutet und über psychopathologische Züge in Langbehns Persönlichkeit spekuliert. Fritz Stern und Bernd Behrendt erkennen in „Rembrandt als Erzieher” ein Produkt des kulturpessimistischen Zeitgeistes, wobei Stern die präfaschistischen Elemente stärker betont als Behrendt. Johannes Heinßen unterscheidet den antimodernen Inhalt, einschließlich des eher peripheren Antisemitismus, von der modernen Form des Buches. Zum einen ist jedoch die von Langbehn praktizierte collagenartige und sinnverfremdende Rekombination von Bildungswissen eher für die Postmoderne als für die Moderne charakteristisch. Zum anderen war der Antisemitismus in „Rembrandt als Erzieher”, auch wenn das Werk keine eigenständige antisemitische Weltanschauung entwarf, aus wirkungsgeschichtlicher Perspektive keineswegs randständig. Zu einer differenzierten Analyse des Langbehnschen Antisemitismus könnten text- und editionsgeschichtliche Studien beitragen, die sich den verschiedenen Fassungen und Auflagen seines Werks vergleichend zuwenden.

Thomas Gräfe

Literatur Bernd Behrendt, August Julius Langbehn, der „Rembrandtdeutsche“, in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 18711918, München 1996, S. 94–113.

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Remer-Depesche (1991–1994)

Bernd Behrendt, Zwischen Paradox und Paralogismus. Weltanschauliche Grundzüge einer Kulturkritik in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts am Beispiel August Julius Langbehns, Frankfurt am Main 1984. Thomas Gräfe, Zwischen katholischem und völkischem Antisemitismus. Die Bücher, Broschüren und Bilderbogen des Schriftstellers Max Bewer (1861–1921), in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 34 (2009), 2, S. 121–156. Johannes Heinßen, Kulturkritik zwischen Historismus und Moderne. Julius Langbehns „Rembrandt als Erzieher“, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 121–137. Gilbert Merlio, Kulturkritik um 1900, in: Michel Grundewald, Uwe Puschner (Hrsg.), Krisenwahrnehmung in Deutschland um 1900. Zeitschriften als Foren der Umbruchszeit im wilhelminischen Reich, Bern 2010, S. 25–52. Jürgen Paul, Der „Rembrandtdeutsche“ in Dresden, in: Dresdner Hefte 17 (1999), 57, S. 4– 13. Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern 1963.

Remer-Depesche (1991–1994) Otto Ernst Remer, der als Kommandeur des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“ an der Niederschlagung des Attentats gegen Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 beteiligt war, gehörte zu den Mitbegründern der ersten rechtsextremistischen Nachkriegspartei in Deutschland, der Sozialistischen Reichspartei (SRP). Über Jahre zählte Remer zu den führenden Rechtsextremen der Bundesrepublik, wurde in der Szene zur Kultfigur und war maßgeblich am strukturellen Aufbau des Spektrums beteiligt. 1991 gründete er die J.-G.-Burg-Gesellschaft (Bad Kissingen), als deren Organ noch im Juni desselben Jahres die vierseitige revisionistische, hetzerisch-antisemitische und rassistische „Remer-Depesche“ erstmals erschien. Bis 1993, als der Bundesgerichtshof die Revision eines Urteils gegen Remer wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass abwies und der Antritt der Haftstrafe bevorstand, war er Herausgeber des Hetzblattes. In der „Remer-Depesche“ – bis 1994/1995 bis zu siebenmal im Jahr im Zeitungsformat vertrieben – wurde wiederholt die Existenz der Gaskammern geleugnet („Auschwitz – Aus für die Gaskammern“, „Es gab keine Gaskammern. Es gab keinen Völkermord an Juden“), das Protokoll der Wannsee-Konferenz als Fälschung diffamiert, dem KGB unterstellt, „die Holo-Lüge mit geschaffen“ zu haben, und dem renommierten Münchener Institut für Zeitgeschichte wurde vorgeworfen, „im offiziellen Auftrag der Bundesregierung“ Zeitgeschichte zu fälschen (Februar 1994). Die zweite Nummer des Jahres 1991 machte die Intention des Herausgebers einmal mehr deutlich: „Auschwitz: Aus für die Gaskammern – Galinski stehend k.o. – Lügen als Besatzungsräson“. Unter dem Titel „Ersatz-Holocaust“ erschien im Juli 1993 anlässlich der Brandanschläge in Mölln und Solingen ein polemischer Beitrag über brennende Asylbewerberheime, in dem behauptet wurde, diese seien „übrigens z. T. von den Asylanten selber angezündet“ worden. Weiter hieß es dort: „Und was geschieht, wenn sich auch keiner mehr über brennende Türkenhäuser aufregt? Dann wird der israelische Geheimdienst Mossad dazu übergehen, Juden zu verbrennen und es Deut-

Richter und Antisemiten (Adolf von Thadden, 1959)

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schen in die Schuhe zu schieben. Wenn schon der alte nichts mehr taugt: das wäre dann wahrlich ein neuer, ein Ersatz-Holocaust!“ Im August 1993 feierte die „RemerDepesche“ den „Helden in Arabien“, den radikalen Islamisten und Holocaustleugner Ahmed Rami und sein „Radio Islam“, weil Rami in den „größten arabischen Zeitungen über die Holocaust-Lüge“ geschrieben und für die Zeitung „Al Shaab“ (das Volk) ein „großes Interview mit General Remer“ geführt habe. In dem Artikel heißt es weiter, „Israel nehme die Holocaust-Lüge als Vorwandt [sic], um damit den Massenmord an den Palästinensern und die militärische Bedrohung gegen alle Araber zu rechtfertigen“. In der gleichen Ausgabe zeigt sich, inwieweit sich die Herausgeber überschätzten bzw. wie stark sie sich wohl selbst Mut zusprechen mussten: „Erst wenn jeder Deutsche die Remer-Depesche kennt und die Politiker vor der nächsten Ausgabe unseres Blattes zittern, ist die Wahrheit zum Greifen nah!“ Im Januar 1994 warb die „Remer-Depesche“ mit der Parole: „Wenn der Holocaust eine Lüge ist, dann ist Antijudaismus Pflicht!“ Damals zeichnete ein Heiko Schwind als Chefredakteur, als Herausgeber firmierte Gerhard Körner, beides wohl Pseudonyme des von Remer beauftragten Gutachters Germar Rudolf, der glaubte beweisen zu können, dass die Gaskammern und die Massentötung von Juden eine Lüge seien. Als Postanschrift war eine Adresse in Brighton, East Sussex angegeben, und gedruckt wurde das Blatt 1994 – nach Eigenangaben mit einer Auflage von 100.000 Stück – in Lissabon, 1993 – mit einer Auflage von angeblich 150.000 – noch in Barcelona. Da anfänglich gar von 200.000 verteilten Exemplaren die Rede war, scheint die Auflage doch stetig gefallen zu sein. Im Oktober 1992 hatte das Landgericht Schweinfurt eine Haftstrafe von 22 Monaten ohne Bewährung gegen Remer wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass in der „Remer Depesche“ verhängt. Kurz vor dem fälligen Haftantritt floh Remer 1994 nach Spanien. Die „Remer-Depesche“ wurde nun von dort aus vertrieben, stellte aber bald ihr Erscheinen ein. Noch heute lassen sich über die Verkaufsplattform Amazon „ca. 15 verschiedene Ausgaben – Erscheinungsort Bad Kissingen“ bestellen, die wiederum von „DKV Buchwelten“, einem Antiquariatsportal angeboten werden, das auch ein Liederbuch des Reichsarbeitsdienstes vertreibt.

Juliane Wetzel

Literatur Franziska Hundseder, Rechte machen Kasse. Gelder und Finanziers der braunen Szene, München 1995.

Der Republikaner → Schweizerische Republikanische Blätter Revue romande → Nouvelle Revue romande

Richter und Antisemiten (Adolf von Thadden, 1959) Adolf von Thadden (1921–1996) veröffentlichte 1959 die Broschüre „Richter und Antisemiten“ im Reichsruf-Verlag, in der er u. a. die Zahl der Holocaustopfer und die Echtheit des Tagebuchs der Anne Frank anzweifelt.

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Richter und Antisemiten (Adolf von Thadden, 1959)

Von Thadden, Führungsmitglied und ab 1961 Bundesvorsitzender der Deutschen Reichspartei (DRP), dem damals größten Sammelbecken der Rechtsextremen, sowie 1964 Mitgründer der NPD, deren erster Mitgliederstamm zur Hälfte von der DRP kam, war bis 1958 in der Göttinger Stadtpolitik, auch als stellvertretender Bürgermeister und Senator, seit 1955 im Niedersächsischen Landtag und 1949–1953 im ersten Deutschen Bundestag aktiv. Seine 28-seitige Broschüre „Richter und Antisemiten“ erschien als Heft 2 und erste realisierte Publikation der Reichsruf-Schriftenreihe im Reichsruf-Verlag, dem außerdem noch die Reichsruf-Buchgemeinschaft angeschlossen war. Von Thadden wurde im Juni 1959 Schriftleiter des wöchentlichen DRP-Organs „Reichsruf“, Leiter des rechtsextremen Reichsruf-Verlags in Hannover war Waldemar Schütz. In seiner Broschüre entfaltet von Thadden, neben antikommunistischen Ausführungen, ein krudes Sammelsurium an historischen Unwahrheiten, so auch zur NS-Judenverfolgung, an revisionistischen Anschauungen und antisemitischen Thesen; häufig argumentiert er suggestiv oder auch polemisch. Er beschuldigt die Juden wegen des Antisemitismus der Weimarer Republik oder des Kriegsbeginns 1939. Die Opferzahlen der vom NS-Regime ermordeten Juden Europas, die er zu relativieren versucht, und die Wiedergutmachungszahlungen erklärt er zum „großen tabu“. Er polemisiert gegen die Entnazifizierung und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und fordert, „Schluß mit den ewigen Schuldaussprüchen“. Gelegentlich lässt sich von Thadden zu Bemerkungen wie die „Ratten und Wühlmäuse“, die spezialisiert seien, „in der Vergangenheit politisch Andersdenkender herumzugraben“, hinreißen. Ausgiebig und empört erörtert er Beispiele des Umgangs von Justiz und Presse mit antisemitischen Vorfällen wie dem des juristisch noch nicht abgeschlossenen Falls des Lübecker Studienrats Lothar Stielau, der in der Schülerzeitung seiner Oberschule die Tagebücher der Anne Frank als Fälschung bezeichnet hatte und daraufhin vom Dienst suspendiert wurde – die DRP reglementierte ihr Mitglied Stielau nicht, was von Thadden 1960 in einem Spiegel-Interview rechtfertigte. Seine Schrift verstand er tagespolitisch, attackierte die Darstellung der Gefahr des Antisemitismus in der BRD in internationalen Medien und denen der DDR, erklärte die „Übertreibungen der Philosemiten“ zur Ursache für „die Gefahr eines neuen Antisemitismus“ und sah, verursacht von der BRDPolitik, Anzeichen einer möglichen „neuen Welle des Antisemitismus“. Im selben Jahr noch, in der Weihnachtsnacht 1959, beschmierten zwei DRP-Mitglieder die Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen wie „Juden raus“ und lösten damit eine Welle antisemitischer Taten aus, binnen eines Monats weit über 600 Vorfälle. Die DRP distanzierte sich, versuchte die Übergriffe zu entpolitisieren und schloss die beiden Täter aus der Partei aus. Die zentrale Bedeutung des Antisemitismus in der DRP und bei von Thadden, wenn dieser auch eher für eine aus taktischen Erwägungen zurückhaltende öffentliche Parteipolitik stand und Judenhass in der DRP vor allem indirekt, nicht-öffentlich und eher privat geäußert wurde, offenbarte sich dennoch in dieser Broschüre, die aber keine größere öffentliche Beachtung fand.

Monika Schmidt

Rola (Polen, 1883–1912)

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Literatur Peter Dudek, Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik: zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Band 1, Opladen 1984. Manfred Jenke, Verschwörung von rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961. Oliver Sowinski, Die Deutsche Reichspartei 1950–1965: Organisation und Ideologie einer rechtsradikalen Partei, Frankfurt am Main u. a. 1997.

Rola (Polen, 1883–1912) Die Warschauer Wochenzeitschrift „Rola“ [Acker] erschien in den Jahren 1883–1912. Ihr Gründer und langjähriger Chefredakteur war Jan Jeleński (1845–1909), Publizist und Aktivist sowie einer der bekanntesten polnischen Antisemiten. Im Laufe von nahezu drei Dekaden blieb die Auflage konstant (ca. 3.000 Exemplare) und war ebenso hoch wie die bedeutendsten Wochenzeitschriften Kongresspolens. Für „Rola“ standen „soziale, ökonomische und literarische Themen“ im Mittelpunkt des Interesses. Ihr Programm wurde durch publizistische und literarische Beiträge propagiert. „Rola“ versuchte Mitstreiter in allen Schichten der polnischen Gesellschaft zu gewinnen. Die größte Popularität erreichte sie im provinziellen Klerus, aber auch in kleinbürgerlichen oder Gutsbesitzerkreisen. Als erste Zeitschrift in Kongresspolen gebrauchte „Rola“ bewusst moderne Agitationsmethoden. Sie nutzte eine „Pressekampagne“, indem sie das Augenmerk ihrer Leser auf ein Thema über mehrere Jahrgänge hinweg richtete. Zu diesem Zweck benutzte „Rola“ weitgreifende Vereinfachungen und die absichtliche Manipulation von Tatsachen. Entscheidenden Einfluss auf die Programmlinie der Zeitschrift hatte die Auswahl ihrer Autoren. Von über 130 Mitarbeitern der Zeitschrift machten ungefähr ein Viertel katholische Geistliche aus. Unter ihnen befand sich u. a. der Bischof von Luzk-Schytomir Kazimierz Niedziałkowski, aber auch Justyn Pranajtis [Justinas Pranaitis], der vom russischen Justizministerium als Gutachter im Kiewer Beilis-Prozess (1913) berufen wurde und die Existenz des jüdischen Ritualmordes durch entsprechende Passagen im Talmud zu belegen versuchte. Andere Autoren gehörten einer großen Gruppe weltlicher Publizisten an, die mit der Zeitschrift regelmäßig oder nur gelegentlich publizierten. Zu den meist veröffentlichten Autoren zählten Teodor Jeske-Choiński, Klemens Junosza-Szaniawski, Ludomir Prószyński und Antoni Skrzynecki. Sie bildeten, gemeinsam mit den treuesten Lesern, einen informellen sozialpolitischen Kreis, der sich „rolarze“ [„Rola“-Bewegung] nannte. Im Programm von „Rola“ waren zwei Aspekte wichtig. Der erste führte auf das Postulat zurück, in Kongresspolen eine breite sozialpolitische Bewegung zu bilden. Diese Bewegung sollte der polnischen Gesellschaft Schutz ihrer „Grundlagen des ökonomischen Seins“ schaffen. Mit diesem Plan gesellschaftlicher Mobilmachung auf der Makroebene hing das Projekt der ökonomischen Aktivierung jener Bevölkerungsgruppen zusammen, die als besonders bedroht durch „fremde und Zerfall verursachende Elemente“ angesehen wurden. „Rola“ machte die effektive Erregung in der Gesell-

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România Mare (Rumänien, seit 1990)

schaft des „Solidaritätsgeistes“ von einer Allianz zwischen allen Schichten und der katholischen Kirche abhängig. Der Katholizismus (obwohl instrumental betrachtet) wurde nämlich als übergeordnetes Gutes angesehen, das alle Ebenen menschlicher Aktivität durchdrang. Deutlicher Klerikalismus der Zeitschrift verstärkte das in der Gesellschaft populär gewordene Klischee vom polnischen Katholizismus. Der zweite – negative – Aspekt des Zeitschriftenprogramms betraf das Motto des Kampfes mit „fremden Elementen“, womit „Rola“ hauptsächlich die Juden meinte. Die Zeitschrift war ein Sprachrohr des Antisemitismus in Kongresspolen. Mit gleicher Entschlossenheit bekämpfte sie sowohl die „Verjudung“ des materialistischen und konfessionslosen Liberalismus als auch den Konservatismus, der den Einflüssen „semitischer Plutokratie“ unterliege. Wichtigster Feind von „Rola“ wurde mit der Zeit die sozialistische Bewegung, die angeblich durch die von Juden gesteuerte kosmopolitische Internationale zum Land verwüstenden „Revolutionssturm“ führen würde. Allmählich wurden auch die antisemitischen Elemente der in den Publikationen von „Rola“ gepflegten Verschwörungstheorie verstärkt. Die Zeitschrift vermittelte die Meinung, dass Juden nicht nur lokale wirtschaftliche Beziehungen kontrollierten, sondern auch effektiv die Weltfinanzpolitik beeinflussten und die Ausbrüche internationaler Konflikte provozierten. Als eines der Hauptelemente des von ihr geführten Kampfes betrieb die Zeitschrift das Aufdecken jüdischer Besitzer von Presseorganen und Publizisten. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Redaktion von „Rola“ keine verhängnisvollen jüdischen Einflüsse gefunden haben wollte. Die Zeitschrift sah sich als Beschützerin der Interessen der polnischen Gesellschaft. Mit Hilfe auffälliger Parolen rief sie die Leser zur Organisation einer ökonomischen Selbstverteidigung und zu Boykott-Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung auf. Das von „Rola“ propagierte Weltbild war ein Beispiel dafür, dass unterschiedliche Typen von judenfeindlichen Motiven an einem Ort koexistieren konnten, sowie für die Umwandlung traditioneller Topoi in ihre „modernisierte“ Formen .

Maciej Moszyński

Literatur Maciej Moszyński, „A quarter of a century of struggle“ of the Rola Weekly. „The great alliance“ against the Jews, in: Quest. Issues in Contemporary Jewish History. Journal of Fondazione CDEC (Online-Version 2012). Michał Śliwa, Obcy czy swoi. Z dziejów poglądów na kwestię żydowską w Polsce w XIX i XX wieku [Fremde oder Vertraute. Zur Geschichte der Ansichten über die jüdische Frage in Polen im 19. und 20. Jahrhundert], Kraków 1997.

Roland Versand Bremen → Verlag Wieland Körner

România Mare (Rumänien, seit 1990) Die erste Ausgabe der ultranationalistischen Wochenschrift România Mare [Groß-Rumänien] ist Anfang Juni 1990 erschienen. Die Zeitschrift wurde von dem früheren Mitarbeiterstab der bis 1989 erscheinenden „Săptămîna“ [Die Woche] herausgegeben, einem Blatt, das bis dahin als inoffizielles Organ des nationalistischen Flügels der Geheimpolizei Securitate galt und durch zahlreiche antisemitische und minderheiten-

România Mare (Rumänien, seit 1990)

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feindliche Beiträge aufgefallen war. Bis zu seinem Tod 1993 war der Schriftsteller Eugen Barbu Direktor der „România Mare“. Als Chefredakteur der Wochenschrift fungiert seit ihrer Gründung der nationalistische Dichter, Publizist und Politiker Corneliu Vadim Tudor. Bereits durch ihre in den ersten Ausgaben veröffentlichten Beiträge signalisierte die Publikation ihre politische Ausrichtung. Einerseits als radikale Fortsetzerin der nationalistischen Ideologie des untergegangenen Ceauşescu-Regimes, andererseits als Fortführerin ultranationalistischer Traditionen aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, wobei die „România Mare“ im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens jedoch darauf bedacht war, jegliche Verbindungslinien zur Faschistenpartei, der Legion des Erzengels Michael (auch bekannt als Eiserne Garde), abzustreiten. Die „România Mare“ entwickelte sich im posttotalitären Rumänien zu einem aggressiven publizistischen Auffangbecken rückwärtsgewandter, ultranationalistischer, antisemitischer und minderheitenfeindlicher Stimmen. Die radikalsten Mitarbeiter der Publikation gründeten schließlich am 20. Juni 1991 die Partei Groß-Rumänien (Partidul România Mare/PRM) und wählten Corneliu Vadim Tudor zu ihrem Vorsitzenden. Die Wochenschrift, auf deren Titelblatt das Wappen der groß-rumänischen Partei, der sogenannte Brâncoveanu-Adler abgebildet ist, hatte von der alten „Săptămîna“ die Rubrik „Săptămîna pe scurt“ [Die Woche in Kürze] übernommen, die von Tudor gestaltet wird. Die in Verleumdungen, entehrenden Schmähungen, diskreditierenden Angriffen ausartenden, zwei Seiten umfassenden Beiträge dieser Rubrik unterzeichnet Tudor in der Regel mit dem Pseudonym Alcibiade (mitunter auch mit Vlad Ţepeş oder Ion Antonescu). Die Auflage der Zeitschrift erreichte in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens fast die Millionengrenze. Danach schrumpfte sie systematisch, was auf die schwindende Kaufkraft des Publikums zurückzuführen ist und seit Mitte der 1990er Jahre auch auf die kostenlose Verbreitung durch das Internet. Zu den Mitarbeitern der Zeitschrift gehörten notorische Antisemiten, die zeitweilig auch Mitglieder der Partei waren, sich dann mit Tudor überworfen hatten und ihre Beiträge anderwärts veröffentlichten, beispielsweise: Armeegeneral Radu Theodoru (der Verfasser von antisemitischen Büchern wie: Nazismul sionist/Der zionistische Nazismus, 1998; Învierea lui Iuda/Die Auferstehung Judas, 2000; A fost sau nu Holocaust?/Hat oder hat nicht ein Holocaust stattgefunden?, 2004), Ilie Neacşu (Herausgeber der antisemitischen Hetzgazette „Europa“, 1990–1996), Traian Romanescu (Autor der antisemitischen Hetzschrift Marea conspiraţie evreiască/Die große jüdische Verschwörung, 1997) oder der ehemalige Vorsitzende der groß-rumänischen Jugendorganisation Vlad Hogea (Verfasser des Buches „Naţionalistul“/Der Nationalist, 2001 – einer Sammlung seiner in groß-rumänischen Publikationen veröffentlichten Artikel). Die Zeitschrift setzt sich gezielt für die Rehabilitierung des faschistischen Militärdiktators Ion Antonescu ein und widmete diesem einige Sonderausgaben und unzählige Artikel, die u. a. von dem revisionistischen Historiker Gheorghe Buzatu (România cu şi fără Antonescu/Rumänien mit und ohne Antonescu, 1991; Aşa a început holocaustul împotriva poporului român.../So begann der Holocaust gegen das rumänische Volk..., 1995), oder von dem Literaturkritiker Mihai Ungheanu (Holocaustul culturii române. Ipoteze de sociologie literară 1944–1989/Der Holocaust der rumänischen

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România Mare (Rumänien, seit 1990)

Kultur. Literatursoziologische Hypothesen 1944–1989, 1999) stammen. Buzatu und Ungheanu (1939–2009) vertreten die These, die Juden seien schuld an der Verbreitung des Kommunismus in Rumänien. In Übereinstimmung mit anderen Geschichtsrevisionisten behaupten sie, die rumänische KP und der Geheimdienst Securitate seien bis 1965 von Juden dominiert gewesen. Diese hätten den gegen das rumänische Volk angezettelten „roten Holocaust“ zu verantworten. Die Leugnung des rumänischen Holocaust gehört ebenso zum ideologischen Bestand der Großrumänien-Partei wie die rassistische Verunglimpfung der Roma und die nationalistischen Kampagnen gegen die ungarische Minderheit, die von Zeit zu Zeit unter der Dachzeile „Kampf gegen den ungarischen Terrorismus“ abgedruckt wurden. Um die Vorwürfe des Antisemitismus zu entkräften, vollzog Tudor Anfang 2004 eine Kehrtwende und versuchte, die seit 1990 von seiner Zeitschrift betriebene antisemitische Gräuelpropaganda als literarische Pamphlete zu verharmlosen. Er beteuerte zudem, ein Freund des jüdischen Volkes und Israels zu sein, ließ in Braşov eine Büste des 1995 ermordeten israelischen Premiers Jitzhak Rabin errichten und unternahm mit einer Gruppe von Anhängern der groß-rumänischen Partei einen Besuch in der KZGedenkstätte Auschwitz. Drei Jahre zuvor hatte die groß-rumänische Gazette sogar noch die Heiligsprechung Antonescus und die Errichtung eines nationalen Pantheons für den „großen Patrioten“ gefordert. Die kurzfristige Abkehr von der antisemitischen Linie hing mit den Bemühungen Tudors zusammen, seine Partei in die Gruppe konservativer und christdemokratischer europäischer Volksparteien einzugliedern. Nach dem gescheiterten Anschluss setzte die Zeitschrift ihre alten anti-jüdischen Kampagnen fort und begann gleichzeitig auch, wohlwollende Beiträge zur früheren faschistischen Legionärsbewegung zu veröffentlichen. In diesem Zusammenhang spielte Ion Coja, der bekannteste rumänische Holocaustleugner und Vorsitzende der Liga zur Bekämpfung des Anti-Rumänismus (LICAR), eine Vorreiterrolle. In einem vehement antisemitischen Artikel, der in der „România Mare“ (Nr. 769 vom 8.4. 2005) als offener Brief an US-Präsident Bush publiziert wurde, leugnete Coja den von den rumänischen Behörden zu verantwortenden Holocaust an den Juden. Gleichzeitig machte Coja die Juden für die Zunahme des Antisemitismus in Rumänien verantwortlich, stellte sie als Profiteure der Revolution von 1989 dar und unterstellte ihnen, einen „demographischen Angriff“ auf die „vitalen Interessen“ Rumäniens gestartet zu haben, um den souveränen rumänischen Staat dem „internationalen, mafiotischen, mehrheitlich von Juden dominierten Kapital“ unterzuordnen.

William Totok

Literatur Tuvia Friling, Radu Ioanid, Mihail E. Ionescu (Hrsg.), Comisia Internaţională pentru Studierea Holocaustului în România. Raport Final [Internationale Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien. Abschlussbericht], Iaşi 2005. William Totok, Rechtsextremismus und Revisionismus in Rumänien (I-VII), in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte Literatur und Politik 13–16 (2001–2004). George Voicu, Teme antisemite în discursul public [Antisemitische Themen im öffentlichen Diskurs], Bucureşti 2000.

Die Rote Fahne (1918–1933)

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George Voicu, Zeii cei răi. Cultura conspiraţionistă în România postcomunistă [Die bösen Götter. Die Kultur der Konspiration im postkommunistischen Rumänien], Iaşi 2000.

Die Rote Fahne (1918–1933) Die Tageszeitung „Die Rote Fahne. Das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale)“ wurde im November 1918 von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg begründet und erschien mit einer Auflage von rund 20.000 Exemplaren bis zu ihrem Verbot am 28. Februar 1933. Die KPD war keine antisemitische Partei und bekämpfte völkische Parteien wie die NSDAP. Allerdings setzte sie sich kaum grundsätzlich mit der modernen Judenfeindschaft auseinander. Erst 1932 erschien in einem Sammelband, in dem auch Nationalsozialisten veröffentlichten, die Erklärung „Kommunismus und Judenfrage“ des Zentralkomitees der KPD. 1931 veröffentlichte der „Rote Fahne“-Redakteur Otto Heller das Buch „Der Untergang des Judentums. Die Judenfrage/Ihre Kritik/Ihre Lösung durch den Sozialismus“ im Verlag für Literatur und Politik (Berlin und Wien; zweite Auflage 1933). Von Heller stammte außerdem der Text „Kommunismus und Judenfrage“ für einen 1932 erschienenen Sammelband (in: Klärung. 12 Autoren. Politiker über die Judenfrage, Berlin 1932, S. 81–96), in dem auch Alfred Kantorowicz als junges KPD-Mitglied den Text „Liquidation der Judenfrage“ (ebenda, S. 155–168) veröffentlichte. Trotz der entschiedenen Ablehnung von Judenfeindschaft erschienen in der „Roten Fahne“ Beiträge mit antisemitischen Aussagen oder Anspielungen, die sich auf die Tradition eines personifizierten Antikapitalismus, eines besonderen Nationalismus und den Antizionismus zurückführen lassen. Überdies wies das Feindbild „Intellektuelle“, das die KPD während der innerparteilichen Machtkämpfe Mitte der 1920er Jahre benutzte, strukturelle Ähnlichkeiten mit antisemitischen Vorstellungen auf. Bis 1933 benutzte die „Rote Fahne“ den Ausdruck „jüdisches Kapital“, während des Schlageter-Kurses 1923 und ab 1928 auch, um Wähler völkischer Parteien zu gewinnen. Hermann Remmele, Mitglied der KPD-Parteizentrale und 1925 Chefredakteur der „Roten Fahne“, sagte 1923 auf einer NSDAP-Versammlung, die KPD sei mit dem Kampf gegen „das jüdische Finanzkapital“ einverstanden („Rede des Genossen Remmele in der Faschistenversammlung in Stuttgart“, Die Rote Fahne vom 10. August 1923). Der KPD-Vorsitzende Heinrich Brandler benutzte im gleichen Jahr den Ausdruck „das verjudete Finanzkapital“ („Schwarzhemden und Sowjetblusen“, Die Rote Fahne vom 4. August 1923). Zwischen 1924 und 1928 war die Ausdrucksweise gegenüber 1923 gemäßigter. Aber das Wahlplakat „‚Judengeld stinkt nicht’. Einiges über die Geldquellen der Völkischen. Was die völkisch-vaterländische Partei kostet und wer sie bezahlt“, das die „Rote Fahne“ 1924 abdruckte, suggerierte, dass die völkische Partei selbst vom „Judengeld“ profitieren und deswegen das „Judenkapital“ verschonen würde. In den Jahren 1928 bis 1933 behaupteten zahlreiche Beiträge eine Kooperation von NSDAP-Führung und „reichen Juden“. Die Hetze der Nationalsozialisten diene angeblich nur dazu, das deutsche Proletariat irrezuführen und von den wahren Ursachen der ökonomischen Krisen abzulenken („Hitler als Retter der reichen Juden“, 9. April

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Die Rote Fahne (1918–1933)

1932; „Nazis für jüdisches Kapital“, 7. September 1932). Diese Argumentation war keine Erfindung der stalinistischen KPD. Sie fand sich bereits 1923 in einer Karikatur, in der „Juden“ mit Hakennasen dargestellt waren („Hakenkreuzparade vor Hakennasen“, Deutschlands Weg, Sonderausgabe vom 29. Juli 1923). Nur einmal distanzierte sich die Zeitung durch Anführungszeichen sichtbar vom Ausdruck „jüdisches Kapital“ („Nazis als Helfer des ‚jüdischen’ Kapitals“, 26. April 1932). Parallel dazu präsentierte sich die KPD, die Nationalismus und Chauvinismus ablehnte, als die einzige Partei, die die nationalen Interessen vertrete. Entsprechend diesem Selbstverständnis warf die KPD 1930 in ihrem „Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ der NSDAP vor, weder eine sozialistische noch eine nationale Partei zu sein. Die sozialistische und kommunistische Linke war traditionell gegen den Zionismus. Bis zum Ende der 1920er Jahre hatte sich der Antizionismus der KPD so weiterentwickelt, dass die „Rote Fahne“ ein Pogrom im britischen Mandatsgebiet Palästina im August 1929 als Beginn einer „arabischen Aufstandsbewegung“ guthieß. Die jüdischen Mitglieder der antizionistischen KP Palästinas bezeichnete Hermann Remmele auf einer Sitzung des ZK hingegen als „Zionisten“. Statt einer Klassenkampfanalyse stellte die „Rote Fahne“ die Situation im Nahen Osten so dar, als verkörpere allein die arabische Bevölkerung die Revolution, die jüdische hingegen das Kapital, den Imperialismus und Faschismus. Anders als andere Nationalbewegungen galt der Zionismus nach Darstellung der „Roten Fahne“ nicht als Befreiungsbewegung. Das Zentralkomitee der KPD schrieb entsprechend 1932 in seiner Erklärung „Kommunismus und Judenfrage“, die „Kommunisten bekämpfen den Zionismus genauso wie den deutschen Faschismus“ (in: Der Jud’ ist Schuld...? Diskussionsbuch über die Judenfrage, Basel/ u.a. 1932, S. 272–286). Über Birobidschan, die 1928 geschaffene jüdische nationale Verwaltungseinheit und das spätere Jüdische Autonome Gebiet, berichtete lediglich Otto Heller in seinem Buch „Der Untergang des Judentums“. Die „Rote Fahne“ pries zwar in mehreren Beiträgen die Emanzipation jüdischen Lebens in der Sowjetunion, erwähnte Birobidschan aber nicht (5. März 1929). Zwischen 1933 und 1945 konnte die „Rote Fahne“ nur illegal erscheinen (89 Ausgaben). Sie protestierte zwar 1933 gegen die antisemitische Gesetzgebung. Doch erst im November 1938 rief die „Rote Fahne“ zum Widerstand gegen Pogrome auf („Gegen die Schmach der Judenpogrome. Erklärung des ZK der KPD“).

Ramona Ehret/Olaf Kistenmacher

Literatur Manfred Brauneck, Die rote Fahne. Kritik, Theorie, Feuilleton 1918–1933, München 1973. Thomas Haury, Antisemitismus von links. Nationalismus, kommunistische Ideologie und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002. Mario Keßler, Die KPD und der Antisemitismus in der Weimarer Republik, in: Utopie kreativ 173 (2005), S. 223–232. Olaf Kistenmacher, Arbeit und „jüdisches Kapital“. Antisemitische Aussagen in der Tageszeitung der KPD „Die Rote Fahne“ während der Weimarer Republik 1918 bis 1933, Bremen 2013.

Rudolf-Gutachten (Germar Rudolf, 1991)

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Edmund Silberner, Kommunisten zur Judenfrage. Zur Geschichte von Theorie und Praxis des Kommunismus, Opladen 1983.

Die rote Woche → Săptămîna roşie

Rudolf-Gutachten (Germar Rudolf, 1991) Als „Rudolf-Gutachten“ ist der 1991 entstandene Schriftsatz „Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den ‚Gaskammern’ von Auschwitz“ des Chemikers Germar Rudolf bekannt. Der Text bestreitet die massenhafte Ermordung von Menschen mittels Giftgas in Auschwitz und wurde als vorgeblich technisch-naturwissenschaftliches Gutachten zur Vorlage bei einem deutschen Gericht erstellt. Germar Rudolfs Text ist maßgeblich vom → „Leuchter-Report“ Fred A. Leuchters inspiriert, der im Auftrag des NS-Propagandisten und Holocaustleugners Ernst Zündel zur Verwendung in einem kanadischen Gerichtsverfahren im Jahr 1988 erstellt wurde und mittels technisch-naturwissenschaftlicher Argumentation Vergasungen in den Lagern Auschwitz und Majdanek verneint. Hieran anschließend, begann der zum damaligen Zeitpunkt als Doktorand und Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart tätige Rudolf Ende 1990 erste Vorarbeiten für das „Rudolf-Gutachten“; wenige Monate später streute er mit „Langzeitstabilität von Cyanidverbindungen“ bereits einen ersten Text in neonazistischen und geschichtsrevisionistischen Kreisen. Zu dieser Zeit kam Rudolf in Kontakt mit Otto Ernst Remer, der vor allem durch die Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 und seine späteren neonazistischen und holocaustleugnenden Umtriebe bekannt war. In Abstimmung mit Remers Anwalt fertigte Rudolf im Sommer 1991 für ein gegen Remer anhängiges Strafverfahren wegen Volksverhetzung und Anstachelung zum Rassenhass ein „Gutachten“ über die Gaskammern von Auschwitz an, wofür er in der Gedenkstätte – wie Leuchter drei Jahre zuvor – ohne Genehmigungen Gemäuerproben nahm und sie anschließend im Labor chemisch analysieren ließ. In überwiegend sachlichem Ton interpretiert Rudolf zum einen die Analyseergebnisse seiner eigenen wie anderer Untersuchungen von Material, das aus Mauerwerk von Gebäuden in Auschwitz und Birkenau stammt, und äußert sich zu Widerlegungen des „Leuchter-Reports“. Zum anderen unterzieht er ausgewählte Aussagen von Augenzeugen einer Überprüfung. Kernargument Rudolfs ist, dass obwohl Rückstände des Zyklon B-Wirkstoffes Cyanid (Blausäure) ungeachtet von Witterungseinflüssen im Mauerwerk „eine viele Jahrhunderte währende Langzeitstabilität“ besäßen, sich in „den angeblichen ‚Gaskammern’“ lediglich „unsignifikante Cyanidrückstände“ finden ließen, wie sie auch „in jedem beliebigem Gebäude“ aufträten. Wären die Anlagen zur massenhaften Ermordung von Menschen eingesetzt worden, seien hingegen Rückstände in einer Größenordnung erwartbar, wie sie auch bei den zur Schädlingsbekämpfung genutzten Sachentlausungsanlagen nachweisbar seien – dort hätte die hohe Konzentration der Rückstände sogar eine blaue Wandfärbung bewirkt. Doch auch die praktisch-technischen Vorgänge der Vergasungen von Menschen, wie sie von Augenzeugen beschrieben wurden, sind nach Rudolf „in sich völlig widersprüchlich“ und

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„unlogisch“. So habe es keine Einfüllstutzen in der Decke gegeben, durch die das Zyklon B-Trägermaterial in die Gaskammer hätte eingebracht werden können, die Freisetzung des Giftgases hätte Stunden benötigt und damit „ein Vielfaches der bezeugten Zeit“; auch hätte eine Lüftung der Gaskammern ebenfalls erheblich längere Zeit als beschrieben benötigt, teils sei eine Ventilation gar nicht möglich gewesen. Zudem würden Zeugenaussagen zu Leichenverbrennungen „besondere Kapriolen“ aufweisen, da sie „nicht mit der Analyse von Luftbildaufnahmen übereinstimmen“. Letztlich kommt Rudolf zu dem Ergebnis, dass aus „chemisch-physikalischen Gründen […] die bezeugten Massenvergasungen mit Blausäure in den angeblichen ‚Gaskammern’ in Auschwitz nicht stattgefunden haben können“ und dass die von „Zeugen bekundeten […] und in wissenschaftlichen und literarischen Veröffentlichungen beschriebenen Vorgänge der Massenvergasungen, in welchen Gebäuden in Auschwitz auch immer, […] mit naturwissenschaftlichen Gesetzen unvereinbar“ seien. Die erste Fassung des zunächst knapp 90-seitigen Schriftsatzes wurde im Oktober 1991 fertiggestellt; in den folgenden Wochen und Monaten folgte eine Vielzahl erweiterter und veränderter Versionen. Noch vor der Verhandlung in der Sache Remer vor dem Landgericht Schweinfurt im Oktober 1992 wurde das „Rudolf-Gutachten“ bereits in mehreren vergleichbaren Verfahren – u. a. gegen Udo Walendy (→ „Historische Tatsachen“) und David Irving (→ „Hitler’s War“) – eingereicht, teils an Politiker geschickt und in rechtsextremen Kreisen verbreitet, sogar eine englische Übersetzung wurde bereits erstellt. Jedoch wurde der Antrag Remers, Rudolf als Sachverständigen zu hören, von dem vorsitzenden Richter abgelehnt; Rudolfs Text blieb unberücksichtigt und wurde lediglich zu den Akten genommen. Nach Ende des Prozesses publizierte Remer im Frühjahr 1993 in seinem Verlag Remer-Heipke eine gemeinsam mit Rudolf als widerrechtlich fingierte propagandistische Publikation des „Rudolf-Gutachtens“. Remer fügte u.a. ein Vorwort hinzu, in dem er schrieb, um der „satanischen Geschichtsverdrehung“ Holocaust entgegenzutreten, sehe er sich „zu einer Notwehrhandlung in Form von unautorisierter Verbreitung“ gezwungen. Mindestens tausend Exemplare dieses Drucks versandte Remer an Personen und Institutionen des öffentlichen Lebens. Eine weitere, unter weniger anrüchigem Vorzeichen publizierte Fassung verbreitete Rudolf wenige Monate später unter dem Titel „Das Rudolf Gutachten – Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanidverbindungen in den ‚Gaskammern’ von Auschwitz“. Die knapp 120 Seiten umfassende großformatige Broschüre und die Kurzfassung „Wissenschaftlicher Erdrutsch durch das Rudolf-Gutachten“ erschienen im englischen Verlag Cromwell Press, der jedoch ebenfalls dem Kreis um Remer zuzurechnen war. Aus juristischen Abwägungen heraus trat Rudolf nicht als verantwortlicher Autor in Erscheinung; stattdessen wurden zwei Herausgeber genannt, von denen der eine, Armin Solms, offenbar nicht existierte, und der andere, Rüdiger Kammerer, ein Pseudonym eines Vertrauten Rudolfs darstellt. Darüber hinaus verwertete Rudolf sein „Gutachten“, indem er unter verschiedenen Pseudonymen Kurzfassungen veröffentlichte – etwa im Mai 1993 in der einschlägigen Zeitschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“. Unter anderem wegen des „Rudolf-Gutachtens“ stand Rudolf 1994/95 selbst vor Gericht und wurde wegen Volksverhetzung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Dieser entzog er sich im Jahr 1996 durch Flucht

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nach Großbritannien und 1999 in die USA, wo er jeweils seine Aktivitäten nicht nur fortsetzte, sondern ausbaute (→ „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“). In seinem Verlag Castle Hill Publishers im englischen Hastings veröffentlichte Rudolf im Jahr 2001 eine überarbeitete und erweiterte, als zweite Auflage ausgewiesene Fassung des „Rudolf-Gutachtens“. Obwohl er sogar Texte von Dritten als Rohmaterial für seine eigenen Kapitel nutzte, erschien das Buch nun aber unter eigener Autorenschaft und mit umfangreichen Anhängen; mit knapp 250 Druckseiten ist diese Ausgabe deutlich umfangreicher als vorherige Fassungen. Übersetzungen der Schrift existieren in mehreren Sprachen; bereits Mitte der 1990er Jahre erfolgten Übertragungen ins Französische und Holländische, eine englische Ausgabe publizierte Rudolf jedoch erst 2003 in seinem Chicagoer Verlag Theses and Dissertations Press. Eine zweite englische Auflage von „The Rudolf Report – Expert Report on Chemical and Technical Aspects of the ‚Gas Chambers’ of Auschwitz“ fand im Sommer 2011 unter der Herausgeberschaft eines Wolfgang Lambrecht bei The Barnes Review statt, einem Verlag vor allem rassistischer und geschichtsrevisionistischer Bücher. Ob die Bearbeitungen, Kürzungen und Erweiterungen von dem erst kurz zuvor aus mehrjähriger Haft entlassenen Autor oder dem vielleicht nicht einmal existierenden Herausgeber stammen, ist indes nicht festzustellen. Anfang der 1990er Jahre spielte das „Rudolf-Gutachten“ bei der Propagierung holocaustleugnender Inhalte im Rahmen der sogenannten Revisionismus-Kampagne der extremen Rechten eine große Rolle. Zwar stand Rudolfs Text stets im Schatten des ungleich prominenteren „Leuchter-Reports“ – das „Rudolf-Gutachten“ wurde, obgleich elaborierter als Leuchters Schrift, in Holocaustleugner-Zirkeln meist nur als Verifizierung Leuchters apostrophiert. Bedeutung hatte Rudolfs Text in diesem Rahmen jedoch insbesondere deshalb, weil Rudolf als Diplom-Chemiker den fachlichakademischen Hintergrund vorweisen konnte, der Leuchter fehlt. Obwohl Fachleute die Analysen Rudolfs bereits Anfang der 1990er Jahre als nicht aussagekräftig, seine Schlussfolgerungen als falsch und absurd sowie seinen Text insgesamt als „absichtsvolle Verzerrung der Beweise“ und damit als unwissenschaftlich einstuften, gelang es Rudolf dennoch, einzelne Gelehrte zu beeindrucken. Mit dem seit Jahren im Abseits stehenden Historiker Ernst Nolte, der auch den „Leuchter-Report“ lobte, steht Rudolf bis in die jüngste Zeit in wohlwollendem Kontakt.

Christian Mentel

Literatur Josef Bailer, Die „Revisionisten“ und die Chemie, in: Brigitte Bailer-Galanda, Wolfgang Benz, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Die Auschwitzleugner. „Revisionistische“ Geschichtslüge und historische Wahrheit, Berlin 1996, S. 130–152. Richard J. Green, Expert Report, Gutachten 2001 (online). Robert Jan van Pelt, Expert Report, Gutachten 2001 (online). Robert Jan van Pelt, The Case for Auschwitz. Evidence from the Irving Trial, Bloomington, Indianapolis 2002. Achim Trunk, Die todbringenden Gase, in: Günter Morsch, Bertrand Perz (Hrsg.), Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung. Unter Mitarbeit von Astrid Ley, Berlin 2011, S. 23–49.

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Russofobija (Igor Schafarewitsch, 1989)

Russofobija (Igor Schafarewitsch, 1989) In der Spätphase der Sowjetunion war das Manifest „Russofobija“ [Russophobie] des weltweit renommierten Mathematikers Igor Schafarewitsch einer der am weitesten rezipierten antisemitischen Texte. 1978–1982 geschrieben, erschien der Aufsatz zunächst im illegalen Selbstverlag (Samisdat) und im Westen, 1989 dann im Organ des Schriftstellerverbands der Russischen Föderation (Igor’ Šafarevič, Russofobija, in: Naš Sovremennik 34 (1989), Nr. 6, S. 183–192 und Nr. 11, S. 162–172; mit Folgetexten auch in: Šafarevič, Sočinenija v trech tomach [Werke in drei Bänden], Band 2, Moskau 1994). Schafarewitsch, der zuvor im Samisdat ohne offene antisemitische Tendenz publiziert hatte, nahm in „Russofobija“ verschiedene Schriften von Dissidenten und Emigranten zum Ausgangspunkt. Kern deren Thesen sei, dass die russische Geschichte durch Sklavenpsychologie, Intoleranz, Bosheit, Neid und Unterwerfung gekennzeichnet sei. Dem hielt Schafarewitsch entgegen, dass es Grausamkeit und Unterdrückung im Westen weit mehr als in Russland gegeben habe. Da die Kritik an Russland durch keine Fakten gestützt sei, gehe es nur darum, „Menschenrechte“ und Demokratie westlichen Zuschnitts als wichtigere Werte als die Existenz der russischen Nation durchzusetzen. Die „linken Dissidenten“ forderten eine Okkupation wie die Japans nach 1945. Dahinter stehe die Konzeption, eine Gesellschaft wie einen Mechanismus zu konstruieren, statt sie als Organismus wachsen zu lassen. Die Dissidenten verstünden sich als „auserwähltes Volk“, das die „unzurechnungsfähigen“ Russen führen müsse. Ähnliches sei in der Geschichte schon einmal vorgekommen, als in der Französischen Revolution sich nicht das Gesamtvolk erhoben habe, sondern Geheimzirkel und Freimaurerlogen – ein „Kleines Volk“. Den Begriff übernahm Schafarewitsch von dem französischen Historiker Augustin Cochin, der ihn (zu Beginn des 20. Jahrhunderts) ohne ethnische Prägung verstanden hatte. Schafarewitsch suchte den Zusammenhalt des „Antivolks“ in Russland, den Grund seiner „Russophobie“ und seines „Krieges gegen das Große Volk“ in der Zugehörigkeit zu einer anderen Nation. Ein „Kleines Volk“ könne sich verschieden verkörpern – religiös wie die Puritaner in England, sozial wie der Dritte Stand in Frankreich oder national wie in Russland, wo die Juden „Ferment der Formierung“ seien. Der Hass des jüdischen Nationalismus auf Russland und der Einfluss „jüdischer nationaler Kräfte“ auf das Land seien zum unausweichlichen Problem geworden. Beziehungen zu allen Völkern dürfe man diskutieren, nur über die Juden sei dies verboten. Der Antisemitismusvorwurf schrecke wie eine Atombombe von jeder Diskussion ab. Schafarewitsch räumte ein, dass Juden die Revolution nicht alleine bewerkstelligt hätten, doch ihr Einfluss seit 1917 sei – wie Namenslisten von Funktionären belegen sollten – immens gewesen, zumal es zu dieser Konzentration in „Krisenmomenten und bei besonderen Einschnitten ins traditionelle Leben“ gekommen sei, getarnt von „internationalistischer Phraseologie“. In Russland seien die Juden Kristallisationskern des „Kleinen Volks“ geworden, da sie sich bereits durch ihre Religion als auserwähltes Volk fühlten. Das Verhalten der Juden mit ihrer Verfolgung zu erklären, gleiche einer Rechtfertigung des deutschen Nationalsozialismus durch den Versailler Vertrag. Das Grundproblem der russischen

Der SA-Mann (1928–1939)

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Juden sei, dass sie Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr völlig isoliert waren, aber auch noch nicht an Russland gebunden. Dieser dritte Zustand zwischen Fremdheit und Anpassung habe – verbunden mit „schrecklichen Erinnerungen an die nahe Vergangenheit“ – das „Kleine Volk“ geprägt. Dessen Rolle sei die „endgültige Zerstörung der religiösen und nationalen Lebensgrundlagen“. Daher müsse von den Juden eine Entscheidung gefordert werden – entweder Ausländer ohne politische Rechte oder heimatliebende Bürger zu sein. Jeder dürfe Russland hassen – aber sich dann nicht anmaßen, sein Schicksal weiter zu beeinflussen und distanziert vom „Großen Volk“ dessen „lebenden Körper abzuschlachten und zu zerteilen“. Russland brauche seine Bewusstwerdung und einen starken Staat. Gerade die Jugend sei dem „Kleinen Volk“ hilflos ausgesetzt und verliere durch westliche Medien oder Liedermacher mit ihrem Spott auf alles Russische die Bindung zum eigenen Land. Das „Kleine Volk“ vernichte alles, was das „Große Volk“ am Leben erhalte. Dagegen helfe nur die „Waffe des geistigen Schutzes“ und – so schloss der Aufruf pathetisch – die Wahrheit. Schafarewitsch bestritt Antisemitismusvorwürfe, rückte nie von dem Text ab und ergänzte ihn mit umfangreichen Darlegungen der jahrtausendealten jüdischen Absonderung („Trechtysjačeletnjaja zagadka“ [Dreitausendjähriges Rätsel], zuletzt in: Igor’ Šafarevič, Russkij narod v bitve civilizacij [Das russische Volk im Kampf der Zivilisationen], Moskau 2011). Die Perestrojka deutete er als dritten Umschwung in Russland nach der Revolution 1917 und der Kollektivierung 1930, wobei nach 1990 durch Armut, Kriminalität oder zunehmenden Alkoholismus Millionen umgekommen seien – wiederum als Opfer von Ereignissen mit enormer Beteiligung der Juden. Diese verhielten sich zu den Nichtjuden – so kommentierte er 2009 – wie im Tierreich die Fleisch- zu den Pflanzenfressern. Da eine „endgültige Lösung“ unmöglich sei (selbst für Hitler sei sie unerreichbar gewesen), müsse die Menschheit in den kommenden Jahrhunderten mit den Juden leben und sich schützen.

Matthias Vetter

Literatur Gerd Koenen, Karla Hielscher (Hrsg.), Die schwarze Front. Der neue Antisemitismus in der Sowjetunion, Reinbek 1991.

Russophobie → Russofobija

Der SA-Mann (1928–1939) „Der SA-Mann“ erschien als „Organ der Obersten S.A.-Führung der N.S.D.A.P“ von 1928 bis 1939 zunächst monatlich dann wöchentlich. Das Blatt war in den Jahren 1930 und 1931 eine Wochenbeilage des zentralen Parteiorgans der NSDAP, des → „Völkischen Beobachters“. Es richtete sich an das aktive Mitglied der Gliederung SA. Gründer und „Hauptschriftleiter“ war der „Alte Kämpfer“ Joseph Berchtold, „Schriftleiter“ Willi Koerbel, weitere Verantwortliche waren Fritz Volkmann und Georg Kienle. Die Zeitung erschien im Verlag Franz Eher Nachf. GmbH. (→ Eher-Verlag), die Redaktion residierte in der Münchner Schellingstraße 39. Die Reichweite des Blattes war beträchtlich, es hatte Millionen Leser. Seine Druckauflage wurde für das dritte

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Der SA-Mann (1928–1939)

Quartal 1936 mit „über 448.000“, für den gleichen Zeitraum 1938 sogar mit „über 600.000“ Exemplaren angegeben. Abonnenten waren vor allem die Funktionäre und Aktivisten der SA, deren Mitgliederzahl von 420.000 im Jahr 1932 auf 4,2 Mio. im Jahr 1934 stieg. Mit dem Bedeutungsverlust der Sturmabteilungen nach der Ermordung Ernst Röhms sank die Auflage der Zeitung rapide, doch lag sie 1938 immer noch bei 1,2 Mio. 1939 wurde das Blatt eingestellt. Thematisch reicht das Spektrum der Beiträge von weltanschaulicher Schulung über Informationen über das Leben in der SA bis zu „Unterhaltung“ (z. B. entsprechend ausgerichtete Kreuzworträtsel). Gewaltakte der NS-Bewegung wurden dabei regelmäßig legitimiert. So steht das Blatt in der Weimarer Republik zu den Mördern von Potempa („Bei unseren zum Tode verurteilten Beuthener S.A.-Kameraden“), regelmäßig wurde der toten Kameraden gedacht („Sie leben in uns“). Die Existenz und die Bedeutung der Konzentrationslager wird pathetisch begrüßt („Horst Wessels Geist hält Wache an der Umdrahtung im Konzentrationslager Dachau“). Unerwünschte Wahrheiten wurden dementiert („Greuelmärchen über die SA“). Gleichzeitig platzierten die Blattmacher soziale Verheißungen für die eigene Klientel („Schluß mit dem Elend der Mietskasernen! Heimstättensiedlungen für die deutschen Arbeiter sind eine volkspolitische Notwendigkeit“). Die ideologische Stoßrichtung der Beiträge ist vor allem antimarxistisch und antikommunistisch („Die Vernichtung des Marxismus ist unsere nächste Aufgabe“; „Von der Klasse zur Volksgemeinschaft“) sowie antisemitisch. Antijüdische Pamphlete ziehen sich wie ein roter Faden durch das Blatt. Propagandaartikel erscheinen im Gewand der Aufklärung („Die Tarnung des Judentums – Anfang oder Ende? Ein sachlicher Streifzug durch die Geschichte“; „Judenspiegel“). Der Boykott jüdischer Unternehmen wird in ordinärer Weise propagiert („Macht Schluss mit den Juden! Wir wollen keine Frauen, die bei Juden kaufen, und keine Judendirnen“). Das tödliche Attentat auf den Schweizer Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff wird dazu benutzt, großformatig und generalisierend von „jüdischem Meuchelmord“ zu sprechen. Karikaturen bedienen antisemitische Stereotypen („Jud’ bleibt Jud’, und die Nase ist überall gleich“) und propagieren Verschwörungstheorien („Totengräber der Weltkultur. Der Weg des jüdischen Untermenschentums zur Weltherrschaft“). Finanziert wurde die Verbreitung solcher Beiträge zu einem nicht unerheblichen Teil durch großflächige Werbeanzeigen: Mercedes-Benz („Das Wahrzeichen einer Gemeinschaft, die dem Fortschritt dient“; „Weiter vorwärts für die deutsche Kraftfahrt!“; „Taten von Weltgeltung waren und bleiben unser Prüffeld“), AutoUnion („Das Zeichen deutscher Wertarbeit“); Opel („Der Zuverlässige“), Sauer & Sohn („Die Selbstschutzwaffen für SA […]“), Mauser („Original Mauser Waffen für Jagd, Sport, Verteidigung“), Peek & Cloppenburg („Das Publikum hat Rechte – Wir haben Pflichten“), Salamander („Der Qualitätsschuh“), Maggi („In jede Küche gehören Maggis Erzeugnisse“). Auch die Deutschen öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalten („Haus, Hof, Familie und Betrieb sichern“) schalteten immer wieder Anzeigen. Selbst auf ein typisches US-Produkt sollten die SA-Männer nicht verzichten (Coca-Cola: „… immer und überall: Die erfrischende Pause“). Alkoholwerbung ist interessanterweise selten zu finden (Asbach-Uralt). Dass dieses Faktum nicht schlicht eine Konzession an Hitlers Lebensstil gewesen sein kann, zeigt eine andere Tatsache. Zahlrei-

Sămănătorul (Rumänien, 1901–1910)

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che Tabakkonzerne warben mit ganzseitigen Anzeigen für ihre Produkte: Vollmundig wird die milde Salem angepriesen („Endgültig vorüber ist die Qualitäts-Inflation. Das Minderwertige ist ausgeschieden und übrig bleibt die überlegene Güte“). WaldorfAstoria empfiehlt seinen Oberst („mit den neuen Sammel-Bildern Uniformen der Marine und Schutztruppen“). Reemtsma wirbt für seine R 6 und seine Produktionsstätten („Die Ästhetik einer modernen Cigarettenfabrik“). Eckstein trommelt für seine No 5 mit der Bildersammlung „Ruhmesblätter deutscher Geschichte“ („das schönste Sammelwerk, welches für alle Deutsche von unvergänglichem Wert ist“). Kaum ein Konzern, kaum ein Spitzenprodukt, das in der deutschen Industrie Rang und Namen hatte – und oft noch heute hat –, wollte und sollte fehlen, wenn es darum ging, den SAMann zu umwerben.

Bernward Dörner

Literatur Peter Longerich, Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München 1989.

Sămănătorul (Rumänien, 1901–1910) „Sămănătorul“ [Der Säer] war eine in Bukarest ansässige, wöchentlich erscheinende Literaturzeitschrift. Im ersten und letzten Erscheinungsjahr (1901 und 1910) erschien sie unter der alternativen Schreibweise „Semănătorul“. Im Gegensatz zu anderen rumänischen Zeitschriften stand das Bauerntum im Mittelpunkt der Berichterstattung. Die Gründung der Zeitschrift erfolgte auf Initiative des Wissenschaftlers und Schulleiters Spiru Haret sowie der Schriftsteller Alexandru Vlahuţă und George Coşbuc. Weitere Redakteure waren Ilarie Chendi und Ştefan Octavian Iosif (seit 1902), Nicoale Iorga (1905–1906) und A. C. Popovici (1909). Wichtige Autoren waren Ioan Slavici, Octavian Goga und Sextil Puşcariu. Seit 1903 arbeitete der Historiker, Publizist und Politiker Nicolae Iorga (1871–1940) für die „Sămănătorul“, wurde 1905 Chefredakteur und prägte die Zeitschrift ideologisch . Aufgrund der Bauernaufstände seit den 1880er Jahren widmete sich die Zeitschrift den Ursachen des sozialen Elends auf dem Lande. Oft wurde die Misere der Landbevölkerung auf die angebliche Ausbeutung der Juden zurückgeführt. Besonders kritisiert wurden Juden, die Alkohol verkauften und Dorfschenken betrieben, da sie dadurch die Bauern ins Unglück stürzen würden. Des Weiteren wurden Juden beschuldigt, für die Enteignung der Böden verantwortlich zu sein sowie Waren zu verkaufen, die die Bauern nicht wirklich benötigten. Die Zeitschrift sprach vor allem jene Intellektuellen an, die auf dem Lande lebten, etwa Lehrer und Dorfgeistliche. Die Zeitschrift beschäftigte sich darüber hinaus auch mit der Lage der Rumänen, die sich außerhalb der Landesgrenzen in Siebenbürgen und der Bukowina, befanden. Die Autoren propagierten eine Literatur, die sich der Bauernfrage annehmen sollte. 1906 schrieb Ioan Slavici zwei Artikel mit dem Titel „Ce e naţional în artă?“, wo er die Frage stellte, was das Wesen der Nation und der nationalen Literatur sein könnte. Er plädierte für die Schaffung nationaler Werte. Hierbei konzentrierte sich Iorga auf

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Der Samstag (Schweiz, 1904–1914 und 1932–1934)

die Idee einer nationalen Literatur und Kunst als Ausdruck des nationalen Geistes, der „Bauernseele“.

Luciana Banu

Literatur Zigu Ornea, Sămănătorismul [Der Sămănătorismus], Bucureşti 1998.

Der Samstag (Schweiz, 1904–1914 und 1932–1934) Die satirische Zeitschrift „Der Samstag“ ist ein typisches Beispiel eines national-konservativen Kulturorgans, wie es zur Zeit des Fin de Siècle in der Schweiz verschiedene gab. Zu ihnen zählten in der französischen Schweiz „La Voile latine“, „Les Feuillets“, „La voix Clémentine“ und „Les idées de demain“, in der deutschsprachigen Schweiz die „Berner Rundschau – Die Alpen“, „Wissen und Leben“ und „Der Samstag“. Obwohl die Herausgeber der Zeitschriften unterschiedliche Ziele verfolgten, bestand ein gemeinsames Ansinnen darin, Plattformen für eine national-konservative Erneuerung bereitzustellen. Dem vermeintlich überhandnehmenden Rationalismus und Materialismus sollte die Stärkung der Heimat und der „nationalen Kultur“, die „Kraft der Natur“ sowie damit verbunden die Abwehr des „Fremden“ entgegengehalten werden. Dass diese Form „konservativer Erneuerung“ auch mit antisemitischer Agitation einherging, zeigt sich vor allem am Beispiel der Basler Zeitschrift „Der Samstag“. „Der Samstag“ erschien mehr oder wenig regelmäßig zwischen 1904 und 1914, vorerst als Wochenzeitschrift, später im vierzehntägigen Rhythmus. Die Zeitschrift verstand sich als unabhängiges Forum für das „bürgerlich-intellektuelle Basel“ und stand politisch später der 1911 gegründeten Fortschrittlichen Bürgerpartei von Rudolf Gelpke nahe, die einem helvetischen Nationalismus frönte, der die agrarisch und gewerblich orientierte Schweiz stark überhöhte. Das Kernanliegen der Herausgeber der Zeitschrift war jedoch nicht Politik, sondern die „Veredelung und Verfeinerung der Gesellschaft“ mittels Kultur – eines Kulturverständnisses notabene, das sich an rassischen Kriterien orientierte. Entsprechend verbreiteten die Autoren ihre Ansichten in der Regel nicht im Stile des rohen Radau-Antisemitismus, sondern ihre Werkzeuge waren Ironie, Sottisen, das bloße Andeuten und Spottverse. Als verantwortliche Redakteure wirkten der Theologe, Dramatiker und Nietzscheforscher Carl Albrecht Bernoulli, der Naturwissenschaftler und Privatgelehrte Albert Graeter und der Philologe Paul Schmitz. Neben den verantwortlichen Herausgebern traten Basler Intellektuelle aus dem universitären und künstlerisch-literarischen Umfeld in Erscheinung, so der Orientalist Adam Mez und der Journalist Eduard Behrens. Hinzu kamen Beiträge von bekannten Schriftstellern wie Hermann Hesse, dem späteren Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler und Robert Walser sowie von den vor dem Ersten Weltkrieg noch wenig bekannten Autoren Jakob Schaffner und Hans Mühlstein. Paul Schmitz (1871–1953), besser bekannt unter seinem Künstlernamen Dominik Müller, wurde bald zum eigentlichen spiritus rector des Blattes. Unter seiner Ägide entwickelte sich „Der Samstag“ nach und nach zu einer Streitschrift gegen Judentum und Freimaurertum. Neben verschiedenen Artikeln zur Rassenhygiene kritisierten die

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Autoren des „Samstags“ vor allem die Zuwanderung von Juden aus Osteuropa sowie die vor dem Ersten Weltkrieg hohe Präsenz jüdischer Studentinnen und Studenten an den Universitäten von Zürich, Bern und Genf. Maßgeblich beteiligt war der „Samstag“ am Kesseltreiben gegen den an der Universität Bern lehrenden jüdischen Philosophieprofessor Ludwig Stein, der aufgrund der gegen ihn betriebenen Agitation seine Tätigkeit 1909 in der Schweiz aufgab und nach Berlin zurückkehrte. Heftig polemisierten die Autoren gegen die Austragung der Zionistenkongresse in Basel. Über die Herausgabe des „Samstags“ stieg Paul Schmitz, der selbst aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, während der 1910er und 1920er Jahre zum gefeierten Mundartpoeten Basels auf und wurde „Privatdichter“ bekannter Patrizierfamilien. Während kurzer Zeit vertrat er zudem die „Bürgerpartei“ in der städtischen Legislative. Als erster und einziger Literat der Stadt erhielt er für sein literarisches Schaffen seit Beginn der 1930er Jahre einen „Ehrensold“, eine städtische Rente. Doch als er in den 1920er Jahren vor dem Hintergrund des Aufstiegs der Nationalsozialisten dem „Samstag“ zu neuem Leben verhelfen wollte und die Zeitschrift zwischen 1932 und 1934 nun in Eigenregie herausgab, scheiterte Schmitz jäh. Als er aus seinen Sympathien für das nationalsozialistische Deutschland kein Hehl machte und in Gedichten den Anschluss an das Dritte Reich propagierte, kehrte der politische Wind. Nun brandmarkte das städtische Parlament seine Schriften als „nationalsozialistische Propagandaliteratur“. 1939 sprach ihm die Basler Regierung seine Rente wieder ab. Verbittert verließ Schmitz seine Heimatstadt, nicht recht wissend, weshalb er plötzlich fallengelassen wurde. Hatte das städtische Bürgertum vor dem Ersten Weltkrieg seine germanophilen und antisemitischen Texte noch beklatscht, wurde sein Bekenntnis zum nationalsozialistischen Deutschland in den 1930er Jahren jedoch nicht mehr gutgeheißen.

Patrick Kury

Literatur Albert M. Debrunner, „Der Samstag“ – eine antisemitische Kulturzeitschrift des Fin de siècle, in: Aram Mattioli (Hrsg.), Antisemitismus in der Schweiz 1848–1960, Zürich 1998, S. 305–324. Patrick Kury, Die ersten Zionistenkongresse aus der Sicht der damaligen Basler Publizistik, in: Heiko Haumann (Hrsg.), Der Traum von Israel. Die Ursprünge des modernen Zionismus, Weinheim 1998, S. 232–249.

Săptămâna roşie (Paul Goma, 2004) Das 2004 veröffentlichte Buch „Săptămâna roşie. 28 iunie – 3 iulie 1940. Basarabia şi evreii“ [Die rote Woche. 28. Juni – 3. Juli 1940. Bessarabien und die Juden] von Paul Goma ist eine Kompilation einiger bereits veröffentlichter Aufsätze und überarbeiteter Zeitschriftenbeiträge, in denen er sich polemisch zum Thema Judenverfolgung, Holocaust und militär-faschistisches Antonescu-Regime äußert. Das Buch erlebte nach 2004 mehrere revidierte und ergänzte Auflagen, in denen der Verfasser auch mit seinen Kritikern abrechnet. Die letzte, elektronische Fassung des Buches hat Goma kostenlos ins Netz gestellt. Dort kann sie von seiner in Frankreich registrierten Internetseite abgerufen werden.

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Săptămâna roşie (Paul Goma, 2004)

Der im französischen Exil lebende, frühere rumänische Dissident und CeauşescuKritiker Paul Goma stellt in seiner pseudohistorischen Abhandlung die These auf, wonach die Verfolgung der rumänischen Juden während der Antonescu-Diktatur (1940– 1944) einzig und allein eine Folge des verwerflichen Verhaltens der jüdischen Bevölkerung gewesen sei. Während des Rückzugs der rumänischen Truppen aus den im Sommer 1940 von der Sowjetunion annektierten Landesteilen, der Nordbukowina und Bessarabien, habe die jüdische Bevölkerung die rumänischen Soldaten und Flüchtlingstrecks angegriffen, die sich vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit bringen wollten. Als Beweis für die während der „roten Woche“ vom 28. Juni bis zum 3. Juli 1940 von den Juden verübten „Gräueltaten“ zitiert Goma ohne Quellenangaben Dokumente sowie in der damals gleichgeschalteten Presse veröffentlichte Augenzeugenberichte. Die schweren antijüdischen Ausschreitungen in Bukarest und Iaşi 1941 sowie die von Antonescu angeordneten repressiven Maßnahmen gegen die Juden und deren Deportation in die Lager nach Transnistrien stellt Goma als berechtigte Racheaktionen dar, die angeblich direkt mit den gewalttätigen Vorfällen während der „roten Woche“ zusammenhingen. In seinem Buch voller schriller rhetorischer Unterstellungen, unbewiesenen Behauptungen und groben, antijüdischen Attacken strapaziert Goma sowohl das Klischee von der „legendären Toleranz“ der Rumänen als auch das des politisch makellosen Antonescu, der quasi als Judenretter dargestellt wird. In seinen geschichtsrevisionistischen Erörterungen bedient sich Goma der Argumente, die in den Schriften bekannter rumänischer und internationaler Holocaustleugner und Antisemiten auftauchen. In Übereinstimmung mit Norman F. Finkelstein behauptet Goma, die Juden würden sich heute als Holocaustopfer ausgeben, um auf diese Weise Entschädigungsgelder zu kassieren. In Rumänien, konstatiert Goma, habe es überhaupt keine Politik der Judenvernichtung gegeben: „Der rumänische Holocaust“, betont er, sei „eine Lüge, eine Fälschung, ein Schwindel, eine abscheuliche Drohung (‚Portemonnaie oder Leben!’).“ Goma erweist sich in seiner Schrift auch als ein Meister historischer Verdrehungen, der seine antijüdischen Ressentiments durch die revisionistische Gleichsetzungsformel Jude=Kommunist untermalt. Hinzu kommt ein bereits in seinem Roman „Gherla“ (französisch 1976, rumänisch 1990) moderat formulierter Gedanke bezüglich der „überwältigenden“ Zahl der Juden im kommunistischen Partei- und Geheimdienstapparat. In seinem Buch erweist sich Goma auch als verschwörungstheoretischer Jongleur, wenn er behauptet, die Juden hassten die Rumänen, weil diese die jüdischen Pläne erfolgreich durchkreuzt hätten, Bessarabien 1918 und 1940 in eine jüdische Republik zu verwandeln. Goma geht noch weiter und betont, zwischen dem rumänischen und israelischen Staat sei ein Geheimabkommen ausgehandelt worden, wonach „im Falle einer politischen Katastrophe in Palästina“ Rumänien etwa „440.000 Juden Asyl gewähren sollte“. Seine Schlussfolgerung ist eindeutig: „Sollen wir Henkern und deren Nachkommen Asyl gewähren?“

William Totok

Literatur Laszlo Alexandru, Toate pînzele sus! Polemici [Mit vollen Segeln. Polemiken], Cluj 2005.

Die Schildwache (Schweiz, 1912–1965)

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Tuvia Friling, Radu Ioanid, Mihail E. Ionescu (Hrsg.), Comisia Internaţională pentru Studierea Holocaustului în România, Raport Final [Internationale Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien. Abschlussbericht], Iaşi 2005. Paul Goma, Săptămâna roşie. 28 iunie–3 iulie 1940. Basarabia şi evreii [Die rote Woche. 28. Juni–3. Juli 1940. Bessarabien und die Juden], Mit einer Studie von Mircea Stănescu, Bucureşti 2004. Radu Ioanid, Paul Goma – între Belleville şi Bucureşti [Paul Goma – zwischen Belleville und Bukarest], in: Observator Cultural vom 15.–21. Juli 2003. William Totok, „Rechtsextremismus und Revisionismus in Rumänien“ (I-VII), in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte Literatur und Politik 13–16 (2001–2004).

Die Schildwache (Schweiz, 1912–1965) Die integralistisch-rechtskatholische Wochenzeitung „Die Schildwache“ gehörte zu den radikalsten antisemitischen Publikationen im Schweizer Katholizismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die 1912 vom Politiker und Verleger Otto Walter (1889– 1944), dem Journalisten Johann Baptist Rusch (1886–1954) und dem Pfarrer Robert Mäder (1875–1945) in Olten gegründete Wochenzeitung entwickelte sich rasch zum Zentrum des integralistischen Katholizismus in der Schweiz mit ausgedehnten Beziehungen in den deutschsprachigen Raum, wobei drei Hauptstränge festgemacht werden können. In den 1910er und frühen 1920er Jahren bestimmte Erstens die jungultramontane politische Bewegung um Otto Walter die Zeitschrift, die von verschiedenen Professoren der Universität Fribourg, so besonders Caspar Decurtins und Josef Beck, unterstützt wurde. Zweitens war „Die Schildwache“ Teil eines ausgedehnten Netzes integralistischer Eliten im deutschsprachigen Raum, wobei Beziehungen der seit 1925 im Nazareth Verlag in Basel erscheinenden Zeitung zu den Trierer „Petrus-Blättern“, deren Redakteur Ferdinand Rüegg (1884–1970) seit 1917 in der Redaktion der „Schildwache“ tätig war, und besonders zu den Wiener Zeitschriften „Der Gral“ Richard von Kraliks und „Das Neue Reich“ Joseph Eberles den Kurs der Zeitschrift mit monarchistisch-großösterreichischen Zielsetzungen und einem vehementen, weltanschaulich konstitutiven Antisemitismus wesentlich beeinflussten. Drittens war „Die Schildwache“ seit den 1930er Jahren Teil einer integralistischen Rekatholisierungsbewegung in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum mit religiös-mystischer Ausrichtung. Zugleich verlagerte die Verbindung mit der Zeitschrift → „Das Neue Volk“ der Gebrüder Carl (1897–1981) und Fridolin Weder (1892–1983) den Schwerpunkt in die Ostschweiz. Ab 1937 erschienen die beiden Zeitschriften mit identischem Inhalt unter der Leitung von Robert Mäder, den Gebrüdern Weder und dem Priester Carl Boxler (1887–1968). 1965 wurden sie zusammengelegt und erschienen bis 1987 unter dem Titel „Das Neue Volk. Die Schildwache. Organ für katholische Gesinnungsbildung“. Hatte die Zeitung 1925 1.365 Abonnenten, so waren es 1929 7.141, 1931 9.416 und 1934 10.077. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt der Zunahme ausländischer Abonnenten zuzuschreiben. 1937 hatte „Die Schildwache“ mehr ausländische als schweizerische Leser. Mit dem Verbot in Deutschland 1937 sowie in Österreich und Italien 1938 verlor sie diese wieder, was der Hauptgrund für die enge Zusammenarbeit mit dem „Neuen Volk“ war.

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Die Schildwache (Schweiz, 1912–1965)

Der Antisemitismus der „Schildwache“ wurde geprägt von im integralistischen Katholizismus omnipräsenten antimodernistischen Krisendiskursen auf der einen und militanten Rekatholisierungsdiskursen mit gesamtgesellschaftlicher Ausrichtung auf der anderen Seite. Nach dem Ersten Weltkrieg erschienen in der Zeitschrift nicht zuletzt unter dem Einfluss großösterreichisch-revisionistischer Autoren – ganz besonders Josef Eberle und Ernst Karl Winter – antisemitische Artikel, deren Vehemenz und Häufigkeit „Die Schildwache“ mit der seit 1929 erscheinenden Zeitschrift „Das Neue Volk“ zum radikalsten antisemitischen Publikationsorgan im schweizerischen Katholizismus machten. Dass der Antisemitismus konstitutiver Bestandteil der integralistischen Weltanschauung war, zeigt sich in den regelmäßig antisemitischen Leitartikeln, gerade auch von Redakteur Robert Mäder, ebenso wie in dem in den 1920er Jahren erschienenen „Kampfprogramm“, das den „Kampf gegen die Freimaurerei und Judengefahr“ als eigenen Punkt aufführte. In den 1920er Jahren bildeten die Juden das am häufigsten verwendete Verbindungsglied antiliberaler, antisozialistischer, antifreimaurerischer und antibolschewistischer Diskursstränge und der daraus entstehenden Verschwörungstheorien, die von zahlreichen Autoren, so neben Mäder besonders von den Schweizern Josef Beck, W. Heim und Walter Imhof sowie dem Österreicher Ernst Karl Winter und dem Deutschen Gustav Stezenbach propagiert wurden. Zwar stellte eine Reihe von Autoren seit den frühen 1920er Jahren den christlichen Antisemitismus dem rassistischen gegenüber; das hinderte indes gewisse Autoren nicht daran, selbst Versatzstücke eines rassistischen Antisemitismus zu verwenden. Stärker als andere Teilmilieus verbanden die Integralisten der „Schildwache“ Argumente eines traditionellen Antijudaismus mit kulturell und sozioökonomisch ausgerichteten Verschwörungsdiskursen. Dadurch wurden die antijudaistischen Diskurse um das „Gottesmord“-Motiv in die Gegenwart transferiert. Die christozentrische Perspektive, der ahistorische Offenbarungsglaube und die heilsgeschichtliche Weltinterpretation der Integralisten bildeten eine Basis nicht nur für die häufige Verwendung antijudaistischer Topoi, sondern gerade auch für den modernen Antisemitismus. Der Erneuerungsdiskurs, der ein ganz wesentliches Merkmal des integralistischen Katholizismus mit seinem Totalitätsanspruch darstellte, war zutiefst antimodernistisch, antimodern, utopisch und endzeitlich-apokalyptisch. Teil des Endzeitdenkens wie des Rettungsoptimismus der Integralisten waren antijudaistische, vermeintlich heilsgeschichtliche Interpretationen der Geschichte der Juden und während des Zweiten Weltkrieges damit verbundene Erklärungen für die Shoah: Erschien der Krieg als Strafe für die Menschheit schlechthin, war für die Integralisten die Shoah Ausdruck der Macht Gottes und Zeichen der kommenden Endzeit. Diese Perspektive rechtfertigte indirekt die Judenverfolgung und -vernichtung der Nationalsozialisten.

Franziska Metzger

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz 1918–1945, Frauenfeld, Wien, Stuttgart 1999. Urs Altermatt, Franziska Metzger, Der radikale Antisemitismus der rechtskatholisch-integralistischen Zeitung „Schildwache“ 1912–1945, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 92 (1998), S. 43–72.

Schimbarea la faţă a României (Emil Cioran, 1936)

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Franziska Metzger, Rekatholisierungsdiskurs und Erneuerungsbewegungen in der integralistisch-rechtskatholischen Zeitung „Schildwache“ 1912–1945, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 95 (2001), S. 159–178. Franziska Metzger, Die „Schildwache“. Eine integralistisch-rechtskatholische Zeitung 1912–1945, Fribourg 2000.

Schimbarea la faţă a României (Emil Cioran, 1936) „Die Veränderung des Antlitzes von Rumänien“ (Schimbarea la faţă a României) ist das emphatische Werk des jungen Nationalisten Emil Cioran (1911–1995), voller Paradoxien und philosophischer Widersprüche, das von den geschichtspessimistischen Visionen Oswald Spenglers („Der Untergang des Abendlandes“) und von Nietzsches „Willen zur Macht“ beeinflusst ist. Andererseits ist das Buch Ciorans ein direktes Ergebnis seines Aufenthaltes in Deutschland, wo er 1933 den Aufstieg Hitlers zum „Führer“ begeistert mitverfolgt und in mehreren pathetischen Artikeln beschrieben hatte, die in der rechtsgerichteten rumänischen Publikation „Vremea“ [Die Zeit] erschienen waren. „Für keinen anderen Politiker unserer Zeit empfinde ich soviel Sympathie und bewundere ihn dermaßen wie Hitler“, schrieb Cioran in einem 1934 unter dem Titel „Eindrücke aus München. Hitler im Bewusstsein der Deutschen“ veröffentlichten Artikel, in dem er seine kultur-politischen, historischen, völkischen und philosophischen Ansichten gleich mitverpackt hatte. In einem im gleichen Jahr, ebenfalls in Deutschland verfassten Artikel („România în faţa străinătăţii“/Rumänien vor dem Ausland) tauchte zum ersten Mal die Wendung „die Veränderung des Antlitzes von Rumänien“ auf, die er dann zwei Jahre später als Titel seines dritten Buches wählte. Ebenso wie die Anhänger der faschistischen Legion des Erzengels Michael (Eiserne Garde), zu deren Sympathisanten Cioran gehörte, war auch er der Überzeugung, einer aristokratischen geistigen Elite anzugehören, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Rumänien politisch, kulturell und wirtschaftlich zu verändern. Sein 1936 erschienenes Buch ist als philosophischer Beitrag zu den von den Legionären beabsichtigten totalitären Veränderungen zu bewerten. In der Abschaffung der Demokratie und der Errichtung eines elitären Rassestaates, dessen Grundmodell er in NS-Deutschland gefunden hatte, sieht Cioran die einzige Möglichkeit zur Verwirklichung seiner politischen Vorstellungen. Rumänien als kleines Land, mit einer unreifen Kultur, mit einer von Minderwertigkeitskomplexen behafteten Bevölkerung, müsse einen „historischen Sprung“ wagen, der das Schicksal des Volkes verändere und es auf die gleiche Stufe mit den „Hochkulturen“ katapultiere. Dieser Sprung sollte durch die Schaffung geistiger Werte, durch „den schmerzlichen Kampf für eine historische Idee“ vollzogen werden. Die Eignungsprüfung dafür liege aber im „imperialistischen Krieg“, denn, so Cioran, „so lange ein Volk keinen Aggressionskrieg geführt hat, existiert es auch nicht als aktiver Faktor der Geschichte“. Der Wille zur Bekämpfung der nationalen Minderheiten, in erster Linie der Juden und der Ungarn, ist für ihn ein Zeichen der Stärke eines „gesunden, lebensfähigen Volkskörpers“. In diesem Zusammenhang kritisiert Cioran die bürgerlichen Politiker, denen er „fehlenden nationalen Instinkt“ unterstellt, weil sie den Juden gesetzliche

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Rechte eingeräumt hatten: „Ein gesunder nationaler Körper beweist seine Lebenskraft durch den Kampf gegen die Juden, vor allem wenn diese durch ihre Anzahl und ihre Unverschämtheit ein Volk überfluten.“ „Wäre ich ein Jude“, heißt es an einer anderen Stelle seines Buches, „dann würde ich auf der Stelle Selbstmord verüben“. Mit ähnlich gestrickten, grobschlächtigen Sentenzen traktiert er auch die Ungarn, die er als „Versager ohnegleichen“ beschreibt, als „ein Volk von Konquistadoren, die heute Schweine mästen“ und nach deren Untergang nichts übrigbleiben wird als „eine Zigeunerkapelle“. Auch den Roma gegenüber empfindet er nichts als barsche Abneigung, die er zusätzlich mit antisemitisch aufgeladenen, abschätzigen Aussprüchen potenziert: „Die Zigeuner, die ihre Existenz an den Rändern der Städte und Dörfer fristeten [...], sind mit der Natur unendlich mehr verbunden als die Juden, die durch die Geschichte die Obskuritäten des Ghettos mit sich schleppen und dessen ekelhafte Trauer und abstoßende Ironien in sich führen, was sie längst aus der Natur ausgestoßen hat, sie aber weiterhin abschreckend in der Geschichte verwahrt.“ Nach der Wende von 1990 publizierten rumänische Rechtsextremisten fremdenfeindliche, antisemitische und rassistische Abschnitte aus dem Buch Ciorans, das nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder veröffentlicht worden war. Cioran selber hatte sich in seinem Pariser Exil von seinen antisemitischen Vorurteilen vorsichtig distanziert, sie als Jugendsünden bezeichnet, ohne sich jedoch mit seiner politischen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. In privaten Briefen, die er seinem in Rumänien lebenden Bruder schrieb, der sich der Legionärsbewegung angeschlossen hatte und nach 1990 neolegionaristischen Zirkeln nahestand, bezeichnete Cioran Gobineau noch 1976 als einen „großen Philosophen, dessen Doktrin die blöden Deutschen kompromittiert haben“. In einem Brief aus dem Jahr 1977 kommt er erneut auf Gobineau zu sprechen und meint, dieser sei „vielleicht der größte Prophet des letzten Jahrhunderts“ gewesen. Der Bukarester Verlag Humanitas brachte 1990 eine von Cioran „gereinigte“ Fassung seines Frühwerkes – als Ausgabe letzter Hand – heraus. Daraus waren die antisemitischen und antiungarischen Passagen entfernt, die Cioran als „stupid“ bezeichnete.

William Totok

Literatur Tuvia Friling, Radu Ioanid, Mihail E. Ionescu (Hrsg.), Comisia Internaţională pentru Studierea Holocaustului în România, Raport Final [Internationale Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien. Abschlussbericht], Iaşi 2005. Marta Petreu, Un trecut deocheat sau „Schimbarea la faţă a României“ [Eine bedenkliche Vergangenheit oder „Die Veränderung des Antlitzes von Rumänien“], Cluj 1999. William Totok, Die Generation von Mircea Eliade im Bann des rumänischen Faschismus, in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte Literatur und Politik 7 (1995), 1, S. 42–55.

Schlesische Rundschau → Deutsche Soldaten- und Nationalzeitung

Schlesische Volkszeitung (1871–1944)

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Schlesische Volkszeitung (1871–1944) Die in Breslau erscheinende „Schlesische Volkszeitung“ gehörte neben der → „Germania“ und der „Kölnischen Volkszeitung“ zu den wichtigsten katholischen Tageszeitungen im Deutschen Reich. Sie war das führende Medium der katholischen Bevölkerung in der multikonfessionellen schlesischen Hauptstadt, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu 35 Prozent aus Katholiken, 57 Prozent aus Protestanten und 7 Prozent aus Juden zusammensetzte. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Breslauer Katholiken mit dem seit 1835 erscheinenden „Schlesischen Kirchenblatt“ ein eigenes Medium, das sich zunächst auf religiöse Themen konzentrierte und während der Revolution von 1848 die politisch-konservativen Positionen des schlesischen Katholizismus artikulierte. Im Januar 1863 folgte die Gründung der zunächst zweimal wöchentlich, seit 1869 täglich erscheinenden „Breslauer Hausblätter“, die sich dezidiert als politische Zeitung begriffen und sich vor allem gegen den Liberalismus und gegen den Protestantismus richteten. Innerkatholisch bekämpften die „Hausblätter“ die altkatholische Abspaltung, und das Blatt vertrat nachdrücklich die zu keinen Kompromissen bereite politische und innerkirchliche Orientierung des Papstes. Seit Juli 1871 trug das Blatt den Namen „Schlesische Volkszeitung“. Es begriff sich bald als Sprachrohr des Katholizismus im Kulturkampf, und die Redaktionsmitglieder wurden mehrfach zu Haftund Geldstrafen verurteilt. Seit 1873 leitete der vom Protestantismus zum Katholizismus übergetretene Arthur Hager die Redaktion. Die Zeitung hatte in diesen Jahren eine Auflage von etwa 3.500 Exemplaren. Im Frühjahr 1878 setzte in der „Schlesischen Volkszeitung“ eine vehemente antisemitische Kampagne ein, die mit Artikeln zur sogenannten Wucherfrage und mit Beiträgen über angebliche „jüdische Unverschämtheiten“ auf dem Berliner Kongress eröffnet wurde. Den ersten Höhepunkt bildete eine Kampagne gegen jüdische Referendare im Justizdienst, die unter dem Titel „Der jüdische Referendarius“, die der Verlag auch als Sonderdruck herausgab, erschien und in der es einleitend hieß: „Nach den neuesten Forschungen zerfällt der Haupttroß der jüdischen Referendare in zwei Klassen: in die unverschämten und in die schmierigen.“ Geführt wurde diese Kampagne mit einer in den folgenden Monaten regelmäßig erscheinenden Folge von Anmerkungen, Kommentaren und Ergänzungen, und diese Serie ergänzte eine Fülle von kleineren Artikeln über angeblichen jüdischen Wucher oder die sogenannte Herrschaft der Juden über die Presse, ferner die von antisemitischen Stereotypen durchsetzte Fortsetzungserzählung „Eine jüdische Dorfgeschichte aus Oberschlesien“, oder Angriffe auf die Rolle jüdischer Finanzexperten in der Deutschen Reichsbank. Im Juli 1879 propagierte die „Schlesische Volkszeitung“ schließlich einen „neue Culturkampf“, der der „Judenherrschaft“ gelte. Daneben finden sich auch immer wieder propagandistische Gedichte, in denen die Vorurteile gegen Juden formuliert wurden. Einen Höhepunkt fand diese Kampagne mit einer Folge von gehässigen Artikel, wobei verschiedene stereotype Figuren von angeblichen Juden porträtiert werden sollten, etwa der sogenannte Schnapsjude, der Schacherjude, der jüdische Gauner, der Vereinsjude oder der Getreidejude, um nur einige Titel aus der großen Fülle von Beiträgen dieser Serie zu nennen.

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Schlesische Volkszeitung (1871–1944)

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1883 schied Hager aus der Redaktion der Zeitung aus, die nunmehr zweimal täglich erschien und eine Auflage von etwa 5.000 Exemplaren hatte. Die Redaktion übernahm Franz Garthaus, unter dessen Leitung die aggressive und von allen nur denkbaren Vorurteilen und antisemitischen Stereotypen durchsetzte Kampagne der „Schlesischen Volkszeitung“ beendet wurde. In diese Zeit fällt zugleich die Wahl von Georg Kardinal von Kopp zum Fürstbischof von Breslau, der sich 1882 im Kontext der „Affäre von Tiszaeszlár“ gegen die Ritualmordlegenden ausgesprochen, ferner den Ausgleich zwischen Bismarck und dem Papst arrangiert und damit zum Ende des Kulturkampfes in Deutschland beigetragen hatte. Der Wahl von Kopp wiederum waren innerkatholische Konflikte in Breslau vorausgegangen, da sowohl die „Schlesische Volkszeitung“ als auch die Zentrumspolitiker Breslaus versucht hatten, dessen Wahl zu verhindern. Gleichwohl musste Garthaus die neue Linie des Breslauer Fürstbischofs in der Zeitung der Katholiken durchsetzen. Als Garthaus 1889 die Redaktion verließ, übernahm von 1890 bis 1909 Konstantin Nowak die Leitung der Breslauer katholischen Tageszeitung, die in dieser Zeit ihre Auflage auf circa 5.300 Exemplare steigern konnte. Mit antisemitischen Artikeln hielt sich die „Schlesische Volkszeitung“ auch weiterhin zurück. Der Antisemitismus der Breslauer katholischen Tageszeitung war somit unmittelbar mit dem Kulturkampf verbunden, wobei der von 1921 bis 1943 als Redakteur der „Schlesischen Volkszeitung“, zuletzt als stellvertretender Schriftleiter tätige Johannes Seipolt den Antisemitismus der Kulturkampfzeit noch in seinen 1978/79 erschienenen Erinnerungen mit dem Hinweis darauf zu legitimieren versuchte, dass „die Hauptmacht des Liberalismus damals vor allem in jüdisch geführten Zeitungsverlagen“ gelegen habe, und auch die Bemerkung anfügen zu müssen meinte, dass die katholische Zeitung die seinerzeit „in Breslau sehr mächtige jüdische Geschäftswelt“ durch „eine Art Boykott-Methode“ unmittelbar zu spüren bekommen habe. Während des Ersten Weltkrieges vorübergehend verboten, konnte die Zeitung trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage die Auflage deutlich erhöhen, sodass sie 1919 unter Leitung von Franz Peters bei über 20.000 Exemplaren lag. In der Zeit der Weimarer Republik unterstützte die „Schlesische Volkszeitung“ unter Josef Greiser die Regierungspolitik der Zentrumspartei gegen den Widerstand deutschnationaler Katholiken in Schlesien und sprach sich in den letzten Jahren der Republik gegen den aufkommenden Antisemitismus katholischer Studenten in Breslau aus. Nachdem der Redakteur Robert Weiß 1933 der NSDAP beigetreten war, sorgte er dafür, dass der Chefredakteur Greiser entlassen und ihm selbst die Leitung übertragen wurde. So konnte die „Schlesische Volkszeitung“ bis 1944 erscheinen.

Ulrich Wyrwa

Literatur Christian Andree, Der Kulturkampf in Schlesien, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 53 (1995), S. 151–168. Olaf Blaschke, Schlesiens Katholizismus: Sonderfall oder Spielart der katholischen Subkultur? in: Archiv für Schlesische Kirchengeschichte 57 (1999), S. 161–193. Joachim Köhler, Rainer Bendel (Hrsg.), Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, 2 Bände, Münster 2002.

Schmeitzners Monatszeitschrift (1882–1883)

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Johannes Seipolt, Erinnerungen an die Schlesische Volkszeitung (1869–1944), in: Archiv für Schlesische Kirchengeschichte 36 (1978), S. 205–292 und 37 (1979), S. 107–129.

Schmeitzner-Verlag → Ernst Schmeitzner Verlag

Schmeitzners Monatszeitschrift (1882–1883) Die von Januar 1882 bis Dezember 1883 erscheinende und zunächst als allgemeine Kultur- und Literaturzeitschrift gegründete „Schmeitzner`s internationale Monatsschrift“ sollte nach den Vorstellungen des Verlegers zum Organ der „Vereinigung zur Bekämpfung des Judenthums“ werden. 1874 hatte der 23-jährige Ernst Schmeitzner eine Verlags-Buchhandlung gegründet, nachdem es ihm gelungen war, Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck als Autoren zu gewinnen. In den folgenden Jahren besorgte Schmeitzner u. a. die Ausgabe mehrerer Werke Nietzsches, Overbecks „Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie“, verlegte ein Buch Eugen Dührings sowie eine Reihe von Büchern mit altindischen Weisheiten. Zu Schmeitzners besonderem, wenn auch nur kurz andauerndem Stolz zählte die Herausgabe der unter Mitwirkung von Richard Wagner und Hans von Wolzogen redigierten → „Bayreuther Blätter“ im Jahr 1878. Die Verkaufserfolge blieben allerdings aus. Mitte 1880 ließ Schmeitzner wissen, sein Verlag sei ein Verlustgeschäft. Zunehmend verlegte er sich auf politische antisemitische Aktivitäten. Neben der Antisemitenpetition unterstützte er die Anstrengungen Alexander Pinkerts, mittelständische sächsische Gewerbetreibende in antiliberalen und antisemitischen Reformvereinen zu organisierten. Gleichzeitig bot er Wilhelm Marr seinen Verlag für die weitere Herausgabe der „Deutschen Wacht“ an. Aus dieser Offerte gingen 1880 die → „Antisemitischen Hefte“ hervor, die allerdings im gleichen Jahr wieder eingestellt wurden. Die negative Erfahrung mit den „Antisemitischen Heften“ hinderte Schmeitzner nicht daran, ab 1880 die Gründung einer weiteren Zeitschrift zu betreiben: „Schmeitzner’s internationale Monatsschrift“. Als Mitarbeiter schwebten ihm seine bisherigen Autoren Paul de Lagarde und Bruno Bauer sowie sein Freund Paul Wiedemann vor. Paul de Lagarde konnte er jedoch nicht für die Mitarbeit gewinnen, dafür aber den schon 1843 durch seine harsche judenfeindliche Schrift → „Die Judenfrage“ hervorgetretenen Bruno Bauer, der die These aufgestellt hatte, dass die Emanzipation der Juden wegen der angeblich in der jüdischen Religion begründeten Exklusivität der Juden zum Scheitern verurteilt sei. Die Redaktion übernahm zunächst Paul Wiedemann. Der erste Jahrgang trug den Untertitel „Zeitschrift für allgemeine und nationale Kultur und deren Literatur“. Das programmatische Vorwort der ersten Ausgabe schrieb Bruno Bauer. In diesem Editorial sprach Bauer jedoch die Konflikte um die Gleichberechtigung der Juden nicht an, interessierte sich vielmehr für die Weltkongresse der Geographen und Orientalisten und versprach Internationalität als Grundprinzip der Zeitschrift. Da „der Hammer einer sich steigernden Centralisation“ auf Europa falle, „unter seiner Wucht zerstieben sogar die Reste der Nationalität“, sah Bauer die Zeit wiederkehren, in der „Abendland und Orient in Eine Welt zusammenflossen“, und verstand die Monatsschrift als Beitrag zur Gründung einer europäischen Heimat. Bauer zeichnete namentlich bis zu seinem Tod im April 1982 zehn Artikel der Monatsschrift.

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Schmeitzners Monatszeitschrift (1882–1883)

Zahlreiche Artikel erschienen anonym oder durch Gruppenzugehörigkeiten gekennzeichnet, wie „Von einem Russen“, „Von einem Freischärler“ oder unter dem judaisierenden Pseudonym „Jirmejahu“. Nietzsche schließlich veröffentlichte, trotz der Bedenken gegen Schmeitzners Umfeld, in der Mainummer 1882 seine „Idyllen aus Messina“. Der Tod Bruno Bauers im April 1882 markiert das Ende jener Ambitionen der Monatsschrift, die über antisemitische Agitation hinausreichten. Während bis zur Juninummer die Zeitschrift keinen dezidiert antisemitischen Artikel enthielt, beginnt in der zweiten Jahreshälfte eine Entwicklung, die die Zeitschrift allein auf einen radikalen, rassistisch argumentierenden und nach politischer Organisation strebenden Antisemitismus ausrichtet. So publizierte Eugen Dühring in der Juli- und Augustnummer der Zeitschrift einen zweiteiligen Artikel über „Die Parteien in der Judenfrage“, anonym wurden Beiträge zur „Judenfrage in Russland“, „Voltaires Urtheil über die Judenfrage“ und „Die Judenfrage in Algiers“ veröffentlicht sowie die Ritualmordanschuldigungen im ungarischen Tiszaeszlár durch eine Exegese alttestamentlicher Textstellen für plausibel erklärt. Die internationale Ausrichtung des Blattes war damit weiterhin gewährleistet, gemeinsamer Nenner und Kulminationspunkt war der Antisemitismus. In einer Verlagsankündigung in der letzten Nummer des Jahrgangs 1882 informierte Schmeitzner die Leser über das Ausscheiden des bisherigen Redakteurs und versprach eine noch stärkere Konzentration auf internationale politische und soziale Fragen. Dezent bat er die Leser um Empfehlung an ein weiteres Publikum. Der Untertitel des zweiten Jahrgangs, „Zeitschrift für die allgemeine Vereinigung zur Bekämpfung des Judenthums“, kündigte die folgende Entwicklung zum Vereinsblatt an. Die „allgemeine Vereinigung“ war aus dem ersten internationalen Antisemitenkongress, der im September 1882 in Dresden tagte, hervorgegangen und sollte den zweiten Antisemitenkongress 1883 in Chemnitz vorbereiten. Schmeitzner wurde dazu als Bevollmächtigter eingesetzt. Er überwarf sich jedoch bald mit Adolf Stoecker und Alexander Pinkert, da er kompromisslos auf einem rassistisch argumentierenden Antisemitismus beharrte. Seine Monatsschrift funktionierte er nun zum Parteiorgan der „Allgemeinen Vereinigung zur Bekämpfung des Judenthums“ um. Aus dieser zogen sich zuerst die nicht radikalen, religiös und sozial ausgerichteten Antisemiten zurück, schließlich entwickelte sie sich zu Schmeitzners Privatunternehmen. Das Verhältnis zu den ehemaligen Gefährten wurde in der Monatsschrift als „bitterste Feindschaft“ beschrieben. Dort veröffentlichte nun auch Theodor Fritsch unter seinem Pseudonym Thomas Frey, die meisten Artikel steuerte der ehemalige Chefredakteur der „Deutschen Reform“ Carl Heinz Rittner bei, der die Redaktion der Zeitschrift übernommen hatte. Als Vereinsorgan prägten Artikel über die Aktivitäten des „internationalen antijüdischen Comités“, Einladungen und Berichte zum zweiten internationalen Antisemitenkongress, dringende Spendenaufrufe und Spendenlisten, Meldungen aus der Bewegung und Aufrufe, solche zu verfassen, das Blatt. In der Dezembernummer 1883 resümierte Ritter: „Alles in allem darf man behaupten, dass […] die internationale Monatsschrift im verflossenen Jahr nicht umsonst gewirkt habe! Mit äußeren prunkhaften Erfolgen können sie freilich nicht prahlen.“ Am Ende des Dezemberheftes 1883 kündigte Rittner an, sich aus der Redaktion zurückzuziehen. Weitere Ausgaben sind nicht erschienen.

Schönere Zukunft (Österreich, 1925–1941)

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Schmeitzners Projekt, in den frühen 1880er Jahren kompromisslos den Rassenantisemitismus aus der sächsischen Provinz heraus internationalisieren zu wollen, war so ambitioniert, dass das vorläufige Scheitern nicht verwundert. Wenn sich die Zeitschrift auch nicht etablieren konnte, spiegelt sie doch das langfristig erfolgreiche Bemühen, den Antisemitismus zu europäisieren.

Isabel Enzenbach

Literatur Bruno Bauer, Die Judenfrage, Braunschweig 1843. Malcom B. Brown, Friedrich Nietzsche und sein Verleger Ernst Schmeitzner, Frankfurt am Main 1987. Matthias Piefel, Antisemitismus und völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879– 1914, Göttingen 2004.

Schönere Zukunft (Österreich, 1925–1941) Die „Schönere Zukunft“ war ein von Josef Eberle (1884–1947) seit 1925 herausgegebenes katholisches Wochenmagazin, in dem zahlreiche antisemitische Artikel veröffentlicht wurden. Josef Eberle, in Deutschland geboren, übersiedelte 1913 nach Wien, wo er zunächst als Redakteur für die den Christlichsozialen nahestehende → „Reichspost“ tätig war. 1918 leitete er die Wochenschrift „Das Neue Reich“ und gründete 1925 die „Schönere Zukunft“, die bis 1941 erschien und auch in Deutschland große Verbreitung fand. 1932 wurde „Das Neue Reich“ mit der „Schöneren Zukunft“ fusioniert. Eberle betrachtete die „Judenfrage“ als zentrales Anliegen des Blattes. Dem entsprechend gab es beinahe in jeder Ausgabe Artikel mit antisemitischen Tendenzen. Bereits 1920 forderte Eberle die Beschränkung der „jüdischen Präsenz“ in allen Bereichen des Kultur- und Wirtschaftslebens und die Enteignung von Juden, deren Vermögen eine bestimmte Grenze überstieg. Auch gegen die „jüdische Presse“ bezog er 1920 in dem Buch „Großmacht Presse. Enthüllungen für Zeitungsgläubige“ Stellung. Auch rief er zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. In der „Schöneren Zukunft“ schrieben katholische Bischöfe, Theologen und Professoren, aber auch christlichsoziale Politiker. Das Wochenmagazin richtete sich allgemein gegen die Republik, gegen die Demokratie und den Liberalismus; die Artikel waren häufig stark antisemitisch gefärbt. Zudem hatten viele Autoren als Ziel die Errichtung einer Gesellschaft nach christlich-ständischer Ausrichtung vor Augen. Als Vorbilder in der „Abwehr des Judentums“, wie Eberle dies bezeichnete, dienten in der „Schöneren Zukunft“ Karl Lueger, Alois Liechtenstein, Karl von Vogelsang, Oswald Menghin, Leopold Kunschak und Werner Sombart. Den Antisemitismus verteidigte Eberle in der „Schöneren Zukunft“ damit, dass dieser nicht unchristlich sei, sondern die Wiederaufnahme kirchlicher Traditionen bedeute. Der Kampf gegen die Juden, so Eberle in der „Schöneren Zukunft“, sei keine Frage von Hass oder Rassismus, sondern ein Kampf gegen die Leugnung der christlichen Idee. In Eberles Wochenmagazin wurde ein klassischer religiöser Antisemitismus vertreten. So tauchte immer wieder die Legende des ruhelos umherwandernden Juden Ahasver auf. Auch die Feststellung, dass Juden Jesus dem Kreuztod überlieferten, schließt

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Schulhof-CDs

an traditionellen christlichen Antijudaismus an. In einer pseudowissenschaftlichen Artikelserie aus dem Jahr 1934 vertrat ein Theologieprofessor die Meinung, dass der schlechte Charakter des Judentums aus dem Talmud stamme, da dieser den Juden eine rechtliche Sonderstellung zubillige. Neben religiös motivierter Judenfeindschaft vertrat die „Schönere Zukunft“ auch einen wirtschaftlich ausgerichteten Antisemitismus. So tauchte immer wieder die Behauptung auf, Juden würden als Minorität über den Weg der Wirtschaft alle „Wirtsvölker“ der Erde beherrschen und diesen großen Schaden zufügen. Der Salzburger Theologieprofessor Alois Mager schrieb 1928 in einem Artikel über den „antichristlichen Kapitalismus“, der die „Quintessenz des Judentums“ sei. In der „Schöneren Zukunft“ wurde auch gegen ein angebliches Weltjudentum gehetzt. Dies ging soweit, dass 1933 die Ansicht der Nationalsozialisten übernommen und alle politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands mit einer Verschwörung des Weltjudentums erklärte wurden. Die nationalsozialistische Politik gegenüber Juden wurde mit dem Hinweis auf „die alte Schuld der Juden“ ebenfalls verteidigt. Der Antisemitismus in der „Schöneren Zukunft“ bezog eine Mittelstellung zwischen traditionellem Antijudaismus und dem Antisemitismus der Nationalsozialisten. Elemente eines rassistischen Antisemitismus kamen etwa 1936 im Wochenmagazin zum Ausdruck, wenn Eberle dort schrieb, dass das Judentum eine sich zur Weltherrschaft berufen fühlende Volks-, Rassen- und Religionsgemeinschaft sei. Trotz der positiven Berichterstattung über den Nationalsozialismus wurden ab 1935 Ausgaben der „Schöneren Zukunft“ in Deutschland beschlagnahmt, und Eberle wurde 1938 nach dem „Anschluss“ auch kurzweilig inhaftiert. 1941 wurde der Verlag „Schönere Zukunft“ beschlagnahmt und Eberle neuerlich festgenommen. Die „Schönere Zukunft“ bot eine Plattform für christlichen Antijudaismus, die ausführlich genutzt wurde. In Österreich trug die angesehene Wochenschrift zweifelsohne zur Verbreitung von antisemitischem Gedankengut bei und bereitete schließlich den Boden für die endgültige Akzeptanz des Rassenantisemitismus nach dem „Anschluss“. Eberle selbst verteidigte noch in seinen Memoiren das „Vorgehen“ gegen die Juden als positiven Aspekt des Nationalsozialismus.

Christian Pape

Literatur Peter Eppel, Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Die Haltung der Zeitschrift „Schönere Zukunft“ zum Nationalsozialismus in Deutschland 1934–1938, Wien, Köln, Graz 1980. Angelika Königseder, Antisemitismus 1933–1938, in: Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Austrofaschismus. Politik-Ökonomie-Kultur 1933–1938, Wien 2005, S. 54–67. Bruce Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien 1993.

Schriften zur Judenfrage → Judentum und Gaunertum Schulhof-CDs → NPD-Publikationen

Der Schulungsbrief (1934–1944)

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Der Schulungsbrief (1934–1944) „Der Schulungsbrief“ war eine seit Januar 1934 erscheinende parteiamtliche Zeitschrift zur ideologischen Schulung der NSDAP-Mitglieder. Ursprünglich als eine Publikation zur internen Unterrichtung eines vergleichsweise kleinen Kreises von Parteifunktionären konzipiert, entwickelte sich „Der Schulungsbrief“ zu einem Massenmedium. Zielgruppe waren bald sämtliche Angehörige der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände, ebenso die Mitarbeiter der Reichs-, Länder- und Kommunalbehörden. 1939 erreichte der von der NSDAP als „die größte politische Zeitschrift der Welt“ bezeichnete „Schulungsbrief“ eine monatliche Auflagenhöhe von 4,75 Millionen Exemplaren. Zwar sank mit Kriegsbeginn die Zahl der gedruckten Exemplare, doch besaß der „Schulungsbrief“ weiterhin, bis zu seiner Einstellung zur Jahreswende 1944/45, einen sehr großen Leserkreis. Parteiideologe Alfred Rosenberg, häufiger Schulungsbrief-Gastautor, kritisierte gegenüber Hitler den Aufwuchs des „Schulungsbriefs“ zur Millionenzeitschrift scharf. Rosenberg erklärte, „Der Schulungsbrief“ könne in Anbetracht seines riesigen Bezieherkreises nicht leisten, wofür er vorgesehen gewesen sei, nämlich zur vertraulichen ideologischen Schulung der NSDAP-Funktionsträger. Diese Funktion der vertraulichen Unterrichtung von Parteifunktionären übernahm ab 1937 die interne NSDAP-Zeitschrift → „Der Hoheitsträger“. Aufgrund seiner enormen Auflagenhöhe handelte es sich beim „Schulungsbrief“ um eines der effektivsten Indoktrinationsmittel der NSDAP. Julius Streichers berüchtigtes antisemitisches Hetzblatt → „Der Stürmer“ erreichte zu keinem Zeitpunkt eine annähernd so hohe Auflage. Die Schulungsbrief-Hefte hatten Monat für Monat wechselnde Schwerpunkte wie: „Volk und Rasse“ oder „Aufbau und Werk der Partei“. Dabei war der Kampf gegen die „ideologischen Gegner“ des Nationalsozialismus – allen voran das als angeblicher Todfeind der europäischen Völker dämonisierte „Weltjudentum“ – ein immer wiederkehrendes, zentrales Thema. Mit erklärenden pseudowissenschaftlichen Aufsätzen flankierte „Der Schulungsbrief“ die immer radikaler werdenden antijüdischen Maßnahmen des NS-Staates. Durch die Darlegung angeblicher Fakten sollten die allgegenwärtigen Propagandaparolen des NS-Regimes untermauert und den Angehörigen der NS-Bewegung Argumentationshilfen für den alltäglichen Diskurs geliefert werden. Reich bebilderte Artikel zeichneten das Zerrbild eines weltweit agierenden, bösartigen Judentums. Juden wurden als „großer Vergifter“ des Geisteslebens, Vernichter der „Rassenreinheit“ und moralischer Werte diffamiert. Ab 1937, nach der Veröffentlichung der NS-kritischen päpstlichen Enzyklika → „Mit brennender Sorge“, häuften sich im „Schulungsbrief“ Artikel mit stark antikatholischer Ausrichtung. Durch eine kleinformatige „Schulungsbrief-Frontausgabe“, die Texte mit Überschriften wie „Der Kampf um unsere Existenz“ enthielt, wurde nach Kriegsbeginn versucht, Moral und Durchhaltewillen der Wehrmacht zu stärken. Der Hitler-Stalin-Pakt stellte die Schulungsbrief-Redaktion vor eine besondere Herausforderung. Denn nun musste das unerwartete deutsch-sowjetische Zweckbündnis als logischer Schritt und genialer Schachzug Hitlers präsentiert werden. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion kehrte „Der Schulungsbrief“ zu seiner antimarxistischen Ausrichtung zurück. Nun bemühte man sich wieder verstärkt, den

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Das Schwarze Korps (1935–1945)

Kommunismus und das Sowjetsystem als Kreation eines angeblich weltweit agierenden verschwörerischen Judentums darzustellen.

Phillip Wegehaupt

Literatur Phillip Wegehaupt, „Wir grüßen den Haß!“ Die ideologische Schulung und Ausrichtung der NSDAP-Funktionäre im Dritten Reich, Berlin 2012.

Schwarzbuch → Tschornaja Kniga

Das Schwarze Korps (1935–1945) Im März 1937 veröffentlichte die SS-Kampfschrift „Das Schwarze Korps“ unter dem Titel „Das sind Staatsfeinde!“ eine Artikelserie, die sich gegen alle potenziellen Gegner der „arischen“ Rasse und der deutschen Volksgemeinschaft richtete. Zu den zentralen Feindbildern gehörten das Judentum, der Bolschewismus, die Kirche, Reaktion und Marxismus, Freimaurer und Homosexuelle, alle vermeintlich kranken und „unnatürlichen Volksschädlinge“, aber auch Bürokratie, Justiz und „Parteischmarotzer“. Die antisemitische Hetze zielte auf den angeblich verdorbenen Charakter der Juden, deren behauptete Krankheits- und Seuchengefahr für das deutsche Volk und vermischte rassistische Stereotype von Kapital, Macht- und Geldgier, Bolschewismus und Religion bis zur Unkenntlichkeit. „Das Schwarze Korps“, das unter der Regie des SS-Standartenführers Gunter d’Alquen (1910–1998) durch die Reichsführung SS herausgegeben wurde, erschien erstmals am 6. März 1935 mit einer Auflage von 70.000 Stück, die sich bis Ende 1944 auf über 750.000 Stück mehr als verzehnfachte und damit zur zweitgrößten Wochenzeitung des Reiches avancierte. Die letzte Ausgabe erschien am 12. April 1945. Das „Formationsblatt“ kam jeden Mittwoch im Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf. Berlin (→ Eher-Verlag), heraus und bildete das Werbe- und Agitationsorgan der SS. „Das Schwarze Korps“ war im freien Verkauf erhältlich. Zudem war jeder SSMann dazu angehalten, das Blatt zu lesen und sich für dessen Verbreitung „im ganzen deutschen Volke“ einzusetzen. Im Rahmen der weltanschaulichen Schulung der SS und des SS-Gefolges stellte „Das Schwarze Korps“ einen Eckpfeiler dar: „Das Sprachrohr für die Idee, die der SS-Mann vertritt, ist seine Zeitung.“ In den Befehlen an die Schulungsführer der SS-Totenkopfverbände, die in den Konzentrationslagern Wachdienst versahen, wurde „Das Schwarze Korps“ als „geistige Waffe der SS im Kampf gegen die dunklen Kräfte“ beschworen. Regelmäßige Werbeaktionen sollten für eine hohe Resonanz in der SS und breite Akzeptanz bei den „Volksgenossen“ sorgen. Zugleich definierte sich das SS-Blatt damit selbst: „Soldatische Haltung und souveräne Überlegenheit, fanatischer Glaube und eiserne Überzeugung kennzeichnen die Zeitung der SS auf Vorposten des nationalsozialistischen Kampfes.“ Der Erfolg und die weite Verbreitung der Zeitung gingen wesentlich auf den Hauptschriftleiter (Chefredakteur) Gunter d’Alquen und seinen Stellvertreter Rudolf aus den Ruthen zurück, die effektiv die Komponenten Weltanschauung, Fanatismus und Pragmatismus zu verbinden verstanden und eine breite Leserschaft über die SS hinaus erreichten. In der Gründungsphase wurden sie vom Parteiverleger Max Amann unter-

Das Schwarze Korps (1935–1945)

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stützt. Ab September 1939 arbeitete d’Alquen als führender Kriegsberichterstatter der SS und befehligte die Propagandaeinheit der Waffen-SS, die SS-Standarte „Kurt Eggers“. Zu den dortigen Journalisten gehörten u.a. sein Bruder Rolf d’Alquen (1912– 1993), der zugleich einer der wenigen festen Mitarbeiter des „Schwarzen Korps“ war, und der spätere Herausgeber des Wochenmagazins „Stern“, Henri Nannen (1913– 1996). Der überwiegende Teil der etwa 500 Autoren schrieb für „Das Schwarze Korps“ freiberuflich. Bei der Abgrenzung des SS-Blattes gegenüber anderen Zeitungen der NSDAP und ihrer Gliederungen wie → „Der Angriff“, → „Der Stürmer“, → „Der SA-Mann“ oder „Wille und Macht“ stilisierte sich „Das Schwarze Korps“ zur moralischen Instanz der NS-Bewegung, welche die SS in höchstem Maße verkörpern sollte. Die Redaktion konzentrierte sich auf die Vermittlung von Orientierungswissen zu den stigmatisierten Feindbildern, die Erziehung zur nationalsozialistischen Lebenshaltung und zur Identifikation mit den propagierten Werten und der rassistischen Weltanschauung sowie die Wiederholung „moralischer“ Positionen und Handlungsanleitungen. Dabei verstand sich „Das Schwarze Korps“ als Gralshüter und Kämpfer für die Erhaltung einer „artreinen Sippe“ und „inneren Opposition“. Die Angriffe richteten sich aber nicht nur gegen weltanschauliche Gegner des Nationalsozialismus, sondern auch gegen eigene Parteimitglieder und Opportunisten, die Justiz, Verwaltung und Bürokratie. Zwischen dem SS-Organ sowie den Partei- und Ministerialbehörden wurden teils heftige Konflikte ausgetragen. Davon ausgeschlossen waren Artikel über die SS selbst, die mit überhöhtem Pathos das Bild einer elitären Ordens- und Rassegemeinschaft vermitteln sollten. Spätestens ab 1942 klafften allerdings das propagierte SS-Ideal und die Realität weit auseinander, nachdem zur Rekrutengewinnung die rassistischen Einstellungsvoraussetzungen der Waffen-SS aufgegeben werden mussten. Dies darf jedoch nicht vergessen machen, dass „Das Schwarze Korps“ mehr als nur ein Kampfblatt der SS war. Insbesondere die stetigen Kampagnen gegen Kirche, Judentum und Bolschewismus belegen den Charakter eines Hetzblattes, den d’Alquen in seinen apologetischen Nachkriegsäußerungen herunterzuspielen versuchte. In ihren Leitartikeln bewies die Redaktion noch vor Beginn der systematischen Massentötungen Kenntnis der geplanten Judenvernichtung. Auch der Bolschewismus stellte einen essenziellen Gegner dar, den es rücksichtslos zu bekämpfen galt. „Das Schwarze Korps“ spielte sich zum radikalen Anwalt der „Volksgesundheit“ und „Volkssicherheit“ und damit zum „Feind aller Krankheit und Unnatur“ und „Volksschädlinge“ auf. Dieses Freund-Feind-Schema spielte klar mit der Dichotomie von Auslese und Ausmerze, die sich in Beiträgen zu den SS-Führerschulen einerseits und den Konzentrationslagern und seinen Insassen andererseits widerspiegelte. Die Redaktion bediente sich dabei verschiedener sprachlicher Manipulationsstrategien. Eine besondere Rubrik im „Schwarzen Korps“ stellten die „Leserzuschriften mit der Bitte um Stellungnahme/Kenntnisnahme“ dar, die der Denunziation und öffentlichen Diffamierung potenzieller Gegner diente. Infolge der engen Zusammenarbeit der Redaktion mit der Sicherheitspolizei und dem SD führten die Zuschriften häufig zur Verhaftung der Beschuldigten, da alle Meldungen unverzüglich an die Gestapo und den SD weitergeleitet wurden. Ein Teil der eingesandten Denunziationsschreiben wurde veröffentlicht oder diente als Artikelvorlage.

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Schweizerbanner (Schweiz, 1925–1934)

Besonders klar trat die doppelte Rolle des „Schwarzen Korps“ als fanatischer Kämpfer für Moral und Weltanschauung in einer Beschwerde des stellvertretenden Hauptschriftleiters Rudolf aus den Ruthen an den persönlichen Referenten Heinrich Himmlers, Rudolf Brandt, hervor. Anlässlich der Misshandlung von Juden in dem zum Sammellager IV umfunktionierten früheren Konzerthaus „Clou“ in der Berliner Zimmerstraße 90–91, das vis-à-vis der SS-Redaktion in der Zimmerstraße 88 lag, monierte der SS-Hauptsturmführer Rudolf aus den Ruthen am 4. März 1943 das brutale öffentliche Vorgehen von Gestapo und SS bei der „Evakuierungsaktion“ gegen die bislang verschonten jüdischen Zwangsarbeiter: „Während die Heranbringung durch Lastwagen ordnungsgemäß vor sich ging, wurden die Juden ohne ersichtlichen Grund von einem Mann mit Hundepeitsche verprügelt. Ein Mann der Waffen-SS hatte anscheinend einem Juden einen dicken Handstock weggenommen und schlug nun seinerseits genau so blödsinnig auf Juden ein. Wenn ich Ihnen diesen Vorgang schildere, so deshalb, weil ich glaube, daß es vielleicht einmal gut wäre, intern alle zuständigen Stellen darauf aufmerksam zu machen, daß das mit Humanität oder Gefühlsduselei aber auch nicht das Geringste zu tun hat, wenn verlangt wird, daß jede Amtshandlung, ganz gleich, was geschieht, unter strengster Wahrung der Form zu geschehen hat, gerade in solchen Fällen.“ Moralisches Handeln bedeutete demnach, nicht „den Anschein blindwütiger Sadisten“ zu erwecken, sondern die Judendeportation und -vernichtung „ganz gleich, was geschieht, unter strengster Wahrung der Form“ abzuwickeln. Sowohl Gunter und Rolf d’Alquen als auch Rudolf aus den Ruthen haben ihre Verantwortung für den Holocaust stets geleugnet. Gunter d’Alquen wurde 1955 und 1958 wegen Kriegspropaganda, Hetze und Anstiftung zum Mord zu mehreren Geldstrafen verurteilt.

Stefan Hördler

Literatur William L. Combs, Voice of the SS: A History of the SS Journal Das Schwarze Korps, New York 1986. Christina Schneider, Die SS und „das Recht“. Eine Untersuchung anhand ausgewählter Beispiele, Frankfurt am Main u. a. 2005. Mario Zeck, Das Schwarze Korps. Geschichte und Gestalt des Organs der Reichsführung SS, Tübingen 2002.

Schweizerbanner (Schweiz, 1925–1934) Die am 5. Dezember 1925 in Zürich gegründete rechtsextreme Schweizer Heimatwehr lancierte am 31. März 1926 mit dem „Schweizerbanner“ ein eigenes Publikationsorgan. Die Schweizer Heimatwehr verbreitete die ersten beiden Ausgaben als Propagandanummern mit einer angeblichen Auflage von je 100.000 Stück. In der Folge belief sich die Auflage der alle zwei Wochen in Zürich herausgegebenen Zeitung auf rund 5.000 Exemplare. In seinem Erscheinungsbild ähnelte das „Schweizerbanner“ stark dem nur kurzlebigen „Telegramm“, das von Mai 1925 bis 1927 existierte und Sprachrohr des kleinen Schweizerischen Volksbundes für Freiheit und Recht war. Hinter dem „Telegramm“ stand der Verleger antisemitischer Literatur Emil Keller-Zoller, der nun ebenso in die

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Herausgabe des „Schweizerbanner“ involviert war. Über den gesamten Erscheinungszeitraum redigierte der promovierte Volkswirtschaftler Robert Schmid das Blatt. Robert Schmid, Sohn von Carl Alfred Schmid, der als Publizist eine zentrale Rolle in der xenophoben Anti-Überfremdungsbewegung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz einnahm, pflegte ein rassistisches Weltbild und war ein Anhänger der Eugenik. Die Schweizer Heimatwehr hatte eine Brückenfunktion zwischen den rechtsextremen Gruppierungen der 1920er und den frontistischen Gruppierungen der 1930er Jahre in der Deutschschweiz. Sie umfasste in ihrer Anfangszeit ungefähr 500 Mitglieder, worunter sich eine größere Zahl hoher Offiziere befand, und konzentrierte sich primär auf den Raum Zürich. Dies änderte sich Anfang der 1930er Jahre, als im Berner Oberland ein Ableger entstand, der zunehmend zum tonangebenden Teil in der Bewegung wurde und auf den Zug des „Frontenfrühlings“ vom Frühjahr 1933 aufsprang. Während der Zürcher Flügel eher verschwiegen war und sich elitär gebärdete, richtete sich der aktionistische Berner Ableger an unzufriedene bäuerliche Schichten. Das Ende des „Schweizerbanners“ hing mit dieser inneren Zerrissenheit der Bewegung zusammen. Ein Teil der Zürcher Gruppe der Heimatwehr spaltete sich im Frühling 1934 ab, schloss sich mit der Berner Gruppe zusammen und gab mit der „Heimatwehr“, das sich offizielles Publikationsorgan der Schweizer Heimatwehr nannte, ein Konkurrenzorgan zum „Schweizerbanner“ heraus. Dieses musste schließlich nach einer Polemik mit der wöchentlich erscheinenden „Heimatwehr“ sein Erscheinen am 15. Oktober 1934 zugunsten der neuen Zeitung, die dem Antisemitismus ebenfalls einen zentralen Stellenwert beimaß, einstellen. Das „Schweizerbanner“ gebärdete sich als ideologisches Propaganda- und Kampforgan. Sein Inhalt beschränkte sich fast ausschließlich auf Anschuldigungen gegenüber den zwei zentralen Feindbildern der Schweizer Heimatwehr: die Juden und die „Geheimbünde“. Die Zeitung zeigte sich international vernetzt und öffnete ihre Spalten wiederholt ausländischen Publizisten, wobei die Artikel im „Schweizerbanner“ anonym oder unter Pseudonymen verfasst wurden. Die radikalantisemitische Zeitung verhehlte keineswegs ihre Sympathien für die NSDAP und andere antisemitische Bewegungen aus dem Ausland. Ihr Antisemitismus durchdrang den gesamten Inhalt der Zeitung. Diese Radikalität machte das „Schweizerbanner“ unter den antisemitischen Periodika der Deutschschweiz der 1920er Jahre einzigartig, und es gab damit die Richtung für die 1931 entstehenden frontistischen Zeitungen → „Der Eiserne Besen“ und → „Der Eidgenosse“ vor. Ein rassistisches Weltbild und Weltverschwörungstheorien bildeten die Basis des Antisemitismus des „Schweizerbanners“. Sein Rassenantisemitismus, der oft in Verbindung mit Krankheitsdiskursen auftrat, artikulierte sich beispielsweise in einer sechsteiligen Artikelserie mit dem Titel „Arische Rasse, christliche Kultur und Judenfrage“, die von August bis November 1927 erschien. Bei der Verbreitung antisemitischer Weltverschwörungstheorien im „Schweizerbanner“ kam der Fälschung → „Die Protokolle der Weisen von Zion“, die ausgiebig rezipiert wurden, zentrale Bedeutung zu. Für das „Schweizerbanner“ stellte 1926 die „jüdische Weltherrschaft“ einen realen Zustand dar, da ein bisher den Augen der Welt verborgen gebliebenes, geheimes jüdisches Staatsgefüge existiere, das alle Juden der Welt trotz ihrer Zerstreuung zu einer

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Schweizerische Republikanische Blätter (Schweiz, 1917–1961)

„unerschütterlichen politischen Gemeinschaft“ vereinigen würde (15. Juli 1926). Als wiederkehrendes Element der antisemitischen Weltverschwörungstheorien hatten zudem antikommunistische und antifreimaurerische Diskurse eine wichtige Bedeutung. Einem politischen Statement gleich kam nicht zuletzt die Ablehnung der Gleichberechtigung der Juden in der Schweiz. Man forderte die Rücknahme der Emanzipation und die „Ausscheidung“ der Juden (1. Dezember 1928). Zum stilistischen Repertoire des Antisemitismus des „Schweizerbanners“ gehörten auch Karikaturen. Im kleinen Inseratenteil der Zeitung wurde zudem regelmäßig internationale antisemitische Literatur beworben.

Thomas Metzger

Literatur Aaron Kamis-Müller, Antisemitismus in der Schweiz 1900–1930, Zürich 20002. Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918–1939, Fribourg 2006. Fritz Roth, Die Schweizer Heimatwehr. Zur Frontenbewegung der Zwischenkriegszeit im Kanton Bern, Bern 1974.

Schweizerdegen → Juden werden „Schweizer“

Schweizerische Republikanische Blätter (Schweiz, 1917–1961) Die „Schweizerischen Republikanischen Blätter“ wurden im Juli 1917 vom Zürcher Buchbinder Karl F. Brandenberg unter dem Titel „Neue Republikanische Blätter“ gegründet und bereits im Oktober 1917 umbenannt. Mit der Namensgebung knüpfte er an frühere Blätter an, die im 19. Jahrhundert erschienen waren und die Gründung des schweizerischen Bundesstaates (1848) vorbereitet hatten. Gemäß ihrem Untertitel sollte die Zeitung parteipolitisch unabhängig sein und der „Pflege schweizerischer Gesinnung“ dienen. Im April 1918 wurde die Zeitung vom aus dem katholisch-konservativen Milieu stammenden Johann Baptist Rusch (1886–1954) übernommen, worauf sich die Auflage rasch erhöhte: 1920 lag sie bei 3.000, 1927 bei 7.500 und pendelte sich in der Folge bei ungefähr 8.000 ein. 1919 wurde die Zeitung zum Organ der Vereinigung Schweizerischer Republikaner, einer nationalistischen und fremdenfeindlichen Organisation. Allerdings kam es bereits 1924 zu einer Distanzierung Ruschs und seiner Zeitung von der Vereinigung, und Rusch war es fortan wichtig, die vollständige Unabhängigkeit seines Blattes zu betonen. In den 1920er Jahren waren eine politische Erneuerung der Schweiz, der Ausbau der Volksrechte und die „Überfremdung“ des Landes wichtige Themen in den „Schweizerischen Republikanischen Blättern“. Zudem veröffentlichte Rusch, der die meisten Artikel selber verfasste, zahlreiche judenfeindliche Beiträge. Inhaltlich glichen diese zwar den damals innerhalb des katholisch-konservativen Milieus üblichen antisemitischen Tendenzen. In Bezug auf die Häufigkeit judenfeindlicher Texte stach die Zeitung indessen aus dem katholisch-konservativen Blätterwald heraus. Stilistisch hob sich Rusch vom damals verbreiteten Journalismus ab, da ihm eine als neuartig empfundene und damit moderne Schreibweise zugesprochen wurde. Dadurch hatte seine Zeitung eine stärkere Breitenwirkung als die Vereinigung Schweize-

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rischer Republikaner. In einer nonkonformistischen, teils populistischen Weise griff er auch oftmals staatliche Repräsentanten an. Unter dem Eindruck der NS-Judenverfolgung revidierte Rusch in den 1930er Jahren seine antisemitische Haltung. Er verzichtete auf Angriffe gegen Juden und kritisierte stattdessen den rassistischen Antisemitismus des Dritten Reiches. Allerdings blieb er einem theologisch begründeten Antijudaismus verhaftet, wenn er etwa 1938 in den „Schweizerischen Republikanischen Blättern“ schrieb, das Leiden der Juden bedeute eine „Prüfung“ Gottes, der sie damit von ihrem Auserwähltheitsglauben wegbringen und ihre Konversion zum christlichen Glauben vorbereiten wolle. Diese antijudaistisch motivierte Erklärung der Judenverfolgung bei gleichzeitiger Distanzierung von einem biologistischen und rassentheoretisch begründeten Antisemitismus war typisch für die damalige katholisch-konservative Position. Rusch kritisierte in den 1940er Jahren in den „Schweizerischen Republikanischen Blättern“ auch die restriktive schweizerische Flüchtlingspolitik, etwa den Umstand, dass Juden nicht als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Als Gründe für dieses Engagement gab er einerseits christliche Solidarität, andererseits aber auch die Erhaltung des guten Rufes der Schweiz für die Zeit nach dem Krieg an. Nach Kriegsende war das Judentum kaum mehr Thema in den „Schweizerischen Republikanischen Blättern“. Über Israel berichtete Rusch neutral bis positiv. So unterstützte er die israelische Staatsgründung und fand etwa für den ersten Premierminister, David Ben Gurion, lobende Worte. Nach dem Tod Ruschs 1954 wurde die Redaktion von Eduard Stäuble (1924–2009) übernommen. Stäuble betätigte sich auch als Schriftsteller, schrieb für weitere Zeitungen und war von 1965 bis 1986 Leiter der Abteilung Kultur des Schweizer Fernsehens. In den 1990er Jahren agierte er als wichtiger Vertreter der Neuen Rechten in der Schweiz. Auch unter seiner Ägide blieben die „Schweizerischen Republikanischen Blätter“ einem politischen und gesellschaftlichen Konservatismus verpflichtet, wobei über Israel – wenn überhaupt – neutral berichtet wurde. Im Juli 1958 gab Stäuble die Redaktion an Franz Felix Lehni weiter. Auch er verfolgte einen wertkonservativen, religiös geprägten Kurs, bei dem der Antikommunismus ein herausstechendes Merkmal darstellte. 1961 kaufte James Schwarzenbach, später ein führender Schweizer Rechtspopulist, die Zeitung auf und benannte sie in „Der Republikaner“ um. Wie Rusch suchte Schwarzenbach sein Zielpublikum im christlich-konservativen Mittelstand und verfolgte einen antiliberalen, antikommunistischen und nationalistischen Kurs. Es gelang ihm jedoch nicht, genügend Abonnenten zu finden, sodass er 1964 den „Republikaner“ aus finanziellen Gründen aufgeben musste. 1970 nahm Schwarzenbach die Publikation des „Republikaner“ wieder auf und machte ihn zum Sprachrohr seiner rechtspopulistischen sogenannten Anti-Überfremdungsbewegung. 1978 wurde die Herausgabe der Zeitung erneut eingestellt. Zwischen 1984 und 1989 erschien sie wiederum als Organ der Republikanischen Partei der Schweiz, die indessen zu dieser Zeit stark an Bedeutung verloren hatte.

Christina Späti

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Semi-Gotha (Wilhelm von Witkenberg, 1912–1919)

Literatur Annetta Bundi, Die Schweizerischen Republikanischen Blätter des konservativen Publizisten J.B. Rusch. Eine aufmüpfige Stimme im Schweizer Blätterwald (1918–1945), Fribourg 1999. Isabel Drews, „Schweizer erwache!“. Der Rechtspopulist James Schwarzenbach (1967– 1978), Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2005.

Semi-Gotha (Wilhelm von Witkenberg, 1912–1919) Der 1912 erstmals erschienene und von dem in Meran lebenden Wilhelm von Witkenberg verfasste „Semi-Gotha“ stand als Publikation exemplarisch in dem breit geführten Diskurs über den Umfang des vermeintlich „verjudeten“ Adelsstandes in Österreich und dem deutschen Kaiserreich, doch stellte das Werk in seiner lexikalischen Anlage und Form eine neue Qualität in der Diskussion dar. Eng verbunden in seiner Entstehung war der „Semi-Gotha“ mit dem Deutschvölkischen Schriftstellerverband, einer 1910 gegründeten völkischen Organisation. Bereits bei dessen Gründung stand Witkenberg eng in Kontakt mit dem organisatorischen Leiter des Verbandes, dem Berliner Antisemiten Philipp Stauff, der wie er Mitglied in der Guido-von-List Gesellschaft war und dem er sich als Arbeiter auf „genealogisch-rassekundlichem Gebiet“ vorstellte und vorschlug, einen „internationalen Verband gegen die jüdische Weltherrschaft zu gründen. In der Folge arbeiteten beide mit Unterstützung des Verbandes an der Veröffentlichung des im Mai 1912 in einer Auflage von 5.000 Exemplaren herausgegebenen „Semi-Gotha“. Als Verlag fungierte der eigens hierfür von Stauff gegründete Kyffhäuser-Verlag in Weimar, um nach außen hin eine inhaltliche und verlegerische Tradition des Semi-Gotha zu der Schrift „Geadelte jüdische Familien“ zu suggerieren, die 1889 in einem gleichnamigen Verlag erschienen war. In seinem Äußeren eng am echten „Gothaer Taschenbuch“ orientiert, heißt es im Untertitel des „Semi-Gotha“ programmatisch: „Aufsammlung all’ der im Mannesstamme aus jüdischem Geblüt, d.h. aus dem echt orientalischen Rassentypus der […] Juden und Hebraeer hervorgegangenen Adelsfamilien von einst und jetzt, ohne sonderliche Ansehung ihrer eventuell derzeit christlichen Konfession oder etwaiger Blutzumischung durch Einheirat arischer Frauen – vom Rassenstandpunkte aus besehen.“ Diesem Ansatz folgend, bot der „Semi-Gotha“ auf über 500 Seiten, unterteilt in vier Adelsgrade, über 1.500 Familienartikel, bei denen in vielen Fällen genealogische Daten und Angaben fehlten und die mit nicht nachvollziehbaren Mutmaßungen und Unterstellungen angereichert waren. Wenngleich die Kritik am Adel bezüglich seiner Verbindungen mit jüdischen Familien unter den Völkischen nicht neu war und meist auch drastisch angeprangert wurde, agitierte der „Semi-Gotha“ in seiner komprimierten Form aus Anklage und versuchter Beweisführung auf völlig neuem Niveau. Nicht zuletzt deswegen wurde der „SemiGotha“ zu einem gefeierten publizistischen Erfolg in der völkischen Presse, wenngleich die gleichfalls geäußerte Kritik aufgrund einer Vielzahl von Fehlern richtungsweisend für die späteren Bände werden sollte. Diese fanden aus der daraus resultierenden praktischen und propagandistischen Unbrauchbarkeit der Werke nicht mehr die Resonanz des ersten Jahrganges.

Semi-Kürschner

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Bereits kurz nach Veröffentlichung der ersten Auflage zog sich Stauff aus der Leitung des „Semi-Gotha“ zurück und gab den Verlag aufgrund juristischer Probleme auf. Witkenberg verlegte ihn daraufhin nach München. Zwar beteiligte sich Stauff noch an den Vorbereitungen für den Folgeband des „Semi-Gotha“, doch beendete er wenig später die Mitarbeit vollständig, um sich auf die Arbeiten an dem von ihm herausgegebenen „Semi-Kürschner“ (→ Sigilla Veri) zu konzentrieren. Der zweite und weitestgehend von Witkenberg allein verfasste Jahrgang des „Semi-Gotha“ erschien im November 1913. Die beiden 1914 folgenden Bände wurden zwar ähnlich intensiv beworben, fanden aber fast nur noch in der antisemitischen Presse Beachtung. Der letzte Band der Reihe erschien 1919 unter dem Titel „SemiImperator“ im Münchner Franz Eher Nachf. Verlag (→ Eher-Verlag), der sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Thule-Gesellschaft befand, der Münchner Loge des Germanenordens, der Witkenberg und seiner Frau Else angehörten. Aufgrund der im „Semi-Imperator“ angeführten Behauptung, Kaiser Wilhelm II. sei „judstizer Mischling“, also jüdischer Herkunft, was auch den Niedergang des Kaiserreiches und den verloren gegangenen Weltkrieg erkläre, traf der Band jedoch selbst bei vielen Völkischen auf strikte Ablehnung. Über eine Gesellschaft für Volksgesundheit veröffentlichte Witkenberg 1921 sein letztes Buch, das anonym unter dem Titel „Die Unschuld der Jenseitigen. Ein Weltbuch für Zweifler aller Nationen“ erschien. Die antisemitische Hetzschrift, in der er abermals zur Gründung einer „Weltliga gegen Juda“ aufrief und im Anhang ausführlich alle Semi-Bände als einzig mögliches „Scheidemittel“ zwischen Juden und Deutschen bewarb, illustrierte letztmalig seinen mittlerweile ins Pathologische gesteigerten Judenhass. In der Nacht vom 1. zum 2. April 1922 beging er in seiner Innsbrucker Wohnung Selbstmord. Wenngleich die völkische Bewegung davon keinerlei Notiz nahm, wurde sein publizistisches Erbe nicht vergessen. Die „Semi-Gotha“-Reihe blieb ein Vorbild für ähnliche Projekte und gehörte in der Zeit der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus zum festen Bestand genealogischer Nachschlagewerke und antisemitischer Propaganda. Noch Mitte der 1920er Jahre musste sich die jüdische Familienforschung intensiv mit dem „Semi-Gotha“ auseinandersetzen, und mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten erschien im „Deutschen Adelsblatt“ eine Welle von Berichtigungen, um etwaigen Unterstellungen vonseiten der NSDAP entgegenzuwirken. Zudem erschien zwischen 1925 und 1942 in vier Bänden das „Eiserne Buch Deutschen Adels Deutscher Art“ (EDDA), das mit seiner Darstellung „reinblütigen“ Adels ganz in der Tradition des „Semi-Gotha“ stand.

Gregor Hufenreuter

Literatur Gregor Hufenreuter, Der „Semi-Gotha“ (1912–1919). Entstehung und Geschichte eines antisemitischen Adelshandbuches, in: Herold-Jahrbuch, Neue Folge 9 (2004), S. 71–88. Gregor Hufenreuter, Philipp Stauff. Ideologe, Agitator und Organisator im völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen-Ordens und der Guido-von-List-Gesellschaft, Frankfurt am Main 2011.

Semi-Kürschner → Sigilla Veri

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Sfarmă Piatră (Rumänien, 1935–1942)

Sentinella d’Italia (Italien, seit den 1970er Jahren) Der Verlag Sentinella d’Italia aus Monfalcone (Gorizia) wurde von Antonio Guerin gegründet, einem neofaschistischen Revisionisten und ehemaligen „Kämpfer der Repubblica Sociale Italiana“, wie ihn ein nach ihm benannter Internetblog titulierte. Bis zu seinem Tod 2009 gab Guerin auch eine gleichnamige „revolutionäre“ Monatsschrift heraus. Der Verlag war bereits in den 1970er Jahren mit der Herausgabe von revisionistischen Büchern aktiv. Vertrieben werden bis heute Werke von Benito Mussolini und Adolf Hitler, von Léon Degrelle und von dem faschistischen, kroatischen Diktator Ante Pavelić, aber auch revisionistische Publikationen von Robert Faurisson und Carlo Mattogno sowie von Julius Evola.

Juliane Wetzel

Sfarmă Piatră (Rumänien, 1935–1942) „Sfarmă Piatră“ [Der den Stein zerbricht] war eine rumänische Wochenzeitschrift, die zwischen 1935 und 1942 in Bukarest erschien. Der Titel bezieht sich auf eine Fabelgestalt aus einem rumänischen Märchen, die den Helden mit ihrer physischen Kraft unterstützt. Zwischen 1941 und 1942 trug die Zeitschrift den Untertitel „Ziar de informaţie şi luptă romînească“ [Rumänisches Kampf- und Informationsblatt]. In ihrer ersten Ausgabe veröffentlichte sie ihr Credo („Symbol der Rache“) und hob hervor, dass sie sich „freiwillig dem Programm der Zeit unterstellt: dem Nationalismus“. Chefredakteur war zwar offiziell Al. Gregorian, der tatsächliche Leiter war aber Nichifor Crainic, Theologe, Publizist, Politiker und Theoretiker nationaler Bewegungen. Crainic übernahm in den 1920er Jahren die Führung des Magazins → „Gândirea“ [Das Denken] und lenkte es in eine doktrinär traditionalistische und nationalistische Richtung. Seit 1932 gab er außerdem die Zeitung „Calendarul“ [Der Kalender] heraus, die die Eiserne Garde, Alexandru C. Cuzas Ideologie und die rechtsextremen politischen Bewegungen unterstützte, während sie aggressiv gegen die Regierung und König Carol II. auftrat. Nach der Ermordung des liberalen Premierministers Ion Gheorghe Duca (Dezember 1933) durch die „Legionäre“ wurde die moralische Verantwortung für die Tat Crainic zugeschrieben. Die Publikation wurde eingestellt und Crainic verhaftet. Zwar endete Crainics Prozess mit einem Freispruch, aber die Erlaubnis zur Weiterführung der „Calendarul“ blieb ihm verwehrt. Stattdessen begann er am 14. November 1935 mit der Veröffentlichung einer neuen Wochenzeitschrift, der „Sfarmă Piatră“. Die Redaktion bestand zu großen Teilen aus ehemaligen Mitarbeitern der „Calendarul“: Dragoş Protopopescu, Toma Vlădescu, N. Crevedia, Pan M. Vizirescu, Vintilă Horia, Ovidiu Papadima und Al. Gregorian als Chefredakteur. „Sfarmă Piatră“ war eine gewalttätige, vulgäre, höhnische Publikation, die mit dezidiert antisemitischen und antifreimaurerischen Beiträgen den Hass gegen Juden schürte. Sie agitierte gegen die auflagenstarken Zeitungen wie die „Adevărul“ [Die Wahrheit] und „Dimineaţa“ [Der Morgen], die demokratische Standpunkte vertraten und wegen ihrer Mitarbeiter bzw. Herausgeber als „verjudet“ denunziert wurden. „Sfarmă Piatră“ verehrte Hitler und Mussolini, den italienischen Faschismus bewertete sie als

Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum (Wilhelm Marr, 1879)

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Idealmodell. Sie veröffentlichte sowohl Crainics Programm eines ethnokratischen Staates als auch Auszüge aus Hitlers → „Mein Kampf“. Vornehmlich unterstützte sie die aktuellen Machthaber und verhielt sich äußerst opportunistisch. Sie lobte die antisemitischen Aktionen der Goga-Cuza-Regierung. Das Scheitern der Regierung nach 44 Tagen führte die Zeitschrift auf den angeblichen Einfluss der Juden zurück. Im Zusammenhang mit der Festnahme und Ermordung von wichtigen Repräsentanten der „Legionäre“ im November 1938, darunter deren charismatischen Anführer Corneliu Zelea Codreanu, änderte die „Sfarmă Piatră“ ihre Position. Sie sprach sich nun gegen die Eiserne Garde aus, gegen deren terroristische Praktiken, gegen deren antimonarchistische Einstellung und den um „den Kapitän“ Codreanu entstandenen Mythos. Als die Eiserne Garde 1940/41 an der Macht war, passte die „Sfarmă Piatră“ ihre Beiträge neu an und unterstützte sie wieder.

Luciana Banu

Literatur Zigu Ornea, Anii treizeci: extrema dreaptă Românească [Die dreißiger Jahre: Der rumänische Rechtsextremismus], Bucureşti 1995. Leon Volovici, Ideologia naţionalistă şi problema evreiască în România anilor '30: Eseu despre formele antisemitismului intelectual în România anilor '30 [Die nationalistische Ideologie und die Judenfrage im Rumänien der dreißiger Jahre: Ein Essay über die Formen des intellektuellen Antisemitismus im Rumänien der dreißiger Jahre], Bucureşti 1995.

Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum (Wilhelm Marr, 1879) Noch bevor im September 1879 die antisemitische Bewegung in Berlin politisch hervortrat, feierte Wilhelm Marr (1819–1904) mit seiner 50-seitigen Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ einen publizistischen Erfolg mit zwölf Auflagen im ersten Jahr und einer Gesamtauflage von ca. 20.000 Exemplaren. Der Untertitel der Schrift „Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet“ signalisiert den Anspruch auf Originalität, denn er beansprucht, die Schrift sei „frei von all und jedem confessionellen Vorurtheil geschrieben“. Damit wollte er sich von der christlichen Judenfeindschaft abheben, die in dieser Zeit als Ausdruck eines überholten mittelalterlichen Fanatismus galt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass religiöse Gesichtspunkte in Marrs Argumentation keine Rolle mehr spielten. Die Zurückweisung des Vorwurfs, aus religiösem Hass zu schreiben, ist bei ihm aber nicht allein auf die zeitgenössische Situation bezogen, sondern sie ist für seine Sicht auf die Geschichte der Judenfeindschaft wichtig, denn er stellt die These auf, „dass die Juden von Anfang an, wo sie in der Geschichte auftreten, bei allen Völkern ohne Ausnahme verhasst waren“, dass dies jedoch „nicht ihrer Religion wegen“ geschah. Dies geglaubt zu haben, hält er für den „großen Irrthum des Germanenthums“, weshalb man seine Schrift weniger als „Judenspiegel“, denn als „Germanenspiegel“ bezeichnen kann. Doch Marr reklamierte für sie neue Einsichten auch noch in weiteren Punkten. Er kritisierte, dass man Juden und das Judentum immer von dem falschen „Standpunkt unserer nichtjüdischen Selbstüberschätzung“ aus angegriffen habe, während sich die Deutschen selbst-

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Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum (Wilhelm Marr, 1879)

kritisch eingestehen müssten, „dass Israel eine Weltmacht allerersten Ranges geworden ist“. Was Marr 1862 in seinem → „Judenspiegel“ noch als zukünftige Gefahr vorausgesehen hatte, nämlich eine „Übermächtigung“ durch die Juden, war seiner Meinung nach nun eingetreten. Seine Schrift sollte deshalb „weniger eine Polemik gegen das Judenthum als die Constatirung einer kulturgeschichtlichen Thatsache“ sein. So ist seine Schrift vom Ton eines „resignirtem ‚Pessimismus’“ bestimmt, da er „den weltgeschichtlichen Triumph des Judenthums“ verkünden müsse. Er schreibt, wie das Motto der Schrift „Vae victis!“ zeigt, also von der Annahme der vollendeten Tatsache der Niederlage aus. Seit der Judenemanzipation, deren Beginn Marr auf 1848 datiert und für die er als radikaler Demokrat gekämpft hatte, führe das Judentum einen offenen „dreißigjährigen Krieg“ gegen die Deutschen, und das Resultat sei, dass das „Judenthum heute der socialpolitische Diktator Deutschlands“ ist. In dieser Formulierung steckt schon der Hinweis darauf, dass die „soziale Frage“ und nicht die Religion für ihn zentral war. Dabei blieb er bei allem Nationalismus seiner radikaldemokratischen Linie treu, sodass ihn Moshe Zimmermann einen „Sozial-Nationalisten“ nennt. Wie für andere Publizisten und politisch Engagierte, etwa Otto Glagau oder Adolf Stoecker, manifestierten sich für Marr die Schattenseiten der forcierten Industrialisierung und des Liberalismus im Aufkommen einer „sozialen Frage“. Die „werbewirksame“ Botschaft der Antisemiten bestand darin, die „soziale Frage“ in engen Zusammenhang mit der „Judenfrage“ zu bringen. Auch für Marr war die „Judenfrage [...] die wahre soziale Frage der Zeit“. Wie andere Antisemiten konstatierte er einen engen Zusammenhang zwischen Judenemanzipation und der industriellen und finanziellen Expansion des Bismarck-Reiches, das somit den Sieg des Judentums vervollständigte. Um die damalige Situation verständlich zu machen, wählt Marr den Weg, den „jüdischen Siegeszug in einem 1800jährigen Kampfe“ historisch zu rekonstruieren. Er stellt die wichtigsten Stationen der jüdischen Geschichte dar, die er als eine Geschichte der schädlichen Wirkungen der „Verjudung eines Staates“ sieht, die mit Ägypten ihren Anfang nahm. Diese Geschichte ist seiner Meinung nach als eine „Kulturgeschichte“ und nicht als eine politische Geschichte zu schreiben, denn er fragt, was mit der Kultur von Eroberern und Eroberten im Falle einer Eroberung geschieht, und sieht hier zwei Möglichkeiten: Der Eroberer geht in der Kultur des Eroberten auf oder der Eroberer zwingt seine Kultur den Eroberten auf. Dieser Alternative gegenüber stellt die Kulturgeschichte des Judentums nun eine dritte Variante dar, „denn hier tritt ein Moment völlig neuer Art auf“. Auf die Grundfrage, warum die Juden von Anfang an „bei allen Völkern ohne Ausnahme“ verhasst waren, gibt Marr zwei Antworten: die „Scheu der Juden vor wirklicher Arbeit“ und ihre „gesetzlich vorgeschriebene Feindschaft gegen alle Nichtjuden“. Entsprechend hält er den sich im Mittelalter herausbildenden Judenhass nicht für wirklich religiös motiviert, sondern nur für religiös bemäntelten Neid auf die wirtschaftlichen Erfolge der Juden und für eine Fehlinterpretation des Ringens der Völker gegen die „realistische Verjudung der Gesellschaft“. Den postulierten Hass der Juden auf alle Nichtjuden sieht Marr als eine völlig natürliche und historisch berechtigte Reaktion auf die Zerstreuung der Juden durch die Römer und auf ihre Unterdrückung im Abendland an, denn man „kann von dem Unterdrückten nicht Milde statt Trotz erwar-

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ten“. Aus dieser Haltung und ihrer Position der Schwäche heraus bildeten die Juden dann mit List einen „Partikularstaat“, der aufgrund seines exklusiven Charakters die Nichtjuden herausforderte. Befanden sich nach Marr die Juden also prinzipiell in einem Krieg gegen die Nichtjuden, so führt er ihren Erfolg auf eine „bemerkenswerte kulturgeschichtliche Erscheinung“ zurück, nämlich, dass sie sich auf die Städte konzentrierten und weder Ackerbau noch Kolonisierung betrieben und so durch ihre Geldgeschäfte, unterstützt von den Eliten „das im Schweiss arbeitende Volk“ dominierten. Durch die exklusive Abschließung und den hochentwickelten Geschäftssinn habe es das Judentum nach Marr in der abendländischen Geschichte geschafft, sich selbst siegreich gegen die christlich-germanische Weltanschauung zu behaupten und diese mit seinem Geiste zu impfen. Gerade das Germanentum besaß seines Erachtens wenig „geistige Widerstandskraft“, „um sich vor der Verjudung zu schützen“, weshalb Deutschland das neue „‚gelobte Land’ für den Semitismus“ wurde. Mit der „Energie des theokratischen Fanatismus“ hat nun „dieses Volk ... mit seinem jüdischen Geiste die Welt erobert!“ Marr betont immer wieder, dass den Juden dafür kein Vorwurf zu machen sei, denn „kein Volk kann für seine Spezialitäten“. Dies ist wohl eher als eine Schutzbehauptung zu werten, denn was Marr zunächst als natürliche Reaktion der Juden auf ihre historische Unterdrückung erklärt, nämlich ihre Konflikte mit allen anderen Völkern, entpuppt sich als ein grundlegender und durchgängiger Wesenszug der Juden: als eine „destructive Spannkraft“, die sich in ihrer morgenländischen Geschichte als permanenter Krieg mit allen Nachbarvölkern manifestierte und nun die Form einer geistigen Eroberung durch die Macht ihres geschäftsmäßigen Realismus angenommen habe. Den „entscheidenden ersten großen Sieg“ bedeutete nach Marr die Emanzipation von 1848, die die bereits bestehende „Fremdherrschaft“ der Juden auch noch gesetzlich legitimierte und auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausdehnte. Indem man die Judenfrage fälschlich als „confessionelle Freiheitsfrage“ behandelt habe, sei der „social-politische Einbruch des Judenthums in die germanische Gesellschaft“ gesetzlich anerkannt worden. Damit habe man auch den Staat bedingungslos an die Juden ausgeliefert. Marr dekliniert dann im folgenden 4. Kapitel anhand zeitgenössischer Phänomene, wie dem Kulturkampf und dem jüdischen Einfluss in den Parteien und der Presse, durch, wie sich diese Diktatur, die er als soziale und politische Herrschaft, aber auch als religiöse und kirchliche „Meinungsbevormundung“ beschreibt, in allen Lebensbereichen manifestiert. Diese Herrschaft dürfe nicht als die einzelner Juden verstanden werden, sondern „der „jüdische Geist, das jüdische Bewusstsein hat sich der Welt bemächtigt“ und eine Denkweise etabliert, die er als „abstracten Realismus“ kennzeichnet. Weil dieser „jüdische Geist“ in alle Poren der Gesellschaft und des Staates eingedrungen ist, sieht Marr auch keine Aussicht auf eine plötzliche Umkehr oder gar auf Hilfe durch den christlichen Staat, denn die Juden seien die „besten und wahrsten ‚Reichsfreunde’ in Deutschland, und zudem fehle den Germanen „notorisch bereits die physische und intellectuelle Kraft“. Diese Diagnose treffe für alle europäischen Länder mit Ausnahme Russlands zu, dessen Kapitulation für Marr aber nur noch eine Zeitfrage war. Seiner Meinung nach näherte sich der 1800-jährige Krieg mit dem Judentum seinem Ende, die totale Niederlage sei unabwendbar, schon lange habe sich

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Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum (Wilhelm Marr, 1879)

die „Judenhatz“ in eine „Germanenhatz“ verwandelt. Während dem Judentum die „Zukunft und das Leben“ gehöre, bliebe dem „Germanenthum die Vergangenheit und das Sterben“. Marr schreibt diese „kulturgeschichtliche Entwickelung“ einem „eisernen Weltgesetz“ zu, gegen das es keine Abhilfe gebe. Er sah keine Instanz, die den kulturgeschichtlichen Bankrott des Abendlandes abwenden könnte: „Die grosse Mission des Semitismus haltet Ihr nicht mehr auf“, denn das Judentum muss nach den ersten Siegen seit 1848 den Kampf bzw. seine „zersetzende Mission“ weiterführen, um letztlich „die germanische, resp. abendländische Welt zu Grunde zu richten“. Während er bei den Deutschen keine Einsicht in ihre wirkliche Lage erkennen kann, unterstellt er, dass die Juden um ihren Sieg wüssten, denn „Millionen Juden denken im Stillen: Dem Semitentum gehört die Weltherrschaft!“ So beendet er seine Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ äußerst pessimistisch mit der Aufforderung, sich in das Unvermeidliche zu schicken, „wenn wir es nicht ändern können“, was letztlich das „Finis Germaniae“ bedeutet. Ist für Marr diese Niederlage tatsächlich unabwendbar oder sollte seine Schrift letztlich, bei allem wieder betonten Pessimismus doch als ein Weckruf verstanden werden? Bereits in der Schrift selbst deutet er, der Hegelschen Figur des dialektischen Umschlags folgend an, dass möglicherweise ein „Gegenstoß“ gegen die jüdische Herrschaft erfolgen könne, sobald diese in einem „jüdischen Cäsarismus“ ihre „höchste Spitze“ erreicht habe. Allerdings hält er das in Agonie liegende Germanentum eines solchen Gegenstoßes nicht mehr für fähig, sondern setzt eine vage Hoffnung in die slawischen Völker. In seinem Nachwort „An die Leser“ deutet Marr an, dass eine „Anzahl deutscher Schriftsteller“ ihre Bereitschaft bekundet habe, gemeinsam mit ihm den Kampf gegen die „Verjudung der Gesellschaft“ aufzunehmen. Diese Adresse an seine Leser sowie seine Beteiligung an der Gründung der „Antisemitenliga“ sind ein Indiz dafür, dass er sich bei allem Pessimismus doch an die Möglichkeit einer gewissen Korrektur oder gar Umkehr der Geschichte glaubte. In seiner späteren Schrift „Vom jüdischen Kriegsschauplatz“ schreibt Marr von seinem Traum, „den Juden den Sieg doch noch zu entreissen“. Im Jahre 1880 ließ Marr denn auch als einen zweiten Teil von „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ eine Schrift folgen, die bereits im Titel die Bereitschaft zur Gegenwehr signalisierte: „Der Judenkrieg, seine Fehler und wie er zu organisiren ist.“ Darin konstatierte Marr, dass seine erste Schrift in ihrer „pessimistischen Dissonanz zum Alarmsignal“ geworden sei. Er habe eine Flut von Zuschriften aus ganz Deutschland erhalten, in denen er zu einem „Reformator“ in der Judenfrage gekürt und gar mit Luther verglichen worden sei. Marr entwirft dann ein Bild von den organisatorischen Maßnahmen und finanziellen Ressourcen, die er für nötig hält, damit die antisemitische Bewegung den Krieg für die „Germanenemanzipation“ auch wirkungsvoll führen kann, der für ihn im Kern ein Kampf um die öffentliche Meinung ist. Auf Marrs Schrift meldeten sich zahlreiche nicht-jüdische und jüdische Autoren zu Wort, die ihn zum Teil unterstützten, zum Teil auch historisch und sachlich zu widerlegen suchten, wie der aus dem Reformjudentum kommende J. Perinhart (Die deutschen Juden und Herr W. Marr, 1879) und der Direktor der Jüdischen Schule in Würz-

Sigilla Veri (1913)

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burg Ludwig Stern in seiner Schrift: „Die Lehrsätze des neugermanischen Judenhasses mit besonderer Rücksicht auf W. Marr’s Schriften historisch und sachlich beleuchtet“ von 1879. Marr behauptete, dass man ihn in Reaktion auf den Erfolg dieser Schrift in öffentlichen Blättern als „Vater der neuen antijüdischen Bewegung“ bezeichne, in jüdischen Organen aber zum „Vater der Judenhetze“ erklärt habe. Mit dieser und seinen anschließend veröffentlichen Schriften wurde Marr tatsächlich für kurze Zeit zum Stichwortgeber der sich konstituierenden antisemitischen Bewegung. In einer späteren Schrift beklagte er sich jedoch, die liberale, „verjudete“ Tagespresse habe versucht, ihn totzuschweigen oder zu bewitzeln.

Werner Bergmann

Literatur Werner Bergmann, Ein „weltgeschichtliches Fatum“. Wilhelm Marrs antisemitisches Geschichtsbild in seiner Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“, in: Werner Bergmann, Ulrich Sieg (Hrsg.), Antisemitische Geschichtsbilder, Essen 2009, S. 61–82. Uwe Puschner, Wilhelm Marr, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band V, 1993, Sp. 879–889. Paul Lawrence Rose, Revolutionary Antisemitism in Germany. From Kant to Wagner, Princeton 1990. Moshe Zimmermann, Wilhelm Marr. The Patriarch of Anti-Semitism. New York, Oxford 1986.

Sigilla Veri (1913) Das antisemitische Lexikon „Sigilla Veri“ baute auf dem im Dezember 1913 von Philipp Stauff im Selbstverlag herausgegebenen „Semi-Kürschner“ auf, der als antisemitisches Personenlexikon in einer Auflage von 5.000 Exemplaren den publizistischen Höhepunkt des völkischen Antisemitismus im Kaiserreich bildete. Es ging mit wissenschaftlich anmutenden Schriften darum, die behauptete jüdische Vorherrschaft in der deutschen Gesellschaft durch ein breit angelegtes „Köpfezählen“ zu belegen. Entstanden war der 7.000 Biographien umfassende „Semi-Kürschner“ in dem personellen Netzwerk um den Deutschvölkischen Schriftstellerverband, dem der völkische Literaturwissenschaftler Adolf Bartels vorstand und der von dem Berliner Antisemiten Philipp Stauff organisatorisch geleitet wurde. Maßgeblich verfasst hatte ihn jedoch der an der Düsseldorfer Kunstakademie tätige Professor Heinrich Kraeger (gest. 1945), der zudem im Vorfeld noch die Broschüre „Von deutscher Kunst und Literatur“ veröffentlichte, die zwischen 1913 und 1920 in fünf Auflagen und einer Gesamtauflage von 83.000 Exemplaren den zahlenmäßigen Anteil jüdischer Mitarbeiter in der deutschen Presse- und Kulturlandschaft belegen wollte. Der daran anschließende „Semi-Kürschner“ sollte Assoziationen an das zu diesem Zeitpunkt gerade erschienene antisemitische Adelslexikon → „Semi-Gotha“ wecken und bezog sich auf den jahrelang von Joseph Kürschner (1853–1902) herausgegebenen Deutschen Literaturkalender. Konzeptionell war er bewusst als „Seitenstück zum Semi-Gotha“ geplant und versuchte, alle Journalisten, Verleger, Schriftsteller, Akade-

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Sigilla Veri (1913)

miker, Kaufleute, Politiker, Mäzene, Industrielle, Künstler, Musiker, Schauspieler und Komponisten jüdischer Herkunft oder mit jüdischer Verwandtschaft zu erfassen. Bereits fünf Monate nach Erscheinen verhandelten Kraeger, Bartels und Stauff im Juni 1914 mit einem Weimarer Verleger über die Druckkosten einer zweiten Auflage des von der völkischen Presse euphorisch gefeierten Werkes. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte jedoch alle weiteren Arbeiten. Nach dem Krieg bemühte sich Kraeger im Alleingang um eine Neuauflage. 1922 gelang es ihm, in den Räumen des → „Völkischen Beobachters“ Adolf Hitler einen Probeband der zweiten Auflage vorzulegen. Zwar erhielt er dessen Zusage auf Unterstützung der Veröffentlichung, doch verlor sich die Verbindung wieder. Erst 1929 veröffentlichte Kraeger mit erneuter Unterstützung von Adolf Bartels unter dem Pseudonym Erich Ekkehard die ersten drei der auf sechs Bände konzipierten „Sigilla Veri (Ph. Stauff`s Semi-Kürschner)“ im antisemitischen → U. Bodung-Verlag in Erfurt, der 1919 von Ulrich Fleischhauer als antisemitischer Propagandaverlag gegründet worden war. Jeder Band war etwa 1.200 Seiten stark, und die Neuauflage wich konzeptionell stark vom ursprünglichen „Semi-Kürschner“ von 1913 ab. Neben jüdischen Biographien und Organisationen wurden nun auch Antisemiten, völkische und radikal-nationalistische Vereinigungen ausführlich behandelt und diverse, mit der Idee einer jüdischen Weltverschwörung verbundene Mythen in einer für ähnliche Veröffentlichungen dieser Zeit typischen Collage aus Zeitungsberichten aufbereitet. Zwei Jahre nach der Ausgabe der ersten drei Bände folgte 1931 Band 4, der bis zum Begriff „Polack“ reicht. Der fünfte Band, der für 1932 geplant war, aber nie zur Auslieferung kam, blieb unvollendet und bricht in der Mitte des Artikels zu Walther Rathenau ab. Exemplare dieses Bandes, die trotz ihrer Unvollständigkeit offenbar zu Werbezwecken vereinzelt ausgegeben wurden, befinden sich heute im Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin und in der Londoner Wiener Library. Warum die Reihe unvollständig blieb, ist unbekannt, doch scheinen finanzielle Schwierigkeiten die Hauptursache gewesen zu sein. Dafür sprechen die 1932 vermehrt geschalteten Anzeigen und die beiden Sonderdrucke, die zu Werbezwecken 1932 und 1933 herausgegeben wurden. So umfasst der zweite, 48-seitige Sonderdruck den vollständigen Rathenau-Eintrag und einen Artikel über „Jüdische Literaturfälschungen“. Ein weiterer Grund lag wohl nicht zuletzt im Preis der Bücher und der Schwierigkeit, sie zu erwerben, da sie nicht über den regulären Buchhandel, sondern nur über Direktbestellungen beim Verlag erworben werden konnten. In der Befürchtung, die Gesamtauflage könne von jüdischer Seite aufgekauft werden – eine Vermutung, die bereits bei der Veröffentlichung des „Semi-Kürschners“ geäußert wurde –, bestanden Kraeger und Fleischhauer bei der Bestellung auf einer handschriftlich unterzeichneten Erklärung des Käufers, nicht jüdischer Abstammung zu sein, noch jüdische Verwandtschaft zu besitzen oder als Strohmann für andere zu agieren. Zudem musste sich der potenzielle Käufer verpflichten, das Werk nicht zu verkaufen oder zu verschenken. Erst dann wurden die Bände ausgeliefert. Der Preis pro Band betrug 70 Reichsmark, der Subskriptionspreis je nach Käufer zwischen 35 und 50 Reichsmark. Um die nötigen Subskribenten und Käufer trotz fehlender Ansichtsexemplare von der Qualität der einzelnen Bände zu überzeugen, verschickte man Probeseiten mit einschlägigen Artikeln.

Signal (1940–1945)

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Während Bartels die „Sigilla Veri“ in seiner Zeitschrift „Deutsches Schrifttum“ Band für Band besprach und besonders Band 4 als „vermutlich größte lexikalische Leistung des ganzen deutschen Schrifttums“ rühmte, betonte Fleischhauer 1933 in seinem werbenden Artikel in Theodor Fritschs → „Hammer“ die wissenschaftliche Grundierung der Reihe. Er verwies auf einen internationalen Mitarbeiterstab von 1.500 „wissenschaftlich vorgebildeten Persönlichkeiten“, die das Material der einzelnen Bände in jahrelanger Arbeit gesichtet, geprüft und ergänzt hätten und organisatorisch nun den Kern einer „Weltliga gegen die Lüge“ bildeten. Die Anstrengungen um Hebung der Absatzzahlen blieben jedoch erfolglos. Noch 1941 bemühte sich der mittlerweile in finanzielle Nöte geratene Kraeger mit der Unterstützung Anton Drexlers, des Gründers der Deutschen Arbeiterpartei, aus der die NSDAP hervorging, um einen Ehrensold der Partei zur Finanzierung der beiden Schlussbände und eines Ergänzungsbandes. Ein dafür gewährtes monatliches „Forschungsstipendium“ vom Amt Rosenberg über 350 Reichsmark erhielt er bereits. Weitere Bände erschienen jedoch nicht mehr. In seiner 110 Seiten umfassenden Einführung des ersten Bandes hatte Kraeger zwar weiterhin Stauff als Verfasser des „SemiKürschners“ von 1913 angegeben, doch anlässlich des 70. Geburtstages Kraegers lüftete Adolf Bartels 1940 schließlich das Geheimnis um die Verfasserschaft beider lexikalischen Werke in der Presse. Eine nennenswerte oder gar honorierende Reaktion vonseiten der NSDAP blieb jedoch aus. Kraeger starb fünf Jahre später, einen Monat vor Kriegsende in Berlin.

Gregor Hufenreuter

Literatur Gregor Hufenreuter, „... ein großes Verzeichnis mit eingestreuten Verbrechern.“ Zur Entstehung und Geschichte der antisemitischen Lexika Semi-Kürschner (1913) und Sigilla Veri (1929–1931), in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 15 (2006), S. 43–63. Gregor Hufenreuter, Philipp Stauff. Ideologe, Agitator und Organisator im völkischen Netzwerk des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zur Geschichte des Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes, des Germanen-Ordens und der Guido-von-List-Gesellschaft, Frankfurt am Main 2011.

Signal (1940–1945) Die NS-Auslandsillustrierte „Signal“, die als „Sonderausgabe der Berliner Illustrierten Zeitung“ publiziert wurde, erschien erstmals im April 1940 und wurde bis zum März 1945 mit sensationellem Erfolg in großen Teilen Europas vertrieben. Die Hauptaufgabe der Zeitschrift bestand darin, mitten im Zweiten Weltkrieg „Verständnis für Deutschland in der Welt zu wecken“, d. h. die verbündeten Nationen in ihren Kriegsanstrengungen moralisch zu stärken, das Vertrauen und den Arbeitswillen der Bevölkerung besetzter Gebiete zu gewinnen und die neutralen Staaten im „prodeutschen Sinne“ zu beeinflussen. Die Gründungsidee von „Signal“ ging auf eine Gruppe von Werbefachleuten, Abwehrspezialisten und Psychologen zurück, die Ende 1939 in der Abteilung für Wehrmacht-Propaganda im Oberkommando der Wehrmacht tätig waren. In Kooperation mit der Presse- und Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes hatten diese Anfang

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Signal (1940–1945)

1940 die Herausgabe von „Signal“ durchgesetzt. Die Hauptschriftleitung der Illustrierten wechselte über die Jahre hinweg und war mit bekannten zeitgenössischen Publizisten wie Harald Lechenperg (1940–1941), Heinz Medefind (1941), Wilhelm Reetz (1942–1944) und Giselher Wirsing (1945) besetzt. Die Zeitschrift, die in der Regel zweimal monatlich erschien, umfasste durchschnittlich vierzig Seiten, davon fast durchgängig acht Farbseiten. Ab Herbst 1942 wurde sie in über zwanzig verschiedensprachigen Ausgaben publiziert und erreichte auf dem Gipfel ihres Erfolges – Ende 1942 und im Frühjahr 1943 – eine Gesamtauflage von über 2,4 Millionen Exemplaren, die zum Teil auch über die europäischen Grenzen hinaus verkauft wurden. Der außergewöhnliche Verkaufserfolg ist nicht zuletzt auf die professionelle Aufmachung und das moderne Layout zurückzuführen, denn „Signal“ galt noch weit nach Kriegsende als angesehenes Vorbild für Reproduktions- und Drucktechnik, Format, Covergestaltung und Layout. Inhaltlich transportierte Signal über die Jahre hinweg eine Mischung aus Selbstund Wunschbildern des NS-Staates, militärischer Berichterstattung und Europapropaganda. Doch auch Bildreportagen aus fernen Ländern, Anekdoten und Kurzgeschichten sowie Mode- und Haushaltstipps waren großzügig vertreten und sollten dem Leser Unterhaltung und Kurzweil bieten. Wie die immensen Auflagenzahlen belegen, war auf diese Weise ein Konzept entstanden, das beim Publikum auf großes Interesse stieß. Lange Zeit wurde in der Forschung postuliert, dass „Signal“ aus Rücksicht auf die Mentalität der internationalen Leserschaft auf rassistische und antisemitische Schlagworte verzichtet hätte. Doch die Untersuchung zeigt, dass auch in der Auslandsillustrierten die gängigen nationalsozialistischen Stereotype vom sowjetischen „Untermenschentypen“, dem „Judo-Bolschewismus“ und von „jüdischen Weltherrschaftsplänen“ publiziert wurden. Besonders nach der Niederlage bei Stalingrad verschärfte sich der allgemeine Ton der Zeitschrift in dieser Richtung drastisch. Vor allem im Zuge der Europapropaganda traten die rassistischen und antisemitischen Tendenzen deutlich hervor. So heißt es 1942: „Der Sinn des Krieges besteht darin, aus dem abendländischen Raum sowohl als auch aus dem ostasiatischen Raum fremdartige Einflüsse auszuscheiden, die die Völker dieser Räume für Zwecke mißbrauchten, die sich mit ihrem eigentlichen eigenen keineswegs deckten.“ Das „Fremdartige“ wurde nicht näher benannt, es liegt jedoch nahe, darin das jüdische Volk zu verstehen. Auch die „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft wurde propagiert, denn für Juden war auch im „Signal“ ganz offensichtlich kein Platz im erträumten „Neuen Europa“ unter nationalsozialistischer Führung vorgesehen. In einem Interview mit russischen Systemgegnern wird deutlich hervorgehoben, wer an allem Übel schuld sei: die „leitenden Angestellten, die übrigens Juden waren“, die „Juden und Kommissare“ und natürlich „die Juden“ generell. An anderer Stelle wird der französische Ex-Ministerpräsident Blum mit seiner „spitzen , scharf vorstoßenden Nase“ als Kriegsschuldiger präsentiert. Diese Beispiele belegen, dass im „Signal“ neben allen Schilderungen von der angeblichen Friedfertigkeit, Modernität und Offenheit Deutschlands gegenüber anderen Völkern auch eindeutig rassistische und antisemitische Töne angeschlagen wurden. Trotz der Tatsache, dass sich nach Kriegsende viele Mitarbeiter als getarnte Feinde

Simoninis Brief (1806)

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des Nationalsozialismus darzustellen versuchten, sprechen die im „Signal“ publizierten Berichte, in denen mehr oder weniger subtil antisemitische Klischees verbreitet wurden, für sich.

Kristin Birkenmaier

Literatur Hans Dollinger (Hrsg.), Facsimile. Querschnitt durch Signal, München, Bern, Wien 1969. Rainer Rutz, Signal. Eine deutsche Auslandsillustrierte als Propagandainstrument im Zweiten Weltkrieg, Essen 2007.

Simoninis Brief (1806) Der wohl bekannteste Verschwörungstheoretiker Augustin Barruel (1741–1820) behauptete in seinem Werk „Mémoires pour servir à l’Histoire du Jacobinisme“ (1797), dass die Französische Revolution das Ergebnis einer Verschwörung von Philosophen, Hochgradfreimaurern und Illuminaten, die alle zusammen die Jakobiner bildeten, war. Barruel erhielt laut eigenen Angaben am 20. August 1806 einen am 1. August in Florenz geschriebenen Brief von einer ihm unbekannten Person namens Jean-Baptiste Simonini. Der Absender gratulierte Barruel zu seinen „Mémoires“. Er machte ihn aber darauf aufmerksam, dass hinter den Freimaurern und Illuminaten die Sekte der Juden stehe. Simonini versuchte den Jesuiten folgendermaßen zu überzeugen: In Piemont habe sich Simonini mit Juden befreundet, die ihn eines Tages für ihre Verschwörung gewinnen wollten und ihm ihre Geheimnisse mitteilten. Sie hätten ihn in Turin in ihre Verschleierungstaktiken, Pläne und in die bereits erreichten Ziele eingeweiht. Die Freimaurerei und die Illuminaten seien von zwei Juden gegründet worden, die antichristlichen Sekten, die von Mani abstammten, hätten in der ganzen Welt Millionen von Anhängern in verschiedenen Positionen; in Italien allein gebe es über 800 Anhänger innerhalb des Klerus; auch in Spanien seien viele Mitglied. Die Bourbonen seien die größten Feinde der Sekten; durch falsche Taufzertifikate führe man die Christen hinter das Licht; durch ihr Geld und ihre Gabe als Ränkeschmiede wollten die Juden die Regierungen übernehmen; da sie nun dieselben Rechte hätten, würden sie durch Wucher die Christen berauben. In weniger als einem Jahrhundert wollten sie so die Beherrscher der Welt werden und Andersgläubige versklaven. Da der Brief erstmals im Jahr 1878 publiziert wurde und bis heute kein Original aufzufinden ist, gingen einige Forscher davon aus, dass es sich bei Simoninis Brief um eine Fälschung handelt. Aufgrund von Archivfunden kann eindeutig bewiesen werden, dass sich Barruel mit diesem Brief von 1806 bis 1820 beschäftigt hat. Mittlerweile konnten drei Kopien in Archiven sichergestellt werden, die allesamt mit Kommentaren von Barruel versehen sind. Über Jean-Baptiste Simonini ist nichts bekannt, man weiß nicht einmal, ob er als Person existiert hat. Diese Ungewissheit führte zur Spekulation, dass Simoninis Brief von der französischen Polizei unter Fouché fabriziert worden war, um den „Großen Sanhedrin“ zu stören. Der Zusammenhang zur Versammlung der französischen Juden in Paris 1806 war auch Barruel aufgefallen, der daraufhin davon absah, den Brief zu veröffentlichen, da er ein womögliches Massaker verhindern wollte. Die in der Forschungsliteratur über Barruel und auch in

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Simplicissimus (1896–1944)

Simoninis Brief behauptete Vorrangstellung der Juden als Strippenzieher in der großen geheimen Verschwörung zur Zerstörung der christlichen Zivilisation war für Barruel keinesfalls bewiesen. Vielmehr ging der Jesuit davon aus, dass die Freimaurerei der Hauptverschwörer war. Barruel skizziert in seinen Kommentaren ein Modell der geheimen Weltregierung, die auf der Freimaurerei basiert. Juden spielten zwar für Barruel eine wichtige Rolle, waren aber nicht die entscheidenden Kräfte. Die Rezipienten von Simoninis Brief instrumentalisierten aber den Inhalt für ihre antisemitischen Zwecke: Der Brief Simoninis verbreitete sich nach seiner ersten Publikation 1878 relativ schnell. Am 21. Oktober 1882 wurde er in der papstfreundlichen jesuitischen Zeitschrift → „La Civiltà Cattolica“ abgedruckt. In der Einleitung zur Quelle wird Simoninis Brief als bisher unbekanntes Dokument vorgestellt, welches beweise, dass die „jüdische Rasse der natürliche Samen der Hochgradfreimaurerei (Si conferma come nella razza ebrea sia la naturale sede dell’Alta Massoneria)“ sei. Im selben Jahr erschien die sechste Auflage des verschwörungstheoretischen Werks „Les Sociétés Secrète“ von Nicholas Deschamps, in dessen drittem Band Simoninis Brief ebenfalls abgedruckt wurde. Die Schrift rekurriert stark auf die Ideen Barruels. In ihr wird der Mythos von der Verschwörung der Freimaurer weitererzählt und auf die nachfolgenden Revolutionen von 1830 sowie 1848 übertragen. Der Freimaurerei wird in diesem Werk die Schuld am Wandel seit 1789 zugewiesen. Barruels und Deschamps Werke wurden 1893 vom Jesuiten Léon Meurin in seiner Schrift „La Franc-Maçonnerie Synagogue de Satan“ zitiert, um durch Simoninis Brief zu beweisen, dass die Juden von den Manichäern abstammten und somit schon lange im Geheimen an der Zerstörung des Christentums arbeiteten. Außerdem wurde Simoninis Brief auch in Schriften Henri Delassus’ oder in Pamphleten, welche den Ersten Weltkrieg verschwörungstheoretisch deuteten, zitiert. Zu erwähnen ist auch die bekannte Verschwörungstheoretikerin Nesta Webster, die in ihrer Studie „World Revolution“ (1921) ebenfalls Simoninis Brief als Quelle bespricht. Der jüdisch-freimaurerische Verschwörungsmythos rekurriert auf Simoninis Brief und fand in den → „Protokollen der Weisen von Zion“ einen unrühmlichen Höhepunkt.

Claus Oberhauser

Literatur Claus Oberhauser, Simoninis Brief oder die Wurzeln der angeblichen jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, in: Juden in Mitteleuropa, Wien 2012, S. 10–17.

Simplicissimus (1896–1944) Die 1896 von Albert Langen gegründete, wöchentlich erscheinende Literatur- und Satirezeitschrift „Simplicissimus“ wurde schnell wegen der pointierten Gesellschaftskritik gerade ihrer Karikaturzeichner bekannt. Diese kritisierten dezidiert die wilhelminische Monarchie, machten sich über die Person des Kaisers derart lustig, dass es zu Zensurmaßnahmen kam, und stellten bevorzugt die Stützen dieser Gesellschaft in Bürokratie, Militär und Klerus bloß. Soziale Ungerechtigkeit wurde ebenso pointiert angeprangert wie die kolonialistische Außenpolitik.

Simplicissimus (1896–1944)

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Entsprechend der Beobachtung des Karikaturhistorikers Eduard Fuchs, dass „die besten Witze auf die Juden […] zumeist von Juden“ stammen, gibt es im „Simplicissimus“ eine ganze Reihe von Witzen über Juden von Thomas Theodor Heine. Der aus einer jüdischen Familie stammende Künstler war schnell zum zentralen Zeichner der Zeitschrift geworden, deren politisches Profil er schärfte. Heine zeichnete im ersten Jahrgang eine Berliner Schulklasse, die von einem Schulrat examiniert wird, wobei nur ein Knabe mit auffälliger Physiognomie und dem Namen „Moses Itzigsohn“ die gewünschte Antwort auf die Frage nach der „heiligsten Liebe“ parat hat, die Liebe zu Jesus Christus. Heine stellt damit den Anpassungswillen bloß, der viele Juden dazu brachte, ihrem Glauben abzuschwören und sich christlich taufen zu lassen. In ähnlicher Weise machte sich Eduard Thöny 1898 über die Assimilierungswilligen lustig, wenn unter zwei Köpfen mit dezent jüdischer Physiognomie der Dialog zu lesen ist: „Warum haben Se sich denn katholisch taufen lassen?“ – „Ach wissen Se, bei den Protestanten sind mir zu viel Juden.“ Der in der wilhelminischen Gesellschaft übliche Antisemitismus wird 1899 bei Wilhelm Schulz vorgeführt, wenn der kleine Hans seinen Vater, der gerade zum Kommerzienrat ernannt wurde, fragt, ob die Familie nun jüdisch werden müsse. Ein grundsätzlich beliebtes Ziel des Spotts war für die Zeichner das Zusammentreffen norddeutscher Großstädter mit der Bevölkerung des Voralpenlandes, etwa anhand der anbiedernden Anpassung der Touristen in der Sommerfrische. Dabei war es nicht ungewöhnlich, diesen Großstädtern eine „typisch jüdische“ Physiognomie zu geben, oder die Textschreiber, die nicht immer mit den Zeichnern identisch waren, kreierten einen berlinernden Dialekt, der in der Umstellung des Satzbaues zudem etwas Unbeholfenes bekam, das wohl an Juden erinnern sollte, die aus den östlichen Provinzen des Deutschen Reiches zugewandert waren. Während diese Bilder aus der Überspitzung von Charaktereigenschaften leben, gab es vereinzelt auch schon in den ersten Jahrgängen typisch antisemitische Karikaturen. So zeigt etwa Bruno Paul 1898 einen Bauern, der sich gegenüber einem als „Jude“ benannten Viehhändler aufregt, von diesem bei einem Kauf übervorteilt worden zu sein. In hetzerisch abstoßender Weise stellt Thöny 1898 einen Juden dar, der im zugehörigen Text seinen Liberalismus dahingehend manifestiert, dass er mitteilt, „die Partei der Antisemiten“ zu wählen. Im folgenden Jahrgang zeigt Adolf Münzer ohne jede ironische Brechung das Zerrbild des lüsternen jüdischen Kaufmanns, der zwei adrette junge Frauen erpresst. Von Münzer, der später nicht mehr für den „Simplicissimus“ gearbeitet hat, wie auch von anderen gelegentlichen Mitarbeitern stammen weitere klar antisemitische Karikaturen. Während des Ersten Weltkrieges unterließ der „Simplicissimus“ nahezu alle Kritik an der Staatsführung, nicht zuletzt um der verschärften Zensur zu entgehen. Assimilation oder Antisemitismus spielten nun ebenfalls keine Rolle mehr. Mit der Revolutionszeit und der schlechten wirtschaftlichen Lage ab 1919 wurden hingegen wiederholt Kriegsgewinnler und Schwarzmarktschieber mit jüdischer Physiognomie dargestellt. Neben Thöny tat sich hierbei besonders der erst 1917 fest zum „Simplicissimus“ gekommene Erich Schilling mit derartigen Bildern hervor. Eduard Fuchs bildete in seinem Standardwerk eine nur kurz zuvor publizierte Karikatur von Karl Arnold ab, die letztlich auch das Dilemma illustriert, wo die Grenze zwischen der Darstellung von

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Sleipnir (1995–2002)

Juden und einer antisemitischen Darstellung zu ziehen ist. Arnold zeigt mit einem Blick in die Berliner Grenadierstraße das vielfältige jüdische Leben des Scheunenviertels dieser Tage mit Juden unterschiedlichster Herkunft und sozialer Stellung. Fuchs sieht darin eine Diffamierung der Juden als Inkarnation der „Kriegsgewinner, Schieber, Revolutionsgewinner“. Heute wirkt das Bild eher wie die überspitzte Darstellung des facettenreichen jüdischen Lebens in Berlin. In den 1920er Jahren überwog im „Simplicissimus“ die Bloßstellung des Antisemitismus. In Arnolds Darstellung des Ahasver von 1923 macht er sich darüber lustig, dass diese Gestalt für die Antisemiten zur Inkarnation des „ewigen Juden“ wurde. Treffend wurde auch die Propaganda der NSDAP bloßgestellt, wenn Schilling etwa zwei SA-Männer angesichts eines armen jüdischen Straßenhändlers sagen lässt: „Scheußlich, so’n jüdischer Proletarier! Juden ohne Geld dürfte es überhaupt nicht geben, die verschandeln uns die ganze Ideologie!“ Im März 1933 erklärte die Redaktion, die bis dahin zu den schärfsten Kritikern der Nationalsozialisten gezählt hatte, ihre Ergebenheit gegenüber den neuen Machthabern, und der persönlich bedrohte Heine musste ins Exil fliehen. Die Zeichner kommentierten nun die Innenpolitik kaum mehr, und nur in wenigen Fällen machten sie sich über Juden in der Emigration lustig. Schilling stellte im Oktober 1933 allerdings Ahasver ganz im Stile des → „Stürmers“ als antisemitisches Zerrbild dar. Die Zeichner widmeten sich ab dem März 1933 vornehmlich der Außenpolitik und entsprachen dabei der NS-Propaganda. Seit dem Spanischen Bürgerkrieg traten dabei jüdische Typen als Zerrbilder der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ auf. Als Inkarnation dieses Typus wurden bevorzugt die sowjetischen Außenpolitiker Maxim Maximowitsch Litwinow und Iwan Michailowitsch Maiski verwendet. Soweit in den Jahrzehnten zwischen 1896 und 1933 eine freie Meinungsäußerung möglich war, waren die Bilder des „Simplicissimus“ selten antisemitisch, vielmehr karikierten sie Antisemiten und Antisemitismus. Zwischen 1933 und 1945 hielt sich die Zeitschrift damit wie auch mit antisemitischen Darstellungen auffällig zurück.

Andreas Strobl

Literatur Eduard Fuchs, Die Juden in der Karikatur. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, München 1921.

Sionism na slushbe antikommunisma → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen

Sleipnir (1995–2002) „Sleipnir“, mit dem Untertitel „Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik“, erschien ab Januar 1995 und stellte das Erscheinen mit Heft 37/2002 ein. Das Blatt wurde von Andreas Röhler im Verlag der Freunde, Berlin, im Magazinformat zweimonatlich im Umfang von ca. 48 Seiten herausgegeben. Peter Töpfer (Jg. 1961) kam ab Heft 3/1995 als weiterer Herausgeber hinzu. In den letzten Jahren erschien die Zeitschrift nur noch unregelmäßig in Notausgaben. Das Blatt konnte abonniert werden und wurde im Handvertrieb bei Veranstaltungen der Rechtsextremisten (und mit wenig Erfolg

Sleipnir (1995–2002)

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in linken Kneipen) verkauft. Die Auflagenhöhe wird nicht genannt, sie wird pro Ausgabe wenige Hundert Exemplare kaum überschritten haben. Der Name ist der nordischen Mythologie entnommen, von Sleipnir, dem achtbeinigen Hengst Odins, der ihn geschwind durch alle Welten tragen kann. Das Durcheilen der Sphären ist das Privileg der Götter, den Menschen aber verwehrt. Aber der kecke, verwegene Ritt quer durch die Realität und durch alle Gedankensysteme gehörte zum Konzept der Zeitschrift. Alle Ideen und alle Positionen sollten sich aneinander messen. Während andere Blätter ihre Propaganda an Gleichgesinnte richten, verfolgten die Macher von „Sleipnir“ die Absicht, eine Diskussionsplattform zu schaffen, auf der Autoren gegensätzlicher Lager und politischer Positionen ihre Meinungskämpfe austragen sollten. Dazu wurden linke und liberale Autoren um Beiträge gebeten. So sollte Ralph Giordano mit Germar Rudolf über dessen „Gutachten zu Auschwitz“ (→ Rudolf-Gutachten) debattieren. Da die Resonanz auf ihre Aufforderung zum Streit der Geister ausblieb, begannen die Herausgeber einen pluralistischen Eindruck vorzutäuschen, indem sie ohne Einwilligung geeignete Texte von Autoren mit Rang und Namen nachdruckten. Dies führte prompt zu Konflikten mit den Autoren, zu Verstößen gegen das Urheberrecht und zu Bußgeldzahlungen. Bald dominierten Autoren aus dem rechtsextremen Spektrum mit revisionistischen und antisemitischen Themen. Die sogenannte Querfront-Position – die Mischung aller politischen Farben – sorgte vor allem für Verwirrung und löste Ablehnung aus. „Sleipnir“ konnte keinen Dialog in Gang setzen, keinen Einfluss auf die politische Debatte nehmen und keine Breitenwirkung erzielen. Als ehemalige DDR-Bürger und Dissidenten waren die beiden Herausgeber vom Westen enttäuscht, dem sie vorwarfen, eine Meinungsdiktatur errichtet zu haben. Ihren Antikapitalismus vervollständigten sie rasch um Antiamerikanismus und eine aggressive Position gegenüber Israel. Der Verlag der Freunde verstand sich als Buchdienst, der eine mehrseitige Liste mit Texten englischer und deutscher Revisionisten anpries, darunter Titel, die die Existenz der Gaskammern in Auschwitz leugneten und den systematischen Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg bestritten (Jürgen Graf, → Der Holocaust auf dem Prüfstand). Besonders die Schriften der französischen Fraktion der Negationisten wie Serge Thion (Über die Macht der Medien im Fall Faurisson) wurden empfohlen. Die Obsession, mit der diese Lektüre angeboten wurde, darunter die → „Protokolle der Weisen von Zion“ und der auszugsweise Abdruck revisionistischer Pamphlete, löste ab 1995 Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden aus. Die Wohnungen der Herausgeber wurden durchsucht, Computer und Unterlagen beschlagnahmt und Beweismaterial sichergestellt. Von nun ab war das Blatt noch stärker monothematisch ausgerichtet. Die Leugnung des Holocaust wurde als publizistischer Rechtskampf um „Pressefreiheit“ und um „grenzenlose Meinungsfreiheit“ geführt. Eine reflektierte Ernsthaftigkeit in der Forderung nach unbeschränkter Meinungs-, Darstellungs- und Pressefreiheit war nicht vorhanden. Vielmehr gebärdete man sich so, als gelte es, Deutschland nach Faschismus und Kommunismus vor einer dritten Diktatur zu bewahren. Man bat um Spenden und rief zur Solidarität mit verurteilten Auschwitzleugnern auf. Die Herausgeber berichteten von ihren Strafverfahren (Heft 31/2000) und von Prozessen gegen andere

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Sleipnir (1995–2002)

Holocaustleugner wie Horst Mahler. Hinzu kamen Probleme mit der Steuerfahndung, da die vereinnahmte Mehrwertsteuer nicht abgeführt worden war. Peter Töpfer verstand sich als libertär, undogmatisch. Er wanderte vom Volkstanz weiter in immer skurrilere Szenen. Zuletzt nannte er seine Position „Nationalanarchismus“. Dieses Konzept ist nebulös, sein konfuser Sinn schwer zu fassen. Verständlich ist nur soviel, dass er Restriktionen ablehnte und für Meinungsfreiheit mit antisemitischer Präferenz eintrat. Er ließ keine Norm gelten, nur seine eigene. Nüchterne Rationalität und Reflexion war seine Sache nicht. Gedanklich schwebte er auf einer Wolke, die er mit Max Stirner, Egon Krenz, Christian Worch und einer „Vereinigung der langjährigen Liebhaber von Kriegs- und Holocaust-Erzählungen“ („AAARGH“) bevölkerte. Den Höhepunkt öffentlicher Aufmerksamkeit erlebte Peter Töpfer als Teilnehmer am „Weltgipfel“, der zweitägigen „Holocaust-Konferenz“ („Review of the Holocaust: Global Vision“) im Dezember 2006, die unter der Schirmherrschaft von Präsident Ahmadinedschad in Teheran durchgeführt wurde. Nach der Revolution von 1979 hatte das islamische Regime im Iran neben den Vereinigten Staaten von Amerika Israel zu einem Hauptfeind des Islams erklärt. Der religiöse Führer Ayatollah Khomeini sprach Israel das Existenzrecht ab. Bis heute verbreiten iranische Geistliche, Politiker und Medien eine radikale Vernichtungsrhetorik, indem sie den israelischen Staat als „Bazillus“ bezeichnen, der die gesamte Region infiziert habe und deshalb beseitigt werden müsse. Präsident Ahmadinedschad tat zunächst nichts weiter, als diese Vernichtungsdrohungen aufzugreifen und mit einer verschärften antiamerikanischen Rhetorik zu verknüpfen. Neu an der antiisraelischen Propaganda Ahmadinedschads war allerdings die breitflächig betriebene Holocaustleugnung, die er zur Interpretation des Nahostkonflikts forcierte. Die Konferenz in Teheran war eine Etappe in dieser Kampagne. Aus arabischen Ländern, aus Europa und den USA waren mehr als 60 Teilnehmer aus den Reihen der berüchtigsten Auschwitzleugner angereist, unter ihnen Robert Faurisson, Serge Thion, Fredrick Töben, David Duke, der NPD-Funktionär Benedikt Frings und Bernhard Schaub. Horst Mahler, der unbedingt nach Teheran reisen wollte, war wegen seiner Haftstrafe verhindert, und Günter Deckert musste seine Teilnahme absagen, weil ihm die Behörden seinen Reisepass abnahmen, um seine Tour nach Teheran zu verhindern. Ein Kleinkredit brachte Peter Töpfer aus Berlin in den Iran und auf den Gipfel seines öffentlichen Wirkens. Überschwänglich berichtete Frings von seinen Eindrücken auf der Konferenz und über die „wissenschaftliche und neutrale“ Behandlung des Themas Holocaust (Interview mit Benedikt Frings in der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“, 2/2007). Faurisson referierte über „Die Siege des Revisionismus“, und in der Pose des Kämpfers für Meinungsfreiheit sprach Töpfer über: „Den Westen retten!“ Die Meinungsfreiheit des Westens habe sich als Illusion erwiesen. Nachdem er sich als „Freiheitsaktivist“ vorgestellt hatte, beschimpfte er den Staat Israel und die Juden im Allgemeinen, um abschließend die Teilnehmer vom Scheitern seines antisemitischen Zeitschriftenprojekts „Sleipnir“ zu informieren. (Töpfers Rede erschien in der revisionistischen Zeitschrift → „Recht und Wahrheit“, Heft 1–2/2007 und auf seiner damaligen Internetseite „Nationalanarchismus“.) Die Teilnahme in Teheran war der Gipfel

So? oder So? – Die Wahrheit über den Antisemitismus

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seines öffentlichen Auftretens, übertreffen konnte er ihn nicht. Seither ist es ruhig um ihn geworden.

Rainer Erb

Literatur Landesamt für Verfassungsschutz Berlin (Hrsg.), Rechtsextremistische Bestrebungen in Berlin (überarbeitete und aktualisierte Fassung von Durchblicke 1 (1994), 7, S. 96–101), Berlin 1997. Meir Litvak, The Islamic Republic of Iran and the Holocaust: Anti-Semitism and Anti-Zionism, in: Journal of Israeli History 25 (2006), S. 267–284.

So? oder So? – Die Wahrheit über den Antisemitismus (Irene Harand, 1933) Im Frühjahr 1933 veröffentlichte die österreichische Aktivistin Irene Harand (1900– 1975) ihre erste Schrift gegen den Antisemitismus. Die 23-seitige Broschüre „So? oder So? – Die Wahrheit über den Antisemitismus“ wurde als eine politische Flugschrift der von Harand mitbegründeten Österreichischen Volkspartei ausgegeben. Sie prangerte dezidiert die Vorgänge in Deutschland nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 an, den Wetteifer der Politiker in ihrem „Hassgesang“ gegen die Juden und die stille Zustimmung zum Antisemitismus. Die Titelseite der Broschüre zeigte das Hakenkreuz und eine Waage. Das erste „So?“ bezog sich auf das Symbol der Nationalsozialisten und das zweite auf das Zeichen der Waage, das Sinnbild der Gerechtigkeit. Die Waage sollte in Folge zum Symbol der von Harand begründeten „Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“ – auch Harandbewegung genannt – werden. Ihr Publikationsorgan, das ab Herbst 1933 bis März 1938 erschien, trug daher auch den Namen „Gerechtigkeit“. Harand argumentierte in der Einleitung der Broschüre, jeder, der schweige, sei für die judenfeindliche Hetze mitverantwortlich. Sie als „gute Österreicherin“ und als „gute Christin“ wolle gegen die „Schande des Antisemitismus“ handeln. Sie erklärte zudem, sie sei überzeugt, dass „der Kampf gegen die Juden eine Versündigung gegen unseren Heiland bedeutet“. In ihrer dialektischen Aufklärungsschrift warnte Harand vor dem Tolerieren und Hinnehmen des Antisemitismus. Sie kritisierte die Nationalsozialisten, ihre Propaganda und insbesondere ihren Antisemitismus. Sie griff die antisemitischen Stereotype auf, diskutierte und entlarvte sie schließlich. Indem sie die von Nationalsozialisten verbreiteten Lügen und Anschuldigungen – wie etwa über die Lehren des Talmuds, über die Weisen von Zion, über die jüdische Verantwortung für den Bolschewismus und Kapitalismus, über den Wucher und den Reichtum der Juden oder deren vermeintliche Feigheit und Schändlichkeit – jeweils gegenüberstellte, entlarvte sie deren Widersprüchlichkeit und Plumpheit. Der Erfolg der Broschüre war immens. Allein 1933 wurden 60.000 Exemplare verteilt und die Broschüre wurde mehrmals nachgedruckt. Zudem wurde sie ins Polnische und ins Jiddische übersetzt. Harand selbst finanzierte den Druck der Broschüre, indem sie ihren Familienschmuck versetzte.

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Social Justice (USA, 1936–1942)

Die Broschüre „So? oder So?“ bildete neben dem 1935 veröffentlichten Hauptwerk von Irene Harand „Sein Kampf – Antwort an Hitler“ die ideologisch-programmatische Basis der Harandbewegung. Während die Aufklärungsschrift einen hohen Zuspruch erhielt, was gemeinhin mit der noch existenten Kritik am Nationalsozialismus und an Hitler in Österreich erklärt wurde, wurde die zwei Jahre später erschienene Schrift „Sein Kampf“, die einem ähnlichen dialektischen Aufbau folgte, dagegen kaum mehr rezipiert.

Marija Vulesica

Literatur Christian Klösch, Kurt Scharr, Erika Weinzierl, „Gegen Rassenhass und Menschennot“. Irene Harand – Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin, Innsbruck 2004. Helga Thoma, Mahner – Helfer – Patrioten. Porträts aus dem österreichischen Widerstand, Wien 2004.

Social Justice (USA, 1936–1942) Einer der berühmtesten antisemitischen Demagogen in den 1930er Jahren war der katholische Prediger Charles Coughlin. Er war durch seine Radiosendung bekannt geworden, danach versuchte der „Radio Priester“ sich auch in der Presse Gehör zu verschaffen. Zu diesem Zweck gab er die Zeitung „Social Justice“ heraus, die am 13. März 1936 erschien. Verleger war die „Social Justice Publishing Company“, die wiederum Eigentum des „Radio League of the Little Flower“ war. Bis zum 20. Juli 1936 erschien die Zeitung in einem typischen Zeitungsformat mit 16 Seiten und vier Spalten pro Seite. In den darauf folgenden Jahren hat sich das Layout geändert, z. B. gab es ein Farbfoto auf der ersten Seite, wurde auf Papier von hoher Qualität gedruckt, und das Blatt umfasste 20 Seiten. Im August 1936 schrieb Coughlin, dass seine Zeitung eine Auflage von einer Million hätte, was wahrscheinlich übertrieben war. Zur Auflagenhöhe gibt es Angaben nur aus zwei Jahren: 1940 betrug sie 228.678 und 1941 184.929 Exemplare. Um neue Leser anzuziehen, hat Coughlin auch kleine Kinder als Verkäufer angeheuert. Ihnen wurde aufgetragen, dass sie sehr laut weinen sollten, wenn Leute vorbeiliefen. Wenn die Leute nach dem Problem fragten, sollten die Kinder sagen, „ein große Jude hat uns geschlagen“. Diese Taktik half nicht nur, mehr Zeitungen zu verkaufen, sondern auch antijüdische Gefühle zu verbreiten. Coughlins antisemitische Kampagne begann im Juli 1938, als er in einer wöchentlichen Reihe die → „Protokolle der Weisen von Zion“ veröffentlichte. Nicht nur, dass Coughlin die „Protokolle“ publizierte, er hat auch in viele Artikeln versucht, diese als wahr darzustellen. Coughlin war überzeugt, dass die Juden hinter einem „weltweiten kommunistischen Komplott“ stünden. Als Teil dieses Komplotts hätten jüdische Bankiers die Russische Revolution geplant und finanziert. Coughlin glaubte, dass die Kommunisten eine große Gefahr für die Kirche bildeten, und deshalb betrachtete er den Faschismus als die geeignete Verteidigung gegen die Kommunisten. Dieser Denkweise folgend hat die Zeitung Hitler oft gelobt. Präsident Franklin D. Roosevelt wurde bezichtigt, Hass gegen Hitler und Mussolini geschürt zu haben. Auch wäre er für den

Sowjetische „antizionistische“ Publikationen (1960er bis 1980er Jahre)

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wachsenden Antisemitismus in Amerika verantwortlich, weil er „Washington mit Juden beladen hat, weit über das Gebot des Verstandes und der Vorsicht hinaus“. Leute wie Felix Frankfurter, Louis Brandeis, Bernard Baruch und Henry Morgenthau wären einige der Juden, die hinter den Kulissen stünden und die wirklichen Machthaber in Washington wären. Weil Coughlin der Meinung war, dass es eines der Ziele der Juden sei, Amerika in den Krieg gegen Deutschland zu drängen, rechtfertigte er Hitlers Verfolgung der Juden. Coughlin blieb auch nach dem Kriegseintritt der USA bei seiner Bewunderung für den Nationalsozialismus, was dazu führte, dass ein Gerichtsprozess wegen Verrats eingeleitet wurde. Der Erzbischof von Detroit, Edward Mooney, drohte Coughlin mit der Suspendierung, falls er die Zeitung nicht einstelle. Daraufhin erschien die letzte Ausgabe am 20. April 1942.

Richard E. Frankel

Literatur Sheldon Marcus, Father Coughlin: The Tumultuous Life of the Priest of the Little Flower, Boston 1973.

Sowjetische „antizionistische“ Publikationen (1960er bis 1980er Jahre) Von Ende der 1960er bis Ende der 1980er Jahre erschienen in der Sowjetunion zahlreiche Publikationen gegen den „Zionismus“, der als weltweite Verschwörung angegriffen wurde. Dies hatte Vorläufer unter Stalin bis 1953 und in der antireligiösen Propaganda, die 1963 in → „Iudajizm bez prykras“ kulminierte. Wichtiger Auslöser der Kampagne war der Sechstagekrieg von 1967. Der KGB registrierte, wie unter den Juden die Sympathie für Israel zunahm, dessen Regierung zunehmend das Ausreiserecht für die sowjetischen Juden forderte. Da die besiegten arabischen Staaten zuvor dem sozialistischen Lager nahegerückt waren, gab es eine innen- wie außenpolitische Zielsetzung für die Publikationswelle. Zu ihr gehörten zahlreiche Presseartikel, darunter solche mit Ergebenheitsadressen sowjetischer Juden. Parallel gab es breitangelegte „Enthüllungen“, deren wichtigste Beispiele im Folgenden dargestellt werden. Den Auftakt machte „Ostoroshno: Sionism“ des ZK-Mitarbeiters Juri Iwanow (Jurij Ivanov, Ostorožno: Sionizm! Očerki po ideologii, organizacii i praktike sionizma [Vorsicht Zionismus! Aufsätze zu Ideologie, Organisation und Praxis des Zionismus], Moskau 1969; als einzige der Publikationen übersetzt: Yuri Ivanov, Caution: Zionism! Essays on the Ideology, Organisation and Practice of Zionism, Moskau 1970). Zionismus definierte Iwanow als „reaktionäres System von Ansichten und Organisationen, die dem Imperialismus dienen“. Die Imperialisten versuchten, die progressiven Regierungen wie in Syrien zu stürzen, dazu sei der Zionismus das Werkzeug. Und für die Zionisten sei auch Israel nur Mittel zum Zweck der „Bereicherung mit allen Mitteln“. Nicht die Gründung Israels sei das Problem, sondern seine Beherrschung durch zionistische Kreise. Eine bedeutende Zahl werktätiger Juden (auch in Israel) lehne aber den Zionismus ab, was mit Aussagen der Kommunistischen Partei Israels belegt wurde. So gewinnt die in einer Fußnote versteckte Botschaft eine gewisse Logik: „Wir treten

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entschieden für das Existenzrecht Israels ein.“ Dies wurde in der weiteren Kampagne zwar kaum wiederholt – offen widersprochen wurde aber nicht. Der Zionismus sei von Anfang an mit dem Kolonialismus verbunden gewesen. Zum anderen sollte die Solidarität der jüdischen mit nichtjüdischen Werktätigen gebrochen werden, nachdem die Anziehungskraft der Religion schwächer geworden sei. Um die von der jüdischen Bourgeoisie gewünschte Ghettobildung aufrechtzuerhalten, benötigten die Zionisten den „ewigen Antisemitismus“ als „wahren Gott und größte Hoffnung“. So hätten sie mit den Nationalsozialisten kooperiert, was mit tendenziös verkürzten Episoden um Eichmanns Palästina-Reise belegt wurde, für die als einzige Quelle eine Serie des deutschen Magazins „Spiegel“ über die SS diente. „Zionismus“ gab es auch im Inneren der Sowjetunion. Nach der Oktoberrevolution seien Zionisten mit Spionage und Sabotage im Hinterland aktiv geworden. Ihr Einfluss auch in den Institutionen des Staates – musste der Leser schließen – sorgte dafür, dass in der Sowjetenzyklopädie von 1932 die Forderung nach jüdischer Assimilation kritisiert wurde. Zionistische Inspiration sah Iwanow in Klagen von Juden, diskriminiert zu werden, wenn sie nur Stellvertreterposten erhielten. Die – von Iwanow nicht ausgesprochene – Folgerung: Wenn Juden Führungspositionen anstrebten, konnte „antizionistische“ Politik nur sein, sie hier nicht zuzulassen. So war die Kampagne auch ideologische Flankierung der verschärften antijüdischen Quoten in der Kaderpolitik. Jewgeni Jewsejew, Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Nowosti, legte mit „Faschism pod goluboj swesdoj“ ein Büchlein vor, das Israel besonders in den Mittelpunkt stellte (Evgenij Evseev, Fašizm pod goluboj zvezdoj. Pravda o sovremennom sionizme: Ego ideologii, praktike, sisteme organizacii krupnoj evrejskoj buržuazii [Faschismus unter dem blauen Stern. Die Wahrheit über den aktuellen Zionismus: Über seine Ideologie, die Praxis, das Organisationssystem der jüdischen Großbourgeoisie], Moskau 1971). Von verwandten Publikationen unterschied es sich auch durch seinen Bildteil – etwa über israelische „Konzentrationslager“, in denen „Hitlers neue Ordnung“ wiedergeboren werde. Die Zionisten könnten dem Sozialismus nicht verzeihen, dass nicht sie, sondern die Sowjetarmee Millionen Juden vor der Vernichtung gerettet habe. Doch Faschismus und Zionismus seien „politische und geistige Zwillinge“ – vor allem durch Israels Genozid an den Arabern. „Gewalt, Chauvinismus, menschenverachtende Predigt des jüdischen Rassismus sind in Israel schon lange zum Kult erhoben.“ Trotz der Mythen des Zionismus gebe es die Juden nicht als Nation, sondern als Vielzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Auch die Religion konstituiere kein Volk, zumal der Judaismus nicht einmal eine Weltreligion sei, sondern – wie schon Marx und Engels erkannt hätten – vom Christentum überwunden sei. Es helfe dem Feind, wenn Autoren der jiddischen Zeitschrift „Sowjetisch Hejmland“ über Juden als „mein Volk“ schrieben. Zionistischer Einfluss zeige sich aber auch daran, dass Ilja Ehrenburg positiv über den „Zionisten“ Marc Chagall schreibe. Auch für Jewsejew war nicht Israel das Hauptproblem, sondern das „zionistische Kapital“, das Israel als „parasitären Organismus“ am Leben erhalte, dem es von den Werktätigen abgepresstes „Gold und harte Währung“ zukommen lasse. Das „riesige und mächtige Imperium der zionistischen Financiers und Industriellen“ überziehe wie ein Spinnennetz die halbe Erde. In der Mitte säßen die „schlimmsten blutsaugenden Spinnen“ wie die „kosmopolitischen“ Rothschilds, vor denen selbst Hitler sein Haupt

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gebeugt habe und die hinter Ereignissen wie 1968 in der Tschechoslowakei gestanden hätten. Die westlichen antisowjetischen Institutionen seien oft von „Millionärsfamilien jüdischer Herkunft“ finanziert. Ziel sei es, die in der UdSSR lebenden Juden zum Hass auf die Sowjetmacht und ihre Mitbürger aufzustacheln. Erfolg dieser Propaganda sei, dass es „menschliche Chamäleons“ gebe, die äußerlich friedliche Sowjetbürger seien, aber in illegalen Zirkeln Hebräisch lernten. Dass dies zu Verbrechen führe, habe der Prozess gegen die Leningrader Flugzeugentführer gezeigt. Im Dezember 1970 gab es einen – vor Ausführung vereitelten – Entführungsversuch von ausreisewilligen Juden. Diese wurden zum Tode verurteilt (ohne Vollstreckung), wobei auch viele nur am Rande Beteiligte belangt wurden. Der Prozess führte zu einer Inkriminierung aller informellen jüdischen Gruppen als „zionistische Diversanten“. Dies alles – so Jewsejew – sei Faschismus, der sich immer gleiche, ob unter dem Hakenkreuz, dem blauen Stern oder dem US-Sternenbanner. In „Sionism na slushbe antikommunisma“ stellte Wladimir Bolschakow, früherer stellvertretender Kulturminister, den Zionismus als „kapitalistisches Unternehmen“ dar (Vladimir Bol’šakov, Sionizm na službe antikommunizma [Zionismus im Dienst des Antikommunismus], Moskau 1972). Bolschakow verzichtete auf die Brandmarkung der Religion, betonte aber die Zusammenarbeit von Zionisten und Nationalsozialisten, die auf den gleichen Klassencharakter zurückgehe. Kernpunkt war die Entlarvung des „zionistischen Kapitals“ – siebzehn jüdische Familien der New Yorker Finanzaristokratie, die ihre Geschäfte in fünf großen Investmentbanken machten. Sie beherrschten weltweit die wichtigsten Unternehmen und hätten schon an der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs Riesengewinne gemacht. Nun würden sie an der US-Militärmaschinerie und an der Eskalation in Vietnam verdienen. Zwar sei bei den USWahlen der vom „zionistischen Kapital“ gestützte Kandidat unterlegen, aber dies ändere nichts an der US-Politik, da es zionistische Unterstützung immer für beide politische Lager gebe. Die jüdische Großbourgeoisie stärke ihren Einfluss über Logen wie B’nai B’rith. Zwar sei die Mehrheit der Juden in den USA damit nicht direkt verbunden, aber die zionistische Propaganda schaffe es, jedem Juden einzuflößen, er sei stets zuerst immer Jude. So kontrolliere die zionistische Weltorganisation alle Gemeinden außerhalb Israels – und versuche nun, sich als „Weltregierung“ auch die Bürger jüdischer Herkunft in den sozialistischen Staaten untertan zu machen. Die Maschine der zionistischen Einflussnahme habe das Ziel, „die Juden nicht nur nach rassischen, sondern auch beruflichen Prinzipien zu ghettoisieren, so dem Zionismus treue Kader aufzustellen, damit Zugang zu jeglicher Information zu erlangen, in jede Berufsorganisation einzudringen“. So könne es weltweit gelingen, „den Mechanismus lebenswichtiger Entscheidungen direkt oder indirekt zu beeinflussen“. Dass im Westen das „zionistische Kapital“ so wenig eingeschränkt werde, liege an seinem aktiven Antikommunismus – worunter Bolschakow Aktivitäten wie die Simon Wiesenthals verstand (der immer wieder als Hassobjekt angegriffen wurde). Dieser habe schon den Nationalsozialisten als Agent gedient und spiele nun eine besondere Rolle in der westlichen Spionage. Unter den führenden „Sowjetologen“ des Westens sei ein bedeutendes Kontingent Zionisten. Doch weltweit seien das reaktionäre Wesen des Zionismus und seine Verschmelzung mit der imperialistischen Großbourgeoisie deutlich geworden.

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Der Minsker Journalist Wladimir Begun legte mit „Polsutschaja kontrrevoljuzija“ (Vladimir Begun, Polzučaja kontrrevoljucija [Schleichende Konterrevolution], Minsk 1974) ein Büchlein vor, das stärker die „extrem reaktionäre“ jüdische Religion und ihren seit der Antike bestehenden „Chauvinismus und Rassismus“ betonte: „Die Grundideen des zionistischen Gangstertums haben ihren Anfang in den Thorarollen und den Talmudgeboten.“ In dieser Tradition verfolgten die Zionisten das Projekt eines „weltumspannenden Kahals“, in dessen Namen sie sich in die Angelegenheiten jedes Landes einmischten. Sie wollten keineswegs alle Juden in Israel versammeln, es gehe vor allem um die Stärkung der Diaspora. Daher gebe es auch keine Emigration der Juden aus den USA (dem „Weltzentrum des Zionismus“), denn dort seien sie bereits ausreichend mächtig. Begun veröffentlichte unter dem Titel „Wtorshenije bes orushija“ (Vtorženie bez oružija [Invasion ohne Waffe], Moskau 1977) seine Schrift leicht modifiziert nochmals. Auch hier fand sich eine Verurteilung des Antisemitismus. Doch in der frühen Sowjetunion habe es Propaganda gegen einen im Sozialismus unmöglichen Antisemitismus gegeben (Beguns verkappter Hinweis auf „zionistische“ Einflüsse). Bei den vorrevolutionären Pogromen müsse immer nach der Klassenzugehörigkeit gefragt werden: „Wenn der Volkszorn sich gegen die jüdischen Wucherer, Schankwirte, Fabrikanten, Kaufleute und andere Ausbeuter richtete“, war dies „Klassenhass“. Doch mit dem Gespenst des Antisemitismus als „Mittel des moralischen Terrors“ versuchten die Zionisten immer wieder ihre Ziele zu erreichen. So hätten sie in der Tschechoslowakei 1968 antisemitische Aufrufe gefälscht, um dann das „zionistische Chamäleon“ Eduard Goldstücker verteidigen zu können. Goldstücker, häufiges Hassobjekt auch anderer Autoren, wurde bereits in der Stalin-Ära verfolgt. Doch Begun und die anderen „Antizionisten“ vermieden, sich explizit auf die Ereignisse zwischen 1948 und 1953 zu beziehen. Goldstücker habe mit der Kafka-Konferenz von 1963 seine Zersetzungsarbeit begonnen. Danach hätten Bücher und Filme zu jüdischen Themen und jüdische Lieder in Radio und Fernsehen die Gesellschaft zur Loyalität zu den Zionisten führen sollen. Die „schleichende Konterrevolution“ war das Wirken der „Gangster der Feder“ – der „Zionisten“, die die Massenmedien kontrollierten. Als Beispiel für ihre verdeckte Einflussnahme griff Begun auf Klischees der Schwarzhunderter zurück: Zar Nikolaus II. sei von jüdischen Kapitalisten manipuliert worden, die sich durch die Einschaltung Rasputins den Aufkauf von ihnen unangenehmen Zeitungen genehmigen ließen. Eine angemessene Gegenwehr auf derartige Unterwanderung fand Begun bei Idi Amin, dessen Erklärungen er zustimmend zitierte, man habe alle Israelis aus Uganda ausweisen müssen, um ihre Machtübernahme zu verhindern. Hier spiegelte sich die sowjetische Afrikapolitik, zu der die Gleichsetzung von Israel und Südafrika als Hauptfeinden der Entwicklungsländer gehörte, aber auch die von der Sowjetunion forcierte Verdammung des Zionismus als Rassismus durch die Vereinten Nationen 1975. Für die Enthüllung der Hauptziele des Zionismus („Vernichtung des sozialistischen Systems und Erringung der Weltherrschaft“) wurde Begun in einer Rezension durch Waleri Jemeljanow hochgelobt (Valerij Emel’janov, Sionizm bez maski [Zionismus ohne Maske], in: Naš Sovremennik 23 (1978), Nr. 8, S. 188–190). Jemeljanow, wohl extremster der „Antizionisten“, schaffte es danach kaum mehr, seine Ansichten bei

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staatlichen Verlagen zu publizieren. Er musste sich auf Vorträge oder auf unaufgeforderte Memoranden an das ZK beschränken. Dort fand der dürftig kaschierte Antisemitismus nicht nur Zustimmung. Öffentliche Kritik daran, wie sie „Sowjetisch Hejmland“ gewagt hatte, galt aber als schlimmeres Vergehen als die „falschen Ansichten“ der „Antizionisten“. Inoffiziell gab es mehrfach Einwände gegen die antisemitischen Konstrukte. Ein solches kritisches Memorandum von 1977 wurde von dem Leningrader Orientalisten Lew Kornejew mitunterzeichnet. Doch dessen „Klassowaja suschtschnost sionisma“ argumentierte noch offener antisemitisch als die Vorgänger (Lev Korneev, Klassovaja suščnost' sionizma [Klassencharakter des Zionismus], Kiev 1982). Für Kornejew diente „Zionismus“ der jüdischen „Plutokratie“, die die Kluft zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht mit einem „Hegemoniezentrum“ überwinden wolle, um aus diesem die Juden in der Diaspora zu kontrollieren. Es sei nie darum gegangen, eine „‚Zuflucht’ für ‚verfolgte’“ Juden zu bieten. Antisemitismus habe seinen Hauptgrund in der „Ausbeutung der angestammten Bevölkerung eines Lebensraums“ durch die jüdische Bourgeoisie. Schon das „überhebliche oder rassistische Verhalten der jüdischen bürgerlichen Intelligenz“ sei Grund für die Empörung der „nationalen Intelligenz“. Antisemitismus gebe es heute nur in den Ländern des Kapitals, aber auch dort rechtfertigte ihn Kornejew als „Reaktion auf die rücksichtslose Expansion des Zionismus“. Schon Henry Ford – selbst „zu Unrecht des Antisemitismus beschuldigt“ – schreibe, dass jedes Ansprechen der jüdischen Frage diffamiert werde. Ausführlich referierte Kornejew Marx’ Abhandlung → „Zur Judenfrage“, übernahm deren Qualifizierung der bürgerlichen Ökonomie als „praktisches Judentum“, verwendete oft das deutsche Wort „Judentum“ zur Kennzeichnung der „jüdischen Oberschicht“. Dieser setzte er zwar die große Zahl der verarmten Juden des zaristischen Ansiedlungsrayons entgegen. Doch diese seien meist keine Proletarier gewesen, sondern hätten Kapital besessen: „Unter Millionen von Juden hielt dies den Geist des Unternehmertums, der Privatinitiative, der kapitalistischen Ideologie aufrecht.“ So habe die jüdische Intelligenz mehrheitlich den „russophoben“ Bund, die Zionisten und andere reaktionäre Kräfte gegen Sowjet-Russland unterstützt. Die Hauptrichtung der zionistischen Subversion in den 1920er und 1930er Jahren sei jedoch das Eindringen in die Partei und die Sowjetorgane gewesen. Kornejew erweiterte das „Nazis und Zionisten“-Thema um die Revision der Opferzahlen: Es könnten nicht 70 Prozent der Juden der 1941 besetzten Gebiete ermordet worden sein. Die Sowjetmacht habe Rettungsmaßnahmen für die Juden eingeleitet, so habe deren „überwältigende Mehrheit“ überlebt. Die Zionisten verschwiegen, dass andere Völker ebenso litten, und „erhöhen (bis zu sechs Millionen) die Zahl der im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Juden erheblich“. Die Verantwortung für den Genozid an Slawen, Juden und Zigeunern liege auch bei der jüdischen Bourgeoisie. Diese habe gewollt, dass nur Reiche und Junge nach Palästina kommen und die Vernichtung „hunderttausender nichtzionistischer Juden“ geplant. Heute wollten die jüdischen Kapitalisten weiterhin ihre „rassische Absonderung“ erhalten. Sie müssten ihre Macht oft tarnen, so seien von 200 transnationalen Konzernen offen nur 10 von jüdischen Bankiers kontrolliert. Doch stehe die „prozionistische Bourgeoisie“ hinter 158

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der 165 größten Rüstungskonzerne der Welt. Zionisten gehörten zu den Hauptfeinden der Entspannung: „Die Strategen der zionistischen Expansion sind sich sicher, dass ein neuer Weltkrieg die Verwirklichung ihrer Ziele auf einem von der nuklearen Apokalypse demoralisierten Planeten beschleunigt.“ Bei Kornejew findet sich schließlich unverhüllt die Ideologie der Pamjat-Bewegung: Durch die „Übertreibung negativer Erscheinungen in der Nationalgeschichte und die Zerstörung oder ‚Modernisierung’ nationaler Baudenkmäler“ unterminiere die „zionistische Agentur“ den Patriotismus im Volk, betreibe ihre ideologische Diversion getarnt als Kampf gegen Chauvinismus und Nationalismus und propagiere „Russophobie“ (dies war im Gleichklang mit Schafarewitschs → „Russofobija“). Damit hatte der offizielle sowjetische staatliche „Antizionismus“ wohl den Gipfel erreicht. Unter Breschnews Nachfolger Antropow kam es nach 1982 zu einer Einschränkung der nationalistischen Kräfte. Ein „Antizionistisches Komitee der Sowjetischen Öffentlichkeit“ umfasste jüdische Mitglieder, die berüchtigten „Antizionisten“ wurden in den Hintergrund gedrängt. Die Propaganda des Komitees stellte Israels Politik (auf einseitige Weise und sie weiterhin als „faschistisch“ attackierend) in den Vordergrund. Insgesamt blieb die sowjetische „antizionistische“ Publikationsflut die massivste antisemitische Kampagne in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch geht sie nicht völlig im Antisemitismus auf. Dieser wurde dem „Zionismus“ als ebenbürtige Spielart von Chauvinismus und Rassismus an die Seite gestellt. Das ging nur, wenn man ihn ablehnte – und sei es, um ihn verständnisvoll zu rechtfertigen oder seine Opfer für ihn verantwortlich zu machen. Der sowjetische „Antizionismus“ zerfällt in drei Aspekte von unterschiedlicher Nähe zum Antisemitismus: Es gab ein echt antizionistisches Moment, das auf Lenins Postulat zurückging, dass die Juden sich assimilieren oder im reaktionären Nationalismus verharren könnten. Daran anzuknüpfen, musste nicht notwendig antisemitisch sein, und nicht jedes von den sowjetischen Propagandisten vorgebrachte Argument war es. Doch auch die genuine sowjetische Zionismus-Verurteilung war totalitäre Propaganda – sie verzerrte, verschwieg oder fingierte Fakten. Die Übergänge zu antisemitischen Klischees blieben fließend. Die Juden der Sowjetunion wurden hier nicht pauschal als Feinde gesehen, aber als anfällig für feindliche Propaganda. Sie sollten durch die negative Darstellung des Zionismus ermahnt und von Emigrationswünschen abgebracht werden – wobei das Gegenteil eintrat. Dafür sorgte schon der zweite Aspekt: Hier ging es nicht um das jüdische Staatsprojekt – dieses wurde nur als Mittel zur Machtsteigerung des „zionistischen Kapitals“ gedeutet. Während der sowjetische Antizionismus axiomatisch festsetzte, dass es keine länderübergreifende jüdische Gemeinschaft gebe, konstruierte der „Antizionismus“ gerade einen weltweiten unauflöslichen Zusammenhalt – aller „Bourgeois“ jüdischer Herkunft. Dies macht den Kern der Publikationen von Iwanow bis Kornejew aus. Ihr an einen manichäischen „Antiimperialismus“ anknüpfendes Konzept war durchdrungen vom antisemitischen Erbe, und sie machten dort unverhüllte Anleihen. Die Juden der Sowjetunion standen im Verdacht, sich dem „zionistischen Weltkonzern“ unterordnen zu wollen, weshalb dieses Element der Kampagne auf ihre massive Einschüchterung zielte.

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Schließlich hatte der „Antizionismus“ die sowjetische jüdische Intelligenzija im Visier. Seit 1917 gab es die Klage nationalistischer Kräfte im Inneren, dass die Juden „überrepräsentiert“ seien und eine Führungsrolle innehätten, die sie – als Fremde und eingefleischte Internationalisten – zum Schaden der russischen Nation ausübten. Hier war „Antizionismus“ ein kultureller Code, der eine Teilkritik am System verschlüsselte, die in einer virtuellen „Russischen Partei“ innerhalb der KPdSU weite Verbreitung fand. Dazu gehörte die (verhüllte) Forderung, den Einfluss der „Zionisten“ durch Reduktion des jüdischen Anteils an der Bildungs- und Machtelite zu brechen. Die antisemitische Kritik an den internationalistischen Konzepten des Kommunismus und des globalisierten Kapitalismus wurde zum Erbe des Sowjet-„Antizionismus“. Es wurde seit den 1980er Jahren von Strömungen wie Pamjat und von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation weitergetragen, ohne dass tiefgreifende Modifikationen notwendig waren.

Matthias Vetter

Literatur Jonathan Frankel, The Soviet Regime and Anti-Zionism. An Analysis, in: Yaacov Ro’i und Avi Beker (Hrsg.), Jewish Culture and Identity in the Soviet Union, New York, London 1991, S. 310–354. Theodore Freedman (Hrsg.), Anti-Semitism in the Soviet Union. Its Roots and Consequences, New York 1984. Nikolaj Mitrochin, Russkaja Partija. Dviženie russkich nacionalistov v SSSR. 1953–1985 gody [Die Russische Partei. Die Bewegung der russischen Nationalisten in der UdSSR. 1953–1985], Moskau 2003. Boris Morozov (Hrsg.), Documents on Soviet Jewish Emigration, London, Portland 1999.

Sozialdemokratie und Antisemitismus (August Bebel, 1894) Im Oktober 1893 hielt der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, August Bebel, auf dem Kölner Parteitag eine für die künftige Haltung der Sozialdemokratie gegenüber dem politischen Antisemitismus richtungsweisende Rede. Zunächst 1894 mit einem, 1906 mit einem weiteren Nachtrag versehen, erschien die Rede Bebels als Broschüre im Berliner Verlag der Expedition des „Vorwärts“. Die in der Rede zum Ausdruck gebrachte Formel, kapitalistische Ausbeutung sei kein genuin jüdisches Interesse, sondern liege in der Struktur der bürgerlichen Gesellschaft begründet, wurde zur verbindlichen Haltung der klassischen Sozialdemokratie und erreichte – anders als etwa Marx’ Frühschrift → „Zur Judenfrage“ – ein breites sozialdemokratisches Spektrum. Bereits auf dem Berliner Parteitag 1892 wollte Bebel seine Position zu einer verpflichtenden Resolution zusammenfassen, konnte sich aber der Zustimmung der Delegierten nicht sicher sein. Deshalb hielt Bebel sein Referat ein Jahr später erneut in Köln, ließ das Thema ausführlich verhandeln und die Resolution verabschieden. „Der einseitige Kampf des Antisemitismus gegen das jüdische Ausbeuterthum“, so der Wortlaut der Resolution, „muß nothwendig erfolglos sein, weil die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen keine speziell jüdische, sondern eine der bürgerlichen Gesellschaft eigenthümliche Erwerbsform ist, die erst mit dem Untergang der bürger-

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lichen Gesellschaft endigt.“ Mithilfe einer detaillierten Analyse der sozialen Zusammensetzung des organisierten Antisemitismus versucht Bebel, soziale und psychologische Erklärungsmuster für den Erfolg des Antisemitismus zu liefern. Entscheidende Ursache für die Zunahme der Bewegung seien die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise von 1873 sowie ein fehlendes Bewusstsein der Bevölkerung über die strukturellen Ursachen der Wirtschaftskrise. Dies führe zu verkürzten und vereinfachenden Erklärungen, die die von Existenzängsten bedrohten Menschen in die Arme der Antisemiten trieben. Denn in wirtschaftlichen Krisenzeiten zögen Juden den Hass derjenigen auf sich, die sich von den wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen bedroht fühlten. Dies seien in erster Linie Kleinbauern, Kleingewerbetreibende, Beamte und Studenten. Aber auch im preußischen Kleinadel, der durch zu hohe Ausgaben zur Aufnahme von Schulden gezwungen sei, sei der Antisemitismus anschlussfähig. Durch den Aufstieg einzelner Juden ins Großbürgertum sähen die Junker ihre Privilegien bedroht. Allerdings zeigt die Entstehungsgeschichte der Broschüre, dass der politische Antisemitismus zwar durchweg abgelehnt wurde, antisemitische Vorurteile innerhalb der SPD aber weiterhin Geltungsanspruch behaupten konnten. So gipfelt Bebels Darstellung jüdischer Kapitalinteressen in seiner Rede in der Darstellung des „Wuchers jüdischer Geldverleiher“ und des Juden als „Schacherer“. Bebel versucht, die antijüdischen Argumente des politischen Antisemitismus deshalb nicht konsequent zu widerlegen, da er zwar dessen Ansatz zur Lösung gesellschaftlicher Probleme für falsch hält, nicht aber die Identifikation von Juden und bestimmten kapitalistischen Praxen. Im Nachtrag der Broschüre von 1894 scheinen jedoch Bedenken Bebels oder der Herausgeber durch, denn hier wird nun der Versuch unternommen, die in Bebels Referat noch reproduzierten Vorurteile durch statistische Daten über den Anteil von Juden am Verbrechen zu widerlegen. Der zweite Nachtrag in der Ausgabe von 1906 nimmt Bezug auf die aktuellen antijüdischen Pogrome in Russland. Als Ursache für den sich entladenden Hass wird die exponierte Stellung der Juden im Handel und im Finanzwesen genannt. Allerdings, so wird herausgestellt, begünstige die russische Regierung die Judenfeindschaft, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Im Anschluss an Friedrich Engels, der in seinem Aufsatz → „Über den Antisemitismus“ die These vertrat, der Antisemitismus sei Ausdruck des Festhaltens an einem überkommenen Gesellschaftssystem, schlussfolgert Bebel im zweiten Nachtrag, „der Antisemitismus, der nach seinem Wesen nur auf die niedrigsten Triebe und Instinkte einer rückständigen Gesellschaftsschicht sich stützen kann“, präsentiere „die moralische Verlumpung der ihm anhängenden Schichten“.

Arnon Hampe

Literatur Lars Fischer, The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany, Cambridge 2007. Kurt Koszyk, Sozialdemokratie und Antisemitismus zur Zeit der Dreyfus-Affäre, in: Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien und religiös-kulturelle Traditionen, hrsg. von Ludger Heid und Arnold Paucker, Tübingen 1992, S. 59–78. Rosemarie Leuschen-Seppel, Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich, Bonn 1978.

SS-Leithefte (1935–1944)

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SS-Leithefte (1935–1944) Die „SS-Leithefte“ übten eine Funktion als reichsweites, zentrales internes Führungsorgan der SS aus. Die Publikation war als „weltanschauliches Bulletin der SS und zugleich als praktische Handreichung für die Schulungsleiter bei den SS-Einheiten konzipiert“ (Isabel Heinemann) und nur leihweise zur Überlassung an andere Personen gestattet. Bereits im Dezember 1934 hatte das Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) der SS mit der Erstellung von „Schulungsbriefen“ zur Instruktion seiner Schulungsleiter begonnen. Das erste professionell gestaltete „SS-Leitheft“ erschien als Nr. 6 im Dezember 1935. Als Herausgeber wurde „Der Reichsführer SS“ genannt. Dies war kein rein formaler Akt, Himmler hat sich nachweislich die Konzeption und Gestaltung einzelner Leithefte detailliert zur Genehmigung vorlegen lassen. 1938 erfolgte eine organisatorische Veränderung: Das „Schulungsamt“ wurde aus dem RuSHA herausgelöst und in das SS-Hauptamt überführt. Eine ideologische Zäsur bedeutete dies für die „SS-Leithefte“ nicht. Die Postadresse der Redaktion wurde nach 1938 mit „Berlin W 35, Lützowstraße 48/49“ angegeben, Bestellungen, Zahlungen und die Auslieferung erfolgten über den SS-Druckschriftenversand, „Berlin SW 68, Wilhelmstraße 122“. Die „SS-Leithefte“ erschienen im Format DIN A5. Ihr Layout kombinierte zeitschriftentypische Elemente (u. a. Fotos und Zeichnungen) mit den Anforderungen einer Schulungsbroschüre. Die Leithefte erschienen monatlich, kosteten 40 Pfennige, Sondernummern ergänzten den normalen Erscheinungsrhythmus. Seit Kriegsbeginn wurden die „Kriegsausgaben“ der Leithefte (in gekürzter Form oder mit mehreren Nummern) an die Verbände der Waffen-SS in deren Einsatzgebiete geschickt. Das letzte „SS-Leitheft“ erschien im Oktober 1944. Eine wichtige Funktionserweiterung war ab 1937 mit der Unterstellung der gesamten deutschen Polizei unter den Oberbefehl Heinrich Himmlers verbunden. Durch die nun empfundene Notwendigkeit, etwa 200.000 Polizisten (Ordnungspolizei, Kripound Gestapobeamte) im Sinne der SS politisch zu „schulen“ und „aufzuklären“, erweiterte sich die Auflage und Reichweite der „SS-Leithefte“ beträchtlich. Als „Germanische Leithefte“ erschienen während des Zweiten Weltkrieges u. a. Versionen für Angehörige entsprechender SS-Einheiten in Niederländisch, Flämisch und Norwegisch. Versuchten die Leithefte im Formalen auch modern zu erscheinen, zeigte sich im programmatischen Auftreten ein pathetisches, traditionell anmutendes Genre. Ganzseitige, kalligraphisch gesetzte Kurzzitate führender Nationalsozialisten (Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Himmler) und ideologisch SS-kompatibler „großer Deutscher“ (z. B. Friedrich der Große, Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Nietzsche, Heinrich von Treitschke) dienten nicht zuletzt auch der emotionalen Beeinflussung im rassistischen und antisemitischen Sinne. Dem gleichen Zweck entsprachen Gedichte und Lieder, in denen die quasi religiösen Ambitionen des „Ordens unter dem Totenkopf“ ästhetisch bedient wurden. In jeder Ausgabe wurde ein ideologisches Schwerpunktthema behandelt. Die immer wiederkehrenden Themen entsprachen den Essentials der SS-Ideologie, wie beispielhaft schon die Leithefte des Jahres 1936 zeigen: „Blutsgedanke“, „Bauerntum“ sollten die in den Leitheften angestrebten ideellen Grundlagen beleuchten, während auf der anderen Seite die Auseinanderset-

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zung mit wichtigen Feindgruppen des Nationalsozialismus und deren angeblicher Weltanschauung („Judentum“, „Freimaurerei“ und „Bolschewismus“) erfolgte. Neben der ideologischen und emotionalen Ausrichtung erfüllten die „SS-Leithefte“ auch eine Funktion als praktisches Anleitungs- und Beratungsorgan der SS- und Polizeiangehörigen („Aus der Praxis des Sippenamtes“, „Gattenwahl des SS-Mannes“). Fotos und Illustrationen bedienten die Stereotypen der nationalsozialistischen Ideologie sowie ihrer Ästhetik: Auf der einen Seite stand „deutsche Landschaft“, als Heimat idyllisch präsentiert; Fischer, Bauern, Handwerker, „Arier“ als kernige Repräsentanten der deutschen „Volksgemeinschaft“, blonde und blauäugige Kinder sowie „fesche“ blonde Frauen. Ihnen entgegengesetzt wurden, bei Bedarf, die typischen Feindbilder der SS: Juden, Bolschewisten etc. Der SD versorgte die „SS-Leithefte“ aus seiner Verfolgungstätigkeit mit dem gewünschten Material. Beispielhaft wird die Lenkungsfunktion der „SS-Leithefte“ in einem antisemitischen Artikel deutlich, der nach dem Überfall auf die Sowjetunion erschien. Der Beitrag unter der Überschrift „Die Seuche der Völker/zum 22. Juni 1941“ endet mit einer programmatischen Ausrichtung auf den bevorstehenden Judenmord: „Jetzt wird die ewige Weltseuche ausgerottet.“

Bernward Dörner

Literatur Isabel Heinemann, „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003. Jürgen Matthäus, Konrad Kwiet, Jürgen Förster, Richard Breitman, Ausbildungsziel Judenmord? „Weltanschauliche Erziehung“ von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der „Endlösung“, Frankfurt am Main 2003.

Staats- und Gesellschaftslexikon (1859–1867) Ein Hauptinstrument des Politikers und Publizisten Hermann Wagener zur Verbreitung seiner sozialkonservativen Positionen war das 23-bändige „Konversations- und Staatslexikon", das er von 1858 bis 1867 herausgab – ein Werk mit über 18.000 Seiten, das dem liberalen Staatslexikon von Rotteck und Welcker konservative Definitionen entgegensetzen sollte. Namhafte Mitarbeiter waren Johann Carl Glaser, Wilhelm Kosegarten, Heinrich Leo, George Hesekiel, Louis Schneider und Wilhelm Heinrich Riehl. Wagener fungierte in erster Linie als Herausgeber, leitende Redakteure waren Bruno Bauer und Hermann Keipp. Das Lexikon positionierte sich antisemitisch in zentralen Artikeln zur „Judenfrage“, aber auch in zahlreichen Einträgen, die nicht direkt einschlägig waren. Rezipienten wurden sowohl beim Zugriff auf Artikel des Themenfeldes wie auch bei der allgemeinen Nutzung des Lexikons beeinflusst. In repräsentativem, enzyklopädischem Rahmen, dem der Form nach hohe Glaubwürdigkeit beigemessen wurde, und im Rahmen eines Projekts, das zur Sammlung von Anhängern, zur Integration der Partei und als rhetorisches Debattenarsenal von zentraler Bedeutung sein sollte, verbreitete das Lexikon antisemitische Positionen, die das politische Bewusstsein und argumentative Verhalten der Konservativen formen und den Prozess der Gruppenkonstitution durch das Gegenbild des „liberalen Juden“ bzw. „jüdischen Liberalen“ unterstützen sollten.

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Das Lexikon räumte der Erörterung der „Judenfrage“ weiten Raum ein, vor allem in den Bänden IV bis XVI, die zwischen 1860 und 1864 erschienen. Judenfeinde wie Eisenmenger, Grattenauer, Ernst Brandes, Brunner, Fries, Ludolf Holst, Paulus oder Adolf Friedrich Karl Streckfuss erhielten eigene Artikel. Passagenweise bot das Lexikon Kompilationen der älteren und zeitgenössischen deutschsprachigen judenfeindlichen Literatur. Juden wurden im Lexikon durchgehend als Rasse aufgefasst. Das Wachstum der jüdischen Reformbewegung, die Assimilationsbereitschaft und die liberale Politik der Neuen Ära machten es Konservativen zunehmend unmöglich, den Ausschluss der Juden allein religiös zu rechtfertigen. Im Reflex darauf griffen sie zu rassen- und verschwörungstheoretischen Begründungen, um der Ablehnung der Emanzipation neue Grundsätzlichkeit zu verleihen und die Vorstellung der Ungleichheit mit ihren gesamtgesellschaftlich antiliberalen Implikationen aufrechtzuerhalten. Die Unveränderlichkeit der Rassen sowie die Superiorität der „kaukasischen“, weißen Rasse waren für das Lexikon Axiome. Der zentrale Artikel „Race“ umfasste 39 Seiten und lieferte eine Hierarchisierung, gestaffelt nach Kubikzoll des Schädelinhalts. Juden galten dem Lexikon als „weiße Neger“. Mit dem Argument der „rassischen“ Andersartigkeit der Juden begründete das Lexikon ihre Fremdheit, nationale Nichtintegrierbarkeit sowie staatsbürgerliche Nichteignung. Einige Autoren forderten, Juden generell von politischen Rechten auszuschließen oder die freie Religionsausübung zu beschränken. Mit der „Race“ sollte auch die Gemeinschädlichkeit der Juden auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet belegt werden. Mit dem Argument, Juden seien aufgrund der „körperlichen Mangelhaftigkeit“ ihrer „Race“ arbeitsscheu und untüchtig und hätten keinen Anteil am gemeinschaftlich Produzierten, wurden sie aus der nationalen „Wir-Gruppe“ und der von Sozialkonservativen propagierten arbeitsethisch-solidarischen „Volks-Gemeinschaft“ ausgeschlossen. Sozio-historische Gründe für die geringe Repräsentanz von Juden in bestimmten Berufsgruppen wurden explizit verworfen. Ihr ausschließliches Geldinteresse, ihre Asozialität und ihr Desinteresse an den Belangen der nationalen Mehrheit mache sie ungeeignet zur Übernahme von Ämtern. Eine Verknüpfung von Antisemitismus und Antiliberalismus zog sich durch das gesamte Werk: Die wesenhafte Übereinstimmung von Liberalismus und Judentum „im Materialismus der Staats- und Weltanschauung“ begründe ihre politisch-soziale Allianz. Dem Egoismus, der Geldgier und dem ausbeuterisch-parasitären Verhalten der Juden biete die liberal-kapitalistische, bürgerliche Gesellschaftsordnung optimale Bedingungen. Die Entstehung der Sozialen Frage wurde so als Resultat des übermäßigen Gewinnstrebens jüdischer und liberaler Bevölkerungsgruppen vorgestellt, die im Gegensatz zur nationalen Volksgemeinschaft stünden. Hiermit verknüpft, charakterisierte das Lexikon Juden als Schädlinge, Parasiten und Krankheitserreger. „Jüdisch“ zu sein, hieß für das Lexikon, „antideutsch“ zu sein. Juden wurde vorgeworfen, das nationale Kollektiv zu zerstören, um eine „Judenherrschaft“ zu errichten. Immer wurden sie als Täter geschildert, mit einer „angebornen Lust“ an „roher Gewaltsamkeit“ und „reiner Gewaltherrschaft“. Wiederholt verbreitete es die Vorstellung eines Kampfes oder Krieges, in dem sich „das Judentum“ gegen die nationale Gemeinschaft befände, oder die Verschwörungs-

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theorie einer drohenden „(Welt-)Herrschaft“ der Juden, die es abzuwenden gelte. Auf dieser Basis behauptete das Lexikon, Juden trügen selbst Schuld an etwaiger Verfolgung, insbesondere, wenn bereits ihre Gleichberechtigung mit einer „Judenherrschaft“ gleichgesetzt wurde. In diesem Argument vollendet sich eine Verkehrung, die die nationale „Wir“-Gruppe als Opfer jüdischer Täter vorstellt und Antisemitismus zur gerechten Gegenwehr erhebt. Pogrome galten entsprechend als Zeichen der „Volkswuth“. Das Lexikon forderte auf dieser Basis nicht allein die Rücknahme der bisherigen Emanzipationsschritte, es schuf eine diffuse Lösungserwartung für die als virulent und bedrohlich gezeichneten, von Juden verursachten Probleme. Konkrete Lösungsszenarien, wie mit der als nicht integrierbar, aber gefährlich beschriebenen Gruppe umzugehen sei, wurden nicht entworfen. Ihre Charakterisierung rief jedoch förmlich dazu auf, Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Der Artikel „Judenthum, das in der Gegenwart“ forderte, die Zahl der Juden zu verringern, notfalls durch ihre Vertreibung.

Henning Albrecht

Literatur Henning Albrecht, Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855–1873, Paderborn u. a. 2010. Oliver Cnyrim, Aspekte eines konservativen Weltbilds. Hermann Wageners Staats- und Gesellschaftslexikon (1858/9–1867), Ludwigshafen 2005.

Staatsbriefe (1990–2001) Von Dr. Hans Dietrich Sander gegründet und herausgegeben, erschienen die „Staatsbriefe“ monatlich von 1990 bis 2001 im Castel del Monte Verlag in München. Die zweispaltig eng bedruckten Hefte hatten einen Umfang von 42 Seiten, im Sommer erschien ein Doppelheft. Die Monatsschrift startete mit 500 Abonnenten. Nach drei Jahren war die Zahl von 1.000 Abonnenten noch nicht erreicht, danach sank die Auflage langsam, zuletzt auf unter 800 Abonnenten. Nur dank unbekannter Spender konnten zwölf Jahrgänge regelmäßig erscheinen. Die Titelgestaltung mit dem achteckigen Grundriss des apulischen Schlosses Castel del Monte blieb über die Jahre unverändert. Auf der ersten und letzen Seite wandte sich der Herausgeber direkt an seine Leser, auf einige längere Artikel folgten feste Rubriken mit Kontroversen, Glossen und Buchbesprechungen. Sander erlernte sein journalistisches Handwerk bei der Tageszeitung „Die Welt“, und publizistische Erfahrung sammelte er als Chefredakteur der altrechten → „Deutschen Monatshefte“. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der Blockkonfrontation glaubte Sander den Zeitpunkt gekommen, der „Reichsidee“ – ohne die kein deutscher Staat lebensfähig sei –, eine kräftige Stimme geben zu können. Umso größer war seine Enttäuschung, als alle Hoffnung auf die Wiederbelebung des „Reichs“ in der Mitte Europas zerstoben. Von keiner politisch relevanten Kraft aufgegriffen, wurde die „aussichtsreiche Lage nicht national bereinigt“. Sanders Leitfigur war der Staufer Friedrich II. (Kaiser von 1220 bis 1250), der den deutschen Reichsgedanken verkörpere und den Geist und die Kraft besessen habe, die heute fehlten, um die Einheit und die Macht des Reiches wiederherzustellen. Die

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Deutschen seien nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs tief gesunken. Unter dem Druck der alliierten Sieger hätten sie ihre eigene Art aufgegeben. Die politische Form, das Reich, das ihnen immer gemäß war, sei ihnen heute nur noch Gegenstand für Hohn und Spott. Die freie Verfügbarkeit historischen Wissens ermöglicht Sander eine montageartige Legitimationsfigur, in der verschiedene historische Rückbezüge in einen einheitlichen Sinnzusammenhang überführt sind. Im Staufer-Mythos vollzieht sich diese Neudefinition in sichtbarster Weise. Sander bezieht sich nicht mehr auf eine konkrete historische Leit- und Identifikationsfigur, sondern zitiert und usurpiert auf der Basis seiner reichen historischen Kenntnisse eine Tradition, die einerseits die Maßstäbe zur Verurteilung der schäbigen Gegenwart liefert und andererseits zur Herrschaftslegitimierung benutzt werden kann. Die Konstruktion einer Tradition bedeutet hier: Nachweis der Führungsbefugnis. Totalität der Anregungen und der Synkretismus der Ideen sind die Grundlagen. Gleichsam alle historischen Zitate sind versammelt: das mystische Reich, das hochmittelalterliche Kaisertum, der deutsche Geniekult, romantische Schwärmerei für das Tiefe, Dunkle und Irrationale. Die Kenntnis dieser Geschichtskonstruktion wird als entscheidende Voraussetzung für die Gestaltung der Zukunft betrachtet. Die Geister der Vergangenheit werden beschworen, ihnen Namen, Reiche, Konzepte entlehnt, um in dieser Verkleidung und mit erborgten Ideen die Gegenwart und die Zukunft zu meistern. Die gegenwärtige Situation wurde mittels Deduktion aus grundlegenden Gesetzen geschichtlicher Entwicklung definiert. Wie immer bei ideologisch motiviertem Sprechen und Handeln bezog auch diese Publikation ihre Maximen aus weltanschaulichen Prämissen. Die Diskurstechniken sorgten dafür, dass sich die Sichtweise grundsätzlich in den ideologisch diktierten Bahnen bewegte. Die Texte produzierten eine Wahrheit, die ihre Rezipienten überzeugte: Die Feinde Deutschlands würden auch weiterhin die Deutschen moralisch unterdrücken und finanziell ausbeuten. Das Unrecht habe nicht im Mai 1945 geendet, sondern hier erst seinen Anfang genommen. Folglich sah diese Geisteshaltung in den grundlegenden politischen Entscheidungen Nachkriegsdeutschlands fast ausnahmslos alle ihre Ängste wahr werden. Wer eine Weltsicht gegen einen radikal konzipierten Feind vertritt, mit dem es keinen Frieden geben kann, dessen politische Option kann gar nicht anders lauten als „Sieg oder Untergang“. Daher rührt dann auch der katastrophisch-apokalyptische Zug dieser Zeitschrift. Die Formation der Diskurse, die Produktion rein nationalistisch ausgerichteter Realitätswahrnehmung, machte eine systematische Analyse der Gegenwart zugleich unnötig und unmöglich. Vielmehr war die Diskursformation die Voraussetzung, Informationen und Nachrichten willkürlich als Versatzstücke zur Wiederholung einer auf der Grundlage nur weniger Orientierungsmarken gefassten extremen und rigiden Weltsicht zu benutzen und diese auf ihre Leser zu übertragen. Die Staatsbriefe und artverwandte Medien leisten einer ideologischen Selbststimulierung Vorschub, einer Abwendung von der Realität, in der jeder Selbstbetrug immer wieder das Bild einer düsteren Außenwelt bestätigt. Sander wollte intellektuelle Impulse geben, um das politische Trauma der Deutschen aufzulösen. Er wollte gleichzeitig Breitenwirkung und Elitenbildung. Sein Pro-

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minentenstatus führte ihn auf Vortragsreisen, gern zu Burschenschaften, um die studentische Generation zu erreichen. Zu regionalen Lesertreffen wurde nicht ausdrücklich geworben, folglich eine relevante Öffentlichkeit auch nicht erreicht. Die Ausformung der Themen richtete sich nicht an einen größeren Rezipientenkreis, denn die historischen Anspielungen und versteckten Zitate konnten nur von gebildeten, belesenen Kennern verstanden werden. Es wurde kein Versuch unternommen, die politische Propaganda zu verändern, um mit neuen Methoden einen größeren Leserkreis anzusprechen. Die Programmatik verhinderte die Anpassung an wechselnde politische Notwendigkeiten und Umstände. Zur Kehrseite dieses elitären Anspruchs gehörte die Intellektuellen- und Publikumsbeschimpfung. Potenzielle Autoren, auf deren Mitarbeit er gehofft hatte, seien zu feige gewesen, in seinem rechtslastigen Blatt zu publizieren, und die Leser aus dem nationalen Lager seien durch ihre bisherigen Blätter auf ein anspruchsloses geistiges Niveau gesunken. Über Pläne zur nationalen Revolution, die in Hinterzimmern von Wirtshäusern von politischen Sektierern ausgeheckt wurden, machte er sich in Interviews klug und mit viel Ironie lustig. Die Neue Rechte kritisierte Sander, er sei von der Wiederherstellung des versunkenen mittelalterlichen Reiches besessen. Der verschrobene Herausgeber der „Staatsbriefe“ schwärmte von Adelsherrschaft, Gefolgschaft, Treue, Geblütsheiligkeit, Königsheil und von elitären Geheimbünden. Allerdings gab es zwischen den Blättern des rechten Spektrums zahlreiche Querverbindungen der Autoren, der Leser, der Themen und der Meinungen. Dies schloss Deutungskonkurrenz, parteipolitische Gegnerschaft und persönliche Animositäten nicht aus. Zu seinen Hausgöttern zählten Hans Zehrer von „Die Tat“, der Publizist Armin Mohler und der Erlanger Historiker Hellmut Diwald. Mit seinen Zweifeln an der Demokratie knüpft er an die Demokratiekritik der 1920er Jahre an. Demokratie sei zerrissen in Parteienherrschaft, bei der Lösung nationaler Probleme weniger effizient als der starke Staat der Eliten. Demokratie als Lebensform unter Einschluss sozialer Rechte und Teilhabe, findet sich hier ebenso wenig wie die Wertschätzung des Individuums mit seinen Menschen- und Freiheitsrechten. Die Texte sind durchsetzt von ressentimentgeladenen Andeutungen gegen die Westmächte und die Re-Education der alten Bundesrepublik. Dabei fällt das Wort vom „moralischen Genozid“. Der westliche Liberalismus habe zu geistiger Verflachung und zu Egoismus geführt. Der Kreis der Autoren blieb über die Jahre hinweg relativ klein. Regelmäßig mit mehreren Beiträgen vertreten war der Herausgeber, dann folgte der Russlandexperte der extremen Rechten Wolfgang Strauss sowie Günter Maschke, Andreas Mölzer aus Österreich, der Macher von „Nation & Europa“ Karl Richter und etliche andere, die später bei der NPD in Erscheinung traten, Arne Schimmer, Jürgen Schwab. Der Stammautor Reinhold Oberlercher veröffentlichte 1992 einen „Reichsverfassungsentwurf“ in den „Staatsbriefen“. Der NPD-Barde Jörg Hähnel steuerte einmal ein „Kampfgedicht“ bei, und Germar Rudolf erklärte dem Leser die „Ursachen der Judenfeindschaft“. In den ersten beiden Jahrgängen berichtete Salcia Landmann aus Israel und ließ Beiträge zum jüdischen Witz drucken. Gegen soviel Pluralismus meldete sich Michael Kühnen auf dem „Turnierplatz der freien Disputation“ zu Wort und erinnerte daran,

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dass Reichspolitik auf rassenbiologischer Erkenntnis zu fundieren sei. An diesem Punkt mochte Sander Michael Kühnen nicht folgen, denn Politik sei kein Spielraum der Natur, sondern ein Schauplatz der Geschichte. Eine ständige Reibungsfläche suchten die „Staatsbriefe“ mit dem Judentum. Wiederholt geht an Juden und an jüdische Repräsentanten der „gut gemeinte Rat, ihr politisches Konto nicht zu überziehen“. Bereits den ersten Jahrgang eröffnen die „Staatsbriefe“ demagogisch zu Juden und zu Auschwitz. Armin Mohler erklärt den Vandalismus auf dem jüdischen Friedhof von Carpentras und die Schändung einer Leiche zum „Medienspektakel“. Hans Dietrich Sander schreibt von einer „Auschwitz-Baisse“, weil die Leitung der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau die Tafel mit der Zahl von vier Millionen Opfern entfernt hatte. Im Jahr 1998 wurde Sander wegen Volksverhetzung zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung und zu einer Geldstrafe in Höhe von 4.000 DM verurteilt. Unter anderem hatte er Texte des Auschwitzleugners Germar Rudolf veröffentlicht. Seine Revision wurde im folgenden Jahr als unbegründet verworfen. Verteidigt wurde er von Dr. Dr. Thor von Waldstein, einem ehemaligen NPD-Funktionär, der u. a. einen aggressiven Artikel über die „Entartung“ des Liberalismus publizierte. Nach seinem Prozess und seiner rechtskräftigen Verurteilung begann Sander damit, ständig die Rechtsprechung zu diffamieren – „der Richter sei unter Druck gestanden“. Er gab den Rest an Seriosität auf und öffnete sein Blatt noch weiter den Geschichtsrevisionisten, ihren Thesen und ihren Strategien vor Gericht, mit denen sie die Offenkundigkeit des Holocaust bestreiten wollten. Empört wurde über die Prozesse gegen Günter Deckert und Ernst Zündel berichtet, das sogenannte → Rudolf-Gutachten als angeblich wissenschaftlich seriöse Studie vorgestellt. Gehörte Oberlercher bisher schon zu den Hausautoren, so kam Horst Mahler hinzu, dessen politischen Irrweg vom linken APO-Anwalt und Mitbegründer der Rote-Armee-Fraktion nach ganz rechts außen Sander in einem wohlwollenden Artikel seinen Lesern vorstellte. Die Berliner Herausgeber der Zeitschrift → „Sleipnir“, Peter Töpfer und Andreas Röhler, die ebenfalls wie Germar Rudolf wegen Volksverhetzung mit dem Strafrecht in Konflikt geraten waren, wurden gewürdigt und zählten als „politisch Verfolgte“ zu den neuen Autoren. Mit dem 12. Jahrgang stellte Sander Ende 2001 sein Ein-Mann-Magazin aus Altersgründen ein. Die Fortführung in anderen Händen scheiterte an der finanziellen Lage. Es mangelte an materiellen Mitteln, an Abonnenten, und nicht zuletzt fehlte es an einer Perspektive für die Zeitschrift. Mit diesem Magazin erreichte der Reichs-Konservatismus publizistisch seinen vorläufigen Endpunkt. Die Gründungen „reichstreuer“ Parteien waren wahlpolitisch allesamt gescheitert. Das Rätsel, was die „deutsche Substanz“ sein sollte, blieb ungelöst. Die „Rekrutierung elitefähigen Potenzials“ misslang. So reiht sich Sander in die seit Jahrzehnten erfolglose extreme Rechte ein. Gewohnt die Welt nach seinen Vorstellungen einzurichten, hat Sander sein persönliches Scheitern mit der Untergangsvision Deutschlands verknüpft. Seiner Obsession folgend generalisiert er ein letztes Mal: Man habe nicht auf ihn gehört, deshalb schrieb er „fahr zur Hölle“ Deutschland und mit ihm die „Staatsbriefe“.

Rainer Erb

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Staatsbürger-Zeitung (1865–1926)

Literatur Franziska Hundseder, Rechte machen Kasse. Gelder und Finanziers der braunen Szene, München 1995.

Staatsbürger-Zeitung (1865–1926) Die „Staatsbürger-Zeitung“ wurde 1865 von dem ursprünglich radikaldemokratischen Verleger, Historiker und Publizisten Friedrich Wilhelm Alexander Held (1813–1872) gegründet. Sie verstand sich als „Organ für das Volk der erwerbstätigen, unbemittelten Klassen“ und verband eine scharf preußisch(später deutsch)-nationale Perspektive nach außen mit einer sozialreformerischen nach innen, stand dem kapitalismuskritischen Kleinbürgertum näher als der entstehenden Arbeiterbewegung, vertrat liberale Grundsätze und behauptete dennoch, überparteilich zu sein. 1870 kam es zwischen Held und dem Finanzier der Zeitung, dem Likörfabrikanten R. F. Daubitz, zum Streit um die Mitarbeiterbeteiligung, woraufhin Held die Zeitung mit dem Untertitel „Alte Held`sche“ auf eigene Rechnung weiterführte. Nach Helds Tod unter seinen Nachfolgern Eduard Kraemer und Dedo Müller wurde die Zeitung immer mehr zum marktschreierischen Skandalblatt, das Franz Mehring 1874 wie folgt beschrieb: „Möglichst querköpfig in sachlichen, möglichst anzüglich in persönlichen Fragen ist ihre Parole; ohne publizistisches Talent redigiert, weiß sie durch pfiffige Spekulationen auf die schlechten Neigungen des gemeinen Mannes sich weitreichenden Einfluß zu sichern.“ Nach anfänglicher Ablehnung bot die Zeitung Adolf Stoecker breiten Raum, was sich auch ökonomisch auszahlte. Die 1878 auf 10.000 Stück gesunkene Auflage stieg kontinuierlich an und lag seit Mitte der 1880er Jahre stabil bei 18.000 bis 19.000 Exemplaren. Ein frühes prominentes jüdisches Opfer war der Fabrikant und SPD-Politiker Paul Singer, dem 1887 vorgeworfen wurde, Hungerlöhne zu zahlen und seine Arbeiterinnen dadurch indirekt zur Prostitution zu zwingen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Hohe Wellen schlug eine in 150.000 Auflage verbreitete Sonderausgabe der „Staatsbürger-Zeitung“ Ende Mai 1892 mit verfälschten Talmud-Auszügen. Das Blatt profitierte auch vom zweifelhaften Ruhm Hermann Ahlwardts. Als dieser aufgrund seiner → „Judenflinten-Broschüre“ im Frühsommer 1892 in Untersuchungshaft genommen wurde, organisierte die „Staatsbürger-Zeitung“ zweimal eine Spendenaktion, um die Kautionssumme aufzubringen. Als Ahlwardts Stern sank, rückte auch die „Staatsbürger-Zeitung“ von ihm ab. Eine neue Phase begann 1895, als Wilhelm Bruhn das Blatt übernahm. Bruhn fand ab 1899 in Graf Pückler ein neues Zugpferd und druckte dessen Reden bis zum Sommer 1904 regelmäßig ab. Pücklers selbst im Vergleich mit anderen Antisemiten maßlose Agitation brachte diesen, aber auch Bruhn und andere Redakteure der „Staatsbürger-Zeitung“ in Konflikt mit der Justiz. Deswegen, und weil Pückler zunehmend auch den Hochadel und sogar den Kaiser als „verjudet“ beschimpfte, wandte sich Bruhn mit seiner „Staatsbürger-Zeitung“ 1904 von ihm ab. Ins Rampenlicht öffentlicher Aufmerksamkeit gelangte die „Staatsbürger-Zeitung“ auch aufgrund ihrer Berichterstattung über die angeblichen Ritualmorde in Xanten und Konitz. Sie trug wesentlich dazu bei, diese Sensationsgeschichte überhaupt erst

Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur (Karl Wick, 1921)

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zu konstruieren und zu verbreiten. Bruhn leitete eine „Nebenuntersuchungs-Kommission“, die durch suggestive Zeugenbefragungen und Aussagenfälschung eine Ritualmordgeschichte konstruierte, wodurch seine Zeitung reichsweit bekannt wurde. Einerseits wurden die staatlichen Behörden so unter Druck gesetzt, dass sie auch noch den absurdesten Spuren nachgingen, andererseits wurde ihnen vorgeworfen, zum Schutz der Juden die „Wahrheit“ zu vertuschen. Die „Staatsbürger-Zeitung“ erzeugte eine „juden- und behördenfeindliche Stimmung“, wie der zuständige Staatsanwalt rückblickend bemerkte, weshalb auch mehrere Urteile wegen Beleidigung gegen die Mitarbeiter des Blattes ergingen. Trotz, vielleicht auch wegen ihrer großen Rolle in diesen Skandalfällen verlor die „Staatsbürger-Zeitung“ nach 1904 rasch an Boden. 1906 zog sich Bruhn – wohl auch wegen der vielen Beleidigungsprozesse gegen ihn und seine Redakteure – aus dem Blatt zurück, das daraufhin mit dem Stoecker-Blatt „Das Reich“ fusionierte, was ihren Bedeutungsverlust nicht aufhalten konnte. Im Ersten Weltkrieg wurde sie von der Militärzensur zeitweise verboten, im Dezember 1926 stellte sie ihr Erscheinen endgültig ein. Als „Zentralorgan des Antisemitismus“ hatte der „Vorwärts“ die „Staatsbürger-Zeitung“ 1914 bezeichnet. Dieses Urteil scheint gerechtfertigt erstens, weil sie viele Jahrzehnte lang erschien und politisch wirkte, zweitens hatte sie zeitweise großen Einfluss auf öffentliche Debatten, drittens vertrat sie einen radikalen Antisemitismus und war ein Sprachrohr der rechten Fundamentalopposition im Kaiserreich. Insofern weist ihre Geschichte letztlich bis zur NSDAP, die diese Tradition beerbte.

Christoph Jahr

Literatur Ursula E. Koch, Berliner Presse und europäisches Geschehen 1871. Eine Untersuchung über die Rezeption der großen Ereignisse im 1. Halbjahr 1871 in den politischen Tageszeitungen der deutschen Reichshauptstadt, Berlin 1978.

Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur (Karl Wick, 1921) Die stark von einer kulturell und sozioökonomisch argumentierenden Judenfeindschaft und dem antisemitischen Topos einer „jüdischen Weltverschwörung“ geprägte Schrift „Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur“ erschien 1921. Beim Pamphlet des Schweizers Karl Wick (1891–1969) handelt es sich um den Separatabdruck einer Artikelserie des Autors, die dieser im 65. Jahrgang der „Monat-Rosen“, dem Publikationsorgan des katholisch-konservativen Schweizerischen Studentenvereins, publiziert hatte. Der Jurist war einer der bedeutendsten Vertreter des christlichsozialen Flügels des politischen Katholizismus in der Schweiz und prägte das katholische Milieu sowohl als Politiker als auch als Journalist über Jahrzehnte mit. So gehörte der Christlichsoziale u. a. 1931–1963 für den Kanton Luzern dem Nationalrat an; als Zeitungsredakteur amtete er 1917–1921 bei der katholisch-konservativen „Ostschweiz“, 1921–1926 bei der christlichsozialen „Hochwacht“ und 1926–1965 beim „Vaterland“, dem katholisch-konservativen Zentralorgan aus Luzern.

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Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur (Karl Wick, 1921)

Wick äußerte sich in den 1920er und 1930er Jahren wiederholt in seiner publizistischen und vereinzelt auch in seiner politischen Tätigkeit antisemitisch. In der in jungen Jahren verfassten Schrift „Die Stellung des Judentums in der modernen Kultur“ brachte er seine antisemitischen Konzeptionen aber in der radikalsten und dichtesten Form zum Ausdruck. Ähnliche Ansichten waren im katholischen Milieu der Schweiz zu jener Zeit keine Seltenheit und wurden nicht zuletzt auch von anderen Sozialtheoretikern der Christlichsozialen geäußert. Im Zentrum der in drei Kapitel gegliederten radikalantisemitischen Schrift Wicks steht die Charakterisierung der Juden als angebliche Förderer, Profiteure und Dominatoren einer als materialistisch und antichristlich apostrophierten modernen Gesellschaft. Unter dem Oberbegriff „moderne Kultur“ beleuchtet der Autor nacheinander die vermeintlich beherrschende Stellung des Judentums in Wirtschaft, Politik, Presse und Literatur und lehnt sich damit an klassische antisemitische Diskurse an. Als eigentliche Grundthese legt Wick die Assoziierung des Judentums mit dem Materialismus zugrunde – ein antisemitisches Konzept, das gerade in konservativ-christlichen Milieus populär war. Ihre materialistische Orientierung würde die Juden demnach in der modernen Gesellschaft begünstigen, zugleich sei der vorherrschende Materialismus auf Entwicklungen zurückzuführen, die von den Juden getragen würden. So assoziiert Wick z.B. in Anlehnung an Werner Sombart den Kapitalismus mit dem Judentum. In politischer Hinsicht charakterisiert Wick die Juden als „zersetzendes Element“, das Träger von Revolutionen gewesen sei; Liberalismus und Sozialismus werden auf die von ihm konstruierte jüdische „Kollektiv-Moral“ des Materialismus zurückgeführt und deshalb als geistesverwandt beschrieben. Diskurse eines modernen Antisemitismus mit Elementen des Antijudaismus vereinend, verunglimpft Wick in seiner Schrift die Juden als Feinde des Christentums. Eine zentrale Rolle weist er der Presse zu, die er als „große jüdische Presse-Internationale“ sieht, die immer wieder „wie auf Kommando eines Weltgenerals“ einen Sturm gegen die Kirche entfesseln würde. Dem von Weltverschwörungsvorstellungen geprägten Bild der materialistischen, jüdisch dominierten Moderne stellt er dichotom seine Utopie der christlichen Kultur entgegen, deren Renaissance herbeizuführen sei. Daher postuliert Wick abschließend – und er bewegt sich hierbei in den Bahnen eines katholischen Antisemitismus, der zwischen einem „guten“, notwendigen Antisemitismus und einem „schlechten“, abzulehnenden Rassenantisemitismus unterschied –, man müsse aus kulturellen Gründen Antisemit sein, da Kultur Christentum und Judentum Antichristentum sei und somit Kultur notwendigerweise Antisemitismus bedeute. Demzufolge darf in Wicks Text auch die Forderung nach antisemitischen Maßnahmen in rechtlicher Hinsicht hineingelesen werden, da er – anscheinend nur beiläufig – impliziert, dass man in Kenntnis der kulturpolitischen und wirtschaftlichen Seite der „jüdischen Frage“ „ohne weiteres auch einen Masstab für die Beurteilung der juristischen, staatsrechtlichen Seite des Judenproblems“ habe. Methodisch zeichnet sich Wicks antimodernistisch geprägte Schrift durch die zahlreichen Verweise auf andere antisemitische Publikationen aus. Neben Werken von Édouard Drumont, Paul Franz Bang, Richard Wagner, Houston Stewart Chamberlain, Artur Dinter und Theodor Fritsch holt sich der Autor insbesondere Anleihen bei Wer-

Der Stürmer (1923–1945)

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ner Sombart und Joseph Eberle. Gerade Letzterer war in den 1920er Jahren für die antisemitischen Exponenten des Schweizer Katholizismus ein wichtiger Referenzpunkt. Beobachten lässt sich bei Wick auch die von Antisemiten oft verwendete pseudowissenschaftliche Methode. Die Übernahme von Beispielen und Zitaten aus anderen Werken, die diese Passagen wiederum aus anderen Büchern kopiert hatten und deren Herkunft und Wahrheitsgehalt für den Leser nicht nachvollziehbar sind, sollte den Schein breiter Recherche und wissenschaftlicher Arbeitsweise erwecken.

Thomas Metzger

Literatur Urs Altermatt, Katholizismus und Antisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz 1918–1945, Frauenfeld u. a. 1999. Zsolt Keller, Abwehr und Aufklärung. Antisemitismus in der Nachkriegszeit und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, Zürich 2011. Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918–1939, Fribourg 2006.

Stocker-Verlag → Leopold Stocker Verlag

Der Stürmer (1923–1945) Die Wochenzeitung „Der Stürmer“ war das bekannteste antisemitische Hetzblatt des 20. Jahrhunderts. Weit über den Erscheinungsort Nürnberg hinaus verbreitete ihr Alleininhaber Julius Streicher mit dieser Zeitung eine selbst im Kontext der NS-Propaganda besonders aggressive antisemitische Hetze. Obwohl fast so alt wie die nationalsozialistische Bewegung, war die Wochenzeitung nie ein parteiamtliches Organ. Trotz einiger Beschlagnahmen sowie Streichers Entmachtung als Gauleiter 1940 konnte „Der Stürmer“ dank Hitlers Protektion fast durchgehend bis zum Ende des Dritten Reiches erscheinen, obwohl das Blatt wegen seiner plakativen Zurschaustellung eines primitiven Judenhasses nach der Machtübernahme für die Außenwirkung des Dritten Reiches ein Problem darstellte. Zudem betrieb „Der Stürmer“ in diffamierender Weise Kampagnen gegen einzelne Personen oder Institutionen und zog dabei alle Register von der Verleumdung bis zum Abdruck anonymer oder namentlich gekennzeichneter Denunziationen. „Der Stürmer“ erschien in Nürnberg 22 Jahre lang, vom 20. April 1923 bis zum 2. Februar 1945. Gründer, Herausgeber und Besitzer der Zeitung war der Gauleiter Frankens Julius Streicher, der sein „Wochenblatt“ selbst redigierte und als Alleininhaber durch dieses ein Vermögen verdiente. Zunächst war „Der Stürmer“ ein Lokalblatt, das dem Kampf gegen die demokratische Stadtverwaltung unter dem liberalen Nürnberger Oberbürgermeister Hermann Luppe diente. Hierbei waren die politischen Gegner der Nationalsozialisten, als „Judenknechte“ denunziert, genauso Zielscheibe der Zeitung wie „die Juden“ selbst. Besonders charakteristisch für das Wochenblatt waren die permanenten Wiederholungen weniger Hauptthemen, beispielsweise die sogenannte Rassenschande zwischen jüdischen Männern und „arischen“ Frauen oder die „Ritualmorde“, die mit angeblichen Beispielen – oftmals im Bild- und Textgebrauch der Zeit pornografisch dargestellt – untermauert wurden. Besonders häufig fanden Denunziationen aus der Leserschaft Eingang in den „Stürmer“, denen Streicher unter der Über-

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Der Stürmer (1923–1945)

schrift „Briefkasten“ ein eigenes Forum geschaffen hatte. Um in dieser Rubrik erwähnt zu werden, reichte es etwa aus, nicht mit „Heil Hitler“ zu grüßen, vor allem der Einkauf bei einem Juden konnte zur negativen Erwähnung im „Stürmer“ führen. Singulär in der zeitgenössischen Presselandschaft dürfte die personifizierte Anrede mit „Lieber Stürmer“ gewesen sein, die sich bei einem Großteil der Leserbriefe findet. Drei grobe Stufen der Verbreitung des Blattes zeigte bereits das Titelblatt. Unter dem Titel „Der Stürmer“, der in dicker schwarzer Frakturschrift eine ganze Zeile einnahm, war in den ersten sechs Ausgaben „Sonderblatt zum Kampfe um die Wahrheit“ zu lesen, bereits ab der Nummer sieben des Jahres 1923 lautete der Untertitel „Nürnberger Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit“ und ab der Nummer 22 des Jahres 1932 schließlich „Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit“. Zu diesem Zeitpunkt war „Der Stürmer“ kein Lokalblatt mehr, neben dem Untertitel machten vor allem die Inhalte selbst sowie die Werbeanzeigen den überregionalen Charakter der Zeitung deutlich. Den Seitenabschluss bildete ab 1926/1927 erst sporadisch, dann stets der Satz „Die Juden sind unser Unglück“ des Historikers Heinrich von Treitschke. Der Umfang der Zeitung stieg von anfänglich vier auf über zwölf Seiten Mitte der 1930er Jahre an. Die Sondernummern konnten wesentlich umfangreicher sein, beispielsweise umfasste die „Ritualmordnummer“ vom Mai 1934 20 Seiten. Der relativ niedrige Einzelverkaufspreis blieb mit 20 Pfennigen ab der Ausgabe sechs im Jahr 1924 fast durchgehend konstant. Seit der Ausgabe 50 im Dezember 1925 füllte eine ins Auge springende Karikatur des Zeichners Philipp Rupprecht, bekannt unter dem Pseudonym Fips, fast zwei Drittel des Titelblattes. Rupprecht wurde für seine Figur des „Stürmer-Juden“ berühmt-berüchtigt, die er mit überdimensionierter Nase, verzerrten Gesichtszügen und Leibesfülle zeichnete. Die Zeitung verfolgte eine Werbestrategie u. a. mit Plakaten, Sondernummern, eigenen Kiosken, der erzwungenen Abnahme der Zeitung beispielsweise durch die Deutsche Arbeitsfront und der Errichtung von Tausenden „Stürmerkästen“ mit dem Aushang der Zeitung in ganz Deutschland, vereinzelt auch im Ausland. Diese mit der Titelseite des „Stürmer“ bestückten Schaukästen konnten aufgrund der dominanten Karikatur von Fips und den riesigen Lettern kaum übersehen werden. Dieses ausgefeilte Marketing spiegelte sich in den Auflagenzahlen, die weit über die im Impressum gemachten Angaben hinausgegangen sein dürften. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg bestätigte der Mitarbeiter Ernst Hiemer Auflagen von 600.000 bis 800.000 mit Höchststand Mitte der 1930er Jahre. Mindestens die Sondernummern übertrafen diese Zahl, sie werden auf über zwei Millionen Exemplare taxiert. Seit 1935 erschien der „Stürmer“ im gleichnamigen Verlag. Die Druckereien wechselten, ab 1928 wurde das Blatt bei der Nürnberger Druckerei Fr. Monninger gedruckt, deren Inhaber der nationalsozialistische Oberbürgermeister Willy Liebel war. Zu den wichtigsten Mitarbeitern gehörten neben dem späteren stellvertretenden Gauleiter und langjährigen Hauptschriftleiter Karl Holz der ehemalige Volksschullehrer und Hauptschriftleiter Ernst Hiemer und der Karikaturist Philipp Rupprecht. Erwähnenswert ist die Rolle des „Stürmer“ im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Dem Internationalen Militärgerichtshof lagen „Stürmer“-Artikel vor, in denen Julius Streicher die „Ausrottung der Juden“ forderte. Er wurde unter dem Ankla-

Stürmer-Archiv

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gepunkt „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt.

Alexander Schmidt/Melanie Wager

Literatur Hermann Froschauer, Renate Geyer, Quellen des Hasses – Aus dem Archiv des „Stürmer“ 1933–1945 (Ausstellungskatalog des Stadtarchivs), Nürnberg 1988. Manfred Rühl, Der Stürmer und sein Herausgeber. Versuch einer publizistischen Analyse, Diplomarbeit masch. 1960. Denis E. Showalter, Little man, what now? Der Stürmer in the Weimar Republic, Hamden 1982.

Stürmer-Archiv Das „Stürmer“-Archiv stellt nicht, wie man erwarten würde, ein Pressearchiv im klassischen Sinn dar. Die im Stadtarchiv Nürnberg in der Bestandsgruppe E (Dokumentationsgut privater Provenienz) unter Nr. 49 verwahrte Sammlung enthält nämlich keine systematische Sammlung von „Stürmer“-Artikeln, sondern vor allem Einsendungen von Sympathisanten und Lesern der antisemitischen Wochenzeitschrift → „Der Stürmer“ zu verschiedenen Themen. Im „Stürmer“ wurde häufig dazu aufgefordert, Material über Juden, Denunziationen von Nicht-Juden, die noch Kontakt zu Juden hielten, oder sonstige Erkenntnisse und „Forschungsergebnisse“ zum Judentum einzusenden. Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte stellt das „Stürmer“-Archiv eine nicht professionelle Sammlung zum Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert in Mitteleuropa dar, der zeitliche Schwerpunkt liegt Ende der 1930er Jahre. Das „Stürmer“-Archiv enthält in fast allen Teilen des Bestands zahlreiche Fotos, die oftmals (z. T. handschriftlich von Streicher selbst) mit einem Kommentar in „Stürmer“-Manier versehen sind. Daneben finden sich (Leser-)Briefe, vielfach mit Denunziationen von Juden, Zeitungsausschnitte, Flugblätter und sonstige Druckschriften aller Art. Ein erheblicher Teil muss wohl als Raubgut aus jüdischem Besitz angesehen werden, auch wenn in der Regel keine Herkunftsnachweise überliefert sind. Als Bearbeiter des Materials tauchen neben Streicher der Schriftleiter Ernst Hiemer, Autor des antisemitischen Kinderbuchs → „Der Giftpilz“, und der freie Mitarbeiter Dr. Hans Eisenbeiß auf. Das „Stürmer“-Archiv besteht aus einem ersten geografisch gegliederten Bestandsteil und einem zweiten, etwas materialreicheren, sachthematisch gegliederten Teil, wobei die hier aufscheinende Ordnung willkürlich, unsystematisch und extrem ideologiegeprägt ist. Im geografisch gegliederten Teil finden sich in der Abteilung „Altreich“ unter anderem eine Fülle von Fotografien von Juden und Jüdinnen. Zu Nürnberg, dem Erscheinungsort des „Stürmer“, bietet das „Stürmer“-Archiv allerdings überraschend wenig Material – einer der aus ungeklärter Ursache stark dezimierten Teile des Bestands. Die Österreich-Abteilung bietet u. a. Material zu Demonstrationen gegen Schuschnigg, die Abteilung CSSR und Sudetenland beispielsweise Fotos einer studentischen NS-Bewegung und Material über Präsident Masaryk. Die Abteilung „Ge-

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Stürmer-Archiv

neralgouvernement“ Polen enthält unter anderem Fotos aus dem Ghetto Lublin sowie viele Fotos elend aussehender jüdischer Männer, Frauen und Kinder aus polnischem Gebiet, die wohl die ideologisch gewollte Botschaft des „dreckigen Juden“ visuell belegen sollten. Schließlich enthält die Abteilung Frankreich Material über die dortigen antisemitischen und rassistischen Bewegungen wie Flugblätter und Fotos von Plakaten. Der übrige geografische Teil ist wenig ergiebig, so fehlt der Teil zu den Vereinigten Staaten vollständig (wohl nach 1945 ausgesondert und heute nicht mehr auffindbar). Material zur Sowjetunion ist vermutlich deshalb ausgesprochen dürftig, weil Streichers Einfluss nach seiner Absetzung als Gauleiter 1940 eingeschränkt und somit auch der Zugang zu jüdischem Raubgut weitgehend abgeschnitten war. Die noch heute erhaltene Einteilung des sachthematisch gegliederten Bestandes spiegelt die krude Denkweise des Herausgebers Julius Streicher und der Mitarbeiter der Zeitung wider. Mit Einheiten wie „Der Jude als Straftäter“, „Berufe“, „Jüdische Sitten und Gebräuche“, „Der Jude als Rassenschänder“, „Ritualmord“, „Kriege und Krisen“ wird auch die rassistische Ausrichtung des „Archivs“ deutlich. Im sachthematischen Teil finden sich Fotos und Unterlagen zu Prozessen gegen Juden, ein beliebtes Thema im „Stürmer“, Fotos jüdischen Familienlebens, Material zur Auseinandersetzung mit dem Christentum und Material über die Beteiligung von Juden am Ersten Weltkrieg. Schließlich enthält das „Stürmer“-Archiv eine Fülle von Fotos, die die antisemitische Propaganda gegen jüdische Geschäfte oder die Propaganda mittels Warntafeln belegen. Seit Sommer 1940 bis zur Eroberung Nürnbergs durch die US-Armee befand sich das „Stürmer“-Archiv im Keller des Nürnberger Anwesens Pfannenschmidgasse 19, wo die Schriftleitung des „Stürmer“ untergebracht war. Es wurde wohl, gemeinsam mit der sehr lückenhaften Redaktionskartei (heute Stadtarchiv Nürnberg GSI 134) und der auch aus geraubtem jüdischen Besitz bestehenden Bibliothek (heute Stadtbibliothek Nürnberg, Sammlung Israelitische Kultusgemeinde) von den amerikanischen Besatzungsbehörden sichergestellt. Eine erhebliche Menge von Büchern, Unterlagen und Ritualgegenständen wurde den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben, sodass in Nürnberg nur ein Restbestand in der Stadtbibliothek zurückblieb, der seit 1951 im Stadtarchiv Nürnberg deponiert ist. Weitere Teile des ursprünglichen Bestandes befinden sich heute im Leo Baeck Institute, New York (Bernhard Kolb Collection) und dem Yivo-Institute for Jewish Research New York. Insgesamt verwahrt das Stadtarchiv Nürnberg als „Stürmer“-Archiv in rund 2.500 Mappen etwa 15.600 einzeln verzeichnete Stücke. Ergänzt wird der Bestand durch eine Sammlung von circa 4.600 antisemitischen Karikaturen, überwiegend Originale für den Stürmer, vor allem aus der Feder des Zeichners Philipp Rupprecht („Fips“). Er war der Erfinder der Figur des „Stürmerjuden“ und hat wesentlich den Charakter des „Stürmer“ geprägt. Letztlich dokumentiert das „Stürmer“-Archiv ein Weltbild, das jeglichen Ort und jede menschliche Regung antisemitisch einzuordnen versuchte und selbst dabei scheiterte, dieses Denken in einer schlüssigen Weise der Nachwelt zu überliefern.

Alexander Schmidt/Melanie Wager

Süddeutsche Monatshefte (1904–1936)

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Literatur Hermann Froschauer, Renate Geyer, Quellen des Hasses – Aus dem Archiv des „Stürmer“ 1933–1945 (Ausstellungskatalog des Stadtarchivs), Nürnberg 1988. Fred Hahn, Lieber Stürmer! Leserbriefe an das NS-Kampfblatt 1924–1945, Stuttgart-Degerloch 1978. Gerhard Jochem, Das „Stürmer“-Archiv: „Für Nürnberg und das Stadtarchiv ohne jedes Interesse“, in: Norica Heft 2 (2006), S. 43–51. Arndt Müller, Gerhard Jochem, Das Stürmer-Archiv im Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberg 1996 [gekürzt abgedruckt in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32 (1984), S. 326–329].

Sturmblatt → Der kleine Reaktionär Sturmblatt Düppel → Der kleine Reaktionär

Süddeutsche Monatshefte (1904–1936) Auf Initiative des Schriftstellers Wilhelm Weigand gründeten er, der Schriftsteller und Literaturkritiker Josef Hofmiller, der liberale Politiker Friedrich Naumann, der Komponist Hans Pfitzner, der Maler Hans Thoma und der Privatgelehrte Paul Nikolaus Cossmann im Sommer 1904 die „Süddeutschen Monatshefte“. Die Gründer der Zeitschrift wollten eine Lücke schließen, die sie auf dem Zeitschriftenmarkt ausgemacht hatten, nämlich die Vernachlässigung des süddeutschen Elements in der Kultur, die ihnen zu sehr auf Berlin ausgerichtet schien. Nach einigen Monaten schied Weigand aus unbekannten Gründen als Herausgeber aus und Cossmann, ein 1903 zum katholischen Glauben konvertierter, tief in der deutschen Kultur verwurzelter Jude, trat an seine Stelle, die übrigen Gründer wurden Mitherausgeber. Naumann trat nach einigen Jahren wegen Meinungsverschiedenheiten mit Cossmann zurück. 1915 wurde der Historiker Karl Alexander von Müller Mitherausgeber. Im Vordergrund nahezu aller Beiträge in den Monatsheften standen die Betonung der Eigenständigkeit und die bewusste Pflege der süddeutschen Kultur, um so der „Vorherrschaft Berlins“ auf diesem Gebiet etwas entgegenzusetzen. Politisch standen die Monatshefte von Anfang an hinter dem Bismarckschen Reich. Bis 1914 spielte aber das Politische in der Zeitschrift nur eine untergeordnete Rolle. Nach anfänglichen großen Schwierigkeiten stieg die Auflage der Zeitschrift bis 1914 langsam, aber kontinuierlich an. Genaue Auflagenzahlen sind aus dieser Zeit nicht bekannt. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollzog Cossmann mit seiner Zeitschrift eine radikale Umkehr, indem er sich entschloss, sie künftig als „politisches Kampfmittel“ zu führen. Mit Sonderheften und einem jeweils übergeordneten Thema bezogen Cossmann und seine Zeitschrift eine extrem nationale Position, stellten sich gegen die angeblich zu nachgiebige Reichsregierung unter dem Reichskanzler Bethmann Hollweg auf die Seite der Obersten Heeresleitung, vertraten maximale Annexionsziele und geriet damit in schwere Konflikte mit gemäßigten und linksgerichteten Kreisen. Cossmann selbst erwarb sich den Ruf eines skrupellosen Nationalisten. Nach der Niederlage des Deutschen Reiches kämpften die „Süddeutschen Monatshefte“ mit enormem Aufwand und mit Unterstützung finanzstarker Förderer gegen die so genannte Kriegsschuldlüge, indem sie die Schuld der Alliierten am Kriegsausbruch

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Süddeutsche Monatshefte (1904–1936)

zu belegen versuchten; Sonderhefte trugen Titel wie „Zur Wahrheit über den Krieg“, „Deutschland vor Gericht“, „Einkreisung“, „Die Wurzeln des Weltkrieges“, „Wer ist verantwortlich für den Krieg?“ Die „Süddeutschen Monatshefte“ vertraten die Ansicht, dass die Front von linken Agitatoren aus der Heimat hinterrücks erdolcht worden sei. Dazu erschienen Themenhefte wie „Der Dolchstoß“, „Die Auswirkung des Dolchstoßes“ und „Der Dolchstoßprozeß“. Cossmann führte mit massiver Unterstützung durch seine Zeitschrift und mit großem Aufwand den „Kriegsschuldprozess“ und den „Dolchstoßprozess“. Dabei versuchte er, mit Fachgutachten, Zeugenaussagen und Dokumenten seine Thesen per Gerichtsurteil bestätigen zu lassen. Durch diese aufsehenerregenden Prozesse erreichte die Auflage der „Süddeutschen Monatshefte“ in dieser Zeit bis zu 100.000 Exemplare. Danach sank sie kontinuierlich bis 1927 auf knapp 10.000. Das Verhältnis der „Süddeutschen Monatshefte“ und ihres Herausgebers Cossmann zu Juden und zum Antisemitismus war ambivalent. Auf der einen Seite wurde der enge Zusammenhalt der Juden für die zutiefst zerstrittenen Deutschen als vorbildhaft erklärt, auf der anderen Seite wurde heftig beklagt, dass die Führer der radikalen sozialistischen Bewegungen vielfach Juden waren und damit nach Meinung der Zeitschrift und ihres Herausgebers als Vorkämpfer des Internationalismus eine Gefahr für das nationale Deutschland darstellten. Aus dieser Einstellung heraus gab Cossmann vor allem im Jahr 1919 verschiedentlich antisemitischen Autoren die Möglichkeit, in den Monatsheften ihre Thesen zu vertreten. Die „Süddeutschen Monatshefte“ stimmten mit ihrer Ausprägung des Antisemitismus zwar nicht in den Chor derer ein, die für alles Unglück, das Deutschland getroffen hatte, die Juden verantwortlich machten: für den „Judenkrieg“, die „Judenrevolution“ und die „Judenrepublik“. Sie wollten sich bewusst an die gebildeten Schichten wenden und ihnen verdeutlichen, dass die vermeintliche „intellektuelle Zersetzung der alten moralischen Welt“ verursacht worden sei durch „den Teil der großstädtischen jüdischen Intelligenz, […] weil sie mit Witz und hoher artistischer Begabung verbunden“ sei. Cossmann selbst sah in seinen beiden politischen Prozessen die „jüdische Intelligenz“ als seine eigentlichen Prozessgegner. Sie würde durch die „antinationale“ Einstellung und ihren Einfluss die Politik wesentlich und unheilvoll beeinflussen. Die „Süddeutschen Monatshefte“ stellten sich trotz ihrer extrem nationalistischen Überzeugung aber schon früh gegen den ihrer Ansicht nach primitiven, in seinem Wesen undeutschen Nationalsozialismus. Im Kampf gegen Hitler positionierten sie sich zuletzt auf der Seite derer, die die „Machtergreifung“ Hitlers durch die Wiedereinführung der Monarchie in Bayern in letzter Minute zu verhindern suchten. In dieser Intention erschien im Januar 1933 ein Sonderheft unter dem Titel „König Rupprecht“. Cossmann trug seine Gegnerschaft zu Hitler und der NSDAP im April 1934 die Verhaftung und ein Jahr Gefängnis ein. 1942 wurde der zutiefst deutsch Fühlende als Jude nach Theresienstadt deportiert, wo er bald nach seiner Einlieferung starb. Seine Zeitschrift fiel in die Hände von Leo Hausleiter, den Cossmann in seiner Eigenschaft als Verlagsleiter von Knorr & Hirth 1927 zu den dort erscheinenden „Münchener Neuesten Nachrichten“ (MNN) geholt hatte. Wie sich erst nach der Machtübernahme 1933 herausstellte, war Hausleiter Mitglied der NSDAP und arbeitete für die Politische Polizei. Nachdem er die Gleichschaltung der „Münchener Neuesten Nach-

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richten“ organisiert und brutal durchgesetzt hatte, wobei er auch vor der Einweisung ehemaliger Kollegen in das KZ Dachau nicht zurückschreckte, und dennoch dann als Chefredakteur dieser Zeitung scheiterte, übernahm er im Juli 1933 die „Süddeutschen Monatshefte“. Unter ihm sank die Zeitschrift in die Bedeutungslosigkeit und musste 1936 ihr Erscheinen einstellen.

Wolfram Selig

Literatur Jens Flemming, Gegen die intellektualistische Zersetzung der alten moralischen Werte. Die Süddeutschen Monatshefte zwischen Krieg und Nationalsozialismus, in: Michel Grunewald (Hrsg.), Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (Convergeances 27), Bern 2003, S. 165–201. Hans Christoph Kraus, Kulturkonservatismus und Dolchstoßlegende. Die „Süddeutschen Monatshefte“ 1904–1936, in: Ders. (Hrsg.), Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur, Berlin 2003, S. 13–43. Wolfram Selig, Paul Nikolaus Cossmann und die Süddeutschen Monatshefte von 1914– 1918. Ein Beitrag zur Geschichte der nationalen Publizistik im Ersten Weltkrieg, Osnabrück 1967.

Der Süddeutsche Postillon (1882–1910) Der sozialdemokratische „Süddeutsche Postillon“ erschien ab 1882 zunächst als Beilage verschiedener Zeitungen des Verlags von Louis Viereck, vor allem der Münchner „Süddeutschen Post“. Ab Januar 1883 erschien er zunächst wöchentlich als selbstständiges Blatt mit vier Seiten, dann ab Oktober 1884 achtseitig und im monatlichen Rhythmus, schließlich ab 1891 14-tägig. Während die Zeitschrift in der Zeit des Sozialistengesetzes eher noch bescheidene Auflagen von bis zu 5.000 Exemplaren erreichte, konnte sie sich in den 1890er Jahren diesbezüglich erheblich steigern. 1894 hatte sie eine Auflage von immerhin 40.000 Exemplaren, wenn das Blatt auch nicht die Popularität der anderen sozialdemokratischen Satirezeitschrift → „Der wahre Jacob“ erreichte. Auch nach dem Ende des Sozialistengesetzes wurden immer wieder Nummern der Zeitschrift verboten. In einigen Fällen kamen Redakteure in Festungsbzw. Gefängnishaft, beispielsweise Alois Kiefer und auch der Kunstsammler Eduard Fuchs, der von 1892 bis 1901 verantwortlicher Redakteur des „Süddeutschen Postillons“ war. Fuchs saß wegen Majestätsbeleidigung neun Monate in den Jahren 1898/99 ein. Nach 1900 konnte das Blatt seine Auflage nicht mehr steigern und musste schließlich 1910 wegen eines finanziellen Defizits sein Erscheinen einstellen. Es lassen sich verschiedene Belege für die Verwendung antisemitischer Stereotype finden, insbesondere in den ab 1884 veröffentlichten Karikaturen. So lässt sich an dem Beispiel dieser, insgesamt im Vergleich zum „wahren Jacob“ radikaleren Zeitschrift zeigen, dass es auch in der populären Presse der Sozialdemokraten im Deutschen Kaiserreich nicht nur Kritik und Abwehr des Antisemitismus gab. Die angesprochenen Karikaturen weisen weithin tradierte Darstellungsweisen wie eine stark vereinfachte und verkürzte Kapitalismuskritik mit dem Geldsackmotiv, dem Bild des Wucherers und Personifizierungen von kapitalistischen Ausbeutern auf, denen in der Regel ausgebeutete Arbeiter gegenüberstehen. Ungleiche Machtverhältnisse werden

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Süddeutsche Zeitung (1913–1934)

unter Verwendung des Bedeutungsmaßstabs, einer Gegenüberstellung von oben und unten oder einer im Kontrast zwischen dicken und dünnen, schwachen und kräftigen Figuren zum Ausdruck gebracht. Auch an einzelnen Beispielen, die nicht explizit auf Juden verweisen, lässt sich belegen, dass es hier erhebliche Überschneidungen mit der zeitgenössischen antisemitischen Bildsprache gibt. Zur Kennzeichnung von Juden wird u. a. das Bildstereotyp einer großen krummen Nase verwendet. Als ein besonders deutliches Beispiel für die Verwendung von antisemitischen Bildstereotypen in Verbindung mit einer äußerst aggressiven, bis zum Mordaufruf reichenden Darstellung ist eine Karikatur des Unternehmers Albert Ballin zu nennen, die 1902 unter dem Titel „Zur Verschacherung der deutschen Handelsflotte an das Morgan-Syndikat“ in der Zeitschrift erschien. In zwei nebeneinander gesetzten Bildern, die wie im Comic Strip eine Handlungsabfolge suggerieren, wird Ballin, stark antisemitisch stereotypisiert, zunächst zufrieden eine amerikanische Flagge hissend auf einem Schiff gezeigt und dann mit dem Kommentar – Zitat eines Kaiserworts – „Sie sind noch nicht an Ihrem richtigen Platz“ als im Todeskampf eines durch einen Hafenarbeiter Erhängten dargestellt. Zugleich erschien in der Zeitschrift eine Vielzahl von spöttischen Darstellungen zur „antisemitischen Bewegung“, überwiegend in einer personalisierenden Form mit den Protagonisten des organisierten Antisemitismus, wie der Hofprediger Adolf Stoecker, Hermann Ahlwardt und Max Liebermann von Sonnenberg. Auch in Beiträgen zur Dreyfus-Affäre und zu den antijüdischen Pogromen in Russland stellt sich der „Süddeutsche Postillon“ als Gegner des Antisemitismus dar, veröffentlicht zugleich jedoch unkommentiert eine antisemitische Karikatur von Caran d’Ache. Insgesamt ist das Nebeneinander einer Kritik des extremen, organisierten Antisemitismus und der Verwendung antisemitischer Stereotype zu konstatieren.

Regina Schleicher

Literatur Hans-Gerd Henke, Der „Jude“ als Kollektivsymbol in der deutschen Sozialdemokratie 1890–1914, Mainz 1994. Rosemarie Leuschen-Seppel, Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich. Die Auseinandersetzungen der Partei mit den konservativen und völkischen Strömungen des Antisemitismus 1871–1914, Bonn 1978. Klaus-Dieter Pohl, Allegorie und Arbeiter. Bildagitatorische Didaktik und Repräsentation der SPD 1890–1914. Studien zum politischen Umgang mit bildender Kunst in den politisch-satirischen Zeitschriften „Der Wahre Jacob“ und „Süddeutscher Postillon“ sowie in den Maifestzeitungen, Osnabrück 1986. Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im Deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main u. a. 2009.

Süddeutsche Reichspost → Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung (1913–1934) Die nationalkonservative „Süddeutsche Zeitung“ wurde im September 1913 von Politikern und Unternehmern als GmbH in Stuttgart gegründet. Produziert wurde das Blatt

Süddeutsche Zeitung (1913–1934)

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in der Christian Belserschen Verlags- und Buchdruckerei. Die seit 1945 in München erscheinende liberale „Süddeutsche Zeitung“ hat mit dem hier behandelten deutschnationalen Blatt keinen Zusammenhang. Die „Süddeutsche Zeitung“ löste die kleine konservative „Deutsche Reichspost“ ab und entwickelte sich bald mit einer Auflage von 24.000 zum bedeutendsten Regionalblatt des konservativen bis nationalliberalen Spektrums. Die Vorgängerzeitung war die 1871 in Stuttgart gegründete „Süddeutsche Reichspost“, die 1876 in „Deutsche Reichspost“ umbenannt und 1880 von den württembergischen Deutsch-Konservativen übernommen wurde. Die kleine Auflage der „Reichspost“ von 3.000 Exemplaren erfuhr erst 1909 durch den Wechsel zum agrarkonservativen Theodor Körner-Verlag eine Auflagensteigerung auf 4.500 Stück. Die „Reichspost“ vertrat einen manifesten Antisemitismus mit kaum rassistischen Begründungen. Diese Judenfeindschaft mit christlich-konservativem Hintergrund war ökonomisch, politisch und kulturkritisch motiviert. Regelmäßig wurden die Börse, das Geld, die Korruption, die Säkularisation, der Liberalismus und die Sozialdemokratie als Herrschaftsinstrumente des Judentums zur Zersetzung Deutschlands diffamiert. Die „Reichspost“ grenzte sich vom älteren Antijudaismus insofern ab, als man die jüdischen Institutionen und frommen Juden von der Polemik explizit ausnahm. Der publizistische Wechsel von der „Deutschen Reichspost“ zur „Süddeutschen Zeitung“ korrespondierte mit dem Anwachsen der bedeutsamen völkisch-nationalen Szene in Stuttgart. So ist die Gründung am Vorabend des Ersten Weltkriegs auch als Reaktion auf die angeblich drohende Demokratisierung, auf den Marxismus und die behauptete Judenherrschaft in Deutschland zu verstehen. In der Gründungserklärung der Erstausgabe am 16. September 1913 heißt es u. a., man richte sich politisch „gegen Demokratisierung der bürgerlichen Parteien und die revolutionäre Sozialdemokratie und ihr beständiges Paktieren mit dem Todfeinde“. Zum journalistischen Bekenntnis gehörte die christliche Weltanschauung, eine alldeutsche, rassistisch-völkische Orientierung, das Eintreten für eine starke Monarchie, wie sie „im Verlauf der Geschichte mit den deutschen Stämmen innig verwachsen ist“, sowie der kulturkritische Kampf gegen „alles sensationelle und perverse Getriebe, das dem Schrifttum und der deutschen Kunst von heute vielfach den Stempel der Entartung aufprägt“. Mit den Codewörtern „Todfeind“, „Entartung“ auf der einen Seite und einer christlichen Weltanschauung, deutschen Stämmen auf der anderen, wurde eine Verknüpfung von metaphorischen und kontextuellen Codierungen des Antisemitismus geleistet. Fortan war ein völkischer Antisemitismus in Veranstaltungsberichten, Leitartikeln, Rezensionen vor und während des Ersten Weltkriegs ein zentrales Thema. Das Blatt für nationale Politik und Volkswirtschaft konnte aufgrund seiner modernen, massenmedialen Orientierung durch Rubriken zur Innen- und Außenpolitik, zur Wirtschaft und zum Feuilleton rasch den Dunstkreis der konservativen Parteipresse verlassen und ihre Auflage mit der Erschließung neuer bürgerlicher Leserschichten in den fünfstelligen Bereich steigern. Zeitweise erschien eine Morgen- und Abendausgabe. In Konkurrenz mit den anderen bürgerlichen Blättern bestimmte die bald zweitgrößte Zeitung in Stuttgart als Medienakteur den öffentlichen Diskurs im deutschen Südwesten maßgeblich mit. Die „Süddeutsche Zeitung“ war neben dem Sprachrohr der völkischen Szene auch das Parteiblatt der seit 1919 bestehenden einflussreichen

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deutschnationalen Württembergischen Bürgerpartei. Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes (DSTB), Anton Rösch, August Horlacher und Wilhelm Ehmer, übernahmen die Redaktion, die für die radikale völkisch-antisemitische Orientierung des zweitgrößten Stuttgarter Presseorgans verantwortlich waren. Alldeutsche und andere antisemitische Spitzenfunktionäre, wie der Bundeswart des Reichshammerbundes und spätere Hauptgeschäftsführer des DSTB, Alfred Roth, traten seit 1916/17 regelmäßig als Kolumnisten auf. Aufgrund zahlreicher politischer und kultureller Artikel sowie breiter Berichterstattung zu Vorträgen, Feiern der nationalen und völkischen Verbände festigte die „Süddeutsche Zeitung“ das nationale und antisemitische Milieu. Das Blatt schuf 1919/ 1920 im öffentlichen Diskurs eine antisemitische Leitkultur. Es war einer der Hauptakteure beim medialen Angriff auf die „Judenrepublik“, der gleichzeitig von den völkisch-nationalen Verbänden mit Versammlungs- sowie Straßenagitation (Flugschriften, Plakate und Klebemarken) geführt wurde. Die Zeitung war eine der treibenden Kräfte der rechtsradikalen Kampagne gegen die „Novemberrepublik“, gegen die „drohende Bolschewisierung“ und die „Versklavung Deutschlands durch die Alliierten und das Finanzkapital“, hinter dem angeblich die „verschwörerischen Juden“ steckten. Diese ideologische Stoßrichtung ist in der Daueragitation mittels zahlreicher Leitartikel zum gesamten radikal-antisemitischen Themenspektrum offensichtlich. Dazu gehörten solche wie „Die Schuld am Weltkriege“, „Marxistischer Sozialismus oder christlich-völkischer Sozialismus – Scheindemokratie oder deutsch-nationale Demokratie“, „Bolschewismus und Judentum“, „Der deutsche Todesfriede“, „Byzantinismus und Geschichtsklitterung in der Frankfurter Zeitung“ „Fäulnisdüfte“, „Die Juden in der Front, in der Etappe und in der Heimat“, „Neudeutsche Gesinnung“ oder „Groener und der ‚Dolchstoß’“. In einem Leitartikel 1919 wurde der Demokratie nach englischem, französischem und Weimarer Muster, die nur den „Interessen Alljudaans“ zur geistigen und wirtschaftlichen Knechtung der Wirtsvölker dienen würde, ein völkisch-hierarchischer Ständestaat entgegengesetzt. Im Frühjahr 1919 popularisierte die Zeitung die antisemitische Bamberger Erklärung des Alldeutschen Verbands mit einer Beilage von 20.000 Exemplaren. Der günstige Zugriff der völkischen Szene im Reich zur ständig expandierenden „Süddeutschen Zeitung“ durch die Gesinnungsredakteure und die guten Kontakte zu den Netzwerken von antisemitischen Führungsfiguren führte 1919 zur Überlegung, zunächst die Reichszentrale des Schutz- und Trutz-Bundes in Stuttgart aufzubauen. Eine sozialdemokratische Aufklärungsbroschüre zum Antisemitismus stufte die „Süddeutsche Zeitung“ als überregional bedeutendes antisemitisches Blatt ein. Mit seinen Hass schürenden Artikeln hielt das Massenblatt die Sagbarkeit des radikalen Antisemitismus im öffentlichen Diskurs aufrecht, in dessen Windschatten sich gleichzeitig moderate Judenfeindschaft ausbreiten konnte, u. a. weil antisemitische Manifestationen nach dem Frühsommer 1920 kaum mehr auf Widerstände durch staatliche Ächtung und Sanktionen stießen. Bei der antisemitisch aufgeladenen Barmat- und Sklarek-Affäre in den Jahren 1925 bzw. 1929 zeigte sich die Rolle des publizistischen Leitmediums anschaulich, als die „Süddeutsche Zeitung“ den Takt der antisemitischen Skandalisierung vorgab und andere bürgerliche Blätter mit moderaten oder codiert antijüdischen Artikeln nachzogen. Auch spielte die „Süddeutsche Zei-

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tung“ eine wichtige Schrittmacherrolle für die Popularisierung von Hitler und der NSDAP in Südwestdeutschland, weil sie bis Anfang der 1930er Jahre eine affirmative Berichterstattung über regionale Auftritte der NS-Spitzenpolitiker sowie über die Versammlungen und Aktivitäten der braunen Ortsgruppen in Württemberg betrieb. Stolz war die Redaktion in ihrer letzten Ausgabe auf ihren wesentlichen Beitrag beim „Durchbruch zum Dritten Reich“, auf ihren kämpferischen und treuen Einsatz für die völkisch-nationalen Interessen und die Orientierung am „ungeschriebenen Gesetz von Blut und Boden“ lange vor 1933. Am 1. Juli 1934 wurde die „Süddeutsche Zeitung“ aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt und ging im nationalen „Schwäbischen Merkur“ auf.

Martin Ulmer

Literatur Stefan Biland, Die Deutsch-Konservative Partei und der Bund der Landwirte in Württemberg vor 1914. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Parteien in Württemberg, Stuttgart 2002. Jürgen Genuneit, Stuttgart im Dritten Reich, Band 2: Völkische Radikale in Stuttgart. Zur Vorgeschichte und Frühphase der NSDAP 1890–1925, Stuttgart 1982. Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes 1919–1923, Hamburg 1970. Martin Ulmer, Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Berlin 2011.

Südostdeutsche Tageszeitung (Rumänien, 1941–1945) Um Zugriff auf die deutschen Minderheiten zu bekommen, hatte Heinrich Himmler im Februar 1937 SS-Obergruppenführer Werner Lorenz als Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle platzieren können. In dessen Anwesenheit wurde Andreas Schmidt (1912–1948) am 27. September 1940 zum Führer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien erklärt. Schmidt gründete am 9. November 1940 die NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (NSDAP der DViR), der alle Massenorganisationen der Minderheit unterstellt wurden. Die Gleichschaltung der Presse erfolgte durch die Zusammenlegung des „Siebenbürgisch-Deutschen Tagesblatts“ und der „Banater Deutschen Zeitung“. Seit dem 16. März 1941 erschien die „Südostdeutsche Tageszeitung“ mit einer Ausgabe für Siebenbürgen und einer für das Banat in insgesamt 15.000 Exemplaren. Hauptschriftleiter des Organs der NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien in Sibiu (dt. Hermannstadt) wurde Alfred Hönig (1900–1984), der zuvor die Redaktion des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatts“ geleitet hatte. Schriftleiter der Banater Ausgabe wurde Josef Gaßner (1899–1971), der die „Banater Deutsche Zeitung“ redigiert hatte. Das wichtigste Anliegen der „Südostdeutschen Tageszeitung“ war die Vereinheitlichung der Volksgruppe. Das stark ausgeprägte Regionalbewusstsein der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben sollte überwunden werden, damit ein geschlossener „Volkskörper“ entstünde. Auch die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten sollten eingeebnet und der Einfluss der Kirche zurückgedrängt werden. Diejenigen, die aus religiösen Gründen oder aufgrund sozialdemokratischer Prägung die

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Kriegspropaganda ablehnten, wurden als „Volksverräter“ angeprangert. So forderte Hönig in dem Beitrag „Die Front in der Heimat“ im Juni 1942 die harte Bestrafung derjenigen, die keine Abgaben an die Volksgruppe zahlen wollten. Mit drohendem Unterton verkündete die Zeitung im März 1942 die Gründung des „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben“. Wo immer die Wehrmacht angriff, wurden Erbfeinde der Deutschen ausgemacht. Das begann im April 1941 beim Serbienfeldzug, als Josef Gaßner über die wenigen deutschen Opfer schrieb, dass ihr Blut alle mahnen werde, ihr Leben „für den Sieg des Führers freudig hinzugeben“. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion behauptete Hönig im Juni 1941, dass das „rote Untermenschentum“ den Überfall auf Europa angestrebt habe. Ständig wurde in der Zeitung gegen das „Weltjudentum“ gehetzt, der jüdische Bolschewismus der östlichen Steppe habe sich mit den jüdischen Plutokraten gegen Deutschland verbündet. Es blieb nicht bei der Kriegspropaganda, die Zeitung warb auch Freiwillige für die Wehrmacht und Waffen-SS unter den Deutschen in Rumänien. Seit Mai 1943 wurden aufgrund eines Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien ganze Jahrgänge in die Waffen-SS integriert. Hönig leitete die Pressekampagne während der Musterungen und prangerte diejenigen als „Volksverräter“ an, die sich nicht meldeten. Oft wurden deren Häuser zur Einschüchterung beschädigt. Da viele Rekruten im Herbst 1943 in Briefen über Drill und Schikanen der Ausbilder berichteten, versuchte Hönig dem entgegenzuwirken. Er besuchte mehrere Ausbildungslager und publizierte in der Rubrik „Bei unseren SS-Freiwilligen“ ein geschöntes Bild. 1944 wurde der Ton der Zeitung immer aggressiver, die Redakteure behaupteten: „Die Allianz des Weltjudentums hat uns den Krieg erklärt und will uns vernichten.“ Im Fall einer deutschen Niederlage würden die europäischen Völker vor den Wagen der bolschewistischen und kapitalistischen Juden gespannt werden. Durch den Frontwechsel der rumänischen Armee am 23. August 1944 wurde Hönig als Chefredakteur der „Südostdeutschen Zeitung“ verhaftet. Der Kritiker der Nationalsozialisten Hans Otto Roth (1890–1953), der 1941 aus dem Verwaltungsrat der Zeitung entfernt worden war, brachte am 1. September 1944 wieder das „SiebenbürgischDeutsche Tageblatt“ heraus. Hönig wurde im Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert und gelangte erst 1949 in den Westen. Zwischen 1957 und 1970 war er in München Chefredakteur der „Siebenbürgischen Zeitung“, dem Organ der Landsmannschaft.

Mariana Hausleitner

Literatur Johann Böhm, Hitlers Vasallen der Deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2006. Mariana Hausleitner, Die Darstellung des Serbienfeldzuges in der Banater Ausgabe der „Südostdeutschen Tageszeitung“, in: Markus Winkler (Hrsg.), Presselandschaft in der Bukowina und den Nachbarregionen (1900–1945), München 2011, S. 221–236. Alfred Hönig, Zwischen Mächten und Dogmen, Sankt Michael 1984.

Die Sünde wider das Blut (Artur Dinter, 1917–1934)

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Die Sünde wider das Blut (Artur Dinter, 1917–1934) „Die Sünde wider das Blut“ ist der erste Band der Romantrilogie Artur Dinters (1876–1948) „Die Sünden der Zeit“ (1917–1922). Von 1917 bis 1934 erlebte er eine Auflage von 260.000 Exemplaren, bis zur 16. Auflage von 1921 waren es 230.000. Sie kamen zuerst bei Erich Matthes & Thost heraus, die Ausgaben von 1925, 1927 und 1929 bei Ludolf Beust und 1934 im Hammer-Verlag von Theodor Fritsch, alle in Leipzig. Der Roman ist Houston Stewart Chamberlain gewidmet. Das Motto, der Vers 1 Joh 4,1 („Glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind“), verweist auf den religiösen Kampf um den rechten Geist. Dinter will zeigen, dass die Judenfrage keine Religions-, sondern eine Rassenfrage sei. In die Handlung flicht er in langen Monologen und Dialogen die Konstruktion des Gegensatzes von „Geist“ und „Stoff“, Idealismus und Materialismus, Germanentum und Judentum und propagiert den arischen Christus. In zum Teil langen Fußnoten verweist er auf aktuelle Debatten und die Literatur. Ausführlich zitiert er dabei jüdische Stimmen, die angeblich seine antisemitische Verschwörungstheorie von der „jüdischen Rassenvergiftung“ stützen würden. Dem Roman ist eine „Schriftenkunde zur Einführung in die Judenfrage“ beigefügt. In der Romanhandlung exerziert Dinter die Theorie der Telegonie oder Fernzeugung durch, die einerseits in einer literarischen Tradition und andererseits im kolonial-medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts über „Mischehen“ fußt, den er antisemitisch zuspitzt. Nach der Fernzeugungstheorie nimmt das werdende Kind die Gestalt der Person an, an die die Mutter während der Zeugung oder Schwangerschaft intensiv denkt. Den Text kann man als ein wissenschaftliches Experiment in Romanform mit drei Versuchsanordnungen verstehen. Alle handelnden Personen, auch die „Juden“ und „Halbjuden“, sind christlich getauft. Im ersten Experiment geht es um die Frage, ob eine „Halbjüdin“ arische Christin werden könne und Kinder aus einer Verbindung mit einem „Arier“ arisch seien. Der Romanheld Hermann Kämpfer, wie Dinter ein armer Chemiker, verliebt sich in Elisabeth, bei deren Vater, einem jüdischen Industriellen, er angestellt ist. Sie ist die Tochter aus einer vorehelichen Beziehung mit einer später geehelichten „arischen“ Angestellten. Nachdem die arisch-christliche Seelenverwandtschaft mit der „Halbchristin“ hergestellt ist, heiraten sie. Doch ihr Kind wird eine Missgeburt mit den Zeichen der „verhassten Rasse“ von „Neger“ und „Jude“, ebenso das zweite, worauf dieses und die Mutter sterben. Damit ist Elisabeths Unschuld bewiesen, aber auch die tödliche Kraft des jüdischen Einflusses, der darin bestand, dass sie während der Schwangerschaften an ihren früheren jüdischen Verlobten gedacht hatte. Das zweite Experiment ist eine Studie in vergleichender Rassenkunde: Kämpfer zieht nach dem Tod seiner Frau den Erstgeborenen zusammen mit dem Sohn auf, den er einst mit einem „arischen“, inzwischen verstorbenen Mädchen gezeugt hatte. Letzterer entwickelt sich „prächtig“, der andere ist „minderwertig“. Kämpfer fand in den nachgelassenen Briefen seines Schwiegervaters heraus, dass die Missgeburten nicht zufällige Unglücksfälle waren. Dieser „jüdische“ Industrielle hatte systematisch Hunderte von Angestellten geschwängert und ausgehalten, mit der Absicht der „jüdischen“ „teuflischen Rassenvergiftung“, die Dinter im dritten Experiment vorführt.

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Den Svenske Arbetaren (Schweden, 1888–1892; 1894–1895)

Dem Helden gebiert seine zweite Frau Johanna, eine reine „Arierin“, ebenfalls ein missgestaltetes Kind, das Ergebnis einer früheren Schwängerung durch einen „Juden“. Ein einziger Sexualkontakt – so die Lehre – infiziere die Frau und führe für ewig zu Missgeburten, selbst wenn der Vater ein „Arier“ ist. Um seine Ehre zu retten, erschießt Kämpfer den „jüdischen Rassenschänder“. Vor Gericht plädiert er unter dem Jubel des Volkes für das Verbot von „Rassenmischehen“ und die Entfernung der Juden aus der Öffentlichkeit. Seinen Freispruch interpretiert Kämpfer als Auftrag Gottes, sich für den Geist des Germanentums und gegen den Stoff, den „jüdischen“ Materialismus, einzusetzen. Wie der heldische Christus opfert er im Krieg sein Leben – fürs Vaterland.

Ulrich Nanko

Literatur Cornelia Essner, Die „Nürnberger Gesetze“ oder Die Verwaltung des Rassenwahns 1933– 1945, Paderborn u. a. 2002. Gerhard Henschel, Neidgeschrei. Antisemitismus und Sexualität, Hamburg 2008.

Den Svenske Arbetaren (Schweden, 1888–1892; 1894–1895) „Den Svenske Arbetaren“ [Der schwedische Arbeiter] war eine antisozialistische Stockholmer Wochenzeitung und Vereinsorgan des kurzlebigen Svenska Antisemitiska Förbundet [Schwedischer Antisemitischer Bund], einer frühen antisemitischen Organisation in Schweden nach deutschem Vorbild. Die Zeitung erschien zunächst im Zeitraum 22. Juni 1888 – 13. August 1892 mit dem Untertitel „Organ für Schwedens nicht-sozialistische Arbeiter“. Nach einer längeren Unterbrechung kam sie im Zeitraum 7. Februar 1894 – 18. Januar 1895 heraus, dann mit dem Zusatz „Nationalliberale Volkszeitung“. Nach eigener Aussage hatte „Den Svenske Arbetaren“ 1889 eine Auflage von 6.500 Exemplaren, wiederkehrende Unterbrechungen in ihrem Erscheinen deuten allerdings auf erhebliche finanzielle Schwierigkeiten des Unternehmens hin. Herausgeber und leitender Redakteur der Zeitung war der Arbeiter Pehr August Skarin, der bereits zuvor als antisozialistischer Redner in Erscheinung getreten war. Anfänglich wirkte auch der in der Abstinenzbewegung aktive Carl Emanuel Westin als Redakteur der Zeitung. Gegründet als Gegengewicht zur erstarkenden sozialdemokratischen Presse vertrat „Den Svenske Arbetaren“ das Ziel einer moralischen Kräftigung der schwedischen Arbeiter unter nationalen und christlichen Vorzeichen gegen die angebliche Religionsverachtung und Oppositionslust der sozialistischen Arbeiterbewegung. Die Zeitung betonte die Verantwortung der Arbeiter zur Selbstbildung und warb für die schwedische Abstinenzbewegung. Nach dem Ausscheiden Westins aus der Redaktion im August 1888 erhielt das Blatt eine offen antisemitische Ausrichtung. Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern imaginierte „Den Svenske Arbetaren“ nun als Teil eines perfiden jüdischen Plans, in dem die Verbreitung von Sozialismus, Unmoral und Vaterlandsverrat dem Machtanspruch jüdischer Eindringlinge in die Hände spielen würde. Schwedische Sozialisten und Liberale attackierte „Den Svenske Arbetaren“ jetzt als Handlanger einer weltweiten jüdischen Verschwörung. Im November 1889

Tägliche Rundschau (1881–1933)

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verkündete Skarin explizit, den „Antisemitismus“ in das Programm der Zeitung aufzunehmen und gründete kurz darauf den Svenska Antisemitiska Förbund. Nach dem schnellen Scheitern der Organisation verschwanden die antisemitischen Inhalte bis zu ihrer vorübergehenden Einstellung im Dezember 1890 fast vollständig aus der Zeitung. Mit der Wiederaufnahme der Zeitung im Juli 1894 nahmen antisemitische Inhalte erneut eine zentrale Rolle in der Berichterstattung ein. Im Oktober wurde auch der Svenska Antisemitiska Förbund erneut gegründet, bestand aber wiederum nur für wenige Monate. „Den Svenske Arbetaren“ warb für die Flugschriften der Organisation, veröffentlichte Boykottaufrufe gegen jüdische Geschäfte und forderte die Konversion oder Ausweisung aller jüdischen Schweden. Die Zeitung konnte in dieser Zeit allerdings nur unregelmäßig erscheinen und stellte ihr Erscheinen nach 13 Nummern wieder ein.

Christoph Leiska

Literatur Mattias Tydén, Svensk Antisemitism 1880–1930 [Schwedischer Antisemitismus 1880– 1930], Uppsala 1986.

Tägliche Rundschau (1881–1933) Die „Tägliche Rundschau“ erschien unter wechselnden Titeln und Untertiteln vom 1. September 1881 bis zum 8. Juli 1933. Wechselvoll und verwirrend erscheint auch ihre Geschichte, da sie ebenso oft den Herausgeber, Chefredakteur wie auch das politische Lager wechselte. Ihre Auflage lag im Jahr 1890 bei 26.500 Exemplaren und im Jahr 1917 bei 82.000. Zunächst positionierte sich die Zeitung bürgerlich-national und parteilos unter der Herausgeberschaft des Verlagsbuchhändlers Bernhard Brigl und offiziell auch des Dichters Franz Bodenstedt. Die Untertitel „Zeitung für Nichtpolitiker, zugleich Ergänzungsblatt zu den Organen jeder Partei“ oder bald „Parteiloses Organ für Leser jeder politischen Richtung“, ein Jahr später dann „Zeitung für unparteiische Politik. Unterhaltungsorgan für die Gebildeten aller Stände oder Zeitung für unpolitische Politiker“ betonen die ausdrückliche Distanzierung von politischen Parteien oder Interessen. Nach der Rubrik der „Hofnachrichten“ folgte im Layout der „Unpolitische Tagesbericht“. Unter der Herausgeberschaft Friedrich Langes ab dem Jahr 1888 bekam die „Tägliche Rundschau“ dann deutsch-nationale und offen antisemitische Züge. Die Redaktion forderte die Wahrung und Verteidigung des Deutschtums, diskutierte die „Judenfrage“ und unterstützte die deutsche Kolonialpolitik. 1896 übernahm der Journalist und Deutsche Volkspartei-Politiker Heinrich Rippler die Herausgeberschaft der Zeitung. 1900 wird der Untertitel „unparteiisch“ durch „unabhängig“ ersetzt. Nach Ripplers Ausscheiden wird die „Tägliche Rundschau“ von Friedrich Hussong geleitet und wegen eines Artikels von ihm über Reichskanzler Wirth zum ersten Mal kurzzeitig verboten. Ab 1922 galt die Zeitung vorübergehend als Organ der Stresemannschen Deutschen Volkspartei, nachdem sie von Hugo Stinnes aufgekauft worden war. Von 1924 bis 1928 wurde sie erneut von Heinrich Rippler

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Der Talmudjude (August Rohling, 1871)

und von Bruno Doehring nun als „Neue Tägliche Rundschau. Unabhängige Zeitung für nationale Politik“ herausgegeben. Im Jahr 1930 wurde die Zeitung wiederum kurz vor dem Bankrott vom Christlich-Sozialen Volksdienst (CSVD) unter Wilhelm Simpfendörfer übernommen und erschien unter dem Titel „Tägliche Rundschau über Reich, Staat und Volk“. Ab September 1932 wurde die Zeitung dann wieder unter ihrem ursprünglichen Namen vom TAT-Kreis um Hans Zehrer und Friedrich Wilhelm von Oertzen, angeblich auch mit kurzfristiger finanzieller Unterstützung General von Schleichers, als Tageszeitung übernommen. Die „Tägliche Rundschau“ hat aufgrund ihrer politisch wechselvollen Geschichte keine klare antisemitische Linie verfolgt. Im Jahr 1933 berichtete sie aber wohlwollend über den Boykott jüdischer Geschäfte und Einrichtungen als „Abwehr der ausländischen Greuel- und Antideutschlandhetze“, am 1. April kommentierte sie die Übergriffe: „mit diesem Tage nimmt die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland ihren großen Abwehrkampf gegen die jüdische Weltmacht aktiv auf“, und stellte sich damit an die Seite der Nationalsozialisten. Die Redaktion mit Anhängern der „Revolution von Rechts“ eckte aber trotz geistiger Nachbarschaft wiederholt mit den nationalsozialistischen Machthabern an, sodass die „Tägliche Rundschau“ im Juli 1933, nachdem Zehrer bereits nach einem ersten Verbot hatte aussteigen müssen, schließlich endgültig verboten wurde. Zu den wechselnden Redaktionen der „Täglichen Rundschau“ gehörten außerdem Wilhelm von Mussov, Max Dreyer, Paul von Hoensbroech, Heinrich und Julius Hart, Heinrich Kippler, Ernst Wilhelm Eschmann (Pseudonym: Leopold Dingräve), Friedrich Zimmermann (Pseudonym: Ferdinand Fried) und Giselher Wirsing. Nach Kriegsende erschien in Berlin ab dem 15. Mai 1945 auf Initiative des sowjetischen Generals Bersarin eine Zeitung, die in Ermangelung unbelasteter Zeitungsnamen ebenfalls „Tägliche Rundschau“ hieß und bis zum 30. Juni 1955 erscheinen sollte.

Katharina Kretzschmar

Literatur Heinz-Dietrich Fischer, Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, München 1972. Kurt Koszyk, Deutsche Presse 1914–1945. Geschichte der deutschen Presse. Teil III. Abhandlungen und Materialien zur Publizistik, Berlin 1972. Peter De Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1982. Walther G. Oschilewski, Zeitungen in Berlin: Im Spiegel der Jahrhunderte, Berlin 1975.

Der Talmudjude (August Rohling, 1871) Bei der Schrift „Der Talmudjude“ handelt es sich um eine 1871 in Münster/Westfalen erschienene Broschüre von August Rohling, katholischer Priester und Professor an der Akademie Münster. Die Veröffentlichung ist ein Beispiel des virulenten Antisemitismus katholischer Prägung des 19. Jahrhunderts, zu dessen Stabilisierung das Machwerk maßgeblich beigetragen hat, wobei nicht zuletzt die massenhafte Verbreitung durch den Bonifatius-Verein half. Das Spezifikum ist darin zu erkennen, dass der Verfasser auf ein mittelalterliches Konstrukt zurückgriff und es mit rassistischen Elementen verband.

Der Talmudjude (August Rohling, 1871)

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Seit dem Mittelalter war innerkirchlich die These entwickelt worden, dass das Judentum nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 und nach der Etablierung des Talmuds keine biblische Religion mehr sei, sondern sich zu einer eigenen Religionsform entwickelt habe, der die biblischen Grundlagen fehlten. Erst die „Bekehrung“ zur Bibel und die Aufgabe des Talmuds schüfen die Voraussetzungen für eine christliche Mission unter Juden. Auch Rohling versteht seine Schrift als judenmissionarisch und aufklärerisch. Juden sollten erkennen, dass der Talmud und seine Lehren einen religiösen Irrweg darstellten, während Christen darüber aufgeklärt werden sollten, welche Gefahr ihnen vom Talmud bzw. dessen Anhängern drohte. Rohling leitete sämtliche antisemitische Topoi – wie etwa jüdische Weltherrschaft, Verschwörungstheorien, Ritualmordlegende, sexuelle Polemiken – aus dem Talmud ab und verband sie mit den Klischees des religiösen Antijudaismus. Die den Talmud betreffenden Textteile sind weitgehend Exzerpte aus Eisenmengers → „Entdecktes Judenthum“. Bei den sogenannten Zitaten aus dem Talmud handelt es sich um Verfälschungen, Fehlübersetzungen oder einfach aus dem Kontext gerissene Versatzstücke. Trotz der offensichtlichen Mängel fand das Werk nicht nur im deutschsprachigen Raum weiteste Verbreitung, sondern wurde auch ins Französische, Englische und Ungarische übersetzt und erlebte zahlreiche Auflagen bis zu Beginn der 1930er Jahre. Eine Neuauflage während der nationalsozialistischen Herrschaft ist nicht bibliographisch zu belegen. Obwohl sich gegen die Schrift frühzeitig Widerspruch anmeldete, galt der Verfasser vielen als Experte in Judaica und Talmudica. Als solcher inszenierte er sich insbesondere in seiner Zeit als Professor an der deutschsprachigen Universität zu Prag und bot sich ebenso als Gutachter in sogenannten Ritualmordprozessen an, so etwa im Prozess von Tiszaeszlár 1882. Die Reaktion auf die Schrift ist beispielhaft für die wissenschaftliche Bekämpfung des mit Verleumdung des Talmuds einhergehenden Antisemitismus. Zahlreiche christliche und jüdische Fachleute wiesen nach, dass die Schrift die völlige Unkenntnis des Verfassers hinsichtlich Inhalt und Sprache des Talmuds belegte. Die von Rohling verfassten Antworten sind wiederum Dokumente eines vehementen Antisemitismus. Neben dieser Kontroverse in der wissenschaftlichen Welt wurde die Auseinandersetzung in Zeitschriften und Tageszeitungen geführt. Die öffentliche Debatte führte dazu, dass Rohling von seiner Professur in Prag entbunden wurde, wobei eine Rolle gespielt haben dürfte, dass die Unterstützung der kirchlichen Hierarchie abnahm, da sich Rohling mit heterodoxen theologischen Ansichten hervortat. Dem Ansehen Rohlings in den Kreisen der organisierten und nichtorganisierten Antisemiten hat der Nachweis der Haltlosigkeit und Wertlosigkeit seiner Schrift nicht geschadet, vielmehr gilt bis heute „Der Talmudjude“ als unverzichtbare Argumentationshilfe antisemitischer Agitation. Damit können die Schrift und ihre Rezeption als exemplarisch gelten, da beide einen Wissensbegriff generieren, der nicht auf nachprüfbaren Erkenntnissen beruht, sondern auf dem antisemitisch bestimmten Vorverständnis.

Rainer Kampling

Literatur Isak Arie Hellwing, Der konfessionelle Antisemitismus im 19. Jahrhundert in Österreich, Wien 1972.

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Tēvija (Lettland, 1941–1945)

Hannelore Noack, Unbelehrbar? Antijüdische Agitation mit entstellten Talmudzitaten. Antisemitische Aufwiegelung durch Verteufelung der Juden, Paderborn 2001. Alexander Patschovsky, Der „Talmudjude“. Vom mittelalterlichen Ursprung eines neuzeitlichen Themas, in: Alfred Haverkamp, Franz-Josef Ziwes (Hrsg.), Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters, Berlin 1992, S. 13–27. Avihai Shivtiel, A twentieth century blood libel and its reflection in the Arabic version of August Rohling’s „Der Talmudjude“, in: Hebrew Language and Jewish Studies 83 (2001), S. 83–90.

Telegramm → Schweizerbanner

Tēvija (Lettland, 1941–1945) Die Zeitung „Tēvija“ [Vaterland] war das führende lettischsprachige Pressemedium der deutschen Besatzungsmacht in Lettland, dessen Informationsgehalt in erster Linie aus nationalsozialistischen und aggressiv antisemitischen Inhalten bestand. Die Zeitung wurde bisweilen auch als der lettischsprachige „Stürmer“ bezeichnet. Die Ursprünge der Zeitung führen zur Tätigkeit des „Lettischen Organisationszentrums“ von Ende Juni 1941 zurück, das sich als provisorische Regierung eines unabhängigen Lettland unter deutscher Führung verstand und ein einseitiges Blatt namens „Brīvā Zeme“ [Freies Land] herausgab. Dieses erschien ab dem 2. Juli 1941 unter deutscher Besatzungskontrolle unter dem Namen „Tēvija“. Die Redaktionsleitung in Riga lag in den Händen von extrem antisemitisch eingestellten lettischen Nationalisten. Zunächst wurde „Tēvija“ von Artūrs Kroders geleitet, Ende Juli 1941 übernahm ein Redaktionskollegium um Pauls Kovaļevskis-Klāns die Herausgabe der Zeitung. Die ideologische Kontrolle der publizierten Inhalte unterstand V. Grosbergs und Ernsts Menzenkampfs. Der Sitz der Zeitung befand sich im Rigaer Zentrum, in der Blaumaņa Straße 38–40. „Tēvija“ erschien täglich und kostete 15 Kopeken. Für den antisemitischen Inhalt und die propagierten Feindbilder des Blattes war Folgendes typisch: Juden wurden als politische Gegner dargestellt und häufig mit aggressiv kommunistischen und weltverschwörerischen Ideen in Verbindung gebracht. Juden wurden als wirtschaftliche Macht denunziert, die in Verbindung mit ihren politischen Zielen die Weltherrschaft anstrebte. Weiterhin waren die antisemitischen Texte gegen Juden als kulturell-religiöse Gegner gerichtet. In vielen Fällen wurden Fotomaterial und Karikaturen eingesetzt. Autoren der antijüdischen Texte waren insbesondere Alfons Vilde, Jānis Martinsons, Arvīds Melliņš und Ādolfs Šilde. Die Zeitung reflektierte bisweilen die Abfolge der Maßnahmen der deutschen Besatzer gegen die jüdische Bevölkerung Lettlands und unterlegten diese mit aggressiven antisemitischen Inhalten, wie beispielsweise in dem Artikel „Der Jude – unser Vernichter“ vom 11. Juli 1941, zu einem Zeitpunkt, als die ersten Pogrome gegen die Juden des Landes in vollem Gang waren. Ebenso wurde die Umsiedlung der Rigaer Juden ins Ghetto im Oktober 1941 kommentiert. „Tēvija“ diente als Informations- und Verbreitungsmedium für aktive Kollaborateure. Am 4. Juli 1941 erschien ein Aufruf an alle national eingestellten Letten, dem Erschießungskommando unter Viktors Arājs beizutreten. Die meisten aggressiv gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Texte fanden sich in der „Tēvija“ zu Beginn und in den ersten Monaten der deutschen Besatzung in Lett-

Tėvynės sargas (Litauen, 1896–1904)

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land; ab Dezember 1941 ging der Anteil stark zurück. Die Zeitung wurde zu einer Plattform nationalsozialistischer Ideen und tendenziöser Kommentare zu tagespolitischen Inhalten bzw. zum Frontverlauf im Krieg gegen die Sowjetunion.

Katrin Reichelt

Literatur Björn M. Felder, Lettland im Zweiten Weltkrieg. Zwischen sowjetischen und deutschen Besatzern 1940–1946, Paderborn u.a. 2009. Katrin Reichelt, Lettland unter deutscher Besatzung 1941–1944. Der lettische Anteil am Holocaust, Berlin 2011.

Tėvynės sargas (Litauen, 1896–1904) „Tėvynės sargas“ [Wächter des Vaterlandes] war eine litauischsprachige Zeitschrift, die monatlich von 1896 bis 1904 erschien. Sie wurde in Tilsit gedruckt und über die Grenze in den zum Russischen Reich gehörigen Teil Litauens geschmuggelt. Die Auflage der Zeitung stieg von 1.500 (1898) auf 2.000 (1899–1903). Chefredakteur war der litauische Priester Felicijonas Lelis; der Inhalt wurde maßgeblich von dem Geistlichen Juozas Tumas-Vaižgantas bestimmt. Die Zeitschrift propagierte die „Emanzipation“ der litauischen christlichen Bauernschaft von den litauischen Juden, die in ihrer Gesamtheit als unterdrückend beschrieben wurden. „Tėvynės sargas“ hatte große Bedeutung für den christlich geprägten Nationalismus, der die politische Landschaft Litauens nach der Russischen Revolution von 1905 dominierte. Die Redaktion des „Tėvynės sargas“ entstand aus den Kreisen um die säkulare Zeitschrift → „Varpas“ [Die Glocke] und die katholisch-konservative Zeitschrift „Žemaičių ir Lietuvos apžvalga” [Žemaitische und litauische Rundschau]. Als 1893 zarische Kosaken eine Versammlung von katholischen Gläubigen bei Kražiai auflösten, dabei neun Menschen töteten und 54 verletzten, kritisierte „Varpas“ die angeblich indifferente Haltung der litauischen Priesterschaft zu der Tragödie. Dies führte zu einem Bruch zwischen „Varpas“ und der katholischen Bewegung. Der junge Priester Juozas Tumas (Pseudonym: Vaižgantas) gründete daher 1896 die katholisch-nationalistische „Tėvynės sargas”. Die maßgeblichen Redakteure der Zeitschrift – Felicijonas Lelis, Dominykas Tumėnas, Juozas Tumas und später Antanas Milukas – waren Mitglieder des geheimen katholischen Vereins der Freunde Litauens (Lietuvos mylėtojų sąjunga), der sich aus Mitgliedern und Absolventen des Žemaitischen Priesterseminars zusammensetzte. Aufgrund des Druckverbots für litauischsprachige Zeitungen in lateinischer Schrift wurde die Zeitschrift im ostpreußischen Tilsit gedruckt und von „Bücherträgern“ über die Grenze geschmuggelt. Die Zeitschrift wurde für den Nationalismus ebenso bedeutend wie für den politischen Katholizismus; sie propagierte den katholisch-christlichen Glauben und die litauische Nationalität als hervorstechendste und gleichberechtigte Merkmale der Bauernschaft. Für Tumas, der die inhaltliche Linie der Zeitschrift vorgab, war Einigkeit unter der gebildeten litauischsprachigen Bevölkerung – egal ob Liberale, Sozialisten oder Katholiken – die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Nationswerdung. Da die Redakteure der Zeitschrift die Idee einer polnisch-litauischen Einheit ablehnten, kann die Herausgabe der Zeitschrift als Beginn der Entstehung einer litauischen ka-

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Trau keinem Fuchs auf grüner Heid (Elvira Bauer, 1936)

tholischen Intelligenzija und somit als klare Distanzierung von früheren Priestergenerationen in Litauen gesehen werden. „Tėvynės sargas“ richtete sich programmatisch gegen „die örtliche Verwaltung, die Juden und die Verräter an Litauen“. Die Zeitschrift propagierte die „Emanzipation“ der Bauern durch deren Organisation sowie den Boykott jüdischer Händler. Ein wichtiges Thema bildete darüber hinaus das (überwiegend von Juden betriebene) Schankwesen, das die Zeitschrift als jüdisch darstellte, womit sie an Traditionen priesterlichen Engagements in der insbesondere in den 1850er Jahren in Litauen einflussreichen Abstinenzlerbewegung anknüpfte. Juden wurden zudem als Kollaborateure dargestellt, die zum einen die Unterdrückungsmaßnahmen der zarischen Behörden umsetzten, zum anderen als wahre Drahtzieher hinter den Verwaltungsbeamten fungierten und die litauischen Aktivisten denunzierten. Die Zeitschrift rezipierte – bis auf die polnische antisemitische Zeitung → „Rola“ – die internationale antisemitische Presse wenig und ist somit für den litauischen Fall deutlich originärer als „Varpas“. Aus dem Kreis der Redakteure ging die Trägergruppe der 1905 gegründeten Litauischen Christdemokratischen Partei (Lietuvos krikščionių demokratų partija) hervor, die zur bestimmenden politischen Kraft im Litauen des späten Zarenreiches und in der frühen Zwischenkriegszeit wurde.

Klaus Richter

Literatur Vaclovas Biržiška, Lietuvių bibliografija. Spaudos uždraudimo laikas (1865–1904 m.) [Litauische Bibliografie. Die Zeit des Presseverbots (1865–1904)], Kaunas 1929. Vaclovas Biržiška, Iš mūsų laikraščių praeities [Aus der Vergangenheit unserer Zeitungen], in: Vaclovas Biržiška (Hrsg.), Knygotyros darbai [Bücherwissenschaftliche Arbeiten], Vilnius 1998, S. 382–452. Klaus Richter, Antisemitismus in Litauen. Christen, Juden und die „Emanzipation“ der Bauern (1889–1914), Berlin 2012. Vytas Urbonas, Lietuvos žurnalistikos istorija. Periodinė spauda [Geschichte des litauischen Journalismus. Die periodische Presse], Klaipėda 2001. Vilma Žaltauskaitė, Catholicism and Nationalism in the Views of the Younger Generation of Lithuanian Clergy in the Late Nineteenth and Early Twentieth Centuries, in: Lithuanian Historical Studies 5 (2000), S. 113–130.

Thatsachen zur Judenfrage → Handbuch der Judenfrage Todesursache Zeitgeschichtsforschung → Der Holocaust auf dem Prüfstand

Trau keinem Fuchs auf grüner Heid (Elvira Bauer, 1936) Es ist wohl kaum ein Bilderbuch je in deutscher Sprache erschienen, das in Aufbau, Text- und Bildsprache mehr Judenhass und Verachtung in sich trägt, als das Kinderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, und keinem Jud bei seinem Eid“. Jenes „Bilderbuch für Groß und Klein“ (Untertitel) wurde 1936 im Stürmerverlag publiziert, Verfasserin war die damals 21-jährige Elvira Bauer, eine staatlich geprüfte Kindergärtnerin und Illustratorin. Von der Autorin ist wenig bekannt. Ihr makabres Mach-

Trau keinem Fuchs auf grüner Heid (Elvira Bauer, 1936)

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werk entpuppte sich als ein singulärer Ausflug Bauers in die Sphären des Stürmerverlags. Das Bilderbuch besteht aus insgesamt 21 Szenen, von denen jede je eine Bild- und eine Textseite umfasst. In ihnen wird ein Kaleidoskop abscheuerregender Bösewichter gezeichnet. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Rassenordnung göttlichen Ursprungs sei, die Juden Kinder des Teufels sind und von ihm nach Deutschland geführt wurden. Bauer entwarf zugleich das Gegenbild des heroischen Deutschen, der gegen die hässliche Kreatur des Juden kämpfe. Jedes Bild führt im Anschluss an diesen Rahmen eine neue antisemitische Figur ein: der Juden Auserwähltheit sei eine zum Weltschurken und Christusmörder, Juden würden gierig die notleidende Landbevölkerung ausbeuten, sie frönten einer verbrecherischen Religion, seien geizig, grausam, reich, gewissenlos, betrügerisch, sexbesessen, faul und hässlich. Es werden antisemitische Typologien des jüdischen Arztes, Händlers und Rechtsanwalts abgerufen, die als Falschbehandler, Ausbeuter und Betrüger die Not der Deutschen zu ihrem Vorteile nutzen und dabei sprichwörtlich über Leichen gehen würden, während der jüdische Metzger Ekelfleisch an Deutsche verkaufe. Gemäß dieser radikalen Logik werden im „Fuchs“ Heiratsverbote und Boykottmaßnahmen formuliert sowie die nationalsozialistische Bewegung als rettende Kraft vor der „jüdischen Satansbrut“ inszeniert, verkörpert durch den Gauleiter Streicher, die Hitlerjugend und den Stürmerverlag. Das Buch endet mit einer dreifachen Vertreibung der Juden aus der Schule, aus der Stadt und aus dem Land. Sie kann als zynische und nahezu unverhüllte Aufforderung zu Mord und Totschlag gelesen werden. Der „Fuchs“ ist ein bemerkenswertes und gleichwohl exzeptionelles Exemplar radikalantisemitischer, pädagogischer Hassliteratur der NS-Zeit. Einerseits erschienen sieben Auflagen, andererseits wurde das Buch nicht offiziell für den Unterricht zugelassen, es fand sich zunächst kein Verlag, der das Buch herausbringen wollte. Selbst der Zentralverlag der NSDAP (→ Eher-Verlag) lehnte eine Drucklegung des Manuskripts ab. Insgesamt wurden mindestens 100.000 Exemplare des Buchs gedruckt. Dennoch ist nach dem Erscheinen des Bauerschen Bilderbuchs außerhalb von Streichers Medienapparat kaum ein publizistisches Echo der zeitgenössischen bücherkundlichen Fachliteratur auf das Buch zu vernehmen. Die „Schülerbücherei“ der Reichswaltung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes oder die „Bücherkunde“ der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP erwähnen den Titel nicht, auch lassen sich keine Hinweise auf den „Fuchs“ in den Empfehlungslisten der Reichsjugendführung oder den Publikationen der Reichsschrifttumskammer finden. Die offiziellen Publikationen zur Jugendliteratur ignorierten das Elaborat Elvira Bauers. Noch 1936 in den Publikationen des Stürmerverlags euphorisch beworben, galt das Buch 1941 mangels Aktualität auch dort als nicht mehr vertriebsfähig. Nach längeren Kontroversen zwischen dem Verlag und der Autorin wurden die unerheblichen Restbestände 1942 vom Markt genommen und eingestampft. Der Gebrauch des „Fuchses“ im schulischen Unterricht ist schwerlich zweifelsfrei zu belegen und in der Literatur umstritten. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass dieses radikalantisemitische Kinderbuch seinen Weg in Schulbibliotheken bzw. in Kindergärten und in die unteren Klassen der Volksschulen fand. Warum sollten Pädagoginnen

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Det tredje Ting (Lorenz Christensen, 1943)

und Lehrerinnen einerseits ohne Skrupel die zur Unterrichtsgestaltung empfohlenen Publikationen des Stürmerverlags nutzen und andererseits auf einen Einsatz dieses Buchs im Unterricht verzichten? Zumal es die Autorin verstand, zentrale und für die schulische Literatur der NS-Zeit typische Argumentationsfiguren für das Bilderbuch aufzugreifen und mit ihnen eine dichte antisemitische Erzählstruktur für den kindlichen Betrachter zu entwerfen. Am meisten irritiert heute bei der Betrachtung des Bilderbuchs wohl die Leichtigkeit, mit der radikalantisemitisches Gedankengut auch an den Bereich der Elementarerziehung anschlussfähig war. Zwar sind die in Kinderreimen verfassten Texte des Bilderbuchs in gewisser Weise holprig und die Kinderzeichnungen imitiert, jedoch wurden hier abstoßende antisemitische Typologien reproduziert, bei der die Autorin auf eine lange Tradition typischer Gesichtszüge, Erzählfiguren und Körperformen im Bildervorrat antisemitischer Karikaturen seit Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgreifen konnte.

Matthias Schwerendt

Literatur Werner Augustinovic, Martin Moll, Antisemitismus als Erziehungsinhalt. Ein Kinderbuch aus dem „Stürmer“-Verlag: Entstehung, Rezeption, Wirkung, in: Publizistik 36 (1991), S. 343–358. Heinrich Pleticha (Hrsg.), Das Bild des Juden in der Volks- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945, Würzburg 1985. Matthias Schwerendt, Trau keinem Fuchs auf grüner Heid, und keinem Jud bei seinem Eid. Antisemitismus in nationalsozialistischen Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien, Berlin 2009.

Det tredje Ting (Lorenz Christensen, 1943) „Det tredje Ting“ [Die Dritte Kammer, Anspielung auf die zwei Kammern des dänischen Parlamentes, Folketing und Landsting] von Lorenz Christensen wurde 1943 von Dansk Bogkreds auf Dänisch (2 Bände) veröffentlicht. Lorenz Christensen (1892–1965), Doktor der Sozialwissenschaften der Kieler Universität, war eine führende Persönlichkeit der deutschen Minderheit in Nordschleswig, das 1920 als Provinz Sønderjylland [Südjütland] in den dänischen Staat eingegliedert worden war. In den 1930er Jahren wurde er Aktivist in den Protestbewegungen jener Region mit dem Ziel, die Bauern während der Depression zu unterstützen. Er agitierte gegen die dänische Regierung und die angebliche Ausbeutung der verschuldeten Provinz mit einer Serie von Pamphleten, in denen er eine antisemitische Rhetorik verwendete, die die nationalen Streitigkeiten in der Grenzregion durch die Schuldzuweisung an eine Gruppe Kopenhagener „Juden“ überbrückte. 1936 trat er in die lokale Sektion der deutschen nationalsozialistischen Partei (NSDAP-Nordschleswig) ein. Nach der Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 erlangte Christensen durch die Errichtung der Sippenkanzlei Nordschleswig, die Ariernachweise ausstellte, Ansehen als Genealoge. Trotz seiner Meinungsverschiedenheiten mit dem Führer der NSDAPNordschleswig lud ihn die deutsche Gesandtschaft 1941 nach Kopenhagen ein und bot ihm die Finanzierung eines Forschungsprojektes an. Christensens Aufgabe be-

Det tredje Ting (Lorenz Christensen, 1943)

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stand in der systematischen Erforschung der Geschichte der dänischen Juden. Ein wesentlicher Teil seines Vorhabens beinhaltete die Erstellung einer umfassenden Kartei mit über 2.000 Namen und Adressen dänischer Juden. Im Herbst 1943 wurde die Kartei der Gestapo überreicht und für die Zusammenstellung von Adresslisten von Juden benutzt; diese Listen fanden während der Massenverhaftungen der dänischen Juden im Oktober 1943 konkrete Verwendung. Gleichzeitig wurde das Forschungsprojekt mit einer zweibändigen Publikation von beinahe 1.200 Seiten abgeschlossen. „Det tredje Ting“ verweist auf eine antisemitische Vision von einer allmächtigen jüdischen Elite, die zur Weltherrschaft entschlossen sei, als deren wichtigste Inspirationsquelle → „Die Protokolle der Weisen von Zion“ dienten. Das Buch zeigt eine voll entwickelte, noch implizite rassistische Ideologie. Aus taktischen Gründen spielte Christensen nun die in seinen früheren Werken deutliche deutsch nationalistische Rhetorik herunter und unterließ jeden Bezug zum Nationalsozialismus. Ziel des Buches war die Ausformulierung eines dänischen Antisemitismus, der seine Legitimität aus der dänischen Tradition und Geschichte ableitete. Er beabsichtigte, die in der dänischen Öffentlichkeit weitverbreitete Auffassung anzufechten, die den Antisemitismus und den Nationalsozialismus in eins setzte und so den Antisemitismus als ein deutsches und undänisches Phänomen stigmatisierte. Das Buch ist eine antisemitische Analyse der dänischen Geschichte, in erster Linie der Periode 1914 bis 1924. Diese Zeitspanne hat für dänische Antisemiten zentrale Bedeutung, da die Regierung der Jahre 1913–1920 unter dem Premierminister C. Th. Zahle mehrere Minister umfasste, die wiederholt wegen ihrer jüdischen Herkunft diffamiert wurden; an erster Stelle traf es den Finanzminister Edvard Brandes. Zweitens wurde, als die damals größte Bank in Skandinavien „Landmandsbanken“ [Bauernbank] 1922 wegen spekulativer Aktiengeschäfte zusammenbrach, der Direktor Emil Glückstadt, gleichfalls jüdischer Herkunft, als skrupellose Nummer eins ausgemacht. Die Antisemiten kümmerte es wenig, dass Brandes ein leidenschaftlicher Freidenker und Glückstadt zum Katholizismus konvertiert war. Von der antisemitischen Propaganda nicht trennen ließ sich Christensens Opposition gegen die Tendenz des modernen Kapitalismus zur Monopolisierung und Kapitalisierung, eine Gegnerschaft, die allerdings von angesehenen zeitgenössischen Ökonomen auf breiter Basis geteilt wurde. Trotz des Fehlens einer expliziten nationalsozialistischen Aussage und des impliziten Rassismus in „Det Tredje Ting“ reagierte die dänische Presse mit konsequenter Nichtbeachtung des Buches, auch wenn der Presseattaché der deutschen Gesandtschaft die Presse wiederholt zu einer Besprechung zu zwingen versuchte. Er übte auch auf das dänische Außenministerium Druck aus, erreichte aber nur den Abdruck einer neutralen Anzeige. Mehr Erfolg hatte die Gesandtschaft beim Radio. Christensen wurde im März 1944 mit drei Vorträgen im staatlichen Rundfunk gefördert, und die Presse war gezwungen, Zusammenfassungen der Sendungen abzudrucken. Abgesehen davon erschienen die einzigen Rezensionen des Buches in der nationalsozialistischen Presse. Nach der Massenverhaftung der dänischen Juden wurde Christensen zur deutschen Zensurbehörde versetzt, wo er bis zur Befreiung im Mai 1945 blieb. 1948 wurde er in den Nachkriegsprozessen von einem untergeordneten Gericht zu vier Jahren Gefängnisstrafe verurteilt, angeklagt wegen Verstoßes gegen den dänischen Antirassismus-

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Tritsch-Tratsch (Österreich, 1858–1859)

Absatz, der 1939 ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden war. Im Berufungsverfahren im selben Jahr maß ein höheres Gericht den schwerwiegenden Folgen seiner Kartei große Bedeutung zu und erhöhte die Strafe auf sechs Jahre Freiheitsentzug. Trotz seiner entscheidenden Rolle bei der Massenverhaftung der Juden wurde Christensen 1949 auf Bewährung freigelassen. 1958 erhielt er eine Anstellung bei der Zeitung der deutschen Minderheit „Der Nordschleswiger“ und arbeitete dort bis zu seinem Tod im Jahre 1965. „Det tredje Ting“ ist das wichtigste Werk des dänischen Antisemitismus. Christensens Name und seine Schriften gelangten auf antisemitische und revisionistische Homepages im Internet, wo die Bände digitalisiert 2008 erneut veröffentlicht wurden.

Sofie Lene Bak Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Sofie Lene Bak, Dansk Antisemitisme 1930–1945 [Dänischer Antisemitismus 1930–1945], Kopenhagen 2004.

La Tribuna Popular (Uruguay, 1879–1960) Gegründet im Dezember 1879, zeigte sich diese Zeitung, die von Konservativen und Unternehmerkreisen gestützt wurde, seit den 1920er Jahren extrem nationalistisch und sympathisierte nach 1933 mit den Ideen des europäischen Faschismus. Trotz laizistischer Tendenzen richtete sich „La Tribuna Popular“ explizit an ein katholisches Publikum und fand durch ihre Aufmerksamkeit heischende Aufmachung weite Verbreitung. Das Blatt polemisierte gegen die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen aus Europa und startete insbesondere zwischen 1936 und 1937 eine antisemitische Kampagne. Seine Positionen gegen die hegemonialen Ansprüche der USA in Lateinamerika begründete es mit der These eines „Weltfinanzjudentums“ und druckte zur Untermalung dieser Ansicht in der Ausgabe vom 20. November 1938 eine Karikatur ab, die Präsident Roosevelt als von Juden gelenkten Roboter darstellte.

María Ximena Alvarez/Lasse Hölck

Literatur Clara Aldrighi, Miguel Feldman, María Magdalena Camou, Gabriel Abend, Antisemitismo en Uruguay. Raíces, discursos, imágenes (1870–1940), Montevideo 2000. Daniela Bouret, Alvaro Martínez, David Telias, Entre la Matzá y el Mate. La inmigración judía al Uruguay: Una historia en construcción, Montevideo 1997. Miguel Feldman, Tiempos Difíciles. Immigrantes judíos en Uruguay 1933–1945, Montevideo 2001.

Tritsch-Tratsch (Österreich, 1858–1859) Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts erschienen in Wien – zeitlich hintereinander – zwei humoristische Blätter unter dem Titel „Tritsch-Tratsch“. Der Journalist und Theaterschriftsteller Ottokar Franz Ebersberg (1833–1886), bekannter unter seinem Decknamen O. F. Berg, kaufte 1855 das satirisch-humoristische Blatt „Teufel von

Tschornaja Kniga (Wasili Grossman, Ilja Ehrenburg, 1946)

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Wien“ vom Schauspieler und Schriftsteller A. Varry, ein Pseudonym für Anton Löger (1813–1862). „Teufel von Wien“ war zum ersten Mal am 21. Oktober 1855 erschienen. Den Hauptinhalt bildeten in jeder Nummer die „Briefe des Teufels an seine Großmutter“ über Wiener Zustände und Ereignisse in hochdeutscher Sprache. Nach dem Verkauf gab Berg – ab 1. März 1858 – das Blatt in einem größeren Format und billiger unter dem Titel „Tritsch-Tratsch“ heraus. Die illustrierte Zeitschrift war, was seinen humoristischen Stil betraf, wesentlich zurückhaltender als ihr Vorgänger. Das Blatt konnte sich – nicht zuletzt auch wegen der strengen Zensur der Jahre nach der Niederwerfung der Wiener März-Revolution 1848 – nur drei Jahre lang halten. Ab 1861 wurde es schließlich als das wöchentlich erscheinende Satireblatt → „Kikeriki“ weitergeführt. „Kikeriki“ verfolgte unter O. B. Berg im Wesentlichen eine demokratisch-populäre Linie und trat für Toleranz im Zusammenleben der Religionen ein. Das zweite unter dem Namen „Tritsch-Tratsch“ von 1882 bis 1890 erscheinende Satireblatt ist pressegeschichtlich kaum dokumentiert. Die von dem Redakteur Ferdinand Aichner und dem Schriftsteller und Illustrator Gottfried Sieben (1856–1918), der auch unter dem Pseudonym Archibald Smith arbeitete, herausgegebene Zeitschrift erschien in wechselnden Formaten. In seinem Untertitel nannte sich das Blatt „Wiener Kladderadatsch“ bzw. „Illustrirtes humoristisches Wochenblatt“. Sämtliche Nationalitäten und Minderheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie waren dem Spott des Blattes ausgesetzt, ihre Karikaturen waren in der Regel mit den damals üblichen Stereotypien versehen, so die Ungarn zum Beispiel als Bauern mit übergroßen Schnurrbärten. Insgesamt betrachtet war indes keine spezifisch antisemitische Grundhaltung im Blatt zu spüren.

Béla Rásky

Literatur Eduard Castle, Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Dritter Band, von 1949 bis 1890, Wien o. J., S. 380–383. Ernst Scheidl, Die humoristisch-satirische Presse in Wien von den Anfängen bis 1918 und die öffentliche Meinung, Wien (phil. Diss.) 1950.

Tschornaja Kniga (Wasili Grossman, Ilja Ehrenburg, 1946) Als „Tschornaja Kniga“ [Schwarzbuch] wurde im und nach dem Zweiten Weltkrieg eine sowjetische Dokumentation über den Holocaust vorbereitet. Die Veröffentlichung wurde durch die gegen Juden und deren „Nationalismus“ gerichteten Repressionen des späten Stalinismus verhindert. Schon während des Krieges sparte die sowjetische Informations- und Propagandapolitik die Thematisierung der Judenvernichtung weitgehend aus. Nur der Publizistik des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAK) blieb es überlassen, die internationale Presse mit Berichten über die Verbrechen der Deutschen an Juden und über die Taten jüdischer Rotarmisten zu versorgen. Solche Informationen als Buch zusammenzufassen, wurde dem JAK Ende 1942 von Albert Einstein und anderen US-Kontaktpersonen vorgeschlagen. Das Projekt wurde beschlossen (und in Moskau genehmigt),

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Tschornaja Kniga (Wasili Grossman, Ilja Ehrenburg, 1946)

als Vertreter des JAK 1943 eine Reise durch Nordamerika unternahmen. Ab Juli 1943 forderte die Zeitung des JAK ihre Leser auf, Berichte über die Verbrechen an Juden einzusenden. 1944 wurden sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion Komitees für die Herausgabe des Schwarzbuchs gegründet, Letzteres wurde beim JAK von Ilja Ehrenburg geleitet. Dieser setzte sich für die Vorbereitung auch einer innersowjetischen russischen Ausgabe ein. Sein Vorhaben eines „Rotbuchs“ über jüdische Soldaten und Partisanen blieb erfolglos. Ehrenburgs Konzept für das Schwarzbuch basierte auf redaktionell bearbeiteten authentischen Erlebnisberichten, wie er sie 1944 in dem jiddischen Sammelwerk „Merder fun Felker“ veröffentlichte. Als im Oktober 1944 die JAK-Führung über 500 Seiten Dokumente auf Wunsch des sowjetischen Botschafters in die USA schickte, zog sich Ehrenburg aus dem Schwarzbuchkomitee zurück. Grund war auch, dass Kontroversen über die Veröffentlichung inner- oder außerhalb der Sowjetunion und über reine Dokumenteneditionen oder literarische Bearbeitungen ohne Entscheidung blieben. Das Projekt wurde in der Folge vor allem von Wasili Grossman vorangebracht, der zusammenfassende Essays bevorzugte, die den Toten eine Stimme geben sollten. Mit einem geringen Anteil der vom JAK gelieferten Dokumente erschien 1946 in den USA ein Buch, das etwa zu einem Siebtel Geschehen in der besetzten Sowjetunion behandelte (The Black Book. The Nazi Crime Against the Jewish People, New York 1946). Auf Drängen des sowjetischen Schwarzbuchkomitees wurde ein zu „nationalistisches“ Vorwort Albert Einsteins gestrichen. Das fertige Manuskript der sowjetischen Fassung wurde den Anklägern beim Nürnberger Prozess zur Verfügung gestellt und 1946 in Kopie in zahlreiche Länder verschickt; in Rumänien erschienen die ersten Kapitel. Das Buch war geografisch gegliedert: Ukraine, Weißrussland, Litauen (je etwa ein Fünftel des Gesamttexts), die Russische Föderation und Lettland (jeweils sechs Prozent). Im Kapitel über Vernichtungslager (ein Fünftel) wurde auch das Schicksal von Juden außerhalb der Sowjetunion geschildert, dazu gehörte Grossmans bereits publizierter Bericht über Treblinka. Das Kapitel über die „Einheit der sowjetischen Menschen“ enthielt aus allen Regionen Beispiele für die Rettung durch Nichtjuden. Ähnlich knapp gehalten (je drei Prozent) war das Ergänzungskapitel, das neben Aussagen gefangen genommener Deutscher die Ideologie der Täter zusammenfasste. Dabei wurde die Vernichtung der Juden vor allem als Schritt zur geplanten Ausrottung der übrigen Bevölkerung gedeutet. Insgesamt besteht das Buch aus heterogenen Beiträgen. Sie reichten von verzweifelten Berichten von Überlebenden bis zu Essays, in denen die Bearbeiter (vierzig oft sehr renommierte Autoren) dem Geschehen mit der Betonung von Hoffnung, Rache oder Neubeginn eine Sinnperspektive zu geben versuchten. Es gab kaum typische Sowjetpropaganda oder Elemente des Stalinkults, aber auch nichts, was als „Zionismus“ hätte gedeutet werden können. So wurden die Verbrechen nicht in die jahrhundertelange Geschichte der Judenverfolgungen eingeordnet. Dennoch wurde das Manuskript von den Zensurinstanzen akribisch geprüft. In Gutachten wurde moniert, die Texte verfälschten Tatsachen: Es werde berichtet, dass Juden sich etwa als Russen getarnt retten konnten. In Wirklichkeit, so die Kritik, hätten die Deutschen alle Nationalitäten gleichermaßen verfolgt. Hinter dieser Variante der Holocaustleugnung stand das Bestreben, der deutschen Propaganda einer „Befreiung“ von der „jüdischen Herrschaft“

Tschornaja Kniga (Wasili Grossman, Ilja Ehrenburg, 1946)

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nicht noch nachträglich Plausibilität zu verschaffen. Dieses Dilemma beschäftigte auch Ehrenburg, doch die Zensoren motivierte primär etwas anderes: Die Darstellung der Verfolgung der Juden, die mehr als ihre Umgebung gelitten hatten und auch Opfer kollaborierender Nachbarn geworden waren, erinnerte daran, dass sie eine Gruppe mit gemeinsamer Identität waren. In der Nachkriegssowjetunion unterlag schon die Beschreibung des Holocaust durch das Abheben der Juden von der sowjetischen „Völkergemeinschaft“ dem Verdacht des „jüdischen Nationalismus“. Grenzüberschreitende jüdische Solidarität war als Bindemittel der sowjetisch-amerikanischen Kooperation bis 1945 als nützlich erachtet und propagiert worden, im Kalten Krieg galt das Festhalten an ihr als Indikator für kollektive Illoyalität und Hinwendung zum Westen. Dazu passte, dass dem JAK die „verräterische“ Lieferung der Schwarzbuch-Dokumente in die USA vorgeworfen wurde. Die Veröffentlichung wurde 1947 endgültig verboten, nachdem der Satz des Buchs schon erfolgt war. Zuvor war vieles gestrichen worden, was die Zensoren bemängelt hatten. Dazu gehörte fast alles über die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an Verbrechen oder über die Rettung durch eine „nichtjüdische“ Tarnung. Die Druckfahnen wurden nicht völlig vernichtet, die Materialsammlung wurde bei der Liquidierung des JAK (1948) vom Geheimdienst beschlagnahmt. Bei der Verurteilung führender Mitglieder des JAK zum Tode (1952) war das Schwarzbuch ein wichtiges „Beweisstück“ ihrer staatsfeindlichen Aktivitäten. Ehrenburg, der von den Repressionen verschont blieb, gab danach die Idee einer Publikation nicht auf. Zwar blieben seine Vorstöße erfolglos, doch in den 1960er Jahren verwies er in seinen Memoiren auf das Schwarzbuch und zitierte Beispiele daraus. Das gesamte Buch erschien erst 1980 in Jerusalem, unter Verwendung der 1946 verschickten Manuskripte und ohne Litauen-Kapitel. Die erste vollständige russische Ausgabe folgte 1993 in Litauen (Černaja kniga. O zlodejskom povsemestnom ubijstve evreev nemecko-fašistkimi zachvatčikami vo vremenno okkupirovannych rajonach Sovetskogo Sojuza i v lagerjach Pol'ši vo vremja vojny 1941 – 1945 gg. Sostavlena pod red. Vasilija Grossmana i Il’ji Ėrenburga [Schwarzbuch. Über den verbrecherischen Massenmord an den Juden durch die deutschen faschistischen Eroberer in den zeitweilig okkupierten Gebieten der Sowjetunion und in den Lagern Polens während des Krieges 1941–45. Zusammengestellt unter der Redaktion von V. Grossman und I. Ėrenburg], Vilnius 1993). Hier und in der von Arno Lustiger herausgegebenen deutschen Übersetzung (Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg, Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden, Reinbek 1994) sind die Streichungen kenntlich gemacht, die nach 1945 bis zur Übergabe zum Drucksatz vorgenommen wurden. Berichte, die nicht ins Schwarzbuch aufgenommen worden waren, aber in den Materialien erhalten blieben, wurden als „Unbekanntes Schwarzbuch“ publiziert (Neizvestnaja černaja kniga. Svidetel'stva očevidcev o katastrofe sovetskich evreev (1941–1944) [Unbekanntes Schwarzbuch. Augenzeugenberichte über die Katastrophe der sowjetischen Juden], Jerusalem, Moskau 1993).

Matthias Vetter

Literatur Corinne Ducey, The Soviet Black Book. An Unread History, in: East European Jewish Affairs 36 (2006), S. 141–161.

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Der Turmwart (Schweiz, 1946–1953)

Arno Lustiger, Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden, Berlin 1998. Joshua Rubenstein (Hrsg.), The Unknown Black Book. The Holocaust in the German-Occupied Soviet Territories, Bloomington u. a. 2008. Matthias Vetter, Die letzte „fünfte Kolonne“. Antisemitismus und stalinistische Minderheitenpolitik, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 19 (2010), S. 234–268.

Türmer-Kulturreisen → Druffel Verlag Türmer-Verlag → Druffel Verlag

Der Turmwart (Schweiz, 1946–1953) Der Untergang der nationalsozialistischen Diktatur ließ auch in der Schweiz für Anhänger nationalsozialistischer und faschistischer Vorstellungen eine parteipolitische Tätigkeit als nicht opportun erscheinen. Einige von ihnen wichen aus und begannen mit publizistischer Politarbeit. Die erste Neugründung startete Werner Meyer (1909– 1981) in Zürich. Er war 1933 Mitbegründer der frontistischen Hochschulgruppe an der Universität Zürich gewesen, später mehrere Jahre lang Redakteur der Zeitung „Die Front“, Organ der nationalsozialistisch-orientierten Nationalen Front. Meyer gründete 1946 den Verlag des Turmwart. Der Verlag begann mit einer Schriftenreihe zu Schweizer Themen. Autoren waren u. a. Werner Meyer und Hans Zopfi, beide ehemalige Mitglieder schweizerischer nationalsozialistischer Organisationen. Bald betätigte sich der Verlag als Plattform für einstige NSDAP-Mitglieder, im Angebot waren Bücher von Karl Radl („Befreier fallen vom Himmel“) und Erich Kern alias Erich Knud Kernmayr („Insel der Tapferen“). Auch besorgte der Verlag den europäischen Vertrieb der Bücher des → Dürer-Verlages (Buenos Aires), so von Wilfred von Oven (Tagebücher, „Mit Goebbels bis zum Ende“) und von Sven Hedin („Ohne Auftrag in Berlin“). Im Januar 1947 veröffentlichte der Verlag die erste Nummer der Monatszeitschrift „Der Turmwart“. Diese erschien jedoch häufig als zweimonatige Doppelnummer. Die Redaktion rühmte sich Ende 1947, „eine Lesergemeinde“ geschaffen zu haben, „die weit über die Grenzen“ der Schweiz hinausreiche. Briefe „aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, England, Portugal, der Tschechoslowakei“ würden beweisen, „wie sehr eine Zeitschrift dieser Art einem europäischem Bedürfnis“ entspreche. Ende 1953 erschien die letzte Nummer, im Sommer 1953 hatte die Redaktion noch angekündigt, die Zeitschrift werde in Zukunft „aus wirtschaftliche Gründen“ nur noch dreimonatlich erscheinen. Sie soll zeitweise bis zu 2.000 Abonnenten gehabt haben. Den politischen Anspruch postulierte Meyer in der ersten Nummer: „Der Faschismus, und vielleicht noch mehr der Nationalsozialismus“ hätten einen Versuch dargestellt, „zwischen dem amerikanischen Hochkapitalismus und dem sowjetischen Kommunismus“ einen „dritten Weg“ zu finden. Europa stehe nun wieder vor den Fragen, die sich „schon einmal, etwa zwischen 1920 und 1930“ gestellt hätten. Nur sei Europa jetzt „ausgeblutet, verwüstet, verarmt, unfrei, von fremden Mächten besetzt“. Eine „europäische Gesundung“ habe als Voraussetzung „das Wiedererstehen Deutschlands, zusammen mit der Bildung einer mitteleuropäisch-bestimmten Staatengruppe im Do-

U. Bodung-Verlag (1919–1945)

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nau-Raum“. Meyer verband die Großmachtvorstellungen mit NS-freundlichen Einschätzungen. Ende 1947 schrieb er, in Deutschland vollziehe sich „eine stetige Entwicklung hin zum Nationalsozialismus“. Und im Herbst 1948 stellte er die Frage, „ob nicht die Opfer an Volkskraft, Gut und Blut, die ein zweijähriger ‚Friede’ gefordert“ habe, „die Verwüstungen eines sechsjährigen Krieges zu überragen“ begännen. Regelmäßiger Autor war der französischsprachige Paul Gentizon (1885–1955), Italien-Korrespondent (1927–1940) einer Westschweizer Tageszeitung und Anhänger Mussolinis. Die helvetische Sprachgrenze überwand auch Gaston Armand Amaudruz (geb. 1920), später bekannt als Redakteur von → „Courrier du Continent“. Amaudruz veröffentlichte Berichte über seine Reisen nach Österreich. Weitere Autoren waren: Fritz Stüber/Österreich, bis zu seinem Ausschluss Nationalrat in der Gruppe „Verband der Unabhängigen“ (VdU), ebenso Otto Ohlendorf, im Juni 1951 hingerichteter SSGruppenführer und Befehlshaber der Einsatzgruppe D, und auch Hermann-Bernhard Ramcke, einst General der Wehrmacht. Zu den Autoren zählte auch der Schweizer Oberst Gustav Däniker (1896–1947), der wegen seiner deutschlandfreundlichen Einschätzungen von der Schweizer Landesregierung 1942 von seinem Posten entfernt worden war. Däniker publizierte im „Turmwart“ seine letzten militärtheoretischen Aufsätze.

Hans Stutz

Literatur Jürg Frischknecht, „Schweiz – wir kommen“. Die neuen Fröntler und Rassisten, Zürich 1991.

U. Bodung-Verlag (1919–1945) Im U. Bodung-Verlag erschienen seit Anfang der 1920er Jahre zahlreiche antisemitische Flugblätter, Pamphlete und Schriften. Begründet wurde das Unternehmen durch den Oberstleutnant a. D. Ulrich Fleischhauer (1876–1960), einen selbsternannten „Sachverständigen“ für „Judenfragen“, der während der Weimarer Republik zeitweise der Deutschnationalen Volkspartei angehörte. Der Verlag hatte seinen Sitz zunächst in Perleberg. Mitte der 1920er Jahre siedelte er sich in Erfurt an, wo er bis zum Kriegsende 1945 bestand. In seinen Schriften griff der U. Bodung-Verlag gängige antisemitische Sujets auf. Dazu gehörten Behauptungen einer angeblichen Konspiration durch „Alljuda“ („Der jüdische Weltverschwörungsplan“, 1937) sowie die Verknüpfung antisemitischer Stereotype mit pornografischen Fantasien. Die Weimarer Republik wurde als eine durch Juden gelenkte Demokratie dargestellt und Juden die Verantwortung am Ersten Weltkrieg zugeschrieben („Am Brandherd des Weltkrieges“, 1929). Eine Buchreihe angeblich russischer Autoren, die von Bolschewisten ermordet worden sein sollen, enthielt dagegen Schauergeschichten über junge Mädchen, die durch blutrünstige Juden verführt und vergewaltigt worden seien. Als Erkennungszeichen wählte der U. BodungVerlag einen Geier mit jüdischen Gesichtszügen, den ein Totenkopf mit Davidstern krönte.

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Über den Antisemitismus (Friedrich Engels, 9. Mai 1890)

Zu den Schriften, die besonders nachhaltige Wirkung entfalteten, zählten zwischen 1929 bis 1931 vier von ursprünglich sechs geplanten Bänden des Personenlexikons → „Sigilla Veri“ [Siegel der Wahrheit]. Ihr Urheber war der völkische Schriftsteller und Journalist Georg Philipp Stauff (1876–1923), der bereits 1913 gemeinsam mit Heinrich Kraeger ein Nachschlagewerk unter dem Titel „Semi-Kürschner“ herausgegeben hatte – eine Anspielung auf den „Deutschen Literaturkalender“ von Joseph Kürschner. Das sogenannte Lexikon enthielt biographische Artikel, in denen insbesondere Literaten, Kaufleute und Politiker „jüdischer Rasse oder Versippung“ denunziert wurden. Zu nennen sind außerdem verschiedene Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Berner Prozess zwischen 1933 bis 1937, den der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Kultusgemeinde Bern gegen Antisemiten angestrengt hatten, die die Echtheit der → „Protokolle der Weisen von Zion“ zu belegen versuchten. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen („Das Berner Fehlurteil über die Protokolle der Weisen von Zion“, „Der jüdische Weltverschwörungsplan. Die Protokolle der Weisen von Zion vor dem Strafgerichte in Bern“) und ein Band mit Akten und Gutachten aus dem Prozess erschienen im U. Bodung-Verlag. Zwischen 1939 und 1944 veröffentlichte der Verlag außerdem zehn Bände der Reihe „Thüringer Untersuchungen zur Judenfrage“. Zum Zwecke der „Aufklärung“ über die „Judenfrage“ wurde auch die Zeitschrift → „Welt-Dienst“, die Fleischhauer seit 1933 im U. Bodung-Verlag herausgab, und die Schriftenreihe „Weltdienst-Bücherei“ publiziert. Der „Welt-Dienst“ stützte sich auf eine große Zahl freiwilliger Mitarbeiter und Korrespondenten, die jüdische Zeitungen und Zeitschriften weltweit auswerteten und das Material für Artikel propagandistisch aufbereiteten. Ihre Absicht bestand laut Impressum darin, „die schlecht orientierten Nichtjuden aufzuklären“.

Martin Finkenberger

Literatur Magnus Brechtken, „Madagaskar für die Juden“. Antisemitische Idee und politische Praxis 1885–1945, München 19982. Eckart Schörle, Internationale der Antisemiten. Ulrich Fleischhauer und der „Welt-Dienst“, in: WerkstattGeschichte 51 (2009), S. 57–72.

Über den Antisemitismus (Friedrich Engels, 9. Mai 1890) Unter dem Titel „Brief an einen Freund“ erschien am 9. Mai 1890 zuerst in der Wiener „Arbeiterzeitung“, bald darauf in weiteren Blättern der Arbeiterbewegung, ein von Friedrich Engels verfasster Text, in dem er als erster Arbeiterführer eine eindeutige Position gegen den Antisemitismus als antikapitalistische Agitationsform bezog. Engels verfasste den Brief als Antwort an den österreichischen Bankangestellten Isidor Ehrenfreund, der ihm zuvor über den im „Klub der Beamten Wiener Bank- und Kreditinstitute“ grassierenden Antisemitismus berichtet hatte. Der Briefform zum Trotz war Engels' Aufsatz vermutlich von vorneherein zur Veröffentlichung bestimmt. Unter dem Titel „Aus einem Brief nach Wien“ ging Engels’ Aufsatz in den marxistischen Kanon ein.

Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht

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Als „Merkzeichen einer zurückgebliebenen Kultur“ sei der Antisemitismus, so Engels, nur dort anzutreffen, wo der Kapitalismus noch nicht voll ausgebildet sei und der Klassengegensatz sich noch nicht in der Herausbildung einer, die nationale Produktion dominierenden, Kapitalistenklasse und einer dementsprechend starken Arbeiterklasse manifestiert habe. Als Reaktion von über ihren Verhältnissen lebenden Kleinadeligen und vom sozialen Abstieg bedrohten Handwerkern und Kleinhändlern sei der Antisemitismus „nichts anderes als eine Reaktion mittelalterlicher, untergehender Gesellschaftsschichten gegen die moderne Gesellschaft, die wesentlich aus Kapitalisten und Lohnarbeitern besteht [...]“. Je stärker der Kapitalismus sich durchsetze, je ausgeprägter also der Klassengegensatz, desto geringer werde sowohl die Bedeutung jüdischen Kapitals als auch „der aus dem Mittelalter überkommenen Klassen“. Im Laufe dieses Prozesses, der von der Arbeiterbewegung voranzutreiben sei, würde auch der Antisemitismus verschwinden. Eine weitere von Engels in seinem Brief eingeführte Neuerung im Verhältnis der Arbeiterbewegung zum Antisemitismus ist die Absage an eine Gleichsetzung von Juden und Kapital. Diese Sicht verfälsche die Realität und zeuge von Unkenntnis über die realen Lebensverhältnisse der vielen jüdischen Proletarier und Arbeiterführer. Diese seien, ausgebeutet wie alle anderen Lohnarbeiter, ein wichtiger Bestandteil der Arbeiterklasse. Allein deshalb könne der Antisemitismus kein adäquates Mittel im Klassenkampf sein. Engels’ Brief beeinflusste die Haltung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gegenüber dem Antisemitismus als Agitationsform im Klassenkampf weit mehr als Marx’ frühere Schrift → „Zur Judenfrage“. So bezog sich etwa der SPD-Vorsitzende August Bebel in seiner, unter dem Titel → „Sozialdemokratie und Antisemitismus“ als Broschüre veröffentlichten, Parteitagsrede im Oktober 1893 maßgeblich auf die von Engels vorgegebene kapitalismuskritische Analyse des Antisemitismus.

Arnon Hampe

Literatur Rosemarie Leuschen-Seppel, Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich, Bonn 1978. Shlomo Na’aman, Die Judenfrage als Frage des Antisemitismus, in: Juden und deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien und religiös-kulturelle Traditionen, hrsg. von Ludger Heid und Arnold Paucker, Tübingen 1992, S. 43–58.

Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht (Friedrich Rühs, 1815) Bei der Schrift „Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht“ des seit 1810 in Berlin lehrenden Professors der Geschichte Friedrich Rühs (1781–1820) handelt es sich um ein judenfeindliches Pamphlet, das erstmals im Februar 1815 in der „Zeitschrift für die neueste Geschichte, die Völker und Staatenkunde“ veröffentlicht wurde und 1816 in „zweiter, verbesserter und erweiterter Auflage“ mit einem Umfang von 62 Druckseiten in der Berliner Realschulbuchhandlung erschien.

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Ueber die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht

Rühs Schrift erschien im Kontext eines verstärkten Aufkommens judenfeindlicher Schmähschriften, die sich in Folge des preußischen Emanzipationsediktes von 1812 vehement gegen die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden in Preußen und in weiteren Staaten des deutschsprachigen Raums wandten. In Auseinandersetzung u. a. mit der Schrift → „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781) von Christian Wilhelm Dohm behauptete Rühs, dass die den Juden zugeschriebene „Verschlechterung des Charakters“ und ihre „verhaßte Eigenthümlichkeit“ nicht nur mit „dem Druck, worunter sie gelebt“ hätten und den „Verfolgungen“, denen sie ausgesetzt gewesen seien, zu erklären sei, sondern auch mit dem „Geist ihrer Religion und ihrer mit derselben genau zusammenhängenden Volksverfassung“. Neben zahlreichen von Rühs behaupteten judenfeindlichen Stereotypen, z. B. die Charakterisierung der Juden durch „Witz, Schlauheit, Spekulationsgeist und Raffinement“, ihre Diffamierung als „Schacherer und Krämer“, „Blutsauger des Volks“ sowie die Unterstellung, dass sie sich für das „erste und vorgezogenste Volk Gottes“ hielten, „dem die Herrschaft der ganzen Welt gebühre“, sind auch solche Zuschreibungen auffällig, die sich auf die vermeintlichen physischen Merkmale der Juden beziehen. So seien Juden „wegen ihrer schwächeren physischen Konstitution“ für den Militärdienst „nicht geeignet“. Zuvor heißt es: „Auch im ehemaligen Polen findet man in den Kreisen, wo der Juden weniger sind, unter den Bürgern und Bauern mehr Wohlstand, Reinlichkeitsliebe, eine vollere Physiognomie und überhaupt ein einnehmenderes Aeußeres als in den benachbarten Gegenden, die das Unglück haben von den Juden heimgesucht zu seyn.“ Rühs kommt zu dem Ergebnis, dass es besser gewesen wäre, wenn sich die Juden „nicht unter uns angesiedelt“ hätten und man „ihrer Einwanderung und ihrer Vermehrung kräftiger und nachdrücklicher zu wehren gesucht“ hätte. „Jedes Volk“, so Rühs, „das sich in seiner Eigenthümlichkeit und Würde zu behaupten und zu entwickeln wünscht, muss alle fremden Theile, die es nicht innig und ganz in sich aufnehmen kann, zu entfernen und auszuscheiden suchen, dies ist der Fall mit den Juden.“ Auch die politischen Handlungsanweisungen, deren Umsetzung Rühs gegen die in Deutschland lebenden Juden anrät, zeugen von der besonderen Radikalität seiner Schrift, so u.a. der Vorschlag, die Juden zum Tragen einer „Volksschleife“ zu zwingen, „wodurch sie sich unterscheiden“. Zwar erwägt Rühs auch die Möglichkeit, die Juden „ganz und gar [zu] vertreiben oder mit Gewalt [zu] unterdrücken“, verwirft ein solches Vorgehen allerdings, weil es zu „grausam“ sei. Ausgehend von der politischen Grundmotivation seiner Schrift, der kategorischen Ablehnung einer staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden, fasst Rühs seine zentralen Forderungen in folgende drei Punkte: „1. die Festsetzung eines bestimmten Verhältnisses, worin die Juden zu den Deutschen stehen sollen, 2. die Verhütung ihrer Vermehrung durch äußere Einwanderung, 3. die möglichste Erleichterung und Beförderung des Uebertritts zum Christenthum als der ersten und unumgänglichen Bedingung, wodurch sie zu Deutschen werden können.“ Obgleich die erwähnten, auf den Leib bzw. die Physiognomie der Juden bezogenen Anfeindungen von Rühs bereits Elemente eines rassistisch motivierten Antisemitismus beinhalten, deutet insbesondere die dritte der zitierten Forderungen darauf hin, dass auch Rühs hinsichtlich der von ihm geforderten politischen Konsequenzen im Jahr 1816 noch nicht über die für das frühe 19. Jahrhundert typischen judenfeindlichen Positionen hinausging, sondern die

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Konversion zum Christentum als „erste“ – wenn auch offenbar nicht als einzige Bedingung – ansah, durch die Juden „zu Deutschen werden können“. Rühs Schrift löste 1816 eine öffentliche Kontroverse aus. Als Entgegnungen auf seine judenfeindlichen Positionen erschienen u. a. die Schrift „Freimüthige Prüfung der Schrift des Herrn Professor Rühs“ (1816) des Lehrers an der Israelitischen Bürgerund Realschule in Frankfurt/Main Michael Hess sowie die Schrift „Ideen, über die nöthige Organisation der Israeliten in Christlichen Staaten“ (1816) des reformierten Theologen Johann Ludwig Ewald. Verteidigt und in der Radikalität seiner Judenfeindschaft noch übertroffen wurde Rühs durch die Schrift des Heidelberger Philosophen Jacob Friedrich Fries → „Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden“ (1816). Rühs selbst veröffentlichte ebenfalls noch 1816 die Verteidigungsschrift → „Die Rechte des Christenthums und des deutschen Volks. Verteidigt gegen die Ansprüche der Juden und ihrer Verfechter“.

Werner Treß

Literatur Gerald Hubmann, Völkischer Nationalismus und Antisemitismus im frühen 19. Jahrhundert: Die Schriften von Rühs und Fries zur Judenfrage, in: Renate Heuer, Ralph-Rainer Wuthenow (Hrsg.), Antisemitismus – Zionismus – Antizionismus 1850–1940, Frankfurt am Main, New York 1997, S. 10–34. Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik. Konstruktionen des „Deutschen“ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, Tübingen 2008. Carsten Schapkow, Vorbild und Gegenbild. Das iberische Judentum in der deutsch-jüdischen Erinnerungskultur 1779–1939, Köln, Weimar, Wien 2011.

Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (Christian Wilhelm Dohm, 1781 und 1783) Die Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ des aufgeklärten preußischen Beamten und Zensors Christian Wilhelm Dohm erschien in zwei Teilen, 1781 und 1783, bei Friedrich Nicolai in Berlin. Nachdem der noch weitgehend unbekannte jüdische Gelehrte Moses Mendelssohn Dohm um eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der Situation der Juden in Preußen gebeten hatte, nahm dieser Mendelssohns Anliegen zum Anlass, seinen Standpunkt zur Judenemanzipation ausführlich darzulegen. Rezeptionsgeschichtlich lässt sich Dohms Text als Initial der bis weit in die 1790er Jahre andauernden öffentlichen Debatte unter der aufgeklärten Bildungselite über die rechtliche, soziale und kulturelle Lage der Juden in den deutschen Ländern begreifen. Im ersten Teil seiner Abhandlung schlägt Dohm ein Modell der stufenweisen Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der preußischen Juden vor, wobei die darin zum Ausdruck kommende Mischung aus Wohlwollen und Vorurteilen charakteristisch für alle aufgeklärten Emanzipationsbefürworter seiner Zeit ist. Die den Juden zugeschriebenen negativen Charaktereigenschaften – etwa ihre angebliche sittliche „Verderbtheit“ – bestreitet Dohm nicht grundsätzlich, sieht ihre Ursache aber nicht in der religiösen Spezifik des Judentums, sondern in den historisch bedingten Umständen begründet, unter denen die Juden gezwungenermaßen seit Jahrhunderten lebten.

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Über die bürgerliche Verbesserung der Juden

Konsequenterweise müsse daher der angestrebten „bürgerlichen Verbesserung“ der jüdischen Individuen eine umfassende Veränderung ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Situation vorausgehen. Entsprechend des aufgeklärten Postulats von der Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Menschen, spricht sich Dohm für einen langfristig angelegten, mehrere Generationen umfassenden Prozess der Angleichung der Lebensverhältnisse der Juden aus. Neben der freien Religionsausübung und der Anerkennung des Judentums als gleichwertige Konfession neben den christlichen Konfessionen ist Dohm an der freien Ausübung von Handwerksberufen und landwirtschaftlicher Tätigkeit, dem freien Zugang zu öffentlichen Ämtern und dem Ende jeder Art von Ghettoisierung gelegen. Dieses aufgeklärt-naturrechtliche Argument von der natürlichen Gleichheit und Perfektibilität des Menschen versucht Dohm durch ein etatistisch-utilitaristisches zu stützen. Indem er nämlich den Nutzen der Verbesserung der sozialen und rechtlichen Lage der jüdischen Untertanen für den absoluten Staat betont, versucht er die Regenten von der Notwendigkeit der Judenemanzipation zu überzeugen. Der erste Teil der Studie rief eine Fülle an kritischen wie affirmativen Reaktionen hervor, mit denen Dohm sich im zweiten Teil auseinandersetzt. Der kritischen Stellungnahme des Göttinger Orientalisten und evangelischen Theologen Johann David Michaelis etwa maß Dohm so große Bedeutung bei, dass er sie komplett im zweiten Band abdrucken ließ. Michaelis wandte gegen die Emanzipation vor allem ein, die im Gesetz Mose sich manifestierende nationale Absonderung der Juden verunmögliche ihnen die Integration in die christliche Mehrheitsgesellschaft. Eine klare Trennung zwischen Befürwortern und Kritikern der Dohmschen Reformvorschläge lässt sich jedoch nicht eindeutig vornehmen, da viele von Dohms Befürwortern weit hinter seiner Argumentation zurückblieben und die von ihm bereits widerlegten Vorurteile gegen die Juden bereitwillig wiederaufnahmen. Andererseits stimmten viele kritische Rezensenten grundsätzlich mit den von Dohm formulierten Zielen überein, lehnten aber den von ihm vorgeschlagenen Weg – die weitgehende rechtliche und soziale Gleichstellung der Juden ohne Bedingungen an die jüdische Gemeinde – ab. Mit dem 1782 durch Kaiser Joseph II. für Teile der habsburgischen Monarchie erlassenen Emanzipationsedikt war die von Dohm angestoßene staatsrechtliche Debatte um die Judenemanzipation zu einem Thema praktischer staatlicher Reformpolitik geworden. Durch die Rezeption des, bereits ein Jahr nach seinem Erscheinen ins Französische übersetzten, ersten Bandes durch Graf Mirabeau und Abbé Grégoire wurden Dohms Reformvorschläge zu den wichtigsten Wegbereitern der ersten konsequent in die Praxis umgesetzten Emanzipationsgesetzgebung in Europa. In Preußen dauerte die praktische Umsetzung wesentlich länger und blieb mit dem Emanzipationsedikt von 1812 weit hinter den Forderungen Dohms zurück.

Arnon Hampe

Literatur Christian Wilhelm Dohm, Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. Mit Königl. Preußischem Privilegio. Neu hrsg. vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Netzpublikation nach der Ausgabe Berlin und Stettin 1781, Duisburg 2009.

Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen

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Horst Möller, Christian Wilhelm von Dohm und seine Kritiker, in: Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik, hrsg. von Stefi Jersch-Wenzel, Berlin 1992, S. 59–79.

Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden (Jakob Friedrich Fries, 1816) Das judenfeindliche Pamphlet „Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden“ des Heidelberger Professors der Philosophie, Mathematik und Physik Jakob Friedrich Fries (1773–1843) erschien 1816 zunächst als Rezension der ebenfalls judenfeindlichen Publikation von Friedrich Rühs → „Ueber die Ansprüche der Juden auf das deutsche Bürgerrecht“ (1815/16) und wurde noch im selben Jahr als „Zweyter verbesserter Abdruck“ mit einem Umfang von 24 Seiten beim Heidelberger Verlag „Mohr und Winter“ veröffentlicht. Nachdem es sich auf den ersten Seiten tatsächlich mehr um eine Rezension der Schrift von Rühs handelt, geht Fries ab Seite 9 dazu über, seine persönlichen Ansichten gegen die Juden und die sich daraus ergebenden politischen Forderungen in den Vordergrund zu stellen, wodurch seine „Rezension“ im Ergebnis den Charakter einer eigenständigen judenfeindlichen Programmschrift annimmt. So wie Rühs weist auch Fries die u. a. von Christian K. W. von Dohm vertretene Argumentation zurück, dass die den Juden zugeschriebenen negativen Eigenschaften aus ihrer rechtlichen Schlechterstellung resultieren würden und nur durch die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden behoben werden könnten. Fries behauptet: „In und außer Deutschland hatten sie Freystätten, wo sie alle Rechte genossen, ja Länder, wo sie herrschten – aber ihr Schmutz, ihre Arbeitscheu, ihre Wuth auf prellsüchtigen Handel blieben immer dieselben. Sie ziehen sich vom fleißigen Gewerbe zurück; nicht weil man sie hindert, es zu ergreifen, sondern weil sie es nicht wollen. […] Die bürgerliche Lage der Juden zu verbessern heißt eben das Judentum ausrotten, die Gesellschaft prellsüchtiger Trödler und Händler zerstören.“ Insgesamt fällt auf, dass Fries judenfeindliche Polemiken diejenigen in der Schrift von Rühs an Aggressivität noch übertreffen. So bezeichnet er die Juden als „fressendes Gewürm“ und „Schacherteufel“, als eine „über die ganze Erde verbreitete Mäkler-, Krämer- und Trödlerkaste“, als „Schmarotzerpflanze oder Blutsauger“ und als eine „Geschlossene Bande Raubbienen“. Auch eine Definition der Juden als „eigne Nation“ und „Rasse“ ist bei Fries bereits zu finden: „Sie existieren seit Jahrtausenden zwischen allen andern Völkern der Erde, die nur soweit cultivirt sind, daß man durch Schacher bey ihnen reich werden kann, nur dadurch, daß sie nur unter sich heyrathen und auf diese Art ihre Rasse rein erhalten.“ Ausführlich schildert Fries die Gefahren, die vom Judentum ausgehen würden: So seien die Juden für „große Geldgeschäfte“ angeblich über „ganz Europa verschworen“, was schon bald dazu führen werde, dass „sämmtliche Capitale unsers Volks und ein großer Teil des Grundbesitzes in den Händen der Juden zusammengehäuft“ würden und „die Söhne der christlichen ersten Häuser […] sich als Packknechte bey den jüdischen verdingen“ müssten. In den Synagogen, so behauptet er weiter, würden die Juden nach ihrem „Privatgott schreyen, daß er uns Christen vertilgen und ihnen die

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Über die Judengefahr (Johann Baptist Rusch, 1920)

Erde als ihr Erbe schenken möge“. Darüber hinaus rückt er die Juden in die Nähe der Kriminalität und bezichtigt sie der organisierten Hehlerei: „Alle in den letzten Jahren in Deutschland entdeckten Räuberbanden redeten die Kochemsprache, hatten Juden zu Baldowerern, und die einzigen wohlhabenden Diebeshehler, die sich mit diesem elenden, vom Schicksal verfolgten Gesindel einließen, waren jüdische Handelsleute.“ Sollte der Bezug, der von den judenfeindlichen Pamphleten von Rühs und Fries zu den pogromartigen Ausschreitungen der sogenannten Hep-Hep-Krawalle des Jahres 1819 gezogen wurde (Erb/Bergmann), so zutreffen, dann wäre diese These dahingehend zu präzisieren, dass Fries in seiner Schrift viel offener zum Pogrom gegen die Juden schürt. Er vergleicht die Juden mit der „Pest“, von der es „unser Volk […] zu befreyen“ gelte, er droht, wenn die Regierungen nicht mit „hoher Kraft“ gegen die Juden vorgingen, „dies Unwesen nicht ohne schreckliche Gewaltthat zu Ende gehen“ würde und versteigt sich schließlich zu der Forderung, „daß diese Kaste mit Stumpf und Stiel ausgerottet werde“. Zwar sind die judenfeindlichen Äußerungen von Fries noch nicht dahingehend zu deuten, dass er auch die physische Vernichtung der Juden gefordert hätte. An anderer Stelle schreibt er „Nicht den Juden, unsern Brüdern, sondern der Judenschaft erklären wir den Krieg.“ Und am Schluss seines Textes fordert er, wenn die Juden nicht dem Judentum – so wie Fries des deutet – entsagen wollen, man ihnen „den Schutz aufsagen“ und so „wie einst in Spanien […] zum Lande hinaus weisen“ solle. Gleichwohl sind die Aggressivität der Sprache und die Konsequenz der gegen die Juden geforderten politischen Handlungsanweisungen für das Jahr 1816 bereits von einer solchen Radikalität, dass sie als letzte Vorstufe zum rassistisch motivierten Antisemitismus gewertet werden müssen.

Werner Treß

Literatur Rainer Erb, Werner Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780–1860, Berlin 1989. Gerald Hubmann, Völkischer Nationalismus und Antisemitismus im frühen 19. Jahrhundert: Die Schriften von Rühs und Fries zur Judenfrage, in: Renate Heuer, Ralph-Rainer Wuthenow (Hrsg.) Antisemitismus – Zionismus – Antizionismus 1850–1940, Frankfurt am Main, New York 1997. Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der politischen Romantik. Konstruktionen des „Deutschen“ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, Tübingen 2008.

Über die Judengefahr (Johann Baptist Rusch, 1920) Bei der 38-seitigen Broschüre „Über die Judengefahr. Eine nicht antisemitische sachliche Betrachtung der Frage“ von Johann Baptist Rusch handelt es sich um einen Sonderdruck mehrerer zunächst in den → „Schweizerischen Republikanischen Blättern“ abgedruckter Artikel, die der Autor 1920 publizierte. Bei dieser Zeitung, deren Redakteur der aus dem katholisch-konservativen Milieu stammende Rusch seit 1918 war, handelt es sich um ein Blatt, das in den 1920er Jahren immer wieder antisemitische Artikel publizierte. Andere wichtige Themen waren die sogenannte Überfremdung, der Ausbau der Volksrechte und die Armenfürsorge.

Über die Judengefahr (Johann Baptist Rusch, 1920)

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Rusch bemühte sich in der Schrift „Über die Judengefahr“ zunächst darum, die Herkunft des Judentums zu ergründen. Die Juden seien weder eine „Rasse“, noch könnten sie über ihre Religion definiert werden. Was sie ausübten, sei vielmehr ein „absolut nationalistisches Zeremoniell ohne jede Beziehung auf Gott“. Die „Klärung des Rätsels der jüdischen Weltmacht“ liege damit weder in der „Rasse“ noch der Religion, sondern sei im Talmud zu suchen. Dieser enthalte keinerlei religiöse Elemente, sondern „die schlimmste und gefährlichste Lebensanschauung, die rücksichtsloseste Herrenmoral, die raffinierteste Uebervorteilungsschule, welche in der Weltliteratur existierte“. Der Einfluss des Talmuds auf das Denken sei so groß, dass auch das Taufwasser nichts nütze. Damit stellte er die Wirksamkeit der christlichen Taufe infrage – ein Vorgehen, dass in katholischen Kreisen in der Zwischenkriegszeit häufig anzutreffen war. Im anschließenden Kapitel „Die Moral des Talmud“ ging es Rusch insbesondere um verschwörungstheoretische Aspekte, die erklären sollten, warum sich Juden grundlegend und in negativem Sinne von Christen unterscheiden und diese Unterschiede zum eigenen Vorteil nutzen würden. Im folgenden Kapitel kam Rusch auf die aktuelle „Judengefahr“ und deren Bekämpfung zu sprechen. Er beschrieb die angebliche Rolle von Juden in verschiedenen revolutionären Umstürzen, um dann auf die Schweiz einzugehen. Dieser drohe eine erhebliche Gefahr durch die Einwanderung nicht nur von bolschewistischen „Ostjuden“, sondern auch von „Westjuden“, deren Gefährlichkeit in der westlichen Welt unterschätzt werde. Auch wenn er sich gegen den „alldeutschen“ Judenhass aussprach und sogar erklärte, es sei eine christliche Pflicht, notleidende Juden zu unterstützen, plädierte er in segregierender Manier in erster Linie für eine größtmögliche Distanz zwischen Juden und Christen. In diesem Zug seien auch ein Boykott jüdischer Geschäfte, die Verweigerung von Einbürgerungen und eine Distanzierung von Juden im Alltag gerechtfertigt. Dies zu tun sei nicht Antisemitismus, sondern „praktische Liebe zum eigenen Volke“. Im letzten Abschnitt seiner Schrift ging Rusch nochmals auf theologische Aspekte ein. Dabei beabsichtigte er vor allem, die Unterschiede zwischen dem Alten Testament und dem Talmud darzulegen, um deutlich zu machen, dass sich die Juden von den Lehren der Bibel entfernt hätten, womit er es vermeiden konnte, die theologischen Grundlagen des Christentums zu kritisieren. Im Anschluss daran formulierte er eine Reihe von Forderungen, die er aus dem mosaischen Gesetz ableitete und die etwa Steuergesetze und Sozialhilfe, aber auch das Verbot von Spirituosen und eugenische Maßnahmen betrafen. Mit der angeblichen „Judengefahr“ hingen diese Forderungen insofern zusammen, als Rusch behauptete, bei Durchsetzung aller Postulate sei „das Judentum lahmgelegt“, und die „Talmudwirkungen“ würden aufhören. Im Anhang seiner Broschüre publizierte Rusch einen Auszug aus den antisemitischen → „Protokollen der Weisen von Zion“ sowie eine Auflistung angeblich „einflussreicher Juden der Gegenwart“, unter anderem auch in der Schweiz, wie etwa „Nationalräte jüdischer Sorte“. Die Publikation war insofern typisch für den katholisch-konservativen Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit, als Rusch sich gegen eine rassentheoretisch motivierte Judenfeindschaft wandte, gleichzeitig aber politische, wirtschaftliche und kulturelle Vorurteile gegen Juden vertrat. Im Laufe der 1930er Jahre änderte Johann Baptist

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Über die Kennzeichnung des Judentums (Achim von Arnim, 18. Januar 1811)

Rusch unter dem Eindruck der NS-Judenverfolgung seine Ansichten und publizierte 1933 eine Schrift, in der er die „Protokolle der Weisen von Zion“ als „grösste Fälschung des Jahrhunderts“ bezeichnete.

Christina Späti

Literatur Annetta Bundi, Die Schweizerischen Republikanischen Blätter des konservativen Publizisten J.B. Rusch. Eine aufmüpfige Stimme im Schweizer Blätterwald (1918–1945), Fribourg 1999.

Über die Kennzeichnung des Judentums (Achim von Arnim, 18. Januar 1811) Achim von Arnims Rede „Über die Kennzeichnung des Judentums“ aus dem Frühjahr 1811 ist eines der zentralen Dokumente der diskursiven Produktion des modernen Antisemitismus im frühen 19. Jahrhundert. Arnim unternimmt eine Neuformatierung antijüdischer Ressentiments, die nicht mehr alleine anhand der religiösen Unterscheidung christlich–jüdisch operiert, sondern die Unterscheidung deutsch–jüdisch als neue Leitdifferenz etabliert. Über die Bewertung der Intentionalität der Rede herrscht mittlerweile weitgehend Einigkeit. Während sich zunächst die Einschätzungen von Heinz Härtl („Diese Rede ist der schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“) und Gisela Henckmann (Arnims Rede ist als Satire ein „Bestandteil allgemeine[r] Zeit- und Gesellschaftskritik“) gegenüberstanden, betonen neuere Studien u. a. von Stefan Nienhaus, Susanna Moßmann und Marco Puschner ihre Bedeutung im Hinblick auf die weitere Tradierung der implizierten antisemitischen Semantiken im späteren 19. und 20. Jahrhundert, ordnen ihre antisemitischen Projektionen aber unter funktionalen Gesichtspunkten in den historischen Kontext Preußens um 1810 und der durch die Hardenbergschen Reformen forcierten rechtlichen Gleichstellung deutscher Juden ein. Gehalten wurde die Rede während eines Treffens der Deutschen Tischgesellschaft, die am 18. Januar 1811 von Achim von Arnim, Adam Müller und Clemens von Brentano gegründet worden war. Der Männerbund, dem Mitglieder des preußischen Militärs, hohe Beamte, Professoren und Künstler angehörten, fungierte als sozialer und ideenpolitischer Gegenentwurf zur kosmopolitischen, pluralistischen Berliner Salonkultur jüdischer Gastgeberinnen (Puschner). Als „patriotischer Verein zur geistigen Mobilmachung kurz vor den ‚Befreiungskriegen’“ (Härtl) agierte die Tischgesellschaft anti-aufklärerisch, anti-französisch und antisemitisch. Als „Ort programmatischer Intoleranz“ (de Mazza) war Frauen, Philistern und Juden laut Satzung der Zutritt versagt. Politischer Kontext der Rede, in der sich eine „fatale Allianz“ (Nienhaus, 1994) von Nationalismus und Antisemitismus zu einer „Revue antisemitischer Bilder“ (Erdle) verdichtete, war die von der preußischen Regierung geplante Gleichstellung der Juden. Ein Nachdenken über die „Kennzeichnung des Judentums“ schien von Arnim notwendig, weil das sich assimilierende Judentum – anders als das orthodoxe Judentum – als solches nicht mehr zu erkennen sei. Weil es „sich an allen Orten einzu-

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schleichen“ verstehe (Erdle), sah von Arnim das von der politischen Romantik betriebene Projekt einer kulturellen und gesellschaftlichen Homogenisierung der Deutschen gefährdet: „Nicht weil er das ganz Andere verkörpert, sondern weil er in der Maske des Eigenen begegnet, erscheint [... der assimilierte Jude] als bedrohliche Gestalt“ (de Mazza). Intrinsisch motiviert wird die Rede vom Bedrohungsphantasma einer schleichenden Unterwanderung der Tischgesellschaft durch „heimliche Juden“. Arnim zeigt sich besorgt, dass Juden sich durch „Verstellung oder Wechselverhältnisse einschmuggeln“ könnten, um so qua Stimmenmehrheit die Ausschließung der Gründungsmitglieder zu erreichen. Die Konsequenz wäre, dass „an die Stelle dieser christlichen Tischgesellschaft eine Synagoge sich versammelte, die statt des frohen Gesangs auerte, statt der Fasanen Christenkinder schlachtete, statt der Mehlspeise Hostien mit Gabel und Löffel zerstäche, statt der großen Wohltaten, die wir künftig noch wollen ausgehen lassen, die öffentlichen Brunnen vergiftete und dergleichen kleine Missethaten mehr verübte, um deretwillen die Juden in allen Ländern Europas bis aufs Blut geneckt worden sind“. Die humorige Referenz auf tradierte Topoi einer spezifisch jüdischen Grausamkeit ist ebenso wie die verharmlosende Formulierung „bis aufs Blut geneckt“ exemplarisch für die kommunikative Strategie der Rede, die einerseits in der scheinbaren NichtErnsthaftigkeit die dargestellten boshaften Inhalte augenzwinkernd zurücknimmt, andererseits aber gerade im Medium des Wirtshaus-Humors den nationalpädagogischen Appell zur Wachsamkeit unterstreicht. Inhaltlich geht es Arnim darum, einen judenfeindlichen „Kanon von Ausgrenzungsmerkmalen“ (Nienhaus, 2003) zu formulieren, mit dem Ziel, eine „Blende zu errichten, welche die Andersheit des Juden vor jeder Erfahrung festschreibt“. Seine literarischen Stilmittel – Zotenfreude, Groteske, Anekdotenhaftigkeit – erlauben es, den polemisch-politischen Gehalt der Rede als historische Selbstverständlichkeit zu naturalisieren. Inhaltlich erkennt man in der Rede retrospektiv die semantische Blaupause aller antisemitischen Verschwörungstheorien. Sie sieht sich vor das Paradox gestellt, die konstitutive, auch nicht auf dem Wege der Taufe aufzuhebende Andersartigkeit der Juden behaupten zu müssen, ohne aber für diese These soziale oder habituelle Evidenzen zeigen zu können. Arnim löst das Begründungsproblem, indem er auf die „seltene Kunst sich zu verstecken“ und die „teuflische Neugierde“ des Juden verweist, die der „Lust“ entspringe, „dabei etwas zu gewinnen“. Da mit diesen Zuschreibungen aber die durch die jüdische „Verheimlichung“ forcierte „Krise der Zeichenordnung“ (Erdle) noch nicht behoben ist, macht sich Arnim auf die Suche nach jüdischen Merkmalen, die „innerlich begründet“ seien und auch „physisch sich offenbaren“. Die im Fortgang der Rede aufgeführten, auf körperliche Defizienz rekurrierenden Symptome – „Zahnleiden“, „Schwitzeschmerzen“, „Beulen an der Stirne, als wenn ihnen Hörner wachsen wollten“, „Hauer wie Schweinezähne im Mund“ und einen „spezifischen Judengeruch“ – zielen darauf ab, den Fokus von individuellen Charaktereigenschaften auf die Ebene kollektiver Zuschreibungen zu verschieben, die biologisch bzw. anthropologisch begründet werden. Da eine symptomatologische Begutachtung fremder Körper nur eine erste, unzureichende Kennzeichnungsarbeit leistet, schlägt von Arnim – hier kommt der dezidiert

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moderne Charakter seiner Rede zum Ausdruck – eine chemische Experimentalanordnung zur Bestimmung des Juden vor, die „nicht erst aus der Perspektive nach Auschwitz zynisch und zutiefst inhuman“ (Och) erscheint. Zur medizinischen Kasuistik der Versuchsdurchführung gehört eine Analyse des „Gestanks“ ebenso wie die Häutung der Probanden. Dabei gerät die Versuchsanordnung zur Folterfantasie: Man „nehme also einen, zerstoße ihn erst und gebe Achtung auf Kristallisation und Bruch, ob er schwer oder nicht sonderlich schwer [...] sei, ob er scharf-süßlich schmecke, knoblauchartig rieche usw. Nachher zerreibe man ihn im Feuersteinmörsel, erwärme ihn mit Aetzlauge im Platinatiegel, allmählich bis zum Durchglühen“. Der Versuch soll einen reinen, eindeutigen Körper des Juden destillieren und damit eine Ortung und Ordnung des Feindes möglich machen, mit dem Ziel, die „als Kontamination gedeutete Akkulturation“ (Erdle) in Form von Ausgrenzung und potenziell auch Vertreibung umzukehren bzw. zu verhindern. Im Ergebnis referiert die Rede neben anderen Bestandteilen die folgenden, spezifisch jüdischen Ingredienzien: „50 Theile böse Lust aller Art“, „4 Theile Christenblut heimlich durch sündliche Vermischung gewonnen“, „3 Theile Gewürm und Wurmgespieß“. Dass Armin durch die Evokation einer Bildwelt des parasitären Ungeziefers eine Schmutz- und Schädlingsmetaphorik installiert, die in den nachfolgenden 150 Jahren zur Rechtfertigung von Mord und Verfolgung genutzt wurde, ist ihm nicht intentional vorzuwerfen, gehört aber zur Wirkungsgeschichte seiner Rede, die die Differenzen von Juden und Nicht-Juden nicht mehr kulturell denkt, sondern diese in einer substanziellen, überhistorischen Andersheit adressiert. Auch wenn von Arnim seine kruden Brutalitäten und Reinigungs- und Vertreibungsfantasien am Ende damit zurücknimmt, dass er „allen Juden die beste Gesundheit“ wünscht, ist die Rede mehr als ein „völlig misslungener Witz“, der seine Radikalität nur dem Versuch verdanke, innerhalb der Tischgesellschaft als Redner zu brillieren (Ziolkowski): Sie ist Ausdruck einer kommunikativen Strategie, die Judenfeindlichkeit als integratives Moment zur Bestimmung des Deutschen instrumentalisiert. Dabei aktualisierte von Arnim einerseits antijudaistische Ressentiments des christlichen Abendlands gegen die Juden als Nichtgläubige. Zugleich artikulierte sich in seiner Rede im biologistisch-naturwissenschaftlichen Registerwechsel von der Religion zur Politik „zum ersten Mal ein Antisemitismus [...], der sich [...] auf das deutsche Volk und seine Unverträglichkeit mit den Juden berief. Alte Stereotype und Vorurteile wurden nicht nur reaktiviert, sondern umgewertet und in einen neuen, nationalen Begründungszusammenhang eingefügt“ (Moßmann).

Lars Koch

Literatur Birgit R. Erdle, ‚Über die Kennzeichnung des Judenthums’: Die Rhetorik der Unterscheidung in einem phantasmatischen Text Achim von Arnims, in: German Life and Letters 49 (1996), S. 147–158. Heinz Härtl, Romantischer Antisemitismus: Arnim und die Tischgesellschaft, in: Weimarer Beiträge 33 (1987), S. 1159–1173. Giesela Heckmann, Das Problem des ‚Antisemitismus’ bei Achim von Arnim, in: Aurora 46 (1986), S. 48–69.

Über die Religion (Friedrich Schleiermacher, 1799)

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Ethel Matala de Mazza, Der verfasste Körper. Zum Projekt einer organischen Gemeinschaft in der Politischen Romantik, Freiburg/Breisgau 1999. Susanna Moßmann, Das Fremde ausschneiden. Antisemitismus und Nationalbewusstsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der „Christlich-Deutschen Tischgesellschaft“, in: Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz, Susanna Moßmann (Hrsg.), Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1996, S. 123–159. Stefan Nienhaus, Vaterland und engeres Vaterland. Deutscher und preußischer Nationalismus in der Tischgesellschaft, in: Heinz Härtl, Hartwig Schultz (Hrsg.), ‚Die Erfahrung anderer Länder.’ Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Achim und Bettina von Arnim, Berlin, New York 1994, S. 127–152. Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen 2003. Gunnar Och, Imago Judaica. Juden und Judentum im Spiegel deutscher Literatur 1750– 1812, Würzburg 1995. Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der Politischen Romantik. Konstruktionen des ‚Deutschen’ und des ‚Jüdischen’ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, Tübingen 2008. Theodore Ziolkowski, Berlin. Aufstieg einer Kulturmetropole um 1810, Stuttgart 2002.

Über die Religion (Friedrich Schleiermacher, 1799) Friedrich Schleiermacher (1768–1834), der wirkmächtigste evangelische Theologe des 19. Jahrhunderts und Klassiker der Pädagogik, hatte seine berühmteste Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ 1799 verfasst, bevor er die Emanzipationsfrage in seiner Flugschrift → „Briefe bei Gelegenheit der politisch-theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter. Von einem Prediger außerhalb Berlin“ aufgriff. Schleiermacher veröffentlichte seine Schrift, die noch zu seinen Lebzeiten drei weitere Auflagen erfuhr, zunächst anonym bei dem Berliner Verleger Johann Friedrich Unger. Während die vierte Auflage in die „Sämmtlichen Werke“ aufgenommen worden ist und die Wirkungsgeschichte der „Reden“ im 19. Jahrhundert bestimmt hat, sind die „Reden“ im 20. Jahrhundert vornehmlich im Rahmen der ersten Auflage rezipiert worden aufgrund der entsprechenden Neuausgabe dieser Auflage durch Rudolf Otto anlässlich der Säkularfeier 1899. In der anonym veröffentlichten Schrift entfaltet Schleiermacher in fünf Reden ein neues Verständnis von Religion als Anschauen und Fühlen des Universums, deren Darlegung auch eine Beurteilung der jüdischen Religion umfasst. Da Schleiermacher diese Beurteilung ebenfalls in seinem späteren Werk aufrechterhält, gilt sie als repräsentativ für sein Verhältnis zum Judentum. Schleiermacher zeichnet sich in seinem romantischen Gegenentwurf zu dem grundlegenden Werk der Aufklärung „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (Kant) durch eine pointierte Abgrenzung der Religion gegenüber Metaphysik und Moral aus, während er die Bedeutung der Religion für die humane Selbstbildung hervorhebt. Dieser Entwurf einer Religionstheorie, der insbesondere den Gedanken von der je individuellen Entfaltungsmöglichkeit der Religion aufgreift, ist bisweilen auch für jüdische Denker attraktiv gewesen. In der fünften Rede bietet Schleiermacher in einem Abschnitt eine Darstellung über den „Judaismus“ (1./2. Aufl.), respektive das „Judenthum“ (3./4. Aufl.), die er in ihren grundlegenden Aussagen auch in den weiteren Auflagen der „Reden“ weitestgehend

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unbearbeitet sowie unkommentiert beibehält, obwohl die noch zu seinen Lebezeiten erschienenen weiteren drei Auflagen an sich von umfangreichen Überarbeitungen zeugen. Schleiermachers Religionsmodell ist von einem antagonistischen und ahistorischen Verständnis bestimmt, in dem die jüdische Religion gegenüber der christlichen Religion in pejorativer Weise herabgesetzt wird. Schleiermacher blendet bewusst die historischen Beziehungen der beiden Religionen aus, da es ihm ausschließlich um die kreative Ursprünglichkeit und somit um die vermeintliche historische Unableitbarkeit der einen, d. h. christlichen Religion geht. Indem Schleiermacher sich aber dennoch mit dem Judentum auseinandersetzt, legt er den Grund für die Profilierung und positive Beschreibung des Christentums als „Religion der Religionen“. Dass die jüdische Religion nach Schleiermacher über ein kindliches Stadium nicht hinausgekommen ist, während das Christentum dem erwachsenen Stadium der Religion entspricht, soll die Unzulänglichkeit der jüdischen Religion noch hervorheben. Die Annahme vom religionsgeschichtlichen Tod des Judentums bei fortwährender Existenz seiner mumifizierten Hülle („todte Religion“, „unverwesliche Mumie“) ist für Schleiermachers Auseinandersetzung ebenso zentral wie die bekannte Formel von der „unmittelbaren Vergeltung“ für die religiöse Grundanschauung des Judentums, nach der der Mensch je nach Verhalten von Gott entweder bestraft oder belohnt wird. Obwohl Schleiermachers Passage zum Judentum nur wenige Seiten innerhalb der „Reden“ umfasst, ist ihre Wirkungsgeschichte bedeutend. Während seine Charakterisierung des nachbiblischen Judentums als einer „todte[n] Religion“ und „unverweslichen Mumie“ im 19. Jahrhundert breit rezipiert worden ist, folgte auf seine Herausstellung des Vergeltungsgedankens als zentrales Moment der jüdischen Religion das im ausgehenden 19. Jahrhundert voll entfaltete und im 20. Jahrhundert bereitwillig rezipierte antijüdische Vorurteil von der sogenannten jüdischen Werkgerechtigkeit – entgegen dem genuinen Verständnis jüdischer Religion, nach dem Heil immer nur Erweis göttlicher Gnade und nicht Ergebnis menschlicher Verdienste sein kann. Die in der Schleiermacherforschung mitunter konstatierte „Pluralismusoffenheit“ der „Reden“ vor dem Hintergrund einer im Begriff der Religion selbst angelegten Notwendigkeit einer je individuellen Entfaltung der Religion verkennt jedoch, dass diese scheinbare Etablierung einer pluralistischen Religionstheorie und religiösen Autonomie in den „Reden“ nur in Hinblick auf das Christentum erfolgt und nicht an einer toleranten Religionskultur interessiert ist, sodass die Anerkennung der jüdischen Religion auf diesem Weg auch nicht a posteriori zu gewinnen ist. Schleiermacher spricht sich in innerprotestantischer Perspektive für die romantische Individualisierung der Religion aus, nicht jedoch für eine dialogorientierte Theologie der Religionen.

Matthias Blum

Literatur Matthias Blum, „Ich wäre ein Judenfeind?“ Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik, Köln, Weimar, Wien 2010. Arnulf von Scheliha, Schleiermachers Deutung von Judentum und Christentum in der fünften Rede „Über die Religion“ und ihre Rezeption bei Abraham Geiger, in: Roderich Barth, Ulrich Barth, Claus-Dieter Osthövener (Hrsg.), Christentum und Judentum. Akten des In-

Unser Wille und Weg (1931–1941)

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ternationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft in Halle, März 2009, Berlin 2012, S. 213–227.

Ungeschminkter Judaismus → Iudajizm bez prykras Unser Kampf gegen Juden → Ma‘rakatuna ma‘a al-yahud

Unser Wille und Weg (1931–1941) Die ab 1931 von Joseph Goebbels herausgegebene Zeitschrift „Unser Wille und Weg“ hatte den Untertitel „Monatsblätter der Reichspropagandaleitung der NSDAP“. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Wiener NS-Zeitschrift „Wille und Weg“. „Unser Wille und Weg“ zielte darauf ab, die NSDAP-Funktionäre (Politische Leiter) bis hinab zur Parteibasis (Ortsgruppe, Block, Zelle) in zeitlich relativ kurzen Abständen einheitlich ideologisch im Sinne der NS-Führung auszurichten und sie bei der propagandistischen Umsetzung der NS-Politik praktisch anzuleiten. Die Zeitschrift erschien in zwei Ausgaben (A und B) im parteieigenen Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. (→ Eher-Verlag) in München. Die Ausgabe B erschien mit Rednerinformationsmaterial. Der Bezug der Zeitschrift erfolgte nur durch die „Dienststellen der NSDAP“. Der Preis der Einzelausgabe A betrug 20, der der Einzelausgabe B 30 Pfennige. Die Auflage von „Unser Wille und Weg“ lag im Jahre 1937 bei 160.000 Exemplaren. „Schriftleiter“ der Zeitschrift war vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Heinz Franke (1932). „Hauptschriftleiter“ des parteiinternen Periodikums war später Dagobert Dürr (1938). Das Organ sollte nur intern verbreitet werden: „‚Unser Wille und Weg’ ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt“ (April 1933). Ab Januar 1939 erschien die Zeitschrift in einem größeren Format, in neuem Layout, auf besserem Papier und nun auch mit Bildern und Zeichnungen. Die Ausgabe A (ohne „Aufklärungs- und Redner-Informations-Material“) wurde Ende 1938 eingestellt. Mit der Neugestaltung der Zeitschrift war auch ein Umzug der „Schriftleitung“ von Berlin (Wilhelmplatz 8) nach München (Karlstraße 20) verbunden. 1941 wurde die Zeitschrift eingestellt. Sowohl ideologische als auch praktische Fragen der nationalsozialistischen Agitations- und Propagandatätigkeit fanden Berücksichtigung. Dies zeigt sich bereits in der Endphase der Weimarer Republik: Heinz Franke („Der Entscheidung entgegen“, Januar 1932), Arthur Schumann („Die Herstellung des Kontakts mit den Massen“, Januar 1932), Paul Maier („Unser Angriff auf die marxistische Front“, Januar 1932), Walther Funk („Die Lüge von der Wirtschaftsfeindlichkeit des Nationalsozialismus“, März 1932), Hildegard Passow („Die propagandistische Erfassung und Bearbeitung der Frau“, November 1932). Neben programmatischen Artikeln stand immer wieder Praktisches: Hinweise zum „Reichsrednerverzeichnis“, Warnungen vor zweifelhaften Personen, Flugblattvorlagen, „Diskussionsverbote“ (z. B. während des Reichspräsidentenwahlkampfes 1932), Werbung für zahlreiche NSDAP-Medien (→ „Völkischer Beobachter“, „Die Kampfschrift“, „Flammenwerfer“ etc.). Eingeleitet wurde jedes Heft mit einem ausrichtenden Beitrag von „Dr. G.“, Joseph Goebbels“ mit dem Titel „Die Lage“.

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Unsere Aussichten (Heinrich von Treitschke, 1879)

Nach der NS-Machtübernahme veränderte sich das Aufgabenspektrum der Zeitschrift. Sie wurde nun zur Plattform, um die Politik der NS-Führung – und die vermeintlich besten Methoden ihrer Umsetzung – den Funktionären zu vermitteln, denen als Multiplikatoren nicht unerhebliche Bedeutung zukam. So sucht Albert Speer in einem Artikel die Professionalität der Parteifunktionäre zu heben („Die bauliche Ausgestaltung von Großkundgebungen“, Oktober 1933). Dem gleichen Zweck dienten z. B. auch Beiträge Leopold Gutterers („Groß-Kundgebungen im Zelt“, Oktober 1933), Johann von Leers („Die verkehrte und die richtige Weihnachtsfeier“, November 1934). Interessant sind Beiträge, die zeigen, wie das Regime auf unerwünschte Verhaltensmuster im nationalsozialistischen Deutschland zu reagieren versuchte. So wendet sich z. B. im Sommer 1933 ein Beitrag (Walter Schulze, „Schluß mit dem Kitsch“) gegen eine der NSDAP zu weit gehende braune Begeisterung in der Bevölkerung. Er nimmt Anstoß daran, dass „unsere herrlichen S.A.- und S.S.-Männer in niedlicher, kleiner Schokoladen-Ausführung“ erscheinen. Die NSDAP fürchtete nicht ohne Grund die Banalisierung ihrer Bewegung. Der Umgang mit problematischen Unterströmungen in der Bevölkerung in der gleichgeschalteten NS-Gesellschaft gewann in der Zeitschrift an Bedeutung, da die Politischen Leiter der NSDAP, bisweilen auf Fehlentwicklungen im Alltag des „Dritten Reiches“ angesprochen, im Sinne der Partei reagieren mussten. So heißt es im Dezember 1938 in „Unser Wille und Weg“ im Zusammenhang mit den Aufgaben der Zeitschrift unter der Überschrift „Wegweiser für die propagandistische Kleinarbeit“: „Entsprechend dem vom Reichspropagandaleiter auf dem Parteitag Großdeutschlands geprägten Wort, daß es die Aufgabe des Propagandisten ist, allzeit das Ohr am Pulsschlag des Volkes zu haben und den lebendigsten Kontakt mit dem Volk aufrechtzuerhalten“ werde die Zeitschrift gestaltet. Mochte über die besten Methoden der Einflussnahme auf die „Volksgemeinschaft“ NS-intern auch gerungen werden, ideologisch gab es in einem Punkt keine Diskussionen: Der Antisemitismus war ein wesentlicher Bestandteil der Ausrichtung des Funktionärskörpers der NSDAP. Deshalb standen neben zahlreichen antisemitischen Beiträgen immer wieder Hinweise auf neue Veröffentlichungen (z. B. Wolfgang Diewerge, „Als Sonderberichterstatter zum Kairorer Judenprozeß“). Und Publikationen, die auf der Basis von antisemitischen Verschwörungstheorien und Rassismus (z. B. Gottfried zur Beek, „Die Geheimnisse der Weisen von Zion“; Charlotte Köhn-Behrens, „Was ist Rasse?“) die Welt erklärten, gehörten zum „Schulungsmaterial“ der „Politischen Leiter“.

Bernward Dörner

Literatur Wolfgang Benz, „Unser Wille und Weg“, in: Wolfgang Benz u. a. (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 772.

Unsere Aussichten (Heinrich von Treitschke, 1879) Im November 1879 veröffentlichte der Herausgeber der → „Preußischen Jahrbücher“, Professor Heinrich von Treitschke, den Artikel „Unsere Aussichten“, der zum Auslö-

Unsere Aussichten (Heinrich von Treitschke, 1879)

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ser des „Berliner Antisemitismusstreites“ werden sollte. Tatsächlich beschäftigte sich nur das letzte Drittel des Aufsatzes mit der sogenannten Judenfrage, während die vorangegangenen Teile die außenpolitische Situation des jungen Deutschen Reiches nach dem Friedensvertrag von San Stefano (3. März 1878) sowie dem Berliner Kongreß (13. Juni bis 13. Juli 1878) thematisierten. Treitschke sah Deutschland umringt von einer „Welt von Feinden“. Was in dieser Situation nottäte, sei „treue Eintracht zwischen der Krone und dem Volke“ sowie „ein gekräftigtes Nationalgefühl“, ein Leitthema, das in seinen Aufsätzen seit der Reichsgründung und später in seiner „Deutschen Geschichte“ immer wieder auftauchte. Nachdem der Autor die „äußeren Reichsfeinde“ ausgemacht hatte, wendete er sich den „inneren Reichsfeinden“ zu. Als diese galten ihm bislang Sozialisten und anschließend die Linksliberalen, nun auch Deutschlands Juden. Kein antisemitisches Pamphlet erreichte in Deutschland jemals eine solche Wirkung wie „Unsere Aussichten“ und löste eine unter Deutschlands Juden vergleichbare Bestürzung aus. Nicht nur unter dezidierten Antisemiten und Konservativen, sondern auch in Kreisen der Liberalen sowie des politischen Katholizismus erzielte der Aufsatz euphorische Zustimmung und polarisierte nebenbei an der Berliner Universität und anderswo die deutsche Studentenschaft. Die Wirkung des Artikels beruhte auf dem Umstand, dass der Angriff auf Deutschlands Juden aus dem Zentrum des liberalen Establishments zu kommen schien, als dessen Vertreter Treitschke bislang gegolten hatte, sowie auf dem außerordentlichen Ansehen, dass der Professor als prominenter Zeithistoriker und überragender Stilist besaß. Treitschkes Angriffe hatten eine dreifache Stoßrichtung: Erstens attackierte er das bis dato vorherrschende Geschichtsbild des Liberalismus, indem er den Vorwurf der Liberalen, der Antisemitismus sei nichts anderes als ein Relikt mittelalterlicher Barbarei als jüdische Verteidigungsstrategie zurückwies, die von der tatsächlichen Macht des Judentums in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ablenken solle. Gerade die „Narben vielhundertjähriger christlicher Tyrannei“ seien der Grund, weshalb die Juden nun auf Rache sännen, eine Behauptung, die in einer Zeit verbreiteter deutscher Mittelalterbegeisterung so plausibel erschien, dass sie gar nicht erst belegt werden musste. Die Geburtsstunde der deutschen Nation wurde ins germanisch-frühchristliche Mittelalter zurückverlagert und somit deren antik-jüdische Wurzeln als „undeutsch“ ausgeschlossen. Zudem verwies der Autor auf den angeblichen Judenhass der Antike. Die Feindschaft gegenüber Juden schien somit aus der Kontingenz historischer Entwicklung herausgelöst und als „ewiger Judenhass“ mit dem Odium der Zwangsläufigkeit versehen. Der (moderne) Antisemitismus war derart als ein zwar unfeines, aber verständliches Phänomen legitimiert. Zweitens machte Treitschke die Judenfeindschaft auch für scheinbar gemäßigte Kreise sowie für die Eliten der Gesellschaft zustimmungsfähig, indem er sich von den aggressiveren Formen des Antisemitismus distanzierte, um anschließend dessen innere Berechtigung zu behaupten. Der „Instinkt der Massen“ habe „eine schwere Gefahr […] des neuen deutschen Lebens richtig erkannt“; es sei „keine leere Redensart, wenn man heute von einer deutschen Judenfrage“ spreche. Die „laute Agitation des Augen-

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blicks“ erscheine „als eine brutale und gehässige, aber natürliche Reaktion des germanischen Volksgefühls gegen ein fremdes Element“. Dem Vorwurf, selber Antisemit zu sein, suchte der Autor zu begegnen, indem er andere für sich sprechen ließ: „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuts mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: Die Juden sind unser Unglück!“ Die Parole stilisierte Opfer zu Tätern. Seit 1927 war sie in jeder Ausgabe des → „Stürmer“ zu lesen. Drittens propagierte Treitschke einen „integralen Nationalismus“, ein ethnisch-kulturell homogenes Konzept der deutschen Nation, das er durch die Ausgrenzung der „Reichsfeinde“ zu erreichen trachtete. Hier lag sein zentrales Problem: Der Professor definierte das Judentum nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als Nation, als einen „Staat im Staate“, ein Relikt der Vormoderne, das im Zeitalter des ultimative Loyalität und Unterordnung einfordernden Nationalstaates nicht mehr bestehen dürfe. „Was wir von unseren israelitischen Mitbürgern zu fordern haben, ist einfach: sie sollen Deutsche werden, sich schlicht und recht als Deutsche fühlen, […] denn wir wollen nicht, dass auf die Jahrtausende germanischer Gesittung ein Zeitalter deutsch-jüdischer Mischkultur folge.“ Schließlich sei „die harten deutschen Köpfe jüdisch zu machen […] doch unmöglich“, so bleibe „nur übrig, dass unsere jüdischen Mitbürger sich rückhaltlos entschließen Deutsche zu sein“. Indessen könne „die Aufgabe niemals ganz gelöst werden […]; es wird immer Juden geben, die nichts sind als deutsch redende Orientalen“. Solche Passagen waren für totalitäres Gedankengut adaptierbar; sie bildeten einen wesentlichen Grund für die Wertschätzung Treitschkes im Dritten Reich. Deutschlands Juden hätten Treitschkes Forderung selbst dann nicht erfüllen können, wenn sie es gewollt hätten. Da sie keine national-kulturelle Identität besaßen, konnten sie diese auch nicht aufgeben. Lange vor den „Leitkultur-Debatten“ späterer Zeiten fasste Treitschke „deutsch-sein“ nicht als Frage der Staatsbürgerschaft, sondern als kulturelle Entität auf. Was ihm abging, darin war er ein typischer Repräsentant seiner wie auch der folgenden Zeit, war ein Konzept kultureller Pluralität. Von jüdischer Seite, ebenso wie von seinem späteren Kontrahenten Theodor Mommsen, wurde ihm entgegnet, dass die Juden ebenso deutsch seien wie er selber, ein Einwand, den Treitschke konsequent ignorierte.

Karsten Krieger

Literatur Walter Boehlich, Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt am Main 1988². Christhard Hoffmann, Geschichte und Ideologie: Der Berliner Antisemitismusstreit 1879/ 81, in: Wolfgang Benz, Werner Bergmann (Hrsg.), Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, Bonn 1997. Klaus Holz, Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001. Karsten Krieger (Bearbeiter), Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879–1881. Eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation. Kommentierte Quellenedition im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung, 2 Bände, 1. Nachdruck, München 2004.

Unsere Forderungen an das moderne Judentum

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Unsere Forderungen an das moderne Judentum (Adolf Stoecker, 19. September 1879) Der evangelische Theologe und konservative Politiker Adolf Stoecker (1845–1909) galt als großer Redner, der das Publikum in seinen Bann ziehen konnte und in seinen Reden aus christlich-konservativer, aber auch sozialreformerischer Sicht zentrale politische Themen wie die Sozialgesetzgebung, die Agrarfrage in den Ostprovinzen, das Verhältnis von Christentum und Sozialismus, die Rolle des Wirtschaftsliberalismus und eben auch die „Judenfrage“ aufgriff. Er hielt überall in Deutschland („Hofprediger aller Deutschen“) gut besuchte Reden und wurde nach 1878 zu einem einflussreichen Politiker und wichtigsten Wegbereiter des Antisemitismus, der vor allem die akademische und kirchliche Jugend prägte. Anfang Februar 1878 gründete er im zweiten Anlauf die Christlich-soziale Arbeiterpartei (1881 in Christlich-soziale Partei umbenannt). Da die Partei in der Arbeiterschaft keinen Anklang fand, setzte Stoecker darauf, mit seiner leidenschaftlichen antisozialistischen Agitation die kleinbürgerlichen und mittelständischen Schichten sowie die Landbevölkerung anzusprechen und seine Partei christlich-konservativ, aber auch antisemitisch auszurichten, indem er den Kampf gegen die seiner Meinung nach bestehende „Übermacht des Judentums“ aufnahm. In diesen Kontext gehören seine Reden, von denen die erfolgreiche Wahlkampfrede „Unsere Forderungen an das moderne Judentum“ vom 19. September 1879 am bekanntesten geworden ist. Diese Rede ist zusammen mit einer zweiten Rede 1880 als Broschüre unter dem Titel „Das moderne Judenthum in Deutschland, besonders in Berlin. Zwei Reden in der christlich-socialen Arbeiterpartei“ in mehreren Auflagen gedruckt worden. Stoecker beschwört gleich zu Beginn die Dringlichkeit der „Judenfrage“, die eine „schon lange brennende Frage“ sei, die aber „seit einigen Monaten bei uns in hellen Flammen“ stünde. Er weist auch gleich den Vorwurf zurück, dies könne religiösem Fanatismus oder politischer Leidenschaft geschuldet sein, vielmehr sei sie ein Ausdruck „socialer Besorgniß“. Er nimmt damit das von Otto Glagau lancierte Schlagwort, „die soziale Frage ist die Judenfrage“ auf. Er erkennt Krankheitssymptome in der gegenwärtigen Gesellschaft und ist der Meinung, dass die aus den dem modernen Judentum anzulastenden sozialen Übelständen entspringende „Socialfeindschaft“ nicht grundlos sei. Da er schon drohend „das Wetterleuchten eines fernen Gewitters“ erkennen will, mahnt er Christen wie Juden, dass aus „der Gegnerschaft kein Hass werde“. Er wirft insbesondere den jüdisch-liberalen Zeitungen vor, auf die Klagen ihrer Gegner nicht einzugehen, sondern die „Judenfrage“ totzuschweigen. Er selbst nimmt für sich im Folgenden in Anspruch, diese Frage „in voller christlicher Liebe aber auch voller socialer Wahrheit“ zu behandeln. Die jüdisch-liberalen Zeitungen würden entstellende Berichte über dieses Thema publizieren und den Christlich-Sozialen Judenhass vorwerfen. Dies bestreitet Stoecker ganz ausdrücklich und behauptet, die Juden als Mitbürger und Volk der Propheten und Apostel, aus dem Christus hervorgegangen sei, zu achten, nimmt aber zugleich für sich in Anspruch, die Angriffe jüdischer Blätter auf das Christentum und den „jüdischen Mammonsgeist“ als Gefahr anprangern zu dürfen. Er beklagt, deswegen von jüdischer Seite heftig mit Hohn und

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Unsere Forderungen an das moderne Judentum

Hass angegriffen zu werden. Er wolle es aber trotzdem wagen, seine Meinung über das moderne Judentum frei und offen zu sagen. So beginnt er auch gleich mit der radikalen These, das moderne Judentum sei eine Gefahr für das deutsche Volksleben. Damit meine er weder die Orthodoxie noch das Reformjudentum, die, sei es als verknöcherte Religion, sei es als „dürftiges Überbleibsel der Aufklärungsepoche“, keinerlei Kraft und religiöse Bedeutung mehr besäßen, auch wenn deren Vertreter den zentralen Beitrag des Judentums zum Fortschreiten des Menschengeistes herausstrichen, was Stoecker als Anmaßung empört zurückweist. Er fragt deshalb ironisch, von wem denn heute angesichts der jüdischen „Journaille“ und der „Börsianer“ die „hohe Mission“ Israels würdig vertreten werde. Seine erste Forderung an das moderne Judentum lautet deshalb auch, „ein klein wenig bescheidener“ zu sein. Stoecker erkennt zwar an, dass das Judentum die Idee des Monotheismus durch das Altertum hindurch bewahrt habe, doch sei es inzwischen durch die höhere Wahrheit des Christentums abgelöst worden. Er bestreitet zudem auch, dass den Juden andere, von ihnen in Anspruch genommene Entwicklungen, etwa die Entwicklung religiöser Toleranz, zuzurechnen seien. Er skizziert vielmehr entsprechend der christlichen Substitutionstheologie das Bild einer intoleranten, rückständigen und verdorrten Religion – dies alles, obwohl es nach Stoecker eigentlich gar nicht um die Religion gehen sollte. Für ihn lebt das Judentum heute ohne jede religiöse Schöpferkraft, da es diesem vielmehr um die äußeren als um die inneren Dinge gehe. Da sich alle Ideale verflüchtigt hätten, habe sich der Juden „dieser wahnsinnige Spekulationsgeist und dieses Streben, schnell reich zu werden auf Kosten anderer“ bemächtigt, während man sie andererseits auf allen Gebieten der Kunst vergeblich suche. Dies seien die Folgen von Atheismus und Materialismus. Im modernen Judentum sieht Stoecker eine „irreligiöse Macht“, die dennoch das „Christentum bitter bekämpfte“ und das nationale Gefühl der Völker entwurzele, aber andererseits trotz der Konfessionslosigkeit das Judentum weiter „abgöttisch“ verehre, was er als jüdische Selbstüberschätzung mit vielen Beispielen geißelt. Beides zusammen genommen ist für Stoecker Ausdruck einer unerträglichen jüdischen Intoleranz, sodass seine zweite Forderung an die jüdische Presse lautet: „ein klein wenig toleranter!“ Zwar gesteht er zu, dass der „offizielle Hass“ aufgehört habe und man zum Beleg für diese Verachtung und Intoleranz gegenüber anderen Völkern heute nicht mehr den Talmud heranziehen dürfe, doch atme nun die „Judenpresse“ einen Hass gegen das Christliche, der für Stoecker „den tiefsten Abscheu verdient“. Während diese Presse niemals das orthodoxe Judentum angreife und niemals Kritik an Juden übe oder ihre Riten verspotte, müsse sich das Christentum alle „Nichtswürdigkeiten“ gefallen lassen. Er nennt diese beständigen Angriffe auf die Fundamente des Glaubens, der Sitte und der nationalen Ehre „frevelhaft und schändlich“. Für ihn ist eine Besserung der Zustände nicht zu erwarten, „ehe diese Giftquellen nicht gereinigt sind“. Die nach Stoecker bestehende Herrschaft des semitischen Geistes bedeute nicht nur eine geistige Gefahr, sondern auch eine wirtschaftliche Verarmung für die eigene Nation, da man den deutschen Hang zum Idealismus ausnutze, um dahinter Geschäfte zu machen. Er beruft sich auf Kants, Fichtes und Herders Urteil über die Juden, wonach diese ein „Volk im Volke, ein Staat im Staate, ein Stamm für sich unter einer fremden

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Rasse“ blieben, was man ihnen nicht vorwerfen könne, doch müsse man die in der Vermischung liegende Gefahr erkennen. In der im Vergleich zu Frankreich oder England größeren Zahl von Juden in Deutschland, die für ihn eine geschlossene Gemeinschaft bildeten, sieht er „eine wirkliche Gefahr“, zumal die deutschen Juden reicher, klüger und einflussreicher seien als die ebenfalls zahlreichen polnischen Juden. Er malt nun die Gefahr einer jüdischen Übermächtigung an die Wand, da die öffentliche Meinung und die Wirtschaft schon von ihnen beherrscht würden. Stoeckers dritte Forderung lautet deshalb: „Bitte, etwas mehr Gleichheit!“ Dies bedeutet für Stoecker, dass das moderne Judentum an der „produktiven Arbeit“ teilnehmen müsse. Die Erwartung, die Emanzipation würde die Juden schließlich in ihrer Berufsstruktur an die der Christen angleichen, habe sich nicht erfüllt, sie würden vielmehr die Berufe, in denen „leicht und viel verdient wird“, noch häufiger wählen als zuvor. Sie hätten keine Freude an der Arbeit und keine Sympathie für die „deutsche Arbeitsehre“, sondern seien da anzutreffen, wo es ohne Arbeit etwas zu holen gebe. So besteht für Stoecker die „Judenfrage“ letztlich darin, ob die Juden sich an der gesamten „deutschen Arbeit“, also auch an Handwerk, Industrie und Landwirtschaft beteiligen würden oder nicht. Zum Abschluss seiner Rede fragt er, was nun geschehen solle. Für ihn müssten Juden und Christen daran arbeiten, ins rechte Verhältnis miteinander zu kommen. Da er hier und da schon „Hass gegen die Juden auflodern“ sehe, sei die Abkehr des Judentums von seiner wirtschaftlichen Dominanz und Presseherrschaft der einzige Weg. Sollten die Juden diesen Weg nicht einschlagen, ist für ihn „eine Katastrophe zuletzt unausbleiblich“. Stoecker setzte auf das Mittel der Gesetzgebung, um die angeblich durch das Judentum hervorgerufenen sozialen Missstände zu beseitigen, wobei er vor allem eine Regulierung der Finanzgeschäfte im Auge hat. Weitere konkrete Forderungen neben der Änderung des Börsen- und Aktienwesens waren: Entfernung jüdischer Lehrer aus den Volksschulen, Wiedereinführung der konfessionellen Statistik, Einschränkung der Zulassung zum Richteramt, aber komplementär dazu auch die Kräftigung „des christlich-germanischen Geistes“. Die am Ende der Rede von Stoecker ausgegebene Losung lautet dementsprechend: „Rückkehr zu mehr germanischem Rechtsund Wirtschaftsleben“ und „Umkehr zu christlichem Glauben“. Nach Stoeckers frühem Biografen und Parteigänger Dietrich von Oertzen hatte diese Rede eine „gewaltige Wirkung“. Die Juden hätten vor Wut geschäumt, da ihnen noch niemand so die Wahrheit gesagt habe, während auf der anderen Seite „im ganzen Deutschen Reich bei allen Verständigen ein ungeheurer Jubel der Zustimmung“ ausgebrochen sei. Durch die Angriffe der jüdisch-liberalen Presse gezwungen, habe Stoecker eine zweite Rede halten müssen. In dieser Rede behauptete Stoecker, er habe die Aufregung einer zweiten Diskussion über die Judenfrage gern vermeiden wollen, doch müsse er die „lügnerische Entstellung unserer ersten Versammlung“ zurückweisen. Tatsächlich gab es eine Beschwerde der jüdischen Gemeinde, woraufhin der preußische Innenminister Eulenburg vom Berliner Polizeipräsidenten einen Bericht verlangte, der in der Rede Stoeckers nur eine sachgemäße Darstellung der Verhältnisse erkennen konnte, da sie nur ausspreche, was viele aus Furcht vor Nachteilen nicht auszusprechen wagten.

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Unsere Waffen (1925–1932)

Doch waren Stoeckers Argumente alles andere als originell. Die Forschung hat nachgewiesen, dass seine Rede neben gedanklichen Anleihen beim wirtschaftsbezogenen Antisemitismus von Otto Glagau und Vertretern der protestantischen Soziallehre (wie Rudolf Todt) fast gänzlich auf den national-theologischen Interpretationen basiert, die von dem Pastor und Historiker der Judenmission, Johannes de le Roi, entwickelt worden waren, den Stoecker aus seiner Studienzeit kannte. Die Rede stützt sich vor allem auf das 18. Kapitel „Die Judenfrage in der Gegenwart“ aus dem Buch de le Rois über den Missionar „Stephan Schultz. Ein Beitrag zum Verständniß der Juden und ihrer Bedeutung für das Leben der Völker“ (1871).

Werner Bergmann

Literatur Günter Brakelmann, Martin Greschat, Werner Jochmann, Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982. Hans Engelmann, Kirche am Abgrund. Adolf Stöcker und seine antijüdische Bewegung, Berlin 1984. Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Grit Koch, Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche, Erlangen, Jena 1993. Dietrich von Oertzen, Adolf Stoecker. Lebensbild und Zeitgeschichte, 2 Bände, Berlin 1910.

Unsere Waffen (1925–1932) Die Schriftenreihe „Unsere Waffen – Rüstzeug der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung“ war neben der Tageszeitung → „Das Deutsche Tageblatt“ ein maßgebliches Publikationsmedium der 1922 begründeten radikal antisemitisch ausgerichteten Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP), die seit 1925 unter der Bezeichnung Deutschvölkische Freiheitsbewegung (DVFB) in Erscheinung trat. Den Auftakt der Reihe bildete ein programmatischer Beitrag über die Frage „Warum deutschvölkisch?“, der ohne die Benennung eines Verfassers gedruckt wurde. Bei den 32 nachweisbaren Bänden (Folgen 1–14 und 16–33), die zwischen 1925 und 1932 in unterschiedlich dichter Abfolge im Selbstverlag der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung in Berlin herausgegeben wurden, handelte es sich eher um eine Heft- als um eine Buchreihe. Mit wenigen Ausnahmen wurden die Autoren der Hefte stets namentlich erwähnt. Die einzelnen Beiträge bestanden überwiegend aus abgedruckten Reden und Vorträgen, die auf den einmal jährlich an wechselnden Orten in Preußen, Thüringen oder Mecklenburg stattfindenden Reichsvertretertagungen der DVFB oder den zwischenzeitlichen Arbeitstagungen in Berlin gehalten worden waren. Der Erscheinungsverlauf der Schriftenreihe „Unsere Waffen“ dokumentierte somit gleichzeitig die Reichs- und Arbeitstagungen der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung. Je nach Umfang enthielten die Bände gewöhnlich einen größeren Artikel oder zwei bis drei kleinere Beiträge. Inhaltlich widmeten sich die Beiträge Themen, die für die Deutschvölkischen von grundlegender programmatischer Bedeutung waren, wie etwa die scharfe Ablehnung von Versailler Vertrag, Demokratie und Republik, die politische und personelle Ab-

Uplands-Posten (Schweden, 1905–1907)

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grenzung von Deutschnationalen und Nationalsozialisten, eigene Vorstellungen eines großdeutschen, völkischen und judenfreien Staates sowie antisemitische Polemiken, darunter der Abdruck des Vortrags „Der jüdische Imperialismus“ (1929/30), den der notorische Antisemit Gregor Schwartz-Bostunitsch im September 1929 auf der deutschvölkischen Reichstagung in Rostock gehalten hatte. Nach 1930 erschienen stark antikatholisch bzw. antiklerikal ausgerichtet Hefte, die religiöse Grundfragen der Deutschvölkischen adressierten, beispielsweise Reformation und Kulturkampf, die Vereinbarkeit von Christentum und Deutschtum oder die Frage „War Jesus Jude?“ (1931). Der mit Abstand häufigste Beiträger der Reihe „Unsere Waffen“ war der völkischantisemitische Publizist und Parlamentarier Reinhold Wulle, der 1928 nach mehreren einschneidenden Wahlniederlagen und Mandatsverlusten den Vorsitz der DVFB von Albrecht von Graefe übernommen hatte. Aus seiner Feder stammten zehn der mit Verfasserangaben versehenen Hefte, und mit großer Wahrscheinlichkeit war Wulle als hauptsächlicher Organisator der deutschvölkischen Parteipresse auch an den anonym veröffentlichten Bänden beteiligt. Kreisten die während seiner aktiven Zeit als Abgeordneter erschienenen Hefte noch um den „völkischen Freiheitskampf in seiner weltpolitischen Bedeutung“ (1927) oder den „Weg zum völkischen Staat“ (1928), so zog Wulle sich in den Jahren des Niedergangs der DVFB mit Beiträgen wie „Wege römischer Politik“ oder „Die romfreie Front“ (1931) ganz auf das Thema Religion zurück. Der Rekurs auf religiöse bzw. religionspolitische Fragen ist einerseits als Rückzieher von alltagspolitischen Themen zu verstehen, die inzwischen mit größerem Erfolg von der NSDAP besetzt wurden. Zum anderen legte dieser nur vordergründig antikatholische, grundsätzlich immer auch antisemitisch konnotierte Reflex die zentrale Bedeutung der Religion in der völkischen Weltanschauung und die tiefe Verwurzelung des Antisemitismus im religiösen Denken den Völkischen frei. Wulle ließ in scharfer Abgrenzung zum Calvinismus und zur römisch-katholischen Kirche, der er unterstellte, gemeinsam mit Juden gegen nationale deutsche Interessen zu paktieren, allein den Protestantismus lutherischer Prägung gelten. Verpackt in die in doppelter Hinsicht plakative Propagandaformel einer „schwarz-rot-goldenen Internationale“ war der zentrale Gedanke dabei die Annahme einer weltumspannenden antideutschen Verschwörung durch Katholizismus, Sozialismus und Judentum.

Stefanie Schrader

Literatur Stefanie Schrader, Völkische Opposition. Eine Untersuchung zur parteipolitischen und parlamentarischen Partizipation der Deutschvölkischen Freiheitspartei/Deutschvölkischen Freiheitsbewegung in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 2012.

Uplands-Posten (Schweden, 1905–1907) „Uplands-Posten“ war eine nach eigenen Angaben radikal-konservative Zeitung mit zahlreichen antisemitischen Inhalten. Sie erschien vom 14. Dezember 1905 bis zum 31. Dezember 1907 zweimal pro Woche in der mittelschwedischen Universitätsstadt Uppsala mit einem Umfang von vier Seiten. Ihre stabile Auflage von ca. 6.000 Exem-

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O Valor da Raça (António Sardinha, 1915)

plaren bewegte sich im Bereich der beiden bestehenden örtlichen Tageszeitungen, der konservativen „Upsala“ und der liberalen „Upsala Nya Tidning“ und lässt darauf schließen, dass die Zeitung im kurzen Zeitraum ihres Erscheinens tatsächlich eine gewisse Alternative zu ihren Konkurrenten bot. Herausgeber und leitender Redakteur der Zeitung war der Volksschullehrer und Schriftsteller Karl Mauritz Rydgren, der in den Jahren zuvor bereits zwei ähnliche Zeitungsprojekte im westschwedischen Göteborg initiiert hatte und später als Verfasser von antisemitischen Schriften bekannt werden sollte. Über die übrigen Mitarbeiter der Zeitung ist nichts bekannt. „Uplands-Posten“ präsentierte sich auf den ersten Blick im gewohnten Kleid eines konservativen, regionalen Nachrichtenorgans. Sie enthielt lokale, innen- und außenpolitische Nachrichten ebenso wie übliche Informationen über Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen, lokale Veranstaltungen etc. und fungierte zeitweise als Organ des Upsala Lantbruksklubb [Uppsalaer Bauernverein]. In nahezu jeder Ausgabe thematisierte die Zeitung allerdings, wenn auch in stark variierendem Umfang, die Rolle der Juden in Schweden und versuchte so, Aufmerksamkeit für eine vorgebliche „Judenfrage“ zu schaffen. Inhalt und Form der antisemitischen Artikel in „Uplands-Posten“ lassen eine Rezeption deutschsprachiger antisemitischer Publikationen vermuten. Dabei verfolgte die Zeitung innerhalb des antisemitischen Spektrums keine klare ideologische Linie, sondern zeigt jenen ausgeprägten Eklektizismus, der auch für andere Schriften Rydgrens charakteristisch ist. Neben rassenbiologisch argumentierenden Artikeln enthielt „Uplands-Posten“ auch Beiträge, die auf christliche Vorstellungen jüdischer Christusmörder oder des jüdischen Antichristen abhoben. Grundthema der Zeitung war allerdings ihr antimodernistischer Kampf gegen eine angeblich fortschreitende Demoralisierung und Entchristlichung der schwedischen Gesellschaft, als deren Urheber sie eine weltweite jüdische Verschwörung bzw. jüdisch kontrollierte Revolutionäre und Radikale identifizierte. Zum Jahresende 1907 musste „Uplands-Posten“ ihr Erscheinen aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten einstellen.

Christoph Leiska

Literatur Mattias Tydén, Svensk Antisemitism 1880–1930 [Schwedischer Antisemitismus 1880– 1930], Uppsala 1986.

O Valor da Raça (António Sardinha, 1915) Antisemitismus und Rassismus bilden einen integralen Bestandteil der Arbeiten des Schriftstellers António Sardinha, in dessen Bibliothek sich zahlreiche Antisemitika und rassentheoretische Schriften vor allem französischer Autoren befanden. Unter dem Einfluss des französischen Sozialphilosophen Georges Sorel, des Politikers Charles Maurras, des Anthropologen Georges Vacher de la Pouge und des Syndikalmonarchisten Georges Valois veröffentlichte Sardinha 1915 seine auf feudalen Vorstellungen basierenden rassistischen Theorien in dem Buch „O Valor da Raça: introdução a uma campanha Nacional“ [Der Wert der Rasse: Beginn einer nationalen Bewegung], mit

Varpas (Litauen, 1889–1905)

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dem er sich ein Jahr zuvor erfolglos um eine Assistentenstelle an der Faculdade de Letras de Lisboa beworben hatte. Sardinha beruft sich auf das mythische Atlantis und die prähistorische MugemRasse (raça de Mugem), dunkelhaarige und sesshafte Menschen, den Begründern der lusitanischen Rasse. Sardinha sah sich bedroht von der „Negerkrätze“ (a gafa nigerista) und von den Juden (infecção judenga). Nur eine „ethnische Hygiene“ hätte die „Verseuchung“ seines Volkes durch die Juden verhindern können. Für den Niedergang der „lusitanischen Rasse“ machte er die Lethargie der Portugiesen und ihr Desinteresse an der Rassereinheit verantwortlich. Für seine von totaler Unkenntnis der jüdischen Geschichte verfasste Schrift beruft er sich auf seine Vorbilder Valois, Lemaître, Sorel, Le Play, Lapouge und Le Bon. Seine Theorien, die der Antisemit Amadeu de Vasconcelos zwei Jahre später als Scharlatanerie und als „rassistischer Koran des Nationalismus“ geißelte, fanden jedoch wenig Zuspruch in den antisemitischen und monarchischen Kreisen Portugals.

Michael Studemund-Halévy

Literatur Jorge Martins, Portugal e os Judeus, Band 3, Lissabon 2006.

Varpas (Litauen, 1889–1905) „Varpas“ [Die Glocke] war eine litauischsprachige Zeitschrift, die von 1889 bis 1905 monatlich erschien. Sie wurde in Tilsit gedruckt und über die Grenze in den zum Russischen Reich gehörigen Teil Litauens geschmuggelt. Die Auflage der Zeitschrift stieg von 800 (1890) auf 1.500 (1895). Nominell war der ostpreußische Litauer Martynas Jankus verantwortlicher Redakteur, tatsächlich wurde der Inhalt jedoch zunächst maßgeblich von dem im russischen Teil Litauens ansässigen Arzt Vincas Kudirka geprägt. In ihrer Anfangszeit hatte die Zeitschrift Einfluss auf den antisemitischen Diskurs in Litauen. In den späten 1890er Jahren erhielt „Varpas“ eine liberalere Ausrichtung. Die ersten Ausgaben von „Varpas“ waren inhaltlich stark von Antiklerikalismus sowie vom Warschauer Positivismus geprägt und propagierten die „organische Arbeit“, also die Stärkung aller Schichten der litauischsprachigen Bevölkerung, als wirkungsvollstes Instrument zur litauischen Nationsbildung. Die Redakteure des „Varpas“ entstammten dem Bauerntum des Gouvernements Suwałki, das vormals zum Königreich Polen gehört hatte und Bauern bessere Möglichkeiten der beruflichen Bildung eröffnete als der zum Russischen Reich gehörige Teil Litauens. Die Redakteure hatten mehrheitlich in Warschau studiert. Der Gründer der Zeitschrift, Vincas Kudirka, war während seines Medizinstudiums mit dem polnischen Nationaldemokraten Roman Dmowski in Kontakt getreten, der entscheidenden Einfluss auf den polnischen Antisemitismus hatte. In der Folge wurde Kudirka das einzige bedeutende Mitglied der frühen litauischen Intelligenzija, das sich für den „modernen Antisemitismus“ deutschen oder französischen Typs interessierte. Kudirka begann seine Herausgeberschaft nach seiner Rückkehr nach Litauen 1889 in Šakiai, wo er mit jüdischen Ärzten erfolglos in Konkurrenz trat. Aufgrund des Druckverbots für litauischsprachige Zeitungen in lateinischer Schrift wurde die

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Das Vaterland (Österreich, 1859–1911)

„Varpas“ im ostpreußischen Tilsit gedruckt und von „Bücherträgern“ über die Grenze geschmuggelt. Kudirka, der die Herausgabe einer Zeitschrift nach Vorbild von Édouard Drumonts → „La Libre Parole“ als wirksamstes Instrument zur Schaffung einer antisemitischen Bewegung erachtete, dachte „Varpas“ auch diese Rolle zu. 1890 veröffentlichte er eine Reihe antisemitischer Artikel, die den Boykott jüdischer Geschäfte und die gesellschaftliche Segregation von Litauern und Juden propagierten und zur Organisation der litauischsprachigen Bauernschaft gegen die Juden aufriefen. Kudirka war damit der Erste, der den Begriff Antisemitismus (antisemitizmas) als Ausdruck für eine angeblich wissenschaftlich fundierte Judenfeindschaft in den litauischen Wortschatz einführte. Kudirka bediente sich dabei der Texte Drumonts und Adolf Stoeckers sowie der nationalistischen russischsprachigen Zeitung „Novoe Vremja“. Nach der Verbesserung seiner beruflichen Situation in Šakiai nahm Kudirkas Interesse an den Debatten des europäischen Antisemitismus merklich ab, wodurch auch der Antisemitismus von „Varpas“ deutlich abgemildert wurde. Aus gesundheitlichen Gründen gab er in der Mitte der 1890er Jahren die Chefredaktion ab. In der Folge geriet zunächst die von der „Varpas“-Redaktion herausgegebene Zeitschrift „Ūkininkas“ [Der Landwirt] und schließlich „Varpas“ selbst unter den Einfluss litauischer Liberaler und Sozialdemokraten, wodurch sowohl die „organische Arbeit“ als auch der Antisemitismus seinen hohen Stellenwert in der Zeitschrift verlor, und die Zeitschrift vielmehr eine Zusammenarbeit mit den litauischen Juden gegen den propagierten gemeinsamen Feind – die zarische Verwaltung – befürwortete. Somit wurde „Varpas“ um die Jahrhundertwende zu einem Sprachrohr der Gegner des Antisemitismus und zu einem Vorläufer der liberalen litauischsprachigen Presse, die nach der Abschaffung des Druckverbots 1904 entstand.

Klaus Richter

Literatur Vaclovas Biržiška, Iš mūsų laikraščių praeities [Aus der Vergangenheit unserer Zeitungen], in: Vaclovas Biržiška (Hrsg.), Knygotyros darbai [Buchwissenschaftliche Arbeiten], Vilnius 1998, S. 382–452. Klaus Richter, Antisemitismus in Litauen. Christen, Juden und die „Emanzipation“ der Bauern (1889–1914), Berlin 2012. Vytas Urbonas, Lietuvos žurnalistikos istorija. Periodinė spauda [Geschichte des litauischen Journalismus. Die periodische Presse], Klaipėda 2001.

Das Vaterland (Österreich, 1859–1911) Die österreichische katholisch-konservative Tageszeitung „Das Vaterland“ wurde im Jahre 1859, d. h. während des Jahrzehnts der Reaktion nach den Revolutionsjahren 1848/49 gegründet, mit der Devise „Dem Geist von 1789 gelte unser Kampf“. Der Ton war von Anfang an streng konservativ. Die Zeitung befürwortete einen föderalistischen Aufbau der Habsburgermonarchie als Abwehr gegen einen zentralisierenden Liberalismus. Während der liberal eingestellten 1860er und frühen 1870er Jahre konnte „Das Vaterland“ als Vertreterin der Interessen des alpenländischen und böhmischen Feudaladels wenig politischen Einfluss ausüben. Die Lage änderte sich, als es dem

Die Verbrechernatur der Juden

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„Vaterland“ gelang, den norddeutschen Konvertiten Karl Freiherr von Vogelsang als Mitarbeiter und von 1875 bis zu seinem Tod im Jahre 1890 als Chefredakteur zu gewinnen. Vogelsang propagierte einen aggressiven Antiliberalismus, der sich gegen das „Manchestertum“ in der Wirtschaftspolitik, die Privilegierung des Individuums in der Gesellschaft und die Entchristlichung des öffentlichen Lebens richtete. All dies ging von Anfang an nicht ohne eine starke Dosis von Judenfeindlichkeit. Unter der Leitung Vogelsangs plädierten das „Vaterland“ und die von ihm ebenfalls geführte „Monatsschrift für Gesellschaftswissenschaft und christliche Sozialreform“ für eine Gesellschafts- und Verfassungsordnung auf ständischer Grundlage, die Abschaffung von „Zinswucher“ und den Schutz von Industriearbeitern. Die Unterstützung von Streikenden in der mährischen Textilindustrie brachte dem Vaterland im Juli 1875 die Konfiszierung seitens der Zensur. An allen Übeln seiner Zeit schob die Zeitung die Schuld dem „sofort mit seiner Emancipation zur Herrschaft gelangten Judentum“ zu, ob im kulturellen Leben durch „die pornographischen Blätter der Judenpresse“, im wirtschaftlichen, indem „der Jude den Handwerker ausrottet“, und im politischen, indem „das Judentum fast alle Fürsten, alle Regierungen und alle Völker in der Gewalt hat“. Trotz seiner weiterhin bescheidenen Auflage (maximal 3.000) spielte das „Vaterland“ in den 1880er und 1890er Jahren eine wichtige Rolle in der österreichischen Politik. Durch Vogelsang wurde der Demokrat Karl Lueger an einer sozialreformerischen Koalition auf katholisch-antisemitischer Grundlage interessiert. 1887 lancierte das „Vaterland“ die Idee einer „Anti-liberalen Liga“, die die liberale Mehrheit im Wiener Gemeinderat herausfordern und auch Kandidaten zur Wahl in den Reichsrat unterstützen sollte. In der Tat gelang es dieser Koalition, die zuerst als „Vereinigte Christen“ und dann als „Christlich-Sozial“ firmierte, die Mehrheit im Wiener Gemeinderat und die Wahl Luegers zum Bürgermeister zu erreichen. Auch international war das „Vaterland“ unter Vogelsangs Leitung bedeutender geworden. Eine Zeit lang war er Wiener Korrespondent der Berliner → „Kreuzzeitung“; als Gegenleistung brachte er Beiträge von deutschen Kathedersozialisten wie Rudolf Meyer und Adolph Wagner. Trotz dieser politischen und propagandistischen Erfolge konnte das „Vaterland“ sich nicht gegen die zunehmende Konkurrenz anderer antisemitischer Blätter, wie die → „Reichspost“ und das → „Deutsche Volksblatt“ behaupten. Auch die Subventionen der österreichischen Pius-Vereine konnten das „Vaterland“ finanziell nicht retten. Nachdem die konservativen und christlichsozialen Parteien sich aus Anlass des allgemeinen Männerwahlrechts (1906) vereinigt hatten, fusionierte das „Vaterland“ 1911 konsequenterweise mit der volkstümlicheren „Reichspost“.

Peter Pulzer

Literatur Johann Christoph Allmayer-Beck, Vogelsang. Vom Feudalismus zur Volksbewegung, Wien 1952. Wiard von Klopp, Die sozialen Lehren des Freiherrn Karl von Vogelsang. Grundzüge einer katholischen Gesellschafts- und Volkswirtschaftslehre, Wien 1938.

Veränderung des Antlitzes → Schimbarea la faţă Die Verbrechernatur der Juden → Judentum und Gaunertum

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Verdener Manifest (5. Februar 2003)

Verdener Manifest (5. Februar 2003) Mit Schreiben vom 18. März 2003 erklärte der Rechtsextremist und radikale Antisemit Horst Mahler seinen Austritt aus der NPD, in die er als Geste der Solidarität angesichts des gegen die Partei im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens eingetreten war. Hintergrund der Trennung waren taktische Differenzen über den politischen Nutzen der von Horst Mahler vorbereiteten Aktion „Selbstanzeige“, einer koordinierten Aktion der Leugnung des Holocaust. Politische Grundlage der von Mahler geplanten Kampagne war das „Verdener Manifest von Bürgern des Deutschen Reiches“, das ein kleiner Kreis von Neonazis am 5. Februar 2003 in Verden/Aller verabschiedet hatte. Dieser antisemitische und antiisraelische Text parallelisiert die Situation „der Palästinenser“ und „der Deutschen“, indem beide als Opfer jüdischer Machenschaften dargestellt werden, die in einem gemeinsamen Kampf gegen denselben Unterdrücker verbunden seien: „Der Aufstand gegen die Jüdische Weltherrschaft hat in Palästina mit der 2. Intifada begonnen. Der Befreiungskrieg setzt sich jetzt fort in Deutschland mit dem Angriff auf das Dogma von den 6 Millionen im Gas umgekommenen Juden.“ Mahler und die Unterstützer des Verdener Manifests sehen in einem Text des „Spiegel“-Redakteurs Fritjof Meyer, der glaubte, den Nachweis führen zu können, dass in Auschwitz nicht über 1,1 Millionen Menschen, sondern 510.000 (davon 356.000 durch Gas) umgebracht wurden, eine verbesserte Ausgangsposition für die Leugnung der Shoah, da gegen Meyer wegen Volksverhetzung erstattete Strafanzeigen von den Staatsanwaltschaften eingestellt worden waren. Meyers „Schlag gegen die Holocaustreligion“ erschüttere, so das „Verdener Manifest“, „das landesverräterische Dogma von der Offenkundigkeit der Vernichtung der Juden durch das Dritte Reich“ und erlaube nun eine aussichtsreiche Verteidigung der Leugnung der Shoah vor den Gerichten. In diesem Sinne rief Mahler dazu auf, „aus freiem Entschluß […] vor den Gerichten des Reichsvernichtungsregimes, das sich selbst als ‚Bundesrepublik Deutschland’ bezeichnet, Zeugnis für das Deutsche Reich abzulegen“. In der Folge solcher Selbstanzeigen wegen Verstoßes gegen den § 130 Strafgesetzbuch (StGB) wurden Mahler und andere Holocaustleugnende zu Haftstrafen verurteilt. Die von ihm erhoffte Öffentlichkeit oder gar Solidarität mit den sich selbst Anzeigenden blieb aus. Teil der im „Verdener Manifest“ angelegten Strategie war auch ein für den Sommer 2003 geplanter Besuch im polnischen Oświęcim (Auschwitz), den Mahler zu einem propagandistischen Auftritt und den „Beweis“ nutzen wollte, dass in den Vernichtungslagern der NS-Diktatur weit weniger Opfer ermordet worden seien als heute gemeinhin angenommen. Nachdem diese Reise durch die zeitweise Einschränkung des Geltungsbereiches des Personalausweises und des Reisepasses Mahlers verhindert wurde, trat Mahler mit anderen Neonazis am 30. Juli 2003 auf der Wartburg in Eisenach auf. Dort postulierte Mahler: „Den Holocaust gab es nicht – Die Wahrheit siegt – Die Lüge vernichtet sich selbst – Das Deutsche Reich kommt im Aufstand des Deutschen Volkes zu sich.“ Im November 2003 wurde unter maßgeblicher Beteiligung Mahlers zudem der Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) gegründet, dem ein Jahr später etwa 120 Personen angehörten. Ziel der Vereinigung war u. a. die Wiederaufnahme aller Strafverfahren, die zur Verurteilung wegen Verstoßes

Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur

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gegen den § 130 StGB mit der Begründung geführt haben, dass der Holocaust eine offenkundige Tatsache sei, die keines weiteren Beweises mehr bedürfe. Der Leugnung des Holocaust sollte schließlich auch ein neuer „Auschwitzprozess“ dienen, der als Revision des Frankfurter Auschwitzprozesses (1963–1965) angelegt werden sollte. Am 7. Mai 2008 wurde die Vereinigung vom Bundesminister des Innern als verfassungsfeindliche Organisation verboten. Das von Mahler presserechtlich verantwortete „Verdener Manifest“ ist Teil seiner radikal antisemitischen Weltsicht und politischen Praxis, die bereits im Oktober 2000 in dem von ihm mit verfassten Pamphlet „Ausrufung des Aufstandes der Anständigen“ gipfelte, in dem u. a. das Verbot der jüdischen Gemeinden in Deutschland gefordert worden war.

Fabian Virchow

Verlag der Freunde → Sleipnir Verlag des Turmwart → Der Turmwart

Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur Unter Leitung von Roland Bohlinger veröffentlicht der Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur aus Viöl (Schleswig-Holstein) seit den 1980er Jahren eine Vielzahl von rechten Schriften. Der Verlag setzt bei seinen zahlreichen Veröffentlichungen den Schwerpunkt auf den Nachdruck historischer Schriften. Die Faksimiles entstammen vor allem der Zeit der Weimarer Republik sowie des Nationalsozialismus und repräsentieren Autoren, die vorrangig im völkisch-antisemitischen Spektrum ihrer Zeit zu verorten sind. Im Verlagsprogramm lässt sich beispielsweise der nationalsozialistische Rassentheoretiker Ludwig Ferdinand Clauß mit der Neuauflage seines Werkes „Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde“ neben „Der internationale Jude“ (→ The International Jew) von Henry Ford finden. Die zahlreichen Veröffentlichungen von Erich und Mathilde Ludendorff werden umfangreich neu aufgelegt und bilden einen wesentlichen Referenzpunkt des Verlages. Bohlinger tritt auch als Autor für seinen Verlag in Erscheinung und bedient sich bei der Kommentierung aktueller Ereignisse und Entwicklungen antisemitischer und weltverschwörerischer Versatzstücke. Diese setzen sich auch in den zahlreichen Zeitschriften von Bohlinger, wie dem „ID – Informations- und Dokumentationsdienst“ (1994–2005), „Freiheit und Recht – ein systemkritisches Magazin“ (2001–2007) und „Weltenwende – Ein systemkritisches und zukunftsoptimistisches Magazin“ (2011 ff.) fort. Diese dienen neben der Werbung für sein Verlagsangebot vor allem der publizistischen Betätigung von Bohlinger und gehören nicht zu den zentralen rechten Periodika. Mit seinem Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur sowie den beigeordneten Freiland Verlag und Hutten Verlag bietet Bohlinger ein umfangreiches Angebot historischer und zeitgenössischer Literatur. Diese behandeln Themen wie Antisemitismus, Zionismus, Judentum, Kommunismus, Freimaurertum, Weltverschwörung, aber auch Kirchenkritik und Geschichtsbetrachtungen aus rechter Perspektive. Neben seiner Verlagstätigkeit betreibt Roland Bohlinger maßgeblich das Institut für ganzheitliche Forschung, dessen Schriften in seinem Verlag veröffentlicht werden, so-

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Verlagsgesellschaft Berg

wie den Sippenverein Bohlinger e. V. und den Deutschen Rechts- und LebensschutzVerband e. V. (DLRV). Die beiden Vereine entwickeln aber in ihren Aktivitäten nur eine sehr begrenzte Wirkung. Die organisatorische Klammer der zahlreichen Aktivitäten von Bohlinger bildet die „Freie Republik Uhlendorf“, die resultierend aus der Ablehnung der BRD und durch die Eigenwahrnehmung als Teil des „1871 wiedergegründeten Deutschen Reiches“ ins Leben gerufen wurde. Roland Bohlinger ist die zentrale Person dieser Organisationen, die nur auf einen sehr begrenzten Kreis wirken. Trotzdem ist der Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur mit seinem umfangreichen Angebot an rechter Literatur ein wesentlicher Zugang für Faksimile-Veröffentlichungen mit einer antisemitischen und/oder weltverschwörerischen Ausrichtung.

Patrick Schwarz

Verlag Wieland Körner Der in Bremen ansässige Verlag „Hanse Buchwerkstatt“ wird von dem Verleger Wieland Körner betrieben. Im Mittelpunkt der Verlagstätigkeit stehen die Produktion und Verbreitung politischer sowie historischer Kleinstschriften. Den Schwerpunkt bilden Faksimile-Veröffentlichungen, vor allem von Schriften aus der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Dazu gehören nationalsozialistische Autoren wie beispielsweise Franz Alfred Six mit „Freimaurerei und Judenemanzipation“ (1938) oder Gregor Straßer mit seinem Buch „Kampf um Deutschland“ (1932). Inhaltlich orientieren sich diese Nachdrucke vorrangig rechter Autoren an Themen wie Freimaurertum, Judentum, Antisemitismus und Nationalismus. Sie dienen nach Eigenaussage des Verlages „für wissenschaftliche Zwecke, insbesondere zur Ergänzung von Bibliotheken und Sammlungen“. Das Konzept von Wiederveröffentlichungen wird vom Verlag auch bei aktuellen Autoren weitergeführt. Zum aktuellen Programm gehört mit zahlreichen Veröffentlichungen auch der Verleger Wieland Körner selbst. Thematisch wird das Verlagsprogramm durch Schriften zur Holocaustleugnung bzw. deren Benennung als „Meinungsfreiheit“ sowie weltverschwörerische Schriften erweitert. In seinen Verlagsrundschreiben zeigte sich Körner solidarisch mit prominenten Holocaustleugnern wie Germar Rudolf und Horst Mahler. Der Verlag ist bereits seit Ende der 1970er Jahre tätig und firmierte unter Namen wie „Faksimile Verlag Bremen“, „Roland Versand Bremen“, „Verlag Wieland Körner“ und schließlich seit 2010 als „Hanse Buchwerkstatt“. Trotz der jahrzehntelangen Verlagstätigkeit und zahlreichen Veröffentlichungen sind die Schriften des Verlages von Wieland Körner im extrem rechten Spektrum im Vergleich zu anderen rechten Verlagen unterrepräsentiert.

Patrick Schwarz

Verlagsgesellschaft Berg → Druffel Verlag

Vidi (Schweden, 1913–1931)

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Versuch über die Ungleichheit der Rassen → Essai sur l’inégalité des races humaines Verteidigung des Abendlandes → Défense de l’Occident

Vidi (Schweden, 1913–1931) „Vidi“, das Sprachrohr der Svenska Antisemitiska Föreningen [Schwedische Antisemitische Vereinigung], wurde im Oktober 1913 von dem Journalisten William Andersson Grebst, bekannter als Willy Ason Grebst, als wöchentlich erscheinendes konservatives, nationalistisches und pro-deutsches Skandalblatt gegründet. Solange Grebst Eigner und Herausgeber war, publizierte die Zeitung nur gelegentlich antisemitische Artikel, doch als Grebst starb und sein langjähriger Mitarbeiter Barthold Lundén im September 1920 die Zeitung übernahm, wurde sie in eine genuin antisemitische Zeitschrift umgewandelt, die in fast jeder Ausgabe Juden und das Judentum attackierte. Weitere Opfer der Angriffe Lundéns waren in den frühen 1920er Jahren männliche Homosexuelle: Im November 1920 lancierte Lundén eine Kampagne gegen Homosexualität und gegen die Schwulenszene in Göteborg. Die hauptsächliche Zielscheibe blieben jedoch die Juden. Lundéns Intention war es, günstige Bedingungen für die Gründung einer antisemitischen Organisation zu schaffen. Im Herbst 1923 veröffentlichte er einen Namensaufruf für eine antisemitische Vereinigung und verkündete, dies läute „eine neue Phase im Kampf gegen die jüdische Beherrschung Schwedens“ ein. Das Programm der neuen Organisation wurde in einer Reihe pompöser Artikel vorgestellt. Unter ihrem Dach sollten sich Leute mit antisemitischer Gesinnung quer durch das politische Spektrum zusammenfinden. Alle wirtschaftlichen Verbindungen zu Juden sollten abgebrochen und jüdischem Einfluss auf das Justiz- und Bildungswesen sowie jüdischer Kontrolle des Verlagswesens entgegengewirkt werden. Juden sollten die Bürgerrechte aberkannt werden (der Zugang zum Parlament und zu lokalen Regierungen sollte verwehrt werden), die „Judenzeitungen“ (Zeitungen mit jüdischen Eignern) sollten boykottiert und Ehen von Juden und Nichtjuden unterbunden werden, um sicherzugehen, dass die „schwedische Rasse“ nicht „beschmutzt“ und „verjudet“ werde. Durch „massive Propaganda“ sollten diese Ziele erreicht werden: Redner sollten durchs Land reisen, „hunderttausende“ Pamphlete verteilt werden, Listen „jüdischer Gesellschaften und von Personen, die für Juden als Strohmänner fungierten“, sollten zusammengestellt, und „aufklärende“ Literatur sollte verkauft werden. In gewissem Maß geschah dies auch. „Vidi“ wurde das Sprachrohr der Svenska Antisemitiska Föreningen – obgleich Lundén in der Öffentlichkeit immer darauf bestand, dass „Vidi“ sein privates Unternehmen sei und nicht das Geringste mit der Vereinigung zu tun habe – und Lundén entfesselte eine massive Propagandaaktion gegen alles „Jüdische“. Redner wurden auf Reisen entsandt und Berichte über deren Vorträge sowie über die Veranstaltungen der verschiedenen, neu gegründeten lokalen Filialen der Organisation in „Vidi“ veröffentlicht. Eine „schwarze Liste“ mit 195 „jüdischen“ Gesellschaften in Göteborg wurde publiziert und auch als separates Pamphlet verteilt. Über „Vidi“ konnte „Literatur zur Judenfrage“ – zum Beispiel Henry Fords → „The International Jew“ und → „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – erworben werden. „Vidi“ enthielt auch eine Rubrik für Leserbriefe, in der

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Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung

Schreiben, die die Arbeit Lundéns und der Svenska Antisemitiska Föreningen priesen, veröffentlicht wurden. In „Vidi“ finden sich alle bekannten antisemitischen Stereotype wieder und sind durch Verschwörungslegenden miteinander verknüpft. Juden werden als Puppenspieler dargestellt, die alles, von der Wirtschaft bis zur Presse, kontrollierten, sie werden als unehrliche Wucherer, besessen von Geld und Profit, sowie als Thronräuber und Kommunisten verleumdet. Die Zeitung verfolgte auch individuelle schwedische Juden, nicht zuletzt den berühmten modernen Maler Isaac Grünewald. Lundén war bei Weitem erfolgreicher als seine Vorgänger. Svenska Antisemitiska Föreningen hatte wohl zwischen 1.000 und 1.500 Mitglieder und „Vidi“ erreichte 1921 eine Auflage von 28.000 und 1924 von 16.000 bis 20.000 Exemplaren, in etwa ein Fünftel der Auflage der führenden schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“. So erzielte „Vidi“ eine ziemlich große Verbreitung. Doch offenbar begann die Auflage bereits 1926 rapide zu sinken, möglicherweise in Folge sowohl ihres manisch einseitigen Antisemitismus als auch einer gegen die Skandalpresse gerichteten Kampagne im selben Jahr. Darüber hinaus verschlechterte sich Lundéns Gesundheitszustand. 1931 wurden beide, Svenska Antisemitiska Föreningen und „Vidi“, aufgegeben. Lundén starb im Jahr darauf.

Lars M. Andersson Übersetzung aus dem Englischen von Monika Schmidt

Literatur Holger Carlsson, Nazismen i Sverige. Ett varningsord [Nationalsozialismus in Schweden. Ein Wort der Warnung], Stockholm 1942. Karl Erik Gustafsson, Per Rydén (red.), Den svenska pressens historia III. Det moderna Sveriges spegel (1879–1945) [Geschichte der schwedischen Presse III. Spiegel des modernen Schweden (1879–1945)], Stockholm 2001. R. Bertil Nilsson, Vidi 1913–1931: ett stycke göteborgsk tidningshistoria [Vidi 1913–1931: Ein Stück Göteborger Zeitungsgeschichte], Göteborg 1975. Mattias Tydén, Svensk Antisemitism 1880–1930 [Schwedischer Antisemitismus 1880– 1930], Uppsala 1986. Nils Weijdegård, Tidningen „Vidi“ och det homosexuella kloakträsket [Die Zeitung „Vidi“ und der homosexuelle Drecksumpf], in: Lambda Nordica 1 (1995), S. 47–60.

Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung (Belgien/ Großbritannien, 1997–2007) Die zwischen 1997 und 2007 erschienenen und bis 2005 von dem Holocaustleugner Germar Rudolf verantworteten „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ (VffG) stellten das zentrale deutschsprachige Publikationsforum des internationalen Netzwerks pseudowissenschaftlich argumentierender Holocaustleugner dar. Die Quartalszeitschrift „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ war zunächst angebunden an die im belgischen Berchem residierende Gruppierung Stichting Vrij Historisch Onderzoek [VHO/Europäische Stiftung zur Förderung freier historischer Forschung], die von den Brüdern Siegfried und Herbert Verbeke betrieben wur-

Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung

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de. Aus der Kooperation mit dem 1995 verurteilten und justizflüchtigen deutschen Holocaustleugner Germar Rudolf (→ „Rudolf-Gutachten“) gingen eine deutschsprachige Abteilung und die „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ hervor, die nach dessen Flucht nach Großbritannien und unter seiner Leitung 1997 von der VHO abgetrennt wurden. Nun offiziell in der redaktionellen Verantwortung Rudolfs, erschien die Zeitschrift in dessen Verlag Castle Hill Publishers im englischen Hastings. Dies blieb auch der Fall, als Rudolf im Jahr 1999 seine Flucht in die USA fortsetzte. Die Zeitschrift wurde von Rudolf als vermeintlich wissenschaftliches Periodikum angelegt, der Titel „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ einschließlich der Abkürzung „VffG“ rekurriert auf das renommierteste Organ der Zeitgeschichtsforschung, die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ (VfZ) des Instituts für Zeitgeschichte. Entsprechend bemühten sich die Autorinnen und Autoren darum, durch wissenschaftsförmige Gestaltung (Fußnoten, Statistiken, Tabellen, Quellen- und Literaturnachweise) Seriosität und Überzeugungskraft zu vermitteln. Gleichwohl findet sich neben mehr oder minder unverhohlen antisemitischen Äußerungen auch lediglich dürftig kaschierte NS-Apologie. So nannte Rudolf die Juden im Nahen Osten „Verbrecher und Terroristen“, an anderer Stelle pries er das nationalsozialistische Deutschland aufgrund seiner vorgeblichen Stärke, politischen Klugheit und wirtschaftlichen Prosperität als Vorbild. Inhaltlicher Schwerpunkt der Zeitschrift war die Leugnung des Holocaust. In Artikeln wie „‚Gasdichte’ Türen in Auschwitz“ (4/1998), „Ein Verfahrenstechniker zu Vergasungsbehauptungen“ (1/2000) oder „Die Einfüllöffnungen für Zyklon B“ (3/ 2004) wurde vor allem argumentiert, ein Massenmord der bekannten Größenordnung mittels Giftgas sei baulich, technisch und naturwissenschaftlich unmöglich gewesen. Auch zu sonstigen Themen, die – schwerpunktmäßig, aber nicht ausschließlich – den Zweiten Weltkrieg und das NS-Regime betrafen, wurden geschichtsrevisionistische Texte publiziert. In Beiträgen wie „Alliierte Pläne zur Ausrottung des deutschen Volkes“ (1/2001), „Der Dolchstoß – keine Legende“ (4/2004) oder „Friedensbemühungen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg“ (1/2005) wurden Deutschland belastende Quellen als Fälschungen oder nicht valide dargestellt, das Handeln der deutschen Führer gerechtfertigt, von Deutschen begangene Verbrechen beschönigt und zugleich die Kriegsgegner derselbigen beschuldigt. Doch auch abseitige Texte wie „Wer waren die wirklichen Ureinwohner Amerikas?“ (4/1999), „Ein neues buddhistisch-christliches Gleichnis“ (1/2004) oder Rudolfs „Mondlandung – Schwindel oder Wahrheit?“ (4/ 2002) fanden sich in der Zeitschrift. Zu den Autoren zählten neben der ersten Riege international bekannter Holocaustleugner wie Robert Faurisson, Carlo Mattogno, David Irving (→ „Hitler’s War“) und Arthur R. Butz (→ „Der Jahrhundert-Betrug“) auch Leser der Zeitschrift. Als meistgedruckter Autor kann Chefredakteur Rudolf gelten, der sowohl unter seinem richtigen Namen als auch unter mehreren Pseudonymen zahlreiche Beiträge verfasste, die er später auch in monographischen Schriften wiederabdruckte. Die „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ setzten sich aus Texten zusammen, die von stilistisch plumpen, emotional und subjektiv gefärbten Kurzbeiträgen bis hin zu umfangreichen, um ein wissenschaftliches Erscheinungsbild bemühten,

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14 Jahre Judenrepublik (Johann von Leers, 1933)

vorgeblich technisch-naturwissenschaftlichen Abhandlungen reichten. Daneben wurden auch Rezensionen, Kurznachrichten und Leserbriefe abgedruckt, sodass die Zeitschrift nicht nur eine wichtige Stellung in der Propagierung holocaustleugnender Inhalte besaß, sondern auch als bedeutende Kommunikations- und Diskussionsplattform zu werten ist. Dies umso mehr, als die Zeitschrift neben der Druckausgabe auch kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden konnte und so eine deutlich höhere Verbreitung als reine Printzeitschriften besaß. Zahlreiche Ausgaben der im Format A4 erschienenen, pro Ausgabe zwischen 50 und 130 Seiten umfassenden Zeitschrift wurden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Die zeitweise ebenfalls von Rudolf betreute Zeitschrift „The Revisionist“ bildete das englischsprachige Pendant – zahlreiche Artikel der „Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung“ erschienen dort in englischer Übersetzung. Nachdem sich Rudolf angesichts eines auf angeblich 600 Abonnements gesunkenen Absatzes immer weiter verschuldete, Appelle zur ehrenamtlichen Mitarbeit sowie Spendenaufrufe weitgehend ergebnislos geblieben waren und er Ende 2005 der Abschiebung in die Bundesrepublik nicht mehr entgehen konnte, wurde die Zeitschrift von Vertrauten zunächst weitergeführt. Nach fünf zunehmend unregelmäßig erschienenen Ausgaben ohne Rudolfs Mitwirkung wurde die Zeitschrift im Mai 2007 schließlich eingestellt. In diesen letzten Ausgaben wichen die Verantwortlichen von der pseudowissenschaftlichen Strategie Rudolfs in deutlicher Weise ab und positionierten sich offen antisemitisch und deutsch-nationalistisch. So schrieb der neue Chefredakteur Victor Neumann in einem Editorial, die Juden näherten sich ohne „Zufluchtsmöglichkeit“ „mehr und mehr dem unausweichlichen Ende“ und warnte: „Gott gnade den Juden, wenn die Götterdämmerung anbricht.“ Obgleich Horst Mahler bereits unter Rudolf zu den Autoren der Zeitschrift gehörte hatte, öffnete sich diese nun merklich für Exponenten des alt- und neonazistischen Spektrums. In einer der letzten Ausgaben rief Mahler etwa dazu auf, im „Krieg zwischen dem Jüdischen und dem Deutschen Volksgeist“ „Juda“ – das er als „absolute[n] Feind“ bezeichnete –, den „Heiligenschein des Opfervolkes“ herunterzureißen und „Du bist Satan!“ entgegenzurufen.

Christian Mentel/Fabian Virchow

14 Jahre Judenrepublik (Johann von Leers, 1933) Das Buch „14 Jahre Judenrepublik“, dessen Titel die völkisch-antisemitische, antidemokratische Kampfparole der Rechten in den Jahren 1919–1933 aufgreift, erschien 1933 im Verlag Deutsche Kultur-Wacht Berlin-Schöneberg. Der Autor Johann von Leers (1902–1965) erhebt im Vorwort den Anspruch, Pionier einer neuen Geschichtsschreibung aus „rassischer“ Perspektive zu sein und bezeichnet sein Buch als erstmaligen Versuch, die „abgelaufene Geschichtsepoche“ der Weimarer Republik als „schicksalhaften Zusammenstoß“ zweier „rassisch gegensätzlicher Völker“ zu deuten. Die Zeitspanne zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Machterhalt der NSDAP versteht Leers nicht als gescheiterten ersten Demokratieversuch in Deutschland, son-

Die völkische Gestalt des Glaubens (Walter Grundmann/Hrsg., 1943)

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dern als Niederlage deutschen Volkstums durch Machenschaften zerstörerischen „Fremdgeistes“. Folgerichtig beschreibt Leers unter Aufgebot der üblichen antisemitischen Klischees und böswilliger Zuschreibungen an die politischen Akteure der Weimarer Republik, die zum völkischen und nationalsozialistischen Lager gehörten (deren Angehörige als Kämpfer gegen jüdische Fremdherrschaft glorifiziert sind), den Feldzug „des Judentums“ gegen das deutsche Volk und den deutschen Staat. Werkzeuge der Juden sind bei Leers in materiellem Sinn Korruption, Geldgier, Kriminalität und ideologisch vor allem der Marxismus. So wird der Zusammenbruch des Wilhelminischen Kaiserreichs in der Novemberrevolution 1918 als jüdisches Werk, finanziert von den Bolschewisten in Moskau im Auftrag der Juden, dargestellt. Stereotype Ängste vor Überfremdung gehörten ebenfalls zum Repertoire Leers‘, der entgegen den Tatsachen eine erhebliche und deswegen bedrohliche Steigerung des jüdischen Bevölkerungsanteils in der Weimarer Republik konstatierte. Der Betrachtung des verderblichen Einflusses der Juden auf die Weltgeschichte seit ihren Anfängen widmet der Autor viel Mühe und Raum, um seine These einer finsteren jüdischen Gegenwelt, deren Streben nach Herrschaft in der Zwischenkriegszeit den Höhepunkt erreicht habe, zu fundamentieren. Nach der „Judenrevolte“ 1918 versank laut Leers das Deutsche Reich in Sittenlosigkeit, Korruption, Verbrechertum. Als „Beweise“ sind die aus der nationalsozialistischen Pamphletliteratur bekannten, in NS-Kundgebungen artikulierten und in der Hugenbergpresse vorgetragenen Diffamierungen gegen Politiker sowie die pauschale Abwertung von Republik und Demokratie als Staats- und Gesellschaftsform angeführt. Als Kompilation der Propagandaphrasen der Juden-, Republik- und Demokratiefeinde, die 1933 zur Macht kamen, ist das Buch hinlänglich charakterisiert. Das gilt nicht minder für die Schilderung des „dramatischen Kampfes gegen die Judenherrschaft“ durch die NSDAP.

Wolfgang Benz

Literatur Martin Finkenberger, „Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert“ – Johann von Leers (1902–1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945, in: Bulletin des Deutschen Historischen Instituts Moskau 2 (2008), S. 88–99.

Die völkische Gestalt des Glaubens (Walter Grundmann/Hrsg., 1943) In Weißenfels bei Leipzig fand im November 1941 die erste gemeinsame Tagung des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, das im Mai 1939 in Eisenach gegründet wurde (→ Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe von Theologie und Kirche), mit Wissenschaftlern der schwedischen „Gesellschaft für germanische Kulturforschung“ („Odal“. Samfundet för Germansk Kulturforskning) statt, die sich 1941 auf Initiative von Hugo Odeberg, Professor für Neues Testament in Lund, einem international renommierten For-

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Die völkische Gestalt des Glaubens (Walter Grundmann/Hrsg., 1943)

scher zum Judentum, konstituiert hatte. Beide akademischen Einrichtungen, die sich fortan zu einer Arbeitsgemeinschaft „Germanentum und Christentum“ zusammenschlossen, setzten sich als Ziel, die Begegnung der „germanischen Völker“ zu fördern, „das Problem der Begegnung zwischen Germanentum und Christentum in der verschiedenen völkischen Sicht“ zu erörtern sowie das „Bewußtsein der germanischen Verbundenheit“ zwischen Deutschland und den skandinavischen Völkern herzustellen, die nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft „auf der gemeinsamen Blutsgrundlage des Germanentums“ gründe. Weiteres vorrangiges Ziel war auch die „Entjudung“ des Christentums, so versuchten sowohl Grundmann (→ Jesus der Galiläer und das Judentum) als auch Odeberg, dieser mit linguistischen Untersuchungen, Jesus aus seinem jüdischen Kontext herauszulösen. 1943 gab Walter Grundmann, Professor für Neues Testament und völkische Theologie in Jena und wissenschaftlicher Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts“, die Vorträge, die auf der Weißenfelser Tagung gehalten wurden, als Institutsveröffentlichung im Georg Wigand Verlag in Leipzig heraus. In dem Band finden sich folgende Aufsätze: Wolf Meyer-Erlach, „Luther und Gustav Adolf“; Walter Grundmann, „Die antike Religion im Lichte der Rassenkunde“; Hugo Odeberg, „Hellenismus und Judentum“; Johannes Leipoldt, „Die Geschichte der frühen Kirche im Lichte von Volkstum und Rasse“; Åke Ohlmarks, „Die klassischen Isländersagas und ihr Ehrbegriff“; E. D. Edenholm, „Das germanische Erbe in der schwedischen Frömmigkeit“; Wilhelm Koepp, „Streifzüge in die Geschichte des deutschen und germanischen Heils“. Vom 7. bis 13. Oktober 1942 folgte eine weitere Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Germanentum und Christentum“, ebenfalls in Weißenfels, deren Vorträge kriegsbedingt nicht mehr veröffentlicht werden konnten. In einem Schreiben vom 14. Oktober 1942 bedankte sich Odeberg für die Durchführung dieser zweiten Weißenfelser Tagung, die „noch besser gewirkt“ habe „als die vorige“. „Die meisten Vorträge“ seien von den schwedischen Teilnehmern „mit Begeisterung aufgenommen worden“, da sie eine „Fülle von neuen Erkenntnissen [...] auf der Grundlage der völkischen Weltanschauung“ geboten hätten: „Wir weisen mit allem Nachdruck darauf hin, dass es der anglo-jüdisch-amerikanischen Agitation, die äusserst geschickt sich zu tarnen weiss und dadurch ja um so gefährlicher ist, gelungen ist, in Schweden die Meinung durch alle Kanäle zu verbreiten, dass in Deutschland eine ernste wissenschaftliche Behandlung von Fragen nicht mehr gestattet sei. Schon durch die Arbeitstagung des vorigen Jahres wurde diese Meinung bei allen schwedischen Teilnehmern restlos zerstört.“

Oliver Arnhold

Literatur Oliver Arnhold, „Entjudung“ – Kirche im Abgrund, Berlin 2010. Anders Gerdmar, Ein germanischer Jesus auf schwedischem Boden, in: Roland Deines u. a. (Hrsg.), Walter Grundmann, Leipzig 2007, S. 319–348. Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton 2008.

Völkischer Beobachter (1919–1945)

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Völkischer Beobachter (1919–1945) Der „Völkische Beobachter“ (VB) ging aus dem 1887 gegründeten, wöchentlich erscheinenden Münchner Stadtteilblatt „Münchner Beobachter“ hervor. 1918 kaufte Rudolf von Sebottendorf das Blatt und machte es unter seiner Schriftleitung zum Sprachrohr der von ihm gegründeten antisemitischen, rassistischen und republikfeindlichen Thule-Gesellschaft. Zunächst behielt er den Namen der Zeitung bei, fügte aber den Untertitel „Sportblatt“ hinzu. Die überregionale Ausgabe hieß seit August 1919 „Völkischer Beobachter“. Das Blatt erschien im Verlag Franz Eher Nachfolger (→ EherVerlag). Im Dezember 1920 kaufte der Nationalsozialistische Arbeiterverein (NSDAV) auf Rat des Schriftstellers Dietrich Eckart, dem Verfasser rechtsradikaler und antisemitischer Pamphlete, den hoch verschuldeten Verlag und die Zeitung mit Mitteln einiger vermögender Privatpersonen für 120.000 Mark und machte sie zum Parteiorgan der NSDAP. Zunächst erschien das Blatt zweimal wöchentlich, ab Februar 1923 dann als Tageszeitung mit dem Untertitel „Kampfblatt der national-sozialistischen Bewegung“. Aufgabe des „Völkischen Beobachters“ war, neben der Ankündigung von Parteiveranstaltungen, die Vermittlung und Verbreitung der politischen Richtlinien der Partei. Die Leitung der Redaktion lag bis 1923 bei Eckart, danach übernahm der Rassenideologe der Partei, Alfred Rosenberg, die Schriftleitung. Hitler, seit 29. Juli 1921 Vorsitzender der NSDAP, verfügte über alle Anteile der Verlagsholding „Franz Eher Nachfolger“ und damit auch des „Völkischen Beobachters“. Verlagsleiter war ab April 1922 Max Amann, der spätere Präsident der Reichspressekammer. Der „Völkische Beobachter“ tat sich durch wüsten Antisemitismus, Beschimpfungen der verhassten Weimarer Republik und Hasstiraden gegen demokratische Politiker hervor, was immer wieder Verbote und Prozesse zur Folge hatte. Eckart steuerte rassentheoretische Beiträge bei, und Hitler selbst verfasste bis 1922 zahlreiche Artikel. Die im „Münchner Buchgewerbehaus M. Müller & Sohn“ gedruckte Zeitung erschien ab August 1923 in übergroßem Format und unterschied sich dadurch und durch die in Rotdruck unterstrichene Hauptschlagzeile von allen anderen Zeitungen. Die Auflage des „Völkischen Beobachters“ schwankte bis 1922 zwischen 8.000 und 10.000, im Jahr 1923 stieg sie bis auf 30.000 Exemplare. Da sich die Zeitung bis dahin nicht selber trug, finanzierte sie sich zum Teil aus dem Verkauf von unverzinslichen Schuldscheinen an Parteimitglieder, Darlehen und Subventionen durch begüterte Förderer und aus Erträgen des Eher-Buchverlags. Nach dem Hitlerputsch am 9. November 1923 wurde der „Völkische Beobachter“ für längere Zeit verboten und erschien erst wieder nach der Haftentlassung Hitlers aus der Festungshaft im Februar 1925. In der Folgezeit kam es immer wieder zu erheblichen Differenzen zwischen dem Hauptschriftleiter Rosenberg und dem immer mächtiger werdenden Max Amann, der sich als Verlagsleiter zunehmend auch in redaktionelle Dinge einmischte. Die Auflage des „Völkischen Beobachters“ erreichte bis 1929 kaum mehr als 20.000, 1930 stieg sie dann auf 40.000, überstieg nach der Reichstagswahl vom September 1930 100.000 Exemplare und erreichte damit die Auflagenhöhe bedeutender anderer Zeitungen. Finanzielle Basis der Zeitung bildete der von Amann erweitere Buchverlag des Unternehmens sowie das seit 1926 dort erscheinende erfolg-

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Volk im Werden (1933–1943)

reiche Magazin „Illustrierter Beobachter“. 1926 erschien der „Völkische Beobachter“ erstmals mit Fotos. Ab Februar 1927 gab es eine Bayern- und eine Reichsausgabe, ab Januar 1933 dann neben der Münchner und Süddeutschen Ausgabe auch eine Berliner und Norddeutsche Ausgabe. Nach dem Einmarsch in Österreich 1938 kam noch eine Wiener Ausgabe hinzu. Das Verbot der demokratischen Parteien nach der „Machtergreifung“ und die damit einhergehende Beseitigung parteipolitischer Konkurrenzblätter durch wirtschaftlichen Druck oder Zwang zum Verkauf an den Parteiverlag führten zu einem sprunghaften Anstieg der Auflage des Parteiblatts auf 313.000 im Jahr 1934 bis zu einer Million 1941 und zuletzt 1944 auf rund 1,4 Millionen. Der „Völkische Beobachter“ blieb auch nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten das propagandistische Kampfblatt der Partei und tat sich vor allem durch Glorifizierung Hitlers, seiner politischen Erfolge und der NSDAP hervor. Gleichzeitig entwickelte sich der „Völkische Beobachter“ zum offiziösen Mitteilungsblatt der Regierung. Die Zeitung begleitete alle antisemitischen Gesetze, Maßnahmen und Aktionen des Dritten Reiches gegen Juden mit bösartigen Hetzartikeln, Lügen und Verleumdungen und trug damit aufgrund ihrer weiten Verbreitung ganz wesentlich zu Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich auch Duldung der „Endlösung der Judenfrage“ bei. Wegen zunehmender Papierknappheit musste der „Völkische Beobachter“ wie alle anderen noch erscheinenden Zeitungen im Krieg seinen Umfang auf teilweise nur noch vier Seiten reduzieren. Die für den 30. April 1945 gedruckte letzte Nummer der Süddeutschen Ausgabe kam wegen des Einmarsches der Amerikaner in München nicht mehr zur Auslieferung.

Wolfram Selig

Literatur Norbert Frei, Johannes Schmidt, Journalismus im Dritten Reich, München 1999³. Detlef Mühlberger, Hitler’s Voice. The Völkischer Beobachter, 1920–1933, 2 Bände, Oxford u. a. 2004. Sonja Noller, Die Geschichte des „Völkischen Beobachters“ von 1920–1923, Diss. Phil., München 1956.

Volk im Werden (1933–1943) Die Zeitschrift „Volk im Werden“, die mit wechselnden Untertiteln (u. a. „Zeitschrift für Kulturpolitik“, „Zeitschrift für Erneuerung der Wissenschaften“) in elf Jahrgängen von 1933–1943 zeitweise im Armanen-Verlag Leipzig und bei der → Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg erschienen ist, wurde von Ernst Krieck (1882–1947), dem Vertreter einer „Völkischen Anthropologie“, herausgegeben. Die Fortsetzung der Zeitschrift unter dem Titel „Zeitschrift für Geistes- und Glaubensgeschichte“ beschränkte sich auf das Jahr 1944. Der Armanen-Verlag und die Hanseatische Verlagsanstalt zählten zu den einschlägigen Verlagen völkisch-nationalsozialistischer Buchproduktion, in denen die meisten nationalsozialistischen pädagogischen Zeitschriften erschienen sind. Als Professor für Pädagogik an der Universität Frankfurt und seit 1934 an der Universität Heidelberg (dort auch für Philosophie) gilt der Herausgeber Ernst Krieck

Volk im Werden (1933–1943)

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neben Alfred Baeumler als Vordenker der nationalsozialistischen Pädagogik. Krieck wird ferner zu den Repräsentanten der offiziellen nationalsozialistischen Philosophie gerechnet. Obwohl Ernst Krieck in der bildungshistorischen Forschung zu den am ausführlichsten untersuchten Ideologen der nationalsozialistischen Erziehung gehört, finden seine Einlassungen zur „Judenfrage“ in der erziehungswissenschaftlichen Reflexion lediglich Erwähnung. Die Zeitschrift „Volk im Werden“ ist über den historischen und pädagogischen Fachdiskurs hinaus auch bekannt durch die Invektive Ernst Kriecks gegen den Schriftsteller Thomas Mann (1937). Das Pamphlet, in dem Krieck Thomas Mann fortwährend der Lüge bezichtigt, bediente sich auch antisemitischer Ausfälle. Wie der Jude sei Thomas Mann Exponent der „Zersetzung“ und daher seien weder Thomas Mann noch das Judentum zum Richter über „die hohe Würde der deutschen Kultur“ berufen. Als der Schriftsteller Walter von Molo Thomas Mann in einem offenen Brief im August 1945 zur Rückkehr nach Deutschland aufforderte, begründete Mann seine NichtRückkehr u. a. unter Bezugnahme auf die „bange Lektüre“ dieses Aufsatzes von Krieck, denn unter Leuten, die zwölf Jahre lang mit solchen Drogen gefüttert worden seien, könnte nicht gut leben sein. Die Zeitschrift „Volk im Werden“ war antisemitisch ausgerichtet und bot Beiträge, die bereits im Titel einschlägig konnotiert waren. Die Beiträge waren charakterisiert durch einen völkischen Antisemitismus, der auch Fragen der Religion aufgriff und die unterschiedlichen Formen der Judenfeindschaft wie religiös-traditionell und kulturellrassistisch nivellierte. Die völkische Perspektive sollte eine klare Trennung zwischen Deutschen und Juden ermöglichen, der Antisemitismus wurde deshalb als eine notwendige Reaktion auf das „zersetzende Treiben“ der Juden gerechtfertigt. Gleichzeitig wurde mit der vermeintlichen „Rasseprägung“ der Juden einerseits und der rassischen Bedrohung des Deutschtums durch das „internationale Judentum“ andererseits argumentiert. Der Herausgeber Ernst Krieck, der sich bereits in den 1920er Jahren in seinen Publikationen antisemitisch geäußert hatte, veröffentlichte 1933 im ersten Heft des ersten Jahrgangs einen grundlegenden Beitrag unter dem Titel „Die Judenfrage“. In völkischer Perspektive war nach Krieck „das jüdische Problem neu aufgeworfen“, da sich das Judentum durch ein parasitäres Verhältnis zum Deutschtum auszeichne. Das Problem könne nur von „der Wirklichkeit des Volkstums aus gelöst werden“, wobei die Frage der Reichs-, Staats- und Mitbürgerschaft für Kriecks Ausführungen irrelevant war. In der von ihm skizzierten „Wirklichkeit des Volkstums“ ist das Volk der Juden ein „Volk ohne Volkssprache, ohne Boden, ohne Raum, ohne Staat“, während die Juden in Deutschland als „Gastvolk“ eine „nationale Minderheit“ bildeten. Die Juden würden sich von den Deutschen durch eine andere Art, Weltanschauung, Rasse und Ehre unterscheiden und hätten in Deutschland einen zersetzenden „Antigermanismus“ und „Antinationalismus“ entwickelt und verbreitet. Diese „Dekomposition“ – hier greift Krieck eine bekannte Formulierung Theodor Mommsens auf – sei von „Geschichtslügen“ der vermeintlichen Verfolgung und Benachteiligung der Juden begleitet, tatsächlich hätten Emanzipation und Assimilation jedoch „völkischen Machtgewinn“ des Judentums bedeutet. Der Antisemitismus sei somit nur die notwendige Konsequenz auf den „Antigermanismus“ der Juden. Obwohl Krieck „praktische Fol-

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gerungen“ aus dieser „Dekomposition“ forderte, gingen seine Ausführungen über das Postulat einer möglichst reinlichen Trennung der Lebensform nur ausnahmsweise hinaus, wenn er etwa vor dem Hintergrund der vermeintlichen „Verjudung der Hochschulen“ und entsprechendem „jüdischem Monopol“ die „Kulturautonomie“ der jüdischen Minderheit mit eigenen Schulen, eigener Wissenschaft und Hochschule forderte. Dass die Lösung der „Judenfrage“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der völkischen Revolution stehe, stellte ein darauf folgender kleinerer Beitrag „Zur Judenfrage“ heraus, der ohne Autorenangabe angezeigt worden ist, aber dem Duktus nach ebenfalls von Ernst Krieck verfasst worden sein dürfte. Der Beitrag richtete sich gegen den „Feldzug jüdischen Deutschenhasses“ und entsprechende „Hetze“ im Ausland. Während Deutschland sich im Zuge der völkischen Revolution jedoch vom „jüdischen Bann“ zu befreien begonnen habe, sei diesem der Westen, insbesondere England und Amerika, hoffnungslos verfallen (1933). Der „rassischen Hygiene“ entspreche, wie Krieck dann 1940 betonte, die „völkische Notwendigkeit“ des „Auskehrens“ gegenüber allem Fremden wie den Juden. Der völkische Antisemitismus Kriecks umfasste ebenfalls die religiöse Perspektive, wobei hier grundsätzlich der Primat des Politischen gegeben sei, da nicht der Einzelne, sondern das Volk „in der schicksalhaften Verbundenheit der Rasse und des Blutes“ vor Gott stehe (1934). Da deutsche und jüdische Welt wie „Feuer und Wasser“ zueinander stünden, sei das Alte Testament für die deutsche Religion ebenso zu dispensieren (1934) wie ein „dem Judentum verfallenes Christentum“ (1941). Auch andere Autoren betonten, dass das Alte Testament abgelehnt werden müsse, weil es „echt jüdisch“ sei (1937) bzw. auf jüdischem „Blutmythos“ und „Rassebewußtsein“ beruhe (1939). Für Krieck war offensichtlich, dass die neutestamentlichen Schriften „genuin nichtjüdische Konzeptionen“ seien, während „objektiv arische Gehalte und Bestandteile“ immer in den „Christentümern“ vorhanden gewesen seien (1939). Auch wenn das Christentum „jüdische Gehalte“ in sich getragen habe, bürge die „Germanisierung des Christentums“ doch ebenfalls für ein „germanisches, unjüdisches Christentum“ (1941). Andere Autoren wie der Pfarrer und Historiker Wilhelm Erbt, ein prominenter und vielzitierter völkischer Autor, unterstützten die arische Perspektive auf die Religion, wenn sie etwa die Erzväter der jüdischen Religion als „Verballhornungen arischer Sagengestalten“ beschrieben. Wilhelm Erbt, der sich nicht nur um eine „artgemäße Religion“ bemühte, sondern schon vor 1933 die Geschichtsschreibung als angewandte Rassenkunde begriff, ging über die christlichen antijüdischen Stereotype noch hinaus, indem er das antisemitische Motiv der „Drückebergerei“ in den religiösen Raum transferierte und den jüdischen Frommen in historischer Perspektive als sklavischen „Frömmling“ bezeichnete, der sich zu drücken verstehe, wo er es vermöge (1943). In Hinblick auf die „Rassen- und Beamtengesetzgebung“ bildeten die kirchlichen Vorschriften des IV. Laterankonzils von 1215, insbesondere die Konstitutionen 68 und 69 – Kennzeichnungspflicht und Ausschluss von öffentlichen Ämtern der Juden –, einen gewichtigen argumentativen Referenzrahmen, um darauf hinzuweisen, dass die aktuellen Gesetze aufgrund der Analogien zur kirchlichen Gesetzgebung nicht gegen göttliches Gesetz verstoßen würden, wie G. Franz 1936 in einem Artikel herausstellte. Im antisemitischen Ensemble Kriecks fehlten ferner weder der Hinweis auf die gegen Ende des Ersten Weltkrieges aufbrechende „jüdisch-bolschewistische Unterwühlung des

Volk ohne Raum (Hans Grimm, 1926)

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Deutschtums“ noch der Hinweis auf „den jüdischen Rasseverderb durch Verführung der germanischen Frau“ (1935). Die antisemitischen Einlässe weiterer Autoren griffen die bekannten Invektiven auf und richteten sich gegen die „jüdische Journaille“ ebenso wie gegen „den politischen Einfluß der Juden“ und ihre „ausgeprägten verbrecherischen Anlagen“ (1938). Es fehlte ferner weder der Hinweis auf die „Querverbindungen zwischen Freimaurerei, Judentum und dem Marxismus“, noch darauf, dass das Judentum aus der Demokratie eine „Judäokratie“ gemacht habe (1937; 1938). Die Frechheit des jüdischen Finanzkapitals spiegele sich zudem auch in der Vertreibung des „kleinen arabischen Siedlers von seiner Scholle“ in Palästina wider (1937). Damit stehen die Beiträge Kriecks und der anderen Autoren zur „Judenfrage“ exemplarisch für einen völkischen Antisemitismus in den Konturen eines Rassenantisemitismus sowie „Erlösungsantisemitismus“ (Saul Friedländer), der eine Koexistenz zwischen Deutschen und Juden verneinte und letztendlich auf die „Entfernung“ der Juden zielte.

Matthias Blum

Literatur Thomas Mann, Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe, in: Thomas Mann, Essays, Band 6: Meine Zeit 1945–1955, hrsg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, Frankfurt am Main 1997, S. 33–42. Benjamin Ortmeyer, Pädagogik, Rassismus und Antisemitismus – Ernst Krieck, in: Micha Brumlik, Benjamin Ortmeyer (Hrsg.), Erziehungswissenschaft und Pädagogik in Frankfurt – eine Geschichte in Portraits; 90 Jahre Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main 2006, S. 41–67. Chaim Seeligmann, Stefan Schnurr, „Ein Antisemit – aber kein Rassist?“ Ernst Krieck im Fegefeuer deutscher Erziehungswissenschaftler, in: Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik 25 (1995), S. 55–69.

Volk ohne Raum (Hans Grimm, 1926) Zwischen 1920 und 1925 arbeitete Hans Grimm (1875–1959) an seinem nahezu 1.300 Seiten umfassenden Hauptwerk „Volk ohne Raum“, das 1926 in zwei Bänden im Münchner Verlag Albert Langen erschien und mit fast 200.000 Exemplaren zu den meist verkauften Büchern der Weimarer Republik zählte. Leitmotiv des Buches ist die Behauptung, dass die Deutschen als „natürlich überlegene“ weiße Rasse mehr „Lebensraum“ (nach Grimms Vorstellung in Afrika) benötigten, andernfalls würden sie zugrunde gehen. Das als Entwicklungs- und Bildungsroman angelegte Buch gliedert sich in vier Abschnitte („Heimat und Enge“, „Fremder Raum und Irregang“, „Deutscher Raum“, „Volk ohne Raum“), die den Lebensweg des Bauernsohnes Cornelius Friebott zwischen 1887 und 1923 zum Gegenstand haben. Nach dem Ende des Militärdienstes in der Marine, wo er sich mit dem Sozialisten Martin Wessel anfreundet, versucht sich Friebott angesichts fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten in der Heimat als Arbeiter in einem Bochumer Bergwerk. Aufgrund seines sozialistischen Engagements wird er verhaftet. Nach seiner Entlassung und der Nachricht, dass sich seine Jugendliebe verheiratet hat, fasst Friebott den Beschluss, nach Südafrika auszuwandern. Dort nimmt

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er in einer deutschen Kampftruppe am Burenkrieg teil und versucht anschließend, sich mit dem ebenfalls nach Südafrika ausgewanderten Wessel als Handwerker im englischen Kapland niederzulassen. Als diese Versuche scheitern, begibt sich Friebott nach Deutsch-Südwestafrika, wo er mit seinem Vetter George am Krieg gegen die NamaStämme („Herero-Aufstand“) teilnimmt. Nach dessen siegreichem Ende kaufen und bewirtschaften beide eine Farm. Unmittelbar nach der Rückkehr von einem kurzen Aufenthalt in Deutschland, bei dem Friebott während eines Parteitages der SPD mit seinen Forderungen nach Kolonien für Deutschland auf Ablehnung stößt, wird er – der Erste Weltkrieg war ausgebrochen – von den Engländer festgenommen. Ihm gelingt am Ende des Krieges die Flucht ins portugiesische Angola und die Rückkehr nach Deutschland. Hier reist er als Wanderprediger mit Vorträgen über die Zukunft Deutschlands herum, bringt viele mit seinen Forderungen nach „Lebensraum“ für das beengte Volk gegen sich auf und kommt durch den Steinwurf eines sozialistischen Arbeiters während einer Veranstaltung unmittelbar vor dem 9. November 1923 ums Leben. Die Handlung als solche dient jedoch lediglich der Versinnbildlichung der in den Monologen und Erklärungen des Erzählers ausgebreiteten, immer wiederkehrenden Forderung nach mehr „Lebensraum“ für Deutsche als Lösung für die Folgen von Bevölkerungswachstum und Industrialisierung. Ergänzt wird diese Kernargumentation durch antiliberale, rassistische und antisemitische Aussagen. Mit der Einführung der Nebenfigur Max Karfunkel, eines jüdischen Händlers in Afrika, bedient Grimm nicht nur die im Bürgertum weitverbreiteten Bilder von Juden als „faule Wucherer“ und „Parasiten“ („Ach, du Schlemihl, du darfst nicht mit der Hand arbeiten, es ist ungesund in diesem Lande und bringt nichts ein, du mußt einen finden, der es für dich tut; denn, wo die Hand arbeitet, wie soll der Kopf rasch denken!“) sowie Spitzel, Verräter und Feiglinge („Es war ein lächerliches Beginnen, denn die geheime Polizei war unschwer zu erkennen. Sie bestand aus polnischen und deutschen Juden, die sich aus den Burenrepubliken fortgemacht hatten, um nicht Kriegsdienste leisten zu müssen und um der verlorenen Sache und der Gefahr auszuweichen.“), sondern auch die Vorstellung von einem weltweiten „Judenproblem“ und einer „jüdischen Weltverschwörung“. Grimm greift in seiner Beschwörung der „Freiherrn des eigenen Arms“ auf den im zeitgenössischen Germanenkult artikulierten Gegensatz vom freien Bauerntum zum abhängigen und durch den Sozialismus fehlgeleiteten Industriearbeiter zurück. Antisemitische Züge nimmt diese Gegenüberstellung an, wenn er Friebott sagen lässt: „Der Sozialismus hat bei den Klassen angefangen und nicht bei den Völkern. Die internationale Sozialdemokratie hat die Völker zu gering geachtet, vielleicht darum, weil ihr Begründer ein Jude war.“ Der Autor, der nationalsozialistischer Ideologie den Weg bereiten half, hielt zwar Distanz zur NSDAP, gehörte aber nach 1945 zu den Apologeten des Dritten Reiches und war prominent in der Neonazi-Szene.

Mario Wenzel

Literatur Annette Gümbel, „Volk ohne Raum”. Der Schriftsteller Hans Grimm zwischen nationalkonservativem Denken und völkischer Ideologie, Darmstadt, Marburg 2003.

Volk und Rasse (1926–1944)

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Ernst Keller, Nationalismus und Literatur. Langemarck – Weimar – Stalingrad, Bern, München 1970. Uwe-Karsten Ketelsen, Klaustrophobie im Kloster Lippoldsberg. Hans Grimms Roman Volk ohne Raum: Ein Bilderbuch rechter Ideologie in Deutschland, in: Uwe-Karsten Ketelsen, Literatur und Drittes Reich, Schernfeld 1992, S. 199–215.

Volk und Rasse (1926–1944) „Volk und Rasse: Illustrierte Vierteljahrschrift für deutsches Volkstum“ war eine seit Februar 1926 mit finanzieller Unterstützung des Münchner → J. F. Lehmanns Verlags erschienene rassenanthropologische Zeitschrift. Unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse der neueren Erblichkeitsforschung sollten die „Zunftgrenzen“ wissenschaftlicher Spezialfächer – insbesondere die Trennung des naturwissenschaftlich verstandenen Rassebegriffs vom geisteswissenschaftlichen Volksbegriff – überwunden und der Versuch einer „Zusammenhangsforschung“ gewagt werden. Als Ziel galt es zu erforschen, „welchen Anteil an den Volksleistungen die rassische Beschaffenheit des Volkes und seiner Teile habe, welche Rückwirkung die Volksleistung auf das Schicksal der im Volk enthaltenen Rassen ausübe“. Dementsprechend befassten sich die Originalbeiträge mit dem deutschen Volkstum und stammten aus unterschiedlichen Fachgebieten (vor allem Volkskunde, Germanistik, Geographie, Frühgeschichte). Die zumeist kurzen und seit 1927 zunehmend populärwissenschaftlich ausgerichteten Beiträge sollten auch der „Selbstbesinnung des deutschen Volkes auf seine Art und sein Erbe“ dienen. Abonnenten wurden automatisch Mitglieder des Werkbundes für deutsche Volkstums- und Rassenforschung, eine zur Förderung von rassen- und volkskundlichen Forschungen von Lehmann gegründete Organisation. Im April 1932 übernahm der Deutsch-Österreicher und spätere SS-Experte für Rassenfragen Bruno Kurt Schulz die Schriftleitung. Kurz nach der Machtübernahme der NSDAP wurde die Zeitschrift gleichgeschaltet. Die meisten Herausgeber wurden entfernt oder durch hochrangige Parteimitglieder ersetzt, wie z. B. durch den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Richard Walter Darré, den Reichsführer SS Heinrich Himmler, die Rassenhygieniker Ernst Rüdin und Karl Astel sowie den Juristen und Kommentator des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Falk Ruttke. Damit trat dem Herausgebergremium eine Personengruppe bei, die entscheidend und aktiv an der Herausarbeitung und Umsetzung der NS-Rassen- und Vernichtungspolitik mitwirkte. Seit Juli 1933 erhielt die Zeitschrift den Titel „Volk und Rasse: Illustrierte Monatschrift für deutsches Volkstum, Rassenkunde, Rassenpflege“. Die Zeitschrift „Volk und Rasse“ wurde rasch zum Sprachrohr nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik und Propaganda. Sie erschien jetzt als Monatsschrift mit einer von 1.000 auf 12.000 erhöhten Auflage. Sie wurde auch Organ sowohl des Reichsausschusses für Volksgesundheitsdienst als auch der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene. Die neuen Herausgeber propagierten die „biologische Erneuerung des deutschen Volkes“ um den „völkischen Niedergang“ abzuwenden. Es galt nun die Kräfte der „nationalen Revolution“ in „feste Bahnen zu lenken“ und den „richtigen Weg zu weisen“. Thematisch rückte die bisherige Fächervielfalt zugunsten der Ras-

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senkunde, Rassenpflege und Erblichkeitsforschung in den Hintergrund. Ehe- und Bevölkerungspolitik wurden nun vorrangig thematisiert. Regelmäßig wurde über bevölkerungspolitische Ansprachen, Programme und Proklamationen berichtet. Propagandistische Sprüche von namhaften NS-Führern wie Hitler, Rosenberg, Gutt oder Darré wurden abgedruckt. Bauern, Athleten, „nordisch“ aussehende Kinder und Frauen und ab 1939 Soldaten schmückten das Titelblatt. Üppige Illustrationen verherrlichten diese Gruppen und ihre Physiognomie und wurden immer wieder Bildern von „Zigeunern“ oder anderen „Fremdrassigen“ propagandistisch effektiv gegenübergestellt. Unter der Rubrik „Aus Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik“ berichtete die Zeitschrift in Form von Kurzmeldungen über die bevölkerungspolitischen Maßnahmen des NS-Regimes sowie über ausländische Entwicklungen, die u. a. auf „Verjudung“ oder „Entjudung“ hindeuteten. Vor 1933 wurden gelegentlich eugenische Themen behandelt. Klagen gegen „Ballastexistenzen“ richteten sich aber gegen Taubstumme, Blinde und Geisteskranke, nicht explizit gegen Juden. Man hoffte, auch den jüdischen Leser von der „Bedeutung der Eugenik für das jüdische Volk“ zu überzeugen. Aber nach der Gleichschaltung hat sich der antisemitische Ton verschärft und ab 1937 radikalisiert. Permanent wurden Juden oder das Judentum mit Verbrechen, Krankheit, Degeneration oder später mit den Kriegsgegnern in Verbindung gesetzt. Neben der fortgesetzten Verherrlichung deutscher Lebensformen wurde von der „Scheinvolklichkeit des Judentums“ und von einer „Schmarotzerrasse“ und ihrem „zersetzenden Angriff auf das Volkstum seiner Umgebung“ bzw. das „Wirtsvolk“ gesprochen. Der enge Bezug zur SS spiegelte sich nach Kriegsbeginn darin wider, dass die Zeitschrift gelegentlich für die Waffen-SS Rekruten warb. Ab März 1943 wurde die Erscheinungshäufigkeit kriegsbedingt eingeschränkt, das letzte Heft erschien 1944.

Eric J. Engstrom

Literatur Mario Heidler, Die Zeitschriften des J. F. Lehmanns Verlages bis 1945, in: Sigrid Stöckel (Hrsg.), Die „rechte Nation“ und ihr Verleger: Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag, 1890–1979, Berlin 2002, S. 47–101.

Volksbuch von Ahasver (1602) Die „Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus“ erschien 1602 anonym in Leiden. Dem Erstdruck folgten 20 Nachdrucke mit unterschiedlichen, wohl fingierten Druckort- und Verlegerangaben. Neben Leiden werden noch Bautzen, Schleswig und Danzig als erste Druckorte und Verlegernamen wie Wolffgang Suchnach aufgeführt, die durch den allzu deutlichen Bezug auf den Inhalt der Schrift fingiert erscheinen. Es handelt sich um eine vier Seiten starke, im Querformat gesetzte Schrift. Auf dem Titelblatt wird der Inhalt in groben Zügen vorweggenommen: Der Bischof von Schleswig, Dr. Paulus von Eitzen, habe 1524 als junger Mann während des sonntäglichen Gottesdienstes in Hamburg einen ungewöhnlich großen Mann in zerrissener Kleidung erblickt, der der Predigt gelauscht und sich bei der Erwähnung des Namens

Volksbuch von Ahasver (1602)

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Jesus Christus seufzend an die Brust geschlagen habe. Nachforschungen des Bischofs hätten ergeben, dass der Fremde ein Schuhmacher aus Jerusalem mit Namen Ahasverus sei, der Jesus für einen Ketzer und Verführer gehalten habe und ihn auf seinem Leidensweg nach Golgatha nicht vor seinem Haus habe ausruhen lassen. Jesus habe daraufhin den Satz „Ich will stehen und ruhen/ Du aber solt gehen“ über ihn gesprochen. Seitdem wandere er ruhelos durch Zeiten und Länder, um „vielleicht biß am Jüngsten tag/ als ein lebendigen zeugendes Leyden Christi zu mehrer uberzeigung der Gottlosen und ungleubigen“ herumzulaufen. Nach Aufzählung weiterer Zeugen, die den Juden auch in Madrid gesehen haben wollen, endet die „Kurtze Beschreibung“ mit Betrachtungen über die unerforschlichen Werke Gottes und mit Endzeiterwartungen. Durch seine negative Bezogenheit auf das Heil ist Ahasver eine Art Anti-Heiliger. Dem Erstdruck geht eine breite mündliche Überlieferung voraus, die sich verschiedener Stoffelemente von unsterblichen Wanderern bedient. Der Handlungskern – Blasphemie und Verdammung – soll seinen geografischen und historischen Ursprung in der Nähe von Jerusalem wenige Jahrhunderte nach Christus haben. Die Fabel ist ein Konglomerat verschiedener Mythologeme und volkstümlicher Überlieferungen. Ein Vorbild ist Kain, der nach dem Brudermord mit dem Kainsmal versehen, zu ewiger Wanderschaft verdammt wird. Die konstitutiven Motive, die erniedrigende Behandlung Jesu und das Warten auf unbestimmte Zeit, deuten einerseits auf die neutestamentliche Legende von Malchus, dem Diener des Hohenpriesters Hannas, der Jesus beim Verhör ins Gesicht geschlagen haben soll, sowie auf die Legende vom Lieblingsjünger Johannes, der mit dem ewigen Leben versehen wird. Diese beiden Erzählstränge wachsen in der weiteren Überlieferung zusammen. Varianten der Legende finden sich u. a. in der Geschichtensammlung „Leimonarion“ des Mönchs Johannes Moschos aus Zypern (6. Jahrhundert), in den „Flores Historiarum“ des Roger of Wendower (1228) und den „Chronica Maiora“ (1243) des Matthäus Parisiensis. Die Suche nach dem Autor der Historie blieb erfolglos. Als Verfasser zeichnet ein „Studiosus“, der wohl dem reformatorischen Umfeld zuzurechnen ist. Ein Indiz ist der 1602 gerade verstorbene ehemalige Luther-Schüler Paulus von Eitzen, den der Erzähler als Gewährsmann nennt. Damit räumt er ein, dass er nicht der Erfinder der Historie ist. Der Augenzeuge soll die Existenz der Gestalt beglaubigen, denn zumindest ein Teil der Leser hielt die Historie für einen Bericht realer Ereignisse. Noch im 17. Jahrhundert diskutierten Theologen und Gelehrte das Für und Wider seiner Wahrhaftigkeit. Die „Kurtze Beschreibung“ fand durch zahlreiche Übersetzungen weite Verbreitung in Europa. Sie ist Zeugnis des sich im 16. Jahrhundert ausdifferenzierenden christlichen Judenhasses, auch innerhalb der protestantischen Theologie. „Apologien“ der Juden, deren bekannteste von Martin Luther stammt („Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei“, 1523), dienten zwar der Hinwendung zu den Juden als Menschen, doch mit dem Ziel ihrer Bekehrung. Luthers 30 Jahre später verfasste Schrift → „Von den Juden und ihren Lügen“ offenbart das Eingeständnis der Judenmission als eigentlicher Absicht der Apologien, auf welche die „Kurtze Beschreibung“ mit Ahasver als einem „Apostel der Reformation“ ebenfalls zielt. Zunehmend antijüdische Tendenz zeigen der ebenfalls 1602 gedruckte „Wunderbarliche Bericht von einem Juden Ahas-

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Volksbuch von Ahasver (1602)

verus“ (mit einem Anhang „Erinnerung an den christlichen Leser von diesem Jüden“) sowie die „Gründliche und Warhafftige Relation von einem Juden/ auß Jerusalem“. Als dessen Verfasser zeichnete ein Chrysostomus Dudulaeus Westphalus (Pseudonym). 1634 erschien der „Bericht von einem Juden“, erweitert um einen zweiten Anhang, den „Bericht von den zwölf jüdischen Stämmen“, der die Verbrechen und Strafen der jüdischen Stämme auflistet. Eine Variante der Prosahistorie, die „Gründliche und Wahrhafftige Relation“ (1602), weist bereits darauf hin, dass die Menschen „allesamt Pilgrame und Fremdlinge in diesem Land sind“ und gibt damit den Weg frei für die Deutung des Ahasver als pars pro toto seines Volkes. Das Epitheton „ewig“ erhält Ahasverus in der „Neue[n] Zeitung von dem sogenannten Ewigen Jud“ (1694). Diese Wortfolge erscheint von da an im Unter- oder Nebentitel und verdrängt mitunter sogar den Namen Ahasver. „Ewig“ wird nicht nur auf die Figur des Ahasver bezogen, der auf unabsehbare Zeit keinen Tod erleidet, sondern auf die unabänderliche „Art“ der Juden insgesamt. So behauptet der protestantische Theologe Johann Jacob Schudt in den → „Jüdischen Merkwürdigkeiten“ (1714–1718), der ewige Jude sei „das gantze Jüdische/ nach der Creutzigung Christi in alle Welt zerstreuete/ umherschweifende und/ nach Christi Zeugniß/ biß an den jüngsten Tag bleibende Volk“. An Schudts und anderen Adaptationen des Stoffes im 17. und 18. Jahrhundert lässt sich der Stand christlich-jüdischer Beziehungen ablesen. Ahasvers Schicksal ist zu Ende des 18. Jahrhunderts ein fruchtbares Motiv in Kunst und Literatur. In Goethes „Des ewigen Juden erster Fetzen“ (1774) und Christian Friedrich Daniel Schubarts „Der ewige Jude“ (1783) überwiegt die Faszination durch Ahasver als einen Weltchronisten, dessen Strafe sich in einem monströsen Gedächtnis artikuliert. Romantiker wie Wordsworth und Chamisso stellen am Untoten die Ambivalenz von Segen und Fluch ewiger Wanderschaft dar. In der sogenannten Schwarzen Romantik überlagern sich die Schicksale auch anderer Verdammter wie Faust und des Fliegenden Holländers mit dem Ahasvers. Bei Mauthner und Feuchtwanger wird sein Schicksal zur jüdischen Akkulturation in Beziehung gesetzt und als antisemitische Fantasie gebrandmarkt. Heym setzt sich kritisch mit dem Entstehungszusammenhang Ahasvers auseinander und nutzt ihn als satirischen Angriff auf marxistischen Dogmatismus. Zuletzt bemächtigte sich die nationalsozialistische Propaganda der Legende (→ Der ewige Jude).

Mona Körte

Literatur George K. Anderson, The Legend of the Wandering Jew, Providence 1965. Avram Andrei Baleanú, Die Geburt des Ahasver, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte (1991), S. 15–43. Manfred Frank, Die unendliche Fahrt. Die Geschichte des Fliegenden Holländers und verwandter Motive, Leipzig 1995. Alice Killen, Evolution de la légende du Juif errant, in: Revue de Litérature comparée 1925, S. 5–36. Mona Körte, Die Uneinholbarkeit des Verfolgten. Der Ewige Jude in der literarischen Phantastik, Frankfurt am Main 2000.

Volkswille (Ungarn/Rumänien, 1893–1933)

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Leonhard Neubaur, Zur Geschichte und Bibliographie des Volksbuchs von Ahasver, in: Zeitschrift für Bücherfreunde 5 (1914), S. 211–223. Stefan Nied, ich will stehen und ruhen, du aber solt gehen. Das Volksbuch von Ahasver, in: Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters, hrsg. von Ursula Schulze, Tübingen 2002, S. 257–278. Arno Schmidt, Das Volksbuch vom Ewigen Juden, Danzig 1927.

Volkswart → Der Judenkenner

Volkswille (Ungarn/Rumänien, 1893–1933) Die erste Ausgabe der sozialistischen Zeitung „Volkswille“ erschien am 1. Mai 1893 in Temesvár [dt. Temeswar/heute Timişoara], das damals zu Ungarn gehörte. Im Banat hatten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr Industriebetriebe angesiedelt, die Facharbeiter kamen anfangs aus allen Teilen des Habsburgerreiches und gründeten die ersten Gewerkschaften. In der Sozialdemokratischen Partei wurde deutsch gesprochen, das war neben dem Ungarischen auch die häufigste Umgangssprache in der Stadt. Die Redakteure des „Volkswillen“, der mit einer Auflage von 500 Exemplaren startete, wurden oft wegen Pressevergehen eingesperrt und in ihre Heimatgemeinden ausgewiesen. Der in Temesvár geborene Buchdrucker Josef Gabriel (1862–1950) konnte trotz der Verfolgung in der Stadt bleiben. Er wurde nicht nur Chefredakteur der Zeitung, sondern 1897 in die Budapester Parteileitung aufgenommen. Das Blatt erreichte um 1900 eine Auflage von 1.200 Exemplaren. Die Sozialdemokraten bemühten sich auch um die Organisation der Landarbeiter im Umland von Temesvár, die zumeist Rumänen und Serben waren. Die wichtigste Forderung der Sozialdemokratie war das allgemeine Wahlrecht, das 1907 in der westlichen Reichshälfte eingeführt wurde. In Ungarn blieb die Sozialdemokratie eine außerparlamentarische Kraft. Der „Volkswille“ trat entschieden gegen den Chauvinismus und Antisemitismus in Regierungskreisen ein. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges kritisierte Josef Gabriel im „Volkswillen“ die Schürung des Hasses auf das Volk in England, Frankreich und Russland. In der Zeitung wurde über das Elend der Familien einberufener Arbeiter berichtet und Feldpostbriefe wurden publiziert, in denen die Hoffnung auf einen baldigen Frieden zum Ausdruck kam. Aufgrund von Gabriels geschickter Leitung erschien die Zeitung in den Kriegsjahren kontinuierlich, obwohl die Militärzensur oft für weiße Stellen sorgte. Nach der Februarrevolution in Russland 1917 wurde der Ton der Zeitung immer radikaler, nun forderte sie die sofortige Beendigung des Krieges ohne Annexionen. Anfang November 1918 begrüßte der „Volkswille“ die Ausrufung der Banater Republik. Diese Initiative des Banater Volksrates und der Arbeiterräte konnte sich nicht durchsetzen, weil das serbische Militär das Banat besetzte. 1919 wurde in der Zeitung ein Referendum über die territoriale Zugehörigkeit des Banats gefordert und auf die wirtschaftliche Verflechtung mit Ungarn hingewiesen. Die Pariser Friedenskonferenz entschied jedoch willkürlich die Aufteilung des Banats zwischen Rumänien, dem Staat der Serben, Kroaten und Slowenen sowie Ungarn.

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Von den Juden und ihren Lügen (Martin Luther, 1543)

Am 1. November 1919 wurde die Zeitung in „Arbeiter Zeitung“ umbenannt, erst 1930 hieß sie wieder „Volkswille“. Chefredakteur war weiterhin Josef Gabriel. Anfang der 1920er Jahre hatte sie eine Auflage von 4.800 Exemplaren erreicht, obwohl auch ein rumänisches und ein ungarisches Parteiblatt in Temesvár erschienen. Sie wandte sich nun gegen die Bestrebungen der rumänischen Regierung, die erkämpften Rechte der Arbeiterbewegung zu beschneiden. Im Oktober 1920 kam es zu einem Generalstreik, nachdem viele Arbeiterführer durch das Belagerungsrecht zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Josef Gabriel war seit Juni 1940 Senator und konnte sich tatkräftig für die in Zwangsarbeitslager Eingewiesenen einsetzen. Die „Arbeiter Zeitung“ wandte sich gegen die Regierung, die nach der Illegalisierung der Kommunistischen Partei alle linken Organisationen als von Bolschewisten unterwandert verbieten wollte. Durch die Repression radikalisierte sich die Bewegung, anstelle von Gabriel wurde 1923 Josef Mayer (1885–1963) Chefredakteur. Während die Bukarester Regierung mit großer Härte gegen alle Linken vorging, entfaltete sich seit 1923 ungehindert eine rechte Jugendbewegung. Sie richtete sich vor allem gegen die Einbürgerung aller Juden Rumäniens, die aufgrund des Drucks der Pariser Friedenskonferenz akzeptiert und in der Verfassung verankert worden war. In den Jahren der Weltwirtschaftskrise wandte sich die Zeitung gegen Versuche, die Juden für die Verarmung der Bauernschaft verantwortlich zu machen. Als die deutsche Minderheit in den 1930er Jahren zunehmend unter den Einfluss des Nationalsozialismus geriet, verurteilte der „Volkswille“ diese Entwicklung. 1933 wurde der „Volkswille“ eingestellt, die Journalisten arbeiteten seitdem für die täglich erscheinende linke „Neue Zeitung“.

Mariana Hausleitner

Literatur Josef Gabriel, Fünfzigjährige Geschichte der Banater Arbeiterbewegung, Timişoara 1928. Mariana Hausleitner, Die nationale Frage in der rumänischen Arbeiterbewegung vor 1924, Berlin 1988. William Marin, Josef Gabriel, Bucureşti 1988.

Von den Juden und ihren Lügen (Martin Luther, 1543) Luthers umfänglichste literarische Auseinandersetzung, seine von tiefer Feindschaft geprägte Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, hat das Bild seiner Person insbesondere im Horizont der mörderischen Exzesse des Antisemitismus im Dritten Reich nachhaltig negativ beeinflusst. Heute gilt diese Schrift, der freilich zwischen dem 16. und dem frühen 20. Jahrhundert innerhalb und außerhalb des Protestantismus eine komplexe und uneinheitliche Wirkungsgeschichte zuteil geworden ist, als charakteristischster Ausdruck seiner unheilvollen antijudaistischen exegetisch-theologischen und judenpolitischen Überzeugungen. Die Schrift entstand in der Spätphase seines Lebens. Sie weist einen testimonialen Grundzug auf und fügt sich in die literarischen Schlachten ein, die der alternde, psychisch belastete, gesundheitlich geschwächte, gleichwohl kämpferisch geistesgegenwärtige Reformator gegen seine diversen Feinde – das Papsttum, die Türken und die „Schwärmer“ und „Sakramentierer“ des eigenen Lagers – führen zu müssen meinte.

Von den Juden und ihren Lügen (Martin Luther, 1543)

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In biographischer Perspektive stellt „Von den Juden“ ein definitives und letztes Wort Luthers dar. Er wollte mit dieser Schrift als entschiedener Judenfeind im Gedächtnis bleiben und von seinen „judenfreundlichen“ Äußerungen aus der Zeit der reformatorischen Anfänge („Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“, 1523), die ihm etwa von „altgläubiger“ Seite zur Last gelegt wurden, endgültig abrücken. Auch wenn die konkreten judenpolitischen Optionen in „Von den Juden“ in einem unverkennbaren Gegensatz zu seinen früheren Äußerungen stehen, lassen sich theologische Kontinuitätsmotive nachweisen, die insbesondere im alttestamentlichen Beweis der Messianität Jesu von Nazareth ihr theologisches Zentrum besitzen. Der historische Anlass der Schrift ist unklar; entgegen der in der Forschung dominierenden These, Luther habe mit „Von den Juden“ auf eine ihm im Mai 1541 von dem Grafen Wolfgang von Schlick zugesandte, heute unbekannte jüdische Schrift reagiert, in der Rabbiner Zweifel an Luthers Thesen in → „Wider die Sabbather“ geäußert hätten, geht aus der Einleitung und dem Schluss von „Von den Juden“ hervor, dass der Wittenberger Theologieprofessor einen Dialog zwischen einem Christen und einem Juden gelesen hatte, in dem der jüdische Kolloquent „seine Kunst wider einen abwesenden Christen […] beweiset“ habe; demnach hatte der christliche Gesprächspartner die exegetischen Attacken des Juden gegen „die Sprüche der Schrifft (So wir füren für unsern Glauben, von unserm Herrn Christo und Maria seiner mutter)“ nicht angemessen pariert. Auch der zeitliche Abstand zwischen der in der Tischrede vom Mai 1541 erwähnten jüdischen Schrift und dem seit Dezember 1542 nachweislich abgefassten, im Januar 1543 im Druck vorliegenden Traktat (zwei deutsche Ausgaben Wittenberg 1543; lateinische Ausgabe, übersetzt von Justus Jonas, Frankfurt Januar 1544) legen es nicht zwingend nahe, in der dem Reformator von Schlick zugesandten Schrift den äußeren Anlass seiner polemischsten „Judenschrift“ zu sehen. Die von Luther genannten Kriterien zur Identifikation der in „Von den Juden“ erwähnten Dialogschrift treffen allerdings auf eine 1539 erschienene hebräisch-lateinische Publikation des Basler Hebraisten Sebastian Münster („Messias Christianorum et Iudaeorum Hebraice et Latine“, Basel) zu: Es handelt sich hierbei um einen Dialog zwischen einem Juden und einem Christen, in dem der christliche Gesprächspartner wenig überzeugend zugunsten einer messianischen Lesart einschlägiger alttestamentlicher Texte agiert, während der jüdische Kolloquent aus der Fülle rabbinischer Auslegungen schöpft und weitgehend unwiderlegt jüdisch-messianische Traditionen referiert, die eine Identifizierung Jesu mit dem Messias ausschließen. Da Luther in einer zurzeit der Entstehung von „Von den Juden“ gehaltenen Tischrede ausdrücklich betonte, dass auch die christlichen Hebraisten, die „judaisierten“, in dieser Schrift „gemeint“ seien, dürfte es eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit besitzen, dass die binnenreformatorische Auseinandersetzung über die „Beweiskraft“ alttestamentlicher Texte für die Messianität Jesu ein nicht unwichtiges weiteres Abfassungsmotiv der Schrift „Von den Juden“ darstellte. Mit zwei weiteren „Judenschriften“ des Jahres 1543, „Vom Schem Hamphoras“ vom März und „Von den letzten Worten Davids“ aus dem August, schloss Luther einen literarischen Schriftenreigen von einzigartiger Destruktivität ab. Der erste der genannten Texte suchte kabbalistische Umgangsweisen mit dem Gottesnamen als Teufelswerk zu erweisen und löste damit eine in „Von den Juden“ angekündigte entspre-

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Von den Juden und ihren Lügen (Martin Luther, 1543)

chende „Klärung“ ein. Die zweite Schrift thematisierte eine in „Vom Schem Hamphoras“ avisierte Korrektur der bisherigen Deutungen Luthers von 2 Sam 23,1–7, einem messianisch interpretierten Schriftzeugnis. Wie „Wider die Sabbather“ wird auch „Von den Juden“ mit der Anrede an einen ungenannten „[g]ute[n] Freund“ eröffnet. Luther insinuiert, dass er die Christenheit durch missionarische Aktivitäten der Juden gefährdet sieht. Er stilisiert sich als jemand, der dem „gifftigen furnemen der Jüden widerstand gethan“ und die Christen „für den Juden“ gewarnt haben wolle. Der sprachlich-rhetorische Stil der Schrift ist von schneidenden Polaritäten (Wahrheit – Lüge; Gott – Teufel), skatologischen Metaphern und apokalyptischer Unrast geprägt; die Dämonisierung der Juden lässt es für Luther nicht zu, „mit“, sondern nur „von“ den Juden zu sprechen. Eine realistische Aussicht darauf, das vom Teufel besessene Volk der Juden, denen Luther das Menschsein geradezu abspricht, mit argumentativen Mitteln von der Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen, besteht für ihn nicht mehr; der Reformator sieht „kein hoffnung […] bis sie dahin komen, das sie durch jr Elend zu letzt mürb und gezwungen werden, zu bekennen, das Messias sey komen, und sey unser Jhesus“. „Von den Juden“ weist eine klare Disposition auf; in einem umfänglichen ersten Hauptteil behandelt Luther die Lügen der Juden, die gegen die christliche Glaubenslehre stehen; dabei geht es im Einzelnen um den „falschen Rhum und Hohmut“, basierend auf dem Geburts-, Beschneidungs-, Gesetzes- und Tempelstolz der Juden sowie in doktrinaler Hinsicht um ihre verfehlte Messianologie. Im Zentrum stehen hier Auslegungen der von Luther auf Christus bezogenen messianischen Texte des Alten Testaments. Ein zweiter Hauptteil behandelt die Verleumdungen und Schmähungen, die die Juden gegen die heiligen Personen des christlichen Glaubens, Jesus und Maria, aber auch gegen die Christen als solche ausbreiten. Von zentraler Bedeutung ist der gegen die Juden erhobene Vorwurf der Lästerung, der auch die Maßnahmen der „scharffe[n] barmhertzigkeit“ gegen sie begründet und rechtfertigt. Dabei lässt Luther eine gewisse Präferenz für eine generelle Vertreibung der Juden aus den Lebensräumen der Christenheit erkennen; denn wenn die Juden dort lebten, „da keine Christen sind“, etwa bei „Heiden“ oder „Türken“, unterblieben die Lästerungen gegen Christus und die Seinen bzw. gereichten sie niemandem zur Anfechtung. Die judenpolitischen Zwangsmaßnahmen, die Luther ansonsten vorschlug, beziehen sich also darauf, dass es nicht gelingen wollte, die weltlichen Obrigkeiten von der Ausweisungsoption zu überzeugen. In diesem Fall aber sollten die Grundlagen jüdischer Existenz systematisch zerstört werden: Die Synagogen und Häuser der Juden sollten niedergebrannt, ihre Schriften konfisziert, die Lehre der Rabbinen verboten, freies Geleit untersagt und eine Arbeitspflicht verfügt werden. Nur wenn die Juden als Symbol der göttlichen Verwerfung sichtbar litten und als Ausgestoßene der Christenheit den Zorn Gottes vor Augen führten, erfüllten sie die ihnen als Gottesfeinde zukommende heilspädagogische Funktion. Luthers Schrift „Von den Juden“ fungierte im 16. Jahrhundert gelegentlich als theologische Legitimationsgrundlage für die Vertreibung von Juden aus einzelnen protestantischen Städten oder Territorien. Allerdings gab es schon im 16. Jahrhundert, auch innerhalb des sich formierenden konfessionellen Luthertums, Stimmen, die Luthers Bewertung des Judentums nicht teilten bzw. an seiner judenpolitischen Konzeption

Der wahre Jacob (1877–1878; 1884–1933)

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von 1523 festhielten. Die publizistische Nachwirkung der Schrift „Von den Juden“ blieb im Ganzen bis ins 20. Jahrhundert hinein gering. Im Kontext der Rassenideologie des frühen 20. Jahrhunderts wurde von nationalsozialistischer und deutschchristlicher Seite vor allem anhand von Luthers „Von den Juden“ der Nachweis zu führen versucht, dass das protestantische Christentum „gegenwartsfähig“ bzw. Luther als veritabler Repräsentant des rassistischen Antisemitismus von der traditionellen Kirche unterdrückt worden sei. Eine ungebrochene Kontinuitätslinie affirmativer Rezeptionen dieser fatalsten aller Schriften des Reformators, in der er im Kern um die Legitimät einer lectio christiana des Alten Testaments kämpfte, lässt sich freilich nicht nachweisen. Für den lutherischen Protestantismus stellt diese Schrift, verstärkt seit dem späten 20. Jahrhundert, eine schwere Belastung dar. Kritikern des lutherischen Christentums dient diese Schrift immer wieder als Beweis dafür, dass Luther zu den geistigen Ermöglichungs- oder Beförderungsfaktoren des Holocaust zu zählen sei.

Thomas Kaufmann

Literatur Johannes Brosseder, Luthers Stellung zu den Juden im Spiegel seiner Interpreten, München 1972. Mark U. Edwards, Luther’s Last Battles. Politics and Polemics, 1531–1546, Leiden 1983. Eric W. Gritsch, Martin Luther’s Anti-Semitism, Grand Rapids, Cambridge 2012. Thomas Kaufmann, Luthers „Judenschriften“. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen 2011. Reinhold Lewin, Luthers Stellung zu den Juden: Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Berlin 1911, Neudruck Aalen 1973. Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, Band 53, 1919, Neudruck 2007, S. 412–572. Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002. Johannes Wallmann, The Reception of Luther´s Writings on the Jews from the Reformation to the End of the 19th Century, in: Lutheran Quarterly 1 (1987), S. 72–97. Christian Wiese, „Let his Memory be Holy to Us!“: Jewish Interpretations of Martin Luther from the Enlightenment to the Holocaust, in: Leo Baeck Institute Year Book 54 (2009), S. 93–126.

Von deutscher Kunst und Literatur → Sigilla Veri Von Rathenau zu Barmat → Rathenau-Hetze Vowinckel-Verlag → Druffel Verlag

Der wahre Jacob (1877–1878; 1884–1933) Nachdem im Oktober 1878 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ im Deutschen Kaiserreich in Kraft getreten war und zahlreiche sozialdemokratische Zeitungen verboten worden waren, gründete Johann Heinrich Wilhelm Dietz, der zuvor das sozialdemokratische „Hamburg-Altonaer Volksblatt“ geleitet hatte, in Hamburg das neue Satiremagazin „Der wahre Jacob“, benannt nach der seinerzeit beliebten Bezeichnung für eine Person, die die Wahrheit prägnant getroffen hat. Für die Redaktionsleitung hatte Dietz den schon für das „Volksblatt“ täti-

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gen Journalisten Wilhelm Blos gewonnen, und im November 1879 erschien die erste Nummer. Nach nur zwölf Ausgaben musste Dietz die Zeitschrift jedoch einstellen, da Dietz und Blos zusammen mit über siebzig Sozialdemokraten im Oktober 1880 aus Hamburg ausgewiesen wurden. Dietz begab sich daraufhin nach Stuttgart, gründete dort 1881 seinen Verlag und gab ab Januar 1884 erneut das Satiremagazin „Der wahre Jacob“ heraus. Die Redaktionsarbeit übernahm wiederum Wilhelm Blos, der zudem unter verschiedenen Pseudonymen eine Vielzahl von Beiträgen schrieb und bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg für den „Wahren Jacob“ tätig war. Zu den wichtigsten Karikaturisten und Zeichnern gehörten Otto Emil Lau und Gabriel Jentzsch. 1887, als Wilhelm Blos die Redaktion abgab, hatte die Zeitschrift eine Auflage von 40.000 Exemplaren. Das zuvor monatlich erschienene Blatt kam seit 1888 alle zwei Wochen heraus und die Auflage stieg bis 1890, dem Jahr, in dem das Sozialistengesetz auslief, auf 100.000. Im selben Jahr hatte Georg Bassler die Leitung übernommen, bis 1901 Berthold Heymann diese Aufgabe wahrnahm. In dessen Zeit erreichte die Auflage bis 1912, als die Sozialdemokratische Partei ihre größten Wahlerfolge erzielte, 380.000 Exemplare. Während des Ersten Weltkrieges ging sie deutlich zurück und erreichte 1919 wieder eine Zahl von 200.000. Aufgrund der Inflation musste die Zeitschrift 1923 vorübergehend ihr Erscheinen einstellen, von 1924 bis 1927 erschien sie unter dem Namen „Lachen links“, von 1928 an unter der Leitung von Friedrich Wendel wieder unter dem alten Namen, und nachdem „Der wahre Jacob“ im Februar 1933 mit scharfer Ironie auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler reagiert hatte, wurde er noch im selben Monat verboten. Die Zeitschrift wollte mit den Mitteln der Satire politisches Bewusstsein in der Arbeiterschaft wecken und sozialdemokratische Positionen verbreiten, wobei das Profil des „wahren Jacob“ die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung vom revolutionären Attentismus hin zu einer sozialdemokratischen Reformpolitik spiegelt. Zu einem zentralen Motiv in der Bildsprache der Zeitschrift wurde die weibliche Allegorie als Verkörperung der Sozialdemokratie. Obgleich „Der wahre Jacob“ zuvor immer wieder den Militarismus der Wilhelminischen Gesellschaft aufs Korn genommen hatte, trug er 1914 die Burgfriedenspolitik der Reichsleitung mit. In der Weimarer Republik vertrat die Zeitschrift die politische Linie der rechten Parteiführung und bekämpfte den Rechtsradikalismus ebenso wie die kommunistische Partei. Dabei nahm das Blatt mitunter den Charakter eines humoristischen Witzblattes an, bis es sich seit 1930 wieder stärker im Kampf gegen den Nationalsozialismus engagierte. Schon frühzeitig hatte „Der wahre Jacob“ die Gefahren der antisemitischen Bewegung genau erkannt und bereits im ersten, noch in Hamburg erschienenen Jahrgang insbesondere die judenfeindliche Agitation des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker aufs Korn genommen und ihn in einer Karikatur als „Schutzheiligen der Radaubrüder“ dargestellt. Nachdem die Zeitschrift 1884 fortgeführt werden konnte, druckte sie immer wieder sarkastische Bildsatiren über Adolf Stoecker und seine Politik, und mit dem Auftreten neuer antisemitischer Agitatoren karikierte sie ebenfalls Hermann Ahlwardt oder Otto Böckel. Als Emblem für die Kennzeichnung des Antisemitismus nutzten die Zeichner immer wieder Keulen mit der Aufschrift Hep-Hep. Auch hatte „Der wahre Jacob“ ein genaues Gespür für die Instrumentalisierung des Antisemitis-

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mus durch Otto von Bismarck und stellte diesen in einer Karikatur als siamesischen Zwilling mit Hermann Ahlwardt dar, beide wiederum mit Hep-Hep-Keulen in der Hand. Ostern 1888 gab „Der wahre Jacob“ dem Antisemitismus die allegorische Figur eines lechzenden Hundes, der Stoecker und anderen Politiker folgte, hinter dem wiederum Otto Böckel mit Hep-Hep-Keulen schwingend als Clown auftrat. Trotz dieser unmissverständlichen Kritik am Antisemitismus tauchten im „wahren Jacob“ gelegentlich auch Karikaturen auf, die die typischen Kennzeichen antisemitischer Bildsprache verwendeten. Dabei handelt es sich zum Teil um satirische Darstellungen antisemitischer Agitatoren, so etwa in einer Karikatur über den auf einer Judenfigur reitenden Adolf Stoecker, oder um eine Kritik an antisemitischer Politik wie etwa in einer Bildsatire über Russland. Daneben finden sich jedoch auch Karikaturen über Bankiers, Börsianer und Unternehmer, von denen einige als Juden gezeichnet wurden. Schließlich karikierte „Der wahre Jacob“ den sozialen Aufstieg jüdischer Bürger und ihr gesellschaftliches Auftreten mit antisemitischen Zügen, auch stigmatisierten einzelne Illustrationen verschiedene mit antisemitischer Physiognomie gezeichnete Personen zusätzlich mittels ihrer Namen oder ihrer Sprache oder karikierten das Heiratsverhalten von Juden. Insgesamt aber nahmen die Karikaturen, in denen mit antisemitischer Physiognomie gezeichnete Judenfiguren auftauchten, nur einen geringen Raum ein. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg trugen dann Karikaturen über Wucherer und Schieber bisweilen eine antisemitische Physiognomie. In den ersten zehn Jahren nach der Neugründung des „wahren Jacob“, zwischen 1884 und 1894, finden sich unter der großen Zahl von Karikaturen und Witzbildern lediglich etwa 25 Zeichnungen mit antisemitischen Zügen. Auch wenn diese quantitativ somit einen sehr geringen Stellenwert eingenommen haben, hat die Redaktion des „wahren Jacob“ kein Gespür für die Wirkungen und Folgen der Verwendung stereotyper Bilder von Juden gezeigt, und dies, obgleich die Zeitschrift den politischen Antisemitismus unmissverständlich bekämpft hat.

Ulrich Wyrwa

Literatur Konrad Ege, Karikatur und Bildsatire. Der wahre Jacob. Hamburg 1879/80, Stuttgart 1884– 1914. Mediengeschichte, Mitarbeiter, Chefredakteure, Grafik, Münster, Hamburg 1992. Jean-Claude Gardes, Der wahre Jacob. L’histoire d’une revue satirique encore grandement mésonnue, in: Recherches germaniques. Revue annuelle 14 (1984), S. 85–101. Ann Robertson, Karikatur im Kontext. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Zeitschrift „Der wahre Jacob“ zwischen Kaiserreich und Republik, Frankfurt am Main, Bern, New York 1992. Reinhard Rürup, Sozialdemokratie und Antisemitismus im deutschen Kaiserreich, in: Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte 35 (1989), 4, S. 357–365. Ulrich Wyrwa, The Image of Antisemites in German and Austrian Caricatures, in: Quest. Issues in Contemporary Jewish History. Journal of Fondazione CDEC, n.3 July 2012 (online).

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Die Wahrheit (1880–1886)

Die Wahrheit (1880–1886) „Die Wahrheit“ war die erfolgreichste antisemitische Satirezeitschrift im Deutschen Kaiserreich der 1880er Jahre. Sie erschien zwischen 1880 und 1886 wöchentlich in einer Auflage von mehreren Tausend Exemplaren. Ihre Karikaturen wurden von zahlreichen anderen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt oder als Flugblätter verbreitet und zirkulierten daher noch, als „Die Wahrheit“ selbst schon nicht mehr bestand. „Die Wahrheit“ wurde im Januar 1880 im Umfeld der Antisemitenliga in Berlin gegründet. Jede Ausgabe umfasste sechs bis acht Folioseiten, auf denen Karikaturen, Gedichte, Witze und Lieder ausschließlich antisemitischen Inhalts abgedruckt wurden. Einige der Inhalte wurden aus der älteren antisemitischen Satirezeitschrift → „Der kleine Reaktionär“ (1862–1864), die im Umfeld der sozialkonservativen Bewegung erschienen war, übernommen. Ein Exemplar der „Wahrheit“ kostete 20 Pfennige. Das vierteljährliche Abonnement gab es zum Preis von 2 Mark. Eigentümer und Verleger der Satirezeitschrift wechselten mehrmals. Im September 1880 gab der Verleger Hermann Polenz das Blatt an Arnold Werkenthin weiter. Dieser verkaufte es im Februar 1881 an den Verlag M. Schulze. Seit April 1882 kooperierte „Die Wahrheit“ mit der „Berliner Ostend-Zeitung“ von Julius Ruppel. Als Redakteur der „Wahrheit“ zeichnete bis Juli 1882 der Vorsitzende der Antisemitenliga Hector de Grousilliers verantwortlich. Ihm folgten W. Kase, A. Runge und A. de Grousilliers nach. Die prominentesten Mitarbeiter des Blattes waren Wilhelm Marr und Theodor Fritsch. Die meisten Beiträge erschienen allerdings anonym. Inhaltlich vertrat „Die Wahrheit“ einen christlich-konservativen Antisemitismus mit rassistischen Untertönen. Die Judenfiguren wurden stets durch die zeichnerische Hervorkehrung vermeintlicher Rassenmerkmale (Hakennase, fettleibige oder hagere Gestalt, krauses Haar, wulstige Lippen) gekennzeichnet. Die politischen Botschaften der Karikaturen und Texte kreisten jedoch selten um Rassenfragen. Erstens polemisierte die Zeitschrift gegen die Judenemanzipation. Sie führe zur kulturellen Überfremdung, wirtschaftlichen Ausplünderung und politischen Beherrschung der Christen durch die Juden. Diese Botschaft wurde den Lesern zumeist in Form von Einst-JetztBilderfolgen vermittelt. Auffällig ist, dass „Die Wahrheit“ zumindest in den ersten Jahrgängen als Antonym für „Juden“ noch zumeist „Christen“ und nicht „Deutsche“ wählte. Allerdings wurden in den Texten und Zeichnungen unmissverständlich christlich und deutsch sowie jüdisch und undeutsch gleichgesetzt. Zweitens wandte sich „Die Wahrheit“ gegen den Liberalismus, der von Juden und „Judenfreunden“ dominiert werde. Er verdränge christliche Werte zugunsten von Kapitalismus und Materialismus. Mit ihrer Presse- und Finanzmacht würden Juden und Liberale gezielt traditionelle Lebenswelten und etablierte Herrschaftsverhältnisse zerstören. In einem befremdlichen Kontrast zur Warnung vor der „Judenherrschaft“ stand die Darstellung der Juden selbst. Häufig erscheinen sie eher als lächerliche denn als gefährliche Gestalten. Bei ihren aufdringlichen Akkulturationsversuchen scheitern sie an ihrem Habitus oder ihrer Sprache (jiddischer Jargon) und werden als nichtzugehörig zu Bürgertum und Nation entlarvt. Ein auffälliges Merkmal der „Wahrheit“ ist der extensive Gebrauch von Pseudojiddisch. Offenbar konnte die Zeitschrift bei ihren Lesern die Kenntnis eines reichhaltigen jiddischen Wortschatzes voraussetzen. Obwohl „Die Wahrheit“ den liberalen

Was ist der Kern der Judenfrage? (Ernst Henrici, 13. Januar 1881)

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→ „Kladderadatsch“ als „Judenblatt“ geißelte, übernahm sie dessen Aufmachung. Statt der Kladderadatsch-Figuren Schultze und Müller treten in der „Wahrheit“ Jeiteles und Waiteles auf. Die beiden jüdischen Geschäftsleute diskutieren in jeder Nummer darüber, mit welchen Tricks „unsere Lait“ die „Gojim“ (Christen) ökonomisch ausbeuten und politisch beherrschen sollten. Im Unterschied zu anderen antisemitischen Blättern hielt sich „Die Wahrheit“ nicht mit der ideologischen Begründung des Antisemitismus auf, sondern gab sich pragmatisch und aktionistisch. Sie warb für die Unterzeichnung der Antisemitenpetition (1880/81), forderte zum Boykott jüdischer Geschäfte auf und ermunterte ihre Leser, die Auslegung antisemitischer Presseerzeugnisse in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden zu fordern. „Die Wahrheit“ genoss einen recht hohen Bekanntheitsgrad, weil viele ihrer Zeichnungen in anderen antisemitischen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt wurden. Seit 1881 gab die Redaktion ein Skizzenbuch mit jeweils 30 Illustrationen des Vorjahres heraus. Seit 1883 erschien außerdem ein Jahreskalender der „Wahrheit“ unter dem Titel „Kehraus“. Die → „Kehraus-Kalender“ wurden zwar zu einem eigenständigen Unternehmen, übernahmen aber viele Karikaturen aus der „Wahrheit“. Einzelne Seiten aus der „Wahrheit“ wurden zu Werbe- und Propagandazwecken als Flugblätter in einer Auflage von bis zu 150.000 Stück verteilt. Einige Bekanntheit erlangte das Flugblatt „Aussprüche deutscher antisemitischer Geistesheroen“ (aus Nr. 42, Oktober 1880) mit ausgewählten antisemitischen Zitaten von Luther, Kant, Fichte, Goethe, Schiller, Wagner, Schopenhauer und Bismarck. Von 1882 bis 1885 verfügte „Die Wahrheit“ über 2.000 bis 3.000 Abonnenten und konnte zusätzlich von jeder Ausgabe zwischen 500 und 1.000 Exemplare über den Buchhandel absetzen. Seit 1885 war die Auflage stark rückläufig. Im März 1886 wurde die Zeitschrift eingestellt.

Thomas Gräfe

Literatur Ursula E. Koch, Der Teufel in Berlin. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848–1890, Köln 1991, S. 242–257.

Wandzeitung des österreichischen Abwehrkampfes → HALT Die Wartburgfeier → Die Germanomanie

Was ist der Kern der Judenfrage? (Ernst Henrici, 13. Januar 1881) Wenige Wochen nach seiner turbulenten → „Reichshallen-Rede“ hielt der Antisemit und Gymnasiallehrer Ernst Henrici am 13. Januar 1881 eine weitere öffentliche Rede zur „Judenfrage“ und betitelte sie „Was ist der Kern der Judenfrage?“. Er erklärte sie bei dieser Gelegenheit zur „Racenfrage“ und verschärfte seine Forderungen nach antijüdischen Gesetzen und Maßnahmen noch einmal drastisch. Das „Juden-Unglück“, so wolle er zeigen, hätte eine objektive und eine subjektive Ursache, wobei die objektive Ursache aufseiten des jüdischen Volkes, die subjektive aufseiten des deutschen Volkes läge. Die „Judenfrage“ hätte nichts mit Religion zu

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Was ist der Kern der Judenfrage? (Ernst Henrici, 13. Januar 1881)

tun, denn sonst „käme es nur darauf an, die Juden zum Christenthum zu bekehren“. Doch würde der Jude nie imstande sein, das Christentum wie die Deutschen aufzufassen, „denn kein anderes Volk hat ein Christenthum, wie die germanischen Stämme es haben“. „Christus“, so fuhr er fort, „hätte die Juden erkannt“: „Man halte mir nur nicht entgegen: Christus selbst war ja Jude und ist doch anderen Geistes gewesen. Christus, denselben den sie gekreuzigt haben, für sich in Anspruch zu nehmen, ist eine der größten Frechheiten der Juden.“ Anmerkung im Abdruck der Rede: „Großer Beifall.“ Die Rassenfrage beträfe nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Leider sei „unsere edlere Körperbildung“ in Vergessenheit geraten, und deutsche Jünglinge hätten eine Vorliebe für „feurige Jüdinnen“. Henrici: „Deutsche Mädchen sollten sich darüber hinaus schämen, sich zu Trägerinnen von halbjüdischen Geburten zu machen.“ Ungleich wichtiger sei jedoch die „geistige Verschiedenheit“, die sich im „Nomadenthum“ der Juden zeige sowie in der Tatsache, dass „die Juden völlig unfähig zur Kunst“ seien. Auf seine Feststellung, „Die einzige Statue aber, die sie je zu Stande brachten, ist das goldene Kalb in der Wüste gewesen“, folgte „langandauernder stürmischer Beifall“. Eng verbunden mit der Rassenfrage sei die „socialpolitische Frage“ gekennzeichnet durch das „maßlose Anwachsen des Großkapitals, welches sich bekanntlich in jüdischer Hand vornehmlich concentriert. Schon haben die Juden einen großen, wenn nicht den größten Theil des mobilen Nationalvermögens uns entrissen, und doch sehen unsere Arbeiter in unglaublicher Verblendung immer noch nicht, woher das sociale Elend stammt.“ Neben der Bedrohung durch das jüdische Großkapital drohe Unheil vonseiten des jüdischen Sozialismus. So bestünden weitere Gründe für das „socialpolitische Unglück“ der Juden darin, dass sie „den Klassenhaß schüren, sie hetzen die ärmeren Klassen auf gegen alle die noch etwas besitzen – viel ist es ja nicht mehr!“ Die Sozialdemokratie, welche die Menschen zur Maschine herabwürdige, sei „echt jüdisch: Der Jude will knechten.“ Zu den „subjektiven Ursachen des Judenunglücks“ gehöre die Forderung der Fortschrittspartei „Freiheit, gleiches Recht für Alle!“ sowie der Ruf nach Toleranz. Jedoch „niemand, der seine Sinne zusammennimmt, wird Toleranz gegen das Verbrechen verlangen“ und „wer gegen das ausgemacht Schlechte tolerant ist, unterdrückt das Gute“. Zur Entrüstung des Auslandes über die angebliche Judenhetze meinte Henrici: „Es darf uns blutwenig kümmern, was das Ausland sagt“, denn das Ausland suche ja geradezu nach Kräften, Deutschland zu schwächen, „denn sie wissen ja recht gut, wenn der Michel sich die Augen reibt, dann kann es ihnen an den Kragen gehen“. Leider fehle es aber den Deutschen an dem rechten „Nationalgefühl“. Henrici stellte fest: „Überall in der Welt schließen sich die Nationen jetzt zusammen, der gesunde moderne Staat deckt sich mit der Nation. Und wir allein sollten uns von schlechten Fremdlingen knechten lassen?“ Den Vorschlag, einen neuen Judenstaat zu schaffen, lehne er ab und berief sich dabei auf Eugen Dühring: „Das Wohin ist die eigene Sache der Juden. So viele ihrer alsdann noch unter den vorangegangenen Einschränkungen existieren, haben selbst zuzusehen, wo sie bleiben.“ Habe er bisher Ausnahmegesetze gegen die Juden verlangt, verlange er nun „Racengesetze gegen die Juden“. „Wuchergesetze, Börsensteuer etc.“ wären kein ausreichender Schutz gegen die „verworfene jüdische Race“. Die Juden müssten darüber hinaus gesellschaftlich, wirtschaftlich und

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politisch ausgegrenzt werden, wobei der Kampf gegen die „haute finance“ am schwersten werden würde. Henrici schloss seine Rede mit dem Ausruf: „Die Zeiten werden auch wiederkommen, wo wir aus stolzer freier Brust singen: „Deutschland, Deutschland über Alles!“ Heute erscheint die Rede Henricis als abstruses Sammelsurium von Mythen und Klischees. Sie half jedoch das gesellschaftliche Klima vorzubereiten, das sechs Jahrzehnte später die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden Europas möglich machte.

Barbara Distel

Literatur Massimo Ferrari Zumbini, Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus: Von der Bismarckzeit zu Hitler, Frankfurt am Main 2003. Gerd Hoffmann, Der Prozeß um den Brand der Synagoge in Neustettin. Antisemitismus in Deutschland ausgangs des 19. Jahrhunderts, Schifferstadt 1998. Barnet Peretz Hartston, Sensationalizing the Jewish question, anti-Semitic trials and the press in the early German Empire, Leiden 2005.

Der Weg (Argentinien, 1947–1957) „Der Weg“ wurde von Eberhard Fritsch (1921–1974) initiiert und erschien von Juni 1947 bis Oktober 1957 mit wechselnden Untertiteln als Monatszeitschrift im → Dürer-Verlag in Buenos Aires. Nachdem er sich zunächst an Auslandsdeutsche in Argentinien gerichtet und sich in seiner politischen Haltung national und konservativ gegeben hatte, setzte 1948 ein Wandel ein. „Offen sagen, was sich in Deutschland so nicht sagen lässt“, formulierte „Der Weg“ sein Anliegen, der über verdeckte Vertriebswege verstärkt auch nach Westdeutschland und Österreich verschickt wurde. Seit dieser Zeit entwickelte sich die Zeitschrift zu einem Rechtfertigungsorgan früherer Nationalsozialisten, von denen viele nach Argentinien ausgewandert waren oder dort Zuflucht genommen hatten. Die Bedeutung der Zeitschrift lag vor allem darin, dass sie zahlreichen Autoren ein Forum bot, die kaum publizistische Alternativen besaßen. Die Redaktion sei in der Lage, Beiträge zu veröffentlichen, die „ohne Rücksicht auf Besatzungsorgane“ und in „klaren Worten“ verfasst seien, erklärte Fritsch neuen Mitarbeitern gegenüber. Neben den Bekenntnissen führender Nationalsozialisten wie Alfred Rosenberg und Richard Walter Darré fanden sich zahlreiche Beiträge der genuin nationalsozialistischen Presse- und Kulturpolitik, wie Peter Kleist, Hans Fritzsche und Helmut Sündermann. Hinzu kamen völkische Schriftsteller und Literaten, so etwa Hans Grimm, Hans Friedrich Blunck, Herbert Böhme oder Herbert Cysarz. Zu ihnen gesellten sich Otto Ernst Remer und Hans-Ulrich Rudel, die in den 1950er Jahren wichtige Akteure der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland waren. Ergänzt wurden diese Kreise um Vertreter der völkisch-religiösen Bewegung der 1930er Jahre, so etwa Lothar Stengel von Rutkowski, Jakob Wilhelm Hauer und Herbert Grabert. Außerdem wirkten ehemalige SS-Freiwillige und Kollaborateure, beispielsweise aus dem Umfeld der Action Française oder der Neuschwedischen Bewegung, mit. Im Herbst 1950 stieß mit Johann von Leers (1902–1965) ein versierter antisemitischer Propagandaexperte

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Weißenfelser Tageblatt (1813–1945)

als Mitarbeiter zur Redaktion, der unter seinem Namen sowie unterschiedlichsten Pseudonymen (u. a. Gordon Fritzstuart und Felix Schwarzenborn) eine Vielzahl an Beiträgen verfasste. „Der Weg“ erhielt dadurch eine scharfe antisemitische Richtung. Mit seinem Programm hatte „Der Weg“ zunächst Erfolg. Die Auflage des Blattes konnte bis Anfang der 1950er Jahre beträchtlich gesteigert werden. Zeitweise soll sie bei etwa 20.000 Exemplaren gelegen haben. Ein erheblicher Teil davon wurde in die Bundesrepublik Deutschland und nach Österreich verschickt. „Der Weg“ war damit für einige Jahre eine der einflussreichsten Zeitschrift der extremen Rechten im deutschsprachigen Raum. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz galt sie in dieser Phase als „einzige nazistische Zeitschrift in deutscher Sprache von nennenswertem Format“. Mitte der 1950er Jahre geriet „Der Weg“ allerdings in eine Krise, 1959 wurde die Zeitschrift in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Zu diesem Zeitpunkt existierte „Der Weg“ schon fast zwei Jahre nicht mehr, nachdem er zuletzt nur sporadisch hatte erscheinen können. Versuche von Fritsch, der zwischenzeitlich nach Österreich übergesiedelt war, die Zeitung wiederzubeleben, scheiterten.

Martin Finkenberger

Literatur Martin Finkenberger, Johann von Leers und die „faschistische Internationale“ der fünfziger und sechziger Jahre in Argentinien und Ägypten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), 6, S. 522–543. Holger M. Meding, „Der Weg“. Eine deutsche Emigrantenzeitschrift in Buenos Aires 1947 bis 1957, Berlin 1997. Bettina Stangneth, Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders, Hamburg 2011.

Weißenfelser Tageblatt (1813–1945) Das „Weißenfelser Tageblatt“ wurde am 9. Januar 1813 von dem Buchdrucker Carl Leberecht Kell als „Weißenfelser Wochen- und Intelligenzblatt“ gegründet. Ab Juli 1838 gab sein Sohn Julius Karl Leopold Kell und seit 1883 Johanne von Wolframsdorff, geb. Kell, die Zeitung heraus; sie blieb bis zu ihrer Einstellung 1945 in den Händen der Familie von Wolframsdorff. Das bürgerliche Blatt erhielt 1899 seinen endgültigen Namen, es erschien ab 1848 zunächst zweimal wöchentlich, seit 1869 fünfmal wöchentlich und ab 1. Oktober 1936 täglich. Wolf von Wolframsdorff, bereits seit 1926 Verlagsmitarbeiter und einer der frühesten Gefolgsmänner Adolf Hitlers, begann 1933 in seiner neuen Eigenschaft als Verleger und alleiniger Geschäftsführer die traditionsreiche Regionalzeitung nationalsozialistisch auszurichten. Im April 1933 erhielt sie die Unterzeile „Amtlicher Anzeiger des Weißenfelser Landratsamtes und des Kreisausschusses, des Finanzamtes Weißenfels, sowie des Magistrats und des Polizeipräsidiums Weißenfels“. Zu diesem Zeitpunkt verfügte das Heimatblatt neben den üblichen täglichen Rubriken „Neues aus aller Welt“, „Stadt und Land“, „Turnen, Sport, Spiel“ und dem Fortsetzungsroman über Beilagen wie „Das Reich der Hausfrau“ oder „Jugend im Dritten Reich“; auf die Beilage „Unsere Wehrmacht im Dritten Reich“ war Hauptschriftleiter Hellmut Dengler besonders stolz.

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Am 3. April schrieb das Blatt: „Am Sonnabend wurde die Abwehrboykottaktion gegen die Greuelpropaganda im Ausland, die sich gegen die jüdischen Geschäfte, Ärzte, Rechtsanwälte und Richter richtete, auch in Weißenfels in großem Umfange durchgeführt. […] Teilweise waren die jüdischen Geschäfte, vor denen Warnposten standen, mit besonderen Plakaten gekennzeichnet.“ Trotzdem wurde zunächst eher sachlich und moderat über Juden und antisemitische Maßnahmen berichtet. So z. B. in einem Artikel unter der Überschrift „Gegen die Ueberfremdung der Schulen und Hochschulen“ vom 26. April 1933: „Ausgeschlossen von allen Schulen und Hochschulen sollen die Kinder von Juden sein, die nach dem 1. August 1914 aus dem Osten eingewandert sind.“ Bereits nach der Machtübernahme musste die bürgerliche Zeitung deutlich an Auflage abgeben, als 1934 eine Nebenausgabe der nationalsozialistischen „Mitteldeutschen National-Zeitung“ in Weißenfels installiert wurde. Der Redaktionsleiter Ferdinand Fritz, vor 1933 Mitglied der bürgerlich-liberalen Deutschen Demokratischen Partei, wurde abgelöst. Der antisemitische Ton verschärfte sich im „Weißenfelser Tageblatt“. Am 1. April 1934 berichtete die Zeitung von einer „jüdischen Antifaschisten-Organisation“, die in Italien aufgedeckt wurde, erwähnt wurde die „verbrecherische Fahrlässigkeit“ von zwei jüdischen Fabrikbesitzern. Ansonsten gab es 1934 allerdings kaum antisemitische Artikel. In zwei Beiträgen über Leo Trotzki wurde nicht einmal erwähnt, dass er jüdischer Herkunft war. Langsam, aber stetig änderte sich dies. Als auf dem Weißenfelser Jahrmarkt im Juli 1935 von 300 Ausstellern noch angeblich 27 Juden waren, hetzte das Blatt in seiner Ausgabe vom 25. Juli 1935 gegen die „fremdrassigen Herrschaften“ und kritisierte „Volksgenossen“, die noch bei Juden kauften. Am nächsten Tag zwang die Gestapo dann die jüdischen Aussteller, den Markt zu räumen. Zur Unterstützung des „Abwehrboykotts“ hatte die Zeitung zur Kenntlichmachung der „arischen“ Stände aufgerufen. Am 31. Juli 1935 schrieb die Heimatzeitung unter der Überschrift „Wegen Rassenschande verhaftet“ über die Inhaftierung eines Weißenfelser Bürgers. 1936/37 entstand mit den ebenfalls der NSDAP gehörenden „Weißenfelser Nachrichten“ eine weitere Konkurrenz. Auch aus diesem Grund sank die Auflage des „Weißenfelser Tageblattes“ von 1932 bis 1937 um ein Drittel auf 9.000 Exemplare. 1937 fanden sich dann fast täglich antisemitische Äußerungen in der Zeitung, so am 1. April: „Jüdischer Betrüger aus Danzig geflüchtet“, „Oesterreich braucht vernünftigen Antisemitismus“, „Juden auch in Südafrika unerwünscht“. Antisemitische Beiträge wurden oft mit antisowjetischen Aussagen verknüpft. Betitelt mit „Die‚russische’ Presse. Eine absolut koschere Angelegenheit in Sowjet-Judäa“ erschien ein Beitrag, in dem es hieß: „Die Frage nach dem Wirken der Juden in der Presse der Sowjetunion ist von ganz besonderer Wichtigkeit. Von allen Gebieten des öffentlichen Sowjetlebens und von allen Zweigen der bolschewistischen Sowjetverwaltung ist die Okkupation des Pressewesens durch das Judentum am weitesten fortgeschritten.“ (4. April 1937) 1937 beinhaltete beinahe jede Ausgabe der Tageszeitung antisemitische Artikel. 1938 hörten die täglichen Beiträge dieser Art fast schlagartig auf. Wichtiger war jetzt, die Bevölkerung auf die Übernahme des Sudetenlandes vorzubereiten. Am 8. November 1938 titelte das „Weißenfelser Tageblatt“ in großen Lettern auf seiner er-

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Welt-Dienst (1933–1945)

sten Seite „Jüdischer Mordanschlag auf deutschen Diplomaten“, ebenso auf Seite eins „Die Juden vergiften die internationalen Beziehungen“ sowie „Größtes Aufsehen der jüdischen Bluttat in Paris“. Im Artikel ist vom „jüdischen Mordanschlag“ und auch vom „feigen Anschlag des jüdischen Mordbuben“ die Rede. Am 9. November berichtete das Blatt über „Umfangreiche Waffenfunde bei Berliner Juden“. Das „Weißenfelser Tageblatt“ ging am 1. Januar 1939 in den Besitz der NSDAP über. Bei Kriegsbeginn war die Zeitung schließlich als „NS-Zeitung für WeißenfelsStadt und -Land innerhalb des Gaues Halle-Merseburg“ vollständig vom Propagandaapparat der NSDAP aufgesogen worden. Das spiegelte sich auch im Zeitungslayout wider. Im 127. Jahrgang der Zeitung wird das Hakenkreuz in den Titel integriert. Täglich veröffentlichte das ehemals liberale Blatt jetzt Artikel wie „Die Lügenhetze wird gebrandmarkt“ (2. Mai 1939) oder „Juden stehen hinter Daladier. Frankreich unter Juden Kontrolle – Die jüdischen Machtpositionen in der Regierung“ (8. Februar 1940) und „Juden plündern Moschee in Khiam“ (23. Juni 1941). Am 10. November 1941 heißt es in einem Artikel betitelt mit „Europas Schicksal entscheidet sich jetzt für 1000 Jahre. Nationalsozialistische Abrechnung mit jüdischen Sklavenhaltern“ im Text: „Der internationale Jude war auch diesmal der Brandstifter.“ Das Blatt hetzte gegen Juden, Sinti und Roma sowie Bolschewisten: „Ungarn löst jetzt das Zigeunerproblem. Falsche Romantik um asoziale, erbminderwertige Elemente gefährlichen Nomadentums“ (13. November 1941); „Furchtbares Blutbad der Bolschewiken in Feodosia. Tausende von Einwohnern unter Anleitung von Juden ermordet“ (8. Januar 1942); „Das Judentum – Organisator aller Kriege“ (1. Januar 1943); „Unser friedlicher Neuaufbau erregte den Haß des Judentums“ (31. Januar 1943) und „Judas wahres Interesse am Kriege“ (16. April 1944). Das „Weißenfelser Tageblatt“ wurde im späten Frühjahr 1945 eingestellt.

Ramona Ehret

Literatur Reinhard Schramm, „Ich will leben …“ Die Juden von Weißenfels, Köln 2001.

Welt-Dienst (1933–1945) Die Zeitschrift „Welt-Dienst“ wurde von der gleichnamigen, erst in Erfurt, später in Frankfurt am Main ansässigen Propagandaeinrichtung herausgegeben, die das Ziel hatte, international „Judengegner“ mit gesinnungskonformen „Informationen“ zu versorgen, „Aufklärung“ über die „Judenfrage“ zu leisten und Aktivisten und Propagandisten zur Zusammenarbeit zu animieren. Die Zeitschrift erschien Ende 1933 bis Anfang 1945. Gründungsvater war der antisemitische Publizist Ulrich Fleischhauer. Der „Welt-Dienst“ erschien zu Beginn in Deutsch, Französisch und Englisch und in einem halbmonatlichen Rhythmus, oft auch als Doppelnummer. Der Umfang variierte von vier bis sechs maschinenschriftlichen Seiten bis zu zwanzigseitigen gesetzten Sonderheften. Im Januar 1945 stieg die Anzahl der Ausgaben auf 21 an. Der „Welt-Dienst“ hatte während seiner Existenz drei verschiedene Herausgeber, neben Fleischhauer (1933–1939) August Schirmer (1939–1943) und Kurt Richter (1943–1945). Die Startfinanzierung ist unklar, aber einen Protegé fand der „Welt-

Welt-Dienst (1933–1945)

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Dienst“ in Alfred Rosenberg, der ab 1939 die Zeitschrift mitsamt seiner Infrastruktur übernahm, Schirmer zum Herausgeber machte und den Sitz von Erfurt nach Frankfurt am Main verlegte. Dort verflocht Rosenberg den „Welt-Dienst“ mit dem Institut zur Erforschung der Judenfrage und dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, für den Mitarbeiter beider Einrichtungen tätig waren. Die Zeitschrift bediente alle Stereotype des modernen Antisemitismus, kaum eine Ausgabe kam ohne Hinweis auf die Echtheit der → „Protokolle der Weisen von Zion“ aus. Nach ihrem monotonen und repetitiven Grundmuster wurden historische wie tagesaktuelle Phänomene erschöpfend erklärt. Die Artikel richteten sich mehrheitlich nach den Konjunkturen der weltweiten politischen und militärischen Lage aus. Der „Welt-Dienst“ hetzte gegen „Rot-Spanien“, gegen „Anglo-Juda“ und den „jüdischenglischen Imperialismus“, der vor allem im Nahen Osten die autochthonen Völker betrüge und einen jüdischen Staat befördere. Der Kommunismus war selbstredend ein „Kampfmittel Judas“. Das Blatt empörte sich über die „Verjudung“ der USA und die „freimaurerische“ und „pro-kommunistische“ Politik des „Diktators Roosevelt“. Jeweils kurz vor oder zu Beginn der deutschen Überfälle auf Polen, Frankreich und die Sowjetunion hatte der „Welt-Dienst“ Ausgaben mit länderspezifischen Schwerpunkten. In seinen Spalten fand auch die antijüdische Politik in von Deutschland okkupierten oder mit ihm verbündeten Staaten mehrfach Aufnahme. Über die dramatische Situation der Juden Europas geiferte der „Welt-Dienst“ voller Häme Verleumdungen, ging es ihm doch um die „radikale, hundertprozentige Lösung der Judenfrage“. Er wagte im Juli 1940 einen „Blick in das Ghetto von Litzmannstadt“, feixte im gleichen Jahr über das „Ende der Judenherrschaft in Europa“, erklärte wiederum im März 1942, das „Weltjudentum“ sei „schuld an diesem Krieg“ und frohlockte, dass 1944 „die jüdische Gefahr“ in Ungarn „beseitigt“ sei. Zum Kriegsende enthüllte der „Welt-Dienst“, wie „die Juden das deutsche Volk zugrunde richten wollen“. Im Juni 1944 erschienen vom „Welt-Dienst“ 300.925 Exemplare in zwanzig Sprachen; fünf weitere Editionen waren mit einer Auflage von 25.000 Heften geplant. Schon 1943 war gemeinsam mit der „Nationalsozialistischen Parteikorrespondenz“ begonnen worden, wöchentlich die deutsche Presse über die „Judenfrage“ zu „informieren“. Weiterhin sollte der „Welt-Dienst“ unter „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen zirkulieren. Trotz der Unterstützung durch einige Gauverwaltungen, der Hitlerjugend, der Wehrmacht und den öffentlichen Bibliotheken verfehlte der „Welt-Dienst“ sein Ziel, in einer Auflage von einer halben Million Exemplaren zu erscheinen. Ende 1943 planten das Amt Rosenberg, Goebbels’ Propagandaministerium, das Reichssicherheitshauptamt und das Institut für die Geschichte des neuen Deutschlands im hessischen Phillippsthal eine „antisemitische Arbeitsgemeinschaft“, die in gemeinsamer Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen die antisemitische Propaganda intensivieren sollte. Das Projekt scheiterte, weil das örtliche Schloss für Ausgebombte genutzt wurde. Auch wurden wegen des Vormarsches der Alliierten Archivund Buchbestände ausgelagert sowie der Druck auf verschiedene Druckereien verteilt. Blind gegenüber der nahenden militärischen Niederlage des Deutschen Reiches wurden im Amt Rosenberg Ende 1944 Pläne geschmiedet, den „Welt-Dienst“ als GmbH getarnt in die Nachkriegszeit zu überführen. Wurde der „Welt-Dienst“ aus

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Die Weltfront (1926, 1935)

steuerrechtlichen Gründen schon als Verein geführt, so sollten nun alle Bezüge zum NS-Staat getilgt werden. Die Erwägung des nach Ägypten geflohenen Propagandisten Johann von Leers, den „Welt-Dienst“ in den 1950er Jahren zu reaktivieren, wurde soweit ersichtlich nicht weitergetrieben.

Hanno Plass

Literatur Hanno Plass, Der Welt-Dienst. Internationale antisemitische Propaganda, in: Michael Nagel, Moshe Zimmermann (Hrsg.), Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte, Bremen 2012. Eckart Schörle, Internationale der Antisemiten. Ulrich Fleischhauer und der „Welt-Dienst“, WerkstattGeschichte 51 (2009), S. 57–72. Eckart Schörle, Erfurt – ein „Mekka der Antijudaisten“? Die antisemitische Propagandazentrale von Ulrich Fleischhauer, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 71, NF. 18 (2010), S. 108–136.

Die Weltfront (1926, 1935) „Die Weltfront“ ist eine von Hans Krebs und Otto Prager erstmals 1926 im Weltfrontverlag in Ústi nad Labem (Aussig) in der Tschechoslowakei herausgegebene Anthologie, in deren Untertitel „Eine Sammlung von Aufsätzen antisemitischer Führer aller Völker“ die Programmatik des Werkes bereits deutlich zum Ausdruck kommt. Hans Krebs war von 1925–1933 Abgeordneter der tschechoslowakischen Nationalversammlung und einer der führenden Politiker der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP); nach der Annexion des Sudetenlandes war er von 1938– 1945 Regierungspräsident in Aussig. Die Intention der Herausgeber wird im Vorwort herausgehoben, in dem Otto Prager die Notwendigkeit des Kampfes gegen das „Judentum“ betont und begründet. Die Zusammenstellung der Artikel und die damit einhergehende Internationalität der Autoren dient im Wesentlichen dem Zweck, die These der jüdischen Weltverschwörung zu untermauern und die deutsche antisemitische Bewegung in einen internationalen Kontext zu stellen. Es wird eine weltweite antisemitische Bewegung konstruiert, um so der eigenen antisemitischen Bewegung in der Tschechoslowakei, Österreich und Deutschland eine zusätzliche Legitimation zu verschaffen. Die 1926 erschienene, 99 Seiten starke Erstausgabe umfasste, ohne das programmatische Vorwort, 21 Aufsätze. Zu Wort kamen bekennende Antisemiten und Nationalsozialisten aus dem deutschsprachigen Raum: Rudolf Jung (Troppau/Opava) mit „Kapitalismus und Judentum“, dieser war ab Oktober 1926 Vorsitzender der DNSAP. Als weiterer Vertreter der DNSAP ist Leo Haubenberger (Wien) mit „Judentum und Freimaurerei“ zu finden. Dazu kam aus der Schwesterpartei der NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg mit „Die Krise des nationalen und sozialen Gedankens“. Gleich zweimal war Theodor Fritsch vertreten mit „Wie ist die Judenfrage zu lösen?“ und „Der Kulturbund des Rassefriedens“, letzterer Artikel unter Fritschs Pseudonym F. Roderich-Stoltheim. Adolf Bauer (Wien) war mit „Das soziale Problem und die Judenfrage“ vertreten. Den Großteil der Sammlung bildeten Aufsätze europäischer und außer-

Die Weltfront (1926, 1935)

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europäischer Autoren: A. C. Cuza (Iaşi) „Das Jüdische Problem in Rumänien und die Doktrin der „völkisch-christlichen Verteidigung“, Erwin Brandt (Kopenhagen) „Die Judenfrage in Dänemark“, Eivind Saxlund (Oslo) „Wurzellose Rassen“, Pietro Mataloni (Rom) „Der jüdische Pressepolyp“, Josef Debeliak (Slowenien) „Das Judentum in S.H.S.“, Abbè Gaston Duperron (Paris) „Frankreich und das jüdische Problem“, W. Fehrmann (St. Gallen) „Die antisemitische Bewegung in der Schweiz und das Programm der Schweizer-Christenwehr“, Rachid (Alexandrien) „Die ägyptische Plage“, Alexander Netschvolodov „Russland und das Judentum“, Peter Nitskov „Die Juden in Bulgarien“, J. Lopez (Algier) „Zerbrecht das Schweigen“, Dr. Jules Molle (Algier/ Oran) „Arier aller Länder vereinigt euch!“, Egon van Winghene (Rotterdam) „Die ethisch-kulturelle Bedeutung des Kampfes gegen den Judaismus“. 1935 folgte unter dem Titel „Die Weltfront. Stimmen zur Judenfrage. 1. Folge“ eine 141 Seiten starke überarbeitete Neuauflage im Nibelungen-Verlag (Berlin und Leipzig). Der Verlag, 1934 vom Propagandaministerium gegründet, war der Hausverlag des Gesamtverbandes antikommunistischer Vereinigungen e.V. (Antikomintern). Die Neufassung erfolgte in Kooperation mit dem dem Reichspropagandaministerium angegliederten „Institut zum Studium der Judenfrage“. Dessen erster Leiter Eugen Freiherr von Engelhardt trat als Mitherausgeber auf, und das Institut zeichnete für das einleitende Geleitwort verantwortlich. Während die Verantwortung für die erste Ausgabe der „Weltfront“ bei den sudetendeutschen Nationalsozialisten lag, war die Neuausgabe vom „Institut zum Studium der Judenfrage“ und dem Reichspropagandaministerium verantwortet. 1938 erschien ebenfalls im Nibelungenverlag eine unveränderte 2. Auflage der Fassung der „Weltfront“ von 1935. Das Vorwort stellt die Aufgabe der Neuausgabe noch einmal klar heraus: Es sollte zum einen die Existenz einer „Judenfrage“ dokumentiert und zum anderen dargestellt werden, dass der Kampf gegen die „dem Judentum botmäßigen Massen und Mächte“ aufgenommen worden war. Das Ziel war klar formuliert, die „Ausschaltung des Judentums aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichem Leben der großen arischen Nationen“. In die überarbeiteten Fassung von 1935 wurden, bei insgesamt nur noch 15 Beiträgen, aus der ersten Ausgabe nur die Artikel von Alfred Rosenberg, Theodor Fritsch und A. C. Cuza übernommen. Die Liste der Autoren umfasste daneben Tibor von Eckhardt (Budapest) mit „Internationaler Nationalismus“, Herman Fehst „Bolschewismus und Judentum“, Wilhelm Frick „Die Rassegesetzgebung des dritten Reiches“, J. F. Fuller „Der Krebsschaden Europas“, Madison Grant „Die nordische Rasse und die Juden in den Vereinigten Staaten“ und Friedrich Grimm „Der Judenprozess von Kairo“. Ein Hirtenbrief des Konzils der Erzbischöfe der Russischen Rechtgläubigen Kirche im Ausland vom 28. August 1932, der sich gegen Freimaurerei wendet, war abgedruckt. Dem vorangestellt war der Artikel „Freimaurerei und Judentum“ von Leon de Poncins, der gestützt auf das Buch „Vers un ordre social crétien“ (1907) des Marquis de La Tour de Pin die Verbindungslinien zog. Hans Krebs selbst erscheint mit „Das Judentum in der Tschechoslowakei“. Ebenfalls enthalten sind Oswald Mosleys „Judentum gegen Faschismus“ und Georg Zychowski, „Die jüdisch-bolschewistische Gefahr in Polen“ sowie die am 7. Juni 1934 veröffentlichte Antwort des Kardinals Alexander Kakowski auf

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Der Weltkampf (1924–1944)

die Klage einer Abordnung der polnischen Rabbiner über Gewalttätigkeiten gegenüber Juden in Polen.

Hendryk Rohn

Literatur Andreas Luh, Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei im Sudetenland. Völkische Arbeiterpartei und faschistische Bewegung, in: Bohemia 32 (1991), S. 23–28.

Weltherrschaft des Judentums → Flugblätter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes

Der Weltkampf (1924–1944) Die antisemitische Zeitschrift „Der Weltkampf“ erschien zwischen Juni 1924 und 1944. Ihr Begründer war Alfred Rosenberg, der bis 1930 auch als Herausgeber auftrat. Nach den Vorstellungen des NS-Chefideologen sollte das Blatt ein zentrales Instrumentarium für die ideologische Orientierung und Ausrichtung der NSDAP sein. Diese Intention teilte Hitler, der im „Weltkampf“ ein „unentbehrliches Rüstzeug jedes nationalsozialistischen Führers“ sah. „Der Weltkampf“ erschien lange Jahre im Deutschen Volksverlag Dr. Ernst Boepple, einer Tochterfirma des Münchner → J. F. Lehmanns Verlags, und führte anfänglich den Untertitel „Monatschrift für die Judenfrage aller Länder“. Dieser wurde nach einiger Zeit in „Monatsschrift für Weltpolitik, völkische Kultur und die Judenfrage in aller Welt“ geändert. In den Ausgaben des ersten Jahrgangs publizierte Rosenberg eine Reihe programmatischer Aufsätze mit antisemitisch grundierten Welterklärungsmodellen. Die Beiträge trugen Titel wie „Jüdische Weltpolitik“, „SowjetJudäa. Das Wesen des Bolschewismus“, „Der völkische Staatsgedanke in Deutschland und aller Welt“, „Die wahren Kriegsschuldigen“ und „Der ewige Jude“. Andere Autoren lieferten rassentheoretische Abhandlungen. In jedem Heft gab es auch Miszellen, Rezensionen sowie eine ständige Rubrik „Jüdisches und Judengegnerisches aus allen Ländern“. Rosenberg und seine Mitstreiter entwarfen im „Weltkampf“ ein geschlossenes, verschwörungstheoretisches Weltbild. Es gründete auf der Annahme, das Weltgeschehen werde von zwei bipolaren Gegensätzen beherrscht: der internationalen Weltanschauung, die sich im plutokratischen Marxismus oder in der kapitalistischen Demokratie ausformen könne, und der völkischen Idee, deren stärkste und reinste Variante der Nationalsozialismus sei. Sowohl Marxismus als auch Kapitalismus waren nach Rosenberg jüdische Erfindungen und entsprechend Instrumente jüdischen Strebens nach Weltherrschaft. Als besondere Form der „luziferischen Weltunterjochung“ galt ihm das angeblich von Juden beherrschte Börsenwesen. Es bestimmte als „Hochfinanz“ die internationale Politik und nutzte den Marxismus als Werkzeug zur Unterdrückung der Arbeiterschaft. In dieser Lesart erschien es Rosenberg als Tragik des 19. Jahrhunderts, dass die Arbeiterfrage nicht mit der völkischen Idee verbunden worden, sondern stattdessen in Marxismus und Sozialismus aufgegangen war. Damit mangelte es dem Kampf der Arbeiter auch an religiösem Gehalt. Aufgabe des Nationalsozialismus war es nun, die

Wenn ich der Kaiser wär’ (Heinrich Claß, 1912)

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Arbeiterbewegung mit einem quasi-religiösen Fundament völkisch-rassistischer Prägung auszustatten und zugleich allen „überstaatlichen Mächten“ den Kampf anzusagen. Hierzu zählte das römische Christentum ebenso wie der internationalistische Sozialismus der traditionellen Arbeiterbewegung. Gefährlichster Gegner war aber fraglos das „Weltjudentum“, das die internationale Finanzwelt und Politik steuerte und nicht zuletzt für die Tragödie des Ersten Weltkriegs verantwortlich war. Auch in den 1930er Jahren diente „Der Weltkampf“, wiewohl nun ohne Rosenberg als Herausgeber, als Forum zur Verbreitung antisemitischer Weltverschwörungsfantasien. 1941 gab es einen Einschnitt: Rosenberg machte das Blatt zum Publikationsorgan des neu eröffneten Instituts zur Erforschung der Judenfrage. Ab April 1941 führte es den Titel „Weltkampf. Die Judenfrage in Geschichte und Gegenwart. Wissenschaftliche Vierteljahresschrift des Instituts zur Erforschung der Judenfrage“. Als (vermeintliche) Fachzeitschrift erschien der „Weltkampf“ nun im → Hoheneichen-Verlag, der zum NS-Verlagstrust Franz Eher Nachf. GmbH (→ Eher-Verlag) gehörte. Rosenberg beanspruchte für die Zeitschrift thematische Exklusivität: Mit dem Geschäftsführer des „Eher Konzerns“ Max Amann vereinbarte er, weitere Periodika zur „Judenfrage“ nicht zu genehmigen. Im neuen „Weltkampf“ spiegelte sich die Radikalisierung der nationalsozialistischen Eliten bei der Planung der schließlich als Völkermord realisierten „Endlösung der Judenfrage“ wider. Erste entsprechende Tendenzen offenbarten sich bereits im Doppelheft vom April 1941. Es enthält die bei der Institutseröffnung gehaltenen Reden. Rosenberg etwa beschränkte sich nicht mehr darauf, das desaströse Treiben des „Weltjudentums“ zu beschreiben. Er stellte nun als Ziel nationalsozialistischer Politik eine Lösung der seit zwei Jahrtausenden virulenten „Judenfrage“ für Deutschland und Europa in Aussicht. Im europäischen Maßstab sei diese Lösung dann erreicht, wenn „der letzte Jude“ den Kontinent verlassen habe. Diese Rede wird in der Forschung als wichtiges Bindeglied zwischen dem Verbalradikalismus der antisemitischen Rhetorik der frühen Jahre und den Vernichtungsaktionen der 1940er Jahre interpretiert.

Petra Rentrop

Literatur Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005.

Der Weltreisende → Putnik po cijelom svijetu

Wenn ich der Kaiser wär’ (Heinrich Claß, 1912) Heinrich Claß (1868–1953), Rechtsanwalt in Mainz und seit 1908 Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes, veröffentlichte 1912 in der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung Theodor Weicher die politische Streitschrift „Wenn ich der Kaiser wär’. – Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten“ unter dem Pseudonym Daniel Frymann, das er der Gottfried Keller-Novelle „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“ entnommen hatte und hinter dem der eigentliche Urheber lange verborgen blieb. In der 235 Seiten starken Abhandlung suchte er den Ursachen angeblicher innerer Schwäche und äußerer Erfolglosigkeit des Deutschen Reiches nachzugehen, die sich etwa in der zunehmenden Einflussnahme des Reichstages auf die Gestaltung der Politik und dem Aus-

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gang der Marokko-Krisen manifestiert hätten, wodurch er „unsere ganze Zukunft in Frage gestellt“ sah. Einen letzten Anstoß zur Veröffentlichung lieferte ihm die Reichstagswahl vom Januar 1912 mit den außerordentlichen Stimmengewinnen für die Sozialdemokratische Partei, die er als „Judenwahlen“ bezeichnete. Im ersten Teil der Schrift, einer Bilanz der Entwicklung des Deutschen Reiches bis zur Gegenwart, beschäftigt sich Claß ausführlich mit der „verhängnisvollen Rolle“ des Judentums. In der „Zersetzung durch jüdisches Blut und jüdischen Geist“ findet er die letzte Ursache für die Verfallserscheinungen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sitte. Dem setzt er im zweiten Teil den Plan einer umfassenden „Reichsreform“ entgegen, die auf „dem Gesetz der Rasse“ aufbaue und allein geeignet sei, den modernen, von ihm als verhängnisvoll diagnostizierten Veränderungen Einhalt zu gebieten, und die notfalls durch einen Staatsstreich verwirklicht werden müsse. Überzeugt von der „rassischen Unvereinbarkeit“ von Deutschen und Juden formulierte Claß Forderungen nach rigorosen staatlichen Maßnahmen gegen die Juden als integralen Teil dieser Reform, die auf eine Degradierung und Entrechtung eines Teiles des deutschen Volkes hinausliefen: 1. Vollständige Sperrung der Grenzen gegen jede weitere jüdische Einwanderung und rücksichtslose Ausweisung aller Juden, die noch kein „Bürgerrecht“ erworben haben; 2. Stellung der „ansässigen“ Juden unter Fremdenrecht. Diese fremdenrechtlichen Ausführungen wurden Allgemeingut antisemitischer Forderungen und bildeten die Grundlagen einer völligen Exklusion der Juden aus der deutschen Volksgemeinschaft: „Den Juden bleiben alle öffentlichen Ämter verschlossen, einerlei ob gegen Entgelt oder im Ehrenamt, einerlei ob für Reich, Staat und Gemeinde. – Zum Dienst in Heer und Flotte werden sie nicht zugelassen. – Sie erhalten weder aktives noch passives Wahlrecht. Der Beruf der Anwälte und Lehrer ist ihnen versagt; die Leitung von Theatern desgleichen. – Zeitungen, an denen Juden mitarbeiten, sind als solche kenntlich zu machen; die andern, die man allgemein ‚deutsche’ Zeitungen nennen kann, dürfen weder in jüdischem Besitz stehen, noch jüdische Leiter und Mitarbeiter haben. – Banken, die nicht rein persönliche Unternehmen Einzelner sind, dürfen keine jüdischen Leiter haben. – Ländlicher Besitz darf in Zukunft weder in jüdischem Eigentum stehen, noch mit solchen Hypotheken belastet werden. – Als Entgelt für den Schutz, den die Juden als Volksfremde genießen, entrichten sie doppelte Steuern wie die Deutschen.“ Im Februar 1914 fügte Claß diesem Katalog die Forderung hinzu, „dass eine völlige Trennung des Schulwesens in allen Stufen für Deutsche und Juden eintritt, dass das jüdische Schulwesen aller dieser Stufen aus jüdischen Mitteln erhalten werde, und dass Juden zum Universitätsstudium auf ihrer jüdischen Hochschule auch nur nach dem Verhältnis ihrer Zahl zur Gesamtzahl der Deutschen zugelassen werden“. Diese fünfte Auflage enthält zudem in einem neuen Abschnitt weitere scharfe Angriffe gegen die Juden. In der Frage, wer „Jude“ ist, rekurriert Claß auf den Glauben als ursprüngliches Kriterium, um sich dann aber an der Abstammung zu orientieren: „Jude im Sinne des geforderten Fremdenrechts ist jeder, der am 18. Januar 1871 der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat, sowie alle Nachkommen von Personen, die damals Juden waren, wenn auch nur ein Elternteil jüdisch war oder ist.“ Der Maßnahmenkatalog bündelt und präzisiert zu damaliger Zeit unter Antisemiten und Völkischen übliche Vorstellungen. Seine Stellung im Gesamtzusammenhang der

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Claßschen Überlegungen aber zeigt, dass es um mehr ging als um einen Angriff gegen die Juden, nämlich um die grundsätzliche Behauptung reaktionärer, antidemokratischer Positionen in Politik und Gesellschaft auf der Grundlage eines rassenmäßig und kulturell homogenisierten „Volkskörpers“. Indem Claß die gesellschaftspolitische Analyse und den Politikentwurf eng mit der sogenannten Judenfrage verknüpft und in die weltanschauliche Grundannahme eines rassistisch fundierten antagonistischen Gegensatzes von „deutschem Idealismus“ und „jüdischem Materialismus“ einordnet, macht er die Lösung der „Judenfrage“ zu einer unverzichtbaren Voraussetzung für die „Gesundung des deutschen Volkskörpers“ und die Wiederaufrichtung eines machtvollen deutschen Staates. Claß’ umfassendes politisches Pamphlet, das bestimmend für die zukünftige programmatische Entwicklung des Alldeutschen Verbandes wurde, fand breiten Widerhall in der nationalistischen und völkischen Publizistik, sodass es 1914 bereits im 21. bis 25. Tausend in einer fünften, um zwei Kapitel erweiterten Auflage erschien. Zahlreiche politisch einflussreiche Persönlichkeiten bis hin zu Kaiser Wilhelm II. wurden damit bekannt gemacht, die allerdings die antijüdischen Forderungen wegen ihrer Radikalität zumeist ablehnten. Die Schrift mit ihrem grundlegenden rassistischen Deutungsmuster, das den Rassentheorien Gobineaus und Chamberlains, die beide erwähnt werden, verpflichtet ist, bereitete den Boden für eine programmatische Annäherung von radikalnationalistischen, völkischen und antisemitischen Kreisen und trug wesentlich zur Popularisierung einer allgemeinen antisemitischen Stimmung bei. Nach dem Ersten Weltkrieg bildeten die Claßschen Forderungen – das Buch erschien 1919 in einem unveränderten Neudruck in sechster Auflage – die Grundlage der Tätigkeit des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, der größten und einflussreichsten antisemitischen Organisation in der Frühphase der Weimarer Republik. Sie finden sich in ähnlicher Form in Teilen wieder im Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920 und in Adolf Hitlers → „Mein Kampf“; Hitler soll das Werk gekannt und geschätzt haben. In der siebenten Auflage, unter dem Obertitel „Das Kaiserbuch“ 1925 erschienen, fügte Claß unter Weglassung obsolet gewordener Abschnitte das neue Kapitel „Nach dem Zusammenbruch“ an. Hinsichtlich der Juden konstatiert er, dass die seinerzeit aufgestellten Forderungen nicht mehr genügten, da die Schuld der „sogenannten deutschen Juden“ inzwischen „turmhoch angewachsen“ sei und diesen nunmehr „endgültig die Gelegenheit zu schädlicher Einwirkung genommen“ werden müsse. Das sollte weiterhin im Zuge einer von einem Diktator herbeigeführten „Reichsreform“ geschehen, aus der schließlich der „völkische deutsche Staat“ hervorgehen sollte. Wie zur Bekräftigung, dass nach 1933 die seit Langem geforderte „völkische Rettung doch noch in Angriff genommen worden“ sei, brachte der Alldeutsche Verband im Jahr der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung in Nürnberg 1935 in achter Auflage das 36. bis 38. Tausend des „Kaiserbuchs“ heraus.

Uwe Lohalm

Literatur Heinrich Claß, Wider den Strom. Vom Werden und Wachsen der nationalen Opposition im alten Reich, Leipzig 1932. Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003.

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Wesen des Christentums (Adolf von Harnack, 1899/1900)

Alfred Kruck, Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890–1939, Wiesbaden 1954. Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn u. a. 2012. Uwe Lohalm, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes, Hamburg 1970. Joachim Petzold, Claß und Hitler. Über die Förderung der frühen Nazibewegung durch den Alldeutschen Verband und dessen Einfluss auf die nazistische Ideologie (mit einem Dokumentenanhang), in: Jahrbuch für Geschichte 21 (1980), S. 247–288. Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des wilhelminischen Deutschlands. Sammlungspolitik 1897–1918, Köln, Berlin 1970. Peter Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Göttingen 2007.

Wesen des Christentums (Adolf von Harnack, 1899/1900) Der kaiserzeitliche Theologe und Gelehrtenpolitiker Adolf von Harnack (1851–1930) – Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät der Berliner Universität (1888–1921), Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1911–1930) und Direktor der Staatsbibliothek (1905– 1921) – der als die repräsentativste Gestalt des deutschen Kulturprotestantismus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gilt, hat im Wintersemester 1899/ 1900 eine Vorlesung über das „Wesen des Christentums“ vor Hörern aller Fakultäten gehalten. Die unter Rückgriff auf stenographische Mitschriften angefertigte Buchfassung der ohne Manuskript gehaltenen Vorlesungen wurde (einer Schätzung des Autors zufolge) mit ca. 100.000 verkauften Exemplaren bis zum Jahr 1925 sowie Übersetzungen in 14 Sprachen zum Bestseller und Harnacks populärstem Buch. Die in der evangelischen Theologie und Harnackforschung kontrovers verhandelte Frage, inwieweit Harnack einen Antijudaismus vertreten habe, wurde im Jahr 2000 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Vorlesungen über das „Wesen des Christentums“ im Rahmen einer in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geführten Debatte auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der selbstverständliche Gebrauch der bekannten antijüdischen Stereotype in Harnacks Vorlesungsreihe – „spätjüdisch“ – „Gesetzesreligion“ – der „tendenziöse und eigensüchtige Betrieb ‚guter Werke’“ – Religion als „irdisches Gewerbe“ in Verbindung mit dem Kommentar, dass es nichts „Abscheulicheres“ gäbe – „Versteinerung [der Moral] im Ritual“ – „Wolfsnatur“ und „Heuchelei“ der Priester und Pharisäer – spiegelt die bekannte christliche Annahme von der längst überholten Rolle der jüdischen Religion wider, die nur eine Religion des Übergangs gewesen sei. Denn mit dem Auftreten des Paulus sei „die Zeit des Judentums vorbei“ gewesen, sodass sich die Kirche infolge des „Bruchs mit der Synagoge“ zu Recht als das „wahre Israel“ verstanden habe. Die antike jüdische Religion und ihre Repräsentanten, die nur „Schutt“ und „Trümmer“ aufgehäuft hätten, werden als „schwächlich“ und darum „schädlich“ charakterisiert, während sich das „Neue“ in Jesus, respektive in seiner Verkündigung und Persönlichkeit durch „Reinheit“, „Kraft“ und „Ernst“ sowie des Weiteren – trotz aller ausdrücklich konstatierten Parallelen in der jüdischen Überlieferung – durch die „bessere Gerechtigkeit“ und in „dem neuen Gebot der Liebe“, d. h. die Konzentration auf

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Demut und Liebe, ausgezeichnet habe. Die „ganze jüdische Bedingtheit der Predigt Jesu“ sei somit nur „Schale“ gewesen, während es vielmehr auf den von Harnack dargestellten „Kern“ ankomme. Indem Harnack in seiner Einleitung die Erwägung, dass man die Predigt Jesu nur „im Zusammenhang der damaligen jüdischen Lehren“ verstehen könne, als letztendlich „unrichtig“ zurückweist, zeigt er bereits eine christliche Grundhaltung, für deren bleibende Identität das Judentum prinzipiell irrelevant ist. Über die klassischen antijüdischen Stereotype hinaus relativiert Harnack die Bedeutung des Alten Testaments, dessen Geringschätzung dann auch in seine spätere Publikation „Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott“ (1921) eingegangen ist. Harnack kann das Alte Testament zwar als „Erbauungsbuch“ und „Buch der Geschichte“ anerkennen, sieht aber in der Geschichte des Christentums auch die Gefahr bestätigt, dass mit dem Alten Testament nicht nur ein inferiores Element in das Christentum eingedrungen sei, sondern dass das Alte Testament als Buch einer anderen Religion und anderen Sittlichkeit ebenfalls die christliche Freiheit bedroht habe. Damit ist evident, dass Harnack nicht nur jede theologische Bedeutung des Judentums für die christliche Religion negiert, sondern darüber hinaus noch postuliert, sich von jeglichem jüdischen Erbe zu trennen. Harnacks Vorlesungen, die in der Presse große Resonanz auslösten, fanden ebenfalls auf jüdischer Seite Beachtung, wobei sich die Debatte auch zu einer innerjüdischen Auseinandersetzung um die Identität des deutschen Judentums ausweitete. In einer der ersten Erwiderungen monierte Rabbiner Leo Baeck (1873–1956), dass Harnacks vorgeblich objektive Geschichtsschreibung nur Geschichtskonstruktion vor dem Hintergrund subjektiver Wertung biete, während ihm die jüdische Forschung zur Zeit- und Literaturgeschichte des Judentums der Zeit Jesu nicht bekannt gewesen sei. Eine Replik Harnacks auf Baecks Kritik ist ebenso wenig bekannt wie auf die zahlreichen anderen jüdischen Reaktionen auf sein „Wesen des Christentums“. Dass man nach dem Tod Harnacks in dessen Bibliothek angeblich ein ungeöffnetes Exemplar von Baecks bekanntem Buch „Das Wesen des Judentums“ (1905) fand, würde noch einmal das Desinteresse Harnacks am Judentum unterstreichen. Der Rückgriff auf die klassischen antijüdischen Stereotype, die Herabsetzung und grobe Verzeichnung der jüdischen Religion sowie die Missachtung der theologischen Verwurzelung des Christentums im Judentum zeigen nicht nur, dass Harnack in seinen Ausführungen von einem theologischen Antijudaismus bestimmt ist, sondern dass er darin auch eine Position vertreten und vor allen Dingen verallgemeinert hat, die in ihrem selbstverständlichen Gebrauch antijüdischer Stereotype und in der Profilierung des Christentums gegen das Judentum bis in die 1970er Jahre in der christlichen Theologie vorherrschend werden sollte. Dass Harnack in bewusstem Verzicht auf religionsgeschichtliche Kenntnisse über das Judentum das Wesen des Christentums letztendlich nur gegen das Judentum profilieren konnte, hat a posteriori die Glaubwürdigkeit der christlichen Religion nicht nur nicht gestärkt, sondern letztlich die Religion selbst dekonstruiert. Auch wenn Harnack nicht zu den radikal antisemitischen deutschen Gelehrten seiner Zeit zu rechnen ist und sich gegenüber dem Antisemitismus Adolf Stoeckers (1835–1909) und Houston Stewart Chamberlains (1855–1927) kritisch reservierend äußert, bleibt für ihn die Antisemitismusfrage nur eine Marginalie, während sein Des-

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Wider die Juden (Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, 1803)

interesse am Judentum nicht nur theologische Gründe, sondern auch lebensgeschichtliche Bezüge aufweist. Dass seine Darstellung des antiken Judentums vorurteilsbeladen und von antijüdischen Stereotypen bestimmt ist und dass er zudem das Alte Testament abwertet, hat völkischen Tendenzen im deutschen Protestantismus eine einschlägige Reflexionsfolie geboten.

Matthias Blum

Literatur Leo Baeck, Harnack’s Vorlesungen über das Wesen des Christenthums, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 45 (1901), S. 97–120. Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums: sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Fakultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin gehalten von Adolf von Harnack, hrsg. von Claus-Dieter Osthövener, Tübingen 2012³. Wolfram Kinzig, Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer kommentierten Edition des Briefwechsels Adolf von Harnacks mit Houston Stewart Chamberlain, Leipzig 2004. Peter von der Osten-Sacken, Rückkehr ins Wesen und aus der Geschichte. Antijudaismus bei Adolf von Harnack und Rudolf Bultmann, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 67 (1978), S. 106–122. Uriel Tal, Theologische Debatte um das „Wesen“ des Judentums, in: Werner E. Mosse (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890–1914. Ein Sammelband, Tübingen 1976, S. 599–632. Erich Zenger, Der jüdische Grund des Christentums – Harnacks Sicht des Judentums und die theologische Wiederentdeckung des Judentums nach der Shoa, in: Jan Rohls u. a. (Hrsg.), Das Wesen des Christentums, Göttingen 2003, S. 99–121.

Wider die Juden (Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, 1803) Gegner und Befürworter der Judenemanzipation stritten seit der Veröffentlichung von Christian Wilhelm Dohms Buch → „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781) über die Frage, ob „das Wesen und die Natur des Judentums der Aufnahme der Juden zu Bürgern entgegenstehe“ und ob die behaupteten negativen Eigenschaften der Juden unveränderlich zu ihrem Charakter gehörten. Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer hatte bereits 1791 mit seiner 132-seitigen judenfeindlichen Schrift „Über die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden. Stimme eines Kosmopoliten“, als dessen Erscheinungsort „Germanien“ angegeben ist, einen Beitrag zu diesem Streit geliefert, da er als „deutscher Mann“ seine Zunge nicht habe im Zaum halten können. Er stellte die Juden als moralische und physische Gefahr für die Christen hin und wollte ihnen deshalb die Bürgerrechte verweigern. Seine Schrift war jedoch weitgehend unbeachtet geblieben. Als der jüdische Reformer David Friedländer 1799 anonym sein „Gespräch über das Sendschreiben von einigen jüdischen Hausvätern an den Probst Teller. Zwischen einem christlichen Theologen und einem alten Juden“ veröffentlichte, löste er damit eine vielstimmige und kontroverse Debatte („Hausväterstreit“) über eine mögliche, von Friedländer skizzierte Konvergenz der Religionen in einem ethischen Monotheismus aus, an der sich auch der Jurist Christian Ludwig Paalzow seit 1799 mit mehreren Schriften (→ „Die Juden, 1799“; der lateinischen Schrift „Tractatus historico-politicus

Wider die Juden (Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer, 1803)

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de civitate Judaeorum“, 1803) beteiligte. Auf Letztere bezog sich wiederum sein Kollege am Kammergericht, Grattenauer, in seiner extrem judenfeindlichen Schrift „Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere christliche [sic] Mitbürger“, die er anonym publizierte – ein „Schriftchen“ von 64 Seiten, wie er es selbst nannte. Ganz anders als seine erste Schrift stieß diese neue Polemik auf große Resonanz und war mit sechs Auflagen und 13.000 Exemplaren ein Bestseller ihrer Zeit. Grattenauer beginnt seine Schrift, in der er eine andere Person anspricht, die ihm angeblich eine judenfeindliche Passage aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ zugeschickt hatte, mit dem Bekenntnis, gegenüber Juden „Ekel, Abscheu, Hass und Widerwillen“ zu empfinden, ohne einen Grund dafür angeben zu können. Im Anschluss an ein Zitat von Gottfried Herder, in dem dieser berufliche Felder, in denen Juden aktiv sind, als „auszutrocknende Pontinische Sümpfe“ bezeichnet hatte, zieht er daraus die „Einsicht“, die er wiederum als „altes Sprichwort“ verkauft: „Wo Aas liegt, da sammeln sich die Adler, und wo Fäulnis ist, hecken die Würmer.“ Diese Tier-Metaphern dienen Grattenauer dazu, die Beseitigung von Aas und Fäulnis anzumahnen, die er mit der Verleihung der vollen Bürgerrechte an die Juden assoziiert. Bekämen diese die vollen Rechte, würde man ihnen die Herrschaft über die Christen einräumen. Schon diese beiden angeführten Zitate zeigen, dass Grattenauer einen bis dahin ungehörten rabiaten und zugleich satirisch-verhöhnenden judenfeindlichen Ton anschlägt, der sich von dem früherer Autoren wie Fichte oder auch Paalzow unterscheidet und ihn als Vorläufer des rabiaten Radauantisemitismus und als Provokateur ausweist. Seine Schrift besteht in weiten Teilen aus etwas wirr aneinandergefügten Zitaten antijüdischer Autoren. So folgen nach der skizzierten Einleitung plötzlich Titel, Autor samt Berufsbezeichnung und Erscheinungsort sowie Seitenzahl von Christian Paalzows Schrift „Über den Juden-Staat (De civitate Judaeorum) oder über die bürgerlichen Rechte der Juden“ von 1803. Grattenauer empfiehlt diese Schrift, die eine wahre Darstellung vom verderblichen Geist des Judentums geliefert habe, und gibt eine Zusammenfassung des Inhalts mit zahlreichen Zitaten. Im Anschluss an Fichtes Vorwurf, die Juden bildeten einen Staat im Staate, hatte Paalzow betont, dass es der Hass der Juden auf alle anderen Menschen sei, die diesen Staat so gefährlich mache. Grattenauer lobt Paalzow dafür, dass er diese Einsicht mittels eines „historisch-politischen Abrisses“ durch die Geschichte der Juden von Ägypten über die römische Antike und das Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert verfolgt und bestätigt habe, dessen Ergebnisse er paraphrasiert wiedergibt. Seiner Meinung nach zeige sich in dieser Geschichte überall „der böse Geist des Judenthums in Bosheiten und Betrügereien auf eine unerhörte und für die Menschheit schimpfliche Art“. In der Niederträchtigkeit will er einen Hauptzug des jüdischen Nationalcharakters sehen. Alte Vorwürfe, die Juden hätten in Ägypten die Krätze verbreitet und im Mittelalter die Brunnen vergiftet, werden wieder aufgewärmt und auf die körperliche Unsauberkeit der Juden zurückgeführt. Auch der Ritualmordvorwurf und die Anschuldigung, die Juden würden hebräisch geschriebene Wechsel zum Betrug an den Christen nutzen, fehlen nicht. Nach Grattenauer weist Paalzow in seiner Schrift dann in einem weiteren Abschnitt nach, dass die „Natur und das Wesen des Judentums dem Zweck des Staates und der öffentlichen Wohlfahrt schädlich und höchst gefährlich sey“. Hier geht es ihm um die Unglaubwürdigkeit des Judeneides, „beglaubigt“ durch den Abdruck eines Prozess-

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protokolls und eine ganze Kette von Zitaten aus judenfeindlichen Traktaten und rabbinischen Schriften seit der frühen Neuzeit, wonach Juden das Schwören eines Meineids gegenüber Nichtjuden durch ihre religiösen Schriften erlaubt sei. Die Juden hätten die religiöse Zulässigkeit des Meineides gegenüber Christen bestritten und Andreas Eisenmenger beschuldigt, aus Hass gegen sie Unwahrheiten zu verbreiten. Es folgt dann bei Grattenauer eine längere Vorstellung der Person Eisenmengers und seines Werkes → „Entdecktes Judenthum“ aus dem Jahre 1700 sowie einige, die Qualität des Werkes bestätigende Gutachten, aus denen lange Zitate abgedruckt werden. Mit all den über viele Seiten aufgehäuften Belegen will Grattenauer nachweisen, dass Juden gegenüber Nichtjuden unaufrichtig sein dürfen und man ihnen deshalb nicht trauen könne, selbst wenn jemand von ihnen angibt, nicht alle hergebrachten und in den religiösen Schriften niedergelegten Grundsätze anzuerkennen. Mit vielen zitierten Autoren im Rücken lehnt Grattenauer es ab, dass vom orthodoxen Judentum abweichende Juden in den Genuss der Bürgerechte kommen sollten, und er „widerlegt“ in gleicher Weise die angebliche Behauptung seitens der Juden, dass mit dem Begriff „Gojim“ nur „Fremde“, aber nicht die Christen gemeint seien. Das Fazit seiner Kompilationen jüdischer wie christlicher Autoren ist schließlich, dass man nicht hoffen dürfe, dass sich der gefährliche und feindselige Geist des Judentums jemals ändern werde. Die „absolute Unmöglichkeit“ einer solchen Änderung sei durch die jüdische Geschichte nun hinlänglich ausgewiesen worden. Letztes Beispiel sei die Französische Revolution, die entgegen allen Behauptungen von Juden ihre moralische Bildung und ihr bürgerliches Leben keineswegs zum Positiven verändert habe. Zum Beleg druckt Grattenauer wiederum einen amtlichen Bericht ab. Er schließt seine Schrift schließlich mit dem Diktum: „Der Jude bleibt doch ein Jude“ – auch das ein allerdings falsches Zitat aus Lessings „Nathan der Weise“ (richtig „Jud` ist Jude“, I, 6). Er fügt dem Text eine kurze „Nachschrift“ an, in der er voraussieht, dass seine Gegner ihn des „rechtswidrigen Judenhasses“ beschuldigen werden. Der erste Vorwurf, den die Juden gegen einem „Haman“ vorbrächten, sei immer der der Unwissenheit. Dies läge daran, dass sich selten ein ausgewiesener Jurist mit diesen Fragen (etwa des Judeneides) befasst habe. Er warnt dann alle „Juden, Judengenossen, Judaizanten und Judenfreunde, besonders aber die jüdischen Kultur- und Humanitäts-Direktoren“, sich mit dem Vorwurf der Ignoranz in Acht zu nehmen, da er in Halle Theologie bei berühmten evangelischen Theologen (wie Johann Semler, 1725–1791, und Georg Christian Knapp, 1753–1825) studiert und sich dabei mit Kirchengeschichte und orientalischer Literatur beschäftigt habe. Um den Vorwurf zu entkräften, er habe im Wesentlichen bei Eisenmenger abgeschrieben, behauptet er, dass der vorliegende Text nur ein Teil eines damals verfassten größeren Werkes sei. Um dies zu beglaubigen, fügt er eine fast zehnseitige Liste mit Literatur und Quellen zur Geschichte des Judeneides und des Judenrechts an. Grattenauers Schrift löste einen Pamphlet-Krieg von Erklärungen und Gegenerklärungen zur Judenemanzipation aus, sodass die preußischen Behörden fürchteten, es könnte zu antijüdischen Übergriffen kommen. Im September 1803 wurden deshalb alle weiteren Schriften dieser Art verboten, Grattenauers Eingaben dagegen abgelehnt. Dennoch ging der Pamphlet-Krieg bis 1805 weiter, in dem sich auch eine größere

Wider die Sabbather (Martin Luther, 1538)

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Zahl christlicher und auch einige jüdische Autoren gegen Grattenauer und Konsorten stellten. Dieser konterte deren Schriften, die zum Teil persönliche Beleidigungen und Spottverse enthielten, mit einer „Erklärung an das Publikum über meine Schrift: „Wider die Juden“ (1803) und einem weiteren 85-seitigen „Nachtrag“ („Erster Nachtrag zu seiner Erklärung über seine Schrift Wider die Juden – adressiert an Ahasverus den ewigen Juden, bei seiner Abwesenheit in Berlin“, 1803), um die gegen ihn gerichteten Verleumdungen und Invektiven zu entkräften, da dies nicht die Waffen seien, die man in der Gelehrtenrepublik gegen ihn führen dürfe, hier würden nur die Erkenntniskräfte gelten. Er spricht in der Attitüde eines Aufklärers, doch richtete er sich am Ende der letztgenannten Schrift direkt an David Friedländer, den Verfasser des „Sendschreibens“, in der für ihn typischen grobianischen Manier, indem er bekannte, dieses Schreiben dorthin gebracht zu haben, „wo es erlaubt ist, sich der hypochondrischen Winde zu entledigen“. Der Schriftenkampf, der in ganz Deutschland Aufmerksamkeit erregte, fand seine Fortsetzung in Zeitungspolemiken, bis die preußische Zensurbehörde weitere Publikationen verbot. Die Schriften Grattenauers, den er als einen „Erzjudenfeind“ titulierte, und die anschließende Debatte waren für den jüdischen Historiker Heinrich Graetz so bedeutsam, dass er sie im 11. Band seiner „Geschichte der Juden“ behandelte, wo er eine kurze Darstellung ihres Inhalts gab. Er spricht darin davon, dass das „deutsche Publikum seinen Schmähungen [...] aufmunternden Beifall gespendet hätte. Mit Gier wurde seine von Gemeinheit strotzende Schrift verschlungen.“ Die späteren Schriften Grattenauers seien beim Publikum noch besser angekommen, da sie noch „derber und pikanter“ gewesen seien. Die Bedeutung dieser frühantisemitischen Schrift liegt in der Einführung eines harschen antijüdischen Tones in der Debatte.

Werner Bergmann

Literatur Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln, Weimar, Wien 2000. Rainer Erb, Werner Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780–1860, Berlin 1989. Ismar Freund, Die Emanzipation der Juden in Preußen, Band 1, Berlin 1912. Ludwig Geiger, Der Schriftenkampf für und wider die Juden 1803 und 1804, in: Ludwig Geiger, Geschichte der Juden in Berlin, Band II, Berlin 1871, S. 301–319 (Nachdruck Berlin 1987). Heinrich Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 11: Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohnschen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848), Berlin 1998 (Reprint der 2. Auflage von 1900), S. 241 ff.

Wider die Sabbather (Martin Luther, 1538) Die Schrift „Wider die Sabbather“ steht am Anfang einer insgesamt vier thematische Einzelschriften zum Judentum umfassenden publizistischen Kampagne Martin Luthers, die im Jahre 1543 ihren Höhepunkt und Abschluss fand. Innerhalb des literari-

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Wider die Sabbather (Martin Luther, 1538)

schen Oeuvres des Wittenberger Reformators markiert „Wider die Sabbather“ die bis dahin deutlichste Abkehr von einer die Judenduldung zum Zweck ihrer Bekehrung intendierenden „judenpolitischen“ Konzeption, für die er 1523 in seiner Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ geworben, beträchtliche Aufmerksamkeit und auch eine Beeinflussung der städtischen und territorialen Obrigkeiten erreicht hatte. Hinsichtlich des historischen Entstehungskontextes dieser nur in zwei zeitgenössischen deutschen Drucken (Wittenberg und Augsburg) und einem lateinischen Druck (1539 Wittenberg, übersetzt von Justus Jonas) verbreiteten Schrift sind folgende Umstände zu bedenken: Seit August 1536 galt in Kursachsen ein Durchreiseverbot für die Judenheit; als sich Josel von Rosheim, der wichtigste Repräsentant der zeitgenössischen Judenschaft im Alten Reich, mit der Bitte an Luther wandte, gegenüber dem Kurfürsten für eine Aufhebung oder Lockerung dieser Regelung einzutreten, erteilte ihm der Reformator eine Absage, kündigte allerdings an, ein „Büchlein“ zu schreiben, um „etliche […] aus Eurem väterlichen Stammen der heiligen Patriarchen und Propheten [zu] gewinnen und zu Eurem verheißenen Messia [zu] bringen“. Als an Juden gerichtete „Bekehrungsschrift“ ist freilich weder „Wider die Sabbather“ noch eine der anderen „späten Judenschriften“ zu bewerten. Zugleich klang in dem Brief an Josel eine Verbitterung darüber an, dass die Juden Luthers „Freundlichkeit“ zu ihrer „Verstockung“ missbrauchten, d.h. als Vorwand zur Beharrung in ihrem „antichristlichen Irrglauben“ benutzen würden. Aus einer in die Zeit des Briefes an Josel zu datierenden Tischrede geht als ein Motiv für Luthers Absage an eine Duldungspolitik hervor, dass Juden Christen angeblich von ihrem Glauben abtrünnig machten; als Beispiel dafür erwähnte er die sogenannten Sabbather, die den jüdischen Ruhetag einhielten und sich überdies beschneiden ließen. Die „Sabbather“ wurden von Luther mithin als ein Beweis dafür angeführt, dass Juden Proselyten machten und sich damit gegen das geltende Recht vergingen. In „Wider die Sabbather“ fungierte dieser Tatbestand als narrative Konstruktion der Abfassungsintention. Bei den Sabbatariern handelte es sich um eine kleine täuferische Gruppe, die sich in Böhmen um den Chiliasten Oswald Glaidt gebildet hatte, die Heiligung des Sabbats praktizierte, aber in keinem direkten Zusammenhang mit Juden stand; Luther war mit dem Phänomen bereits seit 1532 vertraut, schloss damals aber aus, was er später als Faktum behandelte, nämlich dass sich die „Sabbather“ tatsächlich beschneiden ließen. Ob sich hinter dem „guten Freund“, an den Luther seine Schrift richtete, tatsächlich eine konkrete historische Person verbirgt – etwa der aufgrund einer späteren Nachricht des Johannes Mathesius in der älteren Forschung in der Regel angeführte Wolfgang Graf von Schlick – muss als unsicher oder gar zweifelhaft gelten. Eher ist mit einer literarischen Strategie zu rechnen, die „judaisierende“ Praktiken einer separatistischen christlichen Gruppierung in propagandistischer Absicht benutzt, um der Judenheit offensiv entgegenzutreten und die Grundlagen ihrer Duldung infrage zu stellen. Die Anrede an den „guten Freund“ suggeriert eine Authentizität des Anlasses; angeblich sei Luther durch diesen eine Schrift zugesandt worden, die dokumentiere, dass sich das Judentum in bestimmten Gegenden ausbreite, dass sich Christen beschneiden ließen, dass der Glaube an den Messias Jesus von Nazareth bedroht sei und eine Restitution der jüdischen Gesetze bevorstehe. Dadurch freilich, dass der „Freund“ anonym blieb, war von vornherein ausgeschlossen, dass die Vorwürfe überprüft werden bzw. Juden

Wider die Sabbather (Martin Luther, 1538)

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sich gegen sie zur Wehr setzen konnten. Die angeblich durch Juden verführten „Sabbather“ waren demnach ein rhetorisch-agitatorisches Kampfmittel, um die etwa in Hessen und in anderen protestantischen Territorien gegen Ende der 1530er Jahre anstehende dauerhafte Regelung der „Judenfrage“ im Sinne einer Verweigerung der befristeten Duldung voranzutreiben. Im Unterschied zu seinen „Judenschriften“ des Jahres 1543 rechnete Luther in „Wider die Sabbather“ noch mit der Möglichkeit einer friedlichen Bekehrung von Juden; wesentliche Passagen des ersten Teils der Schrift sind dem Nachweis gewidmet, dass aus der seit ca. 1500 Jahren auf der Judenheit liegenden großen Schuldstrafe gefolgert werden müsse, dass der Messias gekommen und mit dem von den Juden verleugneten Jesus von Nazareth zu identifizieren sei. Da Gott David einen „ewigen stuel zugesagt“ habe, die politische Herrschaft der Judenheit aber in römischer Zeit beendet worden sei, müsse Gott zum Lügner werden, wenn man nicht voraussetze, dass die Davidsherrschaft in Christus ihre Fortsetzung und Erfüllung gefunden habe. Der zweite Teil der Schrift dient dem mittels alttestamentlicher Zeugnisse geführten Nachweis, dass das jüdische Gesetz seit dem Erscheinen des Messias obsolet sei und für die Heiden keinerlei Bindungskraft besitze. Der ‚törichte Gesetzesstolz’ der Juden ist für Luther also durch Gottes Geschichtshandeln selbst widerlegt worden. „Aus dem allen kond ir ja wol greiffen, wie die Jüden mit blindheit geplagt sind, das sie solch ungeschwungen lügen und narrheit von jrem gesetz uns Heiden fürgeben, wie es ewig sol sein und allen Heiden auff zu legen, So es doch gefallen und von Gott aller ding [gänzlich] on alle weissagung endlich [definitiv] und ewiglich verlassen.“ Die Quintessenz des mosaischen Gesetzes, die Zehn Gebote, seien dem Menschen hingegen qua natürlicher Erkenntnis zugänglich, d.h. unabhängig vom alttestamentlichen Offenbarungszusammenhang gültig. „Denn wo gleich nimer mehr kein Mose komen, noch Abraham geborn were, hetten doch inn allen menschen die Zehen gebot von anfang müssen regiern, Wie sie denn gethan und noch thun.“ In seiner Schrift „Wider die Sabbather“ führte Luther den Nachweis, dass „der Jüden hoffenung verloren“ sei, da sie „keinen grund von Gottes wort“ haben. Damit war das Judentum als religiöse Möglichkeit theologisch definitiv delegitimiert. Eine größere Wirkungsgeschichte war Luthers Schrift „Wider die Sabbather“, soweit bekannt, nicht beschieden; allerdings dürfte sie auf die etwa von Bucer propagierte Verschärfung der protestantischen Judenpolitik seit dem Ende der 1530er Jahre eingewirkt und insofern entscheidend zur Veränderung des Klimas zwischen Judenheit und reformatorischem Christentum und zur Abkehr von der frühreformatorischen Duldungskonzeption beigetragen haben.

Thomas Kaufmann

Literatur Eric W. Gritsch, Martin Luther’s Anti-Semitism, Grand Rapids, Cambridge 2012. Jürgen Kaiser, Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung. Die Deutungen des Sabbats in der Reformation, Göttingen 1996. Thomas Kaufmann, Luthers „Judenschriften“. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen 2011. Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, Band 50, 1914, Neudruck 2007, S. 309–337.

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Widerstand (1926–1934)

Peter von der Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002. Martin Rothkegel, Die Sabbater – Materialien und Überlegungen zur Sabbatobservanz im mährischen Täufertum, in: Rolf Decot, Matthieu Arnold (Hrsg.), Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, S. 59–76.

Widerstand (1926–1934) Seit 1926 erschien monatlich die Zeitschrift „Widerstand“, zunächst mit dem Untertitel „Blätter für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“, dann ab 1928 als „Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik“. Gegründet und maßgeblich inhaltlich ausgerichtet war die Zeitschrift von Ernst Niekisch (1889–1967), der WiderstandVerlag, in dem auch Bücher verlegt wurden, gehörte formal seiner Frau Anna Niekisch, geb. Kienzle. Von Oktober 1932 bis Mitte März 1933 wurde im WiderstandVerlag zusätzlich das Periodikum „Entscheidung. Die Wochenzeitung für nationalrevolutionäre Politik“ herausgegeben. Die Zeitschrift „Widerstand“ wurde Ende 1934 verboten. Als Kritiker und Hitlergegner von rechts wurde Ernst Niekisch später im Zuchthaus Brandenburg inhaftiert. Die Zeitschrift vertrat mit der sogenannten Widerstandsideologie eine spezifische Variante extrem nationalistischer und irrationaler Ideologie, in deren Kern die Ablehnung „des Westens“ und der totale Widerstand gegen Versailles stand. Um 1930 bilden sich zunehmend Lesekreise (Widerstandsbewegung) um die Zeitschrift, u. a. durch den Zulauf aus dem Freikorps Bund Oberland um Joseph E. Drexel und Karl Tröger. Der Westen stand in der Ideologie des Widerstands synonym für unterschiedlichste geistesgeschichtliche Strömungen und historische Erscheinungsformen. So formulierte Niekisch 1931: „Die Ideen des Westens verkörpern sich im römischen Herrschaftsgedanken, in romgebundener Kirchlichkeit, im römischen Recht, aber ebenso in der westlichen Zivilisation, im Gedankengut des Aufklärungs- und Humanitätszeitalters, in den geistigen Elementen von 1789, im modernen Individualismus, in der bürgerlichen Welt- und Wirtschaftsauffassung, im Liberalismus, Parlamentarismus und modernen Demokratismus.“ Niekisch forderte das Bündnis mit der Sowjetunion, an Stalin faszinierte ihn das totalitäre Staatsmodell und die gesteuerte Mobilisierung der Massen. Im Bolschewismus erblickte er „das Strafgericht an dem russischen Bürgertum“. Als Ideal schwebte ihm der „totale Staat“ vor, wie er ihn im Ansatz im historischen Preußen und der Sowjetunion der Gegenwart ausmachte. Lob fand Stalins Vorgehen gegen die linke Opposition und jüdische Intellektuelle. 1931 heißt es im „Widerstand“: „Stalin schuf indes, Lenins Hinterlassenschaft vollendend, von Tag zu Tag mehr den totalen Staat. Die internationalistische Zersetzungstendenz der marxistischen Juden kam gegen die russisch-nationale Intensität des Stalinschen Machtwillens nicht mehr auf; sie geiferten, wie Juden zu geifern pflegen, sobald ihre anarchische Wühltätigkeit auf unübersteigliche Grenzen stößt. Stalin machte kurzen Prozeß. […] Während Deutschland bis ins Mark verjudet ist, wußte Rußland seine Juden zu zähmen und, wo es nottat, auszuspucken.“

Wiener Kirchenzeitung (Österreich, 1848–1874)

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Mit der Verbindung von Nationalismus, Preußentum und Sozialismus galt Niekisch als Vertreter des „Nationalbolschewismus“, er beeinflusste – trotz erheblicher Differenzen – nationalistische Strömungen in der Linken (Aufbruch-Kreis) genauso wie den nationalrevolutionären Flügel der NSDAP und verschiedene nationalistische Gruppen und Strömungen. Mitherausgeber des „Widerstands“ und wichtiger Mitarbeiter war seit 1928 der Graphiker Andreas Paul Weber (1893–1980), der in der Zeitschrift und in Büchern des Widerstand-Verlages auch als Illustrator und Buchgestalter in Erscheinung trat. Von Weber stammt auch das Verlagssignet. Weitere Mitarbeiter waren u. a. Alfred Baeumler, Arnolt Bronnen, Hjalmar Kutzleb, Ernst Jünger, Georg Friedrich Jünger, Joseph E. Drexel und Ernst von Salomon. Auch wenn Niekisch den „rohen kleinbürgerlichen Gefühlsantisemitismus“ der Nationalsozialisten ablehnte, finden sich in der Publizistik des „Widerstands“ durchgängig grundsätzliche judenfeindliche Stereotype und antisemitische Aussagen. So heißt es etwa in der im Widerstand-Verlag 1929 erschienenen Schrift „Gedanken über deutsche Politik“: Wo der Jude führt, „unterwirft er das andersgeartete Volk einer fremden Gesetzlichkeit, er vergewaltigt es. Es ist für ein jedes Volk ein Zeichen geschwächten Lebenswillens, wenn Juden nach seiner politischen Führung streben dürfen.“ Auch andere Autoren äußern sich in der Zeitschrift „Widerstand“ immer wieder offen antisemitisch.

Christoph Kopke

Literatur Michael Pittwald, Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium, Köln 2002. Uwe Sauermann, Ernst Niekisch und der revolutionäre Nationalismus, München 1985.

Wiener deutsche Tageszeitung → Deutschösterreichische Tageszeitung

Wiener Kirchenzeitung (Österreich, 1848–1874) Die im April 1848 gegründete „Wiener Kirchenzeitung für Glauben, Wissen, Freiheit und Gesetz: Organ für den Clerus und die gebildete katholische Laienwelt“ war eine der unzähligen Presseorgane, die im Revolutionsjahr in Wien emporschossen. Die meisten dieser Organe waren liberal, demokratisch oder sogar revolutionär, jedenfalls antiklerikal eingestellt; viele deren Gründer, Redakteure und Mitarbeiter waren Juden oder jüdischer Abstammung. Gegen diese Meinungsrichtung erfolgten bald antirevolutionäre Mediengründungen, teils mittelständisch-zünftlerisch, teils legitimistisch, teils betont katholisch und mit wenigen Ausnahmen rabiat judenfeindlich. Die meisten dieser Organe waren kurzlebig. Eine der anspruchsvolleren, die bis 1874 erschien, war die „Wiener Kirchenzeitung“. Geleitet von zwei Geistlichen, Sebastian Brunner und Albert Wiesinger, war die „Kirchenzeitung“ auch in kirchenpolitischen Angelegenheiten oppositionell. Die österreichische katholische Hierarchie war im Vormärz „josephinisch“ und staatserhaltend eingestellt und hielt sich daher sowohl vom Ultramontismus als von allen demagogischen und agitatorischen Praktiken fern. Brunner war im Gegenteil bemüht, die Kirche volkstümlicher zu gestalten und sie von der Umarmung des Staates zu befreien. In seinem derben Stil war er von der populären Rede-

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Wiener Neueste Nachrichten (Österreich, 1894–1919; 1925–1945)

gewandtheit des Augustinermönchs Abraham a Sancta Clara stark beeinflusst. Als weitere Vorbilder dienten die katholische Romantik um Adam Müller, der viel rührigere deutsche Katholizismus des Vormärz und vor allem die Figur von Joseph Görres. Konsequenterweise richtete sich die „Wiener Kirchenzeitung“ gegen das moderne Denken, ob nun in der Philosophie, Theologie oder Wirtschaftswissenschaft. In erster Linie jedoch galt ihr Kampf dem „jung-israelitischen Schreiberschwarm“. Es war Brunner, der 1848 das später so populäre Schlagwort der „Judenpresse“ prägte. Nachdem Brunner einen Ehrenbeleidigungs-Prozess gegen den jüdischen Journalisten und Politiker Ignaz Kuranda verloren hatte, trat er 1861 von der Redaktion zurück. Unter seinem Nachfolger Wiesinger wurde die „Kirchenzeitung“ noch aggressiver und vulgärer in ihrem Antisemitismus. Unter anderem druckte sie regelmäßig eine Rubrik mit dem Titel „Ghettogeschichten“. Auch scheute sie sich nicht vor Ritualmordgeschichten. Trotz ihrer bescheidenen Auflage – Mitte der 1860er Jahre belief sie sich auf ca. 600 Exemplare – erfüllte die „Kirchenzeitung“ eine wichtige und erfolgreiche Brückenfunktion. Durch sie, und vor allem durch die publizistische Regsamkeit Brunners, vermittelte sie die spätmittelalterlichen Vorurteile und den Aberglauben, wie sie durch den barocken Antijudaismus Abraham a Sancta Claras popularisiert wurden, an eine Generation von Journalisten, Geistlichen und Politikern, die im späten 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den neu entstandenen politischen Massenmarkt wirksam mit antiliberalen und antisemitischen Parolen und Programmen bearbeiteten. Ohne ihre Vorreiterarbeit wäre es für → „Das Vaterland“ und die Christlichsoziale Partei schwieriger gewesen, ihren politischen Durchbruch in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu erreichen.

Peter Pulzer

Literatur Paula Klein, Der Antisemitismus in der Wiener Presse von 1848–1873, phil. Diss. Wien 1938. Hans Novogratz, Sebastian Brunner und der frühe Antisemitismus, phil. Diss. Wien 1979.

Wiener Neueste Nachrichten (Österreich, 1894–1919; 1925–1945) Die „Wiener Neuesten Nachrichten“ sind am 12. November 1894 erstmals unter dem Titel „Montagsblatt – Unabhängiges Organ für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen des christlichen Volkes in Österreich“ erschienen. Schon zur Zeit ihrer Gründung waren unter dem damaligen Herausgeber A. Regner antisemitische Züge zu erkennen. Der große Inseratenteil war mit Parolen wie „Christen, kauft nur bei Christen“ und „Christliches Volk, unterstütze deine Presse“ gespickt. Im Vordergrund stand das politische Ressort mit seinen ausführlichen Leitartikeln. Eine der zentralen Forderungen stellte von jeher der „Anschluss“ an Deutschland dar. Im Laufe seines Bestehens wechselte das Blatt mehrmals Format und Titel („Montagfrühblatt der Wiener Neuesten Nachrichten“, „Neues Montagsblatt“, „Wiener Montagblatt“). Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs klar christlichsozial, also das Lager Karl Luegers (1844–1910) unterstützend, tauchten in Leitartikeln neben antisemitischen Positionen auch kritische Standpunkte gegenüber Georg von Schönerer auf.

Wiener Neueste Nachrichten (Österreich, 1894–1919; 1925–1945)

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Während des Ersten Weltkriegs beschränkte man sich politisch auf eine habsburgischpatriotische Berichterstattung, um unmittelbar nach Ende des Krieges wieder mit der Verbreitung von judenfeindlicher Polemik aufzufallen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt blieb auch die Sozialdemokratie von herber Kritik nicht verschont. Am 30. Oktober 1925 wurden die „Wiener Neuesten Nachrichten“ von Richard Wilhelm Polifka (1883–1958) als Morgenblatt der Großdeutschen Volkspartei im Umfang von 16 Seiten neu gegründet. Herausgeber, Eigentümer und Verleger war Leopold Weigl für die Wiener Neueste Nachrichten Verlags-AG. Ab den frühen 1930er Jahren den faschistischen Heimwehren gegenüber sehr positiv eingestellt, verzeichnete die Auflagenstärke nun einen stetigen Anstieg. So wurde diese 1930 mit 26.000–32.000 beziffert und hatte sich zwischen 1935 und 1938 auf bis zu 50.000 nahezu verdoppelt. Das Gros der Kernleserschicht stellte der Mittelstand dar. Die „Wiener Neuesten Nachrichten“ wurden zumindest bis 1932 von Zeitgenossen unterschiedlich rezipiert. Von überparteilich bis deutschnational reichte die Palette der Darstellung. Allerdings gab es zwischen 1927 und 1932 ausnahmslos Wahlempfehlungen für die Großdeutsche Volkspartei. Ab 1933 wurden die „Wiener Neuesten Nachrichten“ massiv von den Nationalsozialisten geprägt. Mit der Übernahme durch den Regierungskommissär Leonhard Olscha im Jahr 1934 geriet aber die austrofaschistische Regierungslinie in den Vordergrund: Hitler gegenüber war man nicht per se negativ eingestellt, allerdings wurden die österreichischen Nationalsozialisten zur „Vernunft gemahnt“, vor allem nach dem Attentat auf Engelbert Dollfuß (1892– 1934). Immer wieder wurde der Antisemitismus offen zur Schau getragen, wie im Dezember 1934, als auf die historische Bedingtheit des Antisemitismus hingewiesen wurde, der weit in die Antike rückdatiere. Festgehalten wurde auch, dass aufgrund seiner längeren Existenz der Antisemitismus kein Produkt des Nationalsozialismus sei. Schuld am Antisemitismus seien vielmehr die Juden selbst. Ein besonders beliebtes Angriffsziel war die „jüdische Hetzpresse“ die europaweit Lügen verbreite und somit eine Bedrohung für Deutschland (bzw. Österreich) darstelle. In den Wochen rund um den „Anschluss“ erschienen im Zuge der Propaganda für ein „Ja“ bei der Volksabstimmung im März 1938 fast täglich antijüdische Artikel. Die „Wiener Neuesten Nachrichten“ wurden am 16. September 1938 vom Morgenzum Abendblatt umgestellt. Walter Petwaidic [Deckname: Fredericia, Petwaidic-Fredericia], der bereits 1925 für die „Wiener Neuesten Nachrichten“ als Redakteur tätig war, und diese Funktion nach einer Unterbrechung als Auslandskorrespondent auch zwischen 1931 und 1934 innehatte, wurde in die Redaktion der „Wiener Neuesten Nachrichten“ entsandt. Sein Auftrag war offensichtlich, die Zeitung auf Linie der NSDAP zu bringen, der er bereits 1933 beigetreten war. Die „Wiener Neuesten Nachrichten“ sollten nun neben dem „Völkischen Beobachter – Wiener Ausgabe“, der als Parteiblatt der NSDAP ein Morgenblatt war, zusätzlich als ein Abendblatt der Partei dienen. Anlässlich der Novemberpogrome 1938 wurde berichtet, „dass das Judenproblem vor der Lösung“ stehe. Auch wurde die antisemitische Gangart verschärft, und die Zeitung druckte immer mehr antisemitische Karikaturen ab. Die „Wiener Neuesten

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Die Wucherpille (1882–1886)

Nachrichten“ erschienen bis 5. April 1945 und gehörten damit zu einer der letzten Wiener Tageszeitungen, die das Erscheinen einstellte.

Sandro Fasching

Literatur Maria Mesner, Margit Reiter, Theodor Venus, Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945, Innsbruck, Wien 2007. Kurt Paupié, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959, Band 1, Wien, Stuttgart 1960. Egon Raisp, Die Wiener Tagespresse 1848–1950. Versuch einer Typologie, phil. Diss., Wien 1952.

Wtorschenije bes oruschija → Sowjetische „antizionistische“ Publikationen

Die Wucherpille (1882–1886) Die Wochenzeitschrift „Wucherpille“, eine der lokalen Publikationen des organisierten Antisemitismus, erschien von November 1882 bis 1886 im Mainzer Verlag von Wilhelm Emanuel Windecker, der auch als Redakteur des Blatts fungierte. Von Mainz aus, das auch nach einer Fusion mit der Liegnitzer „Patriotischen Zeitung“ Publikationsort blieb, wurde die „Wucherpille“ über in der Zeitschrift angegebene Filialen in das Umland verbreitet. Die vierseitige Monatsbeilage „Der Jux“ steuerte den Textbeiträgen antisemitische Karikaturen bei. Neben kurzen literarischen Texten und Kurzmeldungen mit regionalem und überregionalem Bezug enthielt die „Wucherpille“ auch längere Berichte über antisemitische Versammlungen und einschlägige Prozesse. Häufig handelte es sich um Wiederveröffentlichungen aus den ebenfalls antisemitisch ausgerichteten Periodika → „Die Wahrheit“ (1880–1885) und → „Der Kulturkämpfer“ (1880–1885/86), auch des → „Österreichischen Volksfreunds“ (1881–1897). Bereits in der ersten Probenummer im November 1882 wurde das „Manifest des internationalen antijüdischen Kongresses in Dresden“ von Victor von Istóczy abgedruckt, das eine Dehumanisierung von Juden mit einer von ihnen ausgehenden Bedrohung und einem jüdischen Überlegenheitsgefühl zu legitimieren suchte und Dokument eines rassistischen Antisemitismus ist. Juden werden hier als „fremde Race“ und als „Erbfeind“ bezeichnet und als Herrscher u. a. über Bauern, Großgrundbesitzer, Fabrikanten, Handwerker und Kaufmänner dargestellt. Programmatische Texte des Blatts forderten, Juden zur körperlichen Arbeit in Landwirtschaft und Handwerksberufen zu zwingen: „Wollen die Juden, daß wir ihre Race schätzen lernen, so müssen sie uns den Beweis erbringen, daß sie wirklich die gleichen Fähigkeiten wie die christlichen arischen Völker besitzen.“ (September 1885) In der Zeitschrift ist deutlich die Verwendung der Begriffe „arische Rasse“ und „Germanentum“ in der ersten Hälfte der 1880er Jahre in populären Diskursen aus dem Umfeld des organisierten Antisemitismus dokumentiert. Als Autoren sind der Berliner antisemitische Agitator Ernst Henrici und – unter seinem Pseudonym Dr. Capistrano – Otto Böckel zu nennen. In der Regel bleiben jedoch die Autoren und Zeichner der hier veröffentlichten Bild- und Textbeiträge anonym.

Ziel und Weg (1931–1945)

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Die Karikaturen des „Jux“, 1883 im gleichen Verlag auch separat publiziert in einem „Bilderalbum“, greifen eine Vielzahl antisemitischer Motive auf wie die Unmöglichkeit einer Assimilation am Beispiel tanzender Juden in Tiroler Tracht, die „jüdische Geldherrschaft“ mit einem „Geldjuden“, dessen Treiben die Germania um ihren Thron gebracht hat, aber auch mit Tiervergleichen und Darstellungen von sexuell aufdringlichen Juden, die sittsame Christinnen belästigen. Auf den Anzeigenseiten der „Wucherpille“ wurde für Broschüren und Zeitschriften, den antisemitischen Volkskalender „Kehraus!“ (→ Kehraus-Kalender), aber auch für „antisemitische Weihnachtsgeschenke“ wie das Gesellschaftsspiel „Itzig’s Fahrten“, „antisemitische Spielkarten“ und Medaillen mit antisemitischen Motiven, aber auch mit den Porträts des Kaisers, Bismarcks und Martin Luthers geworben. Mit ihrer populistischen Strategie richtete sich die „Wucherpille“ vor allem an Handwerker und Bauern, die wegen der Verschlechterung ihrer ökonomischen Situation bereits in den 1870er Jahren begonnen hatten, sich in Berufsverbänden zu organisieren. Das Blatt wandte sich jedoch auch an die immer wieder direkt angesprochenen „christlichen Arbeiter“. Die regionale Bekanntheit bestätigt ein Artikel in der Frankfurter Zeitung, auf den die „Wucherpille“ mit einem Extrablatt reagierte. Nach ihrer letzten Nummer erscheint auch in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ ein kurzer Hinweis auf das Blatt, das nun „sanft entschlafen“ sei.

Regina Schleicher

Literatur Hans Berkessel, Antisemitische Presse in einer ländlichen Region: Die Mainzer Wochenzeitung „Die Wucherpille“ (1882–1886), in: Gideon Botsch u. a. (Hrsg.), Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim, Zürich, New York 2010, S. 29–42. Hans Berkessel, Früher Antisemitismus im Kaiserreich am Beispiel der Mainzer Wochenzeitung „Die Wucherpille“, in: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer 70 (2005), S. 60–83. Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im Deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main u. a. 2009.

Zeitschrift für Geistes- und Glaubensgeschichte → Volk im Werden

Ziel und Weg (1931–1945) Die Zeitschrift „Ziel und Weg“ erschien seit 1931 als Organ des NS-Ärztebundes. Seit 1933 war die halbmonatlich erscheinende Zeitschrift wichtiger Debattenort und Sprachrohr der „nationalsozialistischen Revolution in der Medizin“. Die nationalsozialistischen Projekte des NS-Regimes auf gesundheitspolitischem Gebiet, wie Eugenik, Sterilisationsgesetzgebung, Rassepolitik („rassisches Erwachen“) und der Ausschluss der „Fremdrassigen und Juden“ aus der Ärzteschaft wurden in vielen Artikeln und Meldungen aufgegriffen. Antisemitische Aufsätze bzw. Beiträge über die „Judenfrage“ oder entsprechende Kurzmeldungen finden sich in „Ziel und Weg“ durchgängig.

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Zur Judenfrage (Karl Marx, 1843)

Artikel wie „Arzt und Judenfrage“ oder „Rassen und Rassenmischungen im deutschen Volk und ihre Bedeutung für den Arzt“ sollten auch Argumente für die ideologische Beeinflussung der Ärzteschaft liefern. Gelegentlich wird – zumindest im Jahr 1933 – beklagt, dass es noch Kritik an antisemitischen Auffassungen gebe, dass man „noch heute in intellektuellen Kreisen auf Widerstand und Missverständnisse“ stoße, wogegen mit weltanschaulicher Erziehung vorgegangen werden müsse. Das Verhältnis zwischen jüdisch und deutsch sei keines der Konfession oder Religion, sondern eine von „Rassegegensätzen“. Zum Ziel nationalsozialistischer Politik wird offen eine „Neuordnung der Lebensverhältnisse zwischen Deutschen und Juden“ erklärt, die „nur in der völligen Ausscheidung und Ausmerzung des Judentums aus dem deutschen Volkskörper bestehen kann“. Dies sei die zwingende Folge aus „der Erkenntnis der Fremdheit und Andersrassigkeit“ und aus dem „Wiedererwachen rassischen Bewusstseins“. Seit 1939 wurde die Zeitschrift unter dem Titel „Die Gesundheitsführung. Ziel und Weg“ als Monatsschrift gemeinsam mit dem Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP weitergeführt. Sie widmete sich vorrangig der ideologischen Begleitung des Krieges. Häufig sind programmatische Beiträge des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti. Hinzu kommen Aufsätze zu Ernährung, zur Leistungsmedizin oder zur Gesundheitssituation verbündeter Länder. Aufsätze zur „Judenfrage“ werden weniger, fehlen aber nicht. So berichtet „Gesundheitsführung. Ziel und Weg“ 1941 über die Gründung des Institutes zur Erforschung der Judenfrage und fordert: „Der Halbjude muß wie der Volljude behandelt und der Vierteljude in der Weitergabe seines bastardisierten Blutes so eingeengt werden, dass er keine Gefahr für die Erhaltung des rassischen Wertes der europäischen Völker bildet.“ Und offen vernichtungsantisemitisch heißt es dort: „Eine Gesamtlösung der Judenfrage“ müsse „mit der radikalen Entfernung der Juden enden“. Die letzten Ausgaben von „Die Gesundheitsführung. Ziel und Weg“ erscheinen 1945. Gegen Ende des Krieges füllen vor allem Durchhalteartikel die dünner gewordenen, z. T. als Doppelnummern erscheinenden Hefte. Zu den Autoren von „Ziel und Weg“ bzw. „Die Gesundheitsführung. Ziel und Weg“ zählten viele führende Funktionäre aus dem NS-Ärztebund, dem Hauptamt für Volksgesundheit und weiterer Institutionen, aber auch renommierte Mediziner angesehener Kliniken und Universitäten. Seit 1941 hatte die Schriftleitung der fanatische NS-Arzt Rudolf Ramm inne, der schon 1940 die Redaktion des „Deutschen Ärzteblatts“ übernommen hatte. Dort wurde von ihm sogar eine ständige Rubrik „Lösung der Judenfrage“ eingerichtet.

Christoph Kopke

Zionistische Protokolle → Die Protokolle der Weisen von Zion

Zur Judenfrage (Karl Marx, 1843) Karl Marx (1818–1883), der bedeutendste und einflussreichste Theoretiker des internationalen Sozialismus, schrieb „Zur Judenfrage“ 1843 als Antwort auf Bruno Bauer (→ Die Judenfrage) und betonte darin im Gegensatz zu diesem, der Kampf um die

Zur Judenfrage (Karl Marx, 1843)

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Herbeiführung demokratischer Verhältnisse verlange weder von Juden noch von Christen, ihre Religion aufzugeben. Die Abhandlung erschien im folgenden Jahr in der einzigen Ausgabe der „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ in Paris. Marx wollte das von Bauer auf theologischer Ebene behandelte Problem auf die weltliche Ebene verschieben und wählte als Gegenstand seiner Untersuchung „nicht den Sabbatjuden, [...] sondern den Altagsjuden“. Marx identifizierte den „weltlichen Grund“ des Judentums mit „praktischem Bedürfnis“ und „Eigennutz“, den „weltlichen Kultus“ des Juden mit „Schacher“, den „weltlichen Gott“ mit „Geld“. Er folgerte, dass „die Emanzipation vom Schacher und Geld, also vom praktischen, realen Judentum“ notwendigerweise „die Selbstemanzipation unserer Zeit“ sei. Dieser Schluss folgte dem Gedanken, dass der – als jüdisches Charakteristikum angesehene – Eigennutz die praktische Nutzanwendung des Rechtes auf Eigentum sei. Marx erkannte dabei durchaus, dass nicht ausschließlich Juden die Wesenszüge der bürgerlichen Gesellschaft verkörperten. Die historische Entwicklung habe zur Übertragung der handelskapitalistischen Tätigkeit von Juden auf Christen geführt; oder, wie Marx es in seiner junghegelianischen Diktion beschrieb: „Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.“ In dieser frühen Marxschrift klingt somit bereits ein Axiom sozialistischer Theorie und Politik an, dass nämlich die Emanzipation der Juden eine Emanzipation der Menschen von jener Gesellschaft verlangt, die die Ausbeutung und Unterdrückung fortschreibt. Die Schrift erfuhr jedoch auch Kritik, so besonders durch Edmund Silberner, der Marx als Schlüsselfigur einer antisemitischen Tradition im modernen Sozialismus sah. Doch auch kritische Marxisten wie Werner Blumenberg und Enzo Traverso betonten, dass Marx seinen eigentlichen Anspruch, die Judenfrage zu analysieren, nicht eingelöst habe, da er zwar die dialektisch-materialistische Methode bereits „rein logisch handhabt“ (Blumenberg), das Thema aber von den historischen und sozialen Bedingungen der Juden seiner Zeit isoliert behandelte. Zwar entsprach die Frage nach dem „praktischen, realen“ Judentum der Marxschen Methode, aber seine Antwort, in der er das „wirkliche Judentum“ pauschal an Voraussetzungen und Erscheinungsformen des Kapitalismus band, bewegte sich lediglich im Rahmen damaliger Urteile und Vorurteile, die eine historische Ausnahmesituation ungeprüft auf die generelle Lage der Juden im kapitalistischen Europa übertrugen. Die nachweisbare Tatsache, dass ein Großteil der Juden sogar in Deutschland während des 19. Jahrhunderts keineswegs in der Zirkulationssphäre und bei der Kapitalakkumulation führend tätig war, spielte bei Marx keine Rolle. Daher ist sein damals verwendeter Begriffsapparat als Erklärungsmodell der bürgerlichen Gesellschaft bestenfalls bedingt nutzbar. „Jude“ und „Judentum“ dienten zwar als soziale Symbole der auf Privateigentum und Konkurrenz beruhenden Gesellschaft, aber gerade diese Symbole waren kaum geeignet, den Blick für die kapitalistische Realität zu schärfen. Marx sah damals im Geld und im Handel nicht nur das Wesen des Judentums, sondern vor allem den Kern der bürgerlichen Gesellschaft; was nicht nur als eine falsche Analyse der „Judenfrage“, sondern auch als eine „prämarxistische Auffassung des Kapitalismus“ (Enzo Traverso) gesehen werden muss. Die Schwächen der Marxschen Darlegungen entsprangen jedoch auch seiner Unterschätzung der politischen Rolle kleiner

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Zur Judenfrage (Karl Marx, 1843)

Völker, ein Fehlurteil, das er mit Engels teilte und weitgehend von Hegel übernommen hatte. Bei der Diskussion dieser Frage wird oft übersehen, dass Marx anderthalb Jahrzehnte nach seiner Schrift „Zur Judenfrage“ implizit den Gedanken verwarf, dass der Kult des Geldes eine spezifisch jüdische Besonderheit sei. In einer Max Weber vorweggenommenen Passage der „Grundrisse“ heißt es: „Der Geldkultus hat seinen Ascetismus, seine Entsagung, seine Selbstaufopferung – die Sparsamkeit und Frugalität, das Verachten der weltlichen, zeitlichen und vergänglichen Genüsse; das Nachjagen nach dem ewigen Schatz. Daher der Zusammenhang des englischen Puritanismus oder auch des holländischen Protestantismus mit dem Geldmachen.“

Mario Keßler

Literatur Werner Blumenberg, Karl Marx mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1962 (Neuauflage 1989). Edmund Silberner, Sozialisten zur Judenfrage. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialismus vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1914, Berlin [West] 1962. Enzo Traverso, Die Marxisten und die jüdische Frage. Geschichte einer Debatte (1843– 1943), Mainz 1995.

783

Autorenverzeichnis – Band 6 Aicher, Martina – Historikerin und Slawistin, Doktorandin am Institut für Geschichte der Universität Wien, Österreich Albrecht, Henning – Historiker, Fachbereich Sozialökonomie, Universität Hamburg Alvarez, María Ximena – Historikerin, Doktorandin am Lateinamerika Institut der Freien Universität Berlin Andersson, Lars M. – Historiker, Department of History, University of Uppsala, Schweden Arnhold, Oliver – Religionspädagoge, Lehrer am Christian-Dietrich-Grabbe-Gymnasium in Detmold und Lehrbeauftragter für Religionspädagogik an der Universität Bielefeld Bădescu, Gabriela – Doktorandin am Fachbereich Philosophie der Universität Bukarest, Rumänien Bak, Sofie Lene – Historikerin, The SAXO Institute, Faculty of Humanities, Copenhagen University, Kopenhagen, Dänemark Banu, Luciana – freie Wissenschaftlerin, Jüdische Studien, Bukarest, Rumänien Bartikowski, Kilian – Historiker, DAAD Lektor, Department of European Languages and Cultures, Lancaster University, Großbritannien Benz, Angelika – Historikerin, Doktorandin an der Humboldt Universität zu Berlin Benz, Ute - Psychotherapeutin, Berlin Benz, Wolfgang – Historiker, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Bergmann, Werner – Soziologe, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Bieber, León E. – Historiker und Politologe, La Paz, Bolivien Birkenmaier, Kristin – Philologin, Berlin Bistrovic, Miriam – Historikerin, Berlin Blaschke, Olaf – Historiker, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Blum, Matthias – Erziehungswissenschaftler und Theologe, Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin Botsch, Gideon – Politikwissenschaftler, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam Bürgi, Markus – Historiker, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich, Schweiz Burmistr, Svetlana – Historikerin, Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Buser, Verena – Historikerin, Berlin

784

Autorenverzeichnis

Bussiek, Dagmar – Historikerin, Fachbereich Sozial- und Kulturgeschichte, Leuphana Universität Lüneburg Cardelle de Hartmann, Carmen – Latinistin, Mittellateinisches Seminar, Universität Zürich, Schweiz Dahl, David L. – Historiker, Institut for Engelsk, Germansk og Romansk, Universität Kopenhagen, Dänemark Damberg, Wilhelm – Kirchenhistoriker, Katholisch-Theologische Fakultät, RuhrUniversität Bochum Degner, Hardy – Historiker, CONOGY GmbH, Berlin Dembeck, Till – Germanist, Laboratoire de linguistique et de la littérature allemande, Université du Luxembourg, Luxemburg Distel, Barbara – Historikerin, München Dörner, Bernward – Historiker, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Dreyer, Michael – Politikwissenschaftler, Institut für Politikwissenschaft, FriedrichSchiller-Universität Jena Ehret, Ramona – Historikerin, Berlin Engstrom, Eric J. – Historiker, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt Universität zu Berlin Enzenbach, Isabel – Historikerin, Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Erb, Rainer – Soziologe, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Falter, Matthias – Politikwissenschaftler, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich Fasching, Sandro – Historiker, Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, Wien, Österreich Fasel, Peter – Historiker, Würzburg Finkenberger, Martin – Historiker, Bonn Fischer, Stefanie – Historikerin, Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Frankel, Richard E. – Historiker, University of Louisiana, Lafayette, USA Fromme, Patricia – Studentin der Judaistik und der Spanischen Philologie mit Lateinamerikanistik, Freie Universität Berlin Füllenbach, Eilas H. – Dominikanerpater, Institut für Kirchengeschichte der Universität Bonn Gailus, Manfred – Historiker, Institut für Geschichtswissenschaften, Technische Universität Berlin Gaubert, Christian – Historiker, Doktorand am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Gebert, Malte – Historiker, Berlin

Autorenverzeichnis

785

Gräfe, Thomas – Historiker, Bad Salzuflen Guillaume, Damien – Historiker, Paris, Frankreich Hagemeister, Michael – Historiker, Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Hampe, Arnon – Politikwissenschaftler, Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Hasdorf, Kerstin – Literaturwissenschaftlerin, Doktorandin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin Hausleitner, Mariana – Historikerin, Privatdozentin am Fachbereich Geschichtsund Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin Hering, Rainer - Historiker, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig Herzig, Arno – Historiker, Hamburg Hilbrenner, Anke – Historikerin, Institut für Geschichtswissenschaften, Abteilung für osteuropäische Geschichte, Universität Bonn Hölck, Lasse – Historiker, Berlin Hördler, Stefan – Historiker, Deutsches Historisches Institut, Washington, USA Hofmeister, Björn – Historiker, Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin Hufenreuter, Gregor – Historiker, Berlin Jahr, Christoph – Historiker, Historisches Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt Universität zu Berlin John, Michael – Historiker und Politikwissenschaftler, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Linz, Österreich Kampling, Rainer – Kirchenhistoriker, Seminar für Katholische Theologie, Freie Universität Berlin Karcher, Nicola – Historikerin, Universität Oslo, Institut for arkeologi, konservering og historie, Oslo, Norwegen Kaufmann, Thomas – Kirchenhistoriker, Lehrstuhl für Kirchengeschichte, Theologische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen Keller, Zsolt – Historiker, Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie, Universität Basel, Schweiz Keßler, Mario – Historiker, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam Kiefer, Michael – Islam- und Politikwissenschaftler, Düsseldorf Kistenmacher, Olaf – Kulturwissenschaftler, Hamburg Koch, Lars – Germanist, Germanistisches Seminar, Universität Siegen Koch, René – Bildender Künstler, Theologe, Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität, Berlin

786

Autorenverzeichnis

Koch, Ursula E. – Kommunikationswissenschaftlerin, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München Körte, Mona – Germanistin und Komparatistin, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin Kopke, Christoph – Politikwissenschaftler, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam Kotowski, Elke-Vera – Historikerin, Moses Mendelssohn Zentrum für europäischjüdische Studien, Potsdam Kretzschmar, Katharina – Historikerin, Doktorandin am Fachbereich Geschichte der Technischen Universität Berlin Kreutzmüller, Christoph – Historiker, Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin Krieger, Karsten – Historiker, Berlin Kury, Patrick – Historiker, Historisches Institut der Universität Bern, Schweiz Lange, Matthew – Historiker, Department of Languages and Literatures, University of Wisconsin-Whitewater, USA Lappin-Eppel, Eleonore – Historikerin, Centrum für jüdische Studien, Karl Franzens Universität Graz sowie Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Wien, Österreich Leicht, Johannes – Historiker, Deutsches Historisches Museum, Berlin Leiska, Christoph – Historiker, Nürnberg Linsler, Carl-Eric – Religions- und Kulturwissenschaftler, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Lohalm, Uwe – Historiker, Hamburg Lokatis, Siegfried – Historiker, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft/Buchwissenschaft, Universität Leipzig Lorenz, Einhart – Historiker, Department of Archaeologie, Conservation and History, University of Oslo, Norwegen Marsovszky, Magdalena – Kulturwissenschaftlerin, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, Hochschule Fulda Meißel, Lukas – Historiker, Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Österreich Mentel, Christian – Historiker, Berlin Metzger, Franziska – Historikerin, Departement für Historische Wissenschaften Zeitgeschichte, Universität Fribourg, Schweiz Metzger, Thomas – Historiker, Departement für Historische Wissenschaften - Zeitgeschichte, Universität Fribourg, Schweiz Moraes, Luis – Historiker, Universidade Federal Rural do Rio de Janeiro, Brasilien Moszynski, Maciej – Historiker, Doktorand am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin

Autorenverzeichnis

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Nanko, Ulrich – Historiker, Markgröningen Oberhauser, Claus – Historiker, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck, Österreich Osterloh, Jörg – Historiker, Fritz Bauer Institut, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Frankfurt am Main Pape, Christian – Historiker und Politikwissenschaftler, Doktorand am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Österreich Pasamonik, Didier – Journalist und Ausstellungskurator, Paris, Frankreich Peham, Andreas – Rechtsextremismusforscher, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Wien, Österreich Plass, Hanno – Historiker, Hamburg Pöttker, Horst – Soziologe, Institut für Journalistik, Technische Universität Dortmund Pomplun, Jan-Philipp – Historiker, Berlin Pulzer, Peter – Historiker und Politikwissenschaftler, All Souls College, University of Oxford, Großbritannien Puschner, Uwe – Historiker, Friedrich-Meineke Institut, Freie Universität Berlin Rásky, Béla – Historiker, Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, Wien, Österreich Reichelt, Katrin – Historikerin, Berlin Reinbold, Wolfgang – Bibelwissenschaftler, Theologische Fakultät, Georg-AugustUniversität Göttingen Rentrop, Petra – Historikerin, Berlin Reynaud-Paligot, Carole – Historikerin, Centre d‘histoire du XIXe siècle Paris 1Paris 4 sowie Université de New York à Paris, Paris, Frankreich Richter, Klaus – Historiker, Postdoc-Research Fellow, History Department, University of Birmingham, Großbritannien Rohn, Hendryk – Historiker, Berlin Rohrbach, Philipp – Historiker, Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien, Wien, Österreich Rusinek, Bernd-A. – Historiker, Forschungszentrum Jülich sowie Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf Salzmann, Alexander – Historiker, Wien Schellenberg, Britta – Historikerin und Politikwissenschaftlerin, GeschwisterScholl-Institut für Politikwissenschaft, Universität München Schleicher, Regina – Kulturwissenschaftlerin, Institut für Romanische Sprachen und Literaturen, Goethe-Universität Frankfurt am Main Schmidt, Alexander – Historiker, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg

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Autorenverzeichnis

Schmidt, Monika – Politikwissenschaftlerin, Kulturprojekte Berlin GmbH, Berlin Schoentgen, Marc – Historiker und Lehrer, Diekirch, Luxemburg Schrader, Stefanie – Historikerin, Neuere Geschichte und Kulturgeschichte, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder Schwarz, Patrick – Mitarbeiter, Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz), Berlin Schwerendt, Matthias – Erziehungswissenschaftler und Pädagoge, Referent der Bundeskoordination von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, Berlin Selig, Wolfram – Historiker, Polling Sieg, Ulrich – Historiker, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg Skenderovic, Damir – Historiker, Seminar für Zeitgeschichte, Universität Fribourg, Schweiz Späti, Christina – Historikerin, Departement für Historische Wissenschaften, Universität Fribourg, Schweiz Strobl, Andreas – Kunsthistoriker, Oberkonservator für die Kunst des 19. Jahrhunderts an der Staatlichen Graphischen Sammlung München Strömsdörfer, Hans – Historiker, Berlin Studemund-Halévy, Michael – Sprachwissenschaftler, Mitarbeiter am Institut für die Geschichte der deutschen Juden Hamburg sowie am Seminar für Romanistik der Universität Hamburg Stutz, Hans – Journalist, Luzern, Schweiz Szpiech, Ryan Wesley – Literaturwissenschaftler, Department of Romance Languages and Literatures and Department of Judaic Studies, University of Michigan, Ann Arbor/Michigan, USA Tesch, Felix – Historiker, Freie Universität Berlin Thoma, Sebastian – Historiker, Berlin Thurau, Markus – Theologe, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Seminar für Katholische Theologie, Freie Universität Berlin Totok, William – Journalist, Berlin Treß, Werner – Historiker, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam Trimbur, Dominique – Historiker, Fondation pour la Mémoire de la Shoah, Paris, Frankreich Ulmer, Martin – Kulturwissenschaftler und Historiker, Tübingen Vetter, Matthias – Historiker, Frankfurt am Main Virchow, Fabian – Politikwissenschaftler und Soziologe, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, Fachhochschule Düsseldorf

Autorenverzeichnis

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Vulesica, Marija – Historikerin, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Wager, Melanie – Historikerin, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg Weber, Elisabeth – Historikerin, Deutsches Historisches Museum, Berlin Wegehaupt, Phillip – Historiker und Philologe, Berlin Weigel, Björn – Historiker, Kulturprojekte Berlin GmbH, Berlin Wenzel, Mario – Historiker, Doktorand am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Wetzel, Juliane – Historikerin, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Wiedemann, Felix – Historiker, Freie Universität Berlin Wiesemann, Falk – Historiker, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Wyrwa, Ulrich - Historiker, Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin Zatlin, Jonathan R. - Historiker, History Department, Boston University, Boston, USA

791

Register der Personen A Abbé Grégoire 704 Abd al-Wahab al-Masiri 10 Abd an-Nasir, Gamal 445 Abner von Burgos → Alfonso von Valladolid Abraham a Sancta Clara 286, 287, 310, 776 D’Ache, Caran 433, 556, 557, 678 Acterian, Haig 104 Acterian, Jeni 104 Adami, Friedrich 392 Adenauer, Konrad 161, 329 Adler, Alexandre 90 Adorno, Theodor W. 410, 507 Agobard von Lyon 8 Ahlwardt, Hermann 114, 240, 241, 336, 337, 419, 668, 678, 750, 751 Ahmadinedschad, Mahmud 136, 418, 650 Aichner, Ferdinand 695 Albertario, Davide 515, 516, 517, 518 Albrecht I. 533 Aldag, Peter 503 Alfons I. von Aragón 152 Alonso de Espina 153, 212, 213, 463 Alfonso von Valladolid 212, 462, 463 Al-Gaddafi, Muammar 163 Al-Masiri, Abd al-Wahab 10, 11 Aljechin, Alexander 381, 382, 383 Allen, Gary 226 Almirante, Giorgio 155 Alpar, Gitta 330 D’Alquen, Gunter 482, 628, 629, 630 D’Alquen, Rolf 629, 630 Altermatt, Urs 43, 344 Althaus, Hans Peter 428 Alverdes, Paul 264 Amann, Max 18, 81, 164, 165, 166, 284, 449, 584, 628, 735, 736 Amaudruz, Gaston-Armand 98, 99, 420, 699 Amin, Idi 656 Amsee, Andreas 343, 344 Andersen, Aage H. 395, 396 Andersen, Friedrich 21, 22, 23, 195 Anderssen, Adolf 382 Anouilh, Jean 46 Antonescu, Ion 104, 223, 547, 603, 604, 615, 616 Apfel, Holger 135, 507 App, Austin J. 110 Apt, Max 34, 35, 36

Arājs, Viktors 688 Arcand, Adrien 242, 243, 244, 529, 530 Arendt, Hannah 364, 554 Armin, Otto 319, 323, 324, 573 Arndt, Ernst Moritz 231, 579, 661 Arnim, Achim von 708, 709, 710 Arnold, Karl 647, 648 Arton, Émile 433 Aschenauer, Rudolf 159 Ascher, Saul 231, 232, 233 Asmussen, Hans 390 Astel, Karl 741 Augustinus 4, 153 Avenarius, Ferdinand 596 Aymé, Marcel 46

B Bab, Julius 330 Baeck, Leo 767 Bäumer, Gertrud 151 Baeumler, Alfred 498, 737, 775 Bachem, Josef 273 Baerwald, Leo 371 Bahr, Hermann 32, 33, 34, 259 Balfour, James Arthur 32, 565 Ballensiefen, Heinz 460, 503 Ballin, Albert 322, 323, 324, 573, 678 Bang, Paul 145, 311, 312, 670 Barbu, Eugen 603 Bardă, Radu 547 Bardèche, Maurice 109, 110, 111, 271, 272, 303 Barmat, Henry 573 Barmat, Isaak 573 Barmat, Julius 573 Barmat, Salomon 573 Barrès, Maurice 300, 557 Barruel, Augustin de 385, 645, 646 Bartels, Adolf 21, 151, 263, 394, 436, 437, 458, 562, 563, 592, 641, 642, 643 Barth, Karl 525 Barth, Theodor 32 Bart-Heyerdahl, Stein 560 Baruch, Bernard M. 416, 653 Bassler, Georg 750 Bauer, Adolf 760 Bauer, Bruno 64, 118, 119, 338, 339, 365, 623, 624, 662, 780, 781 Bauer, Elvira 690, 691

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Register der Personen

Bauer, M. 201, 202 Bauer, Erwin 39 Baumgarten, Otto 525 Baur, Erwin 295 Baur, Friederike 181 Bavink, Bernhard 339 Bebel, August 32, 354, 562, 659, 660 Bebenburg, Franz Freiherr Karg von 438 Beck, Josef 491, 617, 618 Becker, Fritz 424 Beek, Gottfried zur 714 Beer, Georg 194 Beer, Natalie 424 Begun, Wladimir 656 Behrendt, Bernd 597 Behrens, Eduard 614 Behrens-Totenohls, Josefa 187 Below, Georg von 145 Benda, Ernst 133 Benedikt, Ernst 489 Benedikt, Moriz 489 Benn, Gottfried 9 Bennett, Richard B. 243 Benoist, Alain de 110, 111, 136, 144, 245, 388 Berchtold, Joseph 611 Berendt, Martin 406 Berg, Wilhelm 26 Berge, Hermann von 76 Bergengruen, Werner 264 Berger, Oscar 125 Bergmann, Ernst 498 Bergmann, Werner 706 Bergner, Elisabeth 330 Bernhardi, Wolfgang 407 Bernier, Georges 89 Bernold, Patrick 344 Bernoulli, Carl Albrecht 614 Bernstein, Eduard 540 Bernstein, Fritz 379 Bertram, Adolf Kardinal 454 Bertram, Georg 93 Besant, Annie 32 Besson, Marius 504 Best, Werner 396 Beste, Konrad 264 Bethmann Hollweg, Theobald von 140, 145, 675 Beust, Ludolf 683 Bewer, Max 195, 240, 241, 543, 544, 596 Beyer, Hermann 60, 179, 257 Beyer, Sepp 434 Biallas, Hans 36

Bichlmair, Georg 402 Binder, Franz 273, 274 Binet, René 98 Bini, Venanzio 95, 96 Binz, Gerhard L. 482 Bismarck, Otto von 21, 79, 80, 127, 129, 209, 210, 224, 240, 345, 405, 406, 414, 418, 419, 421, 458, 480, 481, 544, 550, 551, 562, 588, 596, 622, 638, 675, 751, 753, 779 Björnson, Björnsterne 32, 33 Blancbois, Jean Conrad Rodolphe 406 Blanke, Fritz 412 Bleichröder, Gerson 80, 211, 336, 419 Bloch, Carl 357 Bloch, Eduard 435 Bloch, Ernst 580 Bloch, Joseph Samuel 156, 157 Blos, Wilhelm 750 Blüher, Hans 596 Blümich, Max 383 Blum, Agnes 38 Blum, Léon 2, 301, 644 Blum, René 476 Blumenberg, Werner 781 Blunck, Hans Friedrich 263, 561, 755 Bode, Wilhelm 595 Bodenstedt, Franz 685 Böckel, Otto 114, 252, 316, 317, 318, 398, 422, 440, 585, 586, 750, 751, 778 Bøgebjerg, Rasmus 106 Böhme, Herbert 158, 159, 755 Böjti, Csaba 58 Boepple, Ernst 294, 479, 762 Boetticher, Wolfgang 430 Bohlinger, Roland 727, 728 Bolschakow, Wladimir 655 Bonifacius, Winfried 76 Bonnet, Charles de 537 Bonnier, Knut Felix 242 Borgius, Walther 542 Bormann, Martin 356 Bosse, Georg Albert 574 Bournand, François 41 Boxler, Carl 491, 492, 617 Bräunlich, Paul 511 Brafman, Jakov 41, 407, 408, 409 Brandeis, Louis 653 Brandenberg, Karl F. 632 Brandes, Edvard 693 Brandes, Ernst 663 Brandes, Georg 395, 396 Brandler, Heinrich 605

Register der Personen Brandt, Erwin 761 Brandt, Rudolf 630 Brasillach, Robert 47, 109, 110, 271, 272, 301, 302, 303, 387 Brattelid, Kristin 484 Brehm, Bruno 424 Brendel, Franz 367 Brentano, Clemens von 534, 535, 708 Brentano, Lujo 333 Breschnew, Leonid 658 Březnovský, Václav 41 Brigl, Bernhard 685 Briman, Aron 77 Broca, Paul 185 Brod, Max 9 Bronnen, Arnolt 775 Bruckmann, Elsa 458 Bruckmann, Hugo 458 Brückner, Hans 430 Brüning, Claudia 59 Brüning, Heinrich 263, 264 Bruhn, Wilhelm 668, 669 Brunner, Sebastian 250, 663, 775, 776 Brunøe, Hans Peter 106, 107, 483 Brunstäd, Friedrich 170 Bruyne, Edgar de 400 Buber, Martin 500 Bucher, Lothar 330 Buchheim, Hans 500 Buchholz, Friedrich 269, 461, 462 Budak, Mile 285 Büxenstein, Georg 139 Buffon, Georges 537 Buhmann, Hans K. E. 541 Burckhardt, Jacob 335 Burg, Joseph G. 154 Burgdörfer, Friedrich 211 Burkard, Dominik 249, 251 Burte, Hermann 195 Busch, Wilhelm 200 Buschkowsky, Heinz 389 Bush, George 604 Butler, Samuel 278 Butz, Arthur R. 55, 111, 296, 297, 298, 309, 446, 731 Buzatu, Gheorghe 603, 604

C Calé, Walter 379 Cameron, William J. 108, 288 Camus, Jean-Yves 109 Caprivi, Leo von 241, 544

793

Cariers, Emmanuel 476, 477 Carlberg, Carl Ernfrid 485 Carol II. 103, 636 Carr, William Guy 226 Carto, Willis 308, 309 Cartojan, N. 486 Cassel, Selig Paulus 365 Cavanna, François 89 Céline, Louis-Ferdinand 41, 47, 301 Cesereanu, Ruxandra 546, 547 Chabauty, Emmanuel Augustin 29, 385, 386 Chack, Paul 47 Chagall, Marc 654 Challaye, Félicien 46 Chamberlain, Eva 458 Chamberlain, Houston Stewart 22, 62, 63, 124, 129, 132, 145, 151, 177, 185, 191, 236, 247, 248, 259, 266, 294, 333, 469, 482, 545, 562, 568, 670, 683, 765, 767 Chamisso, Albert von 744 Chaplin, Charlie 192, 272, 327, 330 Chendi, Ilarie 613 Chirac, Auguste 29 Cholewa von Pawloikowski, Konstantin Ritter 67 Christensen, Lorenz 692, 693, 694 Christophersen, Thies 50, 51, 52, 53, 58, 59, 99, 110, 154, 309, 420 Chrysostomus Dudulaeus Westphalus 744 Churchill, Winston 82, 132, 201, 254, 528 Cipriani, Lidio 156 Cioran, Emil 104, 619, 620 Clasen, Lorenz 161 Claß, Heinrich 13, 139, 140, 145, 147, 151, 294, 520, 763, 764, 765 Claudius, Hermann 264 Clauß, Ludwig Ferdinand 563, 564, 566, 727 Clemenceau, Georges 46, 431, 557 Clémenti, Pierre 98 Cluseret, Gustave Paul 33 Cochin, Augustin 610 Codreanu, Corneliu Zelea 163, 530, 531, 637 Cohl, Emile 433 Coja, Ion 604 Coleman, John 409, 410, 411, 433 Conti, Leonardo 780 Coogan, Jackie 373 Cooper, William 226 Coşbuc, George 613 Cossmann, Paul Nikolaus 675, 676 Coston, Henry 110, 216 Coty, François 47

794

Register der Personen

Coughlin, Charles Eduard 652, 653 Cousteau, Pierre-Antoine 301, 302 Crainic, Nichifor 222, 223, 546, 636, 637 Cramer, Johann Andreas 497 Cremer, Christoph 229 Cremer, Joseph 27 Crémieux, Adolphe 216 Crevedia, N. 546, 636 Cucu, D. I. 222 Cuza, Alexandru C. 104, 223, 524, 530, 546, 636, 537, 761 Cyprian von Karthago 3, 5 Czermak, Emmerich 513, 514

D Daab, Friedrich 186 Daell, P. M. 396 Däniker, Gustav 699 Daim, Wilfried 519, 520 Darnand, Joseph 302 Darquier de Pellepoix, Louis 2, 213, 214, 215, 216 Darré, Walther 295, 741, 742, 755 Darwin, Charles 184, 553 Daubitz, R. F. 668 Daudet, Alphonse 32, 33 Daudet, Léon 1, 2 Dawes, Charles 291 Debeliak, Josef 761 Deckert, Günter 159, 427, 575, 650, 667 Deckert, Joseph 240 Decurtins, Caspar 617 Degas, Edgar 556 Degrelle, Léon 636 Dehio, Ludwig 277 Dehmel, Richard 562 Dehoust, Peter 473 Delanoë, Bertrand 90 Delassus, Henri 646 Delbrück, Hans 551, 552 Delitzsch, Friedrich 194, 195 Destouches, Louis Ferdinand → Céline, LouisFerdinand Diebow, Hans 192, 193, 326, 327 Diederichs, Eugen 185, 186, 187 Dienemann, Max 306 Diers, Marie 151 Dietrich, Otto 165 Dietz, Johann Heinrich Wilhelm 749, 750 Diewerge, Wolfgang 19, 20, 714 Dilke, Sir Charles Wentworth 32 Dinter, Artur 20, 143, 195, 670, 683

Disraeli, Benjamin 277 Diwald, Hellmut 666 Dmowski, Roman 723 Dobers, Ernst 131, 132, 341, 342, 343 Doehring, Bruno 686 Dohm, Christian Wilhelm von 702, 703, 704, 705, 768 Dohm, Ernst 405 Dollfuß, Engelbert 399, 777 Domes, Fred 561 Doriot, Jacques 46, 47, 302 Dormoy, Marx 46 Dorn, Horst 355 Dostojewski, Fjodor 40 Douglas, William 276 Drexel, Albert 492 Drexel, Joseph E. 774, 775 Drexler, Anton 643 Dreyer, Max 686 Dreyfus, Alfred 3, 101, 102, 214, 217, 298, 299, 300, 387, 432, 434, 517, 553, 556, 557, 678 Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr von 273 Drumont, Édouard 1, 23, 24, 30, 33, 97, 101, 174, 214, 215, 216, 217, 259, 298, 300, 301, 317, 384, 387, 431, 432, 433, 516, 670, 724 Dubnow, Simon 413 Duca, Ion Gheorghe 103, 222, 636 Dühring, Eugen 114, 178, 258, 259, 317, 345, 346, 347, 348, 349, 413, 623, 624, 754 Dürr, Dagobert 16, 713 Duke, David 650 Dumas, Alexandre 40 Duncker, Max 550 Duperron, Abbé Gaston 761 Duprat, François 98, 110, 111 Dvorak-Stocker, Ilse 424, 425 Dvorak-Stocker, Wolfgang 425 Dwinger, Erwin Erich 186 Dyck, Hermann 200

E Eberle, Josef 81, 617, 618, 625, 626, 671 Ebersberg, Ottokar Franz 398, 694 Ebner, Meyer 523, 524 Eck, Johannes 7, 8, 259 Eck, Klaus 453, 454 Eckart, Dietrich 42, 72, 73, 74, 75, 107, 165, 283, 384, 735 Ecker, Jakob 194 Eckhardt, Tibor von 761

Register der Personen Eco, Umberto 41 Edenholm, E. D. 734 Edzard, Esdras 376 Egel, Siegfried 276 Eggers, Olga 395, 396 Eher, Franz Xaver Joseph 19, 81, 187, 192, 290, 327, 380, 449, 481, 503, 584, 611, 628, 635, 713, 735, 763 Ehmer, Wilhelm 680 Ehrenburg, Ilja 254, 654, 695, 696, 697 Ehrenfreund, Isidor 700 Eichmann, Adolf 159, 160, 235, 452, 654 Einstein, Albert 192, 329, 373, 591, 695, 696 Eisenbeiß, Hans 673 Eisenhut, Hermann 168 Eisenhuth, Heinz-Erich 93 Eisenmenger, Johann Andreas 67, 171, 172, 173, 231, 260, 663, 687, 770 Eiser, Otto 177 Ekkehard, Erich 642 Ekstam, Niklas 242 Eliade, Mircea 104 Ellwanger, Siegfried 163 Emery, Lucien 433 Eminger, Edmund 577 Eminescu, Mihai 530 Enacovici, Titus 103 Ende, Rudolf 607 Engdahl, Per 98 Engel, Heinrich 588 Engelhardt, Eugen Freiherr von 761 Engels, Friedrich 345, 654, 660, 700, 701, 782 Engelschiøn, Otto Sverdrup 560 Enrique IV. 212 Erb, Rainer 706 Erbt, Wilhelm 131, 738 Erdle, Birgit R. 708, 709, 710 Erdmann, Johann Eduard 581 Eriksson, Elof 483, 484 Ernst, Paul 263, 264 Erzberger, Matthias 291, 322, 329, 419, 453 Esch, Batty 440, 441 Eschelbacher, Max 333 Eschmann, Wilhelm 686 Esser, Hermann 380 Esterházy, Ferdinand Walsin 299, 556 Etienne, Michael 489 Eudes von Châteauroux 180 Euler, Karl Friedrich 93, 593, 594 Euringer, Richard 264 Eusebius 3, 371 Euwe, Max 382, 383

795

Evola, Julius 136, 156, 163, 212, 636 Ewald, Ludwig 577, 703 Eybl, Franz M. 287 Eysenck, Hans-Jürgen 133

F Fahrenkrog, Ludwig 499 Fallersleben, Hoffmann von 27 Fallik, David 523 Farbstein, David 412 Faulhaber, Michael Kardinal von 370, 371, 372, 454 Faure, Félix 556 Faurisson, Robert 54, 59, 99, 110, 111, 154, 163, 298, 309, 420, 426, 427, 636, 649, 650, 731 Faust, Matthias 134 Fauverge, Abel 29 Fechter, Paul 127, 128 Feder, Gottfried 59, 441, 442 Fehrmann, Wolfgang 460, 761 Fehst, Herman 761 Felden, Emil 20, 21 Ferraglia, Aldo 226 Ferri, Enrico 32 Feuchtwanger, Lion 329, 458, 744 Feuerbach, Ludwig 259, 362 Fichte, Johann Gottlieb 26, 129, 151, 231, 232, 259, 354, 448, 579, 580, 581, 582, 661, 718, 753, 769 Fiebig, Paul 261 Fiechter, Jacques-René 504 Fikentscher, Henning 420 Fischer, Cyrill 400 Fischer, Eugen 38, 39, 156, 295, 582, 583 Fischer, Frithjof 503 Fischer, Ruth 9 Fischer, Theodor 166, 167, 168, 211, 212, 491 Fleischhauer, Ulrich 355, 642, 643, 699, 700, 758 Florencourt, Franz von 414 Förster, Bernhard 27, 62, 177, 178 Förster, Paul 62, 112, 114, 177, 317 Foerster, Wilhelm 32 Foitzick, Walter 81 Fontane, Theodor 405, 539 Fontanet, Noël 539 Forain, Jean-Louis 556, 557 Ford, Clara 108 Ford, Edsel 108 Ford, Henry 59, 106, 108, 109, 288, 289, 479, 545, 657, 727, 729

796

Register der Personen

Forel, Auguste 542 Fourier, Charles 386 Franckel, A. 224 Frank, Anne 49, 154, 309, 599, 600 Frank, Hans 383, 482 Frank, Walter 211, 264, 277, 552 Franke, Heinz 713 Frankfurter, David 19, 20 Frankfurter, Felix 416, 653 Frantz, Constantin 5, 6, 62, 64, 209, 210, 211, 480, 481 Freda, Franco 163 Frenssen, Gustav 195 Freud, Sigmund 591 Freiman, A. J. 529 Frey, Gerhard 132, 133, 506 Frey, Thomas 178, 257, 624 Freyberg-Eisenberg, Freiherr M. J. 274 Frick, Wilhelm 39, 459, 568, 761 Friebott, Cornelius 739, 740 Friedländer, David 83, 84, 313, 768, 771 Friedländer, Max 489 Friedländer, Saul 75, 739 Friedrich I. 173 Friedrich II. 533, 664 Friedrich der Freidige 533 Friedrich der Schöne 533 Friedrich, Hans 319 Friedrich, Karl Martin 292 Fries, Jakob Friedrich 267, 360, 663, 703, 705, 706 Frings, Benedikt 650 Fritsch, Eberhard 160, 755, 756 Fritsch, Theodor 21, 31, 38, 41, 97, 106, 112, 113, 114, 129, 149, 151, 178, 179, 193, 194, 195, 236, 252, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 288, 330, 331, 332, 333, 339, 345, 369, 394, 398, 413, 415, 422, 479, 483, 485, 570, 585, 593, 624, 643, 670, 683, 752, 760, 761 Fritz, Ferdinand 757 Fritz, Georg 150, 151, 520, 521, 522 Fritzsche, Hans 552, 755 Frohberg, Paul 71, 72 Fromm, Erich 78 Fromm, Rainer 500 Frymann, Daniel 763 Fuchs, Eduard 647, 648, 677 Fuller, J. F. 761 Funder, Friedrich 590, 591 Funk, Walther 713 Fyrst, Walter 560

G Gabriel, Josef 745, 746 Gala, Antonio 464 Galen, Clemens August Graf von 454, 471 Gall, Lothar 277 Galli, Mario von 343, 344 Gambetta, Léon 216 Gambini, Francesco 96 Gansel, Jürgen W. 134, 159, 507 Garaudy, Roger 227 Garriador, Benedikt 526 Gasoni, Francesco 94 Gaßner, Josef 681, 682 Gaudin, J. A. 529 Gaulle, Charles de 89 Gaxotte, Pierre 300 Geiger, Ludwig 15 Gellert, Christian Fürchtegott 537 Gelpke, Rudolf 614 Gentizon, Paul 98, 99, 699 Gérard, Pierre 215 Gercke, Achim 482 Gerhardt, August 220 Gerhardt, Paul 246 Gerigk, Herbert 429, 430 Gerlach, Ludwig von 414 Geßler, Otto 321, 453 Geyer, Rudolf 145 Gföllner, Johannes Maria 269, 270, 271 Giese, Wilhelm 496 Gigurtu, Ion 223 Ginsburger, Ernst 504 Giordano Bruno 107 Glagau, Otto 31, 69, 70, 71, 72, 112, 225, 259, 317, 353, 394, 421, 422, 585, 638, 717, 720 Glaidt, Oswald 772 Glasenapp, Carl Friedrich 177 Glaser, Johann Carl 64, 662 Gleispach, Wenzel von 514 Glöß, Ferdinand Woldemar 240, 241, 336, 544 Glückstadt, Emil 693 Gobineau, Joseph Arthur Comte de 62, 63, 151, 164, 184, 185, 247, 248, 469, 541, 562, 563, 568, 620, 765 Godet, Frédéric 335 Goebbels, Joseph 16, 17, 18, 19, 81, 120, 122, 144, 160, 165, 192, 211, 227, 234, 235, 282, 290, 291, 292, 327, 404, 405, 458, 465, 468, 469, 552, 584, 713, 760 Goedsche, Hermann Ottomar Friedrich 40, 41, 392, 393 Göhring, Ludwig 428

Register der Personen Göring, Hermann 468, 661 Görres, Guido 273 Görres, Joseph 273, 274, 776 Goethe, Johann Wolfgang von 21, 28, 75, 107, 204, 259, 266, 312, 537, 744, 753 Goga, Octavian 524, 613, 637 Goglu, Émile 243 Goldschmidt, Jacob 291, 330 Goldstücker, Eduard 656 Goltz, Rüdiger Graf von der 145 Goma, Paul 615, 616 Gonzalo de Santa María 532 Goppers, Miķels 55 Gorki, Maxim 436 Gougenot des Mosseaux, Henri Roger 96, 216, 383, 384, 385, 516 Grabert, Herbert 144, 182, 244, 755 Grabert, Wigbert 55, 144, 145, 244, 245 Graefe, Albrecht von 137, 721 Graeter, Albert 614 Graetz, Heinrich 75, 116, 269, 771 Grätz, Theodor 201 Grävell, Harald 511, 519 Graf, Jürgen 284, 285, 420, 649 Graml, Hermann 182 Gramsci, Antonio 388 Grant, Madison 502, 761 Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich 173, 267, 269, 315, 663, 768, 769, 770, 771 Grau, Wilhelm 211, 277 Grebst, Willy Åson 729 Gregor IX. 180 Gregor von Tours 376 Gregorian, Al. 636 Greiser, Josef 622 Griese, Friedrich 263, 264 Grimm, Friedrich 761 Grimm, Hans 158, 263, 264, 739, 740, 755 Grimm, Jacob 128 Gröning, Martin 44 Grosbergs, V. 688 Groß, Hans Kurt 60 Gross, Jules-Ernest 504, 505 Gross, Walter 39 Grossman, Wasili 695, 696, 697 Grousilliers, Hector de 397, 398, 752 Gruber, Max von 39, 145 Grumbach, Salomon 46 Grundmann, Walter 77, 92, 93, 123, 174, 175, 195, 303, 304, 593, 594, 733, 734 Grynszpan, Herschel 2, 19, 20, 183 Grzesinski, Albert 291

797

Gudenus, Johannes 49 Günther, Albrecht Erich 143 Günther, Hans F. K. 106, 136, 145, 163, 295, 296, 439, 485, 502, 563, 564, 568, 569, 570 Guerber, Joseph 495 Guerin, Antonio 636 Gurian, Waldemar 401 Gurlitt, Cornelius 595 Gustloff, Wilhelm 19, 20, 612 Gutt, Arthur 39, 742 Gutterer, Leopold 714 Guttmann, Julius 333 Gutzwiller, Richard 343 Gyurcsány, Ferenc 423

H Haarer, Johanna 466, 467, 468 Haas, Georg Emanuel 274 Haase, Ludolf 482 Haeckel, Ernst 32, 33, 38, 266 Haegele, Joseph Matthias 273 Hähnel, Jörg 666 Hänel, Albert 350 Härtl, Heinz 708 Härtle, Heinrich 159 Hagen, Peter 16 Hahmann, Werner 81 Haider, Jörg 49 Haider, Karl 595 Hake, Bruno 127 Haller, Georg 460 Hammerstein, Wilhelm von 419 Hamsun, Knut 264, 484, 497 Hansen, Erik 106 Hansen, H. J. 106 Hansen, Niels 263 Hansen, Walter 503 Hanslick, Eduard 368 Harand, Irene 514, 651, 652 Harburger, Edmund 201 Harden, Maximilian 32, 33, 291, 379, 454, 552, 592 Haret, Spiru 613 Harnack, Adolf von 194, 766, 767 Harpf, Adolf 519 Harstad, Herlof 221 Hart, Heinrich 159, 686 Hart, Julius 686 Hartmann, Fritz 145 Harwood, Richard E. 154, 276 Hashagen, Justus 170 Hasse, Ernst 12

798

Register der Personen

Hassell, Ulrich von 414 Hasselbacher, Friedrich 355 Hatzenbichler, Jürgen 49 Haubenberger, Leo 760 Hauer, Jakob Wilhelm 499, 561, 755 Hauk, Georg 191 Haupt, Gunther 263 Hausleiter, Leo 676 Havel, Václav 309 Haym, Rudolf 550 Hebbels, Friedrich 562 Heiligenstaedt, Kurt 201 Heim, W. 618 Heimannsberg, Magnus 291 Heine, Heinrich 107, 224, 259, 562 Heine, Thomas Theodor 82, 647 Heinemann, Isabel 661 Heinrichsdorff, Wolff 460 Heinßen, Johannes 597 Helbok, Adolf 144 Held, Friedrich Wilhelm Alexander 668 Helfferich, Karl 419 Heller, Otto 605, 606 Helsing, Jan van 226, 227 Heman, David 181 Heman, Friedrich 220, 413 Heman, Johann Friedrich Carl Gottlob 180, 181, 182, 220 Henckmann, Gisela 708 Henggeler, Alois 491 Hennig, Paul 395, 396 Henning, Rigolf 48 Henrici, Ernst 114, 349, 585, 588, 589, 753, 754, 755, 778 Hentschel, Willibald 236, 256 Henze, Otto 30 Herder, Johann Gottfried 26, 448, 537, 718, 769 Herseni, Traian 104 Hertzberg, Gertzlaff von 145 Herz, Cornélius 431, 433 Herzl, Theodor 181, 435, 489, 553 Hesekiel, George 64, 392, 662 Hess Michael 577, 703 Heß, Marta 509 Heß, Rudolf 158, 211, 424, 449 Hesse, Hermann 614 Heuss, Theodor 452 Heydrich, Reinhard 356 Heym, Stefan 744 Heymann, Berthold 750 Heyse, Paul 127

Hickethier, Gottfried 392, 406 Hiemer, Ernst 236, 237, 672, 673 Hieronimus, Ekkehard 519 Hieronymus de Santa Fide 213 Hildebrand, Dietrich von 251, 400 Hildebrandt, Martin 265 Hildesheimer, Hirsch 544 Hildesheimer, Esriel 156 Hilferding, Rudolf 329 Hilgenstock, Fritz 137 Hiller, Friedrich 131 Himmler, Heinrich 132, 275, 279, 289, 378, 465, 482, 499, 503, 548, 549, 561, 630, 661, 681, 741 Hinkel, Hans 227, 372, 373, 374, 459 Hintzenstern, Herbert von 93 Hippler, Fritz 133 Hirschberg, Alfred 87 Hirschberg, Paul 503 Hirschfeld, Magnus 192, 330 Hirzel, Salomon 115, 550 Hitler, Adolf 2, 39, 51, 55, 59, 63, 72, 73, 74, 75, 81, 106, 109, 110, 120, 122, 130, 146, 154, 158, 163, 164, 165, 166, 167, 171, 182, 183, 190, 191, 214, 227, 228, 239, 243, 248, 249, 253, 261, 264, 269, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 285, 289, 293, 294, 321, 324, 328, 329, 340, 355, 364, 370, 374, 380, 381, 403, 420, 426, 435, 438, 440, 442, 449, 450, 451, 452, 455, 456, 457, 458, 464, 466, 467, 469, 473, 479, 481, 482, 491, 520, 524, 527, 529, 530, 548, 549, 567, 569, 584, 587, 597, 598, 611, 612, 619, 627, 636, 637, 642, 652, 653, 654, 661, 671, 676, 681, 735, 736, 742, 750, 756, 762, 765, 774, 777 Hjort, Johan Bernhard 561 Hobbing, Reimar 414 Hoberg, Clemens August 277 Hoch, Walter 412 Hönig, Alfred 681, 682 Hoensbroech, Graf Paul von 511, 686 Hoffmann, David Zwi 194 Hofmiller, Josef 675 Hogea, Vlad 603 Hoggan, David L. 154, 182, 183, 244 Hohmann, Martin 289, 389 Holey, Jan Udo → Helsing, Jan van Holländer, Ludwig 86 Holst, Ludolf 663 Holz, Karl 672 Holtzbrinck, Georg von 265

Register der Personen Holzschuher, J.F.S. Freiherr von → Stern, Itzig Feitel Hommel, Fritz 23 Honsik, Gerd 59, 253, 254 Hopfner, Wielant 501 Horia, Vintilă 636 Horkheimer, Max 507 Horlacher, August 680 Horn, Siegfried 543 Hossenfelder, Joachim 190, 191 Hovelacque, Abel 185 Hovorka, Nikolaus 513 Huard, Charles 433 Hudal, Alois 249, 250, 251 Hugenberg, Alfred 139, 165, 166, 170, 225, 264, 733 Hugelmann, Karl Gottfried 138, 139 Hugo, Victor 259 Hundt-Radowsky, Hartwig von 91, 92, 259, 358, 359, 360, 492, 493, 536 Hunger, Heinz 93 Hussong, Friedrich 685 Hutter, Joseph 358 Huxley, Aldous 411

I Ibn-Chaldun 236 Ibsen, Henrik 32 Ignatius von Loyola 74 Ilger, Friedrich 399 Imerslund, Per 560 Imhof, Walter 618 Innozenz IV. 180 Interlandi, Telesio 155, 240 Ionescu, Nae 103, 104 Iorga, Nicolae 485, 486, 530, 613 Iosif, Ştefan Octavian 613 Ipsen, Alfred 106 Irving, David 59, 133, 154, 208, 209, 278, 279, 280, 308, 309, 424, 426, 464, 465, 608, 731 Isidor von Sevilla 4 Istóczy, Victor von 778 Iwanow, Juri 653, 654

J Jacobsen, Hans Solgaard 560, 561, 562 Jacobsohn, Siegfried 454 Jacobus von Voragine 153 Jacolliot, Louis 357 Jahn, Friedrich Ludwig 231 Jankus, Martynas 723 Janson, Lau 32

799

Jarcke, Karl Ernst 273 Jeanson, Henri 45, 46 Jeleński, Jan 555, 601 Jentzsch, Gabriel 750 Jerónimo de Santa Fe → Hieronymus de Santa Fide Jeske-Choiński, Teodor 601 Jewsejew, Jewgeni 654, 655 Jochner, Georg Maria von 274 Jörg, Josef Edmund 273 Joffrin, Laurent 90 Johannes Crotus Rubeanus 176 Johannes Chrysostomos 4 Johannes Mathesius 772 Johannes Moschos 743 Johst, Hanns 264 Joly, Maurice 40, 553 Jonak von Freyenwald, Hans 378 Josel von Rosheim 208, 772 Joseph II. 704 Journet, Charles 400 Juchem, Wolfgang 575 Jünger, Ernst 264, 265, 388, 775 Jünger, Georg Friedrich 775 Jung, Edgar Julius 127 Jung, Rudolf 477, 478, 479, 760 Jung, Wolfgang 49 Junosza-Szaniawsi, Klemens 601 Justinian 344

K Kähler, Martin 170 Kakowski, Alexander 761 Kalisch, David 403, 405 Kaltenborn, Georg von 337 Kaltenbrunner, Ernst 378 Kalthoff, Albert 266 Kammerer, Rüdiger 608 Kampmann, Karoly 18 Kannengiesser, Ivan S. 25 Kant, Immanuel 28, 75, 107, 259, 313, 354, 448, 537, 711, 718, 753 Kanotorowicz, Alfred 605 Kanotorowicz, Edmund 350 Kapp, Wolfgang 145 Karbach, Oskar 513, 514 Karbaum, Michael 63 Karl Stephan von Österreich 269 Karpeles, Gustav 15 Karsli, Jamal 389 Kase, W. 752 Katz, Albert 15

800

Register der Personen

Katz, Jacob 172, 407 Kaufman, Theodor N. 234, 528 Kautsky, Karl 364, 365, 552, 564, 565, 566 Kehler, Friedrich von 229 Kehrl, Hans 276 Keil, Ernst 224 Keipp, Hermann 662 Kell, Carl Leberecht 756 Kell, Julius Karl Leopold 756 Keller, Gottfried 763 Keller-Zoller, Emil 630 Kellermann, Hermann 150 Kennedy, John F. 410 Keppler, Paul Wilhelm 597 Kéri, László 58 Kern, Erich 698 Kernmayr, Erich Knud 698 Kerr, Alfred 330 Kershaw, Ian 464, 465 Kessel, Joseph 46 Kesseler, Kurt 130 Keyser, Erich 552 Khomeini, Ayatollah 418, 650 Kienle, Georg 611 Kießling, Franz Xaver 511 Killer, Hermann 430 Kippler, Heinrich 686 Kirchner, Eugen 201 Kissinger, Henry 411 Kitschko, Trofim 292, 293, 294 Kittel, Gerhard 195, 211, 212, 261, 305, 306, 307, 339, 340, 341 Kittel, Rudolf 195 Klages, Ludwig 596 Kleist, Heinrich von 579 Kleist, Peter 755 Klemperer, Victor 450, 451 Klepsch, Alfred 428 Klingemann, August 170 Klinkhardt, Julius 130, 341 Klopstock, Friedrich Gottlieb 537 Klüger, Ruth 49 Knobloch, Charlotte 389 Kober, Paul 181 Köhler, Hanns Erich 81 Köhn, Carl Martin 81 Köhn-Behrens, Charlotte 714 Koepp, Wilhelm 93, 734 Koerbel, Willi 611 Körner, Gerhard 599 Körner, Wieland 728 Kolb, Bernhard 674

Kolbenheyer, Erwin G. 263, 264, 424 Kommoss, Rudolf 318 Konrad IV. 533 Kopp, Georg Kardinal von 622 Kordon, Hans 510, 511 Kornejew, Lew 657, 658 Kosegarten, Wilhelm 662 Kosiek, Rolf 144 Kovaļevskis, Pauls 55, 688 Kraeger, Heinrich 641, 642, 643, 700 Kraemer, Eduard 668 Kralik, Richard von 617 Krasiński, Zygmunt 40 Kraus, Karl 454, 489 Krause, Willi 16 Krausnick, Helmut 183 Krauß, Alfred 145 Krebs, Hans 760, 761 Kreins, Albert 476 Krenz, Egon 650 Krieck, Ernst 736, 737, 738, 739 Kröner, Adolf 225 Kudirka, Vincas 723, 724 Kühn, Erich 145 Kühn, Lenore 498 Kühnen, Michael 50, 666, 667 Künneth, Walter 390 Kürschner, Joseph 641, 700 Küssel, Gottfried 253 Kuhn, Karl Georg 211, 277 Kulaszka, Barbara 154 Kummer, Bernhard 439 Kun, Béla 42, 329, 454 Kunschak, Leopold 217, 218, 625 Kuranda, Ignaz 776 Kurtz-Krakau, Heinrich 132 Kusserow, Wilhelm 499, 500 Kutisker, Iwan 330, 573 Kutschera, Ignaz 510 Kutzleb, Hjalmar 775

L Lachout, Emil 154, 574 Lagarde, Paul de 128, 129, 186, 187, 248, 260, 266, 482, 595, 623 Lagerlöf, Selma 264 La Guardia, Fiorello 192 Lambroso, Cesare 32 Lanctôt, Charles 243 Landauer, Gustav 266 Landmann, Friedrich 542 Landmann, Salcia 666

Register der Personen Landra, Guido 155, 443 Lang, Basilius 400 Langbehn, August Julius 240, 241, 595, 596, 597 Lange, Bruno 321 Lange, Friedrich 139, 259, 562, 685 Lange, Jörg 577 Langen, Albert 263, 646, 739 Langen, Friedrich Ernst Freiherr von 336 Langen-Müller 166, 263, 264 Langenbucher, Hellmuth 263 Langer, Michael 67, 496 Langer, Felix 77 Langhans, Paul 511 Langmuir, Gavin 397 Lanz, Adolf (Lanz von Liebenfels, Jörg) 519, 520 Lasker, Eduard 224 Lasker, Emanuel 382, 383 Lasker-Schüler, Else 9 Lassalle, Ferdinand 40, 41, 580, 581 Lattes, Dante 239 Lau, Otto Emil 750 Lauenstein, Gudio 500 Lavater, Johann Kaspar 267, 537, 538 Lavergne-Peguilhen, Moritz von 64 Law, John 333 Lazare, Bernard 299 Le Pen, Jean-Marie 424 Lechenperger, Harald 644 Leers, Johann von 41, 156, 160, 193, 318, 319, 327, 328, 329, 330, 355, 369, 370, 378, 415, 416, 439, 460, 482, 498, 499, 714, 732, 733, 755, 760 Lefebvre, Marcel 492 Leffler, Siegfried 174 Lehmann, J. F. 145, 294, 295, 296, 319, 458, 466, 520, 568, 741, 762 Lehmann-Hohenberg, Johannes 511 Lehni, Franz Felix 633 Leibbrandt, Georg 482 Leipoldt, Johannes 93, 734 Lelis, Felicijonas 689 Lenard, Philipp 211 Lencer, Karl Rudolf 510 Lenz, Fritz 38, 295, 502 Lenz, Jakob 537, 538 Leo XIII. 101 Leopold I. 173, 286 Leroux, Pierre 386 Lessing, Gotthold Ephraim 28, 770 Lessing, Theodor 329, 378, 379, 380

801

Leo, Heinrich 662 Leube, Hans 93 Leuchter, Fred A. 154, 209, 276, 309, 425, 426, 427, 488, 574, 607, 609 Leuß, Hans 114 Levy, Bernard-Henry 90 Levy, Julius 127 Lewin, Kurt 411 Ley, Robert 282, 283 Lichtenberg, Georg Christoph 538 Lidzbarski, Mark 413 Liebermann von Sonnenberg, Max Hugo 27, 60, 61, 112, 113, 114, 115, 149, 178, 678 Liebknecht, Karl 329, 605 Liechtenstein, Alois 625 Lieber, Willy 672 Liebold, Ernest 108, 288 Lienhard, Friedrich 511, 596 Lilje, Hanns 390 Lippert, Julius 16, 292 Lipstadt, Deborah 209 Liskowsky, Oskar 227, 228 List, Guido von 519 Litwinow, Maxim Maximowitsch 648 Loder, Dietrich 81 Löger, Anton 695 Löns, Hermann 187 Loesch, Karl Christian von 373 Loewe, Isidor 337 Loewe, Ludwig 240, 241, 336, 337 Löwenstein, Rudolf 405 Loock, Hans-Dietrich 158, 159 Lopez, J. 761 Lorenz, Jacob 42, 43 Lorenz, Werner 681 Loubet, Émile 431 Loudon, Harald Baron 355 Lowenthal, Ernst Gottfried 21 Luckhardt, Friedrich 421 Ludendorff, Erich 59, 171, 324, 356, 357, 438, 439, 483, 552 Ludendorff, Mathilde 357, 438, 439, 727 Ludwig IX. 180 Ludwig der Bayer 533 Ludwig, Emil 263, 329, 458 Lüdde-Neurath, Walter 160 Lüftl, Walter 49 Lueger, Karl 25, 94, 95, 138, 217, 591, 625, 725, 776 Lund, Johann 357 Lundén, Barthold 69, 729, 730 Luppe, Hermann 671

802

Register der Personen

Lustiger, Arno 697 Luther, Martin 21, 28, 74, 75, 76, 78, 79, 93, 107, 124, 151, 190, 191, 207, 259, 266, 277, 312, 344, 364, 383, 390, 485, 488, 579, 640, 743, 746, 747, 748, 749, 753, 771, 772, 773, 779 Luxemburg, Rosa 9, 329, 605 Luyken, Jan 286 Luzzatti, Luigi 95, 239

M Mackay, John Henry 32 Madruzzo, Cristoforo 7 Mäcken, Johann Jakob 359 Mäder, Robert 617, 618 Mager, Alois 626 Magnard, Francis 217 Mahlau, Alfred 497 Mahler, Gustav 192 Mahler, Horst 135, 650, 667, 726, 727, 728, 732 Maier, Paul 713 Maiski, Iwan Maichailowitsch 648 Majunke, Adolf Franz von 229 Majunke, Paul 229 Mandel, Georges 302, 303 Mann, Erika 192 Mann, Heinrich 82 Mann, Thomas 436, 437, 458, 737 Marchandeau, Paul 433 Marcion 194, 767 Marin, Bernd 326 Maritain, Jacques 301, 400 Marr, Wilhelm 30, 31, 178, 259, 317, 332, 349, 353, 360, 361, 362, 363, 397, 419, 422, 545, 570, 623, 637, 638, 639, 640, 641, 752 Martí, Ramon 462, 557, 558 Martin, Konrad 66, 67, 495 Martin, Raymund 67 Martinsons, Jānis 688 Marx, Karl 119, 227, 228, 254, 259, 293, 325, 329, 338, 345, 410, 478, 480, 481, 553, 654, 657, 659, 701, 780, 781, 782 Masaryk, Jan 673 Maschke, Günter 666 Massis, Henri 109, 110, 111 Matejka, Viktor 513 Mattogno, Carlo 164, 309, 636, 731 Mauder, Josef 201, 202 Maunz, Theodor 133 Maurenbrecher, Max 170 Maurras, Charles 1, 2, 3, 109, 216, 301, 722

Mataloni, Pietro 761 Mauthner, Fritz 744 Maxence, Jean-Pierre 47 Maximilian I. 44 Mayer, Josef 746 Mayr, Kreszenz 453 Mazza, Ethel Matala de 708, 709 Mechow, Benno von 264 Meda, Filippo 516, 517 Medefind, Heinz 644 Megerle, Johann Ulrich → Abraham a Sancta Clara Mehring, Franz 668 Mehring, Walter 458 Meinecke, Friedrich 277, 552 Meinhold, Johannes 194 Meißner, Otto 291 Melchior, Carl 330 Melichar, Sepp 434 Méliès, George 271, 272 Melliņ, Arvīds 688 Melsom, Odd 221 Ménard, Joseph 242, 243, 244, 529, 530 Mendelssohn, Moses 83, 233, 267, 537, 538, 703 Mendelssohn Bartholdy, Felix 367, 368 Menghin, Oswald 625 Menuhin, Gerard 133 Menuhin, Moshe 133 Menuhin, Yehudi 192, 327 Menzenkampfs, Ernsts 688 Merry del Val, Rafael 526 Metzler, Heinrich 491 Meyer, Fritjof 726 Meyer, Max 355 Meyer, Rudolf 65, 725 Meyer, Werner 168, 698, 699 Meyer-Erlach, Wolf 93, 734 Meyer-Christian, Wolf 460 Meyerbeer, Giacomo 210, 367, 368, 481 Mez, Adam 614 Michaelis, Johann David 173, 704 Millenkovich-Morold, Max 63 Milukas, Antanas 689 Minnigerode, Freiherr von 350, 351 Mirabeau 704 Missong, Alfred 251 Mjøen, Jon Alfred 497, 501 Moch, Jules 46 Möllemann, Jürgen 389 Moeller van den Bruck, Arthur 127, 264 Mölzer, Andreas 48, 49, 58, 388, 666

Register der Personen Mohler, Armin 666, 667 Molau, Andreas 144, 159, 507 Moleschott, Jacob 27, 28 Molle, Jules 761 Mollison, Theodor 39 Molnar, Franz Momme Nissen, Benedikt 241, 595, 597 Mommsen, Theodor 21, 32, 33, 259, 550, 551, 716, 737 Monzat, René 109 Mooney, Edward 653 Moratinos, Miguel Ángel 464 Morawski, Marian 556 Morgenthau, Henry 254, 327, 416, 507, 653 Morice, Charles 32 Morphy, Paul 382 Morris, Errol 427 Mortens, Gottfried 68, 69 Mosch, Hans von 35, 317 Moses, Julius 436 Mosler, Jürgen 500 Mosley, Oswald 473, 761 Mosse, Rudolf 27, 86, 87, 403, 453, 459, 479 Moßmann, Susanna 708, 710 Moy de Sons, Karl Ernst Freiherr von 273, 552, 675 Muchow, Hans 36 Mühlbauer, Armin 574 Mühlstein, Hans 614 Mühsam, Erich 454 Müller, Adam 231, 708, 776 Müller, Dedo 668 Müller, Dominik 614 Müller, Georg 263 Müller, Hermann 406 Müller, Karl Alexander von 277 Müller, Léon 475 Münchhausen, Max Freiherr von 265 Münster, Sebastian 747 Munier, Dietmar 473 Mussolini, Benito 98, 155, 193, 221, 238, 239, 443, 636, 652, 699 Mussov, Wilhelm von 686 Musy, Jean Marie 505 Mutti, Claudio 163

N Nachtmann, Herwig 49 Nanko, Ulrich 499 Nannen, Henri 629 Napoleon 231, 232, 268, 277, 579 Napoleon I. 277, 550

803

Napoleon III. 200, 553 Nathan, Ernesto 239 Nathusius, Marie 414 Nathusius, Martin von 414 Nathusius, Philipp von 414 Nathusius-Ludom, Philipp von 414, 587, 588 Naudh 330, 331, 332 Naumann, Friedrich 170, 542, 675 Naumann, Max 128 Naumann, Werner 160 Neaşcu, Ilie 603 Neckel, Gustav 498 Neidhardt, Georg 449 Nero 191 Neumann, Salomon 351, 551 Neumann, Victor 732 Nicolai, Friedrich 537, 703 Nicolas Donin 180 Nicolaus de Argentina 532 Niedziałkowski, Kazimierz 601 Niekisch, Anna 774 Niekisch, Ernst 774, 775 Niemöller, Martin 390 Nienhaus, Stefan 708, 709 Nietzsche, Friedrich 28, 29, 120, 129, 177, 178, 265, 266, 312, 345, 379, 482, 553, 595, 615, 619, 623, 624, 661 Nikolaus II. 656 Nikolaus von Straßburg 532 Nipperdey, Thomas 266 Nishioka Masanori 446, 447 Noack, Hannelore 67 Noica, Constantin 104 Nolte, Ernst 310, 427, 609 Nordbruch, Claus 144 Nordenholz, Anastasius 38 Nordmann, Heinrich G. 178 Nordmann, Johannes 330, 331 Norīsts, Oskārs 55 Nowak, Konstantin 622 Nowodorski, Michał 555

O Oberländer, Adolf 201 Oberlercher, Reinhold 666, 667 Obradović, Milan 559, 560 Odeberg, Hugo 93, 733, 734 Oertzen, Dietrich von 414, 719 Oertzen, Friedrich Wilhelm von 686 Oesterreicher, Johannes M. 402 Ohlmarks, Åke 734 Olscha, Leonhard 777

804

Register der Personen

Oltramare, Georges 504, 505, 539, 540 Oppenheimer, Franz 321 Oppenheimer, Samuel 173 Orano, Paolo 238, 239, 240 Orbán, Viktor 57, 423 Oreglia, Giuseppe 96 Origer, Jean 440, 441 Ortwinus Gratius 176 Orwell, George 411 Osiander, Andreas 7 Ottolenghi, Raffaele 239 Ovazza, Ettore 239 Oven, Wilfred von 144, 160, 424, 698 Overbeck, Franz 623 Ow-Felldorf, Freiherr von 274

P Paalzow, Christian Ludwig 267, 268, 269, 313, 314, 315, 768, 769 Pablo de Santa María 212, 213, 463, 532 Pacelli, Eugenio 372, 402, 454 Panse, Friedrich 39 Pant, Eduard 400 Papadima, Ovidiu 636 Parker, Gilbert 291 Parmod, Maximilian → Apt, Max Passow, Hildegard 713 Pau Cristià (Paulus Christianus) 557 Paul, Bruno 647 Paul, Gustav 131 Paul Hurus 532, 533 Pauler, Ludwig 355 Paulescu, Nicolae 530 Pauls, Theodor 93 Paulus von Burgos 45 Paulus von Eitzen 743 Paumgartten, Karl 424 Pavelić, Ante 636 Pechel, Rudolf 127, 128 Penka, Karl 541 Perón, Juan 160, 161 Perron, Joseph-Léonide 243 Perrot, Franz 419, 588 Pestalozzi, Heinrich 335 Pétain, Henri Philippe 2, 46 Peters, Carl 436 Peters, Franz 622 Petrescu, Cezar 222 Petrus Alfonsi 152, 153 Petwaidic, Walter 777 Pfefferkorn, Johannes 44, 45, 176, 177, 267 Pfemfert, Franz 9, 10

Pfister-Schwaighusen, Hermann von 511 Philipps, Sophie 121 Philippson, Ludwig 15 Phillips, George P. 273 Pfitzner, Hans 675 Picard, Edmond 33, 34 Pickenbach, Wilhelm 316 Pierrard, Pierre 216 Pilgram, Friedrich 229 Pinkert, Alexander 353, 354, 623, 624 Pipp, Edwin G. 108, 288 Piscator, Erwin 330 Pistor, Ernst 355, 356 Pius IX. 515 Pius X. 94, 417, 492 Pius XI. 102, 401, 402, 454, 455, 525, 526 Pius XII. 97, 402 Plank, Sepp 81 Platon 28 Platte, Ludwig 38 Plawina, Oswald 511 Ploetz, Alfred 38, 502 Pörzse, Sándor 58 Pohl, Johannes 460 Pohlisch, Kurt 39 Pohlmann, Hans 93 Poiré, Emmanuel 556 Polenz, Hermann 752 Polifka, Richard Wilhelm 777 Polzer, Aurelius 511 Poncins, Leon de 761 Popovici, A. C. 613 Pozorny, Reinhard 133 Prager, Otto 760 Pressac, Jean-Claude 427 Preuß, Hugo 419 Preysing, Konrad Graf von 454 Prohászka, Ottokár 250 Prószyński, Ludomir 601 Protopopescu, Dragoş 636 Proudhon, Pierre-Joseph 387 Prühhäußer, Karl 81 Psenner, Ludwig 512, 513 Pückler, Albrecht Erdmann Walter Graf 668 Puşcariu, Sextil 613 Puschner, Marco 708 Putz, Eduard 391

Q Quisling, Vidkun 221, 484, 560, 561 Qutb, Sayyid 197, 198, 199, 444, 445

Register der Personen R Raabe, Wilhelm 40, 93 Rabenau, Eitel-Friedrich von 390 Rabin, Jitzhak 604 Radenhausen, Christian 398 Radhi, Munir 197 Radl, Franz 253 Radl, Karl 698 Rădulescu, Ilie 546, 547 Ramon Martí (Raimundus Martinus) 462, 557, 558 Ramon de Penyafort 557 Rami, Ahmed 599 Ramm, Rudolf 780 Ramm-Pfemfert, Alexandra 10 Rampolla, Mariano 516 Ranke, Leopold 45 Raschhofer, Hermann 373 Rassinier, Paul 89, 110, 111, 154, 159, 234, 446 Rath, Ernst vom 19, 20, 380 Rathenau, Walther 75, 137, 206, 291, 322, 323, 324, 403, 411, 419, 453, 570, 571, 572, 573, 592, 642 Ratti-Menton, Benoit Laurent 196 Ratzinger, Georg 274 Rebatet, Lucien 110, 272, 301, 302, 303 Rebbert, Joseph 67, 495 Reche, Otto 502 Reé, Paul 379 Reetz, Wilhelm 644 Régis, Max 23, 24, 25 Reimann, Hans 81 Reimann, Viktor 325, 326 Reimer, Hans 551 Reimer, Karl 550 Reinach, Jacob Adolphe 433 Reinach, Jacques de 431, 433 Reinhardt, Max 17, 330, 458, 459 Reiß, Stefan 580 Remarque, Erich Maria 591 Remer, Otto Ernst 309, 574, 575, 598, 599, 607, 608, 755 Remmele, Hermann 605, 606 Rémy de Guebhard, Caroline 32 Renan, Ernest 236, 266 Renaud, Jean 47 Retcliff, Sir John → Goedsche, Hermann Ottomar Friedrich Reuchlin, Johannes 44, 45, 176, 177 Reuß zur Lippe, Marie Adelheid 502 Reventlow, Ernst Graf zu 137, 482, 592, 593

805

Reynold, Gonzague de 504, 505 Ribbentrop, Joachim von 158 Ribot, Alexandre 431 Richter, Franz 98 Richter, Karl 144, 159, 666 Richter, Kurt 758 Richthofen, Bernhard Freiherr von 336 Rickert, Heinrich 32, 33 Rida, Raschid 444 Riedl, Franz 373, 374 Rieger, Jürgen 500, 577 Riehl, Walter 477 Riehl, Wilhelm Heinrich 662 Rienhardt, Rolf 584 Riesser, Gabriel 86, 360, 361 Rilke, Rainer Maria 436 Rippler, Heinrich 685 Rishovd, Arnt 221 Ritter, Karl Bernhard 170 Rittner, Carl Heinz 624 Rochefort, Henri 33 Rock, Christa Maria 430 Rodenberg, Julius 127 Rodenwaldt, Ernst 39 Roeder, Manfred 50, 51, 52, 98, 420 Röhler, Andreas 649, 667 Röhm, Ernst 482, 612 Roepell, Richard 550 Rösch, Anton 680 Roeseler, August 201 Roesler, Hermann 64 Rössler, Otto 460 Rogge-Börner, Pia-Sophie 119, 120, 121 Rohling, August 67, 114, 157, 173, 194, 196, 250, 260, 353, 384, 494, 512, 516, 686, 687, 759 Roi, Johannes de le 413, 720 Romanescu, Traian 603 Roosevelt, Franklin D. 234, 254, 327, 415, 416, 528, 652, 694, 759 Rosa, Enrico 525 Rose, Olaf 159 Rosenack, Leopold 321 Rosenkranz, Horst Jakob 253 Rosenkranz, Walter 49 Ross, William Stewart 357 Rost, Hans 274 Rosenberg, Alfred 42, 59, 63, 118, 129, 159, 165, 248, 249, 277, 283, 284, 301, 378, 381, 384, 390, 430, 455, 457, 458, 459, 460, 468, 469, 470, 480, 482, 496, 627, 643, 735, 742, 755, 759, 760, 761, 762, 763

806

Register der Personen

Rosmini, Antonio 515 Roth, Alfred 149, 150, 151, 202, 206, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 570, 571, 572, 573, 680 Roth, Hans Otto 682 Roth, Heinz 110, 234 Rotter, Alfred 459 Rotter, Fritz 459 Rudel, Hans-Ulrich 160, 755 Rudolf, E. V. von 363, 364 Rudolf, Germar 245, 276, 297, 309, 427, 599, 607, 608, 609, 649, 666, 667, 728, 730, 731 Rüdin, Ernst 38, 39, 502, 741 Rüegg, Ferdinand 617 Rüegsegger, Eduard 168 Rüffer, Eduard 40 Rüggeberg, Dieter 226 Rühs, Friedrich 173, 231, 232, 233, 267, 577, 578, 579, 701, 702, 703, 705, 706 Ruge, Arnold 118 Runge, A. 752 Ruprecht, Günther 390, 391 Ruppel, Julius 752 Rupprecht, Philipp 156, 238, 672, 674 Rusch, Johann Baptist 617, 632, 633, 706, 707, 708 Rutché, Joseph 491 Ruthen, Rudolf aus den 628, 630 Ruttke, Falk 39, 741 Rydgren, Karl Mauritz 242, 722

S Saa, Mário 100, 289, 290, 545 Salazar, António de Oliveira 100 Sales, Marco 526 Salomon, Alice 151 Salomon, Ernst von 775 Salten, Felix 489 Saltenburg, Heinz 17 Sander, Hans Dietrich 664, 665, 666, 667 Sardinha, António 100, 722, 723 Sarkozy, Jean 90 Sarkozy, Nicolas 135 Sarto, Giuseppe 94 Sasse, Hermann 390 Sassen, Willem 159, 160 Saxlund, Eivind 761 Schacht, Hjalmar 291 Schäfer, Dietrich 145, 170 Schäfer, Wilhelm 263, 264 Schafarewitsch, Igor 610, 611, 658 Schaffner, Jakob 614

Schattenreich, Franz 147 Schaub, Bernhard 650 Scheicher, Josef 250 Schelling, Friedrich 232 Schemann, Ludwig 62, 143, 177, 185, 257 Schenker, Alois 492 Scherl, August 225 Schickedanz, Arno 482 Schickel, Alfred 144 Schickert, Klaus 460 Schieder, Theodor 277 Schiele, Georg W. 145 Schifferle, Alois 344 Schilling, Erich 647, 648 Schimmer, Arne 666 Schirach, Baldur von 165, 289, 482 Schirmer, August 758, 759 Schlatter, Adolf 339, 391 Schleiermacher, Friedrich 83, 84, 85, 711, 712 Schleuning, Johannes 191 Schlichtegroll, Karl-Felix von 436 Schlick, Wolfgang von 747, 772 Schlingel, Anthony 276 Schlittgen, Hermann 201 Schmeitzner, Ernst 30, 31, 177, 178, 339, 623, 624, 625 Schmid, Carl Alfred 631 Schmid, Robert 631 Schmidt, Andreas 681 Schmidt, Hans Wilhelm 93 Schmidt, Theodor 160 Schmidt-Gibichenfels, Otto 542 Schmit, Alphonse 476 Schmitt, Carl 264, 388, 506 Schmitz, Paul 614, 615 Schmoller, Gustav 32, 33 Schneider, Friedrich 199 Schneider, Louis 64, 662 Schönangerer, Waltraud 253 Schönborn, Erwin 50 Schönborn, Meinolf 576, 577 Schönerer, Georg von 138, 317, 434, 511, 776 Schönhuber, Franz 424 Schopenhauer, Arthur 73, 107, 151, 354, 448, 595, 753 Schönpflug, Fritz 591 Schorer, Edgar 492 Schotte, Walther 552 Schrader, Eberhard 23 Schrattenholz, Josef 27, 28 Schröder, J. W. 495 Schudt, Johann Jacob 376, 377, 744

Register der Personen Schütz, Waldemar 600 Schuhmann, Walter 36 Schulte, Karl Joseph Kardinal 454 Schultze-Naumburg, Paul 458 Schulz, Bruno Kurt 741 Schulz, Johann Heinrich 536 Schulz, Wilhelm 647 Schulze, Walter 714 Schumann, Arthur 713 Schumann, Robert 367, 368 Schutz, Raphael 464 Schwab, Jürgen 49, 507, 666 Schwartz, Leopold 559 Schwartz-Bostunitsch, Gregor 721 Schwarz, Adolf 194 Schwarz, Barthold 462 Schwarz, Johannes 14 Schwarz van Berk, Hans 18 Schwarzenbach, James 633 Schwarzmann, Karl 471, 472 Schwechten, Eduard 543 Schweibold, Heinz 509 Schweitzer, Hans 17, 81, 290 Schwerin, Friedrich von 145 Schwind, Heiko 599 Scrinzi, Otto 424 Sebastian, Mihail 104 Sebastião, D. José 100 Sebottendorf, Rudolf von 164, 735 Seemann, Arthur 596 Seibertz, Norbert 499, 500 Seidl, Arthur 62 Seidlitz, Woldemor von 595 Seipel, Ignaz 591 Seiz, Johann Georg Friedrich 428 Séverine → Rémy de Guebhard, Caroline Sfar, Joann 91 Shakespeare, William 28, 769 Shalev, Avner 464, 465 Shunju, Bungei 445, 446, 447 Sichelschmidt, Gustav 133 Sieben, Gottfried 695 Siemens, Hermann Werner 39 Sigl, Johann Baptist 79, 80 Šilde, Ādolfs 688 Sima, Horia 110 Simeon ben Jehuda 40 Simon, Gustav 476, 477 Simon, Jules 32, 33 Simon von Trient 7, 208 Simonini, Jean-Baptist 645, 646 Simpfendörfer, Wilhelm 686

807

Sinet, Maurice (genannt Siné) 90 Singer, Franz Ignaz 398 Singer, Paul 668 Six, Franz Alfred 264, 728 Skrzynecki, Antoni 601 Slavici, Ioan 613 Smith, Archibald 695 Smith, Bradley 154 Söhlmann, Fritz 390, 391 Sofer, Leo 542 Solms, Armin 608 Sombart, Werner 332, 333, 334, 625, 670, 671 Sorel, Georges 722, 723 Spatz, Otto 296 Spengler, Oswald 619 Spielhagen, Friedrich 32 Spinoza 28, 293, 346 Spinoza, Baruch 224 Spitteler, Carl 614 Spurth, Botho 144 Sta, Henri de 433 Stage, Curt 130 Stäglich, Wilhelm 52, 53, 54, 55, 144, 245, 276, 298, 309, 420 Stäuble, Eduard 633 Stalin, Josef 9, 10, 301, 318, 319, 373, 528, 653, 656, 774 Stampfer, Friedrich 329 Stapel, Wilhelm 93, 143, 263, 264, 339 Starace, Achille 443 Starke, Gerhard 36 Stauff, Georg Philip 700 Stauff, Philipp 634, 635, 641, 642, 643 Steguweit, Heinz 264 Stein, Ludwig 615 Stein, Dieter 387 Stein, Heinrich von 177 Stein, Hermann von 320 Steiner, Max 379 Steinitz, Wilhelm 382 Stelter, Hans 136 Stengel, Theophil 429, 430 Stengel von Rutkowski, Lothar 755 Stern, Ludwig 641 Stern, Fritz 597 Stern, Itzig Feitel 428, 429 Steudel, Friedrich 266 Stezenbach, Gustav 618 Stielau, Lothar 600 Stille, Gustav 393, 394 Stinnes, Hugo 685 Stirner, Max 650

808

Register der Personen

Stocker, Leopold 251, 424, 425 Stoecker, Adolf 27, 31, 33, 114, 191, 349, 353, 393, 414, 422, 587, 588, 624, 638, 668, 669, 678, 717, 718, 719, 720, 724, 751, 767 Stoffregen, Goetz Otto 81 Stolberg-Wernigerode, Graf zu 350 Storm, Theodor 127 Strache, Heinz-Christian 49, 50 Strack, Hermann L. 261 Strantz, Kurd von 511 Straßer, Gregor 479, 728 Stratmann, Franziskus M. 400 Strauß, David Friedrich 266 Strauß, Emil 264 Strauss, Wolfgang 666 Streckfuss, Adolf Karl 663 Streicher, Julius 167, 191, 238, 327, 356, 439, 470, 529, 627, 671, 672, 673, 674, 691 Stresemann, Gustav 291, 373, 685 Strick, Hans-Günther 438 Stritt, Marie 151 Strousberg, Bethel Henry 70, 406 Stüber, Fritz 699 Suarez, Georges 46, 47 Suchnach, Wolffgang 742 Sudholt, Gert 159 Sündermann, Helmut 158, 159, 474, 755 Sury, Paul de 491 Sybel, Heinrich von 127, 276, 550 Sylten, Mikal 483, 484 Szilvásy, György 423

T Tacitus 28, 85, 233, 267, 268, 386 Tarso, Paulo de 99, 100 Tausch, Friedrich 191 Ţepeş, Vlad 603 Tertullian 4 Thadden, Adolf von 599, 600 Theobald von Saxannia (auch Theobaldus de Saxonia, Saxo) 179, 180 Theodoru, Radu 603 Thieme, Karl 401, 402 Thiers, Adolf 550 Thion, Serge 649, 650 Thöny, Eduard 647 Thoma, Hans 595, 675 Thoma, Ludwig 453, 454 Thomas von Aquin 558 Tietz, Georg 330 Tietz, Martin 330 Tillich, Paul 525

Tippelskirch, Friedrich von 414 Tissot, Jean 530 Tjarks, Emil 122 Tjarks, Herrmann Otto 122 Tlas, Mustafa 196, 197 Todt, Rudolf 421, 720 Töben, Fredrick 650 Töpfer, Peter 648, 650, 667 Török, Gábor 58 Toller, Ernst 330, 458 Tóth, László 57 Totila → Diebow, Hans Toussenel, Alphonse 301, 317, 386, 387, 440 Traub, Gottfried 170, 171 Traverso, Enzo 781 Trebitsch, Arthur 379 Treitschke, Heinrich von 31, 33, 94, 115, 116, 117, 127, 129, 259, 277, 346, 349, 354, 393, 422, 550, 551, 581, 661, 672, 714, 715, 716 Tremblay, Pamphille de 243 Trendelenburg, Adolf 581, 582 Tröger, Karl 774 Trojan, Johannes 403 Trotha, Thilo von 482 Trotzki, Leo 9, 10, 329, 373, 757 Trurnit, Hansgeorg 460 Tucholsky, Kurt 228, 263 Tudor, Corneliu Vadim 603, 604 Tumas-Vaigantas, Juozas 689 Tumėnas, Dominykas 689 Ţuţea, Petre 104 Tveit, Geirr 560 Twain, Mark 309

U Ulrich von Hutten 176 Ungheanu, Mihai 603, 604 Uriel von Gemmingen 44

V Vacher de la Pouge, Georges 541, 722 Val, Philippe 89, 90 Valentin, Karl 81 Valois, Georges 722, 723 Vargas, Fred 90 Vasconcelos, Amadeu de 723 Verbeke, Herbert 275, 730 Verbeke, Siegfried 275, 730 Vergani, Ernst 138, 139 Verrall, Richard Hugh 154, 276 Verschuer, Otmar Freiherr von 211 Vesper, Will 264

Register der Personen Viereck, Louis 677 Vietig-Michaelis, Lily 430 Vietinghoff-Scheel, Leopold von 13 Vilde, Alfons 688 Villon, Jacques 433 Vinzenz von Beauvais 153 Virchow, Rudolf 259, 351 Virey, Julien-Joseph 185 Virza, Edvards 56 Visco, Sabato 443 Vizirescu, Pan M. 636 Vlădescu, Toma 636 Vlahuţă, Alexandru 613 Vogelsang, Karl von 156, 625, 725 Voigt, Udo 49, 135 Volkmann, Fritz 611 Voltaire 107, 259, 362, 386 Vona, Gábor 57, 58 Vonwyl, Hans 168 Vulcănescu, Mircea 104

W Wachler, Ernst 265, 266, 519 Wagener, Hermann 64, 65, 66, 330, 331, 339, 365, 366, 392, 405, 419, 662 Wagenführer, Max Adolf 93 Wagner, Adolph 32, 33, 725 Wagner, Cosima 63, 248 Wagner, Richard 26, 61, 62, 63, 151, 177, 210, 247, 248, 259, 367, 368, 369, 458, 481, 623, 670, 753 Wagner, Winifred 63 Wahrmund, Adolf 62, 194, 235, 236 Waldegg, Egon → Pinkert, Alexander Waldschmidt, Arno 561 Waldstein, Thor von 667 Walendy, Udo 154, 274, 275, 276, 297, 298, 309, 474, 608 Walser, Robert 614 Walter, Otto 617 Wandruszka, Adam 489 Warburg, Max 291, 330 Warncke, Paul 403 Wassermann, Jakob 128, 458 Weber, Andreas Paul 775 Weber, Marianne 151 Weber, Mark 154, 427 Weber, Max 332, 782 Webster, Nesta 226, 646 Wechsler, Judith 538 Weckert, Ingrid 276, 420 Weder, Carl 491, 492, 617

809

Weder, Fridolin 491, 492, 617 Wehner, J. M. 264 Wehrenpfennig, Wilhelm 550 Weigand, Wilhelm 675 Weigl, Leopold 777 Weininger, Otto 107, 379 Weiß, Albert Maria 335 Weiß, Bernhard 16, 17, 81, 86, 192, 290, 291 Weiß, Robert 622 Weiß, Wilhelm 81 Weissauer, Ludwig 18 Wellhausen, Julius 23 Wells, H. G. 411 Welter, Andreas 440 Wendel, Friedrich 750 Werdermann, Hermann 93 Werfel, Franz 263 Werkenthin, Arnold 752 Wertheimer, Samson 173 Westarp, Kuno Graf von 170, 291 Westin, Carl Emanuel 684 Wick, Karl 669, 670 Widmann, Joseph Victor 217 Wiechert, Ernst 264 Wiedemann, Paul 623 Wiesel, Elie 91, 417 Wiesener, Albert 560 Wiesenthal, Simon 254, 326, 446, 447, 655 Wiesinger, Albert 775, 776 Wiggers, Rudolf 566, 567 Wiking, Jerk 160 Wild von Hohenborn, Adolf 319 Wilhelm II. 240, 247, 312, 393, 635, 765 Wilhelm Meister → Bang, Paul Williamson, Richard 417 Wilser, Ludwig 541 Winckelmann, Johann Joachim 537 Windecker, Wilhelm Emanuel 778 Windthorst, Ludwig 230 Winghene, Egon von 761 Winkler, Max 187 Winkler, Michael 577 Winsnes, Erling 502 Winter, Ernst Karl 618 Winter, Susanne 49 Winterstein, Franz 511 Wirsing, Giselher 644, 686 Wirth, Hermann 186, 498, 499 Wirth, Joseph 137, 291, 400, 402, 571 Wirz, Wolf 167 Witkenberg, Else von 635 Witkenberg, Wilhelm von 634, 635

810

Register der Personen

Wölfl, Johann Walthari 483, 519 Wolf, Hubert 525 Wolf, Karl Hermann 147 Wolff, Theodor 329 Wolframsdorff, Johanne von 756 Wolframsdorff, Wolf von 756 Wolski, Kalixt de 41 Woltmann, Ludwig 186, 540, 541, 542 Wolzogen, Hans von 61, 62, 63, 177, 623 Worch, Christian 650 Wordsworth, William 744 Woweries, Franz Hermann 283 Wrisberg, Ernst von 321 Wulle, Reinhold 136, 137, 593, 721 Wundt, Max 145 Wurm, Alois 372

Z Zacher, Gábor 58 Zahle, C. Th. 693 Zander, Alfred 168, 169, 334, 335, 336 Zander, Elsbeth 508 Zang, August 488

Zay, Jean 301 Zehrer, Hans 186, 666, 686 Zeller, Eduard 127 Zerboni, Karl von 512 Ziegesar, Josef Leonhard von 355 Ziegler, Benno 264, 265 Ziegler, Ignaz 333 Ziegler, Matthes 482 Ziegler, Wilhelm 211, 351, 352, 369 Ziel, Ernst 225 Zimmermann, Athanasius 274 Zimmermann, Friedrich 686 Zimmermann, Moshe 361, 638 Zörgiebel, Karl 291 Zola, Émile 102, 259, 298, 299, 300, 434, 556, 557 Zündel, Ernst 52, 59, 154, 309, 426, 607, 667 Zuika, Kārlis 56 Zweig, Arnold 364 Zweig, Stephan 263, 489 Zwingli 74 Zychowski, Georg 761

811

Register der Orte und Regionen A Aalborg 420 Afrika 456, 739, 740 Ägypten 197, 268, 310, 315, 325, 327, 444, 445, 638, 760, 769 Alexandrien 761 Algerien 23, 24, 25, 102, 300, 301, 349 Algier 24, 432, 624, 761 Amerika →Vereinigte Staaten von Amerika Angola 740 Anhalt 174 Appenzell-Ausserrhoden 492, 493 Aragón 152, 533 Argentinien 122, 160, 574, 755 Arizona 422, 423 Asien 184, 364, 456 Athen 26 Augsburg 170, 207, 274, 358, 772 Auschwitz 49, 50, 51, 52, 53, 54, 59, 144, 244, 276, 279, 297, 298, 309, 420, 425, 426, 427, 445, 446, 452, 569, 574, 598, 604, 607, 608, 609, 649, 650, 667, 710, 726, 727, 731 Australien 521, 522 Avellino 164

B Bad Kissingen 574, 598, 599 Baden-Württemberg 144, 226, 389, 492 Baltikum 141, 373 Banat 681, 745 Barcelona 557, 599 Basel 180, 181, 219, 343, 523, 606, 614, 615, 617, 747 Bautzen 742 Bayern 107, 200, 429, 449, 450, 452, 453, 454, 487, 572, 676, 736 Beirut 445 Belgien 33, 34, 275, 476, 730 Berlin 16, 17, 18, 19, 34, 36, 39, 64, 65, 66, 69, 70, 71, 72, 80, 81, 82, 83, 86, 87, 94, 114, 115, 116, 118, 119, 125, 127, 133, 136, 139, 156, 160, 165, 170, 173, 181, 190, 191, 192, 200, 206, 217, 225, 227, 229, 263, 265, 266, 281, 290, 291, 292, 301, 305, 306, 307, 313, 315, 316, 317, 318, 327, 330, 331, 332, 333, 336, 337, 338, 345, 348, 350, 353, 354, 355, 356, 369, 372, 378, 388, 389, 390, 392, 397, 398, 403, 405, 406, 407, 414, 418, 421, 422, 434, 453, 454, 456, 458, 459, 460, 461, 467,

470, 495, 498, 500, 515, 516, 534, 544, 551, 566, 571, 577, 579, 581, 582, 587, 588, 592, 598, 605, 615, 621, 628, 630, 634, 637, 641, 642, 643, 647, 648, 650, 659, 661, 664, 667, 675, 686, 698, 701, 703, 708, 711, 713, 715, 717, 719, 720, 725, 733, 736, 750, 752, 758, 761, 766, 771, 778 Bern 168, 184, 614, 615, 631, 700 Bessarabien 223, 524, 615, 616 Birkenau 50, 51, 54, 309, 425, 426, 607, 667 Birobidschan 606 Böhmen 156, 376, 510, 772 Bolivien 88 Bonn 27, 66, 133, 338 Bosnien-Herzegowina 560 Brandenburg 190, 774 Brasilien 163 Braunschweig 338 Bremen 21, 728 Breslau 405, 454, 621, 622 Brighton 54, 599 Brüssel 98, 188 Budapest 57, 745, 761 Buenos Aires 160, 327, 383, 698, 755 Bukarest 103, 104, 189, 222, 485, 539, 546, 613, 616, 620, 636, 746 Bukowina 523, 524, 613, 616 Bulgarien 189, 378, 761 Burgos 213

C Chemnitz 177, 178, 339, 624 Chicago 297, 609 Contantine 23 Czernowitz 523, 524

D Dachau 380, 427, 591, 612, 677 Dänemark 59, 105, 106, 395, 396, 406, 420, 498, 692, 761 Danzig 552, 742, 757 Denton 208 Derventa 560 Detroit 108, 653 Deutschland 2, 3, 9, 11, 12, 13, 19, 20, 21, 26, 27, 34, 35, 37, 38, 42, 43, 44, 54, 55, 59, 69, 72, 74, 77, 81, 86, 88, 102, 113, 115, 116, 117, 122, 128, 132, 134, 135, 139, 144, 145, 146, 147, 151, 159, 160, 161, 169, 170, 174,

812

Register der Orte und Regionen

181, 182, 183, 187, 188, 193, 199, 200, 203, 204, 205, 206, 209, 210, 211, 213, 214, 215, 220, 226, 227, 228, 229, 232, 234, 235, 238, 239, 240, 244, 245, 247, 248, 250, 251, 252, 253, 254, 260, 262, 264, 270, 272, 273, 274, 277, 281, 282, 285, 287, 289, 291, 294, 295, 301, 310, 312, 316, 317, 318, 319, 321, 324, 325, 327, 328, 329, 335, 336, 337, 342, 346, 347, 350, 351, 352, 354, 356, 364, 373, 383, 388, 389, 394, 396, 400, 401, 403, 404, 411, 413, 414, 415, 419, 422, 423, 424, 426, 436, 437, 449, 451, 452, 456, 468, 474, 476, 477, 478, 479, 480, 484, 489, 490, 496, 497, 498, 503, 505, 506, 507, 510, 513, 514, 516, 518, 520, 521, 522, 528, 529, 540, 544, 551, 552, 557, 561, 563, 564, 570, 571, 572, 575, 578, 579, 588, 591, 594, 598, 605, 606, 608, 615, 617, 619, 622, 625, 626, 638, 639, 640, 643, 644, 649, 651, 653, 659, 665, 667, 672, 676, 679, 680, 681, 682, 686, 691, 698, 699, 702, 705, 706, 714, 715, 716, 717, 719, 726, 727, 728, 731, 732, 734, 737, 738, 740, 754, 755, 756, 759, 760, 762, 763, 771, 774, 776, 777, 781 Divoselo 559 Dortmund 170 Dresden 27, 51, 173, 178, 353, 354, 411, 507, 566, 595, 596, 624, 778 Düsseldorf 27, 161, 162, 187, 641, Dukla 156 Dux 478

E Eisenach 92, 93, 175, 338, 541, 542, 593, 726, 733 Eisenstadt 156 El Salvador 31 Elsass 219, 495 Elsaß-Lothringen 259 England 33, 34, 37, 46, 54, 73, 153, 201, 274, 312, 332, 376, 421, 431, 503, 521, 565, 572, 610, 698, 719, 738, 745 Erfurt 44, 176, 214, 642, 699, 758, 759 Erlangen 192, 539 Estland 141 Europa 11, 20, 30, 32, 34, 43, 47, 56, 62, 63, 65, 68, 69, 95, 98, 99, 100, 109, 110, 111, 183, 184, 188, 189, 196, 198, 200, 203, 228, 229, 234, 235, 236, 259, 260, 281, 282, 283, 285, 289, 297, 301, 316, 333, 340, 352, 355, 372, 373, 380, 383, 384, 400, 407, 408, 416, 417, 418, 424, 437, 441, 444, 450, 456, 460,

462, 473, 474, 489, 497, 503, 505, 506, 516, 517, 521, 526, 528, 537, 541, 565, 568, 584, 600, 604, 623, 639, 643, 644, 650, 658, 664, 673, 682, 694, 698, 704, 705, 709, 724, 743, 755, 758, 759, 761, 763, 777, 781 Evian 34, 343

F Finnland 373, 497 Flensburg 22, 51 Florenz 185, 645 Florida 209 Floridsdorf 156 Franken 671 Frankenberg 316 Frankfurt am Main 20, 44, 53, 54, 77, 172, 173, 331, 376, 377, 378, 460, 703, 727, 736, 758, 759, 779 Frankreich 1, 2, 29, 37, 45, 46, 47, 59, 73, 89, 90, 93, 97, 101, 102, 109, 110, 111, 135, 152, 153, 180, 184, 189, 213, 214, 215, 216, 217, 229, 272, 294, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 312, 332, 335, 337, 344, 366, 376, 384, 386, 387, 388, 431, 432, 433, 434, 440, 503, 516, 517, 518, 528, 537, 540, 541, 556, 557, 572, 610, 615, 674, 698, 719, 745, 758, 759, 761 Freiburg 388, 504, 505, 597 Fritzlar 60 Fulda 76

G Galizien 373, 521, 524, 578 Genf 301, 504, 505, 524, 539, 540, 615 Gießen 594 Göteborg 241, 242, 722, 729 Göttingen 54, 500 Graz 48, 145, 424 Groß-Strehlitz 34

H Hagenau 176 Hamburg 10, 53, 148, 149, 202, 206, 245, 257, 262, 264, 265, 322, 360, 361, 376, 483, 562, 571, 736, 742, 749, 750 Hannover 390, 600 Hartheim 427 Hastings 609, 731 Heidelberg 44, 172, 211, 703, 705, 736 Hermannstadt 189, 530, 681 Herzebrock-Clarholz 576 Hessen 61, 252, 316, 398, 422, 585, 586, 773

Register der Orte und Regionen Homberg 60 Huesca 152

I Iaşi 104, 616, 761 Indien 469 Inning am Ammersee 159 Iran 289, 469, 650 Israel 10, 40, 58, 70, 73, 99, 102, 103, 133, 135, 159, 163, 197, 219, 254, 275, 285, 293, 294, 307, 309, 331, 339, 379, 385, 411, 417, 418, 445, 501, 599, 604, 616, 633, 638, 649, 650, 653, 654, 655, 656, 658, 666, 718 Istanbul 189 Italien 44, 88, 94, 95, 96, 97, 110, 155, 156, 163, 164, 189, 238, 239, 240, 272, 294, 301, 388, 443, 484, 515, 516, 517, 518, 542, 549, 618, 636, 645, 699, 757

813

Lateinamerika 694 Lausanne 98, 420, 504, 505 Leipzig 14, 60, 71, 72, 78, 92, 112, 118, 149, 177, 185, 193, 195, 199, 235, 240, 252, 255, 257, 288, 303, 318, 345, 367, 368, 394, 496, 502, 513, 542, 564, 594, 595, 683, 733, 734, 736, 761 Lettland 54, 55, 56, 57, 141, 688, 696 Libanon 197 Linz 269, 271, 434, 435, 495 Lissabon 100, 289, 545, 599 Litauen 134, 141, 189, 689, 690, 696, 697, 723 London 199, 208, 209, 234, 279, 308, 642 Lublin 126, 674 Lübeck 174, 496, 502, 561, 600 Lüttich 357 Luxemburg 439, 440, 441, 475, 476, 477 Luzern 343, 669 Lyon 2, 3, 8, 91, 213

J Japan 423, 445, 446, 447, 610 Jena 77, 92, 123, 174, 185, 303, 327, 502, 568, 594, 734 Jericho 532 Jerusalem 40, 102, 141, 381, 418, 445, 532, 697, 743, 744

K Kälberhagen 59 Kärnten 48 Kairo 10, 328, 445, 714, 761 Kanada 52, 154, 242, 243, 426, 529 Karlsruhe 235, 345, 541 Karthago 3, 4 Kassel 61, 252, 585 Kastilien 212 Katyn 52 Kiel 393, 561, 595, 692 Kirchhain 316 Köln 44, 176, 273, 329, 454, 471, 532, 543, 544, 600, 621, 659 Königsberg 172, 173, 341 Kollund 59, 420 Konitz 544, 668 Konstantinopel 4, 385 Kopenhagen 497, 692, 761 Krakau 188, 383, 427 Kroatien 25, 188, 285, 286, 559, 560

L La Paz 88 Landsberg/Lech

449

M Madagaskar 154, 328, 352 Madrid 59, 743 Magdeburg 519 Mailand 515, 516, 517 Mainz 44, 76, 763, 778 Majdanek 425, 607 Malmö 68 Mannheim 226, 305 Mantua 94, 95 Marburg 252, 316, 317, 390, 397, 585, 586 Marokko 764 Marseille 102 Mauthausen 49, 427, 465 Mecklenburg 91, 136, 137, 174, 358, 359, 566, 720 Medina 198, 445 Meiningen 379 Meisenheim 588 Mekka 445 Meran 634 Mexiko 100 Minsk 188, 189, 408, 656 Mitteleuropa 2, 128, 157, 209, 254, 673, 698 Mölln 598 Mohrkirch 51, 420 Monfalcone 636 Montréal 243, 529 Moskau 2, 228, 301, 302, 374, 468, 509, 528, 610, 611, 653, 654, 655, 656, 696, 697, 733 München 72, 73, 81, 125, 132, 145, 156, 166, 170, 182, 183, 192, 199, 211, 246, 273, 276,

814

Register der Orte und Regionen

281, 290, 292, 295, 319, 323, 333, 356, 370, 381, 384, 388, 434, 438, 449, 454, 458, 468, 479, 481, 510, 520, 595, 597, 598, 619, 635, 664, 676, 679, 682, 713, 736 Münster 454, 471, 686, 747

N Naher Osten 239, 309, 565, 606, 731, 759 Nassau-Hessen 174 Neapel 515 Neuilly 135 New York 108, 192, 234, 325, 453, 655, 674, 696 Nicaragua 31 Niederlande 160, 188, 379, 381, 382, 383, 514, 526, 661 Niedersachsen 393, 487, 600 Nordeuropa 373, 497 Nordrhein-Westfalen 389, 487, 576 Nordschleswig 106, 692, 694 Norwegen 33, 188, 221, 483, 484, 497, 498, 501, 502, 560, 561 Nürnberg 93, 106, 134, 213, 254, 272, 297, 301, 428, 483, 549, 671, 672, 673, 674, 696, 765

O Österreich 12, 32, 37, 42, 48, 49, 94, 97, 115, 137, 138, 139, 145, 146, 147, 148, 156, 157, 165, 169, 174, 217, 218, 251, 253, 254, 266, 269, 270, 273, 277, 287, 310, 317, 325, 326, 364, 398, 399, 400, 405, 424, 425, 434, 435, 467, 478, 479, 488, 489, 490, 511, 512, 514, 517, 518, 519, 520, 525, 527, 550, 577, 590, 591, 617, 618, 625, 626, 634, 651, 652, 666, 673, 694, 698, 699, 724, 725, 736, 755, 756, 760, 775, 776, 777 Österreich-Ungarn 26, 69, 312, 398, 477, 516, 590, 695 Oldenburg 174 Olten 617 Ontario 529 Oran 23 Oranienburg 542 Oslo 483, 497, 502, 761 Ostafrika 328 Osteuropa 2, 13, 15, 105, 116, 157, 254, 253, 373, 565, 615 Østfold 561 Ostprignitz 256 Ottawa 529

P Paderborn 66, 76, 448, 494, 495 Pähl 438 Palästina 10, 73, 86, 101, 102, 103, 135, 159, 164, 181, 194, 197, 238, 297, 301, 328, 348, 352, 365, 379, 385, 417, 444, 460, 471, 521, 522, 524, 564, 565, 566, 570, 594, 606, 616, 654, 657, 726, 739 Paris 2, 5, 19, 20, 24, 29, 44, 47, 54, 90, 180, 183, 188, 199, 214, 215, 216, 217, 271, 294, 302, 303, 337, 368, 381, 383, 384, 385, 400, 431, 433, 434, 540, 553, 558, 620, 645, 745, 746, 758, 761, 781 Payerne 540 Pfalz 174, 181, 588 Phillippsthal 759 Poitiers 385 Polen 51, 125, 126, 134, 182, 183, 209, 259, 287, 373, 376, 400, 408, 425, 467, 483, 518, 522, 555, 556, 601, 602, 674, 697, 702, 723, 759, 761, 762 Porto Alegre 163 Portugal 100, 289, 374, 545, 698, 723 Posen 70, 117, 156, 326, 548, 549, 569 Potsdam 83 Prag 40, 41, 157, 400, 553, 687 Preußen 5, 61, 83, 91, 115, 116, 117, 193, 200, 209, 332, 365, 367, 392, 405, 407, 418, 535, 557, 569, 581, 589, 702, 703, 704, 708, 720, 774

Q Québec

243, 529

R Radolfzell 167 Rajsko 50, 51 Reval 188, 468 Rheinland 140, 405, 528 Rheinsberg 256 Richmond 274, 297 Riga 55, 141, 468, 688 Röhrmoos 380 Rom 44, 155, 156, 239, 249, 251, 355, 402, 454, 518, 525, 761 Rorschach 491 Rostock 136, 566, 721 Rothwisch 317 Rotterdam 761 Rumänien 58, 103, 104, 189, 222, 223, 259, 349, 373, 378, 393, 485, 486, 515, 523, 524,

Register der Orte und Regionen 530, 531, 546, 547, 602, 603, 604, 613, 616, 619, 620, 636, 681, 682, 696, 745, 746, 761 Russisches Reich 373, 407, 408, 689, 723 Russland 9, 10, 15, 40, 41, 68, 128, 191, 196, 203, 259, 288, 337, 373, 376, 436, 522, 553, 565, 567, 610, 611, 624, 639, 657, 660, 678, 745, 751, 761

S Sachsen 119, 174, 200, 353, 354, 405, 422, 487, 544 Šakiai 723, 724 Salzburg 310, 325, 626 Schleswig 21, 106, 692, 694, 742 Schleswig-Holstein 59, 174, 420, 727 Schweden 68, 69, 241, 242, 253, 396, 484, 485, 684, 685, 721, 722, 729, 730, 734 Schweiz 20, 42, 43, 98, 99, 166, 167, 168, 169, 217, 219, 220, 226, 284, 334, 335, 336, 343, 344, 359, 400, 401, 402, 412, 420, 491, 492, 504, 505, 539, 540, 542, 612, 614, 615, 617, 618, 630, 631, 632, 633, 669, 670, 671, 698, 699, 700, 707, 761 Sézanne 180 Shanghai 189 Sibirien 56 Sibiu 530, 681 Sissach 412 Sizilien 533 Skandinavien 33, 34, 184, 484, 497, 693 Slowakei 134, 189 Slowenien 761 Solingen 598 Sowjetunion 37, 126, 141, 201, 223, 277, 293, 297, 318, 319, 404, 509, 528, 547, 606, 610, 616, 627, 653, 654, 656, 658, 659, 662, 674, 682, 689, 696, 697, 757, 759, 774 Spanien 33, 34, 65, 152, 191, 239, 253, 344, 376, 413, 464, 465, 578, 599, 645, 706, 759 Speyer 176 St. Gallen 412, 491, 761 St. Vith 476 Steiermark 48, 425 Stettin 341, 573 Straßburg 213, 532 Stuttgart 54, 81, 91, 150, 305, 307, 359, 525, 573, 605, 607, 678, 679, 680, 750 Südafrika 144, 656, 739, 740, 757 Südamerika 122, 160, 352 Südwest-Afrika 582, 740 Südosteuropa 373, 490 Suwałki 723

815

T Tallinn 468 Teheran 418, 650 Temesvár 745, 746 Texas 208, 423 Thüringen 174, 459, 510, 533, 720 Timişoara 745 Tilsit 141, 689, 723, 724 Toronto 59, 426 Tortosa 213 Toulouse 302 Treblinka 209, 696 Trient 7, 208 Trier 476 Troppau 477, 760 Tschechoslowakei 20, 655, 656, 698, 760, 761 Tübingen 54, 145, 211, 244, 339, 393, 509 Türkei 44, 189

U Uckfield 54, 154 Uganda 656 Ukraine 188, 189, 293, 696 Ungarn 42, 57, 58, 189, 259, 373, 374, 378, 422, 423, 486, 559, 619, 745, 758, 759 Uruguay 694 USA → Vereinigte Staaten von Amerika Ústi nad Labem 760

V Venedig 94, 100 Verden an der Aller 500 Vereinigte Staaten von Amerika 13, 58, 74, 82, 88, 108, 109, 122, 132, 135, 144, 182, 184, 197, 201, 202, 208, 209, 226, 234, 244, 254, 272, 274, 275, 279, 288, 291, 296, 297, 308, 309, 311, 312, 326, 327, 329, 352, 370, 373, 382, 384, 387, 409, 416, 417, 421, 422, 423, 425, 427, 440, 446, 449, 451, 456, 487, 502, 506, 507, 514, 521, 522, 559, 565, 575, 584, 609, 650, 652, 653, 655, 656, 694, 696, 697, 698, 731, 738, 759 Vilnius 134, 697 Vinderen 497, 502 Viöl 727 Vlotho 274, 297

W Warschau 125, 555, 585, 601, 723 Washington 275, 400, 653 Weimar 123, 174, 245, 249, 265, 419, 596, 634, 642

816

Register der Orte und Regionen

Weißenfels 733, 734, 756, 757, 758 Weißrussland 188, 189, 696 Weißruthenien 141 Westfalen 686 Wien 32, 41, 49, 115, 116, 137, 138, 145, 147, 156, 157, 217, 240, 249, 253, 268, 286, 325, 326, 368, 398, 399, 400, 402, 418, 424, 477, 488, 512, 513, 514, 519, 520, 541, 590, 591, 595, 605, 617, 625, 642, 694, 695, 700, 713, 725, 736, 760, 775, 776, 777, 778 Wismar 136 Wittenberg 92, 376, 747, 772

Württemberg 492, 493, 572, 679, 680, 681 Würzburg 273, 286, 371

X Xanten

273, 543, 668

Z Zagreb 25, 559 Ziegenhain 60, 61 Zollikon 412 Zürich 98, 113, 166, 168, 169, 412, 615, 630, 631, 698